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Vom Geiſt des Judentums

Reden und Geleitworte

von

Martin Buber

Kurt Wolff Verlag / München

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Sechſtes bis achtes Tauſend - 1

Brechet euch einen Neubruch; | es ift die Zeit, Jahwe zu fuchen.

Hofea 10, 12.

ch habe in dieſem Band drei Reden aus den Jahren J 1912— 1914 vereinigt; zur Ergänzung find ihnen

die Geleitworte meiner Buͤcher „Die Geſchichten des

Rabbi Nachman“ (1906) und „Die Legende des Baalſchem“ (1907) beigegeben.

Von der zweiten Auflage an ſind am Schluß der erſten Rede die Sätze geſtrichen, in denen das deutſche Volk aufgerufen wurde, in der Umkehr voranzugehen und eine neue Ara des Einvernehmens mit dem Orient zu begruͤnden. Das deutſche Volk hat die ihm in jenen Sätzen zugedachte Funktion nicht auf ſich ge— nommen und kann ſie nun nicht mehr auf ſich nehmen. Aber Europa ſteht die Entſcheidung noch bevor.

Der Geiſt des Orients und das Judentum

Is

Im Ausgang des achtzehnten Jahrhunderts und im Beginn des neunzehnten wußten Herder und Goethe, Novalis und Goͤrres, daß der Orient eine Einheit iſt. Wohl kannten ſie die Vielfaͤltigkeit ſeiner Voͤlker, die in ihren geſchichtlichen und literariſchen Urkunden damals recht eigentlich erſt von Europa entdeckt worden waren, aber ſie blickten durch die Schale der Vielfaͤltigkeit in den einigen Kern des Geiſtes. Das Morgenland war ihnen kein poetiſcher Tropus, ſondern eine einheitliche, wirkende Wirk⸗ lichkeit, deren Beruͤhrungen ſie erfuhren und deren großes Leben ſich ihrer ehrfuͤrchtigen Ahnung auftat. Dieſe Einſicht blieb lebendig, bis die Raſſentheorie unſeres Zeitalters ihr mit breitem Erfolg entgegen⸗ trat. Wie die Anwendung der naturwiſſenſchaft⸗ lichen Methode auf die Pſychologie, fo hat hier deren Anwendung auf die Geſchichte den edelſten Beſitz der erkennenden Menſchheit zu zerſetzen ver⸗ ſucht: eine Totalitaͤt. Das Verhaͤltnis zwiſchen

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Reizſtaͤrke und Empfindungsſtaͤrke mag errechenbar ſein, von der Wirklichkeit ſeelenhaften Geſchehens weiß dieſe Rechnung nichts auszuſagen; es mag noch ſo exakt feſtſtellbare Raſſenunterſchiede geben, die überraffenhaften Gebilde Voͤlker und Voͤlker⸗ verbaͤnde bleiben, ſolcher Unterſuchung unzugaͤng⸗ lich, die Wirklichkeit des Geiſtes. Als eine Totalitaͤt iſt der große Voͤlkerverband des Orients zu erweiſen, als ein Organismus, in deſſen Gliedern, moͤgen ſie funktionell noch ſo verſchieden ſein, eine gleichartige Struktur und eine gleichartige Vitalitaͤt waltet und der dem Abendland in eignem Recht gegenuͤberſteht.

Man hat den Orientalen zuweilen als eine primi⸗ tive Bildungsſtufe, gleichſam als den ſtehenge⸗ bliebenen Menſchen angeſehen, eine karge und ſchematiſierende Betrachtungsweiſe. Wohl aber darf man vom Drientalen hervorheben, daß die beſtim— mende Zeit ſeines inneren Schickſals, die Zeit, die feinen geiſtigen Charakter geprägt und ſeine ſchoͤpfe⸗ riſche Kraft beſtimmt hat, daß die Stunde ſeiner entſcheidenden Plaſtizitaͤt in eine fruͤhere Epoche der Erdgeſchichte faͤllt als die plaſtiſche Stunde des Europaͤers. Was China und Indien, Agypten und Vorderaſien in dem ungeheuren dritten Jahrtauſend

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vor Chriſti Geburt an formenden Gewalten erlebten, laͤßt ſich aus den von dieſem und dem folgenden Jahrtauſend erhaltenen Reſten ihrer rieſenhaften Schoͤpfungen, dem Schiking und den Veden, den Pyramidenſpruͤchen und dem Gilgameſchepos nur in der Ahnung erſchließen; etwas deutlicher wird uns, was damals geſchah, wenn wir die Maͤnner begreifen, die in der Zeit, als uͤber Griechenland die Bluͤte kam, im Orient erſtanden: Maͤnner der Reſtauration und Regeneration, Verkuͤnder der Umkehr und Wiederherſtellung, die juͤdiſchen Propheten und die Denker der Upaniſchaden, Zara⸗ thuſtra und Laotſe. Man wird daraus verſtehen, warum man vom Drientalen, wie etwa von der aͤgyptiſchen Plaſtik aus dem Anfang des dritten Jahrtauſends, ſagen darf, daß er zugleich primitiv und vollendet iſt.

Ich moͤchte den orientaliſchen Menſchentypus, wie er ebenſo in den Urkunden der aſiatiſchen Antike wie im heutigen Chineſen oder Inder oder Juden erkennbar iſt, im Gegenſatz zum abendlaͤndiſchen, der etwa durch den Griechen der Perikleiſchen Zeit oder durch den Italiener des Trecento oder durch den Deutſchen unſerer Tage repraͤſentiert wird, als den

LE

motorischen im Gegenſatz zum ſenſoriſchen an— ſprechen. Ich nenne ſie ſo nach den Vorgaͤngen, die bei dem einen und bei dem andern im Mittelpunkt des feelifchen Prozeſſes ſtehen; wobei ich wohl weiß, daß ich vereinfachen, Vermiſchtes rein, Fließendes ſtarr, Verknuͤpftes einſam machen muß, um das Weſentliche aufzuzeigen.

Der pſychiſche Grundakt des motoriſchen Menſchen iſt zentrifugal: ein Antrieb geht von ſeiner Seele aus und wird zur Bewegung. Der pſychiſche Grund; akt des ſenſoriſchen Menſchen iſt zentripetal: ein Eindruck fällt in feine Seele und wird zum Bilde. Beide ſind empfindende, beide handelnde Menſchen; aber der eine empfindet in Bewegungen, der andre handelt in Bildern; der erſte hat, wenn er wahrnimmt, das Erlebnis der Tat, der zweite hat, wenn er tut, das Erlebnis der Geſtalt. Beide denken; aber des einen Denken meint Wirken, des andern Denken meint Form.

Ich ſagte: der motoriſche Menſch empfindet in Bewegungen; er tut gleichſam ſeine Empfindung; ſie waͤchſt nicht in ihm, ſondern ſchlaͤgt durch ihn; ſie niſtet nicht einſam in ſeinem Gehirn, ſondern breitet ſich allem verbunden in dem erregten Leibe.

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Die Sinne diefes Menſchentypus find miteinander und mit dem dunklen Leben des Organismus eng verbunden; der Eindruck, der einen ſeiner Sinne trifft, geht als Stoß durch alle, und die ſpezifiſchen Sinnesqualitaͤten erblaſſen vor der Wucht des Ge; ſamtzuſtands. Beim ſenſoriſchen Menſchen ſind die Sinne voneinander und von dem undifferen⸗ zierten Boden des organiſchen Lebens geloͤſt; ſie ſtehen unter der Hegemonie des geloͤſteſten, unabhaͤngigſten, objeftioften unter ihnen, des Geſichtsſinns; der Triumph des Griechentums in der Welt der reinen Geſtaltung iſt das Werk dieſer Hegemonie. Beim motoriſchen Menſchen iſt das Sehen nicht ſouveraͤn, es dient nur der Vermittlung zwiſchen der be— wegten Welt und der latenten Bewegung des

eignen Leibes, der befaͤhigt iſt, jene mitzuempfinden

und mitzuleben; die Bewegung der Welt iſt es, die er mit dem Geſicht wie mit den andern Sinnen aufnimmt und die ſich in ihm fortpflanzt. Er wird weniger des vielfaͤltigen, ruhenden Seins der Dinge inne als ihres Geſchehens und ihrer Ber ziehung, ihrer Gemeinſamkeit und ihrer Gemein⸗ ſchaft; weniger des Umriſſes als der Gebaͤrde; weniger

des Nebeneinander als des Nacheinander; weniger

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des Raums als der Zeit. Dieſer Gegenſatz iſt auch noch in den innerlichſten Erlebniſſen des Geiſtes maͤchtig. Platon ſchaut die von je ruhenden Ideen; was der indiſche Myſtiker ſchaut, iſt nicht die Ruhe, ſondern das Aufhoͤren der Bewegung. Platon ſchaut, und da iſt nichts weiter als das Schauen; der juͤdiſche Prophet ſchaut Gott nur, um fein Wort zu vernehmen. Platon nennt das Weſen der Dinge Cidos, das heißt Geſtalt; der chineſiſche Philoſoph nennt das Weſen der Dinge Tao, das heißt die Bahn.

Das Weltbild des Orientalen iſt von ſeiner Seelenartung beſtimmt. Dem ſenſoriſchen Menſchen, der unter der Fuͤhrung des objektivſten Sinnes, des Geſichts, ſteht, objektiviert ſich die Welt als eine Vielheit von Dingen, die ſich vor ſeinen Augen ausbreitet und zu denen auch er ſelber, ſein Leib gehoͤrt. Dem motoriſchen Menſchen bekundet ſich die Welt als die ſchrankenloſe Bewegung, die ihn durchdringt. Er nimmt die Einzeldinge wahr, aber nicht jedes als ein fuͤr ſich Seiendes, in ſich Ruhen⸗ des und Beſchloſſenes, ſondern alle nur als Knoten⸗ punkte der unendlichen Bewegung, die durch ihn ſelber geht. Nur in dieſem Sinn iſt es berechtigt,

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den Orientalen einen ſubjektiv gerichteten Menſchen zu nennen; er betrachtet naturgemäß die Welt zu; naͤchſt als etwas, was an ihm geſchieht; er ſpuͤrt fie mehr als er ſie wahrnimmt; denn ſie erfaßt und durchfaͤhrt ihn, ſie, die dem Okzidentalen gegenuͤber⸗ tritt. Der Okzidentale begreift ſeine Empfindung aus der Welt, der Orientale die Welt aus ſeiner Empfindung. Der Okzidentale geht in feinem Welt; bild von der Gegenſtaͤndlichkeit der Welt aus, auch wo er von ihr zu den oberſten Abſtraktionen auf⸗ ſteigt oder ſich in die ſeelenhafteſten Geheimniſſe verſenkt, der Orientale von der Innerlichkeit der Welt, die er in ſeiner Innerlichkeit erlebt. Aber dieſe ſeine Innerlichkeit, in der alle Bewegung ſeines Leibes und ſeiner Seele gegruͤndet iſt, iſt ſelbſt nicht Bewegung; er fuͤhlt ſie in ſich unantaſtbar und unwandelbar ruhen, aller Vielfaͤltigkeit, allem Gegenſatz urgrundhaft enthoben, den Mutterſchoß, der alle Vielfaͤltigkeit und allen Gegenſatz gebiert und verſchlingt, den namenloſen Kern und Sinn. Und wie er die Bewegung, die bewegte Erſcheinung der Welt aus ſeiner Empfindung begreift, ſo iſt es dieſes ſein Wiſſen um den Kern und Sinn ſeines Lebens, aus dem er den Kern und Sinn der Welt

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erſchließt; dieſer offenbart ſich ihm in jenem, und in der letzten Wahrheit ſind beide eins. In dieſer Identifizierung wurzelt die ſchoͤpferiſche Gewalt des orientaliſchen Geiſtes. Der Okzidentale ſchreitet ſtu⸗ fenweiſe von der Erſcheinung zur Wahrheit der Welt oder dringt in aufblitzender Intuition zu ihr vor, der Orientale traͤgt die Wahrheit im Kern ſeines Lebens und findet ſie in der Welt, indem er ſie ihr gibt. Dieſes Geben und Finden in einem iſt der religiöfe Akt des Orientalen. Jedes Weltbild iſt ja, feinem Weſen als Bild gemäß, eine Ver⸗ einfachung und Vereinheitlichung der Welt; aber der Grieche etwa vereinfacht ſie, indem er ihre Phaͤnomene unter allgemeine Begriffe einordnet, der Aſiate, indem er aus ſeiner Innerlichkeit, aus der Einheit im Geiſte, die einige Welt aufbaut. Sein Einheitstrieb iſt der elementarere.

Die einige Welt aber ſoll und hier begegnen einander alle großen aſiatiſchen Religionen und Ideologien nicht bloß konzipiert, ſie ſoll realiſiert werden. Sie iſt dem Menſchen nicht gegeben, ſondern aufgegeben; es iſt ſeine Aufgabe, die wahre Welt zur wirklichen Welt zu machen. Hier bewaͤhrt ſich der motoriſche Charakter des Orientalen in

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feiner hoͤchſten Sublimierung: als das Pathos der Forderung. Die Forderung mag durch eine ganz innerliche Tat erfuͤllt werden; ſo meint es der Inder des Vedanta, der, das Gewebe des Scheins zerreißend, ſein Selbſt als mit dem Selbſt der Welt identiſch erkennt und die wahre, die einige Welt in der allumfaſſenden Einſamkeit ſeiner Seele verwirklicht. Oder aber die Forderung geht auf die Aktivitaͤt der ganzen Lebenshaltung. Auf eine Aktivitat etwa, die das Werden der inneren Welt in der äußeren gegen die Übergriffe der gewalt⸗ ſamen Extreme ſchuͤtzt; fo meint es der tasdiſtiſche Chineſe, in deſſen uraltem Weltbild das Geſchehen der Welt aus einem Gegenſpiel zweier Prinzipien, des hellen und des dunklen, quillt, der aber als das einige Urprinzip, in dem beide ſtehen, das Tao, die Bahn, erkennt, das Tao, welches der Weiſe auf Erden mit ſeinem Leben verwirklicht, nicht ein⸗ greifend und doch durch die Weſenhaftigkeit ſeines Tuns und ſeines Nichttuns den einigen Sinn der Welt in der Wirklichkeit durchſetzend. Oder auf eine Aktivitat, die das Hindernde, das boͤſe Prinzip bekaͤmpft und ſo dem Durchbruch der Einheit in der entzweiten Welt dient; ſo meint es der Perſer

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des Aveſta, für den es nicht gilt, das Gleichgewicht zwiſchen Licht und Finſternis zu halten, ſondern fuͤr das Licht ruͤckhaltlos Partei zu nehmen und deſſen Krieg zu führen, bis es die Finſternis völlig ver; nichtet hat und die Welt unter feinem ausſchließ⸗ lichen Walten geeinigt iſt. Immer aber, in allen Geſtalten, iſt es die gleiche beſchwingte Forderung nach dem rechten Leben, dem erfuͤllenden Leben, nach dem „Weg“. Immer tritt das Wiſſen um die Beſchaffenheit der Welt, auf dem der Okzidentale fußt, der ſie bewaͤltigen will, zuruͤck vor dem Wiſſen um den Weg; von aller Lehre des Orients iſt zu ſagen, was ein Pilger von Buddha ſagt: er habe nicht vorgetragen, ob die Welt ewig oder seitlich fei, er habe einzig den Weg gelehrt. Auch Sokrates wollte den Weg und nicht das Wiſſen lehren; aber hier fehlt das Gefuͤhl der oberen Lebenswahrheit: daß das innere Schickſal der Welt von der Handlung des Handelnden in einem Maße ab⸗ haͤngt, das keiner zu ermeſſen vermag. Dieſe Wahrheit bedeutet der „Weg“ der orientaliſchen Lehren. Es iſt die Wahrheit des Wortes „Eins tut not“.

Die Erkenntnis des Orients iſt: daß die Inner⸗ lichkeit der Welt in ihrer Außerung und Offen⸗

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barung gehemmt iſt, daß die urgemeinte Einheit geſpalten und entſtellt iſt, daß die Welt des Men; ſchengeiſtes bedarf, um ſie zu loͤſen und zu einigen, und daß das Leben des Menſchen auf der Welt einzig darin ſeinen Sinn und ſeine Macht hat. Das Sein ſteht in der Entzweiung: in der Entzweiung von Ja und Nein, ſagt die chineſiſche Formulierung, von Gut und Boͤſe, die perſiſche, von wahrer Welt und Scheinwelt, die indiſche. Der Menſch iſt be— rufen, das Sein aus der Entzweiung zur Einheit zu bringen. Die Welt harrt des Menſchen, daß er ſie einige. Der Pfade, die ihn zu dieſem Werke fuͤhren, ſind viele, aber der Weg iſt der eine, 7 ödös tod eo (Mc. 12, 14), der Weg Gottes in der Welt.

Das aber iſt die ewige Groͤße des Orients und ſeine ewige Bedeutung fuͤr das Menſchentum, daß dieſe Erkenntnis ganz ins Leben gekehrt iſt: ob ſie in Einſamkeit oder in Gemeinſchaft, in der Stille oder im Kampf zu verwirklichen iſt, ihr Weſen iſt, daß ſie verwirklicht zu werden heiſcht. Als Erkenntnis iſt ſie nur angelegt, vollendet iſt ſie erſt als Tat. Die gedachte Idee iſt dem Orient ein Entwurf, der erſt in der gelebten zur Realitaͤt wird. Sie allein iſt.

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2.

Das Grundprinzip des Orients, das ich dar— gelegt habe, iſt in allen ſeinen Voͤlkern, die ſich ein geiſtiges Haus erbauten, zur Entfaltung gelangt. Aber in einem unter ihnen, in dem kleinſten und ſpaͤteſten, an der räumlichen Scheide zwiſchen Mor; gen⸗ und Abendland geſiedelt und an der zeitlichen Scheide zwiſchen Bluͤte des Morgenlands und Bluͤte des Abendlands ſich erſchließend, hat es eine Wendung erfahren, welche das Geſchick der Menſch—⸗ heit fuͤr die bis zu uns reichende Epoche entſchieden hat.

Die Juden ſind ein Spaͤtling des Orients. Sie erſcheinen zu einer Zeit, da die großen Voͤlker des Orients laͤngſt aus der Ara der Plaſtizitaͤt, der beſtimmend formenden Erlebniſſe getreten waren, und ihre ſchoͤpferiſche Kraft beginnt ſich zu offenz baren, als jene Voͤlker die ihre laͤngſt in weitaus⸗ geſpannten Kulturen ausgepraͤgt hatten. Zwei dieſer Kulturen, von denen die bibliſchen Urkunden der aͤlteſten Wanderungen Iſraels zu erzählen wiſſen, die babyloniſche und die aͤgyptiſche, haben das junge Volk der Juden beſchenkt. Eine Gruppe von Gelehrten hat aus dieſer Tatſache die

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Unſelbſtaͤndigkeit und Unproduktivitaͤt des juͤdi— ſchen Geiſtes ableiten zu koͤnnen geglaubt. Aber all ihr Bemühen geht von einer grundfalichen Voraus; ſetzung aus: es beſtehe die produktive Selbſtaͤndig—⸗ keit eines Menſchen oder eines Volkes darin, daß die Inhalte ſeiner Schoͤpfung nicht von andern hergenommen ſind. Das Gegenteil iſt wahr; ſchaffen heißt die Elemente in ſich verſammeln und zum Gebilde verſchmelzen, und es gibt keine andre zu— laͤngliche Selbſtaͤndigkeit als die der Geſtaltung. Nicht wo einer ein „Motiv“ findet, ſondern was er daraus bildet, iſt hiſtoriſch entſcheidend. Wenn ein aͤgyptiſcher Prieſter des zweiten Jahrtauſends prophezeit, es werde eine Hungersnot uͤber das Land kommen, dann aber werde ein Koͤnig erſcheinen, der den fruͤheren Wohlſtand wiederherſtellt, ſo mag damit ein „Schema“ tradiert fein, aber es iſt ger haltlos und unfruchtbar; wenn aber tauſend Jahre danach Amos von Tekoa dieſes Schema ergreift und mit ſeiner Inbrunſt lebendig macht, wenn er verkuͤndet, der Herr Jahwe werde Iſrael unter allen Voͤlkern ſieben, daß kein Korn zur Erde falle, und werde die zerfallene Huͤtte Davids aufrichten, dann iſt hier und nicht dort Schoͤpfung, hier und

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nicht dort Anfang. Und das gleiche ergibt ſich, wenn man einen babyloniſchen Bußpſalm mit einem jüdiſchen vergleicht; dort die Beteuerung des Beters, er habe nur unwiſſentlich gegeſſen, was ſeinem Gott ein Greuel iſt, hier die Bitte: Gib mir einen neuen und gewiſſen Geiſt. Was kann es gelten, wieviel da etwa uͤbernommen wurde, gegenuͤber dem unſaͤglichen Prozeß der Verinnerlichung, der ſich daran vollzogen hat? Verinnerlichung ſo duͤrfen wir es nennen, was das juͤdiſche Volk an den geiſtigen Elementen des Orients, die in ſeine Hand kamen, getan hat. Aber mit dieſem Namen meine ich nichts Allgemeines, ſondern etwas durch— aus Eigentuͤmliches.

Alles, was ich vom Orientalen geſagt habe, gilt mit beſonderer Deutlichkeit vom Juden. Er repraͤ⸗ ſentiert den motoriſchen Menſchentypus in ſeiner reichſten Auspraͤgung. „Sein Bewegungsſyſtem“, ſo habe ich es zu formulieren verſucht“), „arbeitet intenſiver als ſein Sinnenſyſtem, er hat im Handeln mehr Subſtanz und mehr Perſoͤnlichkeit als im Wahrnehmen, und ſeinem Leben iſt wichtiger, was er zuſtande bringt, als was ihm widerfaͤhrt.“ Das

*) Drei Reden über das Judentum (1911).

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Tun iſt ihm weſentlicher als das Erleben, oder richtiger: ſein weſentliches Erleben iſt in ſeinem Tun. Wie der Orientale uͤberhaupt, ſo wird ganz beſonders der Jude mehr der Gebaͤrde der Dinge als ihres Umriſſes inne, mehr des Nacheinander als des Nebeneinander, mehr der Zeit als des Raumes. „Die malenden Epitheta der Bibel ſpre— chen im Gegenſatz zu den homeriſchen nicht von Form und Farbe, ſondern von Schall und Be— wegung, die adaͤquateſte kuͤnſtleriſche Ausdrucks form des Juden iſt die ſpezifiſche Zeitkunſt, die Muſik, und der Zuſammenhang der Generationen iſt ihm ein ſtaͤrkeres Lebensprinzip als der Genuß der Gegenwart.“ Er erfaͤhrt die Welt weniger in dem geſonderten vielfaͤltigen Einzeldaſein der Dinge als in ihrer Verbindung, ihrer Gemeinſamkeit und Ge; meinſchaft. „Er ſieht den Wald wahrhafter als die Baͤume, das Meer wahrhafter als die Welle, die Gemeinde wahrhafter als den Menſchen. Darum hat er mehr Stimmungen als Bilder, und darum auch treibt es ihn, die Fuͤlle der Dinge, ehe ſie noch ganz durchlebt wurde, im Begriff zu binden.“ Beim Griechen iſt der Begriff der Abſchluß eines ſeeliſchen Prozeſſes, beim Juden der Anfang. Aber

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weit tiefer wurzelt in ihm des Orientalen elementarer Einheitstrieb, der in ihm, wie ich ſchon ſagte, eine denkwuͤrdige Wendung genommen hat.

Auch der Jude ſieht die Innerlichkeit der Welt in ihrer Außerung und Offenbarung gehemmt, die urgemeinte Einheit geſpalten und entſtellt; auch er ſieht die Welt in der Entzweiung ſtehen. Aber er erlebt die Entzweiung nicht bloß als etwas, was ſich ihm in der Welt kundgibt, wie der Chineſe, oder im Verhaͤltnis zwiſchen der Welt und dem erkennen⸗ den Subjekt, wie der Inder, oder im Verhaͤltnis zwiſchen der Welt und dem handelnden Subjekt, wie der Perſer. Sondern er erlebt ſie vor allem andern zuinnerſt in ſich ſelber: als die Entzweiung ſeines eignen Ich. Die einige Welt, die aufgebaut werden ſoll, iſt im Menſchen ſelber gemeint und angelegt als der „Wille Gottes“; aber im Menſchen ſelber ſteht ihr das Hemmende, das Widerſtrebende entgegen. Er fuͤhlt ſich zu jenem berufen, aber in dieſes eingebettet; er erlebt ſich als den Schauplatz des ungeheuerſten Widerſpruchs. Ein repraͤſentativer Jude, Saul von Tarſos, hat dieſe Erfahrung in er⸗ ſchuͤtternd einfachen Worten ausgeſprochen: „Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht, ſondern das

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Boͤſe, das ich nicht will, das tue ich.“ Der Menſch, dem dies widerfaͤhrt, ſteht in der Unfreiheit der Entzweiung, in der Bedingtheit, im Zwieſpalt, in der „Suͤnde“; denn Suͤnde bedeutet gar nichts andres als zwieſpaͤltig, unfrei leben. Er iſt der Traͤger der Weltentzweiung, er erlebt an ſich ſelber das Schickſal der Welt, die aus der Freiheit in die Unfreiheit, aus der Einheit in die Entzweiung gefallen iſt. Es iſt aber in ſeine Macht gegeben, auch der Traͤger der Welteinung zu ſein. Wie der Inder die Welt zur Einheit bringt, indem er erkennt, ſo bringt der Jude die Welt zur Einheit, indem er ſich entſcheidet. Beides iſt ſcheinbar nur ein Vor⸗ gang im und am Individuum, in Wahrheit iſt es ein Vorgang im und am Weſen der Welt. (Der im Geiſt lebende Orientale fuͤhlt ſich nicht als ein von den andern getrenntes Individuum, ſondern als Subjekt ſchlechthin, ebenſo wie er die Gemeinde nicht als eine Gruppe von Individuen, ſondern als Subjekt ſchlechthin empfindet.) Das Weſen der Welt iſt es, das in der Erkenntnis des Inders und in der Entſcheidung des Juden zu ſich ſelber, zu ſeiner Einheit und Ganzheit kommt. Darin offenbart ſich nicht etwa bloß einem Menſchen die

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Einheit feines Geiſtes mit dem Weltgeiſt, ſondern es erfuͤllt ſich die Einheit des Seins. In der Ent⸗ ſcheidung entſcheidet ſich die entzweite Welt zur Ein heit. Der in der Entſcheidung ſteht, weiß nichts, als daß er zu waͤhlen hat, und auch das weiß er nicht mit dem Denken, ſondern mit dem Sein; aber wenn er mit der ganzen Seele waͤhlt, vollzieht ſich das Myſterium, und der Geiſt Gottes ſchwebt uͤber den Waſſern.

Mit der ganzen Seele. Wer ſich mit der ganzen Seele entſcheidet, entſcheidet ſich zu Gott; denn alle Ganzheit iſt Gottes Ebenbild, und in jeder leuchtet er ſelber auf. In der wahrhaften, geeinten Ent⸗ ſcheidung, in der alle Zweiheit aufgehoben iſt, er fuͤllt ſich in ewiger Erſtmaligkeit der Urſinn der Welt. Von ihr ſagt ein juͤdiſches Wort: „Die Welt iſt um der Wahl des Waͤhlenden willen erſchaffen worden.“

Dem Menſchen, der ſich entſcheiden ſoll, ſtellt ſich ſeine Entzweiung als die von Gut und Boͤſe dar, das heißt von Richtung und Kraft. Nur wo ſich eine Seele nicht zur Ganzheit zuſammenzuſchließen vermag, ergreift fie das Boͤſe: laͤßt fie die richtungs—⸗ loſe Kraft gewaͤhren; die aus ihrer Einheit ent—

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ſcheidet, in der find Kraft und Richtung vereint, die ungeſchmaͤlerte Gewalt des leidenſchaftlichen An— triebs und die unabgelenkte Geradheit der Intention. An dem ihm anvertrauten Bereich vollendet dieſer Menſch das Werk der Schoͤpfung. Jedes Dinges Vollendung aber, des groͤßten und des geringſten, ruͤhrt an das Goͤttliche.

Man kann von dieſem Ort aus uͤberſchauen, wie unter allen Orientalen der Jude der offenbarſte Widerpart des Griechen iſt. Der Grieche will die Welt bewaͤltigen, der Jude will ſie vollenden; fuͤr den Griechen iſt ſie da, fuͤr den Juden wird ſie; der Grieche ſteht ihr gegenuͤber, der Jude iſt ihr ver⸗ bunden; der Grieche erkennt ſie unter dem Aſpekt des Maßes, der Jude unter dem des Sinns; fuͤr den Griechen iſt die Tat in der Welt, fuͤr den Juden iſt die Welt in der Tat.

Jene hoͤchſte Sublimierung des motoriſchen Cha⸗ rakters des Orientalen, das Pathos der Forderung hat im Judentum ſeine groͤßte Intenſitaͤt gewonnen. Daß er die Entzweiung der Welt in ſich als die ſeine erlebt, gibt dem Einheitsverlangen des Juden den ſiegreichen Impuls. Er hat das Bangen der Welt nicht bloß erfahren, er hat es erlitten; in ſeinem Willen

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sum Einswerden pocht die Sehnſucht der Welt; und was er, erloͤſend und einend, an ſich ſelber und an den Weſen und Dingen vollbringt, die ihm zugeteilt find oder ihm begegnen, das tut er in urgeheimem Zuſammenhang dem Herzen der Welt. In allem Ereignis bekundet ſich ihm jene obere Lebenswahr— heit des Orients, von der ich geſprochen habe: daß das innere Schickſal der Welt von der Handlung des Handelnden in einem Maße abhaͤngt, das keiner zu ermeſſen vermag. Die Grundanſchauung des Judentums iſt die Anſchauung von dem abſo— luten Wert der Tat als einer Entſcheidung. Scheinbar iſt die Tat unentrinnbar eingeſtellt in das eherne Gefuͤge der Urſaͤchlichkeit, aus deſſen Regeln ſich ihr Gewicht ergibt; aber in Wahrheit wirkt ſie tief und heimlich ins Schickſal der Welt, und wenn ſie ſich auf ihr goͤttliches Ziel, die Einheit, beſinnt, wenn ſie ſich von der Bedingtheit losmacht und im eignen Lichte, das iſt im Lichte Jahwes, wandelt, iſt ſie frei und gewaltig wie Gottes Tat.

Unter allen Geiſtesgeſtaltungen der Menſchheit iſt das Judentum die einzige, in der die Entſcheidung des Menſchen ſolcherweiſe Mitte und Sinn alles Geſchehens wird.

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Teſchuba, Umkehr ſo heißt der Akt der Ent: ſcheidung in ſeiner letzten Steigerung: wenn er die Zaͤſur eines Menſchenlebens, den erneuernden Umſchwung mitten im Verlauf einer Exiſtenz bedeutet. Wenn mitten in der „Suͤnde“, in der Entſcheidungs—⸗ loſigkeit, der Wille zur Entſcheidung erwacht, birſt die Decke des gewohnten Lebens, die Urkraft bricht durch und ſtuͤrmt zum Himmel empor. An dem Umkehrenden geſchieht die Schoͤpfung aufs neue; an ſeiner Erneuerung erneuert ſich der Beſtand der Welt. Ehe die Welt erſchaffen war, heißt es, war da nichts als Gott allein und ſein Name; da geriet es in ſeinem Sinne, die Welt zu erſchaffen, und er zeichnete ſie vor ſich hin; aber er ſah, daß die Welt nicht beſtehen konnte, weil ſie keine Grundfeſte hatte; da ſchuf er die Umkehr.

Durch die Inbrunſt ſeiner Forderung der Um— kehr und durch die Inbrunſt ſeines Glaubens an die Macht und Herrlichkeit der Umkehr, durch ſeine neue Magie, die Magie der Entſcheidung, hat das Judentum den Okzident fuͤr die Lehre des Orients gewonnen. Durch ſie iſt es recht eigentlich der wirkende Orient geworden.

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3.

Keine der großen religioͤſen Lehren iſt im Abend— land entſtanden; das Abendland ſteht ihnen rezeptiv gegenuͤber. Es verarbeitet, was der Orient ihm darreicht, es paßt es feinen Denk- und Gefuͤhls⸗ formen an und modelt es nach ihnen um, zuweilen gelingt es ihm, es auszubauen; niemals aber ver⸗ mochte es den rieſenhaften Sinnbildern Aſiens ein eignes gegenuͤberzuſtellen, niemals, die fugenloſe Welt einer Gotteslehre auf irrationalem und un⸗ erſchuͤtterlichem Grunde aufzurichten. Europa hat Ideologien von unvergleichlicher Reinheit, Sicherheit und Geſchloſſenheit, aber keiner von ihnen eignet die elementare Gewalt der großen Lehren; Europa hat Dichtungen von heiliger Bildkraft, aber keine von ihnen kennt jene Metaphern des Namenloſen, welche die Sprache der großen Lehren ſind; Europa hat religioͤſe Genies von innerſter Legitimitaͤt, aber keiner von ihnen hat das Myſterium ſelbeigen aus dem Abgrund gehoben und in die Welt der Menz ſchen eingeſetzt, ſie alle haben es empfangen, getragen und offenbart auch der groͤßte unter ihnen, Eckhart, iſt nur ein ſpaͤter Sendbote des morgen— laͤndiſchen Meiſters.

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Was iſt es, was Europa fehlt, weſſen es allezeit bedarf und was es aus ſich nie erzeugen kann? Es hat das umfaͤnglichſte und ausgebildetſte Wiſſen und findet aus ſich nicht den Sinn; es hat die ſtrengſte und reinlichſte Zucht und findet aus ſich nicht den Weg; es hat die reichſte und freieſte Kunſt und findet aus ſich nicht das Zeichen; es hat den innigſten und geradeſten Glauben und findet aus ſich nicht den Gott. Was ihm fehlt, kann nicht die Einheitsfunktion ſein, all ſein Denken wurzelt in ihr; es kann nicht die Symbolfunktion ſein, all ſein Bilden kommt aus ihr her; es kann nicht die Kraft des Aufbaus fein. Was ihm fehlt, iſt die Aug; ſchließlichkeit der Kunde vom wahrhaften Leben, die eingeborne Gewißheit jenes Eins tut not. Dies iſt es, was in den großen Lehren des Orients und einzig in ihnen ſchoͤpferiſch beſteht. Sie ſetzen das wahrhafte Leben als das fundamentale, von nichts anderm abgeleitete, auf nichts andres zuruͤckzufuͤh⸗ rende metaphyſiſche Prinzip; ſie verkuͤnden den Weg. Es gibt, ſo ſprechen ſie, dem Menſchen nirgendwo anders den Sinn als im wahrhaften Leben, das die Welt einigt und erloͤſt; es gibt ihm nirgendwo anders die Wahrheit als im wahrhaften

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Leben. Wer den Weg geht, geht in den Fußtapfen Gottes.

Unter den großen Geiſtesgeſtaltungen des Orients mußte die entſcheidende Wirkung auf den abend; laͤndiſchen Menſchen die ausüben, in der die Ber, kündung des wahrhaften Lebens als Forderung an jeden Menſchen erging; fuͤr die es nicht das Vorrecht des Weiſen, des Erleſenen war, ſondern jedem gleicherweiſe zugaͤnglich, und die gerade den Verirrten, den Richtungsloſen, den „Suͤnder“ am maͤchtigſten beſchwor: die juͤdiſche Lehre von der Entſcheidung und der Umkehr. Die andern haben auf Weiſe, auf Erleſene gewirkt, dieſe auf die Voͤlker, auf das Volk des Abendlands. Daß jedem, der das Rechte ergreift, die Pforten des Gottesreichs offen⸗ ſtehen, daß, wer ſich nach dem Troſt des Unbe— dingten ſehnt, das Unbedingte nur handelnd zu erwaͤhlen braucht, das zwang die Weiſen und die Einfaͤltigen in eine Gemeinde zuſammen. Die erſte große werbende Eigentuͤmlichkeit der juͤdiſchen Lehre war dieſe ihre Alloffenheit, die zweite war ihre Richtung auf die poſitive Tat. Sie wollte nicht, wie etwa der Buddhismus, von der Welt weg, fon dern ins Herz der Welt fuͤhren; ſie forderte von

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dem tätigen Menſchen nicht, daß er auf das Tun verzichte, ſondern daß er das Rechte tun lerne; ſie toͤtete die lebendige Energie der Leidenſchaft nicht, ja ſie wollte ſie noch ſteigern durch den ungeheuren Anſpruch, den ſie an ſie ſtellte. Beide Prinzipien der juͤdiſchen Lehre ſind in den feierlichen Worten des Tanna debe Elijahu vereinigt: „Ich nehme zu Zeugen den Himmel und die Erde, daß auf Heiden und Juden, auf Mann und Weib, auf Knecht und Magd der heilige Geiſt ruhen kann, alleinzig nach der Tat des Menſchen.“ Von beiden Prinzipien war die urchriſtliche Bewegung getragen, durch deren Entwicklung die juͤdiſche Lehre das geiſtige Schickſal des Abendlandes geſtaltete.

Wohl hat dieſe Bewegung nicht mit ihrem ur⸗ ſpruͤnglichen Weſen, ſondern ſynkretiſtiſch vermiſcht das Abendland uͤberwaͤltigt; wohl hat ſie vom Hellenismus mehr angenommen als Bilder und Worte; aber das dauernd Zeugende im Chriſten— tum war juͤdiſches Urgut. Es iſt bedeutſam, daß das erſte Wort der Predigt Jeſu bei den Syn⸗ optikern, das die Predigt des Täufers wiederholt, das Grundwort der Propheten iſt: Kehret um, und in ſeinem innern Sinn nur aus der uͤber⸗

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lieferten Lehre von der Teſchuba verſtanden werden kann. Die Schwungkraft der Botſchaft Jeſu iſt die altjuͤdiſche Forderung der unbedingten Entſcheidung, die den Menſchen wandelt und ins Gottesreich hebt. Und ſie iſt die Schwungkraft des Chriſtentums geblieben, auf die es zuruͤckgriff, ſo⸗ oft es ſich erneuern wollte und wenn es ſich dabei noch ſo ſehr zu entjuden vermeinte.

4.

Die urchriſtliche Bewegung war im Judentum keine iſolierte Erſcheinung; wie ſie aus dem Schoße alter juͤdiſcher Lebensgemeinſchaften entſtanden war, ſo war ſie auch in ihrer Zeit ſelbſt nur eine der Außerungen einer neuen geiſtigen Blüte, von der uns das Schrifttum bedeutende, wenn auch frag⸗ mentariſche Zeugniſſe uͤberliefert hat. Mitten in dieſer Epoche großer Fruchtbarkeit kam uͤber die Juden das Verhaͤngnis: der Untergang ihres Staa⸗ tes. In welcher Fuͤlle ſeiner Lebenskraft dieſes Volk gebrochen wurde, zeigte ſechs Jahrzehnte nach der Zerſtoͤrung Jeruſalems der große Aufſtand Barkochbas, der ſo gewaltig war, daß Rom um ſeinen ganzen orientaliſchen Beſitz bange wurde

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und daß, als ihm im vierten Jahr unabläffiger An⸗ ſtrengungen ſeiner beſten Feldherrn und Truppen die Niederwerfung des judaͤiſchen Voͤlkleins gelang, Hadrian in ſeiner Siegesmeldung an den Senat die uͤbliche Formel „Ich und mein Heer befinden uns wohl“ wegließ. Was damals dem Judentum geſchah, laͤßt ſich in ſeiner tragiſchen Tiefe nur ahnen; wie ein ungeheuerliches Sinnbild mutet der Bericht an, daß auf dem Markt an der Terebinthe Abrahams zu Hebron Juden um den Preis eines Pferdes verkauft wurden. So kamen ſie an das Abendland.

Dieſes Ereignis hat die Geſchichte des Judentums entzweigebrochen, wie es nie zuvor und darnach einem Volk widerfuhr. Indem es feiner morgen; laͤndiſchen Erde entriſſen wurde, wurde es zugleich der Kontinuitaͤt ſeines geiſtigen Werdens entriſſen. Das iſt aus zwei Dingen zu verſtehen: aus dem Zuſammenhang des antiken Juden mit feinem Lande und aus der Geneſis ſeiner geiſtigen Produktivitaͤt.

Einige Gelehrte, die ſich mit der Pſychologie des Judentums befaßt haben, ſprechen mit axiomatiſcher Sicherheit die Anſicht aus, Iſrael ſei ein Nomaden—

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volk geweſen und geblieben, und leiten allerlei wirkliche oder angebliche juͤdiſche Eigenſchaften davon ab. Dieſe Anſicht wird etwa damit begruͤndet, daß in den bibliſchen Büchern, fo bei den meiſten Pro; pheten, uns uͤberall Bilder und Gleichniſſe aus dem Hirtenleben entgegentraͤten, wogegen die aus dem Bauernleben aͤußerſt ſelten ſeien. Das trifft auf keines der Bücher zu; ja in den aͤlteren der pro; phetiſchen Buͤcher, deren Urheber am ſtaͤrkſten mit dem natürlichen Leben des Volkes zuſammenhingen, wie etwa beim erſten Jeſaja, kommt auf zwanzig Bilder aus Feld, Garten und Weinberg kaum eins aus der Viehzucht. In Wahrheit haben wir von der Zeit vor der Eroberung Kanaans zu wenig zu⸗ verläffige Kenntnis, um die Behauptung wagen zu duͤrfen, die Juden ſeien damals ein reines Nomaden⸗ volk geweſen; und ſoweit wir die bibliſchen Erzaͤh— lungen als Quelle anzuſehen berechtigt find, koͤnnen wir aus ihnen das Gegenteil herausleſen; Iſaaks Segen an Jakob iſt der Segen eines Ackerbauers und Joſefs Traum vom Garbenbinden der Traum eines Ackerbauers. In der palaͤſtinenſiſchen Zeit aber zeugt das ganze Schrifttum von einer Liebe zur Scholle, von einer Verklaͤrung des Bodenbaus,

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wie wir ſie bei wenigen andern Voͤlkern finden; goͤttliche Drohungen und goͤttliche Verheißungen haben faſt immer den Acker zum Gegenſtand; und Jeſus Sirach ſpricht das Gefuͤhl der Jahrhunderte aus, wenn er ſagt, der Pfluͤger erhalte die ewige Schoͤpfung in ihrem Beſtand. Selten hat es ein Volk gegeben, das fo in feiner Seßhaftigkeit be; ſchloſſen und beſeligt war. Und das ganze geiſtige und religioͤſe Leben des alten Judentums war eng verbunden mit dem Leben der Erde, mit dem Leben dieſes vertrauten Bodens; Gott war der Lehnsherr des Ackers, ſeine Feſte waren Ackerfeſte, und ſein Geſetz ein Ackergeſetz; zu welcher Hoͤhe allgemeinen Geiſtes ſich die Prophetie auch erhob, fie wurzelte immer in dieſem natuͤrlichen Leben, und ihre Forde; rung wollte in dieſem natuͤrlichen Leben verwirk licht werden immer wollte ihr allgemeiner Geiſt einen Leib aus dieſer beſonderen kanaganaͤiſchen Erde anziehen. Die juͤdiſche Religion lehrte (und das außerpauliniſche Urchriſtentum iſt ihr darin treu geblieben) nicht wie das pauliniſche Chriſtentum ein Hinaustragen der Botſchaft in die Voͤlker, nicht wie der Iſlam ein Erobern der Welt fuͤr den Glauben, ſondern die Einwurzelung im heimatlichen

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Boden, die Bewährung des rechten Lebens in der Enge, die vorbildliche Geſtaltung einer Menſchen⸗ gemeinſchaft auf der ſchmalen fanaandifchen Erde. Und die am tiefſten urſpruͤngliche Schoͤpfung des Judentums, der Meſſianismus, iſt nur die gleiche Idee, als letzte Erfuͤllung gedacht, in die abſolute Zukunft projiziert, da der Herr allen Voͤlkern auf dem Berge Zion ein Mahl richten wird von reinem Wein, darinnen keine Hefe iſt. Alles Schaffen nahm ſeine Kraft und ſeine Geſtalt aus dem orga⸗ niſchen Zuſammenhang mit dieſer Erde. Und nun wurde dieſer Zuſammenhang zerriſſen; mit ihm zerriß der innere Zuſammenhang des jiuͤdiſchen Geiſtes. Gott wurde aus einem Lehnsherrn des Ackers der Schutzherr der Froͤmmigkeit, ſeine Feſte aus Ackerfeſten Feſte der Synagoge und ſein Geſetz aus einem Ackergeſetz ein Ritualgeſetz; der Geiſt wurde von ſeinen Wurzeln geloͤſt. Damals wurden die Juden ein Nomadenvolk.

Aber noch ein Zweites kam hinzu. Das geiſtige Leben der orientaliſchen Voͤlker, in dem die Ge, fahren des motoriſchen Menſchen mit ſeinen ſub⸗ limſten Moͤglichkeiten verknuͤpft ſind und die Preis⸗ gabe des Selbſt an den Taumel der Welt ſich von

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den gleichen Wurzeln naͤhrt wie die Beſinnung des Selbſt auf feine und der Welt unwandelbare Inner; lichkeit, entwickelt ſich oft in der Form eines Kampfes: des Kampfes der ſchoͤpferiſchen Geiſter, der Fuͤhrer und Erloͤſer, gegen die Richtungsloſigkeit der Volks; triebe. Eine beſondere Intenſitaͤt und Fruchtbarkeit hat dieſer Kampf im alten Judentum. Aus dem Erlebnis der inneren Entzweiung und aus der immanenten Forderung der Entſcheidung, das heißt des Einswerdens der Seele, ergab fi) das Aus— einanderfallen des Volkes in zwei geiſtige Klaſſen, die der Waͤhlenden, der ſich Entſcheidenden, der zur Unbedingtheit Durchdringenden, der ans Ziel Hin; gegebenen, und die der Geſchehenlaſſenden, der Ent; ſcheidungsloſen, der traͤge in der Bedingtheit Ver; harrenden, der zweckhaft Selbſtſuͤchtigen und Selbſt⸗ zufriedenen; bibliſch geſprochen, die der Diener Jahwes und die der Diener Baals, wobei zu be; achten iſt, daß dieſe ſich keineswegs etwa fuͤr Baal und gegen Jahwe entſchieden, ſondern nach dem Wort Elijas „auf beiden Seiten hinkten“. Im Kampf gegen ſie entzuͤndet ſich allezeit die ſpezifiſche Genialitaͤt der Propheten und Lehrer Iſraels; ſie iſt eine kaͤmpferiſche Genialitaͤt, und die juͤdiſche

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Fruchtbarkeit ift eine kaͤmpferiſche Fruchtbarkeit. Im Gegenſatz zu der des Abendlandes, die auf das Werk geht und an ihm ihre Grenze hat, hat die juͤdiſche Produktivitaͤt Form, aber keine Grenze; ſie hat, darf man wohl ſagen, die Form des Unendlichen, denn ſie hat die Form des Geiſteskampfes.

Mit der Zerſtoͤrung des juͤdiſchen Gemeinweſens wurde die Fruchtbarkeit des Geiſteskampfes ge⸗ ſchwaͤcht. Die geiſtige Kraft ſammelte ſich nunmehr auf die Erhaltung des Volkstums gegen die aͤußeren Einfluͤſſe, auf die ſtrenge Umzaͤunung des eignen Bereiches, um das Eindringen fremder Tendenzen zu verhuͤten, auf die Kodifizierung der Werte, um aller Verſchiebung vorzubeugen, auf die unmiß⸗ verſtaͤndliche, unumdeutbare, alſo konſequent ra⸗ tionale Formulierung der Religion. An die Stelle des gotterfuͤllten, fordernden, ſchoͤpferiſchen Elements trat immer mehr das ſtarre, nur erhaltende, nur fortſetzende, nur abwehrende Element des offiziellen Judentums; ja, es richtete ſich immer mehr gegen das Schoͤpferiſche, das ihm durch ſeine Kuͤhnheit und Freiheit den Beſtand des Volkstums zu ge; faͤhrden ſchien, es wurde verketzernd und lebens

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feindlich. In der ſterilen Atmoſphaͤre dieſes Kampfes entwickelte ſich eine abgeloͤſte Geiſtigkeit, eine von dem Wurzelgrund des natuͤrlichen Lebens und von den Funktionen des echten Geiſteskampfes abgeloͤſte Geiſtigkeit, neutral, ſubſtanzlos, dialektiſch, die ſich an alle Gegenſtaͤnde, auch an die indifferenteſten, hingeben konnte, um ſie begrifflich zu zergliedern oder in Beziehung zueinander zu ſetzen, ohne auch nur einem wirklich ſchauend⸗triebhaft anzugehoͤren. Die gebrochene, des Zuſammenhangs beraubte ſchoͤp— feriſche Kraft, die Kraft der Unbedingtheit lebte nur noch fort in Ketzern, die zumeiſt machtlos und geſtaltlos blieben und im Dunkel untergingen, zu⸗ weilen, wie der große Spinoza, die Umzaͤunung durchbrachen und die Welt anredeten, daß ſie ſtille wurde, um ihnen zu lauſchen; in meſſianiſchen Be⸗ wegungen, die in ungeheuren Wirbeln glaͤubiger Begeiſterung aufſtiegen und zuſammenfielen; und in der tiefen Welt der juͤdiſchen Myſtik, die das heilige Feuer der alten Gottverbundenheit unter⸗ irdiſch huͤtete und es nur einmal, ein einziges ſpaͤtes Mal ins Volk aufflammen ließ: in der großen reli— gioͤſen Erhebung des Chaſſidismus, die im acht⸗ zehnten Jahrhundert die polniſche Judenheit er;

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faßte; er offenbarte noch einmal die ſchrankenloſe Gewalt des orientaliſchen Menſchen aus den ent⸗ brannten Seelen, aber im Bann der Angſte um die Wahrung der Art befangen, wagte er die Um; zaͤunung nicht anzutaſten und vermochte ſich daher die Funktionen des echten Geiſteskampfes nicht an⸗ zueignen.

So konnte es geſchehen, daß im neunzehnten Jahrhundert, als die Emanzipation das Judentum auf einen hohen Berg fuͤhrte und ihm die Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit zeigte, die Umzaͤunung durchbrochen und niedergetreten wurde nicht von einer elementaren, zu neuer Schoͤpfung draͤngenden Kraft, ſondern von blaſſen, ſchwaͤchlichen Reform⸗ verſuchen, die ihre Gedanken und Formen den Muſterbuͤchern des europaͤiſchen Aufklaͤrertums und der ſogenannten fortgeſchrittenen Religionen entnah⸗ men. Wir leben in der problematiſchen Situation, die auf dieſe Verſuche gefolgt iſt: in der im Judentum der letzte alte Aufbau des orientaliſchen Geiſtes erſchuͤttert und einem neuen kein Grund gelegt ſcheint.

Und doch beſteht dieſer Grund, beſteht uner— ſchuͤttert fort. Dieſer Grund iſt die Seele des Juden ſelbſt. Denn der Jude iſt Orientale geblieben.

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Er iſt aus feinem Lande getrieben und über die Laͤnder des Abendlands geworfen worden; er hat unter einem Himmel wohnen müffen, den er nicht kannte, und auf einem Boden, den er nicht be— baute; er hat das Martyrium erduldet und, was ſchlimmer iſt als Martyrium, das Leben in der Erniedrigung; die Sitten der Voͤlker, bei denen er wohnte, haben ihn angeruͤhrt, und er hat die Sprachen der Voͤlker geſprochen; und in alledem iſt er Orientale geblieben. Er hat die motoriſche Schrankenloſigkeit des Grundweſens mit ihren Be; gleiterſcheinungen, der Herrſchaft des Zeitſinns und der ſchnellen Begriffsfunktion, in ſich bewahrt, er hat den elementaren Einheitstrieb und die imma; nente Forderung in ſich bewahrt, zuweilen ver— ſchuͤttet, zuweilen entartet, nie völlig erdruͤckt. Man wird fie im angepaßteſten Juden entdecken, wenn man ſein Gemuͤt zu erſchließen vermag; und welcher aus dem Inhalt ſeines Denkens den letzten Reſt des Judentums ausgerottet hat, der traͤgt es in der Form ſeines Denkens unausrottbar fort. Aber weithin erkennbar leben ſie in den an Fertigkeiten der Ziviliſation armen, aber an Macht des urſpruͤng⸗ lichen Ethos und des unmittelbaren Geiſtes trotz

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eindringender Verderbnis und Zerſetzung reichen jüdiſchen Volksmaſſen Oſteuropas. Man ſehe etwa den epigonenhaften, dennoch auch jetzt noch wunder; ſamen Chaſſid unſrer Tage an; man ſehe ihn zu ſeinem Gotte beten, von der Inbrunſt geſchuͤttelt, mit ſeinem ganzen Leibe das gleiche ausſprechend, das ſeine Lippen ſagen, ein grotesker und erhabener Anblick; man ſehe ihn mit koͤniglichen Gebaͤrden und geſammelter Weihe das heilige Mahl des Sabbat— ausgangs begehen, an dem die Geheimniſſe der Welterloͤſung hangen; und man wird fuͤhlen: hier iſt, verkuͤmmert, verzerrt, dennoch unverkennbar, aſiatiſche Gewalt und aſiatiſche Innerlichkeit.

Auf dieſem offenbaren oder latenten Orientalis⸗ mus, dieſem unter allen Einfluͤſſen erhaltenen Seelen⸗ grund des Juden baut ſich mein Glaube an eine neue geiſtig-religioͤſe Schoͤpfung des Judentums auf. In der Abgeloͤſtheit und Aufgeloͤſtheit ſeiner abendlaͤndiſchen Exiſtenz kann ihm freilich nur Stuͤck⸗ werk geraten; kuͤhne Wagniſſe des Geiſtes koͤnnen unternommen, ſtarke Worte des Geiſtes koͤnnen gepraͤgt werden; religioͤſe Erregungen koͤnnen aus dem wetterſchweren Dunkel des Volksſchickſals auf⸗ blitzen; aber eine große Schoͤpfung, die ſie alle in

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einer Syntheſe vereinigt, die die Kontinuität des juͤdiſchen Werdens wiederaufnimmt und dem un— ſterblichen juͤdiſchen Einheitstrieb wieder adaͤquaten Ausdruck gewaͤhrt, wird nur erſtehen koͤnnen, wenn die Kontinuität des palaͤſtinenſiſchen Lebens wieder; aufgenommen wird, aus dem einſt die großen Kon zeptionen dieſes Einheitstriebs erwuchſen. Der Jude iſt nicht der gleiche, der er damals war; er iſt durch alle Himmel und Hoͤllen des Abendlands hindurch; gegangen und hat an ſeiner Seele Schaden gelitten; aber ſeine Urkraft iſt unverſehrt geblieben, ja ſie iſt gelaͤutert worden. Wenn ſie ihren muͤtterlichen Boden beruͤhrt, wird ſie wieder ſchoͤpferiſch ſein. Der Jude kann ſeinen Beruf unter den Voͤlkern nur dann wahrhaft erfuͤllen, wenn er von neuem und mit ſeiner ganzen, unverſehrten, gelaͤuterten Urkraft daran geht, zu verwirklichen, was ſeine Religioſitaͤt ihn in der Vorzeit lehrte: die Ein⸗ wurzelung im heimatlichen Boden, die Bewaͤhrung des rechten Lebens in der Enge, die vorbildliche Geſtaltung einer Menſchengemeinſchaft auf der ſchma— len kanaanaͤiſchen Erde.

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5.

Das Zeitalter, in dem wir leben, wird man einſt als das der aſiatiſchen Kriſis bezeichnen. Die fuͤh—⸗ renden Voͤlker des Orients ſind teils unter die aͤußere Gewalt, teils unter den innerlich vergewal⸗ tigenden Einfluß Europas gekommen; ſie haben ihre heiligſten Guͤter, die großen Traditionen ihres Geiſtes nicht gewahrt, ja ſie haben ſie zuweilen ſelber preisgegeben. Die Unterjochung Indiens, die Selbſteuropaͤiſierung Japans, die Schwaͤchung Per, ſiens, zuletzt die Zerruͤttung Chinas, in dem der altorientaliſche Geiſt unantaſtbar ſicher zu wohnen ſchien, ſind einige Stadien dieſes Prozeſſes. Die Seele Aſiens wird gemordet, und es ſelber tut bei dieſem Morde mit. Die Welt iſt im Begriff, das unerſetzlichſte Gut zu verlieren und kuͤmmert ſich nicht darum, vielmehr, ſie ſpendet den Nationen Beifall, die es zerſtoͤren. Selbſtbeſinnung, Ein⸗ kehr, Umkehr tut not. Europa muß ſich unter; fangen, eine neue Ara der Erhaltung des Orients und des Einvernehmens mit ihm zu gegenſeitiger Foͤrderung und gemeinſamer menſchheitlicher Ar— beit zu begründen, eine Ara, in der Aſien durch

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Europa nicht vergewaltigt, ſondern aus feinen eignen Keimkraͤften heraus entfaltet, und Europa durch Aſien nicht bedroht, ſondern zu den großen Lebenswahrheiten hingefuͤhrt wird. Fuͤr dieſe welt— geſchichtliche Miſſion bietet ſich Europa ein Mittler; volk dar, das alle Weisheit und Kunſt des Abend— lands erworben und fein orientaliſches Urweſen nicht verloren hat, das berufen iſt, Orient und Okzident zu fruchtbarer Gegenſeitigkeit zu verknuͤpfen, wie es viel⸗ leicht berufen iſt, den Geiſt des Orients und den Geiſt des Okzidents in einer neuen Lehre zu verſchmelzen. Wie dies geſchehen mag, iſt heute noch nicht zu umgren⸗ zen. Aber dies eine ſei geſagt, daß Jeruſalem immer noch, ja mehr als je das iſt, als was es im Altertum galt: das Tor der Völker, Hier iſt der ewige Durch— gang zwiſchen Orient und Okzident. Hierher lenkte das antike Aſien ſeinen Schritt, wenn es, wie unter Nebukadnezar und Cyrus, erobernd gen Abend zog, hierher das Europa Alexanders und der Roͤmer, wenn es das Morgenland zu uͤberwaͤltigen gedachte. Unter dem Anſturm von Oſten nach Weſten brach der erſte juͤdiſche Staat zuſammen, unter dem An; ſturm von Weſten nach Oſten der zweite. Seither hat ſich die Weltbedeutung Palaͤſtinas verdichtet und

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vertieft. Heute iſt in einem noch ſchwereren, noch umfaͤnglicheren, noch drohungs⸗ und verheißungs⸗ volleren Sinn Jeruſalem das Tor der Voͤlker. Es gilt das Heil Jeruſalems zu ſuchen, welches das Heil der Völker iſt.

Juͤdiſche Religioſitaͤt

Die juͤdiſche Religioſitaͤt iſt nicht, wie viele glauben, ein Gegenſtand zwar von beſonderer Wuͤrde, aber von unerheblicher Aktualitaͤt fuͤr die ſogenannte „Loͤſung der Judenfrage“, ſondern ſie iſt, wie von je, ſo auch jetzt, für das Judentum der einzige Gegen; ſtand von abſoluter Aktualitaͤt, Triebkraft ſeines Schickſals, Richte ſeiner Beſtimmung, die Gewalt, deren Aufflammen es neu beleben, deren voͤlliges Verloͤſchen es dem Tode uͤberantworten wuͤrde. Erneuerung des Judentums bedeutet in Wahrheit: Erneuerung der juͤdiſchen Religioſitaͤt. Man kann, ohne ſich um die juͤdiſche Religioſitaͤt zu bekuͤmmern, die Aufloͤſung des Judentums wuͤnſchen, fordern, proklamieren; man kann, ohne ſich um ſie zu be⸗ kuͤmmern, die „Erhaltung“, das heißt die unmerkliche Aufloͤſung des Judentums wuͤnſchen, fordern, prokla⸗ mieren; nicht aber eine Erneuerung des Judentums. Wer dieſe erſehnt, will, daß es wieder ein mit allen Sinnen lebendiges, ein aus allen Kraͤften taͤtiges, ein zu heiliger Gemeinde verbundenes Judentum

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gebe; er hat erkannt, daß dahin aus der Gegenwart des juͤdiſchen Daſeins kein anderer Weg fuͤhrt als durch Abſage und Neubeginn. Dem aus ſolchem Willen und ſolcher Erkenntnis eine Erneuerung des Judentums Erſehnenden wird, je aktiver ſeine Sehnſucht iſt, deſto gewiſſer offenbar werden, daß Erneuerung des Judentums Erneuerung der juͤdiſchen Religioſitaͤt bedeutet.

Ich ſage und meine: Religioſitaͤt. Ich ſage und meine nicht: Religion. Religioſitaͤt iſt das ewig neu werdende, ewig neu ſich ausſprechende und aus⸗ formende, das ſtaunende und anbetende Gefuͤhl des Menſchen, daß uͤber ſeine Bedingtheit hinaus und doch mitten aus ihr hervorbrechend ein Unbedingtes beſteht, ſein Verlangen, mit ihm lebendige Gemeinſchaft zu ſchließen, und ſein Wille, es durch ſein Tun zu verwirklichen und in die Menſchenwelt einzuſetzen. Religion iſt die Summe der Braͤuche und Lehren, in denen ſich die Religioſitaͤt einer beſtimmten Epoche eines Volks; tums ausgeſprochen und ausgeformt hat, in Vor⸗ ſchriften und Glaubensſaͤtzen feſtgelegt, allen kuͤnf⸗ tigen Geſchlechtern ohne Ruͤckſicht auf deren neu gewordene, nach neuer Geſtalt begehrende Religioſi⸗

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tät als für fie unverruͤckbar verbindlich überliefert. Religion ift fo lange wahr, als fie fruchtbar iſt; dies aber iſt ſie ſo lange, als die Religioſitaͤt, das Joch der Vorſchriften und Glaubensſaͤtze auf ſich neh— mend, ſie doch oft ohne es zu merken mit neuem gluͤhenden Sinn zu erfuͤllen und zuinnerſt zu verwandeln vermag, daß ſie jedem Geſchlecht erſcheinen, als waͤren ſie ihm ſelber heute offenbart, ſeine eignen, den Vaͤtern fremden Noͤte zu ſtillen. Sind aber die Riten und Dogmen einer Religion ſo erſtarrt, daß die Religioſitaͤt ſie nicht zu bewegen vermag oder ſich ihnen nicht mehr fuͤgen will, dann wird die Religion unfruchtbar und damit unwahr. Es iſt alſo Religioſitaͤt das ſchaffende, Religion das organiſierende Prinzip; Religioſitaͤt beginnt neu mit jedem jungen Menſchen, den das Geheimnis erſchuͤttert, Religion will ihn in ihr ein fuͤr allemal ſtabiliertes Gefuͤge einzwingen; Religioſitaͤt meint Aktivitaͤt ein elementares Sichinverhaͤltnisſetzen zum Abſoluten —, Religion meint Paſſivitaͤt ein Aufſichnehmen des überlieferten Geſetzes; Re— ligioſitaͤt hat nur ihr Ziel, Religion hat Zwecke; aus Religioſitaͤt ſtehen die Soͤhne wider die Vaͤter auf, um ihren ſelbeignen Gott zu finden, aus Re⸗

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ligion verdammen die Väter die Söhne, weil fie fich ihren Gott nicht auferlegen ließen; Religion bedeutet Erhaltung, Religioſitaͤt bedeutet Erneue— rung.

Worin immer aber ein andres Volk ſein Heil finden mag, dem juͤdiſchen iſt es nirgendwo anders etz ſchloſſen als in der lebendigen Macht, an die ſein Volkstum von je gebunden war und durch die es beſtanden hat: nicht in ſeiner Religion, wohl aber in ſeiner Religioſitaͤt. Ein Wort des Baalſchem ſpricht es aus: „Wir ſagen „Gott Abrahams, Gott Iſaaks und Gott Jakobs“, wir ſagen nicht „Gott Abrahams, Iſaaks und Jakobs“, damit dir geſagt ſei: Iſaak und Jakob ſtuͤtzten ſich nicht auf Abra⸗ hams Überlieferung, ſondern ſelber ſuchten ſie das Goͤttliche.“

Ich will verſuchen, das beſondere Weſen der juͤdiſchen Religioſitaͤt aus dem Schutt, mit dem es Rabbinismus und Rationalismus bedeckt haben, herauszuloͤſen.

Der Akt, der in allen Zeiten dem Judentum als der Weſensgrund aller Religioſitaͤt erſchien, iſt der Akt der Entſcheidung als der Verwirklichung der goͤttlichen Freiheit und Unbedingtheit auf Erden.

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Der ſpaͤtjuͤdiſche Spruch „Die Welt ift um der Wahl des Waͤhlenden willen geſchaffen worden“ iſt nur die reife Formulierung einer Idee, die unformuliert ſchon in der bibliſchen Zeit lebendig und weſenhaft war. Wie die Reihe der Sinai-Gebote durch den Ruf zur ausſchließenden und unbedingten Entſcheidung fuͤr den Einen eroͤffnet wird, ſo dienen die groͤßten unter Moſes Worten der gleichen Forderung: „Ganz ſollſt du mit Jahwe deinem Gott ſein“ und „Jahwe deinem Gott zu dienen mit deinem ganzen Herzen und deiner ganzen Seele“; und das gleiche verkuͤnden die Propheten von Elija an, der zum Volke ſpricht: „Wie lange noch hinket ihr auf beiden Seiten?“ Das nachbibliſche Schrifttum bildet die Idee immer praͤgnanter aus. Die Miſchna deutet das Wort „Du ſollſt Gott lieben mit deinem ganzen Herzen“ dahin, daß gemeint ſei: mit deinen beiden Trieben, mit dem „guten“ und dem „boͤſen“ Trieb; das heißt: mit der Entſcheidung und durch ſie, alſo daß die Inbrunſt der Leidenſchaft gewandelt wird und mit ihrer ganzen Kraft in die einige Tat eingeht; iſt doch an ſich kein Antrieb boͤſe, ſondern der Menſch macht ihn dazu, wenn er ſich ihm ergibt ſtatt ihn zu regieren; der Midraſch laͤßt Gott zum Menſchen

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ſprechen: „Du haſt die Leidenſchaft, die in deine Hand gegeben iſt, boͤſe gemacht.“ So wird auch das Wort des Pſalmiſten „Mein Herz ſei ganz in deinen Geſetzen“ dahin gedeutet, David habe zu Gott ge— ſprochen: „Laß nicht den boͤſen Trieb mich teilen, ſondern mache mein Herz ganz.“ Und noch nach- druͤcklicher heißt es: „Nur wenn du ungeteilt biſt“ (d. h. wenn du die innere Zweiheit durch die Entſchei⸗ dung uͤberwunden haſt), „haſt du teil an Jahwe deinem Gotte.“ Die Traͤgheit aber, die Entſcheidungsloſigkeit wird als die Wurzel alles Übels bezeichnet; Suͤnde iſt ganz und gar nichts andres als Traͤgheit. Wer ihr ver⸗ fallen war, dann aber ſich durch die gewaltigſte Ent⸗ ſcheidung ihr entwand, wer in den Abgrund der Ent⸗ zweiung verſunken war und ſich daraus einen Weg zur Einheit brach, wer ſich ſelber wie einen traͤgen Erdenkloß in die Haͤnde nahm und zu einem Men⸗ ſchen knetete, der iſt unter allen Gott der liebſte; oder, wie es die Gemara ausdruͤckt, „an dem Ort, wo die Umkehrenden ſtehen, vermoͤgen die voll⸗ kommenen Gerechten nicht zu ſtehen“. Die große Entſcheidung iſt der hoͤchſte, der goͤttliche Augenblick des Menſchenlebens, ja des ganzen Weltlebens; „beſſer“, ſagt die Miſchna, „iſt eine Stunde der

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Umkehr in dieſer Welt, als das ganze Leben der kommenden Welt“; denn dieſe iſt nur noch Sein, jene aber iſt das gigantiſche Werden. Suͤnde heißt nicht frei, das iſt ſich entſcheidend, ſondern unfrei, bewirkt, bedingt leben; der Umkehrende entzuͤndet das Myſterium der Freiheit, er ſchwingt ſich aus der Bedingtheit in die Unbedingtheit, er iſt, wie es im Sohar heißt, „lebendig an allen Seiten und vereinigt im Baume des Lebens“.

Kein Menſch kennt den Abgrund der inneren Zweiheit wie der Jude, aber keiner wie er das Wunder der Einung, das nicht geglaubt, das nur erlebt werden kann. Darum kann ihm kein Ver⸗ wirklichtes, ſondern nur die mit jedem neuen Men⸗ ſchen neu anhebende Tat, die Verwirklichung ſelber Genuͤge tun. Das iſt der Sinn des juͤdiſchen Dualis⸗ mus, daß jeder ſelbeigen aus ſeiner Tiefe und Finſternis nach goͤttlicher Freiheit und Unbedingt⸗ heit ringt: kein Mittler kann ihm helfen, kein Getanes ihm ſeine Tat erleichtern, da eben an der durch⸗ brechenden Kraft ſeines Anſturms alles gelegen ift und jede Hilfe, jeder „Anſchluß“ dieſen Anſturm nur zu ſchwaͤchen vermag. Deshalb wurde die ur⸗ chriſtliche Bewegung fuͤr den Juden unfruchtbar,

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als fie aus der wahrhaft juͤdiſchen Verkündigung Jeſu, jeder koͤnne durch unbedingtes Leben Gottes Sohn werden, die Lehre machte, allein der Glaube an den eingebornen Sohn Gottes koͤnne dem Menſchen die Ewigkeit gewinnen. Deshalb mußte der Chaſſidismus ſeine volkerneuernde Wirkung verlieren, als er an die Stelle jener unmittelbaren Verbindung mit Gott, darin der Menſch „bis zur Wurzel aller Lehre und alles Gebotes kommt, zu Gottes Ich, der einfachen Einheit und Schranken⸗ loſigkeit, wo alle Fluͤgel der Gebote und Geſetze niederſinken“, weil er ſich durch feine Unbedingt; heit uͤber ſie alle erhoben hat, als er an die Stelle dieſer wunderbaren Selbſtbefreiung die Wer; mittlung des Zaddiks ſetzte. Die Grundan⸗ ſchauung der juͤdiſchen Religioſitaͤt iſt in dem Spruch enthalten: „Wenn der Menſch ſich ſelbſt reinigt und heiligt, ergießt ſich der heilige Geiſt uͤber ihn.“ i

Man faͤlſcht den Sinn des Aktes der Entſcheidung im Judentum, wenn man ihn als einen bloß ethiſchen behandelt; er iſt ein religioͤſer, vielmehr: er iſt der religioͤſe Akt; denn er iſt die Verwirklichung Gottes durch den Menſchen.

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In der Auffaſſung dieſer Verwirklichung find in der juͤdiſchen Religioſitaͤt drei Schichten zu unter— ſcheiden, in deren Aufeinanderfolge ſich das Werden jenes unterirdiſchen Judentums kundgibt, welches, heimlich und unterdruͤckt, das wahrhafte, das zeu— gende iſt im Gegenſatz zum offiziellen Scheinjuden— tum, das ohne Berufung herrſcht und ohne Legitimi— taͤt repraͤſentiert.

In der erſten, fruͤheſten Schicht wird der Akt der Entſcheidung als eine Verwirklichung Gottes durch Nachahmung, als eine imitatio Dei aufgefaßt. Gott iſt das Ziel des Menſchen, das Urſein, deſſen Ebenbild zu werden er ſtreben ſoll, denn „Gott ſchuf den Menſchen zu ſeinem Ebenbilde“, d. i. daß er es werde. Grundlegend fuͤr dieſe Auffaſſung iſt das Wort des Buches Leviticus: „Heilig ſollt ihr ſein, denn heilig bin ich Jahwe, euer Gott.“ Es wird ſo gedeutet: „Wie ich abgeſondert“ d. i. von keinem Ding beſtimmt, allem Bedingtſein entruͤckt, aus mir ſelber wirkend „bin, fo ſollt ihr abge ſondert ſein“; und weiter heißt es: „Wie Gott einig und einzig iſt, ſo ſei euer Dienſt einig.“ Gott iſt einig; ſo ſoll der Menſch ſeine Entzweiung uͤber⸗ winden und einig werden. Gott iſt unbedingt;

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ſo ſoll ſich der Menſch den Feſſeln der Bedingtheit entwinden und unbedingt werden. Am ſchlichteſten und uͤberzeugendſten wird dieſe Anſchauung in einem Wort Abba Schauls uͤberliefert; in einer Erklaͤrung eines Verſes des Liedes Moſe am Schilfmeer („Dies iſt mein Gott und ich will ihn preiſen“) ſprach er: Dies iſt mein Gott ich und er; das iſt: ich will wie er werden. Daß es aber dazu keinen andern Weg gibt als den der Entſcheidung und der Unbedingtheit, das erweiſt der Mythos des Suͤnden⸗ falls: die Menſchen vermaßen ſich „wie Gott zu ſein“ und dadurch den Sinn des Lebens zu vereiteln, der darin beſteht, wie Gott zu werden; fo erlangten ſie nichts anderes als das Wiſſen um die Zweiheit von Goͤttlichem und Menſchlichem, die „Erkenntnis von Gut und Boͤſe“.

In der zweiten Schicht wird 5 Akt der Entſchei⸗ dung als eine Verwirklichung Gottes durch Steige⸗ rung ſeiner Wirklichkeit aufgefaßt. Gott iſt um ſo wirklicher, je mehr er vom Menſchen in der Welt verwirklicht wird. Eine paradox klingende und doch unmittelbar ergreifende Formulierung dieſes Ger dankens iſt es, wenn zu dem Jeſajawort „Ihr ſeid meine Zeugen, ſpricht Jahwe, und ich bin Gott“ eine

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Deutung des geheimnisumwitterten Rabbi Simon ben Jochai angefuͤhrt wird: „Wenn ihr meine Zeugen ſeid, bin ich Jahwe, und wenn ihr nicht meine Zeugen ſeid, bin ich nicht Jahwe.“ Gott iſt das Ziel des Menſchen; ſo fließt jede Gewalt menſchlicher Entſchei— dung dem Meere goͤttlicher Kraft zu. In dieſem Sinn wird das Pſalmwort „Gebet Gott die Macht“ durch den Spruch erklaͤrt: Die Gerechten mehren die Kraft der oberen Gewalt. Das ſpaͤtere, ins— beſondere das kabbaliſtiſche Schrifttum hat den Ge— danken, daß der unbedingt handelnde Menſch Gottes Genoſſe und Helfer in dem ewigen Schoͤpfungswerk iſt, vielfältig ausgebaut. So nennt der Bahir den Ge, rechten eine Saͤule, die von der Erde zum Himmel geht und das Weltall traͤgt. So erklaͤrt der Sohar das Pſalmwort „Die Werke feiner Haͤnde - ſind mit Wahrheit und Redlichkeit gemacht“ durch den Einfluß des wahrhaftig und redlich handelnden Menſchen auf das Werden der Welt; und der Satz „Gott hatte noch nicht regnen laſſen auf der Erde, und es war kein Menſch, das

Land zu bebauen“ wird ebenda dahin erlaͤutert, es

habe kein Werk von oben gegeben, weil es keine Tat von unten gab; dann aber „ſtieg von der Erde ein

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Dunſt auf, und die Fläche des Landes ward getraͤnkt“, das heißt: durch Wirkung von unten geſchah Werk von oben.

In der dritten Schicht endlich, die erſt in der Kabbala in die Erſcheinung tritt, ſteigert ſich die Auf— faſſung der Verwirklichung Gottes durch den Men— ſchen zur Idee einer Wirkung der Menſchentat auf Gottes Schickſal. Die Gottesherrlichkeit, die Schechina iſt in die Welt des Bedingten gefallen, ſie iſt wie Iſrael in der Zerſtreuung, im Galut, fie wandert und irrt wie Iſrael, ausgeſchuͤttet ins Reich der Dinge, fie will wie Iſrael erloͤſt, will mit dem Gottesweſen wiedervereinigt werden. Dazu aber kann nur der wirken, der in ſich das Bedingte zum Unbedingten erhebt; durch ihn vollzieht ſich die Erhebung der Welt, das iſt die Erhebung der Schechina. Darum ſagt ein chaſſidiſches Wort von den Umkehrenden, daß ſie Gott loskaufen. Und wie in dem Eintritt der Seele in den Menſchenleib der Koͤnig, Gott, ſich der Koͤnigin, der Schechina, in Liebe zuneigt, ſo hebt ſich in der Bezwingung des Bedingten durch die umkehrende, die wiedergeborene Seele die Koͤnigin in Liebe zum Koͤnig empor; durch ſolche Liebeseinung wird das Sein ewig er—

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neuert. „So wählt das Leben von oben und von unten, der Urquell fuͤllt ſich ewig, ewig fuͤllt ſich das Meer und alles iſt ernaͤhrt.“

Allen drei Schichten gemeinſam und der juͤdiſchen Religioſitaͤt ureigentuͤmlich iſt die Anſchauung von dem abſoluten Wert der Menſchentat, der nicht mit der duͤrftigen Erkenntnis irdiſcher Urſachen und Wirkungen ermeſſen werden kann. In irgend; einer Tat irgendeines Menſchen muͤndet Unend— liches, Unendliches entſtroͤmt ihr. Nicht am Handeln; den iſt es, zu faſſen, welcher Maͤchte Abgeſandter, welcher Maͤchte Beweger er iſt, aber er wiſſe, daß die Fülle des Weltgeſchicks in namenloſen Der; knuͤpfungen durch ſeine Haͤnde geht. Es heißt in der Gemara: „Jeder ſoll ſprechen: um meinetwillen iſt die Welt erſchaffen worden“; und wieder heißt es: „Jeder ſoll ſagen: auf mir ſteht die Welt“; eine chaſ⸗ ſidiſche Schrift bekraͤftigt: Ja, er iſt der Einzige in der Welt und ihr Beſtand hangt an ſeiner Tat.

In der Unbedingtheit ſeiner Tat erlebt der Menſch die Gemeinſchaft mit Gott. Nur fuͤr den Laͤſſigen, den Entſcheidungsloſen, den Geſchehenlaſſenden, den in ſeine Zwecke Verſtrickten iſt Gott ein unbekanntes Weſen jenſeits der Welt; fuͤr den Waͤhlenden, den

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ſich Entſcheidenden, den um fein Ziel Entbrennen⸗ den, den Unbedingten iſt er das Naͤchſte, das Ver⸗ trauteſte, das er ſelber handelnd ewig neu verwirklicht und erlebt, und eben darin das Geheimnis der Ge; heimniſſe. Ob Gott „tranſzendent“ oder „imma⸗ nent“ iſt, iſt nicht eine Sache Gottes; es iſt eine Sache des Menſchen. Zu der Erzaͤhlung der Geneſis, wie die drei Maͤnner zu Abraham „in der Glut des Tages“ kommen, bemerkt der Sohar: „Wenn die untere Welt im Verlangen nach der oberen auf⸗ lodert, ſteigt dieſe zu ihr herab und beide Welten vereinigen und durchdringen einander alsdann im Menſchen.“ Im gleichen Sinn kann das Pſalmwort erklaͤrt werden „Gott iſt allen nahe, die ihn rufen, allen die ihn mit der Wahrheit rufen“; das heißt: mit der Wahrheit, die ſie tun.

Mit der Wahrheit, die ſie tun. Dieſe Wahrheit iſt kein Was, ſondern ein Wie. Nicht der Inhalt der Tat macht ſie zur Wahrheit, ſondern ob ſie in menſch⸗ licher Bedingtheit oder in goͤttlicher Unbedingtheit geſchieht. Nicht die Materie der Tat beſtimmt daruͤber, ob ſie im Vorhof, im Reich der Dinge verlaͤuft oder ins Allerheiligſte dringt, ſondern die Macht der Entſcheidung, die ſie hervorbringt, und

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die Weihe der Intention, die ihr innewohnt. Jede Handlung, auch die zu den profanſten gezaͤhlt wird, iſt heilig, wenn ſie in Heiligkeit, in Unbedingtheit getan wird.

Die Unbedingtheit iſt der ſpezifiſche religioͤſe Ge— halt des Judentums. Nicht auf einem Glaubens; ſatz und nicht auf einer ethiſchen Vorſchrift iſt die juͤdiſche Religioſitaͤt aufgebaut, ſondern auf einem Grundgefuͤhl, das dem Menſchenleben ſeinen Sinn gibt: auf dem Grundgefuͤhl, daß eins not tut.

Wo die Religioſitaͤt gemeinſchaftbildend, religion— ſtiftend wirkt, wo ſie aus dem Leben des Einzelnen in das Leben zwiſchen den Menſchen eintritt, wird dieſes Grundgefuͤhl zur Forderung. Im Zeichen der Forderung und des Kampfes um ſie ſteht die Stiftung der juͤdiſchen Religion, ſtehen alle ihre ſchoͤpferiſchen Erhebungen.

Als Forderung und Kampf vollzieht ſich die Stiftung der juͤdiſchen Religion. Wenn Moſe, das Feuer des Dornbuſches in den Augen, vor die Alteſten Israels tritt, fühlt man ſchon alles vor; beſtimmt, was geſchehen wird. Ich kenne in Welt geſchichte und Weltmythos keinen größeren Bor; gang, keinen furchtbareren. Das Volk iſt von dem

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abgefallen, den es noch nicht zu fallen vermochte die Soͤhne Levis durchſchreiten auf Moſes Geheiß das Lager und erſchlagen dreitauſend ihrer Brüder, Das ausziehende Geſchlecht haͤlt den Pruͤfungen der Wuͤſte nicht ſtand es muß in der Wuͤſte hinſterben. In der Vernichtung alles Halben und Unzulaͤnglichen offenbart ſich der verkuͤndete Gott, als das ver— zehrende Feuer der Unbedingtheit.

Schon hier treten nebeneinander und gegenein⸗ ander die zwei fuͤhrenden Menſchentypen, zwiſchen denen die innere Geſchichte des Judentums ſich als ein Kampf austraͤgt: der Prophet und der Prieſter. Moſe iſt der Fordernde, der auf nichts hoͤrt als auf die Stimme und nichts anerkennt als die Tat. Aaron iſt der Vermittelnde, der den Stimmen ebenſo zugaͤnglich iſt wie der Stimme und das Volk durch ſeinen richtungsbaren Formendienſt zuchtlos macht. Der Prophet will die Wahrheit, der Prieſter will die Macht. Es find ewige Typen in der Ger ſchichte des Judentums.

Im Kampf wurde die juͤdiſche Religioſitaͤt aus dem Geiſte Moſes zur Religion; im Kampf muß ſie ſich immer wieder mitten in der Religion er⸗ neuern, deren Formenzwang ſie zu erſticken droht,

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muß immer wieder die erſtarrte Maſſe mit ihrer gluͤhenden Forderung umzuſchmelzen verſuchen. Nies mals gelingt es ihr, dem offiziellen Judentum, den geltenden Inſtitutionen die Herrſchaft zu entreißen; immer aber wirkt ſie, ſei es offenbar, ſei es heimlich, tief auf das Werden des Volksgeiſtes ein. Zuweilen erhebt ſie die Religion zu einem neuen, hoͤheren Leben. Zuweilen ſprengt ſie das Gefuͤge der Gemeinſchaft. Zuweilen zerfaͤllt ſie nach einem kurzen Aufbluͤhen. Fuͤr jede dieſer Moͤglichkeiten gibt uns die Geſchichte des Judentums ein repraͤſentatives Beiſpiel.

Der Opferkult Iſraels mag aus dem primitiven Beduͤrfnis nach einer lebenden Gemeinſchaft mit dem Gott durch den ſakramentaͤlen Akt etwa eines gemeinſamen Mahles entſtanden ſein; ſicherlich wirkte bald ein ganz anderes Gefuͤhl mit: das Beduͤrfnis nach einer Hingabe, welche die eigentlich gewollte und gemeinte Selbſthingabe ſinnbildlich vertreten und darſtellen mochte. Unter der Leitung des Prieſters aber wird das Symbol zum Erſatz. Der Opferkult wird ſo ausgearbeitet und kodiſtziert, daß in jeder Lage des Menſchenlebens, in jedem Augenblick des Menſchenſchickſals ein vorgeſchriebenes Opfer zur Verfuͤgung ſteht, um die Verbindung mit

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Gott herzuſtellen, und hinwieder befteht dieſe Ver; bindung in nichts anderm mehr, als in dem Opfer. Es tut nun nicht mehr not, wenn Leid einen anfaßt oder die eigne Suͤnde einen erſchreckt, ſich ringend, hingegeben, im Sturm der Entſcheidung an Gott zu ſchließen, bis der Schrei der Kreatur verſtummt vor der heimlichen Stimme; man bringt das Opfer, man tut, was angeordnet iſt, und der Gott iſt ver; ſoͤhnt. Wohl tritt Jahwes Opferkult mit dem An⸗ ſpruch der Wahrheit dem vielfaͤltigen Goͤtzendienſt im Volke entgegen, und noch Elija weiß es nicht anders zu ſagen, als daß er fuͤr Jahwe und wider Baal ſtreitet; aber ob ein Dienſt Goͤtzendienſt oder Gottesdienſt iſt, daruͤber entſcheidet nicht, unter welchem Namen man ſeinen Gott anruft, ſondern wie man ihm dient. Das iſt die große Erkenntnis der ſpaͤteren Propheten, die ein Jahrhundert nach Elija zum Volke zu reden beginnen. In Worten einer gebieteriſchen Leidenſchaft verwerfen Amos und Micha, Jeſaja und Jeremija den „Greuel“ des Opfer⸗ kults und fordern den wahrhaften Gottesdienſt: die „Gerechtigkeit“, das heißt das unbedingte Leben mit Gott und mit den Menſchen. Die inhaltlichen Beſtimmungen, die ſittlichen Normen, hat die Bot

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ſchaft der Propheten mit Lehren anderer Völker gemein; das Einzige, das Juͤdiſche an ihr iſt der Atem der Unbedingtheit, der ſie durchweht, das Poſtulat der Entſcheidung, das in jedem ihrer Worte und noch in dem fordernden Rhythmus ihrer Saͤtze toͤnt: ihre Religioſitaͤt. Jede Konſtruktion einer „reinen Ethik“ des Judentums iſt von Grund aus verfehlt; da iſt der Kern des Judentums, wo das Unbedingte ein verhuͤlltes Gottesangeſicht iſt, das in der Menſchentat offenbart werden will.

Die Propheten wollten den Opferkult vernichten. Sie haben ſeine Herrſchaft nicht zu ſchmaͤlern ver⸗ mocht; der Prieſter behielt die Fuͤhrung in Haͤnden. Und doch haben ſie die juͤdiſche Religioſitaͤt, haben die Seele des Volkstums erneuert; ſo unſichtbar vollziehen ſich die Siege des Geiſtes.

Im zweiten Reich tritt eine neue religiöfe Sin; ſtitution in den Mittelpunkt: die Schrift. Sie wird als der feſtgelegte Ausdruck der Staatsreligion allmaͤhlich kanoniſiert. Aus der Fuͤlle uͤberlieferten Materials ſcheiden dem Prieſtertum botmaͤßige Koͤr⸗ perſchaften alles aus, was ihnen mythiſch, verdächtig erſcheint. So entſteht das Buch, welches das hin— fort allein guͤltige Schrifttum umfaßt; es wird ſo

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alleingültig, daß alle nicht in den Kanon aufge nommenen Buͤcher untergehen. Aber nicht bloß uber das übrige Schrifttum ſiegt es, auch über das Leben. Die Schrift iſt fortan die Wahrheit; man kann zu Gott nur dadurch gelangen, daß man ſich in allem an die Schrift haͤlt. Sie wird aber vom Prieſter, hernach von dem urſpruͤnglich freier geſinnten Schriftgelehrten nicht als eine im Leben aus zu⸗ geſtaltende, mit neuem Lebensſinn zu fuͤllende Verkuͤndigung, ſondern als eine Satzung, eine Summe von Vorſchriften behandelt, vom Prieſter formaliſtiſch abgegrenzt, vom Schriftgelehrten dialek⸗ tiſch ausgeſponnen, immer aber ins Enge, Starre, Unfreie gewandt, die lebendige Religioſitaͤt nicht foͤrdernd, ſondern unterbindend. Dieſer Tendenz des offiziellen Judentums erwaͤchſt einerſeits eine mehr vermittelnde Gegenaktion im eigenen Lager, deren ſpaͤten literariſchen Niederſchlag wir in der Agada finden, anderſeits eine radikalere Gegen⸗ aktion in der ſich abſondernden eſſaͤiſchen Gemein⸗ ſchaft und der um ſie flutenden Bewegung, die zu⸗ letzt im Urchriſtentum muͤndet. Von beiden gilt in ihrem Verhältnis zur Schrift, was von den Thera— peuten geſagt wird: die ganze Geſetzgebung ſcheine

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ihnen einem lebendigen Weſen vergleichbar, deſſen Leib die Worte, deſſen Seele der verborgene Sinn ſei; in dieſem ſchaue die Menſchenſeele ihr eignes Selbſt an. Beide weiſen der Veraͤußerlichung gegen— uͤber, die der Schrift angetan worden war, auf ihre Innerlichkeit hin. Und auch die urchriſtliche Be— wegung wendet ſich nicht wie die Propheten ſich gegen den Opferkult wendeten gegen die Schrift, ſondern dagegen, daß deren Sinn vom Unbedingten ins Bedingte gekehrt wird; ſie will das Pathos der Forderung wiederherſtellen. Aber keiner dieſer Stroͤ— mungen gelingt es, die juͤdiſche Religion zu erneuern; der Agada nicht, weil ſie nur fragmentariſch wirkte und ihre Kraͤfte nicht zuſammenſchloß; dem Eſſaͤismus nicht, weil er ſich einer unfruchtbaren Abſonderung ergab und nicht ins Volk ſtrebte; das Urchriſtentum aber war fuͤr eine Erneuerung des Judentums verloren, als es ſich ſelber untreu wurde und den großen Gedanken, der es empor⸗ getragen hatte, die Idee der gotterobernden Um; kehr, zum gnadenreichen Anſchluß an den Chriſtus verengerte: damals gewann es die Voͤlker und gab das Judentum preis, indem es das Gefuͤge ſeiner Gemeinſchaft ſprengte. Das Chriſtentum

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ift von da aus zur Herrſchaft über die Voͤlker aufge: ſtiegen, das Judentum in Erſtarrung, Erniedrigung, Entartung geſunken; aber fein Kern hat unerſchuͤtter— lich den Anſpruch gewahrt, die wahre Ekkleſia, die treugebliebene Gemeinde der goͤttlichen Unmittelbar; keit zu ſein.

Seit der Zerſtoͤrung Jeruſalems ſteht die Tradi— tion im Zentrum des religioͤſen Lebens des Juden⸗ tums. Ein Zaun wurde um das Geſetz gezogen aus der Abſicht, das Fremde und Gefaͤhrdende fernzu⸗ halten, aber er hielt oft genug auch die lebendige Religioſitaͤt fern. Wohl bedarf die Religioſttaͤt der Formen, wenn ſie ſich in einer Gemeinſchaft von Menſchen darſtellen, eine Gemeinſchaft bilden und erhalten, wenn ſie als Religion beſtehen will; denn nur in gemeinſamen Lebensformen iſt dau⸗ ernde, von Geſchlecht zu Geſchlecht gehende religioͤſe Gemeinſchaft moͤglich. Wenn aber die Religion, ſtatt die Menſchen zur Freiheit in Gott zu verbinden, ſie unter dem unwandelbaren Geſetz haͤlt und ihr Verlangen nach Freiheit verdammt, wenn ſie, ſtatt ihre Formen als die Bindung zu betrachten, auf deren Grunde ſich die wahrhafte Freiheit auf: bauen kann, ſie als die Bindung betrachtet, die alle

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Freiheit ausschließt, wenn fie, ftatt dem Geſetz den großen urzeitlichen Zug zu laſſen, es in einen wimmelnden Formelnkram verwandelt und die Ent— ſcheidung uͤber rechtes und unrechtes Handeln zu einer ſpitzfindigen Kaſuiſtik ausarten laͤßt: dann iſt ſie nicht mehr Formung, ſondern Knechtung der Religioſitaͤt. Dieſer Prozeß kennzeichnet die Ge— ſchichte der juͤdiſchen Tradition. Die Gegenaktion der Religioſitaͤt hat zweierlei Geſtolt. Die eine iſt die von einer Zeit zur andern auffladernde Auf; lehnung der Ketzer, oft mit gewaltigen, das ganze Volk aufwuͤhlenden meſſianiſchen Bewegungen ver— bunden. Die zweite iſt die ſtetige, aufbauende Taͤtigkeit der juͤdiſchen Myſtik, die den erſtarrten Ritus durch die Idee der Kawwana, der Intention zu beleben und jeder religioͤſen Handlung einen heimlichen, auf Gottes Schickſal und die Erloͤſung der Welt gerichteten Sinn zu geben ſtrebt. In der aͤlteren Kabbala wohnt dieſer Tendenz noch ein theologiſch⸗allegoriſierendes Element inne, das ihr Volkstuͤmlichwerden verhindert. Erſt in der ſpaͤteren lurjaniſchen Kabbala wird ſie unmittelbar⸗gefuͤhls⸗ maͤßig, und im Chaſſidismus waͤchſt ſie zur großen Volksbewegung. Dieſer will das Geſetz nicht

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ſchmaͤlern, er will es lebendig machen, will es aus dem Bedingten wieder ins Unbedingte heben: jeder ſoll durch wahrhaftes Leben ſelbſt eine Thora, ein Geſetz werden. Aus dem Chaſſidismus haͤtte die juͤdiſche Neligiofität wie nie zuvor erneuert werden koͤnnen. Aber vom offiziellen Judentum verketzert, verleumdet, denunziert, durch die Schwaͤche des Volkes, das der Entſchiedenheit ſeiner Lehre noch nicht gewachſen war, entartend, zerfiel er, ehe er fein Werk getan hatte.

Allen drei Bewegungen, der prophetiſchen, der eſſaͤ— iſch-urchriſtlichen, der kabbaliſtiſch-chaſſidiſchen iſt es gemeinſam, daß ſie nicht darauf ausgehen, das Leben des Menſchen zu erleichtern, ſondern es zu erſchweren, zugleich freilich, es zu beſeelen und beſeligen. Allen ge⸗ meinſam iſt der Antrieb, die Entſcheidung als die beſtimmende Macht in aller Religioſitaͤt wiederherzu⸗ ſtellen. Durch die Erſtarrung des Opferkults, durch die Erſtarrung der Schrift, durch die Erſtarrung der Tradition wird die freie Entſcheidung im Menſchen niedergehalten; nicht die aus der Entſcheidung ge; borene, in Unbedingtheit atmende Tat gilt als der Weg zu Gott, ſondern die Erfuͤllung der Vorſchriften. Das Prophetentum aber, das Urchriſtentum, der

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Chaſſidismus beſinnen ſich auf die Entſcheidung als auf die Seele der juͤdiſchen Religioſitaͤt und rufen zu ihr auf. Das iſt der ewige Sinn dieſer Be— wegungen fuͤr das Judentum, das iſt ihr durch nichts zu verkuͤrzendes Recht auf unſere Treue; das macht ſie uns wichtig fuͤr das Werk der Er— neuerung: nicht worin ſie ausgingen, ſondern woraus ſie herkamen, nicht die Formen, ſondern die Kraͤfte. Das ſind die Kraͤfte, die im Judentum nie zulaͤng⸗ liche Form, nie Herrſchaft gewannen, die vom offi- ziellen Judentum, das iſt von der allzeit herrſchenden Unkraft, allzeit niedergedruͤckt worden ſind. Es ſind nicht Kraͤfte von Volkszeiten und Volksteilen, es ſind nicht Kraͤfte der Auflehnung und des Sektierertums, es find die Kräfte, die den Geiſteskampf des leben; digen Judentums gegen die Unfreiheit kaͤmpfen, es ſind die ewigen Kraͤfte. Aus ihnen allein kann die religioͤſe Erſchuͤtterung kommen, ohne die keine Er; neuerung des juͤdiſchen Volkstums geraten kann. Religioſitaͤt, ſagte ich, iſt das Verlangen des Menſchen, mit dem Unbedingten lebendige Gemein; ſchaft zu ſchließen, und ſein Wille, es durch ſein Tun zu verwirklichen und in die Menſchenwelt ein⸗ zuſetzen. Echte Religioſitaͤt hat ſomit nichts gemein

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weder mit den Traͤumereien ſchwaͤrmeriſcher Herzen, noch mit dem Selbſtgenuß aͤſthetiſierender Seelen, noch mit den tiefſinnigen Spielen einer geuͤbten Intellektualitaͤt. Echte Religioſitaͤt iſt ein Tun. Sie will das Unbedingte im Stoff der Erde aus; formen. Gottes Angeſicht ruht unſichtbar im Block der Welt; es muß hervorgeholt, herausgemeißelt werden. Daran arbeiten heißt religioͤs ſein, nichts anderes. Am innigſten und unmittelbarſten iſt uns dieſe Aufgabe zugeteilt im Leben der Menſchen, das unſerer Einwirkung erſchloſſen iſt wie kein anderes Ding der Welt. Hier wie nirgendwo iſt uns eine Vielheit in die Hand gegeben, ſie zur Einheit zu bilden, eine gewaltig formloſe Maſſe, in der wir die goͤttliche Geſtalt auspraͤgen ſollen. Die Gemeinſchaft der Menſchen iſt ein angelegtes Werk, das unſer harrt; ein Chaos, das wir zu ordnen, eine Diaſpora, die wir zu ſammeln, ein Widerſtreit, den wir zu verſoͤhnen haben. Dies aber koͤnnen wir einzig dadurch, daß jeder von uns an ſeiner Stelle, im natuͤrlichen Be⸗ reich ſeines Zuſammenlebens mit den Menſchen das Rechte, das Einigende, das Geſtaltende tut: weil Gott durch ihn nicht geglaubt, nicht eroͤrtert, nicht verfochten, ſondern verwirklicht werden will.

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Der Mythos der Juden

I.

Wir koͤnnen uns unſer eigenes Gefuͤhl vom My— thos zunaͤchſt nicht beſſer deuten, als wenn wir uns den Sinn des Wortes etwa von Platon mitteilen laſſen. Wir finden dann, daß Mythos bedeutet: ein Bericht von goͤttlichem Geſchehen als einer ſinnlichen Wirklichkeit. Es iſt demnach nicht Mythos zu nennen, wenn das goͤttliche Geſchehen als ein tranſzendenter Hergang oder als ein Erlebnis der Seele zu erzaͤhlen verſucht wird: ein theologiſcher Vortrag, ſei er auch von evangeliſcher Einfalt und Groͤße, oder eine Nach— richt von ekſtatiſchen Viſionen, ſei fie von noch ſo er; ſchuͤtternder Sichtbarkeit, ſtehen außerhalb des eigent⸗ liſch Mythiſchen.

Dieſer urſpruͤngliche Gehalt der ſprachlichen über; lieferung iſt ſo tief und dauernd berechtigt, daß man es recht wohl begreifen kann, wie ſich aus ihm die An⸗ ſicht bilden mußte, die mythenbildende Kraft ſei ein⸗ zig jenen Voͤlkern eigen, denen das Goͤttliche als eine ſinnlich gegebene Subſtanz galt, und die daher auch

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fein Tun und Leiden als einen Zuſammenhang rein ſinnlicher Begebenheiten auffaßten. Man ging wei; ter und ſtellte die polytheiſtiſch empfindenden Voͤlker den monotheiſtiſch empfindenden als die mythen— ſchaffenden den mythenloſen gegenuͤber. Zu dieſen, den mythenloſen Voͤlkern, wurde das juͤdiſche gezaͤhlt und als ſolches verherrlicht oder verachtet; verherr— licht, wenn der Beurteilende im Mythos eine niedere Vorſtufe der Religion ſah, verachtet, wenn er in ihm den ſich uͤber aller Religion erhebenden Gipfel des Menſchentums, die natuͤrliche und ewige Metaphyſik der Menſchenſeele erblickte. Solche zumeiſt recht wirkſame Verſuche, das Weſen von Voͤlkern zu be; werten, ſtatt es zu erkennen, find immer toͤricht und unnuͤtz; am meiſten dann, wenn ſie wie hier auf Unkenntnis oder Entſtellung der geſchichtlichen Rea⸗ litaͤt gegruͤndet ſind. Unkenntnis und Entſtellung find ja die Grundpfeiler der modernen raſſenpſycho⸗ logiſchen Behandlung des Judentums; man ent⸗ deckt etwa einen rationaliſtiſchen oder utilitariſtiſchen Zug in einigen Ausſpruͤchen oder Gepflogenheiten des offiziellen Judentums und beteuert, den Ratio; nalismus oder den Utilitarismus des Judentums erwieſen zu haben; ohne zu ahnen oder ahnen zu

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wollen, daß jenes nur unbedeutende, wiewohl gel— tungsmaͤchtige Stockungen in der großen, aber de— muͤtigen Flut der inbruͤnſtigen, hingegebenen, uͤber⸗ zweckhaften juͤdiſchen Volksreligioſitaͤt bedeutet. Und die juͤdiſchen Apologetiker hinwieder, deren armſeliger Eifer darauf geht, darzulegen, daß das Judentum gar nichts Beſonderes, ſondern nur die pure Humanitaͤt ſei, tun das gleiche auf ihre Weiſe: weil ſie ſelbſt in der Korruption des Rationalismus und Utilita⸗ rismus befangen ſind. So hat man denn auch von beiden Seiten die Exiſtenz von Mythen im Judentum lange Zeit geleugnet. Das war nicht gar ſchwer. Das nachbibliſche Schrifttum blieb in ſeinem Weſen lange unbekannt: die Agada galt als muͤßiges Phan⸗ taſieſpiel oder als flache Parabeldichtung, der Mi— draſch als ſpitzfindige und unfruchtbare Kommentar; ſammlung, die Kabbala als ſinnloſe und groteske Zahlentuͤftelei, den Chaſſidismus kannte man kaum dem Namen nach oder tat ihn als eine krankhafte Schwaͤrmerei mit geringſchaͤtziger Gebaͤrde ab. Die Bibel aber mochte auch mancher redlichen Erfor— ſchung ſo erſcheinen, als ſei ihr alles Mythiſche fremd; iſt ſie doch in die Form, in der ſie auf uns gekommen iſt, durch eine vom Geiſte des offiziellen ſpaͤtjudiſchen

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Prieſtertums inſpirierte Koͤrperſchaft gebracht wor; den, die die naͤhrende Quelle aller wahrhaften Reli— giofität, den Mythos, als den Erbfeind der Religion, wie ſie ſie dachte und wollte, anſah und daher aus der Fülle uͤberkommener Schriften alles Mythiſche nach beſtem Wiſſen ausſchied. Gluͤcklicherweiſe war dieſes ihr Wiſſen kein vollſtaͤndiges, und manches entging ihr, deſſen urſpruͤnglicher Charakter ihr nicht mehr gegenwaͤrtig war. So finden ſich in allen Buͤchern der Bibel verſprengte Adern des edlen Erzes. Als ſie durch die neue Forſchung aufgedeckt wurden, konnte man die Exiſtenz des juͤdiſchen Mythos nicht laͤnger leugnen; aber man beſtritt nunmehr feine Gelb; ſtaͤndigkeit. Wo man bei einem anderen vorder— aſiatiſchen Volke ein verwandtes mythiſches Motiv fand, wurde es als das Original, das juͤdiſche als Abklatſch gekennzeichnet, und wo man keins fand, da nahm man eben an, das Original ſei verlorengegan⸗ gen. Es tut nicht not, hier dieſen Kleinlichkeiten (die dem tief fundierten, aber ausſichtsloſen Verlangen des heutigen Abendlaͤnders entſprungen ſind, ſein Chriſtentum, auf das er nicht verzichten kann, zu ent⸗ juden) nachzugehen; denn was ſehr viel weſentlicher iſt, als ſie einzeln zu widerlegen: die ganze Geſchichts⸗

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auffaſſung, die fie erſt möglich macht, ift eine unge, heuerliche Verirrung. Es ift ein verkehrtes und ver; meſſenes Beginnen, einen ſolchen zyklopiſchen Be— ſtand wie der Mythenbeſitz eines Volkes unter dem klaͤglich ephemeren Geſichtspunkt der „Driginali— tat“ zu betrachten. Wo der Geiſt vor uns ſteht, da gilt nicht Originalitaͤt, ſondern Realitaͤt; und die Werke des Geiſtes ſind nicht dazu da, daß wir ſie zerlegen und die Produkte der Analyſe daraufhin pruͤfen, ob ſie hier zum erſtenmal vorkommen dieſes „zum erſtenmal“ kann nur der kuͤmmerliche Maulwurfsverſtand kon— zipieren, der die unendliche Geſchichte des Geiſtes und ſeine ewig neuen Bildungen aus dem ewig gleichen Material nicht ahnt —; die Werke des Geiſtes ſind dazu da, als geformte Ganzheit, als einige Geſtalt, als Realitaͤt empfangen, erlebt, verehrt zu werden. Und eine ſolche Realitaͤt iſt der Mythos der Juden, wie wir ihn trotz aller juͤdiſchen und antijuͤdiſchen An⸗ ſchlaͤge uns wiederaufzubauen vermoͤgen. Er mag allerlei „Motive“ mit denen anderer Voͤlker gemein haben, und es wird kaum je moͤglich ſein, wahrhaft zu ermitteln, welche davon auf einer Wanderung von Volk zu Volk wie ſie ja alle Voͤlker, die ſogenann⸗ ten produktiven und die ſogenannten rezeptiven, ge—

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bend und nehmend erfahren beruhen, welche hin gegen auf der Artgemeinſamkeit, die zwiſchen den us den und jenen anderen Voͤlkern beſtand oder beſteht: der Gemeinſamkeit der Formen des Erlebens und der Formen, das Erlebte auszuſprechen, aber auch auf der Gemeinſamkeit der Erde und des Schickſals: der Ger meinſamkeit der Inhalte des Erlebens. Das, ſage ich, wird wohl nie voͤllig zu ermitteln ſein. Aber nicht das iſt uns Nachgeborenen weſentlich, ſondern die Rein⸗ heit und Groͤße des ſchoͤpferiſchen Menſchentums, das all dies, wie Cellini ſeinen ganzen Hausrat, in den Gußofen wirft und daraus die unſterbliche Ge; ſtalt errichtet.

Gleichzeitig mit der Bibel wurde auch das ſpaͤt⸗ juͤdiſche Schrifttum, wenn auch nicht in gleichem Grade, Gegenſtand der neuen Forſchung. Und ob— gleich auch in ihm, wie in der Bibel, das Walten my⸗ thenfeindlicher Elemente, des Rigorismus des Ge— ſetzes und der rabbiniſchen Dialektik, ſich kundgibt und die Außerung beſchraͤnkt, konnte man nicht umhin, darin eine Fuͤlle mythiſchen Stoffes zu entdecken. Was als willkuͤrliche Kommentierung bibliſcher Stel; len gegolten hatte, erwies ſich als ein Schoͤpfen und Umbilden aͤlteſten Volksguts; ſagenhafte Über⸗

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lieferungen, die man bei der Redaktion des Kanons zu erſticken verſucht hatte, bluͤhten hier in urwelt— lichem Reichtum, eine von Mund zu Ohr und wieder von Mund zu Ohr durch die Geſchlechter wandernde Übergabe heiliger Geheimniſſe, und doch auch ein unablaͤſſiges Neuwerden, bis in die große Umdich— tung aus dem Geiſte der juͤdiſchen Myſtik. Wie die antijuͤdiſchen Raſſentheoretiker nach dem Bekannt— werden der mythiſchen Elemente der Bibel, ſo konn— ten nach dem Bekanntwerden der mythiſchen Ele— mente des nachbibliſchen Schrifttums die rationali— ſtiſchen juͤdiſchen Apologetiker die Fiktion, es gebe keinen juͤdiſchen Mythos, nicht laͤnger aufrechterhal— ten. Sie betraten daher einen neuen Weg: fie unter; ſchieden nunmehr ein negatives, mythologiſches und ein poſitives, monotheiſtiſches Judentum; jenes ver⸗ warfen ſie als Hemmung und Truͤbung, dieſes feier⸗ ten ſie als die wahre Lehre; ſie ſanktionierten den Kampf des Rabbinismus gegen den Mythos als die fortſchreitende Reinigung eines bedeutenden Ideen—⸗ gehalts und ſtellten ſich gleichſam ſelbſt in dieſen Kampf ein. Ein namhafter juͤdiſcher Gelehrter, der dieſer Richtung naheſteht, obgleich er ſich groͤßere Ziele als die Apologetik ſetzt, David Neumark, formu—⸗

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lierte dieſe Anſicht in dem Satz: „Die Entwicklungs⸗ geſchichte der juͤdiſchen Religion iſt in Wahrheit die Geſchichte der Befreiungskaͤmpfe gegen die eigene und fremde, altehrwuͤrdige und neugedichtete Mytho— logie.“ Dieſer Satz enthaͤlt eine Wahrheit, aber ſie iſt ſo parteiiſch ausgedruͤckt, daß ſein Wahrheitsgehalt verdunkelt erſcheint. Wir wollen ihn wiederaufhellen und dem Satz eine gerechtere Faſſung geben: Die Entwicklungsgeſchichte der juͤdiſchen Religion iſt in Wahrheit die Geſchichte der Kaͤmpfe zwiſchen dem natürlichen Gebilde der mythiſch-monotheiſtiſchen Volksreligion und dem intellektuellen Gebilde der rational⸗monotheiſtiſchen Rabbinenreligion. Ich ſagte: der mythiſch-monotheiſtiſchen Volksreligion; denn es iſt gar nicht wahr, daß Monotheismus und Mythos einander ausſchloͤſſen und ein monotheiſtiſch empfindendes Volk ſomit der mythenbildenden Kraft entbehren müßte. Vielmehr iſt jeder lebendige Mono; theismus des mythiſchen Elements voll, und nur ſo⸗ lange er dies iſt, iſt er lebendig. Allerdings bemuͤhte ſich das Rabbinentum in ſeinem blinden Streben nach „Abgrenzung“ des Judentums um die Herftel; lung eines vom Mythos „gereinigten“ Gottesglau⸗ bens; aber was es dabei zuſtande brachte, war ein

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elender Homunkulus. Und dieſer Homunkulus war der ewige Exilarch, er hatte die Herrſchaft über die Geſchlechter des Galut; unter ſeiner Tyrannei mußte die lebendige Kraft des juͤdiſchen Gott-Erle⸗ bens, der Mythos, ſich in den Turm der Kabbala ver; ſchließen oder ſich am Spinnrocken der Frauen ver— ſtecken oder aus den Mauern des Ghettos in die Welt fluͤchten: er wurde als Geheimlehre geduldet oder als Aberglaube verachtet oder als Ketzerei verſtoßen. Bis der Chaſſidismus ihn auf den Thron, auf den Thron eines kurzen Tages ſetzte; von dem er herabgeſtoßen wurde, um als ein Bettler unſere ſchwermuͤtigen Traͤume zu durchirren. Und doch iſt er es, dem das Judentum in den Zeiten der Gefahr ſeine innerſte Ge⸗ ſchloſſenheit verdankte. Nicht Joſef Karo, ſondern Iſaak Lurja hat im ſechzehnten, nicht der Gaon von Wilna, ſondern der Baalſchem hat im achtzehnten Jahrhundert das Judentum wahrhaft gefeſtigt und abgegrenzt: da ſie die Volksreligion zu einer Macht in Iſrael erhoben und die Perſoͤnlichkeit des Volkes erneuerten aus den Wurzeln ſeines Mythos. Und wenn es den freigelaſſenen Juden unſerer Generation fo ſchwer wird, ihre menſchliche Religioſitaͤt mit ihrem Judentum zu einer Einheit zu verſchmelzen, ſo iſt dies

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die Schuld des Rabbinismus, der das juͤdiſche Ideal entmannt hat; wenn aber dennoch der Weg zur Ein— heit uns noch geoͤffnet ſteht und es uns gewaͤhrt iſt, indem wir unſer Menſchentum vollenden, zugleich unſer Volkstum zu gewinnen, und indem wir nach unſerem ſelbeigenen Gefuͤhl das Goͤttliche verehren, die Flügel des juͤdiſchen Geiſtes über unſerem Haupte rauſchen zu hoͤren, ſo hat dies uns die hohe Kraft un⸗ ſeres Mythos erwirkt.

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Wollen wir das Weſen des monotheiſtiſchen jüdischen Mythos erkennen und dadurch zugleich das Weſen des Mythos uͤberhaupt tiefer erfaſſen lernen, ſo liegt uns ob, die Entſtehung des juͤdiſchen Mono— theismus zu betrachten, wie ſie ſich uns aus der Bibel kundgibt. Wir entdecken dann drei Schichten, die wir klar zu ſondern vermoͤgen. Von dieſen drei religionshiſtoriſchen Schichten die mit den ferfge; ſchichtlichen der modernen Bibelkritik nicht verwechſelt werden duͤrfen ſteht die erſte unter dem Namen Elohim, die zweite unter dem Namen Jahwe, die dritte benutzt beide Namen, um ein in Wahrheit na; menloſes Gottesweſen in ſeiner zwiefachen Erſchei—

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nung als Allgott und als Volksgott anzudeuten; und jede dieſer Schichten hat ihre ſpezifiſche Mythologie; in ihnen baut ſich der juͤdiſche Mythos auf.

Der Name „Elohim“ tritt in der Bibel gewoͤhnlich als Singular auf, aber es iſt unverkennbar, daß er urſpruͤnglich ein Plural war und etwa „die Gewal— ten“ bedeutete. Wir finden zahlreiche Spuren dieſer Gottvielheit, die nicht in verſchiedene, individual be— ſtehende Geſtalten von perſoͤnlicher Art und perſoͤn⸗ lichem Leben differenziert iſt, ſondern gleichſam eine im Weſen geſonderte, im Handeln verbundene Mehr— heit kosmiſcher Kräfte, ein Aggregat ſchaffender, er haltender und zerſtoͤrender Maͤchte, eine uͤber die Erde ziehende, ſich in ſich ſelber beratende und aus ihrem Rat beſchließende Götter; wolke darſtellt“). Man kann verwandte Erſchein— ungen bei anderen Voͤlkern aufzeigen; aber das ſind alles ſekundaͤre Gottheiten, Hilfsgottheiten dem monumentalen Monopluralismus des Elohim— Mythos iſt nichts anderes an die Seite zu ſetzen. Einzigartig iſt auch feine weitere Entwicklung. Inner

Ich kann an dieſer Stelle nur auf Reſultate hinweiſen; wer unbe⸗ fangen und mit Verſtändnis für den Sinn hebräiſcher Urworte den Bibel; tert lieſt, wird ſich die Belege leicht zuſammenſtellen.

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halb der Vielheit des Elohim bildet fich eine domi⸗ nierende Gewalt, ein namentragendes Hauptweſen heraus, das immer groͤßere Macht an ſich reißt und ſich endlich, mit den mythiſchen Inſignien eines alten Stammgottes geſchmuͤckt, als ſelbſtaͤndiger Herrſcher losloͤſt: Jahwe ... Noch wird geſungen: Wer gleicht Jahwe unter den Soͤhnen der Goͤtter? Bald aber fuͤhrt er die Maͤchte, die ihm einſt Gefaͤhrten waren, als dienende Heerſchar mit ſich, mit der er auch ſeinen Namen ergaͤnzt: Jahwe des Gewaltenheeres, Jahwe Zebaot. Zuletzt ſinkt das Elohim zu einem bloßen Attribut herab: Jahwe Elohim wird der Einzige ge⸗ nannt; aber auch in ſeinen anderen Namen, ſo in Schaddai, ſchwingt die einſtige Polydaͤmonie nach. Und noch viel ſpaͤter, als er ſchon ins Unſinnliche ge⸗ hoben worden iſt, redet er zuweilen, als ſpraͤche er noch zu der urweltlichen Goͤttervielheit.

Jahwe iſt der goͤttliche Heros ſeines Volkes und die uralten Hymnen, die uns wie aus einer fruͤheren geologiſchen Epoche bewahrt in den prophetiſchen Schriften, im Hiob, in den Pſalmen verſprengt er⸗ halten geblieben ſind, preiſen ſeine Siegestaten, jede ein echter Mythos: wie er das Untier des Chaos zerſchmetterte und unter dem Jubel der

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morgendlichen Sterne die Pfeiler der Erde in die Tiefe ſenkte.

Und nun greift jene ſupreme Tendenz des Juden— tums ein, die ſich mit keinem Einheitsgebilde beſchei— det, ſondern von jedem zu einer hoͤheren, vollkomme— neren Einheit fortſchreitet, und weitet dieſen kosmiſch—⸗ nationalen Jahwe zum Gott des Alls, zum Gott der Menſchheit, zum Gott der Seele. Aber der Gott des Alls darf ſich nicht mehr am Abend unter den Baͤu— men ſeines Paradieſes ergehen, und der Gott der Menſchheit darf nicht mehr mit Jakob bis zum Mor; gengrauen ringen, und der Gott der Seele darf nicht mehr im unverſehrten Dornbuſch brennen. Der Jahwe der Propheten iſt keine ſinnliche Wirklichkeit mehr; und die alten mythiſchen Bilder, in denen er verherrlicht wird, find nur noch Gleichniſſe feiner Un; ausſprechlichkeit. So ſcheinen denn die Rationaliſten nun doch noch recht zu bekommen und der juͤdiſche Mythos ein Ende gefunden zu haben. Aber dem iſt nicht ſo. Schon deshalb nicht, weil das Volk die Idee eines ſinnlich nicht erlebbaren Gottes noch Jahrtau— ſende ſpaͤter nicht wahrhaft angenommen hatte. Vor allem aber deshalb nicht, weil die Rationaliſten den Begriff des Mythos zu eng und zu klein faſſen.

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Wir haben damit begonnen, Mythos den Bericht von goͤttlichem Geſchehen als einer ſinnlichen Wirk⸗ lichkeit zu nennen. Aber weder Platon noch unſer Sprachgefuͤhl verſteht dieſe Definition ſo wie die Ra⸗ tionaliſten ſie verſtehen: als ob nur der Erzaͤhlung von dem Tun oder Leiden eines als ſinnliche Sub⸗ ſtanz gegebenen Gottes der Name eines Mythos zu⸗ kaͤme. Vielmehr iſt dies ihr Sinn: daß wir Mythos alle Erzaͤhlung von einem ſinnlich wirklichen Geſche⸗ hen zu nennen haben, die es als ein goͤttliches, ein ab⸗ ſolutes Geſchehen empfindet und darſtellt.

Um dies mit aller Klarheit zu erfaſſen, muͤſſen wir noch einmal nach dem Allgemeinen ausſchauen und danach fragen, wie denn Mythos entſteht.

3.

Die Welterkenntnis des „ziviliſierten“ Menſchen iſt getragen von der Funktion der Kauſalitaͤt, von der Betrachtung der Weltvorgaͤnge in einem empiriſchen Zuſammenhang der Urſachen und Wirkungen. Durch dieſe Funktion wird erſt eine Orientierung, ein Sich⸗ zurechtfinden im unendlichen Geſchehen ermoͤglicht; zugleich aber wird der Sinn des einzelnen Erlebniſſes geſchwaͤcht, weil es ſo nur aus ſeiner Beziehung zu

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anderen Erlebniſſen, nicht vollkommen aus ſich felber erfaßt wird. Beim primitiven Menſchen iſt die Funk- tion der Kauſalitaͤt noch recht ſchwach ausgebildet. Faſt ausgeſchaltet iſt ſie bei ihm Ereigniſſen gegen— uͤber, die ihm eine Sphaͤre darſtellen, in die forſchend, wiederholend, nachpruͤfend einzudringen nicht in ſei— ner Macht iſt, wie Traum und Tod; Menſchen gegen— über, die in fein Leben mit einer gebieteriſchen Daͤ⸗ monie eingreifen, welche er nicht nach der Analogie ſeiner eigenen Faͤhigkeiten zu begreifen vermag, wie der Zauberer und der Held. Er reiht dieſe Ereigniſſe nicht in den urſaͤchlichen Zuſammenhang ein wie die kleinen Begebenheiten ſeines Tages, er reiht die Taten dieſer Menſchen nicht in die Kette des Geſchehens ein wie die ſeinen und die ſeiner Vertrauten, er regiſtriert ſie nicht mit kundigem Gleichmut wie das Gewohnte und Verſtaͤndliche, ſondern er nimmt ſie, von der kau— ſalen Funktion ungehemmt, mit der ganzen Spam nung und Inbrunſt ſeiner Seele in ihrer Beſonderheit auf und bezieht ſie nicht auf Urſachen und Wirkungen, ſondern auf ihren eigenen Gehalt, auf ihren Sinn als Außerungen des unfagbaren, undenkbaren, nur eben in ihnen ſich darſtellenden Sinnes der Welt. Daraus ergibt ſich die unzulaͤngliche Empirie und Zweckſicher⸗

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heit des Primitiven ſolchen elementaren Erlebniſſen gegenüber, aber zugleich auch ſein hohes Gefuͤhl fuͤr das Irrationale des einzelnen Erlebniſſes, für das, was daran nicht aus anderen Vorgaͤngen zu begrei⸗ fen, ſondern nur aus ihm ſelbſt zu erſchauen iſt, fuͤr ſeine Bedeutung als Signum eines geheimen, uͤber⸗ kauſalen Zuſammenhangs, fuͤr die Anſchaulichkeit des Abſoluten. Er ſtellt die Vorgaͤnge in die Welt des Abſoluten, des Goͤttlichen ein: er mythiſiert ſie. Sein Bericht von ihnen iſt eine Erzaͤhlung von einem ſinnlich⸗wirklichen Geſchehen, die es als ein goͤttliches, ein abſolutes Geſchehen empfindet und darſtellt: iſt Mythos.

Dieſe mythiſierende, mythenbildende Fakultaͤt er⸗ haͤlt ſich im ſpaͤteren Menſchen trotz aller Entfaltung der kauſalen Funktion. In Zeiten hoher Spannung und Intenſitaͤt des Erlebens faͤllt gleichſam vom Menſchen die Feſſel der Kauſalitaͤtsfunktion ab: er erkennt das Geſchehen der Welt als ein uͤberkauſal ſinnvolles, als die Außerung eines zentralen Sinns, der aber nicht etwa mit dem Gedanken, ſondern nur mit der wachen Gewalt der Sinne und dem gluͤhen⸗ den Schwingen der ganzen Perſon zu erfaſſen iſt, als eine anſchauliche, in aller Vielheit gegebene Wirk⸗

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lichkeit. So etwa iſt noch immer das Verhältnis des wahrhaft lebendigen Menſchen zu der Geſtalt und dem Schickſal des Helden beſchaffen; er vermag ihn in die Urſaͤchlichkeit einzuſtellen und mythiſiert ihn dennoch, weil ihm die mythiſche Betrachtung eine tiefere, ganzere Wahrheit eroͤffnet als die kauſale und ihm ſo erſt die geliebte, beſeligende Geſtalt im Innerſten erſchließt.

So iſt denn der Mythos eine ewige Funktion der Seele.

Es iſt nun ſeltſam und bedeutſam, wie dieſe Funktion ſich mit der fundamentalen Anſchauung der juͤdiſchen Religioſitaͤt begegnet und wie ſie doch auch wieder in dieſer ein weſensverſchiedenes, fie um— wandelndes Element findet: wie ſozuſagen von Natur der juͤdiſche Mythos eine geſchichtliche Konti— nuitaͤt darſtellt und wie er doch zugleich fein beſon⸗ deres, den anderen, namentlich den okzidentalen Mythen fremdes Gepraͤge beſitzt.

Die fundamentale Anſchauung der juͤdiſchen Reli— giofität und der Kern des fo vielfach mißverſtandenen, ſo grauſam rationaliſierten juͤdiſchen Monotheismus iſt die Betrachtung aller Dinge als Außerungen Gottes, alles Geſchehens als einer Kundgebung des Abſoluten. Waͤhrend dem anderen großen Mono—

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theiften des Orients, dem indiſchen Weiſen, wie er ſich uns in den Upaniſchaden darſtellt, die ſinnliche Wirklichkeit ein Schein iſt, den man abſtreifen muß, um in die Welt der Wahrheit einzukehren, iſt dem Juden die ſinnliche Wirklichkeit eine Offenbarung des goͤttlichen Geiſtes und Willens. Darum iſt fuͤr den indiſchen Weiſen, wie ſpaͤter fuͤr den Platoniker, aller Mythos eine Metapher, fuͤr den Juden iſt er ein wahrhafter Bericht von der Kundgebung Gottes auf Erden. Der antike Jude kann gar nicht anders als mythiſch erzählen: weil ihm erſt dann eine Begeben; heit erzaͤhlenswert iſt, wenn ſie in ihrem goͤttlichen Sinn gefaßt worden iſt. Alle erzaͤhlenden Buͤcher der Bibel haben einen Inhalt: die Geſchichte von den Begegnungen Jahwes mit ſeinem Volke. Und ſpaͤ⸗ ter, als er aus der Sichtbarkeit der Feuerſaͤule und der Hoͤrbarkeit des Donners uͤber dem Sinai in das Dunkel und Schweigen der Unſinnlichkeit eingegan⸗ gen iſt, bricht dieſe Kontinuität des mythiſchen Erz zaͤhlens nicht ab; wohl kann Jahwe nicht mehr wahr⸗ genommen werden, aber wahrgenommen werden koͤnnen alle ſeine Außerungen in Natur und Hiſtorie. Aus dieſen baut ſich der unendliche Gegenſtand des nach bibliſchen Mythos auf.

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Es geht wohl ſchon aus dem Geſagten hervor, was das iſt, was ich das beſondere Gepraͤge des juͤdiſchen Mythos genannt habe. Er hebt die Kauſalitaͤt nicht auf, er ſetzt nur an die Stelle der empiriſchen eine metaphyſiſche Kauſalitaͤt, einen urſaͤchlichen Zuſam— menhang der erlebten Vorgaͤnge mit dem Weſen Gottes. Das iſt aber nicht etwa bloß in dem Sinn gemeint, daß ſie von Gott bewirkt ſind, ſondern immer ſtaͤrker bildet ſich die tiefere und fruchtbarere umgekehrte Konzeption heraus: die von dem Einfluß des Menſchen und ſeiner Tat auf Gottes Schickſal. Dieſe Anſchauung, die ſchon fruͤh eine zugleich naive und myſtiſche Geſtaltung findet und die im Chaſſidis— mus ihren hoͤchſten Ausdruck gewinnt, lehrt, daß das Goͤttliche in den Dingen ſchlummert und nur durch den erweckt werden kann, der die Dinge in Weihe empfaͤngt und ſich in ihnen heiligt. Die ſinnliche Wirklichkeit ift goͤttlich, aber fie muß in ihrer Goͤttlich⸗ keit verwirklicht werden durch den, der ſie wahrhaft erlebt. Die Gottesherrlichkeit iſt in die Verborgen— heit gebannt, ſie liegt gebunden auf dem Grunde jeglichen Dinges, und ſie wird in jedem Dinge er— loͤſt durch den Menſchen, der ſchauend oder handelnd dieſes Dinges Seele freimacht. So iſt ein jeder be—

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rufen, mit feinem eigenen Leben Gottes Schickſal zu beftimmen; fo ſteht jeder Lebendige tief verwurzelt im lebendigen Mythos.

Dieſen zwei Konzeptionen entſprechen die zwei Grundformen, in denen ſich der juͤdiſche Mythos aus; gebildet hat: die Sage von den Taten Jahwes und die Legende vom Leben des zentralen, des vollkom⸗ men verwirklichenden Menſchen. Die eine folgt dem Gang der Bibel, ſo daß ſich um den Beſtand der Schrift eine zweite, gleichſam eine in unzaͤhligen Schriften verſtreute Sagenbibel geformt hat; doch ſchließt ſich auch manches Stuͤck ſpaͤterer Geſchichte und manche zeitlich nicht lokaliſierte Erzaͤhlung an. Die zweite Grundform berichtet zunaͤchſt von einigen bibliſchen Perſonen, insbeſondere von jenen ge⸗ heimnisvollen Geſtalten, die der kanoniſche Text ver⸗ nachlaͤſſigt hat, wie Henoch, der aus Fleiſch zu Feuer gewandelt wurde und aus einem Sterblichen zu Matatron, dem Fuͤrſten des goͤttlichen Angeſichtes; ſodann erzaͤhlt ſie in kosmiſcher Weite das Leben der heiligen Maͤnner, die uͤber die innere Welt herrſchten, von Jeſchua aus Nazareth bis zu Iſrael dem Sohne Elieſers, dem Baalſchem. Die erſte ſtellt gleichfam den ewigen Zuſammenhang, die

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Die jüdische Myſtik

Die juͤdiſche Myſtik ift eine ununterbrochene Über: lieferung, deren Anfang wir nicht kennen. Man hat dieſe Überlieferung lange Zeit zu leugnen geſucht; ſie kann heute nicht mehr angezweifelt werden. Man hat nachgewieſen, daß fie von perſiſchen, dann von ſpaͤt— griechiſchen, dann von albigenſiſchen Quellen geſpeiſt wurde; ſie hat die Kraft des eigenen Stromes be— hauptet, der allen Zufluß aufnehmen konnte, ohne von ihm bezwungen zu werden. Freilich werden wir ſie nicht mehr ſo anſehen duͤrfen, wie ihre alten Mei⸗ ſter und Juͤnger es taten: als Kabbala, das heißt: als „Übernahme“ der Lehre von Mund zu Ohr und wieder von Mund zu Ohr, in ſolcher Weiſe, daß jedes Ge— ſchlecht ſie empfinge, aber jedes in einer weiteren und reicheren Offenbarung und Ausdeutung, bis am Ende der Zeiten die reſtloſe Wahrheit verkuͤndet würde; doch werden wir ihre Einheit, ihre Beſonder— heit und ihre ſtarke Bedingtheit durch die Art und das Schickſal des Volkes, aus dem ſie heraufwuchs, anerkennen muͤſſen. Die juͤdiſche Myſtik mag recht

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ungleichmaͤßig erſcheinen, oft truͤb, zuweilen klein⸗ lich, wenn wir ſie an Eckhart, an Plotinos, an Laotſe meſſen; ſie wird ihre Bruͤchigkeit nicht verbergen koͤnnen, wenn man ſie neben den Upaniſchaden be— trachten wollte. Sie bleibt die wunderbare Bluͤte eines uralten Baumes, deren Farbe faſt allzu grell, deren Duft faſt allzu uͤppig wirkt, und die doch eines der wenigen Gewaͤchſe innerer Seelenweisheit und geſammelter Ekſtaſe iſt.

Die myſtiſche Anlage iſt den Juden von Urzeiten her eigen, und ihre Außerungen find nicht, wie es ge⸗ woͤhnlich geſchieht, als eine zeitweilig auftretende be; wußte Reaktion gegen die Herrſchaft der Verſtandes— ordnung aufzufaſſen. Es iſt eine bedeutſame Eigen, tuͤmlichkeit des Juden, die ſich in den Jahrtauſenden kaum gewandelt zu haben ſcheint, daß ſich die Ex— treme bei ihm aneinander entzuͤnden, ſchneller und maͤchtiger als bei irgendeinem anderen Menſchen. So geſchieht es, daß mitten in einem unſaͤglich be; grenzten Daſein, ja gerade aus ſeiner Begrenztheit heraus plotzlich mit einer Gewalt, die nichts zu baͤn⸗ digen vermag, das Schrankenloſe hervorbricht und nun die widerſtandslos hingegebene Seele regiert. Fuͤr dieſe Macht des Unbegreiflichen in enger

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Stille mag uns die Gottesviſion Elijas ein Sinn; bild fein.

Ein Anderes, Weſentlicheres kam hinzu. Wenn jede Seele ſich ihre natürliche Subſtanz aus den kraͤf— tigen, wertbetonten Bildern formt, die fie mit ihren Sinnen aufgenommen und mit ihrem Gefuͤhl ge— faßt hat, ſo ſcheint die Seele des Juden an dieſer natuͤrlichen Subſtanz arm zu ſein. Unvergleichlich mehr motoriſch als ſenſoriſch veranlagt, reagiert er auch in ſeinem ganz innerlichen geiſtigen Leben ſehr viel intenſiver, als er empfaͤngt. Er geſtaltet das Empfangene mehr zu Wortgedanken, Begriffen, als zu Bildgedanken, Vorſtellungen, aus. Den vom Subjekte unabhaͤngigen Gegenſtaͤnden unendlich fremd, nur für die den Funktionen des Subjektes unterworfenen Gegenſtaͤnde verſtaͤndnisvoll (ſogar für Spinoza iſt die Natur more geometrico darleg; bar), exiſtiert der Jude weniger in Subſtanz, als in Relation. Er hat den hoͤchſten Sinn fuͤr die all⸗ gemeinen und offenbaren, wie fuͤr die heimlichen und beſonderen Beziehungen des Kosmos und der Pſyche und weiß fie in mathematiſchen Formeln und in lo⸗ giſchen Definitionen feſtzulegen oder in Rhythmen und Melodien auf das Meer der Ewigkeit auszu⸗

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ſchicken. Aber er hat einen geringen Sinn für die ganze Wirklichkeit eines Baumes, eines Vogels, eines Menſchen, der fuͤr ſich ein abſolutes, unerſchoͤpflich reiches, ſo geartetes Daſein einſchließt. Und ſehr ſelten vermag er ſchaffend Dinge, Gegenſtaͤnde, Geſtalten ſichtbar, greifbar, fuͤhlbar hinzuſtellen. Und ſo verlaͤuft auch ſein Leben ſelbſt mehr in der Bezie— hung, als in dem Weſen: er opfert ſich dem Nutzen hin, wenn er eine enge, er bringt ſich einer Idee dar, wenn er eine weite Seele hat; niemals aber oder faſt niemals lebt er mit den Dingen, ſie geruhig pflegend und foͤrdernd, liebreich zu der Welt und ſicher in ſei— nem Beſtande. Es gibt jedoch ein Element, das all dies in gewiſſer Weiſe erſetzt, indem es der Seele des Juden einen Kern, eine Sicherheit, eine Subſtanz gibt, allerdings keine ſenſoriſche, objektive, ſondern eine motoriſche, ſubjektive. Das iſt das Pathos. Ich vermag es nicht zu analyſieren, noch auch in eine Der finition zu faſſen. Es iſt ein eingeborenes Eigentum, das ſich einſt mit allen anderen Qualitaͤten des Stammes aus deſſen Orte und deſſen Geſchicken her— aus gebildet hat. Will man es immerhin umſchrei— ben, ſo darf man es vielleicht als das Wollen des Unmoͤglichen bezeichnen. Es ſtreckt die Arme aus,

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das Schrankenloſe zu umfangen. Es traͤgt eine ſchlechthin unerfüllbare Forderung, wie das Pathos Moſe und der Propheten die Forderung der abſoluten Gerechtigkeit, wie das Pathos Jeſu und Pauli die Forderung der abſoluten Liebe; oder eine ſchlechthin unerfuͤllbare Abſicht, wie das Pathos Spinozas die Abſicht, das Sein zu formulieren; oder ein ſchlechthin unerfüllbares Verlangen, wie das Pathos Philons und der Kabbala das Verlangen nach der Vermaͤh— lung mit Gott, die im Sohar „Siwwug“ genannt wird. So wird die Seele, die in den wirklichen Din; gen keinen Boden finden kann, von ihrer Leere und Unfruchtbarkeit erloͤſt, indem ſie in dem Unmoͤglichen Wurzel ſchlaͤgt.

Kommt demnach die Kraft der juͤdiſchen Myſtik aus einer urſpruͤnglichen Eigenſchaft des Volkes, das ſie erzeugt hat, ſo hat ſich ihr des weiteren auch das Schickſal des Volkes eingepraͤgt. Das Wandern und das Martyrium der Juden haben ihre Seelen immer wieder in die Schwingungen der letzten Ver— zweiflung verſetzt, aus denen ſo leicht der Blitz der Ekſtaſe erwacht. Zugleich aber haben fie fie gehindert, den reinen Ausdruck der Ekſtaſe auszubauen, und ſie verleitet, Notwendiges, Erlebtes mit Überfluͤſſigem,

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Aufgeklaubtem durcheinanderzuwerfen, und in dem Gefühle, das Eigene vor Pein nicht ſagen zu können, am Fremden geſchwaͤtzig zu werden. So ſind Schriften wie der „Sohar“, das Buch des Glanzes, entſtanden, die ein Entzuͤcken und ein Abſcheu ſind. Mitten unter rohen Anthropomorphismen, die durch die allego— riſche Ausdeutung nicht ertraͤglicher werden, mitten unter oͤden und farbloſen Spekulationen, die in einer verdunkelten, geſpreizten Sprache einherſtelzen, leuch— ten wieder und wieder Blicke der verſchwiegenen See— lentiefen und Offenbarungen der letzten Geheimniſſe auf. Das Pathos erniedrigt ſich oft genug zur Rhe— torik; dieſem Suͤndenfall waren die Juden von jeher ausgeſetzt, und nicht immer bloß die mittelmaͤßigen. Aber immer wieder macht ſich das Pathos frei und iſt reiner und groͤßer als zuvor. Am groͤßten, wenn es die Gefahr erkennt, die ihm vom Worte droht. Sich mitteilend, weil es nicht anders kann, fühlt es doch die Unzulänglichkeit aller Mitteilung, fuͤhlt die Un⸗ ausſprechlichkeit des Erlebniſſes, und gluͤht auf in Angſt, von der eigenen Rede geſchaͤndet zu werden. „Komm und ſchau!“ heißt es im „Sohar“; „Denken iſt der Anfang von allem, was iſt; aber alſo ſeiend iſt es in ſich beſchloſſen und unbekannt ... Das wirk⸗

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liche Denken iſt mit dem Nichts verbunden und Loft ſich nicht von ihm.“ Und als ein fremder Greis den Juͤngern Simons ben Jochai, des legendaͤren Ur— meiſters der Kabbala, die Unvergaͤnglichkeit der Energie verkuͤndet „Nichts faͤllt ins Leere, auch nicht die Worte und die Stimme des Menſchen; alles hat ſeinen Ort und ſeine Beſtimmung“ —, da fahren ſie vor ihm zuruͤck, aber ſie fuͤrchten nicht fuͤr ſich, ſondern fuͤr ihn, der geſprochen hat; ſie reden zu ihm: „O Greis, was haſt du getan? Haͤtte es nicht beſſer getaugt, das Schweigen zu bewahren? Denn nun biſt du davongetragen, ohne Segel und Maſt, auf einem ungeheuern Meer. Wenn du aufſteigen wollteſt, koͤnnteſt du es nicht mehr, und im Niederſinken findeſt du den Abgrund ohne Boden.“

In der Zeit des Talmuds war die myſtiſche Lehre noch ein Geheimnis, das man nur einem „Meiſter in Kuͤnſten und kundig des Fluͤſterns“ anvertrauen durfte, und von den Eſſaͤern wiſſen wir aus Joſephus, wie ſorgſam ſie das Myſterium behuͤteten und die ge⸗ heimen Schriften, die ihnen als uralt galten. Erſt ſpaͤter greift die Lehre uͤber das Gebiet der Sekte und der perſoͤnlichen Übergabe hinaus. Die erſte uns er;

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haltene Schrift, das pythagoreiſierende „Buch der Schoͤpfung“, iſt wahrſcheinlich zwiſchen dem ſiebenten und dem neunten Jahrhundert entſtanden, und der „Sohar“ ſtammt jedenfalls in ſeiner jetzigen Re— daktion aus dem Ende des dreizehnten; zwiſchen beiden liegt die Zeit der eigentlichen Entwicklung der Kabbala. Aber noch lange bleibt die Beſchaͤftigung mit ihr auf enge Kreiſe beſchraͤnkt, mochte ſie ſich auch uͤber Frankreich, Spanien, Italien und Deutſchland bis nach Agypten und Palaͤſtina erſtrecken. All die Zeit bleibt auch die Lehre ſelbſt dem Leben fremd: ſie iſt Theorie im neoplatoniſchen Sinne, Gottſchauen, und verlangt nichts von der Wirklichkeit menſchlichen Daſeins; ſie fordert nicht, daß man ihr nachlebe, ſie hat keine Fuͤhlung mit dem Handeln, das Reich der Wahl, das der ſpaͤteren juͤdiſchen Myſtik, dem Chaffi- dismus, alles bedeutete, iſt ihr nicht unmittelbar le⸗ bendig; ſie iſt außermenſchlich und beruͤhrt ſich nur in der Betrachtung der Ekſtaſe mit der ſeeliſchen Realitaͤt. Sie ſteht zwei anderen Maͤchten im Judentum gegen⸗ uͤber, der harten, allem perſoͤnlichen Leben feind— lichen, um das „Geſetz“ beſorgten Strengglaͤubig— keit und dem von Ariſtoteles beſtimmten, naturfernen Rationalismus, aber ſie ſetzt dem Ethos der einen

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und dem des anderen kein eigenes entgegen, und ſo dringt ihr Sinn nicht ins Volk.

Erſt in den letzten Zeiten dieſer Epoche werden neue Kraͤfte offenbar. Die Vertreibung der Juden aus Spanien gab der Kabbala den großen meſſianiſchen Zug. Der einzige energiſche Verſuch der Diaſpora, im Exil eine kulturſchaffende Gemeinſchaft und eine Heimat im Geiſte zu begruͤnden, hatte in Truͤmmern und Verzweiflung geendet. Der alte Abgrund tat ſich wieder auf, und aus ihm ſtieg wieder, wie immer, der alte Erloͤſungstraum empor, ragend und gebieteriſch wie nie zuvor ſeit den Tagen der Roͤmer. Die Sehn⸗ ſucht brennt: das Abſolute muß Wirklichkeit werden. Auch der Meſſianismus der Juden war von jeher ein Wollen des Unmoͤglichen. Die Kabbala konnte ſich ihm nicht verſchließen. Sie nannte das Reich Gottes auf Erden „die Welt der Vollendung“. Sie nahm die Inbrunſt des Volkes in ſich auf. Und als ſie es tat, zog ſie im Volke ein, wie der Meſſias ſelbſt in ſeiner Stadt.

Die um die Mitte des ſechzehnten Jahrhunderts beginnende neue Ara der juͤdiſchen Myſtik, die den ethiſch-ekſtatiſchen Akt des Einzelnen als Mitſchaffen an der Erloͤſung verkuͤndet, wird durch Iſaak Lurja

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eröffnet. Er, der hundert Jahre vor Locke lehrte, alles Seiende beſtehe aus Subſtanz und Erſcheinung und es ſei keine objektive Erkenntnis gegeben, war in ſeinen Gedanken uͤber die Emanation der Welt aus Gott und die demiurgiſchen Zwiſchenpotenzen faſt durchaus von der aͤlteren Kabbala abhaͤngig; aber in ſeiner Darſtellung der unmittelbaren Wirkung der Menſchenſeele, die ſich laͤutert und vollendet, auf Gott und Welterloͤſung gibt er den alten Weisheiten eine neue Geſtalt und eine neue Folge.

Schon im Talmud heißt es, der Meſſias werde kommen, wenn alle Seelen in das leibliche Leben ein⸗ getreten fein wuͤrden. Die Kabbaliſten des Mittels alters glaubten zu erkennen, ob die Seele eines Menſchen, der vor ihnen ſtand, aus der Welt des Ungeborenen in ihn niedergeſtiegen oder mitten in ihrer Wanderung bei ihm eingekehrt ſei. Der Sohar und die ſpaͤtere Kabbala bauten die Lehre aus, die wir bei Lurja endguͤltig gefaßt finden. Es gibt danach zwei Formen der Metempſychoſe: den Kreisgang oder die Wanderung, Gilgul, und den Überſchwang oder die Schwaͤngerung, Ibbur. Gilgul iſt das Eintreten von Seelen, die auf der Fahrt ſind, in einen Menſchen im Augenblick ſeiner Zeugung oder Geburt. Aber

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auch ein bereits mit einer Seele begabter Menſch kann in irgendeinem Moment ſeines Lebens eine oder meh⸗ rere Seelen empfangen, die ſich mit ſeiner vereinigen, wenn ſie mit ihr verwandt, das heißt, aus derſelben Ausſtrahlung des Urmenſchen entſtanden ſind. Die Seele eines Toten verbindet ſich der eines Lebenden, um ein vollendetes Werk, das ſie im Sterben laſſen mußte, vollbringen zu koͤnnen. Ein hoher ab⸗ geſchiedener Geiſt ſteigt in ganzer Lichtfuͤlle oder in einzelnen Strahlen zu einem unfertigen hinab, um bei ihm zu wohnen und ihm zur Vollendung beizu⸗ ſtehen. So wird Prophetie geboren. Oder zwei un vollkommene Seelen vereinigen ſich, um einander zu ergaͤnzen und zu laͤutern. Kommt uͤber eine dieſer Seelen Schwaͤche und Hilfloſigkeit, dann wird die andere ihre Mutter, traͤgt ſie in ihrem Schoße und naͤhrt ſie mit dem eigenen Weſen. Auf allen dieſen Wegen vollzieht ſich die Reinigung der Seelen von der Urtruͤbung und die Erloͤſung der Welt aus der erſten Verwirrung. Iſt dieſes getan, haben alle die Wegreiſe vollzogen, dann erſt zerbricht die Zeit, und das Gottesreich hebt an. Als letzte ſteigt die Seele des Meſſias ins Leben herab. Durch ihn geſchieht die Ver⸗ goͤttlichung der Welt.

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Lurjas eigentuͤmliche Tat ift, daß er dieſen Welt; prozeß auf die Haltung einiger Menſchen ſtellen wollte. Er verkündete, eine unbedingte Lebensfuͤh— rung derer, die ſich der Erloͤſung weihen, in Tauch— baͤdern und Nachtwachen, in ekſtatiſcher Betrachtung und vollkommner Liebe zu allem und allen, würde die Seelen gleichſam in einem Sturme laͤutern und das meſſianiſche Reich herbeirufen.

Das Grundgefuͤhl, deſſen ideelle Außerung dieſe Lehre war, fand nahezu hundert Jahre ſpaͤter ſeinen elementaren Ausdruck in der großen meſſianiſchen Bewegung, die den Namen Sabbatai Zewis traͤgt. Sie war eine Entladung der unbekannten Volks- kraͤfte und eine Offenbarung der verborgenen Wirk— lichkeit der Volksſeele. Die ſcheinbar unmittelbarſten Werte, das heile Leben und der Beſitz, waren ploͤtz— lich ſchal und nichtswuͤrdig geworden, und die Menge vermochte es, dieſen zu verlaſſen wie ein uͤberfluͤſſiges Geraͤt und jenes nur noch mit leichter Hand zu halten wie ein Gewand, das dem Laufenden entgleitet und das er, wenn es ihn allzuſehr hemmt, die Finger oͤffnend fahren läßt, um nackt und frei das Ziel zu ereilen. Der vermeintlich vom Verſtand regierte Stamm entbrannte im Eifer um die Botſchaft.

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Auch dieſe Erhebung brach zuſammen, jaͤmmer— licher und entſetzlicher zugleich als irgendeine der fruͤ⸗ heren. Und nun verinnerlicht ſich der Meſſianismus wieder. Das eigentliche Zeitalter der Mortifikation beginnt. Der Glaube, durch myſtiſche Übung die oberen Welten zwingen zu koͤnnen, dringt immer tie⸗ fer ins Volk ein. Um das Jahr 1700 vollzieht ſich jener aſketiſche Zug der Fuͤnfzehnhundert in das Heilige Land, der in Tod und Elend aufgeht. Aber auch Einzelne bereiten ſich in ruͤckſichtsloſer Entaͤuße⸗ rung. In Polen namentlich reift in vielen der Wille, ſich und die Welt zu entſuͤhnen. Manche von ihnen ziehen, da keine einzelne Kaſteiung ihnen genugtun kann, auf die Wanderung, „in die Verbannung“, wie ſie es nennen, nehmen nirgends Speiſe oder Trank an, und wandern ſo, von ihrem Willen getragen, bis mit ihrer Kraft auch ihr Leben erliſcht und ſie auf fremdem Orte unter Fremden tot hinfallen.

Dieſe Maͤrtyrer des Willens ſind die Vorlaͤufer der letzten und hoͤchſten Entwicklung der juͤdiſchen Myſtik, des um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts ent⸗ ſtandenen Chaſſidismus, der ſie zugleich fortſetzte und widerlegte. Der Chaſſidismus iſt die Ethos gewordene Kabbala. Aber das Leben, das er lehrt, iſt nicht

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Aſkeſe, ſondern Freude in Gott. Chaſſid bedeutet: der Fromme; aber der Chaſſidismus iſt kein Pietismus. Er entbehrt aller Sentimentalitaͤt und Gefuͤhlsoſten— tation. Er nimmt das Jenſeits ins Diesſeits heruͤber und laͤßt es in ihm walten und es formen, wie die Seele den Koͤrper formt. Sein Kern iſt eine hoͤchſt gotterfuͤllte und hoͤchſt realiſtiſche Anleitung zur Ck— ſtaſe, als zu dem Sinn und dem Gipfel des Daſeins. Aber die Ekſtaſe iſt hier nicht, wie etwa bei der deut— ſchen Myſtik, ein „Entwerden“ der Seele, ſondern deren Entfaltung; nicht die ſich beſchraͤnkende und entaͤußernde, ſondern die ſich vollendende Seele mündet in das Abſolute. In der Aſkeſe ſchrumpft das geiſtige Weſen, die Neſchama, zuſammen, fie er ſchlafft, wird leer und truͤbe; nur in der Freude kann ſie wachſen und ſich erfuͤllen, bis ſie, alles Mangels ledig, zum Goͤttlichen heranreift. Niemals hat eine Lehre das Gottfinden mit einer ſolchen Kraft und in einer ſolchen Reinheit auf das Selbſtſein geſtellt. Wieder war es Polen, das ſich ſchoͤpferiſch erwies, und vor allem die ſteppenreiche Ebene der Ukraine. Polen hatte eine feſte, durch die fremde, verachtende Umwelt in ſich geſtaͤrkte judiſche Gemeinſchaft, und zum erſtenmal ſeit der ſpaniſchen Bluͤte entwickelte

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ſich hier ein eigenes Leben in Werken und Werten, eine duͤrftige und gebrechliche aber ſelbſtaͤndige Kulz tur. Waren ſo die Vorausſetzungen fuͤr geiſtiges Wirken uͤberhaupt gegeben, ſo konnte eine myſtiſche Lehre doch nur auf dem Boden der Ukraine empor— wachſen. Hier herrſchte ſeit den koſakiſchen Juden⸗ metzeleien unter Chmielnicki ein aͤhnlicher Zuſtand der tiefſten Unſicherheit und Verzweiflung, wie jener, der einſt nach der Vertreibung aus Spanien die Kab—⸗ bala verjuͤngte. Und dann war der Jude hier nicht, wie in den uͤbrigen polniſchen Laͤndern, ein Staͤdter, der in dem engen rabbiniſchen Studium vertrocknete oder in der Atmoſphaͤre der geſchaͤftigen Maſſe verflachte, ſondern zumeiſt ein Doͤrfler, einſamer und ſich ſelbſt naͤher, begrenzt im Wiſſen, aber urſpruͤnglich im Glauben und ſtark in ſeinem Trau⸗ me von Gott.

Der Begruͤnder des Chaſſidismus war Iſrael aus Miedzyborz, der „Baal ſchem“, das iſt Meiſter des wunderwirkenden Gottesnamens, genannt wurde. Um ihn und ſeine Juͤnger ſpann ſich eine farbenreiche und innige Legende. Er war ein ſchlichter, wahrz haftiger Mann, unerſchoͤpflich an Inbrunſt und len⸗ kender Gewalt.

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Die Lehre des Baalſchem ift uns ſehr unvollkom— men erhalten. Er ſelbſt ſchrieb ſie nicht nieder; und auch muͤndlich teilte er, wie er einmal ſagte, nur das mit, was ihn wie ein allzu volles Gefäß überquellen machte. Unter ſeinen Schuͤlern ſcheint er keinen als wuͤrdig befunden zu haben, ſeinen Gedanken reſtlos aufzunehmen; ein Gebet von ihm wird uͤberliefert: „Herr, dir iſt bewußt und offenbar, wie vieles in mir an Erkennen und Vermoͤgen ruht, und da iſt kein Menſch, dem ich es kundtun koͤnnte.“ Von dem aber, was er lehrte, ſcheint das meiſte ganz unzulaͤnglich niedergeſchrieben worden zu fein, oft gänzlich ent: ſtellt. Beim Durchblicken einer ſolchen Niederſchrift ſoll er einmal ausgerufen haben: „Hier iſt nicht ein Wort, das ich geſagt haͤtte.“

Dennoch iſt der wirkliche Sinn ſeiner Grundlehren unverkennbar.

Gott, fo lehrt der Baalſchem, iſt das Weſen jedes Dinges. Wer, ungeblendet vom Schein, in das Wer ſen der Dinge ſchaut, der ſchaut Gott. Gott ſpricht nicht aus den Dingen, ſondern er denkt in den Din⸗ gen; und ſo kann er nur mit der innerſten Kraft der Seele empfangen werden. Iſt dieſe Kraft freige⸗ macht, dann iſt es dem Menſchen an jedem Orte und

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zu jeder Zeit gegeben, ſich mit Gott zu vereinigen. Jede Handlung, die in ſich geweiht iſt, mag ſie noch ſo niedrig und ſinnlos erſcheinen dem von außen Herankommenden, iſt der Weg zum Herzen der Welt. In allen Dingen, auch in den ſcheinbar voͤllig toten, wohnen Funken des Lebens, die in die bereite Seele fallen. Was wir das Boͤſe nennen, iſt kein Weſen, ſondern ein Mangel; es iſt „Gottes Exil“, die un⸗ terſte Stufe des Guten, der Thron des Guten; es iſt in der Sprache der alten Kabbala die „Schale“, die das Weſen der Dinge umgibt und verhuͤllt. Es gibt kein Ding, das boͤſe und der Liebe unwuͤr⸗ dig waͤre. Auch die Triebe des Menſchen ſind nicht boͤſe; „je groͤßer ein Menſch,“ heißt es ſchon im Talmud, „deſto groͤßer iſt ſein Trieb“; aber der Reine und Geheiligte macht aus ſeinem Trieb „einen Wagen fuͤr Gott“, er loͤſt ihn von aller Schale ab und laͤßt ſeine Seele ſich daran vollenden. Der Menſch ſoll ſeine Triebe in ihren Tiefen fuͤhlen und ſie beſitzen. „Er ſoll den Stolz lernen und nicht ſtolz ſein, den Zorn kennen und nicht zuͤrnen. Der Menſch vermag ſich mit allen Wonnen zu kaſteien. Er vermag zu blicken nach welchem Orte er will und ſich nicht uͤber ſeine vier Ellen hinaus zu ver⸗

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lieren; Worten des Scherzes zu lauſchen und fich zu betruͤben. Und ſo geſchieht es, daß er hier ſitzt und ſein Herz iſt oben, er ißt und vergnuͤgt ſich in dieſer Welt und genießt aus der Welt der geiſtigen Seligkeit.“ Das Schickſal des Menſchen iſt nur der Ausdruck ſei— ner Seele: weſſen Gedanken an unreinen Dingen umherſtreifen, erlebt Unreines, wer ſich ins Heilige verſenkt, erfaͤhrt das Heil. Des Menſchen Denken iſt ſein Sein: wer an die obere Welt denkt, iſt in ihr. Alles aͤußere Geſetz iſt nur ein Aufſtieg zum inneren; der letzte Zweck des Einzelnen iſt, ſelbſt ein Geſetz zu werden. In Wahrheit iſt die obere Welt kein Außen, ſondern ein Innen; es iſt „die Welt des Gedankens“.

Iſt demnach das Leben des Menſchen in jedem Punkte und in jeder Taͤtigkeit dem Abſoluten geoͤff⸗ net, ſo ſoll er es auch in Weihe leben. Jeder Morgen iſt eine neue Berufung. „Er erhebe ſich eilend und in Eifer von ſeinem Schlafe, denn er iſt geheiligt und ein anderer Menſch worden und iſt wuͤrdig zu er— zeugen und iſt wie Gott, der die Welten erzeugt.“ Auf allen Wegen findet der Menſch Gott, und alle Wege ſind voll der Einung. Aber der reinſte und unmittelbarſte iſt der Weg des Gebetes. Wer in ſei—⸗ nem Feuer betet, in deſſen Kehle redet Gott ſelbſt das

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innere Wort. Dieſes iſt das Erlebnis; das aͤußere Wort iſt nur ſein Gewand. „Wie von brennenden Hoͤlzern der Rauch emporſteigt, aber die ſchweren Teile am Boden haften und zu Aſche werden, ſo ſteigt vom Gebete nur der Wille und die Inbrunſt empor, aber die aͤußeren Worte zerfallen zu Aſche.“ Je hoͤher die Inbrunſt, je gewaltiger die Intentions⸗ kraft, Kawwana, deſto unbedingter iſt die Vereini⸗ gung. „Es iſt eine große Gnade von Gott, daß der Menſch nach dem Gebete am Leben bleibt, denn nach der Natur müßte er ſterben, weil er feine Kraft be; graben und in ſein Gebet eingetan hat, wegen der Kawwana, die er hegt ... Er denke vor dem Gebete, daß er bereit iſt zu ſterben um der Kawwana willen.“ Aber das Gebet ſoll nicht in Pein und Buße, ſondern in großer Freude geſchehen. Freude allein iſt wahr⸗ hafter Gottesdienſt.

Die Lehre des Baalſchem fand bald Eingang im Volke, das ihrer Idee nicht gewachſen war, aber ihr Gottesgefuͤhl mitſchwingend empfing. Die Froͤmmig⸗ keit dieſes Volkes hatte von jeher einen Hang zum myſtiſch Unmittelbaren; ſie nahm die neue Botſchaft auf wie einen erhobenen Ausdruck ihrer ſelbſt. Die Verkuͤndigung der Freude in Gott wirkte nach einem

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Jahrtauſend freudenbarer, freudenfeindlicher Ge; ſetzesherrſchaft wie eine Befreiung. Dazu kam, daß das Volk ſich bisher einer durchaus unfruchtbaren, wirklichkeitsfremden, tatenloſen, aber nie angezwei— felten „geiſtigen Ariſtokratie“ von Talmudgelehrten gegenuͤber geſehen hatte. Nun wurde es mit einem Schlag von dieſem Gegenſatz erloͤſt und auf den ei— genen Wert geſtellt. Nun wurde ihm geſagt, nicht das Wiſſen entſcheide uͤber den Rang eines Menſchen, ſondern die Reinheit und Weihe ſeiner Seele, das iſt: ſeine Gottnaͤhe. Die neue Lehre kam wie eine Offen— barung deſſen, was man bisher nicht zu ahnen wagte. Sie wurde wie eine Offenbarung aufgenommen. Natuͤrlich ſagte die Orthodoxie der neuen Ketzerei, der Chaſſidut, den Krieg an und fuͤhrte ihn mit allen Mitteln, Bannſpruch, Synagogenſchließung und Bir cherverbrennung, Gefangennahme und oͤffentlicher Mißhandlung der Führer, ſchrak auch vor Denun⸗ ziationen an die Regierung nicht zuruͤck. Dennoch konnte hier der Ausgang des Kampfes nicht zweifel⸗ haft fein: die religioͤſe Starrheit konnte der religioͤſen Erneuerung nicht ſtandhalten. Ein gefaͤhrlicherer Gegner erſtand dieſer ſpaͤter in der Haskala, der juͤdi⸗ ſchen Aufklaͤrungsbewegung, die im Namen des

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Wiſſens, der Ziviliſation und Europas gegen den „Aberglauben“ auftrat. Aber auch ſie, die die Got— tesſehnſucht des Volkes widerlegen wollte, haͤtte der Bewegung, die dieſe Sehnſucht ſtillte, nicht ein Fuß⸗ breit Bodens abzuringen vermocht, wenn nicht im Chaſſidismus ſelbſt eine Zerſetzung begonnen haͤtte, die ihn zu der Entartung brachte, in die er heute verſenkt iſt. Ihre erſte Urſache beſtand darin, daß der Chaſſidismus auch nach außenhin eine For⸗ derung des Unmoͤglichen war: daß er vom Volke eine ſeeliſche Intenſitaͤt und Sammlung verlangte, die es nicht beſaß. Er gab ihm die Erloͤſung, aber um einen Preis, den es nicht zahlen konnte. Als die Bruͤcke zu Gott wies er eine Reinheit und Geflärtheit des Blickes, eine Spannung und Konzentration des geiſtigen Lebens, deren immer nur wenige faͤhig ſind, er aber ſprach zu vielen. Und ſo entſtand aus der Seelennot des Volkes eine Inſtitution von Mittlern, welche Zaddikim, das iſt Gerechte genannt wurden. Die Theorie des Mittlers, der in beiden Welten lebt und das Bindeglied zwiſchen ihnen iſt, durch den das Gebet emporgetragen und der Segen herabge— bracht wird, entwickelte ſich immer uͤppiger und uͤber⸗ wucherte zuletzt alle andere Lehre. Der Zaddik machte

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die chaſſidiſche Gemeinde reicher an Gottesſicherheit, aber aͤrmer an dem einzig Wertvollen: dem eigenen Suchen und Eifern. Dazu kam der wachſende aͤußere Mißbrauch. Zuerſt wurden nur wirklich Wuͤrdige, meiſt Schüler und Schuͤlers⸗Schuͤler des Baalſchem, zu Zaddikim erhoben. Aber weil der Zaddik von feiner Gemeinde reichlichen Lebensunter— halt bekam, um ſich ganz ſeinem Dienſte ergeben zu koͤnnen, draͤngten ſich bald niedrige Menſchen zur Pfruͤnde, und weil ſie nicht anderes bieten konnten, verſchafften ſie ſich durch allerlei Wundertuerei ein Anrecht. Allmaͤhlich entſtanden richtige Dyna— ſtien von Zaddikim. Mochte deren Prachtliebe auch zuweilen der Größe nicht ermangeln, fo riß doch gleichzeitig eine Gaukelei und Heuchelei ein, die die Reineren abſtieß, die Beſtimmbaren erniedrigte und die dunkelſte Menge herbeizog. So artete der Chaſſi— dismus zuletzt in wuͤſtes Sektenweſen aus.

Rabbi Nachman von Bratzlaw

Von einer tiefen Tragik iſt die Zeit der beginnenden Entartung des Chaſſidismus getragen. Da ſtehen Maͤnner auf, die den Verfall kommen ſehen und ihn aufhalten wollen, aber ſie vermoͤgen es nicht. Neben denen, die abſeits vom Zaddikismus den reinen Ge⸗ danken der Lehre wiederherzuſtellen verſuchten, aber nicht fo volkstuͤmlich wurden, daß fie der Zerſetzung in Wahrheit entgegengewirkt haͤtten, gab es auch ſolche, die die Verkehrtheiten des Zaddiktums wohl erkannten, aber es nicht vernichten, ſondern heilen wollten, indem ſie an Stelle des leeren und ver⸗ logenen Wundertuers den geweihten und in der Hin⸗ gabe lebenden Mittler forderten. Dieſe zerbrachen an der Kleinheit der Menſchen. Wie die Propheten Si raels, ſo waren auch dieſe ſeine ſpaͤten Soͤhne keine Reformer, ſondern Revolutionaͤre; ſie forderten nicht das Beſſere, ſondern das Unbedingte; ſie woll⸗ ten nicht erziehen, ſondern erloͤſen. Unter ihnen der Groͤßte, der Reinſte, der Tragiſchſte iſt Rabbi Nachman ben Sſimcha, der nach dem Hauptorte

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feines Wirkens Rabbi Nachman von Bratzlaw genannt wird. Er ſann darauf, „der Krone den alten Glanz wiederzugeben“. Der Zorn wider die Tempel— ſchaͤnder brannte in ihm: „Dem boͤſen Geiſte,“ pflegte er zu ſagen, „kommt es ſchwer an, ſich mit der ganzen Welt zu muͤhen, um ſie vom wahren Wege ab— zuleiten; darum ſetzt er einen Zaddik dahin und einen Zaddik dorthin.“ Er wollte nicht „ein Fuͤhrer ſein wie die Fuͤhrer, zu denen die Frommen fahren und wiſſen nicht, warum fie fahren“. Er hatte einen gro; ßen Traum vom Zaddik, der „die Seele des Volkes“ iſt. Dieſem Traum opferte er alles Gluͤck und alle Hoffnung ſeines perſoͤnlichen Lebens hin. In ihn legte er all ſein Ringen und alle ſeine Gewalten. Um ſeiner willen verlor er ſeine liebſten Menſchen. Durch ihn war er arm und von Feinden umgeben bis an ſein Ende. Aus ihm fand er, jung und vor dem Voll— bringen, ſeinen Tod. Und weil er ſo ganz in ſeinem Traume lebte, verſchmaͤhte er es, feine Lehre nieder; zuſchreiben, ſo daß wir, wie von dem erſten Meiſter des Chaſſidismus, auch von dem letzten keine wahr⸗ hafte und unmittelbare Botſchaft beſitzen und uns nur aus den fragmentariſchen und offenbar ent ſtellenden Berichten ſeiner Schuͤler, die mit ge—

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ringem Verſtaͤndnis feine Reden, Geſpraͤche und Er; zaͤhlungen aufzeichneten und ſein Leben ſchilderten, nach mancherlei Ausſcheidung, Vergleichung und Erz gaͤnzung ein recht unvollſtaͤndiges Bild feiner Wirk; lichkeit zu machen vermoͤgen.

Rabbi Nachman war ein Urenkel des Baalſchem und wurde in der Stadt des Baalſchem, Miedzyborz, geboren. Seine Kindheit wird als ein angeſpanntes Suchen und Streiten geſchildert. Er achtete des Ge; botes nicht, in Freude zu dienen, quaͤlte ſich ab, faſtete und mied die Ruhe, um der Geſichte teilhaftig zu werden. Die Tradition des ekſtatiſchen Lebens, die

in feinem Haufe mächtig war, beherrſchte den Kna⸗

ben, und er konnte den langſamen, ſchweren, von Tag und Nacht gegliederten, von den Geſchaͤften der Stunde beſtimmten Gang des Daſeins nicht er⸗ tragen. Auch der Gottesdienſt der Gemeinde brachte ihm keine Offenbarung. Durch das wohl von der alten Starrheit geloͤſte, aber in freierer Form weiter⸗ beſtehende hebraͤiſche Ritual der Chaſſidim fuͤhlte er ſich wie gefeſſelt im Angeſichte Gottes. So lief er in den Naͤchten an irgendeinen menſchenleeren Ort und redete zu Gott in der Volksſprache, in jenem zärtlich derben, ſchwermuͤtigen und bitteren Idiom, das der

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Europäer Jargon nennt. Aber Gott antwortete ihm nicht. Da ſchien es ihm, „man achte ſeiner nicht, ja man entferne ihn vom Dienſte, man wolle ihn ganz und gar nicht“, und der Sturm der Verzweiflung kam uͤber ihn und ſchuͤttelte ihn, bis an der tiefſten Verzweiflung die Ekſtaſe ſich entzuͤndete und der Knabe die erſten Schauer der Verzuͤckung empfand. Er ſelbſt erzaͤhlte einmal in ſpaͤten Jahren von einem ſolchen Erlebnis. Er hatte den Sabbat in großer Weihe empfangen wollen, war nach Mitternacht in das Tauchbad gegangen und hatte ſich in Bereit— ſchaft der Seele zur Heiligung in das Waſſer ge— taucht. Dann war er nach Hauſe gekehrt und hatte die Sabbatkleider angetan. So ging er nun in das Bethaus und wandelte in dem einſamen, dunkeln Raum hin und her, alle Kraͤfte geſpannt im Willen, die obere Seele, die am Sabbat in den Menſchen hin⸗ abſteigt, zu empfangen. Und er band alle Sinne in einen und ballte alle Wucht ſeines Mutes zuſammen, um zu ſchauen, denn nun mußte ihm die Offen⸗ barung werden. Aber er ſah nichts. Er wollte vergehen um zu ſchauen, aber er ſah nichts. Indeſſen kamen die erſten Beter in das Haus und begaben ſich an ihre Plaͤtze und begannen das Hohelied zu ſprechen,

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ohne den Knaben zu bemerken. Da kroch er an einen Betſtaͤnder und legte ſich unter den Staͤnder hin und lehnte den Kopf an deſſen Fuß, und die Tränen fa; men ihm. So weinte er ganz leiſe, ohne innezuhalten und ohne aufzuſchauen, Stunden und Stunden, bis ſeine Augen geſchwollen waren von dem vielen Wei⸗ nen und der Abend anbrach. Da oͤffnete er die Augen, die das Weinen geſchloſſen hatte, und die Kerzen⸗ flammen des Bethauſes ſchlugen ihm entgegen wie ein großes Licht, und ſeine Seele wurde ruhig an dem Lichte. So litt er oft um Gott und wollte nicht ab⸗ laſſen. Aber vor den Leuten hielt er ſein Leben und ſeinen Willen geheim; er ſtellte allerlei Liſten an, um ſein Faſten zu verbergen, und wenn er auf die Straße ging, trieb er alle Art von Kindereien, Scherze und Streiche, wie jener giullare di Dio, der große Fran⸗ ziskanerdichter Jacopone da Todi, bis es keinem Menſchen in den Sinn kam, daß es den Knaben nach Gottes Dienſte verlangte. Aber das Joch des Dien⸗ ſtes war ihm nicht immer leicht: er hatte ein froͤh⸗

liches, ſtarkes Gemuͤt und einen friſchen Sinn fuͤr die

Schoͤnheit der Welt. Erſt ſpaͤter gelang es ihm, ge⸗ rade darauf die Weihe zu ſtellen und in Freude zu dienen. Damals aber ſchien ihm die Welt noch ein

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Außen, das ihn hinderte, zu Gott zu kommen. Um im Kampfe zu beſtehen, dachte er an jedem Morgen, nur dieſer eine Tag ſei ihm noch gegeben; und in der Nacht lief er auf das Grab des Urgroßvaters, daß er ihm beiſtehe. So floſſen die Jahre dieſer Kindheit dahin.

Mit vierzehn Jahren wurde er dem Brauch der damaligen Judenheit gemaͤß verheiratet und ließ ſich in dem Dorfe nieder, wo ſein Schwiegervater wohnte. Hier kam er zum erſten Male der Natur nahe, und ſie griff ihm ans innere Herz. Den Juden, der nach einer in der Enge der Stadt verlebten Kindheit in Juͤng— lingsjahren in das freie Land hinauskommt, erfaßt eine namenloſe, dem Nichtjuden unbekannte Gewalt. Ihm hat eine tauſend Jahre lange Vererbung der Naturfremdheit die Seele in Banden gehalten. Und nun ihn, wie in einem zauberhaften Reiche, ſtatt des graugelben Tons der Gaſſe Waldgruͤn und Wald— bluͤte umgibt, ſtuͤrzen auf einmal die Mauern ſeines Geiſtesghettos nieder, die die Macht des Vegetativen beruͤhrt hat. Selten hat ſich dieſes Erleben in ſo ein— dringlichem Einfluſſe kundgegeben, wie bei Nachman. Der Hang zur Askeſe weicht von ihm, der innere Streit endet, er braucht ſich um die Offenbarung

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nicht mehr zu mühen, leicht und froh findet er feinen Gott in allen Dingen. Das Boot, auf dem er, des Ruderns unkundig aber vertrauensvoll, auf den Fluß hinausfaͤhrt, fuͤhrt ihn zu Gott, deſſen Stimme er im Schilfe hoͤrt; und das Pferd, das ihn, ihm zu feinem Staunen gehorchend, in den Wald traͤgt, bringt ihn Gott naͤher, der von allen Baͤumen ihn anblickt und mit dem jedes Kraut auf du und du iſt. In allen Berghaͤngen und in allen verſteckten kleinen Taͤlern der Gegend iſt er heimiſch, und jedes iſt ihm eine andere Art, zu Gott zu kommen. Damals bil⸗ dete ſich in ihm die Lehre von dem Dienſte in der Na⸗ tur aus, die er ſpaͤter immer wieder und in immer neuem Preiſe ſeinen Schuͤlern verkuͤndete. „Wenn der Menſch gewuͤrdigt wird,“ redete er zu ihnen, „die Geſaͤnge der Kraͤuter zu vernehmen, wie jedes Kraut ſein Lied zu Gott ſpricht ohne alles fremde Wollen und Denken, wie ſchoͤn und ſuͤß iſt es, ihr Singen zu hoͤren. Und daher iſt es gar gut, in ihrer Mitte Gott zu die⸗ nen in einſamem Wandeln uͤber das Feld hin zwiſchen den Gewaͤchſen der Erde und ſeine Rede auszuſchuͤtten vor Gott in Wahrhaftigkeit. Alle Rede des Feldes geht dann in deine ein und ſteigert ihre Kraft. Du trinkſt mit jedem Atemzuge die Luͤfte des Paradieſes,

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und kehrſt du heim, ift die Welt erneuert in deinen Augen.“ Die Liebe zu allem Lebendigen und Wach— ſenden war innig ſtark in ihm. Als er einmal, in der letzten Zeit ſeines Lebens, in einem Hauſe ſchlief, das aus jungen Baͤumen gebaut war, traͤumte es ihm, er liege inmitten von Toten. Am Morgen klagte er es dem Beſitzer und klagte ihn an. „Denn wenn man einen Baum abhaut vor ſeiner Zeit, iſt es, als ob man eine Seele gemordet haͤtte.“

Von dem Dorfe kam er in ein Staͤdtchen, wo er den und jenen in der chaſſidiſchen Lehre zu unter weiſen und unter den Frommen bekannt zu wer— den begann. Die Verſuchung, wie die Zaddikim der Zeit zu ſein und in Ruhm, Gewinn und Eitelkeit zu leben, trat an ihn heran, aber er widerſtand ihr. Der Niedergang des Chaſſidismus bedruckte feine Seele. Er vermißte den Fortgang der Lehre; die Fackel, die von Hand zu Hand gehen ſollte, war in muͤßigen Fingern erloſchen. So ſtieg Nachman aus der Trauer der Wille auf, die Überlieferung zu erneuern und aus ihr „ein Ding zu machen, das ewigen Beſtand hat“. Was die Kabbala nicht geweſen war, ſollte werden: die Lehre ſollte von Mund zu Ohr gehen und wieder von Mund zu Ohr, ſich ſtetig aus dem Reich der noch

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ungeborenen Worte erweiternd, getragen von einer unaufhoͤrlich ſich ergaͤnzenden Schar der Boten, in jedem Geſchlechte die Geiſter erweckend, die Welt ver; juͤngend, „die Wildnis der Herzen in eine Wohnſtaͤtte Gottes wandelnd“. Aber er erkannte, daß er zu ſolchem Lehren die Kraft nicht aus den Buͤchern, ſon⸗ dern nur aus wirklichem Leben mit den Menſchen und in ihnen ſchoͤpfen konnte. So naͤherte er ſich dem Volke, nahm all ſein Leid und ſeine Sehnſucht in ſich auf, mochte ganz mit ihm zuſammenwachſen. „Im Anfang,“ erzaͤhlte er ſpaͤter, „begehrte ich von Gott, daß ich den Schmerz und die Nöte Iſraels leiden moͤge. Denn zuzeiten kam einer zu mir und ſagte mir ſeinen Schmerz, und ich litt den Schmerz nicht. Und ich betete, daß ich den Schmerz Iſraels leide. Jetzt aber, wenn mir einer ſeinen Schmerz ſagt, fuͤhle ich ſeinen Schmerz mehr als er. Denn er kann andere Gedanken denken und den Schmerz vergeſſen, ich aber nicht.“ So lebte er mit dem Volke, wie der Baalſchem

und ſeine Juͤnger es getan hatten, und fand in ihm

ſeine Weihe.

Aber bevor er viele zu lehren begann, wollte er den Segen des heiligen Landes empfangen, des Schick⸗ ſalslandes, das das Herz der Welt und der Geſang

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der Erde iſt. Er wollte die Gräber Simons ben Jochai und Iſaak Lurjas ſchauen und die Stimmen hoͤren, die uͤber der Staͤtte der Propheten ſchweben. Der Baalſchem hatte nicht nach Palaͤſtina kommen koͤnnen; Zeichen und Erſcheinungen hatten ihn, wie die Legende erzaͤhlt, knapp vor dem Ziele umkehren heißen. Rabbi Nachman kam ſchon die Abreiſe ſchwer an; er war arm und wußte ſich keine Hilfe, als ſeinen Hausſtand aufzugeben, Frau und Kinder in Dienſt oder in barmherzige Pflege zu Fremden zu tun und alles Geraͤt ſeiner Wohnung zu verkaufen, um die Koſten der Fahrt aufzubringen; doch erleichterten ihm die Frommen der Gegend, die von ſeinem Entſchluſſe hoͤrten, die Ausfuͤhrung, indem ſie eine Geldſumme zuſammenſchoſſen und ihm uͤbergaben. Die Seinen baten ihn, von der Reiſe abzulaſſen; aber er ſagte im⸗ mer nur: „Mein groͤßeres Teil iſt ſchon dort.“ So trat er mit einem der Frommen, der ihn zu bedienen ſich erboͤtig machte, 1798 die Fahrt an. Einer ſeiner Schuͤler hat ſie ſpaͤter in naiver und ruͤhrender Weiſe beſchrieben. Wie der Rabbi keinem der Mitreiſenden ſeinen Namen ſagen will, wie er in Stambul, um ſich an der Schwelle des Heiligen Landes zu demuͤtigen, barfuß, ohne Gurt und Oberkleid auf der Straße um⸗

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hergeht, wie er des „Franzoſenkrieges“ (des aͤgyp⸗ tiſchen Feldzuges) wegen lange in Stambul zuruͤck⸗ gehalten wird, wie dann auf dem Meere ein Sturm ſein Schiff uͤberfaͤllt, wie die Araber ihn fuͤr einen franzoͤſiſchen Spion halten und nicht ans Land laſſen wollen, wie er endlich doch den Boden Palaͤſtinas betritt und vor großer Freude „ſeine Seele von ſich werfen“ will, wie dann aber in der Hoͤhle des Pro— pheten Elija eine Schwermut ihn uͤberkommt, all dies wird uns in einem abenteuerlich farbigen, glaubensvoll innigen Tone erzählt, Von dieſer Reiſe an datierte Nachman ſein eigentliches Leben. „Alles, was ich vor Erez Iſrael (dem Lande Iſrael) wußte, iſt gar nichts,“ pflegte er zu ſagen und verbot, irgend⸗ eine feiner früheren Lehren niedergeſchrieben zu er; halten. Palaͤſtina wurde für ihn eine Viſion, die ihn nicht verließ; „mein Ort“, ſagte er, „iſt nur Erez Iſrael, und wohin ich auch fahre, ich fahre nach Erez Iſrael.“ Und noch in ſpaͤten Tagen der Krankheit und Muͤdigkeit verſicherte er: „Ich lebe nur noch da- von, daß ich in Erez Iſrael war.“

Bald nach feiner Ruͤckkehr ließ er ſich in Bratzlaw nieder. Aber ſchon bevor er hinkam, hatten einige Zaddikim, die ihn ſeiner Anſchauungen wegen haßten,

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einen heftigen Kampf gegen ihn entfacht, der bis an ſein Lebensende dauerte und die wildeſten Feindſelig— keiten erzeugte; auch nach ſeinem Tode bekriegten die Gemeinden der anderen die ſeine und wollten von keinem Frieden wiſſen. Er ſelbſt wunderte ſich uͤber den Streit nicht. „Wie ſollten fie nicht wider uns ſtrei— ten?“ ſagte er oft. „Wir ſind gar nicht von der Welt des Jetzt, und deshalb kann uns die Welt nicht er; tragen.“ Es fiel ihm nicht ein, die Feindſchaft zu erwidern. „Die ganze Welt iſt voll des Streites, jedes Land und jede Stadt und jedes Haus. Aber wer in ſein Herz aufnimmt die Wirklichkeit, daß der Menſch an jedem Tage ſtirbt denn er muß jeden Tag ein Stuͤck von ſich feinem Tode abgeben —, wie ſoll der noch ſeine Tage mit Streit verbringen koͤnnen?“ Er wurde nicht muͤde, in ſeinen Widerſachern Gutes zu

finden und ſie zu rechtfertigen. „Bin ich es denn,“

fragte er, „den fie haſſen? Sie haben ſich einen Men; ſchen ausgeſchnitzt und ſtreiten wider ihn.“ Und er wiederholte das Gleichnis des Baalſchem: Einmal ſtanden Spielleute da und ſpielten, und eine große Schar bewegte ſich im Reigen nach der Stimme der Muſik. Da kam ein Tauber heran, der nichts von Tanz und Klaͤngen wußte, und verwunderte ſich und

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dachte in feinem Herzen: „Wie naͤrriſch find doch dieſe Menſchen: die einen ſchlagen mit ihren Fingern an allerlei Geraͤte und die anderen drehen ſich hin und her.“ So rechtfertigte Rabbi Nachman ſeine Feinde. Ja, er ſah ihren Zorn und ihr Wuͤten als einen Segen an: „Alle Worte des Laͤſterns und aller Grimm der Feindſchaft wider den Echten und Schweigſamen ſind wie Steine, die gegen ihn geworfen werden, und er baut aus ihnen ſein Haus.“

In Bratzlaw begann er viele zu lehren und viele verſammelten ſich um ihn. Das Lehren war fuͤr ihn ein Myſterium und ſein eigenes Tun voll des Ge⸗ heimniſſes. Die Mitteilung war ihm nicht ein ge⸗ woͤhnlicher Vorgang, uͤber den man nicht nachzuſin⸗ nen braucht, weil er einem ſo ſehr vertraut und ge⸗ laͤufig iſt, ſondern ſeltſam und wunderbar wie etwas Neuerſchaffenes. Man fuͤhlt ſein Staunen uͤber den Weg des Wortes, wenn er ſagt: „Das Wort bewegt eine Luft und dieſe die naͤchſte, bis es zum Menſchen gelangt, der empfaͤngt das Wort des Genoſſen und empfaͤngt ſeine Seele darin und wird darin erweckt.“ Das Wort, das nur einen Sinneseindruck raſch und unzulaͤnglich herſagt, verſchmaͤht er, und die From⸗ men, „die ſogleich kundgeben, was ſie ſehen, und koͤn⸗

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nen es nicht feſthalten“, gelten ihm weniger als jene, „deren Wurzel in der Weite iſt und die bei ſich faſſen koͤnnen, was ſie ſehen“. Aber das Wort, das aus dem Seelengrunde aufſteigt als die organiſche Ausfor— mung eines reichen und tiefen Erlebens, iſt ihm ein hohes Ding, in ſeiner wirkenden Lebendigkeit nicht mehr das Werk der Seele, ſondern die Seele ſelbſt. Er ſagt kein Wort der Belehrung, das nicht durch vieles Leiden gegangen iſt; jedes iſt „in Traͤnen ge— waſchen“. Das Wort bildet ſich ſpaͤt in ihm; die Lehre iſt bei ihm zuerſt Erlebnis und wird dann erſt Ge; danke, das iſt Wort; „ich habe in mir,“ ſagte er, „Leh— ren ohne Kleider, und es iſt mir gar ſchwer, bis ſie ſich einkleiden.“ Immer iſt in ihm eine Bangigkeit des Wortes, die ihm die Kehle zuſammenpreßt, und be— vor er das erſte Wort einer Lehre ſpricht, ſcheint es ihm, als muͤſſe feine Seele ausgehen. Erſt das Wir; ken ſeiner Worte beruhigt ihn. Er betrachtet es und verwundert ſich daruͤber: „Zuweilen gehen meine Worte wie ein Schweigen in den Hoͤrenden ein und ruhen in ihm und wirken ſpaͤt, wie langſame Arzenei; zuweilen wirken meine Worte erſt gar nicht in dem Menſchen, dem ich ſie ſage, aber wenn er ſie dann zu einem anderen ſpricht, kehren ſie zu ihm zuruͤck und

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gehen in fein Herz ein in große Tiefe und fun ihr Werk in Vollkommenheit“. Dieſes zweite Grund; verhaͤltnis, das Empfangen von dem eigenen Worte, das namentlich fuͤr den Juden und ſeine motoriſche Anlage charakteriſtiſch iſt, ſcheint Rabbi Nachman auch an ſich ſelbſt erlebt zu haben; er ſtellt es einmal im Bilde des Lichtreflexes dar: „Wenn einer zu ſeinem Gefaͤhrten redet, entſteht ein einfaches Licht und ein wiederkehrendes Licht. Mitunter aber geſchieht es, daß dieſes ohne jenes wird, denn manchmal empfaͤngt ſein Gefaͤhrte nicht von ihm, er aber empfaͤngt Er; weckung von ſeinem Gefaͤhrten, wenn durch den Schlag der Worte, die aus ſeinem Munde gingen, das Licht zu ihm zuruͤckkehrt und er erweckt wird.“ Das Entſcheidende jedoch iſt für Nachman, feiner Auffaſ⸗ ſung des Wortes gemaͤß, nicht die Wirkung auf den Sprechenden, ſondern die auf den Hoͤrenden. Dieſe Wirkung gipfelt darin, daß das Verhaͤltnis ſich wan⸗ delt und der Hoͤrende zum Sprechenden wird, ja ſo— gar ſo, daß er das Letzte und Abſolute ausſpricht: die Seele des Schuͤlers ſoll ſo in ihren Tiefen erweckt und berufen werden, daß aus ihr und nicht aus der des Meiſters das Wort geboren wird, das den oberſten Sinn der Lehre kuͤndet und ſo das Geſpraͤch in ſich

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erfüllt. „Wenn ich mit einem zu reden beginne, will ich von ihm die höchften Worte hören.” So iſt die Lehrweiſe des Rabbi Nachman ein eigentuͤmliches Gegenſtuͤck zur ſokratiſchen Maieutik.

Er war fuͤnf Jahre in Bratzlaw, als er der Schwind— ſucht verfiel, wohl unter dem Einfluß der Kaͤmpfe und Verfolgungen, von denen er in der Seele unberuͤhrt blieb, denen er aber im Körper nicht ſtandhalten konnte. Es wurde ihm bald offenbar, daß er ſterben muͤſſe, aber ſein Tod war nie ein Ding der Angſt fuͤr ihn geweſen. „Wer das wahre Wiſſen erlangt, das Gottwiſſen, dem iſt keine Scheidung zwiſchen Leben und Tod, denn er hangt an Gott und umfaßt ihn und lebt das ewige Leben wie Gott allein.“ Er empfand den Tod vielmehr als ein Aufſteigen zu einem neuen Stadium der großen Wanderung, zu einer vollkom— meneren Form des Geſamtlebens, und weil er glaubte, in dieſem Menſchenkoͤrper zu keiner höheren Stufe der Vollendung mehr kommen zu koͤnnen, als die, die er erreicht hatte, ſehnte er ſich nach der dunkeln Schwelle. „Ich moͤchte ſchon gern das Hemd— lein ausziehen,“ ſagte er zu ſeinen Schuͤlern in dem letzten Jahre, „denn ich kann es nicht ertragen, auf

einer Stufe ſtehen zu bleiben.“ Als er nun erkannte,

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daß der Tod ihm nahe kam, wollte er nicht mehr in Bratzlaw wohnen, wo er gelehrt und gewirkt hatte, ſondern beſchloß nach Uman zu uͤberſiedeln, um dort zu ſterben und dort begraben zu werden. In Uman waren wenige Jahre vor ſeiner Geburt, 1768, die Banden der Hajdamaken eingedrungen, denen die von den Juden und den Polen gemeinſam verteidigte Feſtung durch Hinterliſt und Verrat zugefallen war, hatten die ganze Judenſchaft hingemordet und die Leichen in Haufen uͤber die Stadtmauer geworfen. Es war Rabbi Nachmans Glaube, eine Folge ſeiner von Lurja uͤbernommenen und weiter ausgebildeten Seelenwanderungslehre, daß von den vielen Tauz ſenden, die zu Uman vor ihrer Zeit erſchlagen worden waren, eine große Schar von Seelen an den Ort ihres Todes gebunden ſei und nicht emporſteigen koͤnne, bis eine Seele zu ihnen kaͤme, der die Macht gegeben ſei, ſie zu heben; er fuͤhlte in ſich die Berufung, die Har⸗ renden zu erloͤſen, und wollte daher an ihrer Staͤtte ſterben und ſein Grab neben dem ihren haben, daß uͤber den Graͤbern das Werk ſich vollziehe. Als er nach Uman kam, wohnte er in einem Hauſe, deſſen Fenſter auf den Friedhof, „das Haus des Lebens“, wie die Juden ihn nennen, gingen; da ſtand er oft im

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Fenſter und ſah voller Freude auf den Gräbergarten nieder. Manchmal befiel ihn eine Schwermut, aber nicht vor dem Sterben, ſondern ob der Arbeit ſeines Lebens, die die Frucht nicht trug, die er getraͤumt hatte. Er dachte, ob er nicht beſſer daran getan haͤtte, die Welt von ſich zu entfernen und abzuwerfen und ſich einen Ort zu erwaͤhlen, um da allein zu ſitzen, daß das Joch der Welt nicht auf ihm ſei. Wenn er einſt nicht begonnen haͤtte mit dem Fuͤhren von Menſchen, meinte er dann, haͤtte er vielleicht ſeine Vollendung er⸗ reicht und ſeine wahre Tat getan. Das Lehren und Erziehen, das er ſo verherrlicht hatte, ſchien ihm in ſolchen Augenblicken wie ein Unrecht, faſt wie eine Suͤnde. Denn das Weſen des Dienſtes in jedem Dinge ſei doch, daß der Menſch ſeiner Wahl gelaſſen werde, daß das Ding auf ſeiner Einſicht bleibe und kein Gebot ihm gegeben ſei und ihm nicht befohlen werde, ſo zu tun, ſondern daß er tue nach ſeiner Wahl. Auch ſchien es ihm da, daß er wenig gewirkt haͤtte, und er empfand, wie ſchwer es ſei, einen Menſchen frei zu machen. Es ſei ſchwerer, einem Gerechten, ſolange er noch im Koͤrper iſt, beim Dienſte zu helfen und ihn zu erheben, als tauſend Tauſenden von Bd; ſen, die ſchon im Geiſte ſind, zu helfen und ſie zu er⸗

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heben, das ift, ihre Seelen zu erlöfen; denn bei einem Herrn der Wahl ſei es gar ſchwer, etwas zu er— wirken. In den letzten Tagen aber fiel alle Sorge und Bekuͤmmerung von ihm ab. Er bereitete ſich und lebte ſchon im Abſoluten. „Siehe,“ ſagte er ein⸗ mal, „uns entgegen kommt ein gar großer und et; habener Berg. Aber ich weiß nicht: gehen wir zum Berge, oder geht der Berg zu uns?“ So ſtarb er im Frieden (1810). Ein Schüler ſchreibt: „Das Angeſicht des Toten war wie das Angeſicht des Lebenden, da er in ſeiner Stube umherging und dachte.“

Rabbi Rachman hatte ſein Werk nicht gewirkt. Er war der Zaddik geweſen, den er meinte: „die Seele des Volkes“. Aber das Volk war nicht ſein geworden. Er hatte den Niedergang der Lehre nicht aufhalten koͤnnen. Sie war die Bluͤte der Exilſeele; ſie verdarb aber auch am Exil. Die Juden waren nicht ſtark und nicht rein genug, ſie zu bewahren. Es iſt uns nicht gegeben, zu wiſſen, ob ihr eine Auferſtehung ge⸗ waͤhrt iſt. Aber das innere Schickſal des Judentums ſcheint mir daran zu hangen, ob gleichviel, in dieſer Geſtalt oder einer anderen ſein Pathos wieder zur Tat wird.

Das Leben der Chaſſidim Hitlahabut: Von der Inbrunſt

Hitlahabut iſt „das Brennen“: die Inbrunſt der Ekſtaſe. Sie iſt der Becher der Gnade und der ewige Schluͤſſel.

Ein feuriges Schwert huͤtet den Weg zum Baume des Lebens. Es zerſpruͤht vor der Beruͤhrung der Hitlahabut. Ihr leichter Finger iſt ihm uͤbermaͤchtig. Ihr iſt die Bahn offen, und alle Schranke verſinkt vor ihrem ſchrankenloſen Schritt. Die Welt iſt nicht mehr ihr Ort: ſie iſt der Ort der Welt.

Hitlahabut erſchließt dem Leben ſeinen Sinn. Ohne ſie hat auch der Himmel keinen Sinn und kein Weſen. „Wenn ein Menſch die ganze Lehre und alle Gebote erfuͤllt hat, aber die Wonne und das Brennen hat er nicht gehabt: wenn er ſtirbt und hinuͤbergeht, oͤffnet man ihm das Paradies, aber weil er in der Welt die Wonne nicht gefuͤhlt hat, fuͤhlt er auch die Wonne des Paradieſes nicht.“

Allerorten und allezeit kann Hitlahabut erſcheinen. Jede Stunde iſt ihr Schemel und jede Tat ihre Thron⸗

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lehne. Nichts kann fich ihr entgegenſtemmen, nichts fie herabdruͤcken, nichts kann ſich ihrer Macht er; wehren, die allen Koͤrper zu ſeinem Geiſte erhebt. Wer in ihr iſt, iſt in der Heiligkeit. „Er vermag eitle Worte mit ſeinem Munde zu reden, und die Lehre des Herrn iſt in feinem Innern zu dieſer Stunde; fluͤ— ſternd zu beten, und ſein Herz ſchreit in ſeiner Bruſt; in einer Gemeinſchaft von Menſchen zu ſitzen, und er wandelt mit Gott: vermiſcht mit den Kreaturen und abgeſchieden von der Welt.“ Jedes Ding und jedes Tun wird ſo geheiligt. „Wenn der Menſch ſich an Gott ſchließt, kann er ſeinen Mund reden laſſen, was er reden mag, und ſein Ohr hoͤren, was es hoͤren mag, und er wird die Dinge binden an ihre obere Wurzel.“

Die Gewalt, die ſo vieles im Menſchenleben ſchwaͤcht und entfaͤrbt, die Wiederholung, iſt ohn⸗ maͤchtig vor der Ekſtaſe, die fich gerade an den regel; maͤßigſten, gleichfoͤrmigſten Ereigniſſen wieder und wieder entzuͤndet. Über einen Zaddik geriet Hitlaha⸗ but jedesmal, wenn im Vortrage der Schrift die Worte kamen: „Und Gott ſprach.“ Ein chaſſidiſcher Weiſer, der dies ſeinen Schuͤlern erzaͤhlte, fuͤgte hin⸗ zu: „Aber auch ich meine: wenn einer in Wahrheit

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redet und einer in Wahrheit empfängt, dann iſt es genug an einem Worte, die ganze Welt zu erheben und die ganze Welt zu durchlaͤutern.“ Ewig neu iſt dem Inbruͤnſtigen das Allgewohnte. Ein Zaddik ſtand im erſten Morgendaͤmmer am Fenſter und rief zitternd: „Vor einer kleinen Stunde war noch Nacht, und jetzt iſt Tag Gott bringt den Tag herauf!“ Und er war voll der Angſt und des Zitterns. Auch ſprach er: „Jeder Geſchaffene ſoll ſich vor dem Schöpfer ſchaͤmen: wäre er vollkommen, wie ihm be; ſtimmt war, dann muͤßte er erſtaunen und erwachen und entbrennen uͤber die Erneuerung der Kreatur zu jeder Zeit und in jedem Augenblick.“

Aber nicht ein ploͤtzliches Verſinken in die Ewigkeit iſt Hitlahabut, ſondern ein Aufſtieg zum Unendlichen von Stufe zu Stufe. Gott finden heißt den Weg fin; den, der ohne Grenze iſt. Im Bilde dieſes Weges ſahen die Chaſſidim die „kommende Welt“, die ſie niemals ein Jenſeits nannten. Ein Frommer ſchaute einen toten Meiſter im Traume. Der erzaͤhlte ihm, von der Stunde ſeines Todes an gehe er an jedem Tage von Welt zu Welt. Und die Welt, die geſtern als Himmel uͤber ſeinen Blicken ausgeſpannt war, die iſt heute die Erde unter ſeinem Fuß; und der

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Himmel von heute ift die Erde von morgen. Und jede Welt iſt reiner und ſchoͤner und tiefer, als die vor ihr war.

Die Engel ruhen in Gott, aber die heiligen Geiſter ſchreiten in Gott vor. „Der Engel iſt ein Stehender und der heilige Menſch iſt ein Wandelnder. Darum iſt der Heilige uͤber dem Engel.“

Solch ein Weg iſt die Ekſtaſe. Wenn ſie ein Ende zu bieten ſcheint, ein Erreichen, Erlangen, Ergreifen, iſt es nur ein endguͤltiges Nein, kein endguͤltiges Ja: es iſt das Ende der Gebundenheit, das Abſchuͤtteln der letzten Kette, die Aufloͤſung, die allem Irdiſchen enthoben iſt. „Wenn der Menſch von Kraft zu Kraft wandelt und nur empor und empor, bis er zur Wur⸗ zel aller Lehre und alles Gebotes kommt, zu Gottes Ich, der einfachen Einheit und Schrankenloſigkeit, wenn er da ſteht, dann ſinken alle Fluͤgel der Gebote und Geſetze nieder, und alle ſind ſie vernichtet. Denn vernichtet iſt der Trieb, da er daruͤber ſteht.“ |

„Mber der Natur und über der Zeit und über dem Denken“ ſo wird der genannt, der in der Inbrunſt iſt. Er hat alles Leid und alle Schwere abgetan. „Suͤße Leiden, ich empfange euch in Liebe“, ſagt ein ſterbender Zaddik, und Rabbi Suſſja ruft, da feine

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Hand ſich aus dem Feuer ſchleicht, in das er fie ge; legt hat, verwundert aus: „Wie grob iſt Suffjas Koͤrper geworden, daß er ſich vor dem Feuer fuͤrchtet.“ Der Inbruͤnſtige regiert das Leben, und kein aͤußeres Geſchehen, das in ſein Reich eindringt, vermag ſeine Weihe zu ſtoͤren. Von einem Zaddik wird erzaͤhlt, er habe, als ſich das heilige Mahl der Lehre bis zum Morgen hinzog, zu ſeinen Juͤngern geſprochen: „Wir ſind nicht in die Grenzen des Tages eingeſchritten, ſondern der Tag iſt in unſere Grenzen eingeſchritten, und wir brauchen vor ihm nicht zu weichen.“

In der Ekſtaſe ruͤckt alles Vergangene und alles Zukuͤnftige zur Gegenwart zuſammen. Die Zeit ver; ſchrumpft, die Linie zwiſchen den Ewigkeiten ver; ſchwindet, einzig der Augenblick lebt, und der Augen— blick iſt die Ewigkeit. In ſeinem unzerſplitterten Lichte erſcheint alles, was war und was ſein wird, ein⸗ fach und geſammelt. Es iſt da, wie ein Herzſchlag da iſt, und wird offenbar wie er.

Die chaſſidiſche Legende weiß gar viel von den Wunderbaren zu erzaͤhlen, die ſich ihrer fruͤheren Daſeinsformen erinnerten, der Zukunft wie der eige— nen Atemzuͤge gewahr wurden, von einem Ende der Erde zum anderen blickten und alle Wandlungen,

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die fich in den Welten ereigneten, wie etwas verfpürz ten, was ihrem Koͤrper geſchah. All dies reicht nicht an das Gefuͤhl heran, in dem Hitlahabut die Welt des Raumes und der Zeit überwunden hat. Wohl aber deuten uns etwas davon zwei naive, einander verwandte und einander ergaͤnzende Anekdoten. Von einem Meiſter wird erzaͤhlt, er habe in Stunden der Entruͤckung auf die Uhr ſehen muͤſſen, um ſich in dieſer Welt zu erhalten; und von einem anderen, er habe, wenn er die Einzeldinge betrachten wollte, eine Brille aufſetzen muͤſſen, um ſein geiſtiges Sehen zu bezwingen; „denn ſonſt ſah er alle Einzeldinge der Welt als eines”,

Aber die hoͤchſte Stufe, von der berichtet wird, iſt die, auf der der Entruͤckte der eigenen Inbrunſt ent; gleitet. Als ein Schüler einmal eines Zaddiks „Er: kalten“ bemerkte und tadelte, wurde er von einem anderen belehrt: „Es gibt ein ſehr hohes Heiligtum; wenn man dahin kommt, wird man alles Weſens los und kann nicht mehr entbrennen.“ So vollendet ſich die Inbrunſt in der eigenen Aufhebung.

Zuweilen aͤußert ſie ſich in einem Tun, das durch ſie geweiht und mit heiliger Bedeutung gefuͤllt wird. Die reinſte Form, die, in der der ganze Koͤrper der erregten

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Seele dient und jeder ihrer Hebungen und Nei— gungen das ſichtbare Geſchwiſter erſchafft, aus tau— ſend Fluten der Bewegung das eine Bild des ver— zuͤckten Sinnes auftauchen laͤßt, iſt der Tanz. Von dem Tanz eines Zaddiks wird erzaͤhlt: „Sein Fuß war leicht wie eines vierjaͤhrigen Kindes. Und alle, die ſein heiliges Tanzen ſahen, da war nicht einer, der nicht zu ſich umgekehrt waͤre, denn er wirkte im Herzen aller, die es ſahen, beides, Weinen und Wonne, in einem.“ Oder die Seele erfaßt die Stimme des Menſchen und macht ſie ſingen, was ſie in den Hoͤhen erfahren hat; und die Stimme weiß nicht, was ſie tut. So ſtand ein Zaddik in den „furchtbaren Ta— gen“ (Neujahr und Verſoͤhnungstag) im Gebet und ſang neue Melodien, „Wunder der Wunder, die er nie gehört hatte und die kein Menſchenohr je gehoͤrt hatte, und er wußte gar nicht, was er ſingt und welche Weiſe er ſingt, denn er war an die obere Welt gebun— den“.

Zuweilen treibt es den ſo Gebundenen von den Menſchen hinweg. Es wird von einem Mei⸗ ſter geſagt, er habe ſich wie ein Fremdling gefuͤhrt, nach den Worten Davids des Könige: Ein Fremder bin ich im Lande. „Wie ein Mann, der aus der

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Ferne kam, aus der Stadt feiner Geburt. Er ſinnt nicht auf Ehre und nicht auf irgendein Ding zu ſeinem Wohle, nur darauf ſinnt er, heimzukehren zur Stadt ſeiner Geburt. Nichts kann ihn beſitzen, denn er weiß: Das iſt Fremdes und ich muß heim.“ Mancher geht in die Einſamkeit, in „das Wandeln“. Rabbi Suſſja pflegte in Wäldern umherzuſtreifen und Lob; geſaͤnge zu ſingen, mit ſo großer Glut, „daß man ſchier von ihm geſagt hat, er ſei nicht bei Verſtand“. Ein anderer war nur in Gaſſen und Gaͤrten und Hainen zu finden. Als ihn ſein Schwiegervater darob ermahnte, antwortete er ihm mit dem Gleichnis der Henne, die Gaͤnſeeier ausgebruͤtet hatte: „und als ſie ihre Kinder auf der Waſſerflaͤche umherſchwimmen ſah, lief ſie beſtuͤrzt hin und her, Hilfe zu ſuchen fuͤr die Ungluͤcklichen; und verſtand nicht, daß dies jenen all ihr Leben war: dahinzuſtreichen uͤber die Waſſer⸗ flaͤche.“

Doch gibt es tiefer Abgeſchiedene, deren Hitlahabut in alledem noch nicht erfuͤllt iſt. Die werden „unſtet und flüchtig”. Sie gehen in die „Verbannung“, um „das Exil mit der Schechina zu tragen“. Es iſt eine Urvorſtellung der Kabbala, daß die Schechina, die Glorie oder Herrlichkeit Gottes, verbannt durch die

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Unendlichkeit irrt, von ihrem „Herrn“ getrennt, und daß ſie erſt in der Stunde der Erloͤſung ſich mit ihm wieder vereinigen wird. So wandern dieſe Ekſtatiker uͤber die Erde, wohnend in den ſtummen Fernen des Gottesexils, Genoſſen des heiligen Allgeſchehens, wiſſend um das Rauſchen im Blute des Weltenher— zens. Der dergeſtalt Abgeloͤſte iſt Gottes Freund, „wie ein Fremdling eines anderen Fremdlings Freund iſt, ihrer Fremdheit auf Erden wegen“. Ihm widerfahren Augenblicke, in denen er die Schechina im Menſchenbilde ſchaut, von Angeſicht zu Angeſicht, wie jener Zaddik fie im Heiligen Lande ſah, „in der Geſtalt einer Frau, die uͤber den Gemahl

ihrer Jugend weint und klagt“.

Aber nicht bloß in Geſichten aus dem Dunkel und nicht bloß in dem Schweigen der Wanderſchaft gibt Gott ſich dem um ihn Entbrannten, ſondern aus allen Dingen der Erde blickt ſein Auge in das ſuchende, und jedes Weſen iſt die Frucht, in der er ſich der verlangenden Seele darbietet. Schleierlos iſt das Sein in des Heiligen Hand. „Wer eine Frau ſehr

begehrt und ihre buntfarbnen Gewaͤnder betrachtet,

deſſen Sinn geht nicht auf das Prunkzeug und die Farben, ſondern auf die Herrlichkeit der begehrten

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Frau, die in fie gehuͤllt iſt. Aber die anderen ſehen nur die Gewaͤnder und nichts mehr. So ſchaut, wer Gott in Wahrheit begehrt und umfaͤngt, in allen Dingen der Welt nur die Kraft und den Stolz des Bildners des Urbeginns, der in den Dingen lebt. Wer aber nicht auf dieſer Stufe iſt, ſieht die Dinge von Gott getrennt.“

Dies iſt das Crdenleben der Hitlahabut, die ſich uͤber alle Grenzen ſchwingt und ſich mit Gott ver— maͤhlt. Sie iſt die Tochter eines Menſchenwillens und die Herrin der Heerſcharen, das Fuͤnklein eines We; ſens, das ſterben muß, und die Flamme, die Raum und Zeit verzehrt, das im Aufbluͤhen welkende Ge⸗ waͤchs einer Sehnſucht und die Wurzel des Welten⸗ baums. Sie erweitert die Seele zum All. Sie ver⸗ engert das All zum Nichts. Von ihr redet ein chaſſidiſcher Meiſter in Worten des Geheimniſſes: „Die Schoͤpfung des Himmels und der Erde iſt die Entfaltung des Etwas aus dem Nichts, das Hinab⸗ ſteigen des Oberen in das Untere. Aber die Heiligen, die ſich vom Sein abloͤſen und Gott immerdar an⸗ hangen, die ſehen und erfaſſen ihn in Wahrheit, als waͤre das Nichts wie vor der Schoͤpfung. Sie wan⸗ deln das Ctwas in Nichts zuruͤck. Und dies iſt das

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Wunderbarere: das Untere emporzubringen. Wie es geſchrieben ſteht in der Gemara: ‚Größer iſt das letzte Wunder als das erſte“.

Aboda: Von dem Dienſte

Hitlahabut iſt das Gottumfangen ohne Zeit und Raum. Aboda iſt das Gottdienen in der Zeit und im Raume.

Hitlahabut iſt das myſtiſche Mahl. Aboda iſt das myſtiſche Opfer.

Es ſind die Pole, zwiſchen denen das Leben des Heiligen ſchwingt.

Hitlahabut ſchweigt, da ſie an Gottes Herzen liegt. Aboda redet: „Was bin ich und was iſt mein Le— ben, daß ich mein Blut und mein Feuer vor dir dat; bringen will?“

Alles iſt Gott. Und alles dient Gott. Das iſt die urgegebene Zweiheit, zuſammengefaltet im Daſein der Welt, entwickelt im Leben des Heiligen. Das Myſterium, von dem man ſich entfernt, wenn man von ihm redet, und das in der Wirklichkeit der Gott habenden, Gott ſuchenden Seele lebendig da iſt: be— wußt in ihrer Sehnſucht, keimhaft ſchlummernd in

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ihrer Ekſtaſe, allſichtbar gegliedert im Rhythmus ihrer Taten.

Hitlahabut iſt ſo fern von Aboda wie Erfuͤllung von Verlangen. Und doch ſtroͤmt Hitlahabut aus Aboda wie Gottfinden aus Gottſuchen.

Der Baalſchem erzaͤhlte: Ein Koͤnig baute einſt einen großen und herrlichen Palaſt mit zahlloſen Gemaͤchern, aber nur ein Tor war geoͤffnet. Und als der Bau vollendet war, wurde verkuͤndet, es ſollten alle Fuͤrſten erſcheinen vor dem Koͤnige, der in dem letzten der Gemaͤcher throne. Aber als ſie ein⸗ traten, ſahen ſie: da waren Tuͤren offen nach allen Seiten, von denen fuͤhrten gewundene Gaͤnge in die Fernen, und da waren wieder Tuͤren und wieder Gaͤnge, und kein Ende ſtand vor dem verwirrten Auge. Da kam der Sohn des Koͤnigs und ſah: eine Spiegelung war all die Irre, und er ſah ſeinen Vater ſitzen in der Halle vor ſeinem Angeſicht. |

Das Geheimnis der Gnade iſt nicht zu deuten.

Zwiſchen Suchen und Finden liegt die Spannung

eines Menſchenlebens, ja tauſendfacher Wiederkehr der bangen wandernden Seele. Und doch iſt der Flug des Augenblicks langſamer als die Erfuͤllung. Denn

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W ie De a En U

Gott will geſucht fein, und wie koͤnnte er nicht ger funden ſein wollen?

Der Enkel Rabbi Baruchs, des Enkels des Baal— ſchem, ſpielte einſt mit einem anderen Knaben „Ver; ſtecken“. Und er verbarg ſich und wartete in ſeinem Verſteck viele Zeit und vermeinte, ſein Gefaͤhrte ſuche ihn und koͤnne ihn nicht finden. Aber als er lange ge— wartet hatte, kam er heraus und ſah den anderen nicht mehr und merkte, daß er ihn vom Anfang an gar nicht geſucht hatte. Alsdann lief er in die Stube ſeines Großvaters mit Weinen und Klagen um den Boͤſen. Da floſſen die Augen Rabbi Baruchs uͤber, und er ſagte: „So ſpricht Gott auch.“

Wenn der Heilige ewig neues Feuer heranbringt, daß die Glut auf dem Altar feiner Seele nicht ver; loͤſche, redet Gott ſelbſt den Opferſpruch.

Gott waltet im Menſchen, wie er im Chaos waltete zur Zeit der werdenden Welt. „Und wie als die Welt ſich zu entfalten begann und er ſah: wenn es weiter auseinander fließt, wird es nicht mehr zu ſeinen Wurzeln heimkehren koͤnnen, da ſprach er: Ge— nug! fo iſt es, wenn die Seele des Menſchen im Leiden zerflutet und das Übel ſo maͤchtig wird in ihr, daß ſie bald nicht mehr heimkehren koͤnnte,

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da erweckt ſich fein Erbarmen, und er ſpricht: Genug!“

Aber auch der Menſch kann „Genug!“ ſagen: zu der Vielheit in ſich. Wenn er ſich ſammelt und ver; eint, naͤhert er ſich der Einheit Gottes, dient er ſeinem Herrn. Dies iſt Aboda.

Von einem Zaddik wurde geſagt: „Bei ihm iſt Lehre und Gebet und Eſſen und Schlafen, alles eines, ein Dienſt, und er kann die Seele zu ihrer Wurzel erheben.“

Alles Tun in eines gebunden, und das unendliche Leben in jeder Tat getragen: dies iſt Aboda. „In alle Taten des Menſchen, Sprechen und Schauen und Horchen und Gehen und Stehenbleiben und Sich⸗ legen, ſei das Schrankenloſe eingekleidet.“

Aus jeder Tat wird ein Engel geboren, ein guter oder ein boͤſer. Aber aus den halben und wirren Taten, die ohne den Sinn oder ohne die Kraft ſind, werden Engel geboren mit verrenkten Gliedern oder ohne Haupt oder ohne Haͤnde oder ohne Fuͤße.

In allem Tun durchſtrahlt von den Wellen der Allſonne und geſammelten Lichtes in allem Tun, dies iſt der Dienſt. Aber keine Handlung iſt zu ihm aus⸗ erwaͤhlt. Gott will, daß man ihm auf alle Arten diene.

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„Es gibt zwei Arten von Liebe: die Liebe eines Mannes zu ſeinem Weibe, der geziemt es im Ge— heimen zu ſein und nicht am Orte der Schauenden, dieweil dieſe Liebe vollendet iſt nur an einer von den Weſen geſchiedenen Staͤtte; und die Liebe zu den Geſchwiſtern und den Kindern, die keiner Verborgen— heit bedarf. Und ſo gibt es in der Liebe zu Gott zwei Arten: die Liebe durch die Lehre und das Gebet und die Erfuͤllung des Gebotenen, und ihr geziemt es, in der Stille zu wandeln und nicht im Offenbaren, damit ſie nicht zu Ruhm und Stolz verfuͤhre; und die Liebe in der Zeit, da man mit den Geſchoͤpfen ver⸗ miſcht iſt, redet und hoͤrt, gibt und nimmt mit ihnen, und in dem Geheimnis ſeines Herzens hangt man an Gott und laͤßt nicht ab, ihm zuzuſinnen. Und dies iſt eine hoͤhere Stufe als jene, und von ihr iſt geſagt: Wer gaͤbe dich mir zum Bruder, der an den Bruͤſten meiner Mutter ſog, ich wuͤrde dich in der Gaſſe fin— den und dich kuͤſſen, und nicht duͤrften ſie mich darob verachten.“

Dies iſt aber nicht ſo zu verſtehen, als ſei in dem dergeſtalt Dienenden eine Spaltung zwiſchen der irdiſchen und der himmliſchen Tat. Vielmehr iſt jede Bewegung des Hingegebenen ein Gefaͤß der Weihe

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und der Macht. Von einem Zaddik wird erzählt, er habe alle ſeine Glieder ſo geheiligt, daß jeder Schritt ſeiner Fuͤße Welten miteinander vermaͤhlte. „Der Menſch iſt eine Leiter, aufgepflanzt auf der Erde, und ihr Haupt reicht in den Himmel. Und alle ſeine Gebaͤrden und Geſchaͤfte und Reden ziehen Spuren in der oberen Welt.“

Hier iſt der innere Sinn der Aboda angedeutet, der aus der Tiefe der altjuͤdiſchen Geheimlehre kommt und jenes Myſterium der Zweiheit von Inbrunſt und Dienſt, von Haben und Suchen wohl nicht klaͤrt, aber verklaͤrt.

In Zweiheit iſt durch die erſchaffene Welt und ihre Tat der Gott zerfallen: in das Gottesweſen, Elohut, das den Kreaturen entruͤckt iſt, und die Gottesglorie, Schechina, die in den Dingen wohnt, wandernd, irrend, verſtreut. Erſt die Erloͤſung wird beide in die Ewigkeit vereinigen. Aber es iſt der Beſitz des Men⸗ ſchengeiſtes, durch ſeinen Dienſt die Schechina ihrem Quell naͤhern, in ihn eintreten laſſen zu koͤnnen. Und in dieſem Augenblick der Heimkehr, ehe ſie wieder niederſteigen muß in das Sein der Dinge, verſtum⸗ men die Wirbel, die durch das Leben der Geſtirne ſauſen, erlöfchen die Fackeln der großen Verheerung,

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entſinkt die Geißel der Hand des Geſchickes, halt die Weltenpein inne und lauſcht: die Gnade der Gnaden iſt erſchienen, der Segen traͤuft nieder auf die Un⸗ endlichkeit. Bis die Macht der Verſtrickung die Got; tesglorie herabzuzerren beginnt, und alles wird wie zuvor.

Das iſt der Sinn des Dienſtes. Nur das Gebet, das um der Schechina willen geſchieht, lebt wahr; haft. „Durch ſeine Not und ſeinen Mangel kennt er den Mangel der Schechina, zu beten, daß der Mangel der Schechina gefuͤllt werde und daß durch ihn, den Betenden, die Einung Gottes mit ſei⸗ ner Glorie geſchehe.“ Der Menſch ſoll wiſſen, daß ſein Leid aus dem Leide der Schechina kommt. Er iſt „eines von ihren Gliedern“, und die Stillung ihres Entbehrens iſt allein die echte Stillung des feinen. „Er ſinne nicht auf feine Löfung im unteren oder im oberen Beduͤrfen, daß er nicht ſei wie der die ewige Pflanzung verwuͤſtet, Trennung zu ſchaffen; ſondern alles tue er um des Mangels der Gottes; glorie willen, und aus ſich ſelber wird alles geloͤſt werden, auch ſein eigen Leid befriedet aus der Be⸗ friedung ſeiner oberen Wurzel. Denn alles, oben und unten, iſt eine Einheit.“ „Ich bin das Gebet“,

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ſpricht die Schechina. Ein Zaddik ſagte: „Die Men⸗ ſchen meinen, ſie beten vor Gott, aber es iſt nicht ſo, denn das Gebet ſelbſt iſt Gottheit.“

In der Enge des Selbſt kann kein Beten gedeihen. „Wer in Leid betet ob der Schwermut, die ihn re— giert, und denkt, er bete in der Furcht vor Gott, oder wer in Freude betet ob der Helle ſeines Gemuͤtes, und denkt, er bete in der Liebe zu Gott, deſſen Gebet iſt gar nichts. Denn dieſe Furcht iſt nur Schwermut, und dieſe Liebe iſt nur leere Freude.“

Es wird erzaͤhlt, der Baalſchem ſei einmal an der Schwelle ſeines Bethauſes ſtehengeblieben und habe nicht eintreten wollen und habe im Widerwillen geſprochen: „Da kann ich nicht ein. Iſt doch das Haus von Ende zu Ende und uͤber alle Ufer voll des Ge⸗ betes.“ Und da ſich die Begleiter verwunderten, weil ihnen ſchien, es koͤnne kein groͤßeres Lob geben als dieſes, deutete er es ihnen: Wenn die Worte nicht in ihrer Abſicht auf das obere Geſchehen ger richtet ſind, dann koͤnnen ſie nicht aufſteigen, ſon⸗ dern lagern ſich am Boden Schicht auf Schicht, bis ſie das ganze Haus fuͤllen in dickem Wirrſal.

Zweierlei vermag die Gebete feſtzuhalten: wenn ſie ohne die Intention geſprochen werden, und wenn die

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früheren Taten des Betenden fich zwiſchen ihm und dem Himmel wie eine harte Wolke breiten. Die Hin— derung kann nur bezwungen werden, wenn der Menſch in die Sphaͤre der Inbrunſt emporwaͤchſt und ſich in ihren Gnaden reinigt, oder wenn eine andere Seele, die in der Inbrunſt iſt, die gefeſſelten Worte freimacht und mit dem ihren nach oben traͤgt. So wird von einem Zaddik erzaͤhlt, er ſei beim Beten der Gemeinde eine lange Zeit ſtumm und ohne Bewe— gung dageſtanden und habe dann erſt ſelbſt zu beten begonnen, „gleichwie der Stamm Dan am Ende des Lagers zog und alles Verlorene ſammelte“; fein Wort ſei ein Gewand geweſen, in deſſen Falten haͤtten ſich die niedergehaltenen Gebete geſchmiegt und ſeien emporgetragen worden. Dieſer Zaddik pflegte vor dem Beten zu ſagen: „Ich binde mich mit ganz Iſrael, mit denen, die groͤßer find als ich, daß durch fie mein Gedanke aufſteige, und mit denen, die kleiner ſind als ich, daß ſie durch mich gehoben werden.“ Aber dies iſt das Geheimnis der Gemeinſchaft, daß nicht bloß der Niedere des Höheren bedarf, ſon— dern auch der Hohe des Niederen. Hier ruht ein wei⸗ terer Unterſchied zwiſchen dem Zuſtand der Efftafe und dem Zuſtand des Dienſtes. Hitlahabut iſt des

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Einzelnen Weg und Ziel; ein Seil geſpannt über dem Abgrund, an zwei ſchlanke Baͤume gebunden, die der Sturm bewegt; in Einſamkeit und Grauen betritt es der Fuß des Wagenden. Hier gibt es keine Menſchen⸗ gemeinſchaft, nicht im Zweifel und nicht im Beſitz. Der Dienſt aber iſt vielen Seelen in ihrer Vereinigung erſchloſſen. Er gewaͤhrt die letzten Schauer nicht, aber er iſt frei von den dunkelſten Angſten. Er iſt nicht ein Seil, ſondern eine Bruͤcke. Den auf dem Seile Kom⸗ menden umfaͤngt druͤben der Arm des Geliebten; den Wanderern der Brüde öffnet ſich die Halle des Koͤ⸗ nigs. Die Ekſtaſe will nichts als ihre Vollendung in Gott, ſie gibt ſich dahin. Im Dienſte lebt eine Ab⸗ ſicht, eine „Kawwana“. Die Wollenden binden ſich aneinander zu groͤßerer Einheit und Macht. Es gibt einen Dienſt, den nur die Gemeinde vollbringen kann.

Der Baalſchem ſagte ein Gleichnis: Menſchen ſtanden unter einem ſehr hohen Baume. Und einer von den Menſchen hatte Augen zu ſehen. Und er ſah: im Wipfel des Baumes ſtand ein Vogel, herrlich in weſenhafter Schoͤnheit. Aber die anderen ſahen den Anblick nicht. Und uͤber jenen Mann fiel ein großes Bangen, zu dem Vogel zu kommen und ihn zu neh⸗

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men; und er konnte nicht von dannen ohne den Bo; gel. Aber wegen der Hoͤhe des Baumes war es nicht in ſeinem Vermoͤgen, und auch eine Leiter war nicht zu finden. Doch aus dem großen und maͤchtigen Bangen gab er ſeiner Seele den Rat. Er nahm die Menſchen, die umherſtanden, und ſtellte fie aufein⸗ ander, jeden auf die Schulter eines Gefaͤhrten. Er aber ſtieg zu oberſt, alſo daß er zum Vogel kam, und nahm ihn. Und die Menſchen, wiewohl ſie dem einen geholfen hatten, wußten nichts von dem Vogel und ſahen ihn nicht. Er aber, der von ihm wußte und ihn ſah, haͤtte ohne ſie nicht zu ihm kommen koͤnnen. Würde jedoch der unterſte von ihnen feinen Ort ver; laſſen, dann muͤßte der oben zur Erde niederfallen. „Und der Tempel des Meſſias wird im Buche Sohar das Vogelneſt genannt.“

Es iſt aber nicht etwa fo, als werde nur des Zad—⸗ diks Gebet von Gott empfangen und als ſei nur die, ſes lieblich in ſeinen Augen. Kein Beten iſt gnaden⸗ ſtaͤrker und dringt in geraderem Fluge durch alle Himmelswelten, als das Beten des Einfaͤltigen, der nichts zu ſagen und nur das ungebrochene Muͤſſen ſeines Herzens Gott darzubringen weiß. Gott nimmt es an, wie ein Koͤnig das Singen der Nachtigall in

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der Nacht feines Gartens, das ihm ſuͤßer klingt als die Huldigung der Fuͤrſten im Thronſaal. Die chaſſi⸗ diſche Legende weiß ſich nicht genug der Beiſpiele fuͤr die Gunſt, die dem Ungeſchiedenen leuchtet, und fuͤr die Macht ſeines Dienſtes. Eines ſei hier mitgeteilt. Cin Dorfmann, der Jahr fuͤr Jahr an den „furcht⸗

baren Tagen“ im Bethaus des Baalſchem war, hatte einen Knaben. Der war ſtumpfen Verſtandes und konnte nicht einmal die Geſtalt der Buchſtaben emp; fangen, geſchweige denn die heiligen Worte erkennen. Und der Vater nahm ihn an den furchtbaren Tagen nicht mit ſich in die Stadt, dieweil er nichts wußte. Aber als er dreizehn Jahre war und muͤndig vor Gottes Geſetzen, nahm ihn der Vater am Verſoͤh⸗ nungstag mit, damit er nicht etwa eſſe am Tage der Kaſteiung aus Mangel feines Wiſſens und Ver⸗ ſiehens. Und der Knabe hatte ein Pfeifchen, darauf pfiff er immer in der Zeit, da er im Felde ſaß, die Schafe und Kaͤlber zu weiden. Und er nahm es mit ſich in der Taſche ſeines Kleides, und ſein Vater ſah es nicht. Und der Knabe ſaß in den heiligen Stunden im Bethauſe und wußte nichts zu ſagen. Als aber das Muſſafgebet angehoben wurde, ſprach er zu ſei— nem Vater: „Vater, ich habe mein Pfeifchen bei mir

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und ich will darauf fingen.” Da war fein Vater fehr beſtuͤrzt und fuhr ihn an und ſprach: „Hüte dich und huͤte deine Seele, daß du dies nicht tueſt.“ Und er mußte es in ſich bewahren. Aber als das Mincha— gebet kam, ſprach er wieder: „Vater, erlaube mir doch, mein Pfeifchen zu nehmen.“ Und als der Vater fein Verlangen ſah und daß feine Seele bangte zu pfeifen, war er zornig und fragte ihn: „An welchem Orte haſt du es?“, und da er ihm den Ort zeigte, legte er die Hand auf die Taſche und hielt ſie fortan darauf, um das Pfeifchen zu hüten. Und das Neilagebet begann, und die Lichter brannten zitternd in den Abend, und die Herzen brannten wie die Lichter, uns erſchoͤpft vom langen Harren, und durch das Haus ſchritten noch einmal muͤde und aufrecht die achtzehn Segenſpruͤche, und das große Bekenntnis kehrte zum letztenmal wieder und lag vor der Lade des Herrn, die Stirn auf der Diele und die Haͤnde gebreitet, noch einmal, ehe der Abend ſich neigt und Gott ent⸗ ſcheidet. Da konnte der Knabe ſeine Inbrunſt nicht länger halten und riß das Pfeifchen aus der Taſche und ließ ſeine Stimme gar maͤchtig ſchallen. Und alle ſtanden erſchreckt und verwirrt da. Aber der Baalſchem erhob ſich uͤber ihnen und ſprach: „Das

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Verhängnis iſt durchbrochen und der Zorn zerſtreut vom Angeſichte der Erde.“

So iſt jeder Dienſt, der aus einer ſchlichten oder geſchlichteten zwieſpaltloſen Seele kommt, zureichend und vollkommen. Noch aber iſt ein hoͤherer. Denn wer von Aboda zu Hitlahabut aufgeſtiegen iſt und ſeinen Willen in ſie getaucht hat und ſeine Tat einzig aus ihr empfaͤngt, der hat jeden beſonderen Dienſt uͤberſtiegen. „Jeder Zaddik hat ſeine beſondere Art des Dienſtes. Wenn aber die Zaddikim ihre Wurzel betrachten und zum Nichts gelangen, dann koͤnnen ſie Gott auf allen Stufen dienen.“ So ſprach einer von ihnen: „Ich ſtehe vor Gott wie ein Botenknabe.“ Denn er war zur Vollendung und zum Nichts ge⸗ kommen, bis er keine beſondere Art mehr hatte, „ſondern er ſtand bereit fuͤr alle Arten, die Gott ihm weiſen wuͤrde, wie ein Botenknabe daſteht, bereit fuͤr alles, was ihm ſein Herr befehlen wird“.

Wer dergeſtalt in der Vollendung dient, der hat die urgegebene Zweiheit beſiegt und hat Hitlahabut in das Herz der Aboda eingetan. Er wohnt in den Reichen des Lebens, und doch ſind alle Mauern ge⸗ fallen, alle Grenzſteine ausgeriſſen, alle Scheidung iſt vernichtet. Er iſt der Bruder der Geſchoͤpfe und

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fühlt ihren Blick, als waͤre er fein eigener, ihren Schritt, als gingen ihn ſeine Fuͤße, ihr Blut, als floͤſſe es in feinem Leibe. Er iſt der Sohn Gottes und legt bange und ſicher ſeine Seele in die große Hand zu all den Himmeln und Erden und ungewußten Welten und ſteht auf den Fluten des Meeres, in das alle feine Gedanken und aller Weſen Wander; ſchaften muͤnden. „Er macht ſeinen Koͤrper zum Throne des Lebens und das Leben zum Throne des Geiſtes und den Geiſt zum Throne der Seele und die Seele zum Throne des Lichtes der Gottesglorie, und das Licht umſtroͤmt ihn ringsum, und er ſitzt inmitten des Lichtes und zittert und frohlockt.“

Kawwana: Von der Intention

Kawwana iſt das Myſterium der auf ein Ziel ge— richteten Seele.

Kawwana iſt nicht der Wille. Sie ſinnt nicht dar⸗ auf, ein Bild in die Welt der wirklichen Dinge zu verſetzen; nicht, einen Traum zum Gegenſtande feſt— zumachen, daß er bei der Hand ſei, beliebig oft emp— funden zu werden in ſatter Wiederholung. Auch dar; auf nicht, den Stein der Tat in die Wellen des Ge;

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ſchehens zu werfen, daß fie eine Weile unruhig werden und ſich verwundern, um ſodann zuruͤckzukehren zu den tiefen Befehlen ihres Lebens; einen Funken zu legen an die Zuͤndſchnur, die durch die Reihe der Ger ſchlechter geht, daß eine Flamme huͤpfe aus Zeit zu Zeit, bis ſie in einer ohne Abſchied und Zeichen er⸗ liſcht. Nicht dies iſt Kawwanas Meinen, daß die Pferde an dem großen Wagen einen Antrieb mehr verſpuͤren, oder daß ein Bau mehr aufgerichtet werde vor dem uͤbervollen Blick der Sterne. Kawwana meint nicht den Zweck, ſondern das Ziel.

Es gibt aber keine Ziele, ſondern das Ziel. Nur ein Ziel iſt, das nicht luͤgt, das ſich in kei⸗ nen neuen Weg verfaͤngt, in das alle Wege muͤn⸗ den, vor dem kein Abweg ewig fluͤchten kann: die Erloͤſung.

Kawwana iſt ein Strahl der Gottesglorie, der in jedem Menſchen wohnt und die Erloͤſung meint.

Dies aber iſt die Erloͤſung, daß die Schechina aus der Verbannung heimkehre. „Daß alle Schalen von der Gottesglorie weichen und ſie ſich reinige und ſich eine ihrem Eigner in vollkommener Einung.“ Des zum Zeichen erſcheint der Meſſias und macht alle Weſen frei.

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Manchem ift fein Leben lang, als muͤſſe es hier und heute geſchehen. Denn er hoͤrt die Stimmen des Wer— dens in den Schluchten brauſen und fuͤhlt das Keimen der Ewigkeit auf dem Acker der Zeit, wie wenn es in ſeinem Blute geſchaͤhe, und ſo kann er es nimmer anders denken, als dies und dies ſei der erwaͤhlte Augenblick. Und immer noch heißer zwingt ihn ſein Waͤhnen, weil immer noch gebieteriſcher die Stimmen reden und noch heiſchender das Keimen ſchwillt.

Von einem Zaddik wird erzaͤhlt, daß er alſo ſehr der Erloͤſung harrte: wenn er auf der Gaſſe ein Ge; tuͤmmel hoͤrte, ſogleich wurde er erregt, zu fragen, was dies wolle und ob nicht der Bote gekommen ſei; und jedesmal, wenn er zum Schlafen ging, befahl er ſei— nem Diener, wenn der Bote kaͤme, ſolle er ihn im gleichen Augenblick wecken. „Denn alſo ſehr war in ſeinem Herzen das Kommen des Erloͤſers eingefaßt, wie wenn ein Vater den einzigen Sohn aus dem fremden Lande erwartet und ſteht auf der Turm; warte mit Sehnſucht der Augen und lugt durch alle Fenſter aus, und wenn man die Tuͤr oͤffnet, eilt er hin⸗ aus, um zu ſehen, ob ſein Sohn nicht gekommen iſt.“

Andere aber ſind des Schreitens kundig in ſeinem Maße und ſehen Ort und Stunde der Bahn und wiſ—

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fen die Ferne des Kommenden. In allem ſtellt fich ihnen das Unvollendete dar, die Gebrechen der Weſen reden zu ihnen, und der Atem der Winde traͤgt ihnen Bitterkeit zu. Wie eine unreife Frucht iſt die Welt vor ihren Augen. In ſich ſind ſie der Glorie teil— haftig da ſchauen ſie hinaus: Alles liegt im Kampfe.

Als der große Zaddik Rabbi Menachem in Seru; ſalem war, ereignete es ſich, daß ein toͤrichter Mann den Ölberg beſtieg und in die Schofarpoſaune ſtieß. Und keiner hatte ihn geſehen. Und es war ein Ge⸗ ruͤcht im Volke, dies ſei das Schofarblaſen, das die Erloͤſung verkuͤndigt. Als dies an die Ohren des Rabbis kam, oͤffnete er ein Fenſter und ſah in die Luft der Welt hinaus. Und ſogleich ſprach er: „Da iſt keine Erneuerung.“

Dies aber iſt der Weg der Erloͤſung: daß alle See⸗ len und Seelenfunken, die der Urſeele entſproſſen und in der Urtruͤbung der Welt oder durch die Schuld der Zeiten geſunken und hinausgeſtreut ſind in alle Krea⸗ turen, die Wanderſchaft beſchließen und gelaͤutert heimkehren. Die Chaſſidim reden davon im Gleichnis des Fuͤrſten, der das Mahl erſt anheben laͤßt, wenn der letzte der Gaͤſte eingezogen iſt.

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Alle Menſchen find die Stätten wandernder See; len. In vielen Weſen wohnen fie und fireben von Geſtalt zu Geſtalt nach der Vollendung. Die ſich aber nicht zu laͤutern vermoͤgen, werden von der „Welt des Wirrſals“ befangen und hauſen in Waſſerlachen, in Steinen, in Gewaͤchſen, in Tieren, der erloͤſenden Stunde entgegenharrend.

Doch nicht bloß Seelen ſind uͤberall verſchloſſen: auch Seelenfunken. Ihrer iſt kein Ding leer. Sie leben in allem, was iſt. Jede Form iſt ihr Kerker.

Und dies iſt der Sinn und die Beſtimmung der Kawwana: daß es dem Menſchen gegeben iſt, die Ge— fallenen zu heben und die Gefangenen zu befreien.

Nicht bloß warten, nicht bloß ausſchauen: wirken kann der Menſch an der Erlöfung der Welt.

Dies eben iſt Kawwana: das Myſterium der Seele, die darauf gerichtet iſt, die Welt zu erloͤſen.

Es wird von Heiligen berichtet, die es im Sturm und in der Gewalt zu vollbringen vermeinten. In dieſer Welt; wenn ſie von der Gnade der Inbrunſt ſo durchgluͤht waren, daß ihnen nichts mehr un⸗ erreichbar ſchien, die ſie doch Gott umfangen hatten. Oder in der kommenden Welt; ein Zaddik ſprach im Sterben: „Die Freunde ſind hingegangen und woll⸗

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ten den Meſſias bringen, und haben es in der Wonne vergeſſen. Aber ich werde nicht vergeſſen.“

In Wahrheit jedoch kann jeder nur in ſeinem Be⸗ reiche wirken. Jeder hat eine weit in Raum und Zeit ausgeſpannte Sphaͤre des Seins, die ihm zugeteilt iſt, durch ihn erloͤſt zu werden. Orte, die von Unge⸗ hobenem beſchwert und in ihrer Seele gefeſſelt ſind, warten auf den Menſchen, der zu ihnen kommen wird mit dem Worte der Freiheit. Wenn ein Chaſſid an einem Orte nicht beten kann und an einen anderen geht, dann fordert der erſte Ort von ihm: „Warum wollteſt du nicht auf mir die heiligen Worte ſprechen? Und wenn Boͤſes an mir iſt, ſo iſt es an dir, mich zu erloͤſen.“ Aber auch alle Reiſen haben heimliche Be⸗ ſtimmung, die der Reiſende nicht ahnt. |

Von einigen Zaddikim wird geſagt, fie haften die helfende Macht uͤber die wandernden Seelen gehabt. In allen Zeiten, ſonderlich aber, wenn ſie im Gebete ſtanden, ſeien die Irrfahrer der Ewigkeit bittend vor ihnen erſchienen und haͤtten das Heil aus ihren Haͤn⸗ den empfangen. Doch auch aus eigenem Trieb haͤtten fie die Stummen unter den Gebannten im Exil eines muͤden Leibes oder im Dunkel des Elements zu finden und ſie emporzuretten gewußt.

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Dieſe Hilfe iſt als ein ungeheures Wagen inmitten von andringenden Gefahren dargeſtellt, zu dem nur der Heilige ſich ſpannen kann, ohne niedergeworfen zu werden. „Wer eine Seele hat, der mag ſich in den Abgrund hinablaſſen, feſtgebunden durch ſeinen Ge— danken wie durch ein ſtarkes Seil am oberen Rande, und wird zuruͤckkehren. Aber wer nur Leben hat oder nur Leben und Geiſt, der hat die Artung des Gedan— kens noch nicht, und das Band wird nicht ſtandhalten, und er wird in die Tiefe fallen.“

Kann alſo nur der Begnadete ruhigen Mutes in die Finſternis tauchen, um einer Seele beizuſtehen, die den Wirbeln der Wanderfchaft überliefert iſt, fo iſt auch dem Geringſten nicht verſagt, die verlorenen Funken aus ihrem Gewahrſam zu heben und heim— zuſenden.

Überall ſind die Funken eingetan. Sie haͤngen in den Dingen wie in verſiegelten Brunnen, ſie ducken ſich in den Weſen wie in zugemauerten Hoͤhlen, ſie atmen Bangigkeit aus und Dunkel ein, ſie warten; und die im Raume wohnen, ſchwirren wie lichttolle Falter um die Bewegungen der Welt umher, ſchauend, in welche ſie einkehren koͤnnten, durch ſie geloͤſt zu werden. Alle harren ſie der Freiheit.

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„Der Funke in einem Geſtein oder Gewaͤchs oder einer anderen Kreatur iſt wie eine völlige Geſtalt, die in der Mitte des Dinges wie in einem Block ſitzt, daß Haͤnde und Füße ſich nicht ſtrecken koͤnnen und der Kopf auf den Knien liegt. Und wer den heiligen Funken zu heben vermag, der fuͤhrt ihn an die Frei⸗ heit, und keine Loͤſung Gefangener iſt groͤßer als dieſe. Wie wer einen Koͤnigsſohn aus der Gefangenſchaft errettet und zu ſeinem Vater bringt.“

Aber nicht durch Beſchwoͤrungsformeln und nicht durch irgendein vorgeſchriebenes ſonderliches Tun geſchieht die Befreiung. All dies waͤchſt auf dem Grunde der Anderheit, der nicht der Grund der Kaw— wana iſt. Es bedarf keines Sprunges aus dem Ge⸗ wohnten ins Wunder. „Mit jeder Tat kann der Menſch an der Geſtalt der Gottesglorie arbeiten, daß ſie aus dem Verborgenen trete.“ Nicht die Materie der Handlung, nur ihre Weihung entſcheidet. Eben dies, was du im Gleichmaß der Wiederkehr oder in der Fuͤgung der Ereigniſſe tuſt, eben dieſe aus Übung erworbene oder aus Eingebung gewonnene Antwort des Handelnden auf das vielfaͤltige Begehren der Stunden, eben dieſe Stetigkeit des lebendigen Stro⸗ mes wird, in der Weihe vollzogen, zum Erloͤſen. Wer

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in Heiligkeit betet und ſingt, in Heiligkeit ißt und redet, in Heiligkeit des gebotenen Tauchbades und in Heiligkeit der Geſchaͤfte bedacht iſt, durch den werden die gefallenen Funken erhoben und die gefallenen Welten erloͤſt und erneuert.

Um jeden Menſchen iſt in die weite Sphaͤre ſei— nes Wirkens eingebaut ein natuͤrlicher Bezirk von Dingen gelegt, die vor allem zu befreien er beſtimmt iſt. Es ſind die Weſen und Gegenſtaͤnde, die der Be— ſitz des Einzelnen genannt werden: ſeine Tiere und feine Wände, fein Garten und fein Anger, fein Gerät und feine Speiſe. Indem er ſie in Heiligkeit hegt und genießt, macht er ihre Seelen los. „Daher ſoll der Menſch ſich immerdar ſeiner Geraͤte und alles ſeines Beſitzes erbarmen.“

Aber auch in der Seele ſelbſt erſcheinen die der Löoͤ— ſung Beduͤrftigen. Die meiſten ſind die Funken, die durch die Schuld dieſer Seele in einem ihrer fruͤheren Leben in die Niederung geraten ſind. Sie ſind die fremden, ſtoͤrenden Gedanken, die oft den Betenden befallen. „Wenn der Menſch im Gebete ſteht und be— gehrt, ſich an das Ewige zu ſchließen, und die fremden Gedanken kommen und fallen: heilige Funken ſind es, die geſunken ſind und von ihm erhoben und erloͤſt

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werden wollen; und die Funken find ihm zugehörig, der Wurzel ſeiner Seele verſchwiſtert: ſeine Kraͤfte ſind es, die er erloͤſen ſoll.“ Er erloͤſt ſie, wenn er jeden truͤben Gedanken ſeiner reinen Quelle wieder⸗ gibt, jeden auf Sonderheit ſinnenden Trieb in den goͤttlichen Alltrieb ergießt, alles Fremde in der Eigen⸗ heit untergehen laͤßt.

Dies iſt die Kawwana des Empfangens: daß man die Funken in den umgebenden Dingen und die Funken, die aus dem Unſichtbaren nahen, erloͤſe. Aber es gibt noch eine andere Kawwana, das iſt die Kawwana des Gebens. Sie traͤgt keine verirrten Seelenſtrahlen in hilfreichen Haͤnden; ſie bindet Wel⸗ ten aneinander und herrſcht in den Geheimniſſen, ſie ſchuͤttet ſich in die durſtige Ferne, ſie ſchenkt ſich der Unendlichkeit. Auch ſie bedarf des Wunderbaren nicht. Ihre Bahn iſt das Schaffen, und das Wort vor aller anderen Geſtalt des Schaffens.

Die Sprache war fuͤr die juͤdiſche Myſtik von je ein ſeltſamer und ſchauererweckender Gegenſtand. Eine eigentuͤmliche Theorie der Buchſtaben als der Weltelemente liegt vor, die von ihren Vermiſchungen als von dem Innern der Wirklichkeit handelt. Das Wort iſt ein Abgrund, durch den der Redende ſchreitet.

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„Man ſoll die Worte fprechen, als ſeien die Himmel geöffnet in ihnen. Und als ſei es nicht fo, daß du das Wort in deinen Mund nimmſt, ſondern als gingeſt du in das Wort ein.“ Wer des heimlichen Liedes kundig iſt, das das Innen ins Außen traͤgt, der tiefen, dunklen Weiſe, die wunderbar die Laute reiht, des heiligen Reigens, der einſame ſproͤde Worte zum Geſang der Fernen verſchmilzt, der wird der Gottes— macht voll, „und es iſt, als ſchuͤfe er Himmel und Erde und alle Welten von neuem“. Er findet ſein Reich nicht vor wie der Seelenbefreier, er ſpannt es aus vom Firmament zu den ſchweigenden Tiefen. Aber auch er wirkt an der Erloͤſung. „Denn in jedem Zeichen ſind Welten und Seelen und Goͤttliches, und ſie ſteigen auf und binden ſich und vereinigen ſich mit⸗ einander, und danach vereinigen ſich die Zeichen und es wird das Wort, und die Worte einen ſich in Gott in wahrhafter Einung, da ein Menſch ſeine Seele in ſie geworfen hat, und alle Welten einen ſich und ſteigen auf, und die große Wonne wird geboren.“ So bereitet der Wirkende die letzte All⸗Einung vor.

Und wie uns Aboda in Hitlahabut, das Urprinzip des chaſſidiſchen Lebens, muͤndete, ſo muͤndet hier

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Kawwana in Hitlahabut. Denn Schaffen iſt Ger ſchaffenwerden: das Goͤttliche bewegt und bewaͤltigt uns. Und Geſchaffenwerden iſt Ekſtaſe: nur wer ſich in das Nichts des Abſoluten einſenkt, empfaͤngt die formende Hand des Geiſtes. Dies wird im Gleichnis dargeſtellt. Es iſt keinem Ding der Welt gegeben, in ſich umgeſchaffen zu werden und in neue Geſtalt zu kommen, es komme denn vordem zum Nichts, das iſt zur „Geſtalt des Dazwiſchen“. Kein Weſen kann auf ihr beſtehen, ſie iſt die Kraft vor der Schoͤpfung und heißt das Chaos. So iſt das Vergehen des Eies zum Kuͤchlein und ſo der Same, der nicht keimt, ehe er in der Erde aufgegangen und verweſt iſt. „Und dies wird Weisheit genannt, das heißt: ein Gedanke, der keine Offenbarung hat. Und alſo iſt es, wenn der Menſch will, daß eine neue Schoͤpfung aus ihm komme, dann muß er mit aller ſeiner Moͤglichkeit zur Eigenſchaft des Nichts kommen, und dann ſchafft Gott in ihm eine neue Schoͤpfung, und er iſt wie ein Quell, der nicht verſiegt, und wie ein Strom, der nicht aufhoͤrt.“ |

So ift zwiefach der Wille der chaſſidiſchen Lehre von der Kawwana: daß der Genuß, die Verinnerung des Außen, in Heiligkeit geſchehe; daß das Schaffen, die

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Veräußerung des Innen, in Heiligkeit geſchehe. Durch heiliges Schaffen und heiligen Genuß voll— zieht ſich die Erloͤſung der Welt.

Schiflut: Von der Demut

Gott tut nicht zweimal das gleiche Ding, ſagt Rabbi Nachman von Bratzlaw.

Einzig und einmalig iſt das Seiende. Neu und un⸗ geweſen taucht es aus der Flut der Wiederkuͤnfte auf, geſchehen und unwiederholbar taucht es in ſie zuruͤck. Jegliches erſcheint zum anderen Male, aber jegliches gewandelt. Und die Wuͤrfe und Stuͤrze, die uͤber den großen Weltgebilden walten, und die Feuer und Waf; fer, die die Geſtalt der Erde bauen, und die Miſchun⸗ gen und Entmiſchungen, die das Leben der Lebendi⸗ gen lochen, und der Geiſt des Menſchen mit all ſeinem Verſuchen und Vergreifen an der weichen Fuͤlle des Moͤglichen, ſie alle koͤnnen nicht ein Gleiches ſchaffen und nicht wiederbringen eines der Dinge, das da ber ſiegelt iſt geweſen zu ſein.

Die Einmaligkeit iſt eine Ewigkeit des Einzelnen. Denn mit ſeiner Einzigkeit iſt er unverloͤſchbar in das Herz der Allheit eingegraben und liegt im Schoße

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des Zeitlofen immerdar als der alſo und nicht anders Beſchaffene. |

So ift die Einzigkeit das weſentliche Gut des Mens ſchen, das ihm gegeben iſt, es zu entfalten. Und dies eben iſt der Sinn der Wiederkehr, daß ſich die Einzig⸗ keit in ihr immer mehr reinige und vollkommen werde; und daß in jedem neuen Leben der Wieder⸗ kehrende in ungetruͤbterer und ungeſtoͤrterer Un⸗ vergleichbarkeit ſtehe. Denn reine Einzigkeit und reine Vollkommenheit ſind eines, und wer ſo ganz und gar einzig geworden iſt, daß keine Anderheit mehr Macht uͤber ihn und Ort in ihm hat, der hat die Reiſe voll⸗ bracht und iſt erloͤſt und kehrt in Gott ein.

„Jedermann ſoll wiſſen und bedenken, daß er in der Welt einzig iſt in ſeiner Beſchaffenheit, und kein ihm Gleicher war je im Leben, denn waͤre je ein ihm Gleicher geweſen, dann brauchte er nicht zu ſein. Aber in Wahrheit iſt jeglicher ein neues Ding in der Welt, und er ſoll ſeine Eigenſchaft vollkommen machen, denn weil ſie nicht vollkommen iſt, zoͤgert das Kommen des Meſſias.“ j

Nur aus feiner eigenen Art, aus keiner fremden kann ſich der Strebende vollenden. „Wer die Stufe des Gefaͤhrten erfaßt und ſeine Stufe fahren laͤßt,

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diefe und jene wird durch ihn nicht verwirklicht wer; den. Viele taten wie Rabbi Simon ben Jochai, und es geriet nicht in ihrer Hand, weil ſie nicht in dieſer Beſchaffenheit waren, ſondern nur wie er taten, da ſie ihn in dieſer Beſchaffenheit ſahen.“

Aber wie der Menſch in einſamer Inbrunſt Gott ſucht und es doch einen hohen Dienſt gibt, den nur die Gemeinde vollziehen kann, und wie der Menſch mit dem Tun ſeines Alltags Ungeheures wirkt, aber nicht allein, ſondern der Welt und der Dinge bedarf er zu ſolchem Tun, fo bewährt fich die Einzigkeit des Men⸗ ſchen in ſeinem Leben mit den anderen. Denn je einziger einer in Wahrheit iſt, deſto mehr kann er den anderen geben, und deſto mehr will er ihnen geben. Und dies eine iſt ſeine Not, daß ſein Geben einge— ſchraͤnkt iſt durch den Nehmenden. Denn „der Schenkende iſt von ſeiten der Gnade und der Emp— fangende iſt von ſeiten des Gerichts. Und ſo iſt es mit jedem Ding. Wie wenn man aus einem großen Gefäß in einen Becher gießt: das Gefaͤß ſchuͤttet ſich in Fuͤlle aus, aber der Becher ſetzt ſeiner Gabe die Grenze“.

Der Einzige ſchaut Gott und umſchlingt ihn. Der Einzige erlöft die gefallenen Welten. Und doch iſt der

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Einzige kein Ganzes, ſondern ein Teil. Und je reiner und vollkommener er iſt, deſto inniger weiß er es, daß er ein Teil iſt, und deſto wacher regt ſich in ihm die Gemeinſchaft der Weſen. Das iſt das Myſterium der Demut.

„Der Menſch hat ein Licht uͤber ſich, und wenn zwei Menſchen einander mit den Seelen begegnen, geſellen ſich ihre Lichter zueinander, und aus ihnen geht ein Licht hervor. Und dies wird Zeugung genannt.“ All⸗ zeugung fuͤhlen wie ein Meer und ſich darin wie eine Welle, das iſt das Myſterium der Demut.

Nicht das iſt Demut, wenn einer „fich uͤberſehr er; niedrigt und vergißt, daß der Menſch durch ſein Wort und ſeine Gebaͤrde uͤber alle Welten den uͤber⸗ fließenden Segen herabzubringen vermag“. Dies wird unreine Demut genannt. „Das groͤßte Boͤſe iſt, wenn du vergiſſeſt, daß du ein Koͤnigsſohn biſt.“ In Wahrheit demuͤtig aber iſt, wer die anderen wie ſich fuͤhlt und ſich in den anderen. |

Hochmut heißt: ſich gegenuͤberſtellen. Nicht wer ſich weiß, nur wer ſich mit anderen vergleicht, iſt der Hochmuͤtige. Kein Menſch kann ſich uͤberheben, wenn er auf ſich ruht: ſind ihm doch alle Himmel offen und alle Welten ergeben; der uͤberhebt ſich, der ſich dem

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andern gegenüber fühlt, fich höher ſieht als das allergeringſte der Dinge, der mit Elle und Gewichten ſchaltet und Urteil ſpricht.

Ein Zaddik ſprach: „Wenn heute Meſſias kommt und jagt: Du biſt beſſer als die anderen‘, dann ſage ich ihm: ‚Du biſt nicht Meſſias.“

Ohne Werk und Weſen lebt die Seele des Hoch— muͤtigen, flattert und muͤht ſich und wird nicht ge— ſegnet. Die Gedanken, die nicht das Gedachte, fon; dern ſich und ihren Glanz meinen, ſind Schatten. Die Tat, die nicht auf das Ziel, ſondern auf die Gelz tung ſinnt, hat nicht Körper, nur Fläche, nicht Be; ſtand, nur Erſcheinung. Wer mißt und waͤgt, wird leer und unwirklich wie Maß und Gewicht. „Wer ſeiner voll iſt, in dem hat Gott keinen Raum.“

Von einem Juͤngling wird erzaͤhlt, der die Abge⸗ ſchiedenheit auf ſich nahm und ſich von den Dingen der Welt loͤſte, allein der Lehre und dem Dienſte an⸗ zuhangen, und ſaß in der Einſamkeit, faſtend von Sabbat zu Sabbat und lernend und betend. Aber in ſeinem Sinne hatte er uͤber aller Abſicht den Stolz ſeines Tuns, und es ſtrahlte vor ſeinen Augen, und ſeine Finger brannten, es auf ſeine Stirn zu legen wie den Reif des Geſalbten. Und alſo fiel ſein Werk

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der „anderen Seite“ anheim, und das Heilige hatte kein Teil daran. Aber immer ſtaͤrker trieb ſich ſein Herz auf und fuͤhlte das Sinken nicht, indes die Daͤmonen mit ſeinen Taten ſpielten, und duͤnkte ſich ganz von Gott beſeſſen. Da kam es einſt, daß er ſich aus ſich hinauslehnte und die Dinge rings um ſtumm und abgewandt gewahrte, und da ergriff ihn das Er⸗ kennen, und er ſchaute ſein Tun, aufgeſchichtet zu Fuͤßen eines rieſenhaften Goͤtzen, und ſich ſelbſt ſchaute er in ſchwindelnder Leere, preisgegeben dem Namenloſen. Dies wird erzaͤhlt und nicht weiter.

Der Demuͤtige aber hat die „ziehende Kraft“. Alle Zeit, die der Menſch ſich uͤber anderen und vor ande⸗ ren ſieht, hat er eine Grenze, „und Gott kann ſeine Heiligkeit nicht in ihn laſſen, da Gott ohne Grenze iſt.“ Aber wenn der Menſch in ſich ruht wie im Nichts, iſt er durch kein anderes begrenzt und iſt grenzenlos, und Gott gießt ſeine Glorie in ihn.

Die Demut, die hier gemeint iſt, iſt keine gewollte und geuͤbte Tugend. Sie iſt nichts als innerliches Sein, Fuͤhlen und Ausſagen. Nirgends iſt ein Zwang in ihr, nirgends ein Sichbeugen, Sichbeherr⸗ ſchen, Sichbeſtimmen. Sie iſt zwieſpaltbar wie eines Kindes Blick und ſchlicht wie eines Kindes Rede.

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Rabbi Jaakob Jizchak von Lublin, der „Seher“, hatte einen Widerſacher, einen harten und engſuͤchti— gen Gelehrten, der „der eiſerne Kopf“ genannt wurde. Der bedraͤngte ihn unaufhoͤrlich mit Fragen, Ein⸗ waͤnden und Vorwuͤrfen. Einmal ſagte er zu ihm: „Ihr wißt doch ſelbſt, daß Ihr kein Zaddik ſeid. War; um fuͤhrt Ihr andere auf Eure Wege und ziehet ſie zu Eurer Gemeinde?“ Sprach Rabbi Jaakob Jigzchak: „Was kann ich tun? Sie laufen mir zu und werden meines Wortes froh und begehren es gar.“ Darauf jener: „So gebet es am Sabbat allen insgeſamt zu wiſſen, daß Ihr keiner der Erhabenen ſeid.“ Dies zu tun, war der Zaddik erboͤtig, und am naͤchſten Sabbat ſprach er vor den Ohren aller die Worte, die jener ihm befohlen hatte. Da zog in aller Herzen eine tiefe und wunderſame Demut ein, und hingen ihm fuͤrder noch eifriger an als bisher. Als er dies dem eiſernen Kopf bekanntgab, bedachte ſich der und ſagte ſodann: „Es iſt dies der Weg bei euch Chaſſidim, den Demuͤti⸗ gen zu lieben und den Hochmuͤtigen zu meiden. Darum ſaget ihnen, Ihr ſeiet der Auserwaͤhlten einer, und ſie werden ſich von Euch kehren.“ Antwortete der Meiſter: „Wenn ich auch kein Zaddik bin, fo bin ich doch kein Luͤg⸗ ner, und wie kann ich wider die Wahrheit reden!“

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Der Demütige lebt in jedem Weſen und weiß jedes

Weſens Art und Tugend. Weil keiner ihm „der andere“ iſt, weiß er aus dem inneren Grunde, daß keiner des verhuͤllten Wertes ermangelt; weiß, daß da kein „Menſch iſt, der nicht feine Stunde haͤtte“.

Nicht fließen ihm die Farben der Welt ineinander,

ſondern jede Seele ſteht in der Herrlichkeit ihres a

Eigendaſeins vor ihm. „In jedem Menſchen iſt Koͤſt⸗

liches, das in keinem anderen iſt. Daher ſoll man 4 jeden ehren nach feinem Verborgenen, das nur er

hat und keiner der Gefaͤhrten.“

Rabbi Wolf von Zbaraz ſah an keinem ein Boͤſes und nannte jeden Menſchen gerecht. Als zwei einſt miteinander ſtritten und man Wolf gegen den Shuk digen aufzureden verſuchte, antwortete er: „Bei mir find fie beide gleich und wer kann wagen, fh zwiſchen zwei Gerechte zu ſtellen?“ |

„Gott ſchaut nicht auf den böfen Teil,“ ſagte ein anderer, „wie duͤrfte ich es tun?“

Wer in den Weſen lebt nach dem Myſterium der Demut, kann keines verdammen. „Wer uͤber einen Menſchen das Urteil ſpricht, hat es uͤber ſich ges ſprochen.“ Der Baalſchem ſagte zu einem Rabbi, der uͤber einen Suͤndigen eine harte Buße verhaͤngt

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hatte: „Du haft noch nie den Sinn der Sünde gefühlt und noch nie den Sinn des gebrochenen Herzens.“

Wer ſich vom Sünder ſondert, geht in der Schuld von dannen. Der Heilige aber vermag an der Suͤnde eines Menſchen als an ſeiner eigenen zu leiden. So wird uns von Rabbi Suſſja dem ſeligen Gottes— narren, berichtet. Wenn er ein Vergehen erfuhr, war es ihm, als habe er es getan. So kam er einſt in eine Herberge und ſah auf dem Angeſicht des Wirtes die Suͤnden vieler Jahre wie ein Netzwerk aus verſteckten Furchen. Und eine Weile war er ſtill und unbewegt. Aber als er allein in der Stube war, die man ihm gewieſen hatte, fiel der Schauer des Mitlebens auf ihn, und er warf ſich zu Boden und ſchrie auf: „Suſſja, Suſſja, du Arger, was haſt du getan? Iſt doch keine Luͤge, die dich nicht verlockt hätte, und kein Frevel, den du nicht ausgeſchluͤrft haͤtteſt! Suſſja, Toͤrichter, Verwirrter, wohin nun mit dir?“ Und nannte die Sünden des Wirtes mit Ort und Zeit als feine eige⸗ nen und ſchluchzte. Der Wirt war dem ſeltſamen Manne nachgeſchlichen und ſtand vor der Tuͤr und hoͤrte ſeine Rede. Erſt faßte ihn eine dumpfe Beſtuͤrzung, dann aber leuchteten Reue und Gnade in ihm auf, und er erwachte zu Gott.

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Mitleben allein ift Gerechtigkeit. Ein Rabbi hieß im weiten Land der Gerechte, denn er ſprach jedem das Urteil nach ſeinem Tun, nicht mehr und nicht geringer. Vor den kam einmal ein Weib, in irgend⸗ einer Sache ſeinen Rat zu erfragen. Er aber fuhr ſie an: „Eine Buhlerin biſt du!“ und ſchuͤttete ſein Wiſſen um die Heimlichkeiten ihres Lebens in ſchweren und drohenden Worten uͤber ſie aus und hieß ſie ſich hin⸗ wegheben. Da antwortete die Frau und ſprach aus der Bedraͤngnis ihres Herzens: „Der Schoͤpfer der Welt iſt den Boͤſen langmuͤtig und fordert ihre Schuld nicht in Eile ein und offenbart ihr Geheimnis keiner Kreatur, auf daß ſie ſich nicht ſchaͤmen, zu ihm zuruͤck⸗ zukehren, und verbirgt ihnen ſein Angeſicht nicht. Und der Rabbi von Apt ſitzt auf ſeinem Stuhl und kann ſich keinen Augenblick lang enthalten, zu offen⸗ baren, was der Schoͤpfer der Welt bedeckt hat.“ Seither pflegte der Rabbi zu ſagen: „Von je hat mich keiner bezwungen, nur einmal ein Weib.“

Mitleben als Erkennen iſt Gerechtigkeit. Mitleben als

Sein ift Liebe. Denn jenes Gefuͤhl der Naͤhe zu wenigen ;

und jenes Wollen der Nähe zu wenigen, das unter den Menſchen Liebe heißt, iſt nichts als Erinnerung aus einem Himmelsleben: „Die im Paradies beieinander

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faßen und Nachbarn und Verwandte waren, die find einander nahe auch in dieſer Welt.“ In Wahrheit aber iſt Liebe ein Urweites und Tragendes und ohne alle Wahl und Scheidung hingebreitet zu den Lebendigen. Ein Zaddik ſprach: „Wie koͤnnt ihr von mir ſagen, ich ſei ein Fuͤhrer des Zeitalters, da ich noch in mir die Liebe zu den Nahen und zu meinem Samen ſtaͤrker fuͤhle als zu allen Menſchenſoͤhnen?“ Daß ſich dieſe Anſcha uung auch auf die Tiere erſtreckt, ſagen die Erzaͤh⸗ lungen von Rabbi Wolf, der nie ein Pferd anzuſchreien vermochte, von Rabbi Moſche Leib, der die vernach— laͤſſigten Kaͤlber auf den Maͤrkten traͤnkte, von Rabbi Suſſja, der keinen Kaͤfig ſehen konnte „und die Un⸗ ſeligkeit der Voͤgel und ihr Bangen nach dem Fluge in der Luft der Welt, gemäß ihrer Natur, freie Wan—⸗ derer zu ſein“, ohne ihn zu oͤffnen, und die Schlaͤge des Beſitzers mit laͤchelnder Freude wie einen koſt⸗ baren Lohn empfing. Aber nicht nur die Weſen, denen der kurze Blick der Menge den Namen der Lebendigen zuſpricht, gehoͤren der Liebe des Liebenden zu: „Dir iſt kein Ding in der Welt, in dem nicht Leben waͤre, und von ſeinem Leben hat jedes die Geſtalt, in der es vor deinen Augen ſteht. Und ſiehe, dieſes Leben iſt das Leben Gottes.“

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So iſt es gemeint: die Liebe zu den Lebendigen ift die Liebe zu Gott, und ſie iſt hoͤher als irgendein Dienſt. Ein Meiſter fragte einen Schuͤler: „Du weißt, daß nicht zwei Kraͤfte zur gleichen Zeit im Menſchenſinn Faſſung haben. Wenn du dich nun am Morgen von deinem Lager hebſt und zwei Wege ſind vor dir: Liebe zu Gott und Liebe zu den Men⸗ ſchen, welcher iſt der erſte?“ Jener antwortete: „Ich weiß es nicht.“ Da ſprach der Meiſter: „Sieh, es ſteht geſchrieben in dem Gebetbuche, das in den Haͤnden des Volkes iſt: Ehe du beteſt, ſage das Wort: Liebe deinen Naͤchſten wie dich felbft. Meinſt du, das haͤtten die Ehrwuͤrdigen ohne Abſicht be⸗ fohlen? Wenn einer dir ſagt, er trage Liebe zu Gott und trage nicht Liebe zu den Lebendigen, Falſches redet er und Unmoͤgliches gibt er vor zu beſitzen.“

Darum iſt, wo einer ſich von Gott entfernt, die Liebe eines Menſchen das einzige Heil. Als ein Vater dem Baalſchem klagte: „Mein Sohn iſt von Gott abgewichen was ſoll ich tun?“, erwiderte er: „Ihn mehr lieben.“

Eines der chaſſidiſchen Grundworte iſt dieſes: mehr lieben. Seine Wurzeln graben ſich tief ein und

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ſtrecken ſich weit hin. Der mag die Kategorie Juden; tum neu verſtehen lernen, der es verſtanden hat. Es iſt eine große Bewegung darin, die ſich in unterirdi— ſcher Hiſtorie verwirklicht und inniger noch in zeitloſer Weisheit und am innigſten wohl in einem Traum, den zu traͤumen und zu tragen allerorten und allezeit junge Menſchen erſtehen und ſterben.

Eine große Bewegung, und doch wieder nur ein verlorener Klang. Es iſt ein verlorener Klang, wenn irgendwo in jener dunkeln, fenſterloſen Stube und irgendwann in jenen Tagen ohne Kraft der Botſchaft die Lippen eines namenloſen, dauer⸗ loſen Menſchen, des Zaddiks Rabbi Rafael, dieſe Worte bilden: „Wenn ein Menſch ſieht, daß fein Ge; faͤhrte ihn haßt, ſoll er ihn mehr lieben. Denn die Gemeinſchaft der Lebendigen iſt der Wagen der Got; tesglorie, und wo ein Riß im Wagen iſt, muß man ihn füllen, und wo der Liebe wenig iſt, daß die Fuͤ⸗ gung ſich loͤſt, muß man Liebe mehren an ſeiner Seite, den Mangel zu zwingen.“

Dieſer Rabbi Rafael rief einſt vor einer Fahrt einem Schuͤler zu, er ſolle ſich zu ihm in den Wagen ſetzen. Darauf jener: „Ich fuͤrchte, ich koͤnnte es Euch eng machen.“ Und er mit erhobener Stimme: „So

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wollen wir einander mehr lieben: dann wird ung weit fein.”

Sie follen hier ſtehen als Zeugen, das Sinnbild und die Wirklichkeit, verſchieden und eines, untrenn⸗ bar, der Wagen der Schechina und der Wagen der Freunde.

Es iſt die Liebe ein Weſen, das in einem Reiche lebt, groͤßer als das Reich der Einzelnen, und aus einem Wiſſen redet, tiefer als das Wiſſen des Ein⸗ zelnen. Sie iſt in Wahrheit zwiſchen den Kreaturen, das heißt: ſie iſt in Gott. Leben durch Leben gedeckt und gebuͤrgt, Leben ſich gießend in Leben, ſo ſchaut ihr die Seele der Welt. Weſſen das eine ermangelt, des wird das andere ihm entgegenſchwellen. Wenn eines zu wenig liebt, wird das andere mehr lieben.

Die Dinge helfen einander. Helfen aber iſt: ſelbſt in einem geſammelten Willen das Seine aus ſich ſelbſt tun. Wie der, der mehr liebt, dem anderen nicht Liebe predigt, ſondern ſelbſt liebt und ſich alſo gewiſſermaßen nicht um ihn kuͤmmert, ſo kuͤmmert ſich der Helfende gewiſſermaßen nicht um den ande⸗ ren, ſondern tut das Seine aus ſich ſelbſt im Gedan⸗ ken der Hilfe. Das bedeutet: das Eigentliche, was zwiſchen den Weſen geſchieht, geſchieht nicht durch

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ihren Verkehr, ſondern durch eines jeden ſcheinbar einſames, ſcheinbar unbekuͤmmertes, ſcheinbar bruͤk⸗ kenloſes Tun aus ſich ſelbſt. Dies wird im Gleichnis geſagt: „Wenn ein Menſch ſingt und kann die Stimme nicht erheben, und einer kommt ihm zu helfen und hebt an zu ſingen, dann kann auch jener wieder die Stimme erheben. Und das iſt das Geheimnis der Verbindung.“

Es gibt aber noch eine andere Hilfe, eine weite und wiſſende, vom Leid der Welten geboren, von ihrem Blute genaͤhrt. Wer der ringenden Ewigkeit hilft, hat jedem Leben geholfen. Auch davon redet ein ſtilles Geheimnis. Drei Maͤnner ſaßen einſt im Kerker, an einem Orte ſchwerer Finſternis. Von dieſen Maͤnnern waren zwei weiſe, der dritte war ein Tor. Es wurden ihnen aber taͤglich andere Spei— ſen und anderes Geraͤt zum Eſſen gebracht, und das Dunkel und die Not hatten den Narren alſo verwirrt, daß er nicht mehr wußte, wie er die verſchiedenen Ge⸗ raͤte gebrauchen ſolle, die Speiſen zum Munde zu bringen, und ſtumpf und ratlos daſaß, ohne zu eſſen und zu trinken, bis es der eine der beiden Weiſen merkte und ihn unterwies. Am naͤchſten Tag aber wußte er das neue Geraͤt wieder nicht zu fuͤhren, und

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wieder mußte der Gefährte ihm beiſtehen. Und fo ging es ſeither Tag fuͤr Tag. Der andere Weiſe aber ſaß und ſchwieg und achtete keines anderen Dinges als ſeiner Gedanken. Einmal fragte ihn jener: „Warum ſtitzeſt du für dich und ſchweigſt und hilfſt mir nicht, den Toren zu belehren?“ Antwortete er: „Du muͤhſt dich ſtetig aufs neue und kommſt zu keinem Ende, denn morgen wandelt ſich das Geraͤt, und du mußt wieder beginnen. Ich aber ſitze und ſinne, wie ich in die Wand eine Offnung bohren mag, daß das Licht der Sonne hineinſtrahle und er alles ſehe.“ Es iſt aber all dies nicht etwa ſo zu verſtehen, als gaͤlte das einfache Einanderhelfen nicht im Lichte der Lehre. Vielmehr iſt dieſes einfache Einanderhelfen keine Aufgabe, ſondern das Selbſtverſtaͤndliche und die Wirklichkeit, auf die das Zuſammenleben der Chaſſidim gegruͤndet iſt und uͤber der ſich die hoͤheren Geſtalten der Hilfe aufbauen. Die Hilfe iſt keine Tugend, ſondern eine Ader des Daſeins. Das iſt der neue Sinn des alten juͤdiſchen Wortes, das Wohl⸗ tun rette vom Tode. Nur eins wird geboten und ge⸗ fordert: daß der Helfende ſich nicht auf die anderen beſinne, die mithelfen koͤnnen, auf Gott und die Menſchen, und nicht vermeine, eine Teilkraft zu ſein,

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die nur beizutragen habe, ſondern daß jeder als Ganzheit antworte und einſtehe. So pflegte Rabbi Moſche Leib zu ſagen: „Es gibt keine Eigenſchaft, die nicht eine Erhebung haͤtte. Und auch die Gottes— leugnung hat eine Erhebung. Denn wenn einer zu dir kommt und von dir Hilfe fordert, ſollſt du nicht ein weniges tun und dann ein Frommer ſein und zu ihm ſagen: Habe Vertrauen und wirf deine Not auf Gott,, ſondern da ſollſt du handeln, als ſei kein an⸗ derer, der ihm helfen koͤnnte, nur du allein.“ Und noch eines wird geboten und gefordert, und dieſes eine iſt wieder nichts als ein Ausdruck des

Myſteriums der Schiflut: helfen nicht aus Mitleid,

das heißt aus einem ſcharfen, raſchen Schmerz, den

man bannen will, ſondern aus Liebe, das heißt aus

Mitleben. Der Mitleidige lebt nicht das Leid des Leidenden mit, er traͤgt es nicht im Herzen, wie man das Leben eines Baumes traͤgt mit allem Saugen und Treiben und mit dem Traum der Wurzeln und dem Begehren des Stammes und den tauſend Fahr— ten der Zweige, oder wie man das Leben eines Tieres traͤgt, mit allem Gleiten und Strecken und Greifen und allem Gluͤck der Sehnen und Gelenke und der dumpfen Spannung des Gehirnes; er traͤgt dieſes

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ſonderliche Weſen, das Leid des andern, nicht im Herzen, ſondern er empfaͤngt von dieſes Leides aͤußer⸗ lichſter Gebaͤrde einen ſcharfen, raſchen Schmerz, dem Urſchmerz des Leidenden abgrundweit unaͤhnlich, und ſo wird er bewegt. Es ſoll aber der Helfende mitleben, und nur Hilfe aus Mitleben beſteht vor den Augen der Seele. So wird von einem Zaddik erzaͤhlt, der, wenn ein Armer ſein Mitleid erregte, erſt ihn mit aller Notdurft verſorgte, dann aber, da er in ſich ver⸗ ſpuͤrte, daß die Wunde des Mitleids geheilt war, ſich mit großer, ruhevoll hingegebener Liebe in das Leben und Beduͤrfen des andern verſenkte, es in ſich als ſein eigenes Leben und Beduͤrfen faßte und in Wahr⸗ heit zu helfen begann.

Lieben heißt: das Beduͤrfen des andern als ſein eigenes fuͤhlen und dennoch auch der eigenen Fuͤlle gewahr werden, ſie helfend auszuteilen. Rabbi Moſche Leib erzaͤhlte: „Ich habe die Liebe von einem Dorfmann gelernt. Der ſaß mit anderen Bauern beiſammen, und als ſein Herz lebhaft war vom Weine, ſprach er zu einem: Liebſt du mich oder nicht? Und er antwortete ihm: Ich liebe dich gar fehr.‘ Sprach jener: Du ſagſt, ich liebe dich, weißt du denn, was mir fehlt? Liebteſt du mich in Wahrheit, du

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wuͤrdeſt es wiſſen. Da ſchwieg der andere und ver; mochte kein Wort zu ſagen. Ich aber verſtand: das iſt die Liebe zu den Menſchen, zu fuͤhlen ihr Beduͤrfen und zu tragen ihr Leid.“

Wer ſolcherweiſe miterlebt, der verwirklicht mit ſeinem Tun die Wahrheit, daß alle Seelen eine ſind, denn jede iſt ein Funken aus der Seele des Urmen; ſchen, und ſie iſt ganz in ihnen allen. Und weil er die Einheit der Seelen mit ſeinem Tun verwirklicht, kann von keiner ihm ein übel nahen. Denn wenn einer ihm Boͤſes tut, ſieht er es, als habe eine naͤr⸗ riſche Hand die Genoſſin geſchlagen und habe nicht bedacht, daß fie eins find und dieſer Schmerz ihr Schmerz und daß das Herz, das ihn erfaͤhrt, eben das iſt, das ihr eignes Leben traͤgt. Wie ſollte er darob trauern oder gar zuͤrnen oder gar auf Vergeltung ſinnen? „Wenn ein Menſch ſich einmal im Irren einen Schlag verſetzt, wird er nun einen Stock neh⸗ men und die Hand ſchlagen, die ihn geſchlagen hat? Es geſchah ja aus mangelndem Wiſſen, und wie ſollte er ſeinen Schmerz noch mehren wollen?“

So lebt der Demuͤtige, der der Gerechte und der Liebende und der Helfer iſt: vermiſcht mit allen und allen unberuͤhrbar, der Vielheit ergeben und geſam⸗

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melt in feiner Einzigkeit; vollziehend auf den Fels kuppen der Einſamkeit den Bund mit dem Unend⸗ lichen und im Tale des quellenden Lebens den Bund mit den Irdiſchen, bluͤhend aus tiefem Geluͤbde und

allem Willen der Wollenden entzogen. Er weiß, daß alles in Gott iſt, und gruͤßt die Boten wie vertraute Freunde. Ihn ſchreckt nicht das Vorher und Nachher,

nicht das Oben und Unten, nicht das Diesſeits und Jenſeits. Er iſt zu Hauſe und kann nie verſtoßen werden. Die Erde kann nicht umhin, ſeine Wiege,

und der Himmel kann nicht umhin, ſein Spiegel und

ſein Echo zu ſein.

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Gedruckt im Frühjahr 1921 bei E. Haberland in Leipzig | 1 * *

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BM Buber, Martin 565 Vom Geist des Judentums B86

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