DR. THEODOR FRIMMEL

VON ALTER UND NEUER KUNST

(AUSGEWÄHLTE KUNST6ESCHICHTLICHE

AUFSÄTZE)

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CARL STEPHENSON VERLAG, WIEN 1.

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BÜCHER DER KUNST

ERSTER BAND

FRIMMEL, VON ALTER UND NEUER KUNST

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DR. THEODOR FRIMMEL

VON ALTER UND NEUER KUNST

(AUSGEWÄHLTE KUNST6ESCH ICHTLICHE

AUFSÄTZE)

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CARL STEPHENSON VERLAG, WIEN 1,

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Alle Rechte,

auch die des Nachdruckes und der Übersetzung,

vorbehalten.

Copyright by Charles Stephenson, Vienna.

S£P 1 5 1975

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Druck der Zaunrith'schen Buchdruckerei, Salzbure

FRIMMEL, VON ALTER UND NEUER KUNST

INHALT.

Seite

Die Bellerophongruppe des Bertoldo 1

Die Terrakottabtisten des Alessandro Vittoria im Österreichischen Museum

für Kunst und Industrie 13

Eine Sl<ulptur nach Vesals Anatomie 23

Ein Besuch Thorwaldsens in Wien 26

Einige österreichische Plastil<;er des 18. und frühen 19. Jahrhunderts .... 30

Lionardo da Vinci's Auge 38

Das Wedigh-Bildnis von Hans Holbein dem Jüngeren in der Wiener Galerie

Schönborn-Puchheim 48

Kunstgeschichtliche Nachrichten aus Venedig 50

Jakob Toorenvliet als Wiener Maler und die Verteilung seiner Arbeiten in

österreichischen Galerien 69

Hans Canon 82

Carl Friedrich Lessing 102

Ein Brief Anselm Feuerbachs an den Minister Strehmayr 122

Aus der Menzel-Ausstellung 128

ABBILDUNGEN.

Bertoldo di Giovanni : Bellerophongruppe. Alessandro Vittoria : Terrakotta- büsten. — Hans Holbein der Jüngere : Bildnis des Hermann Wedigh. Jakob Toorenvliet: Der Trinker. Carl Friedrich Lessing: Harzlandschaft.

VORWORT.

Jahrzehnte sind es, die ich dem Studium der Künste, zumeist der bildenden Künste gewidmet habe. Unterbrochen wurde es nur durch Arbeiten über klassische und romantische Musik, die ott wochenlang das Hauptgewicht erhielten. DaB ich auf den angedeuteten Gebieten emsig gearbeitet habe, ist wohl schon bekannt, und ein ansehn- licher Sto& von eigenen Arbeiten liegt aufgehäuft, darunter nicht zulebt auch solche über bildende Kunst. Nur zum Teil aber wurden sie soweit beachtet, daB ich sie nicht als vergessen, verloren be- trachten mü^te. Manches ist ja in wenig gelesenen Monatsschriften und Tagesblättern versteckt; oder bei anderen Studien, die in her- vorragenden Blättern erschienen sind, habe kh keine Sonderabzüge erhalten, was ich besonders bei der Arbeit über Bertoldo zu be- klagen hatte. Ich konnte diese Arbeit nicht einmal dem Entded<er der Bellerophongruppe des Bertoldo, dem mir befreundeten L Courajod, in der herkömmlichen Weise übersenden. Ähnliche Hindernisse der Verbreitung stellten sich auch bei nodi anderen Aufsähen ein. Deshalb habe ich den Gedanken des Herrn Ver- legers gerne aufgegriffen, ein Buch herauszugeben, das unter dem Titel „Von alter und neuer Kunst" einige meiner wenig verbreiteten früheren Arbeiten mit Ergänzungen und Verbesserungen zusammen- faßt. Die alte Form der Aufsäfee ist im wesentlichen beibehalten, dodi habe ich ab und zu ohne weiteres einige Fremdwörter ver- deutscht und andere kleine Änderungen vorgenommen, und zwar ohne besondere Hinweise, ohne Klammern oder Fußnoten. Die sachlichen Verbesserungen und Zusäfee verschiedener Art wurden zwischen eckige Klammern [J'gesebt. Dies zu den Einzelheiten der neu bearbeiteten alten Studien. Im Ganzen hoffe ich in der vor- liegenden Auswahl, trob der guälenden Ungunst der Verhältnisse, so reichlichen Stoff geboten zu haben, daß nun vielleicht die ehe- mals zum Teil übersehenen Arbeiten einen neuen Leserkreis finden und die Wissenschaft fördern werden.

Wien, im Herbst 1922. Der Verfasser.

Die Bellerophongruppe des Bertoldo.*^

Ser Bartolomeo Dei schreibt am 30. Dezember 1491 seinem Onkel Benedetto Dei, dem beredten Verteidiger der Medici gegen das venezianisctie Pamptilet: „Bertoldo scultore degnissimo, e di medaglie optimo fabricatore, el quäle sempre col magnifico Lorenzo faceva cose degne, al Poggio s'e morto in due di. Ctie n'e danno assai e a lui e molto doluto die non se ne trovava un altro in Tos- cana ne forse in Italia di si nobile ingegno e arte in tali cose."i}

Der Künstler, um den es sidi in dem Briefe tiandelt, ist Bertoldo, der Sdiüler des Donatello, der Lehrer des Michelangelo, ein Meister, der in der florentinisdien Kunst des 15. Jahrhunderts einen überaus bedeutsamen Plab einnimmt. Durch ihn reidien sich der größte Plastiker des Quattrocento und der Künstlertitan des Cinquecento geishg die Hände.

Bertoldo's Entwicklungsgang ist so gut wie unbekannt und läßt sich nur aus der stilkritischen Betrachtung der Werke seiner reifen Zeit, aus Andeutungen der Quellensdiriftsteller und aus wenigen Urkunden mit einiger Wahrsdieinlidikeit vermuten. Milanesi lägt ihn um 1420 geboren sein, eine Angabe, die Münfe und Heiß akzeptiert haben.2) Bertoldo's Todesjahr (1491) beachtend und die Angabe, daß er ein hohes Alter erreicht hat, finde idi keinen Grund, dieser Aufstellung zu widersprechen. An versdiiedenen Orten wird Ber- ioldo als Florentiner^) und als Sohn eines Giovanni bezeidinet.^)

*) Erstdruck im „Jahrbuch der K. h. Sammlungen des a. h. Kaiserhauses", Bd. V (1887), S. 90—96.

*) Milanesi e Pini, La scrittura di artisti italiani, Florenz, 1876, Text zu Nr. 60.

2) Milanesi e Pini, a. a. O. Müntz, Precurseurs de la Renaissance, Paris und London, 1882, p. 187. Heiss, Les Medailleurs de la Renaissance, Band von 1885, p. 76.

3) So bei Vasari. Um rasch einen Ueberblick zu geben über das was Vasari, an verschiedenen Stellen seiner Vite über Bertoldo mitteilt, stelle ich gleich hier

1 I

Als Florentiner bekennt er sich selber auf der Inschrift einer Medaille. DaB er ein Schüler Donatello's gewesen, wird von Vasari mehrmals erwähnt und ist nodi nicht angezweifelt worden, obwohl seine Werke diese Schülerschaft nidit eben auffällig bestätigen. Weder der Donatello, der in seinem Stiacciato sich der Technik

alle diese Stellen zusammen: Le Monnier, III, 261 (Milanesi, II, 416). Im Leben des Donatello; von diesem ist die Rede und von seinen Arbeiten für San Lorenzo zu Florenz: Ordinö ancora i pergami di bronzo, dentrovi la passione di Cristo; . . . quali non potendo egli per vecdiiezza lavorare, fini Bertoldo suo creato, ed a ultima perfezione li ridusse. Le Monnier, III, 267 (Milanesi, II, 423). Von der letzten Zeit des Donatello wird gesprochen: . . . le cose dell'arte lascid ai suoi discepoli: i quali für ono Bertoldo, scultore fiorentino, die l'imitö assai, come si puö vedere in una battaglia in bronzo d'uomini a cavallo molto bella, la quäle e oggi in guardaroba del duca Cosimo; Nanni d' Antonio di Banco . . . In den Anmerkungen beider Vasari-Ausgaben wird Bertoldo's Medaille auf Maho- met besprochen. Bezüglich der „battaglia" heißt es in beiden Ausgaben: anzi alcuni dubitano se sia o non sia quella iudicata dal Vasari, perche lor sembra troppo bella per essere creduta die Bertoldo. Le lodi gia date alla medaglia di Maometto, e piü il confronto di essa con questo lavoro, potrebbero togliere il dubbio. Le Monnier, III, 269 (Milanesi, II, 425) gegen Ende der Vita des Donatello: Rimase a Bertoldo, suo creato, ogni suo lavoro, e massimamente i pergami di bronzo di San Lorenzo ; die da lui furono poi rinetti la maggior parte e condotti a quel termine che e' si veggono in detta diiesa. Le Monnier, VII, 204 (Milanesi, IV, 257). In der Vita des Bildhauers Torrigiano wird von den hervorragenden Talenten gesprochen, die Lorenzo Magnifico zu sich heranzog: . . . Era allora custode e capo di detti giovani Bertoldo scultore fiorentino vecchio e pratico maestro, e stato gia discepolo di Donato ; onde insegnava loro, e parimente aveva cura alle cose del giardino, ed a' molti disegni, cartoni e modeln di mano di Donato, Pippo, Masaccio, Paolo Ucello. Fra Giovanni, Fra Filippo, e d'altri maestri paesani e forestieri ... Le Monnier, X, 246 (Mila- nesi' VI, 201). Im Leben des Malers Bugiardini heißt es von diesem: . . . essendo giovinetto, il principio, de' suoi studi fu nel giardino de Medici in sulla piazza di San Marco: nel quäle seguitando d'imp arare l'arte sotto Bertoldo scultore, prese amicizia e tanta stretta familiaritä con Michelangelo Buonarotti, che poi fu sempre da lui molto amato ... Le Monnier XII, 162 f. (Milanesi, VII, 141 f.) In der Vita des Michelangelo : Teneva in quel iempo il Magnifico Lorenzo de' Medici nel suo giardino in sulla piazza di San Marco Bertoldo scultore, non tanto per custode o giardiano di motte belle anticaglie che in quello aveva ragunate e racolte con gründe spesa, quanto per che, desiderando egli somma- mente di creare una scuola di pittori e di scultori eccelenti, voleva che elli avessero per giuda e per capo il sopradetto Bertoldo, die era discepolo di Donato; ed ancora che e' fusse si vecdiio, die non potesse piü operare, era nientidimanco maestro molto pratico e molto reputato, non solo per avere diligentissime rinettato il getto de' pergami di Donato su maestro, ma per molti getti ancora die egli aveva fatti di bronzo di battaglie e di alcune altre cose piccole, nel magisterio delle quali non si trovava allora in Firenze chi lo avanzasse . . . Wenige Zeilen weiter unten wird bezüglich des jungen Torri- giano erwähnt: . . lavorava di terra certe figure tonde, che da Bertoldo gli erano State date . . . [Zu beachten auch die Anmerkungen in der neuen Vasari- Uebersetzung von A. Gotschewski und G. Gronau}.

4) Gonzati, La basilica di St. Antonio di Padova, Padua, 1852, I, S. 136 und XC.

antiker Gemmen anschlieBt. noch der Donatello, der sich einem aus- gesprochenen Realismus hingibt, ist für Bertoldo's Stil maBgebend gewesen. Was sie beide gemein haben, den Sinn für lebhafte Be- wegung, das ist mehr etwas von vornherein Gegebenes, als etwas, das einen Schulzusammenhang beweisen könnte. Bertoldo ist aller- dings auch Nachahmer der Antike; diesen Zug aber kann er der Zeit überhaupt, in welcher er lebte, verdanken; nicht gerade von Dona- tello mu6 er ihn ererbt haben, wenngleich dies am wahrschein- lichsten ist. In den legten Jahren des Donatello, der 1466 gestorben ist, war Bertoldo dessen bevorzugter Schüler, dem die Vollendung der Reliefs an der Kanzel von San Lorenzo zu Florenz anvertraut wurde. Bertoldo's Biographie bleibt dann wieder dunkel bis in die lebten Jahre seines Lebens.

Ein Brief von 1479, mitten in den Nöten des Krieges in gereizter Stimmung verfaßt, übrigens launig geschrieben, den Bertoldo an den kunstliebenden Mediceer gerichtet hat, ist uns im Archivio Mediceo erhalten.^) Das Sdireiben ist ein wohl ironisch gemeintes Bittgesuch um die Stellung eines Küchenmeisters.^) Am Abende seines Lebens finden wir den Künstler mit Padua in Verbindung. Möglicherweise war er schon mit Donatello dahin gekommen, als dieser 1443 des „Gattamelata" wegen nach Padua übersiedelte. Erst im Jahre 1483 aber wird von einer Tätigkeit des Bertoldo in Padua ausdrücklich gesprochen. Gonzati^) beriditet, Bertoldo hätte zwei Reliefs mit Jonas, der ins Meer geworfen wird und mit dem Durchzug durchs rote Meer für den Santo zu Padua anfertigen sollen. Seine Güsse hätten aber wahrscheinlich nidit befriedigt, denn Vellano, ein anderer Schüler des Donatello, erhielt bald darauf den Auftrag, die Reliefs mit jenen Darstellungen auszuführen. Die alternde Hand des Bertoldo oder der Lokalpatriotismus der Padu- aner mag diese Zurückweisung verschuldet haben.

5) Gualandi, Nuova raccolta di lettere sulla pittura, scultura et architettura . . ., Bologna, 1844, I, S. 14. (Brief vom 29. Juli.) Milanesi e Pini a. a. O.

6) Aus dem Anfange des Briefes können wir, nebstbei bemerkt, den Schluß ziehen, Bertoldo sei, wie ja zu erwarten, auch in den Lehren der Perspektive bewandert gewesen und der Architektur nicht ferne gestanden. Denn er schreibt : „In questo punto ho getta^o via ceselli, iscarpelli seste, siquadra, cera, fuscelli, architettura, prospettiva..." Neben den Gegenständen, die den Ziseleur und Bildhauer anzeigen, liest man also auch von Baukunst und Perspektive.

7) Gonzatti, a. a. O.

1*

Im Jahre 1485 wird Bertoldo im Gefolge des Lorenzo Magnifico bei Gelegenheit einer Reise nadi Morba erwähnt.»)

Alt geworden, wird der Künstler vom Mediceer versorgt, der ihn zum Aufseher der Kunstsammlungen im Garten bei San Marco und zum Lehrer der jungen Talente madit, die er in jenem Garten») her- anbilden lieg. Dort hat auch der junge Michelangelo die Lehren des Bertoldo vernommen. ^o)

Gegen Ende von 1491 stirbt dann der bei seinen Zeitgenossen hoch angesehene Künstler zu Poggio.^i)

Von den Arbeiten Bertoldo's ist uns manches erhalten ge- blieben, das von der Bedeutung des Künstlers Zeugnis ablegt. Noch in Zusammenhang Donatello wurde Bertoldo als der Vollender der Kanzelbrüstung von San Lorenzo zu Florenz genannt. Donatello konnte vorgerückten Alters wegen die Arbeit nicht mehr selbst durchführen und überlieB die Vollendung dem Bertoldo. Wohl ist dabei kaum an einen Anteil bezüglidi der Komposition zu denken; Bertoldo dürfte das Werk nur ziseliert haben.12) ,,Rinetatto", sagt Vasari. Ist der Aretiner hier gut unterriditet, so bleibt ein Anteil am Modellieren sehr unwahrsdieinlidi, da es der Zusammenhang ver- langen würde, ihn zu nennen, wenn ein solcher zu nennen gewesen wäre. (Die Ansichten über den Anteil Bertoldo's sind übrigens geteilt. Da& die großen Reliefs an der Kanzel, soweit sie überhaupt aus jener Zeit sind, von Donatello's Hand herstammen, wird nirgends bestritten. Bezüglich der Relieffriese aber, die über den großen Darstellungen

8) A. de Reumont, Lorenzo de' Medici, 2 Auflage, II, 348 (nach De Lungo).

9) Vergl. Vasari, passim. Condivi, Leben des Michelangelo (Eitelberger's Quellenschriften, VI, S. 13). A. de Reumont, Lorenzo de' Medici, 2. Auflage, II, 167 f. E. Müntz, Precurseurs, S. 167 ff. und 187 ff.

10) Es ist nicht unwahrscheinlich, daß der jugendliche Schüler in seinem unvollendet gelassenen Relief mit der Schlacht der Kentauren und Lapithen die Ueberladung mit Figuren seinem Lehrer verdankt, den wir als den Schöpfer eines ähnlich überladenen Reliefs kennen lernen werden. Eine Anlehnung im Einzelnen wird sich wohl kaum nachweisen lassen.

11) Gegenüber der Angabe des Briefes, den ich eingangs erwähnt habe, kann man sich einer abweichenden Angabe des Todesdatums als September 1492 gegenüber nur sehr reserviert verhalten. Heiss a. a. O. schreibt: Suivant une note de M. G. Milanesi, qui nous a ete communiquee par M. A. Armand, Bertoldo etait fils de Giovanni et serait mort au Poggio a Cajano, maison de campagne des Medicis pres de Florence en septembre 1492.

12) Zu diesem Schlüsse kommt auch H. v. Tschudi in seinem Artikel: Ber- toldo, für das Julius Meyer'sche „Neue allgemeine Künstlerlexikon". Tschudi erinnert auch daran, daß am Friese der Kanzel die Bezeichnung mit dem Namen Donatello angebracht ist.

sich hinziehen und die, flankiert von Gruppen mit Rossebändigern, anmutige Spiele nackter Kinder zur Darstellung bringen, wurde die Ansicht geäußert, dajs hier Bertoldo's antikisierender Gedankenkreis zu erkennen sei, und daB man eine der Stellen bei Vasari dahin zu deuten hätte, Bertoldo sei der Schöpfer jener Friese.^») ich meine, daB die spielenden Kinder hier ganz in die Familie der Donatello- sehen Kinder von der Kanzel in Prato und von den Chorschranken in Florenz gehören, daB ferner die Rossebändiger,!^) vielmehr aber noch ihre Pferde mit Bertoldo's sonst beobachtetem Stile nicht in Einklang zu bringen sind. Eine Ro&stirn, die der Länge nach so tief gefurcht ist, wie sie bei einem jener Pferde auf dem Friese vor- kommt, kann ich bei Bertoldo nirgends finden. Die Behandlung des ganzen Reliefs überhaupt stimmt audi nicht mit Bertoldo's Weise überein. Wenn sich im Technischen einzelne auffallende Analogien mit Arbeiten des Bertoldo finden, so kann das nichts beweisen, da ja eine äußerliche Mitarbeiterschaft des Bertoldo niemals geleugnet worden ist. Die Art und Weise der Ziselierung der Haare, z. B. an dem Friese in San Lorenzo, wiederholt sich an den wenigen be- kannten Werken des Bertoldo ziemlidi genau. Solche äugerliche Übereinstimmungen werden vielleicht die Grenze abgeben, wie weit man die Spuren von Bertoldo's Hand in jenen Reliefstreifen ver- muten darf. Ob Bertoldo die Arbeiten für die Kanzel audi gegossen hat oder nicht, kann uns hier ziemlidi gleichgültig sein.)

13) Wickhoff in den Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichts- forschung, III, 418.

14) Bezüglich der Rossebändiger an der Kanzel von San Lorenzo möchte ich hier bemerken, daß Donatello die allgemeine Idee derselben allerdings, wie ver- mutet worden ist, aus Rom mitgebracht haben kann, wo er doch wohl die Gruppen auf dem Monte Cavallo gesehen haben muß; mit diesen zeigen Donatello's Rossebändiger wirklich eine gewisse Verwandtschaft. Indess meine ich, daß es ein dem Donatello viel näher gelegenes antikes Bildwerk gibt, auf das seine Rossebändiger zurückgeführt werden könnten. Florenz besaß seit den Tagen der Römer einen jener zahlreichen Sarkophage, die mit Dioskurendarstellungen flankiert sind. Das ehemals außen beim Dom aufgestellte Werk befindet sich seit Langem im Cortile des Palazzo Riccardi (vergl. Gori, Inscr. antiq., III, Taf. X: Lami, Lezioni di antichitä Toscane, I, S. 142; Dütschke, Antike Bildwerke in Ober- italien, II, Nr. 105). Der rossebändigende Dioskur zur Linken jenes Sarkophages zeigt die auffallendste Uebereinstimmung mit dem Rossebändiger des Donatello an der Kanzel; weniger der Dioskur zur Rechten. Eine allgemeine Uebereinstim- mung liegt übrigens schon darin, einen Reliefstreifen überhaupt mit Figuren von Rossebändigern zu flankieren (ganz ähnliche Dioskuren weist auch ein Sarkophag in Pisa auf. Vergl. Lasinio, Raccolte di sarcofagi, LXVI; Dütschke, a. a. O., I, Nr. 103. Verwandte Darstellungen auf Sarkophagen sind nicht selten). Bertoldo's Bellerophongruppe läßt sich aber auf solche Vorbilder nicht zurückführen.

Als selbständige Arbeit des Bertoldo nennt uns Vasari „una b a 1 1 a g 1 i a in bronzo d'uomini a cavallo molto bella, la quäle e oggi in guardaroba del duca Cosimo". Es kann tieute nidit daran gezweifelt werden, da& Vasari tiier das Relief mit der figurenreidien Darstellung einer Reitersdiladit meint, das man gegenwärtig im Bargello zu bewundern Gelegentieit tiat.i^) Nacti dem zu urteilen, was sicti tieute über Bertoldo's künstlerisctie Tätigkeit ermitteln lä^t, ist das Sdilactitrelief in Florenz der Höhepunkt seines Sdiaffens. Um so anregender ist es, zu wissen, da& dem Bildtiauer bei dieser Arbeit ein antiker Sarkoptiag zum Vorbilde gedient tiat. Eines der jüngsten Hefte des „Neuen allgemeinen Künstlerlexikons" bringt in wenigen Worten die Mitteilung, daB Professor Robert das antike Vorbild für Bertoldo's Werk in einem Sarkoptiage des Campo Santo zu Pisa gefunden tiabe. Nun war es allerdings nictit mehr schwierig, den Sarkophag auch noch näher zu beshmmen, als das in Dütschke's bekanntem Budieiß) unter Nr. 60 angeführte und beschriebene Denk- mal. Die Anordnung des Vorbildes und des späteren Werkes stimmt auffallend überein; das Kostüm ist vielfach abweidiend. Die hier angedeuteten Beziehungen des florentinischen Reliefs zu dem antiken Sarkophag, der sich in arg verstümmeltem Zustande be- findet, ist übrigens für die Kenntnis Bertoldo's von geringerer Widi- tigkeit, als für die Frage nadi der Ergänzung des Sarkophages im Ganzen und einiger fragmenherter Figuren desselben im Einzelnen. DaB Bertoldo's Relief von der Antike beeinfluBt sei, muBte schon aus einigen auffallenden Zügen desselben, z. B. aus der Flankierung des Reliefs mit Victorien, erhellen.!"^)

Als ein vortrefflidies Werk .des Bertoldo ist uns auch die mit dem Namen des Meisters bezeichnete Medaille auf Mahomet 11. erhalten,i8) an die sich zwei von Armand mitgeteilte, bei Hei& ab-

1*) Eine Note in der Le-Monnier'schen Ausgabe des Vasari deutet an, daß sich Stimmen ehemals gegen diese Identifizierung erhoben haben. 16) Antil^e Bildwerke in Oberitalieu, I. Band.

17) Dergleichen war auf antilten Sarkophagen nicht selten. Vergl. unter anderen Matz-Duhn, Antike Bildwerke in Rom Nr. 2220, sowie 2227 und 2228, und Foggini, Museo Capitolino IV, Taf. 23.

18) Vergl. Baldinucci: Delle notizie de' professori del disegno, Florenz, 1768, III, S. 8 6 f.; J. C. W. Moehsen Beschreibung einer Berlinischen Medaillensamm- lung, Berlin und Leipzig, 1773, I, S. 134, kurze Beschreibung der Mahomet- Medaille; Jenaische allgemeine Literaturzeitung vom Jahre 1810, S. VIII; Cicognara, Storia della scultura, 2. Auflage, IV, S. 113 und 133; Perkins, Les sculpteurs

gebildete unbezeichnete Stücke ansdilieBen. Es sind dies eine Medaille auf Leticia Sanuto und ein Revers mit dem Triumph einer Göttin. Wotil dürfte Bertoldo mehrere Schaumünzen als die drei bisher bekannten gegossen haben, da er ja doch „fabricatore (optimo) d i m e d a g 1 i e" genannt wird.i^) Schon 1478 ist in einem Briefe2o) des Medailleurs Guazaloti an Lorenze de' Medici von „quattro medaglie" des Bertoldo die Rede. Kaum ist anzunehmen, daB man hier an vier Exemplare derselben Medaille denken müsse, vielmehr ist es naturgemäB, vier verschiedene Schaumünzen anzu- nehmen. Allerdings bleiben diese erst nachzuweisen. Die Medaille auf Mahomet ist (nach Friedländer) um 1481 entstanden; ihre Be- zeichnung lautet: „Opus Bertoldi Florentini Sculptoris."

Als Arbeiten des Bertoldo aus dem Jahre 1485 werden von Milanesi ohne Quellenangabe zwei Putti aus Holz für den Floren- tiner Dom genannt.2i)

Der Anonymus des Morelli endlich erwähnt ein Werk des Ber- toldo zu Padua in der „Casa de M. Alessandro Capella in borgo zucco". Neben einigen Anhken und einem Gemälde von Montagna wird unter anderem auch folgendes erwähnt:

„Lo bellorophonte de bronzo che riticne el Pegaso, de grandezza d' un piede, tutto ritondo, fu de mano de Bertoldo, ma gettado da Adriano suo discipolo ed e opera nettissima e buona."22}

Courajod hat diesen Bellerophon des Bertoldo mit der hier publizierten Bronze der kaiserlichen Kunstsammlungen idenhfiziert und ist damit gewi^ vollkommen im Redit.23) Denn eine genaue stil-

itaiiens, Paris, 1869, I, S. 191; J. Friedländer, Die italienischen Schaumünzen des XV. Jahrhunderts (Jahrbuch der königlich preußischen Kunstsammlungen, III, S. 33 f., Taf. XXXII); A. Armand, Les medailleurs Italiens des XV^ et XVIe siecles, 2. Auflage (1883), I, 76 f, II, 288; Wickhof, a. a. O., III, 416; A. Heiß, a. a. O. •9) In dem eingangs erwähnten Briefe.

20) Brief vom 11. September 1478 (die Jahreszahl von der Hand Lorenzos beigesetzt); aufgefunden von Herrn Guasti. Guazaloti unterschreibt sich als „canonicus pratensis". Mitgeteilt von Friedländer in den Jahrbüchern der königlich preußischen Kunstsammlungen, II, S. 229.

21) Milanesi a Pini a. a. O. Im Neuen Künstlerlexikon wird erwähnt, daß drei Reliefs der Sammlung Dreyfuß in Paris und eines bei H. v. Beckerath in Berlin ohne überzeugende Begründung dem Bertoldo zugeschrieben worden seien. Vergl. auch Gazette des beaux-arts, 1878, XVIII. Band, S. 588.

22) Vergl. Notizia d'opere di disegno publicata e illustrata da D. Jacopo Morelli, Ausgabe von Frizioni, Bologna, 1884 [und meine eigene Ausgabe von 188S, S. 18].

23) Vergl. Bulletin de la Societe Nationale des Antiquaires de France, 1883, S. 148 f. ; Frizzioni gibt ein falsches Zitat.

kritische Prüfung läBt unsere Gruppe wirklich als ein Werk erkennen, das einerseits mit Bertoldo's bezeidineter Medaille und mit dem Schladitenrelief die gröfete Verwandtschaft zeigt und das anderer- seits auf die Beschreibung beim Anonymus des Morelli genau paBt. Courajod hat mit dem sicheren Auge des belesenen Kenners das Richtige getroffen. Darüber konnte mich eine genaue Untersuchung des Bellerophon belehren, durdi welche eine bisher unbekannte, be- weisende Tatsadie ans Licht kam. Idi werde später auf diesen Punkt zurückkonrtmen.

Vorerst betraditen wir die Gruppe aus der Nähe. (Unsere Ab- bildung gibt eine verkleinerte Ansidit.)

Das Flügelroß ist von Bellerophon am Maule gefaßt worden; es widerstrebt der ungewohnten Hand und bäumt sich gewaltig; aber mit sicherem Griffe weiß der Jüngling seinen Fang festzuhalten. Heftig wirft er den Oberkörper zurück, um dem Vorwärtsdrängen und Aufstreben des Tieres entgegenzuwirken. Überdies sollen Keulenschläge den ungebändigten Hengst zum Gehorsam zwingen. Denn weitaus holt der Held mit einer kurzen wuditigen Keule.

Dies etwa die Situation, die der Künstler zur Darstellung ge- bradit hat. Um das ganze Bild nodi bestimmter zu gestalten, sei erwähnt, daß die Gruppe der Höhe nach 0.33 m, also ungefähr einen Fuß, mißt. Die niedrige Plinthe ist 0.105 lang und 0.25 breit. Der ziemlidi (über 14 Kilogramm) sdiwere Hohlguß zeigt einige ältere Restaurationen. So ist der rechte Vorderfuß des Pegasus am Carpus offenbar einmal gänzlidi abgebrodien gewesen und nachher an der Brudistelle gelötet worden. Dabei hat man die ursprünglidie Lage nidit ganz genau wiedergefunden. An der rediten Seite des Pegasus, in der Lendengegend, findet sidi eine ausgeflickte Stelle, die auf der Abbildung nidit zu sehen ist, weil sie vom rechten Arm des Bellerophontes verded<t wird. Links am Thorax des Rosses ge- wahrt man unsdiwer eine große vierseitige Öffnung; ein kleines Stüd< davon ist auf der Heliogravüre siditbar. Der linke Unter- schenkel des Bellerophon zeigt ein wenig unter der Wadenmusku- latur einen quer verlaufenden Sprung. Abgesehen von diesen kleinen Mängeln ist die Erhaltung der Bronzegruppe eine vorzüg- lidie. Edite dunkle braune Patina ist neben den Resten eines alten Lacküberzuges zu bemerken, durdi dessen ungleichmäßige Erhaltung die Oberflädie hie und da gefleckt aussieht.

8

Bertoldo di Giovanni: Beilerophongruppe im Österreichischen Nationalmuseum zu Wien.

Das Wichtigsie, was an der Figur zu beschreiben ist, dürfte übrigens eine Inschrift sein, die sich in die Unterseite der Phnthe tief eingegraben findet und die folgendermaßen lautet:

EXPRESSIT ME BERThOLDVS . CONFLAVIT HADRIÄNVS'^^)

Diese Inschrift hat wohl schon der Anonimo Morelliano ge- lesen, als die Bronze sich noch in Padua befand. Damals hatte man noch kaum versucht, diese Künstlerinschrift unleserlich zu machen, wie das seither geschehen sein muß.^^) Denn von der ganzen Zeile war, als ich die Gruppe genau zu studieren begann, ein Teil durch überkleben mit Wachs wirklich unleserlich gemacht. Verhältnismäßig deutlidi war nur zu lesen: conflavit Hadrianus. Erst eine (allerdings sehr einfadie) Reinigung^^) der Unterseite ließ die ganze Zeile in ihrer vollen Bedeutung zu Tage treten.

Die Inschrift zerstreut jeden Zweifel an der Autorschaft Ber- toldo's, da ihre äußeren und inneren Merkmale jeden Gedanken an eine Fälschung ausschließen.

Demnach wird die Bellerophongruppe der kaiserlichen Kunst- sammlungen nunmehr neben der bezeichneten Medaille auf Ma- homet II. in erster Linie die Basis für die Beurteilung von Bertoldo's Stil zu bilden haben. Mußte man früher zu diesem Zwed<e neben der Medaille das immerhin beglaubigte, aber nicht bezeichnete Relief einer Reiterschladit benüßen, so versdiiebt sidi das Verhält- nis seit der Entded<ung der Insdirift am Bellerophon in der an- gedeuteten Weise. Dadurch verliert das Relief im Bargello sdiein- bar an Bedeutung, eigentlich gewinnt es aber eine neue Stüße für seine Abstammung von Bertoldo, die man bisher nur im Hinblid< auf Vasari annehmen durfte. Denn die stilistische Übereinstimmung des Bellerophontes mit dem Relief in Florenz ist eine so auffällige, daß sie geradewegs die Vermutung nahelegt, es stammten beide Werke aus derselben Schaffensperiode des Meisters. Der Bellero- phon läßt in seiner Modellierung eine Hand erkennen, die mit Vor-

24) Renaissancemajuskeln, durchschnittlich 6 Millimeter hoch. Minuskel-h nur im Namen Bertholdus.

25) Wohl zu dem Zwecke, um die Gruppe bei Gelegenheit eines Verkaufes als Antike gelten zu lassen.

26) Mit Spiritus Terebinthinae.

9

liebe im Hochrelief arbeitet.27) Der Leib des Helden senkt sidi mehr in die Masse des Pferdes, als dies bei einer vollrund gedachten Skulptur möglich wäre. Als Analogie mit Merkmalen des Reliefs im Bargello führe ich noch an: die Bewaffnung mit einer Keule. Die- selbe haben mehrere Figuren des Reliefs mit der Schlacht aufzu- weisen. Die Proportionen und die lebhafte Bewegung der Figuren geben weitere wichhge Übereinstimmungen, wie denn audi in manchen Einzelnheiten Analogien nidit zu verkennen sind. Auf dem Florenhner Relief ebenso wie an der Bellerophongruppe hat Ber- toldo den Unterkieferwinkel der Pferde so abgerundet, daB sidi als Begrenzung eine Linie ergibt, die einer Kreislinie am nädisten steht und dies in der Weise, daB vom Gelenk bis zum horizontalen Stück etwa ein Halbkreis zur Verwendung kommt. Donatello hat seine Pferde anders gebildet, desgleichen Ghiberti, der an der berühmten Bronzetür des Florentiner Dombaptisteriums seinen Pferden einen Kopf wie den von Ameisenbären gegeben hat. Noch andere Bild- hauer des Quattrocento wieder anders.

Betrachten wir die Bellerophontesgruppe noch einmal für sich, so werden wir audi hier wie im Sdilachtrelief antiken Einfluß ge- wahr, wenngleich es bisher nicht gelungen ist, ein spezielles Vorbild nadizuweisen. Die allgemeine Haltung von Jüngling und Pferd kommt allerdings schon in der griediischen Kunst fast genau so vor, wie an Bertoldo's Gruppe. So zeigt ein dem Lehrer des Pheidias, dem Hegias, ehemals zugeschriebenes Relief, das gegenwärtig im britisdien Museum aufbewahrt wird^s) und das Overbed<29) für ein Grabrelief hält, welches „dem Stile nach mit Hegias sdiwerlich etwas zu tun hat", die allgemeine Attitüd der Figuren fast ganz so wie an der Bellerophongruppe. Ich kann gar nicht daran zweifeln, da6 dem Bertoldo ein Relief ganz ähnlicher Art für seine Bronze zum Vorbild gedient hat.

[Für das Flügelpferd allein könnten audi griechische Münzen in Frage kommen, deren einige solche Pferdefiguren aufweisen. Ver-

27) Schon Courajod hat a, a. O. darauf hingewiesen. Er sagt von der Model- lierung des Bellerophon: „. . . la sculpture de ronde-bosse est traitee comme un travail de hautrelief."

28) Abgebildet bei C. O. Müller: Denkmäler der alten Kunst. (Göttinnen. 1835) I, Taf. XIV.

29 Overbeck, Geschichte der griechischen Plastik, 3. Auflage, I, S. 118, II, S. 365.

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gleiche Museo Borbonico II, Tafel 16, F. Imhof-Bliimer „Griediische Münzen" (Abhandlung der k. bayr. Akad. d. Wissenschaften I. Cl., XVIII. Bd., III. Abteil.) und „Jahreshefte des österr. archäolog. Insti- tuts", VIII. Jahrgang (mit reichlichen Literaturangaben).]

Die Zeit zu bestimmen, wann Bertoldo's Bellerophontes ent- standen ist, dürfte schwierig sein. Wir haben nur in der Tatsache einen Anhaltspunkt, daB sich unsere Bronze im 16. Jahrhundert zu Padua befunden hat. 1483 wird Bertoldo in Verbindung mit jener Stadt genannt, wodurch die Vermutung nahegelegt wird, es hätte der Florentiner Meister die Gruppe damals in Padua geschaffen.

Die Inschrift unserer Bronze nennt neben Bertoldo noch einen zweiten Namen, nämlidi den des GieBers. Er wird Hadrianus genannt. Noch vor kurzem war dieser Name, der schon beim Ano- nimo Morelliano vorkommt, nichts als leerer Schall. Durch die Publikation einer Büste Friedrichs des Weisen, Kurfürsten von Sachsen, welche mit „Adrianus Florentinus" bezeichnet ist,^^) durch den Nachweis der von einem Hadrianus gegossenen Bronze des Bertoldo, sowie durch eine erst im Laufe von 1885 bekannt ge- wordene kleine Skulptur mit Venus und Amor, eine Gruppe, die gleichfalls den Namen Hadrianus trägt,^!) sieht man sich heute in der Lage, an den Namen einige bestimmtere Begriffe von handwerk- licher und künsterischer Tätigkeit zu knüpfen. Dazu kommt, dag Milanesi eine urkundliche Erwähnung des fraglichen Hadrianus auf- gefunden hat, die allerdings hier für uns nur geringes Interesse hat, immerhin aber erwähnt werden muB: der Name Adriano di Giovanni de' Maestri kommt als Zeugenunterschrift auf einer Urkunde von 1499 vor.32)

30 Jahrbuch der königlich preußischen Kunstsammlungen, V, S. 59, 60. Die Büste, von der sich Abgüsse in einigen deutschen Sammlungen finden, ge- hört dem Dresdener Antikenkabinet.

3>) Vergl. Courrier de L'Art, 1885, S. 412 f. Die kleine Gruppe stellt Venus und Amor vor und war aus der Sammlung von J. Sambon zu Mailand 1885 zur Ausstellung von Werken edler Metalle nach Nürnberg geschickt worden. Vergl. auch den „Kunstfreund" (Beiblatt zu den Jahrbüchern der königlich preußischen Kunstsammlungen 1885, S. 286 und 343).

32) Frizzoni's Ausgabe der „Notizia d'opere di disegno" von anonimo Morelliano bringt folgende handschriftliche Notiz Milanesi's zum Abdruck auf Seite 248: „Di questo Adriano nessun altro autore fuori dell' anonimo fa ricordo. lo credo ch'egli sia quell'Adriano di Giovanni de' maestri scultore e maestro di getti, il quäle comparisce come testimone in uno strumento del 24 di Maggie 1499, rogato da Ser Pier Francesco Macalli notaio fiorentino, e fa fede che

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SdilieBlich sei noch erwähnt, dafe sich im Nachweise der Pro- venienz der Bellerophongruppe eine Lücke befindet. Gegenwärtig ist die Bronze in der II. Gruppe der kunsthistorischen Sammlungen des allerhödisten Kaiserhauses aufgestellt.^^) Dahin kam sie im Jahre 1880 aus dem Äntikenkabinett,^^) wo sie früher unter den „Kopien oder Imitationen anhker Werke" geführt Avorden.^s) Die Fragen, wann und woher das interessante Werk des Bertoldo ins Antikenkabinett gelangt ist, bleiben ebenso unbeantwortet, wie die nach den Umständen, unter denen das Werk aus Padua fortge- kommen ist. Trofedem kann, nach alledem zu schHegen, was oben vorgebracht worden ist, nicht im mindesten daran gezweifelt werden, daB die gegenwärhg im Besife des allerhöchsten Kaiserhauses be- findliche Bronze idenhsdi ist mit der, die sich im 16. Jahrhundert zu Padua bei Älessandro Capella befand.

Buonaccorso di Vittorio Ghiberti stette due anni e piü a servigi del Signor Virginio Orsino come ingegnere e maestro di artiglierie e di muraglie, e che si parti da lui del mese di giugno 1488."

33) ]Das war also damals, als die erste Veröffentlichung geschah, im unteren Belvedere in der sog. Ambrasersammlung. Seither ist die wertvolle Bronze ins neue Hofmuseum, jetzt Nationalmuseum, geschafft worden. Eine Abbildung und Besprechung mit Hinweisen auf die neue Literatur, finden sich bei Jul. v. Schlosser : „Werke der Kleinplastik in der Skulpturensammlung des a. h. K. h." (1910) Bd. I, Nr. I. Dazu auch noch Thieme und Beckers Künsterlexikon bei: Adrianus und Bertoldo. Vor wenigen Jahren ist fürs Museum der bildenden Künste zu Buda- pest eine Bertoldo'sche Bronze „Raub der Europa" erworben worden [vergl. „Kunst und Kunstgewerbe" 1917, S. 3^2.]

34) Laut Nachtragsinventar der II. Gruppe (Nr. 199a).

35) Vergl. Kenner und Sacken, Die Sammlungen des k. k. Münz- und Antiken- kabinetes, Wien 1866, S. 481.

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Die Terrakottabüsten des Alessandro Vittoria im Osterreidiisdien Museum für Kunst und

Industrie.*^

Der allgemeine Eindruck, den man von venezianischer Plastik empfängt, ist nidit unwesentlidi beeinflu|t durch die Werke des Alessandro Vittoria. Nadi den Namen eines Bartolomeo Buon, der Bregni, Lombardi, eines Alessandro Leopardi, Jacopo Sansovino, ist es stets auch der des Vittoria, der uns in den Sinn kommt, wenn von venezianischer Skulptur der besten Zeiten die Rede ist. Vittoria war ein langlebiger, fruditbarer Künstler. Wie zahlreidi audi die Werke sind, deren Verlust wir zu beklagen haben, so sind deren doch so viele, besonders in Venedig, erhalten, dafe man ihnen geradewegs auf Sdiritt und Tritt begegnet. Wir schlendern unter den Arkaden der Libreria vecchia und sind bald die zwei weiblidien Karyatiden gewahr geworden, die den Haupteingang betonen. Das Monogramm auf dem Gürtel der einen belehrt uns darüber, daß die ältere vene- zianische Ortsliteratur Recht hat, die beiden vornehmen Figuren als Arbeiten Vittoria's zu verzeichnen. Die Pradittreppe hinaufsteigend, klingt uns Vittoria's Name wieder aus den Stukkodekorationen ent- gegen. Wir wenden uns zum Dogenpalast. Vittoria hat einen ge- wissen Anteil an den beiden „Giganti", Mars und Neptun, die der herrlidien Freitreppe ihr majestätisches Ansehen verleihen. Die Ornamentik der Scala d'oro ist wieder Vittoria's Werk, dessen Name auch sonst mit dem Dogenpalast verknüpft ist. Im Antikenmuseum oben erinnern wir uns ferner wieder an Vittoria, der mit einiger Frei- heit viele der Statuen restauriert hat. Als nämlich Vincenzo Sca- mozzi den Vorsal der Libreria vecdiia (eines Meisterwerkes Sanso-

*) Erstdruck in den „Mitteilungen des k. k. österr. Museums für Kunst- und Industrie" (Wien, 1896, Septemberheft. Die alte Ueberschrift noch mit dem ,k. k.")

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vinesker Kunst) zu einem Antikenmuseum umgestaltete, in weldiem die Skulpturen aus den Grimani'sdien Schenkungen aufgestellt werden sollten, es war um 1592 restaurierte (nadi Temanza's Angabe) Alessandro Vittoria den Inhalt dieses neuen Museums, der späterhin bekanntlidi in den Dogenpalast gebracht wurde.^e)

Zu den auffallendsten Werken Vitloria's im Dogenpalast ge- hören die drei Figuren über der Tür, die vom Anticollegio zum Col- leggio führt. Es sind signierte, durch Michelangelo beeinflulte Werke, die aber froh der Signatur von Moschini verkannt worden sind.37)

Dann kommen noch die vielen Werke unseres Künstlers in Be- tracht, die sich in den Kirchen Venedigs erhalten haben: der groBe Hieronymus bei den Frari Cphotographiert, auch abgebildet bei Temanza-Mosdiini und Yriarte: Venise); der wenig kleinere kniende Heilige in San Giovanni e Paolo, wohin er aus der Scuola di San Gerolamo gebracht worden ist; der Titelheilige an der Fassade von San Zaccaria, das Selbstmonument und die Statuetten auf den

36) Vergl. Temanza : Vita di Vincenzio Scamozzi Vicentino architto (Venedig 1770), S. XXIi, und Valentinelli: Marmi scolpiti nel Museo archeologico della Marciana die Venezia (1866), S. XII ff. Zu Vittoria's Anteil an den Giganti vergl. besonders die Urkunde bei G. B. Lorenzi: Monumenti per servire alla storia del palazzo ducale di Venezia I (1868), Lett. D. E. 939 (S. 482). Aus einer Urkunde von 1572 geht hervor, daß neben dem Hauptmeister Jacopo Sansovino hier auch die Bildhauer Domenico da Salö und Battista di Bernardin, ganz ab- gesehen von einigen Steinmetzen, einen gewissen Anteil an der Arbeit haben. Gedanken und Modelle waren aber wohl von Jacopo Sansovino allein, der seinen Namen auf die Plinthen setzte. Zu den Stucchi an der Scala d'oro vergl. Fran- cesco Zanotto: 11 palazzo ducale II (1858), S. 3 ff. und 6, sowie Temanza: Vita di Jacopo Sansovino, S. 42. Für die meisten der genannten Leistungen Vittoria's ist nachzulesen bei E. Cicogna in den „Iscrizioni veneziane" (nach den Registern), ferner in der „Vita di Alessandro Vittoria scritta e publicata da Tommaso Temanza ora riprodotta con note ed emende" (von Moschini). Venedig 1827 (wird hier zitiert als Temanza-Moschini) auch in der „Biblioteca Trentina" (1858), „Vita di Alessandro Vittoria . . composta dal Conte Benedetto dei Giovanelli e rifusa e accresciuta da Tommaso Gar" (hier zitiert als Giovanelli und Gar). Zu den Stucchi in der Libreria vecchia vergl. Francesco Sansovino: „Venezia, cittä nobi- lissima . . . descritta" (1581), Bl. Ii4a. Die Karyatiden an der Libreria vecchia bedeuten nach Sansovino „Fatica" und „Leggiadria". Beide Figuren waren schon 1553 bestellt. Vergl. Giovanelli und Gar, S. 119 (beweisende Brief stelle). Daß jedesmal auch die guten Führer durch Venedig, besonders die Guida von Moschini, aufzuschlagen sind, halte ich für selbstverständlich.

37) Moschini: Guida per la cittä di Venezzia I (1815), S. 417, nennt wenigstens hier Vittoria's Namen nicht und scheint die Figuren auf den Monogrammisten „B L F' (wohl B I F) zu beziehen, dessen Zeichen an der Architektur vorkommt. Später, 1827, wieder richtig eingereiht bei Temanza-Moschini.

Weihwasserbecken in derselben Kirche, eine Büste und Putten- figuren in Sant' Antonio, die Heiligenfiguren in San Salvadore, die Grimanibüste in San Sebastiano, allerlei Skulpturen in San Giuliano, die höchst gelungenen Sansovinesken-Gestalten auf einem Altar in San Francesco della vigna, wo auch die Statuetten der beiden Weihwasserbecken Vittoria's Signatur aufweisen; endlich eine Jakobsstatue in San Giacomo di Rialto, der ehrwürdigsten Kirche Venedigs. -- Keine Aufzählung dies, sondern nur Beispiele, aus der Masse herausgegriffen, die mir besonders charakteristisch er- scheinen und mir noch fest im Gedächtnis haften. Dabei möchte ich die Bemerkung nicht versäumen, da& es recht nüfelich wäre, vom Stande der neuesten Kunstgeschichte aus doch das ganze erhaltene Material über Vittoria gelegentlich zusammenzufassen und reich illustriert zu veröffentlichen. Ist doch auch außerhalb der Kirchen Venedigs, ja außerhalb Venedigs selbst gar vieles von Vittoria's Werken erhalten. Das Correr'sche Museum (Museo civico) besifet zwei dunkel bestrichene Terrakottabüsten, deren eine, die Rangone- büste, signiert ist (AL. VICT. F.)^«) In demselben Museum verwahrt man die Reste des Kandelabers aus der Capella dell' Rosario, der angeblich auf Vittoria zurückgehest} Im Besifee der Academia zu Venedig kennt man eine Porträtbüste von Vittoria's Hand.^o) Eine lange Reihe von Büsten, die ihm oder seiner Schule angehören und die sich im venezianisdien Privatbesife oder im Kunsthandel be- fanden, nennt Cicogna in seinem großen Werke über venezianisdie Inschriften.

Was anderswo von Vittoria's Werken erhalten ist, sei hier eben- falls nur angedeutet. Zu Vicenza hat Vittoria eine reidie Tätigkeit entfaltet. In Padua sieht man von ihm im Santo das Contarini- denkmal (das an der Plinthe, auf der die Sklavenfiguren stehen, signiert ist). Andere Arbeiten enthält die Villa Maser bei Treviso. wieder anderes anderswo in Museen, z. B. in Berlin. Allzuwenig beaditet ist die Büste des Laurentius Capello senior, welche eine

38) Nr. 7 der Guida von 1881 (S. 56), Nach Lazzari's Angabe ist auch die zweite, die Venierbüste, signiert. Vergl. „Notizia delle opere d'arte . . della Raccolta Correr« (1859), S. 270.

39) Vergl. Repertorium für Kunstwissenschaft IV, S. 202.

40) [Vergl. „Le Gallerie nazionali italiane", V (1902), S. 80 ff. Dort sind zwei Büsten aus den Sammlungen der Academia abgebildet.l

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Hauptsehenswürdigkeit der Sammlung in der Kommunalbibliottiek in Trient bildet.^i)

[Die lebensgroBe Büste des vornetimen Venezianers im Museo cristiano zu Brescia von 1569 wurde zwar schon sehr oft erwähnt, ist aber erst 1911 photographiert worden. Ich fand darauf die Jahres- zahl „MDLXIX" und nodi das „F" (Fecit) und Schriftreste, die auf den Namen des Dargestellten zu beziehen sind. Im selben Museum eine stark verstümmelte Christusfigur von AI. Vittoria. ]

Als A r ch i t e k t ist Vittoria niemals in den Vordergrund ge- treten, obwohl er einen Anteil an der Fassade von San Giuliano hat und obwohl ihm die Überlieferung die Capella dell' Rosario, die Scuola di San Gerolamo und den Palazzo Balbi zuschreibt. Er war auch Ardiitekt der Scuola di San Fantino (später Sife des Ateneo) nadi Fr. Zanotto „II palazzo ducale" IV, S. 281.

Als Maler ist er nur durch einige nachgelassene Bilder be- kannt, die längst versdiollen sind. Sogar Vittoria's Medaillen verschwinden neben gleichzeitigen italienischen Arbeiten. ^2) Nicht also seine großen plastisdien Werke. Und dag die Hauptbedeutung Vittoria's in seinen lebensgroßen Porträtbüsten liegt, ist längst

41) Etwas über lebensgroße Marmorbüste. Signiert: „ALEXANDIR VICTORIA F •" (I statt E in Alexander). Scheint eine der spätesten Arbeiten des Künstlers

zu sein. Die Büste in Trient stammt aus der Ca Capello in Venedig bei Sta. Maria Formosa, wurde 1830 vom Canonicus Moschini gekauft und dann der Stadt Trient zum Geschenk gemacht. Vergl. Cicogna: Iscrizione venez. III, S. 513, wo auch noch zitiert wird der „messaggier Tirolese" vom Dezember 1830 und als secundär die „Gazetta privilegiata". Zusammenfassend ist die Stelle bei Giovanelli und Gar, S. 94. Die Büste soll 1599 gearbeitet sein; [seither abgebildet u. a. in dem Werk: „Die österr. Monarchie in Wort und Bild", Tirol S. 475.1 Zum Contarinidenkmal in Padua s. Gonzati: La basilica di Sant' Antonio di Padova 1852/53, II, 184 ff,, unci Cicognara: Storia della scultura (Abbildung der zwei Sklaven). Zu den Arbeiten in Vicenza vergl. neben Temanza-Moschini u. a. auch Temanza : Vita di Andr. Palladio, S. X und LI f., zu denen in der Villa Maser „l'art" (Bd. I) und Yriarte ,La vie d'un patricien de Venise au seizieme siede", (1874), S. 149 ff, Yriarte „Venise" (1874), S. 123 ff.; secundär Pietro Caliari : Paolo Veronese (1888), S. 78 f. Bei Giovanelli und Gar (S. 33) ein allge- meiner Hinweis auf Algarotti's Schriften. Zu den Werken Vittoria's in Berlin vergl. Waagen im „Kunstblatt" 1846, S. 257, -Nagler's Lexikon und Bode's „Ita- lienische Plastik" (eines der Handbücher der Königl. Museen zu Berlin), S. 165.

42) Vergl. Tom. Temanza: Vita di Jacopo Sansovino (1752), S. 40. Temanza geht auf Urkunden zurück. Siehe auch Temanza-Moschini und Giovanelli und Gar. Das Nachlaßverzeichnis zählt mehrere Gemälde auf als Werke Vittoria's. Ueber die Medaillen vergl. neben einigen Erwähnungen in der älteren Literatur (z. B. bei Temanza-Moschini, S. 13 f., 54 und Giovanelli und Gar, S. 92 und 106) hauptsächlich Heiß: Les medailleurs de la renaissance (Venezianer 1887). [Ferner Armand: Medailleurs, ital. Hauptartikel und Supplement.l

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ALessandro Vittoria : Terrakottabüste im Österreichischen Museum für Kunst und Industrie zu Wien.

erkannt und ausgesprochen worden. Schon Vasari sagt, Vittoria sei „rarissimo ne' ritratti di marmo" und in neuerer Zeit nannte Yriarte unseren Künstler als Porträtisten unnachahmlich.^») Die Veröffent- lichung der B i 1 d n i s b ü s t e n, die sich seit 1866 im Besife des OsterreichischenMuseumsfürKunstundlndustrie befinden, 44) wird also vielleicht willkommen sein. Noch dazu ge- hören sie zweifellos zu den besten Arbeiten des Künstlers. Endlich sind zwei derselben hier in Wien die einzigen inschriftlich be- glaubigten Werke des Vittoria. Die Büste des Arztes Fracastoro im Hofmuseum wird zwar mit guter Begründung unserem Künstler zu- geschrieben, entbehrt aber einer Signatur oder einer urkundlichen Beglaubigung. 45)

Die drei Terrakottabüsten, die hier zum ersten Male abgebildet werden, sind folgende: 1. Die Büste einer jungen Dame von vollen Formen. Die Dargestellte mag ungefähr 30 Jahre alt gewesen sein, als sie Vittoria modellierte. Gewandung antikisierend. Tracht der Haare venezianisch. Die Stirn von Ringelchen umgeben, die beider- seits hodi aufsteigen, über dem Hinterhaupte ein bescheidener Knoten aus Zöpfen. Auf der Kehrseite am Schnitt der linken Sdiulter die vertiefte Inschrift „^ ALEXAN v VICTORIA ^ F ^" von unten beginnend, in einer Zeile aufsteigend. Die Basis ist vorne in Form einer Kartusche gebildet, deren breiter Rand oben und unten parallel verläuft und seitlich S-förmig gekrümmt ist. Höhe bei 0.79.

2. Büste eines jungen Mannes, der etwa 20 Jahre zählen dürfte. Der Harnisch, den er trägt, wird zum Teil von einem did<faltigen Mantel bedeckt, welchen über der rediten Schulter eine Agraffe mit dickem, pyramidenartigem Knopfe festhält (als „grossa bordiia" wird eine solche Agraffe im Italienischen bezeichnet). Kurzes Haar. Am Sdinitte der rechten Sdiulter bezeichnet: „^ A v V v F ^ ", in ver- tiefter Sdirift, die oben beginnt. Kartusche wie bei 1, aber bei un- gefähr gleicher Breite etwas höher.

43) Vergl. Clcognara's: ,Storia della scultura' und die meisten zusammen- fassenden Abschnitte in den Kompendien bis lierauf zu Jak. Burckhardt's „Cicerone" vergl. auch Vasari im Leben des Jacopo Sansovino und Yriarte's „Venise" (1878), S. 130.

44) Nach gütiger Mitteilung des Herrn Kustos [jetzt Regierungsrats] Fr. Ritter sind sie 1866 im Inventar eingetragen als : Büsten aus Terrakotta von AI. Vittoria zu dem Ankaufspreise von je 400 fl. in Silber.

45) Veröffentlicht im „Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des A. H. Kaiserhauses", Bd. V.

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3. Büste einer Matrone. Realistisch aufgefaßte Gewandung. Kleid mit Krausen am Kragen und an den Sctiultern. Das Leibchen (wohl Mieder) ist vorne mittels einer Reihe von verzierten Knöpfen gesdilossen, die man sich vermutlich als schwere Goldknöpfe vor- zustellen hat (als „grossi bottoni d'oro", wie sie z. B. bei Francesco Sansovino, 1581, erwähnt werden}.^«) Der Witwenschleier ist nicht zu übersehen. Die Kartusche vorn an der Basis ist hier etwas niedriger als bei den zwei anderen Büsten und unterscheidet sidi von den Kartuschen bei 1 und 2 auch dadurch, daß in ihr Feld ein wenig erhobenes Trapez eingefügt ist, weldies in einiger Entfernung die innere Begrenzungslinie der Umrahmung im allgemeinen wieder- holt. Ohne Signatur. - Höhe 0.80.

Trob der kleinen Abweichung im Ornament an der Basis ist doch die Stilverwandtsdiaft dieser nidit signierten Büste mit anderen signierten Arbeiten des Vittoria eine so auffallende, daß zu irgend welchen Zweifeln an der überlieferten Benennung hier keinerlei Grund vorliegt.

Die Tradition bezeidmet alle drei Büsten als Werke des Ales- sandro Vittoria und nennt die Dargestellten im allgemeinen Mit- glieder der venezianisdien Familie Zorzi (Giorgi). Diese Überliefe- rung, zusammengehalten mit einer Stelle, die ich bei Giovanelli und Gar finde, führt denn audi zu einer sicheren Angabe über die Her- kunft der Büsten. Gar teilt in einem Anhang zu seiner Vittoria- Biographie einiges mit, das ihm von Vincenzo Lazzari und

E. Cicogna als Beitrag zu seiner Arbeit gesdirieben worden war. Wie es scheint, ist es Cicogna, der folgende Mitteilungen macht: „Ich habe im verflossenen jähre 1854 drei Terrakottabüsten im Hofe der Casa Carregiani beim Ponte dei Greci am Rivo di San Lorenzo gesehen. Es sind zwei weiblidie und eine männlidie (Büste). Auf einer der zwei (weiblidien) finden sidi die Worte ALEX. VICTORIA.

F. wie gewöhnlidi (bei Vittoria) auf dem Schnittstreifen. Die männ- lidie Büste trägt Vittoria's Monogramm A. V. F. ebenfalls an der Rückseite. Dieser Palast, der jefet Carregiani hei&t, gehörte zur Zeit des Vittoria der Familie Zorzi oder Giorgi. Es ist also wahrschein- lidi, daß die drei Büsten Persönlicheiten aus der Casa Zorzi dar- stellen." Dazu kommt nodi, daß Temanza-Mosdiini, ohne diese

■•6) Vergl. Venezia cittä nobiliss. descritta, Bl. lo2a.

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Büsten ausdrücklich zu nennen, den Viitoria mit der Stukko- dekoration des Palazzo Zorzi in Verbindung bringen.^?) Cicogna und Lazzari sind die besten Gewätirsmänner, die man sich denken kann.

Wir können also nach dem Mitgeteilten nunmehr nicht zweifeln, da& die drei Büsten, die 1866 im Osterr. Museum für Kunst und Industrie auftauchen, dieselben sind, die von einem kritischen Be- obachter 1854 noch an dem Ort ihrer Bestimmung in Venedig, im Palazzo Giorgi-Carregiani gesehen worden sind. Die geringe Ab- weichung in der Angabe der Signatur: ALEX statt ALEXAN und das Fehlen einiger Punkte können in einer brieflichen Mitteilung dodi nicht als bedeutend angenommen werden. Die Dargestellten näher zu bezeichnen, als es oben geschehen ist, war bisher nicht möglich, da die Büsten nicht datiert sind und sich nur vermutungsweise in die Zeit um 1570 versehen lassen.^») [Ich gebe weiter unten wohl be- gründete Vermutungen, die auf dem Studium der Stammbäume der ganzen Verwandtschaft fu&en.l Am frühesten scheint die männlidie Büste entstanden zu sein, die oben als 2 beschrieben wurde. Die Falten sind sorgfältiger behandelt, als es mir an den späteren Arbeiten Vittoria's erinnerlich ist. Deshalb möchte ich auch das Porträt der Matrone, das in der Gewandung eine gewisse Manieriert- heit nicht verleugnen kann, nicht wenig später ansehen. Auch scheint mir einerseits die hohe Kartusche auf frühere, andererseits die niedrige auf spätere Entstehungszeit hinzudeuten. Indes ist hier wohl ein sicheres Urteil nicht eher zu fällen, bis nicht längere Reihen von Abbildungen, als man sie jebt hat, zur Vergleichung vorliegen.

Die Herren Kustoden j. Folnesics und Fr. Ritter machten mich auf Spuren von Vergoldung aufmerksam, die sidi an den beschriebenen Büsten vorfinden. So gering diese Spuren auch sind, so unzweifel- haft ist doch ihr wirkliches Vorhandensein. Goldspuren sah idi am deutlichsten in den Achselhöhlen, im linken Ohr und nahe dabei im Haare der Büste des jungen Mannes. Auf der Matronenbüste sind

'^^ Temanza-MoschinJ, S. 25 und Register.

4«) Eine ebenfalls negative Auskunft über die Persönlichkeiten, die hier von Vittoria dargestellt sind, erhalte ich durch die Direktion der Markusbibliothek in Venedig, wo man so freundlich war, nach den Zorzis um 1570 nachzusuchen. Ich ergreife die Gelegenheit, um dem genannten Institut für die gütige Bemühung bestens zu danken.

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über dem rechten Ohr Spuren von Gold nachzuweisen. Die Reste von roter Grundierung, die sich z. B. in einer I^urche des Harnisches bei 2 und in einem Löd^chen bei 1 finden, dürften als Poliment, als die Unterlage für die Vergoldung zu deuten sein.

Im Vorübergehen sei noch auf einige Sdiäden hingewiesen, die an den Büsten auffallen: an 1 fehlt eine groBe Falte, die von der rechten Schulter schief gegen die Mittellinie herabreichte; an 2 ist eine lange, von der Agraffe absteigende Falte weggebrochen. An der Brudiflädie gewahrt man Reste einer dunklen Klebemasse, die darauf schlieBen lassen, dag das Fehlende sdion einmal aufgeklebt und dann neuerlich abgebrodien worden ist; 3 ist am wenigsten gut erhalten. Es fehlen zahlreidie Stücke des Schleierrandes rechts, ein gro&es Stüdk der Krause an der linken Schulter und der Kragen an der linken Halsseite.

Die Literatur hat die drei Terrakottabüsten in Wien bisher nur gestreift. Eine flüditige Erwätinung wurde ihnen 1883 zuteil in den Mitteilungen des Museums*^) und später im fünften Bande des Jahr- buches der Kunsthistorischen Sammlungen des allerhöchsten Kaiser- hauses.50)

Von den Angaben in den Katalogen und Führern des Osterr. Museums für Kunst und Industrie ist jene von Belang, die sich in der dritten Ausgabe des Kataloges (also im Katalog vom April 1866) finden. Mit der Nummer 2836 (früher 2407) ist dort die Büste des jungen Kriegers „aus der Familie Zorzi" verzeidinet, mit Nr. 2837 (früher 2408) die Büste der Dame, die oben als erstes Stüd< be- schrieben ist, und mit Nr. 2838 (früher 2406) die Büste der Matrone. Auch den weiblidien Büsten ist ein Hinweis auf die Familie Zorzi beigegeben.

In dem genannten Kataloge werden dem Vittoria noch zwei weitere Büsten zugesdirieben (Nr. 2839 und 2840). Eine derselben, Nr. 2839 (früher 2548), nähert sidi allerdings dem Stil des Vittoria, ohne aber als Werk desselben zu überzeugen. Neben Vittoria sdiufen in Venedig nidit wenige andere Schüler Sansovino's und

49) S. 490. Sie sind in einem Berichte über die Spitzer'schen Bronzen mit einer früher fallenden Büste der weiland Sammlung Spitzer in eine allgemeine Verbindung gebracht worden. In demselben Berichte auf derselben Seite hätte ich eine (nicht auf Vittoria bezügliche) Verbesserung anzubringen, nämlich, statt der irrigen Benennung „Bollano", Bellano.

50) S. 63 f .

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auch Schüler des Vittoria selbst, die alle von der Kunstgeschichte etwas stiefmütterlich behandelt werden. Ich möchte es heute noch vermeiden, hier einen bestimmten Namen zu nennen. Die lefete (Nr. 2840, früher 2547) gehört nicht einmal dem Kreise des Vittoria an. Die Büsten aber, die hier abgebildet und beschrieben sind, ge- hören zweifellos zu den echten Arbeiten von Vittoria's Hand.

[Während eines langen Aufenthaltes in Venedig 1897 gelang es mir, die Spur zu verfolgen, die mit der Überlieferung des Namens Zorzi gegeben war. Ich suchte die verschiedenen Palazzi Zorzi auf und fand schließlich den richtigen, nämlich den Palazzo Zorzi- L i a s s i d i (früher Carregiani), den Fondamenta di San Lorenzo gegenüber, denselben Palast, wo Cicogna die Büsten noch gesehen hat. Denn seine prächtige Schauseite liegt am Rio dei Greci. Der Landeingang befindet sich ungefähr der Kirche S. Giorgio dei Greci gegenüber in der Calle della Madonna. Von dort aus gelangt man in den Hof und zu einem geräumigen Portego aus dem 16. Jahr- hundert, der freilich neuere Zutaten, wie z. B. eine hohe Vertäfelung enthält. An der langen Hinterwand dieses Porticus wird man drei Konsole gewahr, auf denen lebensgroße Büsten standen, neue Ab- güsse, ich weiß nicht nach weldien älteren Arbeiten. Auf diesen alten Konsolen müssen früher die drei Büsten ge- standen haben, die seit 1866 dem Osterr. Museum für Kunst und Industrie gehören. Dr. Gustav Ludwig, der bekannte Kunst- forscher, der damals in Venedig lebte, ließ den Portego durdi Tom. Filippi photographieren und besorgte mir noch die Stamm- bäume der Zorzi und ihrer nächsten Verwandten mit jener Aus- dauer und jenem Fleiß, die ihm eigen waren.

Der erwähnte Palazzo Zorzi (jefet Liassidi) gehörte sdion dem meist hervorragenden Mitglied der Familie, dem Alvise Giorgi (Zorzi), der eine Menge hoher Würden der Reihe nach bekleidete. 1570 war er als Proveditor generale nach Corfü gesendet worden zur Verteidigung der Insel gegen die Türken. 1576 hatte er dann eine hohe Stellung im Dogenpalast inne. Andere Würden reihten sidi an. 1586 war er eine Hauptperson bei der Erriditung der Rialto- brüd<e. Diesem also gehörte der Palast am Rio San Lorenzo, bzw. den Fondamenta San Lorenzo gegenüber. Seine Lebenszeit (1515 bis 1593) kommt nahe heran an die des Alessandro Vittoria (1524 bis 1608), doch ist es klar, daß der Künstler noch nicht reif gewesen, als

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Alvise Zorzi sein Jünglingsalter schon voll erreicht hatte. Die Jung- lingsbüste von Vittoria scheint ja einen jungen Menschen von etwa zwanzig bis fünfundzwanzig Jahren darzustellen. Alvise Zorzi war 1535 zwanzig Jahre alt, als Vittoria noch ein Knäblein von zehn Jahren gewesen. Dieser Zorzi ist also nicht dargestellt. Aber er wird wohl der Auftraggeber gewesen sein, der weit später bei Alessandro Vittoria die Büste eines Sohnes bestellte. In der Jünglingsbüste haben wir vielleicht den ältesten Sohn des Alvise vor uns, der Benedetto hieß, 1555 geboren und 1601 gestorben ist. über sein Leben dürfte nidit viel mehr bekannt sein, als daß er venezianischer Senator und Philosoph war. Er blieb un- verehlicht. Denkbar wäre es audi, da| der Zweitälteste Sohn, Antonio Zorzi dargestellt wäre. Er lebte von 1558 bis 1599 und heiratete 1578 I s a b e 1 1 a di Bernardo Zane. Vielleidit ist diese Isabella die junge Frau, deren Ebenbild uns in einer der be- sdiriebenen Büsten erhalten ist. Die ältere Frau könnte Benedettos und Antonios Mutter sein, die 1543 Gemahlin des Alvise Zorzi geworden war und diesem noch 1562 einen dritten Sohn (Francesco) gebar. Redinet man mit der wahrsdieinlidien Entstehungszeit der Jünglingsbüste: um 1570, so erscheint zunächst ausgesdilossen, daB die Vittoriabüste diesen Francesco Zorzi darstelle, der erst 1562 ge- boren wurde.) Dann aber könnte die dargestellte Matrone auch die Toditer des alten Benedetto Zorzi sein (dieser starb 1527), die den Francesco Midiiel (Micheli) 1530 geheiratet hatte. Dieser Michiel lebte von 1517 und starb sdion 1558.

So sind denn immerhin einige Erkenntnisse gewonnen worden. Beim Ankauf der Büsten erfuhr man nur, dag sie Personen aus der Familie Zorzi darstellen. Dann konnte idi aus Giovanelli und Gar nadiweisen, da6 sie ehedem im Palazzo Zorzi aufgestellt waren. Nun handelte es sich um das Auffinden des riditigen Palazzo Zorzi. Audi dieser wurde gefunden und die Stammbäume verhalfen zu Vermutungen über die Namen der Dargestellten.

tlber Alessandro Vittoria ist seit meiner ersten Veröffentlidiung der Büsten sehr viel gesdirieben worden, namentlich aus Anlafe der Jubelfeier von 1908. Neue Bücher und Aufsähe in Zeitschriften liegen vor. Dodi wiederhole idi meine alte Arbeit, um sie als Erst- veröffentlichung aus früherer Zeit festzulegen und ihr meine Er- gänzungen zu den Zorzi-Büsten beizugeben.]

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Eine Skulptur nach Vesals Anatomie»

Im Saale XXII des neuen Hofmuseums ist als Nr. 15 der Vitrine X eine metir als spannlange Figur aus Kehlheimer Stein aufgestellt, die einigermaBen durdi itire Gestaltung auffällt. Ein Skelett von setir realistisctier Formengebung, aber ein Skelett otine natürlidie Bänder, so, wie es die Anatomen seit Jahrtiunderten zum Unterridit benufeen, stetit an einer Brüstung oder einem Tisch, stufet den Schädel auf die Linke und hebt mit der Rechten einen Apfel empor. Weiter zurüd< bemerkt man dort auch noch einen Apfelzweig und ein Stundenglas. Um den Zweig windet sich eine Schlange. Das linke Bein des Skelettes ist über das rechte geschlagen. Die Figur vor uns, die wie betrachtend dasteht, bedeutet sicher den Tod, da sich an der Hinter- wand der Architektur ein Köcher und ein Pfeil dargestellt finden, die man in dem gegebenen Zusammenhang nur als Attribute des Todes deuten kann. Die vorliegende Notiz hat es übrigens nidit auf eine ikonographische Deutung der Figur abgesehen, sondern auf die Mit- teilung, dag der bildende Künstler seine Figur in Stellung und Haltung einer Abbildung bei Vesal nachge- bildet hat:

In dem bekannten Werk über Anatomie: „De humani corporis fabrica" findet sich (auf Seite 164) eine malerisch aufgefaßte Seiten- ansicht eines Skelettes mit übergeschlagenem linken Bein, mit auf- gestüfetem Sdiädel und mit einer rechten Hand, die nadi etwas greift, was auf dem Tisdie daneben liegt. In diesen Beziehungen herrscht unter beiden Figuren die größte Übereinstimmung. Ein Untersdiied, der zwar von ikonographischer Bedeutung ist, aber gegen die Ent- lehnung nichts beweist, ist der, daß die Rechte des Skeletts bei

*) Erstdruck im „Monatsblatt des Altertums -Vereines zu Wien", Bd. IV, Nr. 10, mit der Ueberschrift „Eine Skulptur nach Vesals Anatomie in den Kunst- sammlungen des allerhöchsten Kaiserhauses". Schluß ein wenig umgearbeitet.

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V e s a 1 einen Sdiädel hält statt des Apfels, den die plastisch aus- geführte Figur aufzuweisen hat. Die Dbereinstimmung dagegen er- strcd<t sidi sogar auf die Profilierung des Tisdies, auf welchen sidi das Skelett aufstüfet.

Mit dem Nachweis dieser Entlehnung wäre eine Zeitgrenze ge- wonnen, vor welcher die Entstehung der Steinfigur nicht zu denken ist. Die Anatomie des Vesal (mit den Abbildungen nach Stefan Calcar's, des Tizianschülers Zeidinungen) ersdiien von 1542 auf 1543 in Basel. Da man nicht gut annehmen kann, dafe etwa die Abbildung bei Vesal nach der Steinfigur gefertigt wäre, hätten wir also für die Entstehung der plastischen Figur als wahrscheinlichen Terminus a quo die Zeit von 1542 auf 1543 anzunehmen. Als Terminus ad quem hat sidi schon bei früheren Erwähnungen^^) der Figur das Jahr 1596 herausgestellt. Die Skulptur ist also fast sidier nadi 1543 und ge- wife vor 1596 entstanden. Dem Stil nadi würde idi sie näher an 1596 sehen als an 1542. Auf die Frage nach dem Künstler der Stein- figur kann vorläufig eine Antwort nidit erteilt werden. Erwähnt sei nur, daB eine vorübergehende Zuschreibung der Skulptur an AI. Collin sidi nidit bewährt hat. Das merkwürdige Stück stammt aus der alten Sammlung des Erzherzogs Ferdinand von Tirol, aus der Ambrasersammlung. Im ältesten Inventar, es ist das von 1596, ist die Figur zwar verzeidinet, doch ohne Nennung eines Künstler- namens, wie folgt: „In ainem sdiwarz ebenen geheüs ein fügur vom Todt, schön ausgesdinitten".ö2}

In der Stiftsammlung zu Göttweig sah idi ein kleines Gemälde, das ebenfalls mittelbar, oder unmittelbar auf Vesals Anatomie zu- rüd<geht und ein Skelett in derselben Stellung vorführt, wie die te- sdiriebene Skulptur. In den Nebensadien zeigt es allerlei Ab- weidiungen. Das Bilddien in Göttweig trägt das Datum 1643, fällt

51) Vergl. die folgenden Fußnoten.

82) Die kleine Literatur, die sich an die Figur knüpft, wurde von mir in den „Beiträgen zu einer Ikonographie des Todes" zusammengestellt (in den „Mit- teilungen der k. k. Zentralkommission für Erhaltung und Erforschung der Kunst- und historischen Denkmale", Neue Folge, Bd. XXI, S. 113 f., S. 144 des Sonder- abdrucks). — Das Ambraser Inventar von 1596 ist abgedruckt im „Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen des a. h. Kais. Hauses", Bd. Vli, Regestenteil. Zur Figur S. CCLXXXVII, Fol. 376 I. Seither wurde die Figur erwähnt im „Führer durch die Sammlung kunstindustrieller Gegenstände im neuen Hofmuseum*. Ferner beschrieben und abgebildet bei Julius v. Schlosser „Werke der Klein- plastik." Bd. I., S. 19 f. und Tafel LI.

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Alessandro Vittoria . Terrakottabiiste im Österreichischen Museum für Kunst und Industrie zu Wien.

also bedeutend später, als die Steinfigur in Wien, nadi der es übrigens nicht kopiert ist. (Kurze Besdireibung otine Hinweis auf Vesal oder auf die Wiener Skulptur in der „Osterr. Kunsttopo- grapliie, Bd. 1 (19071, S. 507, Nr. 12.)

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Ein Besuch Thorwaldsens in Wien/^

Der dänisdie Phidias war mehrere Male, wie es scheint, zweimal in Wien. Im allgemeinen und durdi einige Einzelheilen ist längst der Wiener Aufenthalt im November 1820 bekannt. Der Biograph Thor- waldsens, Thiele, wei& einiges davon zu berichten, da ihm die Tage- budiaufzeidmungen eines Reisebegleiters (Pontoppidan) zur Ver- fügung standen. Da erfahren wir denn, da& der Künstler am Sonn- tag den 5. November in Wien eintraf und im Hotel „Zum Erzherzog Karl" (in der KärntnerstraBe) abstieg, daB er die herrlidien Kunst- sammlungen besudite und „sidi täglidi in höheren Gesellschafts- kreisen zerstreute". Das Theater fesselte ihn, nicht zulefet die Schau- spielerin Stich (später Crelinger) aus Berlin, die damals in Wien gastierte. Er suchte ihre persönliche Bekanntsdiaft zu madien. Nach den Akten im Ardiiv der Akademie der bildenden Künste zu Wien zu schliefeen, wurde er von Vertretern dieser Anstalt in der Zeit vom 9. bis 22. November in die bemerkenswerten Kunstsammlungen und zu den besonderen Sehenswürdigkeiten geleitet. Wie es scheinen will, war dem Künstler damals die Hauptstadt an der Donau nodi verhältnismäßig neu, und wir dürfen vielleidit den Wiener Aufenthalt vom Jahre 1820 als den ersten ansehen. Sicher war es der erste, den er als berühmter Künstler erlebt hat. In den frühen 1840 er Jahren ist von zwei Wiener Aufenthalten Thorwaldsens die Rede, wie das Dr. Ignaz Jeitteles erzählte.^s) Dieser hielt sidi in jenen Jahren gleichzeitig mit dem berühmten Bildhauer in Rom auf und madite nebstbei audi davon Mitteilung, daß Amerling, der Wiener Maler,

*) Erweiterung einer Notiz vom 26. Jänner 1912 in der »Wiener Abendppst". 53) Vergl. Aug. Lewald: „Dr. Ignaz Jeitteles, eine Reise nach Rom" (1844),

S. 289.

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der später so berühmt wurde, in Rom 1842 den dänisdien Künstler porträtiert tiat. Gemeint ist offenbar die Skizze, denn das durcti- gebildete Gemälde trägt die Jahreszahl 1843.5^)

Im Jahre 1820 kam Thorwaldsen vom Norden her nach Wien. Er war aus Rom, wo er ja zumeist tätig gewesen, am 14. Juli 1819 abgereist, um sein eigentliches Vaterland, Dänemark, nach viel- jähriger Abwesenheit wieder aufzusuchen. Sdion hoch berühmt, wurde er in Kopenhagen und auf der Reise durch Deutschland, Polen und Osterreich allenthalben gefeiert. In Troppau, wo er sich drei Tage lang (die Tage um den 1. November) befand, erfreute er sich „fürstlicher Gunst" und „glänzender Zerstreuungen". Dort kam er mit Kaiser Alexander von Rußland in Berührung und Kaiser Franz übertrug ihm dort „die Ausführung eines Monuments zu Ehren des gerade in jenen Tagen zu Leipzig versdiiedenen Fürsten Sdiwarzen- berg und trug ihm auf, für dasselbe einen passenden Plab in einer Kirche Wiens auszuwählen". (Bekanntlich blieb es bei der Skizze. Dieses Monument ist niemals ausgeführt worden.) Von Thorwalsen- schen Büsten des Kaisers Franz erfährt man durdi das Nach- sdilagebuch von F. H. Böckh „Wiens lebende Schriftsteller" (Nach- träge von 1823, S. 111 und 113).

Mit dem Staatskanzler Metternich, dessen Büste Thorwaldsen bereits früher in Rom modeliert hatte, erneuerte er die freundschaft- lichen Beziehungen. Wie wir sogleich sehen werden, gab Metternich den Befehl, dem berühmten Künstler in Wien die Besiditigung der Kunstsachen so bequem als möglidi zu machen. Thorwaldsen war am 2. November (nach Thiele II, S. 46 ff.) aus Troppau abgereist und am 5. November, wir wissen es schon, in Wien angelangt. In den Akten der Wiener Akademie steht nun folgendes, und zwar gebudit als „AuBerorde.itliche Auslagen" des Jahres 1820, „welche zur Be- folgung der von Sr. D(urchlaucht) dem Herrn Curator [es war Fürst Metternichl ausdrüd^Iidi hieher gelangten Befehles, dem däni- schen Herrn Staatsrathe B. Thorwaldsen während seines Aufent-. haltes in Wien die nöthigen Mittel zum Besuche der hiesigen Museen, Galerien und anderer Merkwürdigkeiten auf die angenehmste Weise

54) Genaueres darüber und über die rasche Enstehung des Bildnisses bei L. A. Frank] „Friedr. v. Amerling" und in meinen Blättern für Gemäldekunde Bd. VII, S. 99ff.

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zu versdiaffen, gemacht wurden". „Für Fiaker, Stadtlehnewägen, und der Dienerschaft hier und da gegebene Trinkgelder vom 9ten bis inclus 22t November dfes) Kaufenden) J(ahres) 167 fl. 45 kr.. Wien, den 2 Xbr. 820."

Nach dem vielen Umherfahren und Schauen während der Wiener Tage wird sich der Künstler wohl etwas Ruhe für die Weiterreise vergönnt haben. Die Abfahrt von Wien scheint erst am 26. November geschehen zu sein. Dieses Datum wird wenigstens von der „Wiener Zeitung" (vom 29. November) gemeldet. Nebenbei ist zu beachten, daß in der genannten Zeitung vom 11. bis 17. November 1820 wieder- holt durdi Artarias Kunsthandlung „Basreliefs des Bildhauers Albr. Ritt. V. Thorwaldsen . . in Kupfer gestochen" angekündigt wurden. Audi sei eines Gedichtes auf Thorwaldsen von Sonnleitner gedacht, das im November 1820 in der „Wiener Zeitsdirift für Kunstliteratur" erschienen ist. (Thiele 11, S. 64.)

Den hauptsächlichen AnlaB zum Aufbruch aus Wien dürfte eine Nachridit aus Rom abgegeben haben, die dem Künstler durch den Fürsten Esterhazy bekannt wurde, der sie ihm aus dem Diario di Roma mitteilte. Die Werkstätte Thorwaldsens in Rom hatte durch einen Einsturz sdiwer gelitten. Der Brief eines Freundes bradite viele Einzelheiten über das Unglück.^s) Die Romreise erfolgte über Wiener-Neustadt, wo der Künstler einen Tag verbrachte, den 27. No- vember. Am 28. wurde die Fahrt fortgesefet. Es ging über Villach, Udine, Mestre, Venedig, Padua, Verona u. s. f. Der 16. Dezember sah den Künstler wieder in Rom.ß^) Dort verblieb er nun nahezu achtzehn jähre. Erst 1838 im September kehrte er wieder nach Kopenhagen zurüd<. Durch die freiherrliche Familie Stampe wurde er bald nadi Nys, ihrem prächtigen Landsife, entführt, wo er wieder künstlerisch tätig war. Dann zog es ihn abermals in die geliebte Tiberstadt, wohin (über Bayern und die Sdiweiz) er im Stampe'schen Vierspänner geführt und von einigen Mitgliedern der Familie be- gleitet wurde. Am 12. September 1841 trafen sie in Rom ein.57) Dort

55) Thiele II., S. 66, Plön S. 75. Zu Fürst Esterhazy in Verbindung mit Thorwaldsen siehe .Kunstblatt* von 1833, Nr. 47 f.

56) Vergl. L. V. Ulrich's »Thorwaldsen in Rom Aus Wagners Papieren", 1887, S, 9.

57) E. Plön S. 157 ff. Am 28. Oktober war Th. wieder in Kopenhagen.

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verblieb er bis zum 2. Oktober 1842. In aller Stille bracti er an jenem Tage auf, um nach Dänemark zurückzufatiren. Dort traf er nodi im Herbst jenes Jatires ein/»») DaB er seine Tage am 24. März 1844 voll- endete, ist allbekannt.

58) Nach Urlichs a. a. O. nach Albert Repholtz „Thorvaldsen og Nyso" (1911) und Carl Friedr. Wilckens „Züge aus Thorwaldsens Künstler- und Umgangsleben" (deutsch von Th. Schorn) 1875, S. 86.

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Einige österreichische Plastiker des 18. und frühen 19* Jahrhunderts*

(Urkundliche Nachrichten über Beyer, Zauner, Hagenauer, Sautner,

Schaller, Käfemann u. a.)*)

Der Figurenschmud< des kaiserüchen Schloßparkes zu Schön- brunn gehört ohne Zweifel zu den bedeutenden Arbeiten seiner Zeit und Gattung; voran der gro&e Neptun-Brunnen. Er ist ein Werk Johann Christian Wilhelm Beyers, des zu Gotha (1725) geborenen, vielseitig unterrichteten Bildhauers, der jahrzehntelang in Wien tätig war und ebenda oder in Schönbrunn 1796 (nadi neuer Angabe statt 1806) gestorben ist. Seine Lebensgeschidite, von H. Kabdebo ver- faßt, steht in der kurzlebigen „Allgemeinen Kunstchronik" von 1880 zu lesen. Auch Josef Dernjac hat sich mit Beyer beschäftigt in der Studie „Zur Gesdiichte von Schönbrunn" (1885), und von demselben Verfasser ist der Artikel Beyer in Julius Meyers „Allgemeinem Künstlerlexikon", das jefet zum Teil umgearbeitet, zum Teil an- gestüd<elt ein neues Leben begonnen hat. Die neue Auflage, die von Ulr. Thieme und Felix Becker begonnen wurde, wird jebt von Thieme allein redigiert. Was Beyer betrifft, so geht die zweite Auflage hauptsädilich auf die oben genannten Vorarbeiten zurüd<, die eine ganze Reihe von Mitarbeitern Beyers bei seinen Werken namhaft gemacht haben. Johann Martin F i s ch e r und Z a u n e r sind dar- unter diejenigen, deren Namen späterhin berühmt geworden sind. Sdiletterer, Johann Hagenauer, Zädierl werden neben anderen eben- falls im Gefolge Beyers genannt. Übersehen ist dabei ein Bildhauer, zwar von Talent, der es aber nidit verstanden hat, sich in der großen

*) Erstdruck in der „Wiener Zeitung" vom 28. März li?12.

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Welt durchzuseben. Es ist Jotiann S a u t n e r, über den ganz blut- wenig in den Lexika zu finden ist und der in den zusammenfassenden Darstellungen der Kunstentwicklung in Osterreicti regelmäßig durch seine Abwesenheit glänzt. Und gerade Sautner scheint, wenn nicht an dem schöpferischen Gedanken, so doch an der Formengebung des Neptun-Brunnens und anderer Beyer'scher Arbeiten mit- beteiligt gewesen zu sein. Sicher hat er daran irgendwie als Bildhauer mitgearbeitet. Diese Sicherheit wird uns geboten durch Sautners eigene Angaben, die er in einem Majestäts- gesuche zu Papier gebracht hat. Davon noch später. Vorher sei es versucht, aus neu aufgefundenen urkundlichen Angaben eine Art Lebensbeschreibung des Künstlers zusammenzufinden. Er stammt aus Mindelheim in Schwaben, wo er (wohl gegen 1760) geboren ist. Seit 1772 lebte er hauptsächlich in Wien. An der Akademie machte er seine Studien, und dort fand er so viele Anerkennung, daß er am 24. Juli 1781 zum Ehrenmitglied ernannt wurde. Für Beyer und Hagenauer hatte er vorher bei der Herstellung vieler Figuren mit- gewirkt, die den Schönbrunner Park bis heute zieren. In dem oben erwähnten Majestätsgesudie, das 1818 verfaßt wurde, schreibt Sautner, daß er „im Garten zu Schönbrunn unter der Leitung des k. k. Hofstatutarius B e y e r an folgenden Marmorfiguren" gearbeitet hat, „als dem Neptun bey dem großen Bassin, 11 Schuh hoch, dem janus, der Bellona, einer Wassernymphe, einem Neptun bei den Ruinen, dem Cincinnatus, einem Triton und einem Seepferd." Sautner fährt fort: „Ebenso habe ich mehrere andere Modelle ver- fertiget. Ferner unter der Leitung des Herrn Direktors Hagen- auer hatte idi ebenfalls in Schönbrunn den Fabius Maximus und 2 Bacdiantinnen von Marmor zu verferhgen."59)

In dem erwähnten Majestätsgesuch bringt Sautner noch vieles andere vor, so z. B. daß er nach den Arbeiten für Sdiönbrunn „während einer kleinen Zwisdienzeit" mit Erfolg um den akademi- schen Preis konkurrierte und danach Mitglied der Akademie wurde. Er fährt fort: „Dann erhielt ich den Auftrag, für das Observatorium

59) [Diese Mitteilungen enthalten bedeutsame Ergänzungen der gewöhnlichen Angaben über den bildnerischen Schmuclc des Schönbrunner-Parkes. Der Anteil Sautners an jenen Arbeiten ist auch übersehen bei F. H. Böckle in den „Merk- würdigkeiten . . von Wien" (1823), wo sonst alle anderen Künstler der Gruppe genannt sind].

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der k. k. Hofburg vier Büsten von Gyps, benamtlich: Ctiristus, Moses, Plato und Pitagoras (!) zu verfertigen, und nadi deren Vollendung habe ich unter der Leitung des Herrn Directors Edlen von Z a u n e r an der Statue Weiland Sr. Majestät Kaiser Joseph des Zweiten bis zur Aufstellung gearbeitet."

„Unter mehreren weiteren Arbeiten war ich dann audi so glück- lich, das Bildnis Euer Majestät und jenes Sr. Exzellenz des Herrn Grafen von Wrbna, weldies in der k. k. Hofburg aufgestellt ist, aus Bronze zu verfertigen."

Nun geht Sautner auf eine andere Arbeit über, die nicht für den Hof hergestellt worden ist, auf das Collin-Denkmal in der Karls- Kirdie zu Wien. Die Angaben über den Meister dieses vornehmen Kunstwerkes sind in versdiiedenen Quellen verschieden. Zauner sollte es gemacht haben. Füger hätte es gezeidmet. Durch einen Sdireibfehler oder Drud<fehler wird audi ein Bildhauer Santner, auch Sontner, dafür verantwortlich gemacht, der niemand anderer ist als unser Sautner. Um so erfreulidier ist es, den Urheber des Werkes selbst darüber zu vernehmen. Sautner schreibt in dem er- wähnten Majestätsgesudi über die Sadie folgendes: „(5tens) Ist audi das Haupt-Relief, das BildniB, sowie die Urne iiji Fronton an dem Denkmal des k. k. Hofrathes Heinrich Joseph Edlen von Collin in der hiesigen Karlskirche meine Arbeit, wie das folgende Zeugnis be- stätiget." Dieses Zeugnis liegt dem Gesuche bei und ist vom Grafen Morib Dietridistein ausgestellt, auf dessen Veranlassung das Denk- mal erriditet worden war. Dietridistein weist auf die allgemeine Anerkennung hin, die Sautners Arbeit bei den Kunstfreunden ge- funden hat. Hervorzuheben ist, dafe weder von Sautner selbst ein anderer Künstler genannt wird, der am Collin-Denkmal beteiligt ge- wesen wäre, noch dafe Dietrichstein von einem beihelfenden oder entwerfenden Künstler spridit. Wie es sdieint, ist in diesem Fall audi die Skizze von Sautner modelliert worden. Für das Bildnis Collins mugte eine fremde Vorlage herangezogen werden, da ja das beste Vorbild, der Diditer selbst, nidit mehr am Leben war, als der Auftrag erfolgte. Die eigentlidie Ausführung des Porträtmedaillons ist aber sidier das Verdienst Sautners. Das „Hauptrelief", es sind die zwei traij^ernden Jünglinge, von denen einer die Sdilange als Symbol der Ewigkeit, der andere die Fad<el als Symbol des Todes hält, ist sicher Sautners eigene Arbeit. Die Erfindung des Ganzen,

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.Alessandro Vittoria: Terrakottabüste im Österreichischen Museum für Kunst und Industrie zu Wien.

das wie die Sdimalseite eines riesigen Sarkophags angeordnet ist, mag einem anderen Kopf entsprungen sein. Auf keinen Fall kommen für die Erfindung und die Skizze die zwei sonst natiezu unbekannten Helfer in Frage: Anton Klement und joti. Pactiolik, die otine Quellen- angabe in Naglers Lexikon als Mitarbeiter Sautners genannt werden.

Bei den Figuren für den Sctiönbrunner Park sctieint Sautner nur die allerdings wictitigen Hilfsmodelle ausgefütirt zu tiaben und an der Steinbildtiauerei beteiligt gewesen zu sein. An Zauners Kaiser-Josef-Denkmal liat Sautner keinen sctiöpferisctien Anteil ge- nommen. Zauners Zeugnis über die Angelegenheit ist als Beilage des Majestätsgesuches erhalten und bestätigt, daB Johann Sautner „bei Bearbeitung des Monuments Sr. Majestät Kaiser Joseph des zweiten und nachher bei mehreren anderen Arbeiten als Gehilfe ver- wendet worden, und sich als geschicktes, thätiges und fleißiges Individuum gezeigt habe, auch seiner Rechtschaffenheit und be- sonders guten moralischen Karakters wegen anempfohlen zu werden verdiene".

Gegen 1818 ging es bei Sautner, der Familie hatte, in den Finanzen knapp zusammen. Dies war der Anlafe zu dem (oben nahe- zu vollständig mitgeteilten) Majetätsgesuch, in welchem Sautner sdilieBlich um einen neuen Auftrag bat. Es scheint, daB es mit dem Gesuch zusammenhängt, wenn wir in den nächsten Jahren den altern- den Bildhauer damit betraut sehen, alljährlich das Monument der Erzherzogin Maria Christine, das bekannte Werk Canovas, zu reinigen. Vom Herzog Albert von Sachsen-Teschen, dem über- lebenden Gemahl der Erzherzogin, war ein Kapital von 4000 Gulden an die Akademie gespendet worden, um von den Interessen die nötige Instandhaltung des Monumentes in der Augustinerkirdie zu bestreiten. Sautner besorgte die Reinigung des Denkmals in den Jahren von 1820 bis 1823, wofür er jedesmal 90 fl. Wiener Währung ausbezahlt bekam. 1824 wurde es durch den Bildhauer Karl Arnold gepufet. Sautner war mittlerweile gestorben. Am 9. No- vember 1823 hatte er einen Schlaganfall erlitten mit nadifolgender halbseitiger Lähmung, worüber ein ärztliches Zeugnis vorliegt. Einige Wochen nach dieser Attad<e muB Sautner gestorben sein. Denn am 18. Dezember 1823 wendete sich die Witwe an die Aka- demie um eine Unterstützung, und am 23. Dezember wurde Sautners Ableben als kurz vorher erfolgt bei der k. k. Landesregierung ge-

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meldet. Das noch ausständige Honorar wurde Inadi langweiligem Zaudernl an die notleidende Witwe ausgezatilt. Sautners Einkünfte waren in seiner legten Zeit gering. In der Akademie der bildenden Künste besorgte er die Gipsformerei, worüber einige Rectinungen aus den Jatiren 1819 und 1820 Aufschlug geben. Dazu kam nocti das Entgelt für die Reinigung des Denkmals. Von einer künstlerischen Tätigkeit Sautners in jenen Jahren ist nichts bekannt. Seine alten Tage verliefen also in Dürftigkeit. [Als Tag des Ablebens wird bei C. Bodenstein „Hundert Jahre Kunstgeschichte Wiens" der 28. No- vember 1824 angegeben.l

über die Reinigung des Christinen-Denkmals hatte 1823 Professor Joh. S di a 1 1 e r, der bekannte Wiener Bildhauer klassizistischer Riditung, dessen meist bekannte Leistungen wohl die heilige Margarete auf dem Brunnen in der Wiener Vorstadt Marga- reten und die riesige Kinsky-Büste im Wiener-Neustädter Akademie- park sein dürften, ein Gutaditen abzugeben. Es verdient ebensosehr aus dem Gesichtspunkte der Denkmalpflege betrachtet zu werden, als es in Bezug auf schlechtes Deutsch unwillkürlidi die Aufmerk- samkeit der Sprachkundigen fesseln dürfte. In Bezug auf D e n k- m a 1 s ch u fe sei anerkennend hervorgehoben, da^ Sdialler vor un- vorsichtiger Reinigung warnt. Es hatten sidi Fled<en an Stellen des Denkmals gezeigt, an denen nidit Staub als Veranlassung des Fleckigwerdens anzunehmen war. Nun hatte Erzherzog Karl unge- fähr im Juli 1823 der Akademie seinen Wunsdi mitgeteilt, daß diese Flecken beseitigt werden. Professor Schaller berichtete über die Sadie am 6. Juli 1823. Der sprachliche Ausdrud< und die individuelle Rechtsdireibung sind so merkwürdig, da& einige Zeilen aus Schallers Gutaditen ein wörtlidies Anführen verdienen. So schreibt Schaller z. B.: „Da die Reinigung dieses Werkes nur durdi Abwasdiung einiger gewöhnlicher und bekannter Mitteln, welche in äsenden Säuren bestehen, die die Oberfläche etwas auflösen und somit den Sdimub weiternehmen, oder aber durch Absdileifen mit Bimsstein geschehen kann.

„So ist wohl zu eraditen dafe bey öftern wiederholen solcher Mitteln die Zartheit der Oberfläche durch daB erstere bemerkte Mittel abgefressen und durdi das Zweitere abgestumpft werden würden, und daher bey vorzunehmender Reinhaltung wohl zu be-

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achten wäre, damit das Werk mit der Zeit, seinen tiötieren Kunst- getialt nidit verliehren möctite."

Es ist zu beachten, da& „Zweitere" wirkhch in Schallers Hand- schrift steht. Eigentlich ganz logisch hatte der Bildhauer ge- schlossen, daB es auch einen „Zweiteren" geben könne, wenn man schon einen „Ersteren" hat durchlaufen lassen. Wenn noch heute tausende Male „Ersterer" und „Lebterer" geschrieben wird, so ist das im Wesen auch nicht gescheiter als Schallers „Zweiterer".

Das kühne Deutsch des Herrn Professors Schaller wird übrigens noch überboten durch die Sprachkünste des Alt-Wiener Bildhauers K ä B m a n n, der sicher ein wirkliches, eigenartiges Talent in Bezug auf Plastik war, von dessen mangelhafter Bildung und Derbheit man aber noch vor wenigen Jahrzehnten durch alte Künstler manche heitere Erzählung vernehmen konnte. Georges Mayer hat davon in seinem Rahl-Buche einiges festgehalten. 1823 wurde Kä&mann in der Professur der Bildhauereischule an der Wiener Akademie durch Schaller abgelöst. Sdialler war aus Rom zurückgekehrt. Nun ging Kä&mann als Pensionär in die ewige Stadt. Von dort aus berichtet er über den Beginn seiner Studien an den Grafen Rudolf Czernin, den damaligen Vorsifeer der Akademie. Kä&manns Schreiben sei vollständig mitgeteilt:

„Herr Präsident

„Euer Hochgeborn, meine Pflidit ruft mich über mein Stu- diumsanfang zu Rom; demselben in einem kleinem Detail zu be- richten.

„Nach dem Unterricht auf der k. k. Akademie der B. K. zu Wien, unter dem da Verlebten Direktorium nehmlich, Füger, Zauner, Fischer und dermahligen Direktor Cauzig, dem ich so viel Dank- schuldig bin, der wie ein Vatter an mir gehandelt hat, mir seine selbsterprobte Erfahrung in Italien mittheilte, und mir den besten Weg sagte wie ich mei Studium beginnen soll.

„Wie ich zu Rom ankam, suchte ich alle die da befindlidien Kunstwerke durch zu sehen, welches gewis der hödiste GenuB ist; für einen Künstler, den Stuffengang der Kunst wie sie gestiegen ist bis zu ihrer Volkommenheit zu sehen und das Studium in Rom fortzusefeen.

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3*

„Erstlich hate ich 12 Skizen in Tonerte gemacht, selbe den berühmten Künstler Dorwaldsen gewiesen, und er selbst die beste aus diesem gewählt, und da ich sie Lebensgroß in Gyps vollendete, obbenanter Künstler beehrte mich öfter mit sein Rath; das Motif ist Merkur, wie er den Argos durch das Flötenspiel ein- geschläffert hat, sich nach ihm umsieht und nach dem Schwert greift. '

„Sollte diese Statue bey den hiesigen Künstlern Baifall er- halten, so bin ich bereit, sie in Marmor zu machen, bey guter ge- legenheit werde idi meine Fügur zeidinen, um sie Euer Hoch- gebohren weisen zu können.

„Zweitens Zeidine idi nach antiken fleißig, übe mich in Con- ponirn in Tonerte und Zeichnen, dis sind die Resuldate von mein Aufenthald in Rom.

„Der gehorsamst unterzeichnete bitted, mir durch Direktor C a u c i g den Befehl ertheilen zu lassen, ob ich den rechten Weg eingegangen bin.

„Diesen Sommer haben wir Ostreidier, Akademie gehalten, und nach den Modell der Natur studiert, in der früh von 6. bis 8 Uhr in den Studium, was ich von, Professor Schaller übernohmen habe welches sich in Venezianischen Palast befindet, da idi jefet, aber zu arbeiten angefangen habe und den Plaß brauche, so sind wir unterbrodien in Modell studirn, wir geben uns alle mühe ein Locall zu finden, welche sehr teuer sind in Rom und dan alles an- schaffen was im Winter zu diesem Studium nöthig ist, erfordert nun bedeutende Ausgabe ich hoffe es so bald als möglich zu stände zu bringen.

„Besonders muß ich den hir anwesenten Professor K ä d< von der Akademie v. St. Luker anrühmen, ein gebürtiger Tiroller der uns Ostreichern mit sein Vätterlichen Raath und Liebe an die Hand gehet, der Liebe fühlt wen Ostreicher sich zu Rom befinden, Diesen Schäfebaren Künstler Lieben wir wie uns selbst.

„Der Unterzeidinete verbleibt in tiefster Ehrfurdit, dero er- gebenste Pensioner

Jos: Käßmann m. p. Kä&manns Bericht ist nicht datiert. Doch steht außen: „Präsen- tatum den 11. Dez. 1823" vermerkt. In der Zeit gegen den 10. April

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war KäBmann von Wien abgereist. Damit sind also die Zeitgrenzen abgemessen, zwisctien die Kä^manns Berictit tiineinpa&t.

Graf Czernin dürfte metirmals geläctielt tiaben, als er den Brief des urwüctisigen Wieners durctilas. Dodi mag er den Intialt beactitet tiaben. Denn, von den spractilictien Ungetieuerlichkeiten abgesetien, ist Kä&mann's Sctireiben inhaltsreicti genug und fesselt uns aucti tieute nodi durcti metir als eine Stelle, nictit zulefet durcti den Hin- weis auf Ttiorwaldsen und auf den alten Tiroler Maler Mictiael K ö ck (nictit Käck), der so setir von den österreidiisctien Künstlern

in Rom veretirt wurde.

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Nictit sei es versäumt, die Quellen anzugeben, aus denen die Mitteilungen über die obengenannten Bildtiauer gesdiöpft wurden. Es sind Urkunden im Arctiiv der Akademie der bildenden Künste in Wien, und zwar in den Faszikeln von 1818 bis 1824. Die Angabe von Sautners Ernennung zum Etirenmitglied der Akademie im jatire 1781 stammt aus einem alten Verzeictinis der Ehrenmitglieder, das bei den Akten von 1818 liegt. Im „Goldenen Bucti" der Akademie ist das Jatir der Ernennung nidit vermerkt, überdies ist dort die falsctie Sctireibung des Namens Santner statt Sautner zu beklagen.

Für die Erlaubnis zur Benüfeung des Arctiivs war ich Herrn Regierungsrat L o 1 1 zu Dank verpflichtet. Lott ist hingegangen, noch ehe ich etwas von den neuen Funden veröffentlichen konnte. Seit dem Tode Lotts und schon lange vorher ist Herr Sekretariats- adjunkt T h o m k e meinen Arbeiten freundlidi entgegengekommen.

[Seither ist auch Thomke seiner Tätigkeit durch den Tod ent- rissen worden.]

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Lionardo da Vinci's Auge.

')

Vor einem Gemälde stehend, können wir selten sofort ent- sctieiden, ob der Sdiöpfer desselben mit gesundem Äuge begabt war oder nidit. Allenfalls wird man auffallende Eigenschaften des Farbensinnes beurteilen können, aber die Refraktionskraft des Auges wird sidi hier schwer ermessen lassen. Der Maler mag kurz- sichtig gewesen sein, bediente sich aber zweckmäßiger Brillen; er mag weitsichtig gewesen sein, strengte aber seine Akkomodation während der Arbeit so sehr an, daß an dem Gemälde nichts den Fehler seines Auges verrät. Kurz, Rückschlüsse von zwingender Be- weiskraft gibt es hrer nicht. Vor einer langen Reihe von Werken eines und desselben Künstlers aus verschiedenen Perioden seines Schaffens sind wir ein wenig besser daran. Flier finden wir wohl die peinliche Sorgfalt und Feinheit der Pinselstridie oder Federzüge, die Härte der Umrisse, die den Jugendarbeiten kurzsidihger Künstler eigen zu sein pflegen, im Gegensab zur breiten, flüditigen, weicheren Behandlungsweise in den Gemälden aus der späteren Zeit des- selben Malers. Flüssigere, weichere Behandlungsweise als in der Jugendzeit finden wir aber audi nicht selten bei alt gewordenen Künstlern, die niemals myopisdi waren, die sich einer normalen Refraktion erfreuten oder die übersichtige Augen hatten. Nicht das Auge allein ist hier von Wichtigkeit; das Temperament, die Er- ziehung im allgemeinen, die künstlerische Richtung und Sdiulung im besonderen, äußere Sdiicksale, Erkrankungen und nicht zulebt die zunehmende Übung der Hand spielen mit herein. Wer soll das alles riditig sondern und verbinden und in seinen vielverflochtenen Wir- kungen deuten] Manche Maler fangen an, ihrem Naturell gemäß in

*) Erstdruck im „Repertorium für Kunstwissenschaft", 1892, Bd. XV.

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gro&en Zügen ganz wüst zu sdiaffen, nodi ohne viel Können, mit metir oder weniger Talent, mit und otine Erfolg. Oft lernen sie erst hinterher das Feinere an ihrer Kunst. Andere wieder anders. Manche sprunghaft bis zum scheinbar Sinnlosen. Keine klare Gesebmä&ig- keit, die für alle Fälle passen würde. Mit Möglichkeiten aber und schwachen Wahrscheinlichkeiten, wie sie aus solchen Betrachtungen entspringen, können wir uns nicht zufrieden geben, zumal, wenn es sich um einen Künstler handelt, wie Lionardo. Lie^e es uns bei tausend anderen Malern kalt, zu wissen oder nicht zu wissen, ob der Mann myopisch war oder hypermetropisch, oder emmetropisch, so zieht uns zu dem gro&en Lionardo eine hinreichende Anziehungs- 'kraft hin, um uns auch die Frage nach dem Refraktionszustand seiner Augen keineswegs als eine müßige, vielmehr als eine sogar bedeutsame erscheinen zu lassen.

Man kennt Lionardo's Universalität. In erster Linie war er ein trefflicher Beobachter der äußeren Natur, deren Geheimnisse er auf vorherrschend inductivem Wege zu ergründen versuchte. Er war ein großer Naturforscher, bemerkte alles rasch, erfaßte es sicher, was ihm Auge und Ohr zu vernehmen gaben im Freien, zu Hause, bei Tag, bei Nadit. Er beobachtete viele untereinander verwandte Ein- zelheiten, um daraus allgemeine Geseße abzuleiten. Das Be- obachtete hält er mit Scharfsinn und Kritik in Notizen fest. Nach den erhaltenen Handschriften zu urteilen hat er während seines ganzen reifen Lebensalters Notizen gesammelt, scheinbar planlos, doch ver- mutlich im Hinblick auf bestimmte Abhandlungen, besonders auf ein zu schaffendes großartiges Lehrbuch der Malerei, einen trattato della pittura, eine Arbeit, die er selbst aber niemals vollendet hat. An der Zusammenstellung eines Malerbuches aus Lionardo's Hand- sdiriften waren schon im 16. Jahrhundert überlebende Freunde und Schüler tätig, ebensowenig jedoch mit abschließendem Erfolg als der Meister selbst, ja bis heute liegt eine vollständig geordnete Gesamt- ausgabe des trattato nicht vor, wiewohl der Maler Heinrich Ludwig (neuestens wieder öfter genannt wegen seines Prozesses um die Harzfarben [H. Ludwig ist nun längst tot] durch die Herausgabe der ältesten Kompilation aus Lionardo's Schriften vor einigen Jahren die Angelegenheit wieder neu belebt, obwohl der Kunsthistoriker Jean Paul Richter sidi durch die Herausgabe der „literary works of Lionardo da Vinci" zweifellos um die Förderung einer Trattato-

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ausgäbe sehr verdient gemacht hat, und obwohl Ravaisson-MoHien und Beltrami durch Faksimileausgaben der Lionardo'schen Manu- skripte das Ganze endlich auf einen wissenschaftlichen Fu| gestellt haben.öo) Auch ohne fertigen Trattato kann man sidi übrigens heute aus den angedeuteten Publikationen mit einigem Fleife eine überaus belehrende Übersicht über die erhaltenen Notizen Lionardo's ver- schaffen.

Diese Aufschreibungen des vielseitigen Meisters sind es nun, die es auch ermöglichen, mit Aussicht auf Erfolg, die Frage nach Lio- nardo's Auge zu untersuchen. Wir finden Stellen genug, die von der Art und Weise handeln, w i e Lionardo gesehen hat und die es be- weisen, daB unser Künstler kurzsichtig war. Ob er je Brillen länger als zum bloßen Versudi getragen, wü|te ich nicht zu er- gründen, wiewohl er mehrmals von Brillen spricht, von konvexen und konkaven, die er aber durdiaus nicht selbst getragen haben mu6.6i)

Als beweisende Angaben, aus denen Lionardo's Myopie her- vorgeht, sind mir die folgenden aufgefallen, die hier nunmehr be- nützt werden sollen.

Lionardo notiert mehrmals, da^ die groBe Pupille die Gegenstände größer sehen lägt, als die kleine. Dann sieht Lio- nardo die Sterne durch eine kleine Öffnung kleiner als mit freiem Auge, endlich kann er auf große Entfernung zwei [nicht deutlidi gesehene] Flammen [besser] untersdieiden, wenn er

60) [Zu einer Uebersicht über die weit ausgebreitete Lionardoliteratur verhilft am besten die Bibliographie in der »Raccolta Vinciana", die seit 1905 in Mailand erscheint. Beachtenswerte Uebersichten über die Handschriften des sog. trattato della pittura bei Max Jordan „Das Malerbuch des Lionardo da Vinci", 1873, (Sonderabdruck aus Zahn's Jahrbuch für Kunstwissenschaft). Von Wichtig- keit sind besonders die großen Werke von J. B. Richter „The literary work of Beonardo da Vinci", Ravaisson-Mollien „Le Manuscrits de L. da Vinci", sechs Vände", und Sabachnikoff. Daneben große und kleine Arbeiten von Beltrami, Lenturi, Verga. Für die Familiengeschichte von Wichtigkeit Uzielli's Forschungen. Ein ganzer Schwärm von kleinen Büchern und Heften, sowie von Abschnitten, in den Handbüchern für Kunstgeschichte und Geschichte der Malerei, auch für Geschichte der Bhysik, der Landschaftsmalerei schließt sich den großen Haupt- werken an. Die neueste Literatur über den großen Meister, einschließlich des, wie es heißt umfassenden nordischen Werkes, hat ihren Weg noch nicht in die Wiener Bibliotheken gefunden. Wir haben begreiflicher Weise dafür kein GeldL

6>) [Von Brillen handelt z. B. eine Stelle in der Pariser Handschrift D (Vergl. M. Charles Ravaisson-Mollien „Les Manuscrits de Leonard de Vinci" Mpt. D fol. 2 recto und 3 recto. Siehe auch »Raccolta Vinciana« 1912, S. 13, 143, 146ff)j.

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durch eine kleine Öffnung blickt, wogegen sie zu einem [großen] Bilde versdimelzen, wenn er mit freiem Auge tiinsdiaut.

[Am widitigsten die Stelle im Manuskript H, Fol. 86 und 88: liier nadi j. P. Richter und Ravaisson Mollien, doch ohne die eigenartige Schreibweise Lionardo's der Worteinteilung und Interpunktionen: „Quelle popilla che sarä maggiore vederä le cose di maggior figura. Questo si dimostra nel uedere de corpi luminosi et massime de celesti quando l'occhio escie delle tenebre e subito risgnarda essi corpi. Li parirranno maggiori e poi diminuiscono, e si riguarderai essi corpi per un picciolo buso", buso ist lombardischer Dialekt für: buco, „li uederai minori, perche minore parte d'essa [nämlich der popilla] s'adopera a tale ofitio" (Richter Nr. 32). Sogleich eine Stelle die Ähnliches besagt (Richter Nr. 33): „Quell ochio che uscendo dalle tenebre vedera subito un corpo luminoso li parrä assai maggiore nel primo isguardo che nel perseverare il vederlo". Also hat Lionardo beobachtet, daB er größere Zerstreuungskreise sah, wenn er mit großer Pupille aus der Dunkelheit kam, und daB er nach einigem Verweilen im Hellen wieder kleiner zu sehen an- fing, da sich die Pupille dann verkleinerte. DaB Lionardo den Einfluß des Lichtes auf die Pupillenweite kannte, steht fest. Dafür ist be- sonders beweisend Lionardo's Versuch mit dem Blick nach einem Stern und mit dem allmählich dem Auge genäherten Kerzenlicht. (Richter 1, S. 23 f., Nr. 24, mit Zeichnung.) Beachtenswert ferner die Stelle: . . e maggiore popilla vede un corpo luminoso di maggior quantitä et di piü eccellente splendore che la popilla minore, come prova chi guarda le stelle per un piccolo fuoro fatto nella carta". (Heinr. Ludwig Nr. 628.) Endlich für uns von Be- deutung Lionardo's Beobachtungen ferner Lichter, die er mit starken Zerstreuungskreisen sah (Richter Nr. 249 aus Codex A, Fol. 64 b, faksimiliert bei Ravaisson-Mollien): „Se porrai 2 candele acciese appresso l'una all altra 1/2 braccio e allontanerati da esse 200 braccia vedrai per l'accesimento di ciascuno farsi uno solo corpo luminoso de due lumi e parrä uno solo lume grande un biraccio Se vuoi vedere la vera grandezza d'essi corpi luminosi abbi una assetta sottile e fa vi uno buso quanto sarebbe uno piccolo puntale di striga e ponite la tanto presso al ochio quanto puoi in modo che riguardando per esso buso il sopra detto lume tu gli vegga assai spatio d'aria d'intorno e cosi levando e ponendo con prestezza essa

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asse del tuo ochio cosi con prestezza vedrai crescere e sciemarec^) esso lume".

Die Icbterwähnten zwei Beobachtungen gehen zuverlässig, die erste höchstwahrscheinhch auf Beobachtungen an Lionardo's eigenem Auge zurück.

Zum GröBersehen mit der großen Pupille und zum Kleinersehen mit der kleinen, ist einiges anzumerken. Lionardo mu^ diese Be- obachtung nicht unbedingt vom eigenen Auge abgeleitet haben; sie könnte auch einfach mit seiner Theorie vom Sehen zusammen- hängen, über den Weg der Lichtstrahlen oder gar über das Wesen des Lichtes konnte sich der Künstler nicht klar sein. Die Be- dingungen für solche Erkenntnisse waren damals, als Lionardo dachte, noch lange nicht gegeben. Er konstruierte sich nach bestem Können eine Theorie, nach welcher ihm die Pupille als das Wesent- lichste beim Sehen galt, so daB er auf den Gedanken vom GröBer- werden der Bilder beim GröBerwerden der Pupille verfallen mochte [konntet. AuszuschlieBen ist es jedoch nidit Ija es ist höchst wahr- scheinlich], daB er beim Aufbau der Theorie von Beobachtungen am eigenen Auge geleitet wurde. Deshalb gehe ich auf diesen Punkt näher ein.

Für ein normales Auge (ein emmetropisches) trifft die Beobach- tung des GröBersehens mit gröBerer Pupille nidit zu. Das normale Auge vereinigt die Strahlen, die aus „unendlicher" Entfernung, z. B. von Fixsternen, vom Monde kommen, ebenso reinlich zu einem Bilde, wie die Strahlen von Dingen der näheren und nächsten Umgebung, solange die Objekte nidii innerhalb des sogenannten Nahepunktes liegen. Ob die Pupille durch Atropin auf ein GröBtes erweitert ist, ob sie durdi Eserin auf ihr Kleinstes sidi verengert, die BildgröBe wird im emmetropischen Auge dadurch nicht beeinfluBt, stets vor- ausgesefet, daB die gesehenen Gegenstände nicht innerhalb des Nahepunktes liegen. Wer aber deutlich sehen und beobaditen will, bringt sdion instinktiv die Objekte nidit näher zum Auge heran, als der Nahepunkt liegt. Bei solchen Augen ist also von einem Schwanken der BildgröBe je nach der Weite der Pupille keine Rede.

Anders stehen die Dinge bei Augen von abnormer Refraktion.

62) „sciemare", in der Handschrift ssiemare geschrieben, ist bei Richter aus- gelassen. Im Faksimile ist das Wort deutlich leserlich.

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Bei den kurzsichfigen oder fernsichtigen Augen ist das Bild eines Gegenstandes in den meisten Fällen auf der Nebtiaut mit Zerstreu- ungskreisen umgeben. Es ersctieint undeutlich. Der Myop, der keine Konkavgläser trägt, kann z. B. sein Auge dem gesehenen Gegen- stand selten soweit nähern, um sie ohne Zerstreuungskreise zu sehen. Was über einige Nasenlängen hinausliegt, erscheint ihm un- deutlich und umso undeutlidier, je weiter es entfernt ist. Der Hyper- metrop kämpft dagegen mit der Schwierigkeit, kleine Gegenstände nicht fern genug vom Auge betrachten zu können, um nicht ebenfalls durch Zerstreuungskreise zu leiden. Hält er den Gegenstand so weit vom Auge, daB er ein scharfes Bild hat, so ist das Bild zu klein, um die Einzelheiten unterscheiden zu können. Nähert er das Objekt, so sieht er es undeutlich, weil das Nefehautbild von störenden Zer- streuungskreisen umgeben ist. In die Ferne sieht er gewöhnlich scharf und deutlich, wenn sonst keine Störungen vorhanden sind.

Mit den Erscheinungen, die ich hier erwähnt habe, sind Millionen vollkommen vertraut. Die wenigsten aber wissen, da| die Zersfreu- ungskreise ihrer Augen durch Verkleinerung der Sehöffnung sehr abgeschwächt werden, sei es, da^ die Pupille durch willkürlidie Ver- engerung der Lidspalte teilweise verdeckt wird,^^) sei es, daB die Pupille durch Reize von innen oder au^en sich selbst verengert, oder endlich, daB man durch eine feine Öffnung blickt, die man etwa in einer Spielkarte mittels einer Nadel hergestellt hat. je kleiner die Blendung, desto kleiner die Zerstreuungskreise, desto deutlidier das Bild, das durdi solche Vorkehrungen, wie sie erwähnt wurden, tat- sächlich verkleinert wird, bzw. kleinere Zerstreuungskreise erhält. Nodi eine Beobachtung: das normale Schwanken der Pupillenweite (das nebenbei bemerkt von L i o n a r d o sehr wohl gekannt war) mu| also beim Myopen und unter Umständen beim Hypermetropen auch ein Schwanken in der Bildgröße zur Folge haben. Vorhanden ist dieses Schwanken sicher,'54) doch dürfte es den wenigsten un-

63) Hier kommt auch der Flüssigkeitsmeniskus vor dem Auge in Betracht, der als Konkavlinse wirkt (Brücke). Daß die Zerstreuungskreise der Myopischen durch Kneifen der Lidspalte verkleinert werden, findet sich in den Lehrbüchern der Augenheilkunde erwähnt.

04) Helmholtz im „Handbuch der physiologischen Optik" (2. Auflage, 1896, S. 130 f. weist auf den Zusammenhang der Pupillenweite mit dem Anspannen und Nachlassen der Accomodation hin. Dieses Spiel der Pupille ist nicht zu ver- wechseln mit dem „Hippus", einem krankhaften Zustand.

mittelbar zum Bewu&tsein kommen, wie eben tausend andere feine, ja sogar ganz grobe Ersctieinungen in unserem Körper, die meist durdi andere stärkere vortierrsctiende Eindrücke übertäubt werden. Wer bringt sicti zum Beispiel das beständige Wectiseln des Blut- druckes deutlich zum Bewußtsein? Weldier gesunde Mensdi denkt an seine Herztätigkeit? Wer tiat eine direkte Fütilung mit den widi- tigsten Vorgängen einer normalen Magenverdauung? Sogar un- zätilige kranktiafte Ersctieinungen bleiben unbemerkt. Nun will man aber dodi gewisse Nactiweise über solche Dinge, bevor man sie als wissenschaftlich beobachtet gelten läßt. Die Schwankungen der Bildgröße^ö) auf der Nefehaut, die mit den Schwankungen im Durch- messer der Pupille zugleich auftreten, sind ja in optischer Beziehung ganz klar. Doch wünschen wir eine Bestätigung durch unmittelbare Beobachtung. So leicht zu beobachten ist die Ersdieinung auch nicht, wie etwa der Herzschlag oder der Puls. Deshalb finde ich auch nirgends davon eine beshmmte Erwähnung (vielleicht aus Mangel eingehender Literaturkenntnis, wiewohl ich das mir Erreidi- bare aufgeschlagen habe. Eine Andeutung davon, daß die Bild- schärfe von der Pupillenweite abhängt, übrigen^ schon bei R. Des- cartes: „Dioptrica", Cap. V., pos. 6. In der „Zeitschrift für Mathe- mahk und Physik" 1900 findet sidi ein Aufsah von Wilh. Elsässer: „Die Funktion des Auges bei Lionardo da Vinci", mir bekannt nur durch den Auszug in „Raccota Vinciana" III., S. 50 ff.). Idi selbst habe die erwähnte Erscheinung verhältnismäßig spät beobachtet und das nur durch Zufall und nidit bei einem beabsiditigten Versuch. Ein Beobachter, den ich für absolut zuverlässig halte, teilt mir fol- gendes mit:

Ich bin stark myopisch. Vor einigen Jahren war es, daß ich eines Abends in den von leichten Wolken umschleierten Vollmond blickte. Unser Trabant war 'durch die deckende Hülle in seiner Lichtstärke genügend gedämpft, um mir keine störenden Nachbilder zu ver- ursachen. Nun wurde ich durch ein auffallendes Größerwerden und Schrumpfen des Mondbildes in meinem Auge beunruhigt, da es mir bald klar wurde, wie ich es mit einer Folge meiner starken Myopie zu tun habe. Die Art und Weise des Schwankens im Durchmesser

65) [Der Ausdruck „Bildgröße" ist nicht im theoretisch-optischem Sinn zu nehmen, empfiehlt sich aber im gegebenen Zusammenhang, besonders bei Be- achtung dessen, was schon oben darüber mitgeteilt worden.]

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des Bildes erinnerte mich sofort an das Spiel der Pupille, das ich (schon seit meinen Kinderjahren) so oft an fremden und an den eigenen Augen beobachtet hatte. Um eine Täuschung meinerseits auszuschließen, ließ ich bei mäßiger seitlicher Beleuchtung durch eine Lampe von einem zweiten Beobachter meine Pupille über- wachen und jede Veränderung des Durchmessers ansagen. Nun zeigte sich das vollkommenste zeitliche Zusammenfallen der Schwankungen im Durchmesser der Pupille mit denen im Durch- messer des Nefehautbildes. Wurde die Pupille größer, so erschien mir auch der Mond größer und ebenso bei der Verkleinerung.

Ungefähr eine halbe Stunde nach diesem überzeugenden Ver- such war der Mond frei, ganz ohne Wolkenschleier zu sehen.

Das Experiment wurde nunmehr nochmals angestellt. Wie zu erwarten, zeigte die Erscheinung des Schwankens sich unter den neuen Umständen nur sehr unvollkommen. Zu Anfang einige kleine Schwankungen; dann ein fast unveränderliches großes Mondbild, das in der Nebhaut festsaß und sich bei Änderung der Blickrichtung leicht als Nachbild zu erkennen gab. Diesmal störte also die allzu- große Helligkeit des Mondes die Beobachtung. War das Bild ein- mal, zweimal groß geworden, so hatte es sich so stark in die Retina eingebrannt, daß die Schwankungen des Bildes, die sich innerhalb des großen Durchmessers abspielten, nicht mehr bemerkt werden konnten.

Der kleine Versuch, der mir in dieser Weise mitgeteilt wurde, brachte mir sofort eine Stelle aus L i o n a r d o's Malerbudi ins Ge- dächtnis, die ich vor Jahren in einem Referat erwähnt hatte.ß^) Ich mußte mir sagen, daß Lionardo vermutlich am eigenen Auge ganz richtig beobachtet hat, wenn er mitteilt, daß die große Pupille größer sehe als die kleine. Ich mußte mir ferner sagen, daß Lionardo ver- mutlich kurzsichtige Augen gehabt hat; wenigstens schien sicher, daß er keine emmetropischen Augen hatte, die ohne Zerstreuungs- kreise sehen.

Nun handelt es sich aber darum, zu entscheiden, ob der Künstler Myop oder Hvpermyop war. Die Presbyopie, die Ubersichtigkeit der Greise, ließ ich deshalb ganz außer Spiel, weil Lionardo's Beobadi- tungen über die besprochenen Dinge aus einer Zeit stammen

66) Im Repertorium für Kunstwissenschaft. Band. VI

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Idiirften], als der Künstler noch keine greisenhaften Augen haben konnte. Die einzelnen Äufschreibungen sind ja mit einer gewissen Sicherheit zu daheren. [Ich erinnere daran, da^ nach dem Zeugnis des Luca Pacioli aus dem Jahre 1498 damals ein gro&er Teil des Trattato schon so gut wie fertig war. (Pacioli, „De divina propor- zione", 1509, Cap. I, im Briefe an Herzog Lodovico Maria Sforza vom 9. Februar 1498. Vom riesigen Reiterdenkmal ist die Rede. Dann hei^t es von Lionardo in einer Einschaltung „havendo gia con tutta diligentia al degno libro de pictura e movimenti humani posto fine". Die Beobachtungen dazu müssen also einige, vielleidit viele Jahre weiter zurückliegen und können wohl in die Zeit vom 35. bis 45. Lebensalter verlegt werden. Presbyopie ist also auszuschließen.

Das Ergebnis der weiteren Forschungen wurde sdion voraus- genommen. Der Ausschlag geschah nach der Seite der Myopie und das auf Grundlage der Beobachtungen Lionardo's über die Bilder der Gestirne und über die zwei Lichter, die aus großer Entfernung betrachtet werden. Lionardo teilt mit, daß er zwei Kerzen, die er aus einer Entfernung von 200 Ellen betrachtete und die unter sich aber nur eine halbe Elle entfernt waren, als eine größere Liditquelle wanrgenommen habe. Dann blickte er hin durch eine Blendung von der Größe eines Nadelshdies und konnte nun [wie es sdieintl jede Kerzenflamme für sich als kleineres Bild untersdieiden. Wäre Lio- nardo Hypermetrop gewesen, so hätte er die zwei Flammen auch mit freiem Auge gesondert gesehen. Dasselbe gilt nun vom Bilde eines Sternes, das Lionardo durdi eine kleine Blendung kleiner sieht als ohne Blendung. Weder beim emmetropischen Auge noch beim hy p e r m e t ro p i s^ch en wäre die Erschei- nung des Kleinerwerdens erklärlich.

So leuchtet es denn ein, daß einer der hervorragendsten Künstler aller Zeiten, ein Universalgeist, den man kühn neben Leibniß und Goethe stellen darf, sich wie Millionen andere kleine Leute mit einer merkbaren Kurzsichtigkeit abfinden mußte. Sie scheint allerdings niemals jene beunruhigende Form ange- nommen zu haben, die von der modernen Medizin als „bleibend progressive" Kurzsiditigkeit^^) bezeidinet wird. Denn eine soldie

67) Daß die Kurzsichtigkeit Lionardos nicht höchstgradig war, erhellt auch die folgende Stelle (Richter I, S. 20, Nr. 25): „Se l'ochio ä a vedere cosa che

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auffallende Blödigkeif des Auges wäre den Zeitgenossen und Bio- graphen kaum entgangen. Ein vollkommen gesundes Äuge aber, wie es fast nur bei Leuten, die wenig lesen und sctireiben und keine feinen Arbeiten zu verrictiten tiaben, vorkommt, stand dem großen Künstler nictit zur Verfügung. Seine Natur war aufs Erforschen aus der Nähe angelegt. Sicher hat er viel gelesen, viel kleine Dinge ge- zeichnet und ganz gewi^ geschrieben. So hat er sich denn vermut- lich auf dem Wege der Angewöhnung, wie viele andere, eine Art der Kurzsichtigkeit erworben, die seiner Beschäftigung gemä& war und ihn im Arbeiten und Forschen vielleicht eher förderte denn störte.

sia tropo presso non la puö ben giudicare, com interviene a quello che si vol vedere la punte del naso . ." Lionardo konnte also die eigene Nase nicht genau sehen, während stark Kurzsichtigen dies leicht gelingt.

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Das Wedigh-Bildnis von Hans Holbein dem Jüngeren in der Wiener Galerie Schönborn-

Pudiheim,*^

In der gräflich S ch ö n b o r n'schen Sammlung zu Wien und in der Berliner Galerie befinden sidi zwei männliche Bildnisse von H o 1 b e i n's Hand, die aller Wahrscheinlichkeit nach zwei Mitglieder einer und derselben Familie darstellen. Denn auf beiden findet sich dasselbe Wappen angebracht. Sdion Alfred Weltmann hat das in seinem Werke über H o 1 b e i n bemerkt.ös) Das [ehemals] in Wien befindliche Gemälde wird hier abgebildet. (Auf Holz: Höhe 41, Breite 32 cm.) Es zeigt die Halbfigur eines jungen Mannes in der Tracht wohlhabender deutscher Bürger. Das Haupt wird von einer schwarzen Müfee beded<t. Die gleichfalls schwarze, pelzgefütterte Schaube lä^t am Halse das wei^e, mit schmalen Zierstreifen be- stid<te Hemd, an der Brust ein schwarzes Unterkleid hervorblid<en. In gesunder Röte erblüht das Antlib, das ruhige, sichere Lebens- führung auszusprechen sdieint. Der redite Arm liegt auf einer mit grünen Stoff bedeckten Brüstung. Die Linke hält die Handschuhe und trägt am Zeigefinger einen Ring, auf dessen rotem Steine wir das oben erwähnte Wappen finden. Dieses zeigt in Wei& einen dunklen Sparren und je ein grünes Blatt in den Winkeln. Für die Beshmmung der dargestellten Persönlidikeit ist das Wappen von Wichtigkeit, weshalb idi vor einiger Zeit der Deutung desselben nadigegangen bin (siehe „Zeitschrift für bildende Kunst", Beiblatt,

*) Erstdruck in dem Werk „Wiener Galerien", das im Verlag von V. Heck lieferungsweise gegen Ende der 1880er Jahre erschienen ist. Aufnahmen von J. Löwy.

68) Vergl. „Holbein und seine Zeit", 2. Auflage, I. S. 369 und II. S. 155, siehe auch „Gazette des beaux-arts" 1869, I. S. 16, und 1887, I. S. 442, sowie auch Waagen's „Kunstdenkmäier in Wien". I. 313 f.

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Hans Holbein der Jüngere: Bildnis des Hermann Wedigh {ehemals in der Galerie Schönborn- Piichheim zu Wien). Nach der Photographie von J. Löwy.

22. Jahrgang, Sp. 379, und „Kölnische Volkszeitung" vom 29. April 1887, Feuilleton von J. J. Merlo). Dabei hat sich ergeben, da& jenes Wappen, das nicht ganz selten vorkommt, in unserem Falle so gut wie sicher als das der kölnischen Familie Wedig, auch Weddigh und Wedigh zu deuten ist. Auf diese Deutung führt nämlich eine leicht mit Gold gehöhte Insdirift, die man auf dem Schnitte des Buches liest, das links im Bilde auffällt. Dort steht nämlich: „HER ~ WID", was man bei der schwankenden Schreibung der Namen und bei der Häufigkeit, mit der uns der Vorname Hermann in der Familie Wedig begegnet, jedenfalls für Her(man) Wid(ig), bzw. Hermann Wedig lesen mu^.

Auf dem etwas stumpfblauen Hintergrunde unseres Bildes findet sich folgende Inschrift: „ANNO 1532" und „AETATIS SVAE 29". Die Jahreszahl gibt uns die größte Wahrscheinlichkeit, dag Hol- bein unser Bildnis während seines zweiten Aufenthaltes in Eng- land geschaffen hat. Vermutlich war Hermann Wedig einer jener deutschen Kaufleute, die zu London im Stahlhof verkehrt haben und deren H o 1 b e i n mehrere in der Zeit von 1832 bis 1836 ge- malt hat.

Die Inschrift: „veritas odium parit", die in sauberen kleinen Zügen auf dem weisen Blatt links unten geschrieben steht, ist wohl als der Wahlspruch des berüditigten Aretiners zu nehmen. Holbein's Monogramm „HH" steht auf dem Buch.

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Kunstgeschiditliche Nachrichten aus Venedig.*^

Die alte Venezia ist eines der meistgesuditen Reiseziele. Kunst- freundliches Publikum aus aller Herren Ländern strömt dort zu- sammen. Es wäre fesselnd, über den Fremdenverkehr in Venedig ähnliche Studien anzustellen, wie sie hier für Wien E. Grieszelich durdigeführt hat. Dann könnte man wissen, wie viele tausend Fremde des Jahres in Venedig aus und ein gehen und welche Ein- nahmequelle sich hier der Stadt ersdiliefet. Danadi könnte wieder berechnet werden, wie hoch das Kapital anzuschlagen wäre, das durch diese Einnahme verzinst wird. Zweifellos liegt dieses Kapital hauptsächlidi in den Kunstsdiäfeen Venedigs, die ja dodi, im weiten Sinne genommen, als die Hauptmagnete der Wunderstadt angesehen werden müssen. Der Handelsverkehr tritt hier zurück, was besonders auffällt, wenn man Venedig mit gro&en Hafen- städten anderswo vergleicht. Wie kunstarm ist das ferne Hamburg, Bremen] Sogar das schöne Amsterdam ist weit mehr Handelsstadt als Kunststätte. Nach Venedig bringt jeder Schnellzug Duzende von Fremden, die gekommen sind, um in erster Linie die Kunst der Lagunenstadt, wenn nicht genau, so doch oberflächlich kennen zu lernen. Dem entspricht denn audi die Menge und die Tiefe, bzw. die Seichtheit der Reiseliteratur über Venedig. Alljährlich erscheinen neue Büdier oder neue Auflagen älterer Reiseführer in allen Spra- dien, die immer wieder von neuem das Auffallendste hervorheben, was Venezia zu schauen gibt, aber auch nur das Auffallendste. Selten eine Erscheinung, die in mehr eigenartiger Weise von der merkwürdigen Stadt handeln würde. Einige Kapitel in dem jüngst

=') Erstdruck in der „Wiener Zeitung" vom 17., 18. und 19. Juli 1896.

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erschienenen Buche „Kennst du das Land?" von J. R. Haarhaus ge- hören als erfreuhche Ausnahme hieher. Die enghsdie Literatur ist reich an leidhdien (auch an unleidhchen) Studien über Venedig. Fast unübersehbar ist es, was in Ilahen über die Lagunenstadt ge- schrieben worden ist, seit Jahrzehnten, seit Jahrhunderten. Auch Frankreich stellt ein tüchtiges Kontingent. Die gro^e Masse dieser Gesamthteratur über Venedig t<ann natürlich nicht immer gründlich oder originell sein. Besonders die neuere und neueste Reiseliteratur läBt in dieser Beziehung vieles zu wünschen übrig. Wer in einem der beliebten, ia in den ausführlichsten Reisebüchern z. B. etwas über die venetianischen Maler des späten 17. oder gar des 18. Jahr- hunderts zu finden hofft, wird sich bitter enttäuscht finden. Mit Aus- nahme Giambattista Tiepolo's sind da nur wenige Künstler beachtet. Aber wie viele ausgezeichnete andere Meister gab es noch zu Tiepolo's Zeit und ein wenig früher und später in Venedig] Für all die Guten, auch für Bambini, Brusaferro, Celesti, Pietro Ricchi, ge- nannt Lucchese, Magiotto, Piazetta, für Sebastiano Ricci, Antonio Zanchi kein Wort der Anerkennung, keine Angabe ihrer Haupt- werke. Die zünftigen Kunstleute sind daran schuld. Es sei ihnen nicht übelgenommen, dafe sie in Venedig zuerst auf Bellini, die Vivarini, auf Carpaccio, Giorgione, Palma, Tizian, Veronese, Tinto- retto stürzen und mit Eifer die primitiven Muranesen studieren; aber daB sie Maler von großem Können und gewaltiger Phantasie, wie sie Venedig auch im 18. Jahrhunderte reichlich hervorgebracht hat, nur so reihenweise totschweigen, ist eine akademische Albernheit. [Als ich schrieb, war dieser Vorwurf noch sehr berechtigt. Man ist seither von der angedeuteten Engherzigkeit geheilt worden.]

Eine weitere Vernachlässigung, die in der Literatur über Venedig fast ausnahmelos zutage tritt, und diese Vernachlässigung ist ein Erbstück früherer Jahrhunderte liegt in der Mi&achtung fremder Schulen, wenn es gilt, Vorhandenes aufzuzählen. Deutsche, nieder- ländische und französische Meister werden dort nicht studiert, ja kaum angesehen, gar häufig verkannt und gewaltsam entweder nach irgend einem berühmten ausländischen oder nach einem damit ver- wandten italienischen Paradigma abgewandelL Den Fachkreisen ist es längst bekannt, wie wenig man darauf geben kann, wenn in Italien ein Bild auf Lukas van Leyden (Luca d'Olanda), auf Dürer, Holbein, Cranach getauft ist. Minder berühmte Namen wurden und

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werden bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt, nidit nur in der Aus- spractie, sondern aucti in der sdiriftlidien Wiedergabe, ja sie wurden ganz vergessen und sdilieBlicti durdi kunstverwandte ilalienisctie Namen ersefet. Treten wir z. B. bei den C a r m i n i ein, in jene weiträumige, ursprünglich romanische [über das Alter der Gründung gehen die Meinungen auseinander, was uns diesmal unbewegt lassen darf], später vielfadi umgestaltete Kirche. Die Hauptwerke, die in den Reisebüchern verzeichnet stehen, der herr- lidie Cima da Conegliano, der Lotto, der Tintoretto, sind uns längst bekannt. Mit vertrautem GruBe nehmen wir diesmal bald von ihnen Abschied. Wir wollen es einmal versudien, uns in dem Gewirre all der übrigen Bilder und Skulpturen zurecht zu finden. Die zwei Engelsfiguren von Gerolamo Campana und ein Bronzerelief in der Art des Andrea Riccio haben wir bald erschaut. Ein gro&es, gut beleuchtetes Bild von Alessandro Varotari fällt bald durch seine deutliche Signatur auf, noch anderes finde ich nach den Angaben der „Guida" von Gianantonio Moschini aus dem Jahre 1815, aus einem handlidien Werke, das idi eben in der Tasche habe.

Für die großen Gemälde aber, die in langer Reihe jederseits oben über den Arkaden des Hauptschiffes hängen und zum Teile interessant und gut sind, mu& schon ein eigenes Studium eingeleitet werden, um sich orientieren zu können. Noch schlimmer steht es um die Beshmmung der Bilder an den Orgelbrüstungen, trob der Patina höchst wirkungsvoller, farbensatter Gemälde, deren einige man bei gutem Lichte unschwer als Werke des Andrea S ch i a v o n e er- kennt. Moschini und die besten venetianisdien Führer bis herauf zu Quadri (mehrere Auflagen gegen 1830) und zu Haslauer (1834), auch bis zu Paoletti (1840) sdireiben alle diese Bilder an den beiden Orgelbrüstungen links und rechts demselben Schiavone zu. Und dodi ist eines darunter, das merklich aus der Reihe fällt, für das aber sdiwer sogleich ein Name zu finden ist. Auch von einer Leiter aus, die mich dem Bilde näher brachte, wu&te ich vor der stark ver- rauchten Tafel, die eine Circumcision darstellt, keinen rechten Rat. Vermutlidi hat's ein Fremder mit venetianischer Palette gemalt. Die ältere topographische Literatur half nun aus der Verlegenheit; so fand sidi in einem Führer von 1797, der auf gute Angaben zurück- geht, als Meister dieser „Circoncisione" folgender genannt: „S i g- nore di Giuseppe Enz o", was nidits anderes bedeutet als

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Joseph Heinz. Als ältesie Nachrichl«^) ist mir hier bekannt eine Stelle in Boschini's „Riche minere della pittura" (von 1664), wo dieses Bild als Werk des „Gioseffo Enzo, pittore industrioso", ge- nannt wird (S. 371). Der Fall ist lehrreich, weil er beweist, einerseits wie im Laufe der Zeiten die kleineren Namen von den grö&eren ge- radewegs verschlungen werden, und andererseits, wie auch der im allgemeinen noch überlieferte deutsche Name im Italienischen um- gestaltet wurde. Schiavone hat hier den Enzo, Heinfe, verschlungen, und heute wird das Bild des Heinb vom Küster als Werk des Schia- vone vorgewiesen.

Vergessen ist Heinzens Name auch bei einem großen Bilde in San Fantino in Venedig, das in der älteren Literatur genau be- schrieben und ebenso bestimmt auf Heinfe bezogen wird, als man heute noch mit Bestimmtheit Heinfe'sche Malweise an diesem Bilde zu erkennen imstande ist. Ich möchte an anderer Stelle ausführlich von diesem Werke handeln. [Die meisten der Heinz'schen Bilder, die sich in Venedig erhalten haben, stammen vom jüngeren Joseph Heinz, doch mu& man die „Circoncisione" bei den Carmini dem älteren Maler dieses Namens zuschreiben. Die ehedem angekün- digten Erörterungen über die Heinz'schen Werke in Venedig sind mittlerweile in den „Neuen Blättern für Gemäldekunde" erschienen.] Hier suche ich noch andere Beispiele dafür beizubringen, wie rasch in Venedig fremde Namen verloren gegangen sind. In der eben so reichen und äußerlich glänzenden als innerlich bedeutenden G a 1- 1 e r i e des Principe Giovannelli in Venedig (berühmt durch die Sogenannte Gewitterlandschaft des Giorgione) steht ein Bild als „i g n o t o" verzeichnet, dessen Namen man im vorigen Jahrhundert noch genau kannte. Es stellt Adam und Eva dar, welche den toten Abel beweinen. Ganz eigenartige holländische Auffassung, schon in der Komposition und Anordnung, die alle drei Figuren links zu- sammendrängt und die ersten Eltern ganz bekleidet erscheinen lägt. Leider ist das verhältnismäßig kleine Bild an einer schattigen Wand angebradit; dodh lieB sich die holländische Malweise audi so deut- lidi erkennen. Am Abend vorher, bevor idi in der Gallerie Gio- vannelli war, hatte ich einen großen Stich von P. Monaco gesehen,

69) In Martinonis Nachträgen zur „Venezia descritta" von Sansovino, die 1663 erschienen sind, werden bezüglich der „Circoncisione" Zweifel geäußert und kein bestimmter Malername genannt. „Creduta da molti dello Schiavone" heißt es.

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der nach diesem Gemälde in der Zeit um 1740 angefertigt worden war, der als den Befifeer Giovannelli nennt und als Maler Jan L Y s. [Den] Sticti und [das] Bild aus so frisctier Erinnerung, wie sie tiier vorlag, zusammenzureimen, war nun keine Kunst. Immertiin freute es midi, die nocti immer kleine Zatil von sictieren Bildern des überaus bedeutenden tiolländisctien Malers Jan Lys (aus Hoorn) wieder um eines vermetiren zu können, das nocti dazu in den ältesten Nadirictiten über Jan Lys sction erwälint ist. Venedig be- sibt zum mindesten nocti zwei gesidierte Arbeiten desselben Lys, der in der Literatur gar oft mit Dirk van der Lisse verwediselt wor- den ist und über den man das meiste durdi Sandrarts „Deutsdie Akademie" und lioubrakens „Malerbudi" erfätirt. Lys, der gegen 1590 geboren sein dürfte, starb 1629 in Venedig. Zwei gut beglau- bigte Bilder befinden sich in der Galerie zu Pommersfelden, in deren neuem Katalog sie denn audi verzeichnet und beschrieben stehen (Nr. 337 und 338). Ein beglaubigter „Lautenschläger" büdet einen wenig beachteten Bestandteil der Dresdner Galerie. "^o) ^uf

70) Ob eine reuige Magdalena, die in Dresden dem Lys wohl mit Recht zu geschrieben wird, indentisch ist mit einem Magdalenen-Bilde der Casa Bonfadina das Boschini in der „Carta del navegar pittoresco" (1660, S. 567) erwähnt und ein wenig beschreibt, ist erst genau zu untersuchen, mir aber sehr wahrscheinlich. Zum Mindesten möchte ich auf die Möglichkeit hingewiesen haben. [Seither wurde das Bild durch mich in Helbings Monatsberichten über Kunstwissenschaft ab- gebildet und besprochen.} Die alten venetianischen Sammlungen besaßen viele Bilder von unserem Lys, der in Venedig eine gewisse Rolle gespielt zu haben scheint, den er bewillkommte 1627 zusammen mit Nikolaus Ringnerus den Maler Sandrart, als dieser nach Venedig kam. In Hoets Katalogsammlung sind mehrere Bilder des Lys in niederländischen Sammlungen genannt. 1746 befand sich in Pommersfelden ein „Hieronymus in der Wüsten", welcher die Posaunen aus den Wolken anhört. Lebensgroß. Von Joann Lys. 4' X 3' 2" ". Neuestens wurde ein Jan Lys von 1645 auf der Auktion Bruchmann in Köln durch Heberle ver- steigert. Unter der überreichen Literatur, die bei Jan Lys in Frage kommt, ist auch Füßli's großes Lexikon mit samt den Nachträgen (S. 743 und Naglers Lexikon zu beachten. Neuestens vergleiche De Groots Werk über Houbrakens Schaubühne (besonders 279 ff.). [Übei Jan Lys möchte ich eine Bemerkung ein- schalten, die zum Teil der Wahrung meiner Rechte dient. Zur Zeit, als manche jüngere Fachgenossen nuch in den Anfangsstudien staken, habe ich die Bedeutung des Farbenzauberers Jan Lys erkannt, wie ich denn auch der Reihe nach schon vor Jahren auf viele bis dahin unbekannte Zusammenhänge aufmerksam gemacht habe. Anerkannt wurde dies auch durch Herrn Dr. R. A. Peltzer, der in der Lys-Forschung tüchtig weiter gearbeitet hat. Ich verweise im Allgemeinen auf dessen Mitteilungen in den „Studien und Skizzen zur Gemäldekunde", Bd. I, S. 161 ff, wo die ältere Literatur angeführt ist. Eine eigene Arbeit ist in Verlust geraten mitsamt den Klischees, die in Preßburg in der Buchdruckerei Alkalay verbummeU worden sind. Es waren Erörterungen über verkannte Bilder in Florenz und deren Nach- bildungen. Bei Gelegenheit hole ich jene verloren gegangenen Mitteilungen wieder nach.}

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einen heiligen Hieronymus bei den Tolentini in Venedig, der auch bei Houbraken und in den Lexicis erwähnt ist, habe ich schon vor Jahren neuerhch aufmerksam gemacht, als ich im „Repeitorium für Kunstwissenschaft" über die Wiener akademische Galerie Bericht erstattete. (Bd. XIV, S. 83.) Das Bild selbst hatte ich damals noch nicht gesehen, weshalb ich hier eine kurze Beschreibung dieses interessanten Werkes, das übrigens ebenfalls von allen modernen Führern übergangen wird, nachholen will. Es ist ein bedeutendes, eigenartiges Bild, das sich freilich in einer Galerie und sauber ge- halten besser ausnehmen würde als verstaubt und ziemlich hoch an einer Kirchenwand. Hieronymus, eine reichlich lebensgro&e würdige Figur, ist auf einem Felsen sibend dargestellt. Ein rosafarbiger Mantel von eigentümlichem Tone, der in der venetianischen Farben- skala fehlt, ist über den rechten Oberschenkel gelegt und sticht lebhaft gegen das wei^e Linnen ab, das die Lenden bedeckt. Der Heilige hält die Feder in der Rechten. Der Blick ist nadi oben ge- richtet. Neben Hieronymus der Löwe. Links gewahrt man einen Engel von feisten holländischen Formen, der mit der Linken empor- deutet. Rechts in Wolken, soweit ich unterscheiden konnte, ein zweiter Engel. Auffallend sind die naturalistisch braunen Hände, die auch auf anderen Bildern des Jan Lys vorkommen, und das Rosarot, das nach meiner Erinnerung auf dem einen Bilde des Lys in Pommersfelden wiederkehrt (aitf der Toilette der Venus). Das groBe, etwa zwei Meter hohe und nidit viel weniger breite Bild bei den Tolentini ist ebenfalls von P. Monaco um 1740 gestochen worden, ebenso wie das Bild, das ich bei Giovannelli wieder- gefunden habe, wie ein anderes mit dem verlorenen Sohne, von dem noch die Rede sein wird, und wie eine Judith mit dem Haupt des Holofernes, die erst wieder zu finden ist und die 1739 im Be- sifee der Familie Widmann in Venedig wmJ^) Das Bild bei den Tolentini hat seine riditige Benennung niemals ganz verloren, und der intelligente Custode, der mir das Studium des Bildes aus der Nähe in freundlidier Weise erleichterte, wies mir auch das kleine venetianische Journal „11 Gazettino" vom 1. März 1895, in welchem das Hieronymus-Bild des Lys kurz erwähnt ist. Die ältere topo- graphische Literatur verzeichnet es regelmäfeig.

71) [Es befindet sich heute im Museum zu Budapest, Abb. in „Neue Blätter für Gemäldekunde", I. Jahrgang, Heft 1.1

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Weniger gut erging es in dieser Beziehung dem beglaubigten Bilde des Lys, das den verlornen Sohn in lockerer Gesellschaft dar- stellt und das sich seit Jahrzehnten in der Accademia zu Venedig befindet. Eine Zeitlang galt es als Werk eines Unbekannten aus der „scuola fiamingha". Jefet heifet es „Olis", was nun freilich ungefähr eben so unrichtig ist wie die allgemeinere frühere Be- nennung. Denn J. Olis ist ein ganz bestimmter, von Lys verschie- dener holländischer Maler, der urkundlich nachgewiesen ist und von dem es sichere Bilder in Koblenz, Gotha, Mainz (Sammlung Fischer), im Haag und anderswo gibt. Die Sammlung Doetsch in London be- sag ein signiertes Werk des Olis von 1640. Herr Landesgerichtsrat Pelber in Köln besi^t noch jebt eines. [Das Bild ist längst nicht mehr dort.] In der alten Wiener Sammlung Apponyi war er durch ein Sittenbild vertreten. Ob die Bilder, die mit I. Oly signiert sind und deren ich eines im Schlosse zu Dessau und wieder eines vor Jahren im Wiener Kunsthandel gesehen habe, von Olis herrühren, will ich einstweilen als unbeantwortete Frage offen lassen. Auch allerlei Literatur, die hier zu nennen wäre (so mehrere Artikel von Bredius), kann hier nicht einzeln aufgezählt werden. Als sicher aber kann es trofedem gelten, dafe J. Olis und Jan Lys zwei grundverschiedene holländische Maler sind, und dag der „Verlorne Sohn" in der Aka- demie zu Venedig mit Olis nidits zu tun hat, sondern ein beglau- bigtes Werk des Jan Lys isL » Sdion Houbraken rühmt ein Bild mit der „historie van den verloren Zoon", und Monaco's Stich aus der Zeit um 1740 nennt den Lys ausdrüd<lich als Maler dieses Bildes mit dem verlornen Sohne. Eine alte Kopie oder Wiederholung dieses Gemäldes befindet sich in den Uffizien, eine andere in der Wiener Akademie (dort als Giov. Batt. Weenix, Nr. 855).'^2) Dqs Florentiner Bild hat seinen richtigen Namen merkwürdiger Weise bis in die Gegenwart herein gerettet. [Dodi fand ich dort verkannt noch anderes von J. Lys.]

Die Galerie in der „Accademia di belle arti" zu Venedig bietet neben dem „Fall" Lys nodi einige Dufeend andere, die Belege da- für abgeben können, daß fremde Meister in Venedig nidit studiert werden. Audi bei der neuen Aufstellung und neuen Katalogisierung

72) Dazu meine „Geschichte der Wiener Gemäldesammlungen", Kap IV S. 32 u. 188.

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der ganzen Sammlung sind sie wieder zu kurz gekommen. So ganz im allgemeinen kann man die neue Ordnung der Dinge in der vene- tianischen Akademie guthei&en. Aber gerade die Punkte, die an- gedeutet wurden, sind entsctiieden sctiwach. Die gedruckten Fütirer und Kataloge der Akademie waren niemals so durctigebildet, da& sie strengen Anforderungen hätten genügen können. Und so ist aucti die neueste Ersctieinung dieser Art wieder nur für ein tialb- wissendes großes Publikum berectinet. Die Wiedergabe der In- sctiriften ist ungenau; die Angaben über die Herkunft der Bilder sind lückentiaft. Was die Benennungen betrifft, so lä|t sicti ja meist gegen die der venetianisctien Bilder nictits einwenden. Bei fremden Meistern ist man aber tierzlidi sorglos vorgegangen. Eine Reitie von MiBverständnissen, verhältnismäßig selten unterbrochen durch zu- treffende Taufen, werden hier nach der Nummernfolge des jefeigen Führers in aller Kürze besprochen. Einige Vermutungen seien da- neben angedeutet.

Nr. 110 Landschaft mit nackten mythologischen Figuren; dem Poelenburg zugeschrieben, aber ziemlich einleuchtend als Werk des Moses van llytenbroeck. Nr. 115 Landschaft mit Bauern, die einen Kavalier verfolgen; unzweifelhaft nicht von Adriaen van de Velde, der im Führer genannt wird, sondern eine Kopie nach einem alten Vlamen aus der Valckenborch-Gruppe, vermutlich nach Fried- rich van Fald<enborch. Nr. 116, sicher nicht von derselben Hand, sondern von einem Nachahmer des Paul Bril. Nr. 118, gute Kopie, etwa nach Van Uden. Nr. 119 nicht Cornelis de Wael. Nr. 120 weit entfernt von Philips Wouwerman, den der Führer verantwortlich macht, vielmehr aus der Näh^ des Peeter Snayers. Nr. 121 und 122 italienische Kopien, etwa nadi Van Uden; keine Spur von Adriaen van de Velde. Nr. 125 wohl venetianische Kopie nach einem flandrischen Landsdiaftsmaler aus Van Udens Nähe. Nr. 126 italienische Kopie, etwa nach Paul Bril. Nr. 127 kleine Landschaft mit Gebirgsstädtchen. Paßt vollkommen zum Stil des Anton M i r o u. [Dazu die wertvolle Schrift von Ed. Pliebsch „Die Franken- thaler Maler" (Leipzig, 1910).] Mirou hat, wie es scheint, audi in Venedig gearbeitet. Nr. 128 nidit C. de Wael. Nr. 130 vermutlich venetianisdie Kopie nach Lucas van Uden (gehört zu Nr. 125). Nr. 131 Winterlandsdiaft mit Schlittsdiuhläufern, erinnert ein wenig an Adriaen van de Venne, hat aber mit van de Velde, der

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vom Führer genannt wird, gar keine Ähnlichkeit. Nr. 137 einem un- bekannten Fiammingo (Flandrer) zugeschrieben, ist offenbar eine venetianische Kopie nach Grimmer oder Brueghel. Nr. 143 zeigt eine auffallende Verwandtschaft mit Adam Elsheimer (Ge- birgslandschaft mit großem Wasserfall. Rechts vorn si^t ein Maler, der die Zeidienmappe vor sich hält. Daneben steht ein Schüler. Die rote Figur weiter vorn ist gesdimackloser Weise später hinzugemalt worden.) Wäre Poelenburg, der bisher für das Bildchen genannt wurde, der Urheber desselben, so mü&te man annehmen, daB Els- heimer alles Wichtige übergangen hat. Nr. 145 ein leider etwas her- untergekommenes Bildchen, wird dem Dietrici zugeschrieben. Ich halte es seit Jahren für ein vernachlässigtes Original von dem Hol- länder Ary de Vois, dessen weiche, warme, holzbraune Flächen hier wiederkehren. Nr. 146 sicher nicht „Bega o Begyn", sondern vermutlich alte Kopie nach Adriaen van Ostade.

In einem anderen Saale ist die Ausbeute kaum geringer. Der „ignoto Fiammingo" von Nr. 172 ist dodi wohl niemand anderer als der Olandese M. M i e r e v e 1 1. Nr. 178 als Jan Steen katalogisiert. „Bauernfamilie bei Tischgebet." Vor Jahren sah ich auf diesem guten, farbenkräftigen Bildchen noch die Reste einer Signatur des Steen. Thomas Wyck kam mir freilich vor dem Bilde lebhaft ins Gedächtnis.

Ein ganz unzweifelhaft echter Steen ist aber Nr. 180 „Die Familie des Aldiymisten", ein Bild, zu welchem der Führer jeden- falls bemerken sollte, dafe es datiert ist. 1668 steht neben der echten Namensfertigung. Denn Steen hat seine Bilder selten datiert, wo- durch bei ihnen jede Jahreszahl besondere kunstgesdiiditliche Be- deutung gewinnt.

Nr. 182 und 184 sind zwei Flügel eines „Jüngsten Gerichtes" von Hieronymus Bosch und haben mit Bles, der im Führer ge- nannt wird, nichts zu schaffen. Beide stammen, wie in den früheren Katalogen und audi im neuesten Führer erwähnt ist, aus dem Dogenpalast. Vermutlich sind es dieselben Bilder, die in Bosdiini's ,,Riche minere" (S. 30) als Szenen aus der Apokalypse, gemalt von Bles (Civetta), erwähnt werden. Im legten Zimmer der Herren vom Rate der Zehn waren diese Bilder zu Boschini's Zeiten, also um 1660, aufgestellt. Die Deutung war den Venetianern schwer ge- fallen, ja sie ist noch jefet im Führer zweifellos vergriffen, da von

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Szenen aus Dante's „Inferno" gesprodien wird. Wer sich einmal in den Geslaltenkreis des B o s ch vertieft tiat, wird tiier gar bald die Elemente eines jüngsten Gerichtes gewahr (das Urteil der Ver- dammten und die Aufnahme der Seligen in den Himmel). Die zwei besprochenen Flügel sind sicher weder von Bles, noch stellen sie danteske oder apokalyptische Szenen dar, sondern sie gehören ver- mutlich zu einem großen jüngsten Gerichte, dessen Mittelbild mit dem Seelenwäger Michael und unzähligen anderen Figuren noch jebt im lebten Zimmer des Rates der Zehn zu finden ist. Ob die Abmessungen shmmen, habe ich nicht überprüft. Die Höhe der Flügel müBte annähernd dieselbe sein wie beim Mittelbilde im Dogenpalast.

Ganz nebenbei sei hier bemerkt, da& sich nach Boschini's An- gabe im Dogenpalaste ein Werk befunden hat, dessen Autor „Giro- lamo Basi" genannt wird. Einen Maler Basi kennt die venetianische Kunstgeschichte nidit, und man wird annehmen können, daB Giro- lamo (also Hieronymus) Bosch damit gemeint ist, der durch Schreibfehler, Druckfehler oder Mißverständnis um seinen richtigen Namen gekommen ist. Man erinnere sich, mit welcher Sorglosigkeit und Schonungslosigkeit alle nordischen Namen in Italien behandelt wurden und oft noch jefet behandelt werden. Das erwähnte Bild stellte den Kreuzestod einer Heiligen dar. Ob es wohl idenhsch ist mit dem Triptyciion, das bei der jüngsten Neuaufstellung der Wiener Galerie aufgetaucht ist? [Gewiß stammt das Triptychon von H. Bosch, ja sogar alle zwei Triptycha der neuen Wiener Auf- stellung aus Venedig. Dahin sind sie noch während des Waffen- stillstandes, wieder zurückgekehrt. Vergleiche zu diesen Bildern auch Zanotto (1771) und meine Geschichte der Wiener Gemälde- sammlungen I, S. 318, 332 und 460 ff., wo ältere Literatur genannt ist. Aus dieser sei hervorgehoben Vict. Ceresole „La verite sur les depredations autrichiennes ä Venise" (Venedig 1867). Aus der neueren Literatur mögen beachtet werden Dr. Maurice Gossart „Iheronymus Bosch" (S. 49) und Paul Lafond „Hieronymus Bosch" (S. 66). Beide Bilder waren 1838 aus Venedig nach Wien gekommen.]

Nr. 183 ist sicher falsch benannt als Ter-Borch, denn es trägt, wenn auch verblaßt, doch sicher leserlich die Signatur: „Jac. Ochter- velt f. 16 . 7p, also eines bekannten Malers, dessen Stilcharakter denn auch deutlidi genug in dem vorliegenden Bilde zum Ausdrucke

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kommt. Dargestellt ist eine junge, tiellgekleidete Dame, die in Otm- macht gefallen ist. Metirere andere weiblictie Figuren und der Arzt sind in der Nätie.

Nr. 185 „Turmbau von Babel" ist ein wirklidier B I e s und, so weit icti micti erinnere und die Lage überblicke, der einzig riditig bestimmte in ganz Venedig. Es ist aber audi eine ganz andere Hand als die der Flügel mit den Darstellungen zum jüngsten Ge- ridite.

Nr. 187 wird nodi immer dem Bernard van Orley zugesdirieben, obwotil sdion längst im „Repertorium für Kunstwissensdiaft" (Bd. XII, S. 381) der „Meister der weiblidien Halbfiguren", audi „Meister der Magdalenen", als Urheber angegeben worden ist. Dafe dieser, vielleicht französische Maler, hier dem Orley nahekommt, bleibt dabei ganz unbestritten. ^s)

Der Marien-Typus des folgenden Madonnenbildes (Nr. 188) er- innert lebhaft an den des Prager Dombildes von M a b u s e. Ohne Widerrede ist das Bild von einem italisierenden Niederländer ge- malt. Die Zuschreibung an Cranach, wie sie jefet noch beliebt wird, lä&t sich in keiner Weise verteidigen. Dagegen tat man sicher recht, das diaraktervolle, hochinteressante Bildnis (Nr. 191) mit dem Wahl- spruche „raison l'enseigne" dem Hugo van der Goes (mit Wauters) zuzusdireiben, dessen allgemeine Malweise und be- sondere Züge (z. B. die starke Betonung der Falten an den Finger- gelenken) hier unschwer zu erkennen sind. Hugo van der Goes ist den Italienern dadurch näher gerückt, daB sidi, wie bekannt, sein Hauptbild in Florenz befindet.

Die heilige Katharina, Nr. 192, die ein „ignoto Fiammingo" ge- malt haben soll, ist sicher deutsdi, sdiwäbisdi aus der Zeit des jüngeren Holbein, ohne im übrigen die Nennung des großen Namens zu rechtfertigen. Ikonographisch interessant ist es, dag die Heilige hier einen dicken Ring von der bekannten Form der Investiturringe in der Hand hält.

Nr. 193 ein Blumenkorb in der Art Roeland Savery's und des Ambrosius Bosschaert gemalt, ist glüd<lidierweise mit Fragezeichen dem Jean Battist Monnoyer zugesdirieben. Das-

73) Dazu Beilage zur „Münchener allgemeinen Zeitung* vom 7. Novem- ber 1902.

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selbe gilt von Nr. 199, die übrigens nicht als Gegenstück zu Nr. 193 anzuseilen ist.

Nr. 194 ein Winterbild von Pieter M o 1 y n, ist nidit mit dem ganzen Vornamen signiert, sondern, wie gewötinlidi bei diesem Künstler, mit: MOLYn und dem P, das über das M gestellt ist. Die Jahreszatil 1656, die vom Fütirer genannt wird, war für midi nidit auffindbar. (Das gute, interessante Bilddien ist von Naya seit Jatiren aufgenommen als Nr. 320.)

Das weiblictie Bildnis Nr. 198 werden die meisten bilder- kundigen Besudier aus dem Norden nidit mit dem Fütirer als Antoni Moor gelten lassen, sondern Frans Porbus, dem älteren, zusctireiben.

Die kleine Landsdiaft Nr. 200 kann von niemandem ernstlidi für ein Werk des Sammetbruegtiel tiingenommen werden. Wenn ich einer meiner alten Notizen trauen darf, die neuerlich nicht überprüft wurde, so ist hier in bestem Falle an einen der spätesten Brueghel zu denken.

In der Loggia Palladiana, die früher so unangenehm überfüllt war und gegenwärtig viel besser zu genießen und zu studieren ist als bei der früheren Anordnung, beginnen wir mit zwei Werken M e 1 dl i o r d'H ondecoeters aus der alten Sammlung Molin. Es sind keine Gegenstüd<e, doch gehören sie beide ungefähr der- selben Periode des Künstlers an. (Nr. 344 und 345.) Ihre Benennung wird kaum anzufechten sein.

Nr. 347 als Claude Lorrain sehr fraglidi; eher Swanevelt oder ein ihm verwandter Claude-Nadiahmer.

Nr. 349 und 350 zwei Landschaften, sind wohl gar nicht aus der „scuola olandese", sondern dürften der Richtung des jüngeren Brand angehören.

Etwas stark daneben gegriffen wurde bei der Benennung Momper für Nr. 352 und 353. In der Tat sind es poussineske Land- schaften, die große Verwandtschaft mit jenem RYsbraed< haben, der in der Pommersfeldener Galerie durch ein Hauptbild ver- treten ist.

Nr. 354 ein roher B e r g h e m, wie ich meine, richtig benannt, ebenso Nr. 355 als J o h n R i I e y und Nr. 356 und 357 als L e n d e r t B r a m e r.

Nr. 359 ein artiges Bilddien mit Landsdiaft und Shlleben, wird

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wohl von Gryeff sein, der im großen und kleinen ähnliche Gegen- stände gern behandelt hat. Indes lä^t mich vor diesem Bilde mein Gedächtnis jedesmal im Stiche. Einmal fand ich eine Beziehung zu den späten Bildern des PeeterGysels, dann notierte ich wieder, daB die Landschaft an den Hintergrund des signierten Jan B 1 o m im „Ferdinandeum" zu Innsbruck erinnere. Mögen andere hier im Auffinden bestimmter Züge glücklicher sein)

Nr. 361 ein sauber durchgebildetes Stilleben, läfet sich nach dem Stil und nadi den Resten der Signatur vollkommen sicher be- stimmen. Die harte, etwas bunte Malerei und die Insdirift: „Nie- col(as) van v . . . endael A^ 16(39)" machen es vollkommen klar, dafe hier die Benennung des Führers als „Gio. Bathsta Simeone Chardin" gänzlich unhaltbar ist und da& der treff lidie N i c 1 a s van Veerendael (im Feuilleton der „Wiener Zeitung" vor nidit allzu langer Zeit genannt, als von der Galerie im Wiener Schottenstift die Rede war] als Urheber des Stillebens in der Loggia Palladiana anzusehen ist.

Nr. 364 von Adriaen van Nieulandt sei hier erwähnt, weil sich dieses Bild in seiner Malweise recht gut an ein signiertes Werk desselben Meisters in einer Wiener Sammlung, in der Samm- lung Burger-Goll, anreihL

Die Benennung des Bildes mit einem Pferdemarkt, Nr. 366, als Berck-Heyde beruht auf ungenauer Lesung der Signatur, von der allerdings nur die lefete Silbe vollkommen klar leserlich ist. Sie

lautet Borch"; davor etwas wie ein „m" oder „en". Nach der

Malweise kann das vorliegende Bildchen kaum von jemand anderem sein als von Jakob van Hughtenborch, dem älteren Bruder des allbekannten Jan van Hughtenborch. Ich kenne ein signiertes Werk des Jakob in der Galerie zu Hermannstadt, das midi hier leitet. In der Breslauer Galerie wird eine Jagdgesellschaft in einem Parke, die augenscheinlidi von diesem Jakob van Hughtenbordi ist, ebenfalls dem Berck-Heyde zugeschrieben.

Elsheimers „Verleugnung Christi durch Petrus" ist sdion von Bode gewürdigt worden (Nr. 368). Audi die nächste Nummer (369) hat sdion einmal zu einer kritischen Bemerkung AnlaB ge- geben. Die Benennung Breenberg, die man in Venedig dafür zähe festhält, entbehrt nämlich jeder Begründung. Sdion vor Jahren fand ich auf der kleinen Gebirgslandsdiaft, um die es sich hier handelt,

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das Monogramm L/VV unierhalb der Jahreszahl 1582. Wer sich um die Landschaftsmalerei der angegebenen Zeit gekümmert hat, wird bald ohne Bedenl<en das kleine Bild dem Lucasvan Valcken- b o r ch zuschreiben, auch dann, wenn er unterhalb des Mono- grammes von Valckenborch noch ein zweites gefunden haben sollte, das sicher nicht in neuerer Zeit aufgesefet ist, auch wenn er der Ueberzeugung sein sollte, da& die kleinen Figuren links, in tok- kierender Weise hingesefet, nicht von Valckenborch's Hand sein können. Diese sind um ewa ein halbes Jahrhundert später von Härmen Saftleven hineingemalt worden, der unter Valcken- borch's Signatur einen Strich machte und dann sein Monogramm mit der Jahreszahl 1630 (oder 1650) und einem „.F." darunter- sefete. Wir haben hier den seltenen Fall vor uns, da& der spätere Maler ehrlich und gewissenhaft genug war, seine Retouchen durch eine Inschrift anzudeuten.

Nr. 370 ist längst als freie [alte] Kopie nach einem Bilde des Heinz in der Wiener Galerie erkannt. (Hiezu „Kleine Galerie- Studien", Bd. I.)

Nr. 371 „Susanna und die Alten" ist doch wohl von P o m p e o B a 1 1 o n i und nicht von Antoine Coypel.

Bei Nr. 373 als Gabriel Mebu ist das Fragezeichen, das der Führer beisefet, gar sehr gerechtfertigt. Denn das Passionsbild, das wir hier vor uns haben, ist o b e r d e u t s ch und fällt noch ins 16. Jahrhundert. (Gegen den Mefeu Nr. 196, Darstellung einer schlummernden Frau, wüfete ich dagegen nidits einzuwenden.)

Ziemlich einfadi wäre die Bestimmung der folgenden Nummern 374 und 375 gewesen, wenn die Signatur früher so bequem zugäng- lich gewesen wäre als jebt in der neuen Aufstellung. Diese beiden Landschaften mit kriegerischen Figuren werden nodi immer einem fabelhaften „Playnel" zugeschrieben, sind aber sicher von Paul J u V e n e 1, dessen Signatur auf einem der kleinen Breitbilder voll- kommen deutlich leserlich ist. „P. Juvenel Fecit : 1633." (In schwarzer kleiner Sdirift rechts auf einer Tafel in Nr. 375.) P und I sind verbunden, ganz so wie auf dem monogrammierten Paul Juvenel von 1636 in Hermannstadt.'^*) Dem Stilcharakter nach sind die zwei Landschaften in der Akademie zu Venedig flandrisch.

''^) Faksimiliert im ersten Hefte der neuen Folge der „Kleinen Galerie- Studien", S. 76.

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Das Bildnis Nr. 376 ist dem Miereveit zugeschrieben, liat aber nidit einmal die Qualität, um als Ravestyn gelten zu können.

Einige Mißgriffe mit fremden Namen sind audi sonst nodi zu verzeidinen, z. B. in dem Räume neben dem Saale der Hand- zeidinungen. Nr. 66, eine mittelgroße Landschaft mit dem ver- lornen Sohne, wird dort dem Paolo Fiammingo (Paolo Franceschi, das ist also [Pauwel Francks, der sogenannte] Paul Franchois) zu- geschrieben, obwohl das einzige, sicher beglaubigte Bild dieses Frandiois ein großes Historienbild von wesentlich anderem Cha- rakter ist. Es befindet sich im großen Ratsaale (Sala del' maggior consiglio) im Dogenpalast und erinnert so ganz im allgemeinen an Rubens, wogegen die vorliegende Landschaft dem mittleren Stile des Paul Bril entspricht, ohne uns überzeugend den Namen Bril auf- zudrängen.

Nr. 63 in demselben Räume wird dann zerstreuter Weise dem Pierfrancesco Mola angedichtet, obwohl sie in höchstem Grade überzeugend von GerardHoet gemalt isL Der sattblaue Himmel, die Färbung und Modellierung der Figuren (dargestellt ist ein Opfer- fest für Diana) sprechen hier deutlich genug. Es gibt ja so viele sichere Bilder von Hoet, daß eine Überprüfung der gewählten Diagnose wenigstens aus frisdier Erinnerung mehrmals geschehen konnte.

Das C o r r e r'sche Museum (Museo civico) war gerade in einer Umstellung begriffen, als ich es jüngst besuchte. Nach vielen alten Bekannten spähte ich vergebens aus. Troßdem war es mög- lidi, einiges zu notieren, das hieher gehört, sei es, weil dadurdi weitere Beispiele von der Vernachlässigung fremder Sdiulen bei- gebracht werden, sei es, weil damit Seitenblid<e auf ö s t e r- r e i ch i s dl e Sammlungen gegeben sind. So weiß man, daß die Gemäldesammlung ]. V. Noväk in Prag ein venetianisdies Bild be- sißt, dessen Insdirift auf den seltenen P. Pasqualinus hinweist. Der Name steht vollständig darauf, doch erlauben die Kürzungen, weldie folgen, keine unbedingt sidiere Auflösung. Deshalb sind mündlidi Zweifel laut geworden, ob mit dem Namen Pasqualinus hier audi wirklich der Maler und nidit etwa der Stifter gemeint sei. Im Correr'schen Museum sieht man nun einen zweifellos echt sig- nierten Pasqualino, der weitere Bedenken bezüglich des Bildes in Prag überflüssig machL Ganz abgesehen von der übereinstimmen-

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den Palette, finden sidi aucti allerlei kleine Übereinstimmungen im Sdinitt der Augen, der Hände, die auf beiden Bildern wiederketiren. Auch dürfte es wotil niclit otine Bedeutung sein, dab auf beiden Werken das Ctiristuskind jedesmal einen Finger der Madonna um- klammert tiält: ein unmalerisdies Motiv, das sonst in der gleicti- zeitigen venetianisctien Kunst gewi^ selir selten ist. Das Bild im Museo Correr ist mit 1496 datiert, wonacti man das vielleictit im allgemeinen etwas freier betiandelte Werk in Prag ein wenig später ansehen wird.

Nocti eine weitere österreictiisctie Sammlung kommt tiier in Be- tractit. Bei Karl Ferdinand Mautner Ritter von Marktiof in Wien befindet sicli eine kleine „Anbetung durcti die Magier" vom jüngeren Peeter Bruegtiel. [Der Besifeer ist seitdem gestorben und die Sammlung längst zersplittert.] Im Museo civico zu Venedig tiängt nun (als Nr. 58) eine Wiedertiolung dieses Bildes, die nach meiner Schäbung etwas schwächer ist als das Exemplar in Wien, obwohl es die alte Bezeichnung „P. BREVGHEL." trägt. Der Katalog von 1881 nennt hier den richtigen Namen. Bei vielen anderen Bildern begnügte er sich mit ganz allgemeinen Benennungen oder gab auch falsche Namen, wie z. B. bei Nr. 57, einer flandrisdien Kermife, die als Francken geführt wird, aber augenscheinlich auf ] a c o p Grimmer [oder Gillis Mostaert] zurückgeht. Das Bildchen mi^t etwa einen halben Meter in der Breite und 0,30 in der Höhe und ist mit den bekannten Figuren des Grimmer komponiert, dessen Palette auch leicht wieder zu erkennen ist. Grimmer wird übrigens erst seit wenigen Jahren beachtet und studiert, so daS das vorliegende Volksfest bisher übersehen wurde.

Ein angeblicher Peeter Brueghel, Nr. 19, darstellend lebhafte Szenen in einem schlechten Hause, ist augenscheinlich ein Werk des flandrischen Monogrammisten, der unter dem Namen Braun- Schweiger Monogrammist ziemlich allgemein bekannt ist. Sein Hauptbild befindet sich nämlich in der Braunsdiweiger Galerie. Eines seiner bekanntesten Bilder wird vom Städel'sdien Museum in Frankfurt am Main bewahrt (reproduziert in Kohledruck von Ad. Braun in Dornach). Audi die Berliner Galerie und die Stutt- garter besifeen derlei Bilder von demselben Meister, der vielleicht mit Jan van Hemessen identisch ist. Ein Bild, das zwischen dem be- kannten Stile des Hemessen und den Bildern des Braunschweiger

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Monogrammisten eine Verbindung herstellt, befand sich in Wien bei dem bekannten Sammler Julius Stern. Es ist ein Breitbild mit Halb- figuren, das nach lionardesken Motiven zusammengesefet ist. Im Kabinett Lebrun ist ein Bildchen des Braunschweiger Monogram- misten als Q. Metsys gestochen (S. 5). [In der Zwischenzeit bis zum vorliegenden Neudruck ist die begründete Vermutung geäußert worden, da& Jan v. A m s t e 1 der richhge Name des Braun- Schweiger Monogrammisten sei, und zwar zuerst durch Dr. Gustav Glück in Thieme & Beckers K.-L]

Andere Bemerkungen über weniger auffallende Bilder des Museo civico werden versdioben, bis die Sammlung wieder neu ge- ordnet und katalogisiert ist. Auch handelte es sich für uns nur um einige Beispiele, wie es audi in den Abschnitten über die Accademia und über einige Bilder in venetianischen Kirchen der Fall war.

Wer wollte sich auch der Täuschung hingeben, daB man in einem Feuilleton alles zusammenfassen könne, was die neuere Kunstgeschidite, insbesondere die Gemäldekunde jefet über Venedig, diese einzige Malerstadt, zu sagen hätte. Kunstnachrichten, die gegenwärtig aus Venedig kommen, dürften aber eines doch nicht ganz übersehen, und zwar die Tiepolo-Ausstellung, die einige Wochen lang im Mai und Juni des laufenden Jahres dort zu sehen war. Die „Mostra Tiepolesca", wie sie offiziell genannt wurde, bot viel Anregung und hat allerlei beaditenswerte Bilder aus Privatsammlungen hervorgelockt. Die großen Deckenbilder Tiepolo's aus der „Scuola dei Carmini" (datiert mit 1744) waren bisher nie- mals so bequem zu studieren wie hier. Ein netter Katalog aus Molmenti's Feder wird den meisten Ausstellungsbesudiern eine freundliche Erinnerung an die gesehenen Gemälde bilden.

Als grofee Anziehungskraft, wie etwa eine breit angelegte Kunstausstellung moderner Werke, hat die Tiepolo-Schau allerdings nicht gewirkt. Sie ist aber neben anderen ein erfreuliches Zeichen eines gewissen Kunstsinnes, von dem einige Jahre lang in Venedig nicht allzu viel zu verspüren war. Neuerlidi wird auch wieder mehr von den Kunstschäfeen durch Liditbilder festgehalten, so da& jemand, der sidi vor fünf bis sechs Jahren schon an den alten und veralteten Aufnahmen satt gesdiaut hatte und ihrer überdrüssig geworden war, nunmehr wieder viel Neues finden wird, das ihn anregt und fördert.

Immerhin wird man stets lieber die entzückende Farbenpracht

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der Originale auf sich wirken lassen als das stumpie Grau in Grau photographischer Nachbildungen. Und die Reize der Originale, Bauten, Skulpturen, Gemälde scheinen in Venedig nidit veralten zu sollen, wenigstens nicht bei einiger kosmetischer Nachhilfe. Sobald sich wieder eine gute Gelegenheit darbietet, reisen wir wieder hin, uns an den Herrlichkeiten der alten Venezia zu erfreuen. [Wann wird sich diese Gelegenheit darbieten? wann?!]

[Zur Geschichte der Venezianischen Akademie. Eines der wichtigsten Dokumente für die Galerie ist die Handschrift im Archivio di Stato: „Elenco ed illustrazioni delle pitture consegnate alla R. Accademia di Belle arti in Venezia dal delegato della Corona per la scelta degli oggetti spettanti all' Arte stesse, giusto a communicazione di Sua Eccellenza il Signor Conte Senatore Intendente Generale dei Beni della Corona 6 Febrraio 1811 Nr. 449 ed ordini del Signor Direttore Generale della Pubblica Istruzione 3 Dicembre dell' anno stesso Nr. 9365 al Delegato medesimo Pietro Edwards" (mit langer Einleitung von Edwards und einem Verzeichnis der Bilder, in welchem die Herkunft genannt und Beschreibungen der Bilder geboten werden), ferner die „Atti dell' Accademia di Belle arti in Venezia" von 1808 bis 1847 und 1850 ff., sowie die ein- schlägigen Abschnitte in den Wiener Hof- und Staatsschematismen jener Zeit, überdies die „Discorsi lette nella J. R. Accademia di belle arti di Venezia in occasione della distribuzione de' premi degli anni 1812, 1813, 1814, 1815" (Venedig 1815). Moschini „Guida per la citä di Venezia" (1815), Bd. II, 476. Im allgemeinen erwähnt sei die weitverzweigte Literatur über den Raub von Bildern durch die Fran- zosen. Daran knüpft an Hormayr's „Archiv für Geschichte", 1827, S. 519. Als eines der Hauptwerke über die Accademia ist zu nennen Francesco Zanotto: „Pinacoteca della Imp. Reg. Accademia Veneta delle belle arh" (1830). Etwa zu beachten Valery „Voy- ages en Italic" (1831). Tschischka „Kunst und Altertum in dem öst. Kaiserstaate" (1836), S. 215. E. Paoletti „II fiore de Venezia", III. Bd. (1840), S. 139 ff. (Passavant „Aus Venedig vom Verfasser des Naeman", 1853, S. 148 ff., ohne Quellenangaben.) Abbe Migne „Dic- honnaire des Musees" (1855) schreibt Valerys Buch aus. Fr. Zanotto „Nuovissima Guida di Venezia" (1856), S. 498 ff., weit besser als etwa A. Lavice „Revue des Musees d'Italie" (1862), S. 453 ff . - Mehrere Guiden und Reisebüdier für Venedig in verschiedenen

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Kultursprachen; ohne besondere Bedeutung. „L'illustrazione ita- Hana", 1895, S. 307. Beilage der „Münchener allgemeinen Zeitung", 14. und 15. Oktober 1895. Frimmel „Geschidite der Wiener Ge- mäldesammlungen" IV. Kapitel (1901), zur Abgabe von Gemälden aus Venedig an die Wiener Akademie, mit Literaturangaben, die hier nidit wiederholt werden. „L'Arte", 1913, S. 241. Die neuesten Ereignisse seit 1914 können noch nicht erörtert werden. Die Acca- demia di belle arh wurde erst 1807 eröffnet, doch reicht ihre Vor- geschichte weit zurück, wie man aus Sandrart's Mitteilungen (im Abschnitt über Jan Lys) entnehmen kann und wie es auch in Lanzi (und Quandt) „Geschichte der Malerei in Italien" II (1831), S. 242 f. angedeutet ist. über die ältere Farsetti'sche Akademie vergleiche Moschini „Della letteratura veneziana del secolo XVIII.", Bd. III (1806), S. 50.]

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Jacob Toorcnvlict als Wiener Maler und die Verteilung seiner Arbeiten in österreidiisdien

Galerien/'^

Man pflegt Jacob Toorenvliet mit Redit als einen ti o 1 1 ä n d i- s cti e n Maler zu beliandeln. Er ist nacti den Angaben von Bredius 1635 oder 1636 in Leyden geboren und ebendort 1719 gestorben. Wie Houbraken mitteilt, hat sidi Toorenvliet längere Zeit in Italien auf- getialten, in Venedig, in Rom. 1686 trat er der Leydener Gilde bei, in weldier er seitdem metirmals urkundlicti erwätint ersctieint. Trofe- dem tiat es eine bestimmte Bereditigung, diesen liolländisctien Künstler in Zusammentiang mit der Kunstgesctiictite Österreichs zu bringen. Denn Toorenvliet ist, wie die neuen Funde von Bredius in holländischen Archiven angeben, 1676 in O s t e r r e i ch, und zwar in W i e n nachweisbar, womit es wohl zu- sammenhängt, daB sich in süddeutschen, insbesondere österreichi- schen und Wiener Sammlungen so viele Werke des Toorenvliet vor- finden. Bei Namen ersten Ranges erlaubt die örtliche Verteilung der Staffeleibilder nicht den mindesten Wahrsdieinlichkeitssdilug auf den Wohnort des Künstlers. Jede Galerie, sie sei wo immer gelegen, ist bestrebt, sich mit Bildern von großen Meistern zu schmücken. Ein Raffael, Dürer, Holbein, Rembrandt, Rubens, Velasquez, Murillo und einige andere sind in der Verteilung ihrer Werke ganz international. Aber bei Malern mindern Ranges, zumal wenn ihre Bilder noch in altehrwürdigem Besife nachweisbar sind, so daß man fortgesehte weite Wanderungen ausschließen kann, wird eine auffallende Un-

*) Erstdruck in den „Mitteilungen der k. k. Zentralkommission für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und historischen Denkmale", Neue Folge, Bd. XIX, S. 158 ff. Die Arbeit wurde wesentlich erweitert. Das alte Oesterreich hatte da- mals, als ich schrieb, noch bestanden. Heute ist davon vieles, sehr vieles, als „Ausland" zu verzeichnen.

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gleichmäBigkeit in der Verteilung ihrer Werke zu Rückschlüssen auf die Aufenthalte des Künstlers AnlaB geben können. So steht es nun auch mit den Gemälden des Jacob Toorenvliet. Wenn ich zusammenstelle, was sich davon in österreichischen und was in fremden Sammlungen befindet, so ist das Übergewicht zweifellos auf Seiten Österreichs.

Teils nach eigenen Reisenotizen, teils nach der Angabe von Katalogen, vermag ich in au&er-österreichischen Sammlungen fol- gende Werke von Toorenvliet zu nennen: zwei Sittenbildchen in der Galerie zu Bordeaux, eines in der Braunschweiger Galerie (alte Nr. 614, neue 319), eines in der Galerie zu Darmstadt (Nr. 421, treffliches Bild von 1682; ein zweites Bild, Nr. 422, wird ihm irrtümlich zugeschrieben, stammt aber von einem späteren Maler), vier in der Dresdener Galerie (Nr. 1757 ff. Nr. 1760 „Bei der Wildhändlerin" hat sehr gelitten, ist aber in seiner Benennung nicht anzuzweifeln), eines zu Frankfurt a. M. in der Sammlung E. S. Goldschmidt (gutes kräftiges Werk von 1676. Es waren zwei Bild- chen dort, die übrigens aus Wien hingekommen und in der Reihe ausländischen Besifees nur bedingungsweise mitzählen), eines in der herzoglichen Gemäldesammlung zu G o t h a (Nr. 254, Halbfigur eines Greises von 1679), eines in Hamburg bei Konsul Weber (eines der Hauptbilder: Ein Büdhauer in seinem Atelier. Das Bild stammt aus Wien und war 1883 dort beim Kunsthändler Hirschler zu sehen. Weber behielt das Bild nur etwa 10 Jahre lang. Es ist als Wiener Erwerbung von 1883 im Verzeichnis von 1892 beschrieben, fehlt aber in den späteren Katalogen), zwei in Hannover (dem Toorenvliet zugeschrieben), zwei in Karlsruhe (Nr. 271, alt 533; die Spinnerin von 1667, längst richtig benannt. Außerdem unter der verfehlten Be- nennung Sorgh ein Bildchen: Fischer mit Lachsschnitten, Nr. 255, alt 516), eines (angeblich von Toorenvliet) in Osnabrüd< beim Präsidenten Stüve (früher in Berlin), zwei in Pommersfelden (neue Nr. 577 und 578), eines in S ch l e i B h e i m (Nr. 476, alt 852), eines in S ch w e r i n (Nr. 1040 vielleicht von Toorenvliet, nicht aber Nr. 1041), eines in der königlidien Galerie zu Stockholm (Nr. 661), eines in der Universitätsgalerie ebendort (Nr. 132), endlich fünf in Wiesentheid (Nr. 575, ein Hauptbild Kalt-und-warm-Bläser und vier kleine Sittenbilder). Von einem Bilde des Toorenvliet, das noch vor einigen Jahren (es war bis 1890 dort: Junger Mann umarmt eine

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Magd) in der Sammlung Menke zu Antwerpen zu finden war, wei& ich den gegenwärtigen Aufbewatirungsort nictit anzugeben. Dasselbe gilt von einem Toorenvliet, der 1893 auf einer Oemälde- versteigerung in C ö 1 n aufgetaudit war.

[Als Nachtrag zu dieser Liste, die vorläufig die alten Samm- lungen bis ungefähr 1850 ausschlieft, wird folgendes geboten: Im Ryksmuseum zu Amsterdam zwei spätere Erwerbungen, und zwar: Die Musiklektion, die aus der holländischen Sammlung Gysbert de Clergue stammt, seit 1902 im Ryksmuseum, und das Bild- nis des Carel Quina (im Hintergrund die Peterskirche in Rom) aus Amersfoort stammend, seit 1907 im Ryksmuseum. 1895 kam in der Vente Houk in Amsterdam vor: „le buveur" von Toorenvliet.

Ein weiterer Toorenvliet kam vor 1903 zu Amsterdam in der Versteigerung Insinger van Loon. Ein weiteres (Bildhauer in seiner Werkstatt an einer Marmorbüste arbeitend; ein Jüngling kommt von links herbei. Signiert „J Toorenvliet Fe", gegen 1/2 Meter hoch) wurde 1899 aus Amsterdam durch den älteren Gondsticker nach Prag gebracht. Es ist wohl das Bild, das vorher bei Konsul Weber in Hamburg gewesen, das also weiter zurück doch aus Wien stammt (siebe oben) wurde bei der Auktion Schönlank Nr. 189 als Toorenvliet geführt.

In B e r I i n war 1914 bei Lepke's Versteigerung vom 24. Februar ein signiertes Bild, das im Verzeichnis abgebildet ist (Nr. 139). 1917 in Berlin auf der Versteigerung Kolasinski waren dem Tooren- vliet zwei kleine Philosophenbilder zugeschrieben.

In Bremen ein überaus nettes Bildchen in der Kunsthalle (Nr. 245). Ich habe es schon im Frühling 1913 als Werk des Tooren- vliet erkannt. (Rundbilddien: Raucher mit Weinglas. Auf Eiche.) Bis dahin galt es als Werk eines Unbekannten. Meine Benennung wurde 1914 durch Bredius bestätigt.

1915 in der 59. Auktion bei Creufeer in Aachen wurde ein mittelgroges Leinwandbild ausgeboten, das rechts angeblich mit „G Toorenvliet 1675" bezeichnet war. Darstellung: ein Jägerbursche. (Der Buchstabe G wohl verlesen.)

Nach Mitteilung Dr. De Groot befand sich 1896 i m H a a g in der Sammlung Ruyssenaer ein Toorenvliet.^s)

75) In jenem Jahr teilte mir Dr. De Groot mit, daß Toorenvliets in Holland sehr selten sind.

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Nachzutragen sind ferner aus der Georgsgalerie in Han- nover ein kleines Holzbild (22 x ^7) mit lesender alter Frau. In der Auktion zu Köln vom Dezember 1896 nur eine Zuschreibung.

Kopentiagen die Halbfigur eines Trinkers. Das vorziig- lidie Bildchen (anbei abgebildet) befindet sich in der Galerie Moltke.

Aus dem Besife des Dr. Alfr. Beck in Leipzig war 1889 ebendort ein Toorenvliet ausgestellt.

Mailand im Museo Poldi-Pezzoli ein kleiner, riditig be- nannter Toorenvliet: Vorgebeugter Mann mit schwarzem Hut. [Wurde vor Jahren gestohlen. Dazu Seemanns Kunstchronik N. F. XII, Nr. 4, Sp. 62. Weitere Sdiicksale mir unbekannt.]

München in der Versteigerung Hoch von 1892 zwei Werke von 1666.

Paris in der namenlosen Versteigerung vom 6. und 7. Februar im Hotel Drouot „Les Buveurs" (40 X 32) 860 Fr. („Le Journal des arts", Februar 1907.)

Riga im Museum zwei signierte Bilder (Nr. 217 und 218 der städtischen Sammlung: Sdilachtfest und Knabe mit Budi. Vergl. audi Zeitschrift für bildende Kunst 1900, XI, S. 265.)

S dl 1 e i 6 h e i m Nr. 476 (821) Knaben auf dem Vogelfang.

S ch w e r i n : Der Raucher. [Abbildung in Nörings Lichtdrud<-' Veröffentlichung, Lief. IV.]

Venedig im Museo Correr zwei kleine Kupferbilder Nr. 67 und 68, eines mit den Resten einer echten Signatur. (Jurist und dessen Frau.)

Vergleichen wir mit dieser Liste von 29 [bzw. 51, nicht mit- geredinet die Bilder, die nachweislidi aus Wien stammen] Gemälden die folgende Zusammenstellung, die aus östereidiisdien Sammlungen gewonnen wird.

Im landgräflich Fürstenberg'sdien Sdilosse zu Enns fand ich vor mehreren Jahren eines der Hauptbilder des Toorenvliet: Kessel- flid<er und Magd von 1669.^^) Ebendort dürfte auch eine Marktszene von unserem Meister gewesen sein.

76) Beschrieben in Lützow Seemann's Kunstchronik N. F. II. Nr. 17. Ver^ auch meine Kleinen Galeriestudien Heft II der N. F. Seite 9.

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Jakob Toorenvliet : Der Trinker (Galerie Moltke in Kopenhagen). Nach def- Photographie von Hansen & Weller in Kopenhagen.

In G r a z bei Dr. Max Schüler befindet sich ein weiteres Haupt- bild von Toorenvhet, das angebHch den Maler selbst und seine mit- gliederreiche Familie zur Darstellung bringt. Es ist ein großes Breit- bild (etwa 1.3 m breit), das den Namen des Künstlers und die beiden Jahreszahlen 1687 und 1694 aufweist. Dem Gesichte nach zu urteilen müBte der Maler etwa 50 Jahre alt gewesen sein, als er sich hier darstellte. [Seither versteigert 1909 durch Wawra in Wien. Brachte 2100 Kronen.]

Im Bruckenthal'schen Museum zu Hermannstadt befindet sich ein kleines Bildnis, das die Jahreszahl 1668 trägt. 7^)

Zwei echte Bildchen im Ferdinandeum zu I n n s b r u ck (Nr. 631 Hühnerhändlerin und Nr. 632 Melonenverkäufer, beide vom Jahre 1669.78)

In der Landes-Galerie zu Pest (jefet Museum der bildenden Künste zu Budapest) ist Nr. 345 (die kranke Frau) vielleicht als Toorenvliet anzuerkennen, dagegen dürfte Nr. 331 (Bauernmusik) doch wohl von anderer Hand sein. 7^)

Zu Prag findet man im Rudolphinum vier gute sichere Werke des Toorenvliet, von denen zwei das Datum 1675 tragen (Nr. 690ff.).8o) Ebendort besifet Herr Fabrikant J. V. Noväk ein Sittenbildchen, das zwar nicht signiert ist, aber in jedem Strich die Weise unseres Künstlers verrät. Dargestellt ist eine junge Gemüse- händlerin, weldie die Liebkosungen eines alten Nachbars entgegen- nimmt. Auf Kupfer. (Aus der Sammlung des Barons Steinife. Ver- gleiche „Chronique des arts et de la curiositee" 1893, S. 3, und den gedruckten Katalog der Galerie Noväk.)

In Wien besibi die kaiserlidie Galerie ein Werk des Künstlers.81) Die fürstlich L i e ch t e n s t e i n'sche Sammlung ent- hält nicht weniger als acht Bilder von Toorenvliet, die gräflidi Cz er ni n'sche Galerie zwei Gemälde (Nr. 213 und 214, beide von

77) Hiezu meine Kleinen Galeriestudien, Heft I der N. F. Seite 42 und den Katalog der Galerie.

78) Vergl, hiezu M. Semper: „Die Gemäldesammlung des Ferdinandeums in Innsbruck", S. 57 und den Galeriekatalog.

79) Hiezu meine Kleinen Galeriestudien, Band I, S. 161 und N. F. Heft I, S. 43.

80) Vergl. hiezu den Katalog der Galerie des Rudolphinums.

81) Hiezu Kleine Galeriestudien ,,Von den Niederländern in der kaiserlichen Gemäldesammlung zu Wien". Das Bildchen stammt wohl aus der Sammlung Wrschowetz.

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1667), die gräflich S ch ö n b o r n - B u ch h e i m'sche eines (Nr. 59, „Ein Mann mit Fischen"). Hier in Wien halte ich ferner ein ziemlich großes Breitbild mit einer figurenreichen Darstellung aus dem hol- ländischen Bauernleben in der Sammlung J. V. K 1 a r w i 1 1 für ein treffliches, kerniges Werk des Toorenvliet. Die besonderen Quali- täten des Bildes haben es offenbar veranlaBt, daB einmal bei Ge- legenheit eines Verkaufes der Name Jan Steen auf das Bild ge- schrieben worden ist, der noch bis in neuere Zeit dem erwähnten Gemälde beigelegt wurde. Abbildung und Besprechung in „Blätter für Gemäldekunde" Bd. II, S. 11.) Ebenso hielt ich vor mehreren Jahren eine Bauernhodizeit (wohl auch Ehekontrakt) der Sammlung Kropf-Strache für eine Arbeit des Toorenvliet. Bis vor wenigen Jahren [seither sind es viele geworden] hat hier in Wien Frau von Lahousen einen netten Toorenvliet (Gemüsehändler und seine Frau) besessen, der seither verkauft worden ist. Dieses Bildchen stammt aus der Jage r'schen Familie, die in der Geschichte der Wiener Sammlungen einen bekannten Namen hat.

[Für diese Gruppe von Werken Toorenvliets innerhalb des alten Osterreich kommen noch viele andere in Frage, die in meiner ersten Arbeit übersehen worden. Es sind folgende: Zu Wien in der Galerie des Schottenstiftes zwei kleine signierte Philosophenbilder von 1677 und 1679 (damals war T. in Wien tätig.) -— In der Sammlung Professor Polifeer befand sich ein kleiner Toorenvliet. 1883 verzeidinete der Versteigerungskatalog Rosen- berg in Wien ein mittelgroBes Breitbild mit vier Figuren: Konzert (Nr. 354), das damals an Wilhelm Ritter von Gutmann gelangt sein soll. In der Wiener Galerie Winter-Stummer befand sich Jahr- zehnte lang ein signierter Toorenvliet: Der Zauberer von 1667 (be- schrieben im gedruckten Verzeichnis). Weitere Bilder kamen dann vor in den Wiener Versteigerungen Krocker Nr. 2487, Strache Nr. 117 (Küchenmagd von einem Manne liebkost ging an Posonyi um 32 fl., und Eine Eierverkäuferin; kleine Bilder) und Bossi Nr. 239. In der Stiftgalerie zu St. Florian zwei gute Toorenvliet Nr. 19 und 20, je eine Halbfigur (alte Frau mit Flasche und alter Mann mit Pfeifchen, Gegenstücke, Kupfer). -— In Graz, Landesgalerie: An- tonius der Einsiedler (früher bei Baronin Benedeck). Ein ver- dorbenes Bildchen, wieder mit einem Antonius Eremita, auf weidiem Holz gehörte bis 1895 dem Schriftsteller Georg Haas in G 1 o g g n i fe.

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Eine Kopie, oder ein stark mitgenommenes Original, wurde notiert in der Stiftsammlung zu Seitenstetten. Ein Bildctien von T., das vor jatiren aus der Troppauer Gegend nadi Wien kam, wurde mir durdi Herrn Oberleutnant Rud. Fiedler vorgewiesen. Ein Toorenvliet, der in Italien gemalt sein muB, befand sicti im SctiloB W i s o w i b in Mähren (erwätint in „Blätter für Gemälde- kunde" Bd. IV, Heft 7, S. 147: Fünf italienisdic Landleute in der Nätie der Meeresküste). Bis in die neueste Zeit in Wien bei Sektionsctief Brauntiof ein ectiter Toorenvliet mit falsctier Signatur.

Bei Dr. Leon Lilienfeld ein signiertes Bildctien: Sifeender Mann links, Frau mit Spinnrod<en rectits und im Mittelgrund zwei Neben- figuren (Lwd. Hötie 46.5, Breite 35 cm). Es ist besprodien und ab- gebildet bei G. Glück in „Niederländisdie Gemälde aus der Samm- lung Dr. Leon Lilienfeld in Wien" (1917, S. 32 f.). - Im Sommer 1917 sali idi beim Zatmtechniker Burjas in Wien zwei gute kleine Toorenvliet mit je einem jüdisdien Schriftgeletirten (Kupfer, je 21 X 16). Diese Bilddien gelangten damals in die Wiener Samm- lung B .

Vor Jatiren kamen aus der Sammlung Dr. Gottheit Meyer zwei kleine gute Toorenvliet (je eine Halbfigur Magd und Köchin aus den Jahren 1675 und 1676, Kupferbildchen) zum Bankier Goldschmidt nach Frankfurt a. M. Sie sind oben als Frankfurter Besib erwähnt, zählen aber zum älteren Wiener Besife.

In neuerer Zeit kamen auch vor: Im Dorotheum 1903 ein kleines Kupferbild: Junger Mann, an einem Tisch sibend. Hält Tonpfeifchen und Glas. Links oben Reste der Signatur. Im Oktober 1912 im österr. Kunstverein ein verhältnismäßig großes Bild: Die lustigen Zecher (Lwd. H. 50, Br. 41 cm). 1914 in der Wiener Auktion „Alpens" vom April eine sehr gute Anbetung durch die Hirten, die unbegreiflicher Weise als Seb. Bourdon verzeichnet war. 1910 bei der Versteigerung AI. Helfert im Dorotheum ein Alchimist von 1684 auf Kupfer. Signiert und datiert. (Ohne Abmessungen.) Im März 1918 im Dorotheum Nr. 273 eine schwache Arbeit, wohl alte Kopie: Versuchung des heiligen Antonius. 1919 im Wiener Privatbesi^: Trinker mit Römerglas. Die Linke befriedigt auf die Magengegend gelegt (Eiche. Hö. 24.5, Br. 19.5 cm); dürfte ein späteres Werk sein.

Bald danach im Antiquitätenladen Paula Wallentin die Halbfigur einer drallen jungen Köchin (kleines Hochbild, signiert und datiert

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mit 1670 rechts oben). Im Dezember 1919 im Dorottieum Kupfer- bild: Geisterbesdiwörer. Edit signiert, Datum verwisctit. Auf einem Sctiädel lint<s vorn stetit „SIC ERIS ET TV" (So wirst aucti Du sein). Frühe Arbeit, noch nahe der Leydener Zeit des Künstlers. Bei Schidlof im Oktober 1919 ein Kesselflicker mit Toorenvliets Signatur und der Jahreszahl 1669. Vorzügliches Werk, etwas größer als die meisten übrigen; vielleicht dasselbe Bild von 1669, das sich vor vielen Jahren im Schloß zu Enns befunden hat. Es beweist nach den Typen und der Malweise, da& das Gemälde bei Klarwill wirklich von Toorenvliet ist. Denselben Beweis könnte auch das folgende Werk erbringen, das im Februar 1920 bei Schidlof zum Vorschein kam: „Beim Zauberer" bzw. Taschenspieler {Breitbild mit 5 Personen, signiert). Aus ungefähr derselben Zeit, also um 1669 fallend, mu& ein kleines Werk stammen, ein Sittenbild aus den niederen Kreisen, das ich vor Jahren bei Alex. Fleischner kennen gelernt habe.

Dies sind zusammen 27 [bzw. 58] Werke des Toorenvliet, also fast eben so viele, ja mehr, als wir sie zusammen in Deutschland, Frankreich, Schweden und den Niederlanden haben auffinden können. In den Sammlungen Italiens, Rußlands, Englands, Spaniens kennt man, wenn ich nicht irre, überhaupt keine Werke von unserem Maler; dagegen entfallen auf Wien allein vierzehn [bzw. mehr als zwanzig], wovon die meisten vollkommen in ihrer Benennung ge- sichert. Lä&t man es überhaupt gelten, da& in unserem Falle den Zahlen eine gewisse Bedeutung zukommt, so wird man die gro&e Anzahl der Toorenvliets in Wien wohl mit dem Aufenthalte des Künstlers in der alten Kaiserstadt in Verbindung bringen. 1676 war Toorenvliet in Wien, vielleicht auch einige Jahre vorher und danach. (Neue Angaben hiezu in „Oud Holland" XXII, Heft 3 und XXV, S. 12, und den „Blättern für Gemäldekunde" IV, S. 41 f. Audi die jüngeren Maler Toorenvliet waren in Wien tätig.) Er wird hier Verbindungen mit den Reichen und Mächtigen eingegangen sein, die ihm vielleicht auch noch Bestellungen verschafft haben, als er schon wieder in seine holländische Heimat zurückgekehrt war. Warum sind nun gegenwärtig in Holland so gut wie keine Werke seiner Hand mehr erhalten? In Holland dürfte Toorenvliet doch ungleich länger wirk- sam gewesen sein, als in Osterreich. Der sdieinbare Widerspruch löst sich, wenn man sidi gegenwärtig hält, wie riesig in Holland schon seit dem 17. Jahrhundert die Ausfuhr an Bildern war und wie

le

sich Wien die längste Zeit metir aufnetimend in Bezug auf Gemälde vertialten tiat und wie es verhältnismäßig spät in den großen Bilder- handel eingetreten ist. Amsterdam, Paris, London sind in ihrem Gemäldehandel gegen Wien um ie viele Jahrzehnte voraus.*^^) Ehe- dem hat es in holländischen Sammlungen sehr viele Toorenvliets gegeben. Die Hoet'sche Katalogsammlung liefert dafür den Beweis. Im ersten Bande (der kein Register hat) fand ich zum Beispiel als Bestandteile einer Amsterdamer Versteigerung von 1687 mehrere Bilder des Toorenvliet verzeichnet: Eine Häringverkäuferin, einen Doktor, ein Porträt, einen Zahnzieher und ein zweifiguriges Bild. Toorenvliet's Name kommt auch in einem Amsterdamer Verzeichnis von 1695 vor, dann wieder in einem von 1696 und einem von 1699 (Nr. 45, eine Bauernhochzeit). 1707 gab es, wieder zu Amsterdam, einen italienischen Zahnzieher von Jacob Toorenvliet zu kaufen, 1708 ebendort einen Bohnenkönig von ihm. 1715 wurde zu Hoorn ein betlehemitischer Kindermord feilgeboten, 1716 in Amsterdam ein Hauptbild („een capitael stuck") mit einer fröhlichen Gesellschaft und noch zwei Bilder heitern Inhalts. Ich gebe nur einige Proben und deute nur an, daß gelegentlich auch biblische Darstellungen von Toorenvliet verzeichnet werden, wie zwei alttestamentlidie Bilder 1750 in Leyden. (Hoet II, S. 286.) Meist sind es allerdings Sitten- bilder, die uns in den alten Verzeichnissen begegnen. 1754 wurde aus dem Nachlasse Govaert Flinks zu Rotterdam verkauft: „een groenwyf en boer, die haar om den hals vat, vrolyk van couleur en fraay geschildert, door Jacob Toorenvliet, hoog 11, breet 81/2 dui- men", und ein Gegenstück dazu (zu deutsch: Eine Gemüsefrau und ein Bauer, der sie um den Hals faßt, von fröhlicher Färbung und schön gemalt von Jacob Toorenvliet, hoch 11", breit 81/2"). Ein Bild- chen desselben Inhalts ist oben als Bestandteil der Noväk'schen Sammlung bekannt geworden.^^)

Außerhalb Österreichs haben sich ehedem noch mehrere andere Bilder von Toorenvliet befunden, so z. B. gegen 1800 in Brüssel „Une compagnie joyeuse", aufgezählt bei Burtin im „Catalogue de tableaux, vendus ä Bruxelles depuis l'annee 1773" (Abmessungen

82) Vergl. hiezu meinen Artikel: „Zur Geschichte der Gemäldesammlungen in Wien" in der Münchener allgemeinen Zeitung vom 11. und 12, März 1895.

83) Vergl. Hoetl, Seite 7 f., 10, 30, 39, 46, 109, 130, 181, 198 ff., 245, 298, 342, 505, 569 und Band II und III nach Register.

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nicht bekannt). In G e n t befand sidi auf der Versteigerung M. van Rotterdam 1835 als Nr. 33 ein Toorenvliet „Diverses personnes assieses ä une table placee devant une maison rustique: sur la fable se trouvent les restes d'un repas" (H. 48, Br. 40 cm). Zu Köln in der alten Weyer'sdien Versteigerung „Dentiste de pay sans" (Lwd., 14 Zoll ti., 20" br.). - In P a r i s wurde 1777 im Katalog der Versteigerung Randon de Boisset als Nr. 133 verzeidinet von „Tourne-Uliet" „une diambre dans laquelle sont une femme assise tenant une bouteille un homme qui tient sa pipe et un verre dans ses mains, un tonneau leurs sert de table; sur un plan plus eloigne on appergoit deux autres tiommes" (auf Holz, tiocti 16 franz. Zoll, breit 12" 6'").

Warum in Italien, wo Toorenvliet sidier metirere jatire verbractit hat er war ja Mitglied der Sdiilderbent in Rom fast keine Arbeiten von ihm aufzufinden sind, ist sdiwieriger zu erklären. Sei es, da& auch hier die schwunghafte Ausfuhr von Bildern die ehedem vorhandenen Werke Toorenvliet's verschwinden gemacht hat, sei es, daB die Arbeiten aus der Jugendzeit des Künstlers nicht richtig er- kannt sind, oder dag er deren überhaupt in Italien nur sehr wenige geschaffen oder zurückgelassen hat, jedenfalls müssen wir uns die Tatsache klar machen, dag an auffallenden Stellen in Italien keine Toorenvliet's vorhanden sind, die leicht zu erkennen wären.

Einen ähnlidien Oberblick, wie wir ihn oben rasch über die Toorenvliet's der alten holländischen Sammlungen erreichen konn- ten, vermögen wir heute über die Werke unseres Künstlers, soweit sie in alten österreidiischen Galerien vorhanden waren, nicht so leicht zu gewinnen. Die alten Kataloge sind gar selten geworden, und Neudrucke, wie bei Hoet oder anderswo, gibt es noch nidit. Die Ausbeute, die ich mühsam gewonnen habe, ist demnadi ziemlich spärlich. Im alten Inventar der Wrsdioweb'schen Galerie in Prag werden zwei Toorenvliet's verzeidinet: Nr. 38 ein Mefeger und Nr. 75 Sänger und Sängerin.84) In Brunn war 1825 ein Toorenvliet beim Landrate Eberl. Ebendort besassen V. Gerschbauer und Doktor

8^) Dieses Inventar wurde durch mich vor einigen Jahren in den Mitteilungen der k. k. Zentral-Kommission veröffentlicht. Toman deutet im Repertorium für Kunst- wissenschaft X, Seite 16, an, daß der Name Toorenvliet auch im gedruckten Verzeichnis der Sammlung Wrschowetz vorkommt.

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Sdilosser Werke unseres Künstlers. ^•'^) (Nach Simon Schneider: „Briinn" besafj Herr S. Koppy zu Kumrowife bei Brunn gegen 1820 mehrere Bilder von Toorenvliet.)

In Raab beim Grafen Burghaus ein kleiner Toorenvliet von Hochformat, der gegen 1769 durch den Wiener Karl Pechwill in der GröBe des Vorbildes gestochen wurde (Die junge Eierhändlerin und der alte Versucher, gen. „la vieillesse amoureuse"). Im ältesten Inventar Esterhazy von 1669 kommt schon ein Toorenvliet vor (freundliche Mitteilung des Herrn Dr. Meiler).

In alten Wiener Sammlungen sind u. a. nachzuweisen zwei Brustbilder, Mann und Frau, beim Hofkriegsrat v. Hauern (dazu mein Lexikon der Wiener Gemäldesammlungen Bd. II). Im ältesten In- ventar der Wiener Schönborn-Galerie kommen vor: „Vier Kopff Bruststuck vom Dornflied". Gegen 1813 in der Wiener Galerie Truch- seB-Wurzach von „Jakob Toorenvliet: Eine Frau mit den Licht in der Hand". Bei Fred. J. Foster in der Zeit vor 1830 ein nicht näher be- zeichneter Toorenvliet, der mit anderen Bildern am 18. Februar 1830 die Erlaubnis zur Ausfuhr aus Wien erhielt (Archiv der Akademie der bildenden Künste). In einer namenlosen Wiener Versteigerung von 1822 waren Nr, 9 und 9 a von Toorenvliet. 1823 in der Versteige- rung Hauschka zwei Kupferbilder: Ein Flötenspieler und Ein Geiger (dazu das gen. Lexikon der Wiener Gemäldesammlungen, Bd. II). 1829 im Katalog Kaunib „Das Porträt eines alten Mannes" Nr. 26. 1832 in der Sammlung Soriot de l'Host Nr. 127 „1 Toorenvliet Che- miker". Später noch Toorenvliet's bei Hofbauer (dazu das erwähnte Lexikon Bd. II).

Das Inventar der ältesten Jäger'schen Galerie verzeichnet eben- falls zwei Werke des Toorenvliet: Nr. 63 „Bauer und Bäuerin" und Nr. 101 „Conversation"86)

Zahlreiche Bilder von unserem Maler finden sich 1814 im Ver- zeichnis der Sammlung Padiner von Eggenstorf angeführt: Nr. 190 und 191, je „ein Koch mit verschiedenem Küchengeräte", hoch t'41/2", breit 1'2V2", Nr. 226 und 227 zwei „Bauernstücl<e", Nr. 267 und 268 „zwey Conversationen", Nr. 548 „zwey Figuren mit einem

85) Vergl. Berichte und Mitteilungen des Wiener Altertumsvereines von 1895 (Band XXIX).

86) Nach Hormayr's Archiv von 1825, S. 670 und 688, Anm.

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Hunde", hoch ru/s", breit 8^^//', Nr. 774 und 775 „Ein betrunkener Silen' 'und „Ein lesendes Weib", hoch 9", breit 7".

So mager auch diese Ausbeute aus alten österreichischen Sammlungsverzeichnissen sein mag, ist sie doch immerhin lehrreich, da sie wieder mit einer verhältnismäßig großen Zahl auf Wien hinweist.

Die Verteilung der Zeichnungen Toorenvliet's läßt sich schwer überblicken, wenigstens mit dem Material, das mir vorliegt. Ich kenne nur zwei Rötelzeichnungen im Museum zu Weimar (weib- liche Bildnisse) und einige sichere Blätter in der Alberhna zu Wien: 1. Mädchen vor einem Musikheft, tlalbfigur; 2. Der Liebesantrag, zwei Halbfiguren; 3. Die Magd, die sidi schlafend stellt, links ein Beobachter; die Signatur ist etwas übergangen; 4. Die Magd und der lüsterne Hausherr, links ihr Geliebter; Knieestück. Eine Zeich- nung: Ganzfigur eines Herrn, erwähnt im „Cicerone" von 1917, S. 211. überdies wurden angemerkt eine Zeichnung im Louvre (Reiset Nr. 594) gilt als Selbstbildnis, ein signiertes Blatt von 1666 in der Wiener Versteigerung Klinkosch, ferner 1904 auf der Fr. Mul- ler'schen Versteigerung vom 19. Januar in Amsterdam Nr. 358 „Por- trait de l'artiste represcute assis parmi des ruines s'appuyant du bras gaudie sur le soubassement d'une colonne. II porte une ample simarre et la tete est coiffee d'une longue perruque. Signe: J. Toorn- vliet F.: Pierre noire sur velin, H. 33.5, Br. 25." Im Katalog Pelfeer von 1914 ist dem Toorenvliet eine Zeichnung zugeschrieben, Eine Erörterung über Toorenvliets Selbstbildnisse fällt außer den Rahmen dieser Studie.

Ein reidies Malerwerk des Toorenvliet befindet sidi in der Wiener Hofbibliothek (ießt Nationalbibliothek).

Die Nachträge zu F ü ß 1 i's Lexikon geben einige Andeutungen über Zeichnungen und Suche von und nach Toorenvliet, Van der Kellen hat ferner den Künstler in seinen peintre graveur hollan- dais aufgenommen. Audi sonst begegnet uns Toorenvliet's Name nicht selten in der kunstgeschichtlichen Literatur seit H o u - braken's großer Sdiaubühne (III, 164 ff.) und seit Descamps (III, 121 ff.).87)

87) Vergl. auch Herrn. Riegels „Beitr:igc zur niederländischen Kunstge- schichte" II, 335 f., Woermann: Geschichte der Malerei III, 797. De Grooi Hou-

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Die Erwähnung des Toorenvliet im Zusammenhange mit Wien ist jungen Datums. Man verdankt sie B r e d i u s, der sie seinen Freunden briefhch mitgeteilt hat. Auf Umwegen gelangte sie auch in den neuen Katalog der Prager Galerie, der sie ohne Quellenangabe benüfete. Nach direkter Mitteilung von Bredius wird der Wiener Aufenthalt des Toorenvliet angeführt in meinem „Verzeichnis der Gemälde in gräflich Schönborn-Wiesentscheid'schem Besifee" und in meinen kleinen Galeriestudien. Ich meinte nun, da6 es passend sei, in der Reihe der vorliegenden „Notizen über Werke von österreichi- schen Künstlern" an die Angelegenheit mit Toorenvliet's Aufenthalt in Wien zu erinnern und darauf hin die Verteilung der Arbeiten des Künstlers in den österreichischen Sammlungen zu studieren.

[Die Verhältnisse in Bezug auf Verteilung der einzelnen Meister in verschiedenen Ländern haben sich seither gründlich geändert. Auch Bilder mittleren und geringeren Wertes sind während des Weltkrieges und bald danadi um die Welt herum gereist. Die nicht kriegführenden Länder haben Unmengen von Gemälden verschie- densten Wertes aufgekauft, oft wohl überlegt und vorsichtig, aber auch gelegentlich planlos und überhastet. Für unsere Tage gilt also die frühere Verteilung nicht mehr. Die heutige Verteilung der Werke Toorenvliet's ist auch nidit ohne weiteres festzustellen. Für den Zweck der vorliegenden Studie ist das auch gar nicht nötig, denn für diesen war gerade die frühere Verteilung der Werke von grö&erer Bedeutung, als die heutige.]

braken''s große Schauburg S. 172, Jahrbuch der königl. preuß. Kunstsammlungen IV, Seite 209. Urkundliche Nachrichten von Bredius in Obreen's Archief V, 240, 254, 256, 258. Die briefliche Mitteilung von Bredius an mich bemerkt zum 13. Mai 1676: Abraham Toorenvliet, Maler, vertritt seinen Sohn Jakob Toorenvliet, jetzt zu Wien in Oesterreich.

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Hans CanonP

Canon ist eine noch sehr unterschöfete bedeutende Erscheinung unter den Malern des 19. Jahrhunderts, so sehr unterschäfet, da& eine vielgelesene Geschidite der Malerei des 19. Jahrhunderts den Künstler nicht einmal im Text und nur im Inhaltsverzeichnis erwähnt. In einigen ähnlichen Werken ist Canon entweder gänzlidi über- gangen oder an unpassender Stelle mit einigen Worten abgetan. Ohne Zweifel waren Canon's unstätes Wesen, seine Wanderlust, sein Jahre lang ungeminderter Leichtsinn, sein vieles Schulden- madien Hemmschuhe persönlicher Art für das Erreichen jener An- erkennung, die geringen Talenten oft wie von selbst in den Schofe fällt, wenn sie nur darauf bedacht sind [ja recht sachte aufzutreten und] nidits ungewöhnlidies zu leisten. Canon hatte lange gegen mächtige Feinde anzukämpfen, die er nidit zu versöhnen traditete, sondern wohl durch Äußerungen des Jähzorns und stark hervorge- kehrten Künstlerstolzes erbitterte. Nur eine Natur von der aufeer- ordentlichen Kraft wie die Canon's konnte sdiliefelich einen Sieg er- ringen, der aber teuer genug erkauft war. Erst nadi einem mäch- tigen Jahre langen Ringen, das übrigens nidit so sehr einem zu ge- winnenden Ansehen, als der künstlerischen Vollendung galt, hat Canon die verdiente Anerkennung gefunden, verhälnismä|ig spät. Denn ein jäher Tod raffte den ursprünglich überkräftigen, späterhin allerdings herzkranken Mann in den besten Jahren hinweg, als man eben die größten Hoffnungen auf das Schaffen des ausgereiften Künstlers und sdiließlich noch abgeklärten Menschen sehte.

Der Künstler ist am 15. März 1830 zu Wien geboren. Er starb ebendort am 12. September 1885. Mütterlidierseits stammte Canon

*) Erstdruck 1891 im Ergänzungsband der Liliencron'schen Allgemeinen deutschen Biographie. Die alte Arbeit wurde wesentlich erweitert.

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aus der altösterreichisdien Malerfamilie der Altomonte (Hohenberg). So sagt eine bestimmte Dberlieferung. Das Datum der Geburt wird bei Canon in versctiiedenen Quellen verschieden angegeben. Ich hielt mich an die Daten, die in den Urkunden des Kremser Gym- nasiums vorkommen, weil diesen höchstwahrscheinlich die Angaben des Taufscheines zugrunde liegen. Anderswo liest man auch 1829, sogar 1828 als Jahr der Geburt. Als Tag wird auch der 3. und der 13 März (statt des 15.) genannt. [Da er ein uneheliches Kind war, ist die Nachforschung in den Pfarrbüchern bisher erfolglos gewesen.] Der kleine Hans, bei dem sich sehr früh künstlerische Begabung zeigte, besuchte in Wien die Normalschule. Dann schickte ihn sein Vater, der fürstlich Starhemberg'sche Wirtschaftsrat Johann S t r a- s ch i r i p k a, nach Krems ans Piaristengymnasium, in dessen Kon- vikt er als zahlender Schüler im Oktober 1840 aufgenommen wurde. Durch mehrere sichere Mitteilungen erscheint es im allgemeinen be- glaubigt, daB Canon in seiner Jugend eine Art Nichtsnufe war und da& er wenig lernte. Nur Mathematik interessierte ihn, und aus diesem Unterrichtsgegenstande erhielt er die Noten Ademinens und Eminens, was unserem „lobenswert" und „vorzüglich" entspridit. Im übrigen sdieint auf die Dauer sogar alle Fürsprache versagt zu haben, denn schon mit Ende Juli 1843 war bei Canon das Gymnasial- studium zu Ende.88) Eine Nachricht aus der Familie von Kerner, die damals in Krems lebte und in deren Hause der junge Straschiripka verkehrte, schildert ihn als schlank von Gestalt, blond, und als einen Jungen von angenehmem, geradezu einnehmendem Äußeren. Er sei ein „fideles Haus" gewesen. Von den Wissenschaften hat er in Krems nur genascht, die meisten Professoren waren mit ihm niemals zufrieden, und so ähnlich war es auch in Wien am Polytedinikum, das er 1843 bis 1845 besuchte. Er wird in zwei Jahrgängen der Schülerlisten, bzw. der Prüfungskataloge genannt. Dort steht ver- merkt, daB er im Jahre 1843 auf 44 den Gegenstand „Technologie" fleißig besudit und darauf 1. Klasse erhalten hat. Aus den „Ele- menten der Mathematik" hatte er zwar keine Klasse, doch besuchte er dieses Kollegium „sehr fleißig". Aus dem „technischen Zeichnen" trat er schon innerhalb des ersten Jahres aus. Die „Sitten" werden

88) Diese Angaben aus Krems werden Herrn Gerichtsadjunkten Heinrich Kutler in Krems verdankt.

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als „vollkommen gemäB" bezeichnet. Nach dem Jahrgang 1844 auf 45 erscheint er nicht mehr im polytechnisdien Institut eingetragen.^o)

Den AnlaS zu dem Versuch, technische Studien zu treiben, scheinen einige Spielereien technischer Art abgegeben zu haben, die er noch als halbes Kind anzufertigen verstand, so eine kleine eiserne Lokomotive, die er zur Freude seiner Geschwister im Garten laufen machte und ein Fallsdiirm, mit dem er sich von einem turm- artigen Anbau herabließ, ohne Schaden zu nehmen.^o) diq früher angedeutete Neigung zur Malerei scheint indes nach und nach die Oberhand gewonnen zu haben und der junge Brausekopf bezog die Wiener Akademie der bildenden Künste. Der 8. Oktober 1845 ist als Eintrittstag in den Akademieakten vermerkt. 1846 wurde Canon in Gsellhofers Vorbereitungsklasse gesehen. Noch immer war aber die richtige Schule für den Jüngling nicht gefunden. Augenscheinlich be- hagte ihm auch die Akademie nicht, vielleicht deshalb, weil er, wie in Wiener Künstlerkreisen erzählt wird, seinen damaligen Mit- schülern an Können weit überlegen war. Einige Anregung mag er immerhin gewonnen haben. Dann dürfte er bald seiner Wege ge- gangen sein, denn irgendwelche weitere Spuren seiner Anwesenheit an der Akademie sind in den Protokollen nicht mehr aufzufinden. Dodi verblieb der junge Mann vorläufig bei der Künstlerlaufbahn. Im Jahre 1847 finden wir ihn Monate lang mit Ferdinand Waldmüller in Verbindung. Aber auch unter dieser Leitung hielt er nicht lange [nur fünf Monate, wie er selbst schrieb] aus. Die unruhigen Zeiten und tollkühnes Wesen zogen ihn zum Militär, doch scheint der Ein- tritt ins Heer nicht freiwillig geschehen zu sein. Einer der Jugend- freunde Canon's, der nachmalige Polizeirat Viktor Pittner, erzählte mir, daß Canon 1848 während der Unruhen in Wien mit anderen jungen Leuten nahe bei der Hauptstadt verhaftet wurde, da er Waffen trug. Nur die Berufung auf den General Hauslab, seinen Verwandten und Gönner, konnte ihn vor der standreditlichen Be- handlung retten. Er wurde aber „abgestellt", d. h. fürs Militär be- halten. In dieser neuen Laufbahn bradite er es bald zum Kadetten. Er diente bei den Kürassieren und verließ 1853 als Leutnant die Armee. In den 50 er Jahren verkehrte Straschiripka, der sich in

89) [Angaben aus dem Archiv, die ich selbst 1901 dort ermittelt habe.]

90) Mitteilungen der Schwester des Künstlers an Herrn Sektionsrat A. v. Honstetter.

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periodischen Anläufen durch eigenes emsiges Studium in der Malerei vervollkommnet hatte, viel bei den Brüdern Gaul, den Malern, die ohne Zweifel einigen Einfluß auf die Entwicklung des jungen Künstlers genommen und ihn in der Porträtmalerei und manchen technischen Dingen gefördert haben. Im Jahre 1856 malte er das treffliche Bildnis der Schauspielerin Katharina Schiller, das sich in der Familie Brezina vererbt hat und 1892 in der Ausstellung für Musik- und Theaterwesen zu Wien viel bewundert wurde (Ab- teilung der Stadt Wien, Kat. S. 144, Nr. 461). Als 1857 in Wien Tann- häuser zum erstenmal aufgeführt wurde und Egghart in der Titel- rolle [oder vielmehr als Wolfram] aufgetreten war, porträtierte Stra- schiripka den genannten Sänger. [Den Schauspieler Mittel zeichnete der junge Künstler auf Stein, und zwar im Pelz. Dieses Kleidungs- stück wurde vom Zeichner unter irgend einem Vorwand ausgeliehen, um es nie wieder zurückzustellen. Dieser Streich, der vielleicht öfter wiederholt wurde zum Schaden anderer, wird auch mit Aus- schmückungen weiter erzählt. A. Eisenmenger und Franz Gaul wußten Beshmmtes darüber. Von der Familie Krickl lockte der an- gehende Maler einen Frack heraus, den er nicht wieder zurück- brachte. Als man ihn dann nichf mehr zum Besuch vorließ, warf er des Nachts die Fenster ein. Ersdiwindeltes Geld und Gut wurde stets gesdiwindest mit guten Freunden durchgebracht. In einem Döblinger Kaffeehaus gab es eine höchst bedenkliche Szene der be- rauschten jungen Leute, und Straschiripka entkam der Wadie nur durch seine außerordentliche körperliche Gewandtheit. Man lebte toll, fuhr, elegant gekleidet, im Fiaker, bis wieder die äußerste Ebbe in der Kassa eintrat. Dann wurde der junge Mann gelegentlich auch des Winters ohne überkleid, nur im Frackanzug und mit auffallend mangelhaften Schuhen, frierend auf den Straßen gesehen, bis sich, meist nur vorübergehend, neue Gönner oder neue Opfer für Hoch- staplereien fanden. In jenem Lebensabschnitt war Straschiripka ge- radewegs ein Lump. Sein eigener Vater, mit dem er sich überworfen hatte, soll dem Maler Fr. Friedlander gegenüber geäußert haben: „Wenn er (der Sohn) da vor mir an einem Baum gehenkt werden sollte und ich könnte ihn durch eine Handbewegung retten, idi würde mich nicht rühren". Aber das vielseitige Talent, Strasdiiripka war nicht nur als Maler, sondern audi als geschickter Taschenspieler, Kunstreiter, Turner, Raufer, Schübe, unerreichter Angler, Feinkoch,

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Deklamator, Redner, gewandter Geseüsctiaftsmensch bekannt, be- wundert, dies und das ri& itin endlicti nadi oben.] Er gewann stets wieder Freunde und Förderer, die itin allmätilict) in andere Batinen lenkten. Die Brüder Gaul waren es vermutlicti, die itin mit Karl Ratil dem jüngeren in persönlictie Verbindung bractiten. Oline eigentlidi der Ratil'sdien Sctiule anzugetiören, verkehrte Strasctiiripka docti im Atelier des älteren Malers, wo er otine Zweifel manche künstle- risdie Förderung erfuhr. Ein Bild, das Rahl's EinfluB ziemlidi klar erkennen läBt, ist die Orientalin beim Diamantenhändler, die 1886 in Wien als „Diamantenhändler" ausgestellt war. Jugendwerken Canon's aus dieser Periode begegnete ich in der Sammlung des Komponisten Ed. Kremser. [Eine Jugendarbeit: Mönch befand sich auch in der Franz Trau'schen Sammlung. Aus den Jahren 1854 und 1858 sind mir Steindrucke von Canon bekannt geworden, und zwar das Bildnis des Opernsängers Jules Stockhausen und das eines Knaben, der sich an ein Klavier lehnt.]

Gegen Ende der 50 er Jahre des Jahrhunderts nannte sich der Künstler schon „C a n o n", und unter diesem nom de guerre trat er audi an die Öffentlichkeit. Sein wahrer Name hatte damals gesell- sdiaftlich keinen guten Klang mehr. Der Name Canon hängt mit einer nidit erzählbaren Begebenheit und einer symbolisdien Ofen- röhre zusammen.

Ein Knabenbildnis aus dem Jahre 1857, es war nach Canon's Tode im Wiener Künstlerhause zu sehen, erinnerte nodi an die Art der vormärzlichen Wiener Schule. Etwas freier behandelt ist das Bildnis eines Förderers der Canon'schen Muse, des Grafen O. Sulli- van de Gra&, das zuerst 1858 beim Kunsthändler G. Pladi und bald darauf im österreidiischen Kunstverein ausgestellt war. Es fand Beifall trofe mancher Sdiwächen, die dem heutigen Kunsturteil übrigens viel klarer sein müssen, als der damaligen Wiener Be- urteilung.

In jenen Jahren ging Canon nach Italien, obwohl er dieses Land der schönen Künste anfänglidi nicht liebte und gegen Neapel ge- radewegs Widerwillen hegte. Auf Italien weist ein italienisches Blumenmäddien mit der Signatur „Canon 1859", das in der Samm- lung des Grafen Flemming nadi Karlsruhe gelangt ist. Die Mache an dieser etwa viertel lebensgroßen Figur ist nodi unvollkommen, z. B. ist der Fuß böse verzeichnet. Aus dem Jahre 1859 stammt ein

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ungefähr lebensgroBes Porträt eines Geletirten im SctiloB Fridau des Herrn Baron Rud. Isbary, aucti ein Bildnis des Grafen Edmund Zictiy und das Mäddien mit Fisctien, das Aufsetien erregte und in der Folge nactigebildet wurde. (Es kam in die Sammlung A. v. Zinner, nictit zu verwectiseln mit der Fisdivert<äuferin der Haerdtl- sdien Sammlung. Abbildung dieses Gemäldes im Lexikon der Wie- ner Gemäldesammlungen Bd. 11.) Eine datierte monogrammierte Zeictinung aus 1859 mit einem Mädctien, das Fisctie trägt, befindet sicti in der Albertina. In demselben Jatire entstand aucti ein großes Altarbild für die Deutsctiordenskirdie in Laibadi (Böttidier Nr. 3). (Dieses Bild ist im Stil der österreictiisctien Barockmaler getialten.) Dem Jatire 1860 getiört u. a. ein gutes Bildnis des jungen Baron Todesco in Wien an (Knabe in hellem Matrosenanzuge; in kühlem Tone gehalten), und das Bildnis der Frau Geheimrat Becker bei Dr. A. Figdor in Wien. 1861 findet sich als Datum auf einem genre- artigen Bilde mit überlebensgroßen Figuren. Blasse kalte Färbung, aber eine geradezu interessante, dämmrige Beleuchtung zeichnen dieses Werk aus, das sich in der Sammlung Wiener v. Welten in Wien befindet (Liebeserklärung); ursprünglidi war es in Galvagni's Sammlung in Wien, bei deren Versteigerung es um 551 fl. an den Ardiitekten Romano gelangte. 1861 war der Künstler auch als Karikaturzeichner tätig. Giskra, Kuranda, Smolka, Palacky wurden karikiert. Mit 1861 datiert ist die „Teüung der Beute", die in der Wiener Versteigerung Meyer Alszo Rufebach an Charles Meyer ver- kauft wurde. Demselben Jahre gehört an die „Geflügelhändlerin" (eine überlebensgrofee Figur, bis 1882 bei Baron Schey von Koromla). 1862 ist entstanden „Tag und Nacht" (ein Neger trägt ein weites Mädchen. Bis 1882 bei Baron Schey von Koromla). Ein Überlebens- großer Frauenkopf von blasser Färbung in der Dr. Spifeer'schen Sammlung auf Sdiloß Mannsberg in Kärnten dürfte hier einzureihen sein. In Blindenmarkt in Niederösterreich malte Canon 1861 ein Fresko mit einem Crucifixus (nach Angabe des „Wiener Tageblatt" vom 21. Januar 1886.) Dieses Werk soll künstle- risch bedeutend sein, und überhaupt scheint es, daß der Schritt vom fastenden Schüler zum sidier angreifenden Meister von Canon in jener Zeit um 1860 getan worden. [Mit 1862 ist ein überlebensgrofees Brustbild des Dr. E. Schwarz dahert, der sich als Teilnehmer der österreichischen Novara -Weltreise einen Namen gemacht hatte.

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Dieses Bild befand sich um 1900 in Budapester geistlichem Besib, und zwar beim Leopoldstädter Pfarrer Lollok. Ungefähr gleichzeitig mit dem Schwarz-Bildnis dürfte das ebenfalls überlebensgroße Brustbild eines wohlgenährten und wohlgeformten Mädchens ent- standen sein, das im März 1922 als Nr. 5 „Italienerin" bei Glückselig und Wärndorfer in Wien versteigert wurde. 1865 malte er den Kunstbruder Hans Thoma (das Bild befindet sich im Besife der Berliner Nahonalgalerie). Um jene Zeit unterstüfete Graf Hans Wilczek den Künstler in vornehmster Weise. Mehrere Bildnisse wurden bestellt. Wilczek nahm den Maler nach England mit zur Weltausstellung und von dort nadi Karlsruhe. In Wien hatte Canon damals auch eine Reihe von Aquarellen geschaffen mit An- sichten aus dem Wilczek'schen Tiergarten. Sie gelten als verschollen (nach Mitteilungen des Grafen Wilczek und seines Sekretärs Dr. Mandl).] In Karlsruhe, wohin Canon sich nun wendete, konnte er [gefördert durdi den Grafen Fleming, der früher bei der preußischen Botschaft in Wien gewesen] schon als fertiger Maler auftreten. Die Bilder aus der Karlsruher Periode des Künstlers, die sidi bis 1869 erstreckt, gehören meines Erachtens zu den frischesten Erzeugnissen Canon'sdier Kunst, sogleich die „Sdiwarzwälderin", die 1868 im österreidiisdien Kunstverein ausgestellt war, später in den Besib der Schauspielerin Wolter übergegangen ist und seit einigen Jahren eine Zierde der Wiener Sammlung W. Freyberg bildet. (Es stellt ein Mädchen mit einer dunklen Kabe vor und ist signiert und datiert. Eine Abbildung findet sich im Verzeichnis der Aukhon Wolter, Wien 1898.) Aus dem Jahre 1868 stammt die Sifefigur des Majors H. Schöpfer, die 1902 vom Ferdinandeum in Innsbruck angekauft worden ist. Der Karlsruher Zeit dürfte angehören ein unvollendetes Bild der Sammlung L. Lobmeyr (Canon an der Staffelei. In der Auf- fassung an Jac. Jordaens erinnernd). Zu Sdiirmer in Karlsruhe scheint Canon in ein näheres Verhältnis getreten zu sein, da er das Bildnis des älteren Kunstgenossen malte [es soll in vier Stunden ge- malt worden sein. Abgebildet bei Jos. Aug. Beringer: „Die badische Malerei". Brieflidi erwähnte Canon einmal, daß er in Sdiirmer einen „Freund" gefunden hatte], wogegen er mit C. F. Lessing nicht verkehrte, den er eher anfeindete. Dodi malte er Lessing's Tochter, die Gemahlin Koberstein's. Canon's Kunst übte damals schon auf jüngere Talente eine gewisse Anziehungskraft aus, und er hatte

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mehrere talentvolle Sctiüler. Aucti ein großer Auftrag wurde itim zu- teil, und zwar in der Ausfütirung der dekorativen Malereien im gro&- tierzoglictien Wartesaal des Karlsrutier Batmtiofes. Diese Arbeiten sind wenig genannt, dürfen aber als trefflictie Leistungen bezeictinet werden. Es sind zwei gro&e Breitbilder mit Puttengestalten (Eisen- batinwesen, Telegraptiie und Post) und sectis Füllungen mit Kinder- t<öpfen und Eroten. Das blütiende Kolorit ist von seltener Frisctie, aber die übertriebenen Formen bedeuten wotil einen Mangel. Als bekanntere Schöpfungen der Karlsruher Periode seien noch er- wähnt: „Der Rüdenmeister" aus dem Jahre 1866 (überlebensgrofee, aufrecht stehende Figur von kräftigem Kolorit, bezeichnet und datiert). Im Besife des Grafen Hans Wilczek und im Treppenhause des Sctilosses Seebarn [eine Zeillang auch leihweise im unteren Belvedere aufgestellt], ferner „Die Schafegräber" von 1866 (Bötticher Nr. 6), „Cromwell an der Leiche König Karl L" (mit 1867 datiertes und signiertes Bild. überlebensgroBe Figur auf Schloß Friedenstein in Gotha. Eine zweite, wohl veränderte Ausführung, oder handelte es sich um eine Kopie?, war aus Baseler Privatbesitz 1895 im öster- reichischen Kunstverein ausgestellt), weiter ein Hauptwerk des Künstlers „Familienglück" [signiert und datiert mit 1869; im Besife des Fürsten Kinsky ausgestellt 1886 in der Wiener Canon- Ausstel- lung]. Endlich die „moderne Judith" (ein Küchenmädchen, im Begriff einen Hahn zu töten. Signiertes Stück aus 1869). Als Werk der Karlsruher Periode wurde auch die sifeende Figur eines Lauten- spielers abgebildet (in der Zeitschrift „Gartenlaube" 1886, Nr. 2). Sie scheint durch Frans Hals den Älteren angeregt worden zu sein. Eine Zeichnung (sifeender Alchymist; im Besife des Herrn Baudirek- lors V. Herz in Wien) verrät eine Nachempfindung Rembrandt's (Ab- bildung in „Blätter für Gemäldekunde" Bd. II, Heft 5). Andere Werke lassen sein liebevolles Versenken in die Werke der venezianisdien Maler mehr oder weniger vermuten. Die Malereien im grofeherzog- lichen Wartesaal lassen den Einfluß des Rubens und Jordaens ver- spüren, und damit wäre denn eine sdiwache Seite des Canon'schen Talentes aufgezeigt, das vielfach einer Nachempfindung älterer großer Vorbilder zum Opfer fiel, wobei sogleich auf die sonshge Un- gleichmäBigkeit im Schaffen des Künstlers hingewiesen sei. Canon's Wertsdiäfeung der alten Meister ist seinem freien Schaffen gewiB hinderlich gewesen, wie denn auch sein fortwährendes Grübeln und

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Rechnen manche Arbeit eher verdorben als gefördert hat. Er konnte sich niemals selbst genügen und fand nur schwer einen bleibenden malerischen Ausdruck für seine Gedanken. Ein gewisser Mangel an Naivität ist dem Künstler oft vorgeworfen worden. Sogar in seiner reifen Zeit, in der er verhältnismäßig eigenarhg malte, drängt sidi noch häufig die Erinnerung an Rubens'sche Gestalten merklidi, oft störend hervor, z. B. im Sieg der Wahrheit (im Besife H. O. Miethke's) und im Kreislauf des Lebens (im Hofmuseum zu Wien). Ganz Canon ist er gewöhnlich nur in seinen Bildnissen, deren er eine große An- zahl schuf.

Von allerlei Reisen abgesehen, die Canon in jenen Jahren unter- nommen hat (so war er z. B. mit dem Grafen Hans Wilczek, wie schon angedeutet, in England und in Tunis), kann man sagen, daß er von Karlsruhe 1869 nadi Stuttgart übersiedelt ist. Canon's Reisen sind noch keineswegs mit Klarheit zu überblicken. Polizeirat Pittner erinnerte sidi, daß der Maler oft in Italien gewesen, daß er Frankreich und Spanien kennen gelernt und mit dem Fürsten Liedi- tenstein Sdiottland, Sdiweden und Norwegen bereist hat. Auf Reise-Eindrücke weist ganz deutlidi die „Flamingojagd", die 1871 in Stuttgart gemalt ist. In der genannten Stadt sind audi aus dem Jahre 1870 „Mutterliebe" (1886 in Besife des Herrn Niethammer in Stuttgart), das Bild „Waffenhändler" (1870), das interessante Bildnis des Prinzen zu Sachsen-Weimar (bezeichnet und mit 1870 dahert, Asphaltuntermalung mit dünnem Farbenauftrag) und das etwas flüchtig behandelte Bild des Dr. Monde (1870) entstanden. Eine vor- zügliche Arbeit aus dem Jahre 1870 ist die Tänzerin mit Tamburin, die idi vor wenigen Monaten im Verlag der schönen Künste in Wien ausgestellt gesehen habe. Der „Page" von 1870 kam in dieHamburger Kunsthalle. Es folgten nun 1872 der „Fischmarkt", ein Bild von etwas roher Madie, das in die Budapester Nationalgalerie gelangt ist. Der vielleidit früheste Entwurf dazu wurde mir beim Herrn Gemälde- restaurator Joh. E. Böhm vorgewiesen. Eine spätere Farbenskizze gehört der Staatsgalerie (Abbildung in „Kunst und Kunsthandwerk" 1917, S. 73), und die seither berühmt gewordene „Loge des Jo- hannes", von der es zwei Ausführungen gibt. Die vollendete Aus- führung bildete ein Hauptstüd< im großen Mittelsaale des Kunst- palastes auf der Wiener Weltausstellung von 1873, und ist seither in die kaiserliche Galerie gelangt; das frühere nicht ganz zu Ende ge-

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führte Bild desselben Gegenstandes kam erst nadi dem Tode des Künstlers an die Offentlidit<eit, wurde vom Kunsttiändler H. O. Miettike übernommen und an Seeger nadi Berlin verkauft. Zatil- reidie Studien zu beiden Bildern sind in den Wiener Privatsamm- lungen zu finden. Die Loge des Jotiannes sollte den oft wiedertiolten Ausspructi des Evangelisten malerisdi vertierrlidien: Liebet eudi untereinander. Sie ist eine gemalte Aufforderung zu gegenseitiger Duldung der Konfessionen. Canon's eigene Erläuterungen zu diesem Werke sind in der „Neuen Freien Presse" vom 23. Januar 1886 (S. 4) mitgeteilt. DaB die „Loge Johannis" eine gewisse Verwandtschaft in der Anordnung mit dem Altarbilde des Moretto da Brescia im Städersctien Institut zu Frankfurt a. M. bekundet, ist oftmals bemerkt worden. In dieselbe Sctiaffensperiode, welctie die „Loge Jotiannis" angetiört, kann man wotil aucti die undatierte „Danae" einreihen, ein kleines treffliches Bild, das 1876 auf einer Posonyi'schen Auktion vorkam und 1886 in der Wiener Canon-Ausstellung wiederkehrte. Diese „Danae", die den Goldregen aufnimmt, zeigt den fertigen Meister in der Modellierung des Nackten. Noch höher dürfte in dieser Beziehung stehen: „Venus und Amor", ein verhältnismäßig kleines undatiertes Bild, das unter dem verwediselten Namen „Nadi dem Bade" in Wien ausgestellt war. „Nach dem Bade" ist ein an- deres Werk Canon's (Bötticher Nr. 85). 1872 ist der vielbesprochene „moderne Diogenes" entstanden, der einen Flickschneider bei der Arbeit zeigt (Bötticher Nr. 15). Canon sdirieb auf das Bild: „Wo immer durch die Hüllen der Zivilisation ein Stüd< Natur blid<t, sefet der moderne Kulturmensch einen Fled< auf". Ein „badendes Mäd- chen im Walde", eine lebensgroße Figur, die 1876 in einer Posonyi- schen Auktion feilgeboten wurde, ist gleidifalls 1872 entstanden. Und demselben Jahre gehört eine beachtenswerte Sepiazeichnung mit der „Auferweckung der Tochter des Jairus" an. Das ein wenig durdi die Rembrandtisten beeinflußte Blatt gehört der Fürstin Marie zu Hohenlohe-Schillingsfürst. In den 70 er Jahren war Canon, wie schon früher wiederholt, für den Grafen Hans Wilczek tätig. Unter anderem wurden für den Grafen ein Deckengemälde: Diana mit Ge- folge und mehrere Bildnisse ausgeführL

Die legten zwölf Jahre von Canon's Schaffen gehören wieder der österreichischen Hauptstadt an. Durch den unbestrittenen Erfolg mit der „Loge Johannis" war Canon ein in Wien angesehener und

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geschabter Maler geworden. Er wurde mit Aufträgen überhäuft, und lange Reihen von Bildnissen wären zu nennen, die damals ent- standen sind. Einige seien hervorgehoben, wie die ganze Figur der Frau Regina Friedländer (1874), wie das Brustbild der Frau Henriette Wiener von Welten, das Bildnis der Baronin Bourgoing-Kinsky und des Generals Hauslab (1875), wie das Porträt des Dr. Morife Bene- dikt (1876), wie die Bildnisse für die gräflidie Familie Schönborn- Buchheim, wie die Figur des Wiener Bürgermeisters Dr. Felder, Werke, denen sich nodi viele andere anschlössen, z. B. die „Mittags- ruhe" (eine daherte Skizze dazu von 1877 beim Fürsten Liediten- stein). Ferner die Bildnisse der Gräfin Marie Kinsky (1874) und des jungen Grafen Hans Wilczek (1878).

Bedeutungsvoll für Canon war eine Reihe von Arbeiten, die mit dem Wiener Hofe zusammenhängen, dem er durch den Ankauf der „Loge Johannis" näher gerückt worden war. 1879 malte Canon ein Votivbild zur Feier der silbernen Hochzeit des österreichischen Kaiserpaares (es befindet sidi in der Hofburg). Im folgenden Jahre wurde beim Künstler durch den Stadtrat von Prag ein Bildnis des Kaisers Franz Josef bestellt (darstellend den Monarchen im Toison- Ornate; vollendet 1882). Für die Wiener Universität malte Canon mehrere Bilder, noch andere für's Unterriditsministerium. Im Hin- blick auf die damals bevorstehende Vollendung des Hofmuseums für die naturwissenschaftlichen Sammlungen erhielt Canon ferner den Auftrag, Skizzen für die malerische Ausschmückung des Treppen- hauses zu entwerfen, ein Auftrag, der auf die Tätigkeit des Künstlers bis zum Ende beshmmend einwirkte. Gegen Ende 1880 und 1881 malte Canon ein Blatt für eines der Albums, die dem Kronprinzen aus AnlaB seiner Vermählung überreicht wurden. Dann folgte das lebensgroße Bildnis der Kronprinzessin Stephanie. (Seither im Besib des Kaisers von Osterreich.) Kronprinz Rudolf nahm lebhaften An- teil an Canon's Schaffen, auch an den ungewöhnlidi ausgebreiteten Kenntnissen des Künstlers auf dem Gebiete der vergleichenden Anatomie. Die veröffentlichten Briefe des Kronprinzen an Canon zeigen großes Wohlwollen und viele Bewunderung (vgl. „Neue Freie Presse" vom 2. Dezember 1885). 1881 wurde audi ein Brustbild des Kaisers Franz Josef begonnen. [Demselben Jahre gehört an das lebensgroße Damenbildnis in der Berliner Nationalgalerie, das Frau Luise Bauer oder Frau Jauner darstellen dürfte und im

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Jahre 1886 angekauft worden ist, ferner das Brustbild des Grafen Westptial, das an den regierenden Fürsten Jotiann von und zu Liectitenstein gelangte und spätertiin im SctiloB Feldsberg zu finden war.] In den friitien 80 er Jatiren stellte Canon nictit selten im Wiener Künstlertiause aus, und zwar metirere Bild- nisse, u. a. das des Prinzen Napoleon „Lulu" (nacti Ptiotograptiie gemalt), ferner die beiden Lannabildnisse und das Smolkaporträt (ausgestellt in der Jatiresausstellung von 1884) und einige Allegorien oder allegorisch gefärbte Sittenbilder. „Die vier Elemente", ein Bild von frischester Färbung, wurde in der Jahresausstellung von 1883 sehr bewundert (Blondine von üppigen Formen und signiert und mit

1882 datiert. Mit versteckter Andeutung des feurigen Temperaments, das in der Dargestellten zum Ausdruck kommt, schrieb Canon dazu: „DaB seint (de)r Elemente vier. Wer deuf denn da dafe Feuer hier"). Der Maler liebte derlei Beischriften, mit denen er sich gelegentlich auch böse verkletterte, wie in der Legende des Fischmädchens von

1883 (eines Bildes, das nach Prag verkauft wurde und die Inschrift zeigt: „Wer heftig im Verlangen, fällt in Nefe und Angeln"). Ge- lungener und durch einen netten Seitenhieb ausgezeichnet waren Canon's Reime zur Zeidmung eines Wiener Dienstmannes für das Festblatt „Vindobona", das 1880 vom Journalisten- und Schrift- stellerverein „Concordia" herausgegeben wurde. Canon schrieb: „Schwerer Verdienst / Kleiner Gewinnst / Leichte Gewinnste / Gro&e Verdienste".

Canon's Arbeiten wurden in jenen Jahren allenthalben begehrt und gesucht. 1884 malte er den Kardinal Fürsten Schwarzenberg. Ein Votivaltar (das Mittelbild von Canon, die beiden Flügel von Stauffer vollendet), 1884 für den Grafen Hans Wilczek gemalt, war kurz nach seiner Vollendung im Wiener Künstlerhause ausgestellt, wie denn überhaupt jene Zeit für Canon eine Zeit der Erfolge und lauten Anerkennung war. Hätte den nodi immer an Bedeutung zu- nehmenden Künstler nicht das blendende Lidit des Makart'schen Farbenzaubers etwas verdunkelt, so wäre Canon damals ruhig und zufrieden gewesen, zumal seine äußeren Verhältnisse und sein Famüienleben [er hatte sich endlich richtig verheiratet] sich zu ordnen begannen. Aber der Wurm eines gewissen Neides nagte ihm am Herzen, und idi habe aus Canon's eigenem Munde eine förmliche Angriffsrede auf Makart mit angehört, die freilich bei verschlossenen

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Türen gehalten wurde. [DaB die Rede sehr lang dauerte, se^en alle voraus, die ihn einmal in Redefluß gebracht hatten.] Beide Künstler waren so ganz verschieden geartet, daB sie sich unmöglich verstehen konnten. Canon, der oft seinen Bekannten durch sein Integrieren und Differenzieren und durch das etwas gezwungene Philosophieren geradewegs unbequem wurde, ein Künstler, bei dem jeder Strich überlegt, berechnet, ausgeklügelt war, und der Träumer Makart, bei dem das wortmä^ige oder gar zahlengerechte Denken neben den Farbenvorstellungen nicht aufkommen konnte. Als Makart 1879 den bestridcend farbenreidien herrlichen Festzug künstlerisch gesdiaffen hatte, schrieb Canon, der immer gerne ein wenig die Feder führte, folgendes Epigramm: „Der Festzug sonder Rüge / Entkräftet nicht den Einwand / Daß Kunst nur feste Züge / Im Hirn und auf der Lein- wand".

[Als Seltenheit sei ein treffliches Stilleben hervorgehoben, „Canon 1885" bezeichnet, das vor nidit langer Zeit bei Wawra in Wien versteigert wurde.]

Gegen die Mitte der 80 er Jahre zu drängten sich die Arbeiten für das Hofmuseum immer mehr in den Vordergrund. Das riesige Deckenbild „Der Kreislauf des Lebens" war entworfen, die Lunetten- bilder, die rings herum angebradit werden sollten, waren zum Teil sdion ausgeführt. Bei einem kurzen Besuche in Canon's Atelier trug idi nach dem inneren Zusammenhang der angedeuteten Bilderreihe und Canon sagte mir zu, darüber einige Zeilen zu senden. Idi gebe sie hier getreu und nur in gewöhnlicher Orthographie, die dem Maler fremd war, wieder: „Die bisher fertigen Lunetten stellen deduktive, induktive und physisch-mathematisdie Wissenschaft dar. Die deduk- tive ist durch eine Frauengestalt, im Begriffe Fundamentallehrsäfee niederzuschreiben, dargestellt; ein Kind hält die Tafel; auf einer Rolle sind die Lehrsäfee moderner Naturanschauung angedeutet: ,Die Kraft ist konstant' und ,Das Wesen der erkennbaren Natur ist Be- wegungsdifferenz'. (Man horche!) Die induktive ist durch eine, einen Kristall beobachtende weibliche Gestalt versinnlicht, die von Gegen- ständen der Naturreiche umgeben ist mit einem Kinde. Physik und Mathematik gehören dem Mittelbogen an und sind zwei weibliche Figuren mit den üblichen Emblemen. Im gleichen Geist sind sämt- liche Lunelten gehalten. Das Deckengemälde versinnlicht den Kreis- lauf des Lebens. Unter einer sich auftürmenden Felsbrücke ruht im

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Dunkel die Sphinx auf einem den Grund deckenden Stein. Reaiis vom Beschauer entquillt das junge Leben. Kinder, Jungfrau, Jüngling, Mann und Frau aufwärts drängend, im Verein mit anderen Gestalten im Streben nach Ernährung, Gut, Ruhm und Macht. In der Mitte des Bogens zwei Reiter im Kampf siegend und fallend. Absturz, Verlust der Güter, Versinken in den Tod schlieB(en) den Bogen links. Blumen, Blüten, grünender Baum, der Adler in den Lüften mit dem Lorbeer rechts; vom Blib getroffene Tanne, auf der Leiche stehender Aasgeier zur Linken. Im Vordergrunde eine Gestalt sinnend, der Gedanke, das Rätsel zu lösen." Der abgedruckte Brief ist etwa im April 1883 geschrieben und bezieht sich auf die durchgebildete Farbenskizze zum „Kreislauf des Lebens". Die Ausführung im Großen, die nur unwesentlich von der Skizze abwich, wurde am 21. Oktober 1884 begonnen und ungefähr in der Mitte März 1885 vollendet. Für die Aufstellung der riesigen Leinwand (von 35 X ^^ FuB) war in dem verhältnismäßig bescheidenen Atelier des Künstlers in der Rasumovskygasse kein Raum, weshalb dem Maler ein Saal im Hofmuseum eingeräumt wurde, und sogar dort blieb immer ein Teil des Bildes aufgerollt, so lange noch daran gearbeitet wurde. Nach der Vollendung war das Werk im Künsllerhause ausgestellf. Dann nach Vollendung des Baues kam es an die groSe Spiegeldecke, für die es bestimmt war. Das fertige Bild wurde zumeist als groge Lei- stung anerkannf, ja bewundert, vielfach kritisiert und einigermaßen bekrittelt. Seit der Weltausstellung von 1873, die den Wienern die Riesenleinwand eines Wierß mit dem Sturz der Verdammten und ein Cabanel'sdies Kolossalbild in demselben Saale zur Schau geboten hatte, in dem auch Canon's „Loge Johannis" ausgestellt war, hatte man an der Donau kein monumentales Bild von ähnlidiem Umfange gesehen. Viele wußten nidit recht, wie ein so ausgedehntes Stück zu betrachten sei. Auf den sehr deutlichen Zusammenhang mit dem großen jüngsten Gericht des Rubens sind nur die kunstgeschichtlich Geschulten gekommen, und daß Wierß mit seinem Kolossalbilde doch auch ein wenig als Anreger gelten konnte, war nur in einem einzigen Nadirufe angedeutet. Alles zusammengenommen, war der Erfolg, den Canon mit dem „Kreislauf des Lebens" errungen hatte, ein unbezweifelter.

Der Rivale Makart schwankte damals sdion dem Grabe zu. Sein müder Pinsel vermodite es nidit mehr, den großen Auftrag auszu-

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führen, der ihm für das zweite Hofmuseum, für das Museum der Kaiserlichen Kunstsammlungen, zuteil geworden war. Dort sollte er für das Treppenhaus, entsprechend dem Canon'schen „Kreislaufe des Lebens" die grofee vierseitige Decke mit einem Riesenbilde zieren (darstellend den Sieg des Lichtes) und eine Reihe von Lunettenbildern ausführen. Als er im Herbst 1884 verschied, hinter- ließ er nur die Lunetten und eine Farbenskizze zum großen Mittel- bilde. Canon erhielt nun den Auftrag, das große Bild für das zweite Hofmuseum zu malen. Aber auch Canon's Arbeit gedieh nur bis zum Entwurf. Neben diesem und neben den oben erwähnten Lunetten, die noch nicht alle vollendet waren, malte Canon 1885 noch eine Obsthändlerin und ein Bildnis des Sdiriftstellers Emmerich Ranzoni. Das Bild mit der Obsthändlerin wanderte kurz nadi seiner Voll- endung nadi Deutschland, das Porträt Ranzoni's wurde nicht mehr fertig gemalt. Die Parze sdinitt unvorhergesehen Canon's Lebens- faden entzwei. Kurz nachdem der Künstler vom Sommeraufenthalte in die Hauptstadt zurüd<gekehrt war, verschied er nach sdimerz- vollem aber kurzem Leiden an einer Zerreißung des Herzens am 12. September 1885.

Der Künstler war in seinen lefeten Jahren eine der bekanntesten Persönlichkeiten Wiens geworden. (1883 hatte er den Reichel'sdien Künstlerpreis und den Professortitel erhalten.) Zum Bekanntwerden trug nicht wenig seine eigenartige Tracht bei, die im wesentlichen sich der polnischen näherte (hohe Stiefel, Pluderhosen, langsdiößiger Rock, roter Gürtel). Jedermann kannte die mäditige Gestalt mit dem wohlgeformten Haupte, das gewöhnlich in strengen Falten liegende Antlife mit dem lang hinabwallenden bräunlichen Barte. Das Leichen- begängnis gestaltete sich zu einer großen Feierlichkeit. Zahlreiche Nachrufe ersdiienen in Zeitungen und Zeitschriften. Allenthalben fühlte man empfindlidi die Lücke, die durdi Canon's Tod entstanden war. Bei alledem ist es zu einer ausreichenden Würdigung des Künstlers bis heute nicht gekommen, und wer sidi einen llberblid< über Canon's Lebensgang und künstlerische Tätigkeit verschaffen will, ist auf recht dürftige Quellen angewiesen.

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Literatur und andere Quellen.

Mitteilungen aus dem Kreise Canon's und eigene Erinnerungen an den Künstler. Freundlictie Mitteilungen aus Urkunden werden verdankt: den Herren Gerictitsadjunkten Heinricti Kutler in Krems, Archivsadiunkten H. Ttiomke in Wien und Sekretär Ludwig Edl. v. Drabek in Wien. Gütige mündlictie Auskünfte ertiielt icti von den Herren Polizeirat V. Pittner, Prof. Eisenmenger, Sekretär Dr. K. Mandl, Oberstabsarzt Ctiimani, Maler Felix, Maler Stauffer und Bau- rat Jul. V. Herz. Gedruckte Nactirictiten: C. v. Wurzbacti's Bio- graph. Lexikon (Artikel Strasctiiripka). Die Künstlerlexika von H. A. Müller, Seubert, Ttiieme und Becker. Lüfeow's Zeitsdirift für bildende Kunst und dessen Kunstctironik 1873 bis in die neueste Zeit. Zatilreictie Kataloge von Museen, Ausstellungen, Versteige- rungen (s. unten). E. Ranzoni „Die Malerei in Wien" (1873). Die Zeitsdirift „Heimat" 1880 (V, Nr. 3). - Die Zeitsctirift „L'art" in den 80 er Jatiren. - W. Lauser's „Kunstctironik" 1883, S. 68 (offener Brief Canon's an Professor Ttiausing, jedenfalls von der Redaktion der Sctireibfetiler entledigt. Enthält einige zutreffende Bemerkungen, singt im übrigen das langweilige Lied, da^ nur der kunstverständig sei, der selbst berufsmäßig Kunst ausübe). 1885 beim „Gschnas- fest" der Künstlergenossenschaft erschien eine „zwanglose Schön- heitsgalerie". Unter dem, von Trentin gezeichneten, halb karikierten Bildnis Canon's liest man: „Und Canon hier erklärt dir, mein Sohn / Wenn du brav bist den Rubensfleischfarbenton". -— Über Canon's Kolossalbild schrieb Vincenti für die „Beilage zur allgemeinen Zei- tung", 9. April 1885. Zahlreiche Nadhrufe in den Wiener Tages- blättern, in Thode's „Kunstfreund" (1885, S. 293 ff.), in der Mün- chener „Allgemeinen Zeitung" (16. Sept. 1885), in Lauser's „Kunst- chronik" (1885), in der „Leipziger Illustr. Zeitung" vom 10. Okt. 1885 I, Nr. 13, II, Nr. 52. - Bötticher, Malerwerke des 19. Jahrh. (1895). Zu den politischen Karikaturen Canon's vgl. „Die Wage" 1898 Nr. 49. Lott „Bericht über die Studienjahre" (Reichelpreis). Frimmel „Ge- schichte der Wiener Gemäldesammlungen", an mehreren Stellen. „Erinnerungen an Canon" von Th. Thomas in „Neue Freie Presse", 23. Oktober 1904. - R. Schid< „Tagebuchaufzeichnungen", S. 348 f. (über Canon's Besuch bei Böcklin in Basel am 3. Mai 1869. Mal- technische Erörterungen). Ed. Fuchs „Die Karikatur der euro- päischen Völker (1904) S. 299 ff . „Canon, am Tage der Ent- hüllung seines Denkmals", Feuületon von Friedr. Stern im „Neuen Wiener Tagblatt" (Geburtshaus unrichtig angegeben. Einige Über- lieferungen). — „Hans Canon zur Enthüllung seines Denkmals)" von „Jim" im „Fremdenblatt", Wien, 29. Oktober 1905 (unsichere bio- graphische Angaben, sonst nach persönlichen Erinnerungen). „Das Denkmal für Maler Canon" im „Illustrierten Wiener Extrablatt", 27. Oktober 1905. Hinweis darauf, dag am Geburtshaus des

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Künstlers in der Währingerstra&e Nr. 81 schon vor Errichtung des Standbildes eine Büste Canon's angebracht worden. Sparkassen- direktor Jos. Winter hat diese Büste durch Prof. Weyr ausführen lassen. Ferner Hinweis auf zwei frühe Bleishftzeichnungen, Bild- nisse aus dem Jahre 1853. Eine davon kam zu Herrn Gerhard Ram- berg-Mayer, die andere wurde von Jos. Winter erworben. „Hans Canon (Zur Enthüllung seines Denkmals)", „N. Fr. Presse", 27. Ok- tober 1910, von A. F. Seligmann (mit wertvollen Mitteilungen aus hinterlassenen Papieren Canons, in denen sich, allerdings etwas unbeholfene Ansäfee zur Niederschrift eines theoretischen Werkes über Malerei vorfanden). Unter den Nachrufen, die 1885 ge- druckt wurden (s. oben), ist Ranzoni's knapp zusammengefaßte Le- bensbeschreibung hervorzuheben, die einen langen Brief Canons benufet („N. Fr. Presse", 16. September 1885). Canon nennt sich darin selbst einen „Enkel des Malers Altomonte von mütterlicher Seite". 1847 war er fünf Monate in Waldmüller's Schule. 1848 bis 1853 war er Soldat, über die nun folgende Rahlperiode schrieb er selbst: „Rahl's Schule und dessen Schüler waren die mächtigsten Einflüsse, die ich empfing, ohne daß ich jedoch der Schule selbst angehört hätte". - „Im Jahre 1862 ging ich nach Karlsruhe und fand in J. W. Sdiirmer einen Freund; nach seinem im Jahre 1863 erfolgten Tode drängten Prinzipien-Differenzen mich bald in eine sdiwere Kampfesposition gegen Lessing, Gude, Des Coudres u. a. Es drängte sich eine Gruppe junger Männer um mich, denen idi ver- ständlich und die mir sympathisch waren. Sie hießen spottweise die Canonierer." Ranzoni schäfet die Anzahl der Canon'schen Bildnisse auf mehr als tausend. Beachtenswert auch Ranzoni's Bericht über die „Canon-Ausstellung" („N. Fr. Presse", 23. Jan. 1886, mit einem Brief Canon's über die Loge des Johannes). Noch weiter zurück ist als gehaltvoll hervorzuheben Ranzoni's „Canon (ein Künstler- porträt)" in der „N. Fr. Presse" vom 6. Juni 1874. Von dem Bildnis der Frau Jauner handelt eine Notiz der „Wiener allgemeinen Zei- tung" vom 12. Nov. 1886 (Mittagsblatt). Das Bild kam in die Ber- liner Nationalgalerie. ~ Aus neuerer Zeit noch vieles, so „Ein Jahr- hundert österreichischer Malerei", Abbildungswerk, 1900, IX. Liefe- rung, und L. Hevesi „Wiener Totentanz" (1899), Georg Fuchs „Wilhelm Trübner und sein Werk" (1908, S. 24 f.) - A. F. Selig- mann „Kunst und Künstler von gestern und heute" (1910), Wieder- abdruck des Feuilletons vom 27. Oktober 1910 (siehe oben). „Die Kunst für Alle" Bd. XIX, Heft 14, S. 325, und Bd. XXI, Heft 3. - J. J. Weber's „Illustrierte Zeitung" vom 3. Aug. 1905 Nr. 324 a. ~ „Er- innerungen an Hans Canon" von Heinr. v. Angeli in „N. Fr. Presse" vom 11. Sept. 1910; in demselben Tagesblatt vom 12. Sept. 1910 „Er- innerungen an Hans Canon" von „v."; ferner wieder in der „N. Fr. Presse" vom 14. Sept. 1910 „Hans Canon, Erinnerungen" von Gräfin Stephanie Wurmbrand-Stuppach und „Kronprinz Rudolf und Canon"

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von Dr. Mor. Pufeker, abermals in der „N. Fr. Presse" vom 17. Sept. und in demselben Blatt vom 24. Sept. 1910 ,,Eine Erinnerung an Canon" von „Dr. K. R." (über eine Skizze zur „Loge Jotiannis" mit der Inschritt „Zur freundlichen Erinnerung dem veretirten Dr. Ellinger der ergebene Canon. Stuttgart, 26. Juli 1872", und über ein gefähr- licties Unwohlsein Canon's im Schwimmbad). „Erinnerungen an Hans Canon" von M. E. Sare in dem Tagesblatt „Die Zeit", Wien,

28. Okt. 1905. Frimmel „Von Hans Canon", „Montagsrevue",

29. Mai 1905. Jos. Aug. Beringer „Die badische Malerei im 19. Jahr- hundert (1913, S. 56 f.). - J. Klaus „Martin Altomonte" (1916), S. 13. „Der Pockenpelz", Notiz von „E. F. W." in der Bei- lage zur „Vossischen Zeitung" vom 2. April 1919, (Sehr aus- geschmückte Erzählung vom entliehenen Pelz, der wegen angeb- licher Pockengefahr nicht mehr zurückgestellt wurde; ferner Mit- teilung von einer mißglückten Brautwerbung des jungen, mittellosen Malers. Straschiripka wurde um sein Einkommen gefragt. Als er eine geringe Summe nannte, sagte Mama vernichtend: „So?, das reicht bei meiner Tochter gerade für die Taschentücher". - Er ver- sefete darauf: „Wirklich, wenn ich das gewußt hätte, daß Ihr Fräulein Tochter an einer chronischen R . . . nase leidet, hätte ich gar nicht um sie angehalten".) „Studien und Skizzen zur Gemäldekunde" Bd. IV, S. 99, Mai 1919. über die zweimalige Ausführung des Canon'schen Bildes der Königin Nathalie von Serbien. Erste Aus- führung bei Frau Dr. G. v. Mündel in Wien. Donath's „Kunst- wanderer" 1920, S. 116. Noch andere Literatur wurde im Text er- wähnt.

Unter den Katalogen sind hervorzuheben: „Canon's N a ch 1 a ß". Der gesamte Besife des Malers wurde am 9. De- zember 1885 im Atelier (Wien, III. Bezirk, Rasumofskygasse 27) durch Löscher versteigert. Was für Canon's Arbeiten erzielt wurde, war, ähnlich wie in anderen Versteigerungen künstle- rischer Nachlässe, niederträchtig unbedeutend. Die guten Sachen darunter, die man übrigens auch nidit übermäßig hoch eingesdiäfet hatte, blieben ohne jedes Anbot. „Kaum die Hälfte der vorhandenen Objekte" wurde losgeschlagen („N. Fr. Presse" vom 10. Dez. 1885). Das unferhge Bildnis des Prinzen „Lulu" wurde durch Marquis de Bica um 500 fl. erstanden. Die Tuschzeichnung für die Decke des naturgeschichtlichen Museums ging um 700 fl. an Herrn v. Stockauer, eine Farbenskizze der „Geflügelhändlerin" um 650 fl. an einen mir nicht bekannten Käufer. August Eisenmenger erwarb um 350 fl. die Farbenskizze zum Familienbildnis, Fräulein Anna Wirth, Canon's Schülerin, kaufte um 400 fl. ein Stilleben mit zwei Figuren. Eine Zeichnung: unvollendetes Bildnis des Bürgermeisters Uhl kam um 100 fl. an die Stadt Wien, das unvollendete Porträt eines jungen Rothschild um 230 fl. an Dr. Foregger. Das fertig gemalte Exemplar desselben Bildnisses gehörte damals Baron Albert Rothschild.

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(„N. Fr. Presse", 10. u. 12. Dez. 1885.) Ein männlicher Sfudienkopf wurde vom Herzog von Oldenburg um 296 fl. erstanden.

Noch während dieser Versteigerung waren mehr als 200 Werke von Canon aus dem Besife der Frau Dr. Schmidt auf dem Wege nach Wien, um dort in der geplanten Canon-Ausstellung Plah zu finden. Auch die zurückgebliebenen Sachen aus Canon's Nachlaß kamen dahin, um neuerlich ausgeboten zu werden, und zwar nach Schluß der Canon-Ausstellung. über diese gibt Auf- schlug der „Katalog zur Canon-Ausstellung im Künstlerhause" (Wien, Verlag des Künstlerhauses, 1886). Die Ausstellung war glän- zend veranstaltet. Nach deren Schluß gegen Ende Februar 1886 kamen die NachlaB-Bilder und die aus dem Besife der Lieblingstochter Canon's, der Frau Dr. Schmidt, unter den riammer. Miethke versteigerte diese Werke in seiner LXX. Kunst- auktion unter dem allgemeinen Titel: „Canon's Nachlaß aus der Karlsruher und Stuttgarter Periode". Hohe Preise gab es auch diesmal nidit. Mandies ging um 5 bis 6 fl. ab. Zumeist wurden nur zweistellige Zahlen erreicht, nur selten Preise über 300 fl. Nach Miethke's Mitteilungen über Preise und Käufer Folgendes: Höchster Preis von 350 fl. bei Nr. 11 „Niederländisdier Fischmarkt", Lwd., H. 38, Br. 63. Diese Skizze kam damals an Seybel. Die erste groBe Ausführung der „Loge Johannis" (Lwd., 310 X 200) wurde von Miethke übernommen und kam dann zu Seeger nach Berlin. Je eine Farbenskizze zur „Loge Johannis" kam an Dr. Fries und an Seybel, viele andere Studien zu demselben Bild zum Teil an Kodi, Plattensteiner, Frohner, Wilczek, Nemes, Hermann u. a., eine Fischverkäuferin an Hirschler, eine Kränze- winderin an Himmelbauer, eines der Selbstbildnisse an Prof. Her- mann, ein anderes an Lobmeyer, ein weiteres an Dr. Fries, der auch eine Skizze zur Flamingojagd erwarb. Die Klio (175 X ^30) kam zum Kunsthändler Schwarz. Frohner erwarb eine kleine Landschaft (Nr. 17, Ansicht von Heiligenberg) um 11 fl. Die Suckow-Bildnisse gingen an Lobmeyer und Lieben. Krämer kaufte das Porträt des Malers Faber du Faure, Graf Wilczek erwarb die Bildnisstudie „Zwei Knaben" (die Kinder des Reichsgrafen Salm), H. 35, Br. 25, um 41 fl. Das Porträt des Malers Dittweiler in Karlsruhe (41 X ^^^ ^^^^ ^^ Palik um 25 fl.

In den Wiener Versteigerungen der jüngsten Jahre kamen wiederholt gute Werke von Canon unter den Hammer, besonders 1920 im April bei Schidlof, wo u. a. eine Landschaft zu sehen war, die deutlidist den Einfluß der Flandrer aus der Rubenszeit verriet, besonders des L. v. Uden; ferner gab es dort ein Selbstbildnis Canon's bei der Staffelei, auf der ein halb fertiges Madonnenbild steht. In derselben Versteigerung auch eine Skizze zur allegorischen Figur: Die vier Elemente.

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Auf die Büste von Weyr an Canon's Geburtshaus und auf das Weyr'sdie überaus gelungene Standbild wurde wiederholt hin- gewiesen. Dieses war 1904 in der k. 1<. ErzgieBerei schon fertig und wurde 1905 enthüllt. Die Canon-Figur ist auch in kleinerem Format ausgeführt worden. Nun sei schließlich noch nachgetragen, daß Canon's Grab auf dem protestantischen Friedhof vor der Mableins- dorfer Kirche mit einem schief hingelegten Grabstein bedeckt ist, auf welchem

„HANS

CANON" die einzige einfache Inschrift ist.

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Carl Friedrich Lessing.

Carl Friedrich Lessing als Landschaftsmaler.*)

So viele Menschen es gibt, so vielerlei Arten gibt es auch, die uns umgebende Natur zu betrachten. Kein Mangel an den schroff- sten Gegensäfeen. Angeborene und erworbene Eigentümlichkeiten beeinflufeen in einer Anzahl, die kaum zu überblicken, die Natur- auffassung eines Menschen. Von der Naturauffassung im weiteren Sinne wollen wir gleich hier den engeren Begriff der Landschafts- auffassung lostrennen. Auf diese nun üben Alter, Geschlecht, Temperament, Erziehung, Umgebung, Lektüre, Studien gewiß einen bestimmten Einfluß aus, ohne daß es möglich wäre, ihn jedesmal haarklein zu verfolgen und nachzuweisen. Audi einzelne Kultur- perioden beeinflussen das „landschaftliche" Auge, worauf W.H.Riehl schon vor Jahren in einem geistvoll geschriebenen Essay aufmerk- sam gemacht hat.

In dem folgenden soll uns die landschaftliche Auffassung eines der berühmtesten modernen Landschaftsmaler, Carl Friedrich Lessing's, eines Mannes von ziemlich ausgesprochen melancho- lischem Temperament, beschäftigen; Lessing ist gerade in dem Punkte seiner Naturauffassung so originell und so verschieden von den meisten unserer modernsten Landschafter, daß es wohl die Mühe lohnt, den berühmten Mann von dieser Seite eingehend zu be- trachten. Was vor allem in die Augen fällt bei einem tiberblicken seiner Tätigkeit als Landschaftsmaler, das ist neben einer un- erschöpflich reidien Phantasie das im geographischen Sinne ver- hältnismäßig engbegrenzte Gebiet, bei dem er den Stoff seiner Dar- stellungen entnimmt; es sind immer nur die Eitel, der S o 1 1 i n g,

*) Erstdruck in der „Montags-Revue" vom 21. Februar 1881 (Wien).

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der Harz, die fränkische Schweiz, das Siebengebirge und endhch die Niederungen seiner sdilesischen Heimat, die wir auf seinen Bildern widerfinden. Nach einer Darstellung aus den Alpen aus Italien oder aus den skandinavischen Ländern würden wir vergebens suchen; auch den Herrlichkeiten des Meeres und der Küste blieb er fast gänzlich fern, und wenn wir nicht irren, ist eine Tuschzeichnung einer brandenden See (felsige Küste), welche wahr- scheinlich im Jahre 1825 unter dem Einflüsse der Reise-Eindrücke von der Insel Rügen entworfen wurde, die einzige Darstellung maritimer Natur.

Haben wir uns aber mit den Grenzen seines Darstellungsgebietes einmal vertraut gemacht, so werden wir innerhalb derselben alsbald eine sonst seltene und liebevolle Vertiefung gewahr, so da& der scheinbare Mangel nun als Tugend erscheint; in dem beschränkten Gärtchen seiner ausschließlich deutschen Landschaftsmalerei hat Lessing Blumen gezogen in einer Fülle, Herrlichkeit und Mannigfaltig- keit, die wir uns nur durch einen langen in Harmonie hinströmen- den Lebenslauf erklären können. Aber auch sonst brauchte Lessing den Vorwurf der Einseitigkeit nidit im entferntesten zu fürchten; war er doch in einer langen Periode seines Lebens (von zirka 1827 bis 1867) ein vielseihger Historienmaler, der sidi als solcher die Lor- beeren der alten und neuen Welt verdient hatte.

Verweilen wir noch bei der freiwillig auferlegten Beschränkung, zu deren Illustrahon ein in der Schweiz und über dieselbe ge- schriebener Brief Lessing's zunächst besondecs geeignet erscheint. Das Schreiben ist an Lessing's Frau gerichtet und soll hier, obwohl nur in seiner ersten Hälfte auf unser Thema bezüglich, dennoch, um das an und für sich interessante Dokument nicht zu zerstückeln, in seiner ganzen Ausdehnung abgedruckt werden. Die Jahreszahl fehlt in der Daherung, ist aber höchstwahrscheinlich als 1864 [besser 1865 auf 1866] zu ergänzen. Otto Lessing, der jefet als Bildhauer in Berlin lebende Sohn des Malers, teilte mir freundlichst mit, er erinnere sich, wenn auch nicht ganz genau, daß sein Vater im Spätherbstes i) 1863 auf Wunsch des Großherzogs von Baden in die Schweiz gereist sei. Das Tagebuch des Malers, dessen wir in unserem Feuilleton vom 31. Jänner 1881 Erwähnung getan [siehe den nächsten Abschnitt],

91) Archivrat Dr. Fr. v. Weech aus Karlsruhe teilte uns mit, Lessing sei von 1865 auf 66 in der Schweiz gewesen.

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läfet uns diesmal im Suche; doch enthält es auch nichts, was unserer Annahme widerspräche; es zeigt nämlich in der Zeit vom Dezember 1863 bis zum März 1864 eine Lücke und wieder eine ähnliche von August 1865 bis August 1866 in den Aufschreibungen, welche eher für als gegen unsere Annahme gedeutet werden könnte. Nun der Brief:

„Vevey, Jänner, Freitag Morgen. Liebe Idal

Vorgestern Abend, ungefähr um 8 Uhr, bin ich hier angelangt. Bisher war ich vom Wetter sehr begünstigt gewesen, aber seit gestern Morgen regnet es ununterbrochen fort und sieht aus, als wollte es noch länger anhalten; von südlichen Klima daher habe ich keine Probe erlebt. In Bern, wo ich mich 2 halbe Tage auf- gehalten habe, habe ich nun zum erstenmale, wenn auch nicht nahe, doch sehr deutlich, die Alpenkette im grellsten Sonnenschein und zwar an verschiedenen Tageszeiten gesehen. Der Anblick hat mich nicht so überrascht, als ich's erwartet hatte, denn ich hatte mir die Berge noch viel höher gedacht. Außerdem m a ch e n diese Sdinee- und Eisberge einen sehr un- ruhigen Eindruck, der mir mit der Zeit nodi zunahm. Am meisten gefielen sie mir spät Abends, wo sie ganz im Schatten waren. So ist mir auf der ganzen Tour noch eine für mich un- angenehme Eigenschaft der Schweizer Landschaften aufgefallen, dafe sich eine Menge Berglinien übereinander befinden, nach dem Hintergrunde unter den Umständen immer höher, die fürs Auge gar keine Vermittlung darbieten, und daher gleichsam lauter Seb- stücke wie in der Coulissenwelt bilden. Die Vorgründe und auch Mittelgründe sind oft sehr malerisch in ihrer ganzen Anlage, nur werden sie Einem durch den nicht wenigen aber ganz elenden Wald, welcher weder Natur noch Kunst ist, verdorben. Außer einigen alten Linden habe ich noch keinen vernünfhgen Baum sehen können, audi hier scheint's derselbe Fall. Große, sehr un- erfreuliche Strecken habe ich mit der Eisenbahn durchfahren, wie sie kaum sdilechter in Thüringen und auf der Hochebene zwischen Ulm und Mündien zu finden sind, und dabei oft ganz vortreffliche Bodenverhältnisse. Nach meiner nur geringen Beobachtung kommt es mir vor, als wäre die Gegend zwischen Basel und Ölten die für

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einen Maler braiiclibarste gewesen. Als ich diese Gegenden durchfuhr und alle AugenbHcke brauchbare Sachen sah, dachte idi bei mir , wenn sich's in der Schweiz so steigern sollte, dann hätten die Menschen doch recht in die Schweiz so verliebt zu sein. Aber dieser Eindruck wurde mir nur zu bald wieder verwisdit. In der Basel-Landschaft ist nämlich der Wald auch etwas besser be- wirtschaftet. Von der so gepriesenen Umgebung des Genfersees kann ich Dir noch nicht viel schreiben, indem ich noch nicht viel anders vor die Thür gekommen, als in das Quartier unseres Herrn. Nur so viel kann ich Dir schon melden, da& das Klima zur Zeit viel winterlidier ist, als in Carlsruhe, und wenn man noch jenseits trost- lose Berge, die savoy'schen Alpen mit dem vielen Schnee be- trachtet, wird der Eindruck des Winters noch mehr gesteigert. Sehr schön ist dabei das bewegte Wasser des Sees anzusehen. Wenn aber das Wetter besser wird und ich die Umgebungen einigermaßen kennen gelernt habe, hole ich das Fehlende nach.

Gestern Morgens hatte ich zuerst Freidorf aufgesucht, den ich in langem Schlafrocke und beim Studium der französisdien Sprache vorfand.

Nach langem Plaudern wurde ich zum GroBherzog gerufen, bei dem ich wohl über eine Stunde zubringen muBte; daß er außer- ordentlidi freundlidi gewesen, kannst Du Dir leicht denken. Zur Mittagstafel bin ich ein- für allemal eingeladen, auch hatte er mir gleich eine Partie nach dem Schlosse Chillon vorgeschlagen, zu deren Ausführung es jedoch des schlechten Wetters wegen nicht mehr kommen konnte. Darauf besuchte ich Schrickel, ebenfalls in demselben Costüme, war aber mit allerlei Büchern umgeben, die auf die Geschichte der Umgebung Bezug haben, dann auch Stern- berg, der in Hemdesärmeln saß und ebenfalls Studium zur Ver- vollkommnung der französischen Sprache trieb. Alle drei wohnen natürlich in ein und demselben Hause. Hut und Frack sind unnöthig mitgenommen, denn auch zur Tafel gestern, die von 5 bis 9 Uhr gedauert, erscheint man im täglichen Costüme. Der Kaffee wurde in Schrickel's Zimmer genommen und dabei stark geraucht. Nach der Versicherung der drei Herren hatten sie in der ganzen Zeit keine lange Weile auszustehen gehabt, indem sie ganz nach Ge- fallen sich beschäftigen konnten. Nur selten begleiten sie den Grofeherzog und zwar dann auch nur Einer.

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Mit der Kenntnis meines Bischen Französisch wäre ich schlecht tortgekommen, hätte es nicht das Glück gewollt, da| ich auch namentlich hier einen Kellner vorgefunden hätte, der ein Deutscher ist und als Volontär dient.

Wenn Du kannst schreibe mir recht bald ein paar Zeilen, wie es Euch geht. Aber wie gesagt recht bald, denn sollte dieses schlechte Wetter verhalten, so werde idi auf die Reize dieser so gepriesenen südlichen Gegend sehr bald verzichten.

Nun lebe recht wohl, liebste Idal

GrüBe die Kinder und Alle herzlichst. ^

Stets Dein C. F. Lessing."

Wir können uns nicht verhehlen, dafe in diesem Briefe ein ge- wisses Vorurteil gegen die Alpennatur zum Ausdrud< kommt, müssen aber anderseits zugestehen, daB die winterliche Jahreszeit nicht eben die geeignetste war, um Lessing die Sdiönheiten der Sdiweizer- landschaft besonders begehrenswert erscheinen zu lassen. Wie dem auch sei, Lessing hielt trofe gro&herzoglidier Freundlichkeit, trofe des „Verliebtseins" der Welt in die Schweiz, fest an seinen deutschen Hügeln und Bergen.

Wir wüßten auch nicht, daß sich auf seinen Bildern Nachklänge jener Schweizerreise (deren Dauer uns übrigens nicht genau bekannt ist) nachweisen lie&en; auf den Landschaften der allernädisten Zeit, sowie auf allen folgenden finden wir nach wie vor die Motive aus den von uns Eingangs genannten Gegenden. Unter diesen spielte schon von der ersten Düsseldorfer Zeit des Künstlers an die E i f e 1 eine wichtige Rolle. Schon die im Jahre 1834 gemalte „Eifellandschaft" der Berliner Nationalgalerie läfet auf ein vorhergegangenes, ein- gehendes Studium dieses interessanten Gebirges mit seinen sonder- baren Felsformen und kleinen Bergseen (Maaren) sdilieBen. Zeich- nungen und Studien, sowie viele Landschaften aus den versdiieden- sten Perioden von Lessing's Wirken weisen darauf hin, eine wie gro&e Vorliebe er für diese Gegend bis in sein spätes Alter bewahrt habe. Ein Brief aus dem Jahre 1871 und eine zweite sehr bekannte Eifellandschaft aus dem Jahre 1875 (Berliner Nationalgalerie, Nr. 392) sprechen dies sehr deutlidi aus. Den Brief teilen wir hier, ebenfalls unverkürzt, nach dem Manuskripte Lessing's mit, hauptsächlich als Gegensafe zu dem Schweizer Briefe.

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„Geroldstein»2) den 13. Oktober 1871.

Liebste Ida!

Nadi Deiner lebten Nactirictit, daB Karl'-^-) bereits in Lorch sidi befindet, wäre auch für uns Zeit von tiier aufzubredien, um mehr da das Wetter für unsere Studien höchst ungünstig ist. Seitdem der Westwind seit einigen Tagen aufgehört, ist es trocken ge- worden aber so kalt, da^ man beim Stillsifeen im Freien sich leicht etwas erholen kann. Mit Konrad^^) ist's schon so der Fall, indem er an Zahnschmerzen zu leiden hat, und seine Paar angefangenen Studien kaum wohl beendigen wird. Besonders sind die Nachmit- tage kalt und windig. Ich glaube aber, daB hier die Luft sehr ge- sund sein mu&, denn sonst würden wir nach den überstandenen Strapazen wohl mehr zu leiden haben. Jemehrichaberdie hiesige Natur kennen lerne, jemehr bin ich von ihr entzückt und bedaure nur keine Studien machen zu können, die dieselbe eigentlich näher charakterisieren würde, da es aber hierbei nöthig wäre sich auf kahle Höhen zu sehen, wo der Wind darüber fegt, so ist es für diesmal unmöglich und ver- tröste mich auf die Zukunft. Müller, der wirklich sein Versprechen gehalten hat uns zu besuchen, ist ebenfalls von der Gegend hier sehr erbaut und sagte ein über das andere Mal, Prachtvoll! Prachtvoll] Leider werde ich wahrscheinlich (einige hier in dem schadhaften Manuskripte fehlende Worte sind leicht und sicher zu ergänzen) nur 3 Studien mitbringen die unter dem Schufee von Basaltfelsen gezeichnet sind und ihnen entnommen sind.

Leider sieht es heute aus als wollten die Paar erträglich guten Tage wieder ihr Ende nehmen.

Was Du mir über Heinrich geschrieben, ist mir nicht ganz klar, nur ersehe ich daraus, daß mein Bedenken, begründet gewesen. Robert Heuser^s) kommt nicht hieher wie Adele^ß) an Konrad ge- schrieben, das Wetter sdieint ihn abgehalten zu haben.

92) Geroldstein, ein kleiner Ort an der Kyll in der Eifel, unweit des vulkani- schen Nerotberges.

93) Wahrscheinlich Lessing's Sohn Karl (geb. 1847).

94) Konrad Lessing, Sohn des Malers, geb. 1852, jetzt selbst Landschafts- maler.

ö5) Ein Verwandter aus der Familie von Lessing's Gemahlin, 96) Wahrscheinlich Adeline Heuser eine Schwester Ida's.

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Wenn Lepke^"^) nicht beide Landschaften nehmen sollte, so wü&te ich augenbhcklich keinen Rath, aber jedenfalls wäre ich nicht dafür sie dem Kunsthändler nach Breslau zu senden, indem dort zu wenig Aussicht vorhanden ist. Für diesmal, liebste Ida, fasse ich mich kurz, indem ich an Karl noch ein Paar Zeilen schreiben möchte, damit er die Gewißheit erlange, dal wir auch wirklich und zwar bald dorthin zu kommen gedenken.

Lebe recht wohl und grü&e die jungens vielmals.

Stets Dein

Karl."

Auch dieser Brief wurde aus dem oben angedeuteten Grunde vollständig wiedergegeben. Es zeigt uns Lessing als liebevollen Gatten und Vater und ist besonders für unser heutiges Thema von Bedeutung.

Lessing's Vorliebe für die Eifel wäre also dokumentiert. Fast noch mehr als die Eifel war der Harz und besonders der nördliche Rand (in einem Briefe vom 20. Oktober 1850 aus Quedlinburg findet sich eine hieher gehörige Stelle) des „Unterharzes" und dessen Vor- berge, eine Lieblingsgegend des Malers durch's ganze Leben hin- durch. Von einer seiner jugendreisen in das sonderbar geformte und Sagenreiche Gebirge wollen wir weiter unten sprechen und lassen eine Stelle aus einem langen (hier nidit ganz mitzuteilenden) Briefe folgen, die deutlich genug unseren Ausspruch bestähgt. Aus Blankenberg am Harz schreibt der Maler im August 1864 an seine Gemahlin: „Von jeher habe ich diese Gegend geliebt und ich gestehe, da& ich wieder so viel Neues entdeckt habe, was idi leider bei dem ununterbrochen heftigen Winde nicht so ausbeuten kann, als ich es möchte; namentlidi sind es Waldpartien, die mir früher noch gar nicht bekannt waren . . ." Nodi aus dem Jahre 1874 finde ich einen Brief, auf einer Harzreise gesdirieben, in welchem von Studienzeichnen die Rede ist. Um jedodi auf die erwähnten Jugendreisen in den Harz zurückzukommen, sei hier neben dem Hin- weis auf zahlreiche Harzstudien auf der vor kurzem eröffneten Lessing-Ausstellung unseres Künstlerhauses (besonders Nr. 210—213 und Nr. 230) eine besonders diarakteristische Stelle aus einem

97) Der bekannte Kunsthändler in Berlin.

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kleinen Tagebudie beigebracht, das der Maler ouf einer Studienreise im Jatire 1836 fiitirte. Das ganze Tagebucti hier mitzuteilen, hie&e die Prinzipien, nach denen die beiden Briefe abgedruckt sind, zu weit treiben.) Am 16. September des genannten Jahres fuhr der junge Künstler am Regenstein vorbei nach Blankenbur g.-"') Im Tagebudie heiBt es da: „Interessante Bildung des Sandsteins, noch mehr hat mich diese angezogen auf dem weiteren Wege, der mich längs der Teufelsmaue r^o) vorüberführte .... Diese Klippen bestehen ganz aus neuerem Sandstein, der mit vielen sandigen Eisenadern und mit Klüften voll Thon- und Farbenerde durchzogen ist, enthält viel Muschel- und Blätterabdrücke, wird zu allerlei Behuf verarbeitet und ausgeführt." An demselben Tage besteigt er die Ro&trappe, von wo er die Aussicht in's B o d e t a I hinab bewundert. Im Tagebuche heiBt es davon: „daB mir dieses Thal gefällt, versteht sich von selbst, noch mehr würde es mir gefallen, hätte Herr v. Bülow nicht so menschenfreundlidi gedacht und seine bequemeren Wege und Anlagen unterlassen. Es ist zwar für die Reisenden dadurch bequem gemacht, paBt aber für eine solche Gegend durchaus nicht. Daher wo man jefet hinspuckt, spuckt man einen auf Reisenden und besonders auf diese ledernen Studenten, die jebt ihre Ferien haben." Wer erinnerte sich hier nicht an H. Heine's „Harzreise"? Es sind nun allerdings keine Töne, wie sie der Dichter dort anstimmt, desto entsdiiedener drücken sie aber die Meinung und Überzeugung des Tagebuchschreibers aus. Die Stelle ist für Lessing ungemein charak- teristisch; er gehört zu denen, die „schwarze Röcke, seid'ne Strümpfe weiBe höfliche Manchetten" nidit für den Höhepunkt menschlicher Kultur halten, sondern denen der reine Naturgenug in den Bergen durch solche städtische Reminiszenzen nur vergällt wird. Wie wir in den Spalten dieses Blattes schon zu erwähnen Gelegen- heit hatten, kleidete sidi Lessing nadi Jägerart und zog das Land- leben jedem anderen vor. [Vergl. den Abschnitt „Carl Friedrich Lessing als Schübe".] Auf der Rückkehr von der eben bespro- chenen Studienreise kommt er nach Kassel und gibt seinem Wider- willen gegen das Stadtleben folgenden Ausdruck: „Mein Leben im Solling und einem Theile des Harzes steht in einem solchen Con-

98) Blankenburg, Städchen im Unterharz.

99) Viele Studien aus dieser Gegend, welche die „Lessing-Ausstellung" ent- hält, bilden eine willkommene Illustration zu dieser Stelle.

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traste zu dem Städteleben, da^ es mir ganz unerträglich vorkommt." (Das „es" bezietit sicti auf das Stadtleben.)

Ein Leidites wäre es uns, aucti die anderen Lieblingsgegenden des großen Meisters mit Briefstellen usw. zu belegen, docti sdieint es ersprießlicher, eine kurze Übersicht des Wirkens von Lessing als Landschaftsmaler zu geben und schließlich zu seiner Natur- auffassung zurückzukehren.

Das erste größere Gemälde Lessing's war bekanntlich eine Landschaft: „Klosterkirchhof mit Ruinen" (1826);ioo) sie hat in der koloristischen Stimmung eine anerkannte Ähnlichkeit mit dem „Judenkirchhof" J. Ruysdael's in der Dresdener Galerie, ist jedoch unabhängig von diesem Bilde oder einer Reproduktion desselben entstanden (so teilte mir Otto Lessing nach einem Ausspruch seines Vaters mit). Dieses in seiner Vollendung und tiefsinnigen Auffassung der Natur höchst bedeutende Erstlingswerk wurde, wie bekannt, die Veranlassung zu Lessing's Übersiedlung von Berlin nach Düsseldorf, wo er sich unter W. v. Sdiadow's Leitung der Historienmalerei widmete, ohne deshalb seine landschaftlidien Studien abzubrechen. Schon im Jahre 1828 ist eine zweite große Landschaft entstanden, die jeßt der Berliner Nationalgalerie gehörige (Nr. 202) „Ritter- b u r g". Das Bild ist, sowie einige andere, ebenfalls in der National- galerie befindliche Landsdiaften Lessing's (ältere „Eifellandschaft" und „Waldkapelle") aus jener Periode charakteristisch für des Malers Technik bis gegen 1840. Auf der Wiener Ausstellung gibt (Nr. 230) die von Prof. Hauser exponierte Harzlandsdiaft aus dem Jahre 1835 einen Begriff von dieser Tedinik.ioi) Dem nächsten Jahre gehört die bekannte Eifelseelandschaft des städhschen Museums zu Leipzig an. 1837 folgte die berühmte „tausend- jährige E i ch e" usw. Die von Lessing in diesen Bildern ver- folgte Richtung und Technik in jener Zeit wurde mehrfadi nadi- geahmt. Funk, Hesse, Lasinski, Pose müssen hier, obwohl in Süddeutsdiland wenig gekannt, erwähnt werden. Zu origineller Gestaltung hat es aber keiner von diesen gebracht und Lessing

WO) Eigentum des Herrn "Rittergutsbesitzers Kolbe auf Pritzlow. Im Tage- buch wird eine Lithographie danach erwähnt uns unbekannt auf der Aus- stellung findet sich" der Entwurf zu diesem Bilde.

>oi) [Dieses Bild wurde unlängst veröffentlicht in Lieferung II der "Neuen Blätter für Gemäldekunde. Die Abbildung wird im vorliegenden Buch wiederholt.]

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stand hoch über ihnen, wie sich dies schon in seinen Landschaften der nädisten Jahre zeigt. Eine ganz besonders hervorragende Stel- lung unter diesen nimmt die „schlesische Landschaft" der Nationalgalerie ein (vollendet 1841). Das Bild ist eine der schönsten [damals] modernen Landschaften überhaupt. Der Künstler verseht uns in eine flache Sumpfgegend, mit Buschwerl< und Kiefern spärlich bewachsen. Im fernen Hintergrunde gewahrt man die Türme einer Stadt; im Mittelgrunde eine Gruppe von Kiefern. Die Sonne ist eben versunken und die lichtdurchtränkte Atmosphäre des Westens wirft unbestimmte Schlagschatten gegen den Vordergrund. Ein einsamer Wanderer schreitet durch die Gegend.

Diese zauberhaft reizende Landschaft gehört jenem Stadium von Lessing's technischer Entwicklung an, in welchem er sich von der befangenen Art seiner ersten Periode losrei&t und einer flotteren Pinselführung entgegengeht. Was Lessing an Landschaften vor diesem Bilde gemalt, zeichnet sich aus durch eine strenge, gegen spätere Werke fast harte Zeichnung, durch bis ins kleinste sorgsam studierte Details, dünnen diskreten Farbenauftrag und durch einen warmen bräunlichen Gesamtton (im Gegensabe zu dem helleren seiner späteren Zeit). Zu Anfang der 40 er Jahre bis gegen 1860 kommt nun eine Zeit, wo Lessing mehr pastos, freier und breiter malte als vorher. Seine Pinselführung wird auch später immer kühner bis in die allerlebte Zeit, wo eine leichte Lähmung des rechten Armes nur ein Malen mit Führung durch die linke Hand gestattete. Abgesehen von dem lebterwähnten Umstände scheint es, dag die Veränderung von Lessing's Technik nicht allein durch die zu- nehmende Routine der Hand, sondern auch durch Veränderungen im Auge bedingt war. Bei einer rein technischen Analyse von Lessing'schen Landschaften, wobei also die Werke nur auf ihre Ent- stehung durch das Zusammenwirken von Auge und Hand geprüft werden, erkennen wir in der minutiösen Ausführung (auch der Mittel- und Hintergründe) in der ersten Periode das emmetropische (normale) Auge, das mit grober Schärfe alle Einzelheiten abbildet, in der Befangenheit der Formgebung, die noch nicht vollendete Routine der Hand. Später wird diese Routine immer gröber und die wachsende Breite der Behandlung deutet darauf hin, dab Lessing's Auge sich allmählich der (akkomodativen) Anstrengung bewubt wird, welche mit feiner Detailausführung verbunden ist; Lessing wurde

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presbyopisch fmeist, wenn auch fälschlich, mit „weitsichhg") über- seht. Damit stimmt auch die Mitteilung überein, da& der Maler zirka 1865 begonnen habe sich beim Arbeiten der Konvexgläser zu be- dienen.

Jener Periode nun von Lessing's Landschaftsmalerei, bei weldier wir früher der technischen Analyse zu Liebe abgebrodien hatten, gehört der berühmte „K 1 o s t e r b r a n d" der Dresdener Galerie und die „Verteidigung eines Kirchhofes im 30 jäh- r i g e n K r i e ge", an, jenes Praditstück unserer Ausstellung, an dem eben auch das von uns über die Tedinik Lessings mitgeteilte seine Bestätigung findet. Ebenso illustrieren die zahlreidien Land- schaften aus späterer Zeit bis zur lefeten unvollendeten unseren Text in passender Weise.

Kehren wir nun zu Lessing's Landschaftsauffassung und seiner Art, die Natur zu beobaditen, zurück. DaB er sdion von seinem Vater in Polnisch-Wartenberg auf die freie Natur hingewiesen worden, findet man andern Orts genügend betont.

Dasselbe geschah mit seinen botanischen Studien, als deren Zeugen noch einige Blätter erhalten sind, z. B. „Aesculus hippo- castanum", wie er selber dazu schrieb). Audi von seinen geo- logischen Studien drangen Nachrichten in die Öffentlichkeit.

Müller V. Königswinter berichtet, daB Lessing mit Noggerath's „Gebirg im Rheinland Westfalen nach mineralogischem und chemi- schem Bezüge", die schönen Täler des Siebengebirges und die ernsten Gegenden der Eifel durdizogen habe. Lessing sah nicht allein mit dem Blick des Malers, sondern auch mit dem des Natur- forsdiers. Daher seine sorgfältige Naturbetrachtung. Wie genau er es damit genommen, geht aus vielen Stellen in seinen Briefen und Tagebüchern hervor in eines der lefctgenannten schreibt er 1836 am 15. Mai: „SonnenfinsterniB- Besondere Gestaltung der Sdilag- schatten und der bei Bäumen durchfallenden kleinen Lichter, die nicht, wie gewöhnlich, ihre runde Form behielten, sondern in Gestalt eines halben Mondes erschienen." Lessing's feiner Blick für das ewig Wechselnde der Beleuditungsphänomene ist noch nirgends hervorgehoben worden und dodi verleiht gerade die genaue Be- obaditung atmosphärischer Erscheinungen den meisten seiner Land- schaften ihren Hauptreiz. Das Farbengedächtnis des Künstlers war ein auBerordentliches; so viel gezeichneten Studien wir audi be-

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Carl Friedrich Lessing : Harzlandschaft {1922 im Wiener Kunsthandel).

gegnen, Farbenstiidien nach der Natur gemalt finden wir nidit und dennoch keine Landschaft, auf welcher das Kolorit nicht naturgemäB wäre. Wenn Lessing des Abends das Freie suchte und wie er es liebte, in Gesellschaft spazieren ging, blieb er oft stehen, wenn sich seinem virtuosen Blick ein interessantes Beleuchtungsphänomen dar- bot. Man konnte dann sicher sein (so teilt mir Otto Lessing mit), da& am andern Morgen eine landschaftliche Skizze entstand, in der- selben Shmmung und Beleuchtung, aber mit einer ganz anderen Gegend, als in welcher der Spaziergang stattgefunden hatte. Dies führt uns darauf, den Entwicklungsgang, welchen die meisten seiner Landschaften durchgemacht, hier kurz anzudeuten. Lessing's Ge- dächtnis bewahrte einen Schafe von genau nach der Natur studierten landschaftlidien Einzelheiten und allgemeinen Charakteren. Bei der besprochenen Beschränkung, die er sich absiditlich bezüglich der darzustellenden Gegenden auferlegte, kannte er seine Lieblings- landschaften so genau wie kein anderer.

Mit diesem Material nun arbeitete seine Phantasie unter Auf- sicht einer nidit gewöhnlichen Kenntnis der Naturwissenschaften; aus diesem Vorrat komponierte er seine Landschaften, durchaus realishsch, dodi wie begreiflich, ohne die Natur sklavisch nachzu- ahmen und dennoch befriedigen seine Landschaften nicht nur den ästhehschen Sinn des Beschauers, sondern auch naturwissenschaft- liche Ansprüche und darin liegt gewi^ ein gro&er Wert dieser Bilder. Zudem hatte Lessing für die Übereinstimmung von Landsdiaft und Staffage den vollkommensten Sinn, die feinste Empfindung. In ein kleines Reisetagebuch aus dem jähre 1836 (das mir die Güte des Herrn Karl Koberstein in Dresden zur Verfügung stellte), schreibt Lessing bei Gelegenheit einer Wande- rung in der Umgebung des Solling: . . . übrigens traf man auf diesem ganzen Wege kein Haus, nur einige Köhlerhütien und einiges Wild unterbrach oder vermehrte vielmehr die Einsamkeit." Wer auf einsamen Gebirgspfaden einmal ein Reh belausdit hat, wird dieser Stelle das richtige Gefühl entgegenbringen. Für seine Landschaften, seien es Buchenwälder, feudite Niederungen, seien es enge Felspforten oder kahle Höhen, findet er immer in der Staffage einen verwandten Ton und wählt dafür eine Beleuchtung, die vortrefflich zum Ganzen stimmt. Da sifet ein einsamer Vogel im schattigen Walde, dessen Ruhe wohl nur selten durch eines

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Menschen Tritt gestört wird, denn wir setien da ein Wirrsal von halb- vermoderten Baumstämmen, moosbewachsenen Felstrümmern und schöngesdiwungenen Farnkräutern; alles ist so geblieben, wie es die Natur geschaffen. Auf einem andern Bild dawider sehen wir im Mittelgrund einer öden Gegend rauchende Trümmer eines Hauses. Bleigrauer Himmel lastet auf der Gegend. Im Vordergrund ge- wahren wir einen Erschlagenen und um ihn die Spuren eines statt- gehabten Kampfes. Bei Betrachtung anderer Bilder haben wir das Gefühl, als mü&te sich im nächsten Moment über die Landschaft breites warmes Sonnenlicht ergießen und uns deutlicher ersdieinen lassen, was einige unheimliche Gesellen im Schilde führen, die dort auf dem sandigen Wege auf uns zuschreiten. Am häufigsten wählte Lessing seine Staffage aus dem 30 jährigen Kriege (die Mönche, Kreuzfahrer und Räuber nidit zu vergessen), ferner aus dem Leben des Waidmannes, des Schmugglers. Seltener finden sidi Polaken und Zigeuner; auch Landleute und Bauern sind selten, wie denn überhaupt bei Lessing moderne Staffage nur vereinzelt vorkommt; aber auch diese harmoniert stets in bewundernswerter Weise mit dem übrigen, so z. B. auf der späteren Eifellandschaft (1875, der Berliner Nationalgalerie). Noch ziehen ganz niedrig kleine Wolken und Nebelstreifen durch das Tal und werfen flüchtige Sdiatten auf die vom Gewitterregen noch triefende Gegend, in deren Hintergrund wir ein brennendes Dorf erblicken. Ein Blife hat gezündet. Er- sdireckte Landleute eilen auf der sich durdi den Talgrund hin- windenden Strafe dem Dorfe zu, um zu retten, was nodi möglich ist.

Lessing liebte es, in seiner späteren Zeit die Natur während oder nach elementaren Ereignissen (Stürmen, Gewittern) zu schil- dern. Auf dem sdion erwähnten Bilde: „Verteidigung eines Kirch- hofes im 30 jährigen Kriege" (aus der Düsseldorfer Galerie) er- blicken wir mächtige Laubbäume vom Sturme gebogen. Die in der Staffage zum Ausdruck gebrachte aufregende Situation (man er- wartet von Seite der Verteidiger, die vor kurzem einen harten StrauB bestanden haben müssen, denn ein Sterbender liegt mitten unter dem wilden Kriegsvolk, einen neuen Angriff und über die wellige Fläche der Landschaft her sieht man schon eine Rotte von Mord- brennern herankommen) wird noch erhöht durch den ungemütlichen Sturmwind, der über die Gegend dahinbrausL

Ebenso wie gewaltige Ereignisse der Witterung, wu^te Lessing

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auch die Tages- und Jahreszeiten in ihrem innersten Wesen zu er- fassen und mit einer Mannigfaltigkeit darzustellen, die gewi^ un- seren Ausspruch rechtfertigt, der berühmte Künstler habe sich in dem einmal gewählten Stoff vertieft wie kaum ein anderer. So stehen wir von einem gewaltigen, durchaus originellen Sctiaffen, auf das etwas genauer als bisher einzugehen wir eben versucht haben, dessen volle Würdigung jedoch der Zukunft überlassen werden mu&.

Carl Friedrich Lessing als Schütze.*^

„Hätte ihm jemand gesagt, er male schlecht, so würde er das ruhiger hingenommen haben, als wenn ihn jemand einen schlechten Jäger geheimen hätte." So etwa sprechen des Malers Lessing Ver- wandte über seine Leidenschaft für die Jagd und alles, was mit dem edlen Weidwerk in Zusammenhang stand. Der Jäger hielt dem Maler in Lessing fast das Gleichgewicht. Aus den Tagebüchern und vielen Briefen des am 5. Juli 1880 verstorbenen Malers, welche mir durdi die groBe Freundlichkeit seiner Erben zur Verfügung stehen, isi diese in den bisherigen Publikahonen über Lessing kaum genügend betonte Jagdliebhaberei klar zu erkennen; mancher Brief enthält lange Stellen, ja oft ganze Seiten über Jagderlebnisse auf jenen Ausflügen, die Lessing alljährlich zur passenden Jahreszeit nadi den verschiedensten Revieren zu unternehmen pflegte. Da gab es dann auch Bemerkungen in dem sonst nur der Kunst und der allgemeinen Buchführung gewidmeten Tagebuche. Im Jahre 1837 schreibt er von einem Jagdciusflug über Geldern, Kevelar nach Goch (Forsthaus Grunewald): „Jch habe bei meinem zwölftägigen Aufenthalte da- selbst so viel als gar nichts gezeichnet, aber um so mehr gepürscht." Es war das SchüfeCw^iwesen überhaupt, das ihn von jeher anzog, und über die Erfolge auf Jer Düsseldorfer Schiegstätte, wo er mit Sohn, Hildebrand, Stilke, Hasenclever und mehreren anderen Künstlern durch viele Jahre sdioB und seine sichere Hand bewährte, führte er ein eigenes, in mit bisher unverständlichen Zeichen beschriebenes Tagebuch, weldies sich derzeit bei dem Dichter und Schauspieler Karl Koberstein, dem Schwiegersohne des Malers, zu Dresden be-

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*) Erstdruck in der Wiener „Montags-Revue" vom 31. Jänner 1881.

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findet.102) Ein ebendort verwahrtes kleines Tagebuch aus dem Jahre 1836 handelt von einer Studienreise, die der junge Maler auch zu Jagdausflügen benufete. Neben den Notizen über Berge, Wälder, schöne Bäume, landschaftliche Charaktere usw. nehmen die Be- merkungen über Jagd Cund Militär) den gröBten Raum in Anspruch; beinahe ebensoviel Sorge als das UnvoUendetbleiben einer Skizze nadi der Natur durch eingetretene Ungunst der Witterung, macht ihm die Ausbesserung seiner Flinte oder das Mißlingen eines Schusses. [Die Teilnahme an den Erscheinungen in der Natur be- rührt sich oft mit dem rein Jägerhaften. Neben einer seltenen Be- leuchtungswirkung fesselt ihn sogleidi das Wild. Aus dem Tier- garten bei Cleve schrieb er am 15. Oktober 1845 an seine Braut: „Wie häufig ich auch selbst starken Hirschen nahe gewesen, will ich Dir mündlich berichten." Unmittelbar davon hatte er geschrieben: „Wie sdiön die Natur in dieser Beleuchtung sich in diesen Tagen ausgenommen . . .", und in demselben Brief: „Gestern bei dem schönen Wetter war ich den ganzen Tag im Walde und habe auch die Gelegenheit benüfet, mir eine starke hochstammige Buche zu zeichnen, zu der mir der Förster Budde gebradit hatte." Das „mir" statt „mich" sei dem Norddeutschen verziehen.] Mit demselben Ernst, mit derselben Ausdauer, weldie er an seine malerischen Ent- würfe und an die Ausführung seiner Gemälde wandte, konnte er auch einem schönen Wilde so lange nadistellen, bis seine Kugel es erreicht hatte. Wer Lessing's Bilder kennt, wird zugestehen müssen, daß Schießwaffen darauf eine wichtige Rolle spielen. Es braucht hier nur auf die durdi mandierlei Reproduktionen, auch durch Farbendruck, verbreitete „Verteidigung eines Engpasses" (Nr. 206 der Berliner Nationalgalerie) und auf die vielen anderen Bilder mit Figuren aus dem 30 jährigen Kriege hingewiesen werden.

Lessing verleugnete die Vorliebe für die Jagd auch in der Klei- dung nicht (er trug sidi am liebsten grau und grün und nach Jäger- zuschnitt) und zum Jagdkostüm paßte vortrefflich sein wetter- gebräuntes Antlib- Lessing war stets ein Bild der Gesundheit und männlidien Kraft bis in sein hohes Alter und nur in den allerlebten Jahren scheint ihm die Zunahme seines Herzleidens rasches Berg- steigen und forcierte Märsche überhaupt verboten zu haben. Bis

•02) [Der jetzige Besitzer ist mir nicht bekannt.

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dahin war er ein Freund körperlicher Bewegung, namenlHch im Freien; er war Reiter, besaB wiederholt ein Pferd (er hatte bei den Ulanen gedient) und alle ritterlichen Übungen waren ihm geläufig; mit seinem Freunde Hatten, einem Offizier, schlug er Säbel; die Übungen im Sdieibenschiegen auf dem Grafenberge bei Düsseldorf wurden schon erwähnt; auch dem Eislaufeni^^^) scheint er nicht fern ge- standen zu haben, wie aus einigen Tagebuchstellen hervorgeht. Als Bestätigung meiner Mitteilungen über Lessing's Jagdliebhaberei möge folgendes dienen. Am 4. August 1853 schreibt er aus Ballen- stedt an seine Frau in Düsseldorf: , . . . Deinen zweiten Brief wollte ich jedoch erst abwarten, bevor ich Dir eine Antwort schicken wollte, denn idi war weder sehr aufgelegt zum Schreiben, noch hatte ich Stoff, der desselben werth gewesen; was das Lefetere betrifft, so be- finde ich mich noch in derselben Lage, d. h. was die Jagd anbelangt. Trofedem, da| in des Oberförster Tiefe Revier ein sehr guter Wild- stand ist (Rehe, Hirsche und Sauen), so ist bis jefet nodi alle Mühe, die ich mir mit meinem jungen Pürschgefährten, der dem kleinen Polms täuschend ähnlich sieht, gegeben habe, vergeblich gewesen. Meine Passion für diese Art Jagd brauche idi Dir wohl nicht erst zu schildern, Du hast schon hinreichende Beweise ihrer Stärke gehabt, doch gestehe ich Dir, daB jene hier abermals einen starken StoB er- leidet, denn wenn man nach so vielen Anstrengungen gar kein oder nur ein schlechtes Resultat erzielt, so mu& man am Ende sich sagen, du bist ein Narr, wenn du noch ferner dieser Leidenschaft fröhnst. Es ist freilich schwer, wenn selbige so stark ist wie bei mir, aus diesen schlimmen Erfahrungen eine Lehre zu ziehen, die man be- folgt, denn immer hat man die Hoffnung, das nächste Mal geht es besser; das zu glauben sind auch alle Pürschenden berechtigt, nur ich habe nun schon seit drei bis vier Jahren ein Pedi, was dodi am Ende die stärkste Passion zugrunde riditet. Noch einmal, aber zum legten Male, will ich es heute Mittag versuchen, gelingt es wieder nicht, dann wird zusammengepackt und noch ein paar Studien bei Blankenburg gemacht, um den üblen Eindruck des legten Theiles der Reise zu verwischen. Nie nehme ich meine Büchse wieder auf Stu-

■03) Nach Otto Lessings freundlicher Mitteilung übte er den Eislauf bis ins Alter. Auf Lessings Schützentum beziehen sich auch Stellen in Briefen von 1841 und 1846, die schon gedruckt sind u. zw, in der ».Zeitschrift für bildende Kunst" vom März 1882, S. 188.

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dienreisen mit. Wenn ich Dir hiermit auch viel vorlamenhrt habe, so bezieht sich dies nur auf mein Jagdunglück, denn manchen Natur- genuB habe ich trobdem gehabt, namentlich Beleuchtungen von Waldpartien, wie man sie sonst und bei ganz heiterem Himmel nicht leicht zu sehen bekommt."

Der Maler Carl Friedrich Lessing und die Musik.*)

Wer in den lefeten Tagen bei Durchwanderung der Räume un- seres Künstlerhauses sich an den daselbst seit 15. Februar aus- gestellten Skizzen, Zeichnungen und Ölbildern des berühmten Lessing erfreute, dachte gewiB nicht daran, dafe derselbe Mann, der die Menschen und die ihn umgebende Natur so fein zu beobaditen gewußt, nebstbei auch ein großer Verehrer der Musik gewesen sei. Zwar übte Lessing nicht selbst Musik aus, lieB jedoch keine Gelegen- heit, gute Musik zu hören, unbenufet vorübergehen. Insbesondere war es Beethoven, dessen Werke er vor allem verehrte, und zwar, dies muB bemerkt werden, zu einer Zeit, als Beethoven's Musik noch keineswegs jene enorme Verbreitung gefunden hatte wie heutzutage, wo auf keinem Klavier und erklänge es auch fast ausschlie&lidi für Modekompositionen, die „Pathetique" oder die „Mondschein- Sonate" fehlt. Lessing's Beethovenverehrung schreibt sich nämlich sdion aus den 30 er Jahren her; er hat sie festgehalten bis zu seinem im verflossenen Jahre (am 5. Juni) erfolgten Tode. Aus mehreren mir zur Verfügung stehenden Briefen Lessing's, welche er im Frühjahr 1841 an seine Braut Ida Heuser (aus Gummersbadi bei Köln) schrieb, geht hervor, da& er derselben damals die Beethoven'sdie Äs-dur- Sonate (Op. 26) zum Geschenk gemacht habe, als eine seiner Lieb- lings-Kompositionen. Ida, des Malers nachherige Gemahlin, erfreute sich des Gesdienkes und sie war es, welche dem Künstler später durdi ihr Pianospiel manche freundliche Stunde bereitete.

Neben Beethoven war es auch Mendelssohn, für den Lessing gro^e Vorliebe hegte (so nadi der Überlieferung in der Familie). Der Maler schreibt Sohntag den 22. Mai 1836 in sein Tagebuch, das sonst nur der Malerei, den Geschäftsnotizen und höchstens der Jagd

*) Erstdruck in „Wiener Signale", herausgegeben von Ignaz Kugel (wurde ohne Korrektur gedruckt), 5. März 1881.

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gewidmet ist: „Pfingstfest. Paulus gro&es Oratorium von F. Men- delssotin." So kurz diese Notiz ist, so setir wir ein Urteil über den Paulus vermissen, läBt sidi dodi tür den, der Lessing's kurze und bündige Ausdrucksweise in seinem Tagebuche kennt, vermuten, da& der Maler die Auffütirung besudit, und daB sie auf itin einen be- deutenden Eindruck gemadit tiabe, obwotil, wie wir weiter unten tiören werden, sidi die beiden Künstler im Jatire 1836 sdion zer- tragen tiatten.

Mendelssotin, der fast ein ebenso offenes Äuge für die bilden- den Künste wie ein offenes Otir für Musik tiatte, mu^te sidi not- wendigerweise für den sdion zu Anfang der 30 er Jatire einiger- maßen berütimten Lessing interessieren; dies kommt denn audi zum Ausdruck in dem Briefe Mendelssolin's aus „Paris, den 15. Februar 1832," gesdirieben an Professor Zelter in Berlin, worin er Lessing unter Sdiadow's Sdiülern einzig mit Namen anfütirL Zuerst sdireibt Mendelssohn von einigen deutschen Städten, welche er auf der Reise nach Paris berührte, dann auch von Lessing's damaligem Aufenthalte (Lessing wirkte von 1827—1858 in Düsseldorf); die Stelle lautet: „Und dann kommt man nach Düsseldorf, wo wieder Schadow mit seinen Schülern ist und aus allen Kräften arbeitet und treibt, damit etwas entsteht; wo Lessing seine Zeichnungen so gelegentlich macht und ausführt, wenn die Leute es bestelle n." Diese Worte deuten aber auch zugleich darauf hin, daB Mendelssohn dem Maler nicht jene anerkennende Achtung zollte, die er eigentlich verdient hätte; die Worte klingen fast hodi- mütig und treffen keineswegs den Kern von Lessing's Wesen, von seiner Schaffensweise. In diesem Verkennen von Seite Mendels- sohn's scheint es audi zu liegen, daß er sich später, nadidem er nadi Düsseldorf berufen worden (1833), gegen den Maler eine Takt- losigkeit zusdiulden kommen ließ, weldie das anfangs gute Verhält- nis der beiden Künstler gänzlich umgestaltete. Der Hergang war folgender und ereignete sidi während Mendelssohn's dreijährigem Aufenthalte in Düsseldorf, also vor 1836. Lessing, ein in allen ritter- lidien Übungen bewanderter junger Mann, hielt in jener Zeit ein Reitpferd; dasselbe tat damals Mendelssohn. Beide benüfeten für die Pferde einen und denselben Stall. Dort liefe nun Mendelssohn ohne weitere Anfrage Lessing's Reitpferd an einen minderen Plafe führen und dafür sein eigenes hinstellen. Lessing verstand in

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Dingen, bei denen seine Rechte angetastet wurden, nicht den ge- ringsten Scherz, und als er im Reiterkostüm und mit der Reitpeitsche in der liand den Stall betrat, um sein Pferd für einen Spazierritt zu besteigen und als er die Zuriicksefeung seines Pferdes bemerkte, kehrte er augenblicklich um und ging mit Stiefeln und Sporen direkt in Mendelssohn's Wohnung, wo es zu Auseinandersebungen ge- kommen sein soll, von welchen auf beiden Seiten längere Zeit ge- schwiegen wurde. Au&er dem Zerwürfnis der beiden hatte diese Affäre noch die Folge, daB Mendelssohn, der Lessing's Schwester (?) ein Lied ohne Worte gewidmet hatte, diese Widmung zurückzog und an Stelle jenes Stückes, dessen noch unveröffentlidites Autograph sich im Besifee der Erben des Malers befindet (es war ein Klavier- stück in Form eines Canons) den bekannten Trauermarsch in E-moll sefete.

Die Musikpflege im Hause Lessing's wurde jedoch durch den peinlichen Zwisdienfall nicht gestört, und wie schon angedeutet, blieb der Maler bis an den Abend seines Lebens ein Musikfreund. Die Mitteilung einer bisher unveröffentlichten, auf Lessing's Inter- esse für Musik bezüglichen Briefstelle dürfte vielleicht unsere Leser interessieren. Lessing schreibt aus Quedlinburg, den 20. October 1850", einem Orte, dessen nähere und weitere Umgebung (Halber- stadt, Blankenburg, Ballenstedt) zu den Lieblingspunkten des Malers für seine Studien gehörte, an seine Frau: . . . Auch einem Ballen- stedter Hofconcert habe ich beigewohnt; es war im Hoftheater, wo- zu Karten ausgetheilt werden auf Befehl des Herzogs. Dieser so verrufene Herzog hat doch noch bessere Liebhabereien als mancher andere gepriesene. Er hat seine besondere Hofcapelle, bestehend aus ungefähr 26 Musikern, die er besoldet und die unter der Direk- tion des Capellmeisters Klaus^^^) stehen, den idi gestern bei einem Mittagessen bei Tieb^^^) persönlich kennen gelernt habe. Ferner hält sich der Herzog alle Winter ein Theater, wozu er sein Sdiauspiel- haus, sein Orchester, Beleuditung gratis gibt und noch jeden Monat den Sdiauspielern 100 Reichsthaler zusdiiefet; ist das nidit alles möglidie von einem verrückten Herzog? Für Jagd und Pferde gibt er nur so viel aus, als es sein mufe; audi einen Hofmaler hat er,

104) Viktor Klaus war seit 1847 Anhalt-Bernburg'scher Hofkapellmeister. '05) Oberförster zu Ballenstedt.

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einen gewissen Kügelgen,!"»') den ich aber nicht kennen gelernt habe. Musik ist seine Hauptleidenschaft, er besucht jede Probe, deren es sehr viele gibt, denn alle Wochen ist wenigstens ein Concert, wozu er die Musikstücke selbst auswählt; der Capellmeister muB sogar in gewissen Abendstunden alle Tage bei ihm sein. So verrückt wie ihn der Ruf macht, scheint er nicht zu sein, eine Menge Anecdoten, die über ihn im Schwange sind, sind erlogen, wie man mir versicherte. . . . v" So gewinnen wir denn durch den Maler Lessing hier einen interessanten Einblick in das Musik-Treiben eines kleinen deutschen Hofes.

106) Wilhelm v. Kügelgen ein Sohn Gerhards v. Kügelgen, des Freundes von Beethoven. W. v. Kügelgen wurde 1834 Hofmaler des Herzogs Alex. v. Bernburg, 1835 dessen Kammerherr.

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Ein Brief Anselm Feuerbachs an den Minister

Strehmayr.*^

Idealisten von edlem, ernsten Streben können sich schwer oder gar nicht in die Wiener Art finden. Diese war vor einigen Jahr- zehnten noch leichtlebiger, ja leichtsinniger als heute, nicht zulefet im Kunstleben zur Zeit, da der Maler Anselm Feuerbach in Wien wirkte. „Gschnas", das sind heitere Künstlerlaunen, besonders wifeige Sdiöpfungen mit Benufeung wunderlichen Materials, und „Makartbuschen", das waren in lod^erer Weise aus dürrem Schilf und derlei Gräsern, aus Palmenblättern und etlidien frischen Blumen gebildete Sträuge, diese wurden vorzüglich vom damaligen Wiener bejubelt. Makart, dem bei seinen Bildern kaum viel anderes vor- schwebte als Farbenwirkung und Sinnlidikeit, war der Held des Tages. Der denkende Canon konnte sich nur mit Mühe neben ihm geltend madien. Erst nadi Makarts Tode wurde Canon voll ge- würdigt. Dann in besdieidenem Abstand noch die Rahlschüler Bitterlich, Eisenmenger, Griepenkerl, die als monumenatale Kolo- risten ihr Feld behaupteten. Die religiöse Malerei war hauptsädilich durdi den greisen Führich vertreten. Ringsum eine Menge aufstei- gender Gestirne, viele kleine darunter, die alle zumeist einem aus- gesprochenen Realismus huldigten und, nodi wenig beachtet, nach Geltung rangen. Für den überaus fein und zart besaiteten, vornehm gesinnten, arglosen Anselm Feuerbach hatte Wien keinen rechten Plab, hatten die Wiener kein rechtes Verständnis. Er war im Frühling 1873 aus der Ewigen Stadt am Tiber an die Donau ge- kommen. Im Jahre 1872 hatte er von der Unterrichtsbehörde einen Ruf zur Professur der Historienmalerei an der Akademie der büden-

*) Erstdruck in der Zeitschrift „Deutsche Revue" (herausgegeben von Rieh. Fleischer) Mai 1915. Band XL, S. 238 ff.

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den Künste erhalten. Aber nur etwa drei Jatire tiat er es im „gemüi- lidien" Wien ausgetialten. Die Verständnislosigkeit der meisten Wiener artete vor den Werken Feuerbadi's mit itirem erdenentrück- ten Stil, dem melandiolisctien Orundton und der damals etwas letimig gewordenen Farbe geradeswegs in eine Feuerbaditiefee aus. Die GroBtieit der Auffassung, die einzig trefflictie Modellierung, die Einfachheit der Linien galten gar nichts. Der kränkliche Mann malte, las, lehrte, malte wieder, fand sich aber nicht in die Wiener. Man erfährt dies aus des Künstlers „Vermächtnis", das, von der über- lebenden hochbegabten Stiefmutter des Künstlers mit Verständnis überarbeitet, in vieler Händen ist. Im „Vermächtnis" schreibt er aud) von dem „Sturm", der über ihn losbrach, als in Wien seine gro^e „Amazonenschlacht" und das zweite „Gastmahl des Plato" aus- gestellt waren. Zudem wurde Feuerbach bald danach von der Steuerbehörde in einer geradewegs unbegreiflichen Weise drang- saliert. Die Unterrichtsbehörde lieB ihn freilich nicht fallen und gab sich Mühe, ihm die Wege zu ebnen, aber Feuerbach selbst hatte von den Fachgenossen an der Akademie, ja von ganz Wien, wo ihm auch Staub und Wind am Leben zehrten, gerade genug. Er bat um seine Entlassung. Auf diese Angelegenheit bezieht sidi Feuerbachs folgender Brief, der an den damaligen Minister für Kultus und Unter- richt Dr. Karl Edlen v. Strehmayr geriditet ist. Das Schreiben folgt in der unverfälschten Fassung des Künstlers und in Gänze, da es bedeutungsvoll genug ist und bisher nicht bekannt gemacht wor- den war.

„Hochgeehrter Herr Minister!

Euer Exzellenz mögen mir gestatten, in vertraulicher Weise die Kette von Umständen, welche meine Entlassung zur Noth- wendigkeit gestalteten, hiemit näher zu beleuchten.

1. Man legte mir, das Jahr 1875 nachträglich einschließend, eine jährlidie Steuer von nahezu 2000 Gulden, demnach mehr als die Hälfte meiner Besoldung auf und erwiederte meine mehr- fachen Gesuche um Verringerung dieser unverhältnismäBigen und untragbaren Last mit Executionsdrohungen in Wohnung und Atelier.

2. Bei Abstimmung des italienischen Reisestipendiums ist mein und der Akademie talentvollster Schüler, Herr Ernst, zum zweiten male durchgefallen und es wurde ihm ein mittelmäßig begabter

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Schüler vorgezogen, welcher mit Arbeiten auftrat, die bereits im vorigen Jahre den Schulpreis erhalten hatten, während sich Herr Ernst mit drei neuen Bildern bei der Concurenz betheiligte, dar- unter ein MännerbildniB, wie es sdiwerlich auf einer andern Aka- demie von einem zwanzigjährigen Künstler gemalt wird.

Da ich in solchem Verfahren nur eine auf Kosten der Schüler bethätigte unfreundliche Gesinnung gegen den Lehrer erblicken kann, und Unpartheilichkeit mir als die erste Pflicht eines Prü- fungscomites erscheint, so vermag ich einen gedeihlidien Fort- gang mir nicht als möglich zu denken bei Wiederholung ähnlicher Vorgänge.

3. Nachdem Eure Exzellenz mich durch den Auftrag, die Decke des glyptischen Saales der neuen Akademie mit der Schöpfungs- geschichte auszumalen beehrten, stellte ich sofort das Material, theils aus Paris, theils in Wien selbst zusammen und bereitete mich das grofee Mittelbild zu beginnen. Nadidem mir indeg klar ward, daB man ein passendes Atelier, welches die erforderliche Höhe hatte, nicht finden konnte oder wollte, begann idi den unteren Cyklus von vier Bildern in vierzehn überlebensgroßen Figuren und vollendete sie bis auf etwa achttägige Arbeit der Zu- sammenstimmung, in fünf Monaten. Als dann, nachdem ich Zeit Mühe und Geld in reichlichem Maa&e verwendet und die große Arbeit fertig im Atelier stand, ward mir bedeutet, daß die adit Plafondbilder nicht gemalt werden sollten, sondern daß nur von einem Mittelstück die Rede wäre.

Nur das feste Vertrauen, daß es mir gestattet würde, meine künstlerische Aufgabe im ganzen Umfange durdi die innerlich zusammenhängenden neun Plafondbilder zu lösen, ließ midi auf einen Preis eingehen, der mit der Arbeit nicht im Verhältniß steht. Die Herstellung eines Mittelbildes allein würde ich nie über- nommen haben.

4. So geschah es, daß eine Reihe von mißliebigen Umständen mich in dauernder Aufregung erhielt, weldie dann mit Veran- lassung zu einer schweren Krankheit wurde, in deren Folge ich zu dem gegenwärtigen Schritt veranlaßt bin.

Die Liebe und Aditung meiner Schüler ist die einzige, aber vollgültige Entsdiädigung für die Opfer, welche idi gebradit habe und die jefet durch meinen Rücktritt ihren Absdiluß finden.

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Euer Exzellenz mögen mir noch ein geschäftlidies Wort er- lauben. Ist ein tiohes Ministerium gesonnen, midi dennodi den ganzen Plafond vollenden zu lassen, so werde icti mit der Zeit in Rom Gelegenheit zur Ausführung finden. Im anderen Falle bin ich gern bereit, nach Abzug meiner Ausgaben für Bildermaterial und Steuerzahlung, nicht minder für die verlorene fünfmonatliche Arbeit, den Rest des mir seiner Zeit gewährten Vorschusses durch ein der Sachlage angemessenes Bild auszugleichen.

Mich offen und wahrhaftig Euer Exzellenz gegenüber auszu- sprechen habe ich als Pflicht und als Bedürfnis gefühlt. Im Inter- esse der Akademie selbst möchte ich wünschen, dafe ähnliche trübe Erfahrungen meinem Nachfolger erspart werden könnten.

Mit ausgezeichneter Hochachtung Eurer Excellenz

ergebenster Wien, 14./6. 76. Anselm Feuerbach."

Die Urschrift dieses Briefes ist mir vor Jahren von einem der Hauslehrer meiner Söhne geschenkt worden. Den Namen habe ich leider nicht vermerkt und schließlich vergessen, so daß ich nur im allgemeinen für das Geschenk danken kann. Der Brief soll sidi unter ausgemusterten Akten gefunden haben. Strehmayr machte mit dem Bleistift Bemerkungen in den Rand, und eine Note in Rötel- schrift zeigt die mir wohlbekannte Hand Rudolf v. Eitelbergers, des damaligen Kunstreferenten im Ministerium. Eitelberger war es, auf dessen Veranlassung nach Führich's Versefeung in den Ruhestand Feuerbach 1872 den Ruf nach Wien erhalten hatte. (Über Strehmayr, den ich nur vom Sehen und nach seinem Wirken im Ministerium kannte, erhielt ich dankenswerte Auskünfte aus dem Archiv des österreichischen Unterrichtsministeriums. Mit Rudolf v. Eitelberger war ich anfangs als sein Sdiüler, später als stellvertretender Kustos im Osterreichischen Museum für Kunst und Industrie jahrlang be- kannt. Eitelberger hat nicht nur als Gründer des genannten Museums, sondern audi in vielen anderen Kunstangelegenheiten überaus an- regend gewirkt, und daß er gelegentlich gegen Waldmüller ge- sdirieben hat, ist ihm längst verziehen. Was die Angaben aus Feuer- bach's Leben betrifft, so sind in den Veröffentlichungen über den Künstler von Jul. Allgeyer, H. Uhde-Bernays und A. v. Oechelhäuser wohl manche Stellen über den Wiener Aufenthalt des Künstlers und

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über die Quelle des „Vermächtnisses" zu finden, aber die Einzel- heiten aus dem oben mitgeteilten Brief fehlen. Der Schüler, der im Brief besonders genannt wird, ist Rudolf Ernst, der talentvolle Maler, der von Wien nach Paris auswanderte.

Aus Strehmayrs handschriftlichen Bemerkungen geht hervor, da& der Minister damals noch hoffte, Feuerbach in Wien festhalten zu können. Zur „Nothwendigkeit" der Entlassung madit er ein Fragezeidien. Zur Steuergeschidite notiert er: „unbegreiflich". Zur Ungerechtigkeit bei der Preisverteilung sdireibt er in den Briefrand: „Professoren-Collegium der Akademie! Der Sadie wäre auf den Grund zu sehen." Zum dritten Punkt und zu Feuerbach's „geschäft- lichem Wort" findet man die Anmerkung des Ministers: „Wird sich wohl trob der Finanz-Calamität nodi ausgleidien lassen."

Eitelberger's Rotstift zeigt sich an der Stelle, wo Feuerbadi das Zurückziehen des Auftrages der Nebenbilder beklagt und wo der Künstler schreibt: „ward mir bedeutet, dag die adit Plafondbilder nicht gemalt werden sollten". Das „mir bedeutet" wird durch Eitel- berger rot unterstrichen, und im Rande wird die Frage hinzugefügt „von wem? und in weldiem Auftrage?"

Das oben mitgeteilte Sdireiben wurde gewi& rasdi beantwortet. Die nicht datierte briefliche Antwort Strehmayr's liegt mir als Ent- wurf in der Urschrift des Ministers vor. Sie lobt und anerkennt in beweglidier Rede die Lehrtätigkeit und das sonstige künstlerische Wirken Feuerbach's, gibt der Hoffnung Ausdruck, da& der Künstler doch noch umzustimmen sein werde, und erteilt dem Künstler sofort einen Urlaub bis 1. Oktober (1876). Neben der Antwort Strehmayr's kenne ich auch Briefe von Feuerbach's Mutter, die sidi auf die An- gelegenheit beziehen. Es sind zwei Mitteilungen in Abschrift, an Eitelberger gerichtet, und eine Ursdirift an den Minister, alle aus dem Jahre 1879. Feuerbach's Erkrankung wird u. a. in diesen Briefen besprochen. Das Leiden des Künstlers war ernst genug. Feuerbach hat nach der Wiener Kampagne nidit mehr lange gelebL Man weife es, die Wiener Gemütlichkeit hat ihm das Herz abgedrüdct, bzw. die fortwährenden Aufregungen haben den ungewöhnlich reizbaren Mann entweder krank gemacht oder sie haben ein schon vor- handenes Übel in reifeender Eile gefördert. Feuerbach starb nach vergeblichen Versuchen, sidi da und dort wieder zu erholen, in Venedig am 4. Januar 1880. Wien hat sich seitdem dodi wohl stark

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verändert, zu seinen Gunsten. Es ist ernster geworden, audi wenn die Gattung der Widersactier alles Gro&en noch lange nicht aus- gestorben ist.

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Aus der MenzeUAusstellung/

Ein köstlicher Kunstgenufe, der jefet den Wienern geboten wird! Reichlich beschickt und anregend ist die Jahresausstellung im Künstlerhause und mitten darin ein Saal und zwei Zimmer voller Menzel. Ich war jüngst ins Studium moderner Mystiker vertieft, als die Nachricht von der Eröffnung der Menzel-Ausstellung durch die Blätter ging. Helldunkel der Gedanken, viel Unklarheit des Wollens, ahnungsvolles Suchen und Tasten, mandie großartige Form, hie und da bedeutendes Können, das war es, was ich in den Werken der mystischen Maler vor mir hatte. Ganz anders klingt die Tonleiter der Menzel- Ausstellung: geistige Klarheit, Helle, warm pulsierendes Leben, zielbewußtes Schaffen, allenthalben erstaun- liche Sicherheit. Ein drastisdier Gegensaß: diese Symboliker und der Geschichtsmaler Menzel. So weitherzig ich in der kunstphilo- sophisdien Beurteilung audi bin, da ich einsehe, wie jede, audi die nebelhafteste Richtung mit Notwendigkeit sich bildet, so bleibe idi nun dennoch mit Wohlbehagen eine Zeit lang bei der sdiarf durch- dachten Weise Adolf Menzel's, der als Schilderer von Kultur und Sitte ohne Widerrede den Gipfelpunkt moderner deutscher Malerei bedeutet. Wir sind sicher, daß des Jahrhunderts Ende keinen grö- ßeren bringen wird. Fast ist man versucht, den „kleinen" Menzel überhaupt seit der Periode Dürer-Holbein als den größten deutschen Maler hinzustellen; so vielseitig, so gedankentief, so meisterlich in allem, was Zeichnen und Malen heißt, ist dieser merkwürdige Künstler.

Menzel's Entwicklungsgang ist aber auch eigentümlidi genug und liegt weit ab von der Schablone, nach der die meisten seiner Zeitgenossen gebildet wurden. Zunädist waren jedenfalls die Ein-

*) Erstdruck in der „Montagsrevue" Wien, 6. April 1896. (Hier unverändert).

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drücke der Kindheit in seiner Vaterstadt Breslau, mit seinem prädi- tigen Rattiause, seinem SctiioB, seinen Kirctien, seinen mannigfadien Mütilen an den malerisctien Ufern der Oder, mit den vielen Gassen voll altersgrauen Häusern, endlicti mit seinen ungezätilten Erinne- rungen an den siebenjätirigen Krieg, von großer Bedeutung für den malerisctien und den gesdiictillidien Sinn des Künstlers. Von der antikisierenden Riditung, die zu Anfang des Jatirhunderls allgemein herrsdite und itire langen akademisdien Sdiatten nodi bis in die Gegenwart tiereinwirft, ist der 1815 geborene Künstler nur wenig beeinflußt worden und die Kürze der Zeit (man liest: nur ein lialbes Jatir), die der Kunstjünger an der Akademie in Berlin zugebradit tiatte, kann man nur als günstige Bedingung für das Werden eines eigenartigen Malers preisen. Menzel ist aus der ptiantasievollen Kunst der deutsctien Romantik tiervorgewadisen, otine sidi itir aber mit Leib und Seele zu versdireiben. Menzel ist ferner als prak- tisdier Tediniker aufgewadisen, und zwar im Hause seines Vaters, der eine lithographisdie Anstalt leitete, zuerst in Breslau, dann seit 1830 in Berlin. Im Vatertiause erlernte er die Handgriffe des Litho- graptien, die er bald eigenartig weiterbildete. Dort tiat er otine Zweifel audi Strixner's Littiograptiien nadi den Dürer'sdien Rand- zeidinungen für Maximilians I. Gebetbudi kennen gelernt, deren Verbindung von Figuren und Geranke sidi itim tief ins Gedäditnis eingeprägt tiaben mag und gewiß für die Kompositionsweise seiner zahlreidien Diplome und Adressen aussdilaggebend war. Obwohl der junge Adolf anfangs einer wissensdiaftlichen Laufbahn zuge- führt werden solte, drängte es ihn doch weit mehr zur bildenden KunsL Gar bald wurde sie ihm auch zur Ernährerin. Denn Vater Menzel starb im Jahre 1832 und der Sohn mußte, wie die Biographen berichten, ans Verdienen denken. Vignetten, Geschäftskarten und Ähnliches mußte damals ziemlich handwerksmäßig geschaffen wer- den. Aber Hand und Auge fanden dabei förderliche Übung. Was in der Ausstellung aus der Frühzeit des Meisters zu sehen ist, das sind nicht mehr jene kleinen handwerklichen Produkte, sondern schon etwas freiere Schöpfungen aus der Zeit von 1834 aufwärts. Eine Aktstudie aus jenem Jahre 1834 (ausgestellt im Eckpavillon rechts) markiert die kurzen Studien nach akademischer ArL Demselben Jahre gehört als abgeschlossene Arbeit der „Gesellenbrief des Ge- werbes der Zimmerleute" an, der mit der Feder auf den Stein ge-

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zeichnet ist und allerlei Geranke mit Figuren verbindet. Da sind dann auch die gemütvoll und humoristisch erfundenen fünf Sinne (Nr. 26 von 1835) zu nennen, dann die lustigen Figürchen, die sidi zwischen den Ranken des Diploms tummeln, welches Menzel 1836 für den Potsdamer Kunstverein gezeichnet hat (Nr. 12), ferner das dramatisch bewegte „Vater unser" von 1837 (Nr. 25), der „Brief der Maurer" von 1838 (Nr. 24), das lushg erfundene Diplom des Berliner Schie^vereines für Offiziere von 1839 (Nr. 27) und das ernster ge- haltene Titelbild für „Die neuere deutsche Kunst" vom Grafen Ra- czynski aus dem Jahre 1841 (Nr. 23). Derselben Stilperiode gehört auch das gotisierende Tüelbild der „Denkwürdigkeiten aus der bran- denburgisch-preu&ischen Geschichte" an. Alle diese Arbeiten hängen noch in der Formengebung und allgemeinen Anordnung mit der romantisdien Richtung zusammen, die Eugen Neureuther und Adolf Sdirödter in Deutschland hauptsädilidi vertraten, wenn auch Menzel's Blätter in der Erfindung vielleicht geistreicher und gewig vielfach eigenartiger sind, als ähnliche fremde Arbeiten aus der- selben Zeit. Späterhin erfuhr diese halb ornamentale, halb figurale Kunst Menzel's noch eine Steigerung, und zwar in den farbigen Praditadressen, wie sie jefet ebenfalls hier in der Ausstellung zu sehen sind. Eine stammt aus dem Jahre 1850, die andere aus der glorreichsten Zeit des Deutsdien Reiches, nach den Siegen von 1870. Es ist der Berliner Ehrenbürgerbrief, für Moltke 1872 her- gestellt. In beiden herrscht ein seltener Gedankenreichtum, wie ihn eben nur ein Menzel erfinden und malerisch ausdrücken konnte.

Die schon erwähnten „Denkwürdigkeiten aus der branden- burgisch-preufeischen Geschichte" (1834 komponiert, 1836 und 1837 veröffentlicht) waren wohl die ersten geschichtlichen Kompositionen, mit denen Menzel in die Öffentlichkeit trat, obwohl ihn historische Stoffe sdion in seiner allerersten Zeit lebhaft beschäftigt hatten. „Die Sdiulstunde in der Geschichte", begeisterte ihn (wie er selbst erzählt) „zu den ersten Komposihonen aus römisdier, mittelalter- lidier, audi neuester Historie, alles sehr ernst gemeint und genau mit Bleistift ausgeführt". Menzel's Zeichnungen zu den „Denkwür- digkeiten" sind für uns hier in Wien audi insofern von Interesse, als sie wohl zur Anregung für die P. J. N. Geiger'schen vaterländischen Immortellen und für die historisdien Memorabilien geworden sind, die wenige Jahre nach Menzel's Arbeiten ans Licht traten (1838 bis

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1840). Geiger (1805—1880) ist, wenn auch in bescheidener Ent- fernung, eine Art Parallelerscheinung zu Menzel, dessen überwälti- gende Kraft ihm aber fehlte. Auch lebte Geiger im „Capua der Geister", Menzel aber im schneidigen Berlin, das gerade während der Lebenszeit Menzel's einen ungeheuren Aufschwung ge- nommen hat.

Was wir in der Ausstellung vermissen, ist unter den frühen Menzel'schen Werken die Reihe zu „Künstlers Erdenwallen", die mit ihren Anspielungen auf den dornenvollen Pfad des Malers ge- wiB im geselligen Heim der Künstler großes Interesse gefunden hatte. Einige etwas flüchtige Gelegenheitsarbeiten, deren Be- ziehungen den meisten Besuchern gänzlich unbekannt sein dürften (Nr. 32 und 35), hätten ohne Zweifel den Blättern zu „Künstlers Erdenwallen" recht gut ihren Plafe einräumen können. Bei vieler MuBe und freundlichem Entgegenkommen der Besifeer lieBe sich auch von den späteren Arbeiten Menzel's nodi gar vieles beibringen, das die erstaunliche Schaffenskraft des Künstlers veranschaulichen würde. Nichts weiter aber davon. Es ist genug des Interessanten hier. Sind wir doch in die Ausstellung, nicht um zu kritisieren, sondern um genie&end zu lernen. Die großen Züge des bisherigen imposanten Lebenswerkes Menzel's sind im Künstlerhause so deut- lich vor uns ausgebreitet, wie man sie vorher in Wien niemals hat überblicken können. Man ist froh, die meisten charakteristischen Hauptwerke nebeneinander zu finden, so unter anderen audi viele Blätter, die uns Meister Menzel als Radierer vorführen. Be- sonders die frühen 40 er jähre des Jahrhunderts sahen den Künstler vor der Kupferplatte mit der Radiernadel in der Hand. Allerlei Blätter aus den Jahren 1843 und 1844 sind in den Pultkästen vor unseren Blicken ausgebreitet. Daneben spätere Äfeungen aus den 80 er und 90 er Jahren. Mit Teilnahme verfolgen wir es, wie riesig der Meister in seiner Kunst gewadisen ist, von den ersten „Radier- versuchen" bis herauf in die iüngste Zeit. Als Kuriosum möchte ich einen männlichen Studienkopf aus dem Jahre 1844 hervorheben, zu dem Menzel nachträglich vermerkte: „Mit Messerklinge gekraut". Es ist ein eigentümliches Blatt (Nr. 73 a). Doch sind es nicht die Radierungen, denen Menzel seine Berühmtheit verdankt.

Die Arbeiten, die Menzel zuerst am meisten bekannt gemacht haben, sind seine Holzschnitt-Illustrationen zur G e s ch i ch t e

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Friedrichs des Großen, von denen hier auch einige wenige Beispiele zu sehen sind. Unendhch viel ist über diese geislspriihen- den, bezaubernden, erfindungsreichen Bildchen geschrieben worden. Schwierig, hier Neues beizubringen. Trobdem kann der Wunsch nicht unterdrückt werden, dag sich eine zweite Auflage des Kataloges etwas eingehender mit diesen Werken beschäfhge als die erste, die ja in der Eile der Herstellung mandies übersehen durfte. Wie sich Menzel als Illustrator im weitesten Sinne des Wortes in die Zeiten Friedrichs des Großen versenkte, ist immer wieder bewunderungs- würdig. Nicht das Kleinste wird von ihm verschmäht, wenn er es für die geschichtlidie Ehrlidikeit nöhg erachtet. Kein Uniformknopf, keine Kokarde ist ihm zu unbedeutend bei den Vorstudien für Kunst- drucke oder Ölgemälde. Menzel macht sich die Arbeit nicht leidit. Für seine Repräsentahonsbilder hat er ganze Reihen von Bildnis- studien gezeichnet und gemalt, deren die Ausstellung u. a. sehr viele enthält, welche als Vorbereitung für das groBe Bild mit der Krönung König Wilhelms in Königsberg dienten und welche dem Meister viel- leidit ebenso viel Mühe als Galle bereitet haben. Eine Farbenskizze von 1861 an diesem Krönungsbüde, dessen gro&e Ausführung im Ber- liner Sdilosse zu finden ist [bzw. war], ziert die Ausstellung (Nr. 270). Neben den Porträten aber sind es unzählige, scheinbar nebensädilidie Dinge, die Menzel vorher genau studierte, bevor er an die Ausfüh- rung großer Arbeiten ging. Wenn irgend jemand, so dürfte es sich Menzel erlauben, auf sein ans Fabelhafte grenzende Gedächtnis für Formen und Farben zu pochen. Nie aber verliert er die Fühlung mit der Natur. Trobdem wäre es ganz verkehrt, ihn einen Naturalisten zu nennen. Pecht sagt ganz riditig: „Ein platter Abschreiber der Natur ist er zeitlebens nie gewesen, sondern immer ein Dichter". Die Studien nach der Natur sind ihm nur Mittel zum Zwed<, nur die Kontrolle seiner Einbildungskraft. Das wird auf dieser Ausstellung vollkommen klar, die ja einerseits so viele Zeichnungen nadi der Natur enthält und anderseits so viele Kompositionen, die zwar in der virtuosen Ausführung eines Menzel wie Momentaufnahmen aus- sehen, die aber als Ganzes doch niemals nach der Natur gezeichnet worden sein können. Ganz abgesehen von der Darstellung histori- scher Stoffe, sehen wir auch bei den Bildern aus Menzel's eigener Zeit und Umgebung stets das Walten einer mächtigen Phantasie ausgeprägt. Die Abreise Königs Wilhelm I. zur Armee im Juli 1870,

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die vielen Darslellungen von Hoffesten und Ähnliches und nicht an lebter Stelle das Bild mit der Leichenfeier der Märzgefallenen des Jahres 1848 können )a nicht als ganze Bilder mit so und so viel Figuren von der Natur abgeschrieben sein. Audi entfällt bei der frühen Entstehung jener Bilder jeder Verdacht, als lägen ihnen Augenblicksphotographien zugrunde, wie sie von Künstlern der jüngsten Jahre gelegentlich benübt werden. All die vollendeten Aquarelle, Gouachebildchen und Ölgemälde Menzel's, so mühelos hingeworfen sie auch oft aussehen, sind fast jedesmal die Frucht einer ebenso gesteigerten Erfindungsgabe, wie gewisserhafter Stu- dien, feinen Wählens und Abwägens.

Es liegt in der Natur der Sache, da& von den grofeen fertigen Ölgemälden des Meisters hier verhältnismäBig wenige zu sehen sind. Gemälde sind dodi weit mehr den Schädlichkeiten einer weiten Versendung ausgesefct, als Zeichnungen, Kunstdrucke, Aquarelle und kleine Olskizzen. Die lefeterwähnten müssen uns in der Ausstellung in den meisten Fällen für die gro&en Gemälde entschädigen, die übrigens zum Teil allbekannt sind, wie das „Flötenkonzert Friedrichs des Großen", wie die „Tafelrunde bei Friedrich", welche beide Bilder jahraus, jahrein in der Berliner Nationalgalerie zu sehen sind. Erfreulidi ist es, wenigstens das gro&e Walzwerk im fertigen Original hier zu sehen, audi unter dem Titel „Moderne Cyclopen" bekannt, ein Bild, das den völlig ausgereiften Stil des Künstlers ver- tritt. Es ist 1875 vollendet und ebensosehr packend durch seine Dar- stellung, als interessant durch die glückliche Überwindung unzähliger heimtückischer Schwierigkeiten in der Zeichnung und Liditwirkung.

Von den Friedrichsbildern Menzel's findet man in der Aus- stellung nur die Begegnung Josefs II. und Königs Friedrich in Neisse als großes Ölbild (1857 vollendet). Die übrigen sieht man in Farben- skizzen, die sicher in ihrer Art auch hödist lehrreidi und interessant sind. Unter den fertigen Bildern wird wohl jeden Besucher jenes längere Zeit fesseln, das den Palaisgarten des Prinzen Albrecht von Preußen in Berlin zur Darstellung bringt (Nr. 275). In moderner pastoser Oltechnik, die den Zeitgenossen eines Courbet erkennen lä^t, ist hier ein Stimmungsbild von seltener Kraft geschaffen. Das landschaftliche wiegt vor. Menzel ist ungewöhnlich vielseitig. Wenn auch Bilder mit einem Gewirre ungezählter menschlicher Figuren, von denen alle wichtigen bis ins Kleinste charakterisiert sind, seine

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Hauplstärke bilden dürften, so stellt er doch kaum minder gewandt audi landsctiaftliche Motive, Tiere aller Art, Blumen, Condiilien, hunderterlei Beiwerk dar. Und was unser Staunen bei allem wach- ruft, das er malt, ist die treffsichere Virtuosität der Mache. Für Menzel scheint es da überhaupt keine Schwierigkeit zu geben. Schon gegen Ende der 40 er Jahre schuf seine Hand solche Wunder- werke, wie z. B. das Bildnis der Frau Professor Meyerheim (Nr. 253 aus dem Jahre 1847). Technisch vielleicht unerreicht ist dann der „Aschermittwoch-Morgen im Berliner Tiergarten" (Nr. 256 von 1885), und was sollte man hier nicht noch alles anführen, audi unter den Zeichnungen und Kunstdrucken, die so viel technisch Bedeutsames bieten. Machen wir es uns klar; die Menzel-Ausstellung enthält nidit eine langweilige oder schlechte Nummer. Für so seltene Genüsse ist man der Künstlergenossenschaft zu ganz besonderem Dank ver- pfliditet.

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NEUERSCHEINUNGEN

DES

VERLAGES CARL STEPHENSON

WIEN L

PREISE VOM OKTOBER 1922.

In meinem Verlag erscheinen :

Neue Blätter

für

Gcmäldckunde

herausgegeben von Dr. Theodor Frimmel.

Erscheint

sechsmal jährlich. Bezugspreis (6 Hefte)

400 Mark.

INHALT DES OKTOBER-HEFTES

Fred Benz (Basel), Über die wissenschaftliche Prüfung von Gemälden

und die Aufdeckung von Fälschungen. Hofrat Dr. J. Meder

(Albertina Wien), Notizen über Emanuel Peter. Dr. H. Egger (Graz),

Eine Joseph von Hempel-Ausstellung in Graz. Hofrat Konstantin

Danhelovsky, Altösterreichische Maler in einem jugoslavischen

Schlosse. P. Esch, Ein signiertes Gemälde von Peeter von Avont.

Dr. Theodor Frimmel, Rubens und der Apoll vom Belvedere.

Bemerkungen zu Johann Spillenberger. Rundgang

durch die Wiener Galerien,

etc. etc.

Im November erscheint

Franz Grillparzer

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Mit einem Bildnis des Dichters und einem Schrift-Faksimile.

Auf holzfreiem Papier in Halbleinenband 660 Mark,

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Grillparzers „Studien zur Literatur", bisher der Allgemeinheit viel zu wenig bekannt, zählen zu den wertvollsten und interessantesten Werken über das Gebiet der Weltliteratur. Die erhabene Kälte dieses klarblickenden und genialen Geistes das Hindernis für eine un- mittelbare Wirkung seiner dramatischen Schöpfungen gibt gerade diesen kritischen Studien einen ganz außergewöhnlichen Reiz. Nirgends trockene Kritik überall die temperament- und geistvolle Anteilnahme eines Genies, eines Dichters an den Schöpfungen der Dichtkunst, eine sicherblickende Einschätzung von deren Wert und Unwert. DIESE „STUDIEN ZUR LITERATUR" DÜRFTEN KEINEM MENSCHEN VON INNERER KULTUR UNBEKANNT BLEIBEN.

Im November erscheint:

Das Taghorn

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Eine sangbare Neuausgabe mit dichtungsgeschichtlicher und musil^alischer Einführung, Klavierbegleitung, Buch- schmuck und farbigen Bildern nach alten Originalen.

Herausgegeben von

Dr. Bernhard Paumgartner, Direktor des Mozarteums in Salzburg,

und Alfred Rottauscher.

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INHALT:

I. BAND (dichtungsgeschichtlicher Teil) : Rittertum, Minnedienst und ro- manischer Stil. Die ersten Blüten. Der Hof der Babenberger. Reinmar der Alte. Walther von der Vogelweide. Die höfische Schule in Bayern und Österreich. Wien unter Leopold VI. und Friedrich IL Neidhart von Reuental und die dörfische Schule. Tannhäuser. Zwei Jahrhunderte der Mystik. Der Mönch von Salzburg. Hugo von Montfort. Oswald von Wolkenstein.

IL BAND (Textband) : 70 Lieder.

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Die Wiedererweckung der Jahrhunderte lang tot gelegenen Lieder des Minne- sangs.—Verlebendigung der Melodien durch eine formvollendete und tem- peramentvoll angepaßte Klavierbegleitung feinfühlige Übertragung der Texte unter Berücksichtigung des gesungenen Wortes. Die außerordent- liche Schönheit dieser ursprünglichen Melodien, der Wohlklang der Lieder, der in der Verschiedenheit der Artung sichtbare Gang ihrer Entwicklung und der lebendige, geschichtliche Teil, der uns diesen Entwicklungsgang bloßlegt, ergeben ein Werk von unerhörter Gesamtwirkung.

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Leopold Mozart

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Violinschule

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Korngold ist zweifellos eine der interessantesten Erscheinungen unter den Komponisten der jungen Generation. Als er zwölf- jährig—zum erstenmal mit seiner Pantomine „Der Schneemann" vor die Öffentlichkeit trat, hat der Streit für und wider ihn ein- gesetzt und ist seitdem nicht verstummt. Während seine Werke längst erfolgreich über die Grenzen Österreichs und Deutschlands hinausgedrungen sind vor nicht zu langer Zeit hat „Die tote Stadt" an der New- Yorker Metropolitan ihre Erstaufführung unter außerordentlichem Beifall erlebt wird gerade in seiner Heimat noch immer die rein sachliche Beurteilung seines Schaffens durch kleinliche Gehässigkeiten jeder Art verdrängt. Auf Anregung des Verlages hat Dr. Hoffmann das vorliegende Buch, eine prägnante, objektiv eingehende kritische Betrachtung über das Werden und Schaffen Korngolds, sachlich-kritische Analysen seiner Schöpfungen geschrieben. Unter Beleuchtung und nach Beiseiteschiebung aller jener Umstände, die bisher vielfach die uneinbeflußte Betrachtung der Korngold'schen Werke behinderten, werden diese nun von dem Standpunkte ihres tatsächlichen künstlerischen Wertes analysiert. Ein besonderes Kapitel hat der Verfasser der mißbräuchlichen Ver- mengung von Rassen- und Kunst-Problem gewidmet.

Im November erscheint:

Die schönen Bücher der Musik

Erster und zweiter Band

Wolfgang Amadc Mozart

Erster Band: Vater und Sohn. Zweiter Band: Lebenstragödie.

Auf holzfreiem Papier. In flexiblem Pappband. Mit drei Reproduk- tionen in Vierfarbendruck und zahlreichen einfarbigen Reproduktionen. Preis jedes Bandes 600 Mark.

Während aus den so zahlreichen Musikerbiographien immer der Autor des Buches mehr als der Geschilderte hervortritt, soll in diesen Büchern versucht werden, ein unmittelbares Bild der Meister zu gewinnen. Durch chronologische Anordnung der Dokumente seines Lebens, seiner Briefe und der Briefe des Vaters (in originalgetreuer Wiedergabe), unter Weglassung nur der wirklich nebensächlichen Details finden wir das reizvoll lebendige Bild Mozarts, so wie er wirklich war. Eine besondere individuelle Anpassung der Ausstattung des Buches an seinen Inhalt, ein feinfühliges Zusammenwirken von Druck, Papier und Buchschmuck ergibt den beabsichtigten besonders schönen Gesamteindruck dieser Bücher.

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UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY

IT

7.W5 F7

Frimmel, Theodor von

Von alter und neuer Kunst

ü IV.

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