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3;

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^tcjUwr Z/7 '.

L o c k e' s ■» *

V e r f u c h

über den

menfchlicheri Veritaiich

.

Aus dem Engüfchen überfetzt mit einigen Anmerkungen und einer Abhandlung

über

den Empirismus in der Philöföphie von

Wilhelm Gottlieb Tennemann

i"\

üoctor der Pnilofophie, Mitglied der Churfürftlichen

Akademie nützlicher Wiflenfchaften zu Erfurt un(£

Ehrenmitglied der lateinifcheri üefell-

fchaft zu Jena.

Dritter Theil.

Leipzig,

bey Iobann Ambro fius Barth;

*7 97.

Vorrede«

Jjer zweite und dritte Band diefer Ueberfetzung würde eher erfphienen feyn, wenn nicht einige Hindernifle Ton Seiten des eriten Verlegers in den Weg getreten wären , welche nicht anders , als durch Veränderung des

* 2 Ver-

ir V o r x e ä 4.

Verlegers, gehoben werden konnten^ Das Publikum hat indeflen durch die- fen Auffchub nichts verloren, fon- dern vielmehr gewonnen , indem ich die Zwifchenzeit benutzte, die Ueber- fetzung noch einmal zu revidiren.

Ich wünfche nichts mehr , als dafs die nun vollendete Arbeit eben den Beifall finden möge, welchen der An- fang in allen Anzeigen kritifcher Blät- ter , die mir zu Gefleht gekommen* erhalten hat»

Die Vorrede zum erften Bande be« nachrichtigte das Publikum von dem Vorhaben, Leibnitzens neue Ver- fuche über den menfehlichen Verstand auf ähnliche Art bearbei- tet

Vorrede. "T

tet herauszugeben. Diefes Unterneh= men habe ich noch nicht aufgegeben, wenn es, wie es fcheint, gebilliget wird; nur bin ich noch darüber mi- fchrüflig, ob ich diefes Werk in feiner ganzen Ausdehnung, die es durch die dialogifche Form erhalten hat, über- fetzen , oder nur den Inhalt deifeU ben in fortgehender Abhandlung, oh- ne Unterbrechung der unterredenden Perfonen, liefern foll. Es würde durch diefe Veränderung nichts verlieren, da jene Form nichts Wefentliches ifh Noch zweckmäfsiger wäre es viel- leicht, mit Vei weifung auf jeden Pa- ragraph des Lockifchen Verfuchs nur das aufzustellen , was Leibnitz zur Widerlegung , Ergänzung , Beftiin- mung und Berichtigung der Locki- fchen Sätze gefagt habe. Ich wün-

* 3 fche,

it Vorrede«

fclie, ehe ich zur Ausführung fchrei* te , die Urtheile einfich tsvoller Mau* ner darüber zu vernehmen,

Jena, ini Februar 1797«

$Vüh, Gottl. Tennemanu,

Inhalt**

Inhaltsarizeige des dritten Theils^

Viertes Buch. Von der Erkenntnifs und Meinung

Erfies Kap. Von der Erkenntnifs überhaupt. S. X Zweites Kap. Ton den Graden der Erkenntnifs. 14 Drittes Kap. Von dem Umfange der Erkenntnifs. 31 Viertes Kap. Von der Realität der Erkenntnifs. 81 Fünftes Kap. Von der Wahrheit überhaupt. aotf

Sechites Kap. Von allgemeinen Sätzen , ihrer

Wahrheit und Gewifsheit I17

Siebentes Kap. Von Grundfätzen. 143

Ad tes Kap. Von fpielenden Sätzen. 180

^Neuntes Kap Von Erkentnif» der Exiftenz. i^-j

Zehntes Kap. Von der Erkenntnifs des Dafeyns

Gottes. - 200

Eilftes Kap. Von der Erkenntnif» der Exiftenz

anderer DSngt, 226

Zwölf-

Zwölfte* Kap. Vervollkommnung uuferer Ei-

kenntnifs. S. 24.J

Dreizehntes Kap. Noch einige Betrachtungen

über die Eikenntnifs. 267/

Vierzehntes Kap, Von der Meinung. 2ft

Fünfzehntes Kap, Von der Wahrfsheinlichkeit 276

Sechzehntes Kap. Von den Graden des Fürwahr-

haltens. 284

Siebzehntes Kap. Von der Vernunft. 309

Achtzehntes Kap. Vernunft und Glaube und ihr

befiimmies Gebiet. 3J3

Neunzehntes Kap. Von der Schwärmerei. 372

Zwanzigfies Kap. Von dem fehlerhaften Für-

wahrhalteh oder dem Irrthume. 392

Ein und zwaazigftes Kapitel. Von der Einthei-

lung der Wiffenfchaften. 421

Abhandlung über den Empirismus in der Philo»

fophie, voizüglich den Lockilähen. 42 %

Vier

Viertes Buch»

Von der Erkenntnifs

und

der Meinung.

Elftes Kapitel.

Von der Erkenntnifs überhaupt.

**

Alle Erkenntnifs ,hat nur Vorftel- lungen zum Gegenftande.

■L'a der Verftand bei allem Denken undSchlief- fen kein anderes unmittelbares Object als fei- ne eignen Vo r ftel 1 u n gen hat , und nur allein (liefe betrachtet und betrachten kann, Locke'«. III. Theil. A lo

* Viertes Buciü

fo ift es einleuchtend, dafs auch untere Er- kenntnifs keinen andern Gegenftand haben kann«

Was die Erkenntnifs ift.

Die Erkenntnifs fcheint mir nichts an- ders zu feyn, als die Wahrnehmung d er Verbindung und Uebereinftimmung oder derNichtübereinftimmung und des Widerfpruchs einiger unferer Vorfiellungen. Wo diefes Wahrnehmen ift, da ift Erkenntnifs , und wo es fehlet, c<a mögen wir wohl einbilden, muthmafsen und glauben, aber nicht erkennen. Wir erkennen aber, dafs weifs nicht fchw>rz ift* wenn wir einfehen , dafs beide Vorftellungen nicht ein- ftimmig find. Wenn die ftreögfte Demonftra- tion uns überzeuget, dafs die drei Winkel ei- nes Triangels zwei rechten gleich find , fo nehmen wir blofs wahr, dafs diefe Gleichheit mit den Winkeln des Triangels übereinftiromt und unzertrennlich verknüpft ift, '■)

§• 4*

•) Das vierte Buch ift unftieitigdas wichtigfte und intereflantefte in dem ganzen Werke. Den/r. «in«, Unterfuchmig über die menschliche El- ken at-

Elftes Kapitel. $

Vier Arten der Einftimmun?*

Damit wir delto deutlicher einfehen , Wof' in diefe Einflimmung oder Nichteinftimmung

A 2 befte-

kenntnirs, über ihren Umfang und Arten, «rat vor Lockein folcher Ausführlichkeit noch nicht angeftellt worden. Ohne partheiifch für den englifchen Philofophen zu fcvn, mufs man doch geliehen , dafs er die Grenzen der Ei kenntnils, bei fo wenig leitenden Principieu, ichaii g^mig entdeckt, und manche wichtige Wahrheiten auf. gelteilt hat, Welche gewifs hie und da einen Denker aus dem dogmatifchen Schlummer hat- ten "wecken muffen , wenn nicht die Form , in <ler lie vorgetragen find, und manche andere Blöfsen , die das Werk enthält, den Eindi uck gefchwächt uiid die Aulmerkfainkeit von der Tch wachen Seite des Dogmatismus auf die fchwa- fcken Saiten, diefts Weiks geleitel halten.

Locke nimmt die Erkefintnifs blos in fubjeetiver Bedeutung für das Bewufst- feyn der Einftimmung oder des Widerfpruchs, der Verbindung oder Trennung der Voritellun- gen , und lie beftehet demnach aus Urtheilen, welche theils unmittelbar, theils mittclbai /Ind. Ein wefcntli' lies Merkmal der Erkcnntnifs, dafs lieh die Urtheile auf Objccte beziehen, von die- fen etwas ausfagen müfTen, ift zürn grofsenNach theile dci Unterfuchung iibeiTchen worden, und deft« fonderbarer iit ts, dafs die Verbindung r der

Trott«

4 Viertes Buch,

beftehet, können wir fie auf vier Arien zurück- führen, nehmlich 1) Identität oder Ver- fehle A e nhei t; 2) Beziehung; 3) Ko- exiftenz oder noth wendige Verknü- pfung; und 4) reale Exiftenz,

§. 4.

Trennung der Vorftellungen , in Anfehung der Koexiftenz oder Exiftenz , als ein Moment der Erkenntnifs betrachtet wird, da doch bei den Vorßelfungen weder von Exiftenz noch Koexi- ftenz die Rede feyn kann. Offenbar hat iich un- fer Philofoph übereilen lauen, den fubjeetiven Zufland des Gemt'iths, oder das logifche Ver- hältnifs der Vorftellnngen in der Erkenntnifs für die Erkenntnils ftlbft zu nehmen, ob er gleich, durch den dunkeln Begriff der Erkenntnifs gelei- tet, bei den Momenten der Einftimnmng auf die objeetive Beziehung Rücklicht nahm.

Die Erkenntnifs theilt Locke in die an- fchauende, demonftrative und die f i n n- liche. Vielleicht wird diefe Eintheilung deut- licher , wenn man fie fo fafst : das Bewufsfeyn von der Einftiminung oder Nichteinftimmung zweier Vorftellimgen ( Subject und Prädicat ) wird entweder durch andere Begriffe vermittels (demonftrative) oder nicht, im letztern Fall be- ruht das Bewufstfeyn ihrer Einftimmung entwe- der auf der unmittelbaren Wahrnehmung der Vorftellnngen (anfehauende) oder auf einem fub- jeetiven Gefühl (finnliche Erkenntnifs). Die letzte hat Da feyn', Wiiklichkeit , die beiden el- ften, das Verhaltnifs der Vorftellungen zu ein- ander zum Gegenftande,

EiTtes Kapitel. 5

Identität und V e r f c h i e d e n h e i t.

Die erfle Handlung des Verftandes inRück- fjcht auf feine VorftcHungen , ift die Wahrneh- mung; und infofern er eine VorfteMung wahr- nimmt, erkennt er, dafs fie das ift, was fie ift, dafs fie nicht eine andere ift. Hierin liest unmittelbar dieUr.terfcheidung ihrer Verfcbiedenheir. Diefe Handlung ift fo noth- wendig , dafs ohne fie weder Erkenren, noch Schliefen, noch Einbilden tnd überhaupt kein- deutliches Denken möglich ift. Hierdurch ent- ftehet die klare und untrügliche Einficht, dafs jede Vorftellung mit fich felbft üJb'eteinftimrnt und identifch ift, dafs alle verfchiedene Vor- ftellungen nicht übcreinftinünen , d, i. dafs eine nicht die andere ift. Diefcs flehet der Verfiand ohne Mühe und Arbeit, ohne Venr.ittelung der Schlüfle, fobald er fich etwas bewufit ift, durch fein natürliches Wahrnehmungs- und Unter- Icheidungsvermügen ein. M:»n hat dicfeMand- hing, um ihre Anwendung auf alle Fällö , wo diefe Reflexion vorkommen kann, zu erleich- tern, auf diefe allgemeinen Regeln zurückge- führt: Was ift, das ift; und: Ein und daffelbeDing kann unmöglich feyn und nicht feyn. Allein es ift unbezwei- ielt, dafs fich jenes Vermögen zuerft an ein- zelnen befonderen Voiftellungen äufsert» So-

A 3 bald

5 Viertes Buch«

bald ein Menfch die Vorftellungen weifs und rund hat, fobald hat er auch das untrügliche Bewufstfeyn, dtfs fie diefe Vorftellungen, und nicht die Vorftellungen roth oder vierek- kigt find. Kein Grundfatz in der Welt kann ihm mehr Gevvifsheit und Klarheit darin geben, als er vorher ohne Anwendung einer allgemei- nen Regel halte, Diefes ift alfo die erfte Art der Uebereinftimmung und Nicbtübereinftim- mungt welche der Vcrftand an feinen Vorftel- lungen unmittelbar wahrnimmt. Wenn dabei ein Zweifid entfteht, fo betrifft er nur die Sprach- zeichen , nicht die Vorftellungen felbft, deren Identität oder Verlchiedenheit fogleich einleuch- tet, als fie in das klare Bewufsteyn aufgenorar jne find, Das Gegentheü ift nicht möglich,

§* 5. Beziehung.

Die zweite Art vor» Uebereinftimmung und Nichtübereinftimniung ift das Verhalt- pifs, welches derVerftand zwifchen twei Vorftellungen, von welcherArt fie find, wahrnimmt. Da alle verfchie- dene Vorftellungen jederzeit als nicht identifch gedacht , und daher allgemein voq einander verneinet werden muffen, fo fände gar keine po- fitive Erkenntnifs ftatr, wenn wir nicht irgenft «ine Beziehung zwifchen unfern Vorftellun- gen

Elftes Kapitel. J

gen entdecken , und nach verfchiedenen G«- fjchtspunkten ihrer Vergleichung, Uebereia» ßinunung und Nichlübereinftimmung ausfindig machen könnten.

§. 6.

Koexiftenz.

Die dritte Art von Einftimmung und Wi- derftreir, welche das Wahrnehmungsvermögen befchäftiget , ift die Koexiftenx in einem Objecte uud das Gegentheil. Beides beziehet [ich vorzüglich auf Subftanzen, Wenn wir von dem Golde behaupten, dafs es in dem Feuer nicht zerfiöhrt wird , fo fchränkt fich die Erkenntnifs von diefer Wahrheit darauf ein, dafs diele Feue'rbeftändigkeit mit andern Merk- malen des Begriffs Gold, als der gelben Farbe, des Gewicht«, der Schmelzbarkeit, Schlagbar- keit und Auflösbarkeit in Goldfcheidewaffer, immer in unzertrennlicher Begleitung gefunden wird.

Reale E xi ftenz.

Endlich können auch viertens unfere Vorftellungen , in Anfehung der realen Exi- ft e n z , verbunden oder getrennt werden. Diefe vier veifchiedenen Arten der Verbindung

A 4 oder

g Viertel Buch.

oder Trennung umfallen , wie ich glaube, alle wirkliche oder mögliche Erkenntnifs der Men- fchen. Denn alle Unierfuchung , in Anfehung unferer Vorftellungen, alles, was wir von ibnen willen, von ihnen bejahen können, kommt auf folgende vier Puncte zurück» dafs fie iden- tifch oder nicht identifch mit einer andern find, dafs de mit andern in einem Object jeder- zeit koexiftiren ; dafs fie diefe oder jene Bezie- hung zu andern ; dafs fie reale Exiftenz aufser dem Verftande (objective Realität) oder nicht haben. So fagt man j Blau ift n i c h t gelb, (.Identität) j zwei Triangel von glei- cher Grundlinie zwifchen zwei Pa- rallelen find gleich (Verhältnifs) ; das Eifen ift der magnetifchen Einwir- kung empfänglich, (Koexifienz); Gott ex ift ir et, (reale Exiftenz), Identität und Koexiftenz find im Grunde nichts , als Verhält- nilTe, aber von fo befonderer Art, dafs fie ei- ne eigene Stelle verdienen; denn fie enthalten ganz verfchiedene Gründe zur Bejahung und Verneinung, wie ein aufmerkfamer Lefer aus verfchiedenen Stellen diefes Verfuchs wird ein- gefehen haben. letzt follte ich zur Unterfu- chung der Grade unferer Erkenntnifs übergehen ; zuvor aber ift noch eine Betrachtung über die verfchiedenen Bedeutungen des Worts Erkennt* nifs nothwendig.

§• 8.

Erltes Kapitel. 9

$i 8.

Wirkliche oder habituelle Ei- le en n t n i f s.

Es giebt mehr als eine Art , wie der Verftand im Befhz der Wahrheit ift; jede Art davon wird Erkenntnifs gentnnt. Es giebt I) eine wirkliche Erkenntnifs oder das gegenwärtige Bewufstfeyn von der Ue- bereinfh in murig oder Nicbtübereinftimmung, oder auch' von den Beziehungen der Vor- ftoiluncen auf einander. Man fagt aber auch 5) man erkenne einen Satz, wenn man ihn vorher gedacht , die Beziehung der verknüpf- tpn oder getrennten Begriffe deutlich eingefe- hen , und fo den Satz ins Gedächtnifs gefafst li2t, dafs, wenn er einmal wieder Gegenftand dos Denkens wird, man fogleich die rechte Sei- te auffafst, und von feiner Wahrheit überzeugt wird. Man kann diefes eine habituelle Er- kenntnifs nennen. Wenn man fagt, dafs ein Menfch alle Wahrheiten erkenne, welche in feinem Gedächtnifs niedergelegt find, Co wird dicTe Erkenntnifs verftauden ; er erkennet fie vermittelft des vorhergegangenen klaren vollen ]> wufstfeyns, du^cli welches er, fo oft er fie wieder denkt, völlige Ueberzeugung erhält. Unfcr endliche Verftand kann nur ein Object auf einmal deutlich denken. Daher würden allo Menfchen fehr unwiffend feyn , wenn ße 1 r von dem, was f\e gegenwärtig denken,

A s Er-

*• Vi«rto« Buch.

Erkenntnifs hätten; und wer die ausgebreitete Erkenntmfs härte, würde doch nur eine Wahr- heit auf einmal erkennen.

§. %

Zwei Arten der habituellen Er- kenntnifs.

Es giebt von der habituellen Erkennt- nifs in dem gemeinen Sinne noch zwei Arten. Die eine begreift diejenigen in dem Gedächtnifs aufbewahrten Wahr- heiten, bei denen der Verftand, wenn fie wieder erweckt werden, das Verhältnifs der Begriffe zu ein» ander ein Hebet. Sie findet alfo bei allen anfchaulichen Wahrheiten ftatt , wo die Begriffe felbft durch unmittelbares Bewufstfeyn ihre Einftimmung oder Nichteinftimmung dar- fteilen. Die zweite enthält folcbe Wahr- heiten, von denen der Verftand ein- mal überzeugt worden, und nachher das Bewufstfeyn diefer Ueberzeu- gung, aber ohne die Beweisgründe, im Gedächtnifs behält. Wenn üch Je- mand mit Gewifsheit erinnert, dafs er von dem Satze: in einem Dreieck find die drei Winkel zwei rechten gleich, den Beweis gefafst hat, fo weifs er gewifs, dafs erdiefes erkennet, weil er an diefer Wahrheit nicht zweifeln kann*

Man

Elftes Kapitel. ll

Man Tollte denken, als wenn in diefem Falle, wo der Deweis, wodurch man lieh von einet Wahrheit überzeugte, vergeben ift, diefe nicht fowohl erkannt, als nur auf Treu und Glau- ben des Gedächtnifles angenommen würde, und daher fchien mir felbft diefe Art der Ueberzeu- gung zwar etwas mehr als blofser Glaube zu feyn , weil diefer fich auf das Zeugnjfs eines Andern gründet, aber doch nur eine mittlere Stelle zwifchen Meinung und Erkenntnifs ein- nehmen zw können ; allein nach näherer Unter- suchung finde ich doch, dafs üe einer voll- kommenen Gewilsheit nicht nachftehet, und wirklich eine wahre Erkenntnifs ift. Was hier zuerft das Urlheil irre führt, ift diefes, dafs die Einftimmung oder Kichteinftimmung der Bjgriffe in diefem Falle, nicht durch eben daf- felbe wirkliche BewufsifeYn aller IVJi" telbegrifie. wie bei der wirklichen Erkenntnifs , fondern durch andere MittelbegrifFe eingefehen wird. Wenn zum BeiTpiel Einer den Beweis von dein Satze, dafe die drei Winkel in einem Dreiecke, zwei rechten Winkeln gleich find, einmal deut- lich gefafst hat, fo weifs er, dafs er wahr ift, auch wenn der Beweis delTelben aus dem Ge- dächtnifs fo verfchwunden ift, dafs er ihm jetzt nicht vorfchwebt, vielleicht auch nie wieder ins klare Bewufstfeyn kann zurückgerufen wer- dfcu , und er erkenuet die Wahrheit delTelben, nur auf eine andere Art als vorher, Die Ein-

ftim-

12 Viertes Buch,

flimtmmg beider Begriff? in diefem Satze wird eingefehen, aber vermittelft anderer Begriffe, als welche das erftema! die UeberzcuguQg be- wirkten, Er erinnert [ich, d, i. er erkennet, (denn die Erinnerung ift nichts ander?, als die Erneuerung einer ehemals gehabten Ei kennt- nifs,) dafs er vormals von der Wabihtit diefes Satzes gewifs war. Die Unveränderlichkeit ' derfelben Beziehung zwifchen derselben unver- änderlichen Dingen ift jeizt der Mittel begriff, der ihm zeigt, dafs, wenn die drei Winkel ein- mal zwei rechten gleich waren, fie ihnen jeder- zeit gleich feyn werden. Hieraus entftehet die Gewifsbeit für ihn , dafs , was in diefem Fall einmal wahr gewefen ift , allezeit wahr feyn wird, dafs die Begriffe, welche einmal einffimraig waren, es allezeit feyn werden, dafs er folglich , was er einmal für wahr erkannt hat , jederzeit dafür erkennen wird, fo weit er ßch nur erinnern kann, dafs er etwas erkannt bat. Aus diefem Grunde gewähren einzelne mathematifche Demonstrationen eine allgemeine Erkenntnifs. Wenn die Reflexion , dafs die - felben V o r ftellung e n in Ewigkeit diefel- ben Verhältnifle und Beziehungen haben wer- den, kein hinreichender Grund zur Erkennt- nifs würe; fo würde es gar keine Erkenntnifs allgemeiner Sätze in der Mathematik geben, weil jede Demonstration nur für einzelne be-

fon-

Elftes Kapitel. 15

fondtre Falle gehen würde, Ware ein Satt von einem Triangel oder Zirkel bewiefen , fo müfste die Erkenntuifs davon doch nur a;:f ge- genwärtige Conftruction befebränkt feyn , lind wollte man fie weiter ausdehnen, Fo müfste der Beweis in jedem neu vorkommenden Falle wie- derholt werden, che man willen könnte, dafs der Satz auch von dielem oder jyeneai Triangel gelte. Hierdurch würde man aber nie zur Ein« ficht nll^emeiner Satze gelangen. Niemand wird läti°:nen , dafs Newton jeden Satz, den er irgend in einer feiner Schriften las, für wahr erkannte, ob er gleich die bewundernswürdige Kette von IMittelbr griffen, wodurch er zuerft feine Wahrheit bewies, damals nicht meT\r im wirklichen Bcwufstfeyn hatte. Denn ein Ge- dächtnis , dafs eine folche Reihe von Vorf:eI- lungen behalten könnte, mochte wohl um fo mehr die Grenzen des menfchlichen Vermögens überfchreiten , da felbft die Entdeckung. F. ."- fung und ZufammenflHlnrig fo äufserOfdcnili- cher Combinationen von Cedillen die Faffuiijs- kraft vieler Lefer überfteiget. Weil aber das Gediichtnifs nicht immer fo klar nis die Wahrnehmung iit , und bei allen Menfchea durch die Liin^e der Zeit immer mehr verdun- kelt wird, fo entfteht nebft andern auch die- fer Unterfchied zwifchen der dernonftrativeo. und anfchaulichen Erkenutnifs, dafs die elftere

un-

14 Viertes Buch.

unvollkommener als die letztere ift, wie wir im folgenden Kapitel fehen werden.

Zweites Kapitel.

Von den Graden der Erkenntnifs.

§. t.

Anfchauliche Erkenntnifs.

\ja alle unfefe Erkenntnifs in dem Bewufst- feyn und der Anficht des Verftandes von feinen Vorftellungen befiehl., und hierauf die höchlte Einficht und Gewif-keit eingefchränkt ift, die Wir nach unfermErkenntnifsverniögen erreichen können, fo kann es nicht unzweckmäfsig feyn* wenn wir einige Betrachtungen über die Grade der Evident der Erkenntnifs anftellen. Det Grund der Verfchiedenheit in der Klarheit un- terer Erkenntnifs fcheint mir in der verfchiede- nen AtI zu 'iegett, wie der Verfiand die Ein- nimmuug oder Nichteinftimmung der Vorftel- lungen wahrnimmt. Die Beobachtung unfers eigenen Denkens zeigt uns , dafs diefes ,\'er-

hält-

Zweites Kapitel. l5

hältnifs zweieT Vorftellunjen zuweilen immir-» telbar durch diefe felbft ohne Vermütelung an- derer einreichen wird. Und diefes können wir wohl mit Recht anfchau liehe Erkennt- «ifs nennen , denn in diefer ift jeder Beweis, jede UnteTfuchung überlliiffig , die Wahrheit wird vielmehr eben lb von detn Verfiande, wie das Licht von (6,11 Auge, durch die blofs^ Rich- tung darauf wahrgenommen. Solche Wahrhei- ten, welche der Verftand bei der erften Anficht der Vorftellun^en, durch die blofse Anfcbauung ohne die DazwiTchenkunft anderer Begriffe er- kennet, find z.B. folgende: weifs ift nicht fchwarz; ein Zirkel ift kein Trian- gel; drei ift mehr als zwei; drei ift gleich eins und zwei. Diele Art der Er- kenntnis ift die klärfte und gewiflefte, deren die meufchliche Schwachheit nur empfänglich ift; fie ift nnwiderflehlich, und wie heller Son- nenfehein dringt fie fich detn BewuTßtfeyn auf, fo bald der Yerfiand feinen Blick dabin rich- tet; fie läfst für Bedenklichkeiten. Zweifel und ÜnterfucHung nicht den geringltert Kaum übrig, indem fie dasGemüth fOgleich ibit ihrem vollen Lichte erfüllet. Auf diefe An fc bauung gründet fich die Gewißheit und Evidenz aller übrigen Erkenntnifs ; über die Gewifsheif, wel- che fie gewähret , läfst fich keine pröTsere den- ken noch fliehen. Denn eine gtöfsere Gewif*,- hsit kann kein Menfch für möglich halten , als

die

Viertes Back.

die Erkennt nifi. eine VorftpIIurafc-y das, was er fich iptzt vOr Helle, und zwei Vorftellunscn, an denen er Verfchiedenheiten bemerkt, feyen vet- fchieden und nicht durchaus identifch. Wer eine größere Gewifsheit verlanget, weifs nicht, was er fordert, und beweift nur, dafs er denSkep- tiker machen will, ohne ihn machen zu kön- nen. Alle Gewifsheit gründet fich dergcftalt auf diere Anfcbauung. dafs he in dem nächft- folgenden Grade der Erkenntnis, 'welche ich die demonflrative nenne, bei allen Ver- knüpfungen der IVlittelbegrifFe unentbehrlich, und obne fie gar keine Gewifsheit undErkennt- nifs möglich ift.

§. 2.

D e m o n ft r a t i v e E r k e n n t n i f s.

Der nächftfolgende Grad der Eikenntnifs beftehet darin , wenn der Verftand die Ein- ßimmung und N i c h t ei n fti m m u n g der Begriffe zwar wahrnimmt, aber nicht un- mittelbar. Obgleich das Wahrnehmen die- fes VerhältnilTes bei jeder gewillen Erkenntnifs ftatt findet, fo liehet doch der Verftand das Verhältnifs zwifchen den Begriffen auch da, wo es erkennbar ift, nicht immer wirklich* ein ; in diefem Falle bleibt er ungewifs, und kann fich höchftens nur wahrscheinliche Muthmaf- fungen erlauben» Die Uifache aber, warum

der

Zweites Kapitel« 1^

der Verftand die Einfiimmung oder Nichtein- ftimmung zweier Begriffe nicht foglekb einfe- hen kann, liegt darin, daTs diefe B. griffe, welche deswegen in Unterfuchung genommen werden, nicht fo znfammergefetzt werden kön- nen , dafs daraus ihr V erhältnifs einleuchte. Wenn nun der Verftand zwei Begriffe nicht auf die Art zufammenfaffen kann , dafs durch ihre unmittelbare Zufammenftellung und Verglei- chung ihr Verhaltnifs der Einftimmung und Nichteinftimmung erhellt , fo ift der Verftand genöihiget , durch Vermittlung anderer Be- griffe, bald wenigerer bald mehrerer, es auf- zufinden. Diefes nennen wir Räfonnement, So kann das Verhaltnifs der Greise zwifcheri den drei Winkein eines Dreiecks und zwei rech- ten nicht durch unmittelbare Anficht wahrge- nommen werden; denn die drei Winkel kön- nen nicht auf einmal mit einem oder zweien! in Vergleichung gebracht werden , und es fehlt hier die unmittelbare anfthauende Erkenntnifs. Der Verftand mufs hier alfo einige andere Win- kel auffinden, denen die drei Winkel des Drei- ecks gleich find ; entdeckt er nun ihre Gleich- heit mit zwei rechten Winkeln , fo erkennt er jenen Satz.

Locke's, fir. Theii. B $. |J

ig Viertes Buch.

Sie gründet fich auf Be weife.

Diefe Mittelbegriffe , welche dazu dieneu, die Einftimmung anderer zu zeigen, heifsen Be weife. Das deutliche Wahrnehmen der Eiiiftimmung oder Niehteinftimmung der Be- griffe durch diefes Mittel wird De m on ora- tio n genennt, indem dem Verfiande jenes \ er- hältnifs gleichfam vorgewiefen wird. Scharf finn heifst die Fähigkeit des Verftan- des , diefe Mittelbegriffe fchnell aufzufinden und richtig anzuwenden.

n

Unterfchied zwifchen der anfchau- enden und demonftrativen Er- kenn tnifs.

D ie Erkenn tnifs* vermittelnder Beweife, ift zwar gewifs, allein ihre Evidenz ift bei dem allen nicht fo klar und einleuchtend» als bei der an fc hau- enden; auch gewährt fie keine fo fchnelle Ueberzeugung. Der Verftand entdeckt zwar endlich durch die Demonftra- tion die Einftimmung oder den Mangel derfel- ben , aber doch nicht ohne Mühe und Anftren- gung. Es gehört etwas mehr* als ein vorüber- gehender Blick dazu j eine fefte Richtung und

Nach-

Zweites Kapitel.

Nachforfchung , ein allmäbJiges Fortfchreitea von einem zum andern mufs vorausgehen, ehe der Verftand auf diefem Wege zur Gewifsheit und zur Einficht in die Uebereinftiromung oder den Widerfpruch zweier Begriffe gelan1 gen kann,

§. 5.

Ein anderer Unter fchied zwifcheii der anfchauenden und demonftrativen Erkennt- nifs beftehet darin. Bei der letztern wird jeder Zweifel entfernt, wenn vermittelft der Mittel- begriffe das Verhältnifs zwifchen den Begriffert eingefehen ift. Allein vor der Demonftratioit gehet ein Zweifel voraus, welcher bei der an* fthauenden Erkenntuifs eben fo wenig ftatt fin- den kann* ah es für das Auge zweifelhaft ift» ob Dinte und Papier von einerlei Farbe find $ vorausgefeizt , dafs der Verftand nicht aller Fä- higkeit, verfchiedene Begriffe deutlich zu den- ken, beraubt ift. Wen n. das Auge gefund ift* fo mufs es bei dem erften Blicke wahrnehmen, dafs die gedruckten Worte auf diefem Papiere Von der Farbe des Papiers veJ-fchieden find. Eben fo wird der Verftand die Einftimmuug oder den Widerftreit derjenigen Begriffe wahr- nehmen , welche eine anfchauende Erkennt- nis gewahren, fo lange er das Vermögen deut- licher YYahinihmung hat. Wenn aber dasAu-

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Zweites Kapitel.

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:egt es nicht fowohl an dr Evi-

, als an dem Mangel Me-

endung, dafs man geglaut hat,

ion habe mit andern 1 eilen

(s nichts zu thtin, und önne

^m andern , als einem Maiema-

werden. Denn wo nur nmer

|er Art find, dafs der Vrfrand

oder Trennung unmielbar

iderer Mittelbegriffe , mielbar

^da ift anschauliche Erkentnifs

[n möglich, welches liclnicht

»rftellungen der Ausdenung

ld ihrer Beftimmunge ein»

10.

^allgemeinen M< mng ilt Igemeiuen Brauhbar- VViflen(chafter auch man die Zahl«öfsen |eit oder Un^lehheit geringfte Untechied ganz beftimu und \en gehet diefe zwar >er der Verftad hat Mnacht, die leich- ten u. w.duTcb Auf. -öu-

neu

20 Viertes Buch.

ge die Sehkraft, der Verftand die Wahrneh- mungsfähigkeit verloren hat, dann fodern wir vergeblich von jenem einen fcharfen Blick, von diefem deutliche Einficht.

§. 6.

Die Demonftration bringt zwar eine Tehr deutliche Einficht hervor , die aber oft nicht anders, als durch eine grofse Schwächung des Haren Lichts und der lebhaften Ueberzeugiing, welche die anfchauende Erkenntnifs begleitet, gewonnen wird. So lange als die letzte die Aehnlichkeit und Uebereinftimmung mit dem Objecte behalt, ftrahlt fie wie ein Licht, das von vielen Spiegeln auf einander zurückgewor- fen wird j aber bei jedem Fortfchriüe der Re- flexion vermindert fich diefe urfprüngliche Hei« Jigkeit und Klarheit, bis nach mehreren Ab- ftuffungen zuletzt nur eine Art von Dämmerung zurückbleibt, die für fchwache Augen kaum noch bemerkbar ift. So iftes beider Erkennt- mifs, die auf eine lange Reihe von ße weifen beruhet»

§. % JederTheil der demonftrativenEr* kennt nifs mufs an fc bauliche Evidenz haben«

Bei jedem Schritt, den der Ver- ftand in der demonürativenErkent-

nifs

Zweites Kapitel. 21

nifs fortgeher, mufs er eine an fchau- ende Erkenntnifs von dem Verhält- n i f s der Mittelbegriffe zu einander haben, die zum Beweife dienen, fonft wäre dt'efes felbft eines Beweifes bedürftig. Denn ohne Wahrnehmung jenes Verhältnifles könnte gar keine Erkenntnifs hervorgebracht werden* Wird es nun unmittelbar wahrgenommen , fo ift es anfchauende Erkenntnifs, ift das nicht möglich, fo ift ein neuer Mittelbegriff nöthig, um das Verhältnifs darzuftellen. Es erhellet hieraus, dafs jeder Fortfehritt des Räfonnements, der Erkenntnifs gewähret, feine anfehauliche Gewifsheit bat, und wenn diefe der Verftand Wahrnimmt, fo ift nichts weiter erforderlich, als die Erinnerung, dafs jene die Einftimmung oder Nichteinftimmung der Begriffe, welche der Gegenftand der Erkenntnifs find, einleuch- tend mache» Um alfo eine Demonftration zu inachen , mufs man die unmittelbare Einftim- mung der MittelbegriiTe, wodurch die Einftimw mung oder Nichteinftimmung zwei anderer BrgfifFe, die unterfucht werden folien, vermit« telt. wird, einteilen, fie bei jedem Fortfehritt in der Demonftration mit der gröfsten Schärfe auffaifen , und gewifs feyn , dafs fie vollftändig aufsefafst ift. Weil aber das Gedächtnifa Ge> bei langen Deductionen und in einer ganzen Reihe von Beweifen nicht immer mit Leichtig- keit und Treue behält, fo ift die Demonftra-

B 3 tioa

jjj Viei'tes Buch.

tion zuweilen unvollkommener , als die an^ fchauende Erkenntnifs, und man utafafst dabei oft Falfchheit für Wahrheit.

Die Notwendigkeit diefer anTchauenden Erkenntnifs bei jedem Gliede des , wiflenfcbaft» liehen Räfonnements veranlafste, wie ich glau- be, den mifsverftandenen Grundfatz: dafs je- des Räfonnement auf fchon erkann- ten und eingeftandenen Sätzen be- ruhe. Ich werde bei einer andern Gelegen- heit, wenn ich von Sätzen und Grundfätzen handle (4, Buch 7. Kap.) weitläufiger zeigen, in wiefern es ein Mifsverftand ift, wenn man folche Sätze zum Fundament aller Erkenntnifs. und alles Räfonnements macht.

$. 9.

DieDemönftrationiÜ nicht aufdit Mathematik eingefchränkt.

Man hat bisher allgemein für ausgemacht angefehen , dafs die Mathematik allein einer deinouftrativifchen Gewifsheit empfänglich ift. "^Allein die Begriffe der Zahlen, der Ausdehnuug und der Fignren fcheinen mir kpinesweges das Vorrecht zu geniefsen , dafs Eiuftimmung und Nichteinftimmung unmittelbar erkannt werde;

und

Zweites Kapitel. 23

und vielleicht liegt es nicht fovvohl an der Evi- denz der Dinge, als an dem Mangel an Me- thode und Anwendung, dafs man geglaubt hat, die Demonftration habe mit andern Theilen der Erkenntnifs nichts zu thun, und könne kaum von einem andern, als einem Maihema- tiker, erftrebt werden« Denn wo nur immer Begriffe von der Art find , dafs der Verftand ihre Verbindung oder Trennung unmittelbar und vermöge anderer Mittelbegriffe , mittelbar einTeben kann, da ift anfchauliche Erkenntnifs und Demonftration möglich, welches fich nicht allein auf die Verftellungen der Ausdehnung der Figur, Zahl und ihrer Beftimraungen ein» fchränkt,

§. 10.

Die Urfache diefer allgemeinen Meinung ift vielleicht, aufser der allgemeinen Brauchbar- keit der mathematifcheu Wiffenfchalter. , auch diefes gewefen. Wenn man die Zahlgröfsen in Anfehung der Gleichheit oder Ungleichheit vergleicht, fo lafstfich der geringste Unterfchied der einen von der andern ganz beftimmt und klar iaffen. Bei Raumgröfsen gehet diefe-» zwar nicht in dem Grade an, aber der Verftand hat doch ein Mittel ausfindig gemacht , die Gleich- heit zweier Winkel, Figuren u. f. w. durch) Demonftration zu beiliuuuen. Aufstrdem kön-

B 4 neu

ll\ Viertes Buch.

nen fowohl die Zahlen als die Figuren durcH finnliche und beharrliche Zeichen dargeftellt "Werden., in denen die Begriffe, welche man unterfucht, vollkommen beftimmt find, - Vor- theile, welche bei den Wortzeichen gröfsten- theils wesfallen.

er

§. II.

Bei andern einfachen Vbrßellungen-, deren Beftimmungen und Unterfchietie nicht nach der Größe, fondern nach Graden gebildet und ge- fcnätzt werden, können wir ihre Unterfchiede nicht (q fcharf unterscheiden , um einen Maafs- fiab zu finden, womit man die Gleichheit ihrer letzten Uiiterlchiede vollkommen meilen könn- te. Denn fie find ErTcheinungen oder Empfin- dungen, welche durch die Gröfse, Geftalt, An- zahl und Bewegung kleiner, einzeln, nicht wahrnehmbarer Körpertheilchen in uns hervor- gebracht werden , und deren Grade von der Veränderung aller oder einiger von diefen Ur» fachen abhängen. Da wir aber diefe Bedin- gungen an den Materientheilen , deren jeder zu fein ift, als4 dafs er empfunden werden könn- te, nicht beobachten können, fo mufs es uns nothwendig an einem befiimmten IVlaafsfUbe für die verichiedenen Grade der einfachen V or- ftellurigtn fehlen. Wenn wir vorausfetzen, dals die Empfindung der weilsen Faibe ciuich

eine

Zweites Kapitel. ?i

eine beftimmte Anzahl von Kügelchen hervor- gebracht vverde, welche, indem be fich um ihren eigenen Mittelpunkt drehen , an di« Netzhaut des Auges mit einem gewiflen Grade der befchleun igten Geschwindigkeit anftofsen. fo folgt daraus unmittelbar , dafs jemehr d:e Ober- fläche eines Körpers fo befchaffen iß, d;rs lio eine größere Anzahl von foltben Lichtkügpl- eben zurückwirft, und ihnen diefe eigene J>> wegung um den Mittelpunkt giebt, defto weif- fer derjenige Körper erfclieinen mufs, der it\ einem gleichen Räume die gröfste Anzahl fol- cher Körperiheilcben mit jener Bewegung an die Netzhaut bringt. Ich behaupte nicht, dal'?. die Natur des Lichts in diefen kleinen Kügel- chen , noch die Natur der weifsen Farbe in ei* ner folchen Structur der Theile beftehe, durch ■welche jenen die Schwungbewegung mitge- theilt wird, denn ^ich handle hier nicht phy« fikalifch von dein Lichte und den Farben; fon- dern ich will nur fo viel fagen , dafs ich mir keine andere Art denken k.nnn, wie die Auffen- dinge unfre Sinne afficiren können, als entwe- der durch unmittelbare Berührung, wie heinz Gefchmack und Gefühl, oder durch den An- ftofs verfchiedener von ihnen abgehender un- emplmdbarer '1 heilchen, wie beim Sehen, Hö- ren und Riechen. Öderweifs einer eine ande. re Einwiikunji-ait, fo mag er he auf eine yer- ftändlichj Weite mictbeileu«

#5 §< 12*

26 Viertes Buch.

§• 12.

Es mö»en alfo Küselchen feyn und Geh um ihren Mittelpunkt drehen oder nicht , fo ift doch fo viel gewiTs, dafs, jemehr Lichttheile von einem Körper zurückgeworfen werden, der diefen Theilen die zur Empfindung der weifsen Farbe erforderliche Bewegung mitthei- len kann, vielleicht auch, je lebhafter diefe befondere Bewegung ift, deftoweilser der Kör- per erfcheint. So bringt daflelbe Papier, wenn man es in Sonnenfchein , in Schatten und in einer dunkeln Hole fieht, die Empfindung der weifsen Farbe in fehr abweichenden Graden, hervor.

Da wir alfo nicht willen, welche Anzahl von Materientheileo , oder welche Bewegung zu einem beftimmten Grade der weifsen Farbe erforderlich ift, fo können wir auch nicht die Gleichheit zwei folcher Grade mit einiger Schär- fe beweifen ; denn es fehlt uns fowohl an einem Maafsftabe, um lie zu meflen , als auch an Mit- teln , die kleinfte reale Differenz zwifchen ih- nen zu unterfcheiden. Die Sinne , die uns allein dazu behülflich feyn könnten , Verlagen uns in diefem Puncte ihren Dienft. Wenn aber bei Farben der Unterfchied fo grofs ift, dafs daraus klare Vorftellungen entliehen, deren

Un-

Zweites Kapitel. 27

UnteTlchied vollkommen auijjefafst und Veral- ten werden kann, wie z B. Blau und Roth, fo findet bei denfelben eben fo gut Demonftrat on ftatt, als bei der Ausdehnung und den Zahlen, Was ich bier von den Farben gefagt habe, hat auch, wie ich glaube, bei allen abgeleiteten Eigenfchaften und ihren Modificatianen feine Richtigkeit,

§• H-

Sinnliche Erkenntnifs von dem Dafeyn der Dinge aufser uns,

Anfchauung und Demonftration find die beiden Grade unferer Erkenntnifs, Was weder unter die eine noch die andere gehört, ift, wenn es auch mit noch fo grofser Gewißheit ange- nommen wird, zurmd bei allgemeinen Wahr- heiten, doch nur Meinung oder Glaube. Es giebt aber dennoch noch eine andere Wahr- nehmung, welche die Exiftenz. der endlichen Wefen aufsei uns zum Gegen ft^nde hat, und den Namen der E r- kenntnifs erhält, weil fie mehr als blofse Wahrfcheiulithkeit ift , und doch keinen der vorerwähnten Grade der Gewifsbeit erreicht. Nichts kann geuiiler feyn. als d,ifs die Vor- ftellimg. welche wir von einem äufsern Gegen- itande erhalten, in dein \ etftande ift; dies ift ausbauende Erkenntnifs, Ob aber aufser die*

f«r

3j Viertes Buch,

Ter Vorftellung noch ein Etwas in dem Vprftan- de vorhanden ift , ob wir von der Vorftellung mit Gewißheit auf die Exiftenz eines Dinges auf-er uns. welches der Vorftellung entfpricht, mit Gewjfsheit fchliefsen können, diefes fcheint Einigen noch eine Frage zu ft-yn, weil dieMen- fchen Vorftcllungen in ihrem Bewufsti'eyn ha- ben, ohne dafs ein folches Ding exißiret, oh- ne <taTs ein Object ihre Sinne afficiert. Allein hier kommt uns, wie ich glaube, eine Evidenz zu Hülfe? welche jeden Zweifel darnieder- fchlätt. Denn ich frage Jeden: ob er nicht ein umviderftehliches Bewufsifeyn habe, dafs es eine ganz andere Wahrnehmung fey, wenn er des Tages die Sonne liehet, und des Nachts an diefelbe denkt, wenn er wirklich Wermuth fchmeckt, und eine Rofe riecht, als wenn er fich nur diefen Gefchrnack und Geruch einbil- det, Zwifchen einer Vorftellung, welche durch das Geoächtnifs erneuert wird , und zwifchen einer, die wiiklich durch die Sinne in die See- le kommt, linden wir einen fo klaren ünter- fchied, als zwifchen zwei verfchiedenen Vor- fiellungen. Vielleicht wendet Jemand ein: ein Truira könne eben das bewirken , und alle Voiftellungen könnten in uns ohne äufsereOb- jeete hervorgebracht feyn. Gut, fo mag er träumen , er erhalte von mir folgendes zur Antwort: i) Es ift wenig daran gelegen, ob man diefen Zweifel habe oder nicht. Wo al«

les

Zweites Kapitel. 29

les nur ein Traum ift, da ift Wahrheit undEr- kenntnifs ein Nichts, DenkeD und Schiie;sert von keinem Nutzen. £) Dennoch mufs er ein* geftehn , dafs es ein nicht zu verkernender Un« terfebied ift» ob man wirklich im Feuer fey, oder ob man es blofa träume. Vielleicht fuchc er nun den Skepticismus fo weit zu »reiben, als möglich, und behauptet, eben das fey auch ein Traum , vvas man wirklich im Feuer feyu nenne; man könne daher nicht gewifs willen, ob fo ein Ding, als Feuer, wirklich aufser uns exilliere. Hierauf antworte ich: wir nehmen mit Gewifsheit wahr, dafs auf die V-rbihdung mit gewiffen Objecten, deren Exiftenz wir ent- weder wahrnehmen , oder nur träumen, wor- ein uns die Sinne fetzen, ein angenehmes oder unangenehmes Gefühl folgt. Diefe Gewifsheit ift fo grofs, als unfre Glückfeligkeit oder der Mangel derfelben, aufser welcher wir gar kein Interelfe haben, weder zu feyn , noch etwas zu erkennen. Wir find alfo wohl berechtiget, zu den beiden erften Arten der Erkennmifs auch noch diefe binzuzufetzen , nehmlich die Er- kenntnifs der Exiftenz einzelner Objecte aufser uns, vermöge der Wahr- nehmung und des Bewi;fit!eyns , dafs das Ge- rnüth wirklich Vorftellungen von ihnen em- pfängt. Eskönnen alfo drei Arten von Erkennt- nis angenommen werden, nehmlich die an- febauendt' , d c in o nltr a t i v e und Vi na*

liehe,

30 Viertes Buch.

liehe, und fie unterfcheiden fich durch den Grad und die Entftehungsart der Eviden2 und Gewifsheit.

§. i5*

Die Erkenntnifs ift nicht allezeit klar, wo es die Vorftellungen f in d,

Da nun unfere Erkenntnifs allein auf unte- re Voi Teilungen Geh gründet Und diefe zum Ge»enftande hat, inufs fie deswegen nicht die- fen Vorftellungen angemeffen feyn , fo dafs. Wo diefe klar und deutlich, dunkel oder un- deutlich find , die Erkenntnifs ebenfalls klar und deutlich, dunkel oder undeutlich ift? Die- fe Folgerung findet nicht ftath Denn die Erkenntnifs» beflehet in der Wahrnehmung der Einftitnmung oderNichteinfÜmmungzweier Vor- ftellungen; ihre Klarheit oder Dunkelheit be- gehet al;o in der Klarheit oder Dunkelheit die- fer Wahrnehmung, nicht der Vorftellungen folbfi* E1 ift z. B. möglich, dafs ein Menfch fo klare Vorftellungen von den Winkeln eines Dreiecks und ihrer Gleichheit mit zwei rechten hat, als nur immer ein Mathematiker haben kann, hin- gegen die Wahrnehmung ilner Einflimmung, folglich auch die Erkenntnifs davon doch fehr dunkel ift. Allein Vorftellungen, Welche der Dunkelheit oder anderer Urfachen wegen un-

deut-

Zweites Kapitel. 31

deutlich find, können keine klare und deutliche Erkenntnifs gewähren; denn iu fofern lie un- deutlich find, in forYrn kann derVerftapj nicht deutlich wahrnehmen , ob fie einfticnmig find oder nicht, Oder um uns auf ein^ andere Art auszudrücken , welche weniger Mifsverftänd- nifle begünftiget : wer mit feineu Worten keine beftimmte Begriffe verbindet, kann nicht folche Sätze daraus bilden, von deren Wahrheit er gewifs überzeugt ift.

Drittes Kapit«l.

Von dem Umfange der menfchlichen Erkenntnifs.

§. 1.

Grenzen der Erkenntnifs,

L)a die Erkenntoifs in der Wahrnehmung der Einftiinmwng oder Nichteinftunmung unferer Vorftellun^en beliebt, (o folgt daraus, I) dal«

Er-

32 Viertes Buch,

Jürkennt n ifs nur infoferrt möglich ift, als wir Vorftellungen haben.

§.

2) Keine Erkenntnifs kann wei* teT reichen, als es möglich ift, (liefe Ein- itimmung oder Nichreinftimmung ehazuCehen. Diefe Einficbt erhält man entweder t. durch die AnTchauung, öder unmittelbare Vergleichung iweier Vorftellungen , oder 2. durch die Ver- nunft, welche die Eißftimmung oder das Ge- gentheil durch andere MiitelbegrifFe unterfucht, oder gi durch die Empfindung, wenn nun die Exiftenz einzelner Dinge wahrnimmt*

§. 9,

3) Hieraus ergiebt ficli alfo , daTs fich un- tere anfchauendeErkenntnifs nicht über alle unfere Vorftellungen und über alles, was wir von ihnen willen wollen, erftrecken kann. Denn durch Nebeneinanderftellung; und unmit- telbare Vergleichung können nicht alle Ver- hältniffe der Vorftellungen zu einander unter- fucht und wahrgenommen werden. Man ziehe zwiichen Parallellinien einen ftumpf- und einen fuiUwinklichten Triangel mit gleicher Grund- linie. Hier erkennet man fogleich durch die; Anfchauung, dafs der eine Triangel nicht der andere ift, aber nicht, ob ue gleich oder un- gleich

Drittes Kapitel. 33

gleich find. Denn ihr Verhiiltnips zur Gleich- heit kann nicht durch unmittelbare Vergleichung gefunden werden, da die Verfchiedenheit der Figuren hindert, dafs inan ihre Seiten an einan- der Icen kann; und es mufs aUo eine andere Gröfse zu Hülfe gekommen werden , um fie zu meffen. Hier tritt alTo die Demonftration oder Vernunfterkenntnifs ein.

§. 4-

4) Auch der Umfang unferer ratio na* len Erkenn tnifs ift kleiner, als der Umfang aller unferer Vorftellungen. Denn wir finden nicht immer folche MittelbegriEFe, durch welche die Verbindung oder Trennung verfchie- dener Vorftellungen anfchaulich erkannt wer- den kann. Wo aber diefes fehlt, da ennan« geln wir einer deiuonftrativren Erkenntnifs»

§. S*

5) Die finnliche Erkenntnifs hat noch engere Grenzen, als die beiden vo- rigen ; denn De ift nur auf die Exiftenz der Dinge eingefchränkt , welche unfern Sinnen gegenwärtig find,

$. 6.

Aus allem diefem erhellet das Refultat, dafs

unfere Erknnntnifs Weder mit der

Locke's. III. TheiL C Rea-

34 Viertes Buch,

RealHät der Dinge, noch auch mit dem Umfange unferer eigenen Vor- Heilungen gleichen Umfang hat. Sie iftzwarauf unfere Vorftellungen eingefchrankt, und kann fie weder an Umfang noch an Voll- kommenheit übertreffen. Auch find diefe Gren- zen , in Rückficht auf den Umfang aller Dinge, fchon enge genug gezogen und weit einge- fchränkter, als wir fie uns bei andern, auch gefchaffenen Intelligenzen denken dürfen, wel- che nicht an die fparfame und geiftlofe Beleh- inng gebunden find, die einige wenige nicht fehr fcharfe Erkenntnifsorgane, wie unfere Sin- ne lind, gewähre» können. Demungeachtet wären wir fehr glücklich zu preifen, wenn un- fere ErkenntniTs To weit ausgedehnt, als unfere Vorftellungen wäre, und wenn| nicht fo viele Zweifel und Fragen über unfere Vorftellungen zurückblieben , die noch nicht aufgelöft, viel- leicht in diefer Welt auch nie aufgelöft werden können. Die menfchliche Erkenntnifs kann zwar unftreitig auch unter, den gegenwärtigen Bedingungen unfers Dafeyns und Wefens weit mehr, als bisher gefchehen ift, erweitert wer- den, wenn nur die Menfchen mit Unbefangen- heit des Geiftes und aufrichtigem Streben die- jenige Thätigkeit und Unverdrolfenheit im Den- ken auf die Vervollkommung der Mittel zur Erkenntnifs der Wahrheit wenden wollen, wel- che fis bisher der Verlarvung oder Befeftigun

der

Dmt.es Kapitel. $5

der Unwahrheit, der Verfechtung eines Syftems, einer Partbei und Secte, in die fie einmal ver- flochten waren , gewidmet haben. Allein ich darf demungeachtet, ohne der menfcblichen Vollkommenheit zu nahe zu treten, dreuft be- haupten, dafs uufere Erkenntuifs doch nie al- les dasjenige , was wir in Anfehung unferet Vorftellungen zu willen wünfchen, umfallen, noch im Stande feyn wird, alle Schwierigkei- ten zu überwinden, alle Fragen aulzulöfen, die die Vorftellungen veranlaffen können. Wir ha- ben die Vorftellungen von einem Quadrat; Zirkel und der Gleichheit; unterdeflen werden wir doch nie im Stande feyn , einen Zirkel zu finden, der einem Viereck gleich iff; oder mit Gewifsheit zu erkennen, dafs er es ift.

Ungeachtet unferer Begriffe von Materie und dem Denken, weiden wir doch vielleicht nie erkennen , ob ein blos materielles Ding denkt oder nicht; denn es ift unmöglich, ohne Offenbarung durch die blofse Betrachtung un- ferer Vorftellungen zu ontfcheiden, ob die All- macht einem dazu orjzaniHrten Svftem von Ma- terie das Denkvermögen gegeben, oder diefe Or^anifalion mit einer unmateriellen denken- den Subltanz vereiniget hat. Es ift in Rück- ficht auf untere Begriffe eben fo denkbar, dafs Gott, wenn es ihm gelallt, der Materie anfser

C 2 ihren

^6 Viertes Buch.

ihren Kräften , noch die Denkkrai'r geben , als dafs er ihr eine andere Subftanz mit der Denk- kraft beifügen kann. Wir willen nicht, wor- in das Denken befteht , noch welche Art von Subftanz mit diefem Vermögen ausgestattet wor- den , welches ein erfchaffenes Wefen auf keine andere Weife, als durch die Gütigkeit und den Willen der Gottheit erhalten kann. Ich finde keinen Widerfpruch in der Behauptung, das urfprüngliche, ewige, denkende Wefen habe einem Aggregat von empfindungslos gefchaffe- ner Materie , durch zweckmäfsige Zufammen- fetzung, einen gewiffen Grad von Empfindung, Bewufstfeyn und Denken geben können, ob ich gleich glaube , bewiefen zu haben , (4-. B. io. Kap. §♦ 5, 9, 13.) dafs die Hypothefe, die Materie, die ihrer Natur nach aller Empfindung und alles Denkens beraubt ift, fey jene urfprüng- liche ewige Intelligenz felbft, nichts anders, als ein Widerfpruch ift. Wie kann man eine ge« wiffe Erkenntnifs davon haben , dafs gewifle Empfindungen, z. B. Schmerz und Vergnügen, nicht eben fo gut in gewiffen Körpern felbft, wenn fie auf eine beftimmte Art modificirt und bewegt werden* als in einer immateriellen Sub- ftanz nach vorhergegangener Bewegung in ge- wiffen Theilen des Körpers, ftatt finden kön~ nen? Ein Körper, fo weit wir von ihm Kennt- nifs haben, ift nur fähig, einen andern zu be- rühren und zu bewegen, und die Bewegung

kann,

Drittes Kapitel. 37

kann, fo viel wir wiff"en , nichts weiter, als Bewegung hervorbringen. Wenn wir aber doch zugeben, dafs die Bewegung Vergnü- gen oder Schmerz, oder die Empfindung einer Farbe, eines Tones hcrvorbringeh könne, fo find wir genöthiget , unfere Vernunft zu ver- laflen , über unfere Begriffe hinauszugehen, und alles der gütigen Anordnung unfers Schö- pfers zuzufchreiben. Denn wenn wir einge- sehen muffen , dafs er gewifle Wirkungen an die Bewegung geknüpft hat , welche wir aus ihr nicht erklären können, was könnte uns zu dem Schluffe berechtigen, er habe nicht eben fo gut die Anordnung treffen können, dafs fie in einem Subjecte, das nach uufrer Vorftel- lungsart derfelben ganz und gar nicht fähig ift, als dafs fie in einem Subjecte entftehen müfsten, auf welches, nach unterer Einficht, die Bewe- gung der Materie nicht einwirken kann ?

Meine Abficht ift keinesweges, den Glauben an die Immaterialität der Seele zu fchwächen. Ich handle hier nicht von der Wahrfcheinlich» keit, fondern von dcrErkenntnifs. Und es fte- het nicht nur der Befcheidenheit eines Philo- fophen wohl an, da, wo es an Evidenz zur Er- kenntnis fehlet, nicht mit der Miene des Wif- fens zu behaupten, fondern es ift auch für uns von grofsem Nutzen, die Grenzen unferer Er- kenntnifs wohl zu beachten. Wir befinden un*

C ^ hier

3? Viertes "Buch.

hier noch nicht in dem Zuftande des Anfchau,- ens , und muffen daher in realen Dingen mit Glauben und Wahrfcheinlichkeit zufrieden Tevri ; es darf uns daher nicht befremden, wenn im- fere Geifteskräfte in der vorliegenden Frage, ■wegen der Irnmaterialität der Seele, keine demon- ftrative Gewifsheit erreichen können. Die grofsen Endzwecke der Moral und Religion find vollkommen gefichert auch ohne philofo- phifche Beweife für die Irnmaterialität der See- le. Denn ei ift einleuchtend, dafs derjenige, der uns als finnlich vernünftigen Wefen unfer erftes Dafeyn auf diefer Erde gab, und uns fo viele Jahre lang in demfelben Zuftande erhielt, auch den Willen und die Kraft hat, uns in ei- ner andern Welt in denfelben Zuftand eines finnlich vernünftigenWefens wiederherzuftellen und dadurch der Vergeltung empfänglich zu machen, die er den Menfchen nach dem Ver- bältnifs ihrer Handlungen in diefem Leben be- nimmt hat. Daher hat es keine fo grofsejNoth, auf die eine oder andere Weife für oder gegen die Irnmaterialität der Seele zu entfeheiden, als einige aus übertriebenem Eifer der Welt gerne glauben machen möchten. Indem man auf der einen Seite zu fehr an dem Materiellen hängt, und feine Gedanken nicht davon los- trennen kann, will man keinem immateriellen Wefen Exiftenz zugeftehen; indem man auf der andern Seite die Materie durch und durch un- ter-

Drittes Kapitel. 39

terfucht, und nach der gröTsten Anftrengung des Geiftes, in den natürlichen Kräften derfel- ben kein Denken gefunden hat, erlaubt man fich den kühnen Schlofs, dafs fell)ft die Allmacht einer ausgedehnten dichten Subftanz kein Be- wufstfeyn, kein Denken geben könne. Allein man darf nur bedenken, wie fchwer nach un- fern Begriffen die Empfindung mit der ausge- dehnten Materie zu vereinbaren , wie unbe- greiflich die Exiftenz eines Dinges ohne alle Ausdehnung ift , um (ich zu dem Geftändnifs geneigt zu fühlen , man fey noch fehr weit von einer beftimmten Erkenntnifs des Wefens der Seele entfernt. Diefer Punct liegt, wie mir fcheint, ganz aufserhalb den Grenzen unfrer Erkenntuifs. Jeder , der fich in den Stand fetzt, diefe Sache unbefangen zu unterfuchen, und die dunkle verwickelte Seite jeder Hypo- thefe zu beachten, der wird kaum über feine Vernunft fuviel erhalten können, dafs fie eine fefte Parthei für oder gegen die Materialität der Seele ergreife. Denn von welcher Seite er fie betrachtet, als eine unausgedehnte Sub- ftanz oder als eine denkende ausgedehnte Ma- terie, fo wird ihn doch immer die Schwierigkeit der einen Vorftellungsart, fo lange er fie allein im Geficht hat, auf die entgegengefetzte trei- ben. Diefes verkehrte Verfahren erlauben Geh einige Menfchen , welche, weil fie in der ei- nen Hypothefe etwas Unbegreifliches finden, fich

k 4 nüt

4<s Viertes Buch.

mit Gewalt in die entgegengefetzte hineinwar- fen, ob fie gleich für einen uneingenommen^n Verftand eben fo unbegreiflich ift. Ein Verfah- ren , welches die Schwäche und Dürftigkeit unterer Erkenntnifs offenbaret, und nur dazu dienen kann, den unbedeutenden Triumph ei- ner Art von Gründen auszuzeichnen, welche, von unfern eigenen Anflehten hergeleitet, uns wohl überzeugen mögen , dafs es an Gewifs- beit für die eine Entfclieidung der Frage feh- let, aber dadurch keinesweges zur Wahrheit verhelfen können, dafs fie ursiu die entgegen- gefetzte Meinung hineindrängen, welche, nach näherer Unterfuchung, in eben fo grofse Schwie- rigkeiten verwickelt ift. Welcher Vortheil kann daraus entftehen , wenn man, um den fcheinbaren Ungereimtheiten und unüberfteig- lichen Schwierigkeiten, die man in einer Mei* nung erblickt, zu entgehen, fleh einer andern in die Arme wirft, welche auf etwas eben fo Unbegreifliches und Unerklärliches geftützt ift?

Das einzige, was hier keinem Streite un- terworfen ift, ift, dafs in uns etwas Den- kendes ift. Selbft die Zweifel über die Na- tur deflelben unterftützen die Gewifsheit von dem Dafeyn deflelben mit neuen Gründen, ob wir uns gleich begnügen muffen , über die beftimmte Natur diefes Wefens nichts zu wif-

fen.

Drittes Kapitel. 41

fen. *) Es ift eben fo thöricht, hier den Skep- tiker machen zu wollen, als es in fo vielen an- dern Fällen unvernünftig ift, deswegen einem Dinge das Dafeyn abzufprechen , weil man fei- ne TSatur nicht begreifen kann. Denn kann man wohl eine exiftirende Subftanz aufweifen, an welcher man nicht etwas fände, das unfern Verftand demüthiget und niederfeblägt? Wie fehr muffen nicht andere Geifter, welche die innere Natur der Dinge erkennen, uns in der Erkenntuifs übertreffen ? Wenn wir hierzu noch eine gröfsere Failungskrait fetzen, durch welche he die Verbindung und Einftimmung fehr vieler Vorftellungen mit einem Blick iiber-

C s fehen,

*) DieTer befcheidene Zweifel über dielmmateriali- tät der Seele ift imferm Philofophen hin und wieder fehr übel genommen , nicht feiten aber auch mifsverftanden worden. Er bekam fchon in Engelland deswegen Streitigkeiten mit dem Bifchof von Worceftcr Stillingileet , delTen Ein- würfe aber wenig zu bedeuten hatten. Locke's Antwort darauf ift hier aus feinen Briefen gegen den Bifchof eingerückt , und nimmt einige Bo- gen ein. Es würde übrigens fchwer zu begrei- fen feyn . wie Voltaire in dem Brieie fax Tarne und lettre für Mr. Locke (der letzte in den let- tres philofophiques par M. de V. a Ronen 1734. ) fo geradezu fchreiben konnto, Locke habe den Materialismus angenommen und ihn annehmen ruüflen, wenn diefes nicht in dem Tone der franzohfehen Leichtigkeit wäre.

4> Viertes Buch.

fehen , und die Mittelbegrifie fchnell auffaflen können, welche wir cur einzelnen langfamer Folge, nach vielem Herumtappen , mit Mühe auffinden, und fchon wieder vergeflen, indem wir andere aufTpüren , fo können wir einiger- niafsen die Glückfeligkeit höherer Geifter ahn- den, welche bei einem grofsern Felde der Er- kenntnifs auch einen fchnellern und eindringen- dem Verftand befitzen.

Doch wir kehren zu unferm Gegenftande wieder zurück. Unfere Erkenntnifs ift alfo nicht nur durch die kleine Anzahl und die Un- vollkommenheit unferer Vorftellungen , die ih- ren Gegenftand ausmachen, eingefchränkt, fon- dern fie hat auch noch weit engere Grenzen, welche wir jetzt auffuchen wollen.

§♦ n

Grenzen unferer Erkenntnifs,

Die bejahenden und verneinenden Sätze,, welche aus unfern Vorftellungen gebildet wer- den, können, wie ich vorher im Aligemeinen angegeben habe, (4 Ruch I Cap. §♦ 3; auf diefe vier Momente zurückgeführt werden, nehmlich Identität, Coexiftenz, Verhältnifs und reale Exiftenz. Ich werde jetzt die Gren- zen unferer Erkenntnifs nach diefen vier Ge- üchtspuneten unterfuchen»

§. 8..

Diiues Kapitel. 43

$. 8, In Rücklicht der Identität.

I. Was Identität und Vcrfcbiedenheit betrift, fo ift die anfchaueude Erkennt- nifs fo weit ausgebreitfit, als die Vor fiel 1 «in? en felbft. Denn es kann keine Vorftellung in dem ßcwiiFst.fevn geben, von der man nicht fogleich anfenaulich erken- nen könnte, dafs fie das ift, was fie ift, und dafs üe fich von jeder andern unterscheidet,

§9- In Anfehung der Coexiftenz

II. In Riickficht auf die Einftimmunw oder N i c h t e i n ft i m m u n g der Vorftel- limgen nach der C o e x i ft e n z ift unfre Erkenntnifs felir eingefchrärikt , obgleich die- fes den anfehnlicbften und wefentlichften StolT unfrer Erkenntnifs von den Subftanzen aus- macht. Denn die ArtbegrifTe von den Sub- ftanzen find, wie fchon gezeigt worden, nichts anders als Inbegriile von einfachen, in einem Objecte «coexiftireuden Merkmalen z. B. die Flamme ift ein heifser, leuchtender, fich auf- wärts bewegender, Gold ift ein bis zu^einerage- wiflen Grade fchwerer, gelber, fchlagbarer und fchmelzbarer Körner. Diefe und ähnliche Merkmale pflegt man in den Worten Flamme

und

44 Viertes Buch.

und Gold zusammen zufaffen. Wollen wir von diefeu oder andern Subftanzen noch mehr wif- fen , fo fotfeheu wir nach , ob fie aufser die- fen noch andere Eigenfchafien oder Kräfte befitzen, oder nicht, das heilst, welche andre einfache Vorfiellucgen , mit denen , welcbe den zufammengefetzten Begriff ausmachen, «oexiftiren oder nicht,

§. Io. Ift eingefchränkt.

So wichtig diefer Th^il des rnenfehlichen Wiflens ift, in fo enge Grenzen ift er eio- gefchloJTen , dafs er wenig mehr als Nichts ift. Die Urfache liegt darinn, dafs diefe ein- fachen Vorftellungen, welche die zufammenge- fetzien Begriffe der Subftanzen ausmachen, an fich betrachtet, keine anfehanüche noth- wendige Verbindung oder Unvereinbarkeit tuit andern bei fich führen, über deren Coexiftenz wir uns unterrichten wollen,

§. II.

Vorzüglich der abgeleiteten Ei- genfehaften.

Diejenigen Vorftellungen, welche Beftand- theile der Begriffe von Subftanzen find, und

wel-

Drittes Kapitel. 4!

welche uns bei der Erkenntnifs der Sub- ßanzen am meiflen intereiliren, find die abge- leiteten Eigenfchaften. Da diefe aber von den urfprünglichen Eigenfchafien der un- empfindbaren kleinen ßeftandtheile der Kör- per, oder, wenn nicht von diefen, von einem noch weniger begreiflichen Grunde abhängen, fo ift es unmöglich, zu erkennen , welche mit einander noihwendig verknüpft , welche un- vereinbarlich find. Denn da wir die Grund- urfachen der wahrnehmbaren Eigenfchaften des Goldes nicht kennen, nicht wiJTeu, von wel- cher Gröfse, Geftalt und Strucktur fie find, fo können wir auch nicht wiflen, ob und welche andern Eigenfchaften ans jenen entfpringen, welche ihnen wif'erfprechen , welche alfo mit unferm zufjmmengt. fetzten Begriffe von Golde jederzeit coexiltiren muffen, oder welche mit demfelben unvereinbar find»

§. I*.

Eine andre Uifache der Einge- f c h i a n k t h e i t.

Aufser diefer Unwiffenheit in Riickficht auf die urfprünglichcu Eigenfchaften der letz- ten Beftandtheile der Körper, aus welchen alle abgeleiteten entspringen , giebt es noch eine andere UnwifiYnheit, welche noch unheilba- rer ift, und uni noch weiter von einer Ijcftimm-

ten

4(5 Viertes Buch.

ten Erkenntnifs der Coexifienz der Vorßellun- gen in einem Objecte und des Gegentheils entfernt, nehmlich dafs fich kein noth wen- diger Zufam men hang zwifchen d e a urfprüngiichen und abgeleiteten Ei- genfchaften entdecken läfst»

Dafs die Gröfse und Bewegung des einen Körpers auf die Gröfse, Geftalt und Bewegung eines andern, die Trennung jgewifler Theile des einen auf das Eindringen, der Uebergang von der Ruhe zur Bewegung auf den Stofs eines andern Körpers Einflufs haben kann» überfieigt nicht die Sphäre unfers Verftandesj und es fcheint hier, wie noch in andern Fäüe.n, eine Verknüpfung ftatt zu finden. Und wenn wir jene urfprüngiichen Eigenlchaften der Körper erkennen könnten, fo hätten wir gegründete Hoffnung, noch weit mehr von diefem wechfelfeitigen Zufammenhange der Wirkungen einzufehen, Da aber das Kaufal- verhältnifs zwifchen den urfprüngiichen Eigen- fchaften und ihren Wirkungen, den Empfindun- gen, für unfern Geift unerforfchhxh ilt, fo kön- nen auch keine bcltimmten und unbezweifel- ten Regeln von der Folge und Koexiftenz der abgeleiteten Eigenfchaften aufseftellt wer- den, wennjwir auch die Gröfse, Geftalt und

Bs-

Drittes Kapirel. 42

Bewegung der nicht anichatilicben Theile be- obachten konnten , we'che die unmittelbare Urfache der Empfindungen find. Wir wilTeii fo wenig , welche Figur, Gröfse oder Bewegung eine gelbe Farbe, einen füfsen Gfefchinack oder einen fchar- fen Ton hervorbringe, dafs wir nicht ein- mal im Allgemeinen betreuen können, wie durch jenes nur irgend e i n e E m p fi n d u n g könne erzeugt werden. Es findet all'o kein vor ft ellbarer Zufamraenhaug zwi- fc h en beiden ftatt.

F«; ift alfo ein vergebliches Unternehmen, durch Voiftcllungeu (dem einzigen gewiflen unil allgemeinen Weg zur Erkenntnifs) ent- decken zu woücn, welche andere Vorftellun- gen mit denen in dem Begriff einer Subftanz enthaltenen beftändig vereiniget find, Denn wir kennen weder dies reale Wefen der Ele- uientartheile, \on welchen ihre Eigenfchaften abhängen, noch könnten wir, wenn auch die- fes eikdnnt wäre, die nothwendige Ver- knüpfung zwifchen ihnen und irgend einer abgeleiteten Eigenfchaft entdecken ; die einzige Bedingung, unter welcher die' noth- wendige KoexUieaz der abgeleiteten Eigen« fch.iitu gemfr erkennbar ift, Unfer Begriff

von

4< Viertes Buch.

von irgend einer Art der Subftanz m3g daher befehaffen feyn, wie er will, fo können wir doch aus den einfachen Merkmalen, welche er enthält , fchwerlich mit Gewifsheit beftim- men, ob irgend eine andere Eigenfchaft mit diefen in nothwendiger Coexiftenz flehe, Unfe- re Erkenntnifs bei diefen Unterfuchungen rei» chet nicht viel weiter, als die Erfahrung. Zwar findet bei einigen urfprünglichen Eigen fcbaf- ten eine nothwendige Abhängigkeit und au- genfcheinliche Verknüpfung ftatt , fo fetzt z, B. die Figur nothwendig Ausdehnung, die Mittheilung der Bewegung durch dea Stofs die Dichtheit voraus; allein dies find doch fehr wenige Fälle, und wir können daher durch die Anfchauung oder durch Schlüffe die Koexi- stenz, nur fehr weniger Eigenfchaften , die in Subfianzen vereiniget gefunden werden , ent- decken. Alle übrigen in einem Objecte coexi- ftirenden Eigenfchaften können, wo die Ein- ficht in gegenfeiti»e Abhängigkeit und noth- wendia-e Verknüpfung unmöglich ift > nur in fofern mit Gewifsheit erkannt werden, als uns die Erfahrung durch die Sinne davon belehrt. So finden wir zwar die gelbe Farbe, und nach Verfuchen auch das fpecififche Gewicht, die Schlagbarkeit, Schmelzbarkeit und Feuerbe* ßäudigkeit in einem Stück Golde vereiniget. Allein weil keines von diefen Merkmalen in unmittelbarer Abhängigkeit oder notwendigen

Ver-

Drittes Kapitel. 49

Verknüpfimg mit einer andern flehet, fo kön- nen wir nie mit Gewifsheit erkennen, dafs wo vier von diefen Merkmalen find, auch das fünfte vorhanden (eynmufs, fo wahrfcheinlich es auch iß, weil die höchfte Wahrfcheinlich- keit noch keine Gewißheit und ohne diefe keine wahre Erkenntnifs möglich ift. Denn diefe Koexiftenz kann nur in foweit erkannt werden, als fie wahrgenommen wird, und fle kann nur entweder bei einzelnen Objecten durch die Beobachtung der Sinne, oder im Allgemeinen durch die nothwendi^e Verknüpfung der Vor- ftellungen felbft wahrgenommen werden.

Die Erkenntnifs von dem Wi« derfireit der Vorftellungen in An fe hang der Koexiftenz ift von. gröfsern Umfang.

Was die Unverträglichkeit oder den W id e r ftr ei t der Vorftellungen in Anfehung der Koexiftenz betrifft, fo können wir erkennen , dafs ein Object von jeder Art der urfprünglichen Eigenfchaften nur eine beftimmte auf einmal haben kann. Jede btftimmte Ausdehnung, Figur, Zahl der Theiie, Bewegung fchliefst jede andere ihrer Art aus, Ehen diefe Wahrheit gilt von allen finnlichen Vorftellungen, welche einem Sinne eigenthüm. Locke». III. Theil. £> Jjc|,

$• Viertes Buch.

lieh find. Denn jede Vorftellung einer Arr, die an einem Objecte wahrgenommen wird, fchiiefst eine andere diefer Art aus* ein Ob- jeet kann nicht zwei Gerüche oder zwei Far- ben auf einmal haben. Allein zeigt nicht ein Opal oder die IcfuCon von dem lignum ne- phriticum zwei Farben zu gleicher Zeit? Ich antworte. Diefe Körper kör<nen allerdings zu gleicher Zeit zwei Farben darfiellen, wenn fie eine verfchiedene Lage zum Auge haben, aber des letztern Umftandes wegen , behaupte ich auch, dafs verfchiedene Theile des Objects diefe Lichttheile zurückwerfen. Daher er- fcheint nicht derfelbe Theil des Objects, alfo auch nicht ein und daffelbe Object, zu gleicher Zeit gelb und azurblau. Denn ein und derfel- he Theil des Körpers kann eben fo unmöglich die Lichtflrahlen zu gleicher Zeit auf verfchie- dene Art modificiren oder zurückwerfen, als zu gleicher Zeit zwei verfchiedene Figuren oder Verbindungsarten der Beftandtheile haben.

§♦ i6.

DieErkenntnifs der coexiftiren- den Kräfte ift fehr einge- fchränkt»

Die meifien Unterfuchungen über Subftan- zen betreffen ihre Kräfte, die finnlichen Ei» genfchafien in andern Körpern zu verändern,

und

Drittes Kapitel. St

und Ge machen keinen unbeträchtlichen Tbeil imferer Eikeuntnifs von den Subftanzen ausi Allein ich zweiße, ob die Erkenntnifs diefer Kräfte weiter reicht, alsunf- re Erfahrung, ob wir die gröTste Anzahl derfelhen entdeckeu, und ihr DaTeyn in einem Objecte durch die Verknüpiung mit den Vor- fle, hingen, die ihr VVefen ausmachen, eiken- nen können. Die thätigen und leidenden Kräfte der Körper und ihre Wirkungsart be- ruhet auf der Structur und Bewegung der Theile, die wir auf keine Art erforfeben kön- nen. Daher läfst fich die Abhängigkeit oder der Widerftreit der Vorftellungen, aus welchen unfre begriffe von diefen Dingen beftehen» mit den Kräften, in fehr wenigen Fällen, be. ftimmt entdecken. Ich habe mich hier auf die Hypoihefe der Korpuscularphiiofophie be- zogen , weil man glaubt, dafs diefe in die ver- ftändliche Erklärung der körperlichen Eigen- febaften am weiteften eingedrungen fey. Und ich zweille, ob der eingefchränkte menfehlicha Verftand an die Stelle jener Hypothefe eine andere fetzen kann, die uns von der notwen- digen Verknüpfung und Coexiftenz der Kräfte, welche in einer Art von Dingen fich beobach- ten laffen, eine vollftändigere und deutlichere EinGcht gewähren könnte. UnterdelTen wenn auch die eine oder die andere Hypothefe die Wabrite und deutlichfte ift, welches wir hiet

D a nicht

f2 Viertes Buch.

nicht entfcheiden mögen , fo ift doch foviei gewifs, dafs keine unfre Erkenntnifs von kör- perlichen Subftanzen fehr erweitert, fo lange uns rieht gezeigt wird, welche Ei^enfchaften und Kräfte der Körper in nothwendiger Ter» knüpfung od er im Widerßreite mit einander fiehen. Nach dem gegenwärtigen Zuftande der Philofopbie kann man diefes nur in ge- ringen Grade erkennen , und ich zweifle, ob wir mit unfern Erkenntnifskräften je im Stande feyn werden, unfere allgemeine Er- kenntnifs in diefer Rückücht (ich rede nicht von einzelnen Erfahrungen) viel weiter [zu bringen. Hier muffen wir uns auf die Erfah- rung gründen. Es wäre nur zu wünfehen, dafs diefe mehr erweitert und vervollkomtnt würde. Wir fehen, mit welchem Vortbcil die edeln Bemühungen einiger Männer auf diefem Wege die Summe der Naturkenntnifs vermeh- ret haben. Und wenn andere, vorzüglich die Chemiker, welche Anfpruch auf die Be- reicherung der Wiffenfchaft machen , fo forg- fältig in ihren Beobachtungen, fo wahrheit- liebend in ihren Berichten gewefen wären, als die Philosophen hätten feyn follen, fo würde unfere Bekanntfchaft mit den Körpern um uns her und unfere Einficht in ihre Kräfte und Wirkungsarten auch jetzt fchon gröfser feyn.

§. 17.

Drittes Kapitel. 55.

§• 17.

Noc.li eirjg efchränkt er die Er- kenn tnifs der Kräfte der Gei- lte r.

Wenn wir fo wenig Kenntnifs von den Kräften und Wirkungen der Körper haben , Co ift der Schluß fehr leicht , dafa wir in die- fer Rück ficht noch weit weniger von den Geiftern wiffen. Denn wir haben von diefen Wefen keine andern Vorfiel- langen, als diejenigen find, welche wir über die Kräfte unferer Seele, fo weit fich diefe beobachten lallen, durch die Reflexion erhal- ten. Allein ich habe fchon bei einer andern Gelegenheit meinen Lefern einen Wink gege- ben, welche unbedeutende Stelle diefe einge- körperten Geifter in VergleLchung mit den niannichfahigen ja vielleicht unzähligen Arten edlerer Wefen einnehmen, und wie wenig die Kräfte und Vollkommenheiten der erftern mit denen der leutern zu vergleichen find»

§. 18.

Der Umfang der Erkenntnifs an- derer Verhältniffe läfst lieh nicht leicht b e ft i m in e n.

III, Die Einftimmung oder Nicht- einftiminung unferer Yorft eilungen

D 3 in

54 Viertes Bucfe.

in andern Verhältniffen ift das gröfste Feld unferer Erkenntnifs, aber eben deswegen Jäfst lieb ihr U.nfang nicht leicht beftimmen« Denn' da die Erweiterungen der Erkenntnifs von diefer Seite von dem Scharfünn abhängen« mit welchem man Mutelbegriffe findet, welche die Verhältniffe und Beziehungen der Verkei- lungen darfteilen mö»en, ohne ihre Koexistenz in Betrachtung zu ziehen, fo ift es fchwer zu fagen, wenn man mit folchen Entdeckungen zu Ende feyn , oder wenn die Vernunft' alle Hülfsmittel, deren fie fähig »ft. dazu gefamnv let haben werde. Wer nichts von der Algebra weifs, kann fich keine Vorftellung von den Wundern machen , welche durch he in diefer Art ausgerichtet werden. Wer kann es aber beftimmen, wie weit es noch fcharffinnige Männer in der Vervollkommnung üerfelben und ihrer Anwendung zum Vortheil anderer Willen fchaften bringen werden? Ich glaube zum wenigften, dafs die Begriffe der Gröfse nicht allein einer demonftrativen Erkenntnifs fähi<r und. und dafs noch andere vielleicht nüuhchere Gegenftände der Betrachtung uns Gewifsheit gewähren würden , wenn nicht La- fter, Leidenfchaften, und herrfchender Eigen- nutz fich folchen Bemühungen entgegenfetzten.

§. 19,

I

Drittes Kapitel. 55

§♦ 19.

Die Moral ift der Demonftration fähig. Ur fachen der eutgegen- gefetzten Meinung.

Wenn der Begriff des höchften We- fens, deffen Macht, Güte und Weisheit un- endlich ift, deffen Werk wir find, und von dem wir abhängen, und der Begriff v o n uns felbft, als denkenden, vernünftigen Wefen, bei der Klarheit, die fie befitzen, gehörig be- trachtet und entwickelt würden, fie rnüfsten, wie ich glaube , unfere Pflichten und die Re- geln unferer Handlungen fo ficher begründen, dafs die moralifchera Wiffenfchaf- ten eineStelle unter den demonftra- tiven einnehmen könnten. Ich zweifle gar nicht, dafs die Grundfätze Aes Rechts und Unrechts aus Sätzen , die durch fich felbft evi- dent Gnd, durch fo nothwendige und unleug- bare Folgerungen ,v als in der Mathematik, fo, befthnmt entwickelt werden können, dafs zu ihrer Erkenntuifs nicht mehr Nachdenken und Aufmerkfamkeit , aber eben diefelbe Unbefan- genheit, als in der Mathematik, erfodert wird. Das Verhältnifs der übrigen Beftimmungen kann eben fo gewifs wahrgenommen werden, als bei den Beftimmungen der Zahl und der Aus- dehnung. Warum follten fie alfo nicht auch der Demonftration fähig feyn, wenn man auf

D 4 eine

$6 Viertes Buch.

eine richtige Methode denkt, ihreEinftimmung oder Nichteinftimmung zu untersuchen und zu entwickeln? Wo kein Eigen th um ift. da ift keine Ungerechtigkeit. Diefe? Satz' ift fo gewifs , als irgend eine Demenftra- tiondes Euclids. Denn Eigenthum ift das Recht auf irgend eine Sache, Ungerechtigkeit aher die gewaltfame Entziehung und Verletzung die- fes Rechts, Der Satz , der aus diefen fo be- zeichneten Sätzen befteht, ift alfo fo einleuch- tend wahr, als der: die drei Winkel des Drei- ecks find zweien rechten gleich. Eben fo:. ISlit keinem Staate beftehet a b f o 1 u _ te Freiheit. Da der Begriff des Staates ei- ne unter gewiffen Regeln oder Gefetzen , wel- che Gleichförmigkeit fodern , errichtete Ge- fellfchaft ift, und abfolute Freiheit den Zuftand bedeutet, da man thun kann, was man will, fo kann man fich von der Wahrheit deffelben fo gewifs, als von einem mathematifchen Satze, überzeugen.

Was den Begriffen der Gröfse den Vorzug gegeben hat, dafs man fie einer gröfsern Ge- wißheit und Demonftration fähig hielt, ift folgen-- des: i) Sie können durch finnliche Zeichen ausgedrückt und dargeftellt werden , welche eine nähere Beziehung auf die Begriffe haben, äls^irgend ein Wort oder Laut haben kann. Die auf Papier gezeichneten Figuren find Ko- pien

Drittes Kapitel, 5^

pien der Begriffe in dem Verftande, die alle Ungewifsheit ausfchliefsen, welche mit derBe- deutung der Worte verbunden ift. Die Zeich« nimg eines Winkels, eines Zirkels, eines Vier- ecks liegen der Anfchauung offen dar, und können nicht mifsverftanden worden; während fie unverändert da liegen, kann man fie mit Mnfse betrachten und unterfuchen, dieDemon- ftration noch einmal durchfehen und alle Thei- le derfelben von neuem durchlaufen, ohne die geringfte Veränderung in den Begriffen befürch- ten zu dürfen. Alles diefes kann bei morali- fchen Begriffen nicht gefchehen« Es fehlt uns an finnlichen ähnlichen Zeichen, um fie darzu- stellen; wir können fie nur durch Worte aus» drücken j diefe bleiben zwar unverändert, wenn fie gefchrieben find, aber die Begriffe, die fia bezeichnen, können fich bei einem und detnfel» ben Menfchen verändern, und feiten ftimmen fie bei verfchiedenen Perfonen überein,

2) Eine andere Urfache, welche noch «*röf- fere Schwierigkeit in der Moral macht, ift die- fe: dafs die moralifchen Begriffe mei- ftentheils iu f a m m eng f e t z ter find, als die mathematifchen, Hieraus entfpringen folgende Nachtheile. l) Die Worte, die fie bezeichnen, haben eine ungewiffere Bedeutung. Die Anzahl von einfachen Vorftellungen , die fie bezeichnen, kann nicht fo leicht mit allge-

D 5 meiner

68 Viertes Buch.

meiner Einftimmung beftimmt werden, und da- her erweckt das Zeichen beim Denken und Reden riebt immer gleichförmig diefelben Be- griffe. Hieraus er.trpringt diefelbe Unordnung, Verwirrung und Irrihurn , als wenn Jemand, der von eiuem Siebeneck etwas beweifen woll te , in der Conftruction dtflelben einen Win- kel zu viel oder zu wenig zeichnete. Bei fehr Z'ifaimiien^efetzten moralifchen B?griffen ift das of- der Fall, und beinahe unvermeidlich, dafs mit Beibehaltung deffelhen Worts in den Be- griff das einemal ein Merkmal mehr ausgelaufen oder hinzugefetzt wird , als das anderemal, 2) Hieraus entfpringt noch ein Nachtheil, dafs nehmlich derVerftand die beftimmten Inbegriffe von Vorftellungen nicht fo vollkommen und genau behalten kann, als es coihwendig ift, wenn man die Beziehungen , Verhältniffe, die Einftimmung und Nichteinftimmung der Be- griffe unter einauder unterfuthen will, vorzüg- lich wenn dazu eine lange Sthlufsreihe und die Dazwifchenkunft vieler andern zufammense- fetzten Begriffe erfordeilich ift.

Es ift einleuchtend, wie fehr dem Mathe- matiker dabei die unveränderlichen Figuren und Konftructionen zu ftatten kommen. Das Ge- dächtnifs würde oft fehr grofse Schwierigkei- ten finden, eine weitläufige Demonftration fo treu zu behalten, während der Verftand Schritt

vor

Drittes Kapitel. 59

vor Schritt einen 1 heil derfelben nach dem andern durchgehet , um die Beziehung Zwi- lchen den einzelnen Vorftellungen zu untersu- chen. In einer grofsen Rechnung ift jeder Ab- fchnitt nur ein Fortfchritt des Verbandes, um feine eigenen Begriffe zu überfchauen und ihre Eiuftin-.mung oder Nichteinftiinmung einzufe- tten; die AuflöTung der Aufg-ibe ift das aus meh- reren befoniern deutlich gefaxten Folgefätzen hergeleitete Refultat des Ganzen. Wenn aber rieht die einzelnen Tbeile der Rechnung in Zeichen niedergefchrieben würden , die eine beftimmte Bedeutung haben , und beharrlich fortdauren, wenn auch das Gedachtnifs fie ver- loren hat , fo würde man kaum eine folche Menge von Vorftellungen fallen können , ohne einige zu verwechfeln , oder einige Theile der Rechnung zu überfehen , wodurch alles Nach- denken darüber fruchtlos gemacht wird. Die Ziffern tragen nichts zur Einficht in dieEinftiin- mung oder das Verhältnifs der Zahlen bei, denn diefe erhält der Verftand allein durch die Anfchauung feiner eigenen Zahlbcgriffe j fon- dem Gefollennur das Gedächtnifs unterftützen, um die mannigfaltigen Begriffe, die zum Be- v>i ife gehören, zu behalten, und fich daran zu erinnern, wie weit man in der anfehauenden Erkenntnifs und Ueberficht derfelben gekom- men fey, damit man von da zu dem Unbe- kannten fortgeben , und zuletzt das ganze Re- fultat

6o

Viertes Buch.

fultat aller Vorrtellungen und Schluß© in einem Blicke vor fich haben könne.

§. 20.

Mittel gegen diefe Schwierig- keiten.

Die eine Schwierigkeit bei moralifchen Be- griffen, weswegen man fie der Demonßration für unfähig gehalten hat, kann gtöfstentbeils durch Definition en abgeholfen werden, indem man den Inbegriff von einfachen Vorftellungen, wel- che durch ein Wort ausgedrückt werden follen, befthnmt, und das Wort dann immer in diefer Bedeutung gebraucht. Was für Methoden die Algebra oder eine andere ähnliche Wiflenfcbaft zur Hebung der andern Schwierigkeit inskünf- tige etwa noch darbieten werde, läf>t Geh nicht fo leicht vorher beftimmen. Davon bin ich überzeugt, dafs man die moralifchen Wahrhei- ten in ftrengerer Verknüpfung erkennen, in ei- ner bündigem Folge von deutlichen Begriffen ableiten und fie auf die Art einer demonftrati- ven Wiflenfchaft näher bringen würde, als man gewöhnlich glaubt , wenn man fie nach derfel« ben Methode und Unbefangenheit zu erforfchen [hebte, als die Mathematik. Doch diefe Er- warking dürfte nicht fehr erfüllet werden, weil die Menfchen fich von dem Verlangen nach Ehre, Reichthurn und Macht beftimmen lallen,

die

Drittes Kapitel. 6l

die gutausgeftattetenMoJemeinungen anzuneh- men, und dann nur darauf Jenken, wie fie ih- re fehöne Seite geltend machen, und ihre Häus- lichkeit überfchminken können. Nichts ift dein Verftande fo fchön, ah Wahrheit, nichts fohäfslich und ablcheulich, als die Lüge. Nicht feiten führt ein Mann mit einem nicht fchönen Weibe eine zufriedene Ehe; aber wer ift wohl fo frech, öffentlich geftehen zu wollen, er ha- be mit Wiiren etwas Unwahres ergriffen, und einem fo häßlichen Dinge, als dieLügeift, den Beifall feines Herzens gefchenkt? Wenn die Partien unter den Mcnfcheu allen, die fie in ihre Gewalt bekommen, den Kopf mit ihren Meinungen anfüllen , ohne ihre Prüfung zu verftatten ; wenn fie weder der Wahrheit freie Hand, roch den Menfchen Freiheit fie «u un- terziehen I äffen wollen, kann man wohl gröf- fere Aufklärung oder Erweiterung der morali- fchen Wiflenfchaftcn hoffen? Viel eher möch- te man für den unterwürfigen Theil der Men- fchen mit der Aegyptifchen Dienftbarkeit auch die Aegyptifche Finflernifs befürchten, wenn nicht in jedem Herzen ein Licht angezün- det wäre, das keine menlchliche Gewalt aus- löfcben kann,

$. ai.

Viertes Buch. §. 21.

Umfang der Erkenntnifs von dem realen Dafeyn.

IV. Was endlich die vierte Art der Erkennt- nifs betrifft, welche die reale Exiftenz derDin* / ge zum Gegenftande hat, fo haben wir von unferrn eignen Dafeyn eine au fc h a u - ende, vom Dafeyn Gottes einedemon- ftrative, und von dem Dafeyn anderer Dinge nur eine finnliche Erkenntnifs» welche fich auf die den Sinnen gegenwärtigen Objecte einfcbränkt*

§• 22»

Menfchliche Unwiffenheit.

Da unfere Erkenntnifs fo eingefchränkt itu fo wird es vielleicht einiges Licht über den ge- genwärtigen Zuftand unfers Geiftes verbreiten, wenn wir feine dunkle Seite, d. i. feine Unwif- fenheit etwas betrachten , welche einen weit gröfsefn Umfang hat , als die Erkenntnifs, Vielleicht trägt diefes dazu bei, die Streitigkei- ten zu vermindern, und nützliche Kenntnifle zu vermehren , wenn wir nehmlich entdecken, wie weit unfere klaren und deutlichen Begriffe reichen , wenn wir unfer Denken auf die Be- trachtung derjenigen Dinge richten, welche

in»

Drittes Kapitel. 63

innerhalb den Grenzen dos Verbandes liegen, und uns nicht ans eitlem Dünkel, als gäbe esfür uns nichts Unbegreifliches , iu dem huftern Ab- grunde herumtreiben, wo man weder mit den Augen lehen, noch mit dem Verftande unter- fcheitlen kann. Man daif nicht weit gehen, um Geh zu überzeugen, dafs folche ihürichie Einbildungen uicht erdichtet find. Wer etwas weifs, mul's am allererften tü-ies willen , dafs er nicht lange nach Gegenständen feiner Un- wiH-nheit zu fachen hat. Das geringfte und alltäglichlte Ding, das uns vorko;nmt, hat fei- ne dunklen Seiten, welche der fchärflte Blick nicht durchdringen kann. Dtr hcllüe und um- faflcndfte Verftand denkender A'läuner findet lieh bei jedem Theile der Materie gehemmt und verftrickt. Alles diefes wird weniger be- fremden, wenn wir die Urfachen unfrer U n wi f fen h e i t unterfuchen. Nach dem, was wir bisher gefagt haben, find es vorzüg- lich diefe drei: 1) Mangel an Vorstel- lungen, 2) Mangel an Eiuficht in die Verknüpfung d er Vor ft eil u n g e n> 3) Mangel an Eut Wickelung und Un> terfuchung der V o r ftell unge u.

§. 23.

<fy Vierte» Euch,

§• 25-

Erfte Urfache der Un wiffenh eit, Mangel an Vorftellungen,

I. Sehr viele Dinge kennen wir nicht aus Mangel an Vorftellun g eo. Alle einfache Vorftellungen fchränken fch auf die Vorftellungen der Empfindung von körper- lichen Objecten , und der Reflexion von den Veränderrngen der Seele ein. Dafs diefe we- nigen und engen Kanäle der Erkenntnis (dafs ich mich fo ausdrücke) in keinem Verhältnifs zu dem unermefslichen Umfange aller Dinge ftehen , davon werden fich diejenigen leicht überzeugen , welche nicht fo eingebildet find, ihre Spanne für das Maafs aller Dinge zu hal- ten. Wir können freilich nicht beftimmen, was für andere einfache Vorftellungen andere Wefen in andern Theilen des Uuiverfums durch Hülfe mehrerer oder vollkommenerer Sinre und Ver» ftandeskräfte haben mögen ; aber darum lafst fich doch ihre Wirklichkeit nicht ablaugnen, und der Grund dagegen, dafs wir andere ein- fache Vorftellungen aufser unfern nicht kennen, ift von keiner beffern Art, als wenn ein Blin- der das Dafeyn des Gefichts und der Farben läugnete , weil er davon weder eine Vor- sehung hat, noch Geh machen kann. Unfere Unwiflenheit und Blindheit ift fo wenig ein Hindernifs und Einfchränkung der Erkenntnifs

in

Drittes Kapitel. 6>

in andern Wefen , als die Blindheit des Maul- wurfs ein Beweis gegen die Schaife des Ge- richts des Adlers ift. Wer die unendliche Macht, )/Vi isheit und Güte des Schöpfers bedenkt, wird nicht ohne Grund denken, dafs an einem fo unbedeutenden und fchwachen jGefchöpf, als der Menfch ift, der wahrfcheinlich die unterfte Stelle in dem Reiche der Geifter einnimmt, üe firh gewifs nicht in ihrem ganzen Umfange er- fchöpft haben. Was für Kräfte aifo andere Wefen hiiben, um in das innere Wefen der Din^e einzudringen, was fie für Vorftellungen dadurch erlangen, und wie weit diefe von un- fern abweichen, das wiffen wir nicht; allein hin^esen wiffen wir mit Gewil'sheit, dafs uns noch mehrere und andere Anflehten von den Dingen fehlen, um vollkommenere Entdeckun-. £en über fie anzufielleu, Dafs die BegrnTe, welche wir durch unfere Seelenkräfie errei- chen können, den Dingen felbft gar nicht an- gemeffen find, wird dadurch zur vollen Ueber- zeugung, dafs ein pofitiver deutlicher Betriff von der Subftanz, der die Grundlage aller übii- gen ift, uns noch veiborgen ift. Doch der Mangel an Vorftellurjgen diefer Art, der felbft / zugleich ein Theil und eine Urfache unferec Unwiffenheit ift, läfst fich nicht weiter befchrei- ben. Kur fo viel kann man ohne Bedenklich- keit behaupten, dafs die Sinnen- und die Ver- (Vandeswelt in diefem l'uncte einander vollkom- Locke's. III. Theil. E men

66 Viertes Buch,

men gleich find; dafs, fo viel man auch von der einen erblickt, es doch in keinem Verhältnifs zu dem ßehet, was unfern Blicken entgehet, und dafs alles, was wir durch die Augen und durch den Verftand von der einen und der an- dern fallen , doch in Vergleich des übrigen nur ein Punct ixt» ,

§. 24.

Eine andere grofse Urfache der Unwiffenheit ift der Mangel an Be- griffen, deren wir wirklich fähig find. So wie der Mangel an Vorftellungen, der in der Eingefchränktheit unferer Kräfte ge- gründet ift, uns diejenige Erkenntnifs und An- ficht der Dinge verfchliefst , welche vollkom- menere Wefen wahrfcheinlich haben , fo er- hält uns der Mangel , von dem wir hier reden, in Unwifieiiheit derjenigen Dinge, welche für uns erkennbar find. Wir haben von den ur- fprünglichen Eigenfchaften der Körper, der Gröfse, der Figur und Bewegung, im Allgemeinen eineVorftellung; aber die beftimm- te Gröfse, Geftalt und Bewegung einzelner Kör- per kennen wir gröfstentheils nicht. Daher bleiben uns die Kräfte und Wirkungsarten der täglichften Erfcheinungen unbekannt , bald, weil die Dinge zu entfernt, bald, weil Ge zu klein Und, Welcher grofse Abgrund der

ün-

Drittes Kapitel. 6^

tJnwiflenheit üftiet fich unferm Blick, wenn wir den unermefslichen Abftand der fichtbaren Theile der Welt und die Gtünde bedenken* die es wabrfcheinlich machen, dafs, was in- nerhalb unfers Gefichtskreifes liefet, doch nur ein kleiner Theil des unermefslichen Ganzen ift? Welches find die befondern Werkftaite der grofsen Materienmaflen, welche den ungeheu- ren Bau der Körperwelt ausmachen, wie weit find fie ausgedehnt; welches ihre Bewegung, wie wird fie fortgefetzt oder uiitgetheilt* wels- chen Einflufs haben fie auf einander? das find Unteifuchungen, in denen Geh unfere Gedan- ken bei dem erften Blick verlieren. Wir wol- len unfere Betrachtung nur auf unfer Sonnen- fyftein und die grofsen Körper einfehränkenj die fich um die Sonne bewegen. Wie vielö Arten von Pflanzen, Thieren und denkenden A\ efen , und wie unendlich veTfchieden von denen auf der Erde, mögen wohl auf andern Planeten feyn , von deren äufserer Geftalt wir nicht einmal eine Vorftellung haben, indem wir, an die Erde geheftet, fie weder durch diö Empfindung noch durch die Reflexion auffaflen können. Jeder Zugang ift uns abgefchnittenj Und wir können nicht einmal rathen , was die* Ifc Planet fcnkörp er für Bewohner haben»

£ 3 f 2?«

ÖS Viertes Butb.

§. 25.

Der gröfste Theil der Körperw(fcn in dem Univerfum entgehet unferer KenntniTs wegen ihres Abftanc'es , ein nicht kleinerer Wege« ih- rer Kle in h ei t. Die un wahrnehmbaren Ele» rnente der Körper find die 'wirkenden Kräfte der Materie, die Werkzeuge der Natur, von welchen nicht nur die abgeleiteten Ei'enfchaF* ten, fondern auch die roeiften natürlichen Wir- kungen abhängen. Weil es uns aber an be- ßimmten Begriffen der urfprünglichen Eigen- Ichaften fehlet, fo find wir in Änfehung jener in einer hülflofen Unwiffenbeit, und können nicht alles erkennen, was wir wünfchen. Wenn die Figur, Gröfse, Structur und Bewegung der Beßandtheile zweier Körper bekannt wäre, fo Würden wir zuverlaffig , ohne Verhiebe zu Hülfe zu nehmen, einige von ihren Wecbfcl- wirkungen erkennen, fo wie wir die Verbält- niffe eines Vierecks oder Dreiecks anfehauen. Kennten wir die mechanifche Befchaffenheit der Beftandtheile der Rhabarber, des Schier- lings, des Opiums und des Menfchen, fo wie ein Uhrmacher die mechanifche Einrichtung der Uhr, wir würden mit eben derfelben Gcwifs- heit vorausfagen können , dafs die Rhabarber abführen, der Schierling tödten und das Opium einfehläfern werde, als der Uhrmacher erken- net, dafs ein Stückchen Papier, zwifchen das

Trieb-

Drittes Kapitel, <Jp

Triebwerk gelegt, die Uhr hemmet, oder dafs die ganze Mafcniene alle Bewegung verlieret, wenn ein Thei! derfelben noch etwas mehr ab- gefeilt \vird. Die Erkenntnifs , dafs fich das Silber in fcheidewaffer , das Gold in aqua Te- gia, aber nicbt umgekehrt, auflöfen läfst, wür- de dann nicbt mehr Schwierigkeit haben, als die EinGcht des SchlofTers , warum das Herum- drehen des einen Schlüflels und nicht des an- dern das Sclofs öfnen wird. Da aber unfere Sinne nicht fcharf genug find, die kleinen Be- ftandtheile der Körper und ihre mechanischen Einrichtungen zu entdecken , fo muffen wir uns das Nichtwifien ihrer Eigenfc!iaften und Wirkungsirien gefallen laffen , und wir willen davon nicht mehr, als einige wenige Verfuche davon offenbaren. Ob diefe aber ein andermal wieder gelingen, und dailelbe Refultat geben werden, nicht einmal gewifs. Diefes ver- hindert die gewifle Erkenntnifs allgemeiner Wahrheiten von dem Körperrciche , und die Vernunft kann uns darin nicht viel über einrei- ne Thatfachen hinausführen.

§. 26.

Daher gieb t es kei ne Wif fenfchaf t von Körpern,

So weit daher auch immer inenlchlicher Fleifs die fo nützliche Experimentalphilofophie

E 3 brin-

Viertes Buch.

bringen mag, fo zweifle ich doch, ob es uns. möglich ift, es je darin zum Wiffen zu brin^ gen. Denn es fehlt uns an vollkommenen und entsprechenden Begriffen, felbft derjenigen Körper, die uns am nächften , und am meiften in unfrer Gewalt find. Die Begriffe von den Dingen , welche wir unter Klaffen geordnet haben, und am heften zu kennen glauben, find doch fehr unvollkommen und uuvollftändig. Deutliche Begriffe laffenfich vielleicht von ver- fchiedenen Körperarten bilden, welche Gegen-? ftand der Beobachtung find, aber vollkommen einbrechende fchwerlich von einem. Die er. fiern find brauchbar für das gemeine Leben» und gewöhnliche Unterhaltungen j fo lange aber die letztern fehlen, ift keine wiffen-- fchaftlicbe Erkenntnifs möglich, und wir werden nie im Stande feyn , allgemeine, uia- umftöfsliche und lehrreiche Wahrheiten üher die Körperwelt zu entdecken. Gewifsheit vnd Demonftration dürfen in diefen Ge- genftänden nicht gefordert werden, Durch die Farbe, Geftalt, den Geruch und Gefchmack u, w. erhalten wir von der Salbei und dem Schierling Verftellungen , welche in Rückficht der Klarheit denen vom Zirkel und Triangel nichts nachgeben. Da wir aber keine Vorftel- lungen von den eigentümlichen urfprünglichen EigPnfchaften der feinften Beftandtheile diefer PHanzen. und anderer Körper haben, welche

wir

Drittes Kapitel. 71

wir mit jenen in Verbindung fetzen wollen, fo können wir weder ihre Wirkungen voraus beftimmen, noch, wenn wir auch diefefthen, ihre Wirkungsart errathen , gefchweige denn erkennen. Weil wir aber die befondere m«- chanifche Befchaffenheit von den Beftandthei- len der Körper, die innerhalb unferm GeGchts- kreis liegen , nicht kennen , fo find wir in An- fehung ihrer Natur, Kräfte und Wirkungen unwiflendj noch gröfser aber unfereUnwif- fenheit in Anfehung entfernter Körper, deren Auffenfeite und finnlichen Eigenfchafte» wir uns nicht einmal vorftellen können*

§. 27.

Noch weniger find wir im Befitz einer Wiffenfchaft von den Gei- ftern.

Dies mufs uns fogleich von der Eingefehränkt- heit unferer Erkenntnifs in Verhältnifs zu dem Umfange des Körperreichs überzeugen. Hier- zu kommt noch diefe, dafs wir von der unend- lichen Menge Geifter, deren E.xiftenz möglich, ja wahrfcheinlich ift, wegen des zu grofseuAb- ftandes, nicht die geringfte Erkenntnifs, und nicht einmal von ihren Arten und Ordnungen ei- nen deutlichen Begriff haben. So hüllt alfo dar Mangel an Vorftellungen die Geifter weit, die gewifs weit gTöfser und

E 4 fchö-

1% Viertes Buch.

fchöner als die Körpe»welt ift , vor uns in undurchdringlicheDunkelheit. Durch die Reflexion über unfere Seele bilden wir eini- ge wenige, doch nur oberflächliche Begriffe von einem Geilte, und fetzen daraus .durch beft- mögliche Erhöhung derfelben den Begriff von dem ewigen unabhängigen Urheber alier Gei- fter und Dinge zufan«men. Auch Cchon von dem Dafeyn anderer Geifter giebt uns nur die Offenbarung zuveiläflige Beiehrung. Alle En- gel jeder Ordnung find kein natürlicher Gegen- ftand unferer Entdeckung; unfer Erkenntnifs- vermögen gewährt uns nicht die geringfte Ue- herzeiigung von allen diefen Intelligenzen, de- ren Arten wahrfcheinlich weit zahlreicher find, als von körperlichen Subfranzen. Durch Wor- te und Handlungen überzeugt heb jeder Menfch von dem Dafeyn anderer denkenden Wefen in andern Menfchen ; die Kenntnifs feines eige- nen Geiftes kann keinen denkenden Menfchen über das Dafeyn eines Gottes in Zweifel und Ungewifsheit laden. Wer bat aber noch ja durch fein eigenes Deuken und Forfchen er- kennt, dafs es höhere Arten von geiftigen We- fen zwifchen uns und Gottgiebt? Von ihren verfchiedenen Charaktern , Befchaffenheiten, Zuftänden , Kräften , worin fie mit einander und mit uns übereinftimmen oder verfebieden feyn können , haben wir noch weniger deutli- che Vorflellungen , und und alfo völlig unwift

fend

f

Drittes Kapitel. 73

fend in Anfehung ihrer eigenlhümlichen Merk- male und Artunterfchiede.

§. 28.

Mangel an Einficht in die Verknü- pfung u n f e r e r V o r ft e 1 1 u li g e u.

IL Wie viel Subfianzen des Unirerfums der Mangel an \ orftellungen aus dem Kreife unfe- rer Erkenntnifs ausfchliefst, haben wir gefehen. "Wir g^hen jct?t zu einer ardern , nicht weni- ger wichtigen Urfache unferer Unwiffenheit über, nehmlich dem Mangel einer wahrnehm- baren Verknüpfung zwifchen unfern V o v fl e 1 1 u n g e n. Denn wo diefe fehlet, da tnülTen wir auf eine allgemeine und gewilfe Er- kenntnifs Verzicht thun, da bleiben uns, wie iu dem vorigen Falle, nur Beobachtungen und Yerfuche übrig. Wie dürftig und eingeschränkt aber diefe, wieweit entfernt von allgemeiner Erkenntnifs fie find, darf hier nicht erft gefagt werden. Ich werde hier nur einige Beifpiele von diefer Urfache der Unwiffenheit geben, Es ift einleuchtend, daTs die Gröfse, Geftalt und Bewegung verfchiedener Körper mancherlei Empfindungen, als von Farben, Tönen, Ge- fchinack, Geruch, Schmerz und Vergnügen in uns erzeugen. Diefe mechanifebe Einrichtung der Körper hat keine Aehnlichkeit mit de . da- durch bewirkten Vorftellungen, denn es läfst

E 5 fich

74 Viertes Buch.

fich keine beftimmte Verknüpfung zwilchen ei- ner beftimmten Bewegung eines Körpers und der Empfindung einer Farbe oder eines Geruchs cinfehen. Daher ift keine deutliche Erkennt- nifs von diefen Wirkungen möglich, aufser dem , was die Eifahiung davon lehrt , und wir können fie uns nicht anders denken, als Wir- kungen, welche durch die für uns unbegreifli- che Veranftaltung eines unendlich weifen We* fens wirklich werden. So wie die Vorftellun- gen der finnlicben abgeleiteten Eigenfchaften auf keine Weife aus körperlichen Urfachen erklärbar find , noch eine Aehnlichkeit oder Verknüpfung zwifchen ihnen und den urfprüng- lichen Eigenfchaften, welche fie in uns erzeu- gen, aufgewiefen werden kann, fo ift auch auf der andern Seite die Einwirkung unfers Geifl.es auf unfern Körper unbegreiflich. Wie ein Gedanke eine Bewegung in dem Körper hervorbringen, oder wie ein Körper einen Ge- danken in uns erzeugen könne , ift beides von dem Wefen unfrer Begriffe entfernt. Dafs es fo ift, belehrt uns die Erfahrung; wir würden es aber, davon abgefehen , durch die Betrach- tung der i-inge felbft nie entdeckt haben. Die- fe und an 1t e Dinge flehen zwar nach dem or- dentlichen Laufe der Dinge in einer beftändi- gen , regelmäU.'gen Verknüpfung ; diefe läfst fich aber in den Begriffen felbft nicht entdek- keu, weil in ihnen keine nothwendige Abhän- gigkeit

Drittes Kapitel.

gigkeit von einander fichtbar ift. Wir können daher diele Verknüpfung felbft nur der will* krihrlichen Anordnung des weifen Urhebers der Natur zufchreiben, der die Dinge fo eingerich- tet hat, dafs fie auf eine für uns unbegreifliche Weife, deren Wirklichkeit uns die Wahrneh- mung zeigt auf einander wirken«

Bei einigen Vorftellungen find gewiffe Be- ziehungen, Verhältuiffe und Verknü- pfungen fo unverkennbar in dem Wefen der Vorftellung-en felbft enthalten, dafs fie von ihnen auf keine Art getrennt wer- den können. Von (liefen ift allein eine gewiffe und allgemeine Erkenntnifs möglich. So fchliefst der Begriff eines geradlinigen Dreiecks die Gleichheit feiner Winkel mit zwei rechten noth- wendig ein. Wir können uns cliefes Verhält- nifs und diefe Verknüpfung beider Begriffe gar nicht als veränderlich oder von einer Willkühr abhängig denken , die es aus freier Wahl fo eingerichtet, aber auch anders einrichten körn- te. Der Z u f a in m e nh a n g und die Berüh- rung der JYlaterientheile, die Erzeu- gung der Empfindungen von Far- ben und Tönen durch die Bewe- gung, (elbft die Grundgefetze der Be- wegung und ihre Mittheilung find von

der

76 Viertes Buch.

der Art , dafs wir keine natürliche Verknü- pfung cierfelben mit irgend einem unferer Be- griffe entdecken können. Wir find daher genÖ- thigt, fie der willkührlicheu Bestimmung des weifen Schöpfers bei/.umeflen. Es ift unnö- tig, hier die Aufeiflehung der Todten , den künftigen Zu-ftand der Erde und andere folche Din^e zu erwähnen, welche von Jedermann als Begebenheiten anerkannt werden welche von der Beftimmung eines freien Wefens ab- hängen. Wenn Dinge, fo weit nnfere Beob- achtung reicht , immer regelmässig wirken» Fo können wir fchliefsen , dafs fie nach einem vorsefchriebenen Gefetze wirken, das wir aber nicht erkennen. Die Urfachen können nach diefen gleichförmig wirken, und die Wirkun- gen eben fo unveränderlich durch fie befthnrnt werden; gleichwohl haben wir doch ruiT eine Erfahrungskenntnifs von ihnen , fo lange diefe Abhängigkeit und Verknüpfung nicht durch Be- griffe zu entdecken ift. Aus allen diefen läTst fich leicht einfehen , in welcher Dunkelheit wir uns befinden , wie vvenig Dinge und wie Wenig von ihrem Dafeyn wir erkennen kön- nen. Wir thun alfo unferer Eikenntnifs kein Unrecht, wenn wir ihre Anfprüchebefcheident- lijli herabfetzen, und uns nicht anmafsen, die Natur. des ganzen Univerfums und aller darin enthaltenen Dinge zu begreifen, da nicht ein- mal eine philofophifche Eikenntnifs von den

Kör-

Duttes Kapitel. -7

Körpern um uns her, die einen Theil von uns ausmachen, noch eine allgemeine Gewißheit von ihren abgeleiteten Eigenfchaften , Kräften und Wirkungsarten für uns möglich iß, Unfe- re Sinne nehmen täglich mancherlei Wirkun- gen wahr, und in fofern haben wir von diefen eine finnliche Erkenntnifs; was aber ihre Ur- fachen. ihre Entfrehungsart und Gewifsheit be- trifft, fo muffen wir uns aus den zwei vorherge- henden Urfachen befcheiden , nichts zu wiflen. Einzelne Erfahrungen belehren uns von dem, was gefchieht, und durch Analogie können wir nach anderen \ erfuchen muthmafsen, was ähn- liche Körper für Wirkungen hervorbringen mö- gen. Weiter können wir es aber hier nicht bringen. Eine vollkommene Wiffenfchaft der Körperwelt (von geiftigen Wefen will ich nichts fogeu) liegt fo weh au her den Grenzen unfeis Erkenntnisvermögens, dafs mir alles Streben nach ilerfeiben verlorne Arbeit fcheint,

§. 30»

Dritte Ur fache. Vernachläffigte Ent Wickelung der Begriffe.

1U. Oft findet auch da Unwiffenheit flatt, wo wir vollkommene Begriffe haben, und die Verknüpfung zwifchen ihnen mit Gewifsheit entdecken können, blos weil wir zu träge find, die Begriffe zu entwickeln, und Mittelbegriffe

auf-

78 Viertes Buch.

aufzuwehen , aus denen das Verhaltnifs der Begriffe zu einander dargeftellt werden kann. Auf diefe Art find viele unwiffend in mathe- matifcben Wahrheiten, nicht wegen Unvoll* kommeribeit ihres Verfhndes, nicht wegen Unwillen heit der Dinge feltift , Tondern weil fi<= keine Aufmerkfamkeit darauf wenden, dieTe Begriffe zu erlangen, zu unterfuchen und ge- h.'"< ig zu vergleichen. Ein unrichtiger Gebrauch voi Worten fcheint mir am meiften die gehöri- ge Rnt Wickelung der Begriffe verhindert zu ha- ben Unmöglich können die Menfchen die Einftiminung oder den Widerfpruch der Be- griffe richtig unterfuchen und mit Gewifsheit entdecken, wenn ihre Gedanken entweder auf Tönen von ungewißer Bedeutung heruinfl.ittern, oder Geh an eben diefelben heften. Die Ma- thematiker trennen ihre Gedanken von den Worten, gewöhnen fich, die Begriffe, die He betrachten , nicht Sprachlaute an ihrer ftatt, ihrem Verflande vorzuhalten, hierdurch ver- meiden fieUndeutlichkeit, Verwirrung und Ver- blendungen, welche die Fortfehritte in andern Theilen der Erkenntnifs fo /ehr gehindert ha- ben. Denn wenn man fich an Worte von un- beftimmter Bedeutung anfchliefst, fo ift es nn- möglich, das Wahre vom Falfchen, das Ge- ■Wiffe von dem Wahrscheinlichen, das Haltbare Von dem Unhaltbaren in feinen eigenen Mei- nungen zu unterfcheiden. Dies war das Schick*

Ol

Drittes Kapitel. 79

fal fehr vieler Gelehrten, und daher vermehrte fich die Summe fehr vieler Erkennfnifs cur fehr unbeträchtlich, wenn man die Menge von Hör« Talen, Di?pu'ationen und Schriften, womit die Welt angefüllt ift, dagegen hält; während fie laudierten, verloren fie fich in einem Schwall von Worten, wufsten nicht, Wieweit fie in ihren Entdeckungen gekommen, oder was in ihrem eigenen oder dem allgemeinen Kreife der Er- kenntnifs noch mangelhaft war. Hätte man in der Entdeckung der Körperwelt eben das Ver« fahren beobachtet, wie in den Nachforfchun- gen nach; der Verftaudeswelt, wo man in der Dunkelheit ungewißer, fehwankender Worte herumtappte, fo hätte man noch fo viele Wer- ke über die Schiffahrt und Seereifen fchreiben, noch fo viele Theorien und Nachrichten über die Zonen, über Ebbe und Fluth fammlen und vertheidigen, ja Schiffe bauen und Flotten aus- lüften können, ohne den Weg über die Linie gefunden zuhaben, und die Antipoden würden vielleicht noch eben fo unbekannt feyn, als da- mals, da es eine Ketzerei war, welche zu be- haupten. Doch es ift nicht nöthig, mehr da- von zu fagen , nachdem ich ausführlich von den Worten , ihrem nachläffigen oder verkehr* ten G«brauche gehandelt habe.

$. 31«

$o Viertes Buch.

§. Jt.

Umfang der Erkenntnifs, in Rück- ficht auf Allgemeinheit.

Bis hieher haben wir den Umfang unferer Erkenntnifs, in Rückficht auf die verfchiedenen Arten von wirklichen Dingen unterfucht. Es giebt noch einen aridem Umfang derfelben in Anfehung der Allgemeinheit. Hierin rich- tet fich die Erkenntnis nach der Natur unferer Begriffe« Wenn die^ Begriffe, deren Einfiim- mung oder Nichteinftimniung wir wahrnehmen, abftract find, fo ift dieErkenntnifs allgemein; denn was von folchen Gattungs- begriffen erkennt wird, das mufs von allen ein- zelnen Dingen wahr feyn , in; Welchen diefes Wefen , d, i. diefer abftracte Begriff gefunden wird; und was von jenen einmal erkannt if>, mufs immer und ewig wahr bleiben. Jede all- gemeine Erkenntnifs kann alfo nur in unferm eigenen Veiftande gefunden , und nur allein durch die Unterfuchung unfrer eignen Begriffe zu Stande gebracht werden. Die Wahrheit, welche das Wefen der Dinge, d. i. ihre abftra- cten Begriffe zum Gegenftande hat, ift ewig, und l^e wird nur durch Betrachtung diefes We- fens ausgeraittelt, fo wie das Dafeyn der Dinge nur durch die Erfahrung k3nn erkannt werden. So viel von der Allgemeinheit der Erkenntnifs überhaupt , da ich noch in befondern Kapi- teln

Drittes Kapitel. gl

teln von ihrer Allgemeinheit und Realität han- deln werde.

Viertes Kapitel.

Von der Realität der Erkenntnifs.

§. i.

Einwurf: Wenn die Erkenntnifs in Vor ft eil u n »en hefte ht , fo i ft fie vielleicht blofse Einbildung.

Vielleicht werden meine Lefer , Wahrend ich von Erkenntnifs rede , den Gedauken gefafst haben, ich hatte durch alles diefes nur ein Schlofs in die Luft gebauet. Wozu, werden üe fagen , alte diele grofcen Zurüilungen ? Die Erkenntnifs, fagfi du, befiehet in der Wahr- nehmung der Einftimmung und Nitiiteinftim- mung uuferer eigenen V o r l\ e 1 1 u n g e n. Wer ueilsaber. was (liefe VorflelliLngeu fern mö- gt n? Was kann fo regellos feyn, als die inenfcU* liehe Einbildungskiaft ? Welcher Kopf hu'itet Locke's. III. Tuoil. F nikht

$j Viertes Buch.

nicht reine Chimären aus? Wie unter (cheidet (ich, nach deinem Begriff, die Erkenntnis eines nüchternen verftändigen Menfcben von der Er- kenntnifs der ausfeh weifend ften Einbildungs» kraft? Beide haben ihre Vorftellungen, beide nehmen ihre Einftimmung oder Nichteiuftim« liiuug wahr, und wenn ein Unterfchied unter beiden ftatt findet, fo er zum Vortheil des warmen Kopfes , der mehrere und lebhaftere Vorftellungen hat , und nach jenem Begriff al- fo auch mehr erkennet. Wenn es wahr ift, dafs alle Erkenntnifs nur in deT Wahrnehmung der Uebereinftitnmung der Vorftellungen und des Gegentheils beßeht, fo muffen die Phanta- fien eines Schwärmers und die Schlaffe eines gründlichen Denkers gleiche Gewifsheit haben. Wie die Objecte befchaffen find , kommt hier nicht in Betrachtung; wenn man nur die Har- monie feiner Einbildungen beobachtet, und Geh diefer gemäfs ausdrückt, fo ift alles Wahrheit, alles Gewißheit. Solche luftige Gebäude find eben fo ßarke Stützen der Wahrheit, als die DemonftTationen des Euclid. Dafs eineHar- pye kein Centaur ift, ift nach diefem Syftera nicht weniger Wahrheit und Erkenntnifs , als dafs ein Viereck kein Zirkel ift, Wel- chen Nutzen gewähret aber alle noch. fo febarffinnige Kenntnifs feiner Einbildungen demDenker, dernach der Realität der Dinge forfcht? Es

kommt

Viertes Kapitel. gj

kommt hier nicht darauf an, von welcher Art die Bilder der Phantafie find , wo die Erkennt- nis nach ihrem wahren Werthe zu fchätzen ifr* Die Beziehung auf Dinge , wie fe wirk- lich find, nicht auf Träume und Einbildungen, giebt dem Denken Werth, und der Eikenntuifs des Einen vorder Erkenntnifs des Andern ei- nen wirklichen Vorzug,

Der Einwurf findet nicht ftatt* wenn die Vorstellungen mit den Dingen übereinftimmen.

Hierauf antworte ich: Ift unTere Erkennt- nis auf Vorftellmgen eingefchränkt, und er- reicht fie keinen höhern Zweck, wenn man ihr auch einen andern geben wollte , fo hat in der That weder das angeftrengtefle Denken ei- nen gröfsern Nutzenj als dieTiäume eines zer- rütteten Gehirns , noch die darauf gebauete Wahrheit gröfsern Werth , als das Gefchwätz eines Menfchen, der im Trauine Dinge klar anfchauet, und he für Wirklichkeiten ausgiebr. Allein ich hoffe noch vor dem Schlufle diefes Kapitels einleuchtend dartuthun, dafs die Ge- wifsheit von der objectiven Realität durch die Erkenntnifs unlerer fubjectiven Vorftellungen etwas mehr, als ein Spiel der Einbildungskraft

F 2 ift,

om VieiLeo Buch.

ift, und daTs die Evidenz aller allgemeinen Wahr- heiten ebenfalls darauf beruhet.

$. 3-

Es ift einleuchtend , dafs der Verftand die Dinge nicht unmittelbar, fondern nur vermit- telet der Vorftellungen von ihnen erkennet. Daher hat unfre Erkenntnifs nur in fo fern Realität, als die Vorftellungen mit der Rea- lität der Dinge auf irgend eine Art überein- stimmen. Allein was foll hier das Kriterium feyn? Wenn der Verftand nur feine Vorftel- lungen denkt , wie foll er erkennen, dafs fie mit den Dingen felbft übereinftimmen ? Un- geachtet diefe Frage Schwierigkeiten unterwor- fen fcheint, fo gieht es doch, wie ich glaube, zwei Arten von Vorftellungen , von denen wir das mit Gewißheit willen können.

§. 4-

Alle einfache Vorftellungen ftim- men mit den Dingen überein.

t. Da die einfachen Vorftellungen, wie fchon geieigt worden, auf keine Art von dem Vorstellenden felbft hervorgebracht werden kön« aen, fo muffen Ge notwendig dasProduct der- jenigen Dinge felbft feyn , welche auf das Ge- müth wirken, und in demfelben die Vorftel-

lun^e

Viertes Kapitel. Sf

Jungen bewirken, für we'che fie nach der Weis- heit und dem Wjllen des Schöpfers eingerich- tet Gnd, Hieraus folgt, dafs fie keine Dich- tungen der Einbildungskraft, fon- dern natürliche regelmafsige Wirkungen der Dinge aufser uns find, welche mit uns in rea len Zufammenhange ftehen. Wir finden alfo bei ihnen die Uebereinitimmung, die wir ver- langten, und die unfer Zuftand erfodert. Denn fie ftellen uns die Dinge unter den Erfchei.nun- gen dar, welche fie in uns hervorbringen kön» nen , und wir find dadurch in den Stand ge- fetzt, die verfchiedenen Arten von Subftanzen und ihre mannigfaltigen Zuftände infofern zu unterfcheiden , als es ihre Anwendung zu un- fern Zwecken erfodert. So entfpricht die Vor- ftellung der weifsen Farbe und der Bitterkeit, die in dein Gemüthe ift, dem Vermögen des Körpers, der fie in detnfelben erzeugt, auf das vollkommenste, und diefe Vorftellungen haben daher gerade die Uebereinftimraung mit den Dingen aufser uns, welche fie haben können und füllen, Diefe Uebereinftimmung der einfachen Voiitellungen mit exiflirenden Din- gen ift für die Realität der Erkenntnifs hin* reichend.

F 3 §. S.

S<5 Viertes BucVu

§. 5*

Alle zufamraengefetite Vorftellim- gen, ausgenommen die von S u h- fianzen, find überein ftiminend.

II. Die zur Realität der Erkennt- jpifs erforderliche U eber einfti ra- xnung kann keinem zufaminenge- fetzten Begriffe fehlen, (die Begriffe von Subftanzen ausgenommen,) weil ße von dem Verßande felbft gebildete Originale, keine Kopien von andern Dingen find, und fich da- her auf kein exiftirendes Ding urfprünglich be- ziehen. Denn was dazu beftimmt ift, nichts als fich felbftzu repräfentiren, kann nie in den Fall kommen, etwas fchlecht zu repräfentiren, oder eine irrige Vorftellung von einer Sache durch Unähnlicbkeit mit derfelben zu veranlaflen» Von diefeY Art find fmit Ausnahme der Sub-s ftanzenbegriffe) alle zufammengefetzte Begriffe, als freie Verbindungen des Verftandes, wobei nicht in Betrachtung kommt, ob das Verbunde- ne auch fo in der Natur verbunden ift. Hier find alfo die Vorftellungen ihre eigenen Ori- ginale, und man fragt nicht, ob üe den Din- gen, fondern ob die Dinge ihnen angemeüen find; hier mufs man alfo ohne Gefahr einer Täufchung gewifs feyn, dafs alle von ihnen erlangte Erkenntnifs real ift , und die Dinge (elbft betrifft. Wir können nehmlich in allem,

Den-

Viert«» Kapitel. gj

Denken und Räfonnement diefer Art die Din- ge nur in foweit in Acfpruch nehmen, als fie mit unfern Vorftellungen übereinftimmen.

$* 6.

Daher die Realität der raatharaa tifchen Er kenntnifs.

Man wird gewifs ohne Schwierigkeit ein- geftehen, dafs die Erkenntnifs von ma- thematifchen Wahrheiten nicht nur Gewifsheit, fondern auch Realität hat, und keine leere Phantafie oder Erdich- tung ift. Gleichwohl hat fie blofs Vorftellun- gen unfert Gernüths zum Gegenstände. Der Mathematiker betrachtet das Wefen und die Eigenfchaften eines Vierecks oder Zirkels nur in fofern fie Vorftellungen leines Geiftes find» Es ift möglich , dafs er ein folches mathemati- fches Ding , d. i. ein dem Begriffe genau ent- fprechendes, fein ganzes Leben hindurch nie in der Wirklichkeit fand; dennoch find die Sä- tze von diefen oder andern Figuren gewifs und wahr , und gelten felbft von exiftirenden Din- gen, weil diefe nur infofern dabei in Anfpruch kommen, als fie mit jenen Originalbegriffen übereinftimmen. Wenn es von dem Dreieck dem Begriffe nach wahr ift, dafs feine drei Winkel zwei rechten gleich find, fo ift es auch von jedem Dreieck in der Wirklichkeit wahr.

F 4 Jede

8$ Viertes Bach.

Jede andere Figur, die nicht dem Begriff eines Dreiecks vollkommen entfpricht, ift nicht in jenem Satze begriffen. Daher hat der Mathe- matiker die gevv'ifle Ueberzeugung , dafs feine Erkenntnifs \on diefen Begriffen Realität hat; indem er von allen Dingen abftrahirt, die nicht mit den Begriffen übereinftimmen , fo weifs er, dafs alles, was er von den Flächen, infofern fie blos ein fubjectivesDafeyn in dem Verftande haben, erkennet, auch von ihnen gültig fey, wenn fie in der Sinnenwelt Teal exiftieren. Der Gegenftand feiner Betrachtung find Figu- ren, welche unveränderlich diefelben find, wo und wie fie auch exiftiren.

§♦ 7.

Daher die Realität der moralifchen Erkenntnifs«

Hieraus folgt ferner: dafs die morali- f che E rkenn tnifs eben derfelbenob- jectiven Gewifsheit empfänglich ift, als die Mathematik. Die Gewifsheit beftehet in der Wahrnehmung der Einftimmung oder des Widerfpruchs der Vorftellungea, und wenn dieTe Wahrnehmung durch andere Mittelbe- griffe vermittelt wird , fo ift es Demonßration. Da nun die moralifchen Begriffe , wie die ma- thematifchen , Originalbegriffe, und eben fo entsprechend und vollftändig Cnd , fo raufs

auch

Vierte« Kapital. g9

auch das Denken ihrer Einftimmung oder ihres Widerfpruchs eben die reale Eikenntnifs , als in der Mathematik gewähren.

§. 8.

Exiftem i ft Tu ihrer realen Er- keuntnifs nicht eri'oderlich,

Erkenntnifs und Gewifsheit fetzt be- ftimmte Bf griffe voraus, und zu ihrer ob- jectiven Reaiiiät ift nichts weiter erfoderlich, als dafs die Begriffe mit ihren Originalen über- einfiimmen. Man darf lieh nicht v.undern, dafs ich die Gewifsheit und Eikenntnifs nur allein in die Betrachtung der Vorfteliungen fe- tte, ohne, wie es fcheint , belondere Rück- licht auf die reale Exiltent der Dinge zu neh- men. Denn wenn man die Hafonncments der- jenigen unterfucht, welche, nach ihrem Vor- geben, die Erforfchung der Wahrheit und Ge- wifsheit zu ihrem Gefchäfte macheu , fo wird man finden, dafs fie aus allgemeinen Be- griffen und Sätzen beliehen, welche mit der Exiftenz irgend eines Dinges gar nichts zu thun haben. Alle Räfonnemer.j- der Mathema- tiker von fder Quadratur des Zirkels, den Ke- gelfchnitten u. f. w. betreffen nicht die Exi- Menz diefer Flächen, und es hat auf diefe De- monftraiionen keinen Einflufs, ob ein Ouadrat ©der ein Zirkel in der Welt exiftirt oder nicht.

*' 5 Eben

Viertes Buch.

Eben fo abftrahirt man bei der Wahrheit und Evidenz moralifcher Satze von dein menlchli- cuen Leben, von der Wirklichkeit der Tugen- den , welche ihren Gegenstand ausmachen* Ciceros Abhandlungen über die Pflichten ver- lieren nichts an ihrer Wahrheit , wenn auch kein MenTch fie vollkommen ausübt, und nach dem von ihm aufgeftellten Mufter eines Tugend- haften lebt, welches damals, als er fchrieb, nir- gends als in der Idee vorhanden war* Wenn es in der Theoris-, d. i. in der Idee, wahr iß, dafs eine Mordthat den Tod ver- dient, fo ift es auch wahr in der Anwendung« einer wirklichen Handlung, welche dem Be- griff einer Mordthat entfpricht. Andere Hand* lur g n gehet diefer Satz nichts an. Diefes ift der Fall mit allen andern Dingen , deren YVe« fen mit ihrem Begriffe in Eins /ufamraea-* fällt,

($ 9- Nech ein Einwurf»

Allein, wird man vielleicht einwenden, waa. für fonderbare Regriffe von Gerechtigkeit und iVläfsigkeit werden nicht zum Vorfchein kom-> rnen, wenn die moralifche Erkennt- nifs blos in der Betrachtung unfrer moralifchen Begriffe gefetzt wird, und dieCe unfre eignen Producte find ? Welche

Ver-

Viertes Kapitel. fit

Verwechfelung der Tugenden undLafter, wenn jeder (Ich davon nach Belieben einen Begriff macht? Hieraus kann eben fo wenig in Rücklicht auf die Dinge felbft und das Räfon- nement Verwirrung oder Verwechfelung entfte- hen , als es für die tnathematifcben Demonftra- tioaen, ilie Eigenfchaften der Flächen und ihre VerhältnifTe zu einander von nachtheiligen Ein- fliifs ift, wenn einer einen Triangel mit vier Winkeln oder ein Trapezium mit vier rechten Winkeln bildete;, das heifst, nur die Namen der Flächen verändertet und mit dem einen Worte diejenige Figur benennte, welche die Mathematiker gewöhnlich mit einem andern be- zeichnen. Man fetze den Fall, Einer bildete eine Figur mit drei Winkeln, unter denen ein rechter wäre, und nennte he ein gleichfeitiges Dreieck oder ein Trapezium, würde dadurch die Figur andere Eigenfchaften bekommen, oder die Demonftrationen anders ausfallen, als wenn er fie ein rechtwinklichtes Dreieck genennt hätte ? Es ift wahr , die Veränderung des Sprachgehrauchs würde Anftofs geben , fo lan- ge man die neue Bedeutung der Worte noch nicht wüfste; aber fobald die Figur gezeichnet ift, werden alle Folgerungen und Demonftra- tionen verftändlich und lichtvoll feyn. Nicht anders ift es mit der moralifchen Erkeuntnifs. Wenn jemand den Einfall hätte, unter Ge- rechtigkeit die Handlung zu verliehen, da

man

92 Viertes Buch

man andern ohne ihre Einwilligung nimmt, was fie auf ehrliche Weife erworben haben , fo wird er von allen raifsverftanden werden, wel- che nicht diefen fondern ihren Begriff mit die« fem Worte verbinden. Allein man trenne den Begriff vom Worte, und falle ihn fo, wie ihn Jener wollte verftanden wilfen, und es ergeben fich nun eben diefelben Sätze, als hätte man den Begriff mit dem Worte Ungerechtig- keit bezeichnet. Unrichtige Ausdrücke ver- urfacben in moralifchen Abhandlungen freilich mehr Verwirrung; denn fie können nicht fo leicht berichtiget werden , als in der Mathema- tik, wo das Anfchauen der gezeichneten Figur die Bezeichnung durch Worte entbehrlich macht. Denn wozu noch ein Zeichen, wenn das Bezeichnete gegenwärtig ift? Bei morali- fchen Gegenftänden gehet das nicht fo leicht und gefchwind von ftatten , weil mehrere zu- fammengefetzte Merkmale die ßeftandtheile der Begriffe ausmachen, Unterdeflen wenn auch diefe Begriffe dein Sprachgebrauch entgegen mit Worten bezeichnet werden, fo kann man doch von ihrer Einftimmung oder ihrem Wi- derfpruche eine gewiffe demonftrativeErkennt- r.ifs erlangen, wenn man fich nur, wie in der Mathematik, an die beflitnmten Begriffe feft hält, und ihre VerhältnilTe zu einander entwik- kelt, ohne fich durch die Worte irre machen zu laßen. Wenn wir nur den Begriff von dem

Zei«

Viertes Kapitel. 93

Zeichen deffelhen abfondern, fo fchreitet unfe- re Erkenntnifs in Entdeikung de? objectiven Wahrheit und Gewilsheit . ohne Kückficht auf die Zeichen der Begriffe, uugehiudeit fort.

§. I<X

Hier mufs nur uoch diefes bemerkt werden. Wenn Gott oder ein anderer Gefetigeber f.e- wüle moralifche Worte beftimmt hat. fo i(t dadurch das^efen der Art, welcher das Wort unpehüit, feftgffcttt , und hier würde die An- wendung der Worte auf andere Gegenftiinde nicht ohne Nach theil feyn. In andeu» Fallen ift ein lolcher Gebrauch der Worte nichts anders, als ein uneigenllicher Gebrauch Indeflen, wei .1 man auch diefe uneigentlich bezeichne- ten Begriffe gphinig betrachtet und vergleicht, fo wird dieGtwifshejt der Erkenn tnif» im min- derten nicht geHöret.

§. U.

Begriffe von Subftanzen haben ihn Original anl'ser uns,

HI, Es giebt eine andere Art von z u fa m - jr. eijgefetlten Begriffen, welche auf ein übjeet saftet uns bezogen Wer- den Es ili /no-lich, dafs diefe ihren Objecten nicht enil|!tc«hen , und d^nn verlier» die Er- kennt

94 Vieiles Buch.

kenntnifs der Begriffe ihre objective Realität» Von diefer Art find die Begriffe der Subßanzen. Man fetzt zwar voraus , dafs der Inbegriff von einfachen Vorftellungen , welche lie enthalten, von realen Objecten hergenommen ift; gleich- wohl können lie von denfelben abweichen» und mehrere oder andere Merkmale enthalten, als in den Dingen felbft vereiniget gefunden werden. Es ift daher nicht allein möglich« dafs fie den Dingen nicht ganz vollkommen entfprechen , fondern auch oft wirklich der Fall»

ff* 12.

Infofern die Begriffe von Substan- zen mit den Dingen überein- ftim men, infof er n i ft die Erkenn nils von ihnen real.

Die Begriffe von Subßanzen kön- nen uns reale Erkennt nifs gewäh- ren, in fo fern fie mit den Dingen über- einftimmen. Aber es ift hier nicht, wie bei den Beftimmungen, genug, Begriffe zufam- menzufetzen . welche zufammengedacht wer- den können, wenn fie gleich nicht zuvor in der Verbindung exiftireu. Die Begriffe eines Kirchenraubs undMeineids find vor wie nach der Wirklickeit einer folchen Handlung wahre und »eale Begriffe. Die Begriffe von Subßanzen

hin*

Viertes Kapiiei. gj

hingegen, da fie Kopien feyn und (ich auf Ob- jecta aufser uns beziehen Collen, muffen immer von etwas Wirklichen, das exiftirt o ler exiftirt hat, hergenommen, und ihre Merk- male dürfen nicht ohne ein Vorbild in der Na- tur, beliebig, wenn gleich ohne WiderTpruch, zufammengefetzt feyn. Der Grund davon ift diefer. Wir kennen das reale Wefen der Subftanzen nicht, in welchem die einfachen Merkmale, die enge Verbindung einiger und die Ausfchliefsung anderer gegründet find. Wenn wir von Erfahrungen und Beobachtun- gen abftrahiren , fo können; wir nur von we- nigen wiffen, dafs He in der Natur Beftahd ha- ben oder nicht. Die Realität der Erkenntnis, in Rücklicht auf Subftanzen, gründet fich allo darauf, dafs alle diefe Begriffe nur aus folchpn einfachen Merkmalen beftehen muffen, Wel- che wir in der Natur als verbunden entdeckt haben. Diefe Begriffe find wahre, wenn auch nicht durchaus entfprechende Kopien, und Ge- genftand einer realen Eikenntnifs, infofern wir von ihnen überhaupt Erkeontnifs haben, wel- che freilich von keinem gar zu grofsen Umfan- ge ift. Wo Eiuftiramung zwifchen Begriffen» (von weichet Art fie Gnd.) gedacht wird, da ift Erkenutnifs, und diele ift eine allgemeine, wo- die Begriffe abftract hnd. Um der Erkenntnify der Subltanzen eine reale Bedeutung zu geben, muffen die Begriffe von wirklichen Din- gen

$6 Viöiiea Buch.

gen abftrahirt feyn. Alle einfachen Merkmale, die wir in einer Subftanz vereinist fanden, können wir auch wieder getroft verbinden, und auf diefe Art abftracte Begriffe von Sub- ftanzen bilden. Denn was einmal in der Na- tur vereiniget war, kann auch wieder vereini- get werden.

$• I*.

Wenn wir diefes aufmerkfam erwägen und unfere Gedanken, unfreabftracten Begriffe nicht fklavifch an Worte binden, als gäbe und könn- te es keine andere Gattungen und Arten von Dingen geben, als fchon durch bekannte Worte feftgefetzt und. fo werden wir mit mehr Frei- heit und weniger Verwirrung , als vielleicht jetzt gefchieht, über die Dinge denken kön- nen. Wenn ich behauptete, dafs K ren- nen, *) die vierzig Jahre gelebt haben, ohne

eine

*) Ich habe das Wort Changelings durch K r e- tinen überfetzt, welches nach dem Lexikon eigentlich nur überhaupt einen einfältigen dum« men Menfchen bedeutet. Ohne behaupten zu wollen, dals Locke hier gerade an die Kreti- nen gedacht habe, fand ich doch diefes Wort für den Gebrauch gefchmeidiger , als das Ein- fältige, wo man immer gewiffe hinzufeuen müfste, wenn man nicht das Rälonnement fchief machen wollte. Und eben deswegen, weil die- fes

Viertes Kapitel. 97

eine SpuT von Vernunft zu äufsern, eine Art von Mittelwefen zwifchen Menfcli und T hier find, fo würde diefes vielleicht für ein kühnes Paradoxon, wo nicht gar für eine ge- fährliche Unwahrheit angefehen werden. Die- fes Vorurtheil gTÜndet fich nur auf eine falfche Vorausfetzung, dafs beide Worte, Menfch und Thier, fo befiiunnte, und durch ihr reales We- Teu fo fcharf charakterifirte Arten bezeichnen, dals fie keine andere zwifchen fich dulden kön- nen. Wenn wir daher von diefen Worten ab- ftrnhiren , und jene \ Orjusfetzung von folchen fpecififchen Wefender Natur, an welchen alle Dinge von derfelben Benennung genau denfel- hen Aniheil nehmen, verabfchieden wollten; wenn wir nicht eine gewiile Anzahl von diefen Wefen erdichteten , nach welchen , als eben fo vitlcn Modellen, alle Dinge gebildet werden, fo würden wir finden, dafs der Begriff von menlchlicher Gefialt , Bewegung und Leben ohne Vernunft eben fo gut ein verfchiedener Begriff ift, und eine von Menfchen und Thi«- ren verfchiedene Art der Dinge beftiinmt, als der Begriff, defien Merkmale Efelsgeftalt und

Ver-

ffs nut riiiT eine g-rwiffe Klaffe von Einfältigen jijlst, welchen die Kieiine/i am n.tclilicn ent- Ipicdien, konnte ich um fo eher diefes Wort an die Stelle jenes f< izen.

Locke's. III, Thcil. G

98 Viertes Buch.

Vernunft, fich von dem Begriffe eines Men- fchen und eines Thieres uuterfcheiden , und eine Mittelart, die fich von beiden unter fchei- det, beßimmen würde.

§.

Hier wird vielleicht Jedem die Frage ein* lallen: Wenn man mit Dir annimmt, dafs die Kretinen eine Mittelart zwifchen Menfch und Tlner und, was find fie denu eigentlich? Jch antworte: Kretinen. Diefes Wort kann eben fo fchicklich etwas von Menfch und Thier ver- fchiedenes bedeuten, als die Bedeutung dielet Worte verfchieden ift. Die Erwägung diefes Gedankens könnte dieleFrage entfcheiden, und meine Meinung ohne alle weitere Umftändlich- keit deutlich machen. Allein ich kenne den Fanatismus zu gut, der manche Menfchen ver- leitet, Folgerungen zu ziehen, und die Reli- gion in Gefährde zu fehen, Wenn Jemand wagt, von ihren Formeln abzuweichen, als dafs ich nicht voraus fehen follte, mit welchen Namen man diefe Behauptung belegen werde. Ohne Zweifel wird man daher noch weiter fragen : was foll aus den Kretinen in jener Welt wer- den, wenn fie Mitteldinge zwifchen Menfchen und Thieren find? Ich antworte: i) Es nicht meine Sache, dieies zu willen, oder zu unterfuchen. Ihr Zufiand wird weder beller

noch

Viertes Kapitel. jp

Hoch fchlimcner dadurch werden , dafs wir et- was von demfelben beftimmen oder nicht, Sie Heben unter der Regierung eines gütigen und wahrhaften Schöpfers, der das Scbickfal feiner Gefchöpfe nicht nach unferer eingefchTärrkten Vorftellungsart entfcheidet, noch Genach Wor- ten und Gattungsbegriffen unfrer eignen Er* findung Ordnet, Und wir, die fo wenig voü der gegenwärtigen Welt wiffen, follten uns be- fcheiden» nicht fo über den verTchiedenen Zu- ßand abzufprechen» in welchen unfere Mitge- fcböpfe nach diefem Leben kommen werden. Es ift genug, dafs Gott allen, die einer Beleh- rung und eines vernünftigen Denkens fähig find , bekannt gemacht hat, dafs fie einen Ge- richtstag und eine Vergeltung zu erwarten ha- ben, die mit ihrem hier geführten Lebenswan- del in Verhältnifs fleht.

2) Die Hauptftärke diefer Frage ($,14,) be- iruhet auf zwei ganz falfchen Hypothefen, Nehmlich I) was die äufsereGeftalt eines Men- fchen hatj und 2) was von Menfchen geboren ift, mufs noth wendig zu einem un (Werblichen künftigen Leben beftimmt feyn. Man nehme diefe Einbildungen hinweg, und folche Fragen Werden fogleich grundlos und lächerlich fchei- nen, Diejenigen, welche Menfchen und Kreti-

G 2 neu

iOo Vicnes Euch.

nen eben daffelbe Wefen beilegen, und beide nur durch eine zufällige Verfchiedenheit unter- fcheiden , mögen alfo erwägen, ob Ge es denk- bar finden, dafs die Lnfterblichkeit an irgend eine äufsere Form des Körpers geknüpft fey. Man darf, wie ich glaube, ihnen diefen Satz nur vorlegen, um ihn zu verneinen. Ich hör- te noch nie von eiuem Manne, wenn er auch noch fo fehr dem Materialismus anhing, dafs er die UnfteTblichkeit irgend einer GeftaJt der groben finnlichen Materie zuerkannte, als ob fie derfelben ausfchliefslich angehörte, und eine notwendige Folge derfelben (er. Ich hörte noch nie , dafs Jemand behauptet habe, eine Maffe Materie follte nach ihrer Auflöfung dort in einen ewigen Zuftand des Bewufstfeyns und Denkens wieder hergeftcllt werden, blos des- wegen, weil fie eine beftimmte Form, und in ihren fichtbaren Theilen eine gewiffe Bildung habe, Diefe Meinung fchlicfst jeden Gedan- ken an Seele oder Geift aus, in Rück ficht wel- cher doch nur allein ein körperliches Wefen bis hieher für fterblich oder unfteTblich ift ge- halten worden. Dies heifst, einen gröfsern Werth auf das Acufsere , als auf das innere ei- nes Dinges legen , den Vorzug des Menfchen mehr in der Auffenfeite feines Körpers, als in der innern Vollkommenheit feiner Seele fuchen; und diefes ift nicht viel beffer, als die Form des Bartes oder den Schnitt des Kleines zur

Bcdin-

Vieiifs Kapitel. l.oi

Bedingung der Unfterblichkeit dieTes grof- fen unfehätzbaren Vorzugs vor allen Körperwe- fen machen. Denn die äufsere Form des Körpers führt fo wenig dieHofnung einer ewi- gen Fortdauer bei fich, als der Modefchnkt ei- nes neuen Kleides einen vernünftigen Grund zu der Vorftellung giebt, es werde lieh nie abtra- gen, oder feinen Befitzer unfterblich machen, Allein , wird man vielleicht einwenden , Nie- mand denkt Geh die äufsere Geftalt als die Ur« fache der Unfterblichkeit, aber fie ift doch das Zeichen einer vernünftigen Seele , welche un- fteiblich ift. Wer hat diefes gethan ? Kein Machtfpruch, fondern Beweife müfsten. uns davoD überzeugen. Ich kenne keine Ge- fialt, welche eine folche Sprache führte. Der Schlufs , ein todter Körper eines Menfchen, in dem fo wenig, als in einer Statue, eine Spur von Leben und Selbftthätigkeit vorkommt, fchliefse demungeachtet der Geftalt wegen ei- nen lebendigen Geift in fich, raüfste auf die Art eben fo vernünftig feyn , als der, dafs eine vernünftige Seele in einem Kretinen fey, weil er die äufsere Geftalt eines vernünftigen We- fens bat, da doch feine Handlungen fein gan- zes Leben hindurch weniger Vernunft verra- then , als manche Thiere.

G ? §. 16,

10? Viertes Buch,

§. 16.

Allein ein Kretine ftaramt von vernünftigen Eltern, und mufs daher eiue vernünftige See- le haben. Ich weifs nicht, nach welcher Logik man fo fchliefsen mufs, DieFolgerung wird man gewifs an keinem Orte eingesehen, fonft könnte man es nicht wagen, wie allent- halben gefchiehet, mifsgeftaltete Geburten zu zerftören. Das find aber nur Mifsgeburten» Gut, was wird denn ein Kretine feyn ? Soll nur ein Fehler des Körpers, aber nicht des Geiftes, des weit edlern und wefentlichern Beftandtheils, eine Mifsgtburt machen? Soll der Mangel der Nafe oder des Halfes, nicht aber auch der Mangel des Verftandes und der Ver- nunft aus der Menfchengattung ausfchliefsen ? Das ift gerade das, was fchon widerlegt wor^ den ; es ifl l'oviel , als die äufsere Geftalt zum IVJaafsftabe der Menfchheit machen. Wenn man zeigen will, dafs nach dem gewöhnlichen Räfonnement in diefer Sache, die Menfchen allen Werthund das Wefen der Menfchheit in die äuf- fere Form und Geftalt fetzen , fo unvernünftig es auch ift, und fo fehr es den Worten nach nicht eingeftanden wird, fo darf man nur ihre Schlaffe und ihr Verfahren etwas weiter fort- führen. Der nicht mifsgeftaltete Kretine, Tagt man, ift ein Menfch mit einer vernünftigen §?e!e, ob gleich keine Spur von diefer (ich

äufsert,

Viertes Kapitel. I©3

Mnfsert. Nun lafTe man die Ohren etwas län- ger uud fpitziger, die Nafe etwas planer als gewöhnlich werden, man fängt an zu ftutzen; das Geficht werde fchmäler, flacher und länger, jetzt ift man zweifelhaft; die Geftalt, vorzüg- lich des Kopfes, bekomme immer mehr Aehn- lichkeit mit einem Thiere ; nun ift die Mifs- geburt fertig, und der Beweis vollendet, dafs diefes Wefen keine vernünftige Seele hat, und zeTiiöhret werden mufs. Wo ift denn euh aber der richtige Maafsftab für die äufserfte Grenzlinie diefer Geftalt, welche auf* eine ver- nünftige Seele hinweifet? Es find menfehliche Fötus geboren worden , die halb Menfch und halb Thier waren , oder drei Theile von je- nem, einen von diefen hatten; und es ift mög- lich, dafs fie fich auf eine mannigfaltige Weife der Menfchen- und Thiergeftalt nähern, und die Mifchung von beiden Aehnlichkeiten kann unzählig viel Grade haben, .Nim möchte ich wiffen , welche beftimmte Züge nach diefer Hy- pothek mit einer vernünftigen Seele verbunden oder nicht verbunden werden können. Wel- che äufsere Geftalt ift das gewifTe Zeichen, dafs eine lolche Bewohnerin vorhanden oder nicht vorhanden ift? So lange diefes nicht gefche- hen ift. fprechen wir von .Menfchen nur aufs Gerathewohl , und diefes ift unvermeidlich, wenn wir uns gewifTen Worttöneu und dem Wahne von gewiffen , man weifs nicht recht,

G 4 wel-

104. Viertes Buch.

welchen, feftgefetzten Gattungen der Natur hin« geben. Endlich gebe ich auchdiefes zu beden- ken , dafs diejenigen, welche die Schwierig- keit dadurch beantwortet zu haben glauben, dafs fie fasen, ein roifsgefbiteter Fötus fey ei- ne Mifsgeburt, in denfelben Fehler verfallen, welchen fie tadeln , indem fie eine neue Gat- tung zwiTchen Menfch und Thier annehmen. Denn ihre Mifsgeburt ift in diefem Falle, (wenn das Wort überhaupt etwas bedeuten foll,) nichts anders, als Etwas, das weder Menfch noch Thier ift. aber von beiden etwas an fich hat# Gerade daffelbe fand aber auch bei den Kreti- nen ftatt. So notwendig ift es , die gemei- nen Begriffe von den Wefen und Gattungen zu verlailen , wenn wir einen richtigen Blick in die Natur der Dinge thun , und fie nach dem, was unfer Erkenntnisvermögen wirk- lich an ihnen entdeckt, nicht nach grundlafen Phantafiebildern, betrachten wollen.

§• »7.

Ich erwähne diefes deswegen , weil ich glaube, man könne nicht vorüchtig genug ge- gen die Täufcbungen gewohnter Worte und Begriffe von Gattungen feyn. Hierin liegt, wo ich nicht irre, ein grofses Hindernifs der deut- lichen Erkenntnifs, vorzüglich der Subftanseri, und es entfpringen daraus die gröfsten Schwie- rig-

Viertes Kapitel. icj

tigkeiten wegen der Wahrheit und Gewifsbtit. Diefen Nachtheilen könnten wir bei unferm Selbftdenken dadurch gröTstentheils abhelfen, wenn wir uns gewöhnten, unfere Begriffe und SchlülTe von den Worten loszutrennen. So lange aber die Meinung fortdauert, dafs die Gattungen und Arten nebft ihren Wefen noch etwas anders und , alt» abftracte Begriffe, info- fern fte mit Worten bezeichnet werden, fo wird doch die gegenfeitige Mittheilung der Gedan- ken erfchwert werden.

§♦ 18. Wiederholung.

Wo wir die Eir.fiimmung oder Nichteinftitn- mung einiger Begriffe eh.fehen , da ift eine gewiffe Erkenntnifs. Diefe Erkenntnifs bekommt Realität, wenn wir überzeugt find, dafs diefe Begriffe mit wirklichen Din- gen übereinflimmen. Da ich die Merkmale von der Uebereinftimtnung unferer Begriffe mit wirklichen Dingen angegeben habe, fo hoffe ich auch, gezeigt zu haben, worin die reale G e w i f s h e i t beliebet, deren Begriff für mich ich weifs nicht, ob auch für andere ehe- dem ein fehr dringendes Bedürfnifs war.

G 5 Fünf-

io6

Viertes Buch.

Fünftes Kapitel.

Von der Wahrheit überhaupt.

Was ift Wahrheit?

YVas Wahrheit ift, ift «ine Unterfuchung, wel- che fchon viele Jahrhunderte befebaftigte. Al- le I\ enlcl en forfcl en nach ihr, oder geben doch zum Wi-nigften vor, fie zu unterfuchen. Es mufs alro wohl der Mühe werth feyn, zu unterfuchen, worin fiebeftehet, und ihr We- fen fo weit kennen zu lernen, dafs man beob- achtet , wie fie der Verftand von der Unwahr- heit unterscheidet,

Wahrheit fcheint mir in der eigentlichen Bedeutung des Worts nichts anders zu feyn, als das Verbinden oder Trennen der Zeichen, infofern die dadurch be- zeichneten Dinge mit einander über« einftimmen oder nicht übereinftim- m en. Unter dem Verbinden oder Tren- nen der Zeichen verliebe ich nichts an- ders,

Fünftes Kapitel. io?

de«, als Urth eile n. Die Wahrheit hat al- fo eigentlich Urtheile zum Gegenftande. Die Zeichen, die man gewöhnlich gebraucht, find aber von zweierlei Art, nehmlich Begriffe und Worte, Es giebt daher auch zweierlei Urtheile, Yerftaudesurtheile, ( Urtheile) und Worturtheile (Sätze) , (mental , verbal Propo» ßiions),

§. ?.

Urtheile,

Um den Begriff der Wahrheit deutlich zu fallen, ift es lehr noth wendig, die Wahr- heit der Begriffe und die Wahrheit der Worte befonders zu betrachten. Allein es ift fehr fchwer, von beiden getrennt zu han- deln. Denn wenn maa vonUrtheilen handelt, mufs man fich nothweudig der Worte bedie- nen, und dann hören alle gegebene Beifpiele auf, blofse Urtheile zu feyn und werden Sätze. Urtheile Gnd nehmlich nur Verglei« chungen der Begriffe, fo wie fie in dem Ver- ftande ohne Einkleidung der Worte find , und fo bald , als fie in Worte ausgedrückt werden, verlieren fie die Natur blofser Urtheile.

§. 4. Diefe Schwierigkeit wird noch dadurch ver- mehrt, dafs, wo uicht alle, doch die meiften

Men-

108 Viertes Buch.

Menfchen bei ihrem Denken fich der Worte, anftatt der Begriffe bedienen, zum wenigften M'enn dae Objpct ihrer Betrachtungen zufam- niengefetzte Begriffe enthalt. Diefes ift ein klarer Beweis von der Unvollkommenheit und Uns:ewifsheit diefer Art Begriffe, und eine auf- merkfatne Reflexion darüber kann hieraus ein Meikmal entwickeln , womach fich die Obje- ete beftimrnen laffen , von welchen wir deutli- che befummle Begriffe haben oder nicht haben. Denn wenn wir das Verfahren des Verftandes beim Denken forgfältig beobachten , fo werden wir finden, dafs wir bei den Urtheilen über Weifs und Schwarz, Süfs und Bitter, Triangel und Zirkel, nicht allein ohne über die Worte nachzudenken , die Begriffe in dem Verltande bilden können , fondern auch oft wirklich bilden. Wenn man aber zufain- mengefetztere Begriffe, alsMenfch, Vitri- ol, Tapferkeit, Ruhm betrachtet, und darüber urto eilet, fo wird das Wort gewöhn- lich für den Begriff gefetzt. Denn die Begriffe, welche diefe Worte bezeichnen, find gröfsten- theils unvollkommen , verwirrt und fchwan- ke.-d, die Worte hingegen find klärer, zu- verlaffiger und beftimmter, und ft eilen fich dem Verftande leichter dar , als die blofsen Be- griffe, Daher gebrauchen wir die Werte an- statt der Begriffe , und reflectiren über jene felbß, wenn wir blos bei uns denken und ur-

thei-

Fünfte* Kapitel. 109

(heilen wollen. Dazu giebtuns bei den S n !»- lianzen die UovoHkornrnenheit der ßegiitfe Veianlaflung ; das Wort mufs die Stelle des realen Wefens vertreten, von dem wir keinen Begriff haben. Bei den B e ft i m m un gen veranlagt uns djzu die grof-e Anzahl einfacher Vorftellungen, welche den Inhalt ihrerBegriffe ausmachen. Denn das \\ ort ftellt heb oft leich- kt wieder dar, als der zufammepgefetzte Be- g'iff. Ks koftet Zeit und Aufmerkiamkeit, al- le ßeftand'.heile aufzuzählen, und He ohne Feh- ler dein Verftande vor/uh?Hen, felbft denen, welche tchon ehedem fich diefe Mühe gegeben hibeo; ganz unmöglich i!"t aber cliefe Arbeit denjenigen, welche in ihr Gedächtnis eine Menge der gewöhnlichen Worte gcfammlet, aber ihr ganzes Leben hindurch nie über ihre beftimmte Bedeutung nachgedacht, fondern ihnen nur dunkle und verwime Begriffe un- tergelegt haben. Es giebt Menfchen, welche viel von Religion und Gcwiffcn, Kirche und Glauben, Gewalt und Recht , Melancholie und Cholera fprechen, aber vielleicht würde eine groCie Leerheit in ihren Gedanken und Räfon- nements ent flehen, wenn man von diefen ver- langte, über die Dinge fclbft. zu denken und diefe Worte auf die Seite zu legen, welche fie unter einander und mit andern veiwechfeln.

§• 5-

Iio Viertes Buch.

§. ?♦

U r t heile und Sätze in Beziehung auf Wahrheit,

Doch wir kehren zur Betrachtung der Wahr* heit zurück. Wir unterfcheiden alfo zwei Ar- ten möglicher Urtheile. I) Blofse Urthei- le (mental propofitions)» wo die Begriffe in dem Verftande ohne Gebrauch von Worten verbunden oder ge- trennt werden, je nachdem er ihre Einftim- rnung oder Nichteiuftimmüng wahrgenommen hat. 2) Durch Worte ausgedrückte Urtheile (verbai propofitions), wenn die Worte als Zeichen der Begriffe in bejahenden oder verneinenden Sä- tzen verbunden oder getrennt wejr* den. Die Urtheile beliehen alfo in dem Ver* binden und Trennen diefer Zeichen; dieWaht- lieit befteht aber darin, dafs diefe Zeichen in dem Verhältnifs verbunden oder getrennt wer- den , als die bezeichneten Dinge übereinftira* tuen oder nicht übereinftimmen.

§. 6.

Wenn Urtheile und Sätze reale Wahrheit enthalten.

Die Erfahrung überzeugt jeden Menfchcn, dafs fein Verftand , wenn er die Uebereinßim-

inung

Fünftes Kapitel. 11 1

mung oder Nicht übereiuftimmung einiger Be- griffe wahrnimmt oder vorausfetzt, diefe Be- griffe ohne klares Bewufstfeyn in eine Art von Urtheil, es fey bejahend oder verneinend, bringt, Diefe Handlung des Verbandes habe ich durch die Worte, Verbinden, Trennen, auszu- drücken gefucht; alleio ob fie gleich jedem denkenden Manne eine alltägliche Erfcheinuug ift, fo kann lie doch beffer durch die Reflexion über das, was in dein Gemüthe bei dem Beja- hen und Verneinen vorgehet, gefafst, als durch Worte erklärt werden. Wenn ein Menfch in dem BeW.ifstfevn die Vorftellung von zwei Li. nien, z. Bg der Seite und der Diagonallinie eines Quadrats hat , von welchen die Diago- nale einen Zoll lang ift, fo kann er auch die Vorßellung von der Theilbarkeit diefer Linie in eine gewifle Anzahl von gleichen Theilen, z. ß. 5, lo, iOO u. f. W, haben. Er kann fer- ner die Vorfiellung bilden, dars die einen Zoll lange Linie (ich in folche gleiche Theile, von denen eine beftimmte Zahl der Seitenlinie gleich ift, theilen , oder nicht theilen laffe. Wenn er nun wahrnimmt, glaubt oder vorausfetzt, dafs diefe Art der Theilbarkeit mit leiner Vor- ftellung von diefer Linie übereinftimme oder nicht, fo verbindet oder trennt er beide, und bildet alfo ein Unheil, welches wahr oder falfch ift, je nachdem die Theilbarkeit in folche ali- quote Theile diefer Linie angemeflen ift, oder

mit

H2 Viertes Buch.

mit ihr ftreitet. Wenn die Begriffe in dem Verftande fo verbanden oder getrennt werden, als ihre Objecte übereinfHinmen oder nicht, fo möchte ich diefe Wahrheit V e r ft a n d es w a h r- heit (mental truth) nennen. Die "Wahr- heit der Worte ift aber etwas JYIehreres, und findet da ftatt , wo die Worte fo von ein- ander bejahet oder verneinet werden, als ihre bezeichneten Begriffe übereinftimmen oder nicht. Diefe Wahrheit ift wieder von doppel- ter Art, fie hat nehmlich entweder gar keinen Inhalt, als Worte (Io. Kap.), oder üe hat einen realen lehrreichen Inhalt. Die letzte ift der Gegenftand derjenigen realen Er- kenntnifs , von welcher wir fchon gehandelt haben.

§* 7-

Einwurf gegen die Wahrheit der Sätze,

l-]ier kann fich gegen die Wahrheit eben der Zweifel erheben , als oben gegen die Er- kennt:.ifs. Wenn die Wahrheit nur darin be- fteht , dafs die Worte in Salzen fo verbunden odt-r getrennt werden , als die bezeichneten Begriffe in dem Verftande übereinftimmen oder nicht, fo ift die Erkenn tni fs der Wahr- heit von keinem f o hohen W e r t h, als fie haben mufs, und f;e verdient nicht die

Muhe

Fünftes Kapitel. 113

Mühe und den Zeitaufwand, den man auf ihre Eiforfchung wendet. Denn nach diefem Be- triff ift fie nichts anders, als die Uebereinham- uuing der Worte mit den Dichtungen der Phar.iafie. Wer wetfs nicht, mit was für fon. derbaren , ungereimten Vorftellungen 1b viele menfchlic.be Köpfe angefüllt find. Bleiben wir bei diefen fiehen , fo erkennen wir n3ch dein obigen Begriffe keine andere Wahrheit, als die der Bbantafienweit in uns eine Wahrheit, welche eben fowohl Harnyen und Centauren, als Menfchen und l'ferde , zum (Jegenhande hat. Denn es ift möglich, dafs fich foiehe und ähnliche Vörflelhirgen in unfern Köpfen linden, daTs De in dem Verhäitnifs der Eintfimmuug oder IS'ichteinftimmurig ftehen , wie Begriffe von realen Dingen , folglich können daraus auch eben fo wahre Säue gebildet werden. Alle Centauren find Thiere, ift ein fo wahrer Satz , als : alle Menfchen find Thiere; die Gewißheit des einen ift fo grofs als die des andern. Denn in beiden Sitzen ftimmen die Worte nach dem Verhäitnifs der Vorftellungen zuTammen. und das Verhäitnifs der Einftimmung ift fo klar und einleuchtend zwifchen den Vorftellungen Thier und Centaur, als zwifchen denen, Thier und Menfch. Al- lein von welchem Nutzen find alle folche Wahr- heiten für uns?

Locke'». III. Thtil. II §. 8,

114 Viertes Bucli.

§. 8. Beantwortung deffelben.

Diefer Zweifel wird fchon hinlänglich durch den in dem vorigen Kapitel befthnmten Unter- fchied zwilchen realer und eingebilde- ter Erkenntnifs beantu Ortet; denn man kann auch hier nach demfelben Grunde reale Wahrheit von der eingebildeten, oder, wenn man lieber will, von der blos wört- lichen Wahrheit unterfcheiden. Es kann jedoch nicht fchaden , wenn wir hier folgende Betrachtun» wieder in Erinnerung bringen. Die Worte bezeichnen eigentlich nichts anders» als Vorftellungen, allein fie follen dadurch zu- gleich Dinge andeuten. Wenn Ge nun Vor- ftellungeu ausdrücken, welche in keinem Ver- hältnifs zu realen Dingen flehen , fo wird die Wahrheit der Sätze, die daraus gebildet wer- den, in blofsen Worten beliehen. Die Wahr- heit kann alfo , wie die Erkenntnifs , füglich in reale und verba le (Sach Wahrheit, Wort« wahrhei') unterfchieden werden. Die Wort- wahrheit beftehet darin, dafs die Worte nach der Einftimmung oder Nichteinftimmung der Vorftellungen , die fie bezeichnen, verbun- den oder getrennt werden, ohne darauf zu fe- hen, ob diefe Vorftellungen eine objeetiv reale Beziehlang haben, oder nicht haben. Dann enthalten die Satze aber reale Wahrheit,

wenn

Fünftes Kapitel. II J

wenn die Worte fo verbunden werden, :ds die bezeichneten \ orfiellungen Geh zu einander verhalten, und wenn diefe von der Art find, dafs wir willen, fie können ein exiftirendes Object in der Natur haben, weiches bei Sub- ftanzen nicht anders erkannt vverden kann, als Wenn man weifs, dafs diefe exiftiit haben.

§. 9-

F a 1 f c h h e i t.

Wahrheit beftehet in der Eiuflimmung oder Nichteinfthnmung der Begriffe, infofern diefe, fo wie fie ift, durch Worte ausgedrückt wird ; wenn fie aber anders ausgedrückt wird, als fie ift, fo ift es Falfchheit. imoferu die durch Worte ausgedruckten Begriffe mit ihrem Objecto übereinftitnmen , infofern ift es reale W a h rheit. Die E r k e n n t n i f s die- fe r Wahrheit beftehet darin, dafs die Be- griffe nebft ihrer KinftimmuDg oder ihrem Wi- derfpruehe , infoiVrn fie durch Worte ausge- drückt find, erkannt werden.

§. Io.

W. il aber die W'orte als groTse Kanüle der Wahrheit und Erkenntnifs betrachtet werden, und wir uns der Worte und S.iUe bedienen, wenn wir Wahrheiten empfangen und mitthei- len, fo werde ich ausführlicher unterfur.hen,

H 2 worin

il6 "Viertes Buch.

worin die Gewifsheit realer Wahrheiten, wel- che in Satzafi enthalten find, beilehet, und wo Ue möglicii ift und zugleich zu zeigen fuchen, bei welcher Art von allgemeinen Sätzen wir von ihrer realen Wahrheit oder Falfchheit ge- wi fs überzeugt feyn können. Ich werde mit den allgemeinen Sätzen anfangen, weil fie un- ter Denken und Forfcheu am u.eiften befebäf- tigen. Kach allgemeinen. Sätzen ftrebt der Ver- ftand am raeiften, als folchen, welche die Er- kericituifs vorzüglich erweitern ; denn ße ge- währen uns durch ihren Umfang auf einmal viele beiondere Sätze; fie erweitern den Ge- ficht1 kreis und verkürzen den Weg zur Er- kenntnifs»

§. ii.

Moralifche und metaphy Ti fche Wahrheit.

Aufser der Wahrheit im ftrengen Sinne, wie fie zuvor genommen wurde, giebt es noch mehrere Arten von Wahrheiten , als I) mo- ralifche Wahrheit. Wenn man von den Dingen nach der fubjeetiven Ueberzeugung re- det, obgleich die Sätze, in denen maja fich ausdrückt, mit der ubjeetiven Realität der Din- ge uicht übereinftiuunen. 2) Metaphyfi- fche Wahrheit, welche nichts anders ift, als die reale Exifteaz der Dinge , infofern fie

iuit

Fünftes Kapitel, i:*»

mit den Begriffen , die an die Spnchzeichen cjer Dinge geknüpft find\ übereinftimrnt, Die- fe metaphififche Wabiheit fcheint in dein obje* ctivenSeyn der Dinge fclbft zu beftehen ; allein bei genauerer Betrachtung zeigt rs-fich, dafs fie ein unentwickeltes Urthei! in Geh fchliefst,in dem der Verftand diefes individuelle Ding mit dem Be;riffj , der fchon an das Wort geknüpft ift, verbindet. Ich hegnüge mich, diefe Anflehten der Wahrheit hier nur zu erwähnen, weil fie theils im Vorhergebenden fchon vorgekommen find, theils in keiner nahen Beziehung mit dem» gegenwärtigen Ge~cnftande ftehen.

Sechfies Kapitel.

Von allgemeinen Sätzen, ihrer Wahr- heit und Gewißheit.

§. i.

Uer befie und ficherfte Weg, zur deutlichen F.ikcnntnifs zu gelangen, ift zwar der, dafs man die Begriffe felbft mit gänzlicher Beifeite-

H 3 fetzung

II

8 Viertes Buch.

fetzun? ihrer Wo.te betrachtet und vergleicht; allein diele Methode wird feiten befolget, weil man (ich einmal gewöhnt hat, Worte für Be- griffe zu gebrauchen. Jederman kann fich durch Beobachtungen belehren, wie oft diefes felhft diejenigen thun, welche für fich in ihrem Innern denken, vorzüglich, wenn die Begriffe fehr ztifammengefetzt find. Diefes macht die Betrachtung der Worte und Sätze zu einem fo notwendigen Gefchäft bei der Abhandlung über die Erkenntnifs . dafs man ohne die erfteru kaum verftändlich von der; zweiten handeln kann.

§. 2.

Allgemeine Wahrheiten können nicht wohl anders, als in Sätzen verftändlich gemacht werden.

Alle Erkenntnifs beftehet entweder aus be- fondern oder allgemeinen Wahrhei- ten. Es ift ohne Rücklicht auf das Verfah- ren bei den eiftern, von den letztern zum we- nigften einleuchtend, dafs fie, nach denen der Verßand mit Recht am meiften ftrebt , nie recht bekannt gemacht, auch feiten gefafst werden können, wenn fie nicht in Worten ausgedrückt find. Die Betrachtung über die Wahrheit und Ge- wifsheit der allgemeinen Sätze liegt alfo gewifs

nicht

SechÄes Kopito]. nj

rieht' an her rinn We^e unferer Unterfuchung über die Erkenntnifs.

GewiTsbeit der Wahrheit und der £r k e n n t n i fs.

Damit wir uns bei diefern Gegenftande nicht durch zweifelhafte Ausdrücke irre führen Iaf- fen , welches bei allen Unterfuchungen zu be- fürchten ift, muffen wir bemerken, dafs die Gewifsheit von gedoppelter Art iß, nehmlich die Gewifsheit der Wahrheit und die Gewifsheit der Erkenn tni fs, [Ge- wifsheit der Wahrheit ift da, wo die Worte in Sätzen fo verbunden werden, dafs fie das Verhüllnifs, in dem die Begriffe wirk- lieh zu einander ftehen , genau ausdrücken. Die Gewifsheit der Erkenntnifs fin~ det hingegen da ftatt, (wenn man die Einftim- mung oder den WiderTpruch der Begriffe ein- fiehet, fo wie ein Satz diefes Verhältnifs aus- drückt, Diefes heifst gewöhnlich das Wif- fen oder die Uebeizeugung von der Wahrheit eines Satzes,

H 4 §. 4-

119 Tiäxlis Euch.

I

Kein Satz kann für wahr erkannt werden, wenn nicht das Wefen der Gattungen bekannt iß.

Wir können von der Wahrheit eines allgemeinen Satzes nicht g e - wifsfeyn, wenn wir nicht den be- lli in mten Umfang und die Grenzen der Gattungen kennen, welche die Worte bezeichnen. Daher ift die Er- kenntnis des Wefens jeder Gattung unentbehr- lich, weil durch daffelbe die Sphäre des Be* griffs beftimmt wird. Dicfes hat bei den ein- fachen Vorftellungen und Bestimmungen keine Schwierigkeit. Denn hier ift das Real- und Korainahvefen ein und daffelbe, oder, mit an- dern Worten, der abftracte Regriff, den die allgemeinen Worte bezeichnen, ift allein das Wefen und die einzig mögliche Grenze der Gattung, und es kann daher gar kein Zweifel ftatt finden, wie weit ftch die Gattung erftreckt, oder welche Dinge darunter gehören , nehni- lich offenbar nur diejenigen , welche mit dem Begriff vollkommen übereir.flimmen. Beiden Sub- ftanzen hingegen, da man annimmt, dafseinvca demNominalwefen verfchiedenes Ilealwefen den. Umfang d er Gattungen befil lt. mt undbegreut, ift der Umfang der allgemeinen Worte fehr un- gewifs. Denn weil wir diefes reale Wefen nicht kennen, fo können wir auch nicht wif-

fen,

SecLftcs Kapitel. I2i

fen, was zu einer Gattung gehört, oder nicht, folglich auch nicht , was mit Gewifsheit von derlelben behauptet, oder verneinet werden kann. Wenn wir von Menfchen, Gold und andern Galtungen der Siibftanzen reden, als gründeten fie fich aufeingewiP.es reales YVefen, welches die Natur regelmäfsig jedem Indivi- duum mittheilte, und dadurch in dieTe Gattun- gen aufnähme, fo können wir uns von der Wahrheit eines bejahendsn oder verneinenden Satzes davon nie überzeugen. Denn die Worte Menfch, Gold, in diefem Sinne genommen, in dem fie etwas ausfegen, das invkeinem Begriffe des Verbandes lieget, bezeichnen ein unbe- kanntes Etwas, d eilen Sphäre fo verborgen und unbeftimmbar ift, dafs wir nie mit Gewifsheit behmpten können, alle JVlenfchen find vernün- tig , oder alles Gold ift g^lb. Hält man fich aber an;das Kominalwefen, als die Grenzen je- der Gattung beftimmend , und fchränkt die An- wendung der allgemeinen Worte auf die Indi- viduen ein, in denen der ausgedrückte zufam- mengefetzte Begriff gefunden wird , fo findet keine Gefahr, die Grenzen einer Gattung zu verkennen, noch ein Zweifel ffatt, ob ein Sarz jn diefer Rückficbt wjhr, oder f.dfch fey. Ich habe abfichtlich die Ungewißheit diefer Satze auf fcholaftifche Art erklärt, und die Ausdruc- ke Wefen und Gattungen (fpecies) gebraucht, um die Ungereimtheit aufzudecken, wenn man

H > bei

122

Viertes Bach.

bei ihnen noch eine andere Realität, als den abftracten Begriff mit dem Sprachteichen def- F<-!ben fliehet. Der Wahn, als ob die Gattun gen und Arten der Dinge noch etwas anders waren , als die Klsffificirung derfelben uiter allgemeine Worte, nach ihrer Uebereinftimraurg mit den abftracten Begriffen, welche jene Wor- te bezeichnen , mufs nur die Wahrheit ver- wirren und Ungewißheit in die allgemeinen Salze bringen. Diefe Sache könnte zwar für diejenigen, deren Kopf mit feboiafüfeher Ge- lehifamkeit nicht angefüllt ift, auf eine beque- mere und lichtvollere Art abgehandelt werden; allein da diefe falfchen Begriffe von dem Wefen und Gattungen in den meiften Menfchen, aufweiche der herrfchende Zuftand derWiffer- fchaften in diefem Welttheile einigen Einflufs hat, Wurzel gefchlagen haben, fo muffen fie beleuchtet und entfernt werden, um dem Ge- brauch der Worte , der mehr Gewifsheit bei lieh fühit, Platz zu macheu.

Wenn alfo die Worte der Sub- ftanzen Gattungen und Alten bedeu- ten Folien« welche durchdas unbe- kannte reale Wefen beftimmt find, fo können fie dem Vcrftande keine Gewifsheit gewähren. Von der Wahr- heit

Seclifios Kapitel. 123

hett allgemeiner Sätze, die aus folchen Worten gebildet werden, kann man fich nicht mit Ge- wifsbeit überzeugen , aus welchem Grunde, ift leicht einzufehen. Denn wie kann man willen, dafs diefe Eigenfchaft d«m Golde an- gehört, wenn man {nicht weifs, was das Gold ift. Gold ift nach diefer Vorftellunosart dasje- nige, was an dem uns unbekannten Wefen An- theil hat; wir können daher nicht willen, wo es angetroffen wird, oder nicht, oder ob über- haupt in der Welt eine Materie diefer Art exi- ftiit; denn es läfst fich auf keine Weife erken- nen, ob dies oder jenes das reale Wcfen an fich hat, oder nicht, welche» das Gold ausmacht, weil wir von drmfelben nicht den geringen Begriff haben. D;> fcs zu erkennen, ift für uns fo unmöglich, als für einen Blinden zu fagen, welche blume eine Scharlachfarbe hat. Je- doch auch diele Unmöglichkeit zugeftanden, dafs wir «rkennen könnten, in weicher Mate- rie z. ß. das Wefen des Goldes fey , fo wäre es doch unmöglich, zu willen , ob diefe oder jene Eigenfchaft mit Wahrheit dem Golde bei. gelegt werden könnte, v.eil die nothwendige Verknüpfung derfelben mit dem fchlechterdin^s nicht voTfiellbaren realen Wefen durchaus nicht erkennbar id.

§. 6.

124 Viertes Buch.

§. 6.

Nur die Wahrheit weniger allge- meiner Sätze von Subftanzen kann erkannt werden»

Wenn auf der andern Seite die Worte der Subftanzen, wie fie follen , blos für Begriffe gebraucht werden , fo laffen fieh aus ihnen doch nur wenige allgemeine Sätze bilden, von deren Wahrheit man geivifs feyn kann. Nicht deswegen, weil das Object , wouuf fie fich in diefem Gebrau- che beziehen , uugewifs ift, fondern weil die bezeichneten Begriffe aus folchen einfachen Vorftellungen beftehen , deren Verknüpfung oder Unvereinbarkeit mit fehr wenigen andern Begriffen eingefehen werden kann.

§. 7*

Die Begriffe der Subftanzen Gnd Inbegriffe von Eigenfchaften , welche die Be- obachtung in einem unbekannten Subftrate, das wir Subßanz nonnen , koexiftirend ee- funden hat. Ob aber noch andere Eigenfcbaf- ten , und welche, noth wendig mit jenen zu- fatnmen exiftiren , können wir nicht gewifs er- kennen, woferne es nicht möglich ift, ihre na- türliche Abhängigkeit von einander zu ent- decken. Diefes ift aber aus den angeführten

Grün«

Sechftes Kapiu-1, I2j

Gründen (4. Buch. 3. Kap. §. 9. ff.) bei t'eu ursprünglichen Eigenfcbaften auF eine febr ein- gefch:änkte Weife und bei den abgeleiteien gar nicht möglieb. Denn I) können wir die reale Natur der Subflanzen nicht, von welcher die abgeleiteten Eigenschaften abhängen. 2) Wenn wir auch diele kennten, fo würden wir dadurch doch keine allgemeine, fondern nur eine Erfahrungserkenntnifs gewinnen, deren Ge- wißheit nur auf jeden Fall der Erfahrung ein« gefchränkt iß. Denn unfer Verftand !:?nn kei- ne denkbare Verknüpfung zv/ifeben einer ab* geleiteten Eigenfchaft und irgend eiuer^Iodifi- cation einer urfprüoglichen Eigen fchaft einfe- hen. Es find allo nur wenige allgemeine Sä- tze von Subftanzen möglich, weiche eine uube- zweifelte Gewifsheit bei fich führen.

§. 8,

Jedes Gold ift feuerbeftändig i(l ein Satz, von deflen Wahrheit man nicht ge- wifs feyn kann, fo allgemein er auch geglaubt wird; denn wenn man das Wort Gold, nach der unbrauchbaren Hypothcfe der Schule, eino Gattung von Wefen bedeuten lüfsr, welche durch ihr reales Wefen beftimraet find, fo weifs man offenbar nicht, wehhe einzelne Subftanzen zu dieTer Gattung gehören; und daher kann Mich'.s mit Gewifsheit in feiner ganzen Allgemeinheit

von

IIb Viertes Buch.

vou dem Golde behauptet werden. Gefetzt aber, das Wo»r. bedeutet mir eine durch das Nornir.alwefen beftimmte Gattung von Weßn, fo läfst Geh zwar ohne Schwierigkeit erkennen, was Gold oder nicht Gold ift, aber es kann keine andere Eigenfchaft mit allgemeiner Ge- wißheit demfelben beigelegt o.ler abgefprochen werden, wenn nicht ihre Ve;knüpfurig oder Unvereinbarkeit mit dem Norniralwefen be- greiflich ift. Das Nominahvefen des Goldes fey zum Beyfpiel diefes, dafs es ein fchlagba- rer, fchrr.elzbarer Körper von einer gewiflen geiben Farbe und einem größern Gewicht, als jeder andere Körper, fey. Die Feueibeftändig- keit ift, fo viel wir entdecken können, weder mit dem Gewicht, noch der Farbe, noch einem andern Merkmale des zufammengefetzten Be- griffs, noch mit allen zufamme:;genOmmen noth- wendi" verknüpft. Unmöglich kann daher die Wahrheit des Satzes, alles Gold ift feuerbeftän- dig, mit Gewißheit erkannt werden.

§. 9.

So ift es mit allen andern Eigenfchaften des Goldes. Ich wünfehte einen allgemeinen Satz aufleben iu können , der eine Ei-jenfchaft des Goldes aiisfagte, d eilen Wahrheit mit Gewiß- heit zu erkennen wäre. Doch ohne Zweifel macht maa den Einwurf: Gold ift durch

das

Seclißes K.i])itel. 12]

das Schlafen ausdehnbar, fey ein all- gemein gewifler Satz. Ich gebe diel; >s zu, wpun dielt Ausdehnbarkeit ein ßeftandiheii dt-s zn'aminengefetzten Begriils ift» welcher durch das \\ ort Gnld ausgedrückt vvird Dann wird aber nichts vom Golde bejahet, fondern nur diefes, dafs dieTes Wort einen Begriir bedeute, in wel- chem die Ausdehnbarkeit durch das Schlagen enthalten fey, ein Satz von eben der Wahr- heit und Gewißheit, als der, ein Centaur ift vieifüfsig. Wenn hingegen die Ausdehnbar- keit kein Beftandtheil des Gattungswefens ift, welches das Wort Gold ausdrückt«, fo hat jener Sjtz keiue Gewifsheit. Denn man begreife in deui zufammeniefetzten Regriile noch fo viele Eigen chaften , mau wird doch die Ausdehn- bai k-it weder von dem InbegrifF, noch von einem Merkmale delh-lben nothwendig ablei- ten können. Ihre Verknüpfung mit denfelben, wenn überhaupt eine ftatt findet, beruhet auf der realen Natur der Elementartheile , die wir nicht kennen.

§. io.

So weit die Koexiflenz der Eigen- fchaften erkennbar iß, fo weit find allgemeine gewiffe Sätze möglich.

Jt mehr folchekoexiftirende Eigenfchaftenin einen lüfauirnengefetitea ßegrill unter ein Wort

zufam-

lag Viertes Buclt.

zufammengefafst werden , clefio ausführlich bcTtimmter wird allerdings die Bedeutung def- felbenj allein es erhalt dadarch in Rückficht auf andere, in dem Begriff nicht enthaltene Ei- genfehaften nicht mehr Empfänglichkeit für all- gemeine Gewifsheit. Wir können ihre Verknü- pfung oder Abhängigkeit unter einander nicht entdecken, weil wir das reale Wefen , in dem fie gegründet find, nicht kenren. Denn die Erkenr.tnifs, in Anfehung der Sv jftmzen , hat nicht, wie bei andern Dingen, blofs das Ver- häitnifs zweier Begriffe, deren Objecte getrennt von einander exiftiren können, fondern gröfs- tentheüs die nothwendige Verbindung und Ko- vi lenz mehrerer verfchiedenen Begriffe oder ihre Unvereinbarkeit in einem Objecte zumGe- gefifia'tade. Könnten wir auf die entgegenge- ferzte Weife verfahren, und zuerft dasjenige entiecken, worin diefe Farbe befteht , was ei- nen Körper leichter oder fchwerer, welche Zu- fauunenfetzung der ßellandlheile ihn fchmelz* bar, feuerbeftändig , ausdehnbar macht; hat- ten wir, fage ich, einen folchen Begriff von diefen Körpern, und könnten einfeheu , wor- in alle finnliche Eigen fchaiien urfpiünglich be- titeben, und wie fie hervorgebracht werden, fo wäre es möglich, Lolche söfiracte Begriffe von ihnen zu bilden, welche Stoff zu einer allgemeinen Erkenntnifs geführten, und all- gemeine Sätze zu bilden, die allgemeine Wahr»

hat

Sechftes Kapitel. 12$

heit und Gewifsheit bei fich führten. Allein da unfere Begriffe von den Subftanzen Geh fo weit von ihrem realen Wefen entfernen, und nur aus einer unvollfiändigen Sammlung der Eigenschaften begehen, welche den Sinnen er- fcluincn, fo lind nur wenige allgemeine Sätze von Snhftanzen möglich , welche Gewifsheit von ihrer realen Wahrheit gewähren, weil es nur einige einfache Vorstellungen- giebt , vom deren nothwer.di er Verknüpfung und Koexi- stenz, wir eine gewifle unbezweifelte Erkennt- nife fi:l en. Ich glaube, dafs unter allen abge- leiteten Eigenfchaften und allen Kräften der Subftanzen nicht zwei können genennt werden, deren nothwendige Koexistenz oder W'iderftreit mit Gewifsheit erkannt werden könnte, aus- genommen die Eigenfchaften , welche Objecte eines und deilelhen Sinnes find, wo eine die andere ausTchliefst, Niemand kann aus der Farbe eines Körpers mir Gewifsheit erkennen, von welchem Geruch, Gefchinack oder Gefühl er ift, oder welche Veränderungen er von an- dern erleiden, oder in andern hervoibnngea kann. Eben das lä!st fich auch von den Tö- nen, von^deu GtTihmacksempfindungen Tagen, Da nun die Begriffe, welche die fubihantielleri Wörter ausdrücken , aus folchen Vorftelhingen bcfiehen , fo darf man fich nicht wundern, Wenn wir aus ihnen nur wenige allgemeine I Sätze von unbrzweifclter realer Gewifsheit bil- Loekc '■.-. III. TheiJ. I ^den

13© Tiertes Buch.

den können. Infofern aber ein folcher Begriff eine einfache Vorftellung enthielte, deren noth- wendige Verknüpfung erkennbar wäre, info- fern könnte man davon einen allgemeinen Satz mit Gewifsheit bilden. Könnte z. B. diefes Verhältnifs zwifchen der Ausdehnbarkeit des Goldes und der Farbe oder deuiGewichtdeflelben, oder einem andern Merkmal des zufamraenge- l'etzten Begriffs entdeckt werden , fo würde der Satz, jedes 'Gold ift ausdehnbar, eben diefelbe allgemeine reale Gewifsheit und Wahrheit befitzen, als der, in einem ge- radlinigen Dreieck find die drei Winkel zweien rechten gleich»

§♦ ili

Die Ei genrehaften, welche die Begriffe von Subftanzen ausma- chen, hängen m ei fientheils von äufsern entfernten und nicht er- kennbaren Ui fachen ab.

Wären unfere Begriffe von Subftanzen von der Art, dafs wir durch fie erkennten , welche xeale Natur die finnlichen an ihnen beobachte- ten Eigenfchaften hervorbringe, und wie fie daraus entliehen , fo könnten wir ihre Eigen- fchaften und Befchaffenheiten durch die Gat- tungsbegriffe von ihrem realen Wefen a prio-

Sechftes Kapitel. 13 t

i i *) mit mehr Gewißheit entdecken , als jetzt durch die Sinne möglich ift. Zur Erkenntuifs der Figenfchaften des Goldfs würde fo wenig die Exiftenz defTeiben oder die Anftellung von VerTuchen nöihig feyn , als die Erkenntuifs der Eigen (chatten des Triangels diefes erfodert, da dellen Begriff beides erfetzt. Allein die Natur läfst uns fo wenig in ihr inneres HeiJigthum blicken , dafs wir uns kaum dem Eingange def- felben nähern können. Denn wir pflegen jede Subftanz, die uns vorkommt, als ein vollftän- diges für fich begehendes Ganze zu betrach- ten , welches alle feine Eigenfchaften in fich felbft , unabhängig von allen andern Dingen^ habe. Hierbei wird gröfstentheils die Einwir- kung unüchtbarer Flüfligkeiten überfeben, wel- che die Subftanzen umgeben; iind doch hängt von der Bewegung und Wirkungsart dieler Flüfligkeiten der gröfste Theil der Eigenschaf- ten ab, welche an den Subftanzen beobachtet, und von uns zu innern Unterfcheidungsmerk- malen gemacht werden. Ein Stück Gold, ifo- lirt und von allein Einflufs anderer Körper ge- trennt, wird unmittelbar alle Farbe, alles üe-

I 2 wicht

*) Locke fagt : in our o w n minds, Wai man analviilcli aus dem Be-iiilTe fchliefst, oline die Anfchauung zu Hülfe zu nehmen. Diefes liefs iicli feicht belTer , als durch den Aiudiuck a prior i übexlcuen.

132 Viertes Buch.

wicht -verlieren , und vielleicht verwandelt fich fogar die Schlagbarkeit in eine vollkommene Zerreiblichkeit. Das Waller , in dem die Fiiif- figkeit eine vvefentliche Eigenfchaft ift, würdet fich felbft überlaflen, aufhören, flüffig zu feyn. Wenn die leblofen Körper zum Theil ihren gegenwärtigen Zuftand andern fie umgebenden Körpern fo fehr verdanken , dafs nach Entfer- nung diefer fie nicht mehr feyn würden, was fie uns jetzt erfcheinen, fo ift diefes noch mehr der Fall bei den Pflanzen , Welche in unauf- hörlichem Wechfel ernährt werden, wachfen, Blätter, Blumen und Saamen erzeugen. Und bei unfrer Unter fuchung des Zuftandes derThie- re werden wir finden, dafs fie in Rückficht auf Leben , Bewegung und die wichtigften Eigen- schaften fo fehr von äufsern Urfachen und den Eigen fchaften anderer Körper abhängen , die nicht zu ihren Beftandtheilen gehören , dafs fie keinen Augenblick ohne fie beftehen könnten. Gleichwohl entgehen diefe Körper der Beob- achtung, und werden nicht mit in die zufanv mengefetzten Begriffe von den Thieren aufge- nommen. Die meiften Thiere verlieren Em- pfindung, Leben und Bewegung, wenn fie nuf eine Minute in einen luftleeren Raum gebracht werden. Diefe Erkenntnifs hat uns die Not- wendigkeit des Athemholens aufgedrungen. Allein wie viele andere äufsere und vielleicht fehr entfernte Körper mag es nicht geben , von

d§»

Seclutes Kapitel. 133

denen das Triebwerk diefer bewunderungswür« digen Mafchinen abhängt, die man gewöhnlich nicht, beobachtet , an die man nicht einmal denkt? Wie viele derfelben kann vielleicht die fchärffte Unterfuchung nicht; entdecken ? Die Bewohner diefes Punkts des Uuiverfums, die fo viele Millionen Meilen von der Sonne ent. fernt find, hängen doch febr von dem gehöri- gen Grade der Bewegung der Lichttheile ab, •welche von diefem Körper herkommen, oder in Bewegung gefeUt werden, dafs, wenn die Erde nur ein wenig von ihrer Stelle verrückt würde , und fich der Quelle der Wärme ein we- nig mehr oder weniger näherte, wahrfcheinlich der giöfste Theil der Thiere fogleich umkom- men würde , da fchon die Gefchichte lehrr, dafs einige durch einen hohem oder kleinern Grad der Sonnenwärme, dem Ge eine zufällige Lige auf diefer Erdkugel ausfetzte, zerftöhret wurden. Die beobachteten Eigenfchaften des Masnets müfTcn ihren Grund weit außerhalb den Grenzen diefes Körpers haben. Die öftere Verwüftung unter gewilTen Thieraiten durch. unHchibare Urfachen , der gewilTe Tod, dein einige, wie man fagt, ausgefetzt find, wenn fie die Mittagslinie pafliren, oder, welches gewilTer ift, wenn fie in ein benachbartes Land gebracht werden, zeigt offenbar, d.ils die Mit- wirkung verfchiedener Körper, mit denen fie, wie man uicilientbeils glaubt, gar nichts zu

1 5 thun

134 Viertes Buch.

thun haben , fchlechterdings erforderlich ift, "Wenn die ErTcheinungen und Eigenfchaften fortdauren Collen, an denen Ce erkannt und un- terfchieden werden. Wie weit verirren wir uns alfo von dem Wege, wenn wir rneynen, die Eigenfchaften, welche uns an den Dingen erfcheinen , wären in ihnen felbft enthalten; und wie fruchtlos fuchen wir in dem Körper der Fliege oder des Elephanten diejenige Na- tur, von welcher die Eigenfchaften und Kräfte diefer Thiere abhängen ? Um Gerecht zu begrei- fen, dürfte es daher vielleicht nöthig feyn, nicht nur über unfereErde und ihreAtmofphäre.fondeTji auch über die Sonne und den entferntesten Stern, der bisher entdeckt worden , binauszufehen. Denn die Grenzen des Einilufles verborgener Ürfachen auf das Seyn und das Wirken einzel- ner Subftanzen auf unferm Planeten laflen (ich von uns nicht beftimmen. Wir beobachten einige gröbere Bewegungen und Wirkungen der Dinge um uns, woher aber die Ströme kom- men , welche, dafs ich fo fage , die bewunde- rungswürdigen Räder in Bewegung fetzen und erhalten , wie fie geleitet und modificirt wer- den, dies überßeiget alle uufere Begriffe und Kenntniile, Die grofsen Theile und Triebwer- ke des erftaunlichen Gebäudes des Weltalls können in Anfehung des Einfluffes und der Wirkfamkeit in folcher Verknüpfung und Ab- hängigkeit unter einander ftehen, dafs vielleicht

eini-

Sechßes Kapitel. 135

einige Dinge auf unfermiErdkörper eine ginz andere Geftalt und Natur annehmen würden, wenn einer von den unennefslich weit entfern- ten Sternen aufhörte zu feyn , und auf feine gegenwärtig beftimmte Weife Geh zu bewegen. So viel iftgewifs, dafs fo vollftändige und ifo- lirte Ganze uns einige Dinge fcheiuen, fiedoch andern Theilen der Natur als Mittel zu dem, was wir am meiften bei ihnen wahrnehmen, dienen muffen. Ihre in die Sinne fallende Ei- gen Tchaften, Thätigkeiten und Kräfte find in etwas aufser ihnen gegründet. Die Natur bat kein fo vollftändiges und vollkommenes Wefen aufzuweifen , welches nicht fein Dafeyn und feine Vorzüge der Nachbarfchaft zu verdanken hätte. Wir dürfen mithin unfer Denken nicht auf die Oberfläche eines Körpers einfehränken, fondem muffen viel weiter forfchen , wenn wir feine Eigenfchaften vollkommen umfallen wollen,

§. 12.

Da diefes fo ift, fo darf es nicht befremden, dafs wir fo unvollkommene Begriffe von Subftauzen haben, und das reale We- fen, wovon ihre Eigenfchaften und Wirkungen abhängen, nicht kennen. Wir können nicht einmal die Grofse, Gefblt und die Structur ih- re: kleinen Eleinentartheile, noch weniger die

I 4. Ein-

13'j Viertes Buch,

Eintlüffs und Einwirkungen frpmder Körper fftif fie erkennen, wovon die bernerkenswertheften Ei^erifchatien und Merkmale ihrer zufammenge- fetzten Begriffe abhängen. Diefe Betrachtung allein verübt jede Hoffnung, ihr reales Wefert je zu begreifen* in ihrer Nichiigkeit darzultel« len. Das iNominalwefen , welches in Erman- glung des erftern d eilen Stelle vertreten rnufs, kann uns aber nur in geringem Maafs allge- meine Erkenntnifs und allgemeine gewiffe Sätze von den Subftanzen ge- währen,

§. %&

Urtheile reichen weiter, aber fia find noch keine Erkenntniffe.

Man darf lieh daher nicht wundern , wenn nur in wenigen allgemeinen Sätzen, welche die Subftanzen betreffen , G e w i f s h e i t zu finden jft. Die Erkenntnifs ihrer allgemeinen und ei-- genthümlicben Eigenschaften reicht feiten über den Wahrnebmungskreis und das hinaus, was uns die Sinne von ihnen lehren. Es ift zwar möglich, dafs IVIänrrer von Forfckungs - und Beobachtungsgeift durch ihre fcharfeBeurthei- lungskraft weiter eindringen, und, geftützt auf \V,ihrfcheinlichkeiten, als Refultate forgfältiger Beobachtung, und auf foharflinnige Kombina- tion von AYinken'oft richtig treffen, was ihnen

die

See!) fies Kapitel. J3?

die Erfahrung noch nicht entdeckt hatte. Al- lein dies find doch blos Muthraaflungen und ein Meynen, welches nicht die" Gewifs- heit hei Geh führt, welche zur Erkenntnifg erforderlich ift. Denn alle unfere allgemei- ne Erkenntnifs gründet Geh auf unfer eig- nes Denken, und auf die blofse Betrachtung unfrer abftracten Begriffe. Wo ihre Einftim- inuns oder [\ichteicftimmun2 wahrgenommen wird, da findet allgemeine Erkentitnifs ftatt, und wo ihre Sprachzeichen nach diefem Verhältnifs in Sätze verbunden werden, da können wir mit Gewifsheit von allgemeinen Wahrheiten fpre- chen. Weil aber die abftracten Begriffe von Subftanzen, welche die Gattungsworte bezeich- 11t n, wenn diefe auch eine deutliche und be- Aftnmte Bedeutung haben, doch nur mit wenig andern Begriffen in dem Verhältnifs flehen, dafs ihre Verknüpfung oder Unvereinbarkeit ein- leuchtet, fo ift die Gewifsheit allgemeiner Sä- tze von Subftanzen, in diefer Rückücht, wei- che den Hauptpunkt bei diefen Unterteilungen ausmacht , fehr mangelhaft und eingpfchiäukt. Und kaum werden wir von einem Wort für Subftanzen, der dadurch ausgedrückte Begriff enthalte, was er will, mit allgemeiner Gewifs- heit erkennen können , dafs diefe oder jene andere Eigenfchaft dem Begriffe angehöre, mit dem Felben in beftündiger Verbindung oder im Wideripruche liehe.

1 5 §,14.

IoS . Viertes Bach.

§. 14.

Er fordern iffe der Erkenntnifs der Subftanzen.

Ehe wir eine erträgliche Erkenntnifs von dieferi Gegenftänden erlangen köunen , muffen wir z u e r ft wiffen , welche Veränderun- gen die urfprünglichen Eigenfchaf- ten des einen Körpers in denen ei- nes andern regelmafsig, und wie fie diefelbeu hervorbringen; zweitens, welche u r fpr ü ngliche Eigenfchaf- ten des einen Körpers gewiffe Em- pfindungen oder Vor Heilungen in uns hervorbringen. Diefes ift in der That nichts geringeres , als alle Wirkungen der Materie unter den verfchiedenen Modificatio- nen ihrer Gröfse, Geftalt, des Zufammenhangs der Theile, der Ruhe und Bewegung zu er- kennen» Jedermann mufs aber eingeftehen, dafs diefes ohne Offenbarung für uns ganz un- möglich ift. Gefetzt auch, es würde uns offen- baret, welche Art von Geftalt , Gröfse und Be- wegung der feinften Körpertheilchen in uns die Empfindung der gelben Farbe hervorbrin- ge, welche Art von Geftalt, Gröfse und Ge- webe der Theile auf der Oberfläche eines Kör- pers jenen Theilen die gehörige Bewegung zur HervorbringuDg jener Farbe geben könnte, fo ift diefes doch noch nicht hinreichend, um allge-

mei-

Sechftes Kapitel. 139

meine gewiffe Sätze von den verfchiedenen Arten diefer Dfnge zu bilden , wenn nicht im- fer Erkenntnisvermögen fo fcharf eindringend ift , dafs es die Gröfse, Geftalt , Structor und Bewegung der Körper in ihren kleinften Be- ftandtheilen , wodurch fie auf unfere Sinne wirken , auf das beftiinmtefte wahrnehmen kann, und uns in den Stand fetzt, daraus ab- firacte Begriffe zu bilden, Ich habe mich hier blos auf körperliche Subflanzen ein- gefchränkt, weil ihre Wirkungen der Wahr- nehmungoffener darzuliegen fcheinen.Denn was die Wirkungen der geiftigen Subftanzen, fo* wohl ihr Denken, als die Bewegung der Kör- per, betrifft, fo fällt unfer Unvermögen, lie zu begreifen, fogleich in die Augen, Wenn wir jedoch die Betrachtung der Körper und ih- rer Wirkungen mit etwas mehr Aufmerkfam- keit erwägen , und unterfucheu , wie wenig fich die Begriffe von diefen Gegenftänden mit einiger Klarheit über die Thatfachen hinaus erweitern, fo werden wir vielleicht geftehen muffen , dafs unfere Entdeckungen auch in diefem Felde nur wenig über die Grenzen der vollkommenen Unwiffenheit und desUnvermöjj gens fich erheben, I

§. »5.

14-8

Viertes Buch«

So viel ift einleuchtend, ihh die abflractea BesTÜTe von Subftanzen, welche durch die Ge- fclilechtsworte ausgedrückt werden , ihr reaJes Wefen nicht enthalten; und daher allgemei- ne Gewifsheit nur in geringem Umfange gewähren! Denn dasjenige, welches der Grund der Eigen fchaften ift , welche wir an ihnen beobachten , und worüber wir belehrt feyn wollen, dasjenige, womit diefe in engfter Ver- bindung flehen , fchliefsen fie nicht ein. Der Begriff, den wir gewöhnlich mit dem Wort Menfch verknüpfen, eathalte z. B. folgende Merkmale: ein Körper von regelmäßiger Bil- dung, mit Empfindung, willkührlicher Bewe- gung und Vernunft, fo ift diefes der abftracte Begriff, und folglich das Wcfen der Gattung Menfch. Es find aber nur wenige allgemeine gewifTe Sätz,e möglich, welche den Menfchen zum Gegenftande haben, weil wir das reale Wefen, ven welchem tlie Empfindung, die will- lu'ihrliche Bewegung , Vernunft, mit der auf« fern Bildung abhängen, und wodurch fie in demfelben Übjecie zufammen vereinigt find, nicht wiffen, noch von vielen andern Eigen- fchaften erkennen können, daf> fie mit diefeui in noth wendiger Verbindung ftehen. Daher "Können folgende Sätze : Alle Menfchen fchlafeu von Zeit zu Zeit; kein

Menfch

Sechfies Kapitel. l + i

Menfch kann fich von Holz oder Steinen nähren; alle Tlpufchen wer- den durch Schierling vergiftet, nicht mit Gewifsheit behauptet werfen. Wir müf- fen in diefen und ähnlichen Sätzen uns auf Verfuche an einzelnen Subjecten berufen , die nicht weit reichen, urd übrigens mit Wahr- fcheinlichkeiten zufrieden feyn , aber keinen Aufbruch auf allgemeine Gewifsheit machen, weil in dem Gattungsbegriff vom Men.'chen nichts vom realen Wefen, der Quelle, welche alle unzertrennlicheEigenCcbaften desMenfchen in fich vereiniget, nichts enthalten ift. Da diefer Begriff nur eine unvollftändige Sammlung von einigen finnlichen Eigenfchaften und von Kräften des Menfchen enthält, fo läfst fich weder Verknüpfung noch Widerspruch zwi- fchen dem Gattungsbegriff und den Wirkungen der Steine oder des Schierlings auf feine Natur deutlich folgern. Es gieht Threre, welche Schierling ohne Nachtheil geniefsen , andere, die fich von Holz oder Steinen nähren. So lange wir aber keine liegrille von dem realen Wefen diefer 1 hierarten haben, dürfen wir auf keine allgemeine Gewifsheit in folchen Sä- tzen Rechnung machen. Solche Sätze find nur bei denjenigen Begriffen möglich, welche mit . dem Norr.inalwefen oder einem Theile defielben in einem erkennbaren Verhähnille ftehen. Die- fer Sätze giebt es aber fo wenige, und fie lind

von

142 Viertes Buch.

von fo wenig Bedeutung, dafs wir mit Recht ünfere gewiffe allgemeine Erkennt- nifs von Subfta n'z en für wenig m eh r, als N u 1 1, ' a n-f e h e n können,

R e f u 1 t a t.

Ich ziehe hieraus das Refultat, dafs all» gemeine Sätze jeder Art nur dann einer G e w i f s h e i t fähig find, wenn die durch Wor- te h. zeichneten Begriffe von der Art find , dafs ihre Einftimmung oder Nichteinftimmung, fo wie fie ausgedrückt ift , von uns einge- fehen Werden kann. Und wir find dann von ihrer Wahrheit oder Falfchheit gewifs, wenn wir einfehen , dafs die ausgedrückten Begriffe in dem Verhaltniffe entweder über- einftimmen, oder mit einander ftreiten , als fie von einander bejahet oder verneinet werder* Hieraus erhellet, dafs die allgemeine Ge- wi fsh ei t nirgends* als in unfern Begriffen, zu finden ift. Wenn wir fie Wo anders in Erfah- rungen und Beobachtungen füchen, foerftreckt fich unfere Erkenntnifs nicht weiter , als auf einzelne Fälle» Die Betrachtung unfrer eignen abftrackten Begriffe kann uns nur allein feine allgemeine Erkenntnifs gewähren.

Sie.

»43

Siebentes Kapitel.

Von Gruiidfätzett.

Grund fätze find unmittelbar evi- dente Sätze.

H.s giebt eine Art von Sätzen, welcbe untet dem Namen von A x i o m e n oder G r u n d Ta- tzen (inaxims) für Principien der Wiffenfchaft, und Weil fie dur cb fich fr»I h ft ein leuch- te n d find, fiir angeboren find gebalten wor- den. So viel ich weifs, ift noch niemand auf den Gedanken gekommen , die Urfache und den Grund diefer Evidenz und Notwendigkeit aufzuziehen. Worin ihre Evidenz gegründet ift, ob diefe ihnen allein eigentümlich ift, welchen Einfiufs Ge auf unfere ganze Erkennt- nifs haben, diefcs find alfo Fragen, welche der. Ünteifuchung nicht unwürdig find»

Die Eikenntnifs beftehet, wie gezeigt wor- den , in der Wahrnehmung der Einftimraung oder Nichteinftimmung der Begriffe, Wo diefe

ütt-

14+ Viertes Buch«

unmittelbar durch fich felhft, ohne Vermitte- lung anderer Begriffe, wahrgenommen wird, da ift unfreErkenntnifs unmittelbar evident. Um Och davon zu -überzeugen , darf man nur einen lolcheu Satz betrachten, dem man ohne Beweis, fo bald er vorgelegt wird, beiftimmet^ es wird fich nehmlich zeigen r dafs der Grund cliefer Beiftiminüng in der Einitimmung .oder Nichteinftimmung lieget, welc! e das Gemüth, einftimmig mit der Bejahung oder Verneinung in dem Satze, in den Begriffen durch ihre un- mittelbare Vergleichuuo fiudet.

§• 3-

Die*fe unmittelbare Evidenz ift den vermeinten Grundsätzen nicht au&fchliefslich eigen.

Hierauf wollen wir fogleich uDterfuchen, ob (liefe unmittelbare Evidenz nur allein denje- nigen Sätzen eigen ift, welche gewöhnlich un- ter dem Namen von Grund falzen im Umlaufe find, und den Rang von Axiomen erhalten ha- ben. Es ift uniäugbar, dafs verfcljiedene an- dere Wahrheiten, welche nicht für Axiome jgelten , eben diefelbe unmittelbare Evidenz bei fich führen. Davon wird uns eine Ueberficht der verfchiedenen Arten der Einftimmung und Nichteinftimniung, nach den oben feftgefetztert Gelichtspunkten, Identität, Verhähnifs, Kocxi-

^ fterjÄ

Siebentes Kapitel. 145

flenz und reale Exiftenz überzeugen, und meh- rere , ja unehliche Satze diefer Art aufweifaa.

§• 4.

In Rückficht auf Identität und V er« fchiedenheit haben alle Satz« gleiche unmittelbare Evidenz.

I, Die unmittelbare Wahrnehmung derEin- Itiinmung Bnd Nicbteinftimmung in Rückficht auf Identität gründet fich darauf, dafs der Ver- ftand verfchiedene Begriffe bat. Diefes ge- währet uns fo viele unmittelbar evi- dente Sätze, als wir verfchideueBe- gTJffe haben. Jeder Menfch, der nur Er- kentjtnifs überhaupt hat, mufs als die erfteBe- dingung derfelben, mannigfaltige verfchiedene Begriffe haben, und die erfle Handlung des VerQandes, ohne welche gar keine Erkennt- nifs möglich ift, beftehet darin, dafs man fich jedes Begriffs für fich hewufst wird , und ihn von andern unterfcheidet. Jedermann findet in fich felbft, dafs er feine Vorftellungen vviffe; dafs er wiffe, ob eine in dem Bewufstfeyn ift, und was Ge ift, und wenn mehrere im Bewufst- feyn find, dafs er fich deutlich derfelben be- wufst ift, ohne eine mit der andern zu ver- wechsln. Da diefes allezeit fo ift, (denn es ift unmöglich, das, was man fich vorftellt, fich nicht voTzuftellen.) fo kann, wenn eine Vor- LockeY Hf Theil. K fiel-

2^5 Viertes Buch.

ftellung in dem Bewufstfeyn ift, nie ein Zwei- fel darüber entßehen , dafs fie in demfelben, und dafs fie die Vorftellung ift, die gegenwärtig ift, alfo auch, wenn zwei verfchiedene Vorftel- lungen im Bewufstfeyn find , dafs fie verfchie- dene und nicht eine und diefelbe Vorstellung find. Alle diefe Bejahungen und Verneinungen verftatten keinen Zweifel, keine Ungewifsheit, kein Bedenken; fie muffen zugeftanden werden, fobald al9 man fie verfteht, das iß, fohald, als die Vorftellungen in dem Bewufstfeyn find, wel- che die Worte in den Sätzen bezeichnen. Wo daher der Veifiand einen Satz mit Aufmerkfam« keit betrachtet , fo dafs er einfieht", zwei Be- griffe, durch Worte ausgedrückt, and von ein- ander bejahet oder verneinet * find identifch. oder verfchieden, fo ift er fogleich und untrüg- lich von der Wahrheit eines folchen Satzes überzeugt, und zwar ohne Unterfchied, ob der Satz allgemein oder particulär ift, Z, B. wenn der allgemeine Begriff des Seyns, oder ein par- ticulärer Begriff von (ich felbft bejahet wird, was ift, das iß, oder ein Menfch ift ein Menfch, was weifs ift, ift weife; oder wenn der Begriff des Seyns von dem Nicht- feyn , (dem einzigen, der dem Begriff des Seyns entgegengefetzt ift,) der Begriff von einem ein- zelnen Wefen von einem anderen verfchiede- nen verneinet wird, wie in den Sätzen: es unmöglich, dafs daffelbe Ding

fey

Siebentes Kapitel. 147

TeV und dicht fey ; ein Menfch ift keinl'ferd; roth ift nicht hl au. Die Veifchiedenheit deT Vorftellungen macht, fobahi als man die Ausdrucke verlieht, die Wahrheit des Sattes gleich anfchaulich, und zwar mit gleichem Grade der Leichtigkeit und Gewißheit, fowohl bei allgemeinen , als bei particulären Satten, und aus eben denselben Gtunde, weil der Verftand einüehet , dais eine Vorftellung mit fich fdbft identifch, und dafs zwei verfchie- dene verfchieden und nicht einerlei lind. Die zwei allgemeinen Sätze: was ift, das ift^ und unm-Ö glich kann ein Und dallel- be Din» feyn und nicht f e y n , haben alfo kein ausfchliefsliches Recht auf dje unmit- telbare Evidenz. Der Begriff des Seyns und des Nichtfeyns gehört nicht mehr den fchwan- kenden Begriffen, welche die Worte Etwas und Ding ausdrücken, als andere an. Man kann den Inhalt jt'ncr allgemeinen Sätze kurz fo ausdrücken: einerlei ift einerlei; ei- nerlei ift nicht verfchieden; Wahr- heiten , welche such aufser diefen allgemeinen Sätzen in weniger allgemeinen Fallen und eher tprkanrt wurden, als mau noch an jene allge- meine Sätze redacht hatte , weil fie fich bl03 auf das Unter feheiden veifchiedener VorHetlun- gen gründen. Fs ift hüchft einleuchtend, dafs der Verftand ohne VermilteluDg eines BeWfiTes oder der Reflexion auf jene allgemeine Sätze

K. 2 mit

145 Viertes Buch.

mit folcher Klarheit wahrnimmt, und mit fol- cher Gewifsheit erkennt, dafs die VoTftellung des Weifsen, die Vorftellung des Weifsen und nicht des Blauen ift, und dafs diefe Vorftellung, wenn fie in dem Bewufstfeyn ift, gegenwärtig und nicht abwefend ift, dafs die Betrachtung jener Grundsätze zur Evidenz und Gewifsheit diefer Sätze nicht d3s geringfte hinzuthun kann. Gerade fo ift es mit allen Vorftellungen, deren ficb einer bewufst iß, wie ihn das Selbftbe- wufstfeyn lehrt; er erkennt, dafs jede Vorftel- lung diefelbe, und keine andere, dafs üe vor- handen , und nicht abwefend ift , mit einem Grad von Gewifsheit, der nicht grofser feyn kann. Die Wahrheit eines allgemeinen Satzes kann daher mit keiner gröfsern Gewifsheit ein- gefehen werden , noch die Gewifsheit anderer Sätze vermehren. Unfere unmittelbare Erkennt- nifs ftehet alfo in Rückficht auf Identät in glei- chem Verhähnifs mit der Anzahl unferer Vor- ftellungen , und wir können fo viele unmittel- bar einleuchtende Sätze bilden , als wir Worte für verfchiedene Vorftellungen haben. Ich be- rufe mich auf die Entfcheidung jedes denken* denWefens, ob nicht der Satz: ein Zirkel ift ein Zirkel, ein fo unmittelbar einleuchten- der, als der aus allgemeinern Ausdrücken he- ftehende ift , was ift, ift, und ob der: Blau ift nicht Roth, nicht eben diefelbe unbe- zweifelte Gewifsheit bei üch führet, fo bald

di§

Siebentes Kapitel. 149

die Ausdrücke verftanden werden , als der Grundfatz des Wider fpr uchs.

§.5-

In Rückficht auf Koexiftenz giebt es nur wenige unmittelbar ein- leuchtende Sätze.

II. Was die Koexiftenz, oder diejenige nothweudige Verknüpfung zwifcheu Begriffen betrifft, dafs, wenn einer in einem Subjecte an- genommen wird, der andere nothwendig ge- fetzt werden mufs, fo hat der Verftand nur bei wenigen Vorftellungen das unmittelbare Be- wufstfeyn von diefer Einftimmung oder Nicht- einftimmung. Die unmittelbare Erkenntnifs ift in diefem Punkte von kleinem Umfange, und es giebt daher hier nur wenige Sätze von un- mittelbarer Evidenz, aber doch einige. Z. B, da der Begriff von Erfüllung eines Raums, der dem Umfange der Oberfläche gleich ift, mit dem Begriffe eines Körpers verknüpft ift, fo ift es, wie ich glaube, ein Satz von unmittel- barer Evidenz, dafs zwei Körper nicht in demfelben Räume fe)n können.

K 5 §. 6,

jye ■_ Viwtcs Buch.

§. 6.

In Beziehung auf andere Verhält- niffe find folche Sätze möglich.

III. Was die VerhaltriiTe der Beftimmungen betrifft, fo haben die Mathematiker mehrere Axiome nur allein in Beziehung auf das -Ver- hältnifs der Gleichheit gebildet; z. B. wenn mau Gleiches von Gleichen nimmt, fo bleibt Gleiches übrig. Diefe und ähnliche von de« Mathematikern als Grund- fätze angenommene, find unftreitig unbezwei* feite Wahrheiten; demungeaehtet wird man nach näherer Betrachtung finden, dafs fie nicht mehr uumittelbaie Evidenz bei fich führen, als folgende: 14-1 —~2l wenn man von den fünf Fingern der einen, und von den fünf Fingern der andern Hand zwei wegnimmt, fo ift die Summe der übrig bleibenden an beiden gleich, Diefe und taufend andere Sätze von Zahlen laf- fen fich auffinden, welche, fobald man fie hö- ret, den Beifall erzwingen, und wo nicht gröf- fere, doch gleiche Klarheit, als die matheuia- tifchen Axiomen, bei fich führen,

§. In Beziehung auf reale Exiftenx haben wir keine.

IV. Da die reale Exiftcnz in keiner Ver- knüpfung mit irgend einem unferer Begriffe fle- het,

Siebentes Kapitel. 151

het, als mit dem Begriff unfers Selbft und mil- dem des erften "Wefeas, fo haben wir von der realen Exiftenz anderer Wefen keine demOn- ftrative, noch weniger unmittelbare Erkennt- nis. Hier finden alfo keine Grundfatze ftatr.

Jene Axiome haben keinen grof- fen Einflufs auf unfere übrige Er ken n tnifs«

Jetzt muffen wir unterfuchen, welchen Ein- flufs diefe angenommenen Grundfatze auf andere Theile unfrer Erkenntnifs haben. Die in den Schulen angenommene Regel, dafs fich alles Rafonuement auf vorher erkannte und eingeftandene Satze gründe , fcheint diefe Grundfatze als das Fundament aller Er- kenntnifs und als V orke n n tniffe (praeco- gnita) zu betrachten. Man will dadurch , wie ich glaube, zweierlei behaupten, 1) dafs diefe Grundfatze Wahrheiten find, welche dem Ver- ftande am erften bekannt werden ; 2) dafs von ihnen alle übrige Erkenntnifs abhän- gig, »Ct.

M $. P.

\

152 Viertes Buch.

Sie find nicht die am erften er- kannten Wahrheiten.

I. Da fs fie nicht die erften vom Ver- ftand erkannten Wahrheiten find, ift aus der Erfahrung klar, wie wir an einem andern Orte gezeigt haben. (I.Buch, 2. Kap.) Wer fiehet nicht ein, dafs ein Kind lange zu- vor, eheesrdeu Sau: Ein Ding kann unmöglich feyn uud nicht feyn, gewufst hat, mit Gewifs- heit erkennet, dafs ein Fremder nicht feine Mutter, dafs fein Saugfläfchgen nicht eine Ru- the ift ? Wie viele Wahrheiten von Zahlen lerut nicht der Verftand vollkommen kennen, und wird von ihnen völlig überzeugt, ehe er noch an die Grundfätze gedacht hat, auf wel- che die Mathematiker jene zuweilen in ihrem Räfonnement zurückführen ? Der Grund davon ift fehr leicht einzufehen. Denn der Beifall der folchen Sätzen gegeben wird, wird dem Verftande durch nichts anders abgenöthiget, als durch die Wahrnehmung der Einftimmung oder Nichteinftiramung der Begriffe, fo wie fie in verftändlichen Worten von einander bejahet oder verneinet werden. Und da jede Vorftel- lung für das, was fie ift, und zwei verfchiede- ne für nicht ideutiTche erkannt werden, fo muffen nothwendig diejenigen Wahrheiten von unmittelbarer Evidenz zuerft erkannt werden,

welche

\

Siebentes Kapitel. l53

welche folche Vorftellungen enthalten, die zu erft in d*s Bewufstfeyn kommen. Diefes find aber offenbar \ orftellungen von individuellen Dingen, von welchen der Verftand durch all- mähüge Stuften zu allgemeinern fortgehet; und diefe werden von fehr bekannten, öfters vor- kommenden Ohjecten der Sinne abgezogen, und mit Worten verbunden. So werden zuerft individuelle Vorftellungen aufgenommen und unterfchieden, nächft diefen weniger allgemei- ne Gattungs- und ArtbegrifFe, die fich zunächft an das Individuelle anfchliefsen ; und fo ft e i g t die Erkenntuifs von dem Einzel- nen zu dem Allgemeinen. Denn die abftracten Begriffe find Kindern und im Den- ken ungeübten nicht fo geläufig und fafslich, als concrete Vorftellungen. Wenn fie- Erwach- fenen fafslicher find, fo macht es der beftändi- ge und öftere Gebrauch. Die allgemeinen Be- griffe find eigne Producte des Verbandes, wel- che immer mit Schwierigkeiten verwickelt find, und fich nicht fo leicht darfteilen , als man glaubt. Denn erfordert es z. B. nicht eine ge- wifle Art von Anftrengung und Kunft, den all- gemeinen Begriff von Triangel zu bilden, der doch noch keiner von den abftracteften, um- fairendften und fchwierigßen ift ? Denn der Triangel im Allgemeinen darf weder ftumpf, noch rechtwinklicht, weder gleichfchenklicht, noch gleichzeitig, noch ungleichfeitig; er mufs

h 5 zu

i

154 Viertes Buch,

zu gleicher Zeit alles, und nichts von diefeir feyn ; er ift in der That etwas Unvollftändiges, das nicht wiiklich exiftiren kann, ein Begriff, in dem die Merkmale mehrerer verfchiedener und unvereinbarer Begriffe vereiniget find. Es ift wahr, der Verftand kann in feinem gegen- wärtigen Zuftande der Unvollkommenkeit die- fer Begriffe nicht entbehren, und er ftrebt da- her nach ihnen, fo fehr er kann, theils die Er- kenntnis zu erweitern , theils ihre Mittheilung zu befördern, Indeffen hat man doch ÜTfache, Jie als Reweife unferer Vn Vollkommenheit zu betrachten. Zum wenigften ift doch diefes hin- länglich gezeigt worden, dafs die abftracteften und allgemeinften Begriffe nicht diejenigen find, mit denen der Verftand am erften und leichte- ficn bekannt wird»

§. Io,

Andere T heile der Erkenntnif* küngen von ihnen nicht ab.

II, Aus dem Gefügten folgt unmittelbar, dafs jene gepiiefene Grundfätze keinesweges das P r i n c ip und Fundament aller un- ferer Erkenntnifs find. Denn wenn es viele andere Wahrheiten von eben fo grofser unmittelbarer Evidenz, wenn es viele andere giebt, die vor diefen Grundfatzen erkannt wer- den, iß künnen diefe unmöglich die Principe

fc

Siebentes Kapitel. 155

feyn , von welchen alle übrige Wahrheiten ab- geleitet werden müfsten. Kann die Wahrheit des Satzes: I 2 5, nicht 3nders, als ver- möge des Grundratzes, das Ganze ift al- len feinen T heilen zufamtnengenom- in e n gleich, erkannt werden ? Viele wif- fen , dafs eins und zwei gleich drei ift, ohne jenen Grundfatz oder einen andern, aus dem er bewiefen werden könnte, gehört, ohne an denfelben gedacht zu haben: iie willen es fo gewifs , als rur je ein Menfch willen kann, dafs das Ganze gleich ift feinen Theilen, und aus demfelben Grunde der Evidenz. Denn die Gleichheit beider Begriffe ift ohne einen Grund- fatz offenbar und einleuchtend , als mit dem- Telben, dafs es keines Beweifes bedarf. Wenn man den Grundfatz; das Ganze ift gleich allen feinen 1 heilen, verftehet, fo erkennet man deshalb nicht beiler oder gewiiler den Satz: i ^. 2 z J. Wenn ja noch ein Unterfchied ftatt findet ,-fo liegt er darin, dafs die Begriffe von einem Ganzen und den Theilen 'dunk- ler und fchwerer 2U bilden find , als die Be- griffe von Eins, Zwei, Drei. Ich möchte denjenigen , welche behauen , dafs alle Er- kenntnis , diefe allgemeinen Principe felbft ausgenommen, von angebornen, allgemeinen, unmittelbar einleuchtenden Grundfiitzen abhän- gig fey, die Frage vorlegen : welches Princrp ift zu dein Beweife erfoderlich, dafs eins und

eins

l$6 Viertes Buch.

eins zwei, daTs zwei mal zwei vier, dafs drei mal zwei fechfe ift? Da diefe Sätze ohne Be- weis erkannt weiden, fo erweifen Ge, dafs ent- weder nicht alle Erkenntnifs von gewifien, vor- aus erkannten, allgemeinen Sätzen, oder, wie man ße nennt. Grundfätzen abhängt, oder dafs diefe Sätze felbft Grundfätze hnd ; und wenn diefe, fo muffen es noch weit mehrere mathe- matifche Sätze feyn. Rechnen wir zu dielen noch alle unmittelbar einleuchtende Sätze, wel. che alle verfchiedene Begriffe gewähren , fo werden die Grundfätze faft unendlich, zum we- nigften unzählig feyn , zu deren Erkenntnifs die Menfchen in verfchiedenen Epochen des Lebens gelangen , und wir bekommen eine grofse Anzahl von angebornen Grundfätzen, welche die Menfchen ihr ganzes Leben hindurch nie erkennen. Allein fie mögen früher oder fpäter in das Bewufstfeyn kommen, fo doch fo viel wahr, dafs fie alle durch ihre natürliche Evidenz erkannt werden, dafs fie ganz von ein- ander unabhängig find , dafs. fie kein fremdes Licht erhalten, und keines Beweisgrundes aus ihrer Mitte bedürfen. Noch weniger dürfen die particulären Sätze durch die allgemeinem, die einfachem durch die zufamniengefetziern be- wiefen werden; da die weniger einfachen und abffracten die bekanntern, fafslichern und früh- zeitigem find. Doch es ift hier nicht nölhig, zuentfeheiden, welches die klärften Vorfteliun-

gen

Siebentes Kapitel. , I5?

gen find. Die Evidenz und Gewifsheit aller diefer Sätze beftehet darin, dafs ein Menfch wtifs, dafs eine und diefefbe Vorfteiiting die- IVibe VoiTteilung ift , dafs er untrüglich- wtifs, zwei verfchiedene Vorfteilungen find verfchie- dene Vorfteilungen. Denn wenn ein Mpn'ch. die Vorfteilungen von Eins, Zwei, Gelb und Blaw in feinem Bewufstfeyn hat, fo mufs er gewifs wiflen, dafs die Vorftellung von Ein s, die Vorftellung von Eins und nicht von Zwei, dafs die Vorftellung vou Gelb diefe, und nicht die von Blau ift, Denu die Vorfteilungen^ welche in dem Verftande unterfchieden find, können nicht verwecbfelt werden, lie müfsten fünft zu einer und derfelben Zeit verwirrt und deutlich feyn , welches ein Widerfpnich ift; und keine deutlichen Vorfteilungen zu haben, ift foviel , als keinen Gebrauch von den Ver- ftandeskräften machen, und ganz und gar keine Erkenntnifs haben. Allen Sätzen, wo eine Vorftellung von ihr felbft bejahet, oder zwei völlig verfchiedene von einandervemeinet wer- den , mufs daher derVerftand, fobald , als er fie verfteht, ohneAnftaud, ohi e lieweisfode- rung, ohn« Rückblick auf allgemeinere oder Gruudfätze, als untrüglich wahreu nothwen-

dig Beifall geben. *)

§. II.

*3 Die Gru ml Tatze , von denen unfer PhilcToph hiei handelt, und deren Gebrauch von Andern.

io

!^g Vieitcs Bnck,

' §. IL

Ueber den Gebrauch der Grund« fätze.

Wie? So wären denn dieTe allgemeinen Grundfätze von keinem Nutzen? Keines- weges , wenn gleich ihr Gebrauch vielleicht von anderer Art ift, als man gewöhnlich glaubt. Vielleicht wird die Bezwei feiung des Werths, den Andere dielen Grunr! Tatzen beigelegt haben, als ein Verfuch, das Fundament aller Willen'

fchaf-

fo fehr erhoben , als von ihm eingtTchränkt wird , lafie*.i lieh ans einem gedoppelten Ge- liclitspunkt betvacluen ; nehmlieh i) als blofse allgemeine gewifle Satze, und 2} als S<itze, web che die allgemeinlten Functionen des Verfiandes, ohne welche kein Denken möglich Sit , ausdrük^ ken. Ans dem erften betrachtet fieLticke, und er' hat dann vollkommen recht, wenn er befc Rauptet , dafs he weder zum Beweife anderer Sätze dienen, noch als Grundfätze die Erkennt* nifs erweitern. Denn he find blos identifche S<itze 1 und w'egen ihrer Leerheit an Inhalt, diö eine Folge ihrer böchfteii Abftracuon ift, bieten fie nicht einmal Stoff zu fruchtbaren Folgerungen dar. Es wäre aber auf der andern Seite gut ge» wefen, wenn er he noch .-.as ciem zweiten Ge- litiuspunkt, als Gitiudialze des Verftandes, be« trachtet hätte. jSur einigemal, wie am Ende dts 11 §. , fcheint er diefe Anficht gehabt £11 ha« beu , ohne iU v> calci zu veriolgen.

Siebentes K-ipitel.

fchaften urr.zsfiürzen, vcrfchricen werden. In diefer Rückficht dürfte es keine überfiülhge Ar- beit feyn . ihr Verhält nifs zu andern Theüen der Erkenntnis, vorzüglich aber die Zwecke, au denen Ge dienen, oder nicht dienen können, zu unterteilen,

1") Aus dem Gefaxten folget offenbar, dafs fie von keinem Nutzen find, weniger allgemeine, durch Geh felbft einleuch- tende Sätze zu b e w g i f e n oder zu be> f eftig en.

2) Es ift klar, daTs Ge die G r u n dl agc. worauf eine \V i ff e n f c h a f t erbauet worden, weder find, noch gewefen fin d. Ich kenne zwar das viele, von Schola- fiikern verbreitete, Gefchwätz von ^ jllenfcnaf- ten, und den Grimdfüzen , worauf fie gegrün- det Gnd; allein ich hin nie fo glücklich gewe- fen , folche WUTenfphafteo zu finden, oder die Entdeckung zu machen ^dafs fie auf die beiden Grundfatzc: was ilt, das ift, und ein und dableibe Ding kann unmöglich feyn und nicht lern, gegründet wären; und ich würde es fehr Dank willen , wenn man nur ein Syftem einer Wiffer.fchaft aufwiele, welches ohne diefe oder ähnliche Grundfätze nicht fo fett und haltbar wäre, als es an lieh ift. Macht uuu von dielen Grundfätzen wohl

eisen

160 Viertes Buch,

einen andern Gebrauch in dem Studium der Theologie und in theologifchen Streitigkeiten, als in andern Wiflenfchaften 1 Dort dienen fie auch dazu, um die Streitenden zum Schweigen» und den Streit zum Ende zu bringen ; deswe- gen vvird aber doch niemand behaupten, dafs die chriftliche Religion auf diefe Sätze gebauet, und unfere Kenntnifs derfelben von denfelben abgeleitet fey. Wir haben vielmehr diefe durch üie Offenbarung erhalten, ohne welche jene Grund fätze uns nie zur Kenntnifs der chriftli- che n Relig-on hätten verhelfen können. Wenn Wir einen Begriff auffinden, durch deffen Ver« mittelung dieVejknüpfung zweier anderer kann entdeckt werden, fo ift es eine Offenbarung Gottes an uns durch die Stimme der Vernunft; dezm wir entdecken eine Wahr- heit, die uns vorher unbekannt war. Wenn -uns Gott eine Wahrheit bekannt macht, fo ift es eine Offenbarung an uns durch die Stimme feines Geizes, und ei. \e Erwei- terung unferer Erkeuntni'fs. .Aber in beiden Fällen erhalten wir die Erleuchtung und Er- kenntnifs nicht von diefen Grundsätzen , fon- dern in dem erften gewähren üe uns die Diuge felbft, und wir erkenr.en die Wahrheit in ihnen durch die Wahrnehmung ihrer lieberein fiim- rnung oder Nichtübereinftiminung; im zweiten fchenkt iie uns Gott unmittelbar, und wir leben

die

Siebentes Kapitel. - t£t

die Wahrheit deffen, was er fagt, in feiner unwandelbaren Wahrhaftigkeit»

3) Sie helfen den MenTchen nichts l urErweiterung d e r W i ffe n fc h a f t e n und zur Entdeckung unbekannter Wahrheiten. Newton hat in feinem Bu- che, *) d«n nie genug bewundert werden wird, mehrere Sätze hewiefen, welche eben fo viele de. Welt noch nie bekannte Wah-heiteu und Erweiterungen der mathematifchen Krkenntnifs find. Aber zur Entdeckung derfelben half ihm weder der Grundfatr: was iTt. das ift, noch der: das Gau/': ift grüfser, als ein Theil, noch irgend ein anderer. Sie waren nicht feine Wegweifer in der Entdeckung der Wahrhfit und Gewifsheit dieser Sätze, fie ga- ben ihm keine Kenntnifs \ On diefen Demon- ftrationen , fondtru die Erfindung der Mittel- begriffe war es. welche ihm die Einltimmung oder Nichteinftimmiing der Begriffe zeigte, wie fie in den demonftrirten Sätzen ausgedrückt find. Hierin beftehet die wichtigfte Tbätigkejt und Ausbildung des Verbandes zur Erweiterung der Erkenntnil's , zur Beförderung der Wiffon- fchaft, worin ihm aber die Betrachtung diefer und anderer lo fehr geprieierienGrundfätze we<

uig

•) Philofophiae naturalis piincipia xnitlicuiatica. Locke*«. 111. Thal L

ißj Viertes Buch.

»ig Hülfe leiftet. Wenn diejenigen, Welchen eine folche Bewunderung diefer Sätze angeerbt ift. dafs nach ihrer Meinuug ohne Unterftützuug eines Axioms kein Schritt vorwärts in der Er- kenntnifs gerhan , kein Stein in dem grofsen Bau der Willen ichalten gelegt werden kann, »m zwifchen der Methode uuterfcheiden woll- ten , wie man Erkenntnifs erwirbt, und, wie man fie mittheilt, wie man eine Wiflenfchaft bildet, und uie man fie in ihrem gegenwärti- ge Zuftande andern lehret, fo würden fie bald einleben, dafs diefe Grundfä'ze weder das Fun- dament, auf Welchem die erften Erfinder ihre bewunderungswürdigen Gebäude aufführten, »Och die Schlüffel find, welche das verfchlofle- »e Heiligthum der Erkenntnifs öffnen Nach- her aber, als Lehrftühle errichtet, und Lehrer der WifTenfchaFten angeftellt wurden, um das zu lehren, was andere erfunden hatten, mach- ten diefe oft von Grundfätzen Gebrauch . d. i. fie trugen gewiffe Sälze.von unmittelbarer Evi- denz, oder folche vor, Welche als Wahr ange- nommen werden mufsten, um durch fie, wenn fle den Schülern als unbezweifdie Wahrheiten eingeprägt worden, diefe von der Wahrheit anderer particulärer Sätze zu überzeugen, wel- che ihnen nicht fo- bekannt und geläufig, als die vorher forgfältig eiugeprägten Grundfätze waren. Allein diefe particulären Sätze haben, wenn man fie fchärfer ins Auge fafst, eben die

Evi-

Siebentes Kapitel. 163

Evident für den Verfiand , als die zu ihrem Be* weis gebrauchtet! Grnoilfätze. Eben diefe be- fondern Fälle wiren es, in denen die erften Erfindpr zuerft eine Wahrheit, ohne Hülfe all- gemeiner GrundTätze , entdeckten , welches noch Jedem möglich feyn mufs, der Oe xnit Auf* inerkfamkeit betrachtet.

Wir gehen nun tu dem Gebrauch über, der von den GrundlaUen kann gemacht wer- den«

l) vSie find von gutem Nutzen, wie wir fchon bemerkt haben, in der gewöhnlichen Methode , VVi iren Tcha ften nach ihrem gegenwärtigen Zuftande zu lehren, ob fie gleich zu ihrer Erweiterung wenig beitragen«

a) Sie haben ihren Nutzen im Di* fputireu, um hartnackige Streiter zum Still- Tclivveigen und gelehrte Zwiftigkeiten zur Ent- fcheidung zu bringen Wie es aber kam, dafc fie in diefrr Rücklicht unentbehrlich geworden, darüber lege ich dem Lefer folgende Gedanken zur Prüfung vor. Die Schulen haben das Di- fputiren zum l'robierfteine des Verftandes und zum Kriterium der Erkenntnis gemacht, indem fie den Sie« demjenigen zuerkannten, der das Feld behielt Wer diu letzte Wort hatte, auf defien Seite war in ihren Augen, wo nicht die

L 2 Wahr-

164. Viertes Buch.

Wahrheit, doch die ßärkfien Gründe. Es war auf diefera Wege leicht möglich, dafs es Zwi- lchen gefchickten Fechtern zu keiner Entfchei- dung kommen konnte, weil ckni einen immer ein neuer MittelbegrifF zu Gebote ftand, einen Satz zu bewerfen» und der andere konnte eben fo leicht* mit öder obre Einfchränkung, den Ober oder Unter fatz lä'ugnen. Um nun fo viel als möglich zu verhüten , dafs das Difputiren nicht in ein endJofes Aneinanderreihen von Schlüffen und Gegen fchiüiTen ausaTie, wurden in den Schulen gewiiTe allgemeine Satze, meift VOn .unmittelbarer Evidenz eingeführt ; diefe als Wahrheiten, in denen alle IWenfchen einver- standen find, wurden als der allgemeine IMaafs- ftab aller Wahrheit angefehen, und He vertraten die Stelle von Grundfarben, wenn nicht die Imputierenden andere unter fich feft^e fetzt hat- ten , über welche man von beiden Seiten nicht hinausgehen . vOu denen man nicht: abweichen durfte. Diefe allgemeinen Sätze , welche den I^amen von Gnmdfäuen erhielten , als die er- freu , über die man im Difpudreti nicht hinaus- gehen dürfe, wurden endlich aus Mifsverftand, für die Gründe und Quellen aller Erkenntnifs Und die Grundlage aller Wiflejifchafien gebal- ten, weil, wenn man in Streitigkeiten auf einen derfelben kam, man bei ihm liehen blieb, und die Sache entfehieden war. Wie fehr man lieh aber darin irrte, ift fchoa gezeigt worden.

D

Siebentes KApiteL I^J

Indem diefe Methode der Schulen »für das Fundament der Erkenninifs g hallen wur- de, kamen die're Satze, wie n ir frbeint, auch aufser der Schule in Gebrauch, um R.äfo- neurs den Mund zu ftopfen. mit denen Niemand län- ger au difpmieren braucht, wenn üe folihe im- läugbare Satze laugnen , die alle vemürsf igt Menfchen annehmen. Ihr Gebrauch gehet aber doch auch hier nicht weiter, a,b urn dem S rei- te Grenzen zu fetzen, Sie geben in fqichen Fällen, wo man fie fo geltend macht, doch keine Belehrung * diefe haben fchon die in der Streitfälle gebrauchten MittelbegrifFt? gegeben, dereD Verknüpfung ohne Hülfe diefer Grund- fatie eingesehen werden kann. EhederGrund- fatz vorgelegt, und auf ihn der Beweis zun'ick- gefühitwird, kann die Wahrheit fchon erkannt werden. Ebe es dazu kommt, würden die Menfchen fchon falfche Gründe aufgegeben ha- ben , wenn fie in den Streitigkeiten die Ent- deckung und Huldigung der Wahrheit , anftatt des eitlen Ringens nach dem Siege, zum Zwek- ke machten. Auf diefe Art können diefe Sätze dazu gebraucht werden, die Unlauterkeit und Hartnäckigkeit in die Grenzen zuriic' zuweifen, die man fich lelbft eher würde gefetzt haben, wenn man einen edlen Sinn für Wahrheit hätte. Da aber die fchulgerechte Methode den Menfchen Erlaubnifs und Muth gegeben hat, ollenbare Wahibeiten l'o lange zu beftreiten, bis fie be~

L 3 khänit,

166 Vicite» Buch.

fchätnt, d.i. dahin gebracht find, Geh felbft oder feftgefeUten Grundfätzen zu widerfpre- chen , Tq darf man es nicht auffallend finden, wenn fie auch in den Verhältniflen des gemei- nen Lebens nicht davor erröthen, was unter den Gelehrten für Vollkommenheit und Ehre angerechnet wird, uehtnlich, diejenige Seile einer Streitfrage, die man einmal ergrifFen hat, fie mag die wahre oder falfcbe feyn, auch wenn man vom Gegentheil überzeugt ift, bis auf da» Aeufserfte zu behaupten. Gewifs ein Tonderba- rer Weg, nach Wahrheit und Erkenntnifs zu gelangen, von dem vernünftige, durch die Er- ziehung nicht verdorbene Menfchen kaum glau- ben Tollten, daTs er unter Liebhabern der Wahr- heit und Verehrern der Religion und Natur Eingang gefunden habe, oder in den Pflanz- fchulen derjenigen, welche einft die Wahrhei- ten der Religion und PhiJofophie unter Unwif- fenden verbreiten follen , eingeführt fey, Ift es nicht zu befürchten , dafs bei diefer Art des Studierens der Geift der Jünglinge von der rei- nen Liebe und dem lautern Streben nach Wahr« heit abgekehrt wird, ja, dafs er zuletzt gar zu zweifeln anfängt, ob es überhaupt Wahrheit giebt, oder ob fie Huldigung verdiene? Doch ich will diefes hier nicht weiter unterfueben. So viel aber glaube ich, dafs, die Topik der peripatetifchen Schule abgerechnet, welche fich viele MenfchenaWer behauptet hat , ohne der

Welt

Siebentes Kapitel» ify

Weh etwas a ders, als die Streitkunft zu leh- ren , diefe allgemeinen Sätze nirgends für das Fundament der Willenfcbaften , noch für ein grofses HüUsinittel, die Erkenntnis zu beförde- ren, find gehalten worden,

Diefe allgemeinen Grundfätze find aKo im Difputiren von grofsetn Nutzen, um den Streit- Tüchtigen den Mund zu fiopfen ; von wenig Nutzen aber zur Entdeckung unbekannter Wahr« heiten , oder zur Unterftützung des Verftandes in feinem Streben nach Erkenntnifs« Denn wer hat es noch je verfucht, feine Erkenntnifs auf den Satz der Einftimmung oder des Wider- fpruchs zu gründen , und aus diefen , als den Principien der Willen fchaft, ein Syftem nützli- cher Erkeuntnifs abzuleiten? Bei unrichtigen Meinungen, die oft einen verflechten Wider- spruch enthalten, kann einer diefer Grundfätze als Probierftein dienen , die Füllungen , wor- auf jene führen, in ihrer Biöfse darzuflellen. Sie können alfo die Ungereimtheiten in den Räfonnemens , in den Meiuungen aufdecken; aber fie tragen wenig zur Aufklärung des Ver- bandes und zur Leitung feiner Fortfchiittc in der Erkenntnifs bei, in dem alle Erkenntnille ftatt finden könnten , ohne etwas an ihrer Ge- wißheit zu verlieren, wenn man auch nicht an jene Grundfätze gedacht hätte. Zwar kön- nen he , wie fchon gefagt worden , Sireitfüch-

L 4 tige

Nf8 Viertes Buch.

tige zum Stillfchweigen bringen, indem fie die Ungereimtheit deffen. was fiegefast haben, dar- itellen, oder fie derBefchämungausfetzen, dem- jenigen, was Jedermann bekannt ift, und was fie felbft als wahr eingesehen müden, zu wi« derfprecben. Alleia es ift etwas anders, einen JMenfchen feines Irrthums überführen, und et« was anders , ihn in Befitz der Wahrheit fetzen. Welche Wahrheiten fo!len uns diefe beiden Sätze lehren, oder durch ihren Einflufs erkennbar machen, die wir nicht fchon vor ihnen wüfsten , oder ohne fie wiffen könnten? Sie find blofs identifche Sätze, und wir mögen noch fo lange über fie denken und räfonniren, fo leiten wir doch keine andere , als wieder identifche Sätze ab. Jeder particuläre Satz, "wenn er mit Aufmerkfamkeit erwogen wird, ift in Rückficht auf Identität und Nichtidentität an fich eben fo klar, eben fo gewifs erkenn- bar, als diefe allgemeinen Sätze, nur mit dem Unterfchiede, dafs man auf diefe eben deswe- gen, weil de allgemein find, defto mehr dringt, und fich auf fie beruft, wodurch fie mehr ein- geprägt werden. Andere weniger allgemeine Grundfätze find nichss als leereSätze, die nichts als das Verhältnifs und die Beziehung der Wor- te zu einander ausfagen. Von welcher realen Wahrheit belehrt uns der Satz : das Ganze ift allen feinen Theilen gleich? Ent- hält er etwas anders, als was die Bedeutung

des

Siebentes Kapitel. ißy

des Worts Ganz fchon von felbß zu verftphen £»cbt? Ein Menfeh, der vveifs, dafs das Wort Ganz dasjenige bedeutet , was aus allen feinen Theilen zufammengefetzt , weifs faß eben fo viel, als dafs das Ganze allen feinen Theilen gleich iß. Aus demfelben Grunde könnte der Satz : e i n H ü g e 1 i l't h i> her, a 1 s e i n T h r. 1. mit mehrern ahnlichen für einen Grundfatt gelten, IndefTen fetzen die Lehrer der Mathe- matik, wenn fie andere in. ihre Willen fehlten einweihen wollen , nicht ohne Grund diefen und andere Grundfätze an die Spitze ihres Sy- ftetus, damit ihre Schüler, wenn fie gleich an- fänglich mit diefen fo allgemein abgefafsten Sätzen bekanntwerden, gewöhnt werden, ähn- liche Reflexionen zu machen » und jene als fchon gebildete Regeln, auf befondere Falle mit mehr Leichtigkeit anzuwenden. Nicht als wenn, fte bei gleichem Grade der Aufmerkfarakeit mehr Klarheit und Evidenz beifieb. führten, als die particulären Sätze» welche durch jene bewiefen werden follen , fondern weil fie dem Verßande fchoo fo vertraut find, dafs man fie nur zu nen- nen braucht, um lieh von ihnen überzeugt zu finden. Diefes bewirkt aber mehr die Art ih- res Gebrauchs und die Fefiigkeir, die fie durcli öfteres Denken in dem Verßande bekommen haben , als ein ausgezeichneter Grad von Evit denz. Ehe fich durch die Gewohnheit diefe beßinnnte Ari zu denken und zu räfonniren in

L 5 dem

l^n Viertes Buch.

dem Verbände gebildet hatte, fo fand vieiraehr, wie ich glaube, das Gegentheil ftatt. Wenn ; man einem Kinde einen Theil feines Apfels wpgnimmt, fo erkennt es die Wahrheit, das Ganze ift allen feinen Theilen gleich, hefler durch diefen einzelnen Fall, als durch den all- gemeinen Satz; und wenn eines von beiden das andere zur Betätigung nöihig hat, fo mufs eher das Allgemeine durch das Befördere, als diefes durch jenes dem Verftandn fafslich ge- macht werden. Denn unfere Erkenntnis fang* bpi dem Einzelnen an , und verbreitet fich fiu- fenweife über das Allgemeine, obgleich der Verftand nachher den eutgpgengefetzten G^ng gehet, und nachdem er feine Erkenntnifs in fo allgemeine Saize gefarst hat, als möglich ift, diefe fich vertraut macht , und dann auf fie, als die Gefetze der Wahrheit und Falfchheit, zu- rückzugehen pflegt. Durch dk-fen Gebrauch entfteht zuletzt der Gedanke, als halten partf- culäre Sätze ihre Wahrheit und Evidenz ihrer Uebereinftimmung mit den allgemeinen zu ver- danken. Diefes ift wahrfcheinljch der Grund, warum von fo vielen, unmittelbar einleuchten« den Sätzen nur die meiften allgemeinen den Ti- tel von Grunrifatzen erlangt haben.

§. J2.

Siebentes KapiteL 17!

Durch diefe Grund falze können Widerfprüche bewiefen werden» wenn mau nicht behutfam im Ge- brauch der Worte i ft.

Noch eine Bemerkung i ft vielleicht nicht überflüffie. Diefe GrundfaUe tragen nicht al- lein nichts zur Erweiterung und Befeftigung wahrer Erkeuntnifs bei, fondern wenn die Be- griffe unrichtig , unzufaminenhängend und fchwankend find, und wir unTere Gedanken blofseu Tönen der Worte preis geben, anftatt die letzten durch beflitumte Begriffe von den Dingen zu fixiren, fo dienen fie im Gegertheil mehr dazu , uns in Irrthümern zu befeftigen» und nach dem gewöhnlichen Gebrauche der Worte , Widerfprüche zu beweifen. Wenn man z.B. mit des Ca r tos den Begriff von Körper fj beftitnmt, dafs er nichts, als die Ausdehnung in fich fdfjt, fo läfst fich durch der Gruudfatz, was ift, das ift, leicht eT- weifen , dafs es keinen leeren, das- heifst, keinen von Körpern entblößen Raum giebt. Denn wenn der Begriff, den er mit dem Worte Körper verbindet, nichts als Ausdehnung ift, fo weifs er gewifs, dafs der Raum nicht ohne Körper ft Yn kann, weil er feinen Begriff von der Ausdehnung klar und deutlich erkennet, und weifs , dafs er das , was er ift, und

kein

j7- Tiertes Buch. ,

kein anderer Begriff iß, follte er auch durch drei Ausdrücke, Ausdehnung, Körper, Raum ausgedrückt werden. Wenn nun alle drei Worte nur einen ßegriff bezeichnen, fo kann ohne Zweifel jedes von dem andern mit eben denselben Evidenz und Gewifsheit , als je- des von üch felbft bejahet weiden, und unter diefer Vorausfetzung ift der Satz ; Raum ift Körper,' feiner Bedeutung nach eben fo wahr und identifch als es der : Körper ift Körper, der Bedeutung und den Worten nach ift«

§. 13.

Wenn nun aber ein Anderer einen von dem des Cartes abweichenden Begriff mit dem Worte Körper verbände, und dadurch ein Ob- ject vorfteüte , welches fowohl Ausdehnung als Dichtheit hat, fo kann diefer eben fo leicht beweifcn , dafs eh) körperleerer Raum möglich ift, r^ls Cartes das Gegentheil. Denn er verbin- det nuö mit demWorteR a um nur den einfachen Kegriff von Ausdehnung» und mit dem Worte Körper den zufaromengefetzten von A u s d e h- nungWiderftan d, vereiniget in einem Obje- Cte. Diefe beiden Begriffe find alfo nicht voll- kommen identifch, fondern fo verfchieden, als die Vorftellungen von Eins und Zwei, Weifs und Schwarz, oder wie Körperheit und Menfchheit, und fie können daher, weder an fich, noch in

Wor-

Siebentes Kapitel. 173

Worten Ktt'^edrßcfcf; von einander bejahe? wer- den, fondern die Verneinung des einen von dem andern, od->r der Satz Raum ift nicht Körper, ift Cd Wahl und (inleuchtend, als der, ein u n d d a IV c 1 b e Ding kann u n öglich feyn und nicüt feyn.

m

Diefe Grnndfatze können nicht die Exil'tent der Dinge a u f t> e r uns be weifen.

Ungeachtet beide Satze , dafs ein leerer Raum n:öüJ''c)), und dafs er unmöglich ift, di.rch den Grunrifatzdef Identität und diesWideffptuchSj wie wir gefehen haben* können beriefen wef- den, fo kann man doch durch keir.en deileiben darthun, dafs irgend einer, oder Weither Kör- per wirklich exiftirer. Denn was die Wirklich- keit betrefft, fo lind wir Mos an die Sinne ge- wiefen. die un«, fo weit fie käpnen, das Wirk- liche entdecken. Diefe allgemeinen uumittel- baren Grundfätze find nur tiiie unv er in der! »che klare und deutliche Erkenntnifs unlerer allge- meinen Begriff«, he könnt» uns keine Gewifs- heit von dem geben , was aufser dem G ::ü'ihe vorgehet; ihre Gewilslu-ir gründet fich auf die Erkei,nu:i(s jeder Voißellung *n Och pnd iure Unteifcbeiduqg voa aiiuein; üe ^faluäf^tn jeden

Irr-

»7* Viertes Buch.

Irrthum ans, lange fie im Bewufstreyn, aber »licht, wenn nur die Worte ohne die Begriffe zurückgeblieben find» oder wenn die Worte bald für den einen, bald für den andern Be- griff unordentlich gebraucht Werden. In die* Ten Fällen muffen fie nur verwirren und in Irr- thütner verleiten, da ihre Beweiskraft fich nicht auf nie Bedeutung, fondern nur auf den Schall der Worte erftreckt. Ich bemerke dies, um zu zeigen» dafs diefe Grundfätze, die fo fehr alu die Grundpfeiler der Wahrheit gerühmt wer- den, gar nicht im Stande find, Ifrihümer zu verhüten, wenn man unbedachtem und gedan- kenlos in dem Gebiauch der Worte verfährt. IVIeine Abfirht bei diefcr ganzen Ausführung ging ketneswcges, wie mich Einige gerne be- fchuldigen möchten, dahin, dafs man fie gänz- lich auf die Seite legen follte. ich erkläre fie ja Telblt für Wahrheiten, für unmittelbar evi- dente Wahrheiten, und in der Eigenfchaft kön- nen fie nit ht zurück gefetzt werden j fo weit ihr EinfiV's reicht, i(r es vergeblich» und auch wir nicht in den Sinn gekommen, fie eiufchrän- ken zu wollen. Aber ohne der Wahrheit und Erkenntnifs zu nahe zu treten.' glaube ich doch mit Grund behaupten tu können» d^Ts ihr Nut- zen nicht dem grofsen Werthe eriifpricht , den m3n ihnen beigelegt hat, und vor dem üblen Ge- brauche Warnen zu düifen, durch den fie zur Be- festigung des Irnhums dienen muffen,

§. i5.

Siebentes Kapitel. *7J

Ihre Anwendung bei ziifammense- feteteu Begriffen ift fehr gefähr- lich»

Ihr Nutzen fr-y aber bei den Worturtheiletl C verbal propofitions ) fo grol"s 0 der gering er will, fo kann man <io;h durch fie von der Na- tur der Subftanzen, iri'ofern fie flfftfsttf uns exi- ftiren, nicht im o^ringften mehr entdecken, als Was fich auf Erfahrung gründet Die Folge- rungen aus dein Grundfaize Her Finltiinrnung und des Widerfpuchs find klar, und ihr Ge* brauch ohne Gefahr und Nachtheil, wenn Saue bewiefen werden foüen , die keines ßeweifes bedürftig find, weil fie an und für lieh klar find, nehmlich da, wo die Begriffe beftimrut und durch die Spr3chzeichen Tchon hinläng- lich erkannt werten. Allein wenn Ce zum Beweis folc her Satze gebraucht werden, wor- Kti Ausdrücke für zufaminengefettte Begriffe« z. B. Menfch , Pferd; Gold, Tugend, vorkom- men, fo i!t ihre Anwendung fehr vielen Gefah- ren ausgefetzj, und Ge hat meifteutheils zur Folge, dafs die Menfchen Falschheit für oifen- bare Wahrheit, Ungewißheit für Demonft atiou annehmen und behaupten, woraus Irrthiiui, bartnackige Rechth aberei und alles Nachtheilige entlieht, was foult fehlerhaftes Käfonne>iient begleitet. Die Uifache davon lie^t nicht

darini

.1^5 Vioi-tes Buth,

darin, naTs diefe Grundsätze als BeWeife der Sätze, worin ziifammerigefetzte Begriffe vor- kommen, weniger Evidenz und Beweiskraft haben, fcndern in dem gewöhnlichen Irrthurn, als hatten dieSätze imitier diefelben Dinge zum Ge^enftande, wo diefelben Ausdrücke vorkom- nien , da doch die bezeichneten Begriffe, oft gar fehr abweichend find. Indem alfo die Mcn- fcheyi die Worte für die Dinge nehmen, fo können und werden auch diefe Grundfätze ge- wöhnlich dazu gebraucht, widersprechende Sä- tze zu beweifen , wie wir an dem' obigen Bei- fpiele von dem leeren Räume gezeigt haben, und gleich noch deutlicher maenen werden»

Der Menfch fey zum Beifpie! das Objscf, von dem man etwas durch jene elften Grund- fätze beweifen will. Wir werden fehen , dafs alles , was durch fie dargethan wird, nur Wor- te betrifft , und keinen wahren , allgemein ge- willen Sntz oder Erkennt nifs von einem aufser uns exiftirenden Wefen begründen kann. Erß- lieh: wenn ein Kind fich einen Begriff von einem Menfchf=n gebildet hat, fo er wahT- fc heinlich einem Gemälde ähnlich, in dem ein Maler die äufsem Anflehten vereiniget hat. Von diefem aus folchen einfachen Vorftellungen zufammengeieUten iisgriffe macht in England

die

Siebentes Kapitel. 177

die weifse oder die Fleifchfarbe einen Beftandtheil aus. Hier kann nun das Rind aus dem Grundfatze des Widerfpruchs dernonftri-* ren , dafs ein Neger kein Menfch ift, weil die weifse Farbe ein unveränderliches Merkmal des Begriffs von Menfch eil ift. Die Gewifsheit diefes Satzes gründet (ich bei dem Kinde aber nicht auf jenen Grundfatz, den es vielleicht noch nie gehört oder gedacht hatte, iondern auf die deutliche Wahrnehmung der Vorftellungen , Weifs und Schwarz, die man ihm nicht ausreden , die es nicht mit einander verwechfeln kann, es mag von dem Grund- faUe etwas wiffen oder nicht. Diefem Kinde, oder jedem andern, der einen folcheu Begriff vom Menfchen hdt, k?.nn man nie bevvei'en, dafs der Menfch eiue Seele hdt; denn weil der Begriff nichts davon enthält, fo kann es auch der Grundfatz der Einftimmung nicht bevveifen; es gründet fich vielmehr auf das Wahrnehmen und Zufaramenfvflen , wodurch der zufammen* gefetzte Begriff vom Menfchen gebildet wird«

Zweitens. Wenn nun Einer in der Zu» fammeufetzung diefes Begriffs weitergeht, und zu der äufiern Geftalt das Lachen und Ver- nunft i ge S pra c he hinzufetzt , fo kann er nach dem Grundfatz; Ein und d.tffclbe Ding Locke's. III. Theil. M kann

l<2% Viertes Buch.

kann unmöglich feyn und nicht feyn, bewei- fen, dafs Kinder und Kr et inen keine Menfchen find, Ich habe wirklich mit fehr vernünftigen Menfchen gefprochen, die diefes im Ernft be- haupteten»

§. IS.

drittens. Ein anderer fetzt vielleicht den Begriff Menfch nur aus den Begriffen von feinem Körper im Allgemeinen, dem Sprach - tind Vernunftvermögen zuTammen, und fchliefst die äufsere Geftalt völlig aus. Diefer kann be» weifen, däfs ein Menfch ohne Hunde und vier* fiifsig feyn kann , weil beides nicht in feinem Begriff eingefchloffen ift, und dafs, wo- er in feinem Körper von was immer für einer Geftalt, Sprache und Vernunft zufammen findet, diefes ein Menfch ift. Denn Wenn er eine deutliche Erkenntnifs von einem folchen zufamuiengefetz- ien Begriffe hat, fo ift er gewifsj dafs das iß, was iftt

$. ig.

Diefe Grundifätze find von wenig Nutzen, wo die Begriffe klar und deutlich find.

i

Wir dürfen alfo, alles richtig erwögen, be- haupten, dafs, wenn unfere Begriffe, und eben

r*

Siebentes Kapitel. \fg

ihre Ausdrücke beftimmt find, dlefe Grnnd- fätze ziemlich entbehrlich, und von Wenig Nu- tzen find, um die Eiuftimmung oder Nichtein-' ftimmun^ zu beweifen. Wer die Wahrheit öder Falfchheit diefer Sätze nicht ohne diefe öder ähnliche GrUndfätze erkennen kann, wird auch bei diesen wenig Hülfe finden ; denn es ift nicht vorauszufetzen , dafs er die Wahrheit der letztern ohne Beweis einfehe, wenn er bei andern unmittelbar einleuchtenden Sätzen da- zu eines Beweifes bedarf. Aus diefem Grunde bei keiner anfchauendeii Erkenntnifs mehr oder weniger ein Beweis erfoderlich oder zu- läffig* Wer alfo diefes fodert* hebt das Fun- dament aller Erkenntnifs und Gewißheit au£ Wer lieh nicht ohne Beweis von der Gewifs- heit des Satzes 2-2 überzeugen kann , wird auch eines BeWeifes bedürftig feyn , um den Grundfatz, was ift, das ift, ala Grundfatz anzunehmen. Wer nicht ohne Beweis die evi- dente Wahrheit der Sätze, zwei ift nrcht drei, weifs ift nicht fchwarz, ein Triangel ift kein Zirkel, einfthen kann, der wird Geh auch von dem Satz des Wider- fpruchs nicht ohne ÜeinonftraÜon überzeugen können.

M 3

§. 29.

»8<> Viertes Bück,

§. 20.

Ihr Gebrauch ift gefährlich, wo die Begriffe undeutlich find«

So wie diefe Grundfätze bei deutlichen be- flitnmten Begriffen fehr unerheblich find , fo ift ihr Gebrauch bei unbef'imuiten Begriffen fehr gefährlich. Wo wir Worte gebrauchen, denen keine fefte Begriffe angeknüpft find, deren Be- deutung fch wankend und veränderlich ift, und bald diefe, bald jene Vorftellung bezeichnet, fo entfpringen daraus nur Irrthümer und Mifs- verftändnifle , welche diefe Grundfätze, wenn fie zum 3eweife der aus folchen Worten gebil- deten Sätze dienen follen , durch ihr Ansehen nur befeftigen und tiefer einprägen.

Achtes Kapitel.

Von fpielenden (triflmg) Sätzen.

§. i.

Einige Sätze erweitern die Er- kenn t n i f s nicht.

vJb die Grundfätze, von denen ich in dem vorhergehenden Kapitel gehandelt habe, den

Nutzen

Achtrs Kapitel, igi

Nutzen für reale Erkenntnifs haben, den man ihnen gemeiniglich zumifst. mögen andere ent- fcheiden. Entfcheidender aber läTet fich , wie ich glaube, dies behaupten, dafs es allgemeine Sätze giebt, welche, ob fie gleich gewifs wahr find, doch den Verftand weder aufklären, noch die Erkenntnifs erweitern. Von der Art find folgende,

§. 2,

Identifche Sätze.

I. Alle blofs identifche Sätze. Dafs diefe keine Belehrung enthalten , fällt fo- gleich in die Augen. Denn wenn ein Wort von fich felbft bejahet wird , es fey nun ein leeres Wort, oder enthalte einen klaren realen Begriff, fo wird uns in der That nichts gelehrt, was wir nicht vorher mit Gewifsheit willen konnten , wir mögen nun diefen S.itz felbft bilden, oder er mag uns von Andern vorgetragen werden. Der allgemeinfte Satz, was ift, das ift, kann freilich zuweilen dazu gebraucht werden, eir.eu Menfchen von der Ungereimt- heit zu überführen, deren er Geh fchnldig macht, wenn er durch Umfchweife oder zweideutige Worte in einzelnen Fallen leugnen wollte, dafs A A ift. Denn kein Menfch wird fo offen- bar dem Menfchenv^rftande Hohn fpreeben sol- len, um in klaren Worten handgreifliche und

M 3 un«

18? Viertes Buch.

unmittelbare Widerfprüche zu behaupten; und Wenn er es »hut, fo ift man entfchuldiget, wenn man alles Räfbnnement mit ihm abbricht. Den- noch darf ich wohl behaupten , dafs weder die angenommenen Grundfätze, noch ein anderer identicher Satz, irgpnd eine Belehrung für uns «nthahen. Und wenn auch jener berühmte GTundTatz , der mit einer Art von Triumph für die Grundftütze aller Demonftration angese- hen wird, zum Be weife diefer identifchen Sä- tze gebraucht werden kann , und oft wirklich gebraucht wird , fo ift doch alles, W3S durch ihn bewiefen wird, nichts weiter, als dafs daflejbe Wort mit gröfster Gewifsheit von {ich bejjhet werden kann , ohne den geringften, Zweifel an der Wahrheit eines folchen Satzes, und man erlaube mir, hinzurufetzen , ohne $U le reale Erkenntnifs,

§» 3-

Um dieTen Preis kann auch ein Unwiffender, wenn er nur ein Unheil zu bilden weifs, und verlieht, was er damit meint, wenn er Ja oder Kein fag"t, taufend Satte bilden, von deren Wahiheit er init unuuflü'slicher Gewifsheit überzeugt feyn mag , ohne die geringfte Sache dadurch zu erkennen, z B. w a s eine Seg- le ift, das ift eine Seele, oder eine Seele ift eine Seele, wer eine Seele

bat,

Achtes Kapitel jfj

bat, der hat eine Seele ; ein Geiß ein Geiß; was Wirklichkeit hat, das Ji a t W i r k 1 i c h k e i t ' u. f. w. das etwas anders, als mit Worten fpielen? Es gerade fo viel, als wenn ein Affe eine Außer aus der einen Hand in die andere nähme , und wenn er der Sprache mächtig wäre, dabei Tagte : die Außer in der rechten Hand das Subject, und die in der linken das Prädicat, Er hatte dann ohne Zweifel den evidenten Satz: Außer ift Außer, bilden können , ohne dadurch im ge-r ringßen klüger zu werden. Gewifs ein Ver- fahren, welches in demfelben Verhältnifs den) Verfiand befriedigen , als die Außer den H,un,- ger ßillen kann.

Ich weifs, es glfbt gewifle Männer, w»lche Cch für die identifchen Sätze, weil fie unmittelbar einleuchtend find, fehr intereffiren. Sie glauben der Philofophie einen grofsen Dienft zuleißen, wenn fie diefelben geltend zu ma- chen fuchen , als würde durch fie allein alleEr- kenntniffs begründet, und der Verßand in alle Wahrheit eingeleitet. Ich räume gern, als jeder Andere, ein, dafs fie alle wahr und unmit- telbar evident find; noch mehr, ich gefiehe« dafs der Grund aller unferer Erkenntnifs in dem Vermögen liegt , einerlei Vorßellung für diefelbe anzuerkennen , und fie von allen, die uicht diefelbe find, zu untc-rfcheiden , wie in

M 4 dem

184 Viertes Buch.

dem vorhergehenden Kapitel gezeigt worden» Allein ich kann nicht einfehen, wie dadurch der Gebrauch der identifchen Vorftellungen zur Erweiterung der Erkenntnifs gegen den Vor- wurf einer Spielerei zu retten fey. Man wie- derhole fo oft, als man will, der Wille ift Wille, mau lege einen noch fo hohen Werth darauf; welchen Gewinn erhält durch diefen und ähnliche Sätze die Erkenntnifs ? Wenn ein Menfcb, in folchen Sätzen, wie: ein Ge- fetz ift ein Gefetz, Verbindlichkeit ift Verbindlichkeit, Recht ift Recht und Unrecht ift Unrecht, fo reich ift, als der Reichthum feiner Worte geftattet, kön- nen ihm diefe und ähnliche zu einiger Bekannt- fchaft mit der Moral verhelfen, oder ihn von dem, was Mo rali t ift, unterrichten? Der- jenige, der nicht weifs, und vielleicht nie wif- fen wird, was Recht und Unrecht, und was die Richtfchnur von beiden ift, kann doch fo Zuverfichüich diefe und ähnliche Sätze bilden, und mit gleicher Gewifsheit ihre Wahrheit er- kennen, als ein Mann von der vollkommenften rnoralifchen Erkenntnifs. Allein enthalten fie denn etwas, das zur Ausübung der Pflichten

notwendig oder nützlich ift?

i

Etwas weniger fpielend würde es feyn. wenn man zur Aufhellung des Verftan- des in einem Theile der Erkenntnifs fich ideq-

tilcher

Achtes Kapitel. 185

tifcher Sätze befleifsigte, und auf folche Sätzo baute, als: Subftanz ift Subftanz; Kör- per ift Körper; ein leerer Raum ift ein leerer Raum, u. f. w. Denn alle fol- che Sätze find gleich wahr, gewifs und unmit- telbar einleuchtend. Man mufs fie inde/Ten doch unter die fpielenden rechuen , wenn fie als Princip der Belehrung und Beförderung der Erkenutnifs gebraucht und gefchatzt werden, denn lie lehren nichts, was nicht Jeder, der nur des Denkens fähig ift, ohne fie weifs, dafs nehmlich derfelbe Ausdruck derfelbe Ausdruck, derfelbe Begriff derfelbe Begriff ift. In cliefet Rückficht behauptete ich und behaupte noch, dafs es nichts befferes, als ein Spielwerk ift, wenn man folche Sätze einem vorträgt und ein- prägt, um feinem Verftande neues Licht zu geben, und denfelben in die Erkenntnifs det Dinge einzuleiten.

Belehrung ift etwas ganz anders. Wer fich und andere für unbekannte Wahrheiten em- pfänglich machen will ; mufs Mittelbegriffe austindig machen, und fie in folcher Ordnung zufaminenftelleu, dars der Verftaud die Einftiro- Miung oder Nichteinftimmung der in Frage ge- nommenen Begriffe einfehen kann. Belehrend find die Sätze, wenn fie da; thun, aber nicht, wenn ein Wort von fich felb/t ausgefagt wird, wodurch INieinand einen Zuwachs in irgend ei-

M s ner

s2ß. Viertes Buch,

uer Erkenntoirs erhält Die identifchen Sätze helfen fo wenig dazu, als das Lefenlernen er- leichtert wird , wenn man einem die Sätze vor« Taget: A ift A. B ift B, welches jeder Knabe fo gut willen kann, als fein Schulmeifter , ohne dai's er dadurch fein ganzes Leben hindurch ein Wort lefen lernt, oder in der Kunft zu leren weiter kommt.

Wenn diejenigen, welche mich tadeln, dafs ich diele Sätze fpielende nenne , nur das« was ich oben gefagt habe, mit Bedacht gelefen haben, fo muffen fie bald oefehen haben, dafs ich upter identifchen Sätzen nur diejeni- gen verftehe, in welchen ein und derfelbe Aus- druck, der denfelben Begriff bezeichnet, voa (ich felbft bejahet wird, welches wohl der ei* gentliche Sinn diefes Worts ift. Und von die» fen darf ich auch jetzt noch ohne alle Bedenk, lichkeit behaupten, dafs es nicht viel befler, als Spielerei ift, fie als belehrende Erkennt- nifle vorzutragen. Denn für einen denkenden Menrchen ift es üheiflüffig, da er fie felbft fin- det, wo fie zu bemerken und , und wenn er fie denkt, ihre Wahrheit nicht bezweifeln kann»

Wenn Einige nicht diefe fondern andere Sä- tze unter den identifchen verftehen, fo mö- gen andere entft h-eiden , ob fie oder ich den eigentlichen Sprachgebrauch befolge. Aber al- les

Achtes Kapitel. 187

Jos, was He von Sätzen Tagen, die nicht in mei- nem Sinne identifch find, gehet mich und m.ei* se Behauptungen nichts an.

§•

Wenn ein Theil eine* zufammen- gef etzten Begr iffs von dem Gan# zenausgefagtwird«

II. Eine andere Art von fpi elenden Sä- tze n ift, wenn ein Theil eines zufa w enge fetzten Begriffs von dem Wor- te des ganzen Begriffs, ein Theil des Pefinitionvon dem erklärten Wur- fe prädiciret wird. Von der Art find diejenigen , wo die Art oder ein engerer Begriff das Subject und die Gattung oder ein weiterer das Prädicat ift ; z. S. Blei ift ein Metall. Für Einen , der einen deutlichen Begriff von Blei hat, ift diefer Satz wenig belehrend. Alle «infachen Merkmale , die der Begriff Metall enthält, hatte er fchon vorher gefaxt, und. in dem Wotte Blei ausgedrückt. Wenn Jemand die Bedeutung des Worts Metall, aber nicht die des Worts Blei wufste, fo würde man ihm freilich die letztere auf einem kürzeren Wege dadurch erklären, dafs man f gte: es ift ein Metall, als wenn man die Merkmale, welche das Wort Metall auf einmal ausdrückt, einzeln aufzählen wollte.

i%& Viertes Buch.

f. $,.

Gleiche Spielerei es , einen Theil der Definition von dem erklärten Worte, oder einen Beftandtheil eines zufammengefetzten Begriffs von dem Worte des vollftändigen Begriffs zu prädiciren , z. B. Alles Gold fchmelz- b ar. Die Scmelzbarkeit, die ein Beftandtheil des durch Gold bezeichneten Begriffs ift, die- fera Worte, welches in der gewöhnlichen Be- deutung jenes Merkmal fchon in fich fafst, bei- legen , ift doch gewifs nichts anders , als ein Spiel. Es würde gewifs lächerlich feyn, wenn man den Satz, Gold ift gelb, als eine wichtige Wahrheit und im Ernfte behaupten wollte. Der Satz, es ift fchmelzbar, ift um nichts bedeu- tender, obgleich diefes Merkmal nicht mit in der gewöhnlichen Bedeutung des Worts Gold enthalten ift. Wie kann es belehrend feyn, wenn man einem Tagt, was man ihm fchon ge- jagt hat, oder was man als bekannt vorausfe- lzen mufs? Wenn man mit einem fpricht, fo nm'S man annehmen, dafs er die Bedeutung des Worts kenne, im entgegengefetzten Fall ift man verbunden, fie anzugeben. Weifs nun Jemand, dafs das Wort Gold den Begriff von einem gel- ben, fchweren, fchruelzbaren und fchlagbaren Körper bezeichnet, fo wird es für ihn wenig unterrichtend feyn, wenn man in einem förm- lichen Satze mit der Miene der Wicktigkeit Ta- get:

Achtes Kapitel. l$<j

get : da? Gold ift fchmel zbar* Solche Sytze können nur_die Redlichkeit deifeu ver- dächtig machen, der zuweilen an die Erklärung feiner Ausdrücke erinnert, indem er willens ift, diefelb« zu verlaffen: fie können, ungeach- tet ihrer Wahrheit, doch nur Kenntnifs von der Bedeutung der VVoite gewähren,

§. 6.

Jeder Menfch ift ein Thier oder ein lebendes Wefen, ift ein fo gewiffer Satz, als je einer Teva kann; er bringt aber der Erkenntnifs der Dinge fo wenig nahe, ah wenn man Tagt: ein Zelter ift ein Prachrpferd oder ein fchrei- tendes wieherndes Thier. Beide betreffen nur die Bedeutung der Worte, und geben blos zu erkennen, dafs Körper, Empfindung und Bewer gung drei Befbndtheile des Begriffs Menfch find, und dafs, wo Ge nicht gefunden werden die Benennung Menfch diefem Dinge nicht zu- kommt; eben fo, dafs Körper, Empfindung, ei- ne gewifle Art des Gangs und der Summe zu den wefentlichen Befiandthf-ilen des Begriffs ei- nes Zelters gehören. Es ift hier völlig einer- lei, ob eiu o ier mehrere Merkmale, wel- che zufaujtnen den Begriff Menfch bilden, von dem Worte Menfch bejahet Werden. Wenn i. B. ein Römer durch das Wort homo folgende verfchiedene aber in einem Subject vereinigte

Ijo Viertes Buch.

Begriffe ausdrückte, hehmlich Körper, Empfiri* dungsvermögen , Bewegungsvermögen , Ver- nunft, das Vermögen zu lachen, To könnte tet ohne Zweifel einen oder alle diefe zufammeni mit der gröfsten Gewifsheit und Allgemeinheit Von dem Worte Menfeh behaupten , dadurch aber nicht mehr fagen, als dafs die Bedeutung diefes Worts in feinem Lande alle diefe Begriffe iufammenfafle. Wer mir hingegen lagt, dafs das Wefen, in dem Empfindung ■, Bewegung^ Vernunft und Lachen vereinigt find, einen Be- griff von Gott hat, oder durch Opium in Schlaf verfetzt werden kann, der bildet einen wirklich lehrreichen Satz. Denn der Begriff Menfeh enthält nichts davon, und, wir lernen dadurch etwas mehr, als was da» Wort bedeutet, inehr, als falofse Wortkennt*

§» ?•

Ehe ein Menfeh einen Satz bildet, fetzt mad Voraus, dafs er die Ausdrücke verftehet, deren er fich in demfelben bedienet, weil er fonft wie eiti Papagay, der leere Töne nachtn2cht, die er von Andern gelernt hat , aber nicht wie ein vernünftiges Wefen fpricht, welches die Tönß zu Zeichen feiner Vorftellungen macht; Auch von dem Hörer müfs man vorausfetzen , dafs er die Ausdrücke des Sprechenden verliehe-,

weil

Achtes Kapitel. 191

weil der letzte Tonil eirie verdorbene unver- (ländliche Sprache Teden niüfste. Derjenige fpielet alfo mit Worten, der einen Satz bildet« der nicht mehr Paget , als was der eine Aus- druck fchon in fich enthält, z. B. ein Triangel hat drei Seiten. Diefes kann nur dann vet- fiattet werden , Wenn mau einem Andern Aus- drücke, die er nicht verftehef, erkläret. Jdeü- tifche Sätze lehren alfo nur die Bedeutung und den Gcbra uch der Worte»

$. 8.

Wir können alfo die Wahrheit zweier Arten von Sätzen mit vollkommener Wahrheit erken- nen. Efftiich fpielende Sätze, die zwar Ge- wifsheit enthalten, die aber nur die Worte an- gehet, und nicht belehrend ilt. Zweitens kön- nen wir auch die Wahrheit de-jeni*en Sätze mit Gewifsheit einfeher. , welche etws ron ei- nem Dinge Behaupten, das eine notrnvendige Folge des Begriffs von dem Dinge, aber nicht in demfelbeu enthalten ift, z. B. in jedem Triangel ift der au fsere Winkel gröT- fer, als einer vou den ent«egenge- fetzten inner ri. Diefes Verhältnii's der Winkel macht keinen Beft-icdtheil de«; Hroriff« eines Dreiecks au<; der Sitz ift alfo belehrend, und enthält reale Wahrheit und Er« k en n tnifs<

§. 9'.

lyl Viertes Buch.

Viele allgemeine Satte von Sub. Ranzen find fpielend»

Wir haben wenig oder gar keine Erkenntnifs von den Verbindungen einfacher Merkmale, wel- che in den Subftanzen zufammen exiftiren, auf- fer durch die Sinne. Es find daher keine all- gemeine gewifle Sätze von den Subftanzen mög- lich- ausgenommen diejenigen, worauf uns ihr Nominalwefen führet; und felbft diefes gewäh- ret uns nur weniee und unbedeutende Wahrhei- ten in Rückficht derjenigen, welche lieh auf das reale Wefen der Subftanzen gründen. Die allgemeinen Satze, welche Subftan- zen zum Gegen ft an de haben, find a 1- fo, wenn fie gewifs find, gröfsten- theils fpielend; und wenn fie beleh- rend find» ungewifs und von der Art, dafs wir ihre reale Wahrheit nicht erkennen können» fo fehrauch fortgefetzte Beobachtun- gen und Analogie ur fereUrtheilskraft mit Muth> mafsungen zu Hülfe kommt. Daher rühret es, dafs man oft fehr deutliche und zufammenhän- gende Räfonnemens höret, die keinen Inhalt haben. Denn es ift einleuchtend , dafs die Worte von fubftantiellen Wefen, infofern ihnen eine relative Bedeutung angeknüpft ift, und die Erklärung ihrer Begriffe es erlaubt, fo gut, als andere in bejahende und verneinende Sätze ver- bunden

Achtes Kapitel. I93

bunden werden können; diefe Sr.ttb fi^d fo Wahr, und es können von ihnen andere mit eben der Gewißheit abgeleitet werden , als bei den realfteu Sätzen der Fall ift, ohne dafs fie bei dem allen die g^ringfte Erkenntnils von det Kam? und der Realität auiser uns exulierender Dinge enthalten. Durch diefe Methode kann Einer DemOnOrationen und unbezweiielte Sätze in Worten auFfteüen , obue doch die Erkennt- nis von der objeetiven Wahrheit der Dinge im £eringften zu befördern. Er darf z. ß.'nur die Worte Subßanz, M e n f c h, T h i e r, Form> örganiCc he Kraft, Sinnlichkeit, Ver- nunft mit ihrer gewöhnlichen Bedeutung ken- nen, und kann er mehiere unbestreitbare Sätze Von der Seele aufteilen, ohne zu wiffen , was die Seele wirklich ift. Eine grofse Meo^e vori folchen inhaltleeren S.itzeh, DemOnftrationert nnd Schlüflen findet man in den Schriften über lYletaphyfik, Schultheologie und einer gewiilen. JXatuiphilorophie, durch welche kein MenTch von Gott, von Geiftern und den Kör- pern etwas mehreres lernt, als er vorher tvufste.

Wer die Freiheit zu definiren hat, d. i. die

JtJedeutungeu der fubftantiellrn Worte zu be-

ftimmen, (wie Jeder thut, der dadurch feine

Locke's. III. TJioil, N eig-

194 Viertes Buch.

eignen Begriffe bezeichnet); wer ihre Bedeu- tung« - ..llkuhrlich beltimuit, indem er lie auf feiue und Andrer Einbildungen, nicht auf fror- fchun'en über die Natur der Dinge felbft grün- det, kann ohne viele Mühe dss eine Wort von dem andern nach den Beziehungen und Ruck- lichten auf einander, die er in fie einmal gelegt hat, auf da< firengfle ableiten; er nimmt hier kein*- Kiickficht auf die Natur der Dinje, info- fern fie übereinftimmen oder nicht, fondernuur auf feine U- griffe und die Ausdrücke derfelben. Aber dadurch vermehrt er fo wenig feine Er- kenntnis, als derjenige fein Vermögen vermehrt, der aus einem Sack Zahlpfennigen eine grofee Summe von Louisdoren, Thalern u. f. w. auf- zählet.

§. XI.

Verän derlichkeit in demGebrauch der Worte.

III. Der Gebrauch der Worte, vorzüglich in Streitigkeiten, giebt uns Urfache, oft über eine noch andere W or t fp 5 el er ei zu klagen, die von der ichlimmften Art ift, und uns noch, weiter von der gewiffen Eikenntnifs entfernt, die wir zu finden hofften. Viele Schriftfteller find nehmlich fo wenig darauf bedacht, wirk- liche ErkenntniTs der Natur zu befördern, dafs fie vielmehr in dem Gebrauch der Worte will-

kühr-

Achtes Kapitel. 195

kührlicb und regellos verfahren , und durch. Veränderlichkeit in der Bedeutung Weder die Ableitungen des einen Worts von dem andern klar, noch ihr Rä'önnement deutlich und zu« fammenhär.gf nd machen, Diefes würde fehr leicht zu bewerkftelligen feyn , obgleich der Inhalt dadurch nicbt lehrreicher würde, venn fie es nicht vortheilhafi fanden, ihre ^nwiden- heit oder Hartnäckigkeit unter a.ei Dunkelheit verwickelter Redensarten zu bedecken, wozu bei vielen Menrchen vielleicht auch Unachtram- keit und üble Angewöhnung nicht wenig bei» trägt.

§. 12.

Kennzeichen von inhaltleeren Sätzen.

Zum Schlnffe fetze ich noch die Merkmale her, an denen blofs wörtliche Säue erkannt werden können. Er ft lieh: Alle Sätze, worin zwei abftracte Aus drücke von einander bejahet werden, betref- fen blofs die Bedeutung der Worte, Denn da ein abftracter Begriff nur mit fich felbft aber nicht mit einem andern ideurifxh feyn kann, fo kann es nichts mehr zu bedeuten ha- ben, wenn das abftracte Snrachzeichen deffel- ben von einem andern bejahet wird , als, tlafs jener Begriff durch diefes Wert könnte oder

N 2 folUe

ic$ Viertes Bush.

foll'e bezeichnet werden , oJer ; dafö beide Worte einerlei Begriff bezeichnen , 2. B. Spar- farakeit ift Wirthfchafiiichkeit , Dankba;keit ift Gerechtigkeit, diefe oder jene Handlung ift Mäfsigkeit. So fcheiubar auch diefe Sätze vor- erft klingen, fo ift doch bei näherei Unterfu- chung ihr Gegenftand nur die Bedeutung diefer Worte.

§.

Zweitens; Alle Sätze find blofs wörtlich, wo ein Theil eines z u - - famm en gefetzten Begriff 6. der durch, eiu Wort ausgedrückt wird, von die- fem Worte hejahet wird; z. B, Gold ift fein Metall« Alfo alle Sätze, in denen Gat- tungen oder Worte von weiterem Umfange von engern Worten als Arten und 1 n d i v i- duen bejahet werden, haben keinen realen Inhalt. -

Wenn nach diefen beiden Regeln, die Sä- tze, welche im mündlichen und fehriftiieben Räfonnemens gewöhnlich vorkommen, geprüft werden , fo wird lieh das Refultat ergeben, dafs mehrere, als man glauben möchte, blofs die Bedeutung, den Gebrauch und die Anwen- dung der Worte mm Gegenftande haben.

Als

Achtes Kapitel. igj

Als untrügliche Regel dürfte wohl diefes aufgeftellt werdeu. VVetiu nicht ein Begriff, den ein Wort ausdrückt, deutlich erkannt und betrachtet; wenn nicht etwas, das in dem Be- griffe nicht enthalten ift, von dein Worte beja- het oder verneinet wird, da betrifft unfer Den- ken nur Worte, aber reale Wahrheit undFalch- heit ift ausgefchloffen. Die Beobachtung diefer Kegel könnte uns vielleicht einen beträchtlichen Theil von unnützen Arbeiten und Streitigkei- ten erfparen, und den mühevollen irrenden Weg in Erforfchung der realen Wahrheit abkürzent

Neuntes Kapitel,

Von Erkenn tnifs der Exillenz.

§» 1.

Allgemeine gewilTe Sätze haben nicht die Exiftenz zum Objecte,

VV ir haben bisher nur von dem Wefcn der Dinge gehandelt, welches blos in abftracten Be-

N 3 gvif-

19? Viertel Buch.

griffen beftebt. Diefe Begriffe abftrahiren von der Wirklichkeit individueller Dinge, und kön- nen daher durchaus keine Erkeuntnifs von der ¥.Kii\enz irg-nd eines Dinges geben. Denn die erfte Handlung des Verbandes bei der Abltra- cdon befte;.et däri\ einen Begriff nur als etwas in dem Verpfände Wakliches zu betrachten. Wir können hier beiläufig die Anmerkung ma- eben, dafs jeder allgemeine Satz, von defleu Wahrheit oder Falfchheit eine gewilfe Erkenntnifs möglich ift, kein Dafeyn be- trifft; da!s hingegen jeder particuläre be- jahende oder verneinende Satz, der nicht gewifs feyn würde, wenn man ihn allge- mein machte, nur allein Wirklichkeit zum Ge- genftande hat. Die letzten zeigen nehndich die zufällige Verbindung oder Trennung der "V orftellnngen in emittierenden Dingen an, wel- che in dem abftracten Wefen keine erkenn- bare rnthweBdige Verbindung oder Unveiein- barkeit haben.

f. 2.

Die Erkenntnifs der Exiftenz ift dreifach.

Doch wir werden an einem andern Orte von der Natur der Sätze und den verfchiedenen Arten der Verbindung des Prädicats mit dem Subjccte ausführlicher handeln, und gehen da- her

Neunte» Kapitel. iyy

her Cogleich zur Unterfuchung »nfrer Erkennt- nifs von der Exiftenz der Din^e , und der Art, wie wir fie erlargen, über. Wir babeii ei- ne Erkenntnifs von un ferro eignen D a feyn durch die A n fch a uu n gj von der Exiftenz Gottes durch die D emouft ra- tio n ; und vor dem Dafeyn anderer Din- ge durch die Empfindun

£•

§. 3-

Die Erkenntnifs von unferm eig- nen Dafeyn anfehauend.

Unfer eignes Dafeyn erkennen wir fo klar, fo gewifs, dafs es eines Beweifes weder bedarf, noch empfänglich ifh Denn nichts kann für uns fo evident feyn , als unfere eigne Exiftenz. Ich denke, ich fchliefse, ich ein p f in d e V e 1 g n ü g en und Seh merz. Kjnn etwas von dieren klärer feyn, als mein eignes Dafeyn? Wenn ich an allen andern Diugen zweifle, fo nÖthiget mich felbft diefer Zweifel, an meine Exiftenz zu denken, und macht es unmöglich. He in Zweifel zu ziehen« Denn wenn ich weif1;, dafs ich Schmerz empfinde, fo ift es einleuchtend , dafs die Wahrnehmung von meiner eignen Exifteuz fo gewifs ift, als von dem Dafeyn des Schmerzes, dm ich fühle; wenn ich alfo weifs , dafs ich zweifele, fo ha- be ich eine fo gewiffe Wahrnehmung von dem

N 4 z wof-

sr

äoo Viertes Buch»

zweifelnden Subjecte, als von dem Den- ken . das ich zweifeln rierine. Die Erfahrung überzeugt uns alfo, dafs wir eine a n f c h a u e n„ de Erkenntnifs von un Terra Dafeyn, ein inneres untrügliches Gefühl, dafs w»r fiud, haben. In jedem Akt des Empfindens, Schiie- hens und Denkens werden wir unfers Dafeyn? bewirfst , und die Gewifsheit davoa erreicht $en höchften Grad.

Zehntes Kapitel,

Yo» der Erkenntnifs des Dafeyn* Gottes.

Wir find einer gewiflen Erkennt- nifs vom DafeynGottes empfäng- lich,

Obgleich uns Gott keine angebornen Begriffe yon ihm felbft gab, noch originelle Züge ein- prägte,

Zehntes Kapitel. 201

prägte, in denen wir das Seyn defTelben lefen könnten; fo hat er uns doch dadurch, dafs er uns mit den Kräften unfers Geil'tes ausrüftete, nicht ohne Zeugen feines Daleyns geldtlen. Denn wir nahen Empfindung, "Wahrnehmung und Ver- nunft, und fo lange unfer Selbftbewufstf-yn daur ert, fo lange darf es uns nicht an e»»em Beweis für daffelne fehlen. Es wäre Ungerechtigkeit, uns in diefem wichtigen Punkte über unfere UnwiiTenheit zu beklagen , denn «hat uns fo reichlich mit den Miueln, ihn zu entdecken und zuerkennen, verfehen, als es für den Endzweck; unfers Dafeyns und das wichtige IntereiTe uzjferer Glückfeligkeitnothwendig war. Ungeachtet aber diefe Wahrheit unter allen am rneififfn der Ver- nunft fiph aufdringt, und ihre Evidenz, wo ich; nicht irre, der mathematifchen Gewifsheit gleich, kommt, fo erfodert fie doch Nachdenken und Auftnerkfamkait j die Vernunft mufs auf eine regelmäfsige Ableitung dcifelben aus einem Thei- le ihrer aufchauenden Erkt-nntniTs denken, fonft find wir fo unwiifend und uugevrifs in diefem, als in andern Sätzen, welche an ficli einer licht- vollen Demonftration f^i big find. Um daher zu zeigen, dafs wirderErkenntnif« vom Dafeyn Got- tes fähig find, und wie wir zur Gewifsheit darin kommen, düifen wir nur, denke ich , auf uns felbft und die untrügliche Etkeniitnifs von um ferro Dalcyri zurückgehen.

N 5 $• 2.

lit Viertes Buch.

§. 2.

Der Menfch vreifs, dafs er felbrt exi dir t.

Dafs jeder Menfch ein klares Be- wufstfeyn von feinem eigenen Da- feyn hat, ift wohl aufser allen Zweifel. Jeder Mer.fch weif« gewis, dafs er exiftiert, und <\ah er etwa* ift* Wer noch diran zwei- feln kann, ob er etwas oder nichts ift, mit dem habe ich fo wenig zu thun, als ich ein blofseS INichis mit Gründen überzeugen würde, dsfs es el'.v^ ift. Wenn Jemand fo fehr dm Skep- tiker alL'ctiTt. dafs er feine eigne Exiflen* laugt riet, Cdenn es ift offenbar unmöglich, fie wirk- lich zu bezweifeln,) fo mag er meinetwegen die GlückfeÜgkeit, ein Nichts zu feyn, fo lan- ge ge< i< -l^en, bis ihn Hunger oder ein anderes unangenehme« Gefühl von dem Gegemheil übt führt. Ich darf es alfo als eine Wahrheit vorausfetzen, d.ifs jeder» der wirklich exi- ftiert, auch etwas ift, als eine Wahrheit, von der Jed°i eine fo gewiile Erkenntnifs hat, dafs He ihm allen Zweifel vei bietet.

$. 3-

Zehntes Kapitel. 30}

* 5.

Nichts kann etwas hervorbringen, es mufs ein ewiges Wefen »eben,

Jeder Menfcb erkennet ferner mit nnfchauen- cler Gewifsheit: dafs ein b I o f s e s Nichts fo wenig ein reales Ding hervor- bringen, als es twei rechten Win- keln gleich fern kann. Wenn ein Menfch nicht erkennet, dafs ein Unding, oder dasjeni- ge, dem alles Seyn mangelt, nicht zwei rech» ten Winkeln gleich feyn kann, fo ift es ihm unmöglich, eine Demor.ftration des Euclides zu erkennen. Sobald wir daher wiiTen, dafs es ein reales Ding »icbt, und dafs ein Unding kein reales Dirg hervorbringen kam , fo ift es eine unwiderlegliche Doinonflrition, d-ifs von Ewig- keit etwas Reales mufs exiftiert haben. Denn was nicht von Ewigkeit ift, hat ei- nen Anlang, und was einen Anfang hat, mufs durch *in anderes Wefen hervorgebracht fey.i.

§. 4.

D a s e w i g p Wre fen mufs denhöch- ft e n Grad von Macht b e f i t z e n.

Es ift ferner einleuchtend, dafs ein Ding, welches fein l' \>\n vnu einem andern hat, alle*, was in ftinein WtlVn enthalten ift, und

was

2o4 Viertes Buch.

was zu feiner Exifienz gehört, auch von einem andern mufs erhalten haben. Alle Kräfte, die es hat, wiujs es derselben Quelle verdanken. Die ewige Quelle aller Wefenmuf$ alfo auch die Quelle und der Ur- fprung aller Kräfte, und folglich mufs das ewig? Wefen höchft mächtig feyn.

Es mufs die höchfie Intelligen; feyn.

Der*Menfch findet in fich Bew ufstfeyn und Erkenntnifs. Wir gewinnen dadurch fchon wieder einen Schritt vorwärts, und vvif- fen nun gewifs , dafs es in der Welt nicht nux ein (unbeftimmt welches), fonderri auch eiq erkennendes und denkendes Wefen giebt. Es war alfo eine Zeit, da es kern denkendes Wefen gab , und da die Erkenntnifs ihren Anfang »ahm; oder wenn das nicht ift, f o i ft ein den- kendes Wefen von Ewigkeit gewe- fen. Wenn man den Einwurf macht: es war eine Zeit, da kein Wefen eine Erkenntnifs hat- te, da das ewige Wefen ohne alles Denken' vvar^ fo erv/iedere ich, d^fs denn unmöglich zu ei- ner Zeit Erkenntnifs hätte wirklich werden kön- nen. Es eben fo unmöglich, dafs aller Er- kenntnifs und alles Bewufstfeyns beraubte, und ^ blind-

Zehntes Kapitel. 2-J

blindlings wirkenden Dinge_ e!n erkennendes Wefen hervorbringen , als dafs ein Dreieck felbft machen kann, dafs feine drei Winkel größer als zwei rechte lii-tl. Denn e w der- fpricht d^'ü» Re^rilTe der bewt/streynlofen Ma- terie , in lieb felbft BeWufsrXeyn , Empfindung und Erkenntnifs zu le^en , fo vtie es dem Be- griff einf-s Dreiecks widerTpricht, fich felbft Winkel zu geben, welche grüfser find, als twei rechte.

Es tnufs alfo eine Gottheit geben»

So leitet uns die Vernunft von dem Nach- denken über unler Ich und über das, was wir unterer Natur finden, zur Erkenntnifs der geWiffen und evidenten Wahrheit: es exi» ft i e r t ein e Wfcg ;fcjs , h ü c h ft rti ä c h t i g e s Wefen, welches die hüchfte Erkennt. nifs befitzt. Ob man (iic-Fes G o 1 1 nenn?, daran liegt nicht viel. Das DnfeVn eines fökhen Wcfem ift einleuchtend; ufad wenn diefer Be- griff mit gehörigem Nachdenken erwogen wird, fo kann es nicht fchwer fallen, alle Eigenfchaf» ten, die wir dem ewigen Wefen beilegeu mfif- fen , aus demfelben abzuleiten. Sollte lieh in« defs ein fo unvernünftig anmafsender Menfch finden, der den Menfchen allein für ein' erken- nende* , Weife* Wefen , zu^leiäh aber für das ' Pro-

I

20$ Vierte» Buch.

Product des blofsen gedankenleren Zufalls hal- ten, und meinen wollte, das ganze Univerfum, den Menft.hen ausgenommen, wirkte nach ei- nem blinden Zufall, dem empfehle ich zum reifli- chen Nachdenken, die vernünftige und höchlt nach Jtücküche Abfertigung des Cicero: „Kann fich ein Menfch einer gröfsern Thorheit und eines unan(ta;odigem Stolzes fchuldig machen, eis wenn er denkt, er allein befitze einen ver- Künftigen Geift, und aufser ihm komme in dem ganzen Univerfum keine Spur von einer Intel- ligenz vor? Oder daTs alle diejenigen Dinge, die er mit der hüchfteu Anftreugung reiner Ver- nunft kaum begreifen kann, ohne alle VernunH beweget und regieret werden?" *)

Das Getilgte überzeugt mich vollkommen, dafs vyir eine geiviilere ürkenntnifs von der Exi- ftenz Guites haben , als von der Exiftenz eines Dinges, das die Sinne nicht unmittelbar dar- in -iiew. Ja ich glaube lagen zu können , wir willen mit mehr Gewi.isb.rit , dafs Gott ifr, als uals irgend ein anderes YVefen aufser uns

exi»

*) Cicero de legibus M. 0. % Quid eft enim vf- j in- , quam neminem eiTe oporteie tarn linke ui- rnoanterli , ut in fe muntern et lationem pniot ine.Ie , in endo niimdocjue nou pniet ? Ante*, rjn.ie vis. fnmina ingenii latione conipielicuilut, inilla latione moveii putet?

Zehntes Kapitel. 207

exiftiert. Wer.n ich fage, wir wiffeu, fo verliehe ich darunter nur foviel: die Erkennt- nis davon lic£t innerhalb den Grenzen der Möglichkeit; und wir, können fie durch gehö- rigt- Anwendung der Jjetlenkiäfie wirklich er- langen,

§. 7.

Der Betriff des vollkommen ft e n WeTens i ft nicht der einzige Be- weis für das Dafeyn Gottes.

In wieweit der Betriff des v o 1 1 k o ru - xnenften Wefens . den fich ein Menfch bilden kann , die Exidenz Gottes b^weife oder nicht, will ich hier nicht unter'uchen. Denn nach Verschiedenheit der Gernü< hsftiininung und der Richtung der Gedanken hat bei einem !\-en- Cohen Ltald diefer baln jener B< w?isgrund titHii Gewicht. Aliein es ift, wie mich dünkr, nicht der iweckwäTsigfte V. e^, diefe Wahrheit zu he- gründen, und die Gotu«!äugncr zum Schwei- gen m bringen, \v>enn u.an auf dielen W:d allein eine fo wichtige Wahrheit Düivt, urrVl s Factum, dafs einige Menfchen die feil Be^yff \ Oii Gott in ihieui Gemifth« haben, al*. 'wn einzigen Beweis für das Dafeyn der Gotiiuit anfieh' t. Denn offenbar haben einige Meirichen gar keinen Begriff von Gott, andere fo unw.ii- dige, dafs es bellei Wäre, ue hauen gar keine,

die

£og - Vierte» Bü&fi.

die raeifteßaber, tehj abweichende Vorfte1Iuhg-s; arten. Es wäre , fäge ich , Ungerecht* aus zu grotser Vorliebe für diefe Lieblings^ «rfinduhg, alle andere Beweisgründe zu ver^ ■werfen, cd et doch ihre Beweiskraft herabzu- würdigen; es wäre ungerecht, andern Men* fchen zu gebieten, den Gründen, Welche unfer Dafeyn und andre Thesit* der Gchtbaren Welt rnit folch^r Klarheit und überwältigender Kraft darbieten , dafs ihnen kaum ein denkendet J/Jenfcb widprflehen kann, als fchwachen und betrügerifchen Giünden kein Gehör zu geben. Denn es giebt, ha; h meinem Dafürhalten, keine fo gewiffe und einleuchtende Wahrheit , als dafs das unfi cht bare Wefen der Gott- heit 3 us der Schöpfung der Welt deutlich erkannt wird, und dafs d i e D i r> g ? , die semachi f i n d , f e i n e ewige M ä/c n. t und Gottheit o ff e n b a xen. Unfer eigenes Dafeyn giebt uns', wie ich fchon geugt ~abe, einen ("eichen deutlichen Und unleugbaren Beweis für das Dafeyn Got- tes, dafs Niemand feiner Stlirke widerfiehcri lann, wenn er ihn mit eben der Aulinerkfam« ieit beachtet, als eine andere fo Tehr zufammen-

gefetzte Detnönftrafion. Da es aber eine Grund- fr)

•Wahrheit von der äu/semen Wichtigkeit ift, \yeil Geh alle Religion und ächte Moral darauf gründet, fo werden es mir meine Lefer verzei- hen'!

Zehntes Kapitel. 2o9

hen, wenn ich einige Glieder des Beweifes noch einmal etwas weitläufiger entwickele.

§. 8.

Es in u fs Etwas von Ewigkeit f e y

Es ift keine Wahrheit fo evident, als daf« Etwas von Ewigkeit feyn mufs. Ich habe noch nie von einer folchen Unvernunft gehört, dafs Jemand einen folchen Widerfpruch, als eine Zeit ohne alles reale Seyn ift, ange- nommen hätte. Denn es ift die gröfste Unge- reimtheit, dafs ein vollkommenes Unding, die Abwefenheitund Verneinung alles Seyns, irgend zu einer Zeit ein reales DalVyn follte hervorge- bracht haben. Da es für alle vernünftige We- fen eine unvermeidliche Notwendigkeit ift, anzunehmen, dafs etwas von Ewigkeit exiftiert hat, fo muffen wir nun zunächft fehen, welche Art von Wefen ein nothwendiges Dafeyn hat.

. $• 9-

Zwei Alten von Wefen, Denkende und Nichtdenkende.

Es giebt nur zwei Arten von Wefen in der Welt, von denen derM«nfch Erkenntnifs oder Vorftellutigen hat, l) Ganz matejielle We- fen, ohne Empfindung, Wahrnehmung und Ge- danken , wie abgefchnittene Haare oder Nägel. Locke». III. Theil. O 2)

\

3io Viertes Buch.

2) Empfindende , denkende Wefen mit Be- wuTstfcyn, wie unfer Ich, ßekle werde ich in der Folge denkende und nichtdenken- de Wefen nennen, weil ich diefe Ausdrücke, wo nicht überhaupt, doch zu meinem jetzigen Zweck angemefiener halte, als die, materielle* unmaterielle«

§. io.

Ein nichtdenkendes Wefen kann kein denkendes hervorbringen«

Wenn alfo ein ewiges Wefen noihwen* dig ift, fo lafit uns fehen, von welcher Art es feyn mufs. Es mufs ein denkendes Wefen feyn , diefes leuchtet der Vernunft fogleich ein« Denn es läfst fich [o wenig den- ken, dafs die blöke nichtderkende Materie ein denkendes Wefen, als dafs ein Nichts aus ficll felbft Materie hervorbringen könne. Man neh- me eine ewige Maffe Materie an , fie fey grofs oder klein, und man wird finden, dafs fie nicht im Stande ift, Etwas hervorzubringen. Wir wollen z. B. annehmen, die Materie eines Kie- felfteins wäre ewig, feft, zufaminenhängendj und die Theiie in vollkommener Ruhe. Mufs* te fie nicht ewig ein folcher Klumpen bleiben, da kein anderes Wefen in der Welt ift? Ift es denkbar, dafs diefe blofse Materie in fich felbft Bewegung oder aufser lieh ein anderes Wefea

her-

Zehntes Kapittl. Hn

hervorbringe ? Nein, diefes kann die Materie durch ihre eigne Kraft nie. Die Bewegung jriuls alfo auch entweder von Ewigkeit gewe- Ten, oder durch ein anderes, machtigeres We- fen hervorgebracht und mit der Materie verei- wigt worden feyn. Und wenn wir auch die Ewigkeit der Bewegung annehmen , fo kann doch diefe und die nichtdenkende Mate- rie durch alle mögliche Veränderungen der Gehalt und Grüfse nie einen Gedanken hervorbringen. Er kenntnifs hervorzubrin- gen überfteigt l'o fehr die Klüfte der Materie und Bewegung, als es die Kräfte eines Nicht«, eines Undings üherAeigt , die Materie hervor- zubringen. Ich berufe mich auf jeden denken* denMenfcher, ob er es nicht gl« ich denkbar finde, dafs die Materie durch ein Nichts oder ein Gedanke durch die Materie hervorgebracht fey, wenn nicht vosher ein Gedanke oder ein denkendes YVfcfen vorhanden war. Man theile die Materie in fo kleine Theile man will, (man könnte vielleicht glauben , man rergeiftige dadurch die Ma>erie, und mache ein denkendes Wt Ten daraus) ; man verändere ihre Geftalt und Bewegung, wie man will ; allein eine Ku- gel, ein Wüifel, Kegel u f. Vf. , deren Diame- ter der loooooöfteTheil einer Secundeift, wird dennoch auf andere Körper von gleicher Gröfse nicht andere wirken j als Wenn Ae einen Zoll oder Fufs im DurduneAer haben. Man fetze

O 2 grofiö

21 a Viertes Buch.

grofse Theile der Materie, oder die möglich!! kleiuften mit einer gewiiTen Art von Bewegung und Gewalt zufammen , ur.d es lafst fich in dem einen Fall fo wenig, ala in dem andern, erwar- ten, dafs Empfinden, Denken und Erkennen dadurch wirklich werde. Alles, was die grof- fen, wie die kleinen, Theile vermögen, ift, dafs fie einander anftorsen , fortfiofs-sn und wi- derstehen. Alfo kann keine Materie an- fangen zu feyn, wenn wir nichts ur« fprüngliches und ewiges annehmen; wenn wir blofse Materie ohne Bewe- gung als ewig annehmen , fo ift der Anfang einer ewigen Bewegung, und wenn wir beides, Materie und Bewegung als ewig annehmen, fo ift der Anfang des Den- kens unmöglich» Denn es iäfst fich un- möglich denken, dafs die Materie, mit oder ohne Bewegung, Bewufstfeyn , Empfindung, Erkenntnifs in fich odeT vou fich urfprünglich gehabt habe, weil fonft das\ orfteilen eine ewig unzertrennliche Eigenfchaft der Materie und jedea Materientheiles fevn ruüTste. Hierzu kommt noch, dafs, ob wir uns gleich die Ma- terie nach ihrem Begriffe als ein Ding vor- ftellen, fie doch wirklich nicht ein individuel- les Ding ift; die Materie ift nicht fo voihön- den, wie ein materielles Ding oder als ein ein- zelner Körper, den wir wahrnehmen und uns vorteilen. Gefetzt ail'o > die Materie wäre dag

erite

Zehntes Kapitel. Og

erfte urfprünglich dei.kende Wefen , fo würde nicht ein ewiges urfprüngiiches denkende* Wefen , fondern eine unendliche Menge fol- cher Wefen vorhanden feyn , die unabhängig ron einander mit eingefchränkter Kraft und in- dividuellen Denken, nie die Ordnung, Har- monie und Schönheit, welche die Natur offen- baret, hätten hervorbringen können. Da nun das urrprünglich evvigeWefen nothwendig den- kend feyn . da das urfprürglicbe Wefen alle Vollkommenheiten, welche nachher exifUeren konnten, nothwendig in Geh enthalten inufs, und keinem andern Wefen eine Vollkommen- heit geben kann , die es nicht felbft, zum we- nigften in höhern Grade befitzt; fo folgt noth- weijdig daraus , dafs das erfte ewige We- fen nicht Materie feyn kann*

§. "♦

Ein ewiges denkendes Wefen LH alfo nothwendig.

Wenn es alfo einleuchtend iß, dafs Et was nothwendig von Ewigkeit exiftieren mufs, fo ift es auch einleuchtend, dafs diefes Etwas nothwendig ein denkendes We- fen feyn mufs. Denn es ift fo unmöglich, dafs die nichtdenkendc Materie ein denkendes Wefen, als dafs ein Nichts ein pofitives Etwas oder Materie hervorgebracht habe.

0 3 , §. i3.

314 Viertes Buch;

§. 12.

Diefe Entdeckung der nothwendigen Exifteiu einer ewigen Intelligenz leitet uns auf eine zureichende Erkerintnib Got» tes. Denn es folgt daraus, dafs alle denkende Wefen, welche einen Anfang haben, von Gott abhängig find, und kein anderes Eikenntnifs- vermögen oder andere Kräfte befitzen , als die er ihnen gegeben hat, und dafs wenn er diefe Wefen, er auch die weniger edeln Theile des Univerfuius , alle leblofe Wefen gebildet hat. Hieraus werden feine AI 1 \v i ffen h ei t , All- macht, Vorfehung und alle übrige Eigen- fchaften begründe und abgeleitet. Doch wi* miiflen, um diefen Gegenftand noch mehr auf- zuklären, auch die Zweifel beleuchten, die da- gegen, vorgebracht werden können.

Erßer Einwurf.

Wenn es gleich fo gewifs , als es nur ei- r.e Demonftration machen kann, dafs ein ewi- ges Wefen nothwendig ift, und dafs es ein den- kendes Wefen feyn mufs, fo folgt doch nicht daraus, wird man vielleicht einwenden, dafs die'es denkende Wel'en nicht materiell feyn könne. Die Folgerung bleibt noch immer fle- hen, dafs ein Gott ift. Denn wenn es

ein

Zehntes KapneJ. 21 fr

ein ewiges, allwiiTendes und allmächtiges We- fen giebt, fo ift es auch gewifs , dafs ein Gott exiftiert, man denke fich diefes Wefen materiell, oder nicht. Allein ich glaube, diefe Vor- ausfeUung enthält eine gefahrliche Täufcbung. Da mau auf keine Weife dem Beweife, dafs ein ewiges denkendes Wefen notbvvendig ift, ausweichen kann, fo werden diejenigen, wel- che dem Materialismus ergeben find, gerne ein« räumen, dafs diefes denkende Wefen materiell ift. Denn wenn fie aus ihren Gedanken oder aus ihrem Räfonnement die G'ünde, wodurch das nothwendioe Dafeyn eines ewigen den- kenden Wefens bewiefen Wurde, entfchlü- pfen laffen, fo werden fie folgern, ddfs alles Materie ift, und dadurch das DaTeyn Gottes, das ift, des ewigen d en k en den Wefens läug- nen , wodurch ihre eigne Vorausfetzung nicht begründet, fondern zernichtet wird. Denn wenn* ihrer Meinung nach eine ewige Materie ohne eine ewige Intelligeuz feyn kann , fo trennen fie offenbar die Materie und Den« ken von einander, und fetzen keine notwen- dige Verknüpfung zwifchen beiden voraus ; hier- durch begründen fie die INothwendigkeit eines ewigen Geiftes , aber nicht der Materie , denn ein ewiges denkendes Wefen mufs,. wie fchon gezeigt worden , unvermeidlich eingefunden werden. Kann nun das Denken und die Ma- terie getrennt feyn, fo wird die ewige

O 4 Exi-

I

2l5 Viertes Buch.

j Exiftenr der Materie nie aus der

ewigen Exiftenz eines denkenden

Wefens folgen. Ihre Hypothefe ift alf»

zwecklos.

§ «4. Das ewige Wefen ift nicht mate- riell.

Doch wir wollen fehen , wie Ge fich felbft und andere befriedigend überzeugen können» dafs diefes ewige denkende Wefen materiell ift.

E ritlich möchte ich fie fragen: ob die ganze Materie , jeder Theil derfelben denken foll? Diefes werden fie aber wohl Tchwerlich behaupten wollen, weil fie fonft fo viele ewige Intelligenzen als Materientheile, al- fo eine unendliche Zahl Götter bekommen. Wol- len fie aber nicht der Materie als Materie, das ift , jedem Theile der Materie Denkkraft wie Ausdehnung beilegen, fo wird es viel Mühe koften , ihre eigne Vernunft darüber zu befrie- digen, wie ein denkendes Wefen aus un denkenden Theilen zufammengefetzt feyn kann ein Problem, welches eben fo fchwierig ift, als wie ein Ding aus nicht aus- gedehnten Theilen , um mich fo auszudiük- ken, ausgedehnt werden kann.

$. I*.

Zehntes Kapitel. 21"»

§. »5.

Ein Theil der Materie kann nicht denkend fern.

II. Wenn nicht alle Materie denkt, fo fra- ge ich , ob vielleicht nur ein Atom Denk- kraft haben foll? Allein diefer Fall ift fo ungereimt, als der erftere ; denn dicer A;om rnufs entweder allein ewig feyn oder nicht. Ift er allein ewig, fo müTste diefer einzige Atom durch feinen mächtigen Gedanken oder Wil- len alle übrige Materie hervorgebracht haben. Und fo hätten wir eine Schöpfung der Materie, eben das, woran fich der Materia- lift am meinten ftöfst. Denn nehmen fie an, dafs ein einziger deukpnder Atom alle übrige Materie gefchaffen hat, fo können fiedeinfelben diefen Vorzug nur de« einzigen Unterfcbiedes von andern, der Denkkraft wegen beilegen. Wol- len fie Geh aber auf einen andern Grund berufen, der lieh von uns nicht weiter vorftellen läfst, fo ift es doch immer eine Schöpfung, und Ge muf- fen alfo ihrem Hauptgrund fatze. aus Nichts wird Nichts, ungetreu werden. Behauptet man dagegen, dafs die übrige Materie eben fo ewig ift, als der denkende Atom, fo ift das zwar weniger ungereimt, aber doch immer eitt blo ler MachUpruch. Denn die ganze Materie als ewig anzunehmen, und doch einem Atom derlelbeii von den übrigen an E. kenntnifs und

O 5 Macht

»18 Viertes Buch;

Macht einen fb unendlicher) Vorzug zn gehen, hat nicht einmal Co viel Schein vor der Ver- nunft, um nur eine Hypothefe daraus zu bil- den. Jeder Theil der Materie ift als Materie eben derjelben -Geltaltnng und Bewegung em- pfänglich, als der andere; und ich f ödere Jeden auf, ob er noch etwas mehreres dem einen aus» fchiefslich beilegen kann*

§. U.

Ein Aggregat von nichtdenkender Materie kann nicht denkend fey n,

III. Da alfo wederein befondererAtom allein, noch die gefammte Materie als Materie, d.i. jeder Theil der Materie, das ewige denkende Wefen feyn kann, fo bleibt nur noch der eine Fall übng, dals nur ein Syrern von Materie durch feine zweck- mässige Verbindung die ewige Intelligenz feyn müfste. Diefes mag wohl der BegrifF von Gott feyn , zu dem fich die Materialifien am erften bekennen werden, weil diefer ihnen durch die gewöhnliche VoTftellungsart von ib.« rem Ich und andern Menfthen, die fie ebenfalls zu materiellen denkenden Wefen inachen, ara leichterten dargeboten wird. Diefe Vorftellun«j ift für ße freilich natürlicher, aber deshalb doch nicht weniger ungereimt. Denn die Hypothe- fe,

Zehntes Kapitel. 219

fe, die ewige Intelligenz fey nichts anders, als «ine Zufaminenfatzung von Materientbeilen, von denen jeder nicht denkt, ift foviel, als al- le Weisheit und Erkenntnifs diefes Wefens aus dem Nebeneinanderfeyn der Theile ableiten, welches höchft ungereimt ift. Denn wenn nichtdeukende Theile der Materie auf irgend eine Weife zufammengefctzt werden, fo kommt zu ihnen nichts, als ein neues Veihültnifs der Lage hinzu , welches ihnen unmöglich Denk* kraft geben kann,

§, 17.

Ferner, die Theile diefes Aggregats find entweder alle in Ruhe, oder fie haben eine fol- , che Bewegung , in welcher ihr Denken be- flehet. In dem erften Falle ift es ein blofser Klumpen, der vor einem Atom nichts voraus haben kann. Wenn aber das Denken von der Bewegung der Theile abhängt , fo muffen alle Gedanken nothwendig zufällig und begrenzt feyn. Denn die Theile, d^ren Bewegung dia Lirfache des Denkens ift, können ihre eigenen Bewegungen nicht zweckmässig beftimmen, da fie felbfi ohne Denken lind, noch weniger durch das Denken des Ganzen geleitet werden , weil diefes Denken nicht die Urfache der Bewegung (fonft müfstees vor der Bewegung vorausgehen, und alfo unabhängig von dejfelben fcynj fon- dern

\

5 Viertes Buch.

dem die Folge derMben ift. Hierdurch wird Freiheit, Selbftmacht . Wahl, kurz alles ver- nünftige weife Denken und Handeln aufgeho- ben. Ein folches denkendes Wefen ift alfo nicht beffer, noch weifer, als die blos blind wirkende Materie; denn es ift einerlei, ob man alles in zufällige ungeregelte Bewegungen der blinden Materie oder in Gedanken, die von foJchen Bewegungen abhängig Gnd , auflöfet. Ich will der Eingefchränktheit eines folcben Denkens und Erkennens, welches von den Be- wegungen der Materie abhängt, nicht erwäh- nen. Die Aufzählung der Ungereimtheiten und Unmöglichkeiten diefer Hypothefe, deren fie fo viele h«*t, ift überfiüffig, wenn man die vor- her erwähnte angeführt hat. Denn diefes den- kende Aggregat fey die gefammte Materie des Univerfuins, oder nur ein Tneil derfelben, fo ift es gleich unmöglich, dafs ein Theil feine eigne Bewegung, oder die Bewegung eines andern Theib, oder dafs das Ganze die Bewe- gung jedes einzelnen Tbeils willen, und fo fei- ne eignen Gedanken und Bestimmungen beftim- nieu kann ; und überhaupt kann kein Denken aus folcben Bewegungen entfpringen. *)

§. Ig.

•) Diefer vermeinte Bewei» , dafs die unendliche Intelligenz ein immaterielles Wefen feyn mfiflTe, fcbeint mit den obigen Aeuflerungen über die

1mm».

Zehntes KapiteL 221

ZweiteT Einwurf. Die Materie ift gleich ewig mit der ewigen In- telligenz.

Andere werden die Materie für ewig hal- ten wollen, ob fie gleich ein ewiges den- kendes immaterielles Wefen zugeben. Diefe Behauptung hebt zwar das D a f e y n Got- tes nicht auf, fie läu»net aber eine feiner vor- zügUchften Wirkungen, die Schöpfung. Sie mufs alfo geprüft werden. Die Materie mufs für ewig gehalten werden. Warum? viel- leicht weil ihr nicht begreifen könnt, wie fie

aus

Immaterialität der Seele (4 Buch 3 Kap. $ 6.) nicht recht zu harmonieren. Denn wenn es un- entfchieden gelaflen werden mufs, ob dem Vor» itellen, Empfinden u. f. w. der menfchlichen Seele ein nateraelles oder immaterielles Wefen zum Grunde liege, wie kann man ohne Verraef* fenlieii tliefelben Fragen über das Weftn Gottes autwerfen , und fie, wie hier gefchehen, fo ent« fcheidend beantworten ? Wenn ein endlicher Geilt materiell feyn kann, warum foll bei dem unendlichen Geifte widciTpie- chend fevn? Um dielen fcheinbaien Widerftreic

211 heben, mu<"s man bemerken, dafs Locke der Materie an fich das Denkvermögen ablpricht,

und nur dieles unenilchiedeu läfst, ob ihr nicht

durch die Gottheit dicfes Vermögen nütgctheilt

Weiden k ujins.

222 Viertes Buch,

aus nichts entftanden fey ? Müfst ihr' denn Euch nicht felbft auch für ewig halten ? Viel. leicht werdet ihr antworten: Ihr hättet vor zwan- zig oder vierzig Jahren Euer Dafeyu angefan- gen. Allein wenn ich frage, wer das Ihr ift, welches damals angefangen hat zu exiftie- ien , fo werdet Ihr kaum etwas zu antworten willen. Die Materie, woraus ihr gebildet feyd, entftand nicht damals, denn fonft wärefie hicht ewig, fie wurde nur in folche Formen und Bil- dungen zufammengefet , woraus euer Körper befteht. Allein diele Zufammenfügnng der Theile ift nicht EuerSelbft, nicht das den- k e n d e W e f e n, das Ihr feyd. (Ich habe es nehmlich hier mit einem zu thun, der ein ewi- ges, unmaterielles, denkendes Wefen, zugleich aber auch eine ewige, nichtdenkende Materie annimmt.) Wenn fing alfo Euer denken- des Wefen an, zu feyn ? Etwa zu keiner Zeit? Denn wäret Ihr von Ewigkeit ein den- kendes Wefen; eine Ungereimtheit, die ich nicht widerlegen will, bis ich einen fo finnlo« fen Menfchen antreffe, der es behauptet. Könnt Ihr alfo annehmen, dafs ein denkendes Wefen aus Nichts hervorgebracht ift, fo wie es bei allen Dingen, die nicht ewig find, noth- Wendig ift, warum wollt Ihr es für unmöglich halten, dafs- ein materielles Ding durch eine gleiche Kraft aus Nichts gemacht werde; es naüfste denn diefes einen Unterfchied machen,

dafs

Zehntes Kapitel. 2i3

dafs Ihr die Erfahrung von dem Einen, aber rieht von dem andern vor Augen hib»? Und doch kann, alles richtig überlegt, die Schöpfung eines Geiftes nicht weniger Kraft erfodern, als die Schöpfung der Materie. Ja, wenn wrr un- fere gewöhnlichen Vorftellungen verlaffen , und untere Gedanken , fo viel als möglich, tu einer nahem Betrachtung der Dinge erheben wollten, fo könnten wir vielleicht einen dunklen fcht-in- bareu Begriff ahnden, wie die Materie durch die Allmacht des ewigen Wefens gebildet wor- den, Allein einem Geifte fein Dafeyn geben» Ift eine noch weit unbegreiflichere Wirkung der Allmacht. Doch diefes würde uns vielleicht tu weit von den Begriffen abführen, auf wel- chen unrere Philofophie jetzt gegründet ift ; und eine tiefere Unteifuchung, die von ihnen abweicht, würde keine Verzeihung erhalten, wenn die gemeine Sprache dagegen ift. Wir haben auch hier nicht Ui fache, von der geurei- x'ien Lehre abzugehen , weil fie aufser allem Zweifel letzt, dafs, wenn man einmal annimmt, dafs eine Siibftauz aus Nichts geschaffen wor- den, die Annahme von einem gleichen LTr« fprunge| aller Subl'tanzen, den Schöpfer aus- genommen , keine grüi'sere Schwierigkeit macht«

S. 19.

2^ Tiettes Buch,

§. 19.

Allein ift es nicht ein Widerfpruch , eins Schöpfung aus Nichts anzunehmen, die man fcblecbterdings nicht begreifen kann? Nein! Denn es ift nicht vernünftig, die Kraft eiues unendlichen W'efens zu leugnen, weil ihre Wir- kungsart nicht begreiflich ift. Wir leugnen aus diefem Grunde andere Wirkungen nicht, dafs wir nehmlich ihre Entftehungsart nicht einfe- hen. Wir können nicht begreifen, wie etwas anders, als ein Stofs, einen Körper bewegen könne; diefes ift aber kein zureichender Grund, die Möglichkeit davon gegen die beftändige Er- fahrung, die wir in uns felbft machen, zu laug* nen. Alle willkührlicben Bewegungen werden ja allein durch die freie Thätigkeit, oder durch die Vorftellungen unfers Geiftes hervorgebracht; ße find und können nicht Wirkungen des Stoffes oder des Einflufles von der Bewegung blinder Materie in oder auf unfern Körper feyn, es wür- de lonft nicht in unferer Gewalt feyn, die will» kührlichen Bewegungen zu ändern. So fchreibt 2. B. meine rechte Hand, und die Kuke ruhet« Was verurfacht die Ruhe der einen und die Be- wegung der andern? Nichts, als mein Wille, ein Gedanke meines G^ifles; dielVr darf fieb, nur verändern, foTuhet die rechte Hand, und die linke beweget Ccb, Dies ift ein Factum, das Och nicht abläugnen Iäfst, Man erkläre nur

diefes«

Zehntes Kapitel. 22 r

Zieles , und mache es begreiflich, Ib hat man den nächften Schritt zum Begreifen der Schö- pfung gethan. Denn der Bewegung der Le-j bensgtiftei eine neue Richtung zu geben, wor- aus einige die willkührliche Bewegung erklären wollen, klärt nicht die geringße Schwierigkeit auf. Die neue Richtung ift eben fo fchwer zu erkHren, als die Willkührliche Bev/ejung felbft. Denn entweder mufs ein Gedanke uu mittelbar, oder ein Körper, der durch eine Vorftellung erffc in den Wirkungskreis der l.ehensgpifter gebracht worden, diefen eine neu£ Richtung geben; dia Bewegung entfteht alfo wieder durch das Vor- ftellen, und die willkührliche Bewegung bleibt fo unerklärlich , als vorher. Es ift zugleich Anmafsung, wenn man alles nach den engen Grenzen feiner FähisjkHt abmifst, und alles für; unmöglich erklärt, deflen Entftehungsart man' nicht begreifen kann. Wenn wir das, was Gott thun kann, auf das einschränken, was wir davon begreifen können , fo machen wir un- fern Verftand unendlich, und Gott zu einem be- fchränkten Wefen, Wenn Du nicht die Wir- kungen des endlichen Geiftes, der in dir denkf^ erklären kannft, darf es dich nicht befrem- den, dafs du die Wirkungen des ewigen unend- lichen Geifles , der alle Dinge fchuf und xegi«« ret, nicht begreiffh

Locke1». IU, Jheil, jp fiüftel

xst Vi««« Bush,

Eilfces Kapitel.

ton der Erkenntnifs der Exiltenz an« derer Dinge.

§. i.

DieTe Erkenntnifs wird uns allein durch die Empfindung gewähret.

Uie Erkenntnifs von unferm Dafeyn erhalten wir durch die innere Anfchauung; das Dafeyn Gottes läfst uns die Vernunft deutlich erkennen« Die Erkenntnirs von dem Dafeyn anderer Dinge können wir allein durch die Empfindung haben. Denn es findet keine nothwendige Verknüpfung zwi- fchen dem realen Seyn eii.es Wefens und einem inenfchlichen Begriffe, oder zwifchen der Exi- ßenz eines andern Dinges und dem Dafeyn ei- nes einzelnen Menfchen ftatt , das Dafeyn Got- tes allein ausgenommen« Der Menfch kann daher das Dafeyn eines andern Wefens auf kei- ne andere Art erkennen, als wenn diefes wirk- lich auf ihn wirkt, und üch dadurch wahrneh- men

I

EiU'tes Kapitell 2t?

men läfst. Denn das blofse Dafeyn der Vor- ftellung von einem Dinfe in dem BewuCstfeya beweilet eben fo "wenig die reale Exiftenz def- felben, als man aus dem Portrait eines Menfchen mit Gewißheit fchliefsen kann, daf» er wirklich in der Welt gelebt hat, oder als die Traumbil- der eine wahre Gefchichte ausmachen.

$, 2.

Es ift alfo das wirkliche Empfangen der Vor> ftellungen von Aufsen , was uns Kecntnifs von der Wirklichkeit ariderer Dinge giebt, und uns erkennen läfst, dafs etwas zu diefer Zeit aufser uns exiftiert, welches diele Vorftellung in uns verurfacht , obgleich wir weder beobachten noch' erkennen, wie diefes zugehet. Denn die Gewifsheit der Empfindungen und der dadurch erhaltenen Vorftellungen leidet nichts dabei» dals wir ihre Entftehungsart nichtj kennen. Indem ich z. B. fchreibe, erhalte ich durch das Papier, welches meine Augen afficirt, die- jenige Vorftellung, weicheich, ohne Rückfleht auf das verurfachende Object, weifs nenne; hierdurch erkenne ich, dafs diefe Eigenfchaft (das ift, dasjenige, deffen Erfcheinung vor den Augen allereit diefe Vorftellung verurfacht,) wirklich exiftiert , und Realität aufser mir hat» Die gröfsefte Gewifsheit , die für uns davon möglich und erreichbar ift, ift das Zeugnifs unfe-

V 3 zer

22% Viertes Buchf

tex Augen, der einzigen befugteo Richter in diefero Punete» IhrcAusfage ift fo zuveriäffig und gewifs, dafs ich, während ich fchreibe» fo wenig daran zweifeln kann , dafs ich etwas Weifses und Schwarzes fehe, und dafs etwas "Wirkliches exifiiert, das diefe Empfindungen veiaui.-jfst, als dafs ich Ichreibe, oder meine c(aad bewege. Diefe Gewißheit von der.Exi- •Set ?. eines Dinges ilt fo gewifs, als die menfch- ' :.' '- irt» H^'folben en j fäng'ich ift, die l'e- ng van meinem eigenen und Gottes y«fc>rB au genommen.

§♦ 3.

DifeTe Ueberzeugung ift nicht fo gewifs, als eine Demonft ratio nj kann aber doch Erkenntnifs ge-* nannt werden,

Die Benachrichtigung von der Exiftenz der Au (Ten dinge durch die Sinne ift zwar keinesweges fo gewifs, als die anfehauende und die mittelbare Erkenntnifs der Vernunft aus deutlichen Begriffen; fie ift iridef- fen doch eine Ueberzeugung, welche Erkennt- nifs genannt zu werden verdient. Die Ueberzeugung , dafs unfere Seelenkräfte nach den Ob/ecten, von denen fie afficiert werden, wirken, und uns von dem Dafeyn devfelbea richtig belehren , kann, nicht für grundlos ge- halten

Eilftei Kapital, 3:5

halten werden ; denn kein Menrch kann Co fkeptifch feyn , dafs er wegen der Wirklichkeit der Dinge, die er fiehet und fühlet, ungrwifs wäre. Wer den Zweifel fo weit treiben kdnn, mag mit feinen Vorftellungen ai fangen , >v:.s er "will, mit mir wird er nie einen Streti üekom- men , denn er kann nie gewifs vn , üb ich feine Meinung beftreite. Gcu hat mir, nat.h meinem Dafürhalten , von dem Dafeyn der Dinge aufser mir hinreichende Gewifsheit gege- ben , weil ich nach Verschiedenheit der Rich- tung und Einwirkung diefer Dinge, fowohl die Empfindung der Luft, als der Unlufi, in mir erzeugen kann , worauf das Intereffe für die- fen gegenwärtigen Zuftand mit beruhet. So viel ift gewifs, dafs die höcbfte Ueberzeugung» deren wir in diefem Puncte fähig find, auf dem Zutrauen zu unfern Vermögen beruhet, daf« fie uns nehmlicu hierin nicht betriegen. Denn wir können ohne fie nichts vornehmen, felbft nicht von der Eikenntnifs reden; alles diefes gcfchiehet vermittelt der Kräfte, durch welche der Begriff der Erkenntnifs überhaupt möglich ift. Aufser diefem Ueberzeugungsgrunde, dafs die Sinne nicht irren , wenn fie uns von der Exiftenz der Dinge aufser uns, von denen iie afficiert werden, Nachlicht geben, kommen nock andere Gründe zur Verftärkung der Ueber- xeugun* hinzu.

P 3 §.4«

33* Viertes Buch,

§. 4.

Erfter Grund.

I. Es ift klar, dafs diefe Vorftellungen nut durch äufser e, die Sinne afficierende Ur fa- chen in uns hervorgebracht weiden« Denn wo das Organ eines Sinnes feh- let, da mangeln alle demfelben an. gehörigen Voiltellungen, Diefes ift zu evident, als dafs es könnte geleugnet wer- den , und diefes giebt uns daher den höchßen Grad von Ueberreügung, dafs diefe Vorftellun- gen auf keinem andern Wege, als durch die Organe diefer Sinne, in die Seele kommen. Die Organe feibft bringen ße offenbar nicht her- vor ; denn fonft müfste das Auge in dunkeln Far- ben, und die Nafe im Winter den Geruch der RoCe geben. Allein wir fehen , dafs kein Menfch den Gefchmack von Ananas erhält, bis er nach Indien geht und üe koftet.

§♦ 5.

Zweiter Grund.

II. Man bemerket zu Zeiten» dafs wir die Entftehung diefer Vorftel- lungen in der Seele nicht verhin- dern können» Wenn ich die Augen ver- fchliefse, oder das Zimmer verdunkle, fo kann ich die Vorftellungen von Licht und Sonne,

welche

Eilftes Kapitel. tgl

we'cbe frühere Empfindungen in mein G*dächt- jjifs niederge pgt haben, beliebig zurückrufen; aber eb n fo beliebig fie auch wieder auf die Seitelegen, und andere, z. B. dtai Geruch der Rofe, den Gefchmack des Zuckers ins Be- wufstfeyn falTen, Richte ich aber die Augen zur Mittagszeit auf die Sonne, fo kann ich den Vorftellungen , welche die Sonne und das Licht dann hervorbringen, auf keine Weife den Zu- gang verwehren. Es ift alCo zwifchen den ftri GedächtniJle aufbewahrten Vorftellungen, (wel- che, wenn fie nur allein im Gedächtnifle wä- ren , wir in unfrer vollen Cewalt haben wür- den, fo dafs fie nach Gefallen erneuert und ver- dunkelt werden könnten,) und denpn, die fich uns unvermeidlich aufdringen, ein grofser Un- terfchied. Dasjenige, was diefe Vorftellungen in meinem Geraüthe hervorbringt, ich mag; wollen oder nicht, mufs alfo nothwendig eina äufsere Urfache, und ein fchneller Eindruck eines aufsern Objects feyn , deffen Wirkfamkeit ich nicht widerfiehen kann, Aufserdem kann Niemand den Unterschied zwifchen der Betrach- tung der Sonne nach der Vorftellung, die in dem Gedächtnifs ift , und der wirklichen Anfchau- ung derfelben verkennen; die Wahrnehmung beider ift fo verfchieden, als fich wenige Vor- ftellungen von einander unterfcheiden lauen, woraus jeder Menfch die gewiffe Erkenntnifs «rhält, dafs beide Vorftellungen nicht Gedächt-

T 4 nifs»

t^fc Viertes BuehV '

n^fsvorfiellungen , nicht blofse Handlungen des Gemüths, oder Wirkungen der Einbildungskraft find, fondern. dafs das wirkliche Sehen ein* Sufseie Uifache hat«

§. 6*:

Dritter Grund*

III» Hierzu komiat noch, d a f s m e h- iere diefer Vorftellungen mit eine? u n angenehm e n Empfi ndung hervor- gebracht werden, deren wir uns hin- terher ohne den gering ften Anftofs. wieder erinnern. Die Erneuerung der Vorftellung von dem Unangenehmen der Hitze oder Käfte, erregt keine unangenehme Em- pfindung, welche erfojgt, wenn wir fie wirk- lich fühlen , und eiue Folge von den Stöhrun- gen ift, welche der Einfjufs äufserer Gegen-- ftande in dem Körper hervorbringt. Wir er- innern uns an den Schmerz des Hungers , Dur- fies und Kopfwehs ohne alle Unbehaglichkeitj und doch tnüfsten uns diefe Dinge, fobaldwir. a,n Ge denken, entweder nie, oder allezeit be- fchwerlich fallen, wenn fie blofse hi dem Ge- müthe wechfelnde Vorftellungen und Schatten- bilder find , welche die Einbildungskraft unter- halten , ohne dafs wirkliche Dinge das Gemüth. von Aufsen afficieren. Dajjelbe läfst fich auch von dem Vergnügen Tagen, welches wirkliche

Em-

Eilftes Kapitel^ 1 3?^

Empfind au gen begleitet, Und obgleich tnathe« matifche Demonftrationen nicht von Sinnen ab- hängen, fo gitbt doch ihre Darftellung in Fi- guren der Eyidena der Anlchauung noch inehic Gewicht, und bringt fie der Gewifsheit derDe- rnonftration felbft näher. Denn es wäre fonder- bar, es für eine unbeiweirVlte Wahrheit anzu- erkennen, dafs von zwei Winkeln eines Drei- ecks, das durch die Linien und Winkel eines Figur gemeflen wird, einer gröfser, als de« andere ift, und doch an der Exiftenz diefer Li- nien und Winkel zu zweifeln, durch welch« jene Figur genießen wird»

!$. 7. Vierter Grund.

IV. In vielen Fällen betätiget eig Sinn durch fein £eugnifs die Wahr- heit der Ausfage eines andern in Rückficht auf die Exiftenz der Pin- ge aufs er uns. Wenn Jemand ein Feuej: lieht, und zweifelt, ob es nicht etwa eine bluf- fe Einbildung ift, fo kann er (ich durch das Ge- fühl davon überzeugen. Eine folche fchmerz- liafte Empfindung könnte nicht durch ein blof- fes Phantom erzeugt werden, die Empfindung müfste felbft auch eine blofse Einbildung feyn; allein er kann diefer, wenn der brandigte Theil geheilt ift, durch die blofse Erweckung d«c

V 5 Voir

3* Viertes Buch.

Vorftellung nicht wieder die Wirklichkeit ge. bea. So kann ich während dem Schreiben die Anficht des Papiers verändern, und durch die Zeichnung der Buchftaben vorher befiimmen, was es den nächlt folgenden Augenblick für neue Vorftellungen darbieten Toll. Davon kommt aber nichts zum Vorfchein. fobald die Hand und Feder ruht, fo viel fich auch die Einbil- dungskraft dabei vorftellt; ich. erblicke nichts daron, wenn ich die Augen verfehl iefs e , ob- gleich die Feder fortfehreibt. Und wenn die Buch Itaben einmal auf das Papier gezeichnet find , fo ftehet es nicht mehr in meiner Wahl, ob ich fie fchen will, fondern bin genöthiget, fie vorzufallen , wie ich fie gezeichnet habe. Die Scbriftzüge. die einmal nach derWillkühr meiner Vorstellungen gezeichnet find, gehor- chen nicht mehr den Vorfiellungen, fie ver- fchwinden nicht, wenn fich die Einbildungs- kraft das vorftellt, fie dauern vielmehr fort, und afficieren meine Augen beftandig und regel- rnäfsig , fo wie fie einmal geftaltet find. Alles diefes mufs mich überzeugen , dafs diefe Schriftzüge nicht blofs ein Spiel meiner Einbil* dungskraft find. Wenn man zu dem allen noch fetzt, dafs der Anblick diefer Schnftzüge bei andern Menfchen folche Laute hervorbringt, als ich durch diefelben vorher beabfichtigte, fo bleibt faft kein Grund zu dem Zweifel übrig, dafs die gefchriebenen Wortzeichen wirklich

aufser

J

Eilfte« Kapital **j

aufser mir exiftieren , da fie eine lange Reibe von regelmäfsigen'Tönen verurfachen, die (ich meinem Gehör aufdringen, und nicht die Wir- kung meiner Einbildungskraft feyn, noch in der beftimmten Ordnung in dem GedächtniUe auf* bewahret werden können.

»• ©♦

Diefe Gewifsheit ift fo grofs, als fie unfer Zuftand erfodert.

Sollte aber Jemand demungeachtet fo fkep« tifch feyn, dafs er ein Mifstrauen in feine Sinne fetzte, und behauptete, alles, was wir während unfers ganzen Dafeyns fehen , hören, fühlen und bctaften, denken und thun, fey blofs eine lange Reihe täufchender Traumbilder, die nicht die gcringfte Realität haben ; Tollte er deshalb das Dafeyn aller Dinge und' unfrer Erkenntnifs von ihnen in Anfpruch nehmen; fo mufs ich ihn zu bedenken bitten, dafs, wenn alles ein Traum ift, fein Zweifel auch nichts anders ift, und zu wenig zu bedeuten hat , als dafs ein Wachender fich die Mühe geben follte, ihm xu antworten. Doch wenn er will, fo mag er auch träumen, dafs ich ihm folgendes zur Ant- wort gebe. Die Gewifsheit von dem Dafeyn der Dinge in der Natur, ge- nützt auf das Zeugnifs der Sinne, ift fo grofs, als unfer Eikennlnifsvermögcn nicht allein er-

rei-

t}6 Viertes Buch;

i

»eichen, ftndern auch unfet Zuitaad erfo- dern kann. Denn unfere Seelenkräfte find nicht der ganzen Sphäre der Dinge angemeflen, »och für eine vollkommene , deutliche, ailum- faffende, allen Zweifel ausfchliefsende Erkennt- nis, fonderu nur zu unfrer Erhaltung und zu den Zweckeia des Lebens eingerichtet. Diefer Zweck wird vollkommen erreicht, wenn fieuns nur gewifle Erkenntnifs von den Dingen geben, die uns zuträglich oder fchädlich find» Wer ein l icht liehet, und durch Berührung deflel- ben mit den Fingern feine Wirkungen fchon er- fahren hat, der wird kaum daran zweifeln, dafs dasjenige etwas Wirkliche* aufser ihm ifi, was ihm fo grofsen Schmerz verurfachen kann. Ei- ne grössere Gewifsheit kann kein Menfch zur Beftimmung feiner Handlungen verlangen, als dafs etwas fo gevvifs fey, als feine Handlungen feibfl. Wenn unfer Träumer den Verfuch ma- chen will, ob die Glühhitze einer Glashütte eine vorübergehende Phantafie eines Schlura- mernden fey, fo darf er nur feine Hand hin- halten , um aus feinen Träumen geweckt zu werden , und eine gröfsere Gewifsheit von der Richtigkeit deffelben zu erhalten , als er viel- leicht wünfchte. Kurz, diefe Evidenz ift fo grofs, als wir nur verlangen können, denn He ift fo gewifs, als unfer Vergnügen und Schmerz, "als unfere Glückseligkeit und Unglückfeligkeit, Wcrinn alles Inteigfle für unfer Erkennen und

Da-

EilftM Kapittl. 237

Dafeyn Hegt, 4Sle ift vollkommen zureichend, um uns bei dein Beftrcben nach dem G ten und nach Entfernung des Böfen , inrofern bei- des von den Dingen vrrutfacht wird, zu leiten, und dies ift auch der einzige Zweck , warum wir verbogen können, die Din^e kennen zu lernen; \

§.9.

D i e fe G e w i f's b e i t reicht r i c h r w e i- t er , als die wiikliche £ ei p f i n » düng.

Wenn alfo die Sinne eine Vorfrellung dem Versande wirklich zuführen , fo wird er da» durch überzeugt , Hafs etwas zu derfelben Zeit aufser uns wirklich ift, das die Sinne afficirt, und durch dicfe dem Wahrnehmungsvermögen fein Dafeyn ankündiget, und die gegenwärtig« Vorftellung wirklich hervorbringet. Auch kön- nen wir nicht in fo weit auf ihr Zeugnifs Mifs» trauen fetzen, um die Koexiftenz der Objecte eines Inbegriffs von einfachen Vorfteliuugen *u bezweifeln, welche die Sinne als verbunden wahrgenommen haben. Allein diefe Er- kenn tnifs- reicht nicht weiter, als das gegenwärtige Zeugnifs der Sin- ne, in Rückficht auf einzelne, fio afficierende Objecte geht. Wenn ich einen Augenblick zuvor einen lolchen Inbegriff

2jg [Viertes Buch.

von Vorstellungen fab, den wir Menfch zu nenk nen pflegen, und ich bin jetzt ifolirt, fo habe ich keine Gewifsheit mehr, dafs diefer Menfch noch exiftiert, denn es ift keine nothwendige Verknüpfung zwifchen feiner vorigen und fei*, ner jetzigen Exiftenz. Er kann auf taufendei- lei Art aufgehört haben, zu feyn, feit dem mei- ne Sinne für fein Da feyn ihr Zeugnifs ablegten. Und wenn es ungewife iß, ob ein Menfch, den ich noch heute fah, noch exiftieit, fo ift es noch weit ungewißer, wenn er von meinen Sinnen noch längere Zeit entfernt ift. Noch weniger aber findet eine gevvifle Erkenntnifa von der Exiftenz derjenigen Menfchen ftatt, die man nie gefehen hat. Ungeachtet derhöchften Wahrfcheinlichkeit , dafs in dem Augenblicke, da ich fchreibe , Millionen Menfchen exiftie- ren , fo habe ich doch, als ganz ifolirt, nicht die Gewifsheit davon , die man im ftrengften Sinne Erkenntnifs nennen könnte. Die hoch» fte Wahrfcheinlichkeit fetzt diefes zwar aufser allen Zweifei, und es ift vernünftig, unter der Vojrauefetzung , dafs Menfchen , Menfchen von meiner Bekanntfchaft, mit denen ich zu thun habe, jetzt in der Welt exitlieren , dies und je- nes zu thun : allein es ift doch keine Erkennt- nifs, fondern nur Wahrfcheinlichkeit.

§. io.

Eilftes Kapitel. 33*

§. Io.

Es ift Thorheit, von jedem Dinge Demonstration zu erwarten.

Hieraus ergiebt fach die Bemerk ucg, wie thöricht und vergeblich es ift, wenn ein Menfch vou einoefchränkte:n Verftande, dem man Grün- de an die Hand gegeben hat, von dem verlerne« deneu Grade der Evi<lenz und Wahrfcheiulich- keit der Dinge zu urthulen, und lieh darnach zu richten, dennoch Demonftration und Gewifsheit von denjenigen Dingen erwartet, die derfelben nicht em- pfänglich find; wenn er vernünftigen Sä- tzen den Beifall verfagt, und klaren offenbaren Wahrheiten entgegen hindelt , weil fie nicht zu der Evidenz erhoben Werden können, dafc fie jeden, auch den kleinßen, nicht nur ver- nünftigen, fondern auch fcheinbaren Zweifel entfernen. Wer auch in dem gemeinen Leben nichts für wahr halten will, als was auf da* ftrengfte demonßrirt werden kann, der mufs fo gewifs als was bald zu Grunde gehen. Die Gründe für die gelunde Befchaffenheit feinet Speifen und Getränke können nie fo ßark feyn, dafs er etwas darauf wagen könnte* Und zu welcher Handlung wird er fich entfchliefsen können, wenn er auf Gründe, die keinen Zwei- fel, keinen Einwurf zukiTen, Rechnung macht?

f. i*v

34» Viertel Bu«L"

§. IL

ÖurcH das Gedächtnifs erkennt man, dafs ein Ding exiftiert hat*

So wie wir durch die Sinne, welche wirk. Jich von Dingen afficiert werden, erkennen* cafs He gegenwärtig >xißieren , fo überzeugt uns das Gedächtnifs, däfs Dinge, die vordem die Sinne äfficirten i exiftiert ha- ben. Auf diefe Art entlieht die Erkennt« mifs vflä der ehemaligen Exiftenz der Dinge- Das Gedächtnifs erhält nehm- lieh die V orßellüngen der Objecte , von deren DaCeyh uns die Sinne benachrichtiget haben, lind fo lange die Erinnerung treu ift , To lange findet kein Zweifel darüber ftatt. Allein diele Erkenntnifs ift in die Grenzen der ßunblichen gewiffen Erkenutmifs eingefchloffen, VVenri ich alfo diefein Augenblick WalT^r fehe, ift es für mich eihe unleugbare Wahrheit, dafs diefes Waffer exiftiert j eben diele Ueberzeu- gung gilt auch für den geßrigen Tag, u. f. w, to weit, als ich mich erinnern kann, das Waf- fer gefehen zu hiben. Eben fo wahr ift es aueli , däfs gewifle feine Farben wirklich wa- jreft, die ich zu derfelben Zeit an einer ßlafe deffelben Wallers fahe. Wenn nachher das Walter und diefe Wailerblafen von meinen Augen entfernt find , fo weifs ich eben fo we- pig mit Gewifshej^ dafs das Waffer, als dafs

die

Eüftcs Kapitel. 241

die WoßViblafen mit ihren Farben auf deinfel- ben auch jetzt wirklich find. Denn dafs das Waffe r und die Blafen heute exißieren muffen, ■weil fie geßern exiftiert haben, gar nicht uothwendig; ob es gleich hei dem Waffer weit wahrfcheinlicher ift, als bei den Blafen , da die Beobachtung lehrt, dafs jenes fchon lange fort- gedauert hat, diefe aber mit ihren Farben fehr fchnell vergehen,

§. 1*.

Die E x i ß e n z der Geiüer nicht erkennbar.

Welche Vorßellungen wir von den Gelfierri haben, und wie wir zu denfelben gelangen, fchon gezeigt worden. Dadurch, dafs wir diefe Vorßellungen haben i und ihrer bewufst find, ernennen wir aber noch nicht^ d a Ts e s f o 1 c h e W e f e a aufser u n s g i e b t. oder dafs nächß Gott auch endliche Geißer exiftieren* Gründe der Offenbarung und ande- re beßimmen uns, mit Überzeugung zu glau- ben , dafs es folche VVefen giebt ; aber es fehlt uns an dem Vermögen, fie heftimmt zu erken- nen, weil fie unfere Sinne nicht entdecken können. Denn durch den Begriff des l'erßan- des von lolchcn Wcfen läfst /ich ihre Exifieni Jb wenig erkennen, als man durch die Vorßellun- gi:n von Feen und Centauren erkennen kann, ' Lecke's. III. Tkcil. Q dal*

34.3 Viertes Bück.

dak dleren VorfielluDgcn entfprechende Dinge wirklieb exiftieren.

Wir muffen uns alfo in Rückficht auf die Exiftenz der endlichen Geifter und mehrerer an- derer Dinge mit dem Glauben begnügen. Hin- gegen allgemeine gewilfe Sätze liegen aufser den Grenzen unfers Vermögens, So wahr es auch feyn kann, dafs alle denkende Wefen, die Gott je fchuf, nie aufhören zu exiftieren, fo kann dififes doch nie zur Summe unfrer gewiflea Erkenntnis gehören. Wir können diefen und ähnlichen Sätzen als höchft wahrfcheinlichen beiftimmen j aber Ge in diefem Zufiande wohl nie erkennen. In allen Gegenftänden alfo, wo nur eine Erkenntnifs von diefem oder jenem Individuum durch dio Sinne möglich ift, da dürfen wir weder von andern eine Demonfira- tienfodern, noch felbft nach allgemeiner Ge- wifsheit ftreben»

$. IJ.

Individuelle Sätze von der Exi- ft e n z der Dinge find erkennbar«

Hieraus erhellet, dafs es zwei Arten von Sä- tzen giebt. Die eine Art betrifft die Exi- fr. e n z der den Begriffen entfprechen- den Objecte. Wenn wir die Vorftellunjj von einem Elephanten, von einem Engel, von

der

JEüftes Kapitel. «43

der Bewegung haben, fo entfteht 2uerfr die natürliche Frage: ob auch eiiK folches Ding irgendwo exiftiere? Diefe Erkenntnifs gehet nur auf Individuen. Denn, Gott ausgenommen, wiffen wir von keinem Dinge aufser uns, dafs es exiftiere, als nur durch die Sinne. Es giebt eine andere Art von Sätzen, in denen nur die Einftimmung oder Nichtein- füir.mung der abftracten Begriffe und ihrer ge- genfeitigen Abhängigkeit ausgedrückt ift. Die- fe Sätze können allgemein und gewifs feyn. So kann ich aus den Begriffen, GoU. Ich, Furcht und Hoffnung, den gewiffen Sat7. bil- den: Gort inufs von mir gefürchtet werden; ich mufs ihm GeliOrfam leiften. Wenn ich an- ftatt des Begriffs, Ich, den aoftracten ßceriff der Gatiung fetze, fo ift diefer Szlz allgemein und beziehet fich auf alle Menfchen. So ge- wifs aber anch diefer Satz ift. dafs alle Men- fchen Gott fürchten und ihm pehoreben muffen, fo wenig heweift er mir das DafevM irgend ei- nes Menfchen in der Welt: fondern ift viel- mehr von allen GcCchöpfen wahr, zu welcher Zeit He auch exiftieren mögen, Dicfe Gewifs- heit der allgemeinen Sätze hängt von der wahr- nehmbaren Einftimmungoder I^ichteinftimmun0' der abftracten Begriffe ab.

Q » $• M.

344 Yiertes Bueh.

Allgemeine Satze,

In dem erftern Falle ift die Erkenntnifs eine Folge von dem DaTeyn der Dinge, welche durch, die Sinne Vorftellungen in unferm Gemüthever* urfachen; in dem zweiten aber eine Felge von den Begriffen des Verftandes , fie mögen feyn» was Ge wollen, indem lie dem Verftande all« gemein gewiffe Satze geben. Viele von den letztern werden ewige Wahrheiten ge- nannt, und lie find es im Grunde alle. Nicht, als wenn alle diefe Satze, oder einige, wirklich in dem menfchlichen Verftande eingefchrieben, oder als wenn fie als wirkliche Sätze, vorhan. den wären, ehe noch der Verftand abftracte Begriffe gebildet, und fie verbunden oder ge- trennt haue. Sondern wo wir einen Menfchen mit diefem Vermögen, mit diefen Begriffen uns als wirklich denken , da muffen wir auch fcbliefsen , dafs er , wenn er Feinen Verftand auf die Betrachtung derfelben richte, die Wahr- heit gewiffer Sätze einfehen muffe, welche aus der voTgeftellten Einftiramung oder Nichtein- ftimmung feiner Begriffe hervorgehen. Sol- che Sätze werdeH daher ewige Wahr- heiten genennt, nicht, als wären fie von Ewigkeit gebildete Sätze , die dem Denken zu jeder Zeit vorausgehen; auch nicht, als wären fie von gewiffen urfprünglichen Objecten, die

aufser

Eilftej Kapitel. 24?

auTser dem Verftande extftiercn, dernfelben ein- geprägt; fondern weil, wenn fie einmal uns ab- ftracten Begriffen fo gebildet find, dars fie Wahr- heit haben, jederzeit als wahr gedacht werden muffen, fo oft fie wieder aus dcnfelben Begrif- fen gebildet werden. Denn man nehme an, dafs einerlei Worte immer für diefelben Begriffe beftimmt find ; dafs diefelben Begriffe immer einerlei Verhältnis zu einander haben , fo muf- fen Satze aus abftracten Begriffen gebildet, wenn fie einmal wahr find, not h wendig ewige Wabrhe iten feyn.

Zwölftes Kapitel.

Vervollkommnung unferer Er- ic enntnifs.

§. t.

Erkenntnifs en tf pr ingt ni cht a a$ Grund f ät zent

xLs ift eine allgemein angenommene Meinurjg unter den Gelehrten , dafs Grundfätze das

Q 3 Fun-

346 Viertes Buch.

Fundament aller Erkenntnifs find , und dafs je- de Wiffenfchaft auf gewiffe Vorken ntniffe gebaut ift, von denen der Verßand ausgehen, und in die Unterfuchung der zu einer Wiffenfchaft gehörigen Gegenftände geleitet werden müfTe. Nach dem gebahnten Wege der Schule legt man einen oder mehrere allgemeine Sätze zum Grun- de, und gründet darauf die Erkenntnifs, die man von einem Gegenftande geben will. Und diefe Sätze nennt man denn Principe, weil man von ihnen und der Unterfuchung aus 1 aber nicht über üe hinausgehen zu müüen glaubt,

§. 2.

Wahrfcheinlich^gab der gute Erfolg diefes Verfahrens in der Mathematik Veranlagung zur Anwendung deffelben in andern WifTenfchaften. Jene Wiffenfchaft wurde nehmlich wegen des hohen Grades der Gewifsheit in der Erkennt- nifs derfelben (xx-Q-^^ur et und ux&qvts (gleichfam vollkommene Wiffenfchaft,) genennt, als halte Ge in Rückficht auf Gewifsheit, Klar- heit und Evidenz einen Vorzug vor allen an- dern WifTenfchaften,

$♦ 3.

Zwölftes Kapitel. 14?

§♦ 3.

Erken ntnifs gründet fich vielmehr auf die Vergleichung klarer und deutlicher Begriffe»

Allein jeder denkerde Beobachter wird fin- den, dafs die Erweiterung und die Gewifsheit der realen ErkenntniTs, welche man in diefer Wiffenfchaft erreicht hat, nicht dem Einflufs diefer Principien noch dem gewöhnlichen Ver- fahren, an die Spitze zwei oder drei allgemei" ne Sätze zu Hellen, zu verdanken ift. Die einzige Urfache davon liegt darin, dafs hier die Begriffe fo klar und vollftändig find, dafs das Verhältnifs der Gleichheit und GröTse zwifchen ihnen anfchaulich erkannt wird, und dadurch den Weg zur Entdeckung des Verhältnifles in andern bahnet, alles ohne Hülfe diefer Grundfätze. Denn Tollte wohl ein Knabe nicht anders, als vermittelft des Grund- fatzes : das Ganze ift gröffer, als ein Theil, erkennen können, dafs fein ganzer Körper gröfser ift, als fein kleiner Finger? Sollte er nicht eher davon überzeugt werden, als bis er jenen Satz gelernt hat? Wenn ein Bauernweib von zwei Perronen, deren jede ihr drei Thaler fchuldig ift, eineu Thaler erhält, follte fie rieht auch willen, dafs der Reft dex Schuld bei beiden gleich ift; follte fie die Ge- wißheit dövon erft bei dem Satze; Gleiches

Q 4 too

*48 Vierte» Ruch,

Ton Gleichen abgezogen , bleibt Gleiches übrig, fuchen inüffen ; einem Satz, den fie wahrfcheinlich nie hörte, an den. fie nie dachte? Man überlege nur, nach dem, Was fchon mehrmals gefaxt worden, die Frage: ob der einzelne Fall , oder die allgemeine Re-? gel von den meiften Menfchen am erften und ara deutlichften ift gedacht worden, und wel- ches von beiden dem andern Urfprung und Le- hen gab. Die allgemeinen Regeln find nurVer. gleichungen allgemeinerer und abßracterer Be? griffe, und diele find das Product des Verftan- des, der lie bildete, und mit Worten bezeich-r riete, um das Denken zu erleichtern, und man- nigfaltige Beobachtungen in allgemeine Aus- drücke und kurze Regeln zu fallen. Die Er- Jtenntnifs aber gründete fich auf einzelne Fälle^ und fing mit diefen an, ob fie gleich in der Fol- ge aus der Acht getaflen wurden. Und dies ift fehr naiürlich, dafs dei Verftand, der immer nur darauf denkt, feine Erkcnntnifs zu erwei- tern, mit gröfster Sorgfalt allgemeine Begriffe auffammelt, und den gehörigen Gebrauch da« von macht, wodurch das Gedächtnifs der be- fchwerlichen Menge des Einzelnen entlediget wird. Man überlege nur, ob ein Kind oder ein Anderer davon, dafs fein Körper gröffer ift, als fein kleiner Finger, eine grofsere Gewifs- heit erlangen kann, nachdem man den Körper ein Ganzes und den Finger einen Theil genannt

hat?

\

Zwölftes Kapitel. 249

f \

hat? Können diefe relativen Ausdrucke feine

Erlcenntnifs von feinem Körper bereichern? Würde er etwa nicht wiffen , dafs fein Körper- gröfser ift, als fein kleiner Finger, wenn feine Sprache fo arm wäre, dafs fie keine Worte füt die Ausdrücke Ganzes, Theile hätte? Noch mehr, wenn er iliefe Ausdrücke gelernt hat, weifs er denn nun mit mehr Gewifsheit,- dafs fein Körper ein Ganzes, und fein Finder ein Theil, als er vorher wufste , dafs der Körper gröfser, als der Finger fey? Man hat nicht mehr Grund zu bezweifeln, dafs der Finge* ein Theil, denn dafs er kleiner, als der Kör- per ift; wer alfb das letzte bezweifelt, kann auch das erfte bezweifeln. DerGrundfatz, das Ganze ift gr öfter, als ein Theil, kann nur dann angewendet werden , um einen zu überzeugen, dafs der kleine Finger kleiner ift» als der Körper, wenn er fchon davon über- zeugt, d, wenn es unnöthig ift; denn wer nicht gewifs erkennt, dafs ein Theil Materie zu dem andern gffcigt, gröfser ift, als einer al- leine, wird diefes auch nie durch Hülfe diefer beiden relativen Worte, Ganz, Theil, erken- nen , was man auch immer für einen Satz dar- aus bildet,

Q 5 $.

*5o Vi«rte« Buca.

§♦ 4.

Es ift gefährlich, die Erfc en n tn i f$ auf bittweifs angenommene Sä- tze zu gründen.

Doch ich will nicht entfcheiden , ob in der Mathematik der Grunrifatz: Gleiches von Gleichen genommen, b leib t G lei ch es übrig, oder der particuläre Satz, rnan nehme von einer eweizolligen Linie einen Zoll, upd von einer andern zweizeiligen einen Zoll, fo bleibt von beiden gleich viel übrig, eher er- kanrt werde und klärer fey ; denn es ift für meinen Gegenftand nicht wefentlich, Michbe- fchäf'tiget jetzt nur die Frage; Ift es der leich- tefte Weg zur Erkenntnifs, mit allgemeinen Sä- tzen anzufangen» und auf diefe fortzubauen; und d ieTes zugegeben, ift es auch ein ficherer Weg, Gnirvdfätze, die in einer andern Wiflen- fchaft aufgeteilt find, als unbezweifelte Wahr- heiten, ohne, alle Prüfung, ohne] fich den ge- riogf.en Zweifel darüber Zu erlauben, anzu- nehmen» weil die Mathematik fo glücklich ift, keinen Satz, der nicht unmittelbar evident und unleugbar ift, zu gebrauchen? Wenn diefes gemattet werden folhe, fo weifsich nicht, was picht in der Moral für Wahrheit [[gelten , oder in c er thuoretifchen Philofophie aufgenommen und bt-wiefen werden könnte.

Man

Zwölftes Kapitel. 2J!

Man nehme den Grundfatz einiger Philofo- phen , dafs alles Materie ift , als gewifs und un- bezweifelt au, und man wird in einigen Schrif- ten i die ihn in unfern Zeiten wieder aufwärm- ten-, bald fehen , welche Folgerungen er her. beiführet. Was wird aus der Theologie, Re- ligion und Gottesverehrung werden, wenn man mit Polemo die Welt, mit den Stoikern den Aether oder die Sonne , oder mit A n ?. xi- roenes die Luft zur Gottheit macht? Nichts kann fo gefährlich feyn , als Grundfätze ohne ftrenge Prüfung anzunehmen, vorzüglich wenn fje die Morai betreffen, und dadurch auf alle Neigungen, Handlungen und das ganze Leben Einflufs haben. Wer wird nicht mit Grund ei- nen andern Lebenswandel vom A ri (li pp, der die Glückfeligkeit in dem Gnnlichen Vergnügen, als vom Ant i fthen es erwarten, der die Tu- gend allein für zureichend zur Glückfeligkeit hielt? Wer mit dem Plato die Seligkeit in die Erkenntnifs Gottes fetzt, wird feine Go- danken zu ganz andern Betrachtungen erheben, als derjenige, der feinen Blick nicht über die Erde und die vergänglichen Dinge derfelben er- hebt. Wer mit Ar chela us als Grundfatz an- nimmt, dafs Recht und Unrecht, das Anfiändige und Schändliche nicht durch die Natur, fon- dern durch willkührliche Gefetze beftiuimt find, muf> ganz andere Regeln von der Moraütät und Immoralität befolgen, als ein anderer, der

für

2*2 Viertes Buch, i

für ausgemacht hält, dafs wir Verbindlichkeiten haben, die älter find, als alle menschliche Ein* xichtungen»

§• 5.

Wenn alfo Sätze, die für Principien gelten, picht gewifs find, (welches man doch auf ir- gend eine Weife eikennen mufs, um die wah- ren Grundfätze- von den zweifelhaften zu unter- fcheiden,) fondern nur durch unfern blinden Beifall den Schein von ausgemachten Sätzen er- halten, fo find wir in Gefahr, durch fie irre ge- führt zu werden j und fie werden, anftatt auf die Wahrheit zu führen, nur Irrthümer und Mifsverftändniffe befeftigen.

$♦ 6.

Da aber die Erkenntnifs der Gewifsheit der Grundfätze fowohl , als der andern Wahrheiten nur allein von der Wahrnehmung der Einftim- rnung und Nichteinftimraung der Begriffe ab- hängt, fo befteht das Mittel, unfere Wahrheit zu erweitern , gewifs nicht darin , dafs man Grundfätze ohne Prüfung mit blinden Glauben annimmt, fofidern darin, dafs man in fei- nem Verftande deutliche vollftändi- ge Begriffe bildet, fixirt, und mit eigenen unveränderlichen Worten bezeichnet. Man darf alfo nur über die

Be-

Zwölftes Kapital. 25 $

Begriffe gehörig nachdenken , und fi.e verglei- chen, um ihre Einfiimmunor oder NichteinfHm- mung, ihre verfchiedenen Beziehungen und VerhältniiTe zu entdecken , um vielleicht mit diefer einzigen Regel, ohne alle weitere Grund- fäue mehrere Fortfehritte in der wahren deut- lichen Eikenntnifi zu machen, als durch Grund- fäue, welche den Verftand von fremden Dia- gen abhängig machen , möglich ift,

*♦

Die wahre Methode, Erken n t nifTe zu vermehren, ift die Betrach- tung der abftracten Begriffe.

Wir müfTen alfo, wenn wir nach Anweifung der Vernunft fortfchreiten wollen, die Metho- de der Unterfuchung der Natur der iu unterfuchenden Begriffe, und der Wahrheit, die man entdecken will, annaflen. Allgemeine und gewiffe Wahrhei- ten gt ünden fich. allein auf das V e r ha I tni fs der abftracten Begriffe. Eine fcharffinnige und rnethodifche Anwendung unfers Denkens, uui diefe Beziehungen aufzufinden , ift der einzige Weg, alles das zu entdecken, was mit Wahr- heit und Gewifshcit in Beziehung auf diefe Be^ grille in allgemeine Satze kann gefafst werden. Das Verfahren mit dieTen mufs in der Schule der Mathematiker gelernt werden« welche von

dein.

254 Viertes Buch.

dem Eirjfachften Rufen weife durch eine foitge- fetite Krtte von Schlüffen zur Entdeckung und Demonftraiion folcher Wahrheiten fortgehen, die bei dem erflen Anblick die Kräfte desmenfch- lichen Gtiftes zu überfteigen fcheinen. Ihre Runft, Beweise zu finden, und ihre bewunde- rungswürdige Methode, diefe Mhtelbegriffe zu wählen, und ße zufamrnenzuftellgn , wodurch die Gleichheit oder Ungleichheit der Gröfserjf die Geh nicht unmittelbar raeflen laffen, fo an- fchanlich daTgethan wird, hat Oe in Entdeckung unerwarteter Wahrheiten fo weit gebracht. Ich will hier nicht entfeheiden , ob nicht folche Mittelbegriffe auch bei andern Gegenfiänden aufser der Mathematik Geh noch ins Künftige finden laffen. Diefes darf man aber wohl be- haupten, dafs, wenn andere Begriffe , welche das reale und Nominalwefen ihrer Gattungen enthalten, auf eine der' mathematifchen ähnli- che Methode entwickelt und verfolgt würden, jmfer Denken in Evidenz und Klarheit über die Erwartung grofse Fortfehritte machen würde,

§. 8.

Hierdurch würde auch die Moral an Klarheit gewinnen.

Auf diefe Gründe wagte ich die Behauptung, dafs die Moral eben fo gut einer Deinem. ftration fähig iß, alt die Math ema-

t i k.

Zwölftes Kapitel. *5>

tik. Denn die Begriffe, wotnit fich diefeWif- fenfcbaft befchäftiget , und durchgehend reale Wefensbegriffe , und als folche mufs fich das Verhältnifs ihrer Verbindung und Einftimmung unter einander entdecken laiTen. Infofern nun ihre Verbaltr.ifle und Beziehungen zu finden find, infofern muffen wir im Befitz von gewif- jen, realen und allgemeinen Wahrheiten feyn» Wenn alfb r.ux eine richtige Methode angewen- det würde, fo zweifele ich nicht, dafs ein grof- fer Iheil der Moral mit einem folchen Grad von Deutlichkeit entwickelt werden könnte, der für einen Denker fo wenig Grund /.um Zweifel zurücklaffen könnte, als die Wahr- heit der in der Mathematik bewiefenen Sätze»

§• 9-

Die Erkenntnifs der Körper weit kann allein durch Erfahrung er- weitert werden»

In unferm Streben nach Erkenntnifs de* Subftanzen nüthigot uns der Mangel an Begrif- fen, die einem folchen Verfahren angemeffen find, zu einer ganz andern Methode. Die Be- trachtung diefer Begriffe, ihrer VerhältniiTe und Beziehungen, bringt uns hier aus den angeführ- ten Gründen nicht fehr weit , welches bei de- nen, welche das reale und nominale Wefen enthalten , ganz anders ift. Es erhellet hier- v aus1

255 Viertes Eueh.

aus, dafs uns die Subßanzen Stoff zur Erkermt- nifs von ?inem fehr befchrär.kten Umfange ge- ben. "Was ift alfo in diefem Puncte zur Erwei- terung der Erkenr.tnifs ^u thun ? Man mufs auf die entgegengefetzte Weife verfahren. Der Mangel an Begriffen von ihrem realen Wefen •verweifet uns von den Begriffen auf die Dinge felbft, wie fie exiftieren. Was die Ver- nunft nicht kann, mufs hier die Er- fahrung lehren. Welche andere Eigen- schaften mit den Merkmalen eines Begrilfs im R-?altufammer;hange ftehen , kann nur durch Verfuche und Erfahrungen ausgemacht werden. Und wenn die!e an einem einzelnen Körper auf irgend eine WeiTe gezeigt hat, dafs die Schlag» batkeit mit der gelben Farbe, Schwere und Schraelzbarkeit des Goldes verknüpft ift, läfst fich deswegen nicht mit Gewifsheit erken- nen, dafs auch an andern nicht beobachteten Körpern diefer Art diefe Eigenfchaft nothwen- dig ift. Denn aus den Begriffen kann diefes auf keine Art gefchloffen werden. Die Nothwen- digkeit oder Unmöglichkeit der Schlagbarkeit Ttehet in keiner fichtbaren Verknüpfung mit an- dern Merkmalen. Alle Schlüffe aus den Be- griffen diefer Merkmale tragen zur Entdeckung anderer Eigenfchaften in denfelben MafTen von Materie, in denen jene gefandeu werden, faft gar nichts bei. Denn fie hängen nicht von den beobachteten Ejgenfchaften, fondern von dem S . un-

Zwölftes itapiteti 2$?

unbekannten, realen Wefen ab, in welchem fie insgefamrrt gegründet find. Die einfachen Vorftellungen , aus denen das Komiealwefea befteht, führen uns auch nicht weit, und weil Wir über fie faß gar nicht hinausgehen können, fo gewähren fie nur wenige gewillt.- allgemeine und fruchtbare Wahrheiten. Man fand z B. durch Verfuche, tJ afs eia Stück befonderer Ma- terie von gelber Farbe, grofser Schwere und Schmel/barkeit , (und fo fort auch an andern, die man beobachtete,) fchlagbar war; diefes Merkmal macht nun einen Theil des zufammen- gc fetzten Ii-giilfs» einen Beftandtheil des No- ininaiwcfens des Goldes aus. Diefer Begriff wird aKo zwar durch ein Merkmal erweitert £ da er aber nicht das reale Wefen einer Körper- art enthält» fo hilft er nichts dazu, die übri- gen, diefem Körper ar gehörigen Eigenfiiaafteit mit Gewifsheit zu entdecken , vielleicht auch nicht zu vermuthen , aufser in fo fern fie mit den Beftandtheilen des Nominalwefens in Ver- knüpfung flehen. So lafst fich ans (liefern Be- griffe nicht erkennen, ob das Gold feuerbeftän*- dig ift oder nicht; d«nn zwifcheu diefer Eigen* fchäft und dem Begriffe eines Körpers, riet gelb, fchwer, fchmehbar, fchligbar ift, u. f. kann keine noilnvendije Verknüpfung oder Unvereinbarkeit entdeckt werden, dafs man mit Gewißheit fchlicUen könnte-: in Welchem Körper diele gefunden werden, da unifs aneb i.^i Y III. TJaeil. - R dia

\

jjg Viertes Buch.

die Feuerbeftändigkeit vorhanden feyn. Ich rnufs in diefem Falle, um mich zu überzeugen^ wieder die Erfahrung befragen ; und innerhalb ihren Grenzen ift nur allein eine gewifle Ei- kenntnifs davon möglich.

§. Io.

Unftreitig wird ein Mann, der gewohnt ift, rernün ige Verfuche auf eine rpgelmäfsige ^ ei- fe anzubellen mehr Einücht in die Natur der Körper erhalten, auch ih4e unbekannte. Eige«- fch-ften richtiger vermuthen, als ein Anderer, Allein dies ift doch keine Erkenntnifs und Ge- wißheit, fondem nur WahrTcheinlicbkeit und Meinung Der einzige Weg, auf dem wir nach der Eingefchränktheit unferer Kräfte in diefem Leben Erkenntnifsvon Subftanzen erlangen und erwarten können, ift Erfahrung und Gefch ichte, Und daher vennuthe ich , dafs die Philofophie über die Natur nie eine Witten fchaft werden wird. Ei- ne allgemeine Erkenntnifs von den Körperarten und ihren mannigfaltigen Eigenfchaften ift für uns nur im geringen Umfange erreichbar. Ver- fuche und Beobachtungen können wir anftellen, daraus Vortheile für Lebensgenufs und Gefund- heit ziehen, und den Schatz von Lebensphilo- fophie vermehren. Dies dürfte vielleicht der

Grenz*

Zwölftes Kapitel. 353

Grenzpunkt fern , über den urfere Vermögen und Kräfte nicht hinausgehen können,

§. II.

MoraUfche Erkenntnis und Er- weiterung der Kenntnille von der Natur ift unfer Zweck.

Da unfere K>ä'fre der Seele nicht d^zu ein- gerichtet Gnd, in dies innere Weren und den inneren Bau der hörper einzudringen, hinge- gen das Dafeyn Gottes deutlich entdecken, und Selbfterkenntnifs gewähren können, welches zur Entdeckung unferer Pflichten und urTerer wichiigften Angelegenheit hinreicht, fo ergiebt fich d.raus der natürliche Scblufs , dafs es uns, als verrünfti^en W'efen. geziemt, unfere Kräf- te auf die Gegenftände, die ihnen am angemef« fenfteo find, anzuwenden, und darin dem We- ge zu folgen, Welchen die Natur felbft zeiget. Denn es ift ein vernünftiger Schlufs, dafs die- jenige Art von Unterluchungen für uns eigen- tümlich beftimint ift, welche unferen Fähig- keiten angemeilen ift, und unfer größtes In- tereffe, d. i. den Zuftand unfers künfiigen Le- bens, in fich fafst. Die eigenthümliche WilTenfchaft undThätigkeit für den Mcufchen überhaupt ift alfo wohl die Moral, weil beides die Erlangung des höchflen Gutes zum Zwecke hat. Die ver-

R 2 fchie-

/

26« Viertes Buch.

fchJedenen Künfte hingegen , welche einzelne Theile der Natur zum Gegenftande haben, find das Loos und befoudere Talent einzelner Men- fchen, die dennoch nicht allein zu ihrer eige- nen Exiflenz, fondern auch zum allgemeinen Nutzendes menfchlichen Lebens beitragen. Das ganze fefte Land von Amerika ift ein auffallen, der Beweis, von welcher Wichtigkeit die Ent- deckung eines Körpers und feiner Eigenfchaf- ten für das menfchliche Leben ift. Die Unkun- de in nützlichen Künften, der Msngel an den meiiten Bequemlichkeiten des Lebens in einem Lande, das fo reich in allen Arten der Produ- cte ift, fcheint mir einzig der Unbekanntfchsft in dem Gebrauche des Eifens zugefchrirben "Werden zu muffen. Und fo hoch auch die Cul- tur unfers Weltlheils , in dem Kenutfiifs und Ueberflufs mit einander zu wetteifern fcheLien, angefchlagen Werden mag , fo wird doch Nie- mand, der reiilich darüber nachdenkt, die Wahrheit bezweifeln, dafs wir, wenn die Kenntnifs des Eifens wieder verloren ginge, in einigen Jahrhunderten in die Armuth und die Uuwiffenheit der Wilden in Amerika verfallen "würden, obgleich ihre natürlichen Anlagert und die Sclritze ihres Landes dem cultivir- teften Lande und Volke nichts nachgeben. Mit Recht kann daher der Mann , der den Gebrauch des Eifens bekannt machte, als der

Va-

Zwölftes Kapitel. 261

Vater der Künfteund der Urheber unXers Wohl» ftandes genannt worden,

$. 12.

Empfehlung des Studiums der Na, tur, Warnung vor HypotheTen.

Meine AbGcht ift gar nicht, das Stu- dium der Natur herabzufetzen odet zu widerrathen. DiejBetrachtung detfel- ben muntert uns zur Bewunderung und Vereh- rung ihres Urhebers auf, und fie kann, wenn ße gehörig geleitet wird , wohhbätiger für die MenCchbeit werden, als die Denkmale der exem- plarifchen Madthätigkeit, die mit fo grofsen Koften errichteten Hofpitäler und Armenbaufer, Der Mann, der die Buchdruckerkunft und den Compafs erfand, und die Kräfte und den rech- ten Gebrauch der China bekannt machte, trug mehr zur Verbreitung der KenntnilTe, zur Ver- mehrung und HerbeifchaiTung nützlicher Dinge und Errettuug vom Tode bei, als die Erbauer von Collegien , Arbeitsbäufern und Hospitälern. Alles, was ich fagen wollte, gehet darauf hin- aus. Man füllte fith nicht zu voreilig von dem Dünkel oder der Erwartung einer Eikenntnifs blenden ldffen . wo fie gar nicht oder nicht auf demfelbenWege möglich iß; nicht zweifelhafte Syfteme für vollendete WiiTeufcbaften, noch un- verständliche Begriffe für wifleafchaftliche De-

R 5 mon»

ißz Viertes Buch.

«

monftrationen halten. In der Erkenntnis der Kö^perwelt mufs uns eine Nachlefe von einzel- nen Erfahrungen genügen, wpH wir durch Ent- deckung ihres realen "Wefens nicht ganze Gar- ben auf einmal eiuerndten, noch die Natur und Eigen fcinfien einer ganzen Körperart zufammen- j fatfen können. Wenn wir nach der Koexiftenz und dem Widerftreite der Dinge forfchen, da läfst fich durch die Betrachtung der Begriffe nichts entdecken, da muffen Erfahrung, Beob- achtung und Naturgefchichte durch die Sinne theüwfife einiges Licht über die körperlichen Substanzen geben. Die Eikenntnifs der Kör- per kann nur von den Sinnen entfpringen, wenn fie forgfältig auf die Beobachtung ihrer Eigen- fchaften und gegenfeitigen Einwirkungen ge- richtet werden , und was wir in diefer Welt von reinen Geiftern zu erkennen hoffen, das muffen wir allein von der Offenbarung erwar- ten. Wenn man bedenkt, wie wenig allge- meine Grundfätze i erbettelte Prin- cipien und wil lkii h rliche Hy p ot he- fen wahre Erkenntnifs befördern , das Streben der Denker nach gründlichen Entdek* kun gen he friedigen j wie^wenig ihre Bekannt machung von fo vielen Jahihunderten her die E kentitnifs in der Naturphilosophie weiter ge- , bracht hat . fo ift man gfcwils denen Dank fchuldig , wf hhe in den reuern Zeiten einen andern Gang wählten, und, zwar nicht einen

leich

Zwölftes Kapitel. j5j

leichtern Weg zur gelehrten Unwiflenheit, aber doch einen Geherern Weg zur nützlichen Er« kenutnifs bahnten.

Richtiger Gebrauch der Hypothe- f e n.

Es ift damit nicht gemeint, als wenn zur Erklärung der Erfcheinungen der Natur Hypo- theken nie gebraucht werden follten. Denn die fcharf finnigen find zum wenigften eine grofse Hülfe für das Gedächtnifs , und leiten oft auf neue Entdeckungen. Nur darf man fie nicht zu fchnell annehmen, wozu derVerftand immer lehr geneigt ift, weil er in die Urfachen der Dinge eindringen will, und Grundfätze zurGrund- lage feines Gebäudes fucht. Zuvor müllen alje einzelne Umftände gehörig unterfucht, und mit der Sache, die wir durch die Hypothefe erklä- ren wollen, mannigfaltige Verfuche angeftellt weiden , damit maa fjhe, ob die Hypothef« mit allen übereinftirnme, durch alle durchgreife, und nicht etwa mit einer Erfcheinung der Na- tur ftreite, während fie eine andere zu erklären fcheint. Endlich darf uns auch der Name eii;e$ Princips nicht blenden, daf$ wir das für ur.be- zweifelte Wahrheit annehmen, was höchftens nur eine zweifelhafte Muthmafsung ift, von

R 4 >*el-

3*4 Tierres Buch,

eher Art die meiften . ich möchte fasen , alle, Hypothefen in der Naturphilosophie find,

§. 14.

Zwei Mittel na 1 Erweiterung de* Er kenntuifs.

Doch ohne entfeheiden zu wollen, ob die Naturphilofophie zur Gewifsheit gebracht wer- den kann, fcheinen doch Mittel <orhandea zu feyn , die für uns mögliche Erkenntnifs zu er- weitern. Es find kürzlich diefe zwei; I) Di» Begriffe von den Dingen genau zu beftimmen, von denen wir einen Gattungs- Oder Aitnahicen haben, zum wenigften von al- len, die ein Gegenftand unferer Betrachtung und , und von denen wir unfere Erkenntnifs erweitern wollen. Vorzüglich muffen wir die An begriffe von Subftanzen fo vollftändig zu ma- chen fuchen , als nur möglich ift, d. h, fo viele "einfache iVlerkiu.de zufainmenfjfTen, als nach beftandiger Erfahrung im Realzufamtnenhange flehen, und die Art vollkommen beftimmen kön- nen. Ji-des einzelne Merkmal der zufammenge* fetzten Begriffe mufs klar und deutlich feyn. Denn offenbar richtet fich die Erkenntnifs nach den B griffen; find di- e unvollkommen, dun-! kel. Dudeutlich fo ift keine gewiffe, klare und vollkommene Eikenntnifs zu erwarten. 2' Da& zweite Mittel ift die Erfindung der Mit^

t el-

Zwölftes Kapitel. 365

telbe griffe, um durch fie die Efuflimmun» oder Unvereinbarkeit anderer Begriffe zu ent» decken, welche nicht unmittelbar vergliche» werden künnen.

DaTs diefes beides, nicht aber das Vertrau« en auf Grundfätze und die Ableitung von Folge- rungen aus allgemeinen Sätzen, die richtige Me- thode ift, die Erkenntnis nicht allein in den Beftimmungen der Gröfse, fondern auch in an. dem zu erweitern , davon giebt die mathemati- fche Erkenntnifs einen überzeugenden Beweis. Wir finden zuerft , dafs , wenn kein deutlicher Begriff von den Winkeln und Figuren vorban- . den ift, von denen wir etwas erkennen wol- len , fchlechterdings keine Erkenntnifs davon möglich ift. Nichts ift fo gewifs, als dafs ein Menfch, der keiuen vollkommenen Begriff von einem rechten Winkel , einem Scalenum odei Trapezium hat, vergeblich uach einer Detnon- ftration derftlben fuchen werde. Es ift lerner einleuchtend, dafs nicht der Einftufs der Grund- Falze, welche an die Spitze der Mathematik ge- fteüt werden, die aufserordentlichen Entdek> kiiuseu in derfelben verurracht hat. Wena auch ein guter Kopf fie noch fo vollkommen kennte, und ihren ganzen Umfang und alle ih- re Fülgefiitze überblickte, fp würde er doch

R 5 da-

2Ö£ Viertes Bneh.

dadurch wohl nie zu der Erkenntnifs kommen, dafs das Quadrat der Hypotenufe in einem recht winklichten Drei eck den Quadraten der Katheten gleich ift. Die Erkenntnifs der GrundfjiUe: das Ganze ift gleich allen fein enTheilen, Glei- ches von Gleichen genommen, bleibt Gleiches übrig, ve» hilft ihm, denke ich, nicht zu diefe.» D^monftration ; er kann noch fo langeüber diefen Salzen brüten, ohneim gering- ßen etwas von neuen mathematifchen Wahrhei- ten zu entdecken. Sie wurden durch eine ganz andere Methode des Denkens entdeckt; der Yerftand hatte, als er zuerft Erkenntnifs von diefen mathematifchen Wahrheiten erhielt , Ob- jecte und Anflehten vor, fich , die von diefen Grundfätien fehr veifehieden find. Ein Mann, der zwar die angenommenen Axiome der Ma- thematik genau kennet, aber der Methode un- kundig ift, wodurch zuerft diefe Demonftratio- nc-n erfunden wurden, wird diefe Wahrheiten^ nie genug anftaunen können. Und wer weifs, -vvas in Zukunft noch für Methoden zur Erwei. terung unferer Erkenntnifs in andern Willen« fchaften , gleich denen in der Algebra, erfun- den werden , welche fo leicht GröffenbegriiTe. ausfindig machen, um andere Gräften, deren Verhältnils auf eine andere Art fchwerlich oder gar nicht erkennbar ift, zu uiellen.

Drei-

*<f?

Dreizehntes Kapitel.

Noch einige Betrachtungen über di< Eikeniitnifs.

§. i.

Die Erkenntnifs ift zum Theil uothwendig, zum Theil w i 1 1 - k ührlic

U ufere Erkenntnifs ifr, fo \v\p in andern Punk- ten, fo auch in diefem, dem Sehen analog, dafs fie weder ganz n o i h weidig. noch ganz will ki'i h r li < h i 11. Denn wäre fie durchaus nothwen lig, fo müfftte fie nicht allein bei allen Menfchen vüilij gleich, fjndern auch Jeder müfste alles Erkern bare eikenorn; wäre ße ab?r ganz willkühtlich , fo würden Einig« die Etkenntnifs fo wenig fchätzep und fuchen, dafs fie wenig oder gar nichts ei kennten. Wer Sinne, Gedächtnifs und Unterfcbeidungs vermö- gen hat, mufs gewille Vorl'tellungen empfangen, behdten, und die EinftiiiuiMing oder Nichtein- fliiumung einiger wahrnehmen, lo wie ein Sehen- der,

2<$8 Viertes Euch."

der, wenn er feine Augen bei Tage nicht ver- fchliefst, gewiiTe Gegenstände fehen, und man- ches an ihnen unterfcheiden ronfs. Allein ob- gleich in diefem Falle das Nichtfehen nicht in feiqer Gewalt ift, fo kann er dock auf Ge* genftände, die er will, feine Aagen richten; vielleicht liegt vor ihm ein Buch mit Gemälden, oder mit fonft einem angenehmen und lehrrei- chen Inhalt ; gleichwohl kommt es auf feinen Willen an , oh er es aufschlagen und lefea Will, x

§. 2.

Die Richtung ift wil 1 k ühr li ch ; aber wir erkennen die Dinge, wie fie find» nicht wie es uns gefällt.

Es ift noch etwas in der Gewalt der Will* kühr des Menfchen; nehralich, wenn er auch feine Augen auf ein Object richtet, fo hängt es doch noch von feinem Willen ab, ob er es ge- nau- betrachten, ob er feine Aufmerkfamkeit auf die Beobachtung alles Wahrnehmbaren an demfelben richten will. Allein , was er fiehetf das kann er nicht anders fehen , als es ihm er- fcheint. Es hängt nicht von feinem Willen ab, das für fchwarz anzusehen, was ihm gelb erfeueint. Er kann fich nicht überreden, dafs er Kälte empfinde, wenn er heißen Waffer

über«

Dreizehntes Kapital. 260

Übergoflen iß. Die Erde wird ihm nicht mit Blumen, uo h die Felder ii.it Giün überzogen erfcheinen . wenn es Htm einfällt. Wenn er in einem kalten Winter utn ficli liebet, mufs er nothwendig den weisen Schnee und Reif er- blicken. Eben fo verhiüt es Geh auch mit dem VeTftande. Alles W i 1 1 k ü hr 1 i ch e in der Erk e n n tn i f s beftthet nur in der Richtung des Er kenntnifs Vermögens auf diefe odeTJene Art von Objecten , oder in der Abte- ilung von andern , und in der mehr oder we* liiger forgfältigen Beachtung derfelben. Ift aber die Erkeuntnifs einmal auf gewiffe Gegen- wände angewendet , fo hat der Wille kei. ne Macht, die Erkenntnifs des Ver- ftandes auf irgend eine Weife zu.be- ftimmen; diefes thun die Objecte felbfi, je nachdem fie deutlich wahrgenommen find. Jn- fofern alro die Sinne auf Jiufsere Objecte ge- richtet find, infofern mufs der Verftand die darlurrh dargeftellten Vorffellungen annehmen^ und fleh von den Dafeyn der Auffendinge über- zeugen lallen; infofern die Denkkraft auf be- (timmte Begriffe gerichtet ift, kann fie nicht umhin , in geWillen Grade die Einflimmun<r- oder Nichteinftimmung , die unter ihren lidit find« t , wahrzunehmen < und (liefet ift alfo Er-' k - nntnifs. Wenn diefe Begriffe durrh Wm(e ausgedruckt, und ans diefen Sätze gehildet lind, welche das VcruäUnifs der Begriff* daiftellen,

n

37* Viertes Buch,

fo wird unedle Ueberzeugung ron ihrer Wahr- heit abgedrungen. Denn was man liehet, dag inufs man fehen , und man mufs wifffH , daTs man wahrnimmt , wenn man etwas wahr- nimmt,

§• 3.

B e i f p i e I e.

Wer z. B. die Zahlbegriffe gebildet , und lieh die Mühe gegeben hat, 1,2,5 mit 6 2U vergleichen, mufs das Verhälthifs der Gleich- heit erkennen. Wer den BegriiF von einem Dreieck und ('ie Methode gf-f. nden bat, feine Winkel zu trdlVn, ift von der Wahrheit des Satzes, dafs die drei Winkel zwei rechten gleich find, Co gewifs, als von der Wahrheit de« Grundratzes de- Widerfpruchb überzeugt. Man denke ficht ein denkendes, ab?r gebrechliches und unvollkommenes Wefen , das von einem andern gebildet und ihm unterworfen ift, man denke Geh das letzte als ein ewiges, allmächti- ges, vollkommen weifes und gutes Wefen, und man wird fo gewifs erkennen , dafs der IVlenfch Gott Verehrung und Gehorfam fchul- dig ift, als d)fs die Soune fcheinet, wenn man Ce Hebet. Denn fobald als diefe Begriffe in dem Bewufstfeyn vorhanden Ond, und mit Auf- merkfamkeit verglichen werden, fo bald ent- flehet die Gewifsheit, dafs das endliche, ab-

hän»

Dreizehntes Kapitel. 271

hängige und untergeordnete W,. Ten dem Unend- lichen und HöchlUn gehorchen mufs, eine G-> wifsheit, die njcht kleiner id. als dafs 3 ►£• 4 7 Weniger ala i5, oJer dafs die Sonne auf- gegangen ift, wenn man fie an einem heitern Morgen über dem Horitont erblickt. So gewi's und einleuchtend aber dieTe Wahrheiten f find, fo können fie doch rur unter der Bedingung erkannt werden , dafs man die Denkkiaft ab- fichtlich darauf richtet/ um Heb. mit ihnen ge- hörig bekannt zu machen«

Vierzehntes Kapitel.

Von der Meinung (Judgment).

§. 1.

Wir bedürfen aufser der Erkennt* nii's noch et was. anders.

Uas Denkvermögen ift dem Menfchen nicht aliein zur Speculation, fundtrn auch zur Ein- rieb-

2fi Viertes Bück.

richtung feines practifchen Lebens gegeben. Er würde aber fehr übel dran feyn, wenn er zur Richtfchnur delTelhen nichts anders, als die Gewifsheit einer wahren Erkenntnifs hätte* Denn da diefe, wie wir gefehen haben, fo eingerdnänkt und dürftig iß, fo würde er oft Jn völliger Dunkelheit, und bei vielen Hand- lungen in vollkommener Unentfchiedenheit feyn , wenn fich beim Mangel einer vollkom- menen Erkenntnifs nichts anders fände, das zu feiner Leitung dienen könnte. Wer nur dann, wenn ihm demouftrirt worden, dafs die Speife für ihn mhrhaft ift, eilen, und nur dann thätig feyn will, wenn er untrüglich wei fs , dafs das Gefchaft gelingen wird, der hat nichts anders zu thun, als unthätig binzufterben.

So wie alfo Gott einige Dinge in das volle Tageslicht gefetzt, und uns eine gewifTe Er* ienntnifs , obgleich von kleinem Umfange, ge- geben hat, wahrfcheinlich, um uns einen Vor- Tchmack Von dem zu geben, was für denkende Wefen möglich ift, und in uns den Wunfeh und das Streben nach einem belfern Zuffande zu erwecken; fo verftattete er uns für die mei- ften , uns interelfirenden Angelegenheiten nur, fwenn ich mich fo ausdrücken darf.) die Däm- merung der Wahifcheinliciikeitj die

unlena

Vierzehntes Kapitel. 273

unTerm ZuRande der Mittelmä'sig^ei* und Prü- fung ap°r>meffen zu IVyn fcheint. Hier Tollte uns zur Demüthigung unfers zu grofsen SpJbft- vertrauens und Sto'zes die tägliche Erfahrung von unferer Ktirzfichti^keit und Iirthumsfaliig- keit B weife geben ; diefes Gefühl follte eine beftiindige Aufmunterung feyn , die Tage un- ferer Pilgerfchaft mit Eifer und Sorgfalt auf die Erforrchung und Betretung desjenigen Weges anzuwenden, der uns zu eifern Zuftandtf gröfse- rer Vollkommenheit führen kann. Es ift hörhft vernünftig, anzunehmen, wenn auch die Of- fenbarung davon fchwieg . dars die Menfchen in dem Verhältnjfs, als fie ihre empfangenen Talente angewendet haben , am öchluffe des Ta«es, da ihre Sonne untergeht, und die Nacht ihrer Arbeit ein Ziel fetzt, eine verhältnifsmäf- fige Belohnung empfangen weiden,

§. 3.

Die Meinung er fetzt den Mangel der Er ke n n t n ifs.

Das Vermögen, welches Gott den Menfchen gegeben hat, um den M^npel der klaren und gewiflen Erkenntnifs, wo fie uns gar nicht möglich ift . zu er fetzen, ift das Meinen, Der Verftand nimmt durch dallelbe an, dafs Vorßellnngen e i n ft i m m i g oder nicht einftimmig find, oder, was eben fo viel Locke's. IM. Theil. S ift.

37+ Vierte» Euch.

ift, dafs ein Satz wahr oder falfch ift, ohne die demouftrativifche £ v i denz in de rf B e weifen eingefehen zu haben, Der Vpiftand äufsert diefes Vermögen zu weiten aus Notwendigkeit, wo keine de- monstrativen Be weife und keine gewifle Er- k^nntuifs möglich ift. zuweilen aber auch aus Trägheit, Ungefchicklichkeit oder Uebfreihmg, wenn demoiiftrativnche Bcweife möglich find, Die Menfchpn unterluchen oft nicht forgfältig genug das Verhaltt;'f> der Begriffe , welches fie zu erkennen wünfeben, theils wegen ihrer Utfäiii^kpit, eine lange Reihe von Vorftellun gen mit Aufrnerkfamkeit zu betrachten, theils au» Ungeduld über den Auffchub; fie werfen daher nur einen flüchtigen Blick auf die Bewei- fe, oder übereilen fie ganz, uud entfeheiden alfo, ohne mit dem Beweife ins Reine zu feyn, über die Einftimmung und den Widerfpruch der Vorfteliungen ; fie urtheilen davon, als hät- ten fie die Vorfteliungen nur von weitem im Geliebt, und halten das eine für das andere, wie es ihnen bei diefer mangelhaften Anficht fcheinet. Wenn diefes Vermögen unmittelbar an Dingen ausgeübt wird, fo heifst es Mei- nung (^Dafürhalten) ; bei Wahrheiten , die in Worten vorgetragen werden , wird es ge- wöhnlich das FüTwahrhalten und Nicht* f ür wa hr b alt e n (Affent, Diffent) ge- nennt. Unter dielen Benennungen, die in un-

ferer

Vierzehntes Kapitel. V*f

ferer Sprache am wenigften zweideutig find, werde ich von diefem Versionen handeln , das Cch gewöhnlich auf jene beiden Alten äufsert.

§. 4.

Der Verftand hat alfo in Beziehung auf Wahrheit, und Falfchheit zwei Functionen, nehmlich I") Erkenntuifs, wodurch er mit untrüglicher Gewifsheit das Veihältnifs der Vor- fiellungen in Rücklicht auf Einftiminung oder Nichteinlliininung einfiehet. 2) Meinun", oder eine folche Verbindung oder Trennun» der Vorftpllungen , da ihre EinftioimtUig oder Nichteinftimmung nicht eingefehen , fondern nur vorausgefetzt, oder, ehe es einleuchtet, an- genommen wird. Wenn der Verstand die Be- griffe fo verbindet und trennt, als es mit wirk- lichen Dingen übereinftintitit , fo ilt es ein ob* jeetiv wahres Unheil, (right Judgraent).

8 t f.iHf.

2.ji Viertes Buch,

Fünfzehntes Kapitel.

Von der Wahrl'cheinlichkeit.

§. i.

Wahrfchelnlichkeit die Anficht der Einftimmung aus trüglichen Gründen»

In der Demonftration "wird die Einftimmung oder der Widerfpruch der Vorftellungen vennit- telft eines oder mehrerer Beweife dargeftellt, welche eine durchgängige, unveränderliche und einleuchtende Verknüpfung haben. Die Wahr* fcheinlichkeit hingegen ift nichts anders, als der Schein von Einftimmung oder Nichteinftim- mung durch Beweife, deren Verknüpfung nicht durchaus gültig und unveränderlich, zum we- nigsten nicht dafür erkannt wird. Die Begriffe in den Beweifen find oder fcheinen nur für die rneiften Fälle fo verbunden zu feyn , und fie be- ftimrr.en daher den Verßand , einen Satz eher für wahr oder falfch, als für das Gegentheil zu halten. So wird in der Demonftratjon die im-

ver-

Funfzeliutes Kapitel. 27?

veränderliche Verknüpfung zwifchen den drei Winkeln eines Dreiecks und denen, welche die Gleichheit derfclben mit zwei rechten ausrait- toln , eingefehen. Bei jedem Fortfehritt findet eine anfchaulicheErkenntnifs der Mittelbegriffe ftm , und die ganze Reihe der ßeweisfatze wird mit folcher Evidenz einsefthen, dafs eine un- trü&liche Erkenntnifs von der Einftimmung der drei Winkel zur Gleichheit mit zwei rechten enlfteher. Wenn aber ein Anderer, ohne fleh die Mühe gegeben zu haben, diefe Demonftra* tion zu ftuclieren , höret, dafs ein Mathemati- ker, ein glaubwürdiger Mann, diefe Gleich- heit der Winkel behauptet, fo ftimmt er bei, d. i. er hält de für wahr. In diefem Falle ift der Grund feines Fürwahrhaltens die Wahrfchein- lichkeit der Sache, denn der Beweis ift in den meiften Fallen wahr. Er nimmt nehmlich die Wahrheit auf das Zeugnifs eines Mannes an, der niebts eher und gegen feine Kenntnifs aus- zufagen pflegt, vorzüglich bei Sachen diefer Art, und die Wahrhaftigkeit deffelben, die in andern Fällen bekannt ift, in dieTer aber vor- ausgefetzt wird, ift alfo dasjenige, was das Für- wahrhalten des Andern bei einem Satze, den er nicht erkannt hat , benimmt,

S 3 f # f.

«yi Viertes Buch.

Wahrfc'heinlichkeit fo'll den Man- gel der Erkenntnifs erfetzen,

Unfere Erkenntnifs hat, wie fchon gezeigt worden, enge Grenzen, uud wir find nicht fo glücklich, in allen Gegenständen unfers Nach- denkens Gewifsheit zu finden. Viele Sätze, die Stoff unfers Denkens, die Regel unfers Räfon- nements und auch wohl unfers Handelns find, find von der Art, dafs keine untrügliche Er- kenntnifs ihrer Wahrheit möglich ift. Dennoch grenzen einige fo nahe an die Gewifsheit, dafs wir fie nicht im geringften in Zweifel ziehen ; wir ftimmen ihren vielmehr ohne Wankelmuth bei, und handeln nach diefem Beifall fo ent- fchloflen, als wären fie untrüglich erwiefen, und von uns auf das Volikommenfte erkannt. Hier giebt es viele Grade von der chft en Wahrfcheinlichkeit, welche an die Ge. vtiifsheit und Demonstration grenzt , bis zur U n w a h r f c h e i u 1 i c h k e i t , welche der Un- möglichkeit ?m nachfteu kommt, alfo auch Grade des Beifalls von der h ö c h ft e n Gewifsheit und Z u v e r 1 ä ß i » k p i t , bis herab zur M u t hma f s u u g » Zweifel und Mifs trauen. Nachdem ich nun, wie ich glaube, die Grenzen der menfehlichen Eikenr.t- uifs und Gewifsheit entdeckt habe, roufs ich zunachft auch die verfchie denen Grade

und

Fünfzehntes Kapitel. 479

und Gründe derWahrfcheinlichkeit des Beifalls oder des Glaubens un- terfuchen,

§. 3. Was WahrTcheinlichkeit ift.

W ahr f che inlichkei t ift Wahr- h'eiteäh nl ichkeit. Das Wort (probabili- ty) bedeutet nach der Etymologie einen Satz, für den Giünde oder Beweife vorhanden find, auf welche man ihn für wahr annehmen oder gelten laffen kann. Die Art und Weife, wie der Verfland diefe Sätze auf- und annimmt, heifst > Glaube, Für wahrhalten oder Meinung; es ift da< Annehmen eines Satz.es als wahr auf Gründe oder Beweife, die uns ohne Erkenntnifs, dafs es f<> ift, beftimmea, ihn ^ls wahr anzunehmen. DerU n ter fch ied Zwilchen Wahrfcheinjichkeit und Ge- wi fsheit, Glauben und Erkenntnifs beftehet darin, dafs alle Theile der Erkenntnifs auf Aufehauung beruhen, jeder unmittelbare Begriff, jeder Fortfehritt von dem einen zum andern eine evidente und gewiffe Verknüpfung hat, bei dem Glauben aber diefes nicht ftatt fin- det. Da«, was mich eine Sache glauben macht, ift etwas auker der Sache, die geglaubt wird, liegendes; etwas, d<*s von keiner Seite in un- miuelbaien Zufaujini-nhange mit derfelben il«

S 4 her.

2go Viertes Buch.

fiet, und es [teilt daher die Einftimmung oder den Widerfprucn dtr 7.11 bctracmenden Begriffe nicht fo augenfcheinlich dar,

i 4-

Zwei Gründe d e r W a h r f c h e i n 1 i c h-

keit.

Die Wahrfcheirlichkeit Toll alfo den Mangel der Eikenntnifs erfeUen. und da, wo diefe fehlt, uns "leiten. Ihr G.^fcnftar.d üi;d daher divrjoiii^en Sati^, \On deren wir keine Gewiß- heit haben, wo aber etwas anders uns anreizt und beftimmt, üe als wahr anzunehmen. Die Grü n de der Wahrfeheinlichke^t fi.-.d kürzlich folgende zwei : 1) Die Gleichförmigkeit einer Sache mit unfrer eigenen Er- kenntnifs, Beobachtung und Erfah- rung. 2) Das Z e n g n i f s Anderer, wel- che fich auf eigne Beobachtungen und Erfahrungen berufen. Bei Zeug- niffen anderer muffen folgende Puncte betrach- tet werden: I) ihre Anzahl, 2) ihre Lauterkeit, 3) die EinGcht der Zeugen, 4) die Abficht des Schriftfteüers , wenn ein Zeugnifs aus ei- nem Buche angeführt wird; 5) Verträglichkeit der einzelnen Tbeile und Uinftände des Berichts » 6) ent^egengtfetzte Zeuguiffe»

§. 5.

Fünfzehntes Kapitel. 2jl

Alle Momente d er Wahr fch einlich- keit füllten vorher geprüft wer- den, ehe man Urt heile fafste.

Da c]?r Wahrfcheinlichkeit die anfchauende Evidenz fehlet, welche den Verftand untrüglich, beftiunn?, und eine gewifle Erkenntnifs erzeu- get, fo inufs der \erftand, wenn er vernünf-

1 : Fahren will , alle Gründe der VV ah r- f c h ei n lic h k e i t unterfuchen, und ge- nau abwägen, inwiefern fie mehr oder weniger für oder gegen einen Satz fnrechen, ehe er d -mfelben den Beifall fchenkt oder verfagt ; der Satz follte n2ch gehöriger Erwägung des Gan/.en, mit mehr oder weniger er.tfchicdenen Beifall und in dem Verhlltniüe verworfen oder angenommen werde« , als die Gründe auf der einen Seite die von der andern an Stärke und Anzahl übertreffen« Ein Btifpiel fey diefes.

Wenn ich felbft einen Menfchen auf dem Eife herumgehen fehe, fo ift es mehr als Wa h r- f ch ei n 1 ichkeit , es ift Erkenntnifs,. Nun erzählt mir ein Anderer, wie er in Eng- land in einem harU -n "Winter gefehen habe, dafs Leute auf dem gef.ornen Waller gingen. Die- fes ftimmt mit einer fo gewöhnlichen Begeben- heit fo gut zufammen, dafs ich durch die Na- tur der Sa che felbft geneigt werde, es für wahr

S 5 zu

*S2 Viertes Buch.

zu halfen , wenn nicht etwa gewifle offenbare Anzeigen die Erzählung derThatfacbe verdäch- tig machen, Wird aber diefes Factum Jeman- den erzählt, der innerhalb den Wendezirkeln geboren ift, und nie etwas von diefer Erfchei- »ung fah Oiler hörte, fo beruht die ganze Wahr- fcheinlichkeit auf dem Zeugniffe , und das Fa. dum wird in dem Grade geglaubt werden, als der Erzähler mehrere und von gröfßern Anfe- hen find , und keiner derfelben ein Intereffe hat, das Ge^emheil von der Wahrheit zu Ta- gen. Kaue aber ein Menfch immer das Ge- gentheil erfahren , und nie etwas Aehnliches gehört, fo düifte kaum ei« Zeuge von der un- verdächtigften Glaubwürdigkeit Glauben finden. So ging es einem Holländifchen Gefandlen, der den König von Siam auf fein Verlangen mit den Merkwürdigkeiten Holbnds unterhielt, und ihm unter aide in erzählte, dafs das Waffer in feinem L ande zuweilen bei k dtem Wetter fo hart werde, dafs nun daraufgehen könne, und es würdt -Eleuhauten tragen, wenn es derfelben in Kolland gäbe- Uis jetzt, fagte hierauf der Körii, habckh alle die fon.'.evbjien Dinge ge- glaubt, die du mir erzählt baß, weil ich dich für einen ehrlichen aufrichtigen Mann hielt; aber nun weifs ich gewifs, dafs du lügft.

S. 6,

Funfzrlintes KapiteL 383

§. 6.

Die Wahrfcheinlichkeit ift fehr

mannigfaltig.

Von dieten Gründen hängt die Wahrfchein- lichkeit eines Satzes ab. Je mehr oder weni- ger die Gleichförmigkeit der Erkenntnifs, die Gewifsheit der Beobachtungen, die öftere Wie- derholung und Einhelligkeit der Erfahrung, die Anzahl und Gewißheit der Zeugen mit einem Satze übereinftimmt oder ftreitet, defio gröfser oder kleiner ifl die Wahrfcheinlichkeit des Sa- tzes an fich felbft. Ich läugne nicht, dafe es noch einen Grad der Wahrfcheinlichkeit giebt, der es zwar nicht an fich ifl, aber doch als ein folcher gebraucht wird, nehmlich die Mei- nung Anderer. Durch diefe bcftiminon die IMenfchen am gewöhnlichften ihr Fihwahrhal- ten, an Ge knüpfen fie ihren Glauben mehr, als an for.ft etwas. Aber in der That kann kein Bt-fiimmungsgrund fo gefahrlich feyn , bei kei- nem ift man mehr ^eiährdet, irre geführt 7 u weiden j denn man findet unter den iMenfchen mehr Unwahrheit und Irrthum, als Wahrheit und Erkenntnifs. Wenn die Meinungen und Ueber?,eugungen Anderer, von denen wir ein gu'es Vorurtheil haben, ein ßeftiimntmg<grund. des Fürwahrhaltens feyn follten, fo könnten die Menfcben mit Gtuod in Jipan Heiden, in der 1 uikei MrthuiiKUji'er , möpaniei K thoiikea,

in

2S4- Viertes Buch.

in England Reformirte, in Schweden Luthera- ner hyn. Doch ich werde an einem andern Orte Gelegenheit haben, von diefem fehler- haften Eeftitnmung^grunde des Beifalls weitläuf- iger zu handeln.

Sechszehntes Kapitel.

Von den Graden des Fürwahrkaltens,

, §. 1.

Unfcr Beifall follte durch die Gründe der Wahrfcheinlichkeit b e ft i tn ui t werden.

JJie in dem vorhergehenden Kapitel aufgeftell- ten Gründe der Wahtfcheinlichkeit Tollten als Gründe des Fürwahrhaltens auch der M aa fs. ftab zur Beftimrnuog der Grade d elfel- bf n Teyn. Nur ift zu bemerken, dafs alle vor- handene Gründe, von welcher Art fie find, nur in fo weit auf den Verftand, der nach Wahr- heit forfcht, und Tichtig zu uriheilen wünfchf, wirken, als he zum wenigf/ten bei dem erften

Ur-

Sechszehntes Kapitel.

Unheil und der erftenNachforfchung demfci; vorfch weben. Ich gefiehe aber gerne, clafs in den ineiften Meinungen, denen die Menfchen fo fteif anhängen, das Für wahrbalten nicht von dem wirklieben Bewufstfeyn der Gründe her- rühret , welche zuerft die Ueberzeuguug be- wirkten; deün es ift in vielen Fällen faft un- möglich, und in den rneiften fchwer, auch bei dein glücklichften Gedächtnifs alle die Be weife zu behalten, welche nach gehörigern Ueberder.- ken uns zur Annahme einer Behauptung be- fiimmteu. Es noch ein Glück, wenn nur einmal die Sache, fo weit als es möglich war, mit Fleifs und Redlichkeit uatetfucht, alle Um« ftände, von denen etwas Licht zu erwarten war, gemufiert, und nach heften Willen das Reali- tät des Ganzen aus der Evidenz jedes Einzel- nen Punctes ift gefchloflen worden» Wenn einmal nach der möolichft fchiirfften Unterfu- chting gefunden ift , auf welcher Seite die Wabtitcheinlichkeit fich zeigte, fo legen dio Menfchen dasRefultat als eine enideckte Wahr- heit in das Gedächtnifs nieder, und und in der Folge mit dein Zeugnifs deiTelbrn zut.ieden» dafs diefes eine Meinung ift, die einfl nach Er- wägung der Grunde, einen folcheu Grad von Beifall verdiente » als fie ihr jetzt fchenken.

§• 2,

i6% Vier Lei Buch.

§. 2.

Dies il alles , was der gröfste Theil der Menfchen in HückGcht auf Urtheile und Mei- nungen thuu kann. Oder follte man wohl von ihcen lodern, alle Gründe für eine wahrfchein- liche Wahrheit in derleiben Ordnung und Rei- he Jer Folgerungen, mit der fie diefelbe zuerft gedacht haben, im deutlichen Bewufstfeyn zu b halten , welches übe r eine einzige Frage Wuli. oft ein ganzes Buch füllen könnte; oder dais jeder Menfch für jede Meinung, fo oft er fie äufsert, vo.) neuem die Gründe prüfen ("oll? Beide Foderungen find unmöglich. Es ift da- her unvermeidlich , dafs fich die JVlenfchen in fliefem Falle auf ihr Gedächtnifs verlaifen, und vo ii v i e 1 e n Meinungen ü b e r z e u g t fi n d, deren Gründe jetzt nicht im Bewufst- feyn find, auch vielleicht nie wieder zur klaren Vorftellung erhoben werden können« Aufserdem müfste entweder der gröfste Theil der Menfchen in höchftem Grade fkeptifch feyn, oder jeden Augenblick die Meinungen wech- sln, und fich jedem Preis geben, der zuletzt n.irh Prüfsing der Sache feine Gründe angiebt, welche fie aus Mangel an Gedächtnifs nicht auf der Stelle beantworten könnten»

§. 5.

Sechzehntes Kapitel. 287

* 3.

Nachtheilige Folgen von den et- ilem unrichtig gebildeten U r - t h ei 1 en.

Es ift nicht zu läugnen, dafs die Anhänglich- keit der Menfchen an ihre vorige« Urtheile und ScblüfTe oft die Ursache von ihrer ,rorsetl Hartnäckigkeit in Irrthümern ttnd Mifsveiftänd- nilfen ift. Aber der Fehler liegt nicht darin, dafs fie fich in Rückficht auf das, was fie ricli- tig geurtheilt luben , auf ihr Gedächtnifs ver- laden, foodcrn darin, dafs fie ohne v.nherge* g-mgene fcharfe Prüfung uitheüen. Sollte man nicht eine gtofse Anzahl, (ich will nicht fagen, den gröfsten Theil,) von Mer.fchen finden^ die in dem Wahne flehen, fie hatten über verlchie- dene Gegenftände richtig geurtheilt, aus keinem andern Grunde, alj weil fie nie ^ndf rs d irübet gedacht haben V Sie hatten richtig geurtheilt, blos weil fie ihre eignen Meinungen nie bezweifelten, nie in Unterfuchiin» nahinen? Das heilst freilich fo viel , als lieh deswegen ein richtiges Ui theil zutrauen, weil man nie darüber gcuithult hat. Gleichwohl halten fol. che Menfchen mit der grüfsten Steifheit über ihre Meinungen, und gewöhnlich lind dit-jeni gen in ihren Behauptungen am troUig/ieu und hartnäckigflen , welche am wenigfien daiübtff nachgedacht haben. Was wir einmal erkannt

ha-

28S Viertes Buch. *

haben , davon find wir gewifs , dafs es fo ift ; und es ift nicht zu befürchtet}, dafs es eiwa noch verborgene Gründe gebe, die untere Er- kenntuifs umftofsen oder zweifelhaft mächen könnten. Aliein in Sachen der Wah'richeinlich- keit körnen wir nicht jederzeit ve, bürgen, alle einzelne Tuncte vor uns zu haben, die von Hin» flufs fir-cl, oder daTs kein einleuchtender Grund irti Hinterhalt fey , der der Sache einen andern AuNfchlsg geben, und die Wahrscheinlichkeit der erilgegengerettten Behauptung zuwenden könne. Welcher Menfch befitzt wohl fo viel 3\Iuse, Geduld und Mittel, um alle Gründe für die meiften feiner Meinungen zu faminlen, und Och zu überzeugen, er habe davon eine fo klare vollfiändige Anficht, dafs nichts zu feiner belfern Belehrung vorgebracht werden könne? Und doch muffen wir uns endlich entfehieken, die eine oder die andere Partie zu ergreifen. Die Erhaltung des Lebens, die Beforgi/ng un- ferer wichtigen Angelegenheiten verftattet kei« nen Auffchub ; Dinge, welche gröktentheils von dem entTcheidenden Urtheil in folchen Puncten abhängt, wo keine demonftrative Er- kenntnifs möglich , ein Entfchlufs aber noth- wendig ift.

§.

S«fhszehntes Kapitel, 2%%

§• 4.

Diefesmufs zu gegen feitiger Nach- ficht und Duldung führen. -

Es ift alfo wo nicht für alle, doch die meiften Mrnfchen unvermeidlich, melire re Meinun- gen ohne' gewiffe und unbezweifehe Gründe ihrer Wahrheit zu haben. Es verräth auch zu viel Unwiflenheit, Leichtfinn und Thorheit, je- de feiner vorigen Behauptungen zurückzuneh- men, fobald ein Gegergrund aufgeteilt wird, den man nicht auf der Stelle beantworten oder entkräften kann. Und daher fcheint es mir allen Menschen zu geziemen , bei Verfchie* denheit der Meinungen nicht den Frieden zu brechen, und die gemei- nen Aeufserungen der Humanität und Freundfeh aft Keinem zu verta- ge n. Denn man kann doch vernünftiger Weife nicht erwarten, dafs ein Anderer mit willigem Gehorfam und blinder Ergebung in fremde Auctorität , die von der Vernunft nicht anerkannt wird, feine Meinung aufgebe, und die eines Andern annehme. So oft auch ein MerTch irren ma£, fo kann er doLh keinen an- dern Fühier, als die Vernunft, annehmen, noch fich blindlings der Willkühr uml den II t- fehlen eines Andern unterwerfen« Wenn derjenige, den ihr zu eurer Mi? inung herüber bringen wollt, ein Mann ift, der vorher prüft, ehe er für wähl Lvcke'i. III. Theik X halt,

S£0 Viertes Buch.

hült, fo müfst ihr ihm erlauben, mit Mufse die Sache von neuem zu unterfuchen , alles Vergef- fene zurückzurufen , alle einzelne Puncte zu prüfen, um zu entfcheiden, auf welcher Seite das gröfste Gewicht ift. Findet er eure Grün- de nicht fo wichtig, um Geh diefer Arbeit von neuem zu unterziehen , fo thut er nichts an. ders. als Was wir in ähnlichen Fäilen nur zu oft thuri. Wir würden es für beleidigend hal- ten, wenn uns Andere Vorfchriften machten* wotüber wir nachdenken Tollten. Gehört er aber zu den Mei.fthen, welche ihre Meinungen ohne l)nteiTuchung annehmen, wie kann man fich einbildet!, dafs er denen Meinungen entfa- gen werde, welche das Alter und die Ge- wohnheit in feinem Gemütbe fo befeftiget ha- ben, dafs er fie für SäUe von unuiittelba- rer Evidenz und unbezweifelter Wahrheit * oder für Wahrheiten hält , die er von Gott unmittelbar , oder von feinen Gefandten em- pfangen habe? Wie darf man erWartfn, Ta- ge ich. d:if?. folche eingewu» zelte Meinungen den Gründen Oiler Macht fp?üchen~ eines Frem- den oder Gegners To'gleich aufgeopfert werden* zumal wenn man dabei ein Intereffe oder Ab- firht im Spiele glaubt, ein Verdacht, der fich faft immprdarbiet't, wo man fich übel behandelt fieht? Wrie gut wäre es, wenn wir gegenfei- tig Mitleiden mir unfrer Unwiflenheit hätten, und üe auf dem fanften Wege der Belehrung zu

ent.

Sechszehntes KapiteL 59t

fentfernen fucbten; dabei dürfte man Anderd auch eicht fo.Ieich als verflockte und halsfiar- t\°e Menfcben fchnüde behandeln, wenn fie mit Entfaoung ihr^r eigenen . nnfere Meinungen hiebt annehmen Wollen» am alierWeaigßen die ihnen aufgedrungen werden. £«; ift ja mehr als zu wahrfcheiwlich , dafs jeder eben fo viel Widerfetzlichkeit gegen die Annahme fremder Meinungen äufsern werde. Denn weichet Menfch hat eine untrügliche Gewißheit voil der Wahrheit deffen , was er annimmt, und der Falfchheit dellYn, was er verwirft ? Oder Wer kann behaupten, alle eigenen und fremder! Meinungen bis auf den Grund unterfucht zii haben? Die Notwendigkeit ohne Erkenntnifst ja oft aus febr unbedeutenden Gründen zu glau- ben , follte uns in diefem Zuftande, wo Blind- heit und Thätigkeit mit einander wechfeln» geneigt machen, lieber auf unfere eigne Be- lehrung Forgfaltiger in denken , als Anderrt Zwang anzuthun. Diejenigen, welche ihre ei- genen Behauptungen nicht mit eröTster Schärfe und Giündlichkeit unterfucht haben , muffen zum wenigften ihre Unfähigkeit ein£efrehen» Andern vorzufchreihen, wa* fie glauben fül- len , und es ifr unvernünftig, Andern anzufin^ nen, als Wa ii anzunehmen , wjs fie felblt

nicht unterfucht, wovon he die Gründe der \Vahffr hcinlichlw-it nicht ahgrw;«»«. hahr-ri, tun den Grund der \ cn\vrflicb.keit od<.r Annell-

X & niuögsi

392' Viertes Buch;

mung<würdigkei; zu beflimmen. Marner, wel cbeaiies, was üe leh.cn und bebaupfen, auf- richtig iiml redlich geprüft, es aufsei all. a Zwei» fel gefetzt, und zu Maxime« ili» er Handlungen gemacht habpn . hätten freilich t-in gxöfi -res Recht *u f odero , dafs Andere ihnen folgen füllen: a iein foh he Männer lind (o feiten, und fie finden fo wenig Ürfache, in ihren Meinun- gen ahrprechend zu feyn, d.fs man Uebermuth und He/rfchfncht von ihnen gar nicht erwar- ten darf. Man kann alfo mit Grund voransfez» len, dafs, je aufgeklärter ein Menfch iit , de» fto weniger er amnaaisend gegen Andere ieya Werde. *)

§• 5.

Wahrrcheinlichkeit der ThatftV-

eben und der Speculationen.

Doch wir kehren zu den Gründen und Gra- den des Fürwahrhaltens zurück. Es ifl aber zu bemerken, dafs die Satze, welche anzuneh- men uns dii? Wahricheinlichkeit beftimmt , von gedoppelter Art lind. Einige betreffen die Exiftenz eines einzelnen Dinges, oder,

wie

•) Diefe und andere Gründe d«r Tolerant hat der Verf. in einrr Epiftei über die Duldung,

•vyeitläiüuger ausgeführt,

Sechszehn t«s Kapitel. 2£$

wie man Pagt , eines Fart ums, welches e'n G?;:ei:ftrfnd der Beobachtung, und d?herauch des ZfuiniiTes Ar derer ift; oder Pole he Dinge, weiche durch die Sinne nicht ent- deckt werden können, und daner kein Z e ug n ils miauen*

Die Uebereinftimmung der Erfah- rung aller andern IMenPcben mit der unPrigen bringt ein Für w ah r- halten hervor, das fich der Er- kennt niPs nähert.

1. Wa hr Pcheinlichke it derThat- fachen. Hier bemerken wir folgendes: i) Wenn ein Factum , womit die durchgängige Beobachtung von uns und Andern in ähnlichen Fällen übeieinftimmig ift, von allen, die deflel. beu erwähnen, durch übereinftimmende Nach- richten bezeuget wird, Po nimmt man es ohne Widerrede an , und gründet darauf Schläue und Handlungen mit To fetter Ueberzeugung, ohne den geringften Zweifel, als wäre es Erkennt- niP* und Demonstration. Wenn z. E. alle eng- liPche Schriftfteller, welche Veranbflung ds/u hatten, behauptete», es habe in England den letzten Winter gelrorr.i, oder man habe im Som- iner darauf Schwalben gePeheu , fo wiid das

T 3 eben

Mi

Viertel Buch,

eben fo weuig in Zweifel gezogen, als dafs He- ben und viel cilre macht. Der erfle und hoch» Itt Grad der Wahrfcheinlichkeit bellehet alfa darin , daTs die allgemeine Uebereinftiinmung all.r MrnOiien, zu allen Zeiten, fo viel man davon willen kann, mit der allgemein niemals 11 Erfahrung einet iMenfchen iu ähnli-

n Fallen /lil.uimifntniit , um die Wahrheit

r Begebenheit , die von glaubwürdigen Zeu- gen vergehen wird , zu bt flu; igen. Dahin gehüren die Natur und die Eigenfcbaften de*

■per, der regelmäßige Gang der Urfachen

und Wirkungen in dem Ordentlichen Laufe der

/. Wu nennen dies ciücu Grund aus der

Natur der Dinge fulbft. Denn daraus, dafs un^

nd inderer Menfchen bt-luiudige Erfahrung

etw^s immer auf dielcH c Weile gefunden hat,

men wir mit Grund fthlieTsen, dafs es die irkung von beharrlichen gleichförmigen Ur- fachen ift, wenn diele auch nicht innerhalb dem Kr. »lieber Erfahrung liegen. Dafs das

Feuer den Menlchen erwärmt, das Blei fchmilzf, irbe und Fertigkeit des Holzes verändert, diefe und ähnliche Sätze von einzelneu Na>uit erfcheinungen ftimmen mit ur.ferer allgemeinen Erfahi uns überein, fo oft wir mit diefen *** gen iu ihun haben; alle Menfcher illgemeiu davon , als von Be« immer fo beobachtet, und ten worden, Alles ''

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Zweifel, dafs die Nachricht von folcben Bege- benheiten, und die Vorherfagung, dafs fo etwas auf diefelbe Weife in Zukunft wieder gefchehen werde, höchft wahr ift. Diefe Wa h r fc h e i n- 1 i c h k e i t e n nähern fich fo fehr der Gewi f s- heit, dafs Oe gleich den einleuchfendflen De- monftrationen unfet Dtuken unumfehriinkt be- herrfclien , und auf alle Handlungen den ent« fcheidendflen Einflufs haben; und in allen Ange- legenheiten, die uns interefliren , machen wir zui'chon diefen und einer grwiflen Erkenntnifs keinen ünierfchied. Der Glaube, der fo be- gründet jft, erhebt fich zur Ueberzeugung,

$. 7.

Un bez w ei fei te ZeugnifTe und für die meifteu Fälle zutreffende Er- fahrungen bringen Zutrauen her- vor,

II. Der zweite Grad der Wahr, fcheinlichkeit ift, wenn ich durch nieine eione Erfahrung und durch die allgemeine Ein- fliiunmug aller derjenigen , die einer Sache er- wähnen, finde, dafs, fie in den rb elften Fällen fo ifi , und ein einzelner Fall davon durch vie- le und zuverlälTige Zeugen verfichert wird. So wie uns die Gefchichte in allein Zeitaltern die lVlenfchen darftfilltt, ziehen l;e ihren eigenen Nutzen dem gemeinen Beften vor, und meine

T 4 Et-

?54 Viertes Buch,

eben fo wenig in Zweifel gezogen, als dafs Re- ben und vier eilfe macht. Der erfte und hoch' fte Grad der Wahrfcheinlichkeit beliebet alfQ darin, dafs die allgemeine Uebereinftiinmung aller Menfchen, zu allen Zeiten, fo viel man davon wiffen kann , mit der allgemein niemals trügenden Erfahrung einrs Menfchen in ähnli- chen Fällen zufammentriirt, um die Wahrheit einer Begebenheit, die von glaubwürdigen Zeu- gen verfjchert wird , tu btfiä.igeu. Dahin gehören die Natur und die Eigenfcbaften der Körper, der regelraäfsige Gang der Urfachen und Wirkungen in dein ordentlichen Laufe der Natujr. Wir nennen dies eh^n Grund aus der Natur der Dinge felbft. Denn daraus, dafs un* fere und anderer Menfchen btffändige Erfahrung etwas immer auf diefelbe Weü'e gefunden hat, können wir mit Grund fchliefsen, dafs es die Wirkung von beharrlichen gleichförmigen Ur- fachen ift, wenudiefe auch nicht innerhalb dem Kreife möglicher Erfahrung liegen. Dafs das Feuer den Menfchen erwärmt, das Blei fchmilzt, die Farbe und Fertigkeit des Holzes verändert, diefe und ähnliche Sätze von einzelneu Na>ur- erfcheinungen ftimmen mit unferer allgemeinen Erfahrung überein, fo oft wir mit diefen Din- gen zu thun haben; alle Menfchen fprechen allgemein davon , als von Begebenheiten, dia immer fo beobachtet, und von keinem angefoch- ten worden. Alles diefes fetzt es aufser allen*

Zwei-

Scohszrhntes Kapitel. 29?

Zweifel, dafs die Nachricht Tön folcben Bege- benheiten, und die Vorherfagung, dafs fo etwas auf diefelhe Weife in Zukunft wieder gefchehen werde, höchfl wahr ift. Diefe Wa h t fc h e i n- 1 i c h k e i t e n nähern fich fo fehr der Gewi f s- heit. dafs Ge gleich den einleuchtendsten De- monftrationen iinfer Denken unumfehrankt be- herrfchen, und auf alle Handlungen den ent- fcheideudften Einflufs haben; und in allen Ange- legenheiten, die uns interefliren , machen wir zwischen diefen und einer grwiflien Erkenntnifs keinen Unterfchied. Der Glaube, der fo be- gründet ift, erhebt fich zur Ueberzeuguhg,

$. 7.

Un bei w ei fei t e ZeugnifTe und für die ineifteu Fälle zu treffende Er- fahrungen bringen Zutrauen her- vor,

II. Der zweite Grad der Wahr, fcheinlichkeit ift, wenn ich durch meine eionc Erfahrung und durch die allgemeine Ein- ftiuimung aller derjenigen , die einer Sache er- wähnen, finde, dafs, fie in den weiften Fällen fo ift, und ein einzelner Fall davon durch vie- le und zurtrläfTige Zeugen verGchert wird. So wie uns die Gefchichte in allen Zeitaltern die IVIenfchen darftelkt, ziehen f:e ihren eigenen Nutzen dem gemeinen Beften vor, und aitire

T 4 Er-

ajS Viertes Buch;

Erfahrung, fo weit fie reicht, befiätiget diefes* Wenn alfo alle Gefchichtfchreiber des Kaifers Tiberius verfichern, dafs er auch fo handel* te, fo ift es höchft wahrfcheinlich. In diefem Falle find wir berechtiget, das Fürwahrhalten bis auf den Grad zu erhöhet», den wir Zu- trauen, Zuverläiligkeit (confidence) nennen können.

$.8.

Glaubwürdige ZeugnifTe von zu- fälligen Dingen bewirken einen zu ver läHig en Glauben.

I1L Wenn von zufälligen Ereignif- fen, z* B. dafs ein Vogel hier oder dort flie- get, dafs ea gegen Morgen oder Abend don- nert, eine Thatfache durch das einftimmige Zeugnifs unverdächtiger Zeugen beurkundet ift, fo erfolgt das Fürwahrhalten unvermeidlich. Beifpiele davon find z, E. , dafs in Italien eine Stadt Namens Rom ift; dafs in derfelben un- gefähr vor 1700 Jahren ein Mann, Julius Cäfar, lebte; dafs er ein General war, und eine Schlacht gegen einen andern General P o m- pejus gewann. Obgleich fich in der Natur der Dinge kein Grund, weder für noch gegen diefe Ergebenheiten findet, fo werden fie doch durch angefehene Gefchichtfchreiber vei bürgt, und von keinem in Zweifel gezogen, Infofern

lauf-

Sechzehntes Kapital. £97

muffen fie von jedermann gestaubt, und können fo wenig bezweifelt werden , als das Dafcyn und die Handlungen eines Uekanncen , von de- nen wir felbö Zeugen find.

§. 9-

MifshelligeE rfahrungenund Zeil«- niffc modificiren die Grade der Wahrfcheinlichkeit ius Unend- liche,

Bis bieher findet keine Schwierigkeit ftatt. Die Wahrfcheinlichkeit , auf diefe Gründe ge- ftützt, führet einen fbichen Grad von Evidenz bei fich, dafs fie in der Regel das Unheil be- ftimmt, und ob wir glauben oder nicht glau- ben wollen, fo wem" unferer Willkühr über- ldfst, als die Demonftration , ob wir erkennen oder nicht erkennen wollen. Dann aber ent- fteht Schwierigkeit , wenn die Zeugniffö der gemeinen Erfahrung widerrprechen ; wenn die Nachrichten der Gefchichte und Zeugen mit den gewohnlichen Laufe der Natur und unter ein- ander ftieiren. Hier Fiel fo, Aufmcrkfamkeit und Scharffinn erfoderlith, um ein richtiges Ur- theil zu fallen , und das Für wahr halten den manni;: fähiger. Graden der Evidenz um\ der Wahrfcheinlichkeit tiner Sache anzupallen. Die Wahrfcheinlichkeit flehet utuI lallt ini» den zwei Grüuden der Glaub wfildigkeit, nehm-

T S heb,

39$ Viertes Euch.

lieh , die nilgemeine Beobachtung in allen ähn- lichen Fä.Üen , oder individuelle Zeugnilfe für diefen einzelnen Fall begimftigen öder befirei- ten die WahrfcneinKchkeit. Hier tritt aber ei- ne fo grofse Mannigfaltigkeit von entgegenge- fetzten Beobachtungen, Umftänden, Nachrich- ten, eine falche Verfchirdeuheit von Fähigkei- ten , Char^kiero , Ablichten , Ueberfehungs- fehlern der Erzähler ein, dafs Geh alle ver. fc'uiedenen Grade des FüTWaiirhalteos un- möglich auf bestimmte Regeln bringen laffen« Im Allgemeinen lafst fich nur fo viel fagen, dafs je nachdem die Gründe und ßeweife für und wider nach gehöriger Prüfung und fcharfen Abwägung j^des einzelnen Uiultandos, in Rück- licht auf die ganze Sache in einem hohem oder mindern Grade gewichtvoll (chejnen , und für die eine oder andere Seite den Ausfchlag ge- ben , Ge auch in der Seele die verfchiedenen Grade des Fürwahrhaltens und des Gegentheils hervorbringen können, welche wir Glau- ben, Vermuthung, Muthmafsung, Zweifel, U ne n t Ich 1 Offenheit, Mif$« trauen, Unglauben nennen.

$♦ iö.

Scchszebmrs Kapitel. 399

Veberlicferte ZcugniiTe find um fo weniger gültige Be weife, je entfernter f i e find,

Diefes betraf d,s F ü r w a brh a 1 te n in Dingen, wo Zeugi.iiTc votkommcn. Es wird aber nicht uniweckn.:if.-ig feyn, hier noch eine Regel zu bemerken, welche in den Englifchen Rechten beobachtet wird. Kehralich, obgleich die vidimirte Abfchrift eines Documents ein gutes Beweismittel iß, fo wird doch eine Ab- fchrift von einer Abfchrift vor Gerichten nicht ah Beweis zugelaffen, wenn fie auch durch noch fo glaubwürdige Zeugen beftäü-et ift, Diefes Verfahren wird als vernünftig und der Klug- heit und Yurlichtigkeit, die bei Unterfuchung fo wichtiger Wahiheifen nöthig ift, angeinef- fen , fo allgemein gebilliget, dafs ich auch nie dallelbe tadeln hörte. Ift diefes nun bei ge- richtlicherEmlciieidung der bt fugten und nicht befugten Foderungen gere&htfertiget, fo crgiebt lieh daraus die Regel , da.s eiu Zeugnil' ■; in dem Verhältuü's feine Beweiskraft verliert, alsesficn f b n derOvi-i- nal Wahrheit entttrut, Original wahtheit renneich das bevn und die Wirklichkeit eines Dinges felbft. Wenn ein glaubwürdiger IVJana feine Erkenntnifs davon verßcbitrti fo ift es ein gültiger Beweis: das Zeugnils wird fchwä-

cher,

3oo "Viertes Buch.

eher, wenn ein zweiter eben fo glaubwürdiger Mann daffelbe nach dem vom Erftern erhalte- nen Bericht bezeuget ; es wir l noch unbedeu- tender, wenn ein dritter diefe« Hörenden on Kören fagen verfichert. Die Beweiskraft der überlieferten Wahrheitpn wird alfo mit jedem Grau der Entfernung fchwacher , und eine Ue« berlifferung eihält uin fo weniger Evidenz und Gültigkeit, durch jA mel rere Hände f:e nach und nach gegangen ift. Ich hielt diefe Bemer- kung für iiothwendig, weil hh lebe, dafs die m rillen Menftben gerade das Gegentheil thun, indem He glauben , das Gewicht der Meitiun. gen nehme mit ihrem Alter zu. Was ein ver- pünftiger Mann vor taufend Iahten, der mit dem erfierj Zeugen einer Sache gleit hzeitig lebte, nicht einmal für wahrfcbeinlich gehaltea hätte, darauf pocht man }et?.t. als auf eine* über allen Zweifel erhabene Wahrheit , blos deswegen , weil feit dem er-feen Zeugen mehre- re einer dem andern es na'chgefagt haben. INaclt diefer Maxime erhalteo offenbar falfche, oder doch fehr zw», ifelhafte Sätze durch die umge- kehrte Regel der Wahrfch? ittlichkeit das Anfe. hen vOu beurkundeten Wahrheiten, und Solche, welche aus den Munde ihrer erften Erfinder wenig Glauben verdienten , weiden durch ihr Alterthum ehrwürdig»

*. «<

Sechstehntes Kapitel, goi

§. II.

Nutzen der Gefchichtc.

Ich will damit das AniVhen und. deu Nutzen der Gefchichte keinesweges h.er«nfc*tzen. In vielen Fällen ift l's e ur.fer einziges Licht" mit überzeugender Evj lenz ghht fie uns einet, grof« fen Theil der nützliche) Wahrheiten-, in deren lJtfitz wir find. Ich weifs nichts fchätzbareres. als die Denkmäler des Aherth.jms. Wären ii'ir mehrere und unverdorbner auf uns gekommen. Aber die Wahrheit eibft zwingt mich, zu Ta- gen, dafs keine '.Vahrfchehdichkeit ihrOii^inal übertreffen kann. Was nur düfeh das einzige Zeugnifs eines einzigen Zeugen beglaubiget, ift, mufs mit demMben Rehen o ier fallen, es f i y dähVbe gülti;'. o ler ungültig; und wenn tsh>:r- n-ich von hundert andc-rh nach rirarebr an- gt führt wocii'n , fo verliert' es, anfia-N zu ge- winnen Leidenschaften i Interpfte, Flüchtig» keil , MifeverRäntJnifs und laa end andere {än- derbare Urfatfrcn und Launen, die auf deu > sr- ftand Einflufs haben , und nicht zu entdeck- n find, können verurfachen , dafs (in MenfcU eines andern Worte odrr Meinun^n unrichtig1 anführt, Wer nur etwas dieCitafe der S hrift- fteller geprüft hat , weife, wie wenig Glauben fie verdienen, wo die Originale fehlen, und dafs Citata von Citaten d.iher noch weit unzu- verläfliger find. Was zu einer Zeit aus ich wa- chen

%oi Viertes Buch.

eben Gründen behauptet wurde, kann in def folgenden durch öftere Wiederholungen nicht gültiger werden, es verliert vieiraehr immer mehr an innerer Glaubwürdigkeit, je mehr es lieh von feinem Original entfernt.

§. »2.

In nicht finnlichen Dingen die Analogie die Regel der Waht^ f c h e 1 n 1 i c h k e i t.

Bis hieher habe ich von der Wahrfcheinlich> keit der Thaifachen und folcher Dinge gehan^ delt, welche man beobachten und bezeuget! kann. Jetzt muffen wir noch von derjenigen reden, nach Weicher die Menfchen mit ver- fchiedenem Fürwahrhalten auchM ei- n u n g e n von folchen D i ng e ü annehmen, die nicht in dem Währnehm ungskreife der Sinne liegen, und daher keines Zeugniffes empfänglich find* DahirJ gehört i) die Exiltenz* Natur und Wirkungen endlicher immaterieller Wefen, als Geifter, En* gel, Teufel, öder die Exiftenz materieller We- fen, welche die Sinne, theils Wegen der Klein- heit, theils wegen der Entfernung nicht wahr* nehmen können, ob es z. B. Pflanzen, Thiere und denkende Bewohner auf den Planeten und andern Himmelskörpern giebt, 2) DieWiikungs- ait der Natur bei ihren ineiften Werken, wo die

Wit=»

Sechszehntes Kapitel. 3<>3

Wirkungen zwar wahrnehmbar, sher die Ur- fachen unbekabnt und die Entltehunesa- 1 ver- borgen ift. Wir fehen , dafs Tbiere erzeugt; und ernährt werden, d.jfs fie fich bewegen; der Magnet zieht das Eifen au; die Theile des Lichts Fcumeken nach und nach, Werdet! ztt einer Flamme, die uns Licht und Wärme giebt. Diefe und ähnliche Wirkungen fehen und er» kennen wir, aber die wirkenden Ur&chen und die Entftehnngsart können wir nur r..tb< n, nur wahrscheinlich muthma'sen. Denn weil fie nicht in dein W'ahrr.ehmüngskreife der Sinne liegen, Können fie auch nicht durch dieselben unterfucht, oder von Jemanden bezeugt, fon- dern nur mehr oder Weniger wahrfcheinlich ge- dacht werden, nachdem fie mehr öder wenige« mit erkannten Wahrheiien überfinftinimen, uml mit antieru Theüen unfeTer Erkenntnis und Bcobachiung im Verhältnis flehen. Die Ana- logie ift bei diefen Geeetiftiinden die einzige Aushülfe, von ihr allein nahmen wir die Grün- de der Wahrfcheinlichkt-it her. Da wir z. It. beobachten, dafs das biofie ftarke Reiben iwe er Körper an einander Hitze und oft felbft Feuer hervorbringt, fo hy'oen wir Grunil zu denken, dafs das, was wir Hitze und Feti^r nennen, in einer heftigen Bewegung der unmerklich kleinen Theilr» de» brennenden Materie he» fteht. Wir beobachten, dafs die verfchiedenen Brechungen durchfiehtiger Körper in d?n

Augen

504 Viertes Buch.

Augen die Erfcheinunge« mannigfaltiger Farben -hervorbringen, dafs die veifchierlene Stellung und Lage der oberflächlichen Tiieile inancber Körper, als des Saimuts , eines gewäflerten fei* denen Zen*s, eben dies bewirkt; alfo halten wir es aötti für wahifcbeinlicb, dafs die Farbe und der Glanz der Körper an fic'a nichts anders if;, als die verleb iedene Lage und Abprallung der kleinen Achtbaren '{ heile. Wir finden in allen Theiien der Schöpfung , fo weit unfere Beobachtung reicht, rlafs eine gradweife Ver- knüpEuri^' des einen iniidem andern ohnegrofse merkliche Lücken ftatt findet, und dafs alle Jichtbzre Dinge in der Welt, ungeachtet ihrer Mannigfaltigkeit, doch fo enge an einander ge- knüpft lind, drfs zwifchen ihren verfchiedenen Klairen nicht leicht eine Grenzlinie zu entdek- ken iii. Dies ift für uns ein Ueberzengungs- grtmd, dafs die Dinge fo aiiroählig in dem Gra- de der Vollkommenheit fteigen. Es ilt fehwer zu befliinmen, wo empfindende und vernünf- tige Wefen anfangen , nicht empfindende und unvernünftige aufhören. Welcher Menfch hat einen fo fcharfen Blick, dafs er angeben könn- te, welches die letzte Art der lebenden und die erfte der leblofen Gefchöpfe ift. Die Dinge nehmen, fo weit wir he beobachten können, fb ab und zu, wie die Gröfse in einem regel- mäßigen Kegel, wo die Differenz des Durch. mellets in einiger Entfernung iwar in die Augen

iidl*,

Sechszehntes Kapitel. 3of

fällt, aber die Differenz des untern und obern Durchmeflers, wo fie einander berühren, k^urn zu unterfcheiden ift. Der Unterfchied zwischen einigen Menfchen und Thieren ift auffallend grofs; wenn wir aber wieder andere Menfchen und Thiere, in Rückficbt auf Verftand und Fä- higkeit vergleichen , fo werden wir fo wenig Verfchiedenheit finden, dafs es nicht leicht zu beflitniuen ift, ob der Verftand des Menfchen an Umfang und Intenfion gröfser fey. Da wir alfo beobachten, dafs die Gefcböpfe unter uns durch fo allmählige in einander laufende Grade lieh von uns entfernen , fo macht es die Regel der Analogie wahrfcheinlich , dafs diefes Ver- hähnirs auch bei den Wefen, die über uns und unlere Beobachtung erhaben find, beobachtet fey. Wahrfcheinlich giebt es mehrere Ordnun- gen von denkenden Wefen, die uns in mehre- ren Graden der Vollkommenheit übertreffen, und duTch kleine Gradunterfchiede, von denen fich die nächften kaum unterfcheiden laffen, der unendlichen Vollkommenheit des Schöpfers fich nähern. Diefe Art von WaliTfcbeinlichkeit ift nicht ohne Nutzen und Einflufs. Sie leitet ver- nünftige Verfuche am zweckmäfsigflen , und bringt Hypothefen auf die Bahn. Scharffinni- ge Schlüfle aus der Analogie führen oft auf die Entdeckung der Wahrheit , und zu nützlichen Erfindungen , die fonft verborgen geblieben

wäTen.

Locke1!. HI. Theii. \j §, ,jf

$o6 Viertes Buch.

§. I .

Ein Fall, wo entgegenge fetzte Er- fahrungen ein Zeu gnifs nicht

fchwächen.

Obgleich die durchgängige Erfahrung und der ordentliche Lauf der Natur mit Recht den gröfsten Einflufs auf den Verftand des Menfchen hat, um einer Sache Glauben zu geben, oder zu verfagen , fo giebt es doch einen Fall , wo die Abweichung eines Facturus von der Regel das Fürwahrhalten eines Zeugnifles , wenn es fonft glaubwürdig ift , nicht fchwächt. Wenn nehmlich übernatürliche Ereigniffe den End- zwecken deffen, der die Macht hat, den Lauf der Natur abzuändern, angemeflen find, fo find fie um fo mehr dazu geeignet, Glauben zu be- wirken, je mehr fie über oder gegen die geraei- ne Erfahrung find. Diefer Fall findet einzig bei Wundern ftatt, welche, wenn fie gut beur* kündet find, nicht allein felbft Glauben finden, fondern ihn auch andern Wahrheiten verfchaf- fen, die keiner folchen Betätigung bedür- fen»

*• 14»

Sechszehntes Kapitel. 307

§. 14.

Das blo Ts e Z e u gn i fs der Offenba- rung ift die höclift e Ge wifsheit.

Aufser den bisher angeführten giebt es noch eine Art von Sätzen, welche auf blofes Zeu«*- tii-fs geftüt&f , dennoch auf den höcbfjen Grad des Fürwahrhaltens Anfpruch machen, <iie da- durch begannt gemachte S?u:he mag mit der gemeinen Erfahrimg und dem gewöhnlichen I-auf der Natur übereinftimrcien Oder nicht. Der Grund davon ift , weil das Zeu-jnifs von dem herrührt, der weder betrügen noch betrogen werden kann, das ift von Gott feibft. Dieses führt eine allen Zweifel ausfchlief ende lieber- teugung und Evidenz ohne Ausnahme bei fich. Man nennt ein folcles Zeugnifs mit dem eigen- tümlichen Namen, Offenbarung, und das Fürwahrhalten derfelb?n , Glauben (. Faith). Der Glaube beftimmt den Veiltaud unbedingt, und Ichliefst, fo wie die Erkenntnifs feihft, al- le fehwankende Unfcblüffigkeit aus. Denn man kann eben fo weni^ an feinem Dafeyn zweifeln als ob eine Offenbarung von Goit wahr ift. Der Glaube ift alfo ein feftes und ficheres Princip des Beifalls und der Ueberzeugung, welches für Zweifel und Bedenklichkeiten durchaus keinen Raum übrig lafst. Nur muffen wir gewifs über- zeugt feyn , dafs etwas eine göttliche Offenba- rung ift, und dafs wir fie richtig veittehen,

U 2 (ouft

i0g Viertes Bück.

fonft geben wir uns der ausfchweifendflen Schwärmerei und allen Irrthümern aus falfcr.en Grund fätzen blofs, wenn wir an das glauben , was keine göttliche Offenbarung ift. L>alier kann in dielen Fällen vernünftiger Weife un- fer Fürwahrhalten nicht höher fielen , als die Evidenz, dafs etwas eine Offenbarung, unddaTs diefes der Sinn der Ausdrücke ift, in welchen fie bekannt gemacht ift. Wenn diefe Evidenz nur auf wahrfcheinlichen Gründen beruhet, fo kann auch das Fürwahrhalten von keinem hö- hern Grade feyn, als dasjenige ift, welches aus der ^höhern oder niedrigem Wahrfchein- lichkeit der Bevveife entfuringt. Doch ich wer- de von dem Glauben und dem Vorzuge, den er vor andsrn Gründen der Ueberzeugung haben follte, unten weitläufiger reden; wenn ich von dem Glauben handle, iofofern er gewöhnlich der Vernunft entgegengefetzt wird, ob er gleich in Wahrheit ein Fürwahrhaheä iß; das fich auf die höchfte Vernunft gründet.

Sieb»

&9

Siebzehntes Kapitel.

Von der Vernunft.

Verfchiedene Bedeutungen de* Worts Vernunft.

JL)as Wort Vernunft (rtafon) hat im Englifchen verfchiedene Bedeutungen» Bald bedeutet es wahre evidente Principien , bald richtige ein- leuchtende Folgerungen aus denfelben, zuwei- len die Urfache und vorzüglich die Endurfacbe. Von allen diefen Bedeutungen weicht diejenige ab, in welcher es in diefer Betrachtung geuOm- men wird. Ich verftehe hier nehmlich unter Vernunft dasjenige Vermögen des Men* fchen, wodurch er fich nach allgemeiner Vorausfetzuug von den Thieren unterlcheider, worin er fie zum wenigflen gewifs weit über- trifft.

U 3 $.8.

510 Viertes Buch.

§• 2.

Worin das Denken (raifoning) be- gebt.

Wenn die allgemeine ErkenntniTs, wie ge- zeigt woj den , in der Wahrnehmung der F.in- ßhmnung und Nichteinftimmung unterer Be- griffe beftehtj wenn die Erkenntnifs von der Exiftenz anderer Dinge aufser uns, (Gottes Da- feyn ausgenommen, welches jeder Menlch mit Gevvifshpit erkennen, und aus feinem eignen Dafeyii apodictifch bevveifen kann ,) nur allein durch unfere Sinne möglich ift; bleibt dann noch Raum für die Aeufserung eines andern Vermö- gens aufser dem äufsern Sinne und der innern Wahrnehmung übrig? Ift die Vernunft nicht entbehrlich? Nein, Sie ift fehr unentbehr- lich, fowohl zur Erweiterung der Erkmntnifs, als zur Leitung und Beftimmung de» Fürwahr- haltens; fie wirket mit bei dem Erkennen und Meinen; aHe andere Geifleskräfte können ihrer Hülfe nicht entbehren. Sie ift fogar die Bedin- gung von zwei Geißeskräften , nehmlich dem Scharf finn (fagaaty), und der Schliefs« kraft (illation). Durch jene entdeckt mau die Mittelbegriffe, durch diefe verbindet man fie auf die Art, dafs die Verbindung jedes Glie- des der Kette fichtbar wird , wodurch die äuf- ferften Enden zufammenhängen , und dadurch die gefachten Wahrheiten an das Licht hervor-

ge-

Siebzehntes Kapitel. 31»

gezogen werden. Diefes die Folgerung, Ableitung, welche in nichts auderm beßeht, als in der Wahrnehmung des Zufammenhangs der Begriffe in jedem Gliede der Schlufsreihe, Hierdurch entdeckt man entweder die notwen- dige EinftiinmungoderNichteinftimmung zweier Begriffe, wie in der Demonftration, woraus Er- kenn tnifs entfteht, oder ihren wahrfcheinlichen Zufamenhang , wodurch man , wie in einer Meinung, der einen Sache Beifall giebt , oder verfaget» Die Sinne und die Anfchauung find in enge Grenzen eingefchloflen. Der gröfste Theil unferer Erkenntnifs hangt von den Fol- gerungen uud Mittelbegriffen ab. Und in den Fällen, wo wir genöhiget find, an die Stelle der Erkenntnifs ein Fürwahrhalten zu fetzen, und Sätze für wahr zu halten , ohne von ihrer Wahrheit gewifs zu feyn , ift es nothwendig, die Gründe der Wahrfchcinlichkeit zu finden, zu prüfen, und zu vergleichen. Dasjenige Vermögen, welches zur Entdeckung der Gewifsheit in dem einen, und der Wahrfcheinlichkeit in dem an- dern Falle die Mittel auffuchet und richtig anwendet, ift das, was wir Vernunft nennen. Denn fo wie die Ver- nunft die nothwendige und unbezweifelte Ver- knüpfung aller Begriffe oder Beweife unter ein- ander in jedem Gliedg einer Demonftration, die Erkenntnifs hervorbringt, einfiehet, fo entdeckt

U 4 fi«

$u Viertes Buch.

ße auch die wahrfcheinliche Verknüpfung aller Begriffe und Beweife unter einander in einer Schlufsreihe, für, welche die Vernunft nur ein Fürwahrhalten als zugehörig beftimmt. Dies ift der unieifte Grad von dem , was man mit Recht Vernunft nennen kann. Denn wo das Gemüth keine wahrfcheinlicheVerbindung wahr- nimmt, und nicht unterfcheidet, ob ein Zufam- menhang vorbanden ift oder nicht, da Gnd die Meinungen nicht Producte der Urtbeilskraft oder Folgen der Vernunft, fondern Wirkungen des Zufalls und Spiele einer Seele, die ohne eigne Wühl und Richtung fich von allen Beger benheiien hinreifsen läfst,

$. 3-

Vier Grade der Vernunftthätig? keit.

Wir können bei der Vernunft vier Gra- de ihrer Thätig keit betrachten. Der er- fle und höchfte beftehet in dem Finden und Entdecken der Beweife; der zweite in der regelmäfsigen und methodifchen Stellung derfel- ben tu einer lichtvollen Ordnung, in welcher die Verknüpfung und Stärke jedes einzelnen klar in die Augen fällt; der d r i 1 1 e in der Wahr- nehmung ihrer Verknüpfung, und der vierte in der richtigen Bildung des Schlufsfatzes« In einer mathemaiilchen Demonilration kann man

alle

Siebzehntes Kapitel. 3*3

alle vier Grade bemerken. Die AufFaflung der Verknüpfung zwifchen jedem Theil derDe:non- ffration, fo wie he von einem andern gebildet ift; die Wahrnehmung der Abhängigkeit des Schlufsfatzes von den Vorderfäuen ; die licht- volle und nette Bildung der Demonftration felbft; und endlich das erfte Auffinden der Mittc-lbe- griffe und Be weife, woraus die Demonstration gebildet wird , find vier verschiedene Aeufse- rungen der Vernunft,

§• 4-

Der Syllogismus ift kein fo wich- tiges Hülfs mittel der Vernunft.

Es ift noch etwas , welches ich in Rück- ficht auf die Vernunft unterfucht wünfthte, nebmlich , ob der Syllogismus, wie man allgemein glaubt, das befte Hülfsmittel der Ver- nunft und die nützlicbfte Art der) Aeufsemng ihrer Functionen ift. Ich habe folgende Grün- de, diefes zu bei weifein,

I, Der Syllogismus ift nehmlich für das erfte nur für eine von den vier vorhin erwähn- ten Aeufserungen brauchbar, das ift die Ver- knüpfung der ßeweife in einem einzelnen Fal- le, und nicht weiter, zu zeigen. Diefes ifl aber kein grofser Nutzen, denn die Vernunft kann ohne ihn folche Verknüpfung, wo fie vor-

U 5 han-

314 Viertes Buch.

bandet) ift, eben fo leicht, und vielleicht noch befl'er entdecken.

Wenn wir die Thätigkeiten unfers Geiftes beobachten, fo werden wir finden, dafs wir dann am heften und deutlichften fchliefsem wenn wir ohne nnfere Gedanken auf die Regel der Syllogiftik zurückzuführen, nur die Verknüpfung der Beweife beobachten. Daher lernt uns die Erfahrung Menfchen kennen, wel- che ausnehmend klare und richtige Schlüfle bilden, ohne zu willen, wie fie einen Syllogis- ruus machen foüen» Wer Aßen und Amerika durchreifet, wird Menfchen finden, die eben fo fcharffinnig räfonniren, ohne doch etwas von Syllogismen gehört zu haben , oder ihre Gedankenreihen auf diefe Formeln zurückfüh. ren zu können. Und ich glaube, dafs kaum ei- ner, der für fich felbft denkt, förmliche Schi üffe macht. Der Syllogismus wird freilich dazu ge- braucht, um Trug fehl üffe, die etwa hinter rhe- torifche Blumen verborgen oder lißig in glatte Perioden verhüllt find, durch Abftreifung des Gewandes der fchönen Sprache und des Witzes, nnd durch Darftellung der Ungereimtheit in fei- ner nackten Geftalt, zu entdecken. Allein die- ses MitteF, die fchwachre oder trügliche Seite eines Iofen Räfonnements in fo künftlicher Form aufzudecken , ift nur für diejenigen brauchbar, welche* die fyHogiftifchen Figuren und Modifi-

catio-

Siebzehntes Kapitel. 3* *

calionen, oder die möglichen Verbindungsar- teu der Sätze vollkommen ftudiert haben, und wiflen, welche zuverläflig richtig fchliefsen, welche nicht, und aus welchen Gründen. Wer über den SyÜogismus fo weit nachgedacht hat, dafs er den Grund einüeht , warum bei drei in einem Schlufs verbundenen Sätzen der Scblufs- fatz gewifs wahr, bei andern aber nicht ift, der ift freilich von den Schlufsfatzen, die er aus den Prämiffen in einer logifch erlaubten Figur und INlodus ziehet, gewifs überzeugt. Diejenigen hingegen, weiche in diefe Lehre nicht fo weit eingedrungen Gud, willen vermöge des Syllogis- mus nicht, ob die Schlnfsfaue richtig aus den Vorderfätzen folgen; fondern nehmen diefes blos aus Vertrauen zu ihren Lehrern und zu diefen Formen der Schlüfle an; welches aber doi.li kein WilTen, fondern nur ein Glauben ift. Wenn nun diejenigen, welche Syllogismen bil- der: können, in Veihültnifs zu den nicht kön- net den, eine fehr kleine Anzahl ausmachen; \v<nn von denen, welche die Logik ftudiert hahen, nur wenige find, welche nicht etwa blos glauben, fondern willen, dafs die Syllo- gismen 'in den erlaubten Figuren und Moden ric uig Lhliefsen ; und wenn dermin»each- tet der Syllogismus für das einzige taugliche Hilfsmittel der Vernunft und der Erkenntnifs follte gehalten werden , fo würde folgen , dafs vor Ä r i ft o t e 1 e s kein Menfck , und nach Er-

fin-

1x6 Viertes Buch.

fi-idung der Syllogismen von zehn tanTend nicht einer etwas durch die Vernunft eikennt.

Sollte Go t die Menfchen aus Sparfamkeit nur zu zweifüßigen Gefchöpfen gebildet, und es dem Ariftoteles überlafi>n haben, fie erlt zu vernünftigen zu machen? Und doch pur die wenigen, die er dahin bringen konnte, dafs fie die Gründe der förmlichen Schlüge fafs- ten , und einf.-.hen, warum von mehr als fech- zig Arten, auf welche drei Sätze mit einander verbunden werden können, nur ungefähr vier- zehn find in denen man von der Wahrheit der Schlufsfulf-e gfewifs überzeugt feyn kann, und warum das nicht bei den übrigen ftatt findet. Kein, Gott war viel gütiger gegen die Men- fchen. Er gab ihnen ein Vermögen, zu fchlief« fen , unabhängig von der fyliogiftirchen Kunft. Der menfchÜche Verftand lernt nicht erft durch jene Regeln denken, er hat ein angebornes Ver- mögen, den Zufamrr.enhang und Nichtzufam- menhang der Begriffe einzuTehen, und fie oh- ne folcbe verwirrende Wiederholungen richtig zu Hellen. Diefes ift keine Herabwürdigung des A|r i ft o t e 1 e s , den ich als einen der gröfs- ten Männer des Alterthuras betrachte ; deflen grofse Einücht, Scharffiun, durchdringender Geift und Benrtheilungskraft nur wenige erreicht haben. Selbft diefe Erfindung der SchluTsfor- men» in denen die Wahrheit der Sehlufsfolge

dar-

Siebzehntes Kapitel,. 31^

dargeftellt werden kann, war eine wichtige Er- findung gegen diejenigen, welche (ich nicht fchämen, etwas Zu läugnen. Ich gebe gerne zu, dafs alles richtige Scbiiefsen auf feine lyllo. giftifchen Formen zurückgeführt werden kann. Demungeachtet darf ich ohne Veikleinerungs- fucht behaupten, dafs diefe Formen nicht die einzige auch nicht die hefte Art zu fchliefsen find, um diejenigen in die Wal iheit hineinzu- leiten, welche den guten Willen h.iben, lie zu finden , und zur Erlangung der Erkenntnis den heften Gebrauch von ihrer Vernunft inachen wollen. Es liegt am Tage, dafs er einige fchliefsende und einige hichtfchliefsende For- men fand, nicht durch diefe Formen felbft, fondem durch die urfprüngliche Erkenntnifsart, d. h. durch die einleuchtende Einfiimmung der Begriffe. Wenn man einer Dame auf dem Lan- de fagt, dafs der Wind füdwpfilich und der Him- mel trübe und regnerifch ift, fo wird Ge fo- gleicb einfehen, dafs es für fie nicht zuträglich ift , an einem folchen Tage nach einem Fieber in leichter Kleidupg auszugehn; Sie erblicket die wahrfcheinliche Verbindung zwiichen Süu- weftwind, Wolken, Regen, !Naf>vverden , Er. kältung. Rückfall und Todesgefahr, ohne diefe Vorfiellungen in fo küuftliche und befchwer- liche FefTeln der Syllogismen einzufchliefsen, die nur den Verftand hemmen und aufhalten, da er ohne fie weit fchneller und lichtvoller von

dem

318 Viertes Buch.

dem einen zum andern übergeht. Die Wahr- fcheinlichkeit, welche fie an den Dingen in ihrer natürlichen Gtftalt fo leicht auffaßt, wür- de fogleiih verloren gehen, wenn der Schlufs in gelehrter Küftung aufgeftellt würde, welche die Verknüpfung nur verwirrt. Daher wird man bei mathematifchen Demoriftrationen be- merken, dafs fis ohne Syllogismen die Er- kenninifs auf dem kürzeften und lichtvollften Wege gewähren.

Das Schließen wird als eine wichtige Fun- ction des Vernunftvermögens betrach:ft; das ift es auch wirklich, wenn es auf die rechte Art gefchiehet. Allein der Veiftand ift theils aus Begierde, feine Erkenntnis zu erweitern, theils aus Gunft für eingefogene Meinungen oft zu Ichneil und voreilig mit feinen Folgerungen, ehe er noch die Verknüpfung der Begriffe ein- gefehen hat, welche den Schlüllen Haltung geben.

Schliefsen ift nichts anders, als vermit- teln eines als Wahr aufgehellten Satzes , einen andern als wahren Satz ableiten, oder die wahre Verknüpfung zwifchen beiden Begriffen der ab- geleiteten Sätze einfehen oder fetzen. Man le- ge z. B. den Satz: die Menfchen werden in einer andern Welt geftraft wer- den, zum Grunde; aus diefem foll diefer an- dere :

Siebzehntes Kapitel, 3 iy

dere: alfo können die Menfchen fich felbft befiimmen, hergeleitet werden. Jetzt entfteht die Frage, ob der Verfiand diefe Fol- gerung richtig abgeleitet habe oder nicht* Hat er das erße gethan durr.h Auffindung der Mit- te'begriffe, durch Auffuchung der Verknüpfung derfelb?a und durch ihre Zufammenftellung in die gehörige Ordnung , fo hat er vernünf- tig verfahren , und einen richtigen Schlufs gebildet. Ift das aber nicht gefcheben, fo hat er nicht fowohl einen haltbaren Schlafs, eine richtige Folgerung der Vernunft aufgeftellt, als vielmehr nur den Wunfeh gezeigt, es möchte ein Schlufs feyn oder dafür gehalten werden. Allein hat denn in beiden Fällen ein Syllogis* mus diefe Begriffe entdeckt, oder ihre Verknii- pfung gezeigt? Muhten Ge nicht vielmehr fchon gefunden, und ihr Zufammenhang eingefehen fevn, ehe (^e in einen förmlichen Schlufs konn- ten verbunden werden? Man müfste denn fa- gen können, dafs ein Begriff, ehe roch feine Verbindung mit einem andern, deffenEin* flimmung durch ihn gezeigt werden foll , un- terfuebt ift, diefes in einem Syllogismus von felbft thue, und um den Sch'ufsfatz zu bewer- fen, aufs Gerathewohl zum Mitielbegriff ge- nommen werden könne. Doch diefes wird nie- mand behaupten. Denn die Einftirnmung des Subjects und Prädicats in dem Schlufsfatze kann nur vermiitelfl des Mittclbegriffs, indemGe ein-

ftim-

320 Viertes Buch.

fiirr.men, gefchloflen werden; daher rrufs auch der Mittelbeg'iff von der Art feyn , dafs in der ganzen Kette feine Verknüpfung mit beiden an- dern Begriffen, die er verbindet, deutlich ift, fonft folgt der Schlufsfaiz nicht; denn eine Ket- te verliert alle Bindungskraft , wenn ein Giied an derfelben los und unverbunden ift. Was beweift z. B. in dem vorhin erwähnten Beifpiele die Richtigkeit und Vernunftmäfsigkeit der Fol- geruno, wenn es nicht das Bewufstfeyn der Ver- knüpfung aller Mittelbegriffe thut, durch wel- che der Folgefatz abgeleitet wird? Z. B, die Menfchen follen geftraft werden Gott ift der Beftrafer dieBeftra- Fang ift gerecht der Befirafte hat Schuld er hätte anders handeln können Freiheit Seibitbeitim, m ii n ;. !n tiiefer Reihe von verketteten Be- giiixon, da jeder Mittelbegriff mit dem nächft v.. ^gehenden und nlöbfi folgenden einftim- nii^ ift, weiden ('ie Begriffe Menfch und Selbft« beftimmung offen ha* verknüpft, und der Satz: die Menfchen können ilch felbft b e - ftimmen, aus dem: die Menfchen wer- den in einer andern Welt beftraft werden, abgeleitet. Denn wenn der Verftand die Veiknü'pfung zwifchen dem Begriff derBe- ftrafuug der Menrchen in einer andern Welt und G.)tt dem Beftrafer; zwifchen dem ftrafen- den Gott und der Gerechtigkeit der Strafe;

zwi-

Siebzehntes Kapitel. 321

zwircher» der Gerechtigkeit der Strafe und der Schuld; zwilchen der Schuld und dem Varajö» gen anders zu handeln; zwifchen dem Vermö- gen anders zu bändeln« und der lrr-.ihpit; zwi- fchen der Freiheit und der Selbfil >efrimmnng einliehet , fo erkennet er auch die V rl.rü- pfung zwifchen Meiifch und Stlbhbtllun- niung,

Ift diefe Verknüpfung de- S -jbjec's und Prä- dicats des Schlufsfatzes nicht viel deutlicher in diefer einfachen untl natürlichen Sti-Hun» ai.fzu- fallen, als in der verwickelten Wiederholung und in dein Gewirre von fünf oder Tech, Syllo- gismen? Man wird mir erlauben, ditfes ein Gewirre zu nennen , bis Jemand diefe Begriffe in fo viele Syllogismen verbunden und erfun- den hat, dafs lie weniger verwickelt find, und ihre Verktitipfnng fichtbarer wird, Wenn fie fo hin und her verfe zt. wiederholt, und in künft- lichen Formen zu einem laDgen F.den aus^e- fponnen werden, als wenn fie in einer Teichen kurzen, natürlichen und klaren Ordnung, wie hier, aufgehellt find, in welcher Jeder fie übe 1- fchen kann und überfehen mufs, ehe fie in ei- ne Schlufsreihe gebracht werden. Denn die natürliche Ordnung, die Begriffe zu verknü- pfen, mufs die Ordnung der Syllogismen he- ßiminen, und man mufs zuvor dir Wiknüpfung jedes Mittelbesriffs mit denen, welche dadurch Lucke's. Irf. Thoil. X ver-

gjj Viertes Buch,

verknüpft werden, eingefehen haben, ehe man einen vernünftigen Gebrauch von ihnen zu ei- nem Syllogismus machen kann. Undauchdann, wenn diefe Schilifte förmlich gebildet find, wer- den weder die Logiker, noch die Nichtlogiker, die Schliefskraft, d. i, die Verknüpfung des Sub- jects und Präüicats um ein Haar befler eiufe- hen. Denn die letzten, welche weder die fyl- logiftifchen Formen, noch ihre Gründe kennen, können nicht beurtheilen , ob fie richtig in den fchliefsenden Figuren ond Modifikationen gebil- det find. Die fchulgerechte Form hilft ihnen alfo nichts, oder fie macht vielmehr die Rich- tigkeit der Folgerung nur noch ungewiffer, da he die natürliche Ordnung ftöhret, in welcher der gefunde Menfchenverftand den Zufammen- hang der Begriffe beurtheilen kann. Und felbft die Logiker muffen die Verknüpfung jedes Mit- telbegriffs mit den zu verknüpfenden, (worauf die ganze Schliefskraft beruhet,) eben fo gut vor als nach dem Syllogismus einfehen , oder fie können fie gar nicht erkennen» Denn die Verknüpfung zweier unmittelbar verbundenen Begriffe wird durch den Syllogismus weder ge- zeigt, noch verftärkt, fondern erzeigt nur durch diefe Verknüpfung, in welchem Zufammenhan- ge das Subject und Prädicat des Schlufsfatzes flehen. Die Verknüpfung des Mittelbegriffs mit dem Subject und Prädicat des Schlufsfatzes kann der Syllogismus felbft nicht darfteilen;

der

Siebzehntes Kapitel. 323

der Verftand erkennt diefe unmittelbar durch das Denken, fo wie de zufaramengeftellt find, wobei die zufallige fyllogiftifche Form weder helfen noch Liebt geben kann. Der Syllogis- mus zeigt nur, dafs wenn der Mittelbegriff mit den Begriffen, auf welche er von beiden Sei- ten angewendet wird, einftimmig ift, auch die- fe gpwifs einftiinmig find, Diefe Verknüpfung desMittelbegriffs mitdeu beiden zu verbindenden von welcher die Gültigkeit des SchluiTes ab- hängt, mufs a!fo eben ;fo vor als nach der Bil- dung des Syllogismus einleuchtend feyB , fonft könnte fie von dem, der den fchulge- rechten Schlufs bildet, gar nicht, eingefehen werden.

Wozu dienen denn ab^r nun die Syllogis- men1? Sie werden vorzüglich in Schulen ge- braucht, wo den Gelehrten erlaubt ift, die evi- denteile Einftimmung der Begriffe fchaamlos zu läugnen , auch aufser den Schulen gegen dieje- nigen, welche von dorther eben eiiefes gelernt haben. Ein redlicher Forfcher nach Wahrheit hingegen, der keinen andern Zweck hat, als fie zu finden , hat nicht nöthig, zu folchen For- men zu greifen, um das Eingesehen feiner Fol- gerungen zu erzwingen ; die Wahrheit und Ver- nunftinäfsigkcit derfelben wird beffer durch ei- ne lichtvolle einfache Anordnung der Begriffe dargeftellt, Daher bedient (ich kein Menfch

X 2 bei

324

Viertes Buch,

bei feinen eigenen Forschungen nach Wahrheit des Syllogismus, um lieh zu überzeu-en, auch nicht bei dem Unterricht uifsbegieriger Schü. ler. Denn ehe noch ein Syllogismus kann ge- bildet werden , mufs fchoo das Verhältnis des Mittelbegriffs zwifchen den beiden andern Be- griffen, in Anfebung ihrer Einftimmung oder JNJicbteinliimmung, bekannt feyn , und ift die- fes erkannt, fo weifs man auch, ob die Folge-, xung richtig oder nicht richtig ift. Um diefes auszumachen, kommt der Syllogismus zu fpät. Wenn der Verftand, um auf das vorige BeiTpiel zurückzukehren, über den Begrih der Gerech- tigkeit als Mittelbegriff zwifchen der ßeftrafung der Menfchen und der Schuld der Beftraften, (ohne welches er nicht als medius terminus brauchbar ift,) nachgedacht hat, follte er dann die Gültigkeit und Notwendigkeit der Folge- rung nicht fo deutlich, als in dem fchulgerech- ten SchlulTe erkennen ? Diefes laTst lieh noch durch ein anderes einleuchtendes ßeifpiel deut- lich machen. Der Begriff Thier fey der Mit- telbegriff, durchweichen die Verbindung zwi- fchen Menfchund lebendes Wefen foll gezeigt werdpn- Diefe läfst fich viel deutli- cher und fafslicher durch die natürliche einfa- che Ordnung, da der vermittelnde Begriff in der iViitte lieht;

Menfch Thier lebendes We- fen,

als

Siebzehntes Kapitel. 3*5

als durch die verwickelte, in den Syllogismen gewöhnliche, darftellen:

Thier lebendes We Ten Men fch Thier. Es ift wahr, man glaubt , die Syllogismen wä- ren auch felbft den Freunden der Wahrheit unentbehrlich, um ihnen die TrugfchlüfTe auf- zudecken, welche in eine blumenreiche, witzi- ge oder verwirrte Schreibart verfteckt find. Ditfes ift aber ein IVlifsverftand. Wir dürfen, um uns davon zu überzeugen, nur den Um« ftand bedenken, dafs die Urfache, warum zu- weilen Menfchen , welche die Wahrheit auf- richtig lieben , fich durch folche ihetorifche Ausdrücke und Figuren täufchen lallen, darin liegt, dafs ihre Einbildungskraft zu fehr da- ven gerührt, und dadurch die Beobachtung der eigentlichen Begriffe, wovon die Folgerung ab- hangt, vernachläffiget oder erfchweret wird. U/n die Schwäche diefer Folgerungen ein- zuleben, [darf man nur die überfälligen Vorftellungen wegnehmen , welche unter die Begriffe gemilcht, auf denen die Schliefskraft beruhet, den Schein von Verknüpfung hervor- bringen, wo keiue ift, oder doch den Mangel derfelben verdecken, und dann die Begriffe, welche die Beweiskraft begründen , in ihrer nackten Geftalt, in ihrer gehörigen Ordnung aufftellen. Hier kann fie der. Verftand über- fchauen , ihre Verknüpfung unterfuchen und

X 3 die

526 Viertes Bach.

die Folgerung ohne Syllogismen beurthei-« len.

Ich weift wohl, dars die fyllosißifchen Fi- guren gewöhnlich in Solchen Fällen gebraucht werden, als wenn die Entdeckung des Mangels an Zufammenhang in Gedanken ihnen allein zu verdanken wäre. So dachte ich auch feibffc ehedem tm eine nähere Unterfuchung mich überzeugte, d.ifs die Stellung der blofsen Mit- telbegriffe in ihrer natürlichen Ordnung das Un- zufammenhängende folcher Schlüffe beffer , als ein Syllogismus zeigt. Denn dadurch wird je- des Glied der Kette an feiner gehörigen Stelle zur unmittelbaren Anficht des Verftandes ge- bracht, auf welche Art die Veiknüpfung fich am heften beachten läfst. Den Mangel derlei- ben kann ein Syllogismus nur denen fichtbar machen , welche die Sylio^iftik nebft ihren Gründen verliehen , welches unter Taufenden kaum Einer weifs. Die natürliche Stellung der fchliefsenden Begriffe ftellt hingegen den Mangel an Verknüpfung in der Schlulsreihe, und die Ungereimtheit der Fo'gerung Jedem dar, der, er fey ein Logiker oder nicht, die Ausdrücke verlieht, und das Vermögen befitzt, die Einftiramung oder Nichteinftimmung diefer Begriffe einzufehen, ohne welches überhaupt Niemand, weder mit, noch ohne Syllogismen, die Starke oder Schwäche, den Zufammenhang

oder

Siebzehntes Kapitel." 32^

oder NicbUufammenhang einer Gedankenreihe fallen kann.

Ich habe einen Mann gekannt, der ohne Kenmnifs der Syllogiftik die Schwäche undln- confequenz einer langen, künftlichen und fchein- baren Rede, durch welche gute Syllogiftiker fich hatten täufchen lallen , beim erften Anhö- ren entdeckte. Und von meinen Leiern wer- den, wie ich hoffe» wenige feyn, die das nicht auch könnten. Und fo mufs es in der That feyn, denn fonft wäre zu befürchten, dafs die Debatten in den Kabinettern und die Angele- genheiten der Siändeverfammlungen fehr fchief behandelt würden, indem diejenigen, aufwei- chen diefe Gefchäfte beruhen , und grofseMei- fter darin find , nicht immer das Glück haben, Kenner der Syllogiftik zu feyn. Wäre der Syl- logismus der einzige, oder auch nur der ficher- ile Weg , die Trugfchlüffe in künftlichen Re- den zu entdecken , fo würde kein Menfch, felbft kein Fürft, in Dingen, die KTOne und Würde betreffen, Unwahrheit und Täufchung To fehr lieben, um die Syllogismen in fo wich- tigen Verhandlungen durchgängig zu vernach- liiffigen, und ihreEinmifchung fogar für lächer- lich zu halten. Dies ift in meinen Augen ein lieberer Beweis, daTs Männer vonVerftand und Einficht , die keine Zeit zu muffigen Deputa- tionen haben , fondern nach den Refultaten ih-

X 4 rer

32 J Viertes Buch.

rer Unterhandlungen wirken, und für ihre Trr- thfimer oft mir ihrem Kopf und Vermögen haf- ten müüen , diefe fcholaftifchen Formen nicht von giofseo Nutzen zur Entdeckung der Wahr- heit und FalTchheit finden, weil beides ohne jene denjenigen beiler dargeftellt werden k-tnn, die nur den Willen bähen, zu fehen , was ih- nen vor die Augen gelegt wird,

II. Ein anderer Zweifelsgrund, ob der Syl- logismus das einzige taugliche Werkzeug der Vernunft zu Entdeckung der Wahrheit fey, ift d;efer : Von we'chem Nutzen auch immer die fyllogiUih hen Figuren zur Aufdeckung der Trug- fchlüile f«yn mögen, was wir eben unterfucht haben,, fo können fie doch felbft eben fo täu- fchend leyn , als jede natürliche Gedankenrei- he. Ich berufe mich deshalb auf die gemei- ne rieobachr.ung , welche diefe künftliche Me- thode des Räfonnemens immer tauglicher, den Verftand zu verwickeln und zu berücken, als ihn zu belehren, f-ind« Wenn daher diefe feho- laftifche Kunft Manner auch zum Schweigen bringt, fo werden diefe dennoch nicht über- zeugt y diefe erkennen vielleicht ihre Gegner für gefchicktere Disputirer, bleiben aber gleich- wohl in der Ut berzeugung , die Wahrheit auf ihrer Svite zu haben; zum Schein befiegt, ver- lallen fie den Kampfplatz mit derfelben Mei- nung, die fie dahin gebracht hatten. Dies

könn-

Siebzehntes Kapitel. 329

könnte nicht ftatt finden, wpnn diefe fyllogU ßifche Methode lichtvolle Ueberzeugun^ bei fich führte, und zeigte, wo die Wahrheit be- find! ch ift. Daher hat man die Syllogismen immer für ein btfferes Mittel gehalten, den Sie« irn Disputiereu davon zu tragen, als die Wahrheit durch redliches Forfchrn zu finden und zu befeftigen. Und wenn es gewifs ift, dafs fich Triijj hiuter Syllogismen verdecken kann, »wie es nicht zu längnen ift, fo mufs es aurser ihnen noch ein anderes Entdtckungsniit- tel der Wahrheit geben.

Tch weifs aus Erfahrung , wie geneigt ge- wiffe Leute find, wenu man nicht jeden Nutzen eingelU-ht, den l:.e einer Sache beilegen, f@- gieich über Unrecht zu fchreie r. , als würde die ganze Sache verworfen. Um diefen unge- rechten und grund'o.'en Befchuldigungen vor- zubeugen, erklare ich, dafs meine Abficht nicht ift, dem Verftande irgend ein Hüilsmittel zur Erlangung der Erkenntnifs zu entziehen. Wenn in der Syllogiftrk erfahrne Manner fie von Nu- tzen zur Entdeckung der Wahrheit finden, fo möge« fie fich immer derfelben bedienen, nur dürfen fie den Syllogismen nicht mehr Werth beilegen, als ihnen wirklich zukommt, und nicht wähnen, als könnten Ändere ohne fie keinen, oder keinen fo vollkommenen Gebrauch, von ihrem Denkvermögen machen. Einige

X 5 Augen

33o Viertes Buch.

Augen bedürfen Gläfer, um deutlich zu fehen *, darum dürfen aber diejenigen, die fich ihrer bedienen, nicht fagen , Niemand könne ohne fie deutlich leben, wenn man nicht von ihnen denken foll , dafs fie zu Gunften einer Kunfr, deren fie eben bedürfen, dieNatur zu fehr her- abfetzen. Die Vernunft Hebet durch ihre eig- ne Kraft , wenn fie ftark und geübt iß, ge- wöhnlich ohne Syllogismen fchärfer und deut- licher, Wenn der Gebrauch diefer Gläfer ihre Sehkraft fo verdunkelt hat, dafs Ge ohne die- fclben Confequenz und lncoofequer»z der Schlüp- fe nicht einfehen kann, fo bin ich nicht fo un- billig, ihnen den Gebrauch derfelben verweh- ren zu wollen. Jeder weifs am heften , was für fein Auge am heften ift : nur darf er nicht fchliefsen , dafs alle Andern, die feiner Hülfs- mittel nicht bedürfen , blind find.

§. 5.

Die Syllogismen find noch weit weniger zur Wahrfcheinlich- keit brauchbar.

Doch der Gebrauch der Syllogismen in der ETkenntuils fey dahin geücllt ; dafs fie aber bei der Wahrfcheinlichkeit wenig oder g*r keinen Nutzen haben , das läfst ikh mit Gewifsheit behui;>ten. Denn da hier das Fürwahrhalten durch eine fchaife Abwägung aller heweisgrüu*

de

Siebzehßtes Kapitel. 331

de und aller Umftände auf beiden Seiten be- nimmt werden mufs, fo kann nichts fo wenig den Verftand in diefem Verfahren unterftützen, als ein Syllogismus, der mit einer angenomme- nen Wahrfcheinlichkeit oder einem Gemein- platze davon läuft, bis er den Gegenfiand der Betrachtung aus den Augen gerückt hat. Nach. Entfernung einiger Schwierigkeiten wird der Verftand auf den angenommenen Standpunkt eingeengt, verfirickt , und durch dieKette von Schlaffen gleichfain gefeflelt, ohne dafs ihm die Freiheit bleibt, nach Betrachtung der Sa- che von allen Seiten, zu unterfuchen, 3uf wel- cher die gröfste WahrTcheiulichkeit fich befin- det. Koch weniger wird der Verftand dabei unterftützt,

§. 6.

Sie dienen nicht dazu, die Er- kenntnifs zu vermehren, fon- dern nur mit ihr zu ft reiten.

Zugegeben, dafsfie, wie man vielleicht fagen wird, brauchbar find, die Menfchen von ihren Irrthümern und Fehlgriffen zu überführen, ob ich gleich gerne den Mann fehen möchte, der, durch die Kraft der Syllogismen genöthiget, feine Meinung aufgegeben hat* fo lallen fie doch die Vernurft in dem lJuncte ohne Bei- ftand, der ihre höchfte Vollkommenheit, ihr

fchwer-

332 Viertes Euch.

fchwerftes und am meiften Hülfe bedürfendes ßsfehäft ift, nehmlich, Be weife aufzufin- den, und neue Entdeckungen zu ma- chen. Die Rege'i der, Syliogiftik tragen nichts dazu hei, dem Veißande folche Mittel- begrlffe 211 die Hand zu geben, ans denen die Ver! nii V. ibg entfernterer Beg'iffe erhellte. Die Syllögiftik entdeckt keine neuen ßeweife, fon- dern ilt nur die Kunft , fchon gefundene zu ordnen nnd zu ftellen. So gewifs der 47^e Satz des erften Buchs im Euclid wahr ift, fo wenig verdankt man die Entdeckung deflelben einer Regel der gemeinen Logik. Man mufs erft etwis erkannt haben, ehe man etwas durch Syllogismen bewerfen kann. Dann find fie aber auch lehr entbehrlich. Die Erfindung derMit- telbeoviiFe vermehrt hauptfächlith die Summe der Erkenntniffe, und befördert nützliche Kün- fte und Vv'iffenfchafteu. Die Syllogismen find böchftens pur eine Kunft, mit der geringen Er- keniit;iifs, die uian erworben hat, zu ftreiten, ohne iie im geringflen zu erweitern. Wer fei- ne Vermin« darauf einfehränken will, verfährt nicht anders, als der Monarch, der alles Eifent was er a ; der Erde gewonnen hat, zuSchwerd- tern verarbeiten Jäl'st, und diefe feinen Unter- thanen in die Hände giebt, vm damit einander zu bekriegen, VVenn der König von Spanien keinen andern Gebrauch von den Armen feiner Unteuhanen und von dem fpanifchen Eifen ge- macht

Siebzehntes Kapjrel. 333,

macht hätte, fo würde von den Schätzen, die fo lange Zeit in den Eingeweide« von Atnerik?

verborgen lagen, fehr wei:ig an das Tageslicht gekommen feyn. Eben fo würde, diiaktnaich, derjenige, der feine ganze Vernunft nnr dazu aDÜrengen wollte, die Syllogismen hin und her zu drehen , nur wenig von dem in dem innern Heiiigthume der Natur verborgenen Schatze von W htheiten entdecken; und es ift immer ■wahrscheinlicher, dafs die fehiiehte , fich relbd; überlaflene Vernunft, wie fie es fchou ehedem gethan hat, als dars da* fcholaüifciie Verfahren durch ftrerge Beobachtung der Regeln von den Figuren und Modifikationen der Schlaue den Weg dazu bahnen, und das gemeintchaftliche Kapital der Menfchheit vermehren werde.

§• 7.

Man follte auf andere Hülfs mittel denken.

Ich zweifle in denen gar nicht, dafs manche Metboden können erfunden werden , welche der Vernunft ihr Gefchäff erleichtern. Zudie- fer Behauptung machte mir das Urtheil eines fcharffinnigen Manne-» Mnth , wenn er -fagt : „Könnte man noch dievvahren Hilfsmittel wah- rer Kunft und Gelehrfamk.it erfinden, (wel- „che, nach meinem offnen Geftändnifs, das ge- genwärtige, mit dem Titel der Gelehrsamkeit

v.be-

334 Yievtes Buch.

„befchenktc, Zeitalter weder fehr kennt, noch „allgemein benutzt,) fo würden Geh die jetzi- gen Menfchen von denen daran gewöhnten, „in Rückfkht auf reife ürtheile, eben f o , als „die jetzt lebenden Menfchen, von Einfältigen „unterscheiden." *) leb bin weit von dem an- inafs(nden Gedanken entfernt, hier etwas von diefen Hülfs mittein, deren diefer tief den- kende Mann erwähnt, erfunden zu haben; aber es ift offenbar, dafs die Syllogismen und die jetzt gewöhnliche Logik, die zu feiner Zeit ebenfalls bekannt waren , nicht gemeint feyn können. Ich begnüge mich, durch diefe, viel- leicht etwas abichwtifende Eemerkung Andern eine Veranlagung zu geben, auf neue Entdek- kungen auszugehen , und durch Selbftdenken jenen wahren Hü'fsmhtehi nachzuforfchen. Schwerlich dürften aber diefe von denen gefun- den wer Jen, welche fich fklavifch an die Re- geln und Vorlchriften Anderer binden. Denn gebahnte Wege führen die nachahmenden Ge- fchöpfe nie dahin, wohin man gehen Toll- te, fondern nur dahin, wohin man ge- wöhnlich geht. Allein es ift nicht zu viel gewagt, wenn ich fage , dafs unfer Zeitalter Männer von folebem umfallendem Genie und folcher Beurtheilungskraft aufzu weifen hat, wel- che

*} Rob. Hooker Ecclcfiaftica PoUtica. 1. i. §, 6,

Siebzehntes Kapitel. 335

che gewlfs reue unentdeckte Wege zur Erwei- terung der Erkenntnifs öffnen würden, wenn fie ihr Nachdenken daraui richteten,

§• 8.

Die Sc Muffe haben auch particu- läre Sätze z u*rn Gegen ft and e.

Da ich hier Gelegenheit hatte, von den Syllogismen überhaupt , von dem Gebrauch derfelben in dem Räfonneuient und zur Erwei- terung der Erkenntnifs zu reden, Co muh» ich, bevor ich diefen Gegenftand verlaffe , noch einen offenbaren Fehler in den Regeln derSyl- logiftik rügen, nehmlich, ein Syllogismus fey unrichtig und fchliefse nicht, wenn er nicht wenigftens einen allgemeinen Satz enthalte. Als wenn man nicht auch über das B e f o n - dere denken und rüfonuiren könnte. Iftdoch, die Sache genau befehen , nur das Be fon d e- re das unmittelbare Object alles unfers Den- kens und Erkennen*, nehmlich die Begriffe eines jeden Denkenden, welche in derThac nichts als individuelle Ex i fte n z en find; andere Dinge erkennen und denken wir nur info- fern fie mit diefeu unfern individuellen Dingen libereiuftiminen. So befteht alfo in der Wahrneh- mungder Einftiinmung u. Nichteinftimmuug un- ferer individuellen Begriffe alle für uns mögliche Erkenntnifs. Die Allgemeinheit iftnur et- was

33fi Viertes Euch,

■was Zufälliges bei derielben, und beliebt darin, dafs die Begriffe, welche Gcgenftand der Er- ker ^nifs iiud , roa der Art find, dafs ihneA mehrere einzelne Dinge entfprecheri, und du i fie vorgeftellt weiden können- Die Wahrneh- mung der Einftiminung oder Nichteinftiownung zweier Begriffe, und folglich die EtkennJnifs, ift eben fo ge.wifs und klar, es thag einer, oder beide, o.ler keiner von ihnen die Fähigkeit ha- ben, mehr als ein reales Ding 'Voizuftellen. Man erlaube mir noch eine Bemerkung über die Syllogismen. Sollte man nicht mit Grund die Frage aufwerfen können : ob die Form, w.iche die Syllogismen jetzt haben, diejenige jtt . weh he lue haben foilten ? Denn da der Älittelbcgriff die Verbindung des zu unterfu- chenden Stibjects und Prädicats vermitteln Fol!, wurde da die Stellung des MihelbegrifT< nicht natürlicher l'eyo , und würde er nicht die Ein- ßimmUrig ode'r den Widerfpruch jener beiden Begriffe deutlicher und einleuchtender zeigen, Wenn er zwischen beide in die Mitte gestellt würde V Diefes könnte leicht dadurch gelche- hen, wenn man die Stell- der Satze rertauich- te , und dt;n Mittelbegriffvlüm Prädicat des erften und zum Subject des zweiten Salzes machte. Z„ B.

Jeder ÜV1 e n f c h ift ein T h i e r.

Jedes Thier ift ein lebeudesWe- f en«

Alfo

Siebzehntes Kapitel. 337

Alfo ift jeder Menfcb ein leben- des Wefen. Jeder Körper ift auegedehnt und

dichte. Kein Ausgedehntes und Dichtes

ift blofse Ausdehnung Alfo ift kein Körper eine blofse A usdehnunp, Es Ware überHüffig , Beifpiefe von Schlüffen mit particularen Scblnfsfätzen anzuführen, Derfelbe Grund gilt, Was die Form betrifft, für beide,

§.

Di e Ver nun f t ver läfst Uns Wegen Mangel an Begriffen.

Obgleich die Vernunft die Tiefen der Erde und des Meeres durchdringt, unfere Gedanken bis zu den Sternen erhebt, und in die grofsen ungeheuren Räume des majeftätifchen Weltge- bäudes einführet, fo umfafst fiedoch nicht den ganzen Unifang realer* felbft nicht einmal kör- perlicher Dinge. Es giebt Falle, wo fie uns ihren Dienft verfagt. 1) Sie verläfst uns gänzlich, wo uns Begriffe fehle n. Sie hat und kann fich keinen großem Umfang geben, als diefe haben. Wo uns Begriüe feh- len, da ftockt unfer Denken, und unfere Rech- nung ift zu F.nde. Wenn wir über Worte ra- Lteke«, III. Theil. Y fon-

33! Viertes Buch.

fonniren , denen keine Begriffe entsprechen, fo hat unfer Räfonnement nichts als leere Tö- ne zum Gegenßande»

$. io.

Wegen dunkler uud unvollkommen

nei Vor ftellu n £ en.

II, Untere Vernunft wird oft gehemmt we» gen der Dunkelheit, Verworrenheit und Unvoll kom merj he it der Begrif- fe, wodurch wir uns in Schwierigkeiten und Widerfprüche verwickeln. Wir haben z. B. keine vollkommene Vorßellung von dem klein- ßen Grade der Ausdehnung der Materie, noch von der Unendlichkeit, Daher können wit uns in die Theilbarkeit der Materie nicht zu- recht finden. Solche Schwierigkeiten findet die Vernunft bei den Zahlgröfsen Wegen ihrer klaren, deutlichen und vollkommenen Begriffe nicht, und daher fehen wir uns auch in keine Widerfprüche verwickelt. Wir haben nur unvoll- kommene Vorßellungen von den Thätigkeiten unfers Geiftes , von dem Anfang der Bewegung und des Denkens , und wie die Seele beides in uns hervorbringt, noch unvollkommenere aber von der Wirkungsart Gottes; daher die grof- fen Schwierigkeiten in Anfebung der frei han- delnden Gefchöpfe . die fich die Vernunft felbft nicht gut loten kann.

§. IIa

Siebzehntes Kapitel. 339

§. II»

Wegen Mangel an Mittelbegriffen.

III. Oft findet fich die Vernunft an Schran- ken , weil fie nicht die Begriffe ent- deckt, durch welche diegevviffeodet wa hr fcheinl iche E in fti m m ung und Nichteinftimmung zweier andern Begriffe könnte dar geft eilt werden. Hierin geht die Fähigkeit des einen Menfchen weiter, als des andern. Ehe die Allgebra, die- fes Hüifsiuittel und Mufter des menfchlichen Scharfsinns, erfunden war, betrachtete man die Demonftrationen einiger alten -Mathemati- ker mit Erllaunen , und konnte fich kaum des Gedankens enthalten, es wären mehr als raenfch- liche Erfindungen.

'ov

§. 12» Wegen falfcher Principe,

IV. Wenn der Verftand von falfchen Principe n ausgeht) fo verwickelt er fich oft in Ungereimtheiten und Schwierigkeiten, liehet fich in die Enge und in Widerfprüche getrieben, ohne einen Ausgang zu erblicken. Jn diefem Falle ift es umfonft , die Vernunft um Hülfe anzuflehen, es nsüfste denn dazu feyn, um das Falfche zu entdecken , und den Einflufs der falfchen Principe zu entfernen,

Y 2 Dio

340 Viertes Buch.

Die Vernunft hellet fo wenig die Schwierig- keiten auf, in welche das Fortbauen auf falTehe Grundfatze bringt, dafs fie vielmehr, wenn man jene verfolgt, immer tiefer in diefelben verwickelt.

§, I?. Wegen zweideutiger Ausdrücke.

V. So wie dunkle unvollkommene Vorftel- lungen oft die Vernunft verwickeln, fo vprwir- ren aus demfelben Grunde zweifelhaft« Worte und ungewiffe Zeichen in Schlüffen und Räfonnemens , wenn fie nicht forgfältig beobachtet werden, und fchränken die Vernunft ein. Doch diefer Fehler ift unfe- re Schuld, nicht die Schuld der Vernunft. Die Folgen fallen demungeachtet in die Augen. Allenthalben ftofst man auf Irrthümer uud Verwirrungen, mit welchen die Köpfe dadurch angefüllt find.

§. 14.

Der höchfte Grad der Erkennt- nifs ift Anfchauung ohne Ton- ne m e n t.

Einige Begriffe in der Seele find von der Art, dafs fie unmittelbar mit einander können

ver«

Siebzehntes Kapitel. 3<j.i

verglichen werden, Dafs diefeeinftimmig oder nichteinftimmig find , kann der Verftand fo deutlich wahrnehmen, als dafs erfiehat. Dafs der Bogen eines Zirkels kleiner ift, als der gan- ze Zirkel, ift ein fo klares Bewufsifeyn, als die Vorftellung des Zirkels felbft. Ich nannte dies daher anfchaueude Erkenntnifs, wel- che gewifs ift, allen Zweifel ausfchliefat und keines ßeweifes bedarf, noch empfänglich ift, weil fie felbft der höchfte Grad dermenfchlichen Gewifsheit ift. Hierin befteht die Gewifsheit aller Grundfätze, die Niemand bezweifelt, die Jeder, fobald fie dem Verßande vorgelegt wer- den, nicht nur für wahr hält, fondern auch als wahr erkennt. Um diefe Wahrheiten zu entdecken, und ihnen beizuftimmen, ift das discurfiveDen ken weder nöthig.noch mög- lich, denn fie werden durch einen höhern Grad von Evidenz erkannt. Solche Evidenz mögen vielleicht, wenn man in unbekannten Dingen rnuthmafsen darf, jetzt dieGeifter und die voll- endeten Seelen der MenCchen in einem künfti- gen I eben von taufend Dingen haben, die jetzt unfer FafTungsvermögen entweder ganz überfteigen , oder nach denen wir bei dem dämmernden Lichte der kurzfichtigen Vernunft nur tappen.

Y ? $. I«,

342 Viertes Buch;

Der zweite Grad ift demonßrative Erkenntnifs d urch di e Vern uu f t.

Ob wir gleich hie und da von diefem hei* len Lichte einige Strahlen von diefer erleuch- tenden Erkenntnifs erblicken, fo ift doch der gröfste Theil unferer Vorftellungen von der Art, dafs wir ihre Einftimmung und Nichteinftim- mung durch kein unmittelbares Vergleichen er- kennen können. Hier ift der Gebrauch der Vernunft nothwendig, und alle unfere Entdek- kungen fetzen das Denken und Schliefsen vor- aus. Diefe Begriffe find von zweierlei Art, die ich hier mit Erlaubnifs des Lefers noch ein- mal anführe«

i

I, Begriffe, deren Einftimmung und Nicht- einftiramung zwar nicht durch unmittelbare Vtrgleichung, aber doch durch die Dazwifchen- kunft anderer Begriffe , mit denen fie vergli- chen werden können , ausgemittelt werden kann. Wenn in diefem Falle die Einftimmung oder das Gesentheil des Mittelbegriffs mit bei- den zu vergleichenden Begriffen deutlich einge- fehen wird, fo ift esDemonftration, wel- che Erkenntnifs hervorbringt, Diefe ift zwar gewifs , aber doch nicht fo leicht und klar, als die an fc hauende, weil hier nur eine ein- fache Anfchauung ift, die jeden Irrthum und

Zwei-

Siebzehntes Kapitel« §43

Zweifel unmöglich macht, und weil die Wahr- heit anf einmal vollkommen eingesehen wird. In der Demonftration findet zwar auch An- fchanung Aatt, aber nicht auf einmal; denn man roufs fich der anfchaulich wahrgenomme- nen Einftimmung des Mittelbegriffs mit dem un- mittelbar zuvor verglichenen Begriffe erinnern, wenn man ihn mit dem andern vergleicht» Wo daher viele Mittel begriffe find; da ift die Gefahr eines Fehlgriffs defto gröfser, Denn jedes Verhältnis der Begriffe uiufs bei jedem Gliede der ganzen Kette beachtet, vorgestellt und vom Qedächtnifs gefafst werden, fo wie es ift, und man mufs überzeugt feyn , dafs kein Funkt, der zur Demonftration nothwendig ift, ausgtlaffen oder überfehen ift. Dadurch wer- den manche Demonftrationen fo lang, verwik-, kelt , und zu fchwer für diejenigen, deren Ver- ßand zu fchwach ift . deutlich wahrzunehmen, und eine fo grofse Mannigfaltigkeit im gehöri- gen Zufammenhange aufzufallen, Selbft Mei- fter in folchen verwickelten Speculationen find oft genöthigt, von vorne anzufangen, und die ganze Reihe mehr als einmal zu überfehen, ehe fie zur Gewilsheit kämmen. Wenn nun der Verftand die anfchan liehe Vorftellung von der Einftimmung eines Begriffs mit einem an- dern« und diefes mit einem dritten, vierten u. f. w. behält ; fo ift die Einftimmung des erften und vierten eine Demonftration, und bringt

Y 4 eine

544- Viertes Buch.

eine gevviße Erkenntnifs hervor, die man im Gegenfatze der an fc hauenden die ratio- nale Erkenntnifs nennen kann.

§. 16.

2) Es giebt andere Begriffe, deren Einftitn- mung und Nichteinftimmung ebenfalls nur durch Vermittlung müderer beuitheilt werden kann, diefe letztem haben aber mit dem Subject und Prädicat kei.ie gewifle, fondern nur eine ge- wöhnliche oder wahrfcheinliche Verbindung. Hier findet das wahrfcheinliche mittelbare Ur* theil (judgment) ftatt, wodurch der Verftand annimmt, dafs BpgrifFe durch ihre Vergleichung mit wahrfcheinlichen Mittelbegriffen überein- ftimmen. Diefes ift nun zwar keine Erkennt- nifs, auch nicht von der niedrigften Art; in- deflen fetzen doch zuweilen die Mittelbegriffe Subject und Prädicat in eine folche fefte Ver- bindung, und die Wahrfcheinlichkeit ift fo klar und ftark, dafs das Fürwahrhalten fo nothwen- dig folget, als die Erkenntnifs bei derDemon- ftration. Die Vollkommenheit und der Nutzen der Beurtheilungskraft beftehet hauptfächlich darin, die Stärke und das Gewicht der Wahr- fcheinlichkeit richtig zu beobachten, und nach ihrem Werthe zu fchätzen; dann alle einzelne Wahrfcheinlickeiten zufammenzufaffen und zu

be-

Siebzehntes Kapitel. 34$

beftimmen , auf welcher Seite das Ueberge- wicht ift.

§. *7-

AnfcbauuDg, Demonßration, B e - u r t h e i 1 u n g.

Anfchauende Erkenntnifs ift die Wahrnehmung der gewjffen Einftiinmung oder Nichteirjftimrnung zweier Begriffe, infoFern fie unmittelbar mit einander verglichen werden. Rationale Erkenntnifs oder Demon- ftration ift die Wahrnehmung der gewilfen Einftimmung oder Nichteinftiuimung zweier Be- grifFe vermittelft eines oder mehrerer anderer. Beurtheilung ift das Denken oder die An- nahme, dafs zwei Begriffe mit einander, ver- mittelft eines oder mehrerer Begriffe , einftim- men odernicht, deren Einftimmung oderNicht- einftimmung aber nicht erkannt, fondern nur in den meiften Fallen als gewöhnlich beobach- tet worden ift,

§. 18«

Folgerungen aus Worten, Folge- rungen aus Begriffen,

Obgleich die Ableitung eines Satzes von dem andern, oder Folgerungen aus Wor- ten, dasjenigeift, womit fich die Vernunft gröTs-

Y j ten

346 Viertes Buch.

tentheils und gewöhnlich befehäftiget; fo be- ftjbt doch die Function des Schliefsen haupt- fächlich darin , die Einftimmung oder Nichtein- ftimmung zweier Begriffe durch Vermittelung eines dritten zu beftimmen» So uiifst ein Mann durch die Elle zwei Häufer, die nicht durch die Zufammenftellung gemeflen werden konn- ten , und findet, dafs fie von gleicher Länge find. Auch aus Worten lallen Geh Folgerun- gen ziehen , infofern fie Zeichen diefer odef jener Begriffe find. Und die Dinge find ein- ftimimg oder nichteinftiinmig , nach Verhältnifs ihrer realen Natur. Diefes beobachten wir aber blofs durch unfere Begriffe.

§♦ 19-

Vier Arten von Ueberzeugungs- rnitteln. 1) Argumentum ad ve- reeun d ia m.

Ehe wir diefen Gegenftand verlafTen , wird es nicht unzweckmäfsig feyn , noch ein wenig bei den vier Ueberzeugungsraitteln zu verwei- len, deren man fich gewöhnlich in dem Rä- fonneiti?nt bedient, um die Beillimuiung Ande- rer tu erzwingen, oder wenigßens ihre Ein- wenüurgcn zurückzufchrecken. Das er fie Ueberzeugungsmittel ift diefes. Man fühtt die Meinungen von Männern an, deren EinGclu, Gelebifamkeit, erhabner Stand, Macht

oder

Siebzehntes Kapitel. 3 4?

«der eine andere Urfache ihnen einen Namen und in der allgemeinen Hochachtung eine Art von Anfeilen gegeben hat. Wenn ein Mann Ach einmal in einer Art von Würde und Vor- zug feftgefetzt hat, fo wird es für eine Art von Unbefeheidenheit gehalten« fie auf irgend eine Art herabzuwürdigen, und das Anfeilen, in def- fen Beützftand er ift, ftreitig zu machen. Man tadelt es als eine Art von übermäfsigen Stolz, wenn Jemand den Entfcheidungen eines ange~ fehenen Schriftftellers, der Ehrerbietung und Unterwerfung als Tribut zu empfangen pfk-gt, nicht fogleich beitritt* Seine eigne Meinung gegen den Strom des Alterthums aufzuftellen und zu behaupten, oder fie mit den Behaup- tungen eines gelehrten Docters oder fonft be- liebten Schriftftellers in die Wagfchaale zu le- gen , wird als eine Art von Uebermuth gerügt. Wer feine Behauptungen mit folchen Autori- täten verfchanzt , glaubt dadurch den Sieg ge- wonnen zu haben, und möchte gerne den de* Unverfchärotheit befchuldigen , der es wagt, mit Einwürfen dagegen aufzutreten. Dietes könnte wohl fchicklich ein argumentum ad verecundiarn genannt werden»

§. 20,

348 Viertes Bück.

§. 2o.

2) Argumentum ad ignorantiara.

II. Ein andere«; Mine!, Andere zu zwingen, ihren eigenen Urthtilen zu entfagen, und die befirittene Meinung anzunehmen , ift diefes i man verlangt von dem Gegner, das zum Bewei- Te Angeführte anzunehmen, oder etwas heile- res zugeben. Diefes nenne ich argumen- tum ad iguorantiamt

§. 2t.

3) Argumentum ad hominem,

Ilf. Das dritte Mittel befteht darin, dafs man Einen mit Folgerungen aus feinen Grund- fätzen oder zugeftandenen Sätzen in die Enge treibt, Diefes ift fchon unter dem Namen ar- gumentum ad hominem bekannt.

§. 22,

4) Argumentum ad iudicium.

IV. Das vierte Mittel endlich ift der Ge- brauch von Beweifen, welche von irgend ei- nem Grunde der Erkenntnifs und Wahrfchein- lichkeit abgeleitet find. Dies nenne ich ar- gumentum ad iudicium. Diefes ift das einzige unter den vieren, welches wahreBeleh- rung enthält, und uns auf dem Wege zur Er- kennt-

Siebzehntes Kapitel. 349

kenntnifs weiter bringt. Denn O kann man nicht fchliefsen, dafs die Meinung ci ;es an- dern wahr fey, weil ic!'. ans Achtung ojsr ei- ner andern Uffa.he, die U,«berzeugung ausge- nom;nen, ih,n nicht wider oryz.ien will. 2) Dafs ich keinen belTern Weg kenne, beweift nicht, dafs ein Anderer auf dem rechten ift, oder dafs ich denfelben mit ihm betreten mufs. 3) Es folget nicht, dafs ein Anderer auf dem rech- ten Wege ift, weil er gezeigt bat, dafs ich auf einem f alfchen bin. Ich kann bescheiden feyn, und deswegen eines Andern Ueberzeuguug nicht anfechten; ich bin vielleicht unwiilend, und daher nicht im Stande, etwas heileres zu ge- ben; vielleicht irre ich, und ein Anderer kann mich dellen überführen. Alles diefes kann mich vielleicht für die Annahme der Wahrheit empfänglicher machen, aber zur Wahrheit felbft verhilft es mir nicht. Die Wahrheit mufs aus Gründen und ßeweifen, aus dem Licht, welches die Natur der Dinge felbft verbreitet, nicht aus meiner Befchämung, UnWiffenheit und Irr- thuin entfptingen.

§♦ *h

Ueber, gegen und nach der Vef» n u oft.

Aus dem, was vorher von der Vernunft ge- faxt worden, lafst fich einigermafsen die Ein-

thel-

gjfl Viertes Buch.

theilung der Dinge in veTnunftgetnäfse , ver- nunftwidrige und übervernünftige errathen. j)Vernunftmäfsig find folche Sätze, deren Wahrheit wir entdecken können, durch Un« terfuchubg und Entwicklung der Begriffe, die aus der Empfindung und Reflexion ent* fpringen j Sätze, die durch eine natürliche Ab- leitung als wahr oder wahrfeheinlicb können gedacht werden, fl) Ueber dieVernunft find Folche Sätze» deren Wahrheit oder Wahr- fcheinlichkeit wir nicht durch die Vernunft aus jenen Quellen ableiten können, 3) Ge- gen die Vernunft find folche Sätze, die mit fich felbß ftreiten, oder mit klaren und deutlichen Begriffen unvereinbar find. So ift die Exiftenz eines Gottes nach der Vernunft; die Exiftenz mehrerer Götter gegen die Ver- nunft; die Auferflehung der Todten über die Vernunft. Ueber die Vernunft kann aber in einem doppelten Sinne genommen werden, nehtnlich als etwas die W ah rfcheinl i ch- üeit oder die Gewifsheit üb erzeigen- des. Eben fo kann daher auch der Ausdruck gegen die Vernunft wohl in einem fol- «hen weiten Sinne genommen werden.,

§. 24,

Siebzehntes Kapitel. 351

Vernunft und Glaube find einan- der nicht entgegeugefetzt.

Das Wort Vernunft wird zuweilen in einem andern Sinne gebrauch:, in dem es dem Glauben entgegenge'etzt iß. Obgleich diefet Gebrauch unrichtig ift, lo hat ihn doch der ge» meine Sprachgebrauch fo in Anfehen gebracht, dafs es Thorheit wäre, ihn bestreiten oder be- richtigen zu wollen. Nur mufs ich bemerken^ dafs der Glaube, wenn er auch der Vernunft entgegengefetzt wird , doch nichts anders, als ein feftes Fürwahihalten ift, das, wenn es ge- hörig beftimmt und geleitet wird, wie es feyn foll, nie einer Sache gegeben werden kann, als nach Gründen. Wie kann alfo der Glaube der Vernunft entgegen feyn? W;er ohne Grün- de glaubt, mag zwar feine Einbildungen lie- ben, aber er ftrebt nicht nach Wahrheit, wie er foll, und ift gegen feinen Schöpfer ungehor- fam, deffen Wille es ift, das Unterfcheidungs- vermögen , das er ihm gab , zu gebrauchen, um Geh vor Irrthum und Fehlgriffen zu verwah- ren. Wenn er diefes nicht nach feinem gan- zen Vermögen thut, wenn er gleich zuweilen nach Wahrheit forfcht, fo ift es blos Zufall, dafs er zuweilen richtig denkt ; aber ich w<?ifs nicht, ob der glückliche Erfolg fein unregel- mäßiges Verfahren entfehuidigen kann, Das

ift

3i* Viertes Buch.

wenigftens gewifs, dafs er für alle Irrthümer, in die er verfällt , Rechenfchaft geben mufs. Wer hingegen von den Kräften und dem Lich- te, das ihm Gott gegeben hat, Gebrauch m^cht, und mit Anwendung aller Fähigkeiten und Hülfsmittel, die ihm Gebote ftehen, die Wahrheit aus lauterm IntereHe zu erforfchen fucht, hat als vernünftiges Wefen, das feine Tflicht thut, doch dieBeruhigur.g, dafs, wenn er auch nicht immer die Wahrheit findet, er doch ihrer Belohnung nicht entbehren wird. Denn er leitet und befiimmt fein Fürwahrhal- ten richtig, wie derjenige foll , der in jedem Falle in jeder Sache nur nach dem Ausbruch, feiner Vernunft glaubt oder nicht glaubt. Wer das nicht thut, handelt gp?,en feine eigne Ue- berzecgung , er inifsbraiitht die Fähigkeiten, die ihm zu keinem andern Endzweck gegeben find, als die gröfste Evidenz und Wahifchein- lichkeit zu fuchen und zu befolgen. Da aber doch von Einigen Vernunft und Glaube einan- der entgegensetzt werden , fo wollen wir in dem folgenden Kapitel einige Betrachtungen darüber anheilen.

Axlis-

Achtzehntes Kapital.

Vernunft und Glaube, und ihr be- Jftimmtes Gebiet.

§. f.

Notwendigkeit, ihre Grenzen zu kennen»

JjjS ift im Vorhergehenden gezeigt worden, 1) dafa wir in demjenigen noihwendig unwif- feüd und ohne alle Erkenntnifs find , wovon wir keine Y'orftellungen haben; 1) dafs wir un- wilTend und ohne Veinunfterkenntrifs find, wo es uns an Beweilen fehlt; 3) dafs wir keine allgemeine Erkenntnifs und Gtwilheit haben, wo uns deutliche, beftimmie, abftracte Be- griffe fehlen; /f) dafs es uns in den Dingen an AVahrfchfinlichkeit fehlt, um darnach unfer Fürwahrhalten zu beitimmen . wo wir davon weder eigne Kenntnille noeb fremde Zeuguifle haben, um darauf Schilifte zu gründen«

Locke'i. III. Theil. 7 Nach

g5+ Viertes Buch,

Nach diefen Vorausfetaungen können wir vielleicht die Grenzen der Vernunft und des Glaubens feftfetzeD, Der Man- gel diefer Beftimmung ift vielleicht die Urfache, wo nicht von vielen Unordnungen, doch von vielen Streitigkeiten und auch wohl Mifsver- ftändniffen gewefen^ Denn fo lauge es noch »icht entfchieden ift, in wiefern wir uns durch Vernunft, und inwiefern durch den Glauben muffen leiten lallen, fo lange ift es auch frucht* los, über Gegenßände der Religion zu ftreiten, und Andere davon überzeugen zu wollen*

§♦ 3.

Was Glaube und Vernunft im Ge- genfatze find«

Ich finde, dafs jede Secte gerne Gebrauch von der Vernunft macht, wo fie ihnen hülfrei- che Hand leiftet, wo das aber nicht ift, fo mufs man fogleich das Gefchrei hören : es ift ein Glaubensartikel, es geht über die Vernunft, Wie können diefe Menfchen mit einem Andern disputiren, oder einen Gegner überzeugen, der dalfelbe Spiel treibt, ohne fcharfe Grenzlinien zwifchen Vernunft und Glauben gezogen zuhaben? Diefer Punkt mufs in allen Fragen, die den Glauben betreffen, zu- erß ausgemacht werden,

Ver

Achtzehntes Kapitel,' g$?

Vernunft ift 2lfohier, im Gegenfatz des Glaubens, nach meinem D?fürbalien, die Ent- deckung der Gewißheit oder Wahrscheinlich- keit folcher Sätze und Wahrheiten, aufweiche der menfchliche Geift durch Folgerungen aus folchen Begriffen kommt, die er durch den Gebrauch natürlicher Kräfte, nehmlich durch die Empfindung und Reflexion, bekommen hat. Der Glaube hingegen ift das FürWahrhalten eines nicht fo durch vernünftiges Denken ent- ftandenen Satzes, blos auf das Anfehen des Be- kanntmache«, als eines Gefandten von Gott, der etwas auf eine ungewöhnliche Weife be- kannt macht, DieTe Art, Menfchen Wahrhei- ten bekannt zu machen, nennen wir 0 ffen- bar ung,

$. 3-

Durch die Offenbarung kann kei- ne neue einfache Vorftellung ge- geben werden.

I. Kein von Gott inTpirirter Mann kann Andern durch Offenbarung ei» ii e neue einfache Vorftellung mit- theilen, die fie nicht vorher fchon durch die Sinne oder durch die Reflexion erhalten hätten. Denn was auch ein folcher Mann für Eindrücke unmittelbar von Gott erhält, fo kann doch eine Offenbarung, die eine neue einfache

Z t Vor-

35$ Viertes Buoh.

Vorftellung betrifft, Andern weder durch Wor- te, noch durch andere Zeichen mitgetheilt werden. Denn die Worte bringen durch ihie unmittelbare Wirkung auf uns keine andere Vorftellung, als die von ihren natürlichen Tö- nen hervor. Nur durch die Gewohnheit, fie als Zeichen zu gebrauchen, erwecken und be- leben fie die im Gemüthe fchlummernden Vor- ftellungen , aber nur folche , die fchon vorher da waren. Die Worte erneuern das Bewufst- feyn der Vocftellungen, die wir mit ihnen als Zeichen zu verbinden pflegten. Ganz neue und vorher nicht bekannte Vorftellungen kön- nen fie auf keine Weife erwecken. Daffelbe gilt auch von allen andern Zeichen ; fie kön- nen etwas , wovon wir vorher gar keine Vor- ftellung gehabt haben , nicht bezeichnen.

Alles Neue , was dem Apoftel Paulus ent- deckt wurde, als er in den dritten Himmel ent- zückt war; alle neue Vorftellungen. die er dort empfing; alles diefes und den Ort kann er An- dern nur mit den Worten befchTeiben : es feyen Dinge, die kein Auge gerehen, kein Ohr ge- höret, die nie einem Menfchen in den Sinn gekommen oder von ihm begriffen worden. Gefetzt, Sott wollte auf eine übernatürliche Weife die Arten von Gefchöpfen bekannt ma- chen, die z.B. den Jupiter oder Saturn bewohn- ten, (denn dafs folche auf diefen Planeten vor«

han

Achtzehntes Kapitel. 3J7

handen feyn können, kann nicht geleugnet werden,) und fechs Sinne hätten; er wollte zugleich die Vorftellungen bekannt machen, welche mit dem fechften Sinne verbunden find: fo könnteer fieebenfo wenig durch Worte dar- fteilen, als wir einem Blinden die Vorftellungen der Farben durch Worte vorftellbar machen können. In Rückficht auf die einfachen Vor- ftellungen , welche das Fundament und Object aller Begriffe und Erkenntnifle find, find wir alfo fchlechterdings an unfere Vernunft, ich will Tagen an unfere n atüT liehe n Kr äft e, gebunden. Wir können durchaus keine durch eine ü b erlief er te Offenbar u ng empfan- gen. Ich fage, durch eine überlieferte Offenbarung, um diefe von der unmöglichen zu unterfcheiden. Unter der letzten veTftehe ich den erften Eindruck, welcher von Gott un- mittelbar auf das Gemüth eines Menfchen her- vorgebracht wird; für diefe können wir keine Gremen beftimraen. Die überlieferte Of- fenbarung begreift diefe Eindrücke, infofern fie durch Worte und auf die gewöhnliche Weife der Gedankenmittheilung Andern übar- liefert werden.

Zj §.#.

35S Vierte» Bueh.

§• 4.

Die überliefeTteOffenbarung kann wohl Sätze bekanntmachen, wel- che durch die Vernunft erkenn- bar find, aber nicht mit derfel- ben Gewifsheit.

II. Es ift möglich, dafs die Offen- barung diefelben Wahrheiten be- kannt mache, welche die Vernunft aus Begriffen, welche wir auf dem natürlichen Wege erlangt haben", entdecken kann. So könnte Gott durch die Offenbarung uns die Wahrheit eines Eucli- difchen Satzes eben fo gut entdecken, als ein Menfch fie durch den Gebrauch feiner Kräfte entwickeln kann. Aber in allen diefen Dingen ift die OfFenbarung fehr entbehrlich, weil uns Gott zu ihrer Erkenntnifs natürliche und fiebere Miftel gegeben hat. Alle Wahrheiten, die wir durch die Betrachtung unferer eigenen Begriffe deutlich entdecken, haben für uns mehr Ge- wifsheit, als alle durch eine überlieferte Offen- barung bekannt gemachten. Denn die Erkennt- nifs, dafs eine Offenbarung zuerft von Gott kam, kann nie fo gewifs feyn , als die Erkenntnifs, welche aus deutlicher Wahrnehmung der Ein. ftünmung oder Nichteinftimmung unferer Be- griffe entfpringt. Wäre uns z. B, feit mehre- ren Jahrhunderten offenbaret , dafs die drei

.,Win-

Achtzehntes Kapitel. SJj>

Winkel eines [Triangels zwei rechten gleich find , fo könnte ich zwar auf das Anfehen der Ueberlieferung , als einer offenbarten, dem Sa- tze als wahr beiftimmen; das ift aber noch lan- ge nicht die gewifle Erkenntnifs, welche durch die Vergleichung und Meffiing der Begriffe von den drei Winkeln des Triangels und zwei rech- ten Winkeln entfpringt. Eben das gilt auch von Thatfachen, welche durch die Sinne er- kennbar find. Die Gefchichte der Sündhuth ift uns z. B. durch Schriften überliefert, die ihre Entfiehung einer Offenbarung verdanken» Gleichwohl wird Niemand behaupten , dafs er von diefer Ueberfchwemmung eine fo gewiffe und klare Erkenntnifs habe, als Noah, der £e felbft fah , oder als er haben würde, wenn er ein Zeitgenoffe und Augenzeuge ge- wefeu wäre. Denn er hat davon keine andre Ueberzeugung, als dafs ihn die Sinne überzeu- gen, es fey in einem Buche gefchrieben, wel- ches von dem infpirirten Mofes gefchrieben feyn foll; und diefe ueberzeugung ift nicht fo grofs, als wenn er Mofes felbft fchreiben ge- fehen hätte. Die Ueberzeugung, dafs es eine Offenbarung ift: , ift alfo immer kleiner, als die Ueberzeugung durch die Sinne«

Z 4 § 5.

360 Viertes Buch.

§• 5-

Die Offenbarung kann Heins Gül- tigkeit gegen die klare Evidenz der Vernunft haben.

In Sätzen alTo, deren Gewifsheit auf die deutliche Wahrnehmung der Einftimmung oder Nithteinftimmung , theil» durch, unmittelbare Anichauung , theils durch evidente Demonftra- tionen gegründet lft, bedürfen wir keines Bei* ftandes der Offenbarung, um ihaen Heiftimmung oder Aufnahme in im fei Gemüth zu verfchaffen ; denn fie und entweder fchon durch den natür- lichen Weg der Erkenntnis in dem Gemütbe begründet, oder können es noch werden. Hier- in beftehet die gröfste Gewifsheit, die für uns möglich ift; es müfste denn feyn dafs uns Gott unmittelbar etwas offenbarte, in welchem Fal- le aber doch die Ueberzeugung nicht gröfser feyn kann, als die Erkenntnifs, dafs es eine Offenbarung Gottes. ift. Indeffen kann doch Nichts unter diefem Titel eine klare Er- kenntnifs erfcbüttern oder aufwiegen, noch vernünftiger Weife einen Menfchen beftimmen, es als wahr anzunehmen, wenn es im geraden Widerfprucbe mit der klaren Evidenz feines ei- genen Verßandes fteht. Denn keine Evi- denz unferer Vermögen, durch welche wir ei- ne Offenbarung empfangen , die Gewifsheit unferer anfchauenden Erkenntnifs übertreffen

kann,

Achtzehntes Kapitel. 36x

kann, gefetzt auch, dafs fie ihr gleich käme, fo können wir nie etwas für eine Wahrheit an- nehmen, was mit unferer klaren und deutlichen Erkenntnifs ftreitet, Die Begriffe von einem Rörper und einem Räume find fo offenbar ein- ftimmig, und der Verftand hat ein fo deutli- ches Bewufstfeyn von ihrer Verbindung, dafs wir keinen Satz beiftimmen können, der be- hauptete, derfelbe Körper fey in verfchiedenen Räumen auf einmal, wenn er auch das Anfe- hen einer göttlichen Offenbarung vorfchützte; denn die Ueberzeugung, 1) dafs wir uns nicht betrügen , wenn wir etwas der Offenbarung Gottes zufchreiben ; 2) dafs wir fie richtig verge- hen , kann nie fo grofs, als die Evidenz der anfchauenden Erkenntnifs feyn , wodurch wir die Unmöglichkeit erkennen, dafs ein Körper auf einmal in zwei Räumen fey. Kein Satz, kann daher für göttliche Offenba- rung angenommen werden, noch den Beifall erhalten, den eine folche als folche verdient, wenn er unferer klaren anfchauenden Erkenntnifs wider- fpricht. Denn das hiefse alle Gründe und Grundfätze der Erkenntnifs, Evidenz und des Fürwahrhaltens umftofsen. Der UnteTfchied zwifchen Wahrheit und FalTchheit , jedes Kri- terium des Glaubhaften und Unglaubhaften wür- de gänzlich verfchwinden , wenn zweifelhafte Sätze vor evidenten den Vorrang bekommen,

Z *5 wenn

g£2 Viertes Bach,

wenn das, was wir gewifs erkennen, demjeni- gen weichen follte, worin wir uns irren kön- nen. Es alfo thöricht, auf Sätze als Glau- bensartikel zu dringen, die deutlichen Erkennt- niflen widerfprechcn; fie können unter keinem Titel unfre Beiftimmung gewinnen. Der Glaube kann uns nie von einer Sache über- 2eugen, die unferer Erkenr.tnifs widerfpricht. Denn ob er fich gleich auf das Zeugnifs des wahrhaftigen Gottes, der uns einen Satz offen- baret, gründet, fo kann doch die Ueberzeu- gung von der Wahrheit, dafs es eine göttliche Offenbarung ift , nie fo grofs, als unfere Er- kenntnis feyn. Denn die ganze Ueberzeu- gungskrßft beruhet auf der Erkenntnifs , dafs es Gott offenbaret hat, welche aber in diefem Fall, da der offenbarte Satz nach der Annahme der Erkenntnifs und Vernunft widerfpricht, im- mer dem Einwurfe ausgefetzt bleibt , dafs es unbegreiflich ift, wie das von Gott, dem gü- tigen Urheber unfers Seyns , herkommen kön- ne, welches, als wahr angenommen, alle Grün- de und Grundfatze der Erkenntnifs, die er ge- geben hat , umftofsen, alle unfere Fähigkeiten zwecklos machen, fein edelftes Werk, die Ver- nunft, zernichten, und den Menfchen in einen Zufland verfetzen mufs, worin er weniger Licht, weniger Spiehaum zum Handeln hat, als das verfängliche Thier. Denn wenn der menfch- lichs VerfUnd nie eine klarere, (vielleicht auch

nicht

Achtzehntes Kapitel; 3^3

Dicht einmal eine fo klare,) Evidenz davon, dafs etwas eine göttliche Offenbarung feyn foll» haben kann , als er von den Grundfätzen der Vernunft hat, fo kann er nie mit Grund die gröfsere Evidenz feiner Vernunft verl^ilen, und einem Satze beiftimmen, deffen Offenba- rung keine gröfsere Evidenz, als jene Grund- fatze, hat.

§. 6.

So ifl es bei einem vernünftigen Menfchen, der felbft dann, wenn eine unmittelbare ur- fprüngliche Offenbarung an ihn gefchähe, der Vernunft folgen mufs. Aber bei denen, die keinen Anfpruch auf unmittelbare Offenbarung; machen, fondern nur Wahrheiten, die Andern offenbaret, und mündlich oder fchrifllich fort- gepflanzt worden, annehmen, und aus Gehor- fam annehmen muffen, hat die Vernunft noch weit mehr zu fagen , und fie kann uns allein beftimmen, diefe Sätze anzunehmen. Denn G«genftand des Glaubens ift nur allein eine göttliche Offenbarung; der Glaube (in dem Sinne wir hier diefes Wort gebrauchen, in welchem man auch göttlicher Glaube fagO hat nur mit folchen Sätzen zu thun, die man als göttlich geoffenbaret vorausfetzt. Da- her kann ich nicht einfehen , wie diejenigen, -welche die Offenbarung zum einzigen Gegen- stand

3<?4 Vierte» Buch.

ftand des Glaubens machen, fagen können, dai Fürwahrhalten , dafs diefer oder jener Satz In diefera oder jenem Buche eine göttliche Offen- barung fey , fey eine Sache des Glaub en s, und nicht der Vernunft, vvoferne es nicht ebenfalls offenbaret iß, dafs diefer Satz und al- les , was in dem Buche enthalten ift, durch göttliche Eingebung mitgetheilt worden. Oh- ne diefe wiederholte Offenbarung kann das Glau- ben oder INichtglauben, diefer Satz, die fes Buch fey göttlichen Ur'prungs , nicht Sache des Glaubens, fondern der Vernunft fpyn. Diefe kann mich aber nie beftimmen, etwas zu glauben, was mit ihr felbft ftreitet, noch dem- jenigen Beiftimmung verfchaffen, was ihr felbft unvernünftig erfcheint.

In alten Dingen alfo, wo wir klare Evidenz aus unfern Begtiffen und denPrincipien der Er- kennt nifs haben , ift die Vernunft die be- fugte Richterinj ihre Ausfprüche kann die Offenbarung zwar durch ihre Uebereinftim- inung mit derfelben beftätigen , aber nie durch das GegentLeil entkräften. Und nichts kann uns beftimmen, einen klaren einleuchtenden Ausfpruch der Ver- nunft für die entgegen gefetzte Mei- nung unter dem Vor wände zu ver- lallen, dafs es e in Gla übe asar t ikel

fey.

Achtzehntes Kapitel. 36*

fey. Diefer hat keine Gültigkeit gegen evi- dente Sätze der Vernunft.

§• 7*

Dinge über die Vernunft können offenbaret werden,

HI. Es giebt aber viele Dinge, wovon wir gar keine oder unvollkommne Vorftellungen haben; andere Din^e, von deren vergange- nen, gegenwärii^en und zukünftigen -Zuftand wir durch den natürlichen Gebrauch unferer Fähigkeiten gar keine Erkenntnifs haben kön- nen. Diefe, als über die Entdeckung auf dem natürlichen Wege und über die Vernunft hinausgehende Dinge find, wenn fie offenbaret werden, der eigenthüm liehe Gegen* ftand des Glaubens, Die Empörung ei- nes Theils der Elidel, der Verluft ihres eTfteu glücklichen Zullimles, die Auferftehung der Tödteu, diefe und mehrere find Glaubensfa- chen , mit denen die Vernunft nichts zu thun hat.

Was der Vernunft nicht entgegen ift, ift, wenn es offenbare t' wor- den, Gegenftand des Glaubens,

Gott hat aber dadurch, dafs er uns das Li cht der V ernunf t gab, fich nicht die

Hän«

5^9 Viertes Buch.

Hände gebunden, um uns, wenn er es für gut hält, in Dingen, von denen untere Vermögen nur wahrfcheir.liche Beftiminungen geben, das Licht d?r Offenbarung zu gewähren. Hier mufs die Offenbarung, welche uns Gott (chenkte. m ehr als die wahrfcheinli- chen Vermuthungen der Vernunft gel ten, Denn da das Gemüth keine Gewifs« beit von der Wahrheit eines Dinges hat, wel- ches nicht mit Evidenz erkannt wird, fondern nur der fcheinbaren Wahrfcheinlichkeit folget, fo mufs es diefes Fürwahihalten einem folchen Zeu£,riffe unterwerfen, wenn es nehmlich über- zeugt ift, das Zeugnifs komme von dem , wel- cher weder irren , noch täufchen kann, Un- jerdeffen gehört doch auch hier fowohl das Unheil , ob etwas eine Offenbarung ift, als auch die Beurtheilung der Ausdrücke, in denen fie überliefert ift, vor die Vernunft. Wenn et- was für Offenbarung gehen foll, was offenba- ren Grundfätzen der Vernunft und gewiffenEr« kenntniffen widerTpricht , da mufs in der That die Vernunft gehört werden, weil es unter ihr Gebiet gehört. Denn ein Menfch kann nie eine fo gewiffe Erkenntnifs haben, dafs ein folcher widerfprechender Satz eine göttli- che Offenbarung ift, oder dafs die Worte, in denen fie überliefert worden , richtig verstan- den werden, als dafs das Gegentheil wahr ift» Hier ift jeder verpflichtet , die Sache .als einen

Ge-

Achtzehntes Kapitel. 367

Gegenfland der Vernunft zu beurtheilen, und fie nicht als Sache des Glaubens ohne Prüfung anzunehmen,

$•

Die Offenbarung verdient gehört zu werden, in Sachen, wo die Vernunft gar nicht, oder nur w ahr fcheinlich urtheilen kann*

I) Jeder offenbarte Satz, über deflen Wahr- heit die Vernunft durch ihr natürliches Vermö- gen aus Begriffen nicht urtheilen kann, ift biof- ferGegenftand des Glaubens, und über die Vernunft. 2) Alle Sätze, welche die Ver- nunft durch ihr natürliches Vermögen aus ih- ren Begriffen beurtheilen und beitun men kann, find Gegenftande der Vernunft, Doch findet hier der UnterCchied ftatt , dafs in den Sätzen , deren Wahrheit nur auf wahrfcheinli- chen Gründen beruht, mit welchen die Mo«*- lichkeit von der Wahrheit des Gegentheils, oh- ne die gewilTe Evidenz der Erkenntnifs anzu- taften , ohne die Grundfätze der Vernunft unt- zuftofsen, befteht, in folchen wahrfcheinlichen Sätzen, fage ich, muß eine evidente Offenba- rung unfer Für wahrhalten felbft gegen die Wahr- fcheinlicbkeit beftimmen. Denn wo die Grund- fätze der Vernunft nicht erweifen, dafs ein Satz, gewifs wahr oderfalfcb iit, da kann eine ge-

wifle

368 Viertes Buch.

wiffe Offenbarung, als ein anderes Princip der Wahrheit und des Fürwahrhaltens entfcheiden. Ein Solcher Gegenftaud kann als Gegenftand des Glaubens und über die Vernunft gehend ange- fehen werden , weil hier die Vernunft nur et- was wahrTcheinlich feftfetzen kann , der Glau- be aber eine Entlcheidung giebt, die der Ver- nunft nicht möglich iß, und weil die Offen- barung Entdeckt, auf welcher Seite die Wahr- heit befindlich ift,

§. 10.

Die Vernunft mufs in Dingen ge- höret werden, wovon fie eine gewiffe Erkennifs gewähret.

So weit reicht das Gebiet des Gla'u- bens, ohne dieYTernunft zu befchränken und zu hindern. Neue Entdeckungen der Wahrheit aus der ewigen Quelle aller Erkenntnifs find •weder eine Kränkung noch Stöhrung, fondern eine Unterßüuung und Vervollkommnung der Vernunft. Was Gott offenbaret hat, ift gewifs wah«-, kein Zweifel kann dagegen erhoben werden. Und dies ift der eigentliche Gegen- ftand des Glaubens. Was aber eine göttliche Offenbarung feyn kann oder nicht, das mufs die Vernunft beurtheilen. Sie kann es dem tnenfchlichen Geifte nicht erlauben, mit Ver-

wer-

Achtzehntes Kapitel. 36£

weifung eines höheren Grades von Evidenz einen kleinern zu umfaden , und eine WarJr- fcheinüchkeit anzunehmen , die der Eikennt- nifs und Gewifsheit entgegengefetzt ift. Dafs eine Ueberlieferiirg göttliche Offenbarung ent- hält, und zwar in den Worten und dem Sin- ne , in dem wir fie empfangen , kann nie fo gewifs und ausgemacht fevn , als die Evidenz aus Grundfätzen der Vernunft. Alles, was daher mit klaren evidenten Aus- fprüchen der Vernunft ftreitig oder n nverein barlich ift, hat keinen A n - l'pruch auf unfcrFür wahrhalten, als Gegenftand des Glaubens, bei dem die Vernunft nichts zu lagen hätte. Was hingegen göttliche Offenbarung ift, Toll- te alle Meinungen, Vorurtheile und alle9 In- lerefle überwiegen; es hat ein Recht, mit vol- ler BpiCliiiimung abgenommen 7.11 werden, Diefe Unterwerfung der Vernunft unter den Glauben verwirret nicht die Grenzen der EikenntniTs , eifthüttert nicht die Gründe der Vernunft, und läfst den Gebrauch der Seelenkräfte, für den fie uns gegeben find, unangetaftet.

LocWs. TU. Theil, Aa §. IT,

37o Viertes Buch.

§. «.

Nichts kann die Schwärmerei i, n der Religion aufhalten, wenn die Grenzen zwifchen Vernunft und Glauben nicht beftimmtfind.

Wenn das Gebiet des Glaubens und der Vernunft nicht durch diefe Grenzbeftimmung fcharf von einan- der u u terf chied en wird, fo hört al- ler Vernunftgebrauch in Gegen ft ä n? den der Religion auf; dann verdienen die fchwärmerifchen Meinungen und Gebräu- che, die in fo vielen Religionen gefunden wer- den , keinen Tadel. Alle Ungereimtheiten, womit faft alle Religionen angefüllt find, wel- che das rnenfchliche Gefchlecht unter ßch ge- theilt haben, dürfen wohl gröfstentheils daher erkläret werden, dafs man den Glauben im Geaenfatz der Vernunft fo fehr erhebt. Denn es ift eine Meinung unter den Menfchen zum Grundfatz gemacht worden, dafs man in Reli- gionsfachen die Vernunft nicht zu Rathe zie- hen darf, fo fehr fie auch dem gerunden Ver- ßaude und allen Grundfätzen der Erkenntnifs wider fpirechen. Dadurch find alle Schwärme- reien und aller Aberglaube in Freiheit gefetzt worden; daraus entftanden fo abgefchmackte Meinungen und Religionshandlungen, dafs ein

ver-

Achtzehntes Kapitel. 371

vernünftiger Mann über die Thorheit erftau- nen mufs, und üe keinesweges als Gott wohl- gefällig, fondern vielmehr als lächerlich und für einen Menfchen von gefunden) Verftande beleidigend anfehen mufs. Es ift in derThat eine unleugbare Wahrheit , dafs die Menfchen in der Religion , die fie am meiden von den Thieren unterfcheiden , und als vernünftige Wefen über jene eiheben folhe, oft weniger Verftand und Vernunft, als die Thiere äuf- fern. Ich glaube es, weil es unmög« lieh ift. könnte bei einem guten Menfchen für einen Ausdruck feines Reli^ionseüers gel- ten; aber es würde für die Menfchen eine fehr verderbliche Regel ftyn , um darnach ihre Meinungen odtr ihre Religion zu wäh- len. —

A a 2 Neun-

5172 Viertes Buch.

Neunzehntes Kapitel.

Von der Schwärmerei.

§. 1.

Notwendigkeit der Wahrheits- liebe.

Wem die Erforfchung der Wahrheit ErnH: ift, Tollte fein Gemüth dazu vorzüglich durch die Liebe zur Wahrheit empfänglich machen. Wer kein lnterefle für fie hat , wendet auch keine Mühe auf ihre Entdeckung, und ift gleich- gültig bei ihrem Nichtbefitz. Jedes Mitglied der gelehrten Welt giebt fich für einen Lieb- haber der Wahrheit aus, und jedes vernünftige Wefen würde fich für beleidiget halten , wenn man es nicht dafür anfehen wollte, Indeflen kann man doch mit Recht fagen, dafö nur we- nige die Wahrheit um der Wahrheit willen lie- ben, felbft unter denen, die es von Geh glau- ben. Es ift keine unwichtige Unterfuchung, woran man erkennen könne, dafs ein MenfcU die Wahrheit aus reinem lnterefle liebe. Ich

finde

Neunzehntes Kapitel. 375

finde nur ein einziges untrügliches Kennzeichen, nehmlich, dafs man keinen Satz mit größerer Ueberzeugung annehme, als die Beweife erlau-» ben, worauf er geftützt ift. Wer nicht in fei- nem Fürwahrhalten dieie Grenze beobachtet, nimmt offenbar eine Wahrheit nicht aus Liebe zu ihr an; liebt die Wahrheit nicht um ihrer felbft willen, fondern aus einem Nebenzweck* Die Evidenz, dafs ein Satz wahr ift, gründet fich, (ausgenommen bei den felbft evidenten,) auf die Beweife ; jeder Grad der Ueberzeugung, der über diefen Grad der Evidenz geht, ift überHüffig , und verdankt fein Dafeyn einem andern Intereffe, als für Wahrheit. Denn es ift fo unmöglich, dafs die Liebe der Wahrheit mir ein Fürwahrhalten abfodere , welches die Evidenz, dafs es wahr ift, überfteigt, als dafs fie mich beftimme , einem Satze um deswillen beimftimmen, weil ihm dieEvidenz der Wahr- heit fehlt, welches in der That fo viel ift, als etwas als Wahiheit lieben, weil es möglich oder wahrfcheinlich ift, dafs es nicht wahr ift. Wenn Geh eine Wahrheit unfers Gemü« thes nicht durch die unwideiftehlicbe Kraft der unmittelbaren Evidenz, oder durch die Stärke der Demonftration bemächtiget* fo verbürgen die Gründe , die unfere Ueberzeugung beftim- men , ihre Wahrfcheinlichkeit, und wir kön- nen fie nur fo annehmen, als fie die Gründe un- ferm Verftande darftellen. Das Gewicht und

Aa 3 An-

N

374 Viertes Buch.

AnTphen, welches wir alfo einem Satte über den Gehait ieiner Gründe geben , kommt auf Rechnung unferer Neigungen, und ift infofein ein Abbruch der Liebe zur Wahrheit als fot- cher, welche, fo wie Ge keine Evidenz von unfern Leideofchafien und Intereffe empfangen, fo auch von ihnen keinen Anftrich annehmen Tollte.

§. 2.

Woher die Geneigtheit zu Macht- fprüchen entfteht.

Die Anmafsung eines gebieterischen Anfe- hens über Andere, und die Nc-igung, ihnen vorzufchreiben, was fie glauben follen, ift eine beftändige Begleiterin einer intereffirten und verdorbenen Uvtheihkraft. Denn wie könnte derjenige, der fich felbfl in feinen Upbcrzeu- gungen täufcht, diefes nicht auch an andern verfuchen wrollen? Wie kann man von dem- jenigen Gründe und Ueberzeugung in dem Rä- fonnpment mit Andern erwarten , der fie für fich felbft nicht mit Lauterkeit fuchet ; der fei- nen Fähigkeiten Zwang anthut, über feinen Ver- fiand tyrannifirt, und fich das Vorreeht an- mafst, welches nur allein der Wahrheit zu- kommt, das Vorrecht, die Ueberzeugung al- lein durch ihr Anfehen, d. i, durch den Grad der Evidenz zu beftimmen?

§♦ 3*

Neunzehntes Kapitel, 37?

Gewalt der Seh w ärmere i.

Man erlaube mir, bei diefer Veranlagung noch einen dritten Grund des Fürwahrhaltens zu betrachten, der bei einigen Menfchen eben das Anfehen und die Gültigkeit hat, als Glau- be und Vernunft, nehmlicb die Schwärme- rei, Diefe möchte gerne die Vernunft ver- drängen, und eine Offenbarung ohne Vernunft aufftellen. Dadurch hebt üe aber in der That Co wohl Offenbarung als Vernunft auf, fetzt an ihre Stelle die grundlofen Einbildungen eines Menfchen, und macht diefe zuGrundfätzen der Meinungen und des Handelns.

§. 4.

Vernunft und Offenbarung.

Vernunft ift die natürliche Offenbarung, durch welche der ewige Vater des Lichts und dieQuelle allerErkenntnifsdem menfchlichenGe- fchlecht dasjenige Maafs von Wahrheit mittheilf, welches er in die Sphäre ihrer natürlichen Kräf- te niedergelegt hat, Offenbarung ift die 'natürliche Vernunft, bereichert durch eine neue Reihe von Entdeckungen, welche Gott unmit- telbar mitgetheilt hat, deren Wahrheit die Ver- nunft durch das Zeugnifs und durch Beweife» dafs fie von Gott kommen, verbürgt. Wer

Aa 4 alf»

375 Viertes Buch.

alfo die Vernunft wegnimmt, um der Offenba« lung Piatz zu machen, vertilget das Licht, wel- ches beide erleuchtet , und thut ungefähr daf- felbe, als derjenige, der einen Menfchen über- reden woll.e, feine Au^en anszu-ftechen, um das entfernte Licht eines unfichibaren Sterns defto belTer durch das Telefkop aufzufallen.

U 5-

Entftehung der Schwärmerei.

Die unmittelbare Offenbarung ift ein leich- terer Weg für die Menfchen, ihren Meinungen Gewicht zu geben , und ihr Verbalten einzu* lichten , als die mühfame, nicht immer mit Er- folg belohnte Arbeit des ftrengen Denkens. Es ift daher kein Wunder, dafs Einige gerne Of- fenbarungen vorgeben , und fich felblt überre- den , in ihren Handlungen und Meinungen un- ter der befondern Leitung des Himmels zu (te- ilen , vorzüglich da, wo fie von der ordentli- chen Erkenntnifsweife und den Grundfätzen der Vernunft keinen Aufichlufs erwarten kön- nen. Daher finden wir in allen Zeitaltern Men- fchen , welche, indem fich Melancholie mit der Andacht paarte , oder indem ihre Ein- bildung von Geh den Wahn einer gröfsern Vertraulichkeit mit Gott und eines nähern Zu- tritts zu feiner Gunft , als andern verftattet ift, erzeugte, lieh felbft mit der Ueberzeugung

tauf eh-

Neunzehntes Kapitel. 377

täufchten , dafs fie in unmittelbarer Verbindung mit der Gottheit ftänden, und von feinem Gei-' fie öftere Eingebungen erhielten. Es ift frei- lieh nicht zu läugnen, dafs Gott den menfchli- chen Verfiand durch einen unmittelbaren Strahl aus der Quelle des Lichts erleuchten kann» Dic-fe Leute wiffen wohl, dafs Gott das zu thun verfprochen hat , und wer follte mehr Recht dazu haben, als fein auserwäblies Volk?

§. 6.

Nachdem ihr Gemütfa fo vorbereitet wor- den, fo ift jede grundiofe Meinung, die fieb, in ihrer Einbildungskraft feftgefetzt hat , et- was göttliches , eine Erleuchtung vom Gei- lte Gotie". , und jede ungereimte Handlung, zu welcher fie eine ftarke Neigung empfin- den , mufs ein Ruf , ein Befehl vom Him- mel, ein Aultiag von oben feyn , dem fie ge- horchen muffen, in d elfen Vollziehung fie nicht irren können,

§. 7-

Dies ift, wie ich glaube, die eigentliche Schwärmerei. Sie gründet fich weder auf die Vernunft, noch auf göttliche Offenbarung, fou- dern entfpringt aus den Vorspiegelungen einer Warmen wahnvollen Phantafie, und wenn lie einmal Wune] gcTchlagen hat, fo hat üe auf

Aas die

37$ Vicites Buch.

die Mtfinuegen und Handlungen der Menfchcn einen ft;irkern Einfiufs, als Vernunft und Of- fenbarung . oder beide zufammengenominen» Denn die Menfchen folgen nur zu willig ihren inneru Antrieben, und handeln mit defto gröf- ferer Kraft, wenn fie durch eine natürliche Triebfeder in Bewegung gefetzt werden. Ei- ne ftarke Phantafie reifst wie ein neuer Grund- fatz alles leicht mit fich fori .. wenn fie einmal über den gefunden Verftand hinaus, ficher vor allem Zwang der Vernunft und allen Einfchräiy kungen der Reflexion, zu einer göttlichen Ein- gebung erhoben ift, und noch dazu das Tem- perament und Neigung auf ihrer Seite hat.

§. 8.

Die Schwärmerei wird fä) fehl ich für ein Sehen and Fühlen ge- halten,

Die abgefchmackten Meinungen und un- gereimten Handlungen, in welche die Schwär- merei ftürUt, follten eigentlich genug gegen die- fen Zuftand warnen, der in Glauben und Han- deln ein fo übler Führer ift. Allein die Nei-

gong zu dem Außerordentlichen , die Bequem- lichkeit und der Ruhm, ein Infpirirter zu feyn und eine nicht gemeine Erkenntnifsquelle zu hjben fchmeichelt der menfchlichen Träg- heit, Unwilftnheit und Eitelkeit fo fchr, dafs,

wenn

. Neunzehntes Kapitel. 3?9

wenn fie fich einmal auf (liefen Weg der Offen- barung, der Erleuchtung ohne Forfcuung, der Gewißheit ohne Beweife und Prüf an» verlo- ren haben, es fchwer hält, denfelben wieder zu verladen. Verriuoftgründe find bei ihnen verloren, fie find über fie hinaus. Sie Teilen ein Licht über ihren Verftand ausgegbffen, in dem fie fich nicht irren können; es ift hier fo klar und fichtbar, als der helle Sonnenfchein ; es zeigt fich feibft, und bedarf, aufser feinem Glanz, keines andern Beweifes. Sie fühlen, dafs fich die Hand Gottes in ihnen reget, fie fühlen die Antriebe feines Ceii'ies , ohne fich in ihren Gefühlen zu täufchen. Darauf ftützen fie fich, und (\e find ficher, dafs die Vernunft nichts mit dem zu thun bat, was fie in fich füh- len und feben. Es verftatiet keinen Zweifel, und bedarf keines Beweifes , wovon fie Erfah- rung durch Gefühle haben. Ware es nicht lächerlich, einen Beweis zu fodern , dafs das Licht fcheinet, und dafs man es Geht? Esift fein eigner Beweis, und es kann keinen andern haben. Wenn der Geift Licht in unfere Seele bringt, fo vertreibt er die Finfternifs. Wir fe- ilen es , fo wie wir die Sonne im Mittage fe* heil ; das dämmernde Licht deT Vernunft braucht es uns nicht erfi zu zeigen. Diefes Licht vom Himmel ilr. ftark, klar und rein j es enthält den Beweis feines Ddeyns in fich felbft, und die biuuulifchen Lichtftrahlen durch das dunkle

Lämp-

380 Viertes Buch.

I-ämpchen der Vernunft prüfen , wäre eben fo vernünftig, als fich von Johanniswürmchen die Sonne zeigen zu hflen,

§♦ 9-

Dies ift die Sprache diefer Leute, Sie find überzeugt, weil fie überzeugt find, und ihre Ueberzeugung ift richtig, weil De lebhaft ift. Denn darauf kommt alles hinaus, wenn wir ihre Reden der metaphorifchen Ausdrücke von Sehen und Fühlen entkleiden. Unterdeflen lauen fie fich doch von dielen fo tätlichen, dafs fie bei ihnen die Stelle der Gewifsheit, und bei andern die Stelle der Demonftration ver- treten«

§. io*

Wie die Schwärmerei zu entdek- k e n ift.

Diefes innere Licht, diefes Fühlen, worauf ße fo viel bauen , muffen wir doch etwas ge- nauer unterfuchen, Diefe Menfchen haben, wie fie fagen, ein helles Licht, und fie fehen j einen lebhaften Sinn, und fie fühlen. Sie find ficher, dafs ihnen diefes nicht ftreitig gemacht werden kann. Denn wenn Jemand fagt , er fehe oder fühle, fo kann ihm dies Niemand abläugnen« Hier mnfs ich aber fragen: Ift diefes Sehen die Vorfiellung von der Wahrheit des Satzes,

oder

Neunzehntes Kapitel. ^i

oder davon , dafs es eine Offenbarung Gottes ift? Ift diefes Fühlen die Voiftellung von der Neiguri» und Begierde etwas zu thun, oder von dem Geifte Gottes, der diefe Neigung her- vorbringt? — Vorftellungen von fehr verfcbie- dener Art, die forgfältig urjterfch.ie.rien werden muffen, wenn wir uns nicht Seibfttaufchungen * preis geben wollen. Ich kann die Wahrheit eines Satzes wahrnehmen , ohne mir bewufst zu teyn, dafc es eine Offenbarung von Gott ift. Ich kann die Wahrheit eines Euclidiffhen Satzes ein Teilen, ohne dafs er eine OITtnbarung ift, ohne dafs ich das erkenne. Ich kann willen, dafs ich zu diefer ErkenntniU nicht auf dem natürlichen Wege kam, und daher fchliefsen, ße Fe>' offenbaret, ohne zu willen, dafs die Offenbarung von Gott ift. Es kann ja Geifter geben , welche ohne gött'ichen Befehl diefe Vorftellungen in folcher Ordnung erwecken, dafs ich ihre Verbindung wahrnehmen konnte. Das Bewufstfeyn , dafs ein Satz in mein Vor- ftcllungsvermöcen kam , ich weifs nicht wie, ift alfo noch keine Ucberzeugung, dafs er von Gott kam; noch weniger ift es die lebhafte Em- pfindung der Wahrheit eines Saues, aus wel- cher nicht einmal folgt, dafs er wahr ift. Und ob fie gleich diefes ein Liebt und ein Sehen nennen, fo ift es doch nichts anders, als ein Glauben und Dafürhalten; und der Satz, den fie für eine Offenbarung anuehmen, wrird nicht

als

3*2 Viertes Buch.

als wahr erkannt, fondern nur für wabr gehal- ten. Denn wo ein Salz als wahr erkannt wird, da ift eine Offenbarung üunöthig, und es iäfst fich kaum denken, wie etwas Erkanntes nach- her noch offenbaret werden könne. Wenn üe daher einen Satz für wahr hallen , aber nicht wiffen , dafs er Wahr ift, fo ift es, fie mögen es nennen, wie fie wollen, kein Sehen, fon- dern ein Glauben. Denn das lind zwei verfchie- dene Arien, wie eine Wahrheit in den Verftand kommt, die nicht, mit einander verwechfelt werden dürfen. Was ich fehe, das weifs ich, dafs es fo ift, durch die Evidenz des Dinges felbft; was ich glaube, halte ich auf dasZeug- nifs eines Andern dafür. Aber ich mufs erken- nen , dafs das Zeugnifs gegeben worden ; denn w<is baue ich fonft für einen Grund für mein Glauben? Ich mufs alfo fehtn, dafs diefes mir Go:t offenbaret, oder ich fehe gar nichts. Die Frage ift alfo hier : Wie erkenne ich. dafs diefes Gott offenbaret, dafs diefes ein Eindruck feines Geiftes auf mich itt, und dafs ich es deshalb bt- folgen mufs? Ohne diefe Er- kenntnifs ift die Ueber zeugung , fie fey auch noch fo grofs , grundlos, und das Licht, das ich vorfpiegele, ift nur Schwärmerei. Der Sitz, der als eine Offenbarung angenommen wird, fey einleuchtend wahr oder Wdhrfchein- lich, oder auf dem natürlichen Wege der Er- kenntnifs ungewifs, fo mufs doch ein anderer

Satz

Neunzehntes Kapitel. 383

S^tz wohl gegründet, uud feine Wahrheit of- fenbaret feyn , dafs nehinlich Gott der Offen- barer jener ift , und dafs dasjenige, was ich für eine Offenbarung halte, wirklich von ihm in meinem Gemiithe gewirkt, aber keine Täu- fchung ift, durch einen andern Geift eingege- ben , oder felbfl durch die Einbildungskraft hervorgebracht. Denn wo ich nicht irre, fo halten diefe Leute etwas für wahr, weil fie vorausfetzen, Gott habe es offenbarer. Kommt ulfo nicht alles auf die Untevfuchung an, aus weichen Gründen fie annehmen, dafs es eine göttliche Offenbarung ift? Denn fonft ift ihre Ueberzeugung nur eine Grille , und das Liebt, das fie fo blendet, ein Irrlicht, von dem lie befiändig int Zirkel herumgetrieben werden. Es ift eine Offenbarung, weil fie es ft e i f u n d f e ft glauben; und fie glau- ben es, weil es eine Offenbarung ift..

$. II.

Es fehlt der Schwärmerei an Evi- denz, dafs ein Sau von Gott ift.

Bei jeder göttlichen Offenbarung ift kein anderer Beweis nöthig, als daTs diefes von Gott eingegeben ift. Denn erkenn weder be- trogen werden , noch betrirgen. Aber wie foll man erkennen, d^fs ei« Sati dem Gemü-

the

334 Viertes Euck.

the von Gott gegeben , eine offenbarte Wahr- heit ift, die wir deswegen glauben muffen I Hier fehlt es der Schwärmerei an der Evidenz» die fie vorfpiegelt. Die Schwärmer prahlen rnit einem Lichte, von dem fie, wie fie fagen erleuchtet, und zur Erkenntnifs diefer oder je- ner Wahrheit gebracht werden. Wenn fie nun willen, dafs es eine Wahrheit ift, fo muffen Ge es entweder durch die unmittelbare Evidenz der natürlichen Vernunft, oder durch vernünftige Gründe \vifTen. Wiffen Ge es durch einen von »liefen beiden Wegen, fo ift es überflüflig, es als eine Offenbarung anzunehmen; denn Ge wiffen es auf demfelben Wege, dafs es wahr ift, auf weichem es jeder Menfch , ohne Hülfe der Offenbarung, natürlich erkennen kann. Denn alle nicht offenbarte Wahrheiten kommen auf diffe Art zum Bewufstfeyu und zur Ueber- zeugurg. Wenn fie fagen : Ge wüßten, dafs es wahr ift, weil es eine Offenbarung von Gott ift; fo ift zwar gegen diefen Grund nichis aus- zufetzen, aber es entfteht die neue Frage : wo- her Ge' wiffen, dafi c-s eine göttliche Offenba- nws ift? Wenn ue, fagen: wir wiffen es durch das Licht, welches in unferer Seele fo hell- leuchtend und u nvv i d er fte blich ift, fo mögen fie bedenken, ob diefes nicht auf das Obige hinausläuft, es fey nebmlich eine Offenbarung, weil fie die Wahrheit deilelben fo lebhaft glau- ben. Denn das Licht, von dem Ge fo viel fpre-

chen,

Neunzehntes Kapitel. 3Sf

c}:en, ift zwar eine lebhafte, aber grundlofe Ueberzeugurig ihres Gemüths, dafs etwas wahr ift. Dafs iie keine vernünftigen Gründe anzu- führen haben, muffen fie eingesehen, weil die Wahrheit fonft nicht ah Offer. barung ange- nommen, fon^ern auf natürliche Gründe ge- bauet wäre. Und wenn fie glauben, dafs es ■wahr ift, weil es eine Offenbarung ift, und doch keinen audern Grund für die Wirklich- keit der Offenbarung, als ihre volle Utberzeu- gung haben, fo glauben fie, dals es eine O ff e n- barung ift, blos weil fie innigft überzeugt find, dafs es eine Offenbarung ilt. Diefee ift ein fehr unficherer nnd fchlüpfriger Grund für unlere Ucberzcugungen und Hand lungen. Giebt es wohl ein leichteres Mittel, fir.h muthwillig in ungereimte Irrthümer und Fehltritte zn ftürzen . als Wenn man die l'ban- tafie zur einzigen üttd höchften Führerin wäh- let ? Wenn man glaubt, ein Satz fey wahr, ei- ne Handlung rechtmMfsig , blofs darum, wen man glaubt, es fey fo? Eine lebhafte Ueber- zeugung verbürgt uns Dient ihre Wahrheit« Das Krumme kann fo fteif und unbiegfairr, als d.T. Gerade j die MeriTcben können fo enthhei dend und abfprechend in dem Irrthum , als in der Wahrheit feyn. Woher kommen fonft die hartnackigen Eiferer in entgegrngefetzien Par- tien ? Wenn das licht, das jeder in feiner Seele zu haben meint, aber nichts anders ift. Locke's, III. Theil, ß D a[s

3&S Viertes Buch;

als feine lebhafte Ueberzeugung, unleugbar bevveifet, dafs etwas von Gott ift. fo haben entgegengefetzte Meinungen einerlei Anfpruch. auf einen göttlichen Urfprung, Dann ift Gott nicht die Urquelle eines Lichts, Ibndem ei- nes mannigfaltigen vviderftreitenden Lichts, das die Menfchen auf fehr verfchiedene Wege füh- ret. Und wenn eine grundlofe Lebhaftigkeit der Ueberzeugung ein Beweis für den göttli- chen Urfprung eines Satzes ift, fo muffen wi- derfprechende Sätze göttliche Wahrheiten feyn.

§. 12.

Die Te Folgerungen find nothwentlig, wenn die Feßigkeit der Ueberzeugung zur Urfache des Glaubens , und das Zutrauen zu lieh felbft. Recht zu haben, zum Grunde der Wahrheit gemacht wird. Der Apoßel Paulus glaubte Recht zu thun, und einen Beruf zu haben, die Chriftea zu verfolgen, die er für Irrende hielt, und doch irrte er , nicht fie. Auch gute Men- fchen find immer Menfchen, und dem Irrthum unterworfen; auch fie intereffiren fich zuwei- len für einen Irrthum mit zu grofser Wärme, weil fie ihn für göttliche Wahrheit halten, die ihre Seele mit dem hellften Lichte umftrahle,

§. 13.

Neunzehntes Kapitel. 38?

§. 13- Was das Licht desVerftandes iß.

Das Licht, das wahre Licht des Verftandes, ift und kann nichts anders feyn, als die Evi- denz von der Wahrheit eines Satzes. Ift der Satz nicht durch Pich felbft einleuchtend, fo kann er nur durch die Klarheit und Stärke fei- ner Beweife Licht erh.-Iten. Von einem andern Lichte reden , heifst fich felbft der Finfternifs oder dem Fürften der Finfternifs preis geben, und fich der Gefahr der Täufchung eine Lüge zu glauben, blofs ßrellen. Denn wäre die Stär- ke der Ueberzeugung das Licht, das uns leiten foll , wie will man die Verblendungen des Sa- tans und die Eingebungen des heiligen Geifi.es unterfcheiden? Der erftere kann fich in einen En«el des Lichts verfiellen. Und wer von die- fem getrieben wird, kann eben fo feft über- zeugt feyn, dafs er von dem Geifte Gottes er- leuchtet werde, als wenn diefes wirklich der Fall wäre. Er beruhiget fich mit Arergnügen dabei, und handelt darnach; Niemand kann lebhafter überzeugt , und wenn das Gefühl d.iriibcr urtheilcn kann, mehr im ßefitz der Wahrheit feyn. ,

Bb 2 5- 14»

38t Viertes Buch.

§. 14.

Die Offenbarung mufs von der Ver- nunft beurtheilet werden.

Wer Geh alfo nicht allen Ungereimtheiten der Täufchung und des Inthums preis geben will, rnufs felbft diefen Führer, cliefes Licht der Prüfung unterwerfen. Wenn Gott einen Pro« pheten erweckt , fo verrichtet er nicht den IVlenfchen ; er läfst vielmehr alle feine Vermö- gen in ihrem natürlichen Zuftande, damit er feine Eingebungen beurtheilen könne, ob fte göttlichen Urfprungs find , oder nicht. Wenn er den Verftand durch übernatürliches Licht er- leuchtet, fo vertilgt er nicht das natürliche. Wenn er will, dafs wir die Wahrheit eines Satzes annehmen follen , fo unterftützt er He entweder durch natürliche Gründe, oder durch fein Anfeilen, und überzeugt uns von ihrem göttlichen Urfprunge" durch gewiffe Zeichen, in denen die Vernunft nicht irren kann. Die Ver- nunft mufs die oberfte Richterin und Führeria in allen Dingen feyn. Ich behaupte damit nicht, die Vernunft müfste zu Rathe gezogen werden, ob nicht ein von Gott offenbarter Satz durch natürliche Erkenntnifsprincipien möglich fey, und wenn er es nicht ift, dafs er müfste ver- worfen werden; aber das mufs fie unterfuchen und prüfen, ob eine Offenbarung von Gott ift, oder nicht, Ift jenes, fo erklärt fich die Ver- nunft

[Neunzehntes Kapitel. 3S$

nunft für de, wie für jede andere Wahrheit, und nimmt De unter ihre Ausfprüche auf. Je- de Vorftellung , die untere Phautafie erhitzt, mutsjwc Eingebung gehen, wenn kein anderes Kriterium zu ihrer Betirtheilung, als die leb- hafte Ueberzeugung, vorhanden ift. Wenn die Vernunft ihre Wahrheit nicht durch Grün- de prüfen Coli , die aufser der Ueberzeugung felbft liegen , fo verlieren fich Eingebung und Verblendung, Wahrheit und Falfchheit fo in eiuaüder , dafs ihre Trennung unmöglich wird.

§. *5*

DerGlaube i ft kein Beweis für die Offenbarung,

Wenn diefes innere Licht, oder ein ande- rer Satz, den wir unier tliefem Titel für infpi- rirt annehmen, mit den Grundfätzen dar Ver- nunft und mit dem Wort Gottes, welches eine beurkundete Offenbarung ift , übereinftimmt, fo verbürgt uns die Vernunft feine Wahrheit; wir können ihn Geher als wahr, und zur Richt- fchnur in unferin Glauben und Handlungen an- nehmen. Fehlen einem Satze hingegen beide Beglaubigungsgründe , fo können wir ihn we- der für eine Offenbarung, noch weniger für wahr halten, bis uns ein anderes Merkmal für feineu göttlichen Urfprung aufser unferm Da- fürhalten gegeben wiid. So hatten die Män-

Bb 5 ner

3<JO Viertes Buch.

ner des alten Teltaments, die einer Offenbarung gewürdiget wurden, noch eine andere Beglau- bigung ihres göttlichen Urfprungs, aufser ihrer innern Ueberzeugunt, ; He wurden durch äuße- re Zeichen überzeugt, dafs Gott der Urheber ihrer Ueberzeugungen war. Und wenn lie An- dere überzeugen follten, fo war ihnen die Macht gegeben , die Wahrheit ihres Auftrages und ihrer Sendung vom Himmel durch ficht- bare Ztichen zu bekräftigen»

§. 16.

Ich will damit gar nicht leugnen, Gou kön- ne oder pflege nicht durch den unmittelbaren Einflufs undBeiftand feinesGeiftes zuweilenMen« feilen zur Erkenntnis gewiffer Wahrheiten zu erleuchten, oder zu guten Handlungen zu erwek- ken, ohnedaTs diefes aufserordentliche Zeichen begleiten. Aber in diesen Fallen haben wir die Vernunft und Schrift als untrügliche Re- geln zur Beurtheilung, ob es von Gott kommt oder nicht. Ift ein Satz eine Handlung "mit der fchriftlichen Offenbarung und den Aus- fprüchen der Vernunft übsreinftimmend , fo wagen wir ucherlich nichts bei Annahme der- felben; denn wenn es auch vielleicht keine unmittelbare Offenbarung durch aufserordent- liche Wege ift, fo wifTen wir doch, dafs die Of- fenbarung , die er uns von der Wahrheit gege- ben

Neunzehntes Kapitel, 391

ben hat, dafür Gewähr Ieiftet. Unfere rubje- ctive Ueberreugung kann aber nicht felbft diefe Wahrheit verbürgen, fondern nur entweder das gefchriebene Wort Gottes oder der Prüf- fiein der Vernunft, die wir mit allen Men- f:hen gemein haben. Wenn die Vernunft oder die Schrift fich ausdrücklich für eine Meinung oder Handlung erkläret , . fo kön- nen wir fie als eine göttliche Erklärung an- nehmen, aber die Stärke unferer Ueberzeu- gungen kann fich nicht felbft diefe Beglaubi- gung geben. Die Neigung unfers Gemü- thes mag fi3 noch fo fehr begünftigen , fo heveiä dies doch nicht, dafs fie einen göttlichen Urfprung haben , fondern nur, dafs fie Lieb* lingsmeinungen find.

Bb 4 Zwa-

3?2 Viertes Buch.

Zwanzigftes Kapitel.

Von dem f hierhaften Fürwahrhalten oder dem Irrthume,

§♦

Urfacben des Irrthutns.

Ürkenntnifs ift nur durch die deutliche Ein- ficht der Wahrheit möglich. Irrthum ift nicht Mangel der Eikenntnifs, fondern ein Fehlgriff der Urtheilikraff , indem fie demjenigen bei- ßirnmt, was nicht wahr ift. Da aber der Grund, das Object und die ßeweguTf'cbe des Für- .wahrhaltens die Wahrfcheinlichkeit ift, deren Natur wir in den Vorhergehenden Kapiteln er- örtert haben, fo entft'.ht die Frage: wie die Meufchen der Wahrfchen lichkcit entgegen, etwas für wahr halten. Denn nichts ift ge- meiner, als entgegengefetzte Meinungen, und nichts gewöhnlicher, ah dafs Einer ungläubig verwirft, was der zweite nur bezweifelt, und der dntte innig glaubet- Die fehr mannigfal- tigen Urfachen davon können, nach meinem

Da-

Zwanzigstes Kapitel. 3J3

"Dafürhalten, auf diefe vier zurückgeführet wer- den. \) Mangel an Beweifen. 2) Man- gel an G efchi ckli chkei t, fie zu ge- brauchen, 3) Mangel des Willens, fie zu gebrauchen. 4) Falfche Re- gein von der Wahrfcheinlichkeir.

I. Mangel an Bewerfen.

Ich verftehe nicht allein den Mangel der Bewerfe, die noch nicht vorhanden, fondern > auch folcher , die fchon gefunden find, und die man Geh rerfchaffen könnte. Diefer Man- gel findet bei denjenigen ftatt, weiche keine Zeit und Gelegenheit haben, Verfucbe und Be- obachtungen zum Beweife eines Sattes felbft anzuftellen, oder nie Zeugniffe Anderer zu ram- meln und zu prüfen. In diefem Zuftande be- findet fich der gröfste Theil der Menfchen, welche, an Arbeit urd niedrige Lebensart gefef- feit, fall ihr ganzes Leben auf die Beforgung der Lebensbedürfniffe verwenden. Ihre Gele- genheit zur Erkenntnifs und Unterfuchung ift gewöhnlich fo befchräukt , als ihr Wohlftand unbedeutend und ihr Vetftand ungebildet ift. E* ift fo wenig zu erwarten , da's Menfchen, die ihr ganzes Leben hindurch an körperliche A'hit n grfpfftlt und, etwas mehr von der Mannigfaltigkeit der Dinge in der Welt erken-

B b 5 neu

39+ Viertes Buch,"

r.en tollten 3 als dafs ein La^fercT, das auf en- gen grundlofen Wegen von einem Markt zum andern getrieben wird, fehr erfahren in der Geographie des Landes fey. Es ift nicht mög- lich, däfe diejenigen, denen es an Mufse, Bü- chern , Sprachen und an Gelegenheit fehlet, mit vielen Menfchen umzugehen, fti oiefem Zuftande die vorhandenen Zeugnifle und Beob- achtungen rammeln , welche nothwendig find, um über viele, ja die meiften in den Gefell- JGchaften vorzüglich intereilirenden Sätze ein Urtbeil zufallen, oder dieGrüude eines folchen Grades von Ueberzeugung ausfindig zu machen, als zum Fürwahrbahen der Momente, worauf lieh die S.iize fiützen , nöthig geachtet wird. Durch den unveränderlichen Zufland der Dinge in der Welt und durch die Lage der menrchli- chen Angelegenheiten alfo ein grofser Theil der Menfchen z.ur unüberwindlichen Unwiflen- heit in den Be v/eisgrün den verurtheilt , durch welche andere ihre Meinungen untexftützen» und durch welche fie nothwendig begründet Werden nmiltm Wie follten lie in einem Zu- ftande, der alle ihre Kräfte zur Erhaltung ih- rer Exiftenz fodert, lieh nach den Mitteln ge- lehrter und mühfamer Forfchungen umfehea können?

$. 3-

Zwanzigfi.cs Kapitel« ?9S

§• 3.

Was foüen wir alfo fagen? Ift der grcfste Theil des rnenfchlichen Gefchlechts durch fei- ne noihwendige Lage zur unvermeidlichen Un- ' wiffenheit in den wichtigften Dingen, (denn nach diefen wird am meiften geforfclit,) verur- theilt? Haben fie auf dem Wege zur Glückfe- ligkeit keinen andern Führer, als Zufall und blindes Ohr.gefähr ? Sind die Meinungen und Regeln, welche in einem Lande im Umlaufe find , zureichende und fiebere Ueberzeugungs* gründe , um ihnen die wichtigften Angelegen- heiten, ja die ewige Glückseligkeit oder Un- glückfeligkeit anzuvertrauen ? Oder können tlicfe zü-verlaffige Ovakelfprüche und untrügli- che Regeln der Wahrheit feyn , welche in den chrifilichen Ländern und in der Türkei widejr- furechende Dinge lehren ? Soll ein armer Lands- mann dadurch ewig glücklich oder unglücklich werden, dafs ihn der Zufall in Italien oder in England auf die Welt kommen liefs? Ich will hier nicht unteruichen, wie geneigt einige Männer find, fo etwas zu behaupten; davon bin ich aber überzeugt, dafs fie eins von bei- den eiaränmen muffen, entweder, dafs eine vor. folchen entgegengefetzteu Meinungen* man wähle, welche man will, wahr feyn muffe j oder If'nfchen hinreichend mit dem Vermögen ausgelüftet habe, den Weg zu be-

flim-

S95 Viertes Buch.

ßiminen , den er wandeln foll , wenn er es ernftlich dazu anwendet, und ihm feine ee- wohnlichen Berufsarbeiten dazu Mufse lallen. Kein Menfch ift aber fo fehr mit Gewinnung feines Unterhalts befchäftiget, dafs er nicht ei- nige Zeit abfparen konnte, um an feine Seele zu denken , und Geh in den Religionswahrhei» ten zu unterrichten. Wenn dieMenfchen dar- an fo viel lnterelle nährneu, als an nichtswür- digen Dingen , fo würden fie nicht folche Skla- ven von Nahrungsforgen feyn, dafs fie nicht auch Zeit auf die Ausbildung ihres Erkenntnifs- vermögens wenden könnten.

Aufser dieTer KlafTe von Menfchen , deren Bildung und Belehrung durch ihre äufsere un- günftige Lage gehemmt wird , giebt es noch andere , welche, durch ein belferes Schickfal bc^ünftiget , Bücher und andere Hülfsinittel in Menge anfehaffen könnten, um Zweifel aufzu- heilen, und Wahrheiten zu entdecken. Allein fie werden durch Landesgefetze und die wach- fame Dienerfchaft derjenigen, deren Intereffe erfodert, die Unwillenheit zu erhalten, damit nicht die Menfchen gefcheuter werden, und dann weniger glauben , fo eingefchränkt, dafs fie eben fo wenig , ja noch weniger Frei- heit und Gelegenheit zu Unterluchungen aus

rei-

Zwanzigßes Kapitel. 397

reinem Intereffe haben , als die unterfte Klaffe der Bürger. Bei allem Schrein vonGiüfse uud Eihabenheit ift doch ihr Denken befchrärkr, und ihr Verftand»:der am wemgfteu fremden Gefe'zen unterworfen feyn follte, ift ein Sklave. Dies ift der gewöhnliche Fall aller Perionen, die an denen Orten leben , wo man Sorge trägt , Wahrheiten ohne Erkenntnifs fortzu- pflanzen; wo die Menl'chen gezwungen find, auf gut Glück fich zur Religion des Landes zu bekennen, und gerade lo iremde Meinungen annehmen muffen, wie der gemeine Mann Pil len vom Quackfalber verfchluckt , ohne ihre Beftandtheile und ihre Wirkungen zu kennen, doch mit dem Glauben, dafs fle helfen werden 'y nur ift der Zuftand der erftcren darin noch be- dauerungswürdiger , dafs fie nicht die Freiheit haben, die Arznei, die ihnen zuwider ift, weg- zulegen, oder den Arzt zu wählen» deffen Füh- rung lie fich anvertrauen wollen.

' i. 5. '

II. Mangel an G e fchi ekl i chk eit, die Beweisgründe zu benutzen.

Wer nicht die h'unft verfteht, die Grün- de der Wahrfcheinlichkeit anzuwen- den, wer nicht eine Reihe von Folgerungen fallen,', nicht rnigegengefctzte Gründe und Zeugniffe gegen einander halten, und jeden

ein-

3y§ Viertes Buch,

einzelnen Umfiand abwäg?n kann, der kann leicht verleitet werden, nicht vvahrfcheinlichen Sätzen beizuftimmen. Es giebt MenTchen die nur einen , zwei oder drei Schlüffe im Zusam- menhange faffeu können. Es ift unmöglich, dafs dicfe immer die Seite unterfcheiden , auf welcher die ftärkfter, Gründe find, oder immer die wahrftheinlichfte Meinung treffen. D^fs ein fo'.cher Unterfchied der Verftandeskräfte wirklich ift, wird Niemand bezweifeln, der nur einige MenfchenkenntnifV hat. Ob diefer grofse Unterfchied von einem Fehler der zum Denken gehörigen Organe, Ocicr von der Träg- heit und Unfähigkeit des Denkvermögens wa- gen Mangel an Uebung, oder nach Andern von einem natürlichen Unterfchied der Seelen felbft oder von allen diefen Urfarhen herrühre, dar« aufkommt hier nichts an. Es ift zum wenig- ften unleugbar, dafs eine fo grosse Gradver- fchiedenheit in dem Verftandes Faffungs- und Verr.'iinftvermögen gefunden wird , dafs man» ohne der IMenlchheit zu nahe zu treten, be- haupten kann, es fey xwifchen einigen Men- fchen in diefer Rückficht ein gTüfserer Abftand, als zwifchen einigen Menfchen und Thieren» Die Auffuchung der Urfache ift eine wichtige Unterfuchung, aber nicht zu unferm Zwecke nothwendig.

§. C.

Zwanzigftes Kapitel. 399

III. Mangel des Willens, Gründe an zuwenden»

Es giebt aber auch wieder Menfchcn , de- nen es an Gründen zur BeuTtheilung fehlet, nicht weil Ge diefelben nicht fauen, fondern weil Ge diefelben nicht gebrauchen wollen»

: allem Ueberüufs von Reich?hu:n undMufse hilft ihnen ihr i I und andere Vcrtheile

fo viel als nichts. Die Jggd nach Vergnügun- gen, oder d<*s Gewühl in Gefcbäften giebt ih* rnn Gedanken eiue andere Richtung; Trägheit Unluft gegen Arbeit überhaupt, oder eine bffoudere Abneigung vor Büchern, Studieren und Nachdenken hält Andere vom ernftlichen Denken zurück ; aus Furcht, eine freie Unter- fnchiing möchte nicht die Meinungen begün fü- gen , die ihren Vorurthei'en , AbGchten und Lebensart fchmcichpln, bej A ': :en Geh andere, ohne Prüfung auf Treu und Gl sn anzuneh- men, was fie ihnen und der Mode angemeflen finden. So bringen die tn eilten Menfcbep ihr Leben zu , ohne Kenntnifs, ja noch mehr, oh- ne Schätzung der wahrfcheinlichen Wahrhei- ten , die Ge wiflen follten, die ihrer Ueberzeu- gung fo n;ihe liegen , dsfs Ge nur einen Blick auf Ge zu wenden brauchten» Allein es ift be- kannt, dafs Einige keinen Brief lefen mögen, in dem Ge etwas Unangenehmes abnden j dafs

viele

40» Viertes Bueh.

viele fich vor Rechnungen fcheuen, ja nicht einmal an ihren Vermögenszuftand denken mü- grjn , weil fie mit Grund vermuthen, es ftehe damit nicht zum Beften, Ich weifs nicht, wie diejenigen Geh bei träger Unwiffei..heit beruhi- gen können, deren glücklicher Wuhlfbnd ge- nug Mufse zur Ausbildung ihres Verftandes geftattet* allein ich glaube, de müden eine fchlechte Meinung von ihrer Seele haben, dafs. fie alle ihre Einkünfte auf kö?perliche Bedüif- niffe und nichts auf die Anfchaffung der Hülfs- inittel der Erkenntnifs wenden ; dafs fie fo ängft- lich dafür beforgt find, immer in einer fchönen glänzenden Aufienfeite zu erfcheinen, und fich in groben oder zufammengeflickten Kleidern elend fühlen würden, und doch fo gleichgültig dabei find, wenn ihr Geift in einer buntfehek- kigten Livree erfcheinr, welche der Zufall oder die Modemeinung nach Gefallen aus groben zufammengeborgten Lappen zufammenfeizte. Ich will hier nicht erwähnen, wie unvernünf- tig diefes für Menfchen ift, die als vernünftige Wefen doch zuweilen an ein künftiges Leben und ihr wichtigstes Intereffe- denken muffen; ich will nicht in Erinnerung bringen, wie befchä- mend und nachtheilig es für die gröfsten Ver- ächter der Erkenntnifs ift, dafs fie in Dingen, die ihr Iutereffe betrifft, unwiffend find. Aber daran follten doch diejenigen denken, welche fich zu den hohem Ständen rechnen, dafs Men- fchen

Zvranzigftes Kapitel.' 4.01

fchen aus geringerm Stande i abetf von über- legenen Kenntnilfen , ihnen Kredit, Anfeilen, IvJacht uud Hochachtung entziehen werden, fo fehr (ie auch als Zubehör der Geburt und des Glücks betrachtet werden. Die Blinden werden immer Von Sehenden geführt werden, oder in Gruben ftüvzen; und derjenige ilt ininer arn tr.eifteu Sklav und untergeordnet, der blind am Verftande ift»

IV. Falfche Grnndfätze von det Wahrfchemlichkeit.

Die letzte Klaffe begreift folche Menfchen» r?.ie fich von offenbaren Gründen der Wahr- scheinlichkeit , fo nahe und deutlich fie auch dargtftellt Weiden , nicht überzeugen laffen, JTonderri ihren Beifäll entweder auffchieben» oder ihp der WfcnigBi wahrscheinlichen M-ei- Äung geben. Djefer Gefahr find diejenigen aus°e(etzt, weiche fa I f ch e "II egel n der Wahr f che in I ichkei t angenommen ha- ben. Hierher gehören l) Satze, die nicht an fich gewiTs und einleuchtend« fnndera z w e i f e 1 h a f t und f a 1 f c h find* und doch als Grund Tatze an^e Teilen Werden; 2) angenommene Hj'pothe- fen; 3) herrCchende Lcidenfchaf- Locke's. III. Theil, Cg ~ ten

4o» Viertes Buch.

ten und Neigungen; 4) fremdes An« f eben,

§. 8.

1) Zweifelhafte Sätze als Grund- fätze gebraucht.

Der erfte und fefiefte Grund der Wahr- fcheiulichkeit ift die Uebereinftimmung eines Dinges mit unfrer Erkenntnis, vorzüglich mit den einmal angenommenen Grundfätzen derfel- ben, Diefe haben einen fo grofken Einflufs auf unfere Meinungen , dafs wir nach ihnen die Wahrheit beurtheilen. und die Wahifchein- lichkeit in den. Giade beftimmen , dafs, was fich mit ihnen nicht verträgt, nicht für wahr- fcheinlich , ja nicht einmal für möJic!, gehal- ten wird. Ihre Achtung ift fo giofs, ihr An- fehen fo überwiegend, dafs r.icht nur die Zeug- niffe anderer Menfchen, fondern auch oft kla- re Wahrnehmungen der Sinre verworfen wer- den , wenn fie etwa? in Schutz zu nehmen fcheinen , was diefen angenommenen Sä'zen widerfpricht. Ich will hier nicht unterfuchen, wie viel die Lehre von augebornen Grund ä- tzen , und dafs fie weder bewiefen noch unter- fucht werden dürfen , dazu beigetraten habe, Ich gebe gerne zu, dals eine Wahrheit der an- dern nicht widerfprechen kann; allein demun- geachtet behaupte ich , dafs man lehr ftrenge

das»

Zwanzigfies Kapitel. 403

das, was man zu einem Grundfatze macht, prü- fen und fehen follte > ob man feine Wahrheit aus innerer EvH*mz gewif> erkenne, oder Geh. nur auf das Anff hei> eines Andern davon über- zeugt b-dte. Denn wer faifche Grundfatze ein- gefogen, .und fah bündlings dem Anfehen ei- nes nicht evident wahren Satzes hingegeben hat , der gieht feinem VertJandp einen fivrken Hang, fein Furwajirhalten unvermeidlich un- wichtig zu leiten.»

$• 9*

Nichts fo gewöhnlich, als dafs Kindern won ihren Eltern, Ammen und andern Perf - nen , die üe umgeben , Sätzp, vorzüglich reli- giöre, eingeprägt werden, welche fich ihres unverwahrten, leicht empfänglichen Verftandes bemächtigen, und durch die Micht der Ge- wohnheit und Erziehung nach und nach, die faifchen fo gut, als die wahren , fo befeftiget werden, dafs fie keine Gewalt wieder heraus- treiben kann. Wenn fie in dem erwachfenen Aber einen Blick auf ihre Meinungen thun, und diefe im Bewufstfeyn finden, fo weit ihr Gerlächtnifs zurückgehen kann, weil lie nicht wifTen, wie früh und auf .velche Weife he ihnen eingeflöfset worden, fo find fie geneigt, fie mit eine! Art von h^iliser Ehrfurcht anzu- ftauuen, Sie dulden nicht , dafs lie entweihet,

Cc 2 an-

4.04 Viertes BucI*.

angetaftet , oder in Zweifel gezogen \v erden fondern betrachten fip vielmehr als das Urim und Tbummin, das Gott unmittelbar in ihretu Verband zum untrüglichften, in höchfter Iuftana entrcheidendcnRichrer der Wahrheit und Fallch« heit aufgeteilt habe*,

§. lös

Wenn diefe Meinung von Grundfatzc-n ein^ mal feftgewurzelt ift, fo ift leicht vorzuftellen, ■\vie ein Satz, der ihr Ar.fehen fchwächt , und diefen innern Orakeln entgegen ift, wird aufge- nommen weiden, follte er auch noch fo einleuch- tend bevviefen feyn, da hingegen die gröbftett Ungereimtheiten und Unwahrfcheinlichkeiten« wenn Oe nur mit ihnen einhellig und , fehr glatt eingehen* Die Hartnäckigkeit, mit weP eher entgegengefetzte, weilen gleich unge- reimte Religion; meinnngen fteif und feit ge- glaubt werden, ift ein offenbarer Beweis, fo wie auch eine unvermeidliche Folge von der fklavifchen Art, fortgeerbte Gruudfätze nach» lubeten. Lieber trauet man feinen eigenen Au- gen nicht, entfagt aller Wahrheit der Sinne* und macht die Erfahrung zur Lügnerin , als dafs man etwas annehmen follte , was mit den geheiligten Meinungen ftreiter. Wenn einem verfiändigen Katholiken feit der erften Aeufse- fung feines Veiftandes der Grundfatz einge-»

prägt

Zwanzigfies Kapitel. 405

prftgt worden , dafs man der Kirche glauben mufs, oder dafs der Pabft unfehlbar iß; w?nn fr dieTe Satze nie bezweifeln höite, und bis io fein 4cftes oder 50ftes Jahr nie mit einem Men- fthen von andern Grundfatzen fprach , ift er dann nicht genug vorbereitet, die Lehre von der Verwandlung im Abendmal nicht nur ge- gen alle Wahrscheinlichkeit, fondern auch ge« gen al'e Evidenz der Sinne anzunehmen? Die- fer Grundfatz konnte ihn wohl vermögen , Fleiftb. für Biod zu halten. Wie will man eig- nen folchen Menfchen von der Unwahrfchein- lichkeit feiner Meinungen überzeugen, der mit einigen Philofopheii zur Grundregel feines Den- kens gemacht hat , dafs man der Vernunft, (worunter er aber uneigentlich Folgerungen aus folchen angenommenen Grundfatzen ver- lieht;) gegen die Sinne glauben mülfe? Hat £ch ein Schwärmer in den Kopf gefetzt, dafs er oder fein Lehrer infpirirt ift, und unter dem unmittelbaren EinOufs des göttlichen Geiftes fteht , fo ift es umfotift, unläugbare Vernunft- wahrheiten feiner Lehre entgegeuzufetzen. Wer aifo einmal falfche Grundsätze eingefogen hat , auf den wirken bei dem Widerfpruch mit denfelben die einleuchtendften , fprechend- ften Wahrfcheinlichkeiten nichts , bis er fo lauter und aufrichtig wird, dafs er von der Koihwendigkeitj feine Grundfätze zu prüfen, überzeugt wird.

Cc 3 $. IU

a

4o<» Vierte» Buch.

§. II. 2) Angenommene Hypothefen.

Es giebt andere Menfchen, deren Verftand /Ich ganz in die Formen angenommener Hypothefen gefebmiegt hat. Sie unterschei- den fich von den vorhergehenden darin, dafi fie Thaifachen annehmen, und darin mit ihren Gegnern einverfianden find, nur erklären fie diefelben und ilire Entfte' ungsart aus andern Urfachen. Weniger in offenbaren Kriege mit ihren Sinnen, können fie geduldiger Thatfa- chen anhören, woduri h man i\e belehren will, aber fie mögen keinen Gebrauch davon machen zur Erklärung der Dinge , noch fich durch Wahrfcheinlichkeiten überzeugen lallen , dafs die Dinge nicht gerade auf diefelbe Weife ent- liehen, wie es ihnen beliebt, fie entftehen zu laflen. JVJüfste es nicht unerträglich für einen gelehrten Profvflbr feyn , wenn er fein vier- zigjähriges, aus harten griechischen und lateini- fchen Fellen herausgearbeitetes Anfehen, das ihm foviel Zeit und ■. iiht gekoftet, das dufch die allgemeine überlieferte Vorfiellungsart und einen ehrwürdigen Bart befranset wird, in ei- nem A 'jj/nblick von einem neugebackenen Zei- tungsfehreiber umgeftolsen fehen folhe? Darf man von ihm das Geftänduifs erwarten , alles fey Irrthum und M fsverftändnifs gewefen, was er feit dreifeig Jahren gtlehit haLe, dafs er

kere

Zvvanzfgßes Kapitel. 4©?

leere Worte und feine Unwiflenheit um einen fo hohen Preis verkauft habe? Welche Grün- de der Wahrfcheiolichkeit werden in diefern Falle das gröTste Gewicht haben? Wer wird, fich durch noch fo ftarke Gründe auf einmal Eue allen verjährten Meinungen und Anfprüchen auf Erkenntnifs und Gelehrfamkeit, für welche man feine ganze Lebenszeit mit allem Fleifse gearbeitet hat, herauswerfen Iaffen, um mit ganz neuen Begriffen von vorne wieder anzu- fangen? — Hieher können auch die Irrthü- mer gezählet werden , welche durch richtige aber mifsverftandene Hypothefen und Grund- fätze veranlagt werden. Ein unleugbarer Be- wris, wie gemein diefe fiud, ift die Thatfache, dafs fo fehr über abweichende Meinungen ge- ftritten wird , die alle aus untrüglichen Wahr- heiten der Schrift abgeleitet werden.

fy 12.

3) Her?fchende Leiden fchaften.

Eben daffölbe Schiddal haben auch Wahr- fcheinlichkeiten , die Neigungen und herr- f c h enden Leiden fchaften in den Weg treten. Man lege einem Habrüchtigen ein noch fo wahrrcheinliches Räfonnement in die eine Wagfchale, und in d.:3 andere Geld, es ift nicht febwer zu fagen , auf welcher Seile die Waag- fchale finken werde. Die Sinnlichkeit wider-

Cc 4 ftehet

4®$ * "Viertes Buch,

liehet, wie ein Erden wall, der ftärkßen Batie« rie; wenn auch die Starke eines einleuchten-' den Grundes zuweilen einige Eindrücke- macht, fo bleibt fie doch im Ganzen gegen die Wahr* lieit unerfchüüeTiich, von der fie fonft wurde beilegt worden fern. Man fage einem Yej* liebten, dafs er ein Betrogner ift, man ftelle, ihm zwanzig Zeugen von der Untreue feine* Geliebten auf; und man kann zehen gegen, eins fetzen, dafs drei liebkofende Worte von. ihr alle Zeugnifle entkräften werden. Was man wünfeht, das glaubt man gerne; davon hat vvohl jeder Menfch mehr als einmal die Erfahrung gemacht. Und wenn man auch nicht allezeit der Macht offenbarer Gründe 2e^ radezu widerfpricht und entgegenßrebt, fo ge- ftattet man ihnen doch keinen Einflufs, Zwa* tritt der Yerftand, durch feine Natur genütbi- get, allezeit eier wahrfcheinlichften Seite bei; aber der Menfch h^t ein Vermögen , feine Un- terfuchuns aufzuheben oder einzuschränken, und einem Gegenstände die vollftändige über- zeugende Prüfung zu Verlagen, deren er fä* fcjg iß. So lange diefes gtfehiebet , find im-» Hier zwei Wege offen , der einlcuchtendfteB Wahrscheinlichkeit ausiu weichen»

f. I?.

Erßers. Die Gründe muffen meiftentheifs in Worten vorgetragen werden. Hinter ihnen

kam*

Zwanzigftes KapiteL 409

iarn fich eine Täufchung verft ecken. Die Folgerungen machen vielleicht eine lange

CT ^ O

Reine aus, und einige können unzufammen- hängend feyn. Selten ift ein RäTonneruent [0 kurz, klar und bündig, gegen welches man picht mit einigem Schein der Wahrheit diefea Zweifel erheben ; von deilen Ueberzeu^ungs- kr tt man fich nicht, ohne üch dem Tadel der Unvernunft und Unlauterkeit auszufetzen, durch die dlte Ausflucht befreien könnte : ich wer- de es nicht einräumen, wenn ich; auch nichts dagegen zu fagen weifs,

§. 14»

Man kann auch zweitens offenbaren Grün- den der Wahrfcheinlichkfit ausweichen, und durch die Ausflucht den Beifall zurückhalten! ich w e i f s nicht alles, was für die entgegengefetzte Seite kann ge- faxt werden. Wenn daher auch Einer ge- tiolTen ift, fo braucht er doch nicht nachzuge- ben, weil er nicht weifs, was für eine Macht in dein Hintergrunde fttht. Dit-fe Ausflucht ift fo leicht zu machen, und von fo grofsem Um- f*n*c , dafs fich die Grenzen nicht beftimmen laßen, wo ihr Einflufs aufhören müfle,

Co 5 §. Ijf

410 Viertes Buch.

§. 15.

Welche Wahrfcheinlichkeitsgrün- de das Für wahrhalten beftim- m e n,

Diefes hat indeflen doch feine Grenze, Wenü ein IVlenfch alle Gründe der Wahrfchein- lichkeit und des Ge^entheils unterfucht, fich von allen Umfiänden unterrichtet , und die Zahl und Starke der Gründe auf beiden Seiten rtchtig beftimmt hat, fo kann er in den meifte» Fallen erkennen , auf welcher Seite die gröfsle \V diifctjpinliihlteit ift , zumal da bei Gegen- ftänden der Vernunft die Gründe zuweilen all» gemeine Erfahrungsfätze von folcher Kraft und Klarheit, und bei Thatfachen Zeugnifle von fol- cher Allgemei! heit find, dafs er ihnen beiftim- men mufs. Bei allen Sätzen alfo, wo nngeach- tet wichtige Gründe für fie vorhanden Gnd, dennoch hicreichender Grund zu dem Verdach- te vorhanden ift, dafs entweder eine Täu- fchung in den Worten liegt, oder bedeutende Gegengründe hervorgebracht werden Tonnen, da ift das Beiftimmen, Nichtbeißimmen und das Zurückhalten des Beifalls oft eine Handlung der Willliühr. Wo aber die Beweisgründe höchft wahrscheinlich, und mit keinem hin- länglichen Grunde eniweder Täufchungen der "Worte, (die durch eine unbefangene ernüliche Unterfuchung zu entdecken find,) oder wichti- ge

/

Zwanzigstes Kapitel. 411

ge noch nicht entdeckte Gründe für das Gegen- thril zu vermuthen find, (welches ein denken- der Mann in manchen Falten aus der Natur des GegenftandeN beftimmen kann); hier kann ein Mann ohne Vornrtheil , nachdem er alles überlegt bat, kaum demjenigen Satze feine Bei- ftimmung verfagen. der die gröbste Wahrfcbeio- lichkeit für fich hat. Ob es wahrfcheinüch h y, dafs ein Haufen Drucklettern (ich i'on felbft in eine gewifTe Ordnung fielle, dafs daraus eine zuf unmenhängende Rede abgedruckt werden könnte; od-r ob eine zufällige Verbindung; der Atome ohne Leitung eines Verfisr.des Kör- per einer beftimmten Thiergattung bilden kön- ne: diefes find Fragen, wo keiu Menfch nach einigem Nachdenken anftehen kann, wel- cher Partie er beitreten Coli. Wenn endlich gar nicht vorauszufetzen ift, dafs in einer Sa- che, die ganz zufällig ift, und einzig auf gül- tigen ZeugniiTen beruhet , eben fo glaubwürdi- ge Zeu^nifle für fie vorhanden find , welches die Unterfuchtn-g entfebeiden mufs, z. ß. dafs vor »700 Jahren ein Mann, Namens Julius Cä- far, in Rom lebte, fo fleht es wohl nicht in der Willkühr eines vernünftigen Menfchen, das Fürwalirhalten zurückzuhalten. In andern Fäl- len , die nicht fo klar find, ift es möglich, dafs ein Menfch feine Beiftimmung zurückhält, und fich mit den * orhandeneu G ünden begnügt, wenn lie tiue Meinung begünftigen , auf de- ren

4i? Viertes Buch.

ren Seite Neigung und InterefTe ift, ohrie wei- tere Unterliichunganzuftellen. Derjenigen Sei- te aber beizutreten , welche als die weni- ger wahrfcheinlicbe vorgeftellt ift, fcheint un- möglich zu feyn ; denn es wäre gerade fo viel, als eine und diefelbe Sache zugleich für wah*- fcheinlich und unwahrfcheinlich zu halten,

§. 16%

Wenn man den Beifall zurückhal»

ten Icann,

Die Erkenntrsifo ift eben fo wenig willkühi- lich , als das Wahrnehmen, und das FüTwahü* halten flehet eben fo Avenig in uaferer Gewalt, als das Erkennen, Wenn die Einftimmung zweier Begriffe dem Verftande entweder un- mittelbar, oder durch Gründe einleuchtet, fo ift es eben fo unmöglich, das nicht wahrzuneh- men, oder nicht zu erkennen , ak bei hellem Tage die Gegenftände nicht zu fehen , worauf man die Augen gerichtet hat. Eben fo kann man auch demjenigen den Beifall nicht verfa« gen, was man nach vollfiändiger Unterfuchung als das Walufcheinlichfte befunden hat. Allein ob wir gleich das Erkennen und Fürwahrbai' ten in foleben Fällen nicht bindern können, fo können "wir es doch dadurch, dafs wir die Unterfuchung hemmen, und unfere Krälte auf die Exfprfchung der Wahrheit nicht

in-.

ZwanzigRes Kapitel» <M3

(anwenden» "Wenn das nicht wäre» fo könnte UnwiiTenheit , Irrthum und Unglaube in kei- nem Falle verfchuldet feyn. So kann in vie- len Fä'len das Fürwahihalten auigefchoben, oc^er verhindert weiden» Aber kann wohl ein Mensch, der in der neuern und alten G-fchich- te erfahren iff, zweifeln, ob es eine Stark Rom gebe, oder ehemals ein Manu Julius CäTar dar- innen gelebt hab?? ? Es giebt freilich, taufend Dinge, die nicht interclTiren , oder nicht für wiiTemWerth gehalten werden : z. ß. ob Ri- ebard 111. König von Engelland buckelig oder nicht, ob Roger ßaco ein Zauberer oder eint Mathematiker war. Da hier fo wenig daran liegt, ob man das eine oder das andere an- nimmt, Weil es keinen Einilufs auf küuftige Handlungen hat, fc» ill es nicht befremdend* wenn man der gemeinen oder der zuerft vors kommenden Meinung beitritt. Wo aber der Verftand urtheilet, dafs ein Satz von Einilufs ift, dafs das Fürwahrhalten oder dasGegentheil das Treffen oder NichUreffen der richtigen Seite, wichtige Folgen nach fich liehe, und fich daher ernftlich vornimmt, die Wihrfchein« lichkeit zu prüfen, da fteht es nicht in unferer Willkühr, welche von beiden Seiten Wir wäh- len wollen , wenn auf der einen wichtig ge Gegengründe fich zeigen* Die eröfste Wahl?- fcheinlichkeit beftimmt in diefen Fällen das Für- Wahrhaften , und dief«s folgt, wenn man jene

wahr*

414. Viertes Buch.

wahrgenommen hat, fo nothwendig, als das Erkennen nach deutlich gedachter Einftimmurg zweier Begriffe. Hiernach liegt die Quelle des Irrihums in falfchen Grundlagen der Wahr- fcheinlichkeit, fo wie die Quelle des Laders in falfchen Grundfatzen des Guten,

§. *7> 4) A n f e h e n.

Die vierte falfche Regel derWahrfchein- lichkeit , die mehr als alle vorigen zufammen- genommen UnwifTenheit und Irrthiun. erhält, jft die , deren ich in dem vorigen Kapitel er- wähnte, nehndich, dafs man ein Fürwahvhal- ten den angenommenen Meinungen «Jer Frei.n- de, der Partie, derlNachbarfchatt oder des L an« des preis gitbt. Wie viele Menfcneo haben keinen andern Grund für ilire Meinungen an- zuführen, als die vermeinte Recht (chatten htek« Gelehifamkeit oder Anzahl derer, die daff lbe behaupten? Als wenn ein ehrlicher oder ge- lehrter Mann nicht auch irren könnte , Ouer als wenn fich die Wahrheit nach der Sti.umen- mehrheit richtete. Die meiften Menfrhen taf- le n fich aber damit befriedigen, Diefe Mei- nung hat das Zeugnifs des ehrwürdigen Alter- thums für fich, fie kommt mit einem Pafs der vorige;; Jahrhunderte zu mir, ich kann he al- fo unbeior^t annehmen. Andere Ivlenfchen

haben

Zwanzigßes Kapitel. 4K

haben (Kefelbe Meinung geh_bt; es iftnlfo ver- nünftig, ihr zu lu.idigten. Das ift alles, was mau dafür zu fajjen wrifs. Aber mit niehre- lem Rechte könnte m^n Meinungen mit Galgen und Scheiterhaufen vei thenügen , als fie aus folchen Gründen a::n. Innen. Alle Metir< hea lind dem Irrthume unter wo f.'. n, und in nun- chen Fällen ift Lei den Ich alt und IntereiTe eine grofse Verfucbung dazu. Waren die geh-imen Triebfedern gelehrter upd berühmter Männer und der Häupter von Partien fichtbar, fo würde man finden, dafs lie nicht al ezcit öus reiner Lie- be für die Wahrheit fich zu ihren Behauptungen bekannten, und lle vertheidigten. Geu iis kei- ne Meinung ift fo ungereimt, die nicht nach die- fexn Grunde ihre Anhänger finden könnte. Denn es iäföt fich kein irrthum nennen, zu dem lieh nicht irgend ein Menfch bek-.nut hätte, und es kann nicht fehlen, d^fs derjenige, der auf dem rechten Wege zu (eyn wähnet, weil er die Fufs- ftapfen Anderer vor hch fiebi, auf krumxne We- ge gerathe.

§. 18. Die Irrthümer find nicht fo zahl- reich, als man glaubt.

Ungeachtet des grofsen Gefchreies über Irr- thümer und Meinungen mufs man doch der Meufchheit diele Gerechtigkeit widerfahren laf- f§n, dafs fich nicht fo viele Menfchen

in

41 6 Viertes Buch.

in Irrt hörnern und falfchenMeinuü* gen befinden, als man gewöhnlich annimmt. INiciit, als Wenn fie gerade im Be- fitz der Wahrheit wären > fondern weil fie über die Sätze, für die fie ära lauteften find, weder einen Gedanken noch Meinung haben. Denn füll- te man den gröTstenTheil der Anhänger einer Secte examiniren, man würde finden, dafsfiefich am meiden über die Dinge ereifern* von wel- chen" fie nicht die gerin gfte eigne Meinung ha- ben, noch weniger würde man fich zu dem Ge- dankeu berechtiget finden, dafs fie die Gründe der Wahrheit oder Wahrfcheinlichkeit vorher unterfucht hätten, ehe fie eine Meinung anneh- men. Sie find entfibhiffen, der Partie anzuhän- gen, an welche fie Erziehung oder Intereffe ge- feffelthat; fie zeigen, wie gemeine Soldaien, ihren Muth und Eifer darin, dils fie als Mafebi- jien ihrer Führer für eine Sache ftreiten, die fie nicht kennen Ausweichen Gründen folltematt glauben, dafs ein Me nfch. deU^n Leben nichtbe- weift, dafs er wahre Achtung für die Religion hat, fein Leben für die Meinungen feiner Kir- chein Gefahr hetze, oder fich fe!bft die Mübe ge- be, die Gründe diefer oder jener Lehre Zu imt er- tlichen? Es ift fa genug, wenn er feinen Oberrt g-horcht. feine Hände und Zunge zum Dienft für die gemeine Sache darbietet, und dadurch den B^ifali derer gewinnt, die ihm in diefer Gefell- fahait Kredit, Vorzüge und Schutz gewähren«

Sa

Zwanzigftes Kapitel. 41^

So werden Menfchen Bekenner und Veriheidi- ger von Meinungen ohne Ueberzeugung, je ohne nur eine oberflächliche Vorftellung davon zu haben. Man kann daher zwar nicht behaup- ten, dafs weniger unwahrfcheinliche od*»r irrige Meinungen in der Welt vorhanden find , als Wirklich da find ; allein es ilt doch gewifs, dafs die Menfchen den wenigften beiftimrnen* und irrig für Wahrheilen halten.

Ein und zwanzigftes Kapitel.

Eintheilung der Wifleufchaften.

§. 1* tJr'ei Arten von Wiffen fchaf ten.

Alles, was in das Gebiet des menfehlichen Ver* flandesgehüTt, ift entweder 1> die Natur defc Dinge, wie fie an fich find, ihre Verbältnifle und Wirkungsarten ; oder 2) dasjenige, wasdet M en fc h ais vernünftiges, frej handelndes We- feu zur Erreichung eines Zwecks, vorzüglich der Glückfehgkeit , th un folJ; oder 3) die Mittel und Wege, wodurch die Erkennt» rtifs, fowohl des erften. als des zweiten er- langt und mit^etbeilt werden kann. Nach diefem Gelichtspunkt zerfällt die Willen - fchaf t in drei Arten»

Locke'«. III. Theil, D ^ $4 2<

41 S Viertes Buch,

§. 2.

P h y f i k.

I. Die Erkenntnifs der DHge n?ch ihrem Wefen, Natur. Eigt nfchaften und Wirkungen. Ich verftehe hier aber iücb.t allein Materie und Körper, fondern auch G;ifier. welche fo gut, als die Körper, ihie eigne Natur, Ei- genfchaften und "VYirkungsarten haben« Diefe Erkenntnifs nenne ich Phyfik indem etwas erweiterten Sänne des Worts oder natürli- che V b i 1 o f o p h i e. Dei Endzweck derlei- ben ift blo's Tpectilative Wahrheit, und jeder Gpgenftand, von drin die e möglich ift, Als Gott, Geifter, S-eie, Körper o^er ihre Befthri- mungen , als Zahl. Figur, gehüren utitei die- len Zweig der Erkenntaifs.

% f. Practifche Wi ffen i'char'r,

II. P r a cti fc be W i (Ten fcha ft oder die Wiffenfcbaf' von richtiger Anwendung unfrer Kräfte und Handlungen zur RealiGrung guter und nützlicher Zwecke. Der wichtigfte Theil derfelben ift die Ethik. Sie nnterlucht die Regeln und Bpftimmungst-ründe menfchlicher Handlungen, welche zur Glückfeligk^it führen, und die Mittel ihrer Anwendung. Hier ift der Endzweck nicht blofse Specul tion und die Erkenntnifs der Wahrheit, fondern Sittlichkeit

und

Ein und zwanzigstes KapiteL 41^

und die derfelben angemefiene Handlungi- weife

§. 4. iS e 111 i o t i k.

ill. Der dritte Zweig der Wiflenichä'ft kanft S e m i ö tik oder die Lthre von den Zei- chen, und da die gewöhnlichen Zeichen Wor- te find, auch fil-lich Lo^ik gerannt werden. Ihre Beftimmurig ift, die N 'tur der Zeichen m betrachten , welche der Verftahd als Mittel braucht, um die Dinge zu verftehen , und ihre Erkenntnifs andern mi'zutf eilen« Denn die G>geuftände, welche der Verftand betrach»etj find nicht die Dinge Felbft, ausgenommen das Vorstellende felbft, das dem Verftande gegen- wiirtig ift. Es tnufs alfo dem Verftande etwas anders, als Zeichen und Reprafentant derfelben. gegenwärtig feyn ; und diees find die Voiftel- lungen. Da aber die Reihe von V'orßeilungeni welche das tnenfcölirne Denken ausmacht, nicht unmittelbar der Anfchauung eine« Andern dar- gfftellt, auch nur in dem Gedächrnifs , einem, fehr unfichern Behälter, aufbewahrt werden kön- nen, To Hndföwöhl zur Mither'ur g der Gedan- ken an Andere, jai^ts auch zur Aufbewahrung der- Telben zu tinferm eignen Gebrauch Z i i c h e n derVor Heilungen notwendig. Man fand aber keine zweckmS ^ijier dazu, als articnlirte Töne, und fie fw.d daher al'gemein gebräuchlich

Dd 2 ge-

+3Ö Vm-f.es Bück;

geworden» Die Betrachtung der Vorßellungea und Wo»te, als die wichtigfteri Werkzeuge der ErkenntinTs, daher kein unbedeutender Ge- £enftand deffcn, der die rnenfchliche Erkennt- nis »n ihrem garizen Umfange überfallen will. IJnd vielleicht würde eine deutliche beftimmte Unrerfuchung derfelben, mit allem Fleifse ange- stellt, uns eine andere Art von Logik und Kri* tik geben, als wir bisher kannten.

Diefes Tcheirt mir die erfte, allgemein- fle und uatürlicHfte Eintheilung der GegenftänJe unfers Verftandes zu feyn. Denn ein Menfch kann zum Gegenftande feines Den* kens nur entweder die Betrachtung der Dinge fe>bft zur Entdeckung der Wahrheit, oder die Dinge, die in feiner Gewalt find, d* i* feine Handlungen, zur Erreichung eines feiner Zwtk- ke, oder endlich die Zeich n machen, welche der Verftand in beiden Rüt kfichten als Mittel braucht, um Geh durch gehörige Anordnung deifelben defto deutlicher zu belehren. Alle drei Gegenftände lind von einander ganz ver- fchieden , und fie fcheinen mir daher die drei gröfsen, völlig von einander gerennten Pro* Tinica der Verftandesweit auszumachen.

Ab-

Abhandlung

über den

Empirismus in der Philofophie

vorz üglich

den Lockifchexi,

Dd 3

Abhandlung

über den

Empirismus in cUr Philofophie

vorzüglich

den Lockifcheu

W'pnn wir einen aufmerkfairen Blick auf den Zuftand der Philofophie bis auf Locke's Zei- ten weifen, fo dringen ß. h ups genug Tbatfa« eben auf, welche unleugbar beweifen , dali fie keinesweges fchon die erbabene Stuffe einer ftftijf^ründeten VYiflenfchaft errungen , ja dafs üe i o- h nicht eiumal auf dem fichern Wege dazu hch befand. S^it Arifioteles Zeiten hatt» fie an wiflenfchaftlicher Fortn wenig gewon- nen, fo viele Köpfe (ich auch mit ihr befchät- tiget hatten. Unbeachtet der Stoff der Wiffen- fch^ft ßefa anfebnüth gehäuft batte, fo war doch das Kapital des philofophifchcn VViffens

Dd 4 eher

i'# Abhandlung über den Empirismus

eher vermindert, als vermehrt. Die PhiloFü- phie bot das nicht fehr erfreuliche Schaufpiel von einem Gebäude dar, an welchem feit vie- len hundert Jahren viele Köpfe und Hände oh- ne gemeinfchaftlichenPlan undBaurifs gearbei- tet hatten; wo Jeder nach eigenem Gutdünken Materialien herbeifch äffte, unbeforgt, ob und wie fie verarbeitet werden füllten, und ob fie zu dem Ganzen pafsten;; wo Jeder nach Belie- ben hinzufetzte, wegnahm , einrifs, wieder aufbauete; wo das Garze weder Einheit noch Haltung hatte, und von jeder heftigen Erfchüt- terung zufaramenzuftürzen drohte*

Die Haupturfache von diefem mifslichenZu? ffonde der Philofophie war vorzüglich diefe, dafs die Denker immer mehr darauf bedacht gewefen waren, ein Ganzes der menfchlichen Erkenntnifs fo fchnell und bequem zu Stande au bringen, als es ihnen möglich war, aber ■weniger ernftlich an das dachten, wae notwen- dig vorausgehen mufs, wenn ein folches Unter- nehmen gelingen foll. Denn was könnte man wohl mit mehr Recht erwarten , sls dafs man vor allen Dingen mit der Unterfuchung über den Begriff und Umfang der Philofophie, über die Piobleme, die Ce aufzulöfen, und die Mit- tel, wodurch fie diefelben aufzulöfen hat, kurz jiber den Inhalt und die Form der Philofophie auf das {leine gekommen f?yn werde, ehe man

an

in der Philolbphie. +2.J

an ein SyCtem der Philofophie gedacht b2be. allein die Gefchichte der rhilofqphie zeiget, dafs irjan an diefe Unterteilungen immer atn ivenigflen und am letzten gedacht habef

Daher läfst fich die Zerrüttung und die An- archie auf dem Gebiete der Philofophie fehr natüvlich erklären. Nicht leicht wird man eine Wiffenfchaft nennen können, in welcher fj> viel Willkührlichkeit in dem Inhalte und der Form geherrfcht hat, in der das Verfahren aus pinem Extrem in das andere fiel, und über ei-« nen und denfelben Gegenftand fo entgegenge- fetzte Behauptungen fich durchkreuzten»

Das Gebiet der Philofophie war. nicht allei« an Geh zerrüttet, fondem die Philofophie war auch in einen harten Kampf mit der Theolo- gie verwinkelt, der nichts weniger, als ihre Exifienz und Würde galt. Ob die Vernunft der höchfie Gerichtshof der Wahrheit fey, von welchem nicht weiter appellirt werden könne, pder ob fie nur eine untergeordnete Inftanz fey. Und ihre Au;fprüche einer Beftätigung und Be- richtigung durch die Offenbarung unterwerfen muffe, darüber war fchon lange geftritten wor- den, ohre dafs etwas ausgemacht war. Die Theologen behaupteten das letzte, die Philo- Fpplien das erfte. Jene hatten die Mehrheit und Einhelligkeit auf ihrer Seite, und fuchten

Dd 5 ihr«

426 Abhandlung fibei den Empirismus

ihe Anfpri che durch göitliche Au*fprüche gel- tend zn machen. Diefe lagen mit fich felbft in Strei , und ihre Uneinigkeit lieferte ihren Gegnern die Waffen gegen hch felbft in die Haiu e.

So v'nr^e der Philo fppbie von A'dsen ibre ob:c'iv* Realität fireiti^ gen. acht. In fich fe bft hatte fie zu wenig Feftigkeit und Haltung, Ihr G b;tt Wdr durch keine Grenzen beftimrnt; fie irrte auf demfelben als ein Flüchtling herum« Sie fand a f demselben nichts durchaus Haltba- res, woiauf he fich hätte ftützen können.

Bei dierem Zuftande wäre es keine wunder- bare, finidern PeliT natürliche Erfcheinung ge- wesen, xv< nu keiu Gelehrter noch einigen An« theil an den Angelegenheiten einer fo mifsiichen und we^ig Bf ohnung verfpTechenden VVillen- fchaft genommen , fondern fie ihrem eigenen Sctiickfal übeTlaffen hätte. Doch die Vernunft erhielt, ungeachtet der fo ungücftigenUmftän- de, das Intereffe, und t>öthigte jeden denken- den Freund der Wahrheit, feine Kiäfte aufdie Begründung und Vervollkommung derfelben zu wenden. D^s Ahnen einer feftgegründeten Philofophie ift der Vernunft natürlich und von ihr uniertrennich , weil es eine FqUe ihres Streben« nach fyftemati eher deutlicher Erkennt- nifs der in ihrem Wefen gegründeten, fich

durch

in der PJiilofophie, 4i?

durch Gefühle dem gemeinen Menfchenver- ftande aufdringenden Federungen ift. Diefes Streben erzeugte von Zeit zu Zeit neue V'erfur che redlicher Forfeher und Freunde der Wahr- heit, den philo'ophifrhen Wahrheiten, fo wie überhaupt der menfehlichen Erkenntnis, einen feilen Grund , Einheit und wiilenfchaftliche Form zu geben. Hieher gehörr auch Locke's Verfuch über den menfehlichen Vtrftand, der, ungeachtet er nicht leiftete, was er leilten follte, doch an fich und in feinen Folgep immer eine merkwürdige Erscheinung auf dem Gebiete der Philofophie iß, und ungeachtet der weit wich- tigern, in unfern Zeiten vorgegangenen Revo- lution, bleiben wird. Folgende Betrachtun- gen h?ben die Abficht, denfelben in Rückficht auf feine Veranlafluiig, Zweck, Ausführung und Folgen naher zu beleuchten.

Die Veranhflüng zu diefern Verfuche war eine aufmerfafatne Betrachtung des damaligen Zuftandps der Philofophie. Schon Cartes hatte ficu cie Bemerkung aufgedrungen, dafs die Phi- lofophie einer gänzlichen Reform bedürfe. Et fand für nötbig, von einem allgemeinen Zwei- fel auszugehen , fich von allen bisherigen Be- hauptungen loszufagen , und einen unleugbaren Satz zum Grunde zu legen, um auf dalTeibe ein Syftein von gründlichen Ueberzeugungen zu hauen. Diefes Verfahren half zwar dazu, die

Phi-

428 Abhandlung libev clen Empimmtii

Philofopbie von unnützen Grübeleien zu be freien , aber es frhlte ihm an Principien, einei reuen fiebern Grund zu legen. TJnterdeflei machte er doch zneift auf das ßsciür^nifs, der Hienlchlkhen G> ift zu untprfuchen , aufinerk fam , und Locke nahm diefen Gedanken vot neuem auf»

Es war eine fehr glückliche Idee, dafs Lg» cke die Unterfucbung des Frkenntnif>verrT<ö- gens oder des Verfiandes für die wichtigfte Angelegenheit der Vernunft, und für die Bedin- gung der wahren Philofopbie erkannte* Mi( Recht glaubte er, dsTs nur dann Friede, Einig- keit und Wohlftand auf diefem Gebiete berge- Hellt: werden, dafs die Philolophie nur dann ihre Rechte und Würde behaupten könne, wenn die Grenzen des menfchlichen Verbandes gründ- lich unterfucht und feit beftimmt wären. Denn siur dann , wenn diefes gefebehen ift, wenn das Gebiet des Erkennbaren und Nichterkenn- baren von einander gefchieden ift , kann die Vernunft hoffen, ihr beftimmtes Feld mit Vor- iheil anzubauen , und darf nicht befürchten, auf etwas Unmögliches ihre Kräfte zu ver- fchwenden Die Vernunft hatte nur zu fthr jhre Grenzen verkannt , und fie konnte nur durch vollftändige Kenntnifs des menfchlichen Geiftes zur Erkrnntnifs jener gelangen. Das Gefühl diefes Etdürfniffes war ein Zeichen des

Fort-

in der Philofopliie. 429

Fortfcbritts zur wiffenfch iftücheto Kultur der Vernunft; allein die vollkommene Befriedigung deflelben \y ir für jene Zeiten noch nicht zu er- warten J ehedie Unterjochung gelingen konnte» tnufsten mehrere mif lungene Verfucae voraus- gehe:!. Es fehlte noch au allen Bedingungen* die das Mißlingen verhüten konnten, nehm- lieh Principien zur Einleitung, Beftimmung und Auflöfungdes Problems. Es war nicht vnliftän» dig und beftimmt gefätet ; wie konnte die Un- teriuehung deilelbeu befriedigen ?

LocVe blieb bei der erfien Anficht, weiche ihm der Zuftand der FhüofOphie darbot, fle- hen. Er find eine Menge wklerfH' itendei Sa- tze und Meinungen, die alle für Beftindtiiede der Hhiloföphie ausgegeben Wurden; er fand, dafs die Phdofophen in den meiften Pun.:teüv uneinig, in den -We.uigften einhellig waren. Spitzfindige Specufationeu aller Art, von de- nen kein Nutzen abzufeilen war, Streitigkei- ten über unbedeutende Gegenttande t&it tiuer Hi'ze geführt, als wenn es das Palladium der IVlenfchheit gelte» machten den Inhalt dfflen aus , was für Philofophie wollte angefehera feyn , und aPes war in einen "schwall unver- ständlicher Worte und Terminologien gehüllt» Und auf eine den gemeinen Monfchenverliand abfehreckeude Weile behandelt. Diele- iftdas Factum. Und die Urfachen? Findet er nur in

dem

430 Abhandlung über den Empirismus

dem unrichtigen Gebrauch der Begriffe und ■Worte, Die letzten haben entweder keinem Öder keine befummle Bedeutung, oder fie wer den mit dem Bezeichneten verwethfelt. Die Begriffe find entweder undeutlich, unbeftimmt, oder lie haben keine objeelive Realität * fie werden nicht richtig getrennt o 'er verbunden; ihre Verbindung beruhet a r keinen Gründen. Diefes find die näenften Urfächen , die er rn- piebt , und fie machen das Factum erg^bilicH felbft aus. Die Forschung bleibt da fte'uer., wo fie hätte anFangen follen. Eine tiefer ein- dringende Unterfiichuhp über die letzte Urfache des Grundübels d r Philosophie. daf> fie nicht den Rettern G ;<g einer Wdtni'chaft einf hlä- gen kann, hätte jjeWiis dem fcbarFlinnigen Phi- losophen eine neue Ausficht eröffnet, und ei- nen Gffii ht>pi>nct gegeben, aus welchem f»ch das aufzulötende Problem in einer ändern Ge. ftalt dargestellt hätte»

Diefe Unterfucbiing würde ihm auch noch einen andern wichtigen Dienft geleiftet .haben; nehmlich den Begriff von Phiio'op ue zu fixiren, fie als Wiffet.fcha t von beftimmten Inhalt und Form zu beltimmen, und die Foderun-en mit Präcifiön anzugeben, die man an Ge thun kanri iind thun nnifs. Allein er läfst fich in diefe* Untfrfucnung g^r nicht ein. Obue die unent- wickelte Idee von derPhilofophie zu erörtern;

Scheint

in der Philo fophie. 431

fcheint er rnr d rauf he 'acht £jeweren zu r' vri, dif^ P liilofophie g< i>en den Vorwurf dr>r unnüt- zen. Spvcuiation zu retten, und um diefe alvu- fchnjiden, weilst er ihr lOgleicfi die Sichentei- lung und beq'Jensiirhkf it des rhenlcl.lir.k r, Le^- bens und die ii-rreichuiig der Glüukieiigkeit als Zweck an.

Man fifhet aber bald, was ihn von allen diefen Unteriiichnnfien zurück Tel. rc ckte. Nach jener Vorftcllung von d^r Philofophie ift ihr Charakter Geinei»ir.ütz.igkert, und was damit unzertrennlich zuIam menhängt, Gernoii;fa'siich- keit Diefen Charakt-r loll auch :<~>n '• fdiicli an fich tragen; er foll nichts entfalten j was nicht jeder Menfch , wenn c: nur gel und«, n IVlenlchenrerftand befit/t, verftfh^n und faf- fen kann. Natürlich durl'fe tla< ' io-iem nicht zu hoch geftelit werden, dann fein Ftibahvoh allen gef fst werden konnte, und die üriferFa- chung durfte nicht zu tief eirdringen , \vr n fie nicht unverftändlhh werden fbllte. einfeitig diefe VorfteM.ingen find, fo verdtenÜ n fie doch nachiichtsvölie BeUTthfeiln'rfg . weiin man fich in den GeGchtvpmikt des Ph-'-bfourj n verfetzt. So wie fie aber einf Folge ibn cerrj vorhergehenden Znltande der Pii:'c> bpriie . a- Ten , fo haben fie auch nicht alb-ir ättf . n L-icki chen Vfrfüch, (ondem auch nc-! Fpäter- hin auf den Zuftand derfeJben Ein/iuii geh brj

in

433 Abhandlung über den Empirismitf

indem man den Charakter des Philofophifcheii in dem Wichtigen und Gemeiiir.iitz.igen fuchte*

Hierzu kam noch ein anderer Ümfland, Locke verfichert an vielen Stellen, dafs er an- fänglich geglaubt habe* diefen ganzen Verbuch in wenigen Bogen zu vollenden; der Stoff fei- ner Betrachtungen habe fich während der Ar- beit vermehrt, und er fey weiter gegangen* als er arfanglieh gehen zu muffen gedacht ha^ be. Viele Abfchnitte und Betrachtungen find nach und nach hinzugekommen , und vieles könnte wegbleiben , ohne iSachtheil für das Ganze. Hieraus verräh geh der Mangel eines ■vollftändigen Plans, die AbWefeüieit von Prin- cipien, nach vvekhec beftimmt werden konntei was und wie es unterfucht werden muffe.

Kach a!'e- diefen vorgärgigen Betrachtun- gen wird man fchon die Erwartung von diefera Verfuche einet Grenzbeftimmung des Verftan- des herabftimmen müffer. Wirklich ift auch das Problem fo gut als nicht aüfgelöft zu be- trachten. Wenn wir diefes behaupten, fo wol» Jen wir aber weder die Ungerechtigkeit gegen den englifchen Philosophen begehen j däfs wir von ihm foiiern, was damals und auch fpäter- bin nicht möglich fchien , ja ohne eine gsnz neue Anficht eines Originellen Geiftes kaum geahndet werden konnte» bocu feinem Verfuche

allen

in der Pbilofophie. 433

allen Werth und Verdienft abfprechen. Wenn wir an ihm jenen philofopbi'chen Forfchung«- geift, der fich zu hohem Gefichtspunkten erhe- bet, und von dein Gegebenen zu den Grün- den und Bedingungen fortgehet, und einen ftreng ryTteinatifchen Geift vermiflen, fo Hoden wir dagegen einen Erfatz dafür in feinwr Ge- radheir , Offenheit und lautem Wahrheitsliebe» Er ftellt die H uiptmomente der empirifchen Philofophie ohne fyft^rnatifche Zurüftung und ohne künrt;iche Verbrämungen in der Anficht dar, die er von ihr gewonnen hatte, ohne ih- Te Mäuse! und Scwächen abfichtlich dem Au- ge zu entrücken. Diei'es war witklich ein Ver« dienft um die 1 hilo ophie, wozu noch ein an- deres kommt, dafs fein Veriuch die Noibwen- digkeit einer neuen Unterfuchung des Verftan« des erft recht ins Licht fetzt. Von allem die- fe<n werden fich die Lefer am bpften überzeu- gen, wenn wir den Gang des Philosophen ver- folgen, und die Hanptfätze feiner Philofo- phie in eaner gedrängten Ueberficht darftel-

Locke fängt die Unterfuchung über den Wenfchlichen Verftand und ferne Grenzen mit der Nathforfchung des Urfprungs und derQuel« le aller Vorftelluegen an. Er mufs erft die Ma- terialien des Verbandes überfcblagen , ehe et das Erkenntnisvermögen auszumefTen wagt. Locke'«. 1H. Thcil. E e

43„4 Abhandlung über ilen Empuismu*

Da aber die Bebaupr.tnii von angehörten Be* güöm und Sätzen hie und da Avhä? ger f.md, ii ;d kurz, zuvor durch die K.irte tanifche Soui- Je ein neues Gewicht <ih It.-n hatte* o lohten ei »ötfiig, diefe tu prüfen, ehe die Queiie al- ler VorfieUun^en unter uchr werden konnte» Je?.es gelchiehet in dem eitlen, difcfes in dem zweiten Buche»

Die Lehre von den angeboTien Ideen Fühlt et\v.< Dunkles und JVlyftifcb.es bei fich. Die meiRfn Ihüofophen , die de annahmen, hat- test Geh ithi deutiiih eikiärt, W3S fie darun- ter vetliehi-a wollteu. Der Hauptgrund, warum fie angsborne ß griffe annahmen, lag wohl dar- in, dah. fie in ihrem r>ewufi>tfpyn Begriffe ent- deckten, weiche fie aus der Erfahrung nicht ableiten konnten. Dicfe beflreitet Locke, ob> i i lieh nur eine Frage, wegen dfcm Sinne und fteh Gründen die. er Behauptung vorgelegt zu haben, intern er unter ihnen Betriff.' verfte- hef» we lehre die Mcnfcben mit vollem Bewuist* feyn von ihrem erlhn Dafeyn an einpfa gen haben. Der Beweis, dafs es in riiefem Siu.,e keine angebornen Begriffe be , wird ihm fehr leicht. Denn es ill T!.atl«iche, dais nicht alle Menfchen, nicht in jeder Periode ihres Le- bsns fii h dieser Verftellungen deuJicb btWii'sC find. Da* Denken derlelben ohne Bewirfst ff yti aber tui Widerfpruch» Wenn man aho nichts

an-

in der Philo foplii«. 43 f

anders, als diefes, unter angebornen Begriffen verfteht, Co ift gegen feine populären , allge« meinf fslichen BeWeife nichts einzuwenden. Sie find aber keinesweges widerleget, wena lieh ein anderer vernünftiger Sinn mit ihnen verbinden läfst, welches wirklich der Fall ift» Seine fiegreichen Gründe haben alfo keinen andern Nutzen gehabt, als die fehwäcbe Seit« der Behauptung von angebornen Begriffen ins Licht zu fetzen, und ihren Vertheidigern den. Weg zu lehren, die Gründe dafür mit giöfse- rem Gewicht au fzti (teilen, Diefes that Leib« ritz. Locke aber glaubte fie durch feine Gründe Vollkommen in jeder Rückficht befiegt zn haben, und 'O blieb ihm nichts anders übrig, ajs den Urfprung der Vorftellungen empirifcbi zu erklären.

Der Urfprung der Vorftellungen kann fo> Wohl ihre Entftehung in dem Bewufstfeyn . als ihren Grund bedeuten. Es ift eine Thatfache, dafs alle Vorftellungen, deren fich ein Menfcl» bewußt ift, zu irgend einer Zeit zum erftenmal zum Bewufgtffyn gekommen find. Man kann bei vielen bis auf diefe Entftehung zurückge- hen, und andere Vorftellungen, Handlungen, Begebenheiten angeben, die dazu beitrugen, dals diefp oder jene Vorftellung gerade zu der Zeit emftand - Wenn auch jeder einzelne JVIenfch diefe Entftehung nur von einigen Vor«

£e a fteU

4}S Abhandlung über den Erm>irr»mu*

ReUvpßrn angeben kann , fo es doch antfo- giic'a v ahifcheiulicli. dafs es ton allen Vor- ftpllungen gelte. Es iltzum weiiigCten möglich, wenn man bei dicfer Nachforlthung von den cinfchrSirkenden Bedingungen der Individuen abftrahirt , und es zum Gegenftande einer all- gemeinen Aufgabe macht, die VcanlalTmien «od Bedingungen, welche vor dem elften Be- Wuf>tft>'n J.edpr Vorfieliung hergehen , und fcheife auf erlich, tbeils innerlich find, zu be- ßiiumen. Obgleich aber von jeder Vorftellu g ihr 7eiturfprnng als einer innern Begebenheit <3e< Geinüths tregeb^n werden kann , fo folgt doch nicht noth vendig daraus, dafs der Grund jeder Vorftellung eiWas iu der Ztit gtg be- nes ift.

In diesem Sinne aber verficht es Locke,

I

wenn er i\zch dem Ur p»uuüe und der Queile der Vorftellungen fragt. Er behauptet, "Siln Vorftellungen entfpringen aus der Empfin- dung und Reflexion. Die Empfindung lie- fert uns Vorftellungen von äufsern Objecten, die Reflexion von innern Veränderungen und Vermögen, Empfindung entftehet dann, Wenn die Sinne von äufsern Objecten afficirt werden. J\t flexion ift das Bewufstfeyn der innern Thä- tiskeiten des Geinüths, welche Vorftellungen zum Gegenftandp haben; und diefes entftebet dann, vrenn das Gemüih dinAuhnerkfamkeit

auf

in der Philosophie. 437

auf diefe Thätigheitpn richtet. Da Lock* felbft gefteht, dafs die Reflexion glsichfam der innere Sinn iß, fo kann man alfo fagen , der äufsere und innere Sinn ift in dem I ockifclien Syftern die Quelle aller Votftellungen, „Die äuf.ern materiellen Dinge als Objecfe der Em- pfindung und die Wirkungen de? S ele als Ob_ jecte der Reflexion und die einzigen Grund Ref- fe 1 aus welcbeo alle äufsere Begriffe er Sprin- ger. " (.2. B. 1. Kap. §. 4) *) Diefe Behaup- tung charakterifirt Locke» Pbilqfophie noch nicht hinlänglich ; denn Ge kann in einem fol- chen Sinne genommen weiden, dars fie Och auch mit der enrgegengeft-tzeen 1 heOrie ver- trägt. Wir müften alfo bemerken , dafs er dis Vorftellungen von den äufsern Ohjecten durch die Empfindung gegeben werden läfsr, und dem Gemüthe keinen Actheil dabei zu- fchreibt , als dafs es diefelben empfangt. Durch die Refiexiqn aijf diefe vorhandenen \ or» ftellungen erhalt das Gemüth in dem inneru Sinne innere Verkeilungen , z, B. Einheit, Exi- ftenz, Zeit, bei denen es eber.f.ills nur Em- pfänglichkeit äufstrt. Alle VoifttUungen, wel-

£e 5 che

*J Man roiifs uniev der Reflexion nicht allein die Richtung dei AufitieikfaiiiLeit aul die Tdätigkci« Ken desGemüihs, iondem auch auf die Ichon. vorhandenen Vorstellungen verliehen. M«in vei- jleiehe z. B. 2. B. 7. K<>p. $. 7. 3, e.

'43$ Abhandlung über den Empirismus

che den GrundftofF jeder Erkenntnifs aufma- chen, entftehen alfo durch das Afficiertwerden, fie werden dem Gemüthe gegeben, nicht voa demfelben gebildet. Hierin liegt der empi- rif che Charakter der Lockifchen Philolophie.

Wie foll nun diefe Behauptung von dem XJrfprunge aller VorftelluDgen aus der Erfah- rung bewiefen werden ? A priori kann üe nicht, denn es glebt in diefer Theorie keine Begriffe a priori; alfo mufs Ge a pofteriori be- wiefen werden » dafs man an wirklichen Bei«» fpielen den empirifchen Urfprun^ zeigt. Die- Tes könnte aber nur durch vollftändige Indu- Ction zum Beweife werden. Diefen Weg be- tritt auch I ocke, und theilt daher die Vorfiel» Jungen in einfache und znfammengefetzte , um die Induction abzukürzen, und fich dsr Voll- ßändigkeit zu verfichern. Er hat alfo zu zei- gen, dafs alle einfache Vorfiellungen dem in- aiern und äufsern Sinne gegeben werden, und dafs alle zufammengefetzte durch das Zufam- men fetzen der einfachen entliehen. Das eine ift fo tuifslich, als dzs andere. Denn fobald nur eine einzige Vorftellüng ar.fgewiefen werden kann, die nicht auf diefe Weife hat entftehen können, fo ift der gante Beweis um<?efto^en» Auch hat fich Locke keine forderliche Mühe gegeben , Andere von der Voliftändigkeit der Induction zu veifichern , und dadurch diefen

Puact,

in dev Philofoplii», jgp

Purct, um den (ich feine ganze rbiTofophrfe drehet, zu befolgen. Denn er gr flehet lelbft, es fey nicht feine Abficht, alle Vorftellungen, fordern nur die \ Orrehmften zu unterhaben. Sei^e Philosophie fpricht darin gegen Leb, felbft das Unheil aus.

Er vfrTftehet aber unter einfachen Vor- nellungen nicht abfolut, fondern nur cpmparativ einfache, nicht folche, welche fchlechtcrdings kein Mannigfaltiges enthalten, find fich in keine Thei votfteliungen aüfiofea lallen ; rondern nur folche, die keine hetero- gene 'I heile enthalten, und nicht durch Zu- Jammenfctzung ve tfchiedenartigei Vbifullungen gebildet find, Raum und Zeit 1 ilen lieh nicht ohne alle ZufaHnmenfetiung de»;ken , ihr We- fen beftehel vielmehr darin, dais lie aus Thei- len zufamruengeistzt find. Da aber tuefe 1 hei- le al!<3 einartig fird , und keine andere Vo Tei- lung eingemischt ift , fo behaupten fie denro< h ihre Stelle unter den einfachen Voftellungen. (s?.ß. 15. Kap. §, 9.) Diefe einfachen Vorftel- lunaeo werden in vier Arten eingeteilt. Ei- nige e*ntfpringen nehmlich aus den aufsern Sire- nen, thei!« aus einem allein, rheils aus meh- reren zugleich, oder aus der Reflexion, oder endlich aus den Sinnen uj.d der Reflexion zu- *•]■ iih i-o entlieht durch da Gefühl die Vor- stellung der Dichtheit : durch das G*iuU» und

Le 4 Ge-

4.^.9 Abb. an dl un» über den Empirisrnn»

Geficht zugleich die Vorftellungen vom Raum, Figur, Ruhe und Bewegung; durch die Re- flexion Vorftellungen von den Thätigkeiten des Gemüthsj durch die Sinue und die Re- flexion endlich die Vorftelluneen von Verguü- gen und Schmerz, von Kraft, Exiftenz, Ein- heit und Dauer, oder Zeit. An einem andern Orte zählt er die urfprünglichen Slam Inbegriffe, ▼on welchen die übrigen alle abgeleitet wer- den können, fo auf: Ausdehnung, Dichtheit, Beweglichkeit, Vorftellungskraft oder das Den- ken, Bewegkraft ^Spontaneität), Exiftenz, Dau- er, Zahl. (2. B. 2t« Kap. §. 73.)

Die zufammengefetzten Vorftellungen find ▼on dreierlei Art, nehmlich entweder Acci- denzeu (Bestimmungen) . die nichts für fich Begehendes entha'ten ; Subftanzen und V e r- hältniffe. Die Beftimmungeu find theils rein, theils gemifcht, jene beftehen aus ein- artigen , diefe aus verfchiedenartigen Vorftel- lungen,

Diefes die Lockifche Stammtafel der Be- griffe, Mit Uebergehung aller weiterer Grün- de begnügen wir uns mit einigen Bemerkungen fowohl über die Clafftficatio» , als ihre Ablei- tung. Es ift zuerft auffallend , dafs die Grenz- linie zwifchen einigen zufaramengeletzten und •infachen Verkeilungen fo wenig beßimmt ift,

dafs

in der Philofopld«- 4-1*

daTs man gewiHe Vorfiel! ungen mit eben dem Fechte unter die einfachen oder zurammei.ge- fetilen rechnen kann. Wenn nehmticn nach dem obigen Raum und Zeit k^inesweges abfo- iut einfache Vorftellungen Gnd , fondern Thei- le. obgleich einartige, enthalten, fo fallen fie mit den Vorftellungen, welche locke reine Brftimoiungen nennt, in Eins zufammen.

Die Begriffe von Subftanzen werden als zufammengefetzte betrachtet- Sie find aus den einfachen Vorfleliungen von Ei^enfchiften, wie fie die Erfahrung giebt, und dem Betriff der Subftanz , d. i. dem Subjecte , welchem je- ne Eigenfchaftcn inhäriren, zofatnmengefetzt. So wichtig alfo der Begriff 'der Sdbftant ift, fo hat ihm doch Locke weder unt.?r den eiufa- chen, noch den zufammenge.'etzten Vorftellun- gen eiue Srelie augewiefen ; ja , er gefleht fo- gar , dafs er weder durch die Empfindungen, noch durch die Reflexion eotftanden fey uder entftehen könne. (I.B 4. Kap. §, lg.) Die- fe> ift wohl ein unleugbarer Beweis, dafs die Stammbegriffe nicht vcdlftändig aufgezählt find. Es giebt deren mehrere und noch ftärkere, aber wir bleiben bei diefem ftehen , Weil er au* diefer Philoibphie felbft genommen ift. Zwar möchte er feine Lefer gerne bereden, diefen Begriff als etwas Entbehrliches und Unnützes atuufehen, mit dem man nichts anfangen kön-

Ee 5 ue<

'14» Abhandlung über den Empirismus

n^ das würde ibrn aber b^fler gelungen fern, wenn er f<To*t dt ITelben in tein'-r RbJJo.fppb.ig hätte entbehren können , und wenn nicht auf derselben eine wichtige Fdafie von zufarnmenge- fetztrari Begriffen beruhete. Das GefiäncJnifs, dafs man £enöthi&et fey , Heb ein Etwas zu denken, in dem die Accidenze» gegründet und \-ereirnget find , hätte ihn ichon allein neüim? men muffe«, den UiTpruag des Begrifft in dem Denkvermögen aufzufucheu, wenn er nicht, nacti feiner Anficht alles von Objecten aufsei dem Verftande abzuleiten gewohnt, diefen nur als das Vermögen, das Gc^i b^ue walirzuneh- inen, betreuet hätte.

Es wäre überhaupt nur ein glücklicher Zu« fall, wenn die ursprünglichen Begriffe vollzäh- lig aufgefunden wären, da zu ihrer Aufsuchung gar kein Leitfaden vorhanden war. Denn dia Einth jlung in einfache und zufammengefftzte Vorltellungen taugse nicht dazu. Um fich zu verfichern , alle eiiifachen Yoiftellurgen voll» ftäudig gefunden zu haben, mufsten auch alle aurammengefetzten zerglirdert werden , weil in "ihnen ir arebe einfache YorfteMui.g verbor- gen feyn konnte. Wer mag aber diefes Gefch ift übernehmen, oder wer kann behaupten, a' a Vor ft' Illingen zergliedert zu haben? dSuf die- fem Wec,e ift alfo W; der Volluändigkeit zu er*» warten, noch ein Ueweis für fie zu füixrit».

Was

in der Philofophie, 443

Was endlich die Ableitung der einfache*» Vorftel.'urgen betrifft, i'o ift fchoa der BegTÜf der Suoftan? eine fehr vyiciuige Inftanz, dage- gen. Wenn alle Vorftellungen aus der Empfin- dung und Reflexion enifpringen, fo mtifs die« fes auch von d'efern Begriffe gelten, Ift das aber nicht der Fall, fo kann diefe Theorie von dexi Quellen der Vorftellungen nicht die jich- tige feyn. Aufserdevu hat diefe Ableitung zn offenbare Schwächen , ah dais he befriedigen könnte. Wie die Vorftellung des Baums aus dem Gefühl und GeHcht emftehe, wird. nicht gezeigt , ob es gleich behauptet wird, (2, B. 5, Kap-) Freilich wird der Raum als ein äußeres Obje-ct angeffrhers , welches die Sinne aflitirr, nur ift diefes nicht bewiefen und nicht gezeigt worden, wie es möglich fey, den Baum al$ etwas für ßch Befir-hendes , von Körpern Un- abhängiges zu denken. Die befondern Merk- male, wodurch fich diefe Vorftellung auszeich- net, (2. B. 15. Kap) hätten fchon aliein di§ angegebene Entftehtmg verdächtig machen muf- fen. Die Unendlichkeit des Baums, dafs min nicht nur jeden Raum in einen Raum fetzen, fondern auch jeden Theil des Raums aus Räu- men beliebend denken mufs, ift fo etwas Auf- ferordentlichcs , das aus keiner Empfindung er- klärt werden kann. Eben diefes gut auch von der Zeit, welche von der Reilexion über dio Fol^e der Vorftellungen abgeleitet wird. Da

diefe

444 Abhandlung über den Empirist»«

diefe bei verfcbiedenen Menfchen verfchieclen ift, fo pjüfste nach dieter Theorie die VorfteU lung der Zeit verfchieden feyn , und die Zeit könnte nich; unendlich feyn.

Ueberhaupt aber flehet man, da/s Locke bei diefer Erklärung des Urfprungs der VorfieJ- lungen frhon voraisfetzt, was er erklaren will. D e Folge der Vorftcllungen fetzen wir fchon in die Zeit; arftatt ans diefer Folge die Vor- fiellnng der 7eit abzuleiten, ift die Zeit fcr>oa notbwendig , um Geh nur eine Folge vorftellen zu können. Finen Körper fttzeo wir aufse» uns in einen Raum , diefen in einen andern Baum. IVlnn kommt durch Reflexion über die- fe Voi ftel!ur>gen allerdings auf Rjum und Zeit, aber nicht auf Hie uTfprürgHche Vo»ftellung da- von, fondern eine abgeleitete. Denn jede Vor- ftellung in uns ift in der Zt-it, und jedes Ob- jeet aufser uns in dem Kaüme. Was aber die- fer AbU itung den Schein von G. ündlichkeit g:-»b, war diefes, dafs Locke, ohne einen Unterfchied zwjfehen Anfchauungen und B griffen , zv/i» fchen empirifchen und reinen BegriEfen feftzü- fetten , wirklich linnliche Vorfiel! ungen aus der. Sinnen abgeleitet hat, weswegen gegen die andern kein Veiddcht fich hervoithat.

A'le einfache Vcft Illingen werden ra>h die fei Thtorie demVerftande gegeben, dei lieh

4*

in der PhilofopTne. ^j

dabei gsnr leider.d vetha't , und Ge nur ein- pf? ?t und Wahrnimmt . das heifst . ihrer be- Wii'si wird Dn-Ies ifl <^ie Stütz ■• im . der Gi«nd- p¥- iler der giozen Tb&otie. Nachdem Locke glajbte erW^elVu *u h.ben, das es kvine an- l^ebomen Vorftellnugen gebe, und dafs ali'o ur* fprÜDglich rieh 5, A$ das Vorifcr -llungSv f rmö- gen in dem Gemache enthalten fr'V , Ig (chlefr er, die einfachen V Orft« ib'iig-b, ais der erfte Stoff alles VorfteHens. müde .ler Seele g*?ge,b n Werden, und er behauptete dieles allgem< in von allen einfachen Vorfrei lurgen, tmttie f;ch du»ch einen wichtigen Umerfehied der V'QirfyNimgea irre machen zu lauen. Eben ^iefe ßeha"p« tung verichlofs ihm auch alles weitere Eindrin- gen in die Natur und Functionen des Verftaa- des. Denn ohne zuvor für üiefe . ürfh?Uung*aTt eingenommen tu fe>'n, hätte e? doch wohi ahnden muffen, dafs d:r Verltaad oei einigen, die ein Mannigfaltiges , getrennte, a er noth wendige Theile enthalten, doch woal etwas mehr thun muffe, ah lie ficJl geben ?u Haffen. Die Functionen des Vcifär-ndes w.-Tdeu in der ganzen Theorie, Ielt.it bei Ana zulaio- feienge fetzten Begriffen nur leite b -rübit. mehr aufgezählt, als erörtert. Es war dem 1J.. ilo o- phen , wie es fcheint, mehr darrtun zu thun, diezuf unmengefetzten Begriffe in ihre Befran4> theile aufzulöten , nud dabei nia che phüofo- plulche i*ue und Streitfragtn zu erörtern , als

4<l6 Abhandlung über den Ertipirismn»

das Verftandesvermögeu und die Gefetze deflel- ben zu unterfucben.

Nach (liefer Ableitung ift leicht zu vermu- then , wie Locke in Anfebung der objectiven Realität der Vorftellungen weide gedacht haben. Die einfachen Voifttilungen muffen., da fie dem Verfremde gegeben lind, nOtnwefidig fich au£ reale Objecte beziehen , von denen fte abhän- gen. Ungeachtet diefer Realität nahm er doch nicht an , dafä alle Vorftellungen entfprechen- de Kopien der Dinge find, fondern er fetzte ei- nen merkwürdigen Unterfchied feft, daf man nehmlich einige Vorftellungen ihren Objecten ab Merkmale beilegen, andere aber rieht bei- legen kaiin. Ausdehnung, Geftalt, Bewegung find nicht allein Merkmale der Körper , info- fern He vorgefiellt Werden , iondern fie kom- men ihnen auch aufser und ohne Vorftellungea notbwenilig zu. Die Objecte (Jiefer Vorftellun- gen nennt er urfprüngliche Eigenfchaf- tP n; lner fallt Vorltelb.ng und Eigenfchaft voll- kommen zusammen. Bei andern Vorftellungen z. B. Farben, Gerüchen , ift das nicht der Fall, Di*3 Farbe ift in df-m Vorteilenden aber nicht in dem vorgel^eiiten Objecte, Obgleich in di?fem aneb efwas feyn mufi, was die V rltel- lung erzeugt, fo ift es doch nicht die Vorftel- lnng als Eigenfchaft , fondern nur der Grund der Voiftellur;g, Die Objecte diefer Vorfiel- en-

in der Philosophie.. 447

lungen nennt er abgeleitete Ei gen fcha fi- te n. Diefe beftcheu in Rückficht auf oieVor- ftellungen nur in Kiä'ten, jene hervorzubrin- gen, es !-nd aber keine conftitutiven Befand* th-ile der Objecf, wie die u fp unsicher, fon- dern nur Modifikationen der urfpsü* »liehen. Durch j( nfc einfachen Vorfiel lungen (teilt man fich die äußern (»egenliäude \or, wie He an fich find, durch diele, wie lie auf den Men- ftb.cn und andere Köipci wirkend

Diefer angeg'-benr Unterfcbied zwifchen am ütrprünglichr«n und ätfgeifeitete« Fl» . nfc iäfi n ift iwar richtig, aber au-> keinem befriedigen- den Grunde abgeleitet. Denn da d'.e VorficL ltn:gen von beiden aif einerb i Wege durch Einwirkung ihrer ObjeCie auf die Sinne entfte- hen, da beide objective Realiiiit haben > fo ift in ihrem Urfprunge und ihren Objecten kein Grund für den Unterfchicd enthalte«. Denn fowohl die urfprünghchen , als die abgeleite- ten Eigenfchaften find in Beziehung auf sine Vorfiellungen Kräfte, Vorfteilnngen su verur- fachen. Und wie kann mau Ach verfichern, dafs die urfprüngüchen Eigenfcl afien den Kor« pern an fich unabhängig von den Voiftellungen, zukommen, da man ohne Vorfteilnngen von keinem Gegenftande etwas weiis , und dielen nicht ifoüren kann? Etwa daher, da's ohne dieie Voriiellungcn kein Object io Räume vor«

fio-

448 Abhandlung ober den Empirismus

g e Ct e II t werden kann? Wenn die abgeleiteten Eiger.fr haften Modifikationen der ürfprüngli- chen find, !o ift es ja unmöglich, die ufrfprüng- lichen Eigenschaften abgesondert von ihren JVIodificäürtuen vorzuftelien , vielmehr noth- wendig. dafs die urfprünglicben Eigen fchaften, wenn üe dem Gernü.he Vorfteliungen von ficht geben, auch zugleich Vorfteliungen von ihren Mödificationen geben mülfen. Die Behaup- tung , dafs Ausdehnung» Gefblt, Dichtheit, Bewegung ursprüngliche» den Körpern ?n ficU zukommenden Eigenschaften find, ftreitet auch mir der von Locke fo oft wiederholen Behaup- tung, dafs wir das Wefen der Körper nicht kennen. Eine von beiden mufs fauch feyn»

Nachdem er nun den ganzen Vorrath der men Schlichen Vorfteliungen als Beßandtheile d«r Erkenntrifs geamftert , und einig. Betracht tungen über die Worte als Zeichen der Vorftel- iungen hinzugefügt bat, gehet er in dem vier- ten Buche zur Unterfuchuug der ErkenntniSs, als dem Hauptgegenftande feiner Schrift über. Das Wort Erkennen, EikenntniSs ift faß in je- der Sprache vieldeutig, eine Erfcheinung, Wel- che auf die Unheftimmiheir des Begriffs fchlief- fen läfit, Defto bedenklicher ift eine Unterfu- chung über diefen Gegenüand , Wenn fie nicht von bpftimmten Principien geleitet wird. Und WO hatte diefe Locke hernehmen Sollen?

Dia

der Pkilcfophie, 449

Die Erkenntnifs ift die Wahrnehmung der Verknüpfung und j Einfiimmung, des Wider« Tpruchs und der Nichteiufthnmung der Vor Hei- lungen. (.4. B. 1. Kap. §.2.) Sie ift nichts an- ders, als ein Verbinden und Trennen der Vor- ftellungen, und fie befteht alfo aus Urtheilen. Die Vorfteilungen können aber aus vier Ruck- lichten verbunden nndgetrennt werden , nehm- lich Identität und Verschiedenheit, Verhältnifs, Coexiftenz oder notwendige Verbindung und reale Wirklichkeit. Wenn dicfe Verhältniffa unmittelbar wahrgenommen werden, fo ift es* anfchauende Erkenntnifs; rationale, wenn fie durch Gründe ausgemittelt werden muffen. Die Urtheile, wo diefe Verhältnifle weder unmit- telbar , noch durch Gründe mit Gewifsheit wahrgenommen werden , machen das Gebiet des Wahrscheinlichen und des Glaubens aus. Die Sätze, welche das Dafeyn anderer Dinge aufser uns ausfa^pn, gehören eigentlich weder zur Erkenntnifs noch zum Glauben; doch fig- het fie Locke für eine Art von Erkenntuifs an, wei- che auf Gefühlen beruhet.

Es bedarf keiner Eiir-ncrung, wie unbe* ftimmt diefer Begriff von der Erkenntnifs ift. In demfclben wk d das Wahrnehmen , Denken und Erkennen nicht von einander eefchieden» Allp fubjeetiv« Urtheile haben nach demfelbeu Locke's. III. Thcil. ff iri;r

»

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4J0 Abhandlung über den Empirismus

mit den objectiven gleiches Recht für ErVennt- niffe gehalten zu werden. Locke nahm aber freilich alle Vorfiellungen für objectiv an , in- dem (je theils Objecte vorteilen, theils ihre ei- genen Objecte find, und er glaubte daher nicht nöthig zu haben, fich felbft die Frage vorzule- gen, wie ein fubjectives Urtheil objective Gül- tigkeit bekomme. Eben deswegen dringt er aber auch nicht weiter in die Unterfuchung des Erkenntnisvermögens und der Functionen des Verftandes ein, fondern begnügt Geh, für jede Erkenntnifsait ein befonderes Vermögen anzn- weifen. Das Vermögen der unmittelbaren, und gewiffermafsen auch der mittelbaren Erkennt- Iiifs ift derVerftand; der Wahrfcheinlichkeit, oder des unmittelbaren wahrfcheinlichen Ur- theils, das Beurtheilungsvermögen (Judgment). Die Vernunft ift das Vermögen, Gründe fowohl für die mittelbaren gewiffen , als wahrfchein- lichen Urtheile aufzusuchen. Auch konnte er nach feiner Anficht gar nicht auf diefe Unter- fuchung kommen , denn er behauptet , dafs die Quelle aller Erkenntnifs die Be- trachtung der Dinge felbft fey. (i.B, 4. Kap. §. 23.) Die Vorftellungen werden dem Verftande gegeben, Diefe werden von densel- ben auf mannigfaltige Weife modificiret, zu- faramengefetzt und verglichen. So ftellt fich die Identität oder Verfchiedenheit einiger Vor- fiel-

iu det Philofophie. ^jl

Heilungen unmittelbar dar, bei andern erhellet fie erft durch Vergleicht! ag mit andern. Es ko- ftet dem Veiftande in beiden Fällen nichts wei- ter , als das Wahrnehmen, welches gleichfam ein Sehen mit den Augen des Verftandes ift. Eben fo nimmt er andere Verhältnifle, dasVer- knüpftfeyn und die Exiftenz der vorgefiell'.en Gegenftände wahr. Denn wenn die Vorßellun- gen von äufsern Objecten gegeben find , fo inufs fich der Verftand diefe als exiftieiend den- ken. Uebe»baupi ift der Verftand genothiget, die Din°e zu denken und zu erkennen, wie fie find, und wie fie fich darfteilen, (,4, B. 13, Kap, §. 2.)

Diefe Theorie macht den Verftand oder das Erkenntnifsvermög^n ganz von den vOrgeftell- ten Dingen abhängig. Di« Te dictireo ihm gleich- fam , was und wie er erkennen foll. Seine einzige Function ift, zu Ithen , zu betrachten, wahrzunehmen. Zwar der Verftand verbindet und trennet auch VoifteUungen ; aber er entweder dabei an die Natur der Dinge gebun- den , od^r verfährt dabei frei und gefetzlos. Zum wenigftcn werden Keine Geletze des Ver- ftandes und der V». rnunft angegeben; felbft das oberfte Gefetz des Denkers, welches der Grund- falz des Widcrfpiucbs ausfaget, ift Dach Locke

Ff 2 uur

4JJ Abhandlung ubei den Empirismus

nur eine von den Difputirenden, willkührlich, zur Nothvvehr angenommene Regel.

Die Grenzen der Erkenntnifs werden in diefer Philofophie ebenfalls durch die Dinge beftimmt. Denn die Möglichkeit der Erkennt- nis reicht fo weit , als es Vorftellungen von Dingen giebt , und als ihre Einfümmung oder Nichteinftimmung wahrgenommen werden kann» Diefes hängt aber von der Natur der Dinge ab. Den gtöTsten Umfang hat die Er- kenntnifs der Identität und Verfchiedenheit, und der Verhältniffe ; denn diefe hat es nur mit analytifchen Sätzen zuthun, und abftrahirt von der Exiftenz der Dinge. Die Erkenntnifs der Exiftenz ift auf die Kürperwelt auf Gott und die Seele eingefchräukt. Die letzte erkennet jeder Menfch unmittelbar; Gottes Dafeyn ift durch Demonftration, und das Dafeyn der Kör- per aufser uns durch Gründe von Gefühlen er- kennbar. Die Körper offenbaren ihr Dafeyn durch Einwirkungen auf das Gemüth , die See- le dureh das Selbftbewufstfeyn , Gott durch die ganze Natur, Die Erkenntnifs von der Koexi- ftenz oder nothwendigen Verknüpfung ift die eingefchränktefte; fie findet nur in der Körper- welt ftatt, infofern Erfahrung und Beobachtung den Stoff dazu geben. Der Grund davon liegt in den urfprüngücben und abgeleiteten Eigen-

febaf-

in der PLilofopliie. 4J3

fehaften, deren Realzufammenhang derVerftand nicbt entdecken kann. Der Grund der Er- kenntnifs liegt alfo in dem, was gegeben wird, in den erkannten Gegenftanden , nicht in dem Erkenntnifsvermögen. Es ift daher ganz na- türlich , dafs keine weitere Grenzen und Ge- fetze' der Erkenntnifs angegeben werden kön- nen.

Wir ftoTsen hier noch auf eine fonderbare Erfcheimmg. Nachdem der Stoff aller Erkennt- nifs aus der Erfahrung von äufsern Objecten abgeleitet worden , denn die Vorftellungen der Reflexion fetzen die aus der Empfindung vor- aus, iffc Locke noch genöthiget, die Realität der Erkenntnifs der Kürperwelt durch Gründe für die Exiftenz der Körper zu beweifen, durch Gründe, von denen er felbft gefleht, dafs fie keine Demonftration find, weswegen er diefe Exiftenzialfätze weder unter die unmittelbare, noch mittelbare Erkenntnifs rechnet. (4. B. 2. Kap. §. 14.) Denn er erkennt ganz rich- tig , dafs die Yorftcllung einer Sache noch kein Beweis für die Exiftenz derfelben ift, dafs man vielmehr über die VorfteHung hinausgehen muf- fe, um die letztere zu beweifen. Nun beweift: er aber die Exiftenz der Dinge durch die Vor- ftellungen felbft, oder durch die fie begleiten- den Gefühle, ohne die Zweifel, die ücb dage-

Ff 3 gen

454 Abhandlung über den Empirismus

gen erheben , völlig widerlegen zu können, und er mufs daher geftehen , dafs die Ueber« zeugung von der Exiftenz der Körper zwar mehr als Wahrscheinlichkeit aber doch keine Erkenr.tnifs in dem ftrengen Sinne fey. Dies ift in der That eine gefährliche Klippe , an welcher feine Philofophie fcheitert, indem lie alle Erkenntnifs auf die Dinge gründet, und hinterher die Wirklichkeit der Dinge nur mit fchwachen Gründen gegen den Skepticismus reiten kann,

Dafs die Mathematik damals eine Wiffenfchaft war, welche an Evidenz allen andern üherlegen war, konnte diefem fcharfiinni^en Philofo« pheu nicht entgehen. Die Entdeckung des wahren Grundes von diefem Vorzuge hätte ge- wifs über die Natur der menfehlichen Erkennt- nifs ein grofses Licht verbreitet. Allein es konnte ihm nach feinen Anflehten nicht ge- lingen , auf den letzten Grund zu kommen. Dafs die Evidenz ihrerDemOnftrationen nicht auf Grundfätzen, fordern auf Aufchauung beruhe, das fahe er wohl ein , aber von welcher Art die fe Anfchauung war, und worauf Ge fich gründe, diefes lag über feinem Gefichtspunct. In feiner Theorie und die matb.einatifch.cn Begriffe Be- ftimmungen , das ift, zufammengefetzte Be- griffe, welche der Verftend willkührlich bildet

und

in der Philo fbpliie. 455

und zufammenfetzf.ohne Rückficht auf wirkliche Dinge zu nehmen. Daher beziehen Ge Geh auf kein Objeckt, fondern Ge find Geh felbft Object. Diefe Vorftellungfn können vollkommen durch Worte ausgedrückt werden , fo dafs man das Zeichen für das Bezeichnete fetzen kann , und alfo das Wort- und Reahvefen völlig in Eins zuf\mmenfälit. Hierauf beruhet, nach Locke, die Realität der Mathematik, fo wie ihr Glück als WiiTenfchaft auf ihrer vortheilhaften Me- thode, Mittelbegriffe ausfindig zu machen, und die Sätze in einer natürlichen Ordnung vorzu- tragen. Diefe Methode hält er aber keines- weges für eine der Mathematik eigentümliche, fondern glaubt, fie könne auch auf andere Thei- le der rhilofophie, vorzüglich die Moral, ange- wendet werden. Allein wie wenig diefes in das Wefen der Mathematik eindringt, liegt am Tage, und es läfst fich daraus die Möglichkeit einer WiiTenfchaft, die apodictifche Gewifs- heit mit objeetiver Realität vereiniget , gar nicht erklären.

Die Moral hat es, wie die Mathematik, mit Beftimmungen oder Accidenzen zu thuu; Ge unterfcheidet fich nur dadurch, dafs diefe Be- griffe zufammengefetzter find, und fich nicht fo durch Gnnliche Zeichen darfteilen laflen. Gleichwohl hält er es nicht für unmöglich,

F f 4 durch

4.51? Abhandlung übev denTmphismus

durch befthnmte Fixirung der Bedeutung der Worte und durch Anwendung der. mathemali* fchen Methode fie zu einer demonftrable» V^ i f- fenfchaft zu machen. Hätte er 3ber doch nicht vergeifen , zu zeigen, wie die Moral eine Wif- fen'chafj werden könne, da Genach feiner Be- ftimruung die Lehre von der Gliickreli^keit und der Tugend , als dem Mittel derfeibcn, und das göttliche Gefetze die oberfte Regel der Handlungen ift , weil vOn ihr die ewige Glück- feiif,keit oder Unglückfeligkeit abhänget; hätte er doch gezeigt, wie und woher diefes Gefets erkannt werde.

Einige Mängel des wiflenfchaftlichen Zu- fiaudes der Philofopbie hatte Locke wirklich entdeckt. Er fand nehmlich , dafs identifche Sätze nichts zur Summe der Erkenntnifs hin- zuthun, fondern nur folche die Erkenntnifs erweitern, welche etwas von dem Subjecte ver- fchiedenes ausfagen. Wäre er diefer Spur wei- tet nachgegangen , fo hätte er vielleicht den merkwürdigen Unterfchied zwifchen analyii- fchen und fynthetifchen Sätzen gefunden , von dem er nicht weit entfernt war, wie man aus EeiTpielen von mathematischen Sätzen flehet» Allein wenn er ihn auch wirklich gefunden hät- te • fo würde doch diefe Entdeckung für die

Phi-

in der Pliilofophie» 4$7

Philofophi'e fruchtlos geblieben feyn , da er doch immer auf die Dinge zurückgegangen wäre , um in diefen den Stoff zu den fyntheu- fchen Sätzen zu finden, ohne die Functionen des Verfiandes in Betrachtung zu ziehen. Man liehet aus dem , was er über Mathematik fagt, dafs er von dem Empirifchen nie zu dem Tran- fcendentalen übergehet.

Eine andere Entdeckung, welche mit der vorigen zufamrnenhing, und wichtig hatte wer- den können, war die, dafs die an die Spitze einiger Willen Ich aften geftelhe Grundfätze eine fehr unbedeutende Rohe in denTelben fpielen, weil aus ihnen die Wahrheit der Sätze nicht erkannt werden kann. Mit Recht behauptet er, dafs der Salz: das Ganze ift allen Theilen zufammengenommen gleich , unbefebadet der Wahrheit der Mathematik weggenommen wer- den kann, und behauptet eben diefes von dc:u Satze des Widerfpruchs und der Identität. Weil er nun die wahre Urfache von die fem ia gewilfer Rückficht wahren Factum nicht wei- ter unierfiicht, auch nicht da facht, wo fie allein zu finden ift, fo verwirft er den Nutzen aller Grundfätze in der Philosophie und den WiiTenfchaften, und läfst ihnen nicht einmal ihre Gültigkeit als Grundfätzcu des VerRandes für das analytische Denken. Er gehet auch

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in der Pliilofopl

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wickelt, und überhaupt bei n Vorfiell. n und Denken nicht den Stofi ihm ip Form un- terfcheidet. Er klagt über tu Speculatio*

nen und Spitzfindigkeiten, oh i as Grundi'ibel der Philofophie, die Verim und den un-

kritifcheD Gebrauch vcrfch r lirgrilTe

zu ahnden, oder das wahrt ibittel dagegen zu finden. Ungeachtet dev rcn»

zung des Gebiets auf das Fehl ir Erfahrui erlaubt er doch der Vernunft usfchweifi in das Feld des Unfinnlichen i\ie Mög-

lichkeit davon zu zeigen.

Diele Lockifche Thilofo mhält allY>

einen Empirismus, oder die von d<

empirifchen Urfprunge und der Vor-

fiellungen und der Lrkenntni !

phie gehet von gewiften Fa tt , um die Be- dingungen derfelben aufzufi n fie mufs^ diefelben , wenn fie Willi. feyn will,

vollftändig eröitern, und bis aufie letzten Be- dingungen aufzeigen, welche r in den Din- gen , fondern in dem meufehlu; ,a Geilte allein zu fuchen lind. In der Phi iirot allein

fchon , wenn man fie recht v , die Auf-

gabe zu jedem Gegebenen e; nlcrnden-

tales aufzuziehen , welches fi< b i dem Ge. benen wie Bedingung verhält. er Empiris-

ni US

458 Abhandlung über den Empirismus

hier von dem Verftandesvermögen, in dem fiir ihn nichts zu finden war, nachdem er es zu. einem blofien Vermögen, wahrzunehmen, ge- macht hatte, zu den Objecten zurück»

Wenn wir nun fragen : ob Locke die Na- tur, den Umfang und die Grenzen des Verban- des oder des L" i:enntni'svermögens , (welche bei ihm ein und daflelbe find,) befriedigend unterfucht und beftimmt habe? fo können wir darauf nicht anders; als mit Nein antworten. Denn l) befcb;if:iget er fich mehr mit den Ma- terialien der Erkenntnis, als mit diefer felbft, mehr mit den Erkenntniffen , als dem Vermö- gen derTelben. 2) Es fehlt an einem richtigen beftimmenden Begriffe von der Erkenntr.ifs, ih- rem Inhalt und Form. 3) Er unterfucht nicht die Vermögen des inenfchüchen Geiftes, durch welche die Erkenntnifs zu Stande kommt, und beftimmt nicht die Gefetze derfelben. 4) Er beftimmt die Grenzen der Erkenntnifs nach den Objecten der Erkenntnis, nicht nach dem Erkenntnisvermögen. Alles diefes ift Folge feiner Anficht, da er alle Vorftellungen dem Verftande gegeben werden lä'st , ohne eine Thätigkeit deflelben dabei zu eifodern, auch felbft bei den abgeleiteten, zufammengefetzten nicht die Functionen des Verbandes weiter ent-

wik-

in der Pliilofophie. 459

wickelt, und überhaupt bei allem Vorfie'len und Denken nicht den Stoff und die Form un- terfcheidet. Er klagt über unnütze Speculatio- nen und Spitzfindigkeiten, ohne das Grundübel der Phüofophie, die Vermifchurig und den un- kritifchen Gebrauch verfchiedenartiger Begriffe zu ahnden, oder das wahre Heilmittel dagegen zu finden. Ungeachtet der fcheinbaren Begren- zung des Gebiets auf das Feld der Erfahrung, erlaubt eT doch der Vernunft die AnsTch weifung in das Feld lies Unfinnlichen, ohne die Mög- lichkeit davon zu zeigen.

£5*

Diefe Lockifche PhiloTophie enthält alfo einen Empirismus, oder die Lehre von dem einpirifchen Urfprunge und Grunde der Vor- fküungen und der Erkenntnifs. Jede Wiüofo- phie gehet von gewiflen Factis aus, um die Be- dingungen derfelben aufzuziehen; fie muTsabfir diefclben , wenn he Wiflenfcbaft fevn will, vollftändig eröitern, und bis auf die letzten Be- dingungen aufzeigen, welche nicht in den Din- gen , fondern in dem menfchlicijen Geifte allein zu fuchen lind. In der Philofopbie liegt 3llein fchon , wenn man Ge recht verfteht, die Auf- gabe zu jedem Gegebenen etwas Tranfccnden- tales aufzuziehen , welches fich zu dem Gege- benen wie Bedingung verhalt. Der Empiris- mus

4fio Abhandlung über den Empirismus

mus fucht aber diefe Bedingungen felbft in dem Geeebenen; er macht das, was bedingt ift, zur Bedingung-, und es rnufs ihm daher nothwen- di^ felbft an einem fichern Grunde fehlen. Wenn er den Satz; alle Vorftcllungen enlfprino gen aus der Erfahrung, oder fie werden dem äufsern und innern Sinne von den Dingen ge- geben, als den elften Satz aufftellet , womit will er ihn beweisen? Bewrefen rnufs er wer- den, denn er ift nicht durch fich felbft ein- leuchtend. Aus der Erfahrung ? Diefe ift in diefer Fhilofophie wohl das Letzte, aber nicht das Letzte überhaupt, weil die Erfahrung felbft Bedingungen unterworfen ift, die a;;fser ihr lie- gen. Gefetzt auch , es könnte erwiefen wer- den, dafs alle Vbrftellungen empirifch wären, fo würde man doch auch dann genöthiget feyn, über die Erfahrung hinauszugeben. Denn die Vorftellungen werden auf mannigfaltige Weife verbunden , zufammengefafst und geordnet. Diefes gefchiehet entweder nach beltimmten Gefetzen oder nicht. In diefern Fall würde man einen durchgängigen Zufall annehmen, bei dem an keine Erkenntnifs und Wiffenfchah zu den- ken ift. Giebt es aber Gefetie, fo können Ce nur in dem menfehüchen Geiße aufgefucht werden, wenn man nicht annehmen will, wel- ches aber feiner Unverftändlichkeit wegen noch nie einem Empiriker eingefallen ift, dafs dem

Ver-

in der Philo fophie, 461

Verftande nicht allein Begriffe, fondern auch Urtheila der Materie und Form nach, gege* beu werden.

Der Empirismus verkennet zw.ir nicht gana den Antheil, welchen der menfchlicbe Geiß an der Erkenntnifs nimmt, aber er ordnet ihn da- bei den Dingen unter, fo wie er im Pracii- fchen die ^ern^!n^t dem Begehrungsvermögen Unterwirft. Denn die Dinge geben dem Ver- ftande nicht nur die urfprüngiiehen Begriffe, foudern beftirnmen auch daduTth die Thäiiukeit deflelben. Er kann daher nie aut die reinen Gefetze des Verbandes kommen ; höchftens entdeckt er die Gefetze des analytifchen Den- kens, und macht fie zum böchften Princip des Erkennen1;. Gewöhnlich aber verbindert er Jn^ar die Untersuchung des menfehlichen Gei- fies, wenn er fie auch nicht, durch einen fal- leben Gefichtspunct verleitet, auf dem halben Wege abbräche.

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Der Empirismus kann fvltematifch öderütt* ryfiematifch feyn. Diefes ift der Lockifche jenes der Arii~!n;e]ifche. AriOoteles nahm, wie Locke, an, dafs alle Vorfteüungen einen eir:- phifchen Uffprung haben ; er zeigte davon die Möglichkeit im Allgemeinen an , ohne es an

eiu.

46: Abhandlung über den Einoiiismus

einzelnen Begriffen durch ihre Ableitung zu be- werfen. Da aber fein Geift an fyliematifch.es Denken gewöhnt war, fo war er nicht darauf bedacht, die einfachen Vorftellungen , fondein die höchften allgemeinen Begriffe, unter wel- chen alle Dinge ftehen, und ein allgemeines Ge- fetz, des Denkens aufzuüelleu , welches der Satz des Widerfpruchs war. Er entwickelte das analytische Denken und die fyftematifche Form der Erkenntniffej und brachte daher in alle feine Unterfuchungen ein methodifches fy- ftcmatifches Verfahren. Sein Gefichtspunct war auf Bildung von Wiffenfchaften, die noch nicht vorhanden waren, alfo mehr auf Einheit und Zufammenhang der menfchlichen Erkeniat- nifs gerichtet. Locke hingegen ging mehr auf das Erfle, auf die ein fachen Beftandtheile der menfchlichen Erkenntnifs, und fuchte den Empirismus durch Ableitung der Statnmbcgriffe und der abgeleiteten zu begründen. Da er in einer ganz, andern Lage, als Ariftoteles war, fchon gebildete Willen Ichafien vor fich fand, die aber mehr als Aggregate, denn als orga- i)i/che Ganze entfianden waren; da er in ihnen eine Menge von unnützen Spitzfindigkeiten und unvereinbaren Meinungen tand, fo fuchte er diefe zu reinigen und zu reformiren. We- niger Svftematiker, als Aniloteles, hielt er die fy- ftematifche Form derfelben , die Grundfatze

und

in der PLilofopliie. 46«;

und die fchulgerechten Schlüffe für entbehrli- che, ja fchädliche Künftelfien , die nur dazu dienten, die Wifienfchaften der gröfsem Zahl unzugänglich zu machen, und leere Streitig- keiten Nahrung zu geben. Wegen des Mifs- brauchs\ erwarf er dieäufsere, zufällige, wiffeu- fchaftliche Form, und init ihr zugleich die in- nere weftntliche , und fuchte der Philofophie gleichfam Natureinfalt und Popularität zu ge- ben, Ariftoteies Empirismus ift iyftematifcher, der Lockifche unfyfteinatifcher. Bei beiden ift er nicht begründet und haltbar; aber mit dem Unterfchiede, dafs Ariftoteies nicht nö- thig fand, ihn auf Gründe zu ftützen, Locke hingegen Gründe entwickelte, welche die Un- nahbarkeit des Empirismus für Uripartbeiifche nur um fo klärer machen. Ariftoteies führte darauf ein Gebäude auf, welches durch feinen innern Zufammenhang und logifche Ründig- keit fich empfiehlt; Locke ift zufrieden, die vorzü^lichften Materialien heibeigefchaHt, und Regeln zu ihrer Verarbeitung angegeben zu haben, ohne den volfftändigen Plan zu einer Willenfchalt zu entwickeln.

Ungeachtet die Lockifche Philofophie in fich fo wenig vollendet ift, und ihre Gründe gar keine ftrenge Prüfung aushalten, fo hat fie

doch

46.J, Abhandlung übel' Jen Empirismus

doch ein ungemein künftiges Schickfal erfall* Ten, und einige merkwürdige Erfcheinungen hervorgebracht und veranlafsr. Wir werden hier noch zum Schluffe die Urfachen von bei- den , infofern fie in der Lockifchen Philo fophie fefbft enthalten find, darzustellen fuchen.

t)ie Lockifche Phüofbpbie enthalt kein ßrenges wiffenfchaflliches Syftem. Dieler Um- ftand allein mufste fie fchon Vielen e:npfeb> lungswiirdig machen , die felbft die höhern Fodfittrogea einer wiflenfchafdichen Begrün* düng und Ausführung nicht kannten. Andere konnte der Schein von Syftern und Einheit anlocken, der bei dem erften Anblicke täufchf» < Hierzu kommt noch die Popularität und Ge- meirifafslichkeit» die eben dazu beftimmt war, die Philosophie ans den Schulen in das gemei- ne Leben einzuführen. Die Menge von Un- terruchnngen und Refultaten aus der Logik, Meihäphyjfik und Moral, in einer zwar nicht fchünen, aber doch leichten populären Spra- che vorgetragen ; feine unbefangene Losfa- gung von allen Auctoritäten ; fein InterelTe Für Wahrheit und Religion; fein Eifer für die Rechte dt-r Vernunft, ohne das Anfehen der Offenbarung zu fchwächen: alles diefes muFste Fehr Viele für feine Ptüiofophie gewinnen.

Sie

in <Ter Philofophii.' Ifi$

Sie fehlen das Wahrfte und Belle* Was bis- her die Vernunft entdeckt hatte, zu vereini- gen ; fie befreiete von den läftigen Schulfor- men und dem Zwange einer (trennen Metho- de. Ueberhaupt war auch diefe Philofophie gelchmeidig genug , fi'ch iri jedes Gedanken- fyftem, in jeden Geißescharaliter zu fügen» Die Skeptiker und Degmatiker, der Natura« lift und Supemäturalift, fanden, Wo nicht überall, doch hie und da etwas, das ihnen zu- fagte. Eine Philosophie, die fich felbft zur Menge herabläfit, die das Philofophieren fo leicht macht, die fo vielen Stoff zur weitern Bearbeitung , Erweiterung und Verbeflerung darbietet, ift gewifs dazu gemacht, viele An- hänger zu linden.

'4

Bei einer fo grofsen Verbreitung' derLockl- Tchen Philofophie ift auch ihr Einflufs auf die wiflenfchaftliche Cultur ausgebreitet, Und von Bedeutung geWefen. Öurch fie bekam der menfehliche Geift eine fieue Richtung ; der Haug zu Speculationen wurde gefcfiwächt, det Beobachtungsgeift geweckt, und das Studium der Natur befördert. Durch den Eifer, mit dem mau anfing, diefe wieder geöffnete Quel- le zu benutzen, ift unftreitig die Summe der Erfahrungen und Beobachtungen Tehr ver- lock*'*, HI, Theil, Gg mefaitr

466 Abhandlung über den Empirismus

mehrt« und ihre Sammlung befördert wor- den. Es (hörnte der Philofophie durch die- len Kanal gleichfam neuer Nahrungftoff zu, und in einige Theile kam eine frifche Lebens- kraft. Die empirifcbe Puilofophie, die bis da- bin vernachläfftget worden war, wurde jetzt hervorgezogen , und da lieh der Stoff dazu vervielfältigte , in abgeänderte Ganze ver- theilt. So vorteilhaft diefes von der ei- nen Seite war, fo grofsen Schaden brachte es auf der andern Seite , dafs die Beobach- tung und das Räfonnement aus Thatfachen an die Stelle der DemOuftration trat, und ei- ne Vermifchung und Verwirrung des reinen und des empirifchen Vernunftgebrauchs, eine Seichtigkeit und ein unmetbodifches Verfah- ren entftand , deflen Spuren lieh bis auf un- fere Zeiten nicht ganz verloren haben. Was JUe alfo auf der einen Seite an Ausbreitung, an Stoff und Umfang, an Popularität, an ei- nem gefälligen Aeufsern gewann , das verlor lie wieder auf der andern Seite an itinerm Ge- halt und wiflenfehaftlicher Form.

Es ift eine merkwürdige, aber keine auf- fallende Erfcbeinung , dafs auf Locke's Em- pirismus der gründlichße Skepticismus gegrün- det wurde. Sobald uiefe Philofophie an ei- nen

in der Philofopltie»' 4^?

Den fcharffebenden Manu kam, Äet eine Sa* che bis auf den Grund zu unter Tu«. uer. ge« wohnt ift, fo w^r vorauszu'ehen , cUfs e ihn nicht bef. iedigen , und dafs fie , anftatt, wie Locke glaubte, dieGewifsheis der menfdi- liehen F.rkenntnifs zu begri'md- n , He viel- mehr dem ftärk'en Zwpifel blol\ ftellen wer- de. Leibnitzens phüofophücht-r Geift wür- de , wenn er nicht mit (einem Syftem fc on erfüllt gewefen wäre, gewifs nicht den Ver- fuch gemacht haben , das Loikift.he durch feines zu berichtigen und zu ergänzen ; er hatte vielmehr ohne das die Unnahbarkeit je- nes eingefehen, Humes Geiß war es vorbe- halten , zwar nicht durch philofophrfche Prü- fung der Gründe den Lockifchen Empiris- mus uinzuftorsen , aber doch auf ihn einen furchtbaren Skepticismus zu gründen, wodurch, es felbft zufammenfiel, Humenahm mit Locke an, daTs alle Vorftellungen aus Empfindungen und Gefühlen entTprangen, und dafs man je- den Begriff auf eine von dielen urfptünelichen Voritellungen zurückführen muffe. Nun konn- te er den Urning des Uegriffs der K^nTalität, n3(h welcher man eine notbwendigf V.-rknü* pfung und Folge zwifchen zwei Objeden aus- feget, auf keine andere Weife, als aus der Gewohnheit der Einbildungskraft , von de(fc einen auf das andere und nicht umgekehrt,

Gg 2 über-

#£& Abhindlun« fiber den Ernpinsmuk

überzusehen, erklären, eine Verknüpfung dei Vbrftellungen , welche fich von blofsen Ein- bildungen und Chimären durch nichts als ein flärkeres Gefühl, eine Art von Glauben unter- fcheidet. Auf die Art verwändein fich alle Begriffe, auf welchen Erfahrung beruht, in Gefühle, und das Fundament diefer Philofo- phie, die Erfahrung, bedarf einer neuen Stütze des Glaubens, der zuletzt feibft keine Stütze in ehr findet

Humehs fkeptUche Gründe hätten gewifs flpn LockiTchen Empirismus um alles Anfea hen gebracht , wenn fie das Glück gehabt hätten, von unbefangenen Selbftdönkern ge- prüft xu Werden. Die meiften fanden das Unternehmen anftöTsig und gefährlich, und Ohne in die Gründe einzugehen, predigten fie gegen Humen den gemeinen Menfchenverftancu Auch dachte man um fo weniger daran, den Grund der Lockifehsn Phiiofopbie nach den Humifchen Zweifeln einer ftrengen Kritik zu unterwerfen , da diefer fcharffinnige Philo- foplrfeibft von jenem ausgegangen war. Dies rettete den LCckjfchen Empirismus und erhielt

fein

in der Philofopbie. 469

fäin Anfeilen zum Theii noch bis auf untere Zeiten»

Die krieche Phüofophie hat endlich de» Empirismua und den Rationalismus in feine gehörigen Grenzen zmückgefetzt» Durch, ih- re Erörterung des Erkenntnifsvermögens ift das Wahre und Falfche von beiden gefchie- den , das Wahre, das He enthielten, aut fe- fte Gründe zurückgeführt , und beides unter einen hohem Geiichtspunkt vereiniget wor- den. Auch Lackes Verfuch enthält viele gu- te Wahrheiten , Erinnerungen und Winke» die auch jetzt noch brauchbar und anwendbar find. Aber es find nuvr einzelne Bemerkun- gen, ohne firengen Zufarn tuen hang; Refulta« Je, ohne hahbare Gründe, gemifcbt unter einfeitige und falfche Behauptungen und An- fuhren, wie fie aus dem Empirismus not- wendig erfolgen muffen. Sie müITen in ihrer Verbindung und in der Geftalt, wie fie in die- fer Philofbphie erfcheinen, die Kothwendig» keit einer kritifchen Sichtung, und überhaupt das Bedürfnifs einer gründlichen Unterfuchung des Eikenntnifsvermögens in das hellfte Lichs

Gg 3 fetzen«

470 Abhandl. über denEinpir. in der Philofophie.

fetzen» 1 ocke's Verfuch über den rnenfchli- chen Verftand , fo wie der Leibmuifche, wird immer ein denk »vürdiges Denkmal in der Cul- turge'chichte des mecfchlichen Verftandes blei- ben ; nithi fowohi wegen der wirklich voll- endeten UnU n'uchung des menfcblichen Ver- ftandes , fondern als ein mifslungener Verfuch, der aber doch das Bedürfnis derfelben zum deutlichem Bewufstfeyn entwickelte.

Reg».

R c g i ft e r.

(Die erde Zahl zeigt den Band , die zweite die Seitenzahl an,)

A.

Abfbaction I, 540»

Analogie III, 302.

Argumentum ad verecundiam III, 546»

ad ignorantiam III, 348«

nd hoininein III, 348«

ad iudicium III, 348.

Arten der Kunftwerke find weniger undeutlich«

als der Naturwefen II, 426, Aflociation der Vorstellungen, Grund und Ein."

flufs derfelben II, 3il. feq,

Gg 4. Aticto-

*7» Regifte*.

Auctoritäten , Einflufs derfelben aufWahrheii und Irrthum III, 414,

Aufmerksamkeit I, 51 9, 52 U

Ausdehnung I, 363,

r- und Körper nicht einerlei I, 373, 396.

ausdrücke bildliche, ein Mifsbrauch der Spra- che II, 499.

Bedeutung der Worte, Ursachen ihrer Uoge* •yvifsheit II, 439, 440.

ungewiße der Worte für gemifchte Beßim« mungen II, 441.

■—• ungewiffe der Worte für Subftansen II,

44> Begehren Qbject denselben II, 50. ßegriffe augeborne giebt es nicht I, 129. £f„ •— urfprüngliche II, 99.

abftracte II, 294, 647, 259.

•— je allgemeiner defto unvollständiger II, 41S,

jeder abftracte ift ein Wefen II, 423.

Beftimmungen reine und gemifchte 1, 35«,

556, 361. 51p, feq. «■> gemifchte II, ioi- Betrachtung I, 014. 519, Beurtheüungskraft I. 333. III, 844, 545,

Bewegung, Beftimmungen derfelb» I, 510»

kommt auch Geiftern zu II, »39,

ift unerklärbar II, 148, 364.

Bewufstfeyn Grund der Identität der l?erf©A

II. 210. Beiiehung der Vorftellungen, III, f5, Böfes Begriff l, 526,

Regiftei1. 473

Böfes in wiefern es die Menfchen wählen II,

66, T moralifches II, S24,

D.

Dauer, Vorßellung derfelben I, 399,

ift einer Vermehrung und Verminderung fä- hig I. 441.

-r- unendliche Dauer I, 443.

Definition durch das nächfte Genus II, 348«

nominale was fie ift II, 362, 363.

De nonftration ift nicht auf Mathematik einge- fchränkt III, 22.

1 kann nicht von allen Dingen gefodert wer- den II 33g.

S. demonftratitre Erkeuntnifs. Denken I, 297, III, 310»

ift eine Handlung des Gemüths I, 522» II. 8.

Dichtheit Entftehung und Merkmale diefes Be-

grifFs I, 240, 394, Disputirkunft Nachiheile derTelb. II, 47°» Duldung verfcbiedener Meiaucgen III, 289, Dummheit J, 343. Dunkelheit der Vcrftellungen Urfachen derlei«

ben II, 245. r— der Worte, abüchtliche II, 463, "■

E.

Eigenfchäften der Dinge als Objecte 'der Vor=

ftellung I, 270 feq. 288. r- abgeleitete I, 274, 2t6, 295. \l, 128,

uiipiün gliche J, 272, 275,

Cg

$ Eigen«

474 Regißei*.

Eigenfch^ften der Subftanzen, Befchränktheit ihrer Erkenntnifs III, 127, 150.

Einheit Urfprung des Begriffs I, 262.

Einftimmung der Vorftellungen > 4 Arten der- felben III, 3.

Empfindung erfte Quelle der Vorftellungen

lijO.

was fie ift 1, 51g. Endlichkeit I, 475. Entfinnen I, 519.

Entftehung, verfchiedene Arten derfelben II,

Erfahrung der einzige Weg, Erkenntnifs von

Si.b'tanzen zu eilangen III, 258» 262. Erinnerung I, 519. Erkenntnis Begriff derfelben III, 2,

beruhet auf Vergleichung der Begriffe III,

247.

beruhet nicht auf Grundfätzen III. 245, 250.

-r- Grade derselben. III. 340. Tecf.

•— Grenzen derfelben II, 15:3. III, 31 feq»

Klarheit derselben III. 5o.

in wiefern fie nothwendig und nicht noth- wendig III, 267.

Methode fie zu erweitern III, 253» 264»

Realität derfelben III, %\% 83.

Umfang in Anfehung der Allgemeinheit III,

80.

EntftehungsaTt derfelben 1, 39, III, 24?,

247. Erkenntnifs angebome wird beftritten I, 16-

184.

anfchauende III, 14. T8.

ift der Grund der Demonßration III, 20, 340, 341,

Er-

R e g 1 fi e r. tff

Erkenntnifs demonftrative III, 16, 18. 342.

dr Coexiftenz III 4$. J

der I Jentität III, 43.

der realen Exiftenz III, 62, lg9»

der Subftanzen III, q4, 124.

der Verhältniffe III, 53.

finnliclie III, 27, 226.

wirkliche und habituelle III. 9, IO. Erkenntnisvermögen Notwendigkeit einet

Unterfuchun* deffelben I, I-12. Erklärung der Worte für einfache V orftelkingen

durch Synonyme und Aufteilung derGegeu-

ftände II, 514, der Worte für Beftimtnungen durch Defini-

'icneu II, 515. ■" der Worte f. Subftanzen durch Definitionen

uiid Anfcnaumg II, 519. Erzmg na II, i->4. Evi enz unmittelbare ift den Grundfätzen nicht

ausTc 'efsbch eigen III, 144.

der ätze in Rück icbt auf I ientitat und Ver- fchiedenheit III, 145.

der Sätze in Rücklicht auf Koexiftenz III,

I4y.

der Sätze in Rückficht auf Verhältniffe I I,

MO

der Sä'ze in Rückficht auf reale Exiftenz III, i5o.

Ewigkeit I 4 O II. %52,

Exifienz Urfprung des Brgriffs I, 2ÖI,

der Vorfteliungen HI 7.

reale, dato» - icbt es keine allgemein ge- wille Sätze IL. 1^7, 242»

5P-r unfre eigene ift durch Anfchauung erkenn» bar IL, 19g.

Exi-

4?6 R e g i ß iv

Exiftenz der Dinge aufser un?, worauf ficb ih- re Erkenntnifs gründet |II, 226. 240. ßxiftenziairätxe find pur individuell III, 242, 243»

Figur I, 36?»

Folgerungen aus Worten, ans Begriffen III, 94 J, Folge der Vorftpllungen I. 26^, 402 feq. Freiheit der Seele, Begriff derfelben II, 9 feq» 30, 54, 92.

gehet den Willen nicht* an IT, 12 feq.

fomfern das handelnde S ibject If, 24.

in B ziehung auf das Beftreberi nach Glück- feligkeit II, 5S»

Freude I, 531.

Fürwahihalien Tollte durch Gründe der Wahr,?

fcheinlichkeit beftimrat feyn HI, 2^4, 412» Furcht I, 532,

Ganzes, Begriff ift nicht angeboren I, T??. Gattungsbegriffe find fehr unvollkommen II, 414» *r* Antheil des Verftandes und der Natur bei den-

relben JJ, 421, 422, Gattungswefen Gud nur abßracte Begriffe II,

547, 389. 408. «— in wiefern es fich nicht erkennen läfst IIT,

122. Gedächtnifs I 314. Geißer Vermuthungen über den Grund ihre?

Vorzüge II, 133.

von ihnen ift keine Wiflenfchaft möglich III, 71, 241,

W8*

Regifiev. 477

Iftefetze» drei moralifche, das göttliche, bür- gerliche und das Gefetz der Meinur.g Se £2S Teq.

Gewifsheit der Erkenn tnifs III, II 9.

der Wahl helt III, lg.

Glaube ift nicht der Vernunft entgegengefetzt JH. 55i.

im GegenTatz der Vernunft, S. Offenbarung» Glückfeligkeit II 48.

Gott kein angeborner Begriff I, 137. •~- Entftehung des Begriffs II. 1 55.

Exiftenz Demonltraiion derfeib. 111. 200 feqi Gottesverehrung, kein angebomer Begriff I 36, Grofs, klein find relaiive Au drücke II, >yj, Grundfalz der Einftifntnuf.g un.l des Wider-

fpruchs find keine Grundwahrheiten 1 22!eq; Grundsätze angeborne, Prüfung der von Her- bert angegebenen I, 105

wie diefe Meinung entftanden ift 178.

fpeculative angeborne, Gründe für und ge- gen fie J, 10- 70»

practilche angeborne Werden beftritten Ij fo-i2g.

dL wie die Menfchen zu denselben ge=

langen 119. «— was de find III, 143.

«— geringer EinfUifs auf die Erkenntnis Ifl, \$T9 **> befind nicht die am erßen erkacuuen Wahr«

heiteu III, 152. •*- fie find nicht Jas Fundament aller Eikennt-

nifs III, ISJ. *- ihr Gebrauch III, 15g, 17g, I80.

ihr Gebrauch bei zufammengefetzten Begrif- fen ift gefährlich 1Ü, 175.

Grund-

478

tt. e g i Li e r.

Grundrä'ze durch he laßen fich Wider rprüchci

beweifen Iil, 171. fie können nicht die Exiftenz der Diuge auf-

fer uns beweifen III, 173. Gutes Begriff 1. 52Ö. > mOjaliicbes II, 224.

H.

Handlungen moraüfche können aus einem ge- doppelten Gelichtspunkte betrachiet werden II, 236.

Härte Dmerfcheidung derfelben von Dichtheit I. 246,

Ha's 1, 528.

Hoffnung I, 532,

Hvpnrhefen ihr Gebrauch und Mifsbrauch III, 262, 263, 406.

> t

1.

Ich Inhalt des Begriffs II, 204, 20?.

Idee Bedeutung des Worts I, 14

Identität kein angehorn« r Begriff I, 131, l33»

worin fie b^ftehe II, 179.

der Subftanzen u. Aicidenzen II, I gl.

der Thi^re II. t v;6.

dergleichen II, 187, 207,

der Fer'On ll. 191, 20^.

ihr Grund, Einheit des Bewufstfeyns II. 205.

der Vorstellungen III 5. Individuation Princip derlelben II, 18?. Individuen haben nichts V\ efentliches II. 391, Irrthum Crfachen deffelben III, 392 Ten.

ift nicht fo zahlreich als man glaubt III, 4 '5",

K.

Regifter, 479

K.

Klarheit der Vorßellungen II. 245.

Klaffification der Dinge unter Gefchlechtsnamen IL 351.

—- der Subftanzen gründet lieh nicht auf das reale Wefen, foudern auf abftracte Begrif- fe II, 402.

Koexiftenz, der Vorßellungen III,

d. Eigenfchaften der Subftansen III, 127. Körper, von ihnen giebt es keine Wilfeßfchaft

III, 69

ihre Erkenntnifs kann allein durch Erfah- rung erweitert werden III, 255.

Kraft Urfprung d. Begriffs I, 262 II, I. -

Leidenlchaften I, 527, 53?. . als Urfachen des Inth'Mns III, 407. Licht Erklärung deilelben II, 365. Liebe I, 52§.

M.

Machen II, 174,

Materie ob fie denken könne oder nicht, läfst

fich nicht eikennen III, 35 feq. •— kann kein denkendes VVeien hervorbringen

III, 21®.

kann nicht das urfpiünglkhe Wefen feyn III 212.

Mathematik warum fie allein für demonftrativi- fehe Wilfenlchaft gehalten worden III, 56.

ihre Realität III, 87

Meinung erl'eizt den Mangel der Erkenntnifs III, 275.

Mei-

4f » R, e g i ft e r.

JVFeinting was Ce ift IH, 374* 575".

Merkmale charaktcriluTche der Subftanzen wer- den durcti die Anschauung dargefteilt II, 520;

«— von Vermögen der Subftahzen werden durch Definitionen erklart tl, 522.

Methode rhafchematilrhe III, 254.

IWoräl ift d. DemonftraU fähig II. 516. IIT, $5^

Urfachen d. entgegengefetzt. Meinung III, 56, ■=— Realität ihrer Erkenntnifs III, 88 feq.

wie lie an Wiflenfchaft gewinnen kann III, 25J.

Neid I, sSio

(X

Offenbarung ihrZeugnifs die höcnße Gewifskelr

jii. 307.

m was durch fie begannt und nicht bekannt ge- macht werden kann III, 355 feq.

~- hat keine Gültigkeit gegen Evidenz der Ver» nuiift III, 360.

Notwendigkeit der Vernunft in derfelbeiä III, 370, S88^

der Glaube itt kein Beweis für lie III. 389, ort I, 367,

P.

Partikeln ihre Bedeutung in d. Sprache lt, 429; Perfon ein gerichtlicher Ausdruck II, 214,

R.

ÄaumÜnterrcrieidungdeJIelb. v.Dichtheit 1,24^,

Begriff deffelbeu I. 562, 378,

a- leerer, Wirklichkeit deiTelben I, 380, Z$$t 44?i

käutis

kegißetf. 48*

Kaum Vergleichung des Raums mit der Zeit

9*- ift einer Vermehrung und Verminderung fä-

hi» I, 44-U •— Verhälinifs zum Orte I, 448»

Allgemeinheit deffelben I, 452.

ift ausgedehnt I, 454.

t-ü. Theile dee Raums find zugleich T, 460.

UnendlLhk »t deffelb. I 444. 445. 477.

* Unterfchie-d zwifchen Unenfllichk. d liauin*

11. unendlichen Raum I. 4S?i $01. Realität der Vorftfllungen II. 263. s». d. 'einfachen Vorftell. II, 264, IM, 84, i d. gemilcht, ßeftirnmungen II, 267. HI, 26» 1 der Scuftauzen 11, 268. «— der Erkenntnifs 111, 8T fe'q, •— d. mathematifchen Wahrheiten III, 87. ■*— d. in'Oralifchen Erkenntnifs III, %$. •"- rl, Erkenntnifs von Subfhnzen 111, 94. Rechtmäfsigkeit moralifche li, 234. Reflexion die eine Quelle d. Vorftell, I, I91, 19$-,

Satze 111, HO, 245.

ihre Wahrheit 111. 1I0.

.fc— allgemeine, Grund ihrer Gewifsheit 1!!, I20>,

144.

Von Subfianzen, von wenigen läfst ficli ihre Wahrheit erkennen III, 124.

•— fpielende welche die Erkenntnifs nicht er- weitern 111, ISO, 187, 19«, 192, I9S. ~ ideptifche III, I8I-.

belehrende III, 1 8St lQI. Schliefsen worin es befteht 111, 3l8» Schmerz Entlieh, und Zweck deffelben 1, 2S7 #•

Lo«Lts. III. Theii. HU Schrnen

483 Reg ift er.

Schmerz .Begriff delTelben 1, 52 J, 534. Schöpfung 11, 173.

der Materie u. denkender Wefen ift denkbar« aber unbegreiflich 111, 222, 224.

Schwärmerei 111, 375, 378.

Entftehung derfelben 111, 576.

wie fie zu entdecken ift Hl, 380,

es fehlt ihr an Evidenz, dafs etwas von Gott ift 111,. gg).

Seele denkt nicht immer 1, 200.

kommt Beweglichkeit zu 11, 139, Seelenkräfte 11, 8, 20.

Sprache nachtheilige Folgen ihrer UnvOllkom= menheiten u, Mifsbräuche 11, 5oi.

Mittel gegen diefelben 11, 507. Sprachfähigkeit 11, 329, Sprachgebrauch II, 444*

Subftanz kein angeborner Begriff 1, 160.

Unerheblichkeit des Begriffs für die Philo- fophie 1, 380.

ift ein dunkler Begriff II, 117, 120. Subltanzen Begriffe von ihnen 1, 357. II, tlf*

119. 123. l3$- U, 484-

geiftige u. körperliche, von beiden find die Begriffe gleich klar 11, 136,141»

collective Begriffe derfelben 11, 160.

Unvollkommenheit ihrer Erkenntnifs 111» 94, 124.

Erfordernilfe ihrer Erkenntnifs 111, 138. , Syllogismen Entbehrlichkeit derfelben 111, 315

feq. 328, 33d..

ihr Nutzen 111, 323.

«— muffen nicht no-thwendig einen allgemeinen Satz entkalten 111, 335.

,T.

R e g i it t i. 483

T.

Thätigkeit zwei Arten derfelben II, 96, 97*

Theilbarkeit unendliche 1, 491, II, 259.

Traum i, 519.

Traurigkeit I, 531.

Tugend ift ein größeres Gut als Laßer 11» 88»

u.

Ueberzeu£ung8rnittel Hl, 346, Undeutlichkeit d. Vorftellungen 11, 247, 253.

Urfachen derfelben 11, 248- Unendliche das läfst Geh nicht pofitiv vorftel-

len 1, 492. Unendlichkeit Entflehung und Anwendung des

Begriffs 1, 47a, 476, •- das Pofitive und Negative dieferVoiftellung

i. 49?-. Unermefslichkeit 1, 364.

Unfterblicbkeit der Seele 111, IOO.

Unterfcheidungsverrnögen 1, 33°-

UnwiHenheit menfehüche, Urfachen und Um«

fang derfelben 111, 62 feq.

Urfache 11, 172.

Urtheile was fie find 111, JO7.

und Sätze 111, iio» ' -

ihre Wahrheit 111, iic,

Falfchheit derfelben UU II?.

falfche üb d. Gute u. Böfe 11, 76»

unzureichende ^Meinungen) 111, '136*

V.

Veränderlichkeit im Gebrauch d. Worte 11, 467. Veränderung II. 174. Verbindungsveruiögen 1, 337»

Hh2 Ver-

484 Regifte».

Verglelchungsver mögen I, 335»

Vergnügen Entftehung und Zweck deffelben \

257 feq.

B' griff deffelben 1,525.554, Verliältniffe J, ?5g. II, 162 feq. 233, t-- des Grades II, 219.

■*- des Urfprurigs II, 22Q«

willkühriiche I, 22~2,

niorali'che I, 223» Verlangen I. 529. Vermögen S. Kraft.

Entfiehung des Begriffs II, I, - thätiges und leidendes II, 5. Vernunft III, 309, 311, 012.

wo tie uns verläfst III, 337 feq.

w— über, wider und nach der Vernunft III, 349».

Unentbehrüchkeit derfelben in der Offenbar rung III. 3S8.

«— und Glaube find eigentlich nicht entgegen- gefeUt II 351. 3?5.

- im Gegenfatz III. 354.

Greven derfelben und des Glaubens IHt 358 feq.

Verftand Functionen deffelben II, 8, 22%t

350. 3*«. 354- Verzweifelung I, 532.

Vollkommenheit der Vorftellungen II, 27®,

der einfachen Vorft. Illingen II, 270, * . •— der Beftimmungen II 273,

•■? der Subflauzen II, 276. Vorftellen w^ es ift I, 296 feq. Vorftellung Gegenftand des Denkens I, 184« Vorfteliuugen entfpringen alle aus der Empfing dung n, Reflexion I, iS6, 22>,

Objecte derfelben I, 27©.

mm welche erklärbar find II, 361, 369,

Vor«

R e g i R e xv, ^%5

VorRellungen Klarheit und Deutlichkeit dcrfel« ben II, 244.

Deutlichkeit und Verworrenheit derfelbea II, ^6.

Realität derfelbea II, 2?7,

« Vollkommenheit und Unvollkömmenhelt

II, 27°.

Wahrheit und Falfchbeit II, 289.

«— Einftimmung derfelbea 4 Arten III,

Identität III, 5.

.Beziehung III,

Koexistenz III, 7

^eale Exiflenz III. 7.

*■ einfache, der Verftand verhält fich bei de»?

el.in leidend 1 229 feg-. •— Arten derfelben I. 256.

durch die Sinne I, 237, 252. . durch die Reflexion I, 253.

-r- durch d. Sinne u. d. Reflexion I, 2 £4.'

find die Materialien aller Erkenntnifs I, 263,

1 ftimuien alle mit den Dingen überein»

III, 86.

pofitive und privative I, 266 feq.

, d. urfprikiglichen u. abgeleiteten Eigenfchat- ten I. 2-8, .

finnliche werden durch die Urtheilskraft vetändert 1, 302.

zufammengefetzte I, 351, 355« II* 256, 266» Vorftellungsvermögen I, Sog»

1 w,

WabnGnn I, 344. Wahrheit II, 303, III, l©6j.

Hb 3 yt*h*

485 Recifter.

Wahrheit metaphyfifche II, 290, IU, Il6«

moralifche III, 116.

der Vorftellungen II, 289, 306»

der einfachen Vorftellungen II, 295, 398. der Belli ramungen II, 296, 302»

<~~ der Subftanzen II, 206, 303»

der Begriffe III, Io7» der Worte III, 107. Wahrheiten ewi^e III, «244. Wahrheitsliebe III, 372. * Wahrnehmen von 'dreifacher Art II, g. Wabrfcbeinlfchkeit was fie ift 111,276. 279,

erfetzt den Mangel derErkenntnifs III, 27g« •— Gründe deifelben JII, 280, 410.

•— ihre Grande muffen geprüft werden III,38ro "— der Speculationen III, 292.

der Thatfachen III, 292, 302.

- ihre Grade III, 293, 295, 296.

. falfcbe Grundfätze derfelben IU, 401»

Ausflüchte gegen fie III, 408»

Wefen nominales und reales der Dinge IIt 354. 3<>o.

Ewigkeit deffelben II, 358.

reales Wefen d. Beftimmungen II. 384»

der Subftanzen II, "$cß.

ift nicht erkennbar II, 396, 48*. II 122.

das nominale beftimmt die Gattungen und Arten der Subftanzen II, 395.

ewiges ift nothwendig III. 203, 209.

mufs eine Intelligenz, feyn I1I> 204, 209 feq. 213, 214. '

kann nicht materiell feyn III, 210, 2l6„ Wille II. 7, 52, 33.

ift nicht frei II, 19,

wird durch Unluft beftimmt II, 35»

' ' «' Will«

Reg er. 48?

* , *

Wille Grund feiner verschiedenen Richtungen

auch zum Böfen II, 64. Wirkung Ii, 172.

WifTenfc.haften Einteilung derfelben III, 417. Witz 1, 332.

Wallen, das II, 18, 3l, ??. •— Unteifchied von dem Wünfchen II, 33. Worte Bedeutung derfelben H, 334-

ift nur willkührlich II, 488, 340.

__ Unvollkoinmenh. derf. II, 409 feq. 458, 493;

Folopn derfelben II, 459.

_ Mifsbrauch derfelben II, 463 feq, ,

m— ohne a.le oder beftimmte Bedeut. II, 464.

mit veränderlicher Bedeutung II, 467.

werden falfchlich Für die Dinge felbft ge» halten II, 477.

•^ werden unrichtig zu Zeichen deffen gemacht^

was f:e nicht bezeichnen können II. 481. «— werden anftattd. Begriffe gebraucht Hl, 108.

Zwecke u. Gebrauch der reib. 11. 438-

abfolute bezeichnen oft Verhältnifle II, 178«

negative II, 330,

allgemeine II, ,330, 341 feq.

urfprüngliche II, 33°«

für einfache Vorftellungen, ihre Eigentüm- lichkeit II, 56o,

« lafTen keine Worterklärung zu II, 36 t feq.

fü>gemifchtel3eftiminungenund Verhältniffe, ihre Eigentümlichkeiten Ii, 373. ,

■— das Wefen diefer Vorftellungen wird durch Worte fixirt 11, 38L

für Subfianzen, ihre Eigeuthümlichk. 11,388« abftracte und concrete H, 434. Wortfpielerei 111. 194,

Wunder 111, 306:

ii

Hegifte»;

z.

Zahl allgemeinfte u, einfachfle Begriff I, 46^

Unendlichkeit derfelbeu 1, 487. Zeit Allgemeinheit derfelben 1, 452,

was (ie ift 1, 417, 454.

'~— hefteht wieder aus Zeittheilen I, 454.

1 ihre Theile find nach einander 1, 460»

■— wird als e. Linie vorgeftellt 1, 45B.

*— ift nicht das Maate d, Bewegung 1, 427.

^— Verglfichung drrfelb» mit d. Räume 1, 44t»

«— Verhältnifs der Zeit zur Dauer I, 44g,

tm_ unendliche 1, 444, 445, 480.

*— Ünterfchied zwifchen Unendlichkeit d. Zeit

u. unendlicher Zeit 1, 483, 485. 4^7i 49& Zeitfolge Ur pu>ng des Begriffs 1, 265. Zeitmaafs I, 418. Zeitverhältnifie 1!, 175, Zeugnifle ihre Glaubwürdigkeit Hl, 297, 2g9>

301. i— der Offenbarung ift die höchfte Gewifsheis

111, 307. Zorn 1, 532.

Zufammenhang d. Körper ift unerklärbar 1I>I4£< Zweek des Menfchen 111, 259*