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Von dieser Festschrift wurden außer der Auflage i Unikat auf van Gelder- Bütten für den Jubilar und 200 in der Presse numerierte Exemplare auf im. Japan abgezogen
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Den Druck dieser Festschrift besorgte die Spamersche Buchdruckerei; das Papier lieferte Berthold Siegismund; die Reproduktion der Abbildungen er- folgte in der Graphischen Kunstanstalt von Hermann Ludewig; sämtlich in Leipzig. Einband und Umschlag zeich- nete H. D. Leipheimer in Sersheim
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Nach einer Photographie
des Ateliers „Lichtkunst", München
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ERNST HAECKEL VERDANKEN
EIN BUCH DER VEREHRUNG UND
DANKBARKEIT P . „aw
IM AUFTRAG DES DEUTSCHEN MONISTENBUNDES HERAUSGEGEBEN VON
HEINRICH SCHMIDT-JENA
MIT 12 ABBILDUNGEN, DARUNTER 5 HAECKEL-PORTRÄTS
ZWEITER BAND
LEIPZIG 1914 VERLAG UNESMA G. M. B. H.
Alle Rechte vorbehalten Copyright 1914 by Verlag Unesma G. m. b. H., Leipzig
INHALT DES ZWEITEN BANDES
o o o
SPEZIELLER TEIL
(FORTSETZUNG)
Seite
Rabl, Geheimrat Professor Dr. Carl, Leipzig i
Kammerer, Privatdozent Dr. Paul, Wien 6
Loeb, Professor Dr. Jacques, Newyork 15
Rieß, Kaufmann Carl, Hamburg 17
Lipsius, Privatdozent Dr. Friedrich, Leipzig 22
Meyer, Professor Dr. R., Berlin 28
Beck, Professor Dr. Paul, Leipzig 34
Dosenheimer, Amtsrichter Emil, Ludwigshafen a. Rh 38
Wolfsdorf, freireligiöser Prediger Eugen, Nürnberg 43
Cr ut eher, Dr. med. Howard, Roswell, Neu-Mexiko 48
Flothuis, Oberlehrer M. H., Amsterdam 50
Bellesme, Professor Jousset de, Brüssel 56
Glatz, Kaufmann Friedrich, Wien 61
Koerner, Professor Ernst, Berlin 68
Leon, Professor Dr. Nicola, Jassy, Rumänien T$
Scheffauer, Hermann, London 75
T hie nie, Schriftsteller Friedrich, Weimar 83
Vogtherr, M. d. R. Ewald, Dresden 89
Daxenbichler, Frau Fanny, Salzburg 93
Weber, k. k. Ministerialrat, Alfred Ritter von Ebenhof, Wien 96
Schneider, Bankbeamter Hugo, Berlin 115
Holgers, Fräulein Maria, Berlin 120
Felden, Pastor an St. Martini, Bremen 125
Schweninger, Geheimrat Professor Dr. Ernst, München 130
Eulenberg, Herbert, Kaiserswerth a. Rh 138
Boerner, Schriftsteller Wilhelm, Leipzig 139
Altmann-Bronn, Frau Ida, Romberg i. Lothringen 142
Yung, Professor Dr. Emile, Genf 148
Baege, Dozent M. H., Friedrichshagen bei Berlin 150
Neu mann, Herausgeber von Reclams Universum Carl W., Leipzig .... 154
Brauckmann, Institutsdirektor Karl, Jena 156
Gadow, Professor Dr. Hans, Cambridge i. England 160
Hertwig, Geheimrat Professor Dr. Richard von, München 165
Sprenger, Dr. med. et phil. G., Mainz 171
Kahl, Schriftsteller August, Hamburg 172
Ficalbi, Professor Dr. Eugenio, Pisa 179
Walt her, Professor Dr. Johannes, Halle a. S 180
Unna, Professor Dr. P. G., Hamburg 182
Kocks, Professor Dr. J., Bonn 186
Leege, Karl O., Jena 207
Greil, Professor Dr. Alfred, Innsbruck 211
Spitzer, Professor Dr. Hugo, Graz 224
VII
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335 3Si 357
359 362
367 373 376
Hatschek, Hofrat Professor Dr. Berthold, Wien
Reichel, Eugen, Berlin
Schwarz, Kgl. preußischer Kommerzienrat Arthur, Lichterfelde Regel, Professor Dr. Fritz, Würzburg
McCabe, Joseph, London
Goldscheid, Rudolf, Wien ....
Zalisz, J. F., Leipzig
Aigner, Dr. med. Eduard, München Lang, Professor Dr. Arnold, Zürich . Sokolowsky, Dr. Alexander, Hamburg Schaxel, Privatdozent Dr. Julius, Jena Brunner, Dr. med. Max, Wien . . . Hirschfeld, Dr. med. Magnus, Berlin Gilbert, Redakteur Leo, Wien .... Dopf, Arbeiter Karl, Hamburg . . .
Knopf, Hofrat Professor Dr. Otto, Jena
Mark, Professor Dr. E. L., Harvard University, Cambridge U.
Palmen, Professor Dr. Axel, Helsingfors
Plotke, Georg J., Frankfurt a. M
delle Grazie, Schriftstellerin Fräulein Maria Eugenie, Wien
Kotthaus, Carl, München
Stöcker, Frau Dr. Helene, Berlin-Nicolassee
Verworn, Professor Dr. Max, Bonn
Fürbringer, Geheimrat Professor Dr. Max, Heidelberg . . .
Kleinsorgen, Wilhelm, Berlin-Grunewald
Bloch, Dr. med. Iwan, Charlottenburg
Carraro, Oberlehrer Angelo, Wien
Koltan, Schriftsteller Jakob, Heidelberg
Schallmayer, Dr. Wilhelm, Krailling-Planegg b. München .
Focke, Dr. med. Wilhelm, Bremen
Reh, Dr. Ludwig, Hamburg
Haeckel, Direktor des städtischen Krankenhauses Professor
Stettin
Leipziger Ortsgruppe des Deutschen Monistenbundes .... Huschke, Dr. Konrad, Mitgl. der Fürstl. Kammer, Greiz
Friederici, Fräulein E., Berlin
Lowie, Robert H., Newyork
Buen, Professor Odon de, Madrid
Paatsch, Handlungsgehilfe Max, Dessau
Dr.
Heinrich
383 391 398 401 404 408 410
VIII
CARL RABL, LEIPZIG
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Ich hatte auf dem Gymnasium, z. T. auf Anregung meines Vaters, z. T. wohl auch aus Opposition gegen die klösterliche Erziehung, die mir in Kremsmünster, einem Benediktinerstift in Oberösterreich, zuteil wurde, frühzeitig angefangen, entwicklungstheoretische Schrif- ten zu lesen. Namentlich hatten die „Schöpfungsgeschichte" von Burmeister, die Vorträge über die Darwinsche Theorie von L. Büchner und das Buch „Vor der Sündflut" von O. Fraas, — so verschieden sie in ihrer Tendenz waren, — in hohem Grade mein Interesse in An- spruch genommen. Zu Anfang des Jahres 1870, ich stand damals im siebzehnten Lebensjahre, wurde ich auf die populäre Kosmogenie von Philipp Spiller aufmerksam, die unter dem Titel „Die Entstehung der Welt und die Einheit der Naturkräfte" in Lieferungen erschien. In einer der Lieferungen fand ich die Bemerkung, daß soeben die 2. Auflage von Haeckels „Natürlicher Schöpfungsgeschichte", eines „klassischen Werkes", wie Spiller hinzufügte, erschienen sei. Spiller genoß damals als populär-wissenschaftlicher Schriftsteller großes An- sehen. Ich ließ mir sofort Haeckels Buch kommen, und mit dem Studium desselben entschied sich mein ganzes wissenschaftliches Leben. Ich las das Buch mit wahrer Andacht, Tag und Nacht, und immer wieder und war überzeugt, daß es über die großen, wichtigen Probleme, die es behandelte, kein besseres geben könne. Von da an beherrschte der Entwicklungsgedanke mein ganzes Tun und Denken. Alles, was ich bis dahin gelernt und gelesen hatte, verblaßte oder verschwand wohl auch völlig aus meinem Gesichtskreise; ich war glücklich, an Stelle des Kirchenglaubens, von dem meine ganze Umgebung durchtränkt war, eine freie, auf der Basis menschlicher Erkenntnis aufgebaute Lehre gesetzt zu sehen. Daß ich mit solchen Ansichten nicht zu meiner Umgebung und meine Umgebung nicht zu mir paßte, und daß daraus allerhand Mißhelligkeiten entsprangen, brauche ich nicht auseinanderzusetzen.
Schon damals faßte ich den Entschluß, sobald sich dies irgendwie durchführen ließe, nach Jena zu gehen und bei Haeckel zu arbeiten. Zunächst aber ging ich, nachdem ich das Gymnasium absolviert hatte, nach Wien, um Medizin zu studieren. Zu diesem Studium
1 Haeckd-Festschrift. Bd. II I
trieb mich nicht bloß eine von früher Kindheit genährte Neigung — mein Vater hatte mich, allerdings um mich abzuschrecken, schon als fünfjährigen Knaben zu Operationen mitgenommen, — sondern auch eine alte Familientradition. Die Lehrer, die in den ersten zwei Jahren für mich am meisten in Frage kamen, waren Hyrtl und Brücke. Hyrtl war einer der glänzendsten Redner und größten Schauspieler, die ich in meinem Leben kennen gelernt habe. Zu uns Studenten trat er aber in kein näheres Verhältnis; ich hatte zwar versucht, ein solches anzubahnen, indem ich ihm ein von mir aus Lindenholz geschnitztes menschliches Skelett von etwa 70 cm Höhe überbrachte, jedoch bestand die Antwort eigentlich nur in salbungsvollen Reden über die Schwierigkeit des Studiums der Anatomie. Im Seziersaal kümmerte er sich wenig um uns. So konnte ich also aus der persön- lichen Bekanntschaft mit ihm wenig Nutzen ziehen. Zu Brücke aber trat ich erst in späteren Jahren in nähere Beziehung.
Der Unterricht in der Zoologie lag damals in Wien recht im Argen. Zu zoologischen Übungen war keine Gelegenheit vorhanden. Der Zoologe Schrnarda, ein vielgereister Mann, der sehr amüsant er- zählen konnte, erlaubte mir zwar, die Universitätssammlung zu be- suchen, aber das war auch alles: weder er noch sein Assistent küm- merten sich um mich. Ich wandte mich daher an das naturhistorische Hofmuseum, fand aber auch dort nicht, was ich suchte. Ich wurde in die Abteilung für Echinodermen gewiesen und erhielt den Auftrag, die in den Schränken aufbewahrten Spatangiden zu bestimmen. Damit hatte ich aber keine große Freude, und so war ich denn wieder ganz auf mich selbst angewiesen.
Um so mehr wuchs in mir der Wunsch, in einem zoologischen Laboratorium unter einer tüchtigen Leitung zu arbeiten. Aus diesem Grunde ging ich in meinem fünften Studiensemester (1873/74) nach Leipzig. Daß ich nicht sofort nach Jena ging, hatte in erster Linie darin den Grund, daß mir der Abstand zwischen dem Universitäts- leben einer so kleinen Stadt wie Jena und einer so großen wie Wien etwas zu gewaltig schien; ferner war ich bei meinen bisherigen Stu- dien so oft auf den Namen Leuckart gestoßen, daß ich den Wunsch hatte, ihn persönlich kennen zu lernen.
An meine Leipziger Zeit denke ich immer mit aufrichtiger Freude und Dankbarkeit. Leuckart war ein prächtiger Mann, der sich um
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seine Schüler mit aufrichtiger Teilnahme kümmerte. Aber auch seine Assistenten und alle, die bei ihm arbeiteten, standen zueinander in sehr angenehmem, anregendem Verkehr. Nun benützte ich den sächsischen Bußtag (ungefähr 20. November) zu einem Ausflug nach Jena und Wei- mar. Ich gab natürlich ein paar Tage zu, so daß ich etwa 3 — 4 Tage von Leipzig wegblieb. Meine Absicht war vor allem, Haeckel persönlich ken- nen zu lernen und für den nächsten Sommer eine Wohnung zu mieten.
Ich besuchte zunächst Haeckels Vorlesung. Offen gesagt, war ich davon etwas enttäuscht. An ihren Inhalt kann ich mich nicht mehr er- innern ; sie hat also augenscheinlich keinen großen Eindruck auf mich gemacht. Auch hatte ich erwartet, einen zum Erdrücken vollen Hör- saal zu finden, in dem mindestens die Hälfte aller Studenten Jenas ver- sammelt war. Ich fand aber einen recht kleinen Saal, der gähnende Lücken aufwies. Aber alles das konnte meine Verehrung Haeckels, die mittlerweile durch das Studium seiner „Generellen Morphologie der Organismen" noch gestiegen war, nicht im geringsten erschüttern.
Nachmittags machte ich Besuch in Haeckels Wohnung. Es dürfte wohl unmittelbar nach Tisch gewesen sein, und ich fürchte fast, Haeckel im Nachmittagsschlummer gestört zu haben. Ich war eben zu jener Zeit noch ein richtiger Bauernjunge, der keine Ahnung davon hatte, daß es auch Menschen gibt, die nach Tisch zu schlafen pflegen. Übrigens ließ sich Haeckel nicht verleugnen; er kam im Schlafrock aus einem Nebenzimmer und hörte mich ruhig an. In der Tat: er hörte mich sehr ruhig an, und die Szene zwischen ihm und mir hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit der zwischen Mephisto und dem Schüler. Zwar trug ich ihm in Ehrfurcht und klopfenden Herzens meine Absicht vor, sein Schüler zu werden. Dann zeigte ich ihm die Zeugnisse über die in Wien bestandenen Prüfungen aus Zoologie, Botanik und Mineralogie, die die besten Noten auswiesen. Aber alles das machte auf ihn keinen Eindruck, und er entließ mich bald mit den Worten, ich solle nur im Sommer kommen.
Als bald darauf Leuckart von meiner Absicht erfuhr, sagte er sehr bestimmt: „Wenn Sie nach Halle gehen, gebe ich Ihnen die besten Empfehlungen mit." Ich hatte aber nicht Lust, bei Giebel zu arbeiten, und blieb bei meinem Entschluß.
In den nächsten Osterferien (1874) sammelte ich in meiner Heimat eine große Menge von Schneckenlaichen (Limnaea, Planorbis, Physa
und Ancylus), zeichnete viele Embryonen und nahm die Zeichnungen nach Jena mit. Ich fragte Haeckel, ob ich nicht die angefangene Ar- beit weiterführen solle, was dieser entschieden bejahte. So entstand meine erste Arbeit „über die Ontogenie der Süßwasser-Pulmonaten"; sie war eine Erstlingsarbeit mit manchen Vorzügen, aber auch vielen Fehlern einer solchen. Das, was mir damals vor allem fehlte, war eine gute histologische Grundlage. Der praktisch-histologische Unter- richt war zu jener Zeit weder in Österreich noch in Deutschland genügend organisiert. Er lag fast ganz in den Händen mehr oder weniger geschickter und tüchtiger Assistenten der Anatomie oder Physiologie. Einen solchen histologischen Kurs bei einem physio- logischen Assistenten hatte ich nun zwar in meinem vierten Studien- semester in Wien genommen; aber irgendeine Förderung hatte ich trotz des lebhaftesten Interesses, das ich dem Gegenstande entgegen- brachte, dabei nicht gefunden. Meine histologische Ausbildung ver- danke ich einzig und allein Brücke, unter dessen Leitung ich später mehrere Jahre arbeitete.
Zu Ostern 1875 arbeitete ich als erster an der eben eröffneten und noch sehr notdürftig eingerichteten zoologischen Station in Triest. Im Sommer darauf kehrte ich nach Jena zurück und arbeitete jetzt über die Entwicklung der Malermuschel (Unio pictorum), die ich in großer Menge in der Saale sammelte. Auch jetzt war die direkte Hilfe und Anleitung von Seiten Haeckels gering. Aber es war auch nicht so sehr diese, die ich bei Haeckel suchte und schätzte, als vielmehr der ununterbrochene wissenschaftliche Verkehr mit ihm und die Anregung in allgemein entwicklungsgeschichtlicher und bio- logischer Hinsicht, die aus diesem Verkehr in reichstem Maße floß. Haeckel war sehr mitteilsam und hielt mit seinem oft sehr scharfen Urteil auch uns Studenten gegenüber nicht zurück. So konnte es nicht fehlen, daß er von allem Anfang an eine Menge Gegner hatte. Aber anderseits wirkte das ganze Wesen Haeckels, seine unerschütterliche Uberzeugungstreue, seine Begeisterung für den Fortschritt der Wissen- schaft und seine Unerschrockenheit im Kampfe um die Wahrheit, auf uns Schüler mit aller Macht ein und riß uns im Sturm mit sich fort.
Nach dem Jahre 1875 kam ich noch wiederholt nach Jena, wenn ich auch von da an nur mehr in Wien studierte. Gewöhnlich benützte ich den Anfang der großen Ferien, die in Österreich schon in den
ersten Wochen Juli beginnen, zu einem längeren Aufenthalte in Jena. Auch blieb ich bis zum Jahre 1894 in lebhaftem brieflichen Verkehr mit Haeckel. Meine weitere wissenschaftliche Ausbildung aber er- hielt ich seit dem Jahre 1875 in Wien. Hier war es vor allem Brücke, der auf mich den nachhaltigsten Einfluß nahm. Ich rechne es mir zu einem ganz besonderen Glück, aber auch zu einer ganz besonderen Ehre an, daß ich durch mehrere Jahre unter seiner Aufsicht und Leitung in seinem Institute arbeiten durfte. Hier erhielt ich die solide histologische Schulung, die mir bis dahin fast ganz gefehlt hatte. Ich betone aber ausdrücklich, daß ich dafür einzig und allein Brücke selbst zu Dank verpflichtet bin. Ich habe Brücke stets als einen der ersten Histologen verehrt und halte auch heute noch seine kleine Abhandlung über ,,die Elementarorganismen" für das beste, was über die Zelle geschrieben worden ist.
So habe ich in Brücke gefunden, was mir Haeckel nicht geben konnte. Beiden aber bin ich in gleichem Maße vom Grunde meines Herzens dankbar. War mir bei Haeckel zuerst der Entwicklungs- gedanke in seiner ganzen Größe und Macht entgegengetreten und hatte durch ihn meine entwicklungsgeschichtliche Arbeit und For- schung eine bestimmte Richtung erhalten, so lernte ich durch Brücke die Notwendigkeit methodischer Arbeit, vor allem aber die Unentbehr- lichkeit strenger Selbstkritik kennen.
Nach meiner Ansicht hat Haeckel seine größte Leistung schon als ganz junger Mann, im Alter von 32 Jahren, vollbracht: es war dies die in zwei Bänden erschienene ,, Generelle Morphologie der Organismen" (1866). Die zwei Jahre später erschienene „Natürliche Schöpfungsgeschichte" war eine Darlegung der Grundgedanken der generellen Morphologie für weitere Kreise. Dasselbe gilt von der Anthropogenie, die leider im Schematisieren schon nicht immer die richtige Grenze einhielt. Von den späteren populären Werken kommen fast nur die ,,Welträtsel" und ,,Die Lebenswunder" in Betracht. Ich halte diese Werke, vor allem ,,Die Lebenswunder" namentlich deshalb für wichtig und wertvoll, weil ihr Erscheinen in eine Zeit fiel, in der bei den meisten Vertretern der entwicklungstheoretischen Richtung eine gewisse Indolenz eingerissen war. Es war daher dank- bar zu begrüßen, daß der wiederauflebenden Reaktion beim großen Publikum ein Riegel vorgeschoben wurde.
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PAUL KAMMERER, WIEN: HAECKEL UND ICH; DER PLANET UND DER KIESELSTEIN
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Beim gestrigen Sonntagsausflug wanderte ich zwischen einem Histo- logen und einem Philosophen, beide sehr gelehrt. DerHistologe richtete die nicht selten vernommene Frage an mich: „Was ist das eigentlich, der , Monismus'?" Und fügte — ich glaube mehr verfäng- lich als unwissentlich — die seltener gehörte Frage hinzu: „Rechnet sich nicht auch , dieser' Haeckel zu , diesem' Monistenbund?"
Was mich veranlaßte, vorerst mit der Gegenfrage zu erwidern: „Haben Sie vielleicht schon einmal die , Welträtsel' in der Hand gehabt ? ' ' Er bejahte es, in unreifen Studentenjahren habe er allerdings die „Welt- rätsel" (läßt durchblicken: über die er nun längst erhaben sei) durch- geblättert, — und spitzte seine anfängliche Frage nunmehr daraufhin zu, daß er wissen wolle, welchen Wert ich jenem Werke zubillige. Ob ich es für nützlich oder schädlich, ob ich es überhaupt für nötig hielte.
Wie erwartet, nahm jetzt der Philosoph mir die Antwort ab: „Die , Welträtsel' waren eine unbedingte Notwendigkeit, um diese ganze Richtung einer dilettantischen, sogenannten Philosophie ad ab- surdum zu führen. Das Buch spricht so sehr gegen sich selbst, daß es dadurch für sich spricht. Seine Daseinsberechtigung, seine segens- reiche Wirkung leitet sich ab aus dem Unsegen, den es anstiftet!"
Echt philosophisch! — wird man finden. Gegenüber solchen Ge- sprächen reichlich abgeklärt, geriet ich trotzdem in Harnisch und er- klärte beiden: „Nur erst mal nachmachen, meine Herren, und eine ähnliche, gleichviel ob positive oder negative Kulturwirkung hervor- bringen, — dann allenfalls schimpfen, wenn Sie dann noch finden, daß Sie's besser gemacht haben!" — Worauf man sich von mir ab- wendete mit der Bemerkung, man verschmähe es, in Haeckelscher Weise Rattenfänger, Reklameheld zu spielen. Die „echte" Wissen- schaft soll nämlich mit menschlichen Interessen nichts zu tun haben ; sie ist nur da für das Dutzend Fachgenossen — durch Popularisierung wird sie entweiht. Andererseits sei die Wissenschaft aber auch un- fähig, eine Weltanschauung zu bilden: man solle die Wissenschaft hüten vor Übergriffen der Weltanschauungen, aber auch diese vor dem Einbrüche der Wissenschaft! Und am allermeisten soll wahre
Wissenschaft freibleiben von Politik. — Letzteres gerne zugegeben : Die Wissenschaft sei rein von Politik, das einzelne Wissensgebiet meinet- wegen auch rein von Weltanschauung ; ob aber Politik oder gar Welt- anschauung frei von Wissenschaft? Ich sparte mir die Diskussion bis zum nächsten Ausflug.
Jeder, der die Bewegung um Haeckel einigermaßen miterlebt hat, wird zu würdigen verstehen, daß das soeben wiedergegebene Gespräch und daß insbesondere die in ihm enthaltenen Einwände gegen Haeckel typisch sind. Ich kann es weiterhin nicht besser illustrieren, als wenn ich berichte, in welcher (vielleicht doch nicht ganz gewöhnlichen) Art ich selber zu Haeckels Schriften und meiner heißen, weit über das, was man Verehrung für einen Großen nennt, hinausgehenden Liebe zu Haeckel gekommen bin. Man verzeihe, wenn deshalb hier zu viel von meiner Wenigkeit die Rede ist ; wie, und daß es nicht als Unbe- scheidenheit gemeint ist, bescheinigt der Titel dieses anspruchslosen Aufsatzes ; gleichwie Aktion und Reaktion zwischen beliebigen Natur- körpern wechselseitig besteht, sogar bei so verschieden großen, wie der Erdkugel und einem auf ihrer Oberfläche liegenden Steinchen — , so auch zwischen dem Riesen, Altmeister und Großvater Haeckel und dem Zwerg, Jünger und Enkelkind Kammerer. Jedoch das Steinchen, von allgewaltiger Gravitationskraft des Himmelskörpers bewegt, gerät ins Gleiten und Schürfen, schleift ab und wird selbst abgerieben; stürzt dann, alles niederzwingend, die Steinlawine donnernd zu Tal, so hatte an der Befreiung des Berggipfels vom Schutt das kleine Steinchen denselben unentbehrlichen Anteil, wie all seine Mitdränger und Nachbarn: als bescheidener Durchschnitt will hier das ver- messen klingende ,,und Ich" genommen werden!
Ich hatte ursprünglich, als Volksschüler und Gymnasiast, nur Freude am Beobachten der Lebensgewohnheiten freilebender und gefangener Tiere und erwarb mir durch Sammeln fast aller Tiergruppen nicht zu unterschätzende Kenntnisse von deren äußeren Formen. Daneben begann ich auch schon mit ersten schüchternen Versuchen, die Lebensbedingungen meiner Pfleglinge künstlich abzuändern, um dadurch mittelbar auch auf die Lebensgewohnheiten, ja womög- lich die Formen abändernd einzuwirken. Mit einem Wort, ich war in erster Linie Ökolog, in zweiter Systematiker, beides schon mit ex- perimentellem Einschlag — , als solcher kam ich an die Universität
und fühlte mich sofort tief unglücklich. Das, was ich für Zoologie gehalten, wofür ich mich so glühend interessiert hatte, war anscheinend gar nicht die wirkliche Zoologie gewesen: denn das, was ich im Hör- saal und Laboratorium nun dafür zu hören und zu bearbeiten bekam, war etwas ganz anderes. Bei aller Einsicht und bei allem Glauben, daß eben diese, mir jetzt erst offenbar werdende Zoologie die einzig richtige sei und ich mich all die Schulklassen und Jungens jähre hindurch in einem verhängnisvollen Irrtum bewegt haben müsse, wuchs dennoch eine Abneigung gegen das selbstgewählte und nicht ohne Kampf gegen das Elternhaus durchgesetzte Studium empor. Es beleidigte mich, daß man beim Betreten eines zoologischen Institutes gar kein Tier erblickte ; man roch Chemikalien, man sah vielerlei bunte Flüssigkeiten auf den Arbeitstischen stehen, — aber nirgends zeigte sich anderes Leben als das der Studenten, Assistenten und Professoren. Endlich ließ man mich durch ein Mikroskop sehen, dessen unheimlichen Tubus ich in geheimnisvoller Weise mit dem Schornstein eines Dampfers assoziierte, wovor ich mich als kleines Kind immer sehr gefürchtet hatte: ich nahm ein Schnittpräparat in Augenschein, durch irgend einen embryonalen Darm, — aber niemand fragte darnach, wie das ganze Tier aussah, aus dem der Darm entnommen war . . .
Nun ist, wie allgemein bekannt — richtiger, viel mehr noch als man ahnt — , gerade Haeckel ein Begründer jener vergleichend anatomischen, histologischen und embryologischen Schule, wie sie noch gegenwärtig an den meisten zoologischen Instituten und Lehrkanzeln Deutschlands und Österreichs vorwiegend gepflegt wird. Und als ich um eben jene Zeit mit Haeckels Schriften, besonders mit der „Generellen Morpho- logie", „Systematischen Phylogenie" und „Anthropogenie" bekannt wurde, so geschah es mit uneingestandenen, aber aus mir selbst er- wachsenen (nicht wie sonst üblich, von fremder Seite übertragenen) Vorurteilen. Unwillkürlich lehnte meine geistige Fassungskraft alle Erzeugnisse ab, die sich mit dem i n neren Bau und seinen Wandlungen unter vorzugsweiser Beschreibung nur der gestaltlichen Verhält- nisse beschäftigten. Für das Endziel auch dieser Lehre, den Ent- wicklungsgedanken und die Deszendenztheorie, empfand ich nichts- destoweniger sogleich ein Gefühl, das ich latenten Enthusiasmus nen- nen möchte. Er war aber noch zu latent, um mich die anstrengenden Vorstufen, die Mittel zum Zweck waren, bereits überwinden zu lassen.
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Nur aus der Idiosynkrasie, womit mir früher alles, was vergleichende Anatomie und Embryologie hieß, gleich ekler Speise widerstand, kann ich es heute erklären, wenn ich Haeckels Schriften sogar gedanklich zu schwer für mich fand. Ich konnte sie nicht zu Ende lesen ; ich begriff so vieles nicht. Ich hätte ein Lexikon der Fachausdrücke und voraus- gesetzten Tatsachen dazu gebraucht. Das ist es, was ich heute, nach gründlicher Umgestaltung meines Selbst, sogar in der Erinnerung schwer begreifen kann, trotzdem ich immer ein schwerfälliger Leser und Hörer gewesen bin.
Ein Rest davon ist bis heute in mir zurückgeblieben: man findet allgemein, und sogar die Gegner geben es zu, daß Haeckels gemein- verständliche Werke glänzend geschrieben seien. Ich meinesteils kann mir nicht vorstellen, daß sie diesem Umstände die für ihr wissenschaft- liches Gepräge hundertfach sensationelle Verbreitung danken; ja nicht einmal, daß dieser Umstand, ihr Stil, ihre Diktion , etwas Wesentliches dazu beigetragen hat. So sehr mich die feurige Sprache in Haeckels kürzeren Veröffentlichungen hinreißt, die meist der Niederschrift eines mündlichen Vortrags ihre Entstehung verdanken (z. B. „Die Grenzen der Naturwissenschaft"1), „Ostwald als monistischer Naturforscher"2) usw. usw.), ebensosehr klingen meinem Ohr in den größeren Buch- publikationen, wo hierzu leichter Gelegenheit geboten, die häufige Wie- derholung gewisser Wortfolgen oder ständige Wiederkehr gewisser ähn- licher Ausdrücke als stilistische Härten, die das Lesen zuweilen mono- ton gestalten und mehr dem Inhalte als der künstlerischen Form zu- liebe lohnend machen. Haeckel selbst weiß das genau, wie sein Vor- wort zu „Lebenswunder" dartut. Sollten derartige Empfindungen bei Haeckels Freunden wirklich so selten vorkommen , daß ich darin eine unerhörte Ausnahme bin ? Oder hat nur das Vertrauen zu Haeckels Autorität ein Geständnis zurückgedrängt, das auch mir nicht leicht fiel ? Mit dem „Rattenfänger" Haeckel wäre es dann nichts ! Sehr oft habe ich Bücher, die bei weitem weniger voraussetzten und schöner geschrieben waren, vom Publikum unter Hinweis auf deren zu große Gelehrsam- keit und Schwerverständlichkeit ablehnen sehen ! Wie gewaltig muß bei Haeckel der Inhalt sein, um einen Siegeslauf zu gewährleisten, der die berühmtesten Prosawerke schöngeistiger Richtung in den Schatten stellt !
x) Monistisches Jahrhundert II, Nr. 30.
2) ,,Wilh. Ostwald", Festschrift aus Anlaß seines 60. Geburtstages. Wien 1913.
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lls ,,Welträtscl" als dasjiige Werk bezeichnen,
f>m Speziellen aufs Allgei ine lenkte, so darf ich oke behaupten : Haecke^ Tzog mich auch dazu, i Wert im Speziellen zurkennen. Wer in moni- i bewandert ist, wird dies a selbstverständlich und rakteristisch empfinden. I jener Zeit nämlich, da eines neuen Fundortes vo; Moorfrosch in Kärnten > der norddeutsche gestreift Feuersalamander einen ■Ltennamen verdiene, wichti r erschien als ein Wahl- Asozialen oder die Auffühmg eines Dramas von in im Burgtheater, — ii jener Phase fühlte ich Tätigkeit durchaus unbefnligt. Der Drang nach Betätigung war, wenn auch nklar, lebendig in mir. :*n Arzt, den Techniker, ja deiPriester, weil ich seinem zlichkeitswert zuerkannte, de rieh dem meinigen inner- t mußte. Lebhaftestes Intere^ für die Fortpflanzung rerkröte konnte mich nicht dei betrübenden Gedanken laß ihre minutiöse Erfors« hunj im Wohle der Gesamt-
liefern könne, wieder die ,,Welträtsel" : Zu cren intensiven Kultur- len, ob sie in positivem i r negativem Sinne ge- -jen), zu deren übermächger Beeinflussung der lung hatten doch Spezialarbei i , Haeckels klassische n , Unendliches beigesteuert, iren die Strahltierchen, ind Schwämme ebenso vi' 1-- usteine gewesen! Und ekel nicht bodenständig war, wa 1er Darwinismus in ihn ;n hatte, um sein Prophetentum st richtig zu vollenden, alls auf der Mosaikarbeit eines gewissenhaften Tatsachen- orgewachsen, war zum Weltall mspannenden Wunder- auf dem Boden rastloser Kasu tik und Beobachtungs- i >arwin selber seinen Zeitgeossen und Nachfolgern, \d Gegnern als fast unerreich ires Muster gilt. Also r forscher, mit seinen Originale beiten beschäftigt, doch ndigerweise ein unnützer Schm.otzer der menschlichen n ! Nun erst gewann ich mein Wissenschaft und nicht meinen Haeckel lieb, — nun rst war die Gefahr des Ins aus Mangel an Freude (an Ube;eugung, fruchtbar tätig
II
Ich war noch dabei stehen geblieben, daß die Zoologie eines Haek- kel mir deshalb unsympathisch war, weil sie mit der von mir erträum- ten Tierkunde nicht übereinstimmte; und daß ich Haeckels Schrif- ten, die mich auch formal unbefriedigt ließen, nicht verstand, nicht verstehen wollte. Als nun aber gar Haeckel gegen diejenige For- schungsmethode zu Felde zog, die mir die liebste war und mich auch vom unseligen Gefühle meiner Ohnmacht und Verfehlung im Studium errettet hatte ; als ich Haeckels niedrige Bewertung der experimentellen Biologie oder Entwicklungsmechanik las (in den „Lebenswundern" S. 4, 45, 156, in „Alte und neue Naturgeschichte" S. 20 usw.), da war ich auf dem besten Wege, ein heftiger Haeckel gegner zu werden.
Zu dieser Zeit fielen mir erst die „Welträtsel" in die Hände. Zu schildern, was ich beim Lesen, — nein, gierigen Einschlürfen dieses wunderbaren Buches empfand, und was alles es mich lehrte, über- schreitet bei weitem die Mittel meiner Darstellung. Was etwa noch einseitig und unreif an mir gewesen war, das wurde nun vielseitig oder, besser, aufs allseitige hingelenkt. Hatte ich früher in absicht- licher Weltfremdheit nur meinem Spezialstudium gelebt, so daß bei- spielsweise meine Unkenntnis der durch Zeitungen verbreiteten Tages- ereignisse mich zum Gespött meiner Freunde machte, so lernte ich jetzt Teilnahme an meiner menschlichen und kulturellen Umgebung. Hatte ich früher keinen Zusammenhang gesehen zwischen Naturge- schichte und Menschheitsgeschichte, trotzdem mir die Abstammung des Menschen von tierischen Ahnen unleugbar erschien, so nahm ich jetzt Interesse an öffentlichen Einrichtungen und gesellschaftlichen Bewegungen, weil ich sie dem allgemeinen biologischen Geschehen einordnete. Am frappierendsten für meinen Kreis, um nur ein Beispiel jener vielfältigen Wirkungen herauszugreifen, war die plötzlich er- wachte Stellungnahme zur Politik, um die ich mich bisher wohl am wenigsten bekümmert hatte. Man war gewohnt gewesen, mich dessent- wegen zu belächeln, es aber offenbar gleichwohl nicht unerfreulich zu finden. Dann aber benutzten plötzlich diejenigen, denen meine neuer- dings so radikalen Urteile nicht behagten, die frühere Ignoranz, um sich darauf, auf mein Unverständnis in politicis, zu berufen und um mir folglich das Recht, mitzusprechen, abzusprechen. Das Gesetz der Entwicklung, der Änderung durch Entwicklung war diesen sachver- ständigen Kritikern unbekannt.
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Muß ich Haeckels „Welträtsel" als dasjenige Werk bezeichnen, das meinen Blick vom Speziellen aufs Allgemeine lenkte, so darf ich zugleich das Reziproke behaupten: Haeckel erzog mich auch dazu, den allgemeinen Wert im Speziellen zu erkennen. Wer in moni- stischer Denkweise bewandert ist, wird dies als selbstverständlich und obendrein als charakteristisch empfinden. In jener Zeit nämlich, da mir die Auffindung eines neuen Fundortes vom Moorfrosch in Kärnten oder die Frage, ob der norddeutsche gestreifte Feuersalamander einen besonderen Varietätennamen verdiene, wichtiger erschien als ein Wahl- sieg der Christlichsozialen oder die Aufführung eines Dramas von Gerhart Hauptmann im Burgtheater, — in jener Phase fühlte ich mich mit meiner Tätigkeit durchaus unbefriedigt. Der Drang nach gemeinnütziger Betätigung war, wenn auch unklar, lebendig in mir. Ich beneidete den Arzt, den Techniker, ja den Priester, weil ich seinem Beruf einen Nützlichkeitswert zuerkannte, den ich dem meinigen inner- lich absprechen mußte. Lebhaftestes Interesse für die Fortpflanzung der Geburtshelferkröte konnte mich nicht dem betrübenden Gedanken verschließen, daß ihre minutiöse Erforschung zum Wohle der Gesamt- heit keinen Beitrag liefern könne.
Nun aber wieder die „Welträtsel" : Zu deren intensiven Kultur- wirkungen (unbesehen, ob sie in positivem oder negativem Sinne ge- wertet werden mögen), zu deren übermächtiger Beeinflussung der Denkentwicklung hatten doch Spezialarbeiten , Haeckels klassische Monographien, Unendliches beigesteuert, waren die Strahltierchen, Röhrenquallen und Schwämme ebenso viele Bausteine gewesen ! Und was bei Haeckel nicht bodenständig war, was der Darwinismus in ihn hineingetragen hatte, um sein Prophetentum erst richtig zu vollenden, das war ebenfalls auf der Mosaikarbeit eines gewissenhaften Tatsachen- sammlers emporgewachsen, war zum Weltall umspannenden Wunder- bau gediehen auf dem Boden rastloser Kasuistik und Beobachtungs- technik, wofür Darwin selber seinen Zeitgenossen und Nachfolgern, Anhängern und Gegnern als fast unerreichbares Muster gilt. Also mußte der Naturforscher, mit seinen Originalarbeiten beschäftigt, doch nicht notwendigerweise ein unnützer Schmarotzer der menschlichen Gesellschaft sein ! Nun erst gewann ich meine Wissenschaft und nicht zuletzt darin meinen Haeckel lieb, — nun erst war die Gefahr des Verbummeins aus Mangel an Freude (an Überzeugung, fruchtbar tätig
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zu sein) endgültig vorüber. Ohne Leiden und Zweifel durfte ich meine volle Kraft dem Gebiete widmen, dem angeborene Neigung mich zu- gewiesen hatte.
Ein berechtigter Gemeinplatz fordert, die Gebildeten, namentlich die Gemeinde der Hochschulen, seien die berufenen Führer des Volkes, und Ostwald sagt in seiner Begrüßung zu Haeckels 79. Geburts- tag1): Man habe heute kaum noch eine Vorstellung davon, was ein Universitätsprofessor als Haupt seiner Nation bedeuten könne. Der Anspruch ist aber nur erfüllbar, wenn einerseits der Spezialforscher sich nicht den öffentlichen Interessen verschließt, anderseits die maß- gebenden Stellen der öffentlichen Verwaltung ihn nicht in seine Schran- ken verweisen. Macht etwa der Unterrichtsminister von einem Ge- lehrten, aber Nicht-Juristen, der seine Ansicht über gesetzliche Be- stimmungen des Schulwesens äußert, keinen Gebrauch mehr, so wird die Mehrzahl der Kollegen sich fürderhin nicht nur vor gleicher „Über- tretung" hüten, sondern im Wiederholungsfalle von derselben oder anderer Seite sofort die Anklage wegen „tendenziöser Wissenschaft" erheben. Die Reaktion setzt sich dann derart selbst in den hellsten und freiesten Geistern fest, daß es mit jeglicher Führerschaft vorbei ist. Es heißt dann wieder in Regierungskreisen, die Hochschulen seien nicht einmal fähig, sich selber (autonom) zu verwalten; man müsse ihnen mit geschulten Verwaltungsbeamten behufs Führung, recte Ver- gewaltigung der Amtsgeschäfte zu „Hilfe" kommen.
Für derartiges noch ein persönliches Erlebnis zum Exempel: Als meine Broschüre „Sind wir Sklaven der Vergangenheit oder Werk- meister der Zukunft ?" erschien, sagte mir ein sehr bedeutender Biologe nach gewissenhafter Lektüre folgendes: „Ihre Schrift zerfällt in zwei inkongruente Abschnitte, im ersten besprechen Sie Ihre Experimente über Vererbung erworbener Eigenschaften, — daran ist nichts auszu- setzen. Im zweiten ziehen Sie aus Ihren wissenschaftlichen Unter- suchungen politische Konsequenzen, ohne daß zwischen diesen und jenen irgendwelcher Zusammenhang ersichtlich ist. Wenn Sie durch- aus politisch tätig sein wollen, warum setzen Sie sich nicht für die Kanalisierung des Wiener Praters ein oder dergleichen?"
Der Krebsschaden liegt darin, daß die besten Köpfe überall be-
x) Monistisches Jahrhundert II Nr. 22, Februar 191 3. 12
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stehende Zusammenhänge einfach nicht zu sehen vermögen, daß sie blind sind dafür. Daß sie, auch wenn sie hinlänglich gewissensfrei sind, nicht mehr einsehen können, wie doch jedermann öffentliche Dinge nur von seinem Gebiet aus bearbeiten sollte, wo er etwas ver- steht, — nicht aber eine Staatswissenschaft und Parteipolitik begün- stigen, die losgelöst ist von jeder anderen Wissenschaft, so gut wie jede Wissenschaft von ihr, und wovon er nichts und niemand etwas versteht! Die „Kanalisierung des Praters" gehörte auch nicht ins Ressort des „Politikers an sich", sondern in das des Hygienikers, der aber nun wiederum „parteiische Wissenschaft" betreibt, wenn er sich damit befaßt. Warum will niemand von „wissenschaftlicher Partei- politik" hören?
Was hier vom Gemeinwesen gilt, zu dessen Gedeihen jedes Gebiet des Wissens und Könnens seinen (und nicht einen fremden) Teil beitragen muß, das soll auch für die Philosophie gesagt sein, die doch ebenfalls ein Sammelgebiet der Erkenntnis darstellt. Nur hat die Wissenschaft dort (in staatlichen, politischen Angelegenheiten) ab- zuliefern, was von ihren Errungenschaften praktisch verwertbar ist; hier (in der Welt Weisheit) beizutragen, was an Detailkenntnissen sich zur allgemeinsten Erkenntnis sublimieren läßt. An dieser Synthese mitzuarbeiten, darf dort schwerlich dem Zunftpolitiker, hier keines- falls dem Zunftphilosophen allein überlassen bleiben. Dieser wie jener ist eine Null ohne die Darbietungen der Spezialarbeiter, gleichwie ein Herrscher nichts ist ohne sein Volk, das er beherrscht.
Es sei denn, man stellte sich auf den von abstrakten Philosophen nicht selten vertretenen Standpunkt, die einzelne Wissenschaft wie auch die Vereinigung aller einzelnen Wissenschaften befinde sich nicht in der Lage, eine Weltanschauung zu errichten, sondern höchstens — nach feiner Unterscheidung des Physikers Einstein, des Mathe- matikers Bolzano — ein Weltbild, eine Naturanschauung. Ich bekenne, daß ich mich hier nicht mehr kompetent fühle. Der Dualismus zwischen Welt und Natur, ja Anschauung und Bild ist meinem Verstehen nicht zugänglich. Ich bemühte mich bisher, die praktische, sozusagen eubiotische Wirkung der „Welträtsel" anzugeben; ich habe am Beispiel einer Person (nur deshalb meiner selbst, weil ich mich notwendig am besten kenne) die Erhöhung der Lebensfreude und be- wußt gestaltenden Lebensfähigkeit beschrieben, die wohl für den Ein-
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druck jenes lebensprühenden, lebensspendenden, idealistischen Werkes auf seine Leser kennzeichnend ist.
Soll ich nun noch ein vervollständigendes, abschließendes Wort sagen über seinen vielbestrittenen philosophischen Wert, so muß ich gestehen, daß die Philosophie jener wirklichen und schulgerechten Philosophen, die den „Welträtseln" jeden Wert absprechen, mir trotz redlichen Bemühens verschlossen blieb. So muß ich folgerichtig mich des Urteils darüber bescheidentlich enthalten.
Nur rein logisch läßt sich ableiten, daß die Behauptung, mit Wissen- schaft käme man zu keiner Weltanschauung, zu keiner Philosophie, umkehrbar ist: die Bildung einer Weltanschauung, eines philosophi- schen Systems, kann dann mit Wissen nichts zu tun haben, kann keine Wissenschaft sein. Die Philosophie begibt sich damit des An- spruchs, noch länger als Wissenschaft anerkannt zu werden. Das soll nicht in abfälligem Sinne, sondern ganz nüchtern als strenge logische Folgerung gemeint sein: die Philosophie mag dann alles mögliche andere Schöne sein — Glaube n, Religion, Dogma, Kunst — , was man will, nur eben nicht Wissenschaft, -wenn sie sich selbst von ihr lossagt. Kehren wir nochmals zu dem gesprächsweise geäußerten Gedanken eines berufenen Philosophen zurück, den wir eingangs zitierten und wonach die „Welträtsel" nötig waren, um sich in ihrer Qualifizierung als Philosophie ad absurdum zu führen, — so dürfen wir jetzt zum guten Schlüsse in voller Unvoreingenommenheit aussagen: die „Welträtsel" haben ihrerseits die schulgemäß anerkannte Philosophie in ihrer Cha- rakterisierung als Wissenschaft ad absurdum geführt. Gibt es über- haupt eine wissenschaftliche Philosophie (welchen Titel die scho- lastische und scholarchische Philosophie verschmäht), so ist es die undogmatische, nicht „weltliche", sondern nur „natürliche" Philo- sophie der „Welträtsel"!
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JACQUES LOEB, NEW YORK
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Der Verfasser dieser Zeilen begrüßt es dankbar, daß ihm Gelegen- heit gegeben wird, dem verehrten Vorkämpfer für Gedanken- freiheit seine ergebensten Glückwünsche zum 80. Geburtstag aus- drücken zu dürfen.
Als Gymnasiast wurde er mit Haeckels Schriften bekannt. Die- selben bestärkten in ihm Vorstellungen, welche schon früher die Lektüre von Büchners „Kraft und Stoff" sowie die Einleitung zu Schleidens Botanik in ihm angeregt hatten. In seiner Vaterstadt, einem kleinen Orte auf dem linken Rheinufer, hatte der Verfasser genügende Gelegenheit, die Intoleranz eines kirchlichen Regimes kennen zu lernen. Das begeisterte Eintreten Haeckels für Gedanken- freiheit fiel daher bei ihm auf fruchtbaren Boden, und noch heute klingt ihm ein Vers aus einer polemischen Schrift Haeckels im Kopfe :
Wer die Wahrheit kennt
Und sagt sie frei, Der kommt in Berlin
Auf die Hausvogtei.
Das trifft zwar heute nicht mehr buchstäblich zu, aber die Aus- schließung von Professuren oder amtlichen Stellen im allgemeinen, der gesellschaftliche und womöglich ökonomische Ostrazismus, die dem aktiven Freidenker zuteil werden, sind auch eine Art Hausvogtei.
Der Schreiber dieser Zeilen bedauert es, daß ihm jahrelang nicht vergönnt war, an der Seite Haeckels zu kämpfen. Das Bestreben, die allgemeinen Lebenserscheinungen von rein physikalisch-chemischen Gesichtspunkten zu analysieren, zog dem Verfasser systematische An- griffe nicht nur von Seiten der Reaktionäre zu, sondern auch von Seiten vieler Darwinisten, welche in dem Wahn befangen waren, daß die rein spekulative und deskriptive Richtung der Biologie für alle Zeiten die allein maßgebende Forschungsrichtung bleiben müsse. Haeckel hatte an dieser Sachlage keinen Anteil.
In die Kreise der Monisten wurde ich gezogen, als Wilhelm Ostwald mich einlud, einen der öffentlichen Vorträge bei der Tagung des Mo- nistenbundes in Hamburg zu übernehmen. Ich drückte ihm damals meinen Zweifel aus, ob ich willkommen sein würde. Die Freundlich- H3SSS331iaS51S!llE!SS^S§iSElSSlS3SS3E]SiSSSE]SSaE]SSiS3SSi3^@S!E!a31IS
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keit, mit der ich in Hamburg auch von den intimsten Anhängern Haeckels aufgenommen wurde, wird mir unvergeßlich bleiben. Ein freundlicher Brief Haeckels ist mir ein schönes Andenken an die Hamburger Tage.
Wir Monisten lehnen den Gedanken an Unsterblichkeit ab, und es ist für uns auch eine Inkonsequenz, von der Unsterblichkeit der Lei- stungen oder Bestrebungen eines Individuums zu reden. Aber wir dürfen dankbar und mit Ehrfurcht derjenigen gedenken, die uns Ideale, d. h. humanitäre Ziele, gegeben haben. Unsere Glückwünsche an Haeckel kommen deshalb aus vollem Herzen.
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CARL RIESS, HAMBURG
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Aus der Schule kam ich, wie wohl jeder deutsche Junge meiner Generation, ohne jede Kenntnis des tatsächlichen Lebens, seiner sozialen und wissenschaftlichen Verhältnisse, dafür aber vollgepfropft mit einem Wissen vergangener Zeiten, das uns ohne jeden inneren Zusammenhang, ohne jeden Hinweis auf die Gegenwart oder gar die Zukunft eingetrichtert worden war. — Ich wollte als Hamburger Junge Kaufmann werden, trat in eine kaufmännische Lehre und bin Kauf- mann geworden. Ich habe diese Berufswahl nie bereut, denn ich halte den modernen Kaufmann, der die Verpflichtungen seines Berufes mit Ernst erfaßt, die Probleme des drängenden Lebens um ihn mit offenem Auge und frischem Geist betrachtet, für einen der wichtig- sten Kulturträger unserer Zeit.
Aber nicht davon will ich sprechen. Was mir Ernst Haeckel in meiner persönlichen Lebensentwicklung war, möchte ich erzählen. Von dem grüblerischen thüringischen Vater her mit philosophischen Interessen erfüllt — die praktischer denkende Hamburger Mutter brachte mir andere Eigenschaften — , war ich bald in einen Kreis junger Leute gekommen, die sich die Lösung der tiefsten Probleme der Menschheit zur Aufgabe gemacht hatten. Die Heilswahrheiten der christlichen Offenbarung, die man uns unsere ganze Schulzeit hindurch gelehrt hatte, waren für uns alle im Leben draußen gar bald verloren gegangen. Wir hatten alle erkennen müssen, daß andere Kräfte und Voraussetzungen das wirkliche Leben beherrschen. Unser christliches Weltbild war unter dem Andrang des Lebens zusammen- gestürzt, und wir bemühten uns nun, uns ein neues zu formen. Es waren köstliche Stunden, die ich in diesem Kreise verlebt habe. Sie sind heute in alle Weltgegenden zerstreut, meine Freunde von damals, aber sie sind alle, bis auf einen, freie und fortschrittlich denkende Männer geblieben; dieser eine fand den Weg zum Verband zur Be- kämpfung der Sozialdemokratie.
In einem stillen Cafe, (es gab damals noch stille Cafes in Hamburg) kamen wir oft zusammen, um unsere Ideen auszutauschen, und dem Zuge der Zeit folgend waren wir bald mitten in der damals ihre höch- sten Triumphe feiernden spiritistischen Bewegung. Einige von uns
2 Haeckel-Festschrift. Bd. II
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waren Mitglieder einer spiritistischen Vereinigung und erzählten den Hellaufhorchenden von den Taten der Geister: Tischrücken, Blumen- apporte (das Blumenmedium Anna Rothe arbeitete damals noch un- entlarvt), Materialisationen usw. Wir waren überzeugt, auf dem rich- tigen Wege der Lösung der Welträtsel zu sein. Gleichzeitig ging eine Hochwoge der theosophischen Bewegung über Deutschland. Hübbe- Schleiden gab seine „Sphinx" heraus, Hartmanns „Lotosblüten" waren unsere Lektüre, die Blavatzky und Anna Besant unsere Prophe- tinnen. Im Laufe der Zeit nahmen unsere Zusammenkünfte festere Formen an, wir schlössen uns zu einer kleinen „Philosophischen Ge- sellschaft" zusammen, und unter dem Vorsitz eines Arztes, der sich noch heute bemüht, die Grenzen menschlichen Wissens durch meta- physische Spekulationen zu erweitern, suchten wir in die Tiefen theo- sophischer Weltweisheit einzudringen. Aus diesem Kreise wurde ich dann durch meine Übersiedelung nach Paris herausgerissen. — Ich habe mich absichtlich etwas länger bei dieser Schilderung meiner philosophischen Erstlingsschritte aufgehalten, weil sie mir heute symptomatisch erscheinen. Hätte man uns in der Schule, anstatt uns mit allen Mitteln in den Ideenkreis einer überlebten jüdisch- christlichen Vorstellungswelt einzuführen, eine moderne, auf Natur- wissenschaft und Soziologie begründete Staatsbürgererziehung an- gedeihen lassen, dieser ganze Ausflug in die mystische Verworren- heit spiritistisch-theosophischer Spekulationen wäre unmöglich ge- wesen. Daher halte ich die Einführung einer modernen, auf den Naturwissenschaften basierten, reinweltlichen Schulbildung für eine der wichtigsten Vorbedingungen freiheitlichen Kulturfortschritts.
Da ich in Paris geschäftlich sehr in Anspruch genommen war, so verblaßten meine philosophischen und metaphysischen Interessen, und ich kehrte nach einigen Jahren ziemlich neutral in allen Dingen der Weltanschauung nach Hamburg zurück. Sobald ich mich aber wieder in die Hamburger Verhältnisse eingelebt und meine geschäft- liche Position gesichert hatte, kamen die alten Jugendinteressen wie- der zum Vorschein. Ich hatte mich inzwischen — nicht zuletzt an- geregt durch die gewaltigen Fortschritte der Technik — mit den Naturwissenschaften beschäftigt, und so war es nur selbstverständlich, daß ich damals auf die aufblühende naturwissenschaftliche Bewegung aufmerksam wurde. Ich fing an, mich mehr und mehr mit den in gggG]gggggggggggggggggE]gE]ggE]gE]G]B]E]E]E]EiB]S]B]G]E]E]S]gE]E]E]E]E]E]E]E]gj
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öffentlichen Vorträgen und Diskussionen aufgeworfenen Fragen der Entwicklungslehre und des Menschenproblems zu beschäftigen. Ich las Darwin und nahm eines Sommers Haeckels „Welträtsel" mit auf die Urlaubsreise an die stillen Gestade der holsteinischen Binnenseen. Und in der Lektüre dieses Buches fand ich eine Antwort auf die Fra- gen, die mich immer wieder beschäftigt hatten, hier waren alle die einzelnen Ergebnisse menschlichen Wissens von Natur und Leben zu einem großen einheitlichen Weltbild zusammengefaßt. Nie in meinem Leben hatte mich die Lektüre eines Buches so gepackt wie diese. Hier sah ich den Weg zu einer neuen Stellung des Menschen in der Natur und zu seiner sozialen Umgebung. Mein ganzes Leben bekam einen neuen Inhalt. Die Lektüre der „Welträtsel" regte mich an, mich weiter in die einzelnen Gebiete menschlichen Forschens zu vertiefen, meine Welt- und Lebensanschauung immer fester in den Natur- wissenschaften zu verankern. Neue Lebenskraft und -freude ist in mir erstanden. Die von Ernst Haeckel fundierte, von seinen Schülern und Freunden, ja von allen freiheitlichen Forschern ausgebaute moni- stische Welt- und Lebensanschauung, zu der ich mich nun freudig be- kannte, brachte mir einen neuen Menschenstolz, eine neugeartete Arbeitsfreudigkeit, unablässig mitzuwirken für die Befreiung und den Fortschritt der Menschheit.
So bedeutet die Bekanntschaft mit Ernst Haeckels ,, Welträtseln" meine eigentliche Menschwerdung, und die fundamentale Wirkung dieses Buches in meinem Leben hat auch bis heute noch keine Ab- schwächung erfahren. Wenn auch meine monistischen Anschauungen sich im Laufe der Jahre durch Beschäftigung mit naturwissenschaft- lichen und philosophischen Fragen — nicht zuletzt angeregt durch Wilhelm Ostwald — vertieft und erweitert haben, die Grundlage meiner Anschauungen ist doch der große einheitliche Wurf der „Welt- rätsel" geblieben. Und daran hat auch alle Kritik der „Welträtsel" nichts ändern können, die niemals den großen einheitlichen Gedanken zerstören konnte. Sie hat sich mit dieser oder jener, vielleicht von Haeckel selbst in seinem Schöpferrausch (er hat uns einmal selbst erzählt, wie die „Welträtsel" entstanden) nicht mit letzter Schärfe aus- gesprochenen Einzelheit beschäftigt oder aus vorgefaßter Meinung das ganze Buch verworfen. Alle ernsthafte wissenschaftliche Kritik aber hat den Bau noch immer in seinen großen Zügen bestätigen müssen.
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Bei dieser Entwicklung meines Geisteslebens ist es nur selbst- verständlich, daß ich der im Januar 1906 von Ernst Haeckel und seinen Freunden erfolgten Gründung des Deutschen Monistenbundes freudig zustimmte und Mitglied dieser Vereinigung wurde. Ich habe dann später die Hamburger Ortsgruppe mit gründen helfen, und es gehört zu einer meiner schönsten Lebensfreuden, daß ich, getragen von dem Vertrauen der Hamburger Monisten, für meinen Teil an der guten Entwicklung der Hamburger Ortsgruppe und der Bedeutung, die sie sich für die gesamte monistische Bewegung erworben hat, habe beitragen können. Reiche Freude und großes Glück brachte mir meine Arbeit für den Monismus, durch sie habe ich die persön- liche Bekanntschaft, ja Freundschaft vieler trefflicher Männer und Frauen gewonnen, sie hat meine eigene Entwicklung gefördert und vertieft.
Während meiner Tätigkeit für den Bund habe ich dann auch die Freude gehabt, Ernst Haeckel persönlich kennen zu lernen. Zuerst im Jahre 1907, als er die erste Delegiertenversammlung des Deut- schen Monistenbundes in Jena begrüßte. Und die hohe Verehrung, die ich für Ernst Haeckel bereits nach der Lektüre seiner Schriften empfand, hat sich von diesem Augenblick an nur noch gesteigert. Der Zauber seiner liebenswürdigen, lebensfrohen und kampfesmutigen Persönlichkeit muß jeden Menschen mit Sympathie für diesen un- erschrockenen Forscher erfüllen, und es gehört wahrlich der ganze fanatische Haß seiner klerikalen Gegner dazu, um das entstellte Bild zu ermöglichen, das von dieser Seite so oft von dieser edlen Männer- gestalt gegeben worden ist. So oft ich Haeckel auch später wieder sah, immer war er der gleich liebenswürdige, kampfesfrohe, am frei- heitlichen Fortschritt der Menschheit interessierte Mann, und niemals werde ich vergessen, mit welcher Milde und welch gütigem Verstehen er von den Angriffen und Beschimpfungen seiner Gegner sprach. — Mein letzter Besuch bei Ernst Haeckel war im November des verf lossnen Jahres. Ich war mit Wilhelm Ostwald zu ihm gegangen, um die Einzel- heiten des Ernst Haeckel-Schatz für Monismus mit ihm zu besprechen. Diese Zusammenkunft unserer beiden Führer, der ich so als beobach- tender Dritter beiwohnte, ihr angeregtes Gespräch über die neuesten Probleme wissenschaftlicher Forschung wird mir unvergeßlich bleiben, und das Bild dieser beiden herrlichen Männer, sich in Haeckels Arbeits-
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So hat Ernst Haeckel und sein Werk auf mein Leben eingewirkt, und ich weiß, daß es vielen, vielen Tausenden ähnlich ergangen ist wie mir. Mögen sie alle nie vergessen, was sie dem immer noch jugend- frohen Kämpfer von Jena zu verdanken haben und stets bereit sein, ihre Schuld ihm gegenüber abzutragen, indem sie mitarbeiten an sei- nem Lebenswerk: der geistigen und sozialen Befreiung der Menschheit.
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FRIEDRICH LIPSIUS, LEIPZIG
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Wann ich mit Ernst Haeckel bekannt geworden bin, ist mir als geborenem Jenenser zu sagen nicht möglich. Wie die Persönlich- keit des berühmten Forschers schon dem Kinde vertraut war, so hatte auch der Schüler wenigstens eine ungefähre Ahnung von dem, was Haeckel lehrte und wollte. Von meinem Vater, dessen Theologie Wissen und Glauben auf kantischer Grundlage miteinander zu ver- söhnen suchte, und der mit dem naturwissenschaftlichen Kollegen auf freundschaftlichem Fuße verkehrte, habe ich nie ein spöttisches Wort über die ,, Affenabstammung" des Menschen oder gar ein abfälliges Urteil über Haeckels „Atheismus" gehört. Mir ist es, seit- dem ich überhaupt über Weltanschauungsfragen nachzudenken be- gann, immer selbstverständlich gewesen, daß alles in der Welt „natür- lich" zugehe. Der schmerzliche Bruch mit religiösen Jugendein- drücken, der Zwiespalt zwischen orthodoxer Erziehung und eigenen Zweifeln, ist mir erspart geblieben. Ich habe mich, dank dem geistigen Klima, in dem ich aufwuchs, schrittweise und stetig entwickelt, und selbst die Tatsache, daß ich mich am Ende von den theologischen Voraussetzungen gänzlich losgelöst hatte, ist mir erst durch den Widerspruch, den ich erfuhr, zum Bewußtsein gekommen.
So begreift es sich, daß mir Haeckel nicht als der Befreier ent- gegentreten konnte, der er ohne Zweifel vielen geworden ist. Ich war mit der Theologie innerlich fertig, war bereits durch das Studium der Wundtschen Philosophie hindurchgegangen, und die Richtung meines Denkens stand in der Hauptsache fest, als Haeckel auf mich zu wirken begann. Nicht in erster Linie durch seine Schriften — obwohl ich damals auch mit vielem Vergnügen die „Natürliche Schöpfungsgeschichte" las — sondern als Lehrer und Mensch. Es waren Stunden, die mir zeitlebens unvergeßlich bleiben werden, in denen ich als beurlaubter Privatdozent noch einmal zwischen den Studenten saß und im Jenaer Zoologischen Institut bei Haeckel „Entwicklungsgeschichte" hörte. Schon die Stimmung des Raumes nahm sofort gefangen. Die an der Wand hängende große Tafel mit der „Progonotaxis hominis" zeigte, in welchem Geiste hier Naturwissenschaft getrieben werde. Sie verriet, daß auf dem Ka-
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theder dieses Hörsaales kein trockener Tatsachenmensch, der aus lauter wissenschaftlicher Gewissenhaftigkeit über das Wichtigste nichts zu sagen wagt, stehe, sondern ein kühner Bahnbrecher und Wahrheitssucher, der da weiß, daß die Forschung den Mut des Irr- tums haben muß, wenn sie vorwärts schreiten will.
Mancher Koryphäe der Wissenschaft hat seine ehrfurchts- und erwartungsvolle Zuhörerschaft im Kolleg enttäuscht — man denke an Helmholtz, dessen Auditorium sich oft ebenso verzweifelt wie vergebens bemüht haben soll, den verwickelten Rechnungen des großen Gelehrten zu folgen. Haeckels Vortrag war durch die ge- schickte Auswahl und Verwertung des Stoffes immer gleich ver- ständlich und gleich fesselnd. Wie man nach jeder Stunde seinen geistigen Besitz bereichert sah, so machte die Lebhaftigkeit der Darstellung das Hören zu einem wirklichen Genuß. In den von ihm persönlich geleiteten Übungen konnte sich nicht nur Haeckels außerordentliche Lehrgabe, sondern auch seine menschliche Liebens- würdigkeit entfalten. Von Platz zu Platz gehend überzeugte er sich, ob jeder Teilnehmer im Besitz eines brauchbaren Präparates sei und hielt es, im Gegensatz zu manchem seiner Berufsgenossen, die solch untergeordnete Tätigkeit ihren Assistenten überlassen, nicht für unter seiner Würde, hier ein Mikroskop richtig einzustellen, dort die entworfene Skizze zu verbessern.
Oftmals habe ich, als sich jetzt dem staunenden Auge die Wunder- welt des Lebens erschloß, es bedauert, nicht von vornherein an der Hand der Naturwissenschaft den Weg zur Erkenntnis gesucht zu haben. Denn Haeckel ist mir der Führer geworden in das ,, fruchtbare Bathos der Erfahrung", seinem Unterrichte danke ich die Einsicht in den unersetzbaren Wert der unmittelbaren sinnlichen Anschauung, die der Vertreter der Geisteswissenschaften über der bloßen Buchgelehr- samkeit und dem endlosen Abhören fremder Meinungen über die Dinge so leicht vergißt. Ich kann Haeckel nicht ganz darin bei- pflichten, daß eigentlich alle Philosophie Naturphilosophie sei, aber ich wüßte nicht, wie der Philosoph seiner Aufgabe, eine Gesamt- weltanschauung zu erarbeiten, gerecht werden soll, wenn er sich nicht mit den Ergebnissen der Naturforschung vertraut macht. Und diese Ergebnisse selbst lassen sich nicht ohne weiteres wie reife Früchte vom Baume brechen; um sie würdigen, ja auch nur, um B]5|E]ggg§ggggggggggggggggggg^gE]E]E]B]E]gE3E]E]B]EiE]E]G]G]E]E]E]G3E]E]E]B]E3
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sie verstehen zu können, muß man bei den Einzelvvissenschaften in die Schule gegangen sein. „Rein philosophische" Disziplinen gibt es meiner Meinung nach überhaupt nicht ; wie sich der Naturphilosoph auf Physik und Biologie stützen muß, so ist dem Ethiker und Re- ligionsphilosophen die Psychologie, insbesondere die Völkerpsycho- logie unentbehrlich. Und selbst die scheinbar so abstrakten Gebiete der Logik und Erkenntnislehre müssen veröden, wenn sie die Ver- bindung mit dem wirklichen Denken und Erkennen preisgeben und die Rücksicht auf die wissenschaftlichen, vor allem die exakten Methoden außer acht lassen. Das ist übrigens auch genau die Mei- nung Wundts, der die alten philosophischen Zweifel an der Realität der Außenwelt durch den Hinweis auf das Verfahren der Natur- forschung außer Kraft setzt. Verliert doch sie, bei aller Kritik am sinnlichen Eindruck, den Boden einer gegenständlichen Wirklichkeit niemals unter den Füßen!
Aber genügt es denn — so wird mir vielleicht der verehrte Jenaer Meister einwenden — daß die Philosophie die Resultate der Forschung nachträglich zusammenarbeitet? Kann und muß sie nicht zeigen, daß die Wissenschaft, ja die Wirklichkeit selbst im Grunde nur eine einzige ist? Was hilft es beispielsweise, experimentelle Methoden auf die Psychologie anzuwenden, wenn doch zuletzt Anatomie und Physiologie dem Gespenst der immateriellen Seele weichen müssen? Nun will ich gern einräumen, daß es immer noch Vertreter der von Haeckel so genannten „introspektiven" Seelenlehre gibt, die im alten kartesianischen Irrtum befangen sind. An und für sich aber ist die dualistische Metaphysik durchaus nicht die notwendige Konsequenz der „parallelistischen" Arbeitshypothese, die vielmehr die Zweisub- stanzentheorie und den „influxus physicus" gerade ausschließt! Wir können, ohne die Einheitlichkeit des psycho-physischen Organismus irgendwie in Frage zu stellen, unsere inneren Erlebnisse einmal in ihrem unmittelbaren Gegebensein und in ihrem eigenen Zusammen- hange auffassen und das andere Mal den äußeren Ausdrucksformen der seelischen Vorgänge, die uns als Prozesse in der Großhirnrinde gegeben sind, nachgehen.
Ich glaube nicht, daß sich diese beiden Betrachtungsweisen gegenseitig stören können, ich glaube aber auch nicht, daß eine von ihnen entbehrlich ist. Der Unterschied in der Art, wie das Ich gsggggggg]ggggggggggggggggggE]E]E]E35iE]E]E]EiEiB]E]B]E;B]B]E]E]E]E]E]B]G]B]E]
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sich selbst erlebt, und wie es auf fremde Sinne wirkt, also einem anderen Ich „erscheint", wird sich niemals beseitigen lassen. Aber es wäre sicherlich verfehlt, hieraus auf eine fundamentale Zwie- spältigkeit im Sein zu schließen. In dieser Grundüberzeugung weiß ich mich durchaus mit Haeckel einig; ja ich gehe sogar noch einen Schritt weiter als er: Ich betrachte Kraft und Stoff nicht nur als untrennbar zusammengehörig, mir scheint es ausreichend, die Welt lediglich als eine Unendlichkeit tätiger und strebender Kräfte zu denken. „Im Anfang war die Tat!"
Daß bei der Ausgestaltung eines vom Kraftbegriff aus entwor- fenen Weltbildes dem Entwicklungsgedanken die beherrschende Rolle wird zufallen müssen, liegt auf der Hand. Ruhe ist nur als vorüber- gehender Gleichgewichtszustand der Kräfte begreiflich, die Welt ist nur, sofern sie wird. Es wird Ernst Haeckels unvergänglicher, durch keine Kritik antastbarer Ruhm bleiben, der Entwicklungslehre in Deutschland die Bahn gebrochen zu haben. Ob ihr in der Gestalt, die Darwin ihr gegeben, oder in irgendeiner anderen die Zukunft gehört, ist dabei eine nebensächliche Frage. Soviel steht fest : Sie beginnt heute vom Boden der Biologie, auf dem sie erwachsen ist, hinüberzugreifen auf das Gebiet der Physik und der Chemie. Die Erscheinungen der Radioaktivität haben uns gezeigt, daß auch die Elemente der an- organischen Natur nicht von vornherein fertige Gebilde, sondern Pro- dukte einer über Jahrmillionen sich erstreckenden Entwicklung sind.
Haeckel hat seinen „Monismus" als „Band zwischen Religion und Wissenschaft" bezeichnet. Es liegt deshalb die Frage nahe, ob der Entwicklungsgedanke Gefühle auslösen könne, die imstande wären, die Stimmungswerte älterer Religionsbildungen zu ersetzen? Hier- gegen erheben sich aber gewisse Bedenken. Wird das Entwicklungs- prinzip auf das Universum selbst angewandt, so nötigen uns die an das Entropiegesetz geknüpften Folgerungen, die Welt nicht so- wohl in aufsteigender, als in absteigender Richtung fortschreitend zu denken. Außerdem führt die Lehre vom „Kältetod" des Univer- sums zur Idee eines zeitlichen Endes und folglich eines ebensolchen Anfanges des kosmischen Geschehens, also zu Gedanken, die in den Rahmen einer immanenten Religiosität schlecht hineinpassen.
Aber wie es sich auch mit der universellen Tragweite des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik verhalten mag — die Teilsysteme
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des Weltganzen sind jedenfalls für unmeßbar lange Zeiträume einem beständigen Auf-und-Nieder, einem fortwährenden Kreislauf des Ge- schehens — sagen wir mit Arrhenius zwischen Sonnen- und Nebel- fleckenstadium — unterworfen. Wir haben es also mit einer großen Zahl aneinandergereihter, aber in sich zusammenhangsloser Evolu- tionen zu tun. Auch auf unserem Planeten sind zahlreiche organische Entwicklungsreihen zum Stillstand gekommen oder von der Natur abgebrochen worden, und ebenso ist die Geschichte der Kultur- menschheit weder als stetig, noch als unendlich zu denken.
Das eröffnet Perspektiven, die für unser menschliches Schaffen, für die Zukunft unserer ethischen und kulturellen Arbeit verhängnis- voll erscheinen. Wir brauchen aber, um ihrer lähmenden Wirkung zu entgehen, weder ein Jenseits zu erträumen, noch uns Nietzsches phantastische Lehre von der Wiederkehr aller Dinge zu eigen zu machen. Uns muß genügen, was die Erfahrung lehrt: Wie die Grund- gesetze des Alls unwandelbar die nämlichen bleiben, so setzen sich auch bei aller Individualisierung im einzelnen die gleichen Grund- typen der Wirklichkeit in Natur- und Geisteswelt offenbar immer wieder durch. Haeckels geniale „Promorphologie" der Organismen hat diesem Gedanken einen mehr mathematischen Ausdruck gegeben. Er findet seine Bestätigung ferner an der Existenz analoger, d. h. entwicklungsgeschichtlich nicht verbundener, aber physiologisch gleichwertiger Organe, wie auch an der Tatsache, daß es zuletzt nur einige wenige Hauptschemata sind, nach denen sich der Aufstieg des Lebens vollzieht. Er liegt endlich im weitesten Sinne auch dem Glauben zugrunde, daß, wo nur immer im Weltall die Bedingungen hierzu gegeben sind, sich auch wieder ein, dem unseren ähnliches Geistesleben entwickeln werde. Diese religiös so überaus wichtige Idee unserer Zugehörigkeit zu einer Unendlichkeit der Geisteswelt ist also nicht, wie man gemeint hat, durch die Begrenztheit der ein- zelnen Entwicklungsreihen ad absurdum geführt. Vielmehr vermag sie in ihrer Erhabenheit wohl dem Gedanken der Vernichtung ein Gegengewicht zu bieten.
Müssen wir zugeben, daß der religiöse Wert des Entwicklungs- gedankens nur ein relativer ist, so finden wir den philosophischen Glauben an die „Ewigkeit des Geistes" in dem soeben entwickelten Sinne um so enger mit dem Postulat der Wesenseinheit alles Seins gggE]ggggggggggggggggggggggggggE]E]G]G]E]B]E]EjE]E]E]E]B]E]B]E]EjgE]B]E]G]
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verbunden. Immer und immer wieder hat die Menschheit — und das ist selbst ein Zeugnis für ihre intellektuell einheitliche Struktur — Propheten und Märtyrer dieses Glaubens hervorgebracht, in immer neuen Ansätzen die in ihm enthaltene Aufgabe zu lösen gesucht. Auch unser Haeckel ist gleichsam schon einmal über diese Erde gewandert und zwar in der Gestalt des alten griechischen Weisen Xenophanes, der Naturforscher, Philosoph und Theolog in einer Person gewesen ist. Von ihm berichtet Aristoteles: „Xenophanes erklärte, alles sei Eins, und auf das Weltall blickend sagte er, dies Eine sei Gott!" Xenophanes war es auch, der über Abdrücke von Fischen in den jungtertiären Schichten der syrakusanischen Stein- brüche tiefsinnige Reflexionen anstellte und zu der Überzeugung kam, daß alles Lebendige aus einem Urschlamm hervorgegangen sein müsse. Er endlich hat an den herrschenden religiösen Vorstellun- gen eine scharfe, seine Zeitgenossen oft verletzende Kritik geübt und zuerst den Satz aufgestellt, daß nicht der Mensch nach dem Bilde Gottes geschaffen sei, sondern umgekehrt die Menschen sich Götter nach ihrem Bilde schüfen. So ist es derselbe rücksichtslose, um alle Vorurteile unbekümmerte Wahrheitsmut, den wir bei dem antiken ebenso wie bei dem modernen Denker bewundern. Darum kann uns auch eine gewisse kleinlich-hämische Kritik an dem Kern von Haeckels Lebenswerk und Haeckels Persönlichkeit nicht irremachen. Mag er in seinen Aufstellungen hier geirrt haben und dort zuweit gegangen sein, — er hat uns gar manchen neuen und tiefen Blick hin- eintun lassen in die Schöpferwerkstatt des All-Einen, und
„Was kann der Mensch im Leben mehr gewinnen, Denn daß sich Gott-Natur ihm offenbare?"
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R. MEYER, BERLIN: WIE ZWEI HERRNHÜTER IN ROM HAECKEL KENNEN UND LIEBEN LERNTEN
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\\77ir lernten ihn kennen durch den Marschendichter H. Allmers aus W Rechtenfleth bei Bremen. Allmers und Haeckel waren seit 30 Jahren, seit einer gemeinsamen italienischen Reise Ende der fünfziger Jahre, Freunde. Als Haeckel seinen ältesten Sohn taufte, war auch Allmers als Pate(?) geladen. Er erschien nicht, da es ihm im hohen Grade inkonsequent däuchte, daß Haeckel diesen christlichen Brauch übe. Allmers sann darüber nach, durch welche Feier die christliche Taufe ersetzt werden könne; denn, obwohl Junggeselle, empfand er doch lebhaft die Notwendigkeit, den neuen Erdenbürger festlich in die Familie und in die Gemeinde der Menschensöhne aufzunehmen. So dichtete er für Haeckels Taufe die „Weihe eines jungen Erden- bürgers". Die symbolische Handlung, begleitet von festlich ernsten, festlich heiteren Versen gipfelt darin, daß ein Becher mit Wein dreimal an die Lippen des „Täuflings" geführt und ihm schließlich vom „Sprecher" über das Haupt gegossen wird. Das Gedicht, der erste Ansatz eines religionslosen Kultus, erschien zur Taufe zu spät; erregte aber später, als es in der Gartenlaube gedruckt wurde, erheb- liches Aufsehen.
Hatte so Allmers der Freundschaft mit Haeckel ein poetisches Denkmal errichtet, so umgekehrt Haeckel ein wissenschaftliches. Allmer's Nase war ein Unikum, fast ein Halbkreis. Ich habe eine ähn- liche nicht vorher, nicht nachher gesehen. Als nun Haeckel ein Tief- seetierchen entdeckte mit ähnlicher Ausbuchtung, gab er ihm in humorvoller Erinnerung an den Freund den Beinamen Allmerianum, was den Träger der Nase mit Stolz erfüllte. ,,So werde ich, wenn niemand mehr meine Gedichte liest, doch dem oder jenem Forscher als ein Freund Haeckels vor Augen treten."
Von all dem wußten wir nichts, mein Freund Nitschmann und ich, als wir Sonntag den 7. April 1889 in Rom beim Abendbrot saßen in der Trattoria degli artisti. Wir waren beide Herrnhutische Stu- denten der Theologie vom theologischen Seminar der Brüdergemeinde in Gnadenfeld (O.-Schlesien). Wir waren es mit innerer Liebe und kannten kein anderes Ziel, als in einer der stillen Brüdergemeinden
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unseren weitabgewandten Idealen zu leben. Wir waren außerdem blutarm. Aber wir hatten uns doch, von jäh erwachter Sehnsucht nach Italiens Gütern wie von einem Rausch erfaßt, aus der Enge unseres klösterlichen Lebens aufgemacht, um vier Wochen lang, vier köstliche Osterwochen, Rom zu erleben. Jeder Tag brachte Wunder, Wunder der Natur, der Kunst. Wir wandelten dahin wie Verzauberte. Unser Sprachschatz ward ins Superlative gesteigert, und doch wollte er nicht ausreichen, all das vollwertig auszudrücken, was uns be- glückte.
In solcher Verfassung also saßen wir an genanntem Tage in unse- rem Stammlokal. Vor uns ein Mann mit einer so singulären Nase — sie war uns schon angemeldet worden — , daß es nur Allmers sein konnte. Bald war eine lebhafte Unterhaltung im Gange; wir beglückt, einen lebendigen Dichter aus der Nähe zu sehen; er, der Menschen] äger, hocherfreut, eine ihm ganz neue Spezies von Menschen kennen gelernt zu haben: zwei „lebendige, kleine Herrnhuter". Das Glück war voll, als wir entdeckten, daß wir ein gemeinsames Quar- tier hätten, das Archäologische Institut auf dem Kapitol. Dorthin brachen wir dann um V29 au^ um an ^em > »offenen Abend" teil- zunehmen, den der Leiter des Instituts Professor Petersen etwa alle 14 Tage gab für die, die im Institut wohnten, und vor allem für die vielen namhaften Männer, die um diese Zeit Rom aufzusuchen pflegten. Im Institut angekommen, bat uns Allmers, einige Augen- blicke zu warten. Als wir dann eintraten, begegneten uns überall erstaunte, auch recht mitleidige Blicke. Wir waren froh, dem Kreuz- feuer der Augen entronnen, in irgendeiner stillen Ecke landen zu können. Da hörten wir erst, daß Allmers als unser Wegebereiter überall gesagt: „Achtung! Gleich kommen zwei Menschen, wie Sie sie noch nicht lebendig gesehen, zwei leibhaftige, kleine Herrnhuter. Denken Sie einmal, Herrnhuter hier in Rom!" Wir kamen uns so gewöhnlich, so selbstverständlich, auch so bescheiden gekleidet vor, daß wir wie erlöst aufatmeten, als die Tür sich öffnete, der Name Haeckel durch die Zimmer flog und uns wieder in unser beschei- denes Nichts versinken ließ.
Das war Haeckel! So sah der aus! Grauer Anzug, kurze Jacke, volles, leicht ergrautes Haar und Bart, die blauen Augen blitzend und lachend. Er entschuldigte sich bei der Dame des Hauses : „Neh-
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men Sie mich so, wie ich bin, grau in grau?" Alles Offizielle habe er in Deutschland zurückgelassen. Er fand freundlichsten Dispens. Nun suchte sein Blick im ersten Zimmer. Da standen einige Priester, und Haeckel suchte das nächste Zimmer zu gewinnen in lustigstem Streit mit einem Maler, der ihm als Mann der Wissenschaft den Vor- tritt lassen wollte, während Haeckel lebhaft den Satz verfocht, daß der Maler dem Gelehrten vorgehe; denn ersterer habe der Mensch- heit mehr gegeben. Mir schien doch, als ob Haeckel selbst nicht so recht daran glaubte. — Im Nachbarzimmer, wo man einen köstlichen römischen Landwein trank, sammelte sich bald ein fröhlicher Kreis um Haeckel. Er war der Mittelpunkt des Gesprächs, von ausgelassener Heiterkeit; eine Lachsalve nach der anderen klang verlockend in unser stilles, gemessenes Teezimmer herüber. Wir hatten das leb- hafteste Bedürfnis, in den Haeckelschen Kreis zu kommen; lösten drum höflich das Gespräch mit dem jungen katholischen Priester — mein Tagebuch nennt ihn Dr. Ehrhardt aus Bayern; ob es wohl der nachmals oft genannte Modernist war ? — schoben uns vorsichtig in das Nebenzimmer und standen nun im Bannkreis des Jenensers, den als Trabanten Freunde aller Lebenskreise und namentlich junge Gelehrte — Dr. Michels, der junge Petersen — umringten. Das also war der gefürchtete, der gehaßte, der glühend verehrte Mann. Unser erster Eindruck: Wie harmlos ist er, wie schlicht, wie natürlich; nichts von Pose, von Imponieren -Wollen; nur Mensch sein, ein lachen- der, strahlend, ansteckend fröhlicher. Die Unterhaltung fliegt zün- dend von Mann zu Mann, von Thema zu Thema; das Grundthema bleibt, naturgemäß an solchem Ort, doch eben das ewige Rom. Wir mischten uns nicht hinein; auch nicht, nachdem Allmers seine „bei- den lieben kleinen Herrnhuter" Haeckel vorgestellt hatte. Ein Hände- druck, damit sind wir zunächst für ihn erledigt und können vergnügt zu stillfröhlichem Hören zurückkehren. Sehr tiefgründig war das Gespräch naturgemäß nicht; dazu waren die Männer sich im ganzen zu fremd, die Ansichten zu verschieden. Bei Haeckel hin und wieder eine aggressive Note, so wollte es uns wenigstens scheinen. So fragte er im naivsten Ton, ob jemand die heilige Petronella von Guercino gesehen habe. Unten liege noch der entseelte Leib, oben erscheine schon in neuer Hülle die Seele vor Christus. Wie man sich das wohl wissenschaftlich vermitteln könne. In demselben naiv satirischen
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Ton scherzte er über die Engel und Seligen in einer Kirche, deren Geschlecht und Rasse er bei bestem Willen nicht habe feststellen können. Sonst habe ich mir von Einzelheiten nichts notiert. Aber das ist mir in lebendigster Erinnerung, wie Haeckel trotz vieler Ge- lehrten und Künstler, die anwesend waren, den unumstrittenen Mittel- punkt dieses Zimmers bildete. Er fesselte uns so, daß wir nicht merk- ten, wie sich im Nebenzimmer Dr. Ficker (jetzt Straßburger Ordi- narius) an den Flügel setzte, um die Dame des Hauses zum Gesang zu begleiten. Und noch höre ich unser Lachen hineinplatzen in ein zartes Lied; erschreckt eilt der Hausherr herbei, schließt die Ver- bindungstüre. Es wäre nicht möglich gewesen, diese angeregte Herren- gesellschaft, die sich in allerbester Laune befand, in die zarten Bande der Musik zu schlagen. Bald nach n Uhr verschwand Haeckel still- schweigend, ohne Abschied. So sahen wir Haeckel zum ersten Male.
Für die nächsten Tage stellte uns Allmers ein intimeres Zusammen- sein mit Haeckel in Aussicht. „Ich möchte so gern," sagte er scher- zend, ,, einen kleinen Glaubenskrieg zwischen Ihnen und Haeckel er- leben." Am Mittwoch drauf hatten wir das Glück dieser Zusammen- kunft, des „Religionsgespräches", wie Allmers, zum Glück sich irrend, es im voraus bezeichnet hatte. Allmers hatte Haeckel zu Mittag geladen in unser Stammlokal Degli Artisti in der Via della Vite. Als wir von einem Campagnaausflug heimkehrten, saß Haeckel schon da, warf einen prüfenden Blick auf uns beide — Allmers hatte ihm also von unserer Anwesenheit nichts verraten. Dann begann ein fröh- liches Mahl, wie man es nur in begnadeter Stunde und in begnadeter Gesellschaft erlebt. Haeckel war von unermüdlicher, reizendster Gebe- freudigkeit. Es machte ihm augenscheinlich Freude, die beiden ihm kritisch gesinnten — so mußte er annehmen — mit dem Gold seines Geistes und seines Herzens zu überschütten. Sein Appetit war gut, Wein trank er wenig. „Ich bin wirklich kein Trinker, obwohl mich christliche Kritiker auf Grund der , Weihe eines jungen Erdenbürgers' dazu haben machen wollen." Wir tranken um so mehr und um so freudiger sein Wohl in unserer Lieblingsmarke, dem goldgelben Monte Fiascone.
Als der Magen das Seinige empfangen, holte er seine Mappe her- bei und zeigte uns seine eben entstandenen Aquarelle — aus Elba — von dort war er nach Rom gekommen. Ich habe mir in meinem Tage-
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buch besonders angemerkt den Blick aus der Villa Napoleons, dann den roten und weißen Berg. Dann erzählte er in sich überstürzendem Flusse von den Eindrücken des Tages, Plänen für die nächste Zukunft und namentlich vom vorhergehenden Tage. Da war er nämlich in der römischen Universität gewesen, um sich irgendeine naturwissen- schaftliche Sammlung anzusehen. Kaum hatten die Studenten das erfahren, als sie eine Deputation an ihn schickten mit der Bitte, ihnen statt des angesetzten Professors eine Vorlesung zu halten. Haeckel konnte nun zwar durchaus nicht fließend und reich italie- nisch sprechen. Aber es kam ihm zustatten, daß er gerade vor der Osterreise ein Spezialwerk (über Tiefseetiere?) herausgegeben hatte, dessen Inhalt er so völlig gegenwärtig hatte, daß er mühsam, in lang- samer Rede, gleichsam übersetzend eine Vorlesung zustande gebracht und unter lebhaftem Beifall geschlossen hatte. Auch die (lateinische?) Dankadresse, die ihm die Studenten dafür vor einigen Stunden über- reicht hatten, konnte er uns schon vorlegen und uns damit einen leb- haften Eindruck geben von dem internationalen Ruf, den er schon damals genoß, er, der Lehrer an einer der kleinsten deutschen Uni- versitäten. Freilich kam ihm begünstigend entgegen der Radikalis- mus der italienischen Studentenschaft, dem das Extremste das Liebste war. Wir mußten dieses Gespräches denken, als wir nach wenigen Tagen auf der Solfatara bei Neapel einige italienische Studenten trafen, die mit uns in eine Erörterung über den größten Deutschen eintraten, und als wir Bismarck als solchen nannten, entrüstet diesen Platz keinem anderen zuwiesen als — Bebel.
Nach dem lang gedehnten Mahle fuhren wir mit Haeckel auf den Janikulus; er war dauernd von heiterster Laune und ansteckender Fröhlichkeit. Wir besichtigten mit ihm S. Maria in Trastevere. Dort zieht sich ein großes, uraltes Mosaik hin: das Gotteslamm unter an- deren Lämmern. Die machten nun Haeckel als Zoologen nicht enden- den Spaß; denn sie zeigten, unbeholfene Schöpfungen des 12. Jahr- hunderts, ein jedes irgendwelche körperliche Sonderbarkeiten.
Dann ging es hinauf nach S. Pietro in Montorio, und wir genossen die Aussicht auf die ewige Stadt. Weitere Bekannte stießen zu uns und machten uns den Besitz von Haeckel streitig. Und nun kommt etwas, dessen ich mich noch heute schäme. Aber, was hilft es, ich muß der Wahrheit schon die Ehre geben. Wir hatten für unsere S3gE]gggggggiggggggE]gggggggggi]ggggE]gggE3EiE]E]E]E|EiE]E]GiE]g]E]E]E]Ei
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weinentwöhnte Jugend etwas zuviel des Monte Fiascone genossen. Die Müdigkeit des Mittags bezwang uns, wir setzten uns hier ein paar Augenblicke auf eine Bank — und nickten ein. Als wir erwachten, war Haeckel verschwunden. Das war ein Schrecken! Ein kläglicher Abschluß köstlichster Stunden! Doch wir hatten ja noch ein Wieder- sehen mit ihm für die Osterfeiertage verabredet, nach unserer Heim- kehr aus Neapel; auch ihm mußten die ,,beiden kleinen Herrnhuter" erträglich erschienen sein. Leider wurde daraus nichts mehr. Als wir am Karsonnabend beim Wiedersehenssymposion mit Allmers saßen, brachte er uns herzliche Ostergrüße von Haeckel. Aber er könne soviel Glockengeläut auf einmal nicht aushalten ; deshalb fliehe er für die Feiertage in die Berge. So haben wir ihn nicht mehr ge- sehen. — Von diesen Tagen an haben wir Haeckel als Menschen geliebt, ja verehrt. Sein Wesen war Natürlichkeit, fröhliche Sonnig- keit, hinter der deutlich durchzufühlen lag seine Tatkraft und Kampfes- freude. Wir waren andere Bahnen gewiesen als er. Aber da wir als Herrnhuter gewöhnt worden waren, das Leben bis in die äußersten Konsequenzen nach einer herrschenden Idee zu regeln, so hatten wir ein naturgemäßes und tiefes Verständnis für seine Natur, die ebenso konsequent der Idee ihres Lebens diente, und für das zwingende Be- dürfnis, das persönlich Gewonnene der Welt zu predigen. Als Herrn- huter nannten wir das „Seelen für den Heiland gewinnen". Diesen Trieb hegte er für seine Wahrheit in stärkstem Maße und glaubte damit ebenso die Seelen zu beglücken als nur je ein Glaubenszeuge. — So haftet denn trotz der überwältigenden Eindrücke, die Rom damals dem jungfräulichen Gemüt machte, noch jetzt nach 25 Jahren als eine der stärksten Erinnerungen die an den Mann aus Jena, der daseinsfroh, im Genuß des Augenblicks sich freudig erschließend, allem Großen hingegeben, auch die „beiden kleinen Herrnhuter", die ihm der Freund in den Weg führte, mit bezwingender Gabe und Güte umgab.
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PAUL BECK, LEIPZIG
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Der Verfasser vorstehenden Artikels, Prof. R. Meyer, mit dem ich damals gemeinsam das Studium der Theologie betrieb, hat das Verdienst, durch die lebhafte Erzählung seiner Reiseerlebnisse zuerst meine Bekanntschaft mit Haeckel vermittelt zu haben. Diesem ersten Eindruck verdanke ich es wohl, daß ich bei dem Namen Haeckel immer in erster Linie an den sonnigen, lebensfrohen Menschen dachte. Auch nach eingehender Bekanntschaft mit seinen Werken habe ich in Haeckel stets einen Vorkämpfer für Sonne und Licht gesehen, und zwar schon in einer Zeit, als ich das, was für Haeckel Sonne und Licht ist, noch für eine große optische Täuschung ansah.
Ein inneres Verständnis für die Geistesarbeit Haeckels hatte ich damals noch nicht. Ich war damals 20 Jahre und bis dahin war mir jede, aber auch jede naturwissenschaftliche Bildung vorenthalten wor- den. Ich befand mich in derselben intellektuellen Situation, wie noch heute viele sogenannte Gebildete. An den Naturwissenschaften schätzte ich die Resultate, die auch dem Blödesten das Vorhanden- sein einer neuen Kultur verkünden, Lokomotive, Telegraph usw. Da ich aber von der Geistesarbeit, die das geschaffen hatte, nichts verstand, da ich nichts wußte von der hohen Intelligenz, der zähen Energie, der schöpferischen Phantasie, der Unabhängigkeit und Kühn- heit des Denkens und Wollens, die dahinter steht, hielt ich die Be- schäftigung mit allem Materiellen und Stofflichen für minderwertig und glaubte, daß nur durch geschichtliche Studien, durch künstle- rische Erhebung, durch innere Erlebnisse und abstraktes philoso- phisches Denken der Geist, der die Welt beherrscht, erfaßt werden könnte. Wenn darüber geklagt wird, daß die Vertreter verschiedener Weltanschauungen heute vielfach völlig verständnislos einander gegen- überstehen, so ist das sicher nicht die Schuld der Vertreter des natur- wissenschaftlichen Denkens. Diese sind viele Jahre ihres Lebens hin- durch — oft mehr, als ihnen lieb war — mit den Denkgewohnheiten und Urteilsformen der Gegenseite bekannt gemacht worden, während umgekehrt die Vertreter der sogenannten Geisteswissenschaften sich fast ausnahmslos durch absolute Ignoranz auf naturwissenschaftlichem Gebiet auszeichnen.
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Es gab und gibt noch heute ein Zauberwort, daß die Naturwissen- schaft aus dem Gedankenkreis des Metaphysikers und Theologen ver- bannt, das heißt Kant. „Sie sind Naturforscher," so sagt der liberale Theologe, „ganz vortrefflich. Sie ordnen die Welt der Erscheinungen nach den Kategorien von Ursache und Wirkung. Sehr nützliche Tätig- keit! Ich wünsche Ihnen viel Erfolg." Vielleicht fügt er noch hinzu: „Aber nicht wahr, Sie vergessen nicht, daß Ihre Aussagen sich nur auf die in Raum und Zeit ausgebreitete Welt der Erscheinungen beziehen. Sie haben doch Kant gelesen ? Hüten Sie sich davor, die durch Kant für alle Zeiten festgelegten Grenzen zu überschreiten. Ich muß Sie sonst für einen kenntnislosen Menschen und seichten Schwätzer er- klären. Vergessen Sie nicht, daß nach Kant hinter der Welt der Er- scheinungen die Welt des Wahrhaftseienden, die intelligible Welt, die Welt des Geistes und der Geister liegt. Bleiben Sie mit Ihren Meßstangen und Mikroskopen in der Welt der Erscheinungen. Wir Vertreter der Geisteswissenschaft können auch hinter den Vorhang sehen, wir beobachten in den Wundern der Sprache das Weben und Werden der Volksseele, in der Geschichte verfolgen wir die Ent- faltung des Geistes und der Ideen, und die Theologie lehrt uns, die Organe der Menschenseele gebrauchen, mit denen wir uns mit dem Urgrund des Alls in Verbindung setzen können." Dem gegenüber ist auf folgendes hinzuweisen. Erstens sind die Beweise, die Kant für seine Behauptungen über Raum, Zeit und Kategorien vorgebracht hat, lediglich an der Mathematik und Physik des 18. Jahrhunderts, speziell an der Newtonschen Gravitationstheorie orientiert und passen ebensowenig wie die daraus gezogenen Folgerungen auf den heutigen Stand der Wissenschaft, selbst wenn wir uns auf die anorganische Natur beschränkten. Tatsächlich gibt es heute wohl nur wenige Mathe- matiker und Physiker, die an der Erkenntnistheorie Kants festhalten. Poincare, Mach u. a. haben auf Grund des heutigen Standes der Wis- senschaft Erkenntnistheorien aufgestellt, die von der Kantischen recht bedeutend abweichen. Zweitens ist im 19. Jahrhundert eine neue Naturwissenschaft entstanden, die Biologie. Kant hatte große Mühe, in der Kritik der Urteilskraft das wenige, was ihm davon zu seiner Zeit bekannt war, mit seinem System in Einklang zu bringen. Heute wird wohl niemand mehr den Mut haben, das Unvereinbare vereinigen zu wollen. Kant wollte noch die Grundbegriffe der Newtonschen
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Physik aus der Struktur des menschlichen Erkenntnisvermögens ab- leiten. Heute wollen wir umgekehrt die teils zweckmäßigen, teils aber auch unzweckmäßigen Organe, mit denen die Menschen alter und neuer Zeit Erkenntnisse erwerben wollten, aus der Naturwissen- schaft, speziell der Entwicklungslehre ableiten. Drittens endlich wird Kant von den Theologen nur benutzt, um die Naturwissenschaften aus dem Heiligtum der Philosophie zu vertreiben und ihr einen be- scheidenen Platz im Vorhof anzuweisen. Nachdem mit Hilfe der Kantischen Erkenntnistheorie begründet ist, daß man auch ohne die geringsten naturwissenschaftlichen Kenntnisse doch kühne Behaup- tungen über Wesen, Zweck und Urgrund der Welt aufstellen darf, wird Kant schleunigst verabschiedet. Denn Stimmungen, Gemüts- bewegungen, Begeisterungen und Ekstasen zur Grundlage der Welt- anschauung zu machen, ist doch wohl nicht im Sinne Kants.
Es ist das große Verdienst Haeckels, erkannt zu haben, daß das philosophische Denken durch Kant und seine Nachfolger in eine Sack- gasse geraten war, aus der es überhaupt keinen Übergang zu den Pro- blemen der Gegenwart gibt, daß daher ein Anknüpfen an die philo- sophische Tradition zwecklos sei. So wenig die Begründer des Empi- rismus sich mit den Vertretern der mittelalterlichen Scholastik auf Einzelauseinandersetzungen einließen, so wenig beachtete Haeckel die Fachphilosophie, zum nicht geringen Zorn von deren Vertretern. Ferner erkannte Haeckel, daß die Erkenntnistheorie Kants heute gar nicht mehr um ihrer selbst willen geschätzt wird, sondern nur als Damm benutzt wird, um dem sieghaften Vordringen der Natur- wissenschaften Halt zu gebieten und die Heiligtümer der Vergangen- heit vor der alles überschwemmenden Flut zu schützen. Haeckel wußte, wo seine wahren Gegner zu finden seien, er hielt sich nicht lange mit Vorpostenplänkeleien auf, sondern griff das feindliche Haupt- quartier an. Endlich erkannte Haeckel mit klarem Blick, wo der Neubau zu errichten sei, nämlich auf den exakten Naturwissenschaf- ten. Ob Haeckel damit recht hat, kann nur die Zukunft lehren. Ich glaube aber, die Freunde und Anhänger Haeckels können getrost dem Richterspruch der Zukunft entgegensehen.
Wäre Haeckel nur Künstler und Gelehrter, so wäre sein Leben ruhiger verlaufen, als es der Fall war. Fern von Haß und Feindschaft würde er sich heute der wohlwollenden Anerkennung aller Intellek- "S33aggggggE3gsEigggE3E]ggggggggggE]gggE3E]E]E]E]5]E!E]E]E]E]E]E]giE;E]B]gE]
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tuellen erfreuen. Haeckel ist aber mehr. Er ist ein Mann, der es wagt, eine Überzeugung zu haben; ja noch mehr, der es sogar wagt, die- selbe zu äußern, unbekümmert um die Zensur der Fachphilosophen, unbekümmert um das Wohlwollen der Behörden, unbekümmert auch um die Frage, ob die von ihm gefundene Wahrheit geeignet sei, „das Volk" im Zaum zu halten. Die Tatsache, daß Haeckel bei vielen Tausenden nicht nur kühle Anerkennung seiner Gedanken, sondern begeisterte Liebe und Verehrung gefunden hat, beweist, daß es im heutigen Deutschland doch noch mehr Menschen, als auf Grund der Beobachtung im täglichen Leben zu vermuten ist, gibt, die die letzten Probleme des Menschenlebens nicht durch Opportunitätsgründe und taktische Erwägungen, sondern auf Grund freier innerer Überzeugung zu lösen gewillt sind.
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EMIL DOSENHEIMER, LUDWIGSHAFEN A. RH.
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Mit Ernst Haeckel wurde ich wie wohl viele seiner Verehrer zuerst durch die Lektüre seiner ,, Welträtsel" bekannt. Dieses Buch machte auf mich vor allem deshalb einen besonders tiefen Eindruck, weil es in der Behandlung gewisser philosophischer und religiöser Probleme meiner Auffassung vollkommen entsprach. Was Haeckel beispielsweise über die Zentralideen der konfessionellen Religionen, Gott, Seele, Unsterblichkeit, Willensfreiheit, und über die monistische Religion in den „Welträtseln" gesagt hat, hielt und halte ich für so absolut richtig, daß ich es nicht begreifen kann, wie denkende Men- schen diese Dinge anders beurteilen können. Die außerordentliche Wirkung des populärsten Werkes Haeckels, der Welträtsel, finde ich dadurch begründet, daß sie dem Leser fast durchweg in gemein- verständlicher Form über Dinge, die von jeher den menschlichen Geist beschäftigt haben, faßliche Wahrheiten übermittelt hat. Ich erinnere zunächst an Haeckels Stellung zum Gottesbegriff. Ohne Umschweife, ohne Konzessionen an die herrschenden Gefühle hat sich Haeckel als Leugner Gottes im Sinne der Kirche erklärt und dargetan, daß der Begriff des kirchlichen Gottes den Erfahrungen und der Vernunft widerspricht. Ebenso hat Haeckel den Begriff der Seele, des Geistigen, der Unsterblichkeit der Seele freigemacht von den Formen des Übersinnlichen und Mystischen. Das Geistige und Leibliche bildet eine Einheit. Die geistigen Funktionen sind mit den leiblichen unauflöslich verbunden. Die Stufen der geistigen Ent- wicklung — des Kindes, des Erwachsenen, des Greises — gehen parallel mit den Stufen der leiblichen Entwicklung. Das sind un- bestreitbare Grundtatsachen geworden. Bei seiner Auffassung des Geistigen, Seelischen mußte Haeckel notwendigerweise dem Men- schen, dem nach der dualistischen Anschauung im Gegensatz zum Tier mit einer ,, Seele" begabten Wesen in der organischen Welt eine andere Stelle anweisen. Haeckel hat den Menschen, das Ebenbild Gottes, in die Reihen der organischen Welt, in das Tierreich ein- geordnet: der Mensch ist ein Geschöpf, das im Lauf der Jahrmillionen aus der einfachsten Form sich entwickelt hat. Er hat ein für allemal festgestellt, daß die anthropozentrische Auffassung der Dinge, die
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den göttlichen Menschen aus den Reihen der Organismen heraus- hebt, mit der wissenschaftlichen Forschung unvereinbar ist.
Man stelle sich vor, welch ungeheure Rolle die Begriffe Gott, Seele in den religiösen und ethischen Anschauungen der europäischen Kulturwelt spielen. Bei den wichtigsten Ereignissen im Leben des einzelnen, bei den wichtigsten öffentlichen Staatsakten steht der Glaube an einen persönlichen Gott im Vordergrund. Bei der Jahr- hundertfeier 1813 — 1913 waren die Festreden fast durchweg auf den Ton gestimmt: Gott war es, der den gewaltigen Napoleon gedemütigt und dem deutschen Volke zum Siege verholfen hat. Die Männer des Volkes wie die Fürsten berufen sich immer und immer wieder auf Gott als den Leiter aller Geschicke. Gott ist alles, der Mensch, der staubgeborene, die Kreatur Gottes nichts. Tagtäglich werden Tau- sende von Eiden geschworen unter Anrufung Gottes des Allmächtigen und Allwissenden, vor Gericht (Zeugen- und Parteieneid), beim Militär (Fahneneid), bei der Übernahme eines Amtes (Beamteneid). Der Gesetzgeber hat es sogar für notwendig gefunden, Gott gegen läster- liche Angriffe unter besonderen Schutz zu stellen (§ 166 des deutschen Strafgesetzbuches). Erst bei den jüngsten bayerischen Landtags- verhandlungen, November 1913, ist in dem Kampf um die Moral mit oder ohne Gott der klaffende Gegensatz in den Weltanschauungen zutage getreten. Der bayerische Ministerpräsident Freiherr v. Hert- ling hat in seiner Rede nachdrücklich hervorgehoben, daß, wenn sich herausstellen sollte, daß in dem konfessionslosen Moralunterricht Theorien vorgetragen werden, die geeignet sind, den jungen Ge- mütern die letzten Grundlagen der Gesellschaft, den Glauben an Gott, an das Jenseits zu rauben, ein solcher Unterricht nach seiner Meinung nicht geduldet werden könne. Der bayerische Minister- präsident ist also der Ansicht, daß ohne den Glauben an einen per- sönlichen Gott Staat und Gesellschaft nicht bestehen können.
Gegen diese seit Jahrtausenden fest eingewurzelten mystischen Vorstellungen hat Haeckel unerschrocken seine Auffassung kund- gegeben: es gibt keinen Gott, wie ihn der Priester lehrt. Er hat gezeigt, wie die Gottesvorstellungen entwicklungsgeschichtlich sich erklären, aber jetzt, wo an Stelle unklarer Gefühle das Denken ge- treten ist, sich nicht mehr aufrechterhalten lassen. Haeckel hat gelehrt, daß der Mensch selbst Träger seines Schicksals ist, daß er gggggggggggggggggggg^ggggggE]gE]G]EjE]E]E]E]öiE]EjE]gE]E]E]E]E]B]E]g§]E3E3
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auf das Jenseits verzichten soll, um das Diesseits desto würdiger und schöner zu gestalten. Haeckel hat die Wege gewiesen zu einer neuen Religion, zu einer monistischen, d. h. einer irdischen, mensch- lichen, die Menschen verbindenden, in den natürlichen Verhält- nissen wurzelnden Religion. Haeckel hat gezeigt, daß auch ohne Gott eine Ethik möglich ist, daß man sittlich handeln kann, ohne Lohn und Strafe im Jenseits zu erwarten, daß das ethische Emp- finden nichts Absolutes ist, sondern im Lauf der Jahrtausende sich entwickelt hat, daß es verschieden war und ist bei den einzelnen Völkern und daß nur die dogmenlose, monistische Ethik imstande sein wird, die gesamte Kulturmenschheit zu umspannen. Haeckel hat also neue Zukunftsideale aufgestellt und sich damit um die Kulturentwicklung der Menschheit großartige Verdienste erworben.
Haeckel mußte bei seiner Stellung zu den Zentralideen des alten Glaubens, Gott, Seele, naturgemäß in einen unüberbrückbaren Gegen- satz zur Orthodoxie aller Schattierungen geraten, vor allem zum Ultramontanismus. Ich betrachte es mit als das größte Verdienst Haeckels, daß er den Ultramontanismus als das gekennzeichnet hat, was er ist, als den furchtbarsten Feind jeglicher Kulturentwicklung. Man hat Haeckel auch von nicht ultramontaner Seite vorgeworfen, daß er das Papsttum als „den größten Schwindel der Weltgeschichte" bezeichnet hat. Das ist allerdings ein außerordentlich scharfes Wort, das die Anerkennung des von den Päpsten geleisteten Guten vermissen läßt. Aber Luther hat in seinem Kampf gegen den Antichrist nicht weniger scharfe Worte gebraucht. Man begreift die Beurteilung Haeckels, wenn man nicht vom ausschließlich geschichtlichen Stand- punkt aus das Papsttum betrachtet. Christus, von dem das Papst- tum seinen Ursprung herleitet, ein armer verfolgter Mensch, der nicht hatte, wo er sein Haupt hinlegte, der mit armen Sündern und Zöllnern verkehrte, der sein Reich im Himmel suchte — der Papst, der offizielle Nachfolger Christi, der in einem der schönsten Paläste der Erde wohnt, der den Völkern seinen Willen diktieren will, der noch vor einigen Jahrzehnten weltlicher Herrscher war: Das sind ungeheure Gegensätze, die Haeckel, ein Mann von feurigem Temperament und unerschrockener Wahrheitsliebe, durch einen sehr scharfen Ausdruck beleuchten mußte.
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Haeckel hat in der Wissenschaft, die ich beruflich ausübe, der Jurisprudenz, insofern Bedeutendes geleistet, als er das Willens- problem behandelt hat. „Die streitigste Frage der streitigsten Wissen- schaft" hat er ihres dogmatischen und mystischen Charakters ein für allemal entkleidet und ihre natürliche Lösung gefunden. In den „Welträtseln", in den Thesen zur Begründung eines deutschen Monistenbundes und schließlich in dem für die Düsseldorfer Monisten- tagung bestimmten Aufsatz befaßt sich Haeckel mit dem Problem der Willensfreiheit. Immer wieder betont er: die Annahme der Willensfreiheit ist ein Dogma wie der Glaube an Gott und die Un- sterblichkeit. Der menschliche Wille ist wie alles Sein und Geschehen dem Kausalitätsgesetz unterworfen. „Der menschliche Wille", sagt er in seinen „Welträtseln", „ist ebensowenig frei als derjenige der höheren Tiere, von welchen er sich nur dem Grade, nicht der Art nach unter- scheidet. Während noch im 18. Jahrhundert das alte Dogma von der Willensfreiheit wesentlich mit allgemeinen, philosophischen und kosmologischen Gründen bestritten wurde, hat uns dagegen das 19. Jahrhundert ganz andere Waffen zu dessen definitiver Widerlegung geschenkt, die gewaltigen Waffen, welche wir dem Arsenal der ver- gleichenden Physiologie und Entwicklungsgeschichte verdanken. Wir wissen jetzt, daß jeder Willensakt ebenso durch die Organisation des wollenden Individuums bestimmt und ebenso von den jeweüigen Bedingungen der umgebenden Außenwelt abhängig ist wie jede andere Seelentätigkeit. Der Charakter des Strebens ist von vornherein durch die Vererbung von Eltern und Voreltern bedingt, der Entschluß zum jedesmaligen Handeln wird durch die Anpassung an die momen- tanen Umstände gegeben, wobei das stärkste Motiv den Ausschlag gibt. Die Ontogenie lehrt uns die individuelle Entwicklung des Willens beim Kinde verstehen, die Phylogenie aber die historische Ausbildung des Willens innerhalb der Reihe unserer Vertrebraten- ahnen." Haeckel hat in den „Welträtseln" mit Recht hervorgehoben, welch fruchtbare Wirkung er von der Behandlung des Problems in diesem Sinn erwarte, beispielsweise für die Rechtspflege. Meine Flug- schrift „Der Monismus und das Straf recht" und meine größere Schrift „Die Ursachen des Verbrechens und ihre Bekämpfung" habe ich voll- ständig auf die Haeckelsche Auffassung des menschlichen Wülens aufgebaut.
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Überblicke ich das Gesamtschaffen Haeckels, so sage ich: über die Grenzen seiner Fachwissenschaft hinaus hat er in fast allen Ge- bieten der Wissenschaft und der Kunst teils selbstschöpferisch, teils anregend Hervorragendes geleistet. Und doch stelle ich über Haeckel, den glänzenden Vertreter der Wissenschaft, den Menschen Haeckel. Den wissenschaftlichen Forscher schätze ich außerordentlich hoch, aber den Menschen Haeckel, den unerschrockenen Bekenner und Verkünder neuer Ideale, verehre und liebe ich.
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EUGEN WOLFSDORF, NÜRNBERG: ODHIN UND
HAECKEL
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Die Naturwissenschaft sucht die Wahrheit, die Theologie aber hat die Wahrheit."
Diese Worte sprach einst ein greiser Professor der alttestament- lichen Exegese, nachdem er die beiden Schöpfungsberichte des bibli- schen Buches Genesis erklärend behandelt hatte. Er gab zu, daß diese beiden Geschichten untereinander nicht übereinstimmen, und verschwieg uns auch nicht, daß ihr Inhalt den Erkenntnissen der modernen Naturwissenschaft widerspricht. Aber, meinte er, einst würde zwischen Bibel und Naturwissenschaft schon Harmonie erzielt werden, wenn sich nämlich die Theologen bemühen, mehr Natur- wissenschaft zu treiben, und die Naturwissenschaftler sich bequemen würden, mehr in die Geheimnisse der Theologie einzudringen.
Bei dieser Gelegenheit sprach er den an der Spitze dieses Artikels stehenden Satz, bei dieser Gelegenheit hörte ich auch zum ersten Male die Namen Darwin und Haeckel.
Ich erinnere mich noch sehr wohl des Hochmutes, der uns bei diesen Namen stets beschlich. Ich denke noch mit Scham daran, mit welcher Arroganz ich auf die Studierenden der Naturwissenschaft blickte, die bei mir vorüber in ihre Institute eilten. Sie alle waren ja erst die Suchenden, während wir die Wahrheit gebunden in hebräi- scher und griechischer Sprache unter dem Arme trugen.
Trotzdem hatte mich das wenige , was ich von der Abstammungs- lehre gehört, sehr angezogen; es war mir so durchaus vernünftig er- schienen, daß die Tatsachen, durch welche diese Lehre gestützt wurde, mein metaphysisches Denken allmählich überwanden.
Dazu kam der Ehrgeiz.
Wie, wenn ich der Theologe wäre, welcher genügend Naturwissen- schaften studiert hätte, um Bibel und Naturwissenschaft zu versöhnen ?
So machte ich mich denn an die Arbeit, und es gelang mir in ver- hältnismäßig kurzer Zeit tatsächlich, den ersten biblischen Schöp- fungsbericht (gen i) mit den Erkenntnissen der Wissenschaft in Übereinstimmung zu bringen. Gott schafft erst die Pflanzen, dann die Wassertiere, dann die Vögel, dann die Landtiere und endlich den
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Menschen. Das ist ganz dieselbe Stufenfolge, wie die Abstammungs- lehre sie vorträgt, wenn man sich nämlich Mühe gibt, die Unter- schiede nicht zu sehen.
Darwin und Haeckel waren jetzt für mich abgetan, das Gottes- wort hatte gesiegt, und ich wagte es in meiner frommen Raserei, einem freireligiösen Prediger in öffentlicher Diskussion entgegen- zutreten.
Ich habe es später häufig und erst vor ganz kurzer Zeit wieder er- lebt, daß Theologen, welche in derartigen Diskussionen unterliegen, sich nachher den Sieg zuschreiben. So unehrlich war ich nie. Daher veranlaßte mich auch die Erkenntnis meiner Niederlagen zu weiterem Arbeiten, bis der Verteidiger des Kirchenglaubens sehr gegen seinen Willen beim Unglauben angelangt war.
Das war die schrecklichste Zeit meines Lebens; denn der alte Glaube hatte seine Kraft eingebüßt, während die durch die Wissen- schaft erzeugten Energien noch nicht stark genug waren, um meinen Wandel zu beeinflussen.
Ich sprang von der Theologie ab und gelangte über das Lehrfach zur freireligiösen Bewegung.
Aber auch hier habe ich das nicht gefunden, was ich gesucht, denn diese Bewegung ist trotz all ihrer Kirchenfeindlichkeit doch der letzte Ausläufer des dogmatischen Christentums, ihre Lehren sind meta- physisch und ihre Verwendung der naturwissenschaftlichen Tatsachen in Vortrag und Predigt ist eine nicht ganz freiwillige Anpassungs- erscheinung.
Während so die freireligiösen Gemeinden eine Kirche ohne Gott bilden, führte mich die Bekanntschaft mit August Spechts „Men- schentum" einem mehr wissenschaftlichen Freidenkertum zu. Dieses Blatt hat, wie man ohne Übertreibung sagen darf, seit dem Jahre 1871 allein einen konsequenten, nicht metaphysischen Monismus ver- treten, bis der von Körber und Unold herausgegebene „Monismus" ihm zur Seite trat.
Durch das „Menschentum" lernte ich erst Ernst Haeckel richtig kennen. Jetzt sah ich ihn ohne theologische Brille. Von Spechts Schrift „Theologie und Wissenschaft" gelangte ich zu Haeckels „Na- türlicher Schöpfungsgeschichte", von da zu seiner Broschüre „Der Monismus als Band zwischen Religion und Wissenschaft" und zu den
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„Welträtseln". Aber auch jetzt noch spukte der Theologenhochmut in mir. Kraft meiner Unwissenheit schrieb ich eine Broschüre (,, Letzte Schlüsse der neuen Welt- und Lebensanschauung"), in welcher ich weit über Haeckel hinausging und mich schließlich dem Lesepublikum als Anhänger des egoistischen Materialismus oder materialistischen Egoismus vorstellte.
So unreif und frech diese Schrift war, ich brauche mich ihrer nicht zu schämen, denn ich habe in ihr Konsequenzen gezogen, die heute, nachdem sie auch von anderer Seite gezogen worden sind, allgemeine Anerkennung gefunden haben.
Den Vorarbeiten zu dieser Schrift aber verdanke ich die Erkennt- nis vom ethischen Werte des Entwickelungsgesetzes, näm- lich den Gedanken, daß wir über unseren gegenwärtigen Zustand hin- auszustreben haben. Jetzt begann mir an die Stelle der Gottheit mit ihren alt- und neutestamentlichen ethischen Forderungen dieMensch- heit mit ihren modernen ethischen Forderungen zu treten und der sittliche Anarchismus zu weichen. Es wäre undankbar, wollte ich unerwähnt lassen, welchen großen Dienst mir bei dieser Umwandlung Johannes Unolds Schriften geleistet haben, aber ich muß auch betonen, daß bei meinem damaligen Mißtrauen gegenüber aller Theologie und humanistischen Philosophie diese Schriften wahr- scheinlich noch längere Zeit wirkungslos geblieben wären, hätte mir nicht Ernst Haeckels Naturwissenschaft die Beweise für die in ihnen enthaltenen Gedanken geliefert. Erst dadurch, daß ich die Gesetze, die in meinem Leben Geltung haben sollten, als in der ganzen Natur geltend nachgewiesen erhielt, gewannen sie jene aufwärts- treibende Kraft, die sie trotz meiner schweren, niederziehenden Le- bensschicksale bewahrt haben.
So ist Ernst Haeckel mein sittlicher Erlöser geworden.
Daher ist es erklärlich, daß ich in seinen Schriften mir wieder Rats erholte, als an mich die Pflicht herantrat, ein eigenes Kind und fremde Kinder zu erziehen.
Auf diese Weise wurde sein biogenetisches Grundgesetz zum Leit- motiv meiner monistischen Pädagogik, und wenn heute schon manches Elternpaar mir dankbar die Hand drückt oder aus weiter Ferne dank- bare Zeilen an mich richtet, so gebührt dieser Dank eigentlich dem Achtzigjährigen, dem diese Festschrift gewidmet ist.
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Aber vielleicht wird der geehrte Leser fragen: „Was hat dies alles mit der Überschrift ,Odhin und HaeckeP zu tun?"
Wenn ein wirklich frommer und gleichzeitig temperamentvoller, energischer Mensch seinen dualistischen Glauben verliert, dann geht bei ihm innerlich alles zu Bruch. So war es bei mir.
Ich wurde nicht nur in ethischer, sondern auch in politischer und überhaupt in jeder Beziehung Anarchist; d. h. nicht Bombenwerfer, sondern theoretisch, „Edelanarchist", wie man sagt. Zuerst glaubte ich, in der Sozialdemokratie die urchristlichen Ideale der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit wiederzufinden. Von diesem Irrtum hat mich die Praxis bald geheilt, und so befand ich mich mehrere Jahre in einer ähnlichen geistigen Verwirrung wie der Bakkalaureus im zweiten Teile des Faust.
Da erlaubte ich mir, nachdem mich August Specht in Gotha für den Fall seines Todes zu seinem Nachfolger in der Redaktion des „Menschentum" bestimmt, im Jahre 1905 Ernst Haeckel in seiner Villa in Jena einen Besuch abzustatten, und erlebte es hier, daß der greise, allverehrte Forscher mich, den unbedeutenden Menschen, um Entschuldigung bat, daß in seinem Arbeitszimmer ein Ruhebett stand. Er entschuldigte diese Unregelmäßigkeit damit, daß er wegen des Rheumatismus zuweilen sein Bein hoch legen müsse.
Ich war wie vom Donner gerührt; denn in diesem Augenblicke hatte ich eine „Offenbarung", ein „Erlebnis", wie die liberalen Theo- logen sagen würden. Ich wußte nämlich aus Wilhelm Bölsches Haeckelbiographie, daß Ernst Haeckel sich sein Leiden bereits als junger Botaniker auf den feuchten Wiesen von Leisling zugezogen, und plötzlich stand vor meinem geistigen Blicke der alte Gott der Edda, Odhin, der sein Auge dahingibt, um einen Trunk aus Mimirs Weisheitsbronnen zu erhalten; und während Ernst Haeckel unter dem Bilde der Pithecanthropusfamilie saß, dachte ich an den „grü- belnden Äsen", der Riesen und Zwerge, Weltkörper und Moneren, befragt, um der Götter und der Menschen Geschick zu erkunden und die „Welträtsel" zu lösen.
In diesem Augenblicke habe ich mein Vaterland und mein Volk wiedergefunden, und damit wich alle Unklarheit und Giftigkeit von mir, jene Heinrich Heinesche Ironie, die ein Zeichen innerer Schwäche ist. Dagegen zog jene starke Heiterkeit und Fröhlichkeit wieder ein,
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die aus einem sicheren Glauben geboren wird. So hat mir Ernst Haeckel den Glauben an mein Volk wiedergegeben, so ist er mir der „Vater der Lieder" geworden. Er hat mich wieder festgewurzelt im Heimat- boden und damit begründet meine moralische Existenz.
Möge es ihm noch recht lange vergönnt sein, so heiter, wie ich ihn im November vorigen Jahres angetroffen, sich seiner Erfolge zu er- freuen, ihm, dem Helden des Wissens, der mit Göttern rang! Tausende, Millionen dankbarer Menschen gedenken heute seiner in allen Teilen der bewohnten Erde und sie nahen, eine glänzende Schar geistiger Einherier, um für den Kampf der Zukunft den Treuschwur zu schwö- ren dem Recken der Götterdämmerung, an dem wahr geworden das Eddawort :
„Der milde, mutige Mann ist am glücklichsten".
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HOWARD CRUTCHER, ROSWELL, NEW MEXICO
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Es ist schwer, von dem großen Meister zu sprechen. Sein Leben und seine Taten sprechen für sich selbst, und ein Kommentar darüber mag beinahe wie eine Anmaßung aussehen. Aber einmal zum Reden aufgefordert, will ich frei und ohne Zurückhaltung sagen, was ich denke.
Wenig Menschen ist es vergönnt, das Urteil der kommenden Zeit- alter über ihr Leben und ihre Werke zu hören. Ernst Haeckel kann es. Als Denker, Reformator und Wohltäter seiner Mitmenschen steht er mir höher als irgendeiner von denen, welche bisher die gleiche Bezeichnung verdienen. Abraham Lincoln hat ein paar Millionen Sklaven von ihren körperlichen Fesseln befreit; Ernst Haeckel hat mehr getan; er hat die Fesseln des Aberglaubens gebrochen und un- gezählte Millionen von Seelen in Freiheit gesetzt. Eine menschliche Seele frei zu machen ist mehr als einen Leibeigenen zu entfesseln.
Die ,, Welträtsel" taten Großes; doch muß ich ein höheres Verdienst und ein bei weitem wirksameres Resultat den unvergleichlichen Vor- trägen über den ,, Kampf um den Entwicklungsgedanken" beimessen. Charles Darwin sammelte die notwendige Kriegsmunition, doch dem großen Befreier von Jena blieb vorbehalten, die Kanonen zu laden und das Pulver zu entzünden.
Von Darwin sprechend, dürfen wir seines edlen und großzügigen Tributs nicht vergessen, den er Haeckel gezollt hat. Darwin sagt, daß die Veröffentlichung seines Buches über die „Abstammung des Menschen" unnötig gewesen wäre, wenn Haeckels Werk (die „Natür- liche Schöpfungsgeschichte") eher erschienen wäre. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an das geistreiche Wort von Emerson, daß der Entdecker nicht der ist, der zuerst etwas Neues sieht, sondern der, welcher es laut heraussagt, so daß die ganze Welt davon profitie- ren kann. Jahrhundertelang haben große Denker die Reisigbündel aufgehäuft, aber unserem Meister von Jena war es vorbehalten, die Fackel anzuzünden, deren glänzendes Licht uns und unsere Nach- kommen für alle Zeit leiten soll.
Es ist viel, wenn ein Mann über ein so altes und ehrwürdiges Zentrum des Gedankens wie Jena hinauswächst; es ist mehr, daß er die Grenzen G]gggggggggE]ggggggE]ggE]ggggggggs3gggE]Ej5]g]g]E]E]S]E]siE]E]g3]EiEigiE]Ei
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des großen deutschen Kaiserreiches überschreitet; Ernst Haeckel hat dies getan ; er gehört der weiten Welt des freien Gedankens, dem könig- lichen Reiche universaler Wissenschaft an ; und wenn erst der Mensch in den vollen Besitz seiner Kräfte gekommen ist, wird Haeckel in Deutschland mehr gefeiert werden als Friedrich der Große, Pasteur in Frankreich mehr als Napoleon, Lister in England mehr als Wel- lington. Eines Tages wird eine Urne in Jena mehr verehrt werden als das ruhmreiche Grab in Potsdam. Die Menschheit muß lernen, daß die Fackel des Denkers mächtiger ist als das Schwert des Krie- gers. Haeckel hat unsterblichen Ruhm erlangt, nicht weil er danach strebte, sondern durch die Gewalt der Tatsachen. Er hätte dem zu- stimmenden Urteil wissenschaftlicher Männer gar nicht ausweichen können, die gern ihre Häupter beugten und ihre Ohren öffneten, wenn „der vornehmste aller Deutschen" vorüberging. Es ist gut, daß wir, die wir soviel durch seine Arbeit gewonnen haben, uns aufmachen sollen, um ihm jetzt die volle Ehre zu erweisen.
Ich hätte beinahe gesagt, „seine abnehmenden Jahre"; aber ein Mann wie Ernst Haeckel nimmt nicht ab ; immer ist da Wachsen und Ausdehnung ohne Grenzen.
Diese schöne Gelegenheit, wo wir von allen vier Weltgegenden zusammenkommen, um dem wissenschaftlichen Titanen unserer Zeit zu huldigen, soll uns zum Bewußtsein bringen, daß wir noch ernste Pflichten vor uns haben. Haeckels flammende Worte: „Der Kampf ist der Vater aller Dinge" soll jeden seiner Nachfolger zu doppelter Energie und zu unerschütterlichen Hoffnungen anspornen.
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M. H. FLOTHUIS, AMSTERDAM
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Es mögen im tiefen Grund des menschlichen Bewußtseins Ahnungen und Gefühle ein traumhaftes Dasein führen, schönen Schmetter- lingen im Puppenstand vergleichbar, die des beschwörenden Zauber- wortes harren, das sie ans Licht fördert, um den Geist mit schönen und klaren Gedankengebilden zu bereichern. So war der Name Haeckel für mich mit einer Art magischen Zaubers umkleidet, wie viel früher der Name Shakespeare mir klang wie die süße Verheißung einer ge- heimnisvollen Welt, geisterhaft und magisch und doch lebendig und wirklich, ein ewiges Märchen von Schönheit. Und wie die Geister- stimme des Hamlet alle meine Ahnungen aus ihrer Erstarrung löste und seine Worte mir zur subjektiven Seelenoffenbarung wurden, so klangen mir auch die Worte der „Welträtsel" wie eine Bestätigung dunkler Empfindungen; sie lösten mir nicht nur wichtige Fragen, sondern waren häufig Frage und Antwort zugleich, da ja unser Denken infolge erblicher Anlage und herkömmlicher Erziehung manchmal im Banne der Tradition befangen ist, sodaß wir durchaus nicht immer die Frage richtig eu stellen vermögen. Denn außer den religiösen Kirchendogmen existieren im Denken fast aller Menschen, auch der Gebildeten, Vorstellungen allgemeinerer Natur, nicht weniger anfecht- bar als jene, deren angenommene Richtigkeit gewöhnlich nicht einmal genau geprüft wird; auch diese verdunkeln unsre Erkenntnis oft in solcher Weise, daß wir die Probleme nicht klar unterscheiden können. Wer sich vorurteilsfrei der Wirkung von Haeckels „Welträtsel" hin- gegeben hat, wird erfahren haben, daß es dem Verfasser wie fast keinem andern gelungen ist, auch solche Dogmen allgemeiner Art scharf zu erfassen und ihre Hinfälligkeit von naturwissenschaftlichem Standpunkt zu beleuchten. Dazu rechne ich z. B. ziemlich allgemein geltende Sätze, u. a., daß der Geist höhere Bedeutung habe als der Stoff, daß Glauben und Wissen unabhängig von einander ihren Wert haben, daß Gemüt und Vernunft getrennte geistige Gebiete seien, daß man Ehrfurcht vor jeder religiösen Überzeugung haben solle u. dgl. Indem Haeckel nur die Vernunft als oberste Richterin in geistigen Fragen anerkennt, richtet er sich nicht nur gegen die Glau- benssätze der offenbarten Religionen, sondern ebenso gut gegen diese
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und ähnliche Gespenster der Tradition, die vor seiner kritischen Logik längst geflohen wären, wenn nicht am Panzer der Dummheit und Trägheit die schärfsten Pfeile der Vernunft immer wieder wirkungslos abprallten.
Versuche ich hier die wichtigsten Ergebnisse der „Welträtsel" als Niederschlag persönlicher Eindrücke zusammenzufassen, so scheinen mir nach fast fünfzehnjähriger Existenz des Buches folgende Schlüsse festzustehen :
Es ist dem Verfasser gelungen, für gebildete Leser eine populär- wissenschaftliche Darstellung zu geben vom Stande der Naturphilo- sophie am Ende des 19. Jahrhunderts.
Zwei Welten werden bis zum Schluß scharf und klar einander gegenübergesetzt : die vom außerweltlichen Geist beherrschte Materie und die Welt der universalen Substanz mit ihren zwei Attributen: Geist und Materie. Die weitreichenden Folgen der Annahme von der einen oder der anderen dieser zwei Welten für das Kulturleben: der dualistischen, die zum theokratischen, von vernunftwidrigen Gesetzen beherrschten Staat, und der monistischen, welche zumnomokratischen, auf vernünftigen Naturgesetzen beruhenden Staat führt , werden ein- gehend geschildert.
Das Buch hat vor andern rein wissenschaftlichen Werken einen hohen sittlichen Wert voraus, indem sich sein Verfasser nicht wie die meisten Fachgelehrten mit den realen Ergebnissen seiner wissenschaft- lichen Forschung begnügt, sondern vom Standpunkt seiner Natur- erkenntnis auch die sittlichen Fragen des Kulturlebens in den Kreis seiner Betrachtung zieht.
Die beiden Methoden der Erkenntnis: Erfahrung und Denken, werden fortwährend berücksichtigt und zu einheitlicher Darstellung glücklich angewandt.
Es spricht sich in dem Buche ein großer Charakter aus, indem der Verfasser kühn und rücksichtslos die unerbittlichen Konsequenzen seiner erfahrungsgemäßen Erkenntnis zieht : hierdurch wird die Logik fast zur Poesie.
Das Buch ist frisch und naturwahr, frei von zopfiger Schulgelehr- samkeit und hebt sich durch klare Definition der Begriffe vorteilhaft ab von der Verschwommenheit und Undeutlichkeit vieler philo- sophischer Werke.
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Diese Schlüsse drängten sich mir auf, als ich die „Welträtsel" ge- lesen hatte, und wiederholte Lektüre bestätigte mir deren Richtigkeit. Gebildete Leser haben mir oft ihr in mancher Hinsicht übereinstim- mendes Urteil mitgeteilt. Ich habe mit obigen Behauptungen kein kritisches Urteil aussprechen wollen; ich will nur sagen, wie sich das Buch in meiner Seele widerspiegelte. Ich habe es ans Herz ge- schlossen und halte es trotz all seiner Mängel und Unvollkommen- heiten wertvoll als einen köstlichen geistigen Besitz. Es erschien mir als eine der schönsten und frischesten Blüten des deutschen Geistes, ein vollkommener Gegensatz z. B. zu Adolf Bartels' ,, Heine-Buch", das ich als eine der fadesten und elendesten betrachte. Wer sich, wie ich, viel mit deutscher Dichtung und deutschem Geistesleben über- haupt befaßt hat, wird mich hier wohl verstehen. Es ist nun einmal nicht anders: dieselbe Natur, die das königliche Tier erzeugt, das die Wüste durchrennt, gebiert auch den Wurm, der am Staube klebt.
Gegenüber den erwähnten Vorzügen der „Welträtsel" auch seine Mängel hervorzuheben, ist weder geboten noch erwünscht. Licht und Schatten des Werkes sind von weit berufeneren Kritikern wiederholt eingehenden Besprechungen unterzogen worden. Als beschämend für den angeblich aufgeklärten Teil der Kulturvölker darf es bezeichnet werden, daß das Buch gerade in der fortschrittlichen Presse mitunter aufs heftigste angegriffen wurde. Ich erfuhr dies mit meiner Über- setzung der „Welträtsel", worüber in einer unsrer größten und an- gesehensten neutralen Zeitungen (De Telegraaf) womöglich noch ab- fälliger geurteilt wurde als in der gläubig -kirchlichen Presse. Der geistreiche Rezensent behauptete in diesem Blatte am Schluß seiner Besprechung, daß Haeckel durch die Veröffentlichung der „Welt- rätsel" den letzten kleinen Überrest von Achtung, die große Natur- forscher noch vor ihm gehegt hätten, verwirkt habe. Ja, wir sind in Holland eben sehr unterrichtet und furchtbar fortgeschritten. Unsre Künstler und Gelehrten sind nicht so leicht zu befriedigen. Wir sind eben „schon weiter". Haeckel und sein Monismus: „überwundener Standpunkt". Vergegenwärtigt man sich dann einen Moment, wer dieser Kauz im „Telegraaf" und wer „Haeckel" ist, so wird die Sache komisch. In der Kunst und Wissenschaft kann man bei uns hin und wieder ähnlichem begegnen. Hat nicht in einer unsrer Hauptzeit- schriften Herr Professor Kohlbrugge überzeugend und gründlich
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dargelegt, daß Goethe mit der Naturwissenschaft eigentlich nichts zu schaffen hat, daß dessen Forschungen gleich Null bedeuten und man denselben allen wissenschaftlichen Wert absprechen muß? Als Künstler: allen gebührenden Respekt natürlich! Aber nein, sagt Herr Querido, auch seine Kunst ist anfechtbar: „Faust", „Tasso", „Iphi- genie" sind dramatische Mißgriffe, seine Gestalten keine lebendigen Schöpfungen, bloß Gedankengebilde, dem Symbolischen eingepflanzt. Und Herr van Deyssel spricht von einem „wenig wertvollen Faust". Man sieht es, wir stehen eben nicht zurück, wir lassen uns nichts vormachen.
Glücklicherweise liegen auch in meiner Heimat viele günstige Ur- teile über die ,, Welträtsel " vor, und sowohl das Original wie meine Übersetzung dürfen sich des Interesses weiterer Kreise erfreuen. Mein erster Gedanke, nachdem ich mich in die Lektüre vertieft hatte, war: das muß ein großer und freier Mensch geschrieben haben, und als ich einige Jahre später die Kunststätten klassischer deutscher Dichtung, Jena und Weimar, besuchen wollte, ergriff mich der lebhafte Wunsch, den greisen Naturforscher zu sehen und wenn möglich persönlich mit ihm bekannt zu werden. Meinem diesbezüglichen Anliegen wurde von Haeckel in der liebenswürdigsten Weise willfahrt, und an einem Sommernachmittag empfing er mich in seinem einfachen Studier- zimmer mit dem Ausblick auf die Gebirge des anmutigen Saaletals. Er hatte sich kaum erholt vom Schenkelbruch, den er im Frühling des Jahres erlitten hatte, und mußte sich, auf einem Polster ruhend, mit mir unterhalten. Trotzdem erhob er sich dann und wann, wenn der Eifer des Gesprächs ihn seine Qual vergessen ließ, und schleppte sich mühsam nach seinen Büchern und Mappen mit Bildern, die er mir zeigte. Es war ein ergreifender Anblick: der Mann, dessen Geist das Gesamtgebiet der biologischen Wissenschaften zu umfassen ver- sucht hatte, der in liebedürstender Naturempfindung durch alle Erd- teile gewandert war, mußte sich mit dem engen Räume seines Zimmers begnügen. Ich konnte den Gedanken an einen Vogel im Käfig nicht unterdrücken, aber bald zeigte es sich, daß der Geist in diesem halb- gelähmten Körper ungebrochen war; die geistsprühenden Augen, der heitere Sinn des Forschers machten alsbald das körperliche Leiden vergessen. Wir sprachen über den „Monismus" und die „Welträtsel", über Goethe und schließlich auch über die politischen Verhältnisse in
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Holland und Deutschland. Ich wollte in Haeckels Gegenwart ver- suchen, das Faustproblem von der naturwissenschaftlichen Seite zu erfassen, und wagte die Meinung, daß, falls Goethe die Stufenleiter der Entwicklung aller Lebewesen vorausgeahnt habe, die Natur im „Faust" auf der höchsten Stufe erscheine und so die Möglichkeit nahe- liege, daß sie sich ihrer selbst bewußt werde. Da Faust nun aber die geistige Gebundenheit mit allen irdischen Geschöpfen teile, müsse diese Unzulänglichkeit notwendig seine zwischen zwei Welten schwe- bende Gemütspein herbeiführen. Haeckel erblickt wie ich in Goethes „Faust", mithin in Goethe selbst, den höchsten geistigen Gipfel der Menschheit und mußte gestehen, daß die Frage des Bewußtseins ein höchst schwieriges Problem sei, das mit der dunkeln Substanzfrage unmittelbar zusammenhänge. Es scheint mir unzweifelhaft, daß der „Faust" in organischem Zusammenhang mit Goethes naturwissen- schaftlichen Forschungen steht, und daß diese Auffassung der ästhe- tischen Kritik durchaus nicht zuwiderläuft. Haeckel versicherte mir, daß Goethes Naturstudium keineswegs als Dilettantismus bezeichnet werden darf: Goethe hat in Jena längere Zeit fast täglich auf der Universität Anatomie getrieben, und die Ergebnisse seiner Forschungen sind durch die großartigen Erfolge der modernen Naturwissenschaft vielfach bestätigt worden.
Haeckel erkundigte sich auch nach den politischen Verhältnissen in meiner Heimat, und ich sagte, daß bei uns fast während eines halben Jahrhunderts ein gemäßigter Liberalismus geherrscht habe, der sich zur Zeit, da es noch keine aufstrebende Demokratie gab, mit selbst- gefälliger Behaglichkeit das wissenschaftliche Mäntelchen umgehängt habe und sich so als der natürliche und unentbehrliche Lenker des Staates betrachtet habe. Später aber, als dieser Liberalismus sich nur im Bund mit einer kräftigen Demokratie gegen die immer ge- schlossener und zielbewußter vordringenden klerikalen Parteien be- haupten konnte, hat sich der konservative Teil dieser angeblichen „Aufgeklärten" den politischen Mächten des Glaubens in die Arme geworfen und hat die freisinnige Regierung einer kirchlich-gläubigen Herrschaft weichen müssen, die sich stützt auf den Materialismus der Reichen und die geistige Borniertheit der Massen. Haeckel sagte, daß diese Erscheinung sich im großen oder kleinen in der ganzen Kultur- welt wiederhole, nicht in letzter Linie in Deutschland, wo das „Zen-
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trum" längere Zeit die politische Vorherrschaft behauptet habe. (Bei den Wahlen 1913 hat übrigens in Holland die Linke wieder mit einer sehr kleinen Mehrheit gesiegt.)
Nach diesem Besuch habe ich das Glück erfahren, noch hin und wieder briefliche Mitteilungen und Schriften, teilweise auch polemi- scher Art, von Haeckel zu erhalten. Eine der letzten, Sandalion (November 1910), hat an Klarheit, Schärfe und Temperament gegen die früheren noch nichts eingebüßt. Ernst Haeckel ist für mich in seinen Werken und seinem Leben eine der größten Erscheinungen im Kulturleben der Völker, ein Mann von gewaltiger Tatkraft, dessen erstaunliche Gelehrsamkeit künstlerisch durchhaucht ist ; ein unermüd- licher Kämpfer für Wahrheit und Fortschritt, ein trotz menschlicher Schwächen und Verirrungen hoher sittlicher Charakter.
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JOUSSET DE BELLESME, BRÜSSEL
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Es ist mir wirklich eine lebhafte Freude, meinen Tribut der Be- wunderung und des Lobes zu Ehren des berühmten Zoologen und Philosophen Ernst Haeckel mit dem der ganzen Welt zu ver- einigen.
Von den Werken dieses Gelehrten waren es hauptsächlich die „Generelle Morphologie", „Die Schöpfungsgeschichte", „Die Anthro- pogenie" und der Vortrag über „Zellseelen und Seelenzellen", welche mein Interesse gefangen nahmen. Sie hatten den größten Einfluß auf meine Geistesrichtung, die darauf bereits durch das eifrige Stu- dium des „Discours sur la methode" von Descartes vorbereitet war.
Diese vier Schriften hatten in Frankreich wenig Beachtung ge- funden. Die Radiolarienmonographie dagegen wurde von Zoologen geschätzt, aber der Einfluß, den dieses Werk hätte ausüben können, wurde zum Teil durch die aus ihm entspringenden Schlußfolgerungen zunichte gemacht. Man konnte mit Leichtigkeit bemerken, daß das Studium dieser niedrigen Organismen, die von Seiten der Naturforscher fast völlig unbeachtet geblieben waren, der Lehre von der Unver- änderlichkeit der Arten einen vernichtenden Schlag versetzte; und diese Lehre war eine der Grundtheorien, welche die Basis des Unter- richts für die offiziellen Gelehrten abgab.
Als diese Werke erschienen, war gerade das Museum, die Sorbonne, das College de France unter der ausschließlichen Herrschaft einer Gruppe von Naturwissenschaftlern, an deren Spitze die Milne Ed- wards allmächtig regierten.
Als sich dann von allen Seiten die Evolutionstheorie erhob und ein neuer und befruchtender Strom die Biologie durchflutete, als dann von allen Seiten die Entdeckungen in der Embryologie sich häuften, da brachte diese Gruppe einflußreicher Gelehrten, die jeder neuen Idee feindlich war und vor allem jeder Theorie, welche die veralteten Dogmen der Schöpfungsgeschichte und der Unveränderlichkeit der Arten bedrohen konnte, da brachten diese Gelehrten eine Verschwö- rung zustande, welche die folgenreiche Bewegung totschweigen sollte ; und als diese Bewegung bald die zoologischen Wissenschaften erneuerte, war damit die zurückgebliebene französische Wissenschaft isoliert.
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Bis zum Jahre 1892 widerhallten die Gewölbe der Sorbonne kein Wort über Entwicklung und Umgestaltung: der offizielle Unterricht ignorierte sie, ebenso wie sie die Namen von Darwin, Haeckel, Huxley, Preyer und vielen anderen ignorierte.
Zwar ein paar vereinzelte Persönlichkeiten wie Ch. Robin, Claude Bernard, Berthelot, Giard und andere folgten von weitem der Be- wegung, begriffen deren Wichtigkeit und sahen klar ein neues Licht in der Phylogenie, welche Haeckel in monumentaler Weise auf dem festen Boden seiner eigenen Forschungen wie der bewunderns- werten histologischen und embryologischen Arbeiten errichtete, welche von allen Seiten in England, Deutschland und Rußland her- kamen.
Die Lehren Haeckels drangen nach und nach in dieses Milieu. Claude Bernard nahm die Einheit der Kraft, der Materie und der Empfindung an, und oft streiften meine Unterredungen mit diesem berühmten Meister diese Dinge, die er mit der Kraft seines Geistes, die er in allen Dingen zeigte, gern entwickelte. Ohne daß er jemals das Wort „Monismus" anwendete, findet man doch in seinen letzten Werken die wesentlichen Züge dieser Lehre wieder, und er erkannte ohne Rückhalt die phylogenetischen Vorstellungen Haeckels an.
Während die Zeit vorrückte, verschwanden allmählich die offi- ziellen Korps, die systematisch jeden Gedanken unterdrückten, der dem Dogma widersprach, und eine Anzahl junger Leute, unter der Führung eines tüchtigen Zoologen, Alfred Giard, entwickelte sich trotz des Schweigens, in das man die neuen Lehren hüllte. Der letzte Vertreter jener rückständigen Schule, Lacaze-Duthiers, starb, und endlich wurde 1892 in der Sorbonne durch den Gemeinderat von Paris ein Lehrstuhl für die Entwicklungslehre geschaffen.
Zum erstenmal konnte die Jugend öffentlich die Lehren von der Entwicklung, der Abstammungslehre und der Phylogenie vortragen hören, von denen die Zoologen anderer Nationen seit einem halben Jahrhundert inspiriert worden waren.
In einem gewissen Punkt läßt sich zwischen Bernard und Haeckel eine Parallele ziehen.
Beide haben den Wert der Philosophie eingesehen, und anstatt sie aus dem wissenschaftlichen Gebiet zu verbannen — wie es Vir- chow und Kirchhoff getan hatten — , haben sie sie an ihren wahren
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Platz zurückgesetzt, wo Erfahrung und Schlußfolgerung sich die Hand reichen. Die Erfahrung ist nie für den Dualismus günstig gewesen, denn niemals hat man ihr die übersinnlichen Prinzipien, die diese Lehre voraussetzt, unterwerfen können. Der von dem berühmten französischen Physiologen so klar definierte Determinismus führte geradenwegs zu der monistischen Lehre, welche von Haeckel mit ebensoviel Talent wie Feuer geschaffen und verteidigt wurde.
Sein Einfluß auf den wissenschaftlichen Geist ist unbestreitbar, und schon als er noch kaum bekannt war, ging er darauf aus, zu herr- schen und sich des menschlichen Denkens zu bemächtigen.
Sogar Haeckels Lebenslauf ist ein merkwürdiges Beispiel der Ent- wicklung; seit seiner Jugend verdichtete sich in seinem mächtigen Hirn ein Netz zahlloser Forschungen, die im gegebenen Fall zur Reife gelangten und alle in der wahrhaft wissenschaftlichen Theorie des Monismus gipfelten.
Die kindliche Auffassung, welche Körper und Seele, Menschen und Tiere voneinander trennte — der jahrhundertalte Dualismus — konnte unmöglich aufrechterhalten werden angesichts der schlagen- den Beweise, welche Haeckel unaufhörlich anhäufte, um die Einheit des Universums darzutun. Indem er mit Sicherheit und einer seltenen Unabhängigkeit des Geistes die inhaltlosen metaphysischen Vorstel- lungen zurückwies und die Widersprüche der Philosophen aufhob, wollte er Schlüsse nur aus erwiesenen Tatsachen ziehen, und so hielt er sich an die Vorschrift der Kartesischen Methode, die so viele große Geister gebildet hat: ,, Nichts für gewiß zu halten, was nicht voll- kommen erwiesen ist."
Der fabelhafte Einfluß Haeckels auf das menschliche Denken ist vielleicht in Frankreich schwächer als anderswo geblieben. Dieses Land steht unglücklicherweise so sehr unter dem Joch eines alten theokratischen Atavismus, daß es trotz der Anstrengungen hervor- ragender Größen nicht dazu kommt, sich von ihm zu befreien.
Es ist gewiß, daß die philosophischen Lehren des berühmten Ge- lehrten, dessen 80. Geburtstag wir feiern, nur schwer in die große Menge Eingang fanden oder auch nur in die Welt der Intellektuellen auf- genommen werden konnten. Der Zugang zu diesen hohen Gedanken- gipfeln ist nur solchen gestattet, deren Geist durch das solide und aus- schließliche Studium der biologischen Wissenschaften genährt wurde.
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Diesen aber drängt sich der Monismus mit jener unwiderstehlichen Gewalt auf, die die Wahrheit besitzt. Die Masse betrachtet diese er- habenen Vorstellungen mit einer gewissen Gemütsbewegung, ähnlich der, die den Wanderer beim Anblick eines kolossalen Gebirges er- greift, dessen Höhe ihn erdrückt. Deshalb konnte der Monismus nicht volkstümlich werden; er blieb im Alleinbesitz einer privile- gierten Elite. In keinem Zeitalter war die Wahrheit bei der Majo- rität, wie auch Descartes so treffend gesagt hat: „Eine Wahrheit zu finden, ist nur einer kleinen Zahl von Menschen möglich."
Haeckel soll nicht nur um seiner Werke willen gelobt werden, sondern auch wegen der Standhaftigkeit seiner Überzeugungen und der Unabhängigkeit des Geistes, mit welcher er sie aufrechterhalten und entwickelt hat, ohne sich darüber zu beunruhigen, ob sie die Empfindlichkeit der Herrschenden reizen könnten. Es ist sehr selten, daß ein Gelehrter gewagt hat, sein ganzes Denken zu offenbaren. Descartes fürchtete den Scheiterhaufen, und heute fürchtet man für seine Interessen. Haeckel war frei von diesen Schwächen. Er bekannte seine Gesinnung furchtlos, und wenn seine Aufrichtigkeit von Regie- rungen scheel angesehen wurde, welche gern den Irrtum zum Zwecke politischer Herrschaft aufmunterten, so gewann er die Anerkennung aller aufrichtigen Denker. Er zog auch in Betracht, daß der Monis- mus die Erziehung der Kinder beeinflussen sollte. Er sah ein, daß die Wahrheit nur dann triumphieren wird, wenn die Zeitgenossen oder die Regierungen die Klugheit und Festigkeit haben, die Erziehung der Jugend den irrigen Dogmen des Aberglaubens zu entziehen. Er betonte die Wichtigkeit, welche die Ergebnisse der Wissenschaft für die Bildung der jungen Generation besitzen. Nur auf dem Boden einer wissenschaftlichen Weltanschauung können Friede und Einigkeit in der Menschheit herrschen. Eine Regierung, welche die Jugend durch die Feinde ihrer eigenen Einrichtungen erziehen läßt, geht an den inneren Mißhelligkeiten, an Zwietracht und Bürger- krieg zugrunde.
Den Kopf hochzuhalten, ohne dem Aberglauben Zugeständnisse zu machen, diesen zu bekämpfen, eine Handvoll Wahrheiten in seiner Faust zu spüren und sie zu öffnen, das beweist einen Mut, den man nicht oft erlebt, und dem man seine Hochachtung bezeugen muß, wenn man ihm begegnet.
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Laßt uns also Haeckel am Tage seines 80. Jahres unsere Hoch- achtung bezeugen; laßt uns unsere Hochachtung bezeugen dem un- geheuren Umfang seiner Arbeiten, seiner staunenswerten Laufbahn, seinem frischen und heldenmütigen Alter.
Er kann mit Befriedigung zurückblicken und den Weg abmessen, welchen er den menschlichen Geist hat durcheilen lassen, und vom Gipfel, auf den sich sein Denken erhoben hat, mit Vertrauen die dem Monismus und der Wahrheit geöffneten Pforten der Zukunft ins Auge fassen.
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FRIEDRICH GLATZ, WIEN : WAS HAT ERNST HAECKEL DEM SCHON RELIGIÖS AUFGEKLÄRTEN
GEBRACHT?
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Auch der einfache Kaufmann darf sich am Festtage von Haeckels 80. Geburtstage zum Worte melden. Wendet sich dieser in seinen volkstümlichen Werken doch an die Gebildeten aller Stände.
Allerdings ist der Begriff des Gebildetseins umstritten. Allein Haeckel fordert zweifellos nicht sowohl ein bestimmtes Maß formaler Bildung, als vielmehr die Kenntnis gewisser Fundamentalsätze der Naturwissenschaft, wie: des heliozentrischen Systems, der alles beherr- schenden Naturgesetzmäßigkeit, davon insbesondere des Substanz- und des Konstanzgesetzes, der Atomtheorie, des Energiebegriffs und vor allem der Deszendenztheorie. Dieser Wissensstoff ist aber heute Ge- meingut der breitesten Kreise.
Ich habe sie nicht erst durch die Lektüre der Schriften Haeckels erworben. Mein Vater war Redakteur. Alle bedeutenden Errungen- schaften der Wissenschaft, alle neuen fruchtbaren Theorien wurden im Familienkreise besprochen, in welchem Politiker, Professoren und sonstige Intellektuelle verkehrten. Allein die Frage, was auch der schon von Haus aus religiös vollkommen Aufgeklärte dem Einflüsse Haeckels zu verdanken hat , ist nicht weniger der Beantwortung wert als diejenige nach dem Einfluß, den der vorher Gläubige oder religiös Indifferente durch die aufrüttelnde Aufklärung Haeckels erfahren hat.
Um ein solches durch Haeckel bewirktes „finishing" einer schon vorhandenen Aufklärung in ihrer Bedeutung verständlich zu machen, ist es nötig, sich die Kämpfe in Erinnerung zu rufen, welche sich im letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts zwischen kirchlichem Geist und Kulturfortschritt abspielten.
„Das Leben Jesu" von D. Strauß hatte, als echtes Volksbuch, weit über den Kreis seiner Leser hinaus gewirkt, da der Kern seines Inhaltes, daß die Bibel keine offenbarte heilige Schrift, nicht einmal ein einwandfreies historisches Dokument, sondern tendenziöses Men- schenwerk und daß Jesus kein Gott, sondern ein Mensch sei, leicht weiterverbreitet werden konnte. So drang das Ergebnis der Bibelkritik nicht nur in das Pfarrhaus, sondern auch in die Arbeiterhütte, ja selbst g§E]ggggG]gggggggg§ggggggggE]gEiE]G]E]E|EiG]gE]E]ggG!§E!G]G]E]G]gE]G]gEiE)
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in die Schule ein, wo es mit wichtiger Miene von Kamerad zu Kamerad weitergesagt wurde. Die Grundlage allen konfessionellen Glaubens schien mit einem einzigen zermalmenden Schlage vernichtet. Strauß war von Haus aus kein Kirchenfeind. Als gläubiger Theologe hatte er sich an das Studium der synoptischen Evangelien gemacht. Um so wuchtiger war die Wirkung seiner Kritik. Bleicher Schreck erfaßte die kirchlichen Kreise. Andererseits hielten die Fortschrittsfreunde einen völligen Wandel unserer gesamten geistig-sittlichen Kultur nun für unmittelbar bevorstehend. Allein weder die Sorge der einen noch die Hoffnungen der anderen erwiesen sich als gerechtfertigt. Ja gerade der glimpfliche Verlauf der in der Bibelkritik gelegenen Bedrohung der traditionellen Weltanschauung hatte die Kirche erst zum vollen Bewußtsein ihrer anscheinend unüberwindlichen Stärke gebracht. Übermütig sprachen ihre Kreise von dem Bankerott der Wissenschaft, welche doch keine, die Menge befriedigenden Antworten auf die letz- ten Probleme der Welt geben und der Herrschaft der dogmatischen Religion daher auch keinen Abbruch tun könne.
Dem Mißerfolge im Kampfe gegen die Kirche auf geistigem Gebiete folgte derjenige in der Politik. Der Kulturkampf in Deutschland hatte mit einem Fiasko der weltlichen Macht geendet. Während die Naturwissenschaften immer größere und größere Errungenschaften erreichten, welche ausnahmslos die Negation der alten Tradition be- deuteten, gewann die Organisation der letzteren, die Kirche, auf den meisten Gebieten des öffentlichen Lebens, insbesondere in der Schule, ununterbrochen zunehmenden Einfluß.
Recht unerfreulich war auch der Gemütszustand des einzelnen Aufgeklärten. Eine vollkommen befriedigende naturwissenschaftliche Begründung der sittlichen Forderung, die Überwindung der atavisti- schen Wertungen im Gemütsleben und ganz besonders die Organisation einer, den einzelnen Fortschrittlichen stärkenden Gemeinschaft schie- nen noch in unabsehbarer Ferne zu liegen. Wie verfrüht Erwartungen nach dieser Richtung gewesen waren, zeigte sich auch äußerlich deut- lich in dem bedauerlichen Mißerfolge von D. Strauß' „Alter und neuer Glaube". Mit Resignation ergab man sich darein, sich einstweilen nur an den herrlichen Leistungen der Naturwissenschaft und der kri- tischen Geschichtsforschung auf ihren verschiedenen Einzelgebieten erfreuen und sich durch sie in dem Glauben an die Gesamtwissenschaft SSE]E]gggggggggggggggE]gE]gggggggggE]gB]E]B]BjE]BjgB3E]E]E]E]E]E]E]E]EiE]E]
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als zukünftige Bringerin neuen Menschentumes erheben lassen zu können.
Da ging Ende der achtziger Jahre durch die gesamte gebildete Welt der Ruf nach Begründung von ethischen Gesellschaften. Los- lösung der sittlichen Sanktion von allem Konfessionalismus war das alle Freunde der Wahrhaftigkeit elektrisierende Losungswort. Das Gute seiner selber willen zu tun, war ihre praktische Maxime. Die Namen der Besten unserer Kultur prangten auf den Einladungen zum Beitritt. Eine Welle der Begeisterung war durch jene geistig- sittliche Gemeinde gegangen, welche ja auch schon damals, wenn auch ohne jedwedes Gefüge, für das Streben vorhanden war, unser gesamtes Leben in Übereinstimmung mit der Wissenschaft zu bringen.
Je berechtigter die großen Erwartungen zu sein schienen, welche an die ethischen Gesellschaften geknüpft worden waren, um so nieder- schlagender war die Enttäuschung, die viele ihrer Gründer bald er- lebten. Die Festlegung auf Kants zwiespältige Philosophie und eine fast ausschließlich auf das Subjektive gerichtete Auffassung der Ethik, endlich der Mangel genügender naturwissenschaftlicher Orientierung, welche Merkmale die Betätigung dieser Gesellschaften charakterisier- ten, konnten nicht zu einer den modernen Menschen befriedigenden Weltanschauung führen. Gerade in der allerwichtigsten praktischen Betätigung der deutschen ethischen Gesellschaft, in der theoretischen Vorbereitung einer Reform des Jugendunterrichtes, war ein Weg ein- geschlagen worden, welcher der programmatischen Loslösung vom Konfessionalismus nur scheinbar entsprach. Von dem im höchsten Maße katholisierenden Dr. F. W. Förster, Zürich, dem Autor der ethischen Lebenskunde, konnte ein rückhaltsloser Kampf gegen die dogmatische Überlieferung nicht ausgehen.
Die neuerlich erlebte Enttäuschung war bitter. Allein die geschil- derte unrichtige Methode und das Versagen einzelner Personen er- klärten sie hinlänglich, und so war kein Grund vorhanden, an der guten Sache selber zu verzweifeln. Gerade die gemeinschaftliche Arbeit so vieler Fortschrittsfreunde, wie sie gelegentlich der Gründung der ethi- schen Gesellschaft erfolgt war, ließ die nahe Möglichkeit, eine neue Weltanschauung zu schaffen, sicher erkennen. Waren doch zu Ende des vorigen Jahrhunderts, wenn auch nicht alle, so doch viele Ele- mente einer solchen in jedem Aufgeklärten vorhanden. Gleich einem ggggggggggggggE]E]ggB]gggB]ggggE3ggggggB]E3E]E]B]EiE]E]E]E]E]E]giE]E]G]E]B]
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sorgfältig vorbereiteten und emsig zusammengeführten Baumaterial harrten sie des großen Baumeisters, der sie zu einem prächtigen Bau erstehen lassen sollte. Nur wenn man sich diese Verfassung von Geist und Gemüt der kulturellen Oberschicht jener Zeit vergegenwär- tigt, welche dem biologischen Zustande der äußersten Summation von noch latenten Reizwirkungen vor dem Auftreten der Mutation ver- gleichbar ist , läßt sich die ohne Beispiel dastehende , ungeheure Wir- kung von Haeckels Welträtseln verstehen.
Als ich mich das erstemal durch die Welträtsel durcharbeitete, war ich von einem ganz neuen Glücksgefühl beseelt. Ein seit langen Jahren gehegtes Verlangen war durch dieses Werk erfüllt. Dieses durch und durch wissenschaftliche Buch war für Laien geschrieben, wie ich selber einer bin. Ja, in allererster Linie für solche.
Wohl hat mich auch schon früher oft die Lektüre guter Bücher oder die Nachricht von einer wissenschaftlichen Großtat auf das höch- ste begeistern können. Allein solche Berichte waren ja meist nicht für den Laien bestimmt, und selbst recht gute volkstümliche Schriften brachten merklich immer nur ein Bruchstück von Weiterbildung. Nie hatte ich vorher aus solchen Erlebnissen eine Beeinflussung erfahren, welche sich zu irgendwelchen Entschlüssen gesteigert hätte. Mit einer einzigen Ausnahme: der von Forel gebotenen Aufklärung über den Alkohol als individuelles und Rassengift, welche mich von heute auf morgen zum absoluten Abstinenten gemacht hat.
Es ist ein historisches Ereignis allerersten Ranges, daß Ernst Haeckel in seinen Welträtseln mit starker Hand, sicher und zielbewußt, die letzten Schranken restlos und endgültig niederreißt, welche seit jeher den Laien von dem höchsten Schatze seiner Zeit, von den Er- gebnissen der Gesamtwissenschaften trennen. Das hat mich mit tief- stem Danke für ihn erfüllt. Immer schon hatte ich in mir den An- spruch auf dieses wertvollste Kulturgut empfunden. Immer aber glaubte ich mir ihn als ungehörige Anmaßung ausreden zu sollen. Ist doch das Schlagwort von der Schädlichkeit oder Lächerlichkeit der Halbbildung nur zu wirksam. Haeckel hat dieses hohe Gut, so wie mir, so vielen Hunderttausenden gegeben. Er hat uns dadurch in unserer Selbstachtung gehoben, damit aber auch in uns den Willen geweckt, uns solcher Gabe würdig zu erweisen. Haeckel spricht aus, daß die monistische Bewegung letzten Endes eine ethische sein müsse.
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Daß dem so sei, das wollen und werden wir Laien erweisen! Denn die wissenschaftliche Methode, diese wirkliche „via veritatis et vitae", dieser alleinige Weg zur relativen Wahrheit und absoluten, lauteren Wahrhaftigkeit, ist nun nicht mehr nur den wissenschaftlichen Berufen vorbehalten. Sie wird zum Kulturbesitz der ganzen Menschheit und muß im Alltagsleben für deren Höherentwicklung ebenso Großes voll- bringen, wie sie in der Forschung Großes vollbracht hat.
Nicht so rasch wie der eben geschilderte beglückende Eindruck hat sich die spezifisch monistische Wirkung der Welträtsel in mir eingestellt. Absichtlich habe ich nicht von einer Lektüre, sondern von einem sich Durcharbeiten durch diese neue Gedankenwelt ge- sprochen. Stellt doch Haeckel gerade dem schon vorher Aufgeklärten eine recht große Aufgabe. Ein großer Teil meines früheren Wissens- stoffes wurde mir in der neuen Beleuchtung und im monistischen Zu- sammenhang eigentlich zu einer neuen Erkenntnis, welche ich erst wieder frisch verarbeiten mußte. Als ein Beispiel erwähne ich, daß die in den Welträtseln enthaltene Ablehnung der traditionellen Reli- gionen mir, dem reinlichen Atheisten, stofflich nichts Neues geboten hat. Allein sie hat an Stelle ihrer bisherigen bibelkritischen und vor- wiegend rein rationalen Begründung im Sinne Voltaires die unver- gleichlich wuchtiger wirkende der Anthropologie gesetzt.
Umlernen ist aber oft schwieriger als etwas neu lernen. Und noch schwieriger als das Umlernen war es mir, gegen das in mir wir- kende Gesetz der Trägheit anzukämpfen und etwas von meinem alten Wissensstoff aufzugeben. War doch dieser zum Teil mit großer Mühe autodidaktisch erworben und im Laufe vieler Jahre gewissermaßen zu einem Teile meines geistigen Ich geworden.
Seit meiner Schulzeit hatte es mich immer mit der allergrößten Befriedigung erfüllt, in der Gravitationslehre Newtons für die erhebend schönen Wunder des Kosmos eine restlose Erklärung zu erkennen. Und nun mußte ich mir sagen lassen, daß der Angelpunkt dieser Er- klärung, die Gravitation, selbst durchaus Problem ist; daß ihre Iden- tität mit der uns empirisch zugänglichen und darum scheinbar so vertrauten, in Wirklichkeit ganz rätselhaften irdischen Schwerkraft über ihr Wesen selber noch gar nichts aussagt. Erfreulicherweise blieb aber doch wenigstens die Tatsache der Gravitation selbst un- berührt.
5 Haeckel-Festschrift. Bd. II 65
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Um so weniger blieb mir armem Aufgeklärten von meinem sauer erworbenen philosophischen Wissen übrig, welches ich Kronenbergs Popularisation der Kantschen Philosophie zu verdanken hatte. Aller- dings habe ich von allem Anfang an eine gewisse heimliche Opposition gegen den Kantianismus in mir nicht ganz unterdrücken können, woran ich heute mit Genugtuung zurückdenke. Kants erkenntnistheoreti- scher Kritizismus, welcher ebenso zur Annahme wie zur Ablehnung des Gottesglaubens führen konnte, mußte in mir, der ich schon als Knabe von meiner Mutter im Unglauben erzogen worden war, starkes Bedenken erregen. Seiner Lehre von aprioristischen Kategorien un- seres Denkens zu folgen, kostete mich Mühe. Und Zeit und Raum als nicht real, sondern ganz ebenso wie das konventionelle Maß von Zeit und Raum als nur vom Menschen in die Natur projiziert aufzufassen, wollte mir schlechterdings nicht gelingen. Aber wie durfte ein ganz gewöhnlicher Laie zweifeln, wo wissenschaftliche Autoritäten zustimm- ten, — Haeckels Kritik der Kantschen Philosophie brachte mir eine wohltuende Befreiung, aber auch die Notwendigkeit, frisch zu lernen.
Die durch die Welträtsel in Fluß gebrachten Änderungen meiner geistigen Verfassung ließen anfangs in mir kein Gefühl voller Be- friedigung aufkommen. Es war eine Art schwerer geistiger Ermüdung, in welcher ich das an starken Eindrücken überreiche Buch aus der Hand legte.
Ganz allmählich und ohne daß ich mir seiner Nachwirkung gleich ganz bewußt geworden wäre, begann ich bei Diskussionen, bei irgend- welcher Lektüre, bei Urteilsbüdungen und Entschlüssen im Alltag die Dinge nicht mehr für sich allein, sondern immer mehr und mehr in ihren großen Zusammenhängen zu betrachten. Ich war auf dem Wege zum Monismus! Das alles umfassende System Haeckels war unmerklich und doch mit unwiderstehlicher Gewalt in mir lebendig geworden. Mein Wissen hatte sich zur Bildung entfaltet!
Bei jeder Gelegenheit schlage ich nun gerne in dem mir liebge- wordenen Buche nach. Da merke ich mitunter mit Freude, wie mein Wissensstoff in dem einen und anderen Gegenstand über den Inhalt der Welträtsel hinausgewachsen ist. Die Lektüre der von Haeckel empfohle- nen Bücher, vor allem mancher Schriften Verworns, Semons und Tyn- dalls und des „Monistischen Jahrhunderts", haben mein Wissen erwei- tert und vertieft. Und erst hiernach und gerade jetzt, wo ich durch
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die monistische Presse von den fortgesetzten Verbesserungen früherer Forschungsresultate durch die nie rastende Wissenschaft vielfach un- terrichtet bin, weiß ich in vollem Maße zu würdigen, wie genial die in den Welträtseln von Haeckel gebotene Grundlegung einer natur- wissenschaftlichen Weltanschauung ist.
Dieser Entwicklungsgang ist zunächst ein rein geistiger. Es könnte daher leicht die Meinung entstehen, daß der Übergang zum Monismus etwas rein Verstandesmäßiges sei, wobei das Gemütsleben leer ausgehe. Dem ist aber ganz und gar nicht so ! Bringt er doch vor allem Wahr- haftigkeit, also die oberste Voraussetzung jedes reinen Gemütslebens! Gibt er doch eine die natürliche Sittlichkeit bewußt verwirklichende Lebensauffassung, die dem Monisten in jeder Lebenslage zu selbst- sicheren Entschlüssen kommen läßt! Hat uns doch Haeckel im Mo- nistenbund auch schon die menschliche Gemeinschaft gegeben, in welcher sich edles Gemütsleben entfalten kann und zukünftig noch schöner zu einem neuen Menschentume entfalten wird. An diesem aber hat jeder von uns nicht nur empfangend, sondern mitschaffend Anteil, und in diesem Bewußtsein liegt das höchste Glück, das ein moderner Mensch haben kann. Das danke ich Haeckel. Das wird ihm die Menschheit von Generation zu Generation in immer höherem Maße danken!
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ERNST KOERNER, BERLIN: EXZELLENZ ERNST
HAECKEL ALS MALER
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Vierzig Jahre sind nunmehr verflossen, seit ich im April 1873 Pro- fessor Ernst Haeckel kennen lernte.
Noch berauscht von dem Zauber des märchenhaften Pyramiden- landes ging meine Fahrt mit Carl Stangen nach Palästina.
Durch schroffe Klippen, an denen die Wogen machtvoll brandeten, führten uns kleine Boote nach dem hochragenden Jaffa. Von dort ritten wir in zwei Tagemärschen über Ramleh, vorüber bei Emmaus, immer neue Anhöhen erklimmend, durch Berg und Tal, bis plötzlich dicht vor uns Jerusalem lag mit seinem alten Damaskustor in der trutzigen Stadtmauer und dem Turm des David. Vor uns erhob sich der ölberg, zu unseren Füßen dämmerte tief unten das Tote Meer.
In vierzehntägigem Ritt, im Geleit von 25 Beduinen, Knechten und Köchen und einem großen Zeltlager erreichte die Gesellschaft zuerst Tiberias am See Genezareth und Caesarea Philippi. Dann ging es über den großen Hermon durch das steinige Tal Magia del Schems (das Sonnental) nach Damaskus, umgeben von einem Paradiesesgarten.
Von dort führte der Weg zum Meere bei Beirut zuerst nach Baalbek mit seinen wuchtigen assyrischen Unterbauten, auf denen die gigan- tischen Tempel des Zeus und des Helios zu den Zedern und Schnee- feldern des Libanons emporragen.
Von Beirut führte uns das Schiff zunächst nach Smyrna. Dort stieg ein hochgewachsener Mann ein. Aus seinem Antlitz, umgeben von blonden Locken und Vollbart, blickten freundlich zwei leuchtende Augen und sein frohes Lachen klang silberhell. Wir hielten ihn für einen Maler. Das war der schon damals berühmte Naturforscher Pro- fessor Ernst Haeckel. Er schloß sich in Athen der Gesellschaft an, und bald kamen wir beide uns näher in der gemeinsamen Begeisterung für die schöne Natur und die herrlichen Werke der Kunst.
Wir blickten von der Akropolis herab auf den Piräus und die Insel Salamis. Im Vordergrund stand mit seinen ernsten Karyatiden das Erechtheion, vor uns die Propyläen, an welche sich damals noch der dunkle Kreuzfahrerturm wehrhaft ragend anlehnte.
Von Athen fuhren wir durch die Dardanellen nach Konstantinopel, gggggE]g§§gg§gigggE)E]g§gggggggg§E]E]EiggE]G]G]E]gG]E]EiE]EjE]E]E]B]EiE]g
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welches mit seinen Moscheen und Palästen wie ein Wunder aus „Tau- send und eine Nacht" erschien.
Hier wollten wir beide einen Monat verweilen. So folgten wir gern der freundlichen Einladung des Sekretärs des Konsulats, Herrn Rohn- stock, in seinem zu Pera gelegenen, echt türkischen Hause zu wohnen.
Dies Haus aus doppelten Bretterwänden gefügt, zwischen denen Mäuse und Ratten umherjagten, und welches im Innern zwar zerfallen, aber doch recht gemütlich war, eröffnete dem erstaunten Blick eine wunderbare Aussicht über den Bosporus mit dem Leanderturm, hin- über nach Asien, wo Skutari im Morgenduft von blendendem Licht umflossen war.
Am Mittag erschien der Bosporus wie ein blaugrünes Damast- gewebe, in welches die Windstreifen anmutige Muster zeichneten. Dar- auf waren, wie eine Perlenstickerei, unzählige Schiffe mit ihren weißen Segeln ausgebreitet. Tief unten links spiegelten sich in der kristallenen Flut die Marmorpaläste von Dolma Baktsche und Tscheragan, welche das ganze Ufer weit hinaus umsäumten. Dahinter stiegen die üppigen Gärten des Sultans empor. Zu unserer Rechten streifte der Blick über das Marmarameer mit den Prinzeninseln bis zum Golf von Mudania und Brussa, zu den schneebedeckten Höhen des kleinasiatischen Olymps.
Bald lernten wir unter Rohnstocks sprachkundiger Führung das alte Stambul kennen, besuchten die Marställe des Sultans Abdul Azis mit den mutigen Berberhengsten, ritten um die alten Stadtmauern nach Jedikule am Marmarameer und fuhren im Kaik durch das Gol- dene Hörn zu den süßen Wassern von Europa.
Überall wanderte das Skizzenbuch und der Malkasten mit, und Haeckel entwarf seine Landschaften mit bewundernswerter Schnellig- keit. Auch ich war durch die kurzgemessene Rast auf dem Ritt nach Damaskus gewöhnt, kurzentschlossen meine ölstudien zu malen, aber im Aquarellieren kam ich in der Schnelligkeit mit Haeckel nicht mit.
Mit unserem liebenswürdigen Wirt machten wir auch Ausflüge nach den Prinzeninseln und nach Brussa in Kleinasien. Er hatte unter- wegs geschäftlich zu tun.
Vom Golf von Mudania führte uns ein Wagen bei einem Wäldchen von mächtigen, rauschenden Eichen vorüber zur alten Kalifenstadt Brussa. Dieselbe ist hingelagert an den Vorbergen des Olymps. Der feuchte, humose Boden erzeugt üppigste Vegetation, besonders die
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schönsten Zypressen der Welt. Warme Heilquellen, große Webereien, Meerschaumschnitzereien, uralte Moscheen sind hier und echt orienta- lisches Leben.
Überall wurde gezeichnet und gemalt. Haeckel war ein prächtiger Malerkollege, und ich merkte kaum etwas von der Tiefe seiner wissen- schaftlichen Erkenntnis. Erst als wir später den deutschen Konsul in Brussa besuchten, der ein glühender Verehrer Haeckels war und seine Werke besaß, auch mikroskopierten seine Töchter, da wurde mir erst klar, mit welcher Berühmtheit ich täglich so gemütlich wanderte !
Wir kehrten erst am 30. April 1873 nach Konstantinopel zurück. Zunächst unternahmen wir gleich am 26. April den Ritt auf den Olymp.
Durch duftende Rosen- und Mandelbüsche blickte man auf die schönen Zypressen, welche in saftigstem Grün, hochgewachsen, die türkischen Gräber mit ihren steinernen Turbanen und Blumen um- standen. Beim Aufstieg hatte man noch einmal einen herrlichen Blick über die Stadt und die Ebene. Dann umfing uns der Frühlings wald mit Rauschen und Vogelsang. Und der ernste Gelehrte an meiner Seite freute sich wie ein Kind, kannte jede Vogelstimme und nannte mir die Namen der zierlichen Sänger.
Als wir höher hinauf ritten, veränderte sich das Bild. Ein kahler, erstorbener Wald umgab uns. Kein Blatt bewegte sich an den rinden- losen Stämmen, welche grau, wie versilbert dastanden. Hatte hier ein Waldbrand oder die Heuschrecke gewütet? Es war, als befände man sich im Reiche der Schatten!
Plötzlich umgab uns das Dunkel eines Tannenwaldes und bald vollkommene Alpenvegetation. Hinter einem kleinen Teich öffnete sich der Blick auf die Schneefelder des Olymps, deren Schmelze sich hier sammelte.
Nun erklärten unsere Führer, daß weder ihre Pferde noch sie selbst weiter könnten; weil der Aufstieg über den Schnee zu gefährlich sei.
Ich hatte keine Erfahrung im Bergsteigen und Haeckel auch wohl nur wenig, so stiegen wir beide allein drauflos, ohne jede Scheu. Und wir hatten Glück. Der Schnee war hart und trug uns. Haeckel schritt weit aus und verschwand bald meinen Blicken. Ich fühlte mich in der weiten, weißen Fläche einsamer als in der Lybischen Wüste ; aber hinauf mußte ich.
Nach geraumer Zeit lag die Spitze des Berges vor mir, darauf ein
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schwarzer Punkt, der, sich vom Himmel abhebend, endlich als eine menschliche Gestalt zu erkennen war.
Stürmisch umarmte mich mein treuer Reisegefährte, als ich oben ankam, und wir freuten uns gemeinsam innig des Erreichten und ge- nossen den wunderbaren Rundblick zu unseren Füßen.
Hinter dem Marmarameer im Norden lag, wie eine Fata Morgana, das alte Stambul. Von dort nach Süden schweifte der Blick an dem Meeresgestade entlang. Im Süden breitete sich die trojanische Ebene aus. In ihrem Duft erglänzte auf zwei Seen die Sonne Homers goldig, wie auf dem Schilde des Achilles.
Es bevölkerte sich uns das Gefilde mit den trojanischen Helden, und in der einsamen Höhe, weit über den Wolken, waren wir mitten unter den Göttern Griechenlands!
Zum Andenken nahm Haeckel den obersten Stein einer kleinen Pyramide, die auf dem Gipfel errichtet war, mit und brachte so die höchste Spitze des Olymps nach Jena.
Oft haben wir dieser schönen Stunde noch später gedacht, wenn Professor Haeckel seine Verwandten und Freunde in Potsdam und Berlin besuchte, und auch mir die Freude machte, mich und meine Frau, die ebenfalls mehrere große Reisen, auch Nilreisen, mit mir ge- macht hat, in unserem Heim zu besuchen. Da zeigte er uns seine ersten schönen Zeichnungen und Aquarelle von den Kunstformen der Natur und seine Wanderbüder. Er ließ sich auch, wie ein dankbarer Schüler, von meinem verehrten alten Lehrer, Professor Hermann Eschke, künstlerischen Rat erteilen. Ich habe immer seinen Fleiß und Ge- nauigkeit und das tiefe Verständnis angestaunt und mich als Maler über sein Schönheitsgefühl und Empfinden für landschaftliche Stimmungen gefreut, welche er auch überzeugend zum Ausdruck brachte.
Nun habe ich auch Haeckels Schriften gelesen, welche er mir in freundschaftlicher Weise schickte, auch seine „Welträtsel". Ich habe dabei gestaunt wie zielbewußt darin aus dem Kleinsten das Voll- endetste entwickelt ist und habe erkannt, daß auch dieser kühne Forscher vor der Kraft ehrerbietig haltmacht, welche die erste Be- wegung erzeugt hat, — vor dem Primo Motore des Leonardo da Vinci !
Mag Haeckel in seiner Wissenschaft ein scharfer Kämpfer sein, mir gegenüber ist er stets duldsam und liebenswürdig gewesen. Er ist mir ein lieber Freund geblieben, den ich hoch verehre!
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N. LEON, JASSY: MEIN MEISTER HAECKEL
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Als Student bekam ich im Jahre 1883 in Jassy Haeckels „Schöp- fungsgeschichte" in französischer Übersetzung zum erstenmal vor Augen. Es waren die herrlichsten, die einleuchtendsten Vorlesungen, die ich je gelesen hatte! Sie begeisterten mich dermaßen, daß ich mir die Koffer bereit machte und nach Jena fuhr, wo ich mich als stud. med. et rer. nat. immatrikulieren ließ. Da konnte ich nun den Ver- fasser selbst hören, und bin jetzt einer von denen, die sein Werk dreißig Jahre mit größtem Eifer verfolgt haben, die den Werdegang des Mei- sters als Mensch und Gelehrter mit vollem Interesse begleitet haben.
Von ihm lernte ich es, das Genie zu bewundern, das Schöne zu lieben und mich nur vor der Wahrheit zu beugen. — Wenn auch seine kostbare Zeit von ernsten Forschungen in Anspruch genommen war, schenkte er dennoch einen guten Teil seiner Energie dem Unterricht, was Studenten aus der ganzen Welt anzog.
WTie beschäftigt er auch sein mochte, nie zeigte er sich gestört, wenn ihn einer von uns aufsuchte, um seinen Rat einzuziehen.
Eines Tages ließ er mich in sein Arbeitszimmer rufen und frug mich wohlgemut, wo ich die Ferien zu verbringen gedächte, und ohne nur meine Antwort zu erwarten, sagte er mir: „Mußt irgendwo an die See, um die Tierwelt des Wassers kennen zu lernen; das Meer bietet ein höchst interessantes Material für unser Studium, das zur Erziehung eines Naturalisten unentbehrlich geworden ist. Dr. Kükenthal und Weissenborn — die damals seine Assistenten waren — fahren nach Norwegen um die dortige Küstenfauna zu studieren, fahren Sie doch auch mit." (Dr. K. ist nun Professor und Leiter des Zoologischen Instituts in Breslau, Dr. W. ist längst verschieden.)
Ich werde es nie vergessen, mit welcher Freude, mit welchem Eifer er mich bei meiner Rückkehr aus Norwegen empfing. Er ließ sich die Ortschaften auf der Karte zeigen, wo wir gefischt hatten; ich sollte ihm von den Tieren erzählen, die wir gesammelt hatten, und von der Art, wie wir sie aufbewahrt haben.
Was den Fortschritt der Kultur so schwer macht, ist wohl in erster Reihe die Tatsache, daß sich die Schriften der Gelehrten größtenteils nur an Gelehrte richten; sehr wenig Gebildete können sie benützen, ggggggggB]G]gggE]gggE]ggggggggggggggggggB]E]E]E]E]EjE]3]E]B]G]S)E]E]5]E]
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schwarzer Punkt, der, sich vom Himmel abhebend, endlich als eine menschliche Gestalt zu erkennen war.
Stürmisch umarmte mich mein treuer Reisegefährte, als ich oben ankam, und wir freuten uns gemeinsam innig des Erreichten und ge- nossen den wunderbaren Rundblick zu unseren Füßen.
Hinter dem Marmarameer im Norden lag, wie eine Fata Morgana, das alte Stambul. Von dort nach Süden schweifte der Blick an dem Meeresgestade entlang. Im Süden breitete sich die trojanische Ebene aus. In ihrem Duft erglänzte auf zwei Seen die Sonne Homers goldig, wie auf dem Schilde des Achilles.
Es bevölkerte sich uns das Gefilde mit den trojanischen Helden, und in der einsamen Höhe, weit über den Wolken, waren wir mitten unter den Göttern Griechenlands!
Zum Andenken nahm Haeckel den obersten Stein einer kleinen Pyramide, die auf dem Gipfel errichtet war, mit und brachte so die höchste Spitze des Olymps nach Jena.
Oft haben wir dieser schönen Stunde noch später gedacht, wenn Professor Haeckel seine Verwandten und Freunde in Potsdam und Berlin besuchte, und auch mir die Freude machte, mich und meine Frau, die ebenfalls mehrere große Reisen, auch Nilreisen, mit mir ge- macht hat, in unserem Heim zu besuchen. Da zeigte er uns seine ersten schönen Zeichnungen und Aquarelle von den Kunstformen der Natur und seine Wanderbilder. Er ließ sich auch, wie ein dankbarer Schüler, von meinem verehrten alten Lehrer, Professor Hermann Eschke, künstlerischen Rat erteilen. Ich habe immer seinen Fleiß und Ge- nauigkeit und das tiefe Verständnis angestaunt und mich als Maler über sein Schönheitsgefühl und Empfinden für landschaftliche Stimmungen gefreut, welche er auch überzeugend zum Ausdruck brachte.
Nun habe ich auch Haeckels Schriften gelesen, welche er mir in freundschaftlicher Weise schickte, auch seine ,, Welträtsel". Ich habe dabei gestaunt wie zielbewußt darin aus dem Kleinsten das Voll- endetste entwickelt ist und habe erkannt, daß auch dieser kühne Forscher vor der Kraft ehrerbietig haltmacht, welche die erste Be- wegung erzeugt hat, — vor dem Primo Motore des Leonardo da Vinci !
Mag Haeckel in seiner Wissenschaft ein scharfer Kämpfer sein, mir gegenüber ist er stets duldsam und liebenswürdig gewesen. Er ist mir ein lieber Freund geblieben, den ich hoch verehre! G]gggggggggggggE]E]gB]ggB]ggggggB]ggggggEigE]ggggE]E]E]E]E]E]E]E]E]G]B]
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N. LEON, JASSY: MEIN MEISTER HAECKEL
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Als Student bekam ich im Jahre 1883 in Jassy Haeckels „Schöp- fungsgeschichte" in französischer Übersetzung zum erstenmal vor Augen. Es waren die herrlichsten, die einleuchtendsten Vorlesungen, die ich je gelesen hatte! Sie begeisterten mich dermaßen, daß ich mir die Koffer bereit machte und nach Jena fuhr, wo ich mich als stud. med. et rer. nat. immatrikulieren ließ. Da konnte ich nun den Ver- fasser selbst hören, und bin jetzt einer von denen, die sein Werk dreißig Jahre mit größtem Eifer verfolgt haben, die den Werdegang des Mei- sters als Mensch und Gelehrter mit vollem Interesse begleitet haben.
Von ihm lernte ich es, das Genie zu bewundern, das Schöne zu lieben und mich nur vor der Wahrheit zu beugen. — Wenn auch seine kostbare Zeit von ernsten Forschungen in Anspruch genommen war, schenkte er dennoch einen guten Teil seiner Energie dem Unterricht, was Studenten aus der ganzen Welt anzog.
Wie beschäftigt er auch sein mochte, nie zeigte er sich gestört, wenn ihn einer von uns aufsuchte, um seinen Rat einzuziehen.
Eines Tages ließ er mich in sein Arbeitszimmer rufen und frug mich wohlgemut, wo ich die Ferien zu verbringen gedächte, und ohne nur meine Antwort zu erwarten, sagte er mir: ,,Mußt irgendwo an die See, um die Tierwelt des Wassers kennen zu lernen; das Meer bietet ein höchst interessantes Material für unser Studium, das zur Erziehung eines Naturalisten unentbehrlich geworden ist. Dr. Kükenthal und Weissenborn — die damals seine Assistenten waren — fahren nach Norwegen um die dortige Küstenfauna zu studieren, fahren Sie doch auch mit." (Dr. K. ist nun Professor und Leiter des Zoologischen Instituts in Breslau, Dr. W. ist längst verschieden.)
Ich werde es nie vergessen, mit welcher Freude, mit welchem Eifer er mich bei meiner Rückkehr aus Norwegen empfing. Er ließ sich die Ortschaften auf der Karte zeigen, wo wir gefischt hatten; ich sollte ihm von den Tieren erzählen, die wir gesammelt hatten, und von der Art, wie wir sie aufbewahrt haben.
Was den Fortschritt der Kultur so schwer macht, ist wohl in erster Reihe die Tatsache, daß sich die Schriften der Gelehrten größtenteils nur an Gelehrte richten; sehr wenig Gebildete können sie benützen,
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während die große Masse des Volkes ihnen fremd bleiben muß. Was hilft es, wenn Bücher und wissenschaftliche Zeitschriften täglich er- scheinen, wenn sie nur von wenigen verstanden werden können, während die Mehrzahl das Opfer des Aberglaubens und aller mystischen Ge- danken bleiben muß? Die Menschheit teilt sich doch in zwei höchst ungleiche Teile : Einige Bevorzugte, die mit den Ergebnissen der Wis- senschaft vertraut sein können, und alle Anderen, die weit entfernt davon stehen müssen. Hätte die Menschheit nicht einige Genies wie Haeckel hervorgebracht, welche Kraft und Mut besitzen, die Wissen- schaft zu verbreiten, so wäre die Kultur noch mehr zurückgeblieben. Haeckel als Professor und Verfasser hat einen mächtigen doppelten Einfluß auf seine Mitmenschen ausgeübt : Auf die Gelehrten weit, die in ihm den Naturphilosophen erkannte, allen Naturalisten durch sein philosophisches Denken und Bildung überlegen; allen Philosophen durch seine naturwissenschaftliche Methode und seine 40 Jahre lan- gen, so bedeutenden Forschungen. Dann der gewaltige Einfluß auf das Volk, der immer lebhaft bleibt, und dem besonders die „Welt- rätsel" gedient haben. Dank einer genialen Begabung, wie leicht zu erklären, hat er am meisten beigetragen, Millionen Menschen aus den Fesseln des philosophischen und theologischen Mystizismus zu be- freien. Außer diesen reichen Werken, dem gewaltigen Einfluß auf die gesamte Kultur, übt der große Meister noch durch seine Schüler einen weiteren aus. Als Mitglied der Kommission zur Umänderung des Schulprogramms in Rumänien ist es mir schon vor 15 Jahren gelungen, das Studium des Darwinismus und des Haeckelismus hier ein- zuführen. Und als Beweis dafür, daß es nicht fruchtlos blieb, steht der jüngstgegründete „Verein der orthodoxen Frauen Rumäniens", der die Kultur „auf religiöser Basis" erstrebt. — Haeckel ist heute ganz so bekannt in Rumänien wie in Deutschland und in der ganzen Welt.
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HERMANN SCHEFFAUER, LONDON
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Ich war erst zehn Jahre alt, als Himmel und Erde zum erstenmal vor mir in Stücke brachen. Lebhaft erinnere ich mich dieses Tages — an dem ich mich mit dem ersten Schritt vom Mittelalter entfernte. Es war in Kalifornien, in meiner Geburtsstadt San Franzisko — die sorgloseste und romantischste aller amerikanischen Städte.
Dieser Tag war der Sabbath. Ich war zur Messe und zur Sonntags- schule in die römisch-katholische Ortskirche geschickt worden. Ein kleines Mädchen in der Klasse war unartig gewesen. Die Nonne, welche die Pflicht hatte, uns unsere Stellung zum Weltall und zur Priesterschaft klarzumachen, rief sie also vor und schlug sie hart mit einem knotigen Riemen, der zusammen mit dem Kruzifix an ihrem Kleid herunterhing, quer über die Beine. Watschelnd kam dann Vater Gerhard herein und beschrieb uns mit großem dramatischen Effekt die ganze wunderbare Wirtschaft der Hölle und die auserlesenen Qualen, welche uns dort erwarteten.
„Denkt an den Schmerz, wenn ihr euch zufällig mit einem ein- fachen Zündholz verbrennt," sagte dieser gute, fette Franziskaner Gottes, „und dann stellt euch vor, wie es sein muß, wenn euer ganzer Körper glüht wie eine Kohle!"
Ich ging in die Schönheit des kalifornischen Tages hinaus. Der blaue Himmel schien schwarz zu sein wie eine Kaminöffnung, der glänzende Sonnenschein nur der Widerschein der Hölle, die frischen Winde, die vom Stillen Ozean wehten, nur ein Pesthauch von den höllischen Schmelzöfen. Ich hatte als Kind eine sehr lebhafte Ein- bildungskraft, sogar die Blumen mahnten mich an jenem Tag an Be- gräbnisse und an Verwesung. Meine ganze Seele, wenn nicht mein Körper, brannte bereits und litt vorweggenommene Qualen. Ich sah mich verdammt. Ich war bereits zu jener trüben Überzeugung von Sündhaftigkeit gelangt, welche das hypnotische Reden der Priester in meine jungen wehrlosen Ohren geklirrt hatte. Erschreckt stand ich vor dem grauenvollen Rätsel. Ich war geboren — aber warum hatten mich meine Eltern, sonst so klug und gütig, in diesen fürchter- lichen Zustand zwischen Sternen und Feuern gestoßen?
Ein paar Jahre unruhigen Lebens, dann die kalte Gruft in der
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Erde und die heiße Gruft in der Hölle. Niemand, nur ein Engel, konnte dem entgehen. Ich beschloß, die Hölle wenigstens zu ver- dienen; ich beschloß, ein Verbrecher zu werden, vorzugsweise ein Seeräuber. Ich wunderte mich über die Gleichgültigkeit meines Vaters und war verletzt über seine Scherze. Seine Skepsis war entschieden ein Beweis für seine Verdammnis. — So war die Weltanschauung dieses jungen Kalif orniers gegen Ende der achtziger Jahre.
Diese mittelalterliche Idee wurde von fast all den andern Sekten verbreitet, welche sich in der Ultima Thule des Westens nieder- gelassen hatten. Und doch schienen diese Vorstellungen aus irgend- einem Grunde recht schlecht zu einem so heidnischen Lande wie Kalifornien zu passen. Die Großartigkeit der Natur in ihren kolos- salsten Erscheinungen, die hohen Berge und die Unendlichkeit des Ozeans, die lachenden Täler, die Blumen, Früchte, Weine und der Sonnenschein dieses goldenen Hesperidenlandes wirkten mit dämo- nischer Macht auf Gemüt und Temperament. Der Kalifornier ist im Grunde seines Herzens ein Heide, der nüchterne Puritanismus von Neu-England hat keine Lebenskraft, der unredliche Industrialis- mus der Oststaaten hat niemals in diesem Italien Amerikas Wurzel gefaßt. So begann mit der Zeit sogar die Hölle und die moralische Inquisition und Introspektion ihre Macht über mich zu verlieren.
Obgleich Kalifornien voll von freien und wagemutigen Köpfen und einer gewissen literarischen Atmosphäre war, so war es kaum ein intellektueller Mittelpunkt. Seine Schulen nach amerikanischem Muster waren ausgezeichnet, aber keine irrgläubige Meinung wurde bei ihren Lehrern geduldet. In den neunziger Jahren wurde ich das, was in jenen Tagen als „broad-minded and liberal" angesehen wurde, ein etwas gefährlich liberaler junger Mann, der mit der Ver- dammnis kokettierte. Ich weigerte mich nämlich, in die Kirche zu gehen und spottete über einen persönlichen Teufel. Doch hielt ich immer noch an dem guten alten mosaischen Gott mit seinem launen- haften Temperament fest und fand in der mosaischen Erklärung von der Erschaffung der Welt nur wenig Fehlerhaftes. Ein Gedicht, das ich in diesen Tagen schrieb, enthielt viele fromme Anspielungen.
Ingersoll lag in der Luft. Seine grimmige und zermalmende Ana- lysis der Bibel hatte die Stützen des alten orthodoxen Glaubens unter- miniert. Ingersoll war ein amerikanischer Voltaire und ein glänzender,
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lebhafter Redner. Eine Zeitlang betrachtete ich Ingersoll und seine Anhänger als Feinde alles Edlen und Guten. Ich führte gegen sie flammende Stellen aus dem durch und durch düsteren Werk Youngs, den ,, Nachtgedanken", an. Ein neuer Diskussionsgegenstand an den Küsten des Stillen Ozeans war die Theorie, daß der Mensch vom Affen abstammen sollte. Kontroversen waren an der Tagesordnung. Die Zeitungen strotzten von Witzen über das „missing link".
Ich war jetzt in jener unglücklichen, jugendlichen Periode von idealistischer Schwärmerei und Byronscher Romantik, durch welche alle, besonders die mit phantasievollem Gemüt, hindurchgehen müssen. Bis jetzt hatte ich noch keine Philosophie gefunden, die mich durchs Leben leiten konnte, und es lag vor mir wie eine dunkle und düstere See, voll von tückischen Riffen und trüben Stürmen. Der Kosmos war noch ein verwirrendes Chaos streitender Gewalten.
Ich las Darwin. Im Lichte dieses großen und umfassenden Geistes begann mir die Sonne aufzugehen. Ein wenig Ordnung kam in mein fragmentarisches Universum. Ich sog begierig seine Lehren in mich hinein und brütete Tag und Nacht über den fürchterlichen Fragen, die sie in mir aufwühlten. Ich erinnere mich, mit Darwins frommer Zurückhaltung sehr unzufrieden gewesen zu sein, denn ich kannte damals nicht das England, in dem er geboren worden war. Ich wünschte, daß solche revolutionären Ideen auch in einer mehr revo- lutionären Art hätten vorgebracht werden müssen, und sehnte mich danach, seine Lehren zu ihrer logischen Folgerung getrieben zu sehen. Ich war selber voll von Auflehnung und erwartete, daß der Mann der Wissenschaft die Agressive ergreifen sollte. Damals wußte ich noch nicht, daß, wenn die Wahrheit sich entschleiert, auch ihre mildesten Gesten noch Zerstörung und Vernichtung bewirken. Wir können die Stärke der Kette und die Jahrhunderte alte Grenzmauer nicht über- schätzen, welche das damalige England dem entgegenstellte, der es wagte, in die Vorrechte des Dogmas und in den Bereich der Kirche einzudringen.
Huxley, Schopenhauer, Spencer, Feuerbach, Büchner kamen mir nun zu Hilfe und brachten Licht und Luft. Aus ihren verschieden- artigen Gedanken, Tendenzen und Lehren heraus und den Bedürf- nissen meines eigenen Temperaments begann ich mir, eine etwas verschwommene Weltanschauung zusammenzustückeln. gB]ggggggB]ggggggggggggggBigE]B]ggggE]B]B]B]E]G]B]E]E]E|G]E]E]E]E]E]EjE3E]B]Ei
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Ganz zufällig stieß ich dann eines Tages in der Barkhausschen Buchhandlung in der Kearney Street auf die „Welträtsel". Ich kaufte sie und verschlang davon wenigstens die Hälfte in dieser Nacht, die andere las ich gemächlicher im Bureau — ich war damals noch Archi- tekt. Ich erinnere mich an das Gemisch von Verwunderung und Freude, das mich beim Lesen dieses Werkes überkam — ein Gefühl, das etwas mit dem von Columbus verwandt sein mußte, als er Land erblickte, oder dem Baiboas, als er das Meer von jenem „Peak in Dariem" entdeckte. Mit einem Male baute sich die Menge roher und formloser Blöcke, mit denen ich versucht hatte, mir einen kleinen Turm für meine Seele zu errichten, zu einer starken und umfangreichen Burg auf. Ich wußte, daß das Gebäude noch nicht vollendet war, und daß es verwegen auf die Grenze des Unbekannten gestellt war. Aber ich wurde ein begeisterter Kämpe seines Erbauers, Ernst Haeckels. Ich fühlte die fesselnde Persönlichkeit, den genialen optimistischen Einfluß, den sein Werk ausstrahlte. Ich stellte mir den Ungeheuern Wert dieser Waffe als Propagandamittel in den im Dunkel tappenden Millionen vor. Eine neue Bibel — eine neue Offenbarung, die in der Wirklichkeit wurzelte !
Ich darf wohl sagen, daß ich für den Verkauf vieler Exemplare der „Welträtsel" in Kalifornien verantwortlich bin. Ungeachtet des Spotts über die außergewöhnliche Verbreitung des Werks und der für jedermann leichten Faßlichkeit, sah ich durch seinen Einfluß die Bollwerke des konservativsten Gedankengebäudes unterwühlt werden. Es war darin noch etwas außer einer wissenschaftlichen Dogmatik, ein materialistisches Fest für das ungebildete Proletariat. Liebe zur Menschlichkeit und Glaube an sie, Haß gegen Unwissenheit und gei- stige Knechtung rief aus diesem Buch und rührte Tausenden die Seele wie ein anfeuernder Schlachtgesang.
Die Einfachheit und Klarheit, mit der das Buch geschrieben war, die Ordnung und Systematik der aufgestellten Tatsachen, die kühnen Schlüsse, die aus ihnen gezogen wurden, entrollten sich wie ein groß- artiges Panorama vor der Menschen Augen, die lange genug durch orthodoxe Theologie und supernaturalistische Philosophie getrübt waren. Das Buch war ein modernes Geschütz im Kampf für eine höhere Kultur, die auf biologische Wahrheit gegründet war. Es war eine Synthese von wissenschaftlicher und philosophischer Kenntnis, ver-
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bunden mit Natur und Vernunft. Seine kühnen Vermutungen fand ich anregend und erhabener Ahnung voll, seine Dogmatik verständ- lich als Bollwerk eines kriegerischen, siegessicheren Geistes, eine Wesensart, die ich in den Namen „Luther der Wissenschaft" zusam- menzufassen versucht habe.
Unter den konventionellen oder dualistischen Denkern bin ich nie einem begegnet, der fähig gewesen wäre, einen der strengen funda- mentalen Grundsätze in Haeckels „Welträtseln" zu widerlegen. Ich führe aus dem Gedächntis an: „Wenn die Seele eine natürliche Er- scheinung ist, so ist der einzige Weg, um sie zu erforschen, dieselbe Methode, mit der wir auch alle anderen Naturerscheinungen durch- forschen — die der wissenschaftlichen Beobachtung und Unter- suchung."
Daß Haeckels naturwissenschaftlicher Monismus im Vergleich mit anderen Ländern in Deutschland einen größeren Einfluß ausüben konnte, ist nicht nur dem Umstand zuzuschreiben, daß Deutschland das natürliche Feld seiner Tätigkeit ist, sondern auch der Tatsache, daß der ethische, idealistische Zug seiner monistischen Naturphilo- sophie psychologisch mit dem deutschen Geiste verwandt ist. Die unbestimmte Verehrung eines abstrakten Wahren, Guten und Schönen hat einen Schillerschen Glanz um sich herum, in welchen sich die angelsächsische Gemütsart, die mehr auf eine entschiedene, realistische Moral bedacht ist, nicht leicht finden kann. Das ist, abgesehen vom Fehlen einer Organisation, einer der Gründe, weshalb der Monismus, der trotz seiner materialistischen Lehrsätze ein rhetorisches oder mystisches, oder vielleicht auch nur poetisches Element in sich trägt, in England und Amerika einen so verhältnismäßig kleinen Fort- schritt gemacht hat.
Ich glaube, daß auch darin eine Gefahr liegt, den Monismus mit einer sozialen Ordnung zu verquicken, die auf der Basis einer duali- stischen, übernatürlichen Weltanschauung ruht. Eine neue Religion, eine neue Philosophie oder ein neuer Kult kann heutzutage nicht dauern, ohne daß die soziologischen Seiten und Konsequenzen be- rücksichtigt werden. Der gewöhnliche Engländer oder Amerikaner hat nicht einmal vom Monismus gehört, oder er rechnet ihn zu irgend- einem anderen obskuren, unklaren „ismus", der nur wenig mit seinen irdischen Bedürfnissen zu tun hat. Und doch ist der Boden gepflügt,
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denn die Menge ist im Herzen heidnisch und hedonistisch und behilft sich mit einem unbewußten Pragmatismus oder hundert phantasti- schen schmerzstillenden Glaubensmitteln. Wenn diese ungeheuren Massen, die jetzt in den Krallen industrieller Verzweiflung, ökono- mischer Bedrückung, Hysterie, Sentimentalität und geistigen Be- trugs sind, mit einer Propaganda, die auf den Verstand und das Ge- fühl gleichmäßig wirkt, erreicht werden könnten, so zweifle ich nicht, daß der Erfolg von Professor Ostwalds Kreuzzügen in diesen beiden großen Ländern verdoppelt werden könnte.
Vom Standpunkt derEugenie oder Rassenveredlung aus betrachtet, ist es bedauerlich, daß zwei so dominierende Geister wie Ernst Haeckel und Friedrich Nietzsche sich nie gesehen haben. Sie oder ihre Ten- denzen ergänzen sich in gewissem Sinne. Haeckel hätte die wissen- schaftlichen, empirischen und biologischen Begründungen, auf welche der Philosoph des Übermenschen seine erhabene Theorie aufzubauen bestrebt war, bestätigen müssen, Nietzsche hätte Haeckels wissen- schaftliche Entdeckungen mehr auf die Probleme der sozialen Ordnung anwenden müssen, Probleme, welchen nachzugehen Haeckel wegen einer ausgedehnten Forschungstätigkeit wenig Zeit hatte.
Im Jahre 1904 verließ ich Kalifornien und ging ins Ausland. Ich trug zwei Gedichtbände von kalifornischen Bewunderern Haeckels bei mir — eins davon von mir selbst. Als ich schließlich das idyllische kleine Jena erreichte, ging ich zu dem großen Meister, um ihm diese beiden kleinen Tribute der Dankbarkeit zu überreichen. Wie groß auch meine Anhänglichkeit an Ernst Haeckel schon war, so wurde sie nichtsdestoweniger im höchsten Grade verstärkt und besiegelt durch die direkte Berührung mit dieser begeisternden und glänzenden Persönlichkeit. Seit jener Zeit sind wir miteinander in enger und freundschaftlicher Beziehung geblieben. Obgleich meine literarische Tätigkeit sich auf einem Gebiet bewegt, das dem seinen ganz fern liegt, so bin ich doch stolz darauf, die Persönlichkeit des Mannes und die Grundzüge seiner Philosophie in verschiedenen Artikeln und Gedichten dem englisch lesenden Publikum etwas näher gebracht zu haben. Ebenso habe ich die in manchen Kreisen eifrig genährte Wahn- idee zu zerstreuen gesucht, daß Ernst Haeckel eine Art gefährlicher Menschenfresser sei, dazu bitter, pedantisch und voll von düsterem Haß und wissenschaftlicher Bigotterie. Für jene, deren blinde und
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unwandelbare Abneigung gegen ihn in einer nicht näher bestimmten Verleumdung seines „Materialismus" bestand, fand ich gewöhnlich diese eine feststehende Antwort nötig:
„Wenn dieser Materialismus imstande ist, Menschen wie Ernst Haeckel zu erschaffen, so wollen wir hoffen, daß er die Welt erobere."
In vielen Kreisen besteht die sonderbare falsche Auffassung, daß Haeckel beanspruche, alle „Rätsel" „gelöst" zu haben. Diejenigen, welchen das Buch durch und durch bekannt ist, wissen natürlich, daß er sie nur in Frage gestellt und formuliert hat.
Haeckels Einfluß in England und Amerika ist mehr ein Prozeß langsamen Durchdringens als einer plötzlichen Eroberung gewesen. Doch werden wohlfeile Ausgaben solcher W7erke wie „Das Glaubens- bekenntnis eines Naturforschers" noch bis zu Tausenden verkauft. Die Wichtigkeit und Notwendigkeit davon kann nicht überschätzt werden in einem Lande wie England, wo sogar Wissenschaftler, wie z. B. Sir Oliver Lodge — von den großen Universitäten gar nicht zu reden — mit einer seltsamen, unaustilgbaren Neigung zur tradi- tionellen Theologie und Supernaturalismus begabt sind.
In Amerika, diesem Lande so vieler neuropathischer Glaubens- richtungen, die wie Pilze entstehen, ist Haeckels zerstörender und negativer Einfluß vom größten Wert gewesen — zugunsten einer vernünftigeren Lebensanschauung. Es ist da gewiß noch viel Redens vom Aussterben des alten „Materialismus", vom Sturze Haeckelscher Theorien, vom Kommen eines spiritualistischen Zeitalters. Laute Hosiannahs sind auf die Entdeckungen wunderbarer transzendentaler „Wahrheiten" gesungen worden, der spiritistische Hokuspokus ist beinah allgemein; aber diese Dinge zerschellen früher oder später an dem Bollwerk wissenschaftlicher Wahrheiten, deren feuriger Apostel Haeckel immer gewesen ist. Jener kluge Gaukler der Sorbonne, Henry Bergson, hat kürzlich durch seinen mystischen Dualismus und seinen Versuch, die Vernunft dem Instinkt unterzuordnen, den immer ent- flammbaren Enthusiasmus der Amerikaner, besonders der Frauen, erregt. Die gegnerischen Mächte, christliche Wissenschaft, Behaismus, Katholizismus, Neuer Gedanke usw. stellen sich auf getrennten Feldern in Schlachtordnung auf. Wenn sich der Monismus einen erhöhteren Platz in diesem Kuddelmuddel von Glauben erringen will, muß er eine standhafte und kampfbereite Haltung annehmen. Die Vernunft
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muß damit zufrieden sein, ihre Anhänger langsam zu gewinnen, und so gewonnene Anhänger sind sicher.
Ich fühle, daß die Welt dem ehrwürdigen Meister gar nicht genug Ehrfurcht bezeigen kann, der so mächtige Brücken über manche Abgründe gelegt hat, welche die Zivilisation beim Aufsteigen, beim Fortschreiten durchkreuzen. Dieser Tag ist deshalb ein sehr bedeu- tungsvoller, von historischer Wichtigkeit für die Geschichte der ganzen Menschheit. Und mit der größten Liebe und Ehrfurcht lege auch ich meinen unzulänglichen Tribut vor dem nieder, dessen Leben, Per- sönlichkeit und Taten allen Wahrheits- und Freiheitsfreunden allezeit ein Vorbild sein müssen.
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FRIEDRICH THIEME, WEIMAR
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In jedem Leben, das bewußt und verantwortlich gelebt wird, findet sich eine Periode, in welcher der Mensch zu diesem Bewußtsein, zu dieser Verantwortlichkeit erwacht. Sie unterscheidet sich in der Regel scharf von der Periode des allmählichen Erwachens des Kindes zum Bewußtsein des eigenen Ich und der Welt, und zwar durch ihre sicheren, bestimmt umgrenzten Umrisse und die Klarheit, mit welcher alle ihre Geschehnisse sich dem Geiste einprägen. Mancher Mensch vermag sogar ganz genau den Augenblick anzugeben, in wel- chem diese bedeutsame Verwandlung eingetreten ist; er vermag das äußere Ereignis zu bezeichnen, an das angeschlossen sein Geist zum Bewußtsein der Welt als eines Ganzen und seiner Person als eines Teils dieses Ganzen sich erschloß. Denn darin besteht eben diese große Verwandlung. Die meisten Menschen leben gedankenlos hin; sie handeln gleich den Tieren nur nach Instinkten, und wie bei diesen ist all ihre Überlegung nur an die Behauptung ihrer Interessen als Einzelwesen gebunden. Ihre eigene Person bleibt lebenslang der Mittelpunkt ihres Fühlens, Denkens und Handelns, und die Gesamt- heit beschäftigt sie nur insofern, als ihre eigenen Interessen ihnen eine Art Zusammenhang damit erkennbar machen. Immer bleibt das eigene Ich das armselige Zentrum, die Lebenssonne, um die sich alles andere bewegt. Anders bei denkenden Menschen. Für sie erscheint früher oder später der Augenblick, wo ihr Auge über den engen Kreis des eigenen Interesses hinausblickt, wo sie sich bemühen, die Dinge von oben zu sehen, wo der große, erhabene Zusammenhang des Alls ihnen aufgeht. Das ist der wahre Tagesanbruch des Menschenlebens! Bis dahin irren wir halbblind in der Dämmerung. Nun steigen wir auf den Berg der Befreiung hinauf und stehen plötzlich über Nebel und Wolken, und die Sonne der Welt strahlt uns in voller herrlicher Reine und zeigt uns Welt und Menschen um und unter uns in einem neuen, alles durchdringenden, klaren Lichte!
Bei mir steht dieser geistige Tagesanbruch, diese Periode des Erwachens zum bewußten, verantwortlichen Leben, in engster Be- ziehung zu den Namen: Schiller, Rousseau, Darwin und Haeckel! Allerdings ist das Leben ein Produkt aus vielen Einzelfaktoren, und
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so traten später zu den genannten Persönlichkeiten noch einige wei- tere, vor allem Goethe und Shakespeare und von lebenden Ernst Abbe hinzu — , aber diese ersten haben meinem Leben und Denken die Richtung vorgeschrieben — die Richtung in wissenschaftlicher, religiöser, ethischer und sozialer Hinsicht!
Ich war etwa zwölf Jahre alt und fing eben an, die Gartenlaube, die neben Schillers Werken das Evangelium meines väterlichen Hauses war, mit Eifer zu lesen. Bisher hatte ich mich mit dem Ansehen der Bilder begnügt, nun begann ich, mich für den Text zu interessieren. Es war der Jahrgang 1874, der sich solchergestalt zuerst meiner kind- lichen Beachtung erfreute, und für dessen Inhalt ich aus diesem Grunde zeitlebens eine erklärliche Vorliebe bewahrt habe. Gleich in der ersten Nummer dieses Jahrgangs fand ich einen kleinen Auf- satz von Hermann Allmers: „Eine Weihe". Allmers erzählt darin, daß er von seinem lieben Freunde und Wandergenossen, dem jungen berühmten Professor Ernst Haeckel in Jena, aufgefordert worden sei, als Pate bei der Taufe seines Erstgeborenen zu fungieren, und wie diese Aufforderung in ihm den Gedanken einer dem Tauffest gewid- meten Dichtung ausgelöst habe: den Versuch, in dramatischer Weise die Weihe eines jungen Erdenbürgers vorzuführen, bei der jeder, welchem Glaubensbekenntnisse er zugetan sei, mit ruhigstem Gewissen seine Patenstelle einnehmen könnte. Die in jenem Aufsatz wieder- gegebene Dichtung trug den Titel: „Weihe, ausgedacht und dar- gebracht dem Erstgebornen seines lieben Ernst Haeckel." Ich weiß natürlich nicht mehr, was ich beim Lesen der Dichtung gedacht und empfunden habe, das aber weiß ich noch wie heute, daß ich mit Bezug auf die Stelle des Artikels: „Er (der Brief) kam von meinem lieben Freunde und Wandergefährten, dem jungen Professor Haeckel, dem berühmten Verfechter und Weiterbildner der Lehre Darwins" meinem Vater die Frage vorlegte: „Wer sind denn Darwin und Haeckel?" Vom Tag dieser Frage an und der Antwort darauf be- ginnt eine geistige Beschäftigung mit dem Namen Haeckel, beginnt die Wirkung seiner Lehre auf meine Entwicklung. Durch meinen teueren Lehrer Hermann Gatzsche in Borna bei Leipzig, den hoch- verdienten genialen Jugendbildner, wurde ich bald darauf weiter in die bezügliche Materie eingeführt. Gatzsche erteilte seinen Schülern außer dem Unterricht im Zeichnen, Turnen, Schönschreiben usw.
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auch in jedem Winterhalbjahr sogenannten „ theoretischen Unter- richt". Er beschäftigte sich in seinen Mußestunden leidenschaftlich mit Naturwissenschaft und schaffte sich mit großen Opfern nach und nach ein ganzes Lehrmuseum von Demonstrations- und Experi- mentierutensilien. Aus dem beredten Munde dieses unvergeßlichen Mannes, den seine Schüler wie einen Propheten verehrten, vernahm ich zum ersten Male die zusammenhängende Darstellung der Ent- stehung und Entwicklung von Erde und Menschen auf Grund der neusten Forschung — eine Darstellung, die mein ganzes Innere auf- regte und fortan mein gesamtes Fühlen und Denken beherrschte. Ich entsinne mich noch, wie ich in der Folge in der Religionsstunde, als unser Religionslehrer und Direktor bei irgendeiner Gelegenheit auf die Naturforschung und ihre Ergebnisse zu reden kam, von meinen Mitschülern mit den (mehr scherzhaft als bös gemeinten) Worten denunziert wurde: ,,Thieme glaubt, daß der Mensch vom Affen ab- stammt!" Der mir sonst sehr gewogene Mann, dem ich ebenfalls hohe Verehrung bewahrt habe, fragte mich darauf etwas bestürzt: „Ist das wahr?" und knüpfte daran eine kurze wohlgemeinte Be- lehrung. Natürlich ohne Erfolg. Die Entwicklungslehre ward ein unzertrennlicher Bestandteil meines Innern, ein Teil meines eigenen Ich, und die Namen Darwin und Haeckel leuchteten in Flammenschrift auf ihrem Grunde!
So verdanke ich also Darwin und Haeckel in erster Linie mit die Befreiung meines Geistes, meine Erlösung aus den Banden der tradi- tionellen Knechtschaft, in welcher ein großer Teil der Menschen zeit- lebens beharrt. Sie gaben mir den Schlüssel zum Verständnis des großen, erhabenen Naturgeheimnisses, befreiten meine Augen von dem Schleier, welcher die klare Anschauung der Dinge verhindert. Kein Wunder, daß meine erste Frage war, als ich vor etwa 25 Jahren zuerst mit einigen Freunden Jena besuchte: „Wo wohnt Haeckel?" Jena war mir, ohne daß ich es je gesehen, von Kindheit auf wert und heilig als Schillerstadt und durch den Ruf seiner freien Universität. Die Jenaer Freiheit aber verkörperte sich für mich in dem Namen Ernst Haeckel, dem einzigen, welchen ich von Jena kannte. Und ich bin es nicht allein, der die Frage stellte: „Wo wohnt Haeckel?" Wie oft habe ich sie seitdem vernommen! Und wieviel mehr haben sie gestellt, ohne daß ich sie vernahm! Tausende sind in derselben
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Weise wie ich von Haeckel befruchtet worden, Tausenden zeigte er wie mir den Weg der Erkenntnis, ward er ein maßgebender Faktor ihrer inneren Entwicklung!
Die Wirksamkeit eines großen Mannes wird in zweierlei Weise für die Kultur fruchtbar. Erstens direkt durch seine Werke und die Kraft seiner Persönlichkeit, zweitens indirekt durch den Einfluß, welchen er auf die Werke und das Wirken anderer Personen ausübt und dessen sich die Verfasser oft selbst nicht einmal bewußt sind. Es ist natürlich nicht möglich, das unendliche, weitschichtige Gewebe dieses indirekten Einflusses eines großen Mannes auf das Schicksal der Menschen, seinen Anteil an der Urheberschaft scheinbar ganz entfernt liegender Errungenschaften, seine unsichtbare Wirksamkeit im Getriebe der Entwicklung in nackten Zahlen und Tatsachen dar- zulegen, aber der Einfluß besteht, er tritt hervor in der Ernte der Menschheit, und seine Dauer, seine Tiefe, seine Ausdehnung richten sich nach der mehr oder minderen Bedeutung des Geistes, von dem er ausstrahlt. Dieser Satz gilt auch für das Wirken Ernst Haeckels. Freilich muß es der Nachwelt überlassen bleiben, einst den Spuren seiner Erdentage in den Kulturwerten künftiger Zeiten nachzuforschen, aber aus der Gegenwart dürfen wir auf die Zukunft, von der über- reichen Saat auf die einstige Ernte schließen.
Haben wir doch den Mann und seine Leistungen mit Stolz und Bewunderung verfolgt und den staunenswerten, einzigartigen Erfolg seiner „Welträtsel" freudig miterlebt. Zwar war sein ganzes Lebens- wirken eine gewaltige Kulturarbeit, denn wer der Wissenschaft dient, dient auch der Menschheit. Aber durch die Herausgabe der „Welträtsel" ward aus der langsamen Forscherarbeit einegewaltigeTat! Er überließ es nicht der langsam schleichenden Zeit, das Fazit seines Wirkens zu ziehen und die Ergebnisse seiner genialen Forschertätigkeit stückweise für die Menschheit nutzbar zu machen. Er trat selber als tatkräftiger, begeisterter Schnitter auf, um die Früchte seines Geistes mit eherner Sichel zu mähen und die reife Ernte der Menschheit in den Schoß zu werfen!
Und — wie wir alle gesehen haben — keiner undankbaren Mensch- heit! Es war just, als hätte der Verfasser den Menschen mit dem Buche ein Geschenk überreicht, auf das sie seit langem sehnsuchts- voll gewartet haben. Die Geister harrten des Erlösungsrufs, warteten
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des berufenen Führers, der sie aus dem Ägypten der Finsternis hinaus- führen sollte in das Reich des Lichts. Doch wäre es unrichtig, die elementare Wirkung des Buchs, wie dies geschehen, allein auf die allgemeine Entrüstung gegen die herrschende politische und reli- giöse Reaktion zurückzuführen. Die Gründe sind vielmehr, wie die Folge bewiesen hat, weit tiefere, nachhaltigere. Es handelte sich nicht etwa bloß um das Aufflammen eines plötzlichen, rasch verpuffenden Feuerwerks, das nur die Augen blendet, sondern um die Entfachung eines Geisterbrands, der dem Tempel unserer Seele dauerndes Licht zuführen und als wärmende Flamme auf dem Herd unseres Herzens brennen wird. Bücher, welche Front machen gegen die herrschenden Anschauungen, sind vor- und nachher in Menge erschienen. Der springende Punkt für die enthusiastische Aufnahme des Werks lag in der Person des Verfassers. In der Tatsache, daß es kein Geringerer als Ernst Haeckel war, der zum Volke sprach! Ernst Haeckel, der vielbewunderte Forscher, der unerschrockene Kämpfer für Wahrheit und Licht ! Das war an sich ein Ereignis — und es zeigte sich, daß der still wirkende Gelehrte nicht, wie so manche seinesgleichen, bei aller bewundrungswürdigen Arbeit im Tempel der Wissenschaft, der Nation ein Fremder geblieben, dessen Name nur mit einer Art kühlen Re- spekts genannt wird, nein, die jubelnde Begrüßung der „Welträtsel" bewies, daß Ernst Haeckel mit seiner Tätigkeit bereits tief in den Herzen des Volks Wurzel geschlagen hatte! Von den höchsten Zir- keln bis in die Kreise der Arbeiter waren die denkenden Deutschen nicht allein, sondern die denkenden Geister aller Länder mit Auf- merksamkeit dem Schaffen des großen Forschers gefolgt, und all- gemein war die Freude, als er ihnen Gelegenheit bot, geistigen Anteil zu nehmen an den Früchten seines Denkens und Forschens. Da wachten viele längst begrabene Hoffnungen wieder auf, der gesunkene Mut belebte sich. Unter Haeckels Führung durfte man getrost den Kampf gegen die Mächte der Reaktion wieder aufnehmen. Er war das Schwert und die Flamme, sein Name das Banner, dem die Kämp- fe rschar todesmutig folgen würde.
Aber noch mehr: Nicht der Mann allein stellte sich dar, sondern er brachte auch neue Geisteswaffen mit : die Waffen, die er geschmiedet in fünfzigjähriger unermüdlicher Arbeit in der Werkstatt eines schar- fen logischen Geistes, die er abgerungen der ihre Geheimnisse eifer-
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süchtig wahrenden Natur. Er hatte ihr die unsichtbar machende Tarnkappe herabgerissen, bis in ihre tiefsten Kammern hinein sie beleuchtet. Ein ganzes Arsenal von Waffen brachte er mit, von neuen großartigen Entdeckungen; von Beweisen, die wie Kanonenkugeln einschlagen und wie Schwerthiebe niedersausen mußten. Und außer den Waffen heilenden Balsam für innere Wunden, eine beruhigende, den Kampf ums Dasein erleichternde Philosophie. Rätsel löste er und beschwichtigte die Zweifel der Seele und zeigte in seiner Ernte die Saat einer neuen Zukunft, bestimmt, das Sehnen der Menschen zu befriedigen und das Reich der Wahrheit zu begründen.
Ernst Haeckel hat mit seinen ,, Welträtseln" der Bewegung der freien Geister neue Berechtigung gegeben, er hat die alten Anhänger zurückerobert und tausende neue hinzugewonnen! So wurden die „Welträtsel" zum Ausgangspunkt einer gewaltigen Geistererhebung mit dem erhabenen Ziel einer neuen Kultur. Aus ihrem Samen ent- sproßte bereits eine üppige Literatur voll der wertvollsten Anregungen und Bekenntnisse, und unentwegt, unerschrocken arbeiten alle Moni- sten an dem, was Goethe das „wichtigste Geschäft" nennt: „an der Bildung aller Kräfte!" Wer weiß, zu welch erstaunlichen Resul- taten wir gelangen würden, wenn wir ein solches Buch auf den ge- heimnisvollen Pfaden seiner unsichtbaren Wirksamkeit zu verfolgen vermöchten! Wieviel erhabene Gedanken, Worte und Taten würden wir antreffen, die ihre ursprüngliche Heimat in solchem Buche haben ! Manches Buch stellt sich geradezu als eine gewaltige Kulturtat dar und wird zur Ursache großer Geistesrevolutionen. Man hat für solche Bücher die Bezeichnung „welthistorisch" geprägt und beispiels- weise Rousseaus „Emile" ein welthistorisches Buch genannt. Nun, eine Revolution der Geister haben auch die „Welträtsel" hervor- gerufen, und es ist die Hoffnung und Zuversicht jedes Monisten, daß es auch von diesem Buche einst heißen wird: „Es war der Aus- gangspunkt jener großen geistigen Umwälzung, deren herrliches Er- gebnis die endliche Befreiung des Menschengeistes von dem unwür- digen Zwang und Druck vieler Jahrhunderte war. Wir verdanken ihm eine neue Menschheitskultur auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnis und monistischer Weltanschauung mit allen Errungen- schaften auf geistigem und materiellem Gebiete, die in der monisti- schen Überzeugung wurzeln!"
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E. VOGTHERR, DRESDEN
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Ich war ein kaum Zwanzigjähriger, als ich Haeckels Namen zum ersten Male hörte. Das geschah gelegentlich der Erörterungen jener Kontroversen zwischen Haeckel und Virchow Ende der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts. Während ich bald danach zwar des öfteren Gelegenheit bekam, Virchow selbst über seine naturwissenschaftliche Stellungnahme zu hören, fehlte mir zunächst die Möglichkeit, anders als aus seinen Schriften auch Haeckel näher kennen zu lernen. Haeckels „Natürliche Schöpfungsgeschichte" war das erste, was ich zu studieren beschloß, und was mich ihm bald geistig näher führte. Daneben hörte ich von nahestehender Seite von den persönlichen Beziehungen, die Haeckel mit Konrad Deubler, dem „Bauernphilosophen", verknüpften, und die mich Haeckel damals schon als eine rein menschlich überaus sympathische Persönlichkeit kennen lehrten. Das für mich an diesem Persönlichen besonders Fesselnde war der Umstand, daß hier neben Feuerbach, David Friedrich Strauß und anderen Gelehrten jener Zeit- epoche auch Haeckel es nicht verschmähte, in dem Bauernphilosophen von Goisern einen geistigen seif made man so zu würdigen, so zu fördern und zu begeistern, wie es jener schlichte Mann und seine schon recht abgeklärte Welt- und Lebensanschauung verdienten. In der später von Professor Dodel herausgegebenen Biographie mit Brief- wechsel Deublers finden sich ja Zeugnisse in Fülle für jene zielstrebige Geistesgemeinschaft, die bei gutem Willen den Forscher mit dem Laien verknüpfen kann und soll, und in der auch Haeckel sein eigenes Wort betätigte, daß die Naturphilosophie nicht das Vorrecht und der Eigenbesitz einer Gelehrtenkaste sein darf.
In Haeckels „Altenburger Rede" fiel mir sein Wort vom „Monis- mus als Band zwischen Religion und Wissenschaft" besonders auf. Ich konnte und wollte mir es nicht anders deuten, als so, daß der Monismus keineswegs eine mir unmöglich scheinende Versöhnung zwischen Glaubensreligion und Wissenschaft sein oder werden solle, sondern vielmehr, daß dieses Mittelglied wenigstens das erste End- glied abstößt und ein selbständiges wichtiges Glied unserer Gedanken- kette wird. Das paßte ganz in die Auffassung und Dialektik, die,
wenn auch nicht so präzisiert, seit lange meine und meiner Gesin-
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nungsfreunde freigeistige Betätigung und Propaganda leiteten. Hier war das ausgesprochen, was diese Geistesgebiete bewußt oder unbe- wußt beherrschte. Und das alles war danach von Haeckel in den „Welträtseln" ausführlich begründet.
Wenn ich mir heute die Frage vorlege, was in meinen Augen und in den mir geistig und sozial nahestehenden Kreisen als der Haupt- wert der „Welträtsel" erschien, so kann ich die Antwort auf eine kurze Formel bringen, die zwar nicht den wissenschaftlichen Standpunkt des Buches erschöpfend zeichnet, sondern mehr seine Wirkung auf die auch in bezug auf geistige Bildung Vernachlässigten und Ent- erbten. Meine Formel lautet: „Ich erblicke die Hauptwerte des Buches in der von ihm vollzogenen Popularisierung der Natur- wissenschaften, — in der vorgezeigten Alleingiltigkeit der Erfahrungswissenschaft, — endlich in der zu folgernden Nutz- anwendung der Entwicklungslehre und des Monismus auf prak- tische Lebensgestaltung. Hierzu einiges zur Begründung: Ge- rade das letztere, die „Nutzanwendung auf praktische Lebensgestal- tung" kann nur eintreten, wenn, von jener schon erwähnten Ge- lehrtenkaste abgesehen, sich neben dieser die Naturerkenntnis nicht auch auf die übrigen Intellektuellen beschränkt. An die Stelle von oberflächlicher „Naturkunde" und „Naturbeschreibung" muß in allen Schulen und bei aller Naturbetrachtung die Naturwissenschaft, die Entwicklungslehre, die Naturphilosophie treten. Soweit hierfür eine halbwegs populäre Lehrform fehlte, ist sie in den „Welträtseln" ge- geben. Vielleicht auch noch nicht überall und ganz verstanden — (wie kann ein Vierteljahrhundert die erzieherischen Sünden von vielen Jahrhunderten gutmachen?) — aber doch für Millionen überaus wich- tig als Anregung dazu, die Gebiete der Naturerkenntnis unter anderem Gesichtspunkt zu betrachten und zu benutzen als bisher. So wurde in immer steigendem Maße die Naturwissenschaft, das Stiefkind be- sonders der Volksschulen, im ganzen großen Volke zu Ehren ge- bracht.
Eben diese Volksschule wird ja fast allenthalben noch immer bei ihren Erziehungsaufgaben von alttestamentarischen Vorstellungen be- herrscht. Jetzt sollen die Erfahrungswissenschaften den Offenbarungs- und den persönlichen Autoritätsglauben ausschalten. Unbeeinflußt von naturwissenschaftlichen oder gar religiös-dogmatischen Vorurtei- 90
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len, tritt die Entwickelungslehre den Schöpfungssagen, die Vernunft der Mystik, der Monismus dem Dualismus erfolgreich entgegen.
Allein der wissensdurstigen Menge, die abgeneigt ist, die Philo- sophie, auch die Naturphilosophie, als Selbstzweck zu bewerten, wür- den diese neuen Wege nicht genügt haben, ihr Interesse für die in den „Welträtseln" niedergelegten Erkenntnisse zu wecken. Diese Erkenntnisse als Wegweiser in das Erdenleben, als Hinweis auf den durch sich selbst und für sich selbst schaffenden Menschen, der auch allein sich und der menschlichen Gesellschaft verantwortlich ist, haben den „Welträtseln" eine Werbekraft fast ohnegleichen gegeben. Sind doch u. a. gerade die drei christlichen Zentraldogmen: Gott, freier Wille, Unsterblichkeit, den hauptsächlichen Widerständen gegen eine soziale Lebensbetätigung und Lebensverbesserung zuzuzählen. Ihnen gegenüber, zugleich gegenüber Kants kategorischem Impera- tiv, als unbedingtem allgemein giltigem Sittengesetz, führt das in den „Welträtseln" begründete Gesetz der sittlichen Entwicklung zu einer höheren Bewertung der Stellung des Menschen in der Welt, und zu den daraus sich ergebenden Lebenspflichten und Lebens- ansprüchen. Jene Entwicklung hilft so von selbst eine Umgestaltung der gesellschaftlichen Struktur, eine Neugestaltung ihrer wirtschaft- lichen und geistigen Betätigung vollziehen, ganz im Sinne moderner Gesellschaftswissenschaft, die die Erreichung des Wohles und der Befreiung aller Menschen zum Ziele hat.
Dank meiner jahrzehntelangen engen Beziehungen zu großen prole- tarischen Volkskreisen vermochte ich die geschilderte Wirkung der „Welträtsel" auf eben diese Kreise zu erproben. Ich habe in etwa 30 populären Vorträgen über die , , Welträtsel' ' genau beobachten können, wie es nur eines leicht gangbaren Weges und der Ausschaltung alles Mystischen bedurfte, um die Herzen und Köpfe vieler Zehntausende der neuen Naturerkenntnis und deren praktischer Nutzanwendung zu öffnen. Es gibt ja keine dankbareren Hörer als solche, denen man eine ihnen bislang gewaltsam vorenthaltene geistige Erfrischung und Be- reicherung bieten kann. Gerade hier zeigte sich auch die gewinnende suggestive Gewalt, die von jeder ehrlich denkenden und ehrlich wol- lenden Persönlichkeit — hier von Haeckel — ausgeht. Vielleicht ist weiten Kreisen Haeckels Persönlichkeit und Haeckels Wirken auch noch intimer geworden, wenn man ihnen neben dem Naturforscher
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und Naturphilosophen den Künstler aufzeigen konnte. Infolge Haeckels besonderer Genehmigung war es mir nämlich möglich ge- wesen, seine „Kunstformen der Natur" und später seine „Wander- bilder aus den Tropen" in Lichtbildervorträgen, deren Zahl in die Hunderte ging, weiter bekannt werden zu lassen.
Was mich Haeckel persönlich noch näher führte, waren seine konsequent notwendigen Beziehungen und leitenden Einflüsse auf die Tätigkeit der freigeistigen Organisationen, denen er ja durch Be- gründung des Deutschen Monistenbundes eine neue Organisation zu- gesellte. Auf dem Internationalen Freidenker-Kongreß in Rom 1904 ragten aus dem Stürmen und Drängen einer vielgestaltigen internatio- nalen Menge Haeckels Person und Haeckels „Thesen des Monismus" hervor. Man muß es verstehen, wenn den dort überwiegenden roma- nischen Elementen, mit ihren z. T. ganz anders gearteten geistigen Interessen, die ganze wichtige Tragweite jener Thesen noch nicht gegenwärtig sein konnte. Es wächst auch hier das Große nur im Lauf der Zeit. Soviel war uns allen dort aber gewiß, daß die geistig ziel- bewußte und dabei menschlich so überaus gewinnende Persönlichkeit Haeckels dem ganzen Freidenkertum als ein bedeutsamer Wegweiser der Zukunft gilt.
In dem notwendig unermüdlichen Bereichern unseres Wissens auf allen Gebieten hat jeder täglich und stündlich die Entwicklungs- theorie praktisch zu betätigen. Das „starre System" der umfassenden schon endgültigen Erkenntnis wird daher folgerichtig auch von Haeckel abgelehnt. Gerade dieser von ihm ganz besonders hervor- gehobene Satz, daß er sich durchaus nicht anmaßt, alle Welträtsel zu lösen, daß ihre Lösung z. T. einer späteren Zeit vorbehalten bleibt, wurde ja lange Zeit von Haeckels Gegnern geflissentlich verschwiegen, und außer von Du Bois-Reymond auch von Reinke, Brass, Dennert e tutti quanti mit dem „Ignoramus et Ignorabimus" erwidert. Das „Ignorabimus" wäre ja die Ertötung und Lähmung des Willens und würde den Aberglauben an die menschliche Schwachheit als eine neue Schranke gegen ferneres Vorwärts- und Aufwärtsstreben errichten. Haeckel zeigte uns dagegen, daß Geschlecht auf Geschlecht alles Gute und Nützliche mit nie versiegender Kraft aus sich heraus ent- wickeln kann.
Trotz alledem und alledem.
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FRAU FANNY DAXENBICHLER, SALZBURG
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Wie ich zum Monismus kam, und welchen hervorragenden Anteil Ernst Haeckel dabei hatte, möchte ich an dieser Stelle erzählen, um damit dem Ehrenkranze für unseren hochverehrten Jubilar ein bescheidenes Blättchen aufrichtigster Dankbarkeit beizufügen.
Es war im Frühling 1900, als mir ein Freund, der meine Vorliebe für philosophische Schriften kannte, ein Buch brachte mit dem Titel : „Welträtsel, Studien über monistische Philosophie von Ernst Haeckel".
Schon das Titelbild nahm mich gefangen. Der bedeutende Kopf des Verfassers mit den strahlenden Augen, der humoristisch lächelnde Mund verrieten mir auf den ersten Blick, daß dieser Mann etwas zu sagen hatte. Mit Feuereifer vertiefte ich mich in das Studium des Buches, welches einen gewaltigen Eindruck auf mich ausübte. Die wissenschaftliche Bedeutung desselben zu beurteilen, war ich damals natürlich nicht imstande; auch bin ich heute der Ansicht, daß der Wert des Werkes hauptsächlich darin besteht, daß Haeckel fast das ganze, ungeheure Gebiet wissenschaftlicher Fragen und der daraus resultierenden Weltanschauung vor dem gebildeten Laien aufgerollt hat, um ihn in den Stand zu setzen, selbständig über diese Probleme nachzudenken. Er wollte die Menschen zum monistischen Denken erziehen und ihnen dadurch dasselbe große Glück verschaffen, wel- ches er selbst im Monismus gefunden hat. Wem es gelingt, ihm auf jene reinen Höhen zu folgen, wird es auch im reichsten Maße finden.
Durch die „Welträtsel" wurde ich zum Studium einschlägiger Werke angeregt, der liebenswürdige Meister in Jena unterstützte mich mit seinen wertvollen Ratschlägen in bezug auf die Wahl der Bücher und Schriften, und so kam ich im Laufe der Jahre zur wissenschaft- lichen oder monistischen Weltanschauung. Sie befriedigte meinen Verstand, die mächtig erwachte Liebe zur Natur in gleicher Weise mein Gemüt, und die schwere Bedrängnis, in welche ich im Kampfe zwischen zwei Weltanschauungen geraten war, löste sich in schönste Harmonie auf.
Als der Monistenbund gegründet wurde, sandte mir Haeckel selbst die einführenden Schriften und Satzungen. Ich trat demselben so- fort bei, als die Zahl seiner Mitglieder das erste Hundert noch nicht ggg§gg§E]gggggggggggE]ggggggG]EiEiG]E]E]E]EiB]E]gG]E]EiE]E|E]E]gG]G]G]EjG]E]Ei
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erreicht hatte, und bin demselben bis zur Stunde ein treues Mitglied geblieben.
In all diesen Jahren eifrigen Strebens, besonders durch die liebe- volle Vertiefung in Haeckels Schriften, wuchs meine Sehnsucht nach persönlicher Bekanntschaft mit dem Verfasser immer mehr. Mitte März 191 1 folgte ich einer freundlichen Einladung Haeckels und fuhr in Begleitung meiner Nichte nach Jena. Es würde mir sehr schwer werden, die Gefühle zu beschreiben, welche mich auf dieser Reise beseelten. Halb war es reine Freude, halb Bangigkeit, und schon etwas mehr der letzteren ließ mein Herz höher schlagen, als ich das traute Heim betrat, wo Ernst Haeckel ein stilles Dasein führt. Allein jede Unsicherheit war sofort verschwunden, als ich der gewinnenden Persönlichkeit desselben gegenübertrat. Zug um Zug stimmte das Bild meiner Phantasie mit der Wirklichkeit überein, ja meine Er- wartungen wurden weit übertroffen durch sein liebenswürdiges, ver- trauliches Entgegenkommen. Er zeigte uns seine Bilder und Kunst- schätze, führte uns in das phyletische Museum, welches leider noch nicht vollendet war, und ließ uns in seinem Arbeitszimmer im Archiv verweilen. Dort erzählte er uns von seinem Leben, von der Freude, welche ihm die vielen zustimmenden Briefe bereiteten, aber auch von den schweren Enttäuschungen und Kränkungen, unter denen er gelitten. Ich werde nie den Unterton tiefer Wehmut vergessen, welcher in seiner Stimme zitterte, als er in bescheidener Weise sagte: ,,Ich glaube, doch etwas geleistet zu haben." Mit tiefer Bewegung konnte ich ihm nur versichern, daß eine Zeit kommen werde, wo man besser als heute wissen wird, wieviel er geleistet hat.
Es wurde mir in dieser Stunde mehr denn je klar, daß der Wert Haeckels nicht bloß in seinen Werken, sondern ebensosehr in seiner Persönlichkeit liegt. Sein lauterer Charakter, die große Milde und Güte seines Wesens, sein Mut und tapferes Ausharren im Kampfe geben ein leuchtendes Beispiel edler Menschlichkeit, uns allen ein nachahmenswertes Vorbild! Allein, wo sind die vielen, die berufen wären, ihn im Kampfe zu unterstützen? Er steht fast allein, aber unerschütterlich auf seinem Standpunkte.
So waren zwei Stunden im Fluge vergangen. Am andern Morgen besuchten wir Weimar. Das persönliche Erlebnis war aber in mir noch so stark, daß mir selbst Goethe nicht recht lebendig werden wollte. E]ggBjggggE]gggggggggggggggggggggE]E]E]E]B]EiE]E]EiE]EiE!E]E]E]E]E]E]B]B]E]Ei
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Abends waren wir Haeckels Gäste in einer kleinen Wirtschaft an der Peripherie der Stadt. Die Zeit eilte unter anregenden Gesprä- chen dem Abschiede entgegen, der seine Schatten bereits vorauswarf und mich allmählich verstummen ließ. Es war eine wundervolle, aber kalte Nacht, als wir uns trennten. Der Mond beleuchtete hell die noch winterlich kahlen Fluren und verklärte mit seinem Glänze auch das schneeweiße Haupt Ernst Haeckels. Schweigend betrachtete ich die kraftvolle Gestalt, um sie meinem geistigen Auge fest einzu- prägen mit der bangen Frage: „Werde ich ihn wiedersehen?" Ja, so sollte ich ihn auch nicht wiedersehen, denn wenige Wochen später traf ihn der schwere Unfall, der ihm die Bewegungsfreiheit raubte und ihn, wie er scherzend sagt, zum „monistischen Klosterbruder" machte.
Der Tag der Abreise brach an, und wir mußten den bereits lieb- gewonnenen Ort wieder verlassen. Ein Besuch bei einem lieben Freunde, mit dem ich mich eins weiß, sowohl in der Gesinnung als in der Liebe zu unserem Meister, ließ auch die Wehmut dieser Ab- schiedsstunde in sanfteren Tönen verklingen. Als ich aus dem rasch enteilenden Zuge noch einen letzten Blick auf das sanft ansteigende Städtchen warf, welches Haeckel bereits ein halbes Jahrhundert als Wohnstätte dient, entrang sich meinem Herzen der aufrichtig ge- fühlte Wunsch: „Möge unserem geliebten Lehrer und Führer daselbst noch ein langer und friedlicher Lebensabend beschieden sein, und mögen sich in fernen Zeiten die Dichterworte bewahrheiten:
„Die Stätte, die ein guter Mensch betrat, Ist eingeweiht; nach hundert Jahren klingt Sein Wort und seine Tat dem Enkel wieder."
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ALFRED VON WEBER, WIEN: ERNST HAECKEL UND SEIN EINFLUSS AUF DIE TECHNISCHE KUL- TUR DER GEGENWART
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Das Ingenieurwesen als Grundlage der heutigen technischen Kultur fußt streng auf dem Boden der Naturwissenschaft, denn nur die genaue Kenntnis der Natur und der in ihr enthaltenen Energie- quellen ermöglicht es, diese zu beherrschen, beziehungsweise derart zu lenken, daß ihre Wirkungen in kulturelle Arbeit umgesetzt werden.
Demgemäß ist auch die Ausbildung des Ingenieurs schon von den ersten Studien, beziehungsweise von der Realschule an darauf bedacht, den Studierenden mit allem bekannt zu machen, was zur Beobachtung, Untersuchung, Erforschung und Erkenntnis der Natur und ihrer Gesetze, sowie zur schöpferischen Gestaltung künstlerisch Kulturwerke unter dem Gesichtspunkte bereits vorhandener oder erst anzustrebender Kulturziele erforderlich ist.
Schon in der Realschule wird daher die Mathematik, Physik, Mechanik, Biologie und Chemie sowohl auf Grund von Lehrbüchern als auch in Laboratorien und in der freien Natur sorgfältig gepflegt und die Darstellung der Natur durch Zeichnen, Malen und Model- lieren gelehrt, wobei insbesondere der Lehre von der wissenschaft- lich genauen Darstellung aller Formen und räumlichen Beziehungen überhaupt durch die hochentwickelte „deskriptive Geometrie" in höchstem Maße Rechnung getragen wird. Durch den Unterricht in den modernen Kultursprachen und deren Literaturen, sowie der Ge- schichte überhaupt, wird das Verständnis der Gegenwart und ihrer Kultur erschlossen und der Studierende befähigt, das Arbeitsideal der modernen Völker der Gegenwart aus ihren großartig entwickelten Literaturen zu erfassen und die schwierigen Fachkenntnisse seines Berufes dem täglichen phänomenalen Aufstieg derselben anzupassen und zu vertiefen. Das Verdorren und die Verbildung des jugendlichen Gehirnes durch einen ganze Jahre anhaltenden, trockenen, gramma- tikalischen Drill und die viel zu weitläufige Beschäftigung mit dem längst aufgegebenen, arbeitsverachtenden und ästhetisierenden Kultur- ideal der Antike ist hierbei vermieden. An den technischen Hoch- schulen selbst wird in diesem Sinne weiter gearbeitet und der moderne
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Ingenieur auf Grund intensivster Vorbereitung in der höheren Mathe- matik, Mechanik, den Naturwissenschaften, insbesondere der Geo- logie, der Geodäsie und Astronomie, der Physik, Chemie und Tech- nologie, sowie in den Staats- und volkswirtschaftlichen, historischen und kunsthistorischen Disziplinen, insbesondere aber durch Ver- mittlung der hochentwickelten ingenieurwissenschaftlichen Fächer dahin theoretisch und praktisch ausgebildet, die schwierigsten Inge- nieurwerke des heutigen so überaus vielseitig und hochentwickelten Kulturlebens zu planen, alle wirksamen Kräfte und Widerstände oft mit dem Aufgebot schärfsten mathematischen Denkens zu berechnen, die Werke planlich derart festzulegen und den Kosten nach fest- zustellen, daß darnach die Ausführung derselben mit aller Sicherheit des Erfolges, welchen das ernste praktische Leben erfordert, gewähr- leistet wird.
Ungeheure Energien werden durch den Ingenieur der Kultur- welt zur Verfügung gestellt und Werke geschaffen, welche noch vor hundert Jahren als unglaubliche Utopien bezeichnet worden wären, jetzt aber nicht nur die physische Oberfläche der Erde, sondern auch unser ganzes gesellschaftliches und geistiges Leben in allem umge- staltet haben, um es zu ungeahnter Entwicklung und Vollendung zu führen.
Diesem Wesen des Ingenieurs gemäß ist er mit Notwendigkeit darauf angewiesen, alle Fortschritte der allgemeinen Naturwissen- schaften, soweit sie nicht technische, von ihm selbst gepflegte und ge- schaffene Naturwissenschaften sind, — denn auch der Ingenieur ist in hervorragendster Weise Naturforscher, wie könnte er sonst Natur- beherrscher sein ? — aufmerksamst zu verfolgen und sie für die hohen Zwecke menschlicher Kultur auszunützen, daneben aber auch seine eigene Stellung mitten im Getriebe der ihn umbrausenden Energien und der ihn umflutenden Erscheinungen der mannigfachen Natur- schauspiele klar zu erkennen und als wichtiger Steuermann mensch- licher Kultur den Kompaß der allgemeinen Entwicklung im Auge zu behalten.
Diese Stellung des Menschen in der Welt aufzuklären, zu erfor- schen, klar und mutig darzustellen und bis zu den letzten Konse- quenzen durchzuführen, ist das große und unsterbliche Verdienst
Ernst Haeckels, für welches ihm die ganze Menschheit, im höchsten
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7 Haeckel-Festschrift. Bd. II 97
Maße, aber auch im besonderen die Träger der technischen Kultur und wissenschaftlichen Energiebeherrscher, ich meine die Ingenieure, zu unvergänglichem Danke verpflichtet sind.
Wir können es ruhig aussprechen, daß es keine wissenschaftlich gebildeten Ingenieure gibt, welche dem tiefen Einfluß Haeckels in allen für die Technik in Betracht kommenden Naturwissenschaften nicht gefolgt wären und welche nicht mindestens die „Natürliche Schöpfungsgeschichte" und die für weitere Kreise geschriebenen populären ,, Welträtsel" eingehend studiert und den Ergebnissen dieser Werke zugestimmt hätten.
Es ist dies auch ganz natürlich, da der Ingenieur seiner ganzen Ausbildung und Kulturtätigkeit nach nur auf dem Boden natur- wissenschaftlicher Tatsachen, die ihm die Gewähr für den Bestand und Erfolg seiner Werke bieten, zu stehen und alles Veraltete, Wider- legte und sogenannte „Metaphysische", d. h. über oder neben der Natur Stehende, abzulehnen gezwungen ist.
Dies weiß auch unser großer Meister Ernst Haeckel ganz wohl und spricht es auch an mehreren Stellen unumwunden aus, daß die Entwicklungslehre mit allen Konsequenzen neben den wissenschaft- lich arbeitenden Medizinern in der Ingenieurwelt die meisten und überzeugtesten Anhänger besitzt.
Dieser entwicklungstheoretische Standpunkt findet allerdings, namentlich soweit es sich um das Ingenieurwesen handelt, in der modernen, zum großen Teile von Ingenieuren gegründeten und an- gewendeten, so überaus fruchtbaren neuen Wissenschaft der „Energe- tik" eine herrliche Ergänzung und Vervollkommnung, welche im Sinne eines zweiten Geistesheros, ich meine Wilhelm Ostwald, auf alle Gebiete menschlicher Kultur mit unbestreitbarem und durch- schlagendem Erfolge angewendet und seither in allen Weltteilen von unzähligen Geistern aufgefaßt wurde und weitergepflegt wird.
Von diesem Haeckel-Ostwaldschen entwicklungstheoretisch-ener- getischen Standpunkte aus betrachtet lösen sich alle Rätsel der Kultur und Technik, sowie der Welt- und Lebensanschauung und Gestaltung spielend in einfache wissenschaftliche Erfahrungsprobleme auf, welche uns Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft weitaus genügend klar vor Augen stellen, um allen Kulturaufgaben in materieller, geistiger und ethischer Hinsicht gerecht zu werden.
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Und wenn auch die Naturerkenntnis und Naturbeherrschung noch unendliche Ziele hat, so daß wir erst in einem unendlichen Zeitpunkte — von der Eventualität des früheren Eintreffens einer irdischen Katastrophe oder der Zunahme der Entropie unseres Sonnensystems abgesehen — in den Besitz der vollen Erkenntnis restlos gelangen können, so verhält es sich damit, um bildlich zu sprechen, wie mit der Asymptote, welche die Hyperbel in der Unendlichkeit berührt. Wir sehen die Hyperbel, wir sehen die Asymptote vor uns und be- gnügen uns mit dem klaren Bilde beider, ohne den metaphysischen Wunsch zu hegen oder uns metaphysischer Verzweiflung darüber zu er- geben, daß wir den Berührungspunkt der Asymptote mit der Hyperbel niemals erreichen werden. Nur ein weltfremder Metaphysiker kann behaupten, daß uns die Hyperbel, die wir doch genauestens kennen und berechnen und zu unzähligen Kulturproblemen verwenden, als unerforscht und unerklärlich aus dem Grunde gelten könnte, weil wir diesen Berührungspunkt nicht mit Händen greifen können. Wir kennen dies eben nur deshalb nicht, weil dieser Punkt in unendlicher Entfernung liegt, einer Entfernung, die dem Mathematiker vertraut ist, die er mit dem Zeichen <x> bezeichnet und mit der er die schwie- rigsten Probleme der höheren Analyse durchführt, ohne auf Wunder oder Rätsel zu stoßen.
Das Leben ist nach Ausdehnung und Zeit groß und reich genug, durch Milliarden von Jahren Milliarden von Menschen fruchtbringend zu beschäftigen, ohne daß wir es nötig hätten, in melancholischen Gehirnwirbeln dem fabelhaften ,,Ding an sich" der Metaphysiker nachzujagen. „Willst du ins Unendliche schreiten, geh' im Endlichen nach allen Seiten!"
Diese einfache, klare Auffassung der Welt und ihres Geschehens verdanken wir in erster Reihe Ernst Haeckel. Er zeigte uns, daß die Welt der Erscheinungen die wirkliche Welt ist und neben derselben keine andere geheimnisvolle und unerkennbare besteht, er zeigte uns, daß die Erscheinungen allerdings nur Beziehungen unserer Sinne zu den Gegenständen und Vorgängen der Welt sind, daß aber eben diese Sinne sich in äonezlanger Entwicklung den Gegenständen so an- gepaßt haben, daß wir alle ihre Eigenschaften, die für uns irgendwie von Belang sind, auch in richtiger, unanfechtbarer, praktisch brauch- barer und zu Kulturzwecken entwickelbarer Weise erkennen und
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Er zeigte uns die Entwicklung, die das Menschengeschlecht von den unscheinbarsten Anfängen genommen, und wies uns die Perspek- tive ungeahnter Möglichkeiten hinsichtlich der weiteren Entwicklung in der Zukunft.
Er hat uns damit ein System frühester Lebensbejahung und ein reiches Arbeitsprogramm für die Zukunft geschaffen, welches zu er- füllen der Zweck aller Kultur ist.
Seit Haeckels „Natürliche Schöpfungsgeschichte" im Jahre 1868 erschienen ist, ist fast ein halbes Jahrhundert verflossen, ein Zeit- verlauf, der die ahnungsvollen Voraussagungen dieses Forschers und Sehers in glänzendster Weise bestätigt hat.
Der ungeheure Aufschwung menschlicher Kulturtätigkeit seit dieser Zeit ist, am Maßstabe der Arbeit vergangener Jahrtausende gemessen, ein so großer, daß er das Erstaunen künftiger Jahrhunderte hervorrufen wird.
Die Entwicklung der Eisenbahnen und Wasserstraßen, der Regu- lierung der Flüsse und der Bodenmelioration, der Aufschwung der Städte mit ihren Hoch- und Straßenbauten, Wasserleitungen, Kanälen, das Telegraphen- und Telephon wesen, die Seeschiffahrt mit ihren schwimmenden Palästen, die Hafenanlagen mit gigantischen Vor- richtungen zum Beladen und Entladen der Schiffe, die Luftschiff- fahrt, die Unterseeboote, das Maschinenwesen mit zahllosen Arbeits- arten und -kräften, deren Möglichkeit vor einigen Dezennien noch für undenkbar gehalten worden wäre, der Phonograph, Kinemato-
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graph, die Übertragung elektrischer Energie auf große Distanzen und deren Umsetzung in Bewegung, Licht und Wärme, die groß- artige Entwicklung der Naturwissenschaft und aller auf sie gegrün- deten, kulturellen Tätigkeit, alles dies kennzeichnet einen Aufschwung großartigster Entwicklung, wie ihn nur die biologisch begründete Entwicklungslehre begreifen und erhoffen dürfte. Auf allen diesen Gebieten menschlichen Schaffens hat sich der Entwicklungsgedanke als außerordentlich fruchtbar und unendlich anwendbar erwiesen.
Heute ist dieser Gedanke zu einer festen Theorie geworden und zu einem gesicherten Besitz der Wissenschaft, der stillschweigend angenommen und von keiner ernst zu nehmenden Seite mehr an- gefochten wird. Es handelt sich nicht mehr um Hypothesen, sondern um feststehende Tatsachen und gegebene Richtungslinien für die Zukunft, die niemals mehr nach rückwärts gelenkt werden können.
Dem Programme dieser Sammelschrift folgend, habe ich mich auch damit zu befassen, wie ich mit den Ideen Ernst Haeckels be- kannt wurde und welchen Einfluß sie auf mich und meine Fachkreise ausgeübt haben. Es wird sich daraus ein anschauliches Bild ergeben, wie Ernst Haeckels Ideen nach und nach in alle Lebensberufe ein- gedrungen sind und auf diese bestimmend eingewirkt haben. Es wer- den sich aber auch daraus die Schwierigkeiten ergeben, die neuen, noch so fruchtbringenden Ideen stets entgegengestellt zu werden pflegen, bis sie zum Gemeingute der Menschheit werden.
Da ich die regelrechte Ausbildung als Ingenieur erhalten habe, so versteht es sich von selbst, daß sich mein Geist in rein naturwissen- schaftlichen Bahnen bewegte, wozu auch private Beschäftigung mit Astronomie, Chemie und Biologie wesentlich beitrug. — Die erste Bekanntschaft mit den Entwicklungsideen machte ich im Jahre 1870 in einem Alter von 17 Jahren durch die Lektüre von Büchners „Kraft und Stoff", welches hervorragende Werk zu damaliger Zeit von meinen Kollegen an der K. K. Technischen Hochschule in Wien viel gelesen und besprochen wurde. So sehr mich dieses Werk begeisterte, so ließ es doch bei seiner allgemeinen theoretischen Fassung noch viele unaufgeklärte Lücken zurück, und erst die „Natürliche Schöpfungs- geschichte" Ernst Haeckels, die im Jahre 1875 in meine Hände kam, fesselte mich dermaßen, daß ich mich von dem Buche bis zum Aus- lesen nicht mehr trennen konnte. — Mit einem Male fielen mir alle
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Schuppen von den Augen and ich blickte freudig in eine Welt der ■ Aufklärung und des 1 ichtes, Bald daraui studierte ich auch Haeckeh Generelle Morphologie der Organismen*4 mit größter Aufmerksam- : keit und Bewunderung für den Verfasser durch, Soit dieser Zeit ; habe ich fast alle Werke Haeckels gesammelt and studiert und von I jedem derselben eine wesentliche Bereicherung and Befestigung meines ; Wissens empfunden, Gam besonders gilt das von der Anthropogenie, die ich ontei Nachskiwueruniz aller Zeichnungen aufmerksamst stu- : dierte and besonders hochschätzte. Ebenso stelle ich auch die „Welt- rätsel" und du- „Lebenswunder" außerordentlich hoch,
Dei Gedanke, die Entwicklungstheorie auf alle Gebiete der Technik anzuwenden, kam mir sofort. So suchte ich in der Entwicklung | architektonischer Formen Anknüpfungspunkte an die Entwicklung lehre ra finden, was nur auch iura reue namentlich hinsichtlich der Atavismen, der Anpassung und Vererbung gewisser Formen usra gelang, Das Ergebnis dieser Studien habe ich im Jahre 1870 in einem Vortrage im Ingenieur- und Architekten-Verein in Prag unter dem Titel „Morphologie der architektonischen Stilarten" niedergelegt Im Übrigen hauptsächlich mit [ngenieurwerken beschäftigt, habe ! ich namentlich bei den Wasserbauten manche Anknüpfungspunkte
I an den Entwicklungsgedanken gefunden, die ich in einem größeren i Werke über den „Gebirgswasserbau im alpinen Etschbecken"1) nieder- i legte, in welchem ich die Stelle des Menschen und der menschlichen \ Kultur bei der Anpassung der Gewässer an die Kulturbedingungen I wohl .mm erstenmal im Sinne des Entwicklungsgedankens, wie ich
ihn durch Ernst Haeckels Schriften in mich aufgenommen hatte.
darstellte und durchführte,
Per dieses Werk, durch welches der moderne Gebirgswasserbau rundet wurde, durchziehende Entwicklungsgedanke ist am besten
aus der Einleitung iu entnehmen, welche ich in dankbarer Erinnerung
der erhaltenen Anregungen dem Meister Ernst Haeekel im Jahre i>
sandte.
Bei Dun&führung der Einielheiten dieses Werkes habe ich häutig
mit unrichtigen Vorstellungen bu kämpfen gehabt, welche vierfach
an biblische Fabeln erinnern, so .um Beispiel, daß der natürl..
M Wien . > • .- \... hagen n. SVhurich. 83 Drw Dsxtfigursn
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j Zustand der Flüsse und Wildbäche urspi
: Gott • Hand" tadellos tnd paradiesisch zufn<
I tmd erst dttrcli das frevelhafte Eingreifen d<
Einbauten und Entwaldung ttörf Diesei Ge-
danke war nach den furchtbaren übei liehen Alpentälern im Jahre ;;' - . - r, daß nur in
.' ickkehr zur . . in dem Anheben aller Wasser b.- in der ausschließlichen Auffoi im größten Stil das Heü
Zukunft erwartete.
In dem erwähnten großen Werke und
Schriften habe ich in unwiderL g t Weise den ihrt,
daß diese Fabel ganz anzutreffend i
Der natürliche Zustand der G \ solcher mit
starker Geschiebeftihrung ist mch h, was
on daraus hervorgeht, daß rieh das I '<• 1er nur dem ' Itnis der lelnden '•" d und <\<-.: Geschiebezufuhi >aßt,
irob ndlich auf die menschliche Kultur mar.;
denkfähigen, d. h. mit ren- und Ganghei
sehenen Subjektes in b ommen wo
konnte.
Demgemäß baut s der Fluß immer höher und höher förmig nach oben, also in einem den Kulturbedürfnissen ent{ gesetzl geformten Talquerprofi] auf, bis er sein Bett durchreißt und die Talniederung z md in Besitz nimmt. — Der natürliche Zu-
stand d ist daher durch Versumpfunj / Störung, Krank-
tmd Hind g jeglicher höherer Kultur gekennzeichr.
o habe ich für alle großen Schuttkegel des Etschtales nach«
:n, daß sich dieselben niemal-, im Zustande einer paradiesischen
Ruhe befanden, welch üblich erst durch Entwaldungen gestört
..mcntlioh die fra:./ ume an der Spitze, als zweifellos darstellten, sondern vielmehr alle Ortschaften irsprimghch an ga.- / dcherten Stellen
angelegt waren und letzten Kulturper;- nur durch
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(drangen für Meran, Bozen, Lavis, Trient und Rovereto zweifellos nachgewiesen.
Bei allen diesen Forschungen hat mich der Gedanke geleitet, den Kampf des Menschen mit der Natur sowie die fortschreitende An- passung und Vererbung, wie sie im Entwicklungsgesetz und im bio- genetischen Grundgesetz Haeckels ausgedrückt erscheint, in den Kunst- bauten des Menschen zu erkennen und darzustellen.
Zu meiner großen Freude habe ich immer gefunden, daß ins- besondere auch das letztere Gesetz, diese unvergleichliche Großtat Haeckels auch auf die wasserbauliche Tätigkeit des Menschen in überraschendster Weise anwendbar ist, daher auch hier die Probe auf seine Richtigkeit besteht.
Diese Wahrnehmung hat mich auf die Idee gebracht, an der tech- niscsen Hochschule in Wien als Privatdozent Vorträge über die Waserwirtschaf t im Zusammenhange mit den entwicklungstechni- schen und energetischen Leitgedanken in den Jahren 1911 und 1912 abzuhalten, welche ich aber nicht wieder aufgenommen habe, um mich der literarischen Tätigkeit ungehindert zu widmen. Auch während meiner zweijährigen Tätigkeit als supplierender Professor des Wasser- baues und Meliorationswesens an der K. K. Technischen Hochschule in Brunn habe ich die gleiche Gedankenrichtung mit Vorliebe gepflegt.
Ähnliche Beziehungen zwischen anderen ingenieurwissenschaft- lichen Berufen und der Entwicklungstheorie wurden seither auf allen Gebieten, so dem Eisenbahnwesen, dem Maschinenwesen, der Mecha- nik, Chemie usw. in zahllosen Fällen nachgewiesen, und es ist in den letzten Jahren eine kaum zu übersehende technischnaturwissenschaft- liche, technisch-historische, technisch-wirtschaftliche und technisch- philosophische Literatur entstanden, welche zu sammeln, zu sichten und zu einem eigenen Zweige der Entwicklungslehre zu gestalten schon einen eigenen Lebensberuf in vollkommen erschöpfender Weise bildet.
Schon gehen die Ingenieure auch daran, die Arbeitskraft des Menschen wissenschaftlich zu analysieren und zu organisieren, wie dies in Amerika durch Taylor begründet und als „scientific manage- ment" („wissenschaftliche Betriebsführung") dort in den größten staat- lichen und privaten Betriebe eingeführt ist. Welche ungeahnte Folge- rungen kultureller und sozialer Natur sich hieraus ergeben, braucht nicht näher ausgeführt zu werden.
Die Erkenntnis, Beherrschung und Umsetzung aller natürlichen
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Energien mit dem größten Güteverhältnis bzw. den geringsten Ver- lusten im Sinne des Entwicklungsgesetzes Haeckels und des ener- getischen Imperativs Ostwalds zum Nutzen der Gemeinwirtschaft der Nation ist es ja eben, wodurch unsere ganze moderne Kultur der Gegenwart, die ihresgleichen in der Weltgeschichte nicht findet, ent- standen ist und einer ungeahnten Zukunft materieller und ethischer Vollendung entgegengeht.
Durch den Entwicklungsgedanken haben sich alle Kulturziele und Ideale vollkommen verändert und haben eine früheren Zuständen gegenüber unvergleichliche materielle und sichtliche Höhe erreicht.
Weitaus überholt ist das Ideal des klassischen Altertums, der Zeit der Sklaverei, die im Herrschen und in vornehmer ästhetisieren- der Selbstbetrachtung das Ideal sah, die wirkliche nutzbringende und aufopfernde Kulturarbeit aber, das Höchste, was wir heute kennen, selbst in ihrer größten künstlerischen Vollendung nur als niedrige Sklavenbeschäftigung mit Verachtung ansah.
Vorüber ist das Ideal der Lebensverneinung und Abkehr von irdischer Kulturtätigkeit in der Hoffnung auf ein besseres Jenseits.
Kein neuer Glaube, aber die klare Erkenntnis ist in uns aufge- stiegen, daß wir auf dieser schönen und fruchtbaren Erde mit allen Fibern unseres hochorganisierten Wesens voll edelster Kräfte hängen, und daß wir auf Grund der Naturerkenntnis es als größte Aufgabe betrachten müssen und dies auch freudig können und sollen, unsere in Millionen Generationen veredelte und erstarkte Arbeitskraft so zu verwerten, daß die der strahlenden Energie der Sonne entnommene chemische Energie unserer Nahrung, mit Hilfe der hochwertigen Energiemaschine der Ganglien unserer Großhirnrinde, unserer Ner- ven, unseres Muskel- und Gefäßsystemes mit dem denkbarst größten Nutzungskoeffizienten in wahre Kulturarbeit zum Nutzen der Ge- samtwirtschaft der Nation umgesetzt werde.
Ein Jahrhundert geheiligter Kulturarbeit bricht glorreich und verheißungsvoll an zum Segen der Menschheit, und wenn dies der Fall ist, so hat hierzu der Entwicklungsgedanke, hat hierzu unser hochverehrter großer Meister Ernst Haeckel so Großes und Unver- gleichliches getan, daß wir ihn nicht mit Galilei, nicht mit Kopernikus, sondern, um ein altes Bild zu brauchen, nur mit Prometheus ver- gleichen wollen, der der armen gequälten Menschheit die lebens-
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spendende Flamme vom Himmel seines großen Geistes und Wissens und seines gütigen menschenfreundlichen Herzens gebracht hat.
Wir Ingenieure stellen Ernst Haeckel noch weit über Darwin, denn er war es, der mit der Tiefe und Gründlichkeit deutschen Geistes, mit ungeheurer Arbeit eines langen, reichen Lebens, den Zusammen- hang der pflanzlichen und tierischen Stämme mit Zuhilfenahme der Paläontologie, der vergleichenden Anatomie und der Ontologie in noch nicht dagewesener Weise so exakt erforschte, daß er es wagen konnte und durfte, detaillierte Stammbäume, angefangen von der Zelle bis zu allen Spitzen der höchst komplizierten organischen Arten und bis zu ihrem Endgliede, dem Menschen, aufzustellen, Stammbäume, die ent- weder ein dauernder Besitz der Wissenschaft geworden sind, oder aber wertvolle Programme und Wegweiser künftiger Forschungen bilden.
Er war es, der zuerst den Mut hatte, die letzten Konsequenzen seines Wissens in offener, wahrhafter und unendlich schlichter und ehrlichen Weise zu ziehen, und der die leuchtende Fackel der Wahr- heit in die Geistesdämmerung eines in ausgebreiteten Schichten noch rückständigen Geschlechtes erhob.
An dieser Fackel haben sich aber heute schon Millionen Leuchten entzündet und Millionen Menschen, die sich mit ihrem Geiste einfach ehrlich und reinlich auseinandersetzen wollen, arbeiten heute an tau- senden Stätten der Wissenschaft und des Forschens im Geiste Haeckels und seiner Lehre.
Wer so Großes schuf, dem konnten auch die Leiden des Prometheus nicht erspart werden.
Die Dankbarkeit der ganzen Menschheit und eines kommenden Jahrtausends wird ihm hierfür ein genügender Ersatz sein.
Es ist kaum nötig, sich eingehender mit den Einwürfen zu befassen, welche Haeckel entgegengehalten werden, sie wurden häufig genug von allerberuf ensten Seiten schlagend widerlegt.
Wir wollen hier nur kurz die hauptsächlichsten Einwendungen erwähnen.
So hört man beispielsweise des öfteren, Haeckel gründe seine „Hypothese" auf unbewiesene Spekulationen, schleudere gefährliche Schlagworte in die Massen und überschreite seinen Wirkungskreis und sein Fachgebiet als Biologe, indem er in einem anderen „Fach", der „Philosophie" dilletantisch hervortrete.
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Daß diese „Hypothesen" längst Theorien sind und einen festen und gesicherten Besitz bilden, ohne die der Betrieb der modernen Wissenschaft überhaupt nicht mehr denkbar wäre, ist jedem Forscher und Mann der Wissenschaft so klar, daß er über die krassen Mängel jeglicher naturwissenschaftlicher Kenntnisse in sonst gebildeten Krei- sen staunen würde, wenn es nicht allzu bekannt wäre, in welch hohem Maße die Drillung des jugendlichen Geistes in den Gymnasien mit rein formaler Sprachgymnastik jegliche freie Geistesbetätigung lähmt, und bei vielen Menschen für das ganze Leben geradezu die Fähig- keit logischen Denkens ertötet. — Solche Menschen trösten sich da- mit, daß die Wissenschaft überhaupt nichts wisse, daher man mit dem gleichen Rechte glauben könne, was man wolle. — Der Bestand des fabelhaften „Dinges an sich", die vollständige Verschiedenheit der physischen und geistigen Erscheinungen und dergleichen sind in diesen Kreisen feststehende, wenn auch noch so falsche Vorstellungen.
Das grundlegende Gesetz alles Weltgeschehens, die Entwicklungs- theorie und das Gesetz von der Erhaltung der Energie, die Grundlage der heutigen Technik und der Natur- und technischen Wissenschaften, welche die heutige moderne Kultur geschaffen haben, ist in diesen Kreisen so wenig bekannt wie die Atom- und Molekulartheorie, die Elektronen- und Äthertheorie und so vieles andere mehr.
Der zweite häufigst gehörte Anwurf ist, daß man Haeckel als Biologen achte und schätze, ihm aber auf das Gebiet der Philosophie, die nicht sein Fach sei, nicht folgen könne.
Wessen Fach ist denn eigentlich die „Philosophie"?
Philosophie als Lehre vom Zusammenhange aller Erscheinungen des Weltgeschehens, einschließlich selbstverständlich auch des so- genannten „geistigen" Lebens ist doch nur die Zusammenfassung der Ergebnisse aller Naturwissenschaften, denn nichts steht außer der Natur, und die Erfahrung lehrt, daß alle „Geisteswissenschaften" nur insofern fruchtbar sind, als sie nach naturwissenschaftlichen Me- thoden behandelt werden, so daß nach und nach eine große Zahl von früheren „Geisteswissenschaften" wie die Mathematik, Logik, Psychologie, Jurisprudenz, Ethik, Ästhetik usf. zu den Erfahrungs- wissenschaften eingerückt sind, während die „Metaphysik", welche sich seit Jahrtausenden als für das Leben gänzlich unfruchtbar und wertlos erwies, sich immer noch im Übersinnlichen, also dort, wo man
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weder etwas wahrnehmen, noch empfinden und denken kann, be- findet.
Wer soll nun die philosophischen Endergebnisse der Naturwissen- schaften ziehen? Jedenfalls nur ein Fachmann mit naturwissenschaft- licher Bildung, der die naturwissenschaftlichen Methoden, ihre Art zu arbeiten kennt, und in so vielen Fächern bewandert ist, daß er eine Übersicht sämtlicher Zweige von der Hochwarte wissenschaft- licher Erkenntnis erlangen kann. — Hierzu sind nur die allergrößten Gelehrten der Naturwissenschaft, ein Haeckel, ein Ostwald, ein Mach, ein Rubner, ein Wundt und derartige Geistesgrößen befähigt und berufen.
Nur ganz ausnahmsweise können hierzu auch andere Denker be- fähigt sein, wenn sie die Resultate der Naturwissenschaften durch aufopferungsvolles fleißiges Studium treu und ehrlich in sich auf- nehmen und nach den Methoden naturwissenschaftlichen Denkens weiterverarbeiten. Es gibt auch solche.
Wie groß aber die Gefahr einer irrigen Gesamtauffassung der Natur bei naturwissenschaftlichen Laien ist, zeigt sich am besten bei Nietzsche, der trotz seines großen Genius, seiner phänomenalen Sprachbeherrschung und seines überkühnen Mutes das Darwinsche Gesetz vom Kampfe ums Dasein so vollständig falsch verstanden hat, daß er durch seine ,, Herrenmoral" den rückständigsten und kultur- widrigsten Tendenzen eine willkommene Handhabe gab. Er hat, wie ja bekannt ist, übersehen, daß der Mensch kein einzelstehendes Raubtier, sondern das Mitglied einer heute schon hochorganisierten menschlichen Gesellschaft ist, welche sich auf gegenseitige Hilfe- leistung gründet, wodurch der „Kampf ums Dasein" ganz andere Formen annimmt, als Nietzsche dies geglaubt hatte.
Die diesbezügliche Lücke in den Werken Darwins, die Darwin übrigens wiederholt angedeutet hat, wird gegenwärtig von vielen Soziologen und auch von Biologen, beispielsweise Rudolf Goldscheid und Paul Kammerer in vielversprechender Weise bearbeitet.
Wie eine eiserne Mauer steht den Ideen Haeckels immer noch die Phalanx der ,, Erkenn tnistheoretiker" und „Erkenntniskritiker" gegen- über, und es erübrigt an dieser Stelle um so mehr, sich vom Stand- punkt der technischen Wissenschaft und Kultur mit diesen Gegnern auseinanderzusetzen, als es nach außen hin den Anschein haben
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könnte, daß die „Wissenschaft" als solche sich gegen das Evolutions- gesetz und gegen Haeckel ablehnend und negierend verhalten würde. Dies ist jedoch keineswegs der Fall, wie sich aus der nachstehenden Erwägung ergibt.
In jeder wirklichen Wissenschaft, welche Stufe sie in der von Auguste Comte zuerst angelegten und von Ostwald ergänzten Pyra- mide der Wissenschaften von der Logik und Mathematik be- ginnend, über die energetischen und biologischen bis zu den psycho- logischen, ethischen und den Kulturwissenschaften auch haben mag, kann jegliche Erkenntnis von Tatsachen und Vorgängen ausschließ- lich nur aus der Erfahrung und dem Versuch, dem Experiment ge- schöpft werden.
Aus Reihen verschiedenartigster und übereinstimmender, ihrem Wesen nach erkannten Tatsachen, ergeben sich anfangs provisorische, mit gewissen Vorbehalten angenommene Theorien (Hypothesen), die sich bei zunehmenden Erfahrungen zu feststehenden Theorien für so lange verdichten, als nicht neue, bisher unbekannt gewesene Tat- sachen hinzutreten, an welche sich die Theorie entweder anpassen oder aufgegeben werden muß, um neuen Theorien Platz zu machen. Theorien und Formeln sind nur zur Übersicht der Naturerscheinungen gebildete auszugsweise und nach gewissen Gesichtspunkten gesichtete Protokollierungen wirklicher Tatsachen, haben also nicht nur den Wert der Tatsachen selber, sondern auch noch den durch die Arbeit der Gehirnenergie dazu getanen Mehrwert von oft millionenfachen anderen Erfahrungen, die mit den bestimmten Beobachtungen in den Gehirnganglien- und Assoziationsbahnen im Zusammenhange ver- arbeitet wurden.
Diese Art Erkenntnisse von den Vorgängen der Natur festzustellen, bildete sich für jede einzelne Wissenschaft unter einfacher Anwendung der natürlichen und künstlich verschärften Sinne und des gesunden unverbildeten, reinlichen Menschenverstandes aus. So bildeten sich die Forschungsmethoden der energetischen Wissenschaften, also der Astronomie, Physik, Mechanik, Energetik, der biologischen Wissen- schaften, also der Botanik, Zoologie, Mineralogie, Geologie, Meteoro- logie, Physiologie und der der letzten Stufe, das ist die Psychologie und der Kulturwissenschaft, einschließlich der Ethik in ziemlich paral- leler Weise, je nach der Eigenart der Einzelforschung aus. Eine eigene ggE]gggggg]gBjggE]ggggggggggggB]ggggggEjE]5]E]g]E]gE]E]E]gE]E]E]E]E3E]EiEj
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^ggggggggggE]ggggggB]ggggggE|gEiB]E]E]B]g]E]E]E]E]E]E]E]E]E]B]E]E]E]E]E]E]5]E]Ej nur im menschlichen Geiste gelegene Theorie, Erkenntnisse zu fassen, d. h. eine „Erkenntnistheorie" ist allen diesen Wissenschaften ganz unbekannt. Eine derartige „Erkenntnistheorie" kann daher noch viel weniger auf Gegenstände angewendet werden, welche sich über das Wissen erheben, d. h. unbekannt sind.
Der Ausspruch eines hervorragenden Erkenntnistheoretikers, daß dort, wo die Wissenschaft aufhöre, sich der „Tempel der Weisheit" eröffne, ist ganz unzutreffend, vielmehr kann mit Sicherheit behauptet werden, daß dort, wo das Wissen aufhört, lediglich das Unwissen beginnt, dem Lichte der Wissenschaft und der auf ihr aufgebauten großartigen technischen Kultur gegenüber, eine mehr oder weniger vollständige Geistesdunkelheit, oder bestenfalls eine Geistesdämme- rung, in der einzelne der wachsenden Wissenschaft vorauseilende Lichtkeime das Dunkel durchzucken, oder in welcher auch flackernde Irrlichter vorübergehend herumstreifen, um bei zunehmender Helle und Aufklärung zu verschwinden.
Die Gegnerschaft der „Erkenntnistheoretiker" kann daher weder der modernen Naturwissenschaft noch dem großen Meister derselben, Ernst Haeckel, irgendwie nahekommen, vielmehr wird es Sache der ersteren sein, sich der Naturwissenschaft anzupassen, was nach allen Zeichen auch schon einzutreten beginnt.
Ebenso ist auch der „Kritizismus" nur insofern eine ernst zu nehmende Wissenschaft, als er sich mit der Darstellung und histori- schen Entwicklung einzelner Wissenszweige oder aller zusammen nach rein naturwissenschaftlichen Methoden befaßt, was aber in richtiger und praktisch brauchbarer Weise nur von den Gelehrten dieser Spezialfächer oder solchen, die mehrere Nachbargebiete ihrer besonderen Fächer im Zusammenhange von einer höheren Warte übersehen, geschehen kann.
Laien von bloß allgemeiner oder anderer als naturwissenschaft- licher Bildung sind zur Verarbeitung derartiger Ergebnisse im all- gemeinen außerstande, und wenn es dennoch unternommen wird, so kann hieraus in der Regel nur eine ziemlich unfruchtbare, für die technische und geistige Kultur der Menschheit minder belangreiche Arbeit hervorgehen.
Die Dampfschiffe, Lokomotiven und Automobile, die unterseeischen Boote und Luftschiffe durchrasen Land und Meer; die unzähligen
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Maschinen mit Millionen von Pferdekräften arbeiten und schaffen unendliche Werte, die Telegraphen und Telephone umsausen den Erdball, die chemischen und zahllosen anderen Fabriken beschäftigen Millionen von Menschen zur Förderung, Erzeugung und Veredlung von Gütern, Millionen von Menschen durchwühlen die Erde in hundert- tausenden von Schächten, fördern riesige Hebewerke die Kohlen und Erze zu Hunderttausenden von Hochöfen, aus denen sich der Feuerstrom des Eisens ergießt, tausende Riesendampfhämmer sausen donnernd auf schwere, glühende Eisenblöcke nieder, und in den Guß- und Walzwerken regen sich im Schweiße männerehrender Kraft hunderttausend rüstige Helden der Arbeit, das Eisen zu schaffen, das Rückgrat der vorwärtssausenden Zeit, die Künstler erfreuen und erheben eine neue kraftvolle Menschheit, mit allen Mitteln der Technik ausgerüstete Heere erheben die Wehr- und Verteidigungsfähigkeit der Länder zu nie dagewesener Höhe, ein Kulturleben ohnegleichen strömt und rauscht über einen veränderten Erdball unter der leuch- tenden Fackel wissenschaftlicher und technischer Kulturarbeit. — Die Metaphysik aber hat daran keinen Teil. — Sie hat keinen Teil daran, weil der Kritizismus, ohne auf dem Boden der Naturwissen- schaften zu fußen, nicht selbst aufbaut, wie es die Wissenschaft tut, sondern nur den Tempel des Wissens mehr von außen und unfruchtbar umflattert. Eine Blumen- und Unkrautlese aus den Phantasiegärten aller Zeiten und Völker kann zum Tempel wahrer Wissenschaft und Kultur nur wenig wertvolle Bausteine beitragen.
So wird auch Ernst Haeckels Lebensarbeit durch die ablehnende Haltung der Metaphysik, ob sie nun als Widerspruch, Anzweiflung, Feindschaft, vornehmtuende Geringschätzung, Nichtachtung oder gänzliche Ignorierung zutage tritt — in den Augen der Kulturwelt nicht im geringsten entwertet.
Ganz anders, als in einem großen Teile der sogenannten gebildeten Gesellschaft, über die zu sprechen wohl überflüssig ist, ist das An- sehen Haeckels in einem neuen Stande, welcher sich aus intelligenten, kulturell und ethisch hochstehenden Unterschichten emporzuarbeiten beginnt. — Hier wird Haeckel gelesen, studiert und verstanden. Der Schwerpunkt echter, ethischer Bildung und kulturellen Wertes ist eben in zunehmender Verschiebung nach unten begriffen, was den Ethikern und Soziologen längst bekannt ist.
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Schließlich ist auch Haeckels Stellung zur Religion diejenige, die ihm die meisten Feinde macht. Ganz mit Unrecht, denn Haeckel ist selbst einer der religiösesten Menschen, der in sittlicher und kul- tureller Beziehung die höchsten Ideale hat und nur bestrebt ist, eine wirkliche, die ganze Seele erfüllende, auf dem gesunden Boden ge- sicherter Naturwissenschaft stehende idealste und höchste Lebens- betätigungsreligion zu bieten.
Seine Weltauffassung ist die idealste für die Vergangenheit, die uns einen herrlichen Aufstieg aus kleinem Keime zu edlem, hoch- organisierten Lebewesen zeigt, für die Gegenwart, für die er eine sitt- lich hochstehende und kulturfördernde Lebensarbeit fordert, und für die Zukunft, die in ungeahnte Fortschritte und Vervollkommnungen in reichster Fülle und erhabenster Schönheit weist.
Wenn Haeckel in seiner schlichten Größe und seinem milden, die ganze Menschheit umfassenden Herzen aus seiner Gelehrtenstube in das Gedränge des Tages heraustritt, um den Reichtum seines Wissens und die Fülle seiner ethischen und kulturellen unendlichen Werte der bedrängten, leidenden und immer noch in großen Schichten in Geistesdämmerung befindlichen Menschheit segensreich auszuschüt- ten, so ist er hierdurch kein Störer paradiesischen Friedens, sondern ein Wohltäter der Menschheit und ein Wegweiser durch die Nacht zum Licht.
Ehre werde ihm deshalb und der unvergängliche Dank der Mensch- heit.
Dem Programme dieser Festschrift gemäß habe ich auch anzu- geben, wie ich Haeckels persönliche Bekanntschaft machte, und wel- chen Eindruck ich von ihm empfing. — Ich will mich daher auch dieser Aufgabe pflichtgemäß unterziehen.
Abgesehen von den bereits erwähnten früheren Beziehungen an- läßlich der Verfassung meines Werkes über den Gebirgswasserbau, bin ich in nähere persönliche Beziehung zu Ernst Haeckel vor zwei Jahren dadurch getreten, daß ich ihm die von mir verfaßte Nach- dichtung des großartigen panteistischen Hymnus „Hertha" des eng- lischen Dichters Swinburne übersandte.
Diese Hymne besteht aus 42 achtzeiligen Strophen und enthält ein Gespräch der Mutter Natur mit dem Menschen als ihrem Kinde.
Haeckel hat mir in einem längeren Briefe für die Zusendung dieser
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Nachdichtung herzlichst gedankt, sich über den Wert der unvergleich- lichen Hymne, die er zur Veröffentlichung in einem sehr angesehenen Blatte wärmstens empfahl, in begeisterter Weise ausgesprochen und mir die Bewilligung erteilt, ihn in Jena in seinem Heim aufzusuchen.
Mit größter Freude habe ich hiervon Gebrauch gemacht und bin im Jahre 1912 mit meiner Frau, die eine lebhafte Bewunderin Haeckels ist, und einen großen Teil seiner Werke kennt, nach Jena gepilgert, wo uns das Glück zuteil wurde, von dem teueren Meister in einem zweistündigen Besuche auf das liebevollste empfangen zu werden.
Unvergeßlich wird uns beiden die Erinnerung an seine schlichte und milde Größe, an seine edle, echte Menschlichkeit sein, die jedes seiner Worte, Gebärden und Bewegungen in selbstverständlichster Weise kennzeichnet.
Haeckel sprach mit uns über sein ganzes Leben, seine Vergangen- heit und Gegenwart, seine Pläne und Ideen in Tönen tiefen Ernstes, wahrer Freude über das Geschaffene und der natürlichen Andacht des großen Geistes, häufig auch mit Anflügen liebenswürdigster Heiter- keit und göttlichen Humors.
Erzählungen seiner vielen Reisen an der Hand seiner bekannten hochkünstlerischen ,, Wanderbilder", Anekdoten und Erinnerungen ließen uns die unvergeßliche Zeit wie im Traume verfliegen, wobei es der große Mann mit heiterem Humor aufnahm, daß meine Frau manche Daten seines Lebens so gut im Gedächtnisse behalten hatte, daß sie sogar einen kleinen Irrtum des Meisters richtigstellen konnte.
Hingerissen in Bewunderung und Sympathie für den großen Mann sagte ihm meine Frau: „Exzellenz müssen doch mit großer Freude auf ein so reiches Leben voll herrlicher Arbeiten zurückblicken."
Da war es, als ob Haeckel aus sich selbst herauswachsen und auf sein ganzes Leben zurückblicken würde, und er sprach in wahrster, schlichtester Herzensandacht: ,,Ja, das kann ich und das tue ich auch in größter Dankbarkeit für das Schicksal, das mir ein so überaus reiches, schönes und tätiges Leben beschert hat." — Dabei strahlte sein edles, männliches, von großen blauen Augen erleuchtetes Antlitz in größter Milde und Güte.
So ist Haeckel in seinem Heim, das geschmückt ist mit den Spuren seines reichen Geisteslebens.
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Unwillkürlich mußte ich mich in diesem schönen Augenblicke an Faust erinnern, wie er im beseeligendem Gedanken, auf neuem, dem Meere abgerungenen Boden einem Geschlechte glücklicher und tätiger Menschen Raum geschaffen zu haben, beglückt ausruft:
„Es kann die Spur von meinen Erdentagen Nicht in Aeonen untergehen. — Im Vorgefühl von solchem hohen Glück Genieß' ich jetzt den höchsten Augenblick."
Im Vollgefühl seines für die ganze Menschheit freudig erkämpften hohen Glückes, genieße unser teurer Meister noch eine lange Reihe von Jahren hindurch die köstlichen Augenblicke, die das Leben und der Dank der edelsten Geister und der ganzen wahrheitstreuen arbei- tenden Menschheit einem seiner Größten bietet.
Zu solchen reinen Firnenhöhen steigen die Miasmen niederer Dünste nicht mehr empor. Der frische Wind, der den Siegesflug menschlicher Kultur kennzeichnet, zerstreut sie spielend, und des großen Meisters sonniges und mildes Lächeln schwebt segnend über der sieghaft sich aufreckenden Menschheit, die einer neuen, glänzenden Ära wissenschaftlich gelenkter, organisierter Arbeit zur Erreichung höchster, geistiger, sittlicher und materieller Kultur frohbewegt ent- gegenstrebt.
Heil und Dank dir, du Großer, der Größten einer, dessen Geist uns noch lange leiten möge im Aufstieg zum Sonnenlicht und zur Wahrheit, zur Erkenntnis der unendlichen Kräfte unserer reichen Erde und zu ihrer Beherrschung, zum Wohle einer unendlich ver- edelten, stolzen und kraftvollen Menschheit.
Auf dieser Bahn leuchte uns dein Name und deine gewaltige Lebensarbeit voran!
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HUGO SCHNEIDER, BERLIN
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In dem Sammelwerk, das da Kunde geben soll von dem, was wir Ernst Haeckel verdanken, werden sich fraglos eine große Anzahl bedeutender Männer von europäischem, — ja wohl auch von Weltruf vernehmen lassen, und so dürfte es von mir, dem schlichten Bank- beamten und nicht akademisch Gebildeten recht unbescheiden er- scheinen, wenn ich mich in die Reihe solcher Männer dränge. Nun, das ist keineswegs meine Absicht; vielleicht aber gewährt man mir doch ein kleines Plätzchen in der Erwägung, daß ein siebzigjähriger, an Erfahrung reicher Mann hier spricht, der, wenn er auch niemals zu den Füßen Haeckels gesessen, dennoch als Autodidakt sich seit 45 Jahren in seine Werke vertieft und sie mit innigem Bemühen zu verstehen gesucht hat, wenn ihm auch infolge des Fehlens aka- demischer Bildung naturgemäß vieles entgehen mußte.
Bevor ich zum eigentlichen Thema übergehe, möchte ich der jetzigen Generation einmal vor Augen führen, was uns Ernst Haeckel bereits vor 40 Jahren war. Nach dem Erscheinen seiner beiden bald zu Weltberühmtheit gelangten Werke: „Natürliche Schöpfungs- geschichte" und „Anthropogenie, Entwicklungsgeschichte des Men- schen", schrieb der namhafte Naturphilosoph Carus Sterne (Dr. Ernst Krause) in der „Gegenwart" vom 10. Oktober 1874 folgendes:
„Um eine Weltanschauung zu ändern, reichen nicht Jahrzehnte, kaum Jahrhunderte aus, denn auch hier gilt der Spruch von der Willigkeit des Geistes und der Schwachheit des Fleisches. Die großen Ideen sind, wie die Geschichte lehrt, im Anfange immer einsam ge- blieben, weil die Gehirne fehlen, sie aufzufassen. Diejenigen irren, welche da meinen, schon Voigt und Büchner hätten den alten Glauben abgetan. Sie haben nichts vermocht, als was vor ihnen Voltaire und Holbach getan : ihn in die Enge zu treiben. Es ist die alte Schiüe Epikurs, und nur die Waffen, mit denen die Materialisten von heute den Spiritualisten zuleibe gehen, sind besser geschliffen als die des Lukrez. Die neue Weltanschauung muß doch erst fertig sein, ehe man sich in ihr behaglich finden kann; und das war sie noch lange nicht, als Kraft- und Stoff-Büchner seine Arbeit begann, ist sie, ehr- lich gestanden, noch heute nicht. Diejenigen, welche das Haus bereits
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beziehen, sind unbeneidenswerte Trockenwohner, welche nicht anders können, weil sie nicht wissen, wo sie sonst ihr Haupt hinlegen sollen. Unter denen, welche die Fertigstellung des Baues unternommen haben, steht Ernst Haeckel in erster Linie. Ein Potsdamer Kind, hat er lange das Prophetenschicksal erfüllt, in seinem Vaterlande nicht so be- griffen zu werden wie im Auslande, z. B. in Holland oder England; ja, er wäre bei uns vielleicht noch weniger anerkannt, wenn ihn nicht die „Schwarzen" mit ihren Angriffen ausgezeichnet hätten! Ehrlich deutsch ruft er dem Leser zu: Wenn du nicht deinen lehmigen Ur- sprung und deine Geisteingeblasenheit aufgeben und die böse Affen- schwiegermutter mit in den Kauf nehmen willst, so laß von deinem Werben und Buhlen um die Erkenntnis der Natur und deines Selbst
ab, suche deine Seligkeit in der Bibel. Denen, die ihm mit
Verständnis zuhören, wird er mehr einflößen als Bewunderung; er wird sie durch die Schärfe seiner Unterscheidungen, durch die un- parteiische geschichtliche Darstellung der Lehre, durch die genaue Zergliederung der Erbschafts-, Anpassungs- und Umwandlungsgesetze überzeugen, daß sie sich einem vertrauenswürdigen, aber keineswegs einem leichtfertigen Führer anvertraut haben. Wir freuen uns über den souveränen Hohn, mit welchem er in der Vorrede seiner „Natür- lichen Schöpfungsgeschichte" einige der Leute abfertigt, welche, ohne selbst Naturforscher zu sein, sich über diese Forschungen ein ab- sprechendes Urteil anmaßen, denn unter den allein kompetenten Richtern, unter den Naturforschern gibt es heutzutage kaum noch einen Mann von Bedeutung, der nicht der neuen Anschauung von ganzem Herzen zugetan wäre. Ihr letzter und bedeutendster Gegner, L. Agassiz, ist vor einigen Monaten vom Kampfplatz abgetreten. Ein neues, von eingelebten Vorurteilen und Autoritätsglauben freies Forschergeschlecht blüht inzwischen empor. Wir dürfen stolz sein, sie unter der Führung eines Deutschen zu wissen und die in Deutsch- land zuerst geahnte und verkündete Naturanschauung der Zukunft von ihm ihrem Ziele so wesentlich näher gebracht zu sehen. Das Gebäude, welches Darwin ohne Dach gelassen und so wenig wetterdicht übergeben, daß der Sturm des Zweifels an allen Ecken und Enden hindurchwehte, ist von Haeckel zuerst in einen wohnlichen Zustand gesetzt worden. Sein Name wird mit demjenigen des englischen Forschers für immer unzertrennlich vereinigt bleiben."
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Was damals in diesem Artikel prophetisch ausgesprochen wurde, es hat sich voll und ganz erfüllt: Es ist ein neues, von eingebildeten Vorurteilen und Autoritätsglauben freies Forschergeschlecht empor- geblüht unter Führung Ernst Haeckels, dieses großen Deutschen!
Das also ist es, was wir alle, alle Denkenden Haeckel verdanken. Was aber ich, ich persönlich ihm verdanke, das ist, — ich möchte beinah sagen — darüber hinaus : ich verdanke ihm alles was ich bin ! Schon in meinen Jugendjahren behagte mir nicht die Lebensweise der jungen, alleinstehenden Männer, die, aus der Provinz nach der Hauptstadt gekommen, hier ihre Zerstreuung in räuchrigen Lokalen suchen. Meine Neigung, wissenschaftliche Bücher zu lesen, und be- sonders solche philosophischen Inhalts behütete mich vor solcher Lebensweise. Ein älterer Verwandter, dies erkennend, machte mich damals auf Haeckels soeben (1868) erschienene „Natürliche Schöp- fungsgeschichte" aufmerksam. Gierig verschlang ich den Inhalt, las das Buch immer und immer wieder, mein kleines Einkommen be- nutzend, mir die zum Verständnis nötigen, von Haeckel angeführten weiteren Bücher zu beschaffen. So mied ich Gesellschaft und Ver- gnügungsorte und vertiefte mich ganz in das herrliche, einzige Werk. Später wurde ich dann kühn, und als mir einmal eine Stelle absolut unverständlich blieb, schrieb ich — „der junge Kaufmann", an den großen Mann, und zu meiner großen Freude hat er es nicht ver- schmäht, mir zu antworten, und zwar in liebenswürdigster Weise; ja, er verschmähte es auch nicht, mich später einmal in meiner Häus- lichkeit in Berlin aufzusuchen. Die Stunde, die ich damals mit ihm verplaudert, gehört zu den interessantesten und schönsten Erinne- rungen meines Lebens.
Es wäre nun wohl Feigheit von mir, wenn ich damit zurück- hielte, offen zu bekennen, daß ich nach vieljährigem, eifrigem Denken dahin gelangt bin, Haeckel nicht in allen Punkten folgen zu können; er selbst würde solche Zurückhaltung am allerwenigsten billigen. Es handelt sich um den Kardinalpunkt: Gibt es einen Gott? Ich bin weit davon entfernt, etwas — um mit Johannes Gaulke zu reden — nur deshalb zu glauben, weil es andere vor mir geglaubt haben, allein ich behaupte, daß ich recht wohl imstande bin, auf Grund dessen, was ich positiv weiß, weiter zu bauen, und auf Grund
dessen muß ich dahin gelangen, auch das, was ich nicht weiß, da- gggggggggggggggggggB]ggggE]E]ggggE]ggs]E]E]E]BiB]E]E]E]B]E]B]E]E]E]B]E]E]E]
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nach logischerweise als sicher annehmen zu können. In diesem Sinne schrieb ich seinerzeit mein Buch: „Durch Wissen zum Glauben, — eine Laienphilosophie" (Hermann Haacke, Sachsa am Harz, 1897). Ich habe es später Haeckel zugesandt, der mir antwortete, daß er es mit Interesse gelesen und bei dem nächsten Besuch seiner Verwandten in Potsdam Gelegenheit nehmen würde, mich wiederum aufzusuchen, um die „wenigen differenzierenden Punkte" mit mir zu besprechen. Leider hat sich diese Gelegenheit niemals mehr geboten.
Und worin bestehen nun diese, oder — worin besteht im Grunde genommen dieser eine, uns differenzierende Punkt? in einem ein- zigen, — sage und schreibe: einem einzigen, allerdings recht schwer- wiegenden Wort. In den Welträtseln heißt es S. 254: „Die beiden Hauptbestandteile der Substanz, Masse und Äther, sind nicht tot und nur durch äußere Kräfte beweglich, sondern sie besitzen Emp- findung und Willen (natürlich niedersten Grades)." Und in diesem, scheinbar ganz abseits gelegenen parenthetischen Satz, befindet sich dieses eine, uns differenzierende bedeutsame Wort. Ich setze an Stelle „niedersten" das Wort „allerhöchsten"! so daß dieser paren- thetische Satz nicht mehr lautet: „natürlich niedersten Grades", sondern „natürlich allerhöchsten Grades"! oder, mit andern Worten: „Der Weltäther ist die mit eigenem Denken und Willen begabte Weltseele — ist Gott ! Dieses Denken muß selbstverständlich ein völlig anderes sein als das des Menschen, denn wäre es ein dem des Menschen gleiches, so wäre Gott eben nicht Gott, sondern wiederum ein Mensch, und jeder Mensch — Gott. Das ist so logisch und wahr, wie es wahr ist, daß, wenn ein Tier — etwa ein Hund — dasselbe Denken besäße wie der Mensch, es eben kein Tier mehr sein würde, sondern ein Mensch. Wie aber ein Tier niemals das Denken des Men- schen begreifen oder verstehen kann, so wird auch der Mensch nie- mals das Denken des Weltgeistes begreifen oder verstehen können. Das eine steht fest, daß dieses Denken des Weltgeistes direkt nichts mit unseren Arm- und Beinbrüchen, unseren Krankheiten, mit unserer Freude, unserm Schmerz, unseren Mühen und Sorgen, unserm Geld- erwerb, unserm Kampf ums Dasein, mit unserm Leben und Sterben zu tun hat. Das was sich aber indirekt und konsequenterweise aus jenem Denken, aus diesem „eigenen Willen allerhöchsten Grades" ergibt, das kann ich unmöglich im Rahmen dieses Aufsatzes aus-
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führen, es ist jedoch niedergelegt in einem Manuskript, das den IL Teil meines Buches „Durch Wissen zum Glauben" bildet und druckreif fertiggestellt ist, indessen — noch des Verlegers harrt. Ich wiederhole noch einmal: Ich verdanke Ernst Haeckel alles, was ich als denkender Mensch bin! Er hat meinem Leben Zweck und Inhalt gegeben, er hat mich denken gelehrt, hat die grenzenlose Freude an der Natur in mir wachgerufen, hat mich gelehrt, die Natur zu verstehen und richtig zu betrachten, mich gelehrt, in der Bibel der Natur zu lesen. Die Beschäftigung mit seinen Werken war mir stets köstlichster, heiligster, reinster Genuß, und hat mich stets mit höchster Bewunderung für den großen Mann erfüllt. Das körperliche Mißgeschick, das er in seinem hohen Alter erdulden muß, hat mich mit aufrichtiger Teilnahme erfüllt, weiß ich doch aber, daß er es als Philosoph zu tragen wissen wird, ohne schwächliches Jammern und Klagen. Mein innigster Wunsch zu seinem achtzigsten Geburtstag ist, daß ihn das Schicksal seine körperliche Schwäche verwinden lassen und ihm noch viele ungezählte Jahre in völliger Rüstigkeit des Körpers und Geistes verleihen möge! Dieser Wunsch ist zwar im Grunde weiter nichts als platter Egoismus, denn letzten Endes schlummert doch hier „latent" der Hintergedanke: . . . auf daß er uns noch viel des Schönen, noch manches wahre Wort zurufen kann, auf daß er niemals ermüden möge im Kampf gegen die „Schwarzen", gegen alle die dunklen Mächte, die täglich und stündlich gegen uns ankämpfen, uns die Freuden des Lebens zu rauben versuchen, uns wie Kolkraben umschwärmen, auf daß sie sich verkriechen in die tiefsten Tiefen Sarkophagen Gesteins! So, wie vor einem Bismarck die ganze Welt zitterte, solange er nur noch die Augen offen hielt, trotzdem er gar nicht mehr im Amte war, so zittern auch jetzt die „Schwarzen" der ganzen Welt noch vor einem Haeckel, trotzdem er das Lehramt niedergelegt — hat er doch noch die Augen auf!
Was die Welt und die Wissenschaft Haeckel verdankt, das werden hier berufenere Federn darlegen, ich aber wollte nur schildern, was ich ihm — meinem großen Landsmann — verdanke, was er mir mein ganzes Leben hindurch war und noch ist, — Halt und Führer!
Möge der Gigant den Dank eines obskuren Zwerges freundlich aufnehmen.
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MARIA HOLGERS, BERLIN
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Wenn ich davon sprechen soll, wie ich mit Ernst Haeckel, seiner Person, seinen Werken — den „Welträtseln" insbesondere — bekannt wurde und welche Wirkung sie auf mich ausübten, muß ich zunächst von meinem eigenen Leben sprechen und weit darin zurück- gehen.
In meinem fünften Lebensjahre sah ich an einem hellen Sommer- tag, mitten im Spiel, einen Leichenzug. Auf mein Befragen sagte man mir, daß ein Mensch, eine Frau, in dem schwarzen Wagen sei, und daß diese Frau in die Erde begraben würde, weil sie „tot" sei. Ich erschrak aufs heftigste. Was war das: „tot"? Ich begriff es nicht . . . Jedenfalls war es etwas anderes als mein Zustand; ich lebte; ich bewegte mich. Die Frau lag still in dem schwarzen Wagen ; konnte nicht mehr gehen, sprechen, essen, kam in die Erde, wie ein Stein. So etwas Furchtbares war also möglich . . . ? Ein Riß ging durch mein ganzes Wesen. Zum erstenmal fühlte ich die Außenwelt als ein anderes, Fremdes. Ich war nicht mehr der Tropfen im Wasser, unbekümmert, selbstverständlich. Ich sah Unbegreifliches . . . Von diesem Augenblick an mußte ich denken, bewußt denken und schauen, unaufhörlich.
Nicht genau genug konnte ich mir die Dinge anschauen; ich ver- sank in sie und hatte nicht Ruhe, bis ich ihre Zusammenhänge und meinen Zusammenhang mit ihnen soweit erfaßt hatte, als es meiner jeweiligen Entwicklungsstufe möglich war. Das kleine badische Städtchen, in dem meine Eltern damals wohnten, stundenlanger Aufenthalt in einem alten Schloßpark, wo es viel zu schauen gab und Ruhe zum Nachdenken, begünstigten meine Neigung. Als wir in meinem siebenten Lebensjahr in eine größere nüchterne Stadt zogen, wurde der Hang zum Denken ein innerlicher Zwang und die Quelle vieler Leiden. Er schied mich von den anderen Kindern und hätte mein ganzes Kindheitsglück zerstören können, wäre nicht das Phantasieleben in mir ein glücklicher Gegenpol geworden. Trotz- dem — der Zwang war hart! Bis in mein 16. Lebensjahr. Da kam eines Abends ein Ausgleich für meine Einsamkeit und Wissensqual. Ich war, meiner Gewohnheit gemäß, heimlich auf unseren Speicher
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gegangen, um da ruhig nachdenken zu können, und schaute durch die Dachluke zu den Sternen hinauf. Gerade in diesen Wochen hatte ich mich mit Fragen, deren Beantwortung mir nicht gelingen wollte, besonders gequält. Die Nacht war still und schön. Über mir stand der „Jakobsstab". Im Anschauen dieses mir von klein an lieben und vertrauten Sternbildes formten sich mir plötzlich mühe- los diese Sätze: „Nichts" war nie. (Das ist nur ein Verlegenheits- wort, um etwas auszudrücken, was es nicht gibt.) Alles was ist, ist und war immer; in wechselnden Formen. Alles was ist, muß in ständiger Bewegung sein. Ohne Bewegung, ohne ständige innere Veränderung, kein Sein möglich. — Was wir „Leben" nennen, ist vielleicht nur gesteigerte Bewegung; „Tod" ein minderer Grad derselben (?) — Einen „Anfang" kann man, da immer alles war, nicht eigentlich denken. Will man einen solchen annehmen, so könnte man vielleicht sagen: im Anfang waren unendlich viele, unendlich kleine Lichtkügelchen, die sich in rasend- ster Schnelligkeit um sich drehten. Einige hatten den Drang, sich anzulehnen; das führte zu einer „Verdichtung", die sich zu Planeten auswuchs. Je größer der Planet, desto langsamer die Umdrehung, desto schneller die Abkühlung und Erstarrung. Im erstarrten Zu- stand kann sich der Planet nicht mehr drehen. Er muß fallen, stürzt auf andere Planeten, eine ungeheure Hitze und Lichtwelle entsteht und das Spiel beginnt von neuem (?). — Diese letzteren Sätze waren mir nur wahrscheinlich, nicht sicher, sie hatten sich mir schon früher, bei einsamem, leidenschaftlich geliebtem Ballspiel ergeben, wenn auch nicht in dieser geraden Folge. Die ersten Sätze dagegen waren mir absolute Gewißheiten; so gewiß wie mein eigenes Dasein. Eine stille Seligkeit kam über mich. Noch lange schaute ich hinauf in das Stern- bild; dann schlich ich die Treppe hinunter, ins Bett. Eine ungeheure Lebenslast war mir vom Herzen genommen.
Neben meinem Denkzwang stand ein starkes Phantasieleben und der Drang, Menschen darzustellen, im Wort oder mit meiner Person. Täglich schrieb ich und täglich spielte ich „Theater" beigeschlossener Tür. Nachdem ich mich an jenem unvergeßlichen Abend über meine Wissensqual beruhigt hatte, gewann mein Phantasieleben die Ober- hand und zwang mich zur Schauspielkunst. „Menschendarstellung"
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ist ein schwieriger Beruf, der zumeist unter fast unmöglichen Be- dingungen ausgeübt werden muß. Ich habe ganze Tage (und dies Tag für Tag!) und halbe und ganze Nächte Rollen gelernt und Toi- letten genäht. Bei solcher Überanstrengung ist ein „Denken" in obigem Sinne unmöglich. 1904 kam der erste ruhigere Sommer und die Sehnsucht, wieder da anzufangen, wo ich im 16. Lebensjahre aufhörte. — Als Kind mochte ich die Bücher nicht; außer Märchen, einigen klassischen Dramen, meinen Schulbüchern stand mir auch nichts zur Verfügung. Jetzt fühlte ich, daß ich allein nicht mehr weiterkam. Und da ich der Meinung war, die Philosophie sei die beste, die sich ständig an äußeren, sinnlichen Wahrnehmungen orien- tiert, kaufte ich mir die Volksausgabe von Haeckels Welträtseln. Die Wirkung, die das Buch auf mich ausübte, ist unbeschreiblich! Wie war ich ausgelacht worden, hatte ich mich gelegentlich einmal zu einer Äußerung über meine Vorstellungen von „Sein", „Ewigkeit" usw. hinreißen lassen! Und nun las ich und las ich mit wachsendem Er- staunen, daß kluge Menschen sich mit meinen Fragen befaßt hatten, hie und da selbst zu ähnlichen Schlüssen gelangt waren. Obschon ich in diesem Sommer schwer krank war, habe ich das ganze Buch gewiß achtmal „durchgeackert", einzelne Kapitel, einzelne Sätze immer wieder vorgenommen. Die speziell zoologischen Kapitel wur- den mir sehr schwer. Hier fehlte völlig die sinnliche Anschauung, quälten die allzuhäufigen, den alten Sprachen entnommenen Aus- drücke, die ich nicht oder nur halb verstand. Der Kopf sauste mir von einer Fülle neuer Wörter, neuer Begriffe, so daß mir bei meinem müden, überlernten Gehirn das Buch manchmal eine Qual wurde! Aber immer wieder zog es mich zu ihm zurück. Denn durch alles Unverstandene hindurch schlang sich wie ein roter Faden die Er- kenntnis der Einheit alles Seins und Geschehens, wie ich sie schon als Kind empfunden und gedacht hatte, nicht als ein wissen- schaftliches Ergebnis gedacht hatte, sondern als Resultat naiven Nachdenkens und Schauens. Nach der „allgemeinen" Seite war mir nichts fremd. Da war vor allem — zu meiner unbeschreiblichen Freude und meinem grenzenlosen Erstaunen! — der Urgrund der großen und stillen Harmonie, deren ich mir in meinem 16. Lebens- jahr bewußt worden war. Haeckel nennt ihn: das Substanzgesetz. Dieses Gesetz ist für mich heute noch „der ruhende Pol in der Er- ggggggggg]gB]gggE]gE]gggggggE]gggE]ggs5iE]E]E]B]B]B]E]E]E]BiB]E]E]EiG]E]E]Ei51
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scheinungen Flucht", dasselbe, was es damals für mich war, als ich naiv sein Wesen zum erstenmal ergriff. Dieses Gesetz bleibt für mich das A und O, der Grundstein alles Wissens — trotz der schweren Attacke von Ostwalds Energie mit der Materie als Spezialfall. Ohne dieses Gesetz würde mir jede Erkenntnis schwanken, meine Har- monie mit allem, was ist, sänke in Trümmer und das Chaos entstünde. — Nach dem Substanzgesetz machte mir den stärksten Eindruck die ,,Kant-Laplacesche Nebularhypothese" — mich mit einigem Herzklopfen erinnernd an meine Vorstellung vom Entstehen, Wach- sen, Zertrümmern, Neubilden der Planeten — , sodann aus dem Kapitel „Unsere Stammesgeschichte" das biogenetische Grund- gesetz. Klar und überzeugend erhellt dieses Gesetz dem denkenden Menschen die dunklen Pfade seiner vorgeburtlichen Entwicklung. Ich kann hier nur als Laie sprechen, möchte mir jedoch die Vermutung gestatten, daß es nicht nur auf zoologischem, sondern auch auf anderen Gebieten höchst fruchtbar werden könnte. Mir selbst kam es bei Studien über die Literaturen verschiedener Völker und Rassen öfter in Erinnerung. — Leider gestattet mir der Raum nicht, noch näher auf die Wirkung der Welträtsel auf mich — oder anderer Werke Haeckels, von denen die Anthropogenie mir das liebste wurde — einzugehen. — Wie viele Tausende habe auch ich Haeckel gedankt, daß er mit der Herausgabe der Volksausgabe der Welträtsel auch der Not der Laien in Erkenntnisfragen gedacht hat. —
Ein halbes Jahr später, April 1905, hielt Haeckel seine bekannten Berliner Vorträge. Bruno Wille bat mich, bei einem Fest zu Ehren Haeckels im zoologischen Garten einige Gedichte zu sprechen. Ich wählte aus „Gott und Welt" (Goethe): „Prooemion", „Ein und alles", „Vermächtnis" u. a. und schloß mit
„Weite Welt und breites Leben, Langer Jahre redlich Streben. Stets geforscht und stets gegründet, Nie geschlossen, oft gerundet, Ältestes bewahrt mit Treue, Freundlich aufgefaßtes Neue, Heitern Sinn und reine Zwecke; Nun! man kommt wohl eine Strecke."
Nach diesen wie für Haeckel geschriebenen Goethe- Worten wandte
er sich mit großer Lebhaftigkeit an mich: „Wie ist es möglich, daß Sie ggggggg]gggggggggggggggs3E|gggE]EjgggE]gE]E]E]E]5]EiB]E]E]E]E]EiE]gE]E]E]E]
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gerade meine Goetheschen Lieblingsgedichte auswählten?!" Das war das erste Wort, das er persönlich an mich richtete, und das gleich die innere Verwandtschaft aller Einheitlich-denkenden traf. Denn aus den obigen Gedichten Goethes spricht eine rein monistisehe Weltanschauung im allerumf assendsten Sinn. Ich hatte diese Dichtungen mit Bedacht und in der Überzeugung gewählt, daß sie Haeckels eigenen Anschauungen entsprechen. —
Die nächstfolgenden Sommer hörte ich bei Haeckel in Jena Zoo- logie. Leider fehlten mir zum eingehenderen Studium Zeit, Kraft und Gesundheit; dennoch bedeuteten die Vorlesungen eine große Förderung für mich. Vor etwa vier Jahren übertrug mir Haeckels Vertrauen die spätere Herausgabe eines Teils der Briefe über die Welträtsel. Jeden Sommer bin ich einige Wochen in dem lieben närrischen Nest Jena und habe da Gelegenheit, die Korrespondenz stetig zu verfolgen.
Haeckels eigenartiger Persönlichkeit ist in wenigen Sätzen schwer beizukommen. Sein kindlich-dankbares Verhältnis zur Natur, seine sonnige Heiterkeit, seine Elastizität — auch heute noch! — seine beispiellose Einfachheit der Lebensführung sind die hervorragendsten und bestechendsten Eigenschaften seines Wesens. Daneben stehen Schüchternheit, Überbescheidenheit und eine merk- würdige Menschenfremdheit. Trotz seiner Heiterkeit ist er zuweilen schweren Gemütsdepressionen ausgesetzt, die sich in einer auffallen- den, den Umständen meist nicht entsprechenden Resignation äußern. Haeckel hat eine seltene Gemütstiefe, die mich öfter an Werthers Lotte erinnert.
Auch von einem „kosmischen" Gemüt Haeckels könnte man reden. Ich habe nie einen Menschen gesehen, den der Anblick eines Sonnen- untergangs in so sprachloses Entzücken versetzt, wie ihn! Sieht er durch das Mikroskop ein Radiolar, so ist das ganze Gesicht durch- leuchtet von Freude. Sein ganzes Leben geht durch das Auge. — Trotz einiger Schatten kann man von Haeckel wohl sagen: Sein Wesen ist Licht! Als den „Leuchtenden" unter den Menschen wird ihn die Nachwelt in ihrem Gedächtnis bewahren.
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EMIL FELDEN, BREMEN
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Es war in meiner Studienzeit, die ich von 1893 — 97 in Straßburg verlebte, da ich zum ersten Male etwas von Haeckel hörte. Was er als Naturwissenschaftler erforscht, welche Verdienste er sich er- worben, wie er Darwins Theorie weitergebildet — von alledem wußte und erfuhr ich nichts. Um so mehr aber hörte ich von seinen „Welt- rätseln", die damals eben erschienen waren. Wie wurde über sie ge- schrieben und gescholten! Es gab wohl kein religiöses Blättchen, keine theologische Zeitschrift, die nicht das Buch in Grund und Boden hinein verdammt hätte. Alle, sowohl die orthodoxen als auch die- jenigen, die sich fortschrittlich nannten, zündeten Scheiterhaufen an, auf denen sie zur größeren Ehre Gottes und der Kirche den Ketzer verbrannten und sein* Buch verdammten, so sehr sie im übrigen auch auseinandergingen und einander bekämpften. Ein „pseudo-wissen- schaftliches Sudelwerk" — so nannte die „Welträtsel" gelegentlich einer unserer Professoren. Nicht ein orthodoxer; kein kleiner, eng- herziger Geist, sondern ein feiner Mensch mit weitem Blick, eine Größe in seinem Fach, ein Vorkämpfer für die freie Auffassung des Christentums. Gelegentlich nannte eres so, denn gründlich ließ er sich auf das Werk nicht ein. Und die anderen Professoren erst recht nicht. Für uns Studenten aber war sein Urteil maßgebend, da wir ihn hoch verehrten. Es waren nicht nur die Schnitzer kirchengeschicht- licher Art, die dieses Urteil hervorriefen. Es war vor allen Dingen der Umstand, daß sich Haeckel nicht nur gegen das orthodoxe Christen- tum gewandt hatte — was man auf liberaler Seite ganz gern gesehen hätte — , daß er vielmehr das liberale genau so wertete wie das ortho- doxe. Die liberalen Theologen fühlten sich dadurch verhöhnt, daß Haeckel sich um die immense Forscherarbeit einer ganzen Generation nicht gekümmert, vielmehr Behauptungen aufgestellt hatte, mit denen sich die liberale Theologie, da sie dieselben für längst abgetan hielt, überhaupt nicht mehr beschäftigte. Besonders groß wurde die „rabies theologica", als bald darauf die neuen Auflagen des genannten Buches erschienen, die absolut keine Korrektur der nachgewiesenen Fehler enthielten. Hatte man zunächst über die Unwissenschaftlich- keit des Naturwissenschaftlers und über die Leichtfertigkeit, mit
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der er über die Forschungen der wissenschaftlichen Theologie hinweg- gegangen war, gescholten, so schätzte man ihn nun mehr auch als Cha- rakter gering , da allgemein böser Wille angenommen wurde. Es war keiner unter uns, der nicht über Haeckel sehr empört gewesen wäre, ob- wohl die wenigsten, vielleicht gar keiner, die „Welträtsel" gelesen hatten. Wir hielten es überhaupt nicht der Mühe wert, uns mit ihnen abzugeben. Auch deshalb nicht, weil auch die philosophischen Köpfe unter uns nur mit geringschätzigem Lächeln von der unglaublichen Philo- sophie Haeckels erzählten, der alte, längst begrabene Ladenhüter wie- der aufleben ließ und den seit Jahren überwundenen groben Materialis- mus eines Lamettrie nnd Holbach in neuer Gestalt wieder auftischte. Vor allem mokierte man sich über die Widerlegung Kants. Haeckel gegen Kant! Das machte uns Studenten Spaß. Es klang uns, denen nichts über Kant ging, wie ein schlechter Witz. — Ich habe damals mit einem bekannten Professor der Philosophie, mit dem ich eng be- freundet war, über die „Welträtsel" gesprochen. Ich drückte meine Verwunderung und Entrüstung darüber aus, daß nicht ein einziger Phüosophieprofessor sich gegen die volksverderbende und unwissen- schaftliche Arbeit Haeckels gewandt, und daß man nicht auch auf philo- sophischer Seite auf die vollkommene Unwissenschaftlichkeit des Werkes hingewiesen habe, wie das die Theologen so brav getan. Ich hielt das für grobe Pflichtversäumnis. Ich meinte auch in jugendlicher Naivität, es hätte nur eines solchen Hinweises bedurft, um eine Verurteilung des Buches bei jedem wahrheitsliebenden Menschen zu erzielen und die Er- folge lahm zu legen, die sich die „Welträtsel" langsam aber sicher er- rangen. Da lächelte jener Philosophieprofessor sehr mitleidig und sagte : „Was sollen wir Phüosophen da schreiben! Es ist eben der Haeckel. Man kennt ihn! Er heißt Ernst, aber man nimmt ihn nicht ernst." Mittlerweile vollzog sich, trotz der ungeheuren Polemik von allen Seiten, der Siegeslauf der „Welträtsel" ungestört. Ein Tausend er- schien nach dem anderen, ungeachtet aller Verdammungsurteile von protestantischer und römischer Seite, ungeachtet der „nachgewiesenen Unwissenschaftlichkeit" des Buches. Das war mir ein Rätsel. Und gab mir zu denken! Woran konnte das liegen? Welches war der Zauber, der die Menschen gefangennahm? Ich wollte mir das Buch auf der Bibliothek holen, aber es war vergriffen. Und jedesmal, wenn ich es verlangte, bekam ich denselben Bescheid: „ausgeliehen". Das "E)ggggggggggggggE]gggEigE]gagE]gggE]gggE]E]E]E]E]G]giE]B]E]E]EjB]E]E]E]E]E]g
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war mir wieder merkwürdig. Zum Kaufen war es zu teuer für einen Studenten, da es außer der großen Ausgabe noch keine billigere gab. Dann nahte das Examen und verschlang alle Zeit und alles Interesse. Auch in den folgenden Jahren kam ich nicht zur Lektüre des Buches, da ich direkt von der Universität kommend einen ziemlich schwierigen Posten in einer Diaspora erhielt, der meine Kraft auch dann vollständig in Anspruch genommen hätte, wenn ich mich nicht auf das zweite Exa- men hätte präparieren müssen. Erst als ich auf einer kleinen Pfarrei im Elsaß saß, hatte ich genügend Muße, mich in allerhand Fragen zu vertiefen. Das Studium der Religionsgeschichte und des Neuen Testa- mentes ließ mich immer „radikaler" werden. Die Differenz zwischen der Lebensanschauung und Lebensweise des modernen Menschen und des Menschen aus der Zeit des Neuen Testamentes erschien mir allmählich als unüberbrückbar. Nun suchte ich nach einem Fundamente, auf dem ich eine neue Weltanschauung aufbauen könnte. Ich begann mich wie- der in die Philosophie zu vertiefen. Von da kam ich zur Naturwissen- schaft und Naturphilosophie. Daß ich nun Haeckels ,, Welträtsel" stu- dierte, ist selbstverständlich. Und nun begriff ich, daß diese ,, Welträtsel" eine so ungeheure Wirkung haben mußten, daß sie ein Kulturdokument ersten Ranges waren. Gaben sie doch dem nach Erkenntnis hungernden Volke das, was es suchte und sonst nirgends fand. Mochten auch Fehler in dem Werke stecken — wahrscheinlich sind die wenigsten, die darüber gescholten haben, imstande gewesen, sie selbst herauszufinden — es mußte wirken, weil es vom Standpunkte der vollkommensten Wahr- haftigkeit aus geschrieben war. Hier war mit bewunderungswürdiger Tapferkeit klipp und klar herausgesagt, worum es sich handelt, ohne irgendwelche Beschönigung oder Bemäntelung. Das Alte war alt , das Morsche morsch , das Faule faul genannt. Und daneben dieser goldene Optimismus, der freudig und verheißungsvoll in die Zukunft sieht, zum Kampf aufruft und an den Erfolg glaubt. Welch fester Glaube, welch sicheres Hoffen ist in diesem Buch enthalten ! Wie teilt er sich in gerade- zu suggestiver Weise demjenigen Leser mit, der das Buch nicht liest, um es zu schmähen und zu verdammen, sondern weil er sucht und fin- den will. Prophetengeist weht in den „Welträtseln", der Geist des Pro- pheten einer neuen Zeit , da Wahrheit und Wahrhaftigkeit herrschen sollen. Nicht wird nur niedergerissen, nicht nur werden falsche Ideale erbarmungslos bekämpft, es wird auch neu aufgebaut, es werden neue '3asaS^aaggEiggggggggggggggggggE]E]5]EiE]E]EiB]g]EiE]B]E]E]E]E]E]G]E]E]B]E]Ej
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Ideale aufgestellt, es werden Wege gewiesen, die zu diesen hinführen. Wie ein Blitz mußte dieses Buch in eine schwüle Atmosphäre hineinfahren und sie reinigen. Und so ist es zum echten „Katalysator" geworden.
Durch die „Welträtsel" wurde meines Erachtens nicht sowohl die Naturwissenschaft direkt popularisiert, als daß alle Fragen von Gott und Welt, Diesseits und Jenseits, dem Sinne des Daseins, von Schöp- fung und Erlösung von einem ganz anderen Gesichtspunkte als dem gewöhnlichen aus zur lebhaften Diskussion gestellt wurden. Die Mensch- heit sah sich gezwungen, ihre alten Anschauungen und Dogmen bei Tageslicht zu betrachten und — zu bewerten. Selbst auf die Ortho- doxie hat das Buch eine große Wirkung ausgeübt. Sie begnügt sich nun nicht nur mehr damit, das Volk mit Dogmen zu füttern, sondern fügt ihnen so viel Naturwissenschaft bei, als notwendig ist, um die Dogmen modern zu fundamentieren. Man denke auch an den Kepler- bund ! Man mag gegen ihn sagen, was man will — und auch ich habe wahrlich sehr viel gegen ihn zu sagen — , er bringt durch seine Methode doch die Kenntnis der Naturwissenschaft, wenn auch in seiner Art, in Gegenden, wo man noch nie etwas von neuen Problemen ohne diese Arbeit gehört hätte. Und so leistet er Pionierarbeit für den Fortschritt und — auch für die Gründung Haeckels, den Monisten- bund! Der Keplerbund erweist sich solchergestalt als echter Mephi- stophelesbund, als Teil der Macht, die trotz allem letzten Endes doch „das Gute schafft". Diesen Mephistopheles hat Haeckel durch seine Arbeit heraufbeschworen! Und ist nur etwas Licht gebracht oder doch der Boden präpariert, daß auch die beschränktesten Köpfe merken, ein naturwissenschaftliches Fundament ist heute notwendig, selbst für die Glaubenssätze, die die „Wahrheit" sind, dann kann die wahre Aufklärungs- und Auferbauungsarbeit einsetzen. Vor allem von Seiten des Monistenbundes, der ohne die „Welträtsel" nicht denkbar ist.
Wahrlich, Ernst Haeckel mag als naturwissenschaftlicher Forscher Großes geleistet haben. Ich kann es in genügender Weise nicht wer- ten, da ich sein Fachgenosse nicht bin, obwohl ich es aufrichtig be- wundere. Allein als Verfasser der „Welträtsel" hat er sich, mögen noch so viele Schwächen dem Werke nachgewiesen werden, ein Kultur- denkmal ersten Ranges gesetzt. Gerade in bezug auf dieses Werk und seine Wirkung kann er mit Stolz und Jubel sprechen: „Es wird die Spur von meinen Erdentagen nicht in Äonen untergehn."
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ERNST SCHWENINGER, MÜNCHEN
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Schon in meiner akademischen Lernzeit und in den frühesten Jahren meiner akademischen Lehrtätigkeit als Pathologe beschäftigte ich mich mit Ernst Haeckel in seinen zoologischen usw. Werken, besonders mit seiner „Natürlichen Schöpfungsgeschichte".
Schon damals war mir eine kardinale Angelegenheit die stärkere Hervorhebung des Begriffs des gesunden und kranken Lebewesens als eines von seiner Vor- und Umwelt bzw. deren Prozessen bedingten und bestimmten Produktes, als eines Gewordenen und stets Weiter- werdenden, als eines (quantitativ, qualitativ, ganz oder teilweise, auf oder ab) Gewandelten und stets Sich-fort-ändernden. Ich erkannte die Notwendigkeit solcher Akzentuierung als Bedürfnis der Pathologie und ihres Fortschrittes, in und für sich, und als Voraussetzung, als conditio sine qua non für ein gedeihlicheres therapeutisches Tun und Lassen. Und schon darum waren mir schon die ersten, eben damals publizierten Haeckelschen Ideenbauten, in die meine Gedankengänge paßten und sich deshalb zwanglos einführen und einfügen ließen, just hochsympathische und hochwillkommene Erscheinungen.
Aber nicht nur aus jenem speziellen, sondern auch aus — nicht minder regem — allgemeinem Interesse verfolgte ich die Fortbildung und Fruktifizierung der fruchtbaren Entwicklungsidee alles Geschehens und Lebens, Tuns und Handelns, verstand und empfand ich Wesen und Wert der sich hier auf tuenden Gedankenwelt, wenn ich auch den Umfang ihrer eigenen Entwicklung, die ihr beschieden war, ist und sein wird, die Größe ihres so bedeutsam erweiterten, erhöhten und vertieften Ausbaus nicht ahnte. Die zentrifugale Bewegung dieses seine engere Sphäre enorm überlangenden Geistes und seine ganze, groß- und freizügige, im besten Wortsinn unakademische, nichts weni- ger als nur fachgelehrsame Lehrart bereiteten mir, wenn ich so sagen darf, die köstlichsten Freiluft- und Freilichtgefühle. Ich bewunderte stets die herrliche Weite der in und von seinen Gedankengebäuden aus gewährten Um- und Fernblicke, seine schwungkräftige Phantasie, seine eigene und stark transitive Begeisterungswärme — unbeschadet der Kühle und Klarheit seiner strengen selbst- und objektkritischen Beobachtungs-, Spekulations-, Darstellungs- und Mitteilungsweise.
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Und wenn dies alles der Mobilität nicht verlustig gewordenem Alter gegenüber nicht versagt, so erscheint es mir nur um so natürlicher, daß der in all jenen Eigenschaften so hervorragend Jugendliche und bis heute so Junggebliebene schon frühzeitig auf mich, wie auf alle beweg- liche Jugend, wirkte.
Auch sein mächtiger Einfluß auf die breiten Massen der Gebildeten und Bildungsfähigen ist ja wohl diesem Charakteristikum Haeckels mit zuzuschreiben, da ja das Volk vieles mit der Jugend gemein hat. Schon aus jener Eigenschaft Haeckels und der jener großen Menge erklärt es sich, daß er auf diese eine so bedeutend größere Gewalt hat, als die Mehrzahl der seriösen Senatoren der Weisheit in ihrem starren, lang- und grauzopfigen Konservativismus und oft schon lang und sehr obsoleten oder doch seneszierenden Doktrinarismus und Dog- matismus.
Es hat da einmal ein anderer Jenenser Professor — sein Name ist auch nicht der eines homo obscurus (Friedrich Schiller heißt er) — manch ein treffend Wort auf den allzu engen, allzustrengen Fach- und Brotgelehrten geschrieben. Ein solcher ist Ernst Haeckel nicht und deshalb ward und wird er, mehr als von seinen anderen Gegnern, von der Gilde jener Sorte kurzgeratener Kümmerlinge angefeindet, wie jeder, der sich ihr nicht eingemeindet und nicht eingemeindet ist von Hause aus. Und nicht zuletzt aus diesem Grunde lieb' ich ihn. Als Antipode jener hat er seinen inneren und äußeren Gang gemacht.
Zu dem bereits Bemerkten hin erklärt sich die ungeheure Wirkung Haeckels in die Breite der Nation, ja der internationalen Zeitgenossen- schaft, gewiß zu einem großen Teil aus dem Lechzen nach einer Be- freiungstat in einer Epoche reaktionärer Schwankungen und Schwen- kungen. Die mit Haeckels Werken, speziell mit den „Lebenswundern" und den ,, Welträtseln" gegebenen Freidenkerdokumente kamen jenem Sehnen entgegen, waren deshalb so werbefähig und wurden deshalb so frenetisch begrüßt.
Die Entstehung, der Aufgang resp. das Ersterscheinen des Phä- nomens Haeckels fiel in eine stark impellierte Ära; in die Zeit des größten nationalen und kosmopolitischen Um- und Aufschwungs, den die Geschichte aufzuweisen hat, in eine Ära, die für das Gedeihen des Haeckelschen Werkes günstig sein mußte, wie dieses für das ihre. Ein großes Konvolut von Ereignissen, Umständen und Ver-
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hältnissen bereitete den Boden für die Entwurzelung und Ausbreitung der Haeckelschen Lehre und ihrer Fortpflanzungskeime. So zunächst der Kampf der Geister und Gemüter, der durch das römische, vati- kanische Konzil entfacht war; dann das allgemeinere intellektuelle Erwachen und stärkere Aufleben des Volkes nach Entjochung aus dem Druck der materiellen Armut; ferner die bald auf die Mündigkeits- betätigung in politischen, sozialen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen, logischen, ethischen, religiösen, künstlerischen Meinungs-, Glaubens-, Wissens-, Gewissens- und Geschmacksfragen hereinbrechende Rück- laufsagitation und deren Gegenbewegung; und weiterhin der auf die Blüte des Kapitalismus hereinflutende Interessenkampf der Stände und Klassen, wie überall so besonders auch in Deutschland, der den beendigten Kampf der Staaten und Stämme und zum Teil den der Bekenntnisse ablöste. Infolge all dessen war die Stimmung da für Haeckels Tätigkeit und konnte unter seinem Weiterwirken progressiv, lawinenartig zunehmen.
Dann aber auch infolge des im Gros der Menschen wenigstens weckbaren Triebes nach der Erkenntnis der letzten Dinge, dieses „mens" würdigen Antagonisten (wenn auch nicht Paralysators) der übernatürlichen und mystischen Neigungen der Menschheit. Den rationalistischen Bedürfnissen entsprechen Haeckels logisch-kombina- torische und exakte Denkerqualitäten und -leistungen, während seine ihn ebenso auszeichnenden poetischen Befähigungen und Betätigungen dem Kunst- und Dichtersinn gerecht werden, der dem breiten Volke immanent ist und dort oft reichlicher zu treffen ist als in der Ober- schicht der „geistigen Hochfinanz", der „Intelligenz". Aus diesen Gründen wohl nicht weniger ist die Arbeit Haeckels so erfolgreich.
Daß ein so namhafter, bedeutender Naturforscher, ein nicht nur mit scharf- und weitblickenden, gründigen Augen armierter Wahrheit- sucher, sondern auch ein mit tief- und schönsichtigem Künstlersinn geschmückter und schmückender, beglückter und beglückender, warm- fühlender Mensch es ist, der hier die Menschen in die Gefilde der Philosophie führte, kam und kommt dem inneren und äußeren Effekt seines gesamten Werkes natürlich noch steigernd zu statten.
Ob naturwissenschaftliche Gegner ihn als ressortflüchtig prokla- mieren, Zunftphilosophen ihn unbefugten Einbruchs in ihre Domäne zeihen und nicht für voll gelten lassen, ob Konfessionalisten ihn
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perhorreszieren und Träumer ihn indizieren und ihm ebenso wie Rationalisten nachsagen, er habe sie unbefriedigt gemacht oder ge- lassen, er habe viel eingerissen und nichts oder nicht genug aufgebaut, ob der Staat dem Geistwerk solcher Männer als dem gefährlicher Weg- macher und Wegweiser skeptisch zusieht — : Haeckel hat das natur- wissenschaftliche und philosophische Denken seiner Zeit unleugbar neu gerichtet, d. h. orientiert, und das frühere neu gerichtet, d. h. be- urteilt, nicht verurteilt, in seiner hochsinnigen, weitgeistigen und weitherzigen Bescheidenheit. Vor allem in den genannten Gebieten hat er, teils auf den Bahnen seiner geistigen Ahnen, teils auf von ihm selbst geschaffenen, durch pfadloses, schwer wegsames, erst gerodetes Terrain mühsam geschürften Wegen und gezogenen Geleisen weiter geführt. Und heute fahren Unzählige als staunende Genießer, wo er als einsamer Pionier gearbeitet, marschiert man rüstig in dichten Massen auf den erhellten Straßen seiner Weltanschauung durch das von ihm (mit und allein) so viel reicher, weiter und mehrseitiger als vorher durchbahnte Land der Erkenntnis vorwärts und zieht daraus die Konsequenzen fürs Leben. Und selbst ehedem Spröde folgen nun in bedeutsamsten Fragen seiner Beantwortung (so in seiner Gasträa- theorie). Durch seine naturwissenschaftliche und philosophische und damit durch seine Stellungnahme zu den sogenannten positiven Reli- gionen, dem Offenbarungsglauben usw. ist seines Lebenswerkes Wir- kung auf die Gesellschaft, die menschliche Gemeinschaft der Gegen- wart und Zukunft eine unabseh- und unberechenbar umfangreiche und intensive.
Wie fürs Große und Ganze dieser allgemein-umfassenden Kosmo- sphären des Realen und Idealen, für die Gesamtwissenschaft von Natur- und Geisteswelt, und fürs Gesamtleben, so ist Haeckels Wirken für manches Teilgebiet noch speziell zu bemerken.
So für die Kunst, vor allem für die bildende, in der er anleitend hervorgetreten ist. Für sie, auch für die Schönliteratur, sind in seinen Werken ertragreiche Fundstätten mit vielen noch ungeförderten Schät- zen an Gedanken- und Formgut gewiesen. Es ist zu wünschen, daß die Priester der Kunst seinen Winken gegenüber nicht ebenso (vor- sätzlich und unbewußt) unzugänglich und blickverschlossen in ihrer Sphäre sich verhalten, wie die Sazerdotenschaft der Religionskonfes- sionen und andere in der ihrigen. E]B]B]gggggE]gggggggggggggggggggggE]E]E]E]B]g]E]E]E]E]E]E]G]E]E]E]E]EiE]E]gEi
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Was die Kultur des Berufskreises betrifft, dem ich zugehöre, so ist Haeckels Arbeit an sich zweifellos geeignet, auch jenem und damit der menschlichen Gesamtheit zugute zu kommen, indem es die ärzt- lichen Führer der Menschheit entwicklungstheoretisch vorbereitet und so verständnisvertiefend unterstützt in der Krankenauffassung und -anfassung und auf diese Weise wenigstens mittelbar für die Hilfe- berufenen und damit für die Legionen der Leidenden praktisch nutz- bringend wird. Das ist denk- und erfüllbar unter der gleichen Prämisse, wie die für die Gefolgschaft seitens der Künstler aufgestellte, — d. h. dann, wenn die Ärzte willens sind, sich in diesem Sinne belehren und leiten zu lassen. Bisher ist davon unerfreulich wenig zu spüren. An Haeckel liegt's nicht! . . .
Vieles und viel hat Haeckel aufgedeckt und errungen. Vieles und viel kann und wird, so hoffe, so glaube ich, in und aus seinem Geiste erreicht werden. Sein glänzendes Vorbild an unentwegtem Arbeits- willen, Arbeitslust, Geduld, Ausdauer, Denk-, Bekenner- und Tatmut und Unerschrockenheit, zum geistigen Können hin, — es leite stets die, die sich zu ihm bekennen und im Anschluß an ihn schaffen wollen! Jenes leuchtende Vorbild unbeirrbarer und unerkirrbarer, absoluter Denkfreiheit, für die er allezeit eintrat, die der allzeit Aufrechtgewesene fortbetätigt und mit der er ein mustergültiges Paradigma ist dafür, daß einer, bei aller Zusammenhängigkeit mit dem historischen und zeitgenössischen Gesamtdenken, Unabhängigkeit wahren kann und Eigenart, ja Einzigart! Mit dieser Sonderart und Selbständigkeit hat er uns eine hohe Summe hohen neuen Besitzes erworben, hat er uns
— auch als Negant — neue Werte geschaffen und geschenkt, und mit neuen positiven Werten alte imaginäre ersetzt, die durch seine Vorstöße manchem zerstört oder erschüttert worden, unter seiner Belichtung geschmolzen sind. Blickt man zurück und wägt man die schon gezei- tigten Früchte, so darf man ebenso wie angesichts der voraussichtlichen Zukunft wohl sagen : Dieser Mann, der wohl einen der stärksten An- stöße in der geistigen Bewegung der Gegenwart gegeben hat, an dem deshalb ebensoviel Anstoß genommen worden seitens der Reagenten,
— dieser Mann, der selbst von lebhaftesten Impulsen erfüllt, so weit- tragende, lebensfähige, lebenfördernde Impulse gegeben hat als ein Hauptmotor der Hebung des Selbstbewußtseins, des Selbstgefühls und der Selbsthilfeaktion der heutigen Menschheit (was eines seiner
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Hauptmotive war), — dieser Mann, der sie mit einer so tiefgreifenden Revision und Umwälzung zu einer Neuordnung der Lebensanschauung und damit auch der Lebensführung geführt hat, dieser Stifter einer neuen Lehre ist der Stifter eines neuen Glückes. Und seine Saat wird immer mehr aufgehen und sie wird, in des Säers Sinne gepflegt, nicht im üblen Sinne auswachsen. Der uns Sinne und Sinn geöffnet und sie immer mehr Menschen immer mehr aufmacht für so viel Wahres, Gutes und Schönes, er ist nicht nur ein mächtiger Auf reger, er ist und wird auch ein mächtiger Anreger sein und — in weit mehr als schon damit — ein wohltätiger Spender vieler fertiger und vieler sich immer mehr vollendender Resultate. Seinen eigenen reichen Qua- litäten und Quantitäten sind die des bereits Erzielten entsprechend; jenen genialen inneren Dimensionen, von allwelchen die wackeren Angehörigen geistiger, moralischer und ästhetischer „Trockenlader" (d. h. Packträger)-Innungen nichts ahnen und sich nichts träumen lassen, nicht bloß weil sie nicht wollen, vielmehr weil sie nicht können. Mögen sie naserümpfen, lippenschürzen, achselzucken, wie sie's drängt, — Haeckel ist von dem Künstlerblut durchflössen, mit den Künstleradern organisiert, in denen es jenen zu lebhaft zugeht, ja deren Existenz in einem Gelehrtenorganismus diesen Tretmüllern und ihrer Tradition schlecht angebracht, weil deplaziert erscheint, die aber doch jedem echten Forscher eignen muß. Solche Organisation hat nicht die Mindesten und nicht zum mindesten geziert ; so A. von Hum- boldt, Pettenkofer usw. Haeckel ist durch die seine zu seinem Besten geführt worden. —
So schaute und schaue ich seit den ersten, starken Eindrücken, die mir von ihm wurden, mit Verehrung nach dem Großen von Jena hin. Mit einem Frohempfinden erfüllt mich das Bewußtsein, daß der ehr- würdige Veteran der Forschung, der eine grandiose Arbeitsleistung bewältigt hat, nichts weniger denn als Invalide dort lebt; er, der in Geistesrichtung, Kraft und Betriebsamkeit in mancher Hinsicht mit einem anderen verwandt ist mit einem, der auch viel dort geweilt und gewirkt hat und der uns vorwärts gebracht hat trotz manch auch ihm gewordener und heute noch fortwährender aktiver und passiver Resistenz, — mit dem Vorläufer Darwins und weiterhin unseres Deszendenzklassikers, — mit Goethe. Mit Frohempfinden erfüllt mich, daß uns Haeckel lebt, hoffentlich weit, weit ins Patriarchenalter hin-
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ein; Haeckel, der Deszendent jener beiden, eine der imposantesten Erscheinungen der deutschen, ja der internationalen Geisteswelt, nicht zum mindesten dadurch, womit vor allem — ohne Verringerung seiner eminenten, machtvollen Eigenart und Eigenständigkeit — sein Wesen an Goethe erinnert : durch die überaus glückliche Paarung von natur- wissenschaftlicher Denkweise und philosophischem Sinn einerseits und jener und poetischem Geiste anderseits, — Mischungen, die in Haeckel in außerordentlichen, veranlagten und ausgebildeten Fähigkeiten ge- geben sind, und denen gegenüber ich — trotz allen metaphysischen, transzendentalen Idealisten und nur — materialistischen Schwärmern — nicht anstehe zu sagen, sie erscheinen mir gerade deshalb vielbedeutend und segensreich für die heutige und künftige Entwicklung unseres na- tionalen und des Geistes- und Gesamtkulturlebens überhaupt, weil er durch sie die leben- und lebensverständnisnötige Fühlung mit dem Realen nicht verliert bei all seinem Trieb und Stieg in die Höhen und Tiefen der Forschung. —
Durchdrungen von diesen Anschauungen und Empfindungen, trat ich Haeckel gegenüber, als Bismarck, auf der Rückreise von seiner denkwürdigen Fahrt zu seines Sohnes Herbert Hochzeit nach Wien, in Bad Kissingen weilte, und Haeckel mit der Bitte an den Fürsten kam, Jena, seiner Bürgerschaft und namentlich auch seiner akademi- schen Bürgerschaft die von dieser ersehnte Gelegenheit zu geben, dem hochbetagten, gewaltigen Repräsentanten menschlicher und spezifisch deutscher Größe die Größe junger deutscher Liebe und Dankbarkeit zu bezeigen. Der Fürst, den ich begleitete, leistete Haeckels Einladung Folge; und es waren unvergeßliche Momente, die ich an der Seite des gefeierten Neureichsgründers bei der Huldigung auf dem Marktplatz zu Jena erlebte, wo Ernst der Große u. a. in humorgenetzten Worten Bismarck als dem ersten Ehrendoktor der Phylogenie zujubelte. Es waren mir aber auch unversinkbare Erhebungen für Geist und Herz, in diesen Tagen von Kissingen und Jena mit dem Geistesrecken und zugleich so schlichten Menschen Haeckel zusammen zu sein, dessen liebenswürdige Persönlichkeit mir dort im direkten Umgang näher kennen zu lernen gegönnt war.
Und es war mir um so mehr eine große Freude, eine wiederholte Zusammenkunft mit dem prächtigen Manne zu genießen; diesmal in meinem damaligen Domizil, auf Schloß Schwaneck, wo er mich be-
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suchte, und wir bei einem Glase Wein behagliche, mich in hohem Grade anregende Zwiesprache pflegen konnten. Ich fand in ihm dabei so ganz jene, gleich dem Kinde nur dem Genius eigene Voraussetzungs- losigkeit, die uns, bei diesem um so tiefer, seelisch erquickt; nicht aber jene Selbst- und Herrschsucht und jenen Eigensinn, den Finder und Führer oft haben und hegen. — Ja: Eigensinnend fand ich diesen Großen, — eigen si n n ig nicht ! Ich fand die abgeklärte Heiter- keit des Wissenden und trotz Jenseitsnegation (soweit jenes in den Kirchen usw. gepredigt wird) doch freudig Lebenbejahenden in ihm. Ich habe jenen einen und jenen andern Tag in meinem Gedenkkalender — in Gefühlen der Liebe und der Treue — rot und blau bezeichnet. —
Ebenso danke ich es der Fügung, daß es mir im letztverflossenen Jahrfünft wie in meiner Jugend möglich war, mich dem eingehenderen Studium dieses unentwegt regsamen Bewegers hinzugeben und seine großen Förderungen an der Gestaltung der vorschreitenden Zeit und in der Entwicklung seines geistigen Kindes, des Monistenbundes, usw. zu beobachten.
Aus dem allen habe ich es als sicher ersehen : Haeckel, der wirk- samste Träger des Entwicklungsgedankens nächst Darwin, der Ent- wicklungstheoretiker und Entwicklungspraktiker, der in seinem eige- nen Werden und Wachsen ein so großes Beispiel von Entwicklung gegeben hat, Haeckel, der Schöpfer so vieler ganz neuer Werte, der allerstärkste Werber für ein neues, reiches Denken, der befreiende Weiterer des allgemein-menschlichen Gesichtskreises, wird durch die Tatsache all dieses seines Wesens und Wirkens nicht nur im Gedächtnis, sondern auch im Weiterwerden der Menschheit fortleben als ein nie zu verbergender Faktor des Fortschrittes der Erkenntnis und damit der Kultur. Er hat als solcher ein momentum und sich ein monu- mentum geschaffen — memoria et aere perennius!
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HERBERT EULENBERG, KAISERSWERTH A. RHEIN
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Was ich an Haeckel verehre? Seinen starken Mut Und an seiner großen Lehre Sein warmes Blut.
Und stirbt er einst von unserm Stern, So leb' ich nicht mehr ganz so gern!
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WILHELM BÖRNER, LEIPZIG
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Zum erstenmal hörte ich den Namen Haeckel mit etwa 17 Jahren aus dem Munde des — Religionsprofessors. In welchem Zu- sammenhange das war, erinnere ich mich nicht mehr mit Bestimmt- heit ; ich weiß nur, daß der Name in Verbindung mit Darwin genannt worden war. Es ist klar, daß die Äußerungen über Haeckel, die ich hier vernahm, nicht gerade schmeichelhaft gewesen sind. Da ich aber damals schon jede Dogmatik überwunden hatte, machten sie mir keinen sonderlichen Eindruck und hatten auch keine weitere Folge. Ich las damals die bei Reclam erschienenen Werke Darwins, dachte aber gar nicht daran, ein Buch Haeckels anzusehen; nur der Name hatte sich mir dauernd eingeprägt, verbunden mit der Vorstellung eines berühmten Gelehrten und antikirchlich gesinnten Mannes. Erst nach mehreren Jahren, nachdem ich mich schon längere Zeit mit Philosophie beschäftigt hatte und auf dem Wege war, mir meine positivistische Weltanschauung zu bilden, studierte ich Haeckels Hauptwerke. Ich weiß heute nicht mehr zu sagen, in welcher Reihen- folge; nur weiß ich bestimmt, daß die ,, Welträtsel" ziemlich spät an die Reihe kamen. Mein Interesse für Haeckel wurde besonders ver- stärkt, als ich erfuhr, daß der von mir so hochverehrte B. v. Carneri mit ihm befreundet gewesen. Dieser Umstand bewog mich, mich auch mit den kleineren Schriften bekannt zu machen.
Die wissenschaftlichen Werke imponierten mir gewaltig und be- reicherten meine naturwissenschaftlich-biologischen Kenntnisse in bedeutsamer Weise. Die philosophischen Schriften hingegen hatten keinen Einfluß auf mich, weil zur Zeit, als ich sie kennen lernte, meine Abneigung und Feindschaft gegen jede Art Metaphysik schon so sehr ausgebildet war, daß mir Haeckels Standpunkt nicht zusagen konnte. Dazu kam noch, daß ich zu dieser Zeit schon mit Ludwig Feuerbachs klassischer Religionspsychologie vertraut war, so daß mir die „Welträtsel" auch keine „Aufklärung" mehr zu bieten hatten.
Durch die Lektüre klerikaler Anti-Haeckel-Schriften war ich nun allmählich zu der Meinung gekommen, Haeckel sei ein wütender Draufgänger, eine Art geistiger Ellbogen-Mensch, der sich mit allen Mitteln durchzusetzen trachte, wenn auch freilich nicht aus egoisti-
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sehen Gründen. Diese Vorstellung verdunkelte mir das Bild des sonst sehr geschätzten Mannes und ich wandte mich innerlich von ihm ab, weil für mich Vornehmheit und Takt zwei unbedingte Erfordernisse im geistigen Kampfe bedeuten. Ich erwähne diese Episode in meinem Verhältnis zu Haeckel absichtlich, weil sie beweist, wie verheerend die klerikale Kampfesweise selbst in solchen Kreisen wirken kann, die allem aus diesem Lager Kommenden von vornherein mit Miß- trauen gegenüber stehen. Bald sollte ich jedoch eines besseren be- lehrt werden. Anläßlich einer Reise in Deutschland im Juni 1906 kam ich auch nach Jena und besuchte neben anderen Vorlesungen natürlich auch das Kolleg Haeckels. Hier ging es mir nun ähnlich wie Saul in der Mythe, der auszog, einen Esel zu suchen und ein Königreich fand: Ich erwartete einen selbstbewußten, zänkischen, intoleranten Kampfhahn und fand — einen unendlich schlichten, vornehmen, würdevollen Gelehrten. Ich gestehe, daß ich diese Vor- lesung tief betrübt und zugleich beschämt verließ. Betrübt darüber, daß Menschen in ihrem blinden Haß und ihrer maßlosen Wut so weit gehen können, die Tatsachen in ihr Gegenteil zu verkehren, und nicht davor zurückschrecken, Anschauungen über einen Mann, der ihnen nicht paßt, zu verbreiten, die sich zur Wahrheit verhalten wie schwarz zu weiß; beschämt darüber, daß ich den Lügnern und Verleumdern aufgesessen bin, und mir das Bild, das ich ehemals von Haeckel hatte, beeinträchtigen ließ. Ich kann nicht anders sagen, als ich gewann den Mann in der einen Stunde lieb. Und diese Zuneigung wurde durch alles bestärkt, was ich über ihn von befreundeter Seite las, und er- reichte ihren Höhepunkt, als es mir im letzten Sommer vergönnt war, mit dem verehrungswürdigen Denker persönlich in Berührung zu kommen. Ich habe nur selten das Glück gehabt, mit Menschen sprechen zu dürfen, die ein solches Übermaß von Güte und Wohl- wollen ausströmen wie Haeckel. Je aufmerksamer ich die Betätigung Haeckels in den letzten Jahren verfolgte, desto mehr stieg der Mann in meiner Hochschätzung und Bewunderung. Seine Ablehnung der Obmannschaft des Deutschen Monistenbundes; das Eintreten dafür, an diese Stelle den (leider viel zu wenig gewürdigten) ausgezeichneten Kalthoff zu setzen; die Gewinnung Ostwalds, dessen Weltanschauung doch wesentlich verschieden ist von der seinigen ; der Austritt aus der Kirche: das und vieles andere lieferte mir den Beweis für die unge- ggg[3ggggggE]ggggggggggggB]E]ggggggG]E]E]E]E]B]E]E]E]E]E3E]B]E]B]E]E]B]E]EiBj
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wohnliche Bescheidenheit, Objektivität, Toleranz und Tapferkeit des großen Mannes. Und speziell die letztere Eigenschaft, der Mut Haeckels, ist es, die ich ganz besonders bewundere und verehre, wenn ich sein Lebenswerk überblicke. Man kann ruhig behaupten: Haeckel ist heute nicht nur einer der berühmtesten Männer Deutsch- lands, sondern einer der allermutigsten. Er ist für mich eine Recken- gestalt des 20. Jahrhunderts; denn in der Gegenwart sind ja nicht mehr die körperliche Kraft und der physische Mut ausschlaggebend und bedeutungsvoll, sondern geistige Stärke und seelischer Mut. Und in dieser Hinsicht ist Haeckel ein Riese, ein leuchtendes Vorbild, ein „Erzieher" (wie ihn schon Dodel-Port genannt hat) im aller- größten Stile. Er ist die Verkörperung des Mannesstolzes, für den die eigene Überzeugung, die Treue gegenüber der Lebens- aufgabe und die Liebe zur Wahrheit den Lebensnerv bilden. Diesen ruhigen, festen Mut kann kein Hohn der Toren und kein Dünkel und Naserümpfen der Zünftler erschüttern. All dem hält er unbeirrt stand und wächst dadurch ins Gigantische. Und so möchte ich sagen : Haeckel als Philosoph hat sicherlich anregend und aufklärend auf die weitesten Kreise gewirkt ; Haeckel als Forscher ist eine wissenschaftliche Größe ersten Ranges; das Gewaltigste, Kostbarste, Wertvollste aber ist Haeckel als Mensch. Denn als solcher ist er nicht weniger als das, was unserer Nation und der ganzen Menschheit am dringendsten not tut: im tiefsten Sinne des Wortes — ein ganzer Mann.
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IDA ALTMANN-BRONN, ROMBACH
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Schön ist der Gedanke, „die Kulturarbeit Ernst Haeckels" nicht durch einen einzelnen, und wäre er auch der Besten einer, dar- stellen, sondern diese Darstellung das Werk vieler werden zu lassen. — Schön strahlt der Diamant das Licht der Sonne wieder, herrlich künden die keusche Lilie und die Rose ihr Lied vom Sonnenwirken, und dennoch möchten wir ihr Bild nicht missen , wie's aus Tauperlen uns entgegenblitzt. — So wird von Haeckel auch ein jeder sagen, wie gerade er des Meisters Werk betrachtet und bewertet.
Den Namen Haeckels las ich zum erstenmal im Winter 1889/90 in der Akademie der Wissenschaften in Petersburg. Ein junger Stre- benskamerad, Max Goldberg, arbeitete an einer von der Akademie gestellten Preisaufgabe ,,Über die Entwicklung der Ganglien beim Hühnchen". Er verstand nur Russisch. Die deutschen, französischen und englischen Arbeiten, auf die Professor Owßjanikoff ihn ver- wiesen hatte, übersetzte ich ihm. Bei der Gelegenheit fand ich auch Haeckels Namen irgendwo erwähnt, jedoch ohne Beziehung zu der mir vorliegenden Arbeit, und er besagte mir noch kaum etwas. (Des jungen Studenten Arbeit erhielt die große goldene Medaille und wurde in russischer Sprache von der Akademie gedruckt. Teile von ihr, die Herr Professor Waldeyer aus meiner Übersetzung auswählte, er- schienen in Band XXXXII des Archivs für mikroskopische Anatomie.)
Haeckels Ideen lernte ich zuerst durch seine Altenburger Rede kennen, dieses „monistische Glaubensbekenntnis", von dem er meint, es werde wohl der Religion der meisten Naturforscher entsprechen, die 1. genügende naturwissenschaftliche Kenntnisse; 2. genügende Schärfe und Klarheit der Urteilskraft; 3. genügenden moralischen Mut und 4. genügende Geisteskraft besitzen, „um sich auf Grund eigenen gesunden Denkens von den herrschenden religiösen Vorurteilen zu befreien, und besonders von jenen vernunftwidrigen Dogmen, die uns seit frühester Jugend als unerschütterliche .religiöse Offenbarun- gen' fest eingepflanzt wurden". Die Betonung des Rechts der freien Wahrheitsforschung und der freien Wahrheitslehre, ohne das es keine ehrliche wahre Wissenschaft gebe, ferner die entschiedene Forderung, daß auch die theoretische und praktische Sittenlehre nur wissen- ggggggggg]ggs]gsggG]gggggggggEiggggE]E]giE]GiE]E]B]G]E]B]E]E3B3giE]G]E]BiE]E]
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schaftlich vernünftig, nicht dogmenreligiös begründet werde, alles das war mir so aus der Seele gesprochen, daß es für mich ein fröhliches, befreiendes Aufleuchten bedeutete:
Also durfte man so denken, und es war weder ein Mangel an reli- giösem Gefühl noch eine Anmaßung, nicht Rousseaus bzw. seines savoyischen Vikars Verhimmelung der Evangelien und ihres Helden sowie der Vortrefflichkeit seiner Religion beizustimmen. Man durfte trotz des schulamtlich beglaubigten Zeugnisses, „mit den Wahrheiten der christlichen Glaubens- und Sittenlehre, wie auch mit ihrer Grund- lage, der heiligen Schrift, und der geschichtlichen Entwicklung der christlichen Kirche gut bekannt" zu sein, an jenen „Wahrheiten" zweifeln und Rousseau entweder für verworren oder unaufrichtig halten! — Also hatte ich von meinem Spinoza doch einiges ver- standen! So klang es freudig in mir nach Haeckels Altenburger Monismusrede. Geradezu wohltuend war dieses Bewußtsein, und ähn- lich dachten und fühlten viele suchende, ringende junge Geister. Hier dieser große Gelehrte in Amt und Würden erlaubte nicht nur, nein, er forderte den Mut, daß man sich zu sich selbst bekenne, zum eigenen klaren Denken. Indem er uns dieses Recht zusprach, wurde er unser Meister, wir seine Jünger.
Nachdem ich „Die natürliche Schöpfungsgeschichte" studiert hatte, beantragte ich, daß die Freireligiöse Gemeinde in Berlin, in deren Vorstand ich gewählt worden war, dieses Werk Haeckels in ihre Bibliothek einstellen möge. Das geschah, und der mächtige Band war ständig ausgeliehen; man mußte ihn vorbestellen und manchmal lange auf ihn warten, da viele andere ihn auch bestellt hatten.
Je mehr ich Haeckel las, desto größer wurde nicht nur meine Be- wunderung seiner Leistung, sondern auch meine Ehrerbietung für seine Persönlichkeit.
Es kommt bisweilen vor, daß man nach einer Reihe von Jahren sich einbildet, zu einer bestimmten Zeit eine Meinung gehabt zu haben, die man tatsächlich sich viel später erst gebildet hat. Daß mir es in bezug auf Haeckel nicht so geht, dafür liegt der Beweis gedruckt seit fast zwanzig Jahren vor. Auf Wunsch des Vorstandes der Berliner freireligiösen Gemeinde hielt ich in dieser Vorträge; der am Neujahrs- tage 1894 gehaltene wurde auf Mitgliederantrag gedruckt. Darin er- wähne ich die Beleidigungsklage Hamanns „gegen den Lichtgeist
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Ernst Haeckel, der ebenso groß als wissenschaftlicher Forscher und Schriftsteller wie mutvoll als Vorkämpfer für den freien Ge- danken auf religiösem Gebiete ist". Nach kurzer Kennzeichnung des Hamannschen Vorgehens sagte ich dann weiter: , .Ernst Haeckel tat seinen Angreifer in einer Weise ab, die an Schärfe nichts ver- missen ließ. Er verwahrt seinen Gegner auf dem Gebiete der Ab- stammungslehre, Prof. Virchow, gegen die Bundesgenossenschaft eines solchen Mitstreiters (Hamanns). Er bedauert Virchows Kampf gegen den Darwinismus, läßt aber dem wissenschaftlichen Charakter des- selben, dessen Größe und Bedeutung vollste Anerkennung zuteil wer- den. Diese noble Art des Umgangs mit dem namhafte- sten Gegner kann uns den Kampfgenossen Haeckel nur um so sympathischer erscheinen lassen, und welche Schlüsse werden wir ziehen auf die Charaktereigenschaften des Menschen, den dieser selbe vornehme Haeckel mit Ausdrücken bezeichnete, welche mit einer Geldstrafe von 200 Mark gesühnt werden mußten."
Eine ähnliche Wirkung übte der mir damals nur durch seine Werke bekannte Haeckel auf viele aus, die ich zu beobachten Ge- legenheit hatte, Besucher meiner Vorträge aus der jüngeren Lehrer- schaft, erwachsene Schüler, Deutsche wie Ausländer.
Ein Vorbild war er uns. Eine ethische Wirkung übte er aus allein schon durch seine wissenschaftliche Leistung, die uns neue Wahr- heiten erkennen lehrte, zur Wahrheit immerfort hinzustreben uns verpflichtete. Vor allem aber war's die Art, mit der er die durch seine eigene riesige Forscherarbeit gefundenen neuen Erkenntnisse und auch die Ergebnisse der Geistesarbeit anderer verkündete und vertrat, was jene geradezu unerhörte, noch nicht dagewesene ethische Bedeutung im Kulturleben unserer Zeit gewann.
Der kühne Wahrheitsmut, der ihn das für wahr erkannte aus- sprechen läßt, gleichviel ob er sich dadurch mit herrschenden Mei- nungen oder auch mit herrschenden Gewalten in Widerspruch setzt, hat etwas hinreißendes, entflammendes. Hierzu gesellt sich noch der Schönheitshauch, der wie ein Frühlingswehen sein Lebenswerk durch- zieht und junge Lebenskeime, frische Kräfte befreit, zum Wachstum und zum Wirken bringt.
Schon die „Monographie der Radiolarien" des 28jährigen Zoologie- Professors weist alle diejenigen Eigenheiten auf, die als besonders
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Haeckelisch überall in seinen Werken wiederkehren: Wissenschaft- lich Neues wird mit Apostelbegeisterung in sprachlich vollendeter Schönheit dargelegt und durch künstlerisch glänzende Zeichnungen veranschaulicht .
Der Künstler Haeckel offenbart sich uns in den Wanderbildern und den Kunstformen der Natur, und die Indischen Reisebriefe zeigen unter anderem, daß ein herzlich liebenswürdiges Gemüt sich wohl vereinbart mit der Streitbarkeit und Unerbittlichkeit des Wahr- heitskämpen. Wie er als solchen sich gezeigt hatte in seiner Stet- tiner Rede von 1863, in der er den Kampf aufnimmt für Darwin, für die Entwicklungslehre — gegen das Wunder — das Naturgesetz betont, „das weder Tyrannenwaffen noch Priesterflüche unterdrücken können", so will er alle weihen zu Wahrheitsstreitern; nicht nur die Fachgelehrten sollen als Geheimwissenschaft die neue Lehre haben, allen Gebildeten will er sie bringen, und die Lehrer sollen sie der Jugend, den Kindern des Volkes in der Schule übermitteln.
Gerade damit wurde er Begründer der neuen Menschheitskultur, die in den beiden letzten Jahrzehnten des neunzehnten Jahrhunderts erfreuliche Ausbreitung gewann innerhalb der europäischen Völker (allerdings nicht der Staaten, da ja die Regierungen und jene Kreise sie nicht aufkommen lassen wollen, von deren eigensüchtigem Treiben die Regierungen mißleitet und mißbraucht werden).
Die von Haeckel begründete und verkündete Einheitslehre wirkte wie eine große Befreiungstat. Befreit wurden Hunderttausende von Menschengeistern von dem quälenden Druck der Zwiespältigkeiten, der Gegensätze: Gott und Welt, Seele und Leib oder Geist und Ma- terie. Sie lernten das All-Leben in seinen Zusammenhängen erfassen, die Einzelerscheinungen des Lebens in das Ganze einordnen. Eine von den Ängsten um das ,,Uberweltliche" befreite, gereinigte, har- monische Stimmung konnte die Gemüter erfüllen. Die so befreiten Geister wurden schaffensfreudiger, schaffenstüchtiger und bewirkten die mancherlei Fortschritte auf den verschiedensten Gebieten des Lebens, so vor allem die Wandlungen zum Besseren im Erziehungs- wesen.
Die Beziehungen des Menschen zur Umwelt und der Menschen untereinander werden aufs günstigste beeinflußt durch die Einheits- lehre, die dem Dünkel den Boden entzieht, der Mensch sei etwas ganz
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anderes als alle anderen Lebewesen, da ja nur er eine unsterbliche Seele habe, die Gott ihm mit seinem Odem eingeblasen hätte, wie er auch nach seinem unerforschlichen Ratschluß die Ungleichheit der Menschen untereinander gesetzt, die einen über- und die anderen untergeordnet hätte. Die Einheitslehre, wie Haeckel sie kündete, brachte somit die Menschen brüderlich einander näher und gab dem einzelnen stärkeres Selbstbewußtsein und Selbstvertrauen. Das habe ich an mir selber und an zahlreichen anderen Personen feststellen können, und zwar häufiger als zuvor seit dem Erscheinen der „Welt- rätsel", denn die wilden Angriffe gegen diese machten auf sie einen weit größeren Personenkreis aufmerksam, als der gewesen war, der sich sonst mit Haeckels Werken beschäftigt hatte.
Die ethischen Wirkungen, welche durch Haeckels Werk und Leben ausgelöst worden sind, erscheinen mir mindestens so groß wie diejenigen der Reformation, ohne daß sie deren üble Be- gleit- und Folgeerscheinungen gezeitigt hätten.
Im Spätsommer 1900 — gerade zu der Zeit, da Haeckel seine zweite Reise nach Indien antrat — kam ich als einzige Delegierte Deutschlands zum internationalen Freidenkerkongreß nach Paris. Wie wenig Eindruck, fürchtete ich, würde auf diese Weise Deutsch- land unter den vertretenen Nationen machen! Allein es wurde ge- ehrt und gefeiert, war's doch das Land, in dem Haeckel die wunder- vollen Waffen gebildet hatte, mit denen der geistige Befreiungskampf erfolgreich geführt wurde in allen Landen.
Als wir uns anschickten, im Jahre 1904 in Rom das internatio- nale Freidenkertum zum Kongreß zusammenzuberufen, da wagte ich es, an Professor Haeckel zu schreiben und ihn zu bitten, dabei zu sein — aus Vaterlandsliebe.
Kurz vorher hatte des Deutschen Kaisers Besuch beim Papste und sein sonstiges Verhalten in Italien so sehr gegen das Deutschtum Stimmung gemacht, daß, als bei dem beliebten Konzert auf dem Colonna-Platze ein Wagnersches Stück gespielt wurde, das Volk durch Zischen und Pfeifen und die Rufe „keine deutsche Musik" protestierte, so daß uns deutschen Zuhörern vor Schmerz die Tränen in die Augen traten.
Dann kam Haeckel. Die Presse nannte ihn und würdigte sein Werk.
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„Das ist der große Deutsche", sagten Mütter ihren Kindern, die sie emporhoben, damit sie ihn sehen konnten, als er am 20. September am Denkmal Giordano Brunos seinen Kranz niederlegte, und Jubel- rufe ohne Ende grüßten ihn. Auch heuer hörten wir um Genua herum, wie jene Plätze an des Mittelmeers Küste, wo er geweilt, geforscht, geruht hat, von der Bevölkerung wie Stätten ihres Ruhms gezeigt werden, weil Haeckel sie geweiht hat für alle Zeit.
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um erstenmal begegnete ich dem berühmten Naturforscher von
Jena am Ende des Sommersemesters 1883. Kaum hatte er Kenntnis von dem Empfelnungsbrief genommen, den mir mein Freund Arnold Lang, einer seiner liebsten Schüler, mitgegeben hatte, als er mir mit reizender Liebenswürdigkeit einen Platz in seinem Laboratorium über- ließ, wo ich den längsten Teil meiner Ferien zubrachte. Die Jahreszeit war vorgeschritten, und Haeckel bereitete sich vor, nach Tirol abzu- reisen. Ich hatte indessen das Glück, die letzten Stunden seiner Vor- lesung zu hören. Der Eindruck, den sein Wort hervorbr achte, über- stieg noch den schon so starken, den man beim Lesen seiner Bücher gehabt hatte, denn zu der Macht seines Gedankens kam noch die Wirkung seines persönlichen Wesens, ein eigentümlicher Zauber, der von seiner wohlklingenden Stimme und von seinem Auge ausging. Wenn er sprach, hielt er gern seine Blicke nach oben gerichtet, was ihm ein begeistertes Aussehen verlieh und er überzeugte durch die Kraft und die Vielfältigkeit seiner Argumente, sowie durch die logische Verbindung seiner Ideen, die mit Leichtigkeit in einer reichen und farbigen Sprache hervorgebracht wurden. Man warf ihm nur einen gewissen Mißbrauch neugebildeter Wörter vor, welcher besonders die Fremden, die seinem Unterricht folgten, überraschte.
Haeckel hat ohne Zweifel mehr Anhänger durch seine Werke als durch seine Vorträge gewonnen; alle die ihn gehört haben, unterlagen dem besonderen Zauber, den er, ohne selbst davon zu wissen, auf jeder- mann und besonders auf die jungen Leute ausübte. Wie viele dieser letzteren habe ich nicht gekannt, die ihm mit glühender Bewunderung anhingen und ihn als den Meister proklamierten. Ich persönlich muß bekennen, daß ich keinen Lehrer gekannt habe, dessen Ideen tiefer und auch angenehmer den Verstand seiner Schüler durchdrungen hätten, denn der Geist der Jugend empfindet ein wirkliches Vergnügen an Verallgemeinerungen, welche den Stempel einer großen Klarheit und Einfachheit an sich tragen.
In dem Zeitraum, von dem ich spreche, war man noch leidenschaft- lich für oder gegen Darwin, und die französisch sprechende Jugend verschlang die Übersetzungen der „Schöpfungsgeschichte" und der
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..Anthropogenie". Zahlreiche meiner Alt - .Dssen entzündeten an -en, mit vollendeter Klarheit geschriebenen Werken ihre Begeiste- rung für die Entwicklungslehre. Selbst diejenigen, welche sich ni für die Lehre erwärmen konnten, wurden doch durch die allgemeinen Resultate der Embryologie und Paläontologie veranlaßt, nach einer Erklärung der Tatsachen zu suchen, und es war für alle ein großer Dienst, den ihnen Haeckel erwies, als er ihnen zeigte, daß der Ge- lehrte nicht nur Kenntnisse, sondern auch Erkenntnisse erwerben müsse. Durch die B-_ für die Entwicklungslehre, die er den
schon bekannten hinzufügte, noch mehr aber durch das Feuer und die Aufrichtigkeit seiner Überzeugung, hat Haeckel in unsern Län- dern unzählige Proselyten gemac; :
Wenn ich nach dem urteüe, was ich in der 5 riz unter meinen Kollegen und Schülern habe beobachten können, so ist Haeckel un- bestreitbar derjenige Naturforscher des zeitgenössis : . rn Deutschlands, der auf die allgemeinen Ideen und auf die Art, die organische Welt zu erklären, den tiefsten und dauerndsten Einfluß ausgeübt hat. Wir schulden ihm alle viel Dank, und was mich betrifft, so bewahre ich ihm eine unendliche Dankbarkeit; er bleibt in meinen An§ einer der fruchtbarsten Ideenerwecker unserer Zeit und einer der würdigsten dazu.
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Trotzdem ich schon frühzeitig — etwa im Alter von 14 — 15 Jahren — die Glaubenslehren der evangelischen Kirche zu bezweifeln und freigeistige Lektüre aller Art zu treiben begonnen, bin ich in meinem Leben doch erst verhältnismäßig spät mit Ernst Haeckel und seinen Schriften bekannt geworden. Zwar habe ich als Student wiederholt „Die Natürliche Schöpfungsgeschichte" und die „Anthro- pogenie" in Händen gehabt, aber sie sind mir merkwürdigerweise in jener Zeit nicht das geworden, was mir in den vorhergehenden Jahren die Büchnerschen Werke „Kraft und Stoff" und „Die Stellung des Menschen in der Natur" für meine ersten Versuche zum Aufbau einer eigenen Weltanschauung gewesen sind. Es liegt das vielleicht daran, daß eben die eingehende Beschäftigung mit Büchner vor der Lektüre Haeckelscher Schriften mich mit den grundlegenden Gedan- ken der Entwicklungslehre und mit den Fundamenten einer natur- wissenschaftlich begründeten Weltanschauung schon so vertraut ge- macht hatte, daß mir die Haeckelschen Werke nicht mehr sensationell genug waren. Was sie behandelten, schien mir in echt jugendlicher Urteilsweise von meiner Büchnerlektüre her schon so bekannt und vertraut, daß ich mich zu jener Zeit nicht dazu entschließen konnte, sie eingehender zu studieren. Sicherlich wäre das anders gewesen, wenn ich statt eines Büchnerbandes damals zufällig „Die natürliche Schöpfungsgeschichte" oder die „Anthropogenie" als erstes größeres populär-wissenschaftliches Werk in die Hand bekommen hätte. Dazu kommt ferner wahrscheinlich die Tatsache, daß ich in meiner Studen- tenzeit, trotzdem ich als Naturwissenschaftler immatrikuliert war und als solcher auch regelmäßig in meinen ersten fünf Studiensemestern fachwissenschaftliche (besonders zoologische und anthropologische) Vorlesungen gehört und mancherlei dazu gehörige praktische Übungen mit Eifer getrieben habe, mehr psychologisch und philosophisch inte- ressiert war, was dann schließlich auch dazu führte, daß ich meine letzten Studiensemester ganz der Psychologie und Philosophie wid- mete. Dabei geriet ich dann stark unter den Einfluß von Wundt, und das war natürlich wieder ein Grund, mich von Haeckel zurück- zuhalten.
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Erst durch die „Welträtsel" bin ich dann zu einer eingehenden Beschäftigung mit Haeckels Ideen und zu einem gründlicherem Stu- dium seiner Schriften veranlaßt worden. Es war im Frühjahr des Jahres 1900 — ich war schon seit kurzer Zeit im Lehramt tätig — da machte mich ein befreundeter Arzt auf die kurz vorher erschienenen „Welträtsel" aufmerksam. Er lieh mir das ziemlich umfangreiche und für meine damaligen Verhältnisse nicht billige Werk — ■ die Volksausgabe existierte ja noch nicht — und in wenigen Abenden hatte ich das Buch durchgelesen.
Nur wenige Werke haben mich so innerlich gepackt und von An- fang bis zu Ende in einer so großartigen Spannung erhalten wie diese „gemeinverständlichen Studien über monistische Philosophie". Zwar mußte ich vom fachphilosophischen Standpunkte aus mancherlei Kri- tik an dem Werke üben : Da vermißte ich besonders einen erkenntnis- theoretischen Teil, da fand ich hier und da allerlei Widersprüche oder Unklarheiten, manchen Ausführungen konnte ich absolut nicht zu- stimmen usw. Aber das alles konnte doch den gewaltigen Eindruck nicht vermindern, den das Werk als Ganzes auf mich gemacht hatte.
Wenn die „Welträtsel" auch in der Methode und in einzelnen Aus- führungen nicht immer den Anforderungen strenger Fachphilosophie entsprechen, bleiben sie trotzdem ihrem ganzen Wesen nach ein ausge- sprochen philosophisches Werk ; denn nicht durch die fachmetho- dische Routine — am wenigsten die der herrschenden Katheder- philosophie — , sondern durch die Art der Problemstellung und Problembehandlung allein bekommt eine Schrift den philosophi- schen Stempel. Nach J. Petzoldt „besteht die Eigenart des philoso- phischen Denkens darin, daß es das einzelne Problem nicht in völliger Isoliertheit von allen anderen behandelt, sondern gerade im Hinblick auf diese, im Hinblick auf die Stelle, an der es sich in dem großen Zu- sammenhang alles Fragens und Wissens einreiht." Diese Eigenart bildet nun geradezu den Grundcharakter der „Welträtsel", und damit dokumentieren sie sich genügend als philosophische Schrift.
Aber auch der ausgesprochen philosophische Charakter der „Welt- rätsel" ist es wohl allein nicht gewesen, der auf mich und viele andere eine so gewaltige Wirkung ausübte. Wenigstens hatte ich schon man- ches andere philosophische Werk gelesen, das in oben angedeuteter Eigenart den Haeckelschen „Welträtseln" gleich steht und sie in fach-
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methodischer Beziehung sogar noch übertrifft, das aber trotzdem mich nicht so in allen Fasern ergriffen hat wie die „Welträtsel".
Man geht meiner Meinung nach deshalb auch fehl, wenn man die „Welträtsel" lediglich als ein hervorragendes philosophisches Werk betrachtet; sie sind unendlich mehr, nämlich ein Bekennerbuch von unerschütterlicher Überzeugungstreue und glühendster Wahr- heitsliebe. Man merkt es diesem Werke auf jeder Seite an, daß sein Verfasser alle die Probleme, zu denen er Stellung nimmt, innerlich erlebt und schwer um sie gerungen hat. Man fühlt von Anfang bis zu Ende, daß hier ein Großer aus dem Reiche der Forschung sich bemüht, das Beste von dem zu geben, was er nur zu geben vermag. In eigenartiger, zugleich unzweideutiger und gründlicher Weise ver- sucht hier ein Selbstdenker sich mit Gott, Welt und Menschheit aus- einander zu setzen. Seine Weltanschauung ist zugleich sein Glaubens- bekenntnis. Und in diesem Bekennercharakter ist wohl auch letzten Endes die Hauptursache für die ungeheure Wirkung zu suchen, die die Welträtsel auf Hunderttausende, auf Menschen aus den ver- schiedensten Ständen, Klassen und Nationen ausgeübt haben.
Was mich persönlich außerdem für die „Welträtsel" einnimmt, ist die klare und übersichtliche Darlegung des gesamten Naturwissens unserer Zeit, die geradezu als eine großzügige Darstellung des Triumph- zuges der modernen Naturwissenschaften bezeichnet werden kann. Angezogen hat mich femer auch der (von anderen verurteüte) rück- sichtslose Kampf gegen die Kirche und die ihr offen oder geheim ver- bundene metaphysische Kathederphüosophie. Hier wurde kein Ver- such gemacht, irgend einen faulen Kompromiß zwischen alter und neuer Weltanschauung zu schließen, hier wurde keine ängstliche Leise- treterei getrieben, sondern kräftig und ehrlich die eigene Meinung ge- äußert und auch dem Gegner offen ins Gesicht gesagt, was von ihm zu halten sei. Last not least gefiel mir an dem Werke die entschieden positivistische Grundtendenz, die nur die Erfahrung als Quelle unseres Wissens gelten läßt und allen Supranaturalismus, alle Metaphysik und Mystik energisch ablehnt und die die Naturwissenschaften als Grund- lage unseres Denkens, ja einer neuen Weltanschauung überhaupt er- klärt.
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so ergehen. Eine beinahe geheimnisvolle Kraft, neues Denken zu för- dern und neues Leben zu wecken, geht von diesem eigenartigen Buche aus und darin liegt auch sein geradezu unerhörter Erfolg. Was dieses Werk für die Kulturmenschheit vom Beginn des 20. Jahrhunderts zu bedeuten hat, das ist heute noch gar nicht zu übersehen, denn noch ist seine Wirkung nicht zu Ende. Der zukünftige Geschichtsschreiber unserer Zeit wird das aber dereinst mit goldenen Lettern in das Buch der Menschheitsgeschichte eintragen müssen.
Das eine steht außerdem für mich fest, daß die großzügige freigeistig- kulturelle Bewegung, wie sie bei uns in Deutschland besonders in den letzten Jahren eingesetzt hat, ohne die Welträtsel gar nicht möglich gewesen wäre. Erst diese haben die geistige Struktur in weiten Kreisen unseres Volkes schaffen helfen, die notwendig ist, um einer derartigen Bewegung die Resonanz in den verschiedenen Ständen und Klassen zu geben, deren sie vor allem und zunächst bedarf.
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CARL W. NEUMANN, LEIPZIG
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Genau ein Vierteljahrhundert ist heute verflossen, seit mir als acht- zehnjährigem Jüngling zum ersten Male der Name Ernst Haeckels und mit ihm zugleich ein Exemplar seiner Natürlichen Schöpfungs- geschichte vor Augen kam. Ich saß noch auf der Schulbank in jenen Tagen, aber ich weiß es, als wäre es gestern gewesen, daß dieses selt- same Buch wie noch nie eines vorher mich anzog, daß ich es wie ein Heiligtum hütete, nachts mit ins Bett nahm und tagsüber jede freie Minute benutzte, um mir seinen Inhalt zu eigen zu machen. Der Eifer, mit dem ich es las, und die Torheit, daß ich in den heiligen Räumen der Schule mein volles Herz nicht wahrte, hat mir zwar manche recht peinliche Stunde bereitet, allein die beglückende Freude, das Reich einer neuen Erkenntnis betreten und auf die beklemmende Zweifelsfrage des „Woher und Wohin" eine bündige Antwort erhalten zu haben, überwog alles Ungemach. Seit dieser Zeit bin ich Haeckel getreu geblieben, und meine Verehrung für ihn ist der Ausdruck des Dankes für alles, was er mir damals und seitdem gegeben hat.
Wie ich über Haeckel und seine Werke im einzelnen denke, das habe ich an anderer Stelle (in der Einleitung zu dem in Reclams Universalbibliothek erschienenen Bändchen „Natur und Mensch", sechs Abschnitte aus Werken Ernst Haeckels) ausführlicher dar- gelegt. Es ist mir aber Bedürfnis, dem noch hinzuzufügen, daß ich in Haeckel nicht nur einen der kenntnisreichsten und verdientesten Naturforscher, sondern auch einen der ehrlichsten und konsequen- testen Denker erblicke, eine der markantesten und gleichzeitig mutig- sten und charaktervollsten Persönlichkeiten der Gegenwart. Noch schwankt ja — viel mehr, als es sonst bei den Lebenden biblischen Alters der Fall ist — sein Büd von der Parteien Gunst und Haß ent- stellt in der Geschichte: man läßt ihm als Forscher den Ruhm, der ihm zukommt, aber man will ihn als Aufrüttler schlafender Seelen nicht gelten lassen und scheut sich davor, ihn bis auf die obersten Gipfel seiner monistischen Philosophie zu begleiten. Und wenn ich mir's recht überlege, so finde ich's nicht einmal sonderbar. Zum ersten ist es nicht jedermanns Sache, im Sturmschritt die obersten Gipfel zu nehmen, wie Haeckel es Zeit seines Lebens geliebt hat, und anderer- es] G^s^gsGJSiSiäigSSEilEilSSlJilS
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seits ist es wenigen möglich, sich so bis ins einzelne mit den Ideen und dem Lebenswerk dieses Stürmers und Drängers vertraut zu machen, wie es zur gerechten Beurteilung seiner Persönlichkeit notwendig ist. Ich bin aber sicher, daß kommende Generationen, die ruhiger wägen und urteilen können, den Gegenwartsstreit und Gegenwartshaß, der mit Haeckels Namen verknüpft ist, nur schwer noch verstehen, und daß sie trotz mancherlei Abstriche an seinem Lebenswerke ihm un- bestritten den Ruhm eines glänzenden Pioniers im Kulturleben der Menschheit zuerkennen werden.
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KARL BRAUCKMANN, JENA: ERNST HAECKEL, WESEN UND WIRKUNG SEINER ERSCHEINUNG
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Die Strahlen des Lichtes, das Ernst Haeckel in Jena entzündet, drangen um die Mitte der siebziger Jahre auch in das kleine west- fälische Haardorf, in dessen einklassiger, später zweiklassiger Dorf- schule ich damals dem „Lichte der Erkenntnis" entgegengeführt wer- den sollte. Es geschah das außer mit Lesen, Schreiben und Rechnen mit 6 wöchentlichen Religionsstunden, regelmäßigem Leichengesang auf dem Friedhofe und zweimaligem sonntäglichen Kirchgang, wozu sich später noch ein Jahr lang ein wöchentlich zweistündiger „Kat- echumenunterricht" und ein weiteres Jahr lang der wöchentlich zwei- stündige „Konfirmandenunterricht" gesellte. Der Unterricht in den „Realien", die nach den Falkschen Allgemeinen Bestimmungen auch zu lehren waren, bestand in etwas Geographie, einer sehr oberfläch- lichen Tier- und Pflanzenbeschreibung (ohne eigentliche Beobachtung) und preußischen Königsanekdoten. Man sieht, daß solche Veranstal- tungen in der Hauptsache dazu angetan waren, „unser Wissen und Verstand mit Finsternis zu umhüllen". Am meisten wurde geredet über die Sünde, über Erkenntnis und Bekenntnis derselben, über Reue und Buße und Vergebung, gelegentlich auch über die „Erleuchtung durch den heiligen Geist". Nach meinem damaligen Empfinden waren das alles sehr hohe, mir aber unfaßbare, insbesondere sehr unsym- pathische Dinge. Hölle und Teufel spielten in diesem Unterricht auch noch ihre große Rolle, doch befreite mich die Aufklärung meines Vaters bald von diesen Gespenstern. „Dem Frommen gehet das Licht auf in der Finsternis", war mein Konfirmationsspruch, und ich verließ die Schiüe, gesättigt vom Widerwillen gegen sie und die Kirche. Aber wie gesagt, damals fielen auch die ersten Strahlen des Darwinismus in mein Leben, und der Träger dieser Strahlen muß nach meiner Erinnerung der „Lahrer Hinkende Bote" gewesen sein, ein Jahreskalender, der in meinem kleinbäuerlichen Elternhause mit viel Freude gelesen wurde und der mir neben meinem selbständig und klar denkenden Vater viel An- regung und Aufklärung gab. Zur selben Zeit wurde ich außerschulisch mit Lessing, Schiller und Goethe bekannt und mit dem Nibelungenliede. Letzteres las ich mit Begeisterung und Rührung, und die Klassiker
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spornten zur Kraftanstrengung im Denken. Dan ben machte mir das freie Leben in Feld. Wiese und Wald die Natur vertraut und lieb. Nach dem Verfassen der Dorfschule aber waren Naturwissenschaften und Literatur die beiden Leuchten, welche allmählich den Dunstkreis völlig zerstreuten, mit dem die oben charakterisierte Jugendlehre mir die schöne strahlende Welt verhüllt hatte. Meine ..innere Entwicklung" blieb dann eine konsequente, stetige und ruhige, von irgendwelchen ..Erschütterungen" und ..inneren Kämpfen" blieb ich verschont. Ich kann diese Entwicklung rückblickend nur als einen natürlichen Erlö- sungs-und Befreiungsprozeß bezeichnen, und daß sie sich so vollzog, ver- danke ich meines Erachtens zum großen Teüe dem Umstände, daß die Ideen Haeckels und das Nibelungenlied so früh als wirksame Bestand- teile in mein Bewußtsei] gingen und in meinem Wesen den angebore- nen Natursinn und das überkommene Germanenerbe wachsen machten. Als Dreißigjähriger kam ich nach Jena und erfreute mich immer mehr an Haeckels großartiger Persönlichkeit, an seinen Vorträgen und Schriften. Zur Aufklärung und Belehrung, die ich ihm verdankte, gesellte sich nun das Staunen und die Bewunderung über den Reich- tum dieses Lebens, seine Schaffenskraft und seine Leistungen in wissen- schaftlicher und künstlerischer Hinsicht. Ich erfuhr an mir selbst den Segen, den das Yorbüd eines lebenden Führers und Helden für die För- derung und Festigung einer Eigenart bedeutet, die den oben skizzierten Entwicklungsgang genommen. Haeckels Altenburger Vortrag ,,Der Monismus als Band zwischen Religion und Wissenschaft" (1892) und die ..Welträtsel" lösten dementsprechend in mir eine große Befriedigung und Freude aus. Sah ich doch nun im Bewußtsein des Menschen die Wiedereinmündung des historischen, menschlich kulturellen Werdepro- zesses in die allgemeine, natürliche Entwicklung sich vollziehen, so daß fortan ..Natur und Geist" uns eine ebensolche Einheit bedeuten wie „Gott und Welt", ..Seele und Leib". Daß Natur die „Alleinheit", die sie von Ewigkeit her war und in Ewigkeit bleiben wird, nun auch im Be- wußtsein des Menschen sein und bleiben wird, und ihn so aus den un- seligsten Zwiespatten zum mneren Frieden, zur Emigkeit mit sich selbst führen und zur Selbstsicherheit, Selbstverantwortlichkeit, zum ., Eigen- sein", ..Eigensinn" in des Wortes edler Bedeutung, und, in der Sprache der Religion ausgedrückt, zur „Ruhe in Gott" befähigen wird. Nicht zu jener passiven Ruhe, die die Gottsucher sich ersehnten, sondern zu einer
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tätigen, schaffenden, neues Leben zeugenden und gebärenden Ruhe, die eine reinere, schönere, höhere Lebens- und Weltgestaltung sichert. Die „Welträtsel" und „Lebenswunder" erscheinen der objektiven Betrachtung als ein einheitliches, in sich geschlossenes Kunstwerk, und das nicht bloß, weil sie als zusammenfassende Krönung von Haeckels Lebensarbeit den Zusammenschluß seiner vielseitigen For- schungs- und Denkergebnisse zu einer einheitlichen Darstellung des Weltganzen in seinem Werden und Sein darstellen, sondern auch inso- fern, als sie den Zusammenschluß der verschiedenen Seiten seines Wesens, als sie Haeckels Selbst Objektivierung bedeuten. Und noch einen anderen Zusammenschluß stellen sie dar: Daß die Welträtsel für Hunderttausende und Millionen die befreiende Tat bedeuteten, die sie an das ersehnte Ziel der einheitlichen Denk- und Bewußtseins- gestaltung brachten, und daß diese Millionen gerade an der Linie ihrer Entwicklung angelangt waren, wo ihnen diese Tat die Erlösung, die Erfüllung bedeutete, ist in weittragendem Maße Haeckels eigener un- ermüdlicher Forscher- und Aufklärungsarbeit zu verdanken. Wurde so, was objektive Zusammenfassung, subjektiver Abschluß war, zum sub- jektiven Erlebnis von Millionen, so erlebte nun Ernst Haeckel, der wäh- rend der Jahrzehnte seiner Forscherarbeit sein Erforschtes, Erdachtes und Empfundenes vorbehaltlos auch seinem Volke gegeben hatte, in dem großartigen Widerhall, den die Welträtsel fanden, seinerseits noch einmal subjektiv die Zusammenfassung, die Krönung seines Wirkens und „Lebens im Ganzen". Die Wirkungen, die seit Jahrzehnten von ihm ausgegangen, kehrten zurück, ihm die beglückende Gewißheit zu bringen, daß er ein Heros, ein Lichtbringer, ein Befreier und Erlöser dem Volke, der Menschheit geworden war. Die Zeit war wieder einmal er- füllt, das Volk reif für die monistische Welt- und Lebensauffassung, und Ernst Haeckel war Werkzeug, war Mittler dieser Entwicklung gewesen. Der Monistenbund mußte nun kommen, und Haeckel gründete ihn.
Und nun noch ein Wort zu dem Zauber, den Ernst Haeckels Persönlichkeit ausübt. Die hohe, kräftige, elastische Gestalt, der mächtige Kopf, die milden, klarblickenden, blauen Augen, das Offene, Fröhliche, Freudige, Freundliche und Liebevolle seines Gesichtsaus- druckes, die sprudelnde Frische und Lebhaftigkeit seines Vortrages und seiner Unterhaltung stehen in einem wunderbaren Einklang mit der Vielseitigkeit seiner Interessen und seiner Betätigung. Das Taten- ggggggggE]gggggggggggggggG]ggE]E]EiE]E]E]E]E]5]E]E]E]G]E]E]5]E]E]E]E]E]E]EiE]B]
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frohe, Freudige und Sieghafte seines Wesens erinnert unwillkürlich an das Offene, Selbstverständliche im Wesen eines gesunden, kraftvollen Kindes, das, ganz und gar in Einklang mit sich und der Welt stehend, alles als selbstverständlich hinnimmt, weil es da ist, das unbewußt die volle Lust des Werdens genießt. Ein „Werdender" erscheint uns Haek- kel noch mit seinen 80 Jahren, und als solcher ein „immer Dankbarer". So, denken wir uns, schaute der Grieche seine Welt an, so lebte er in ihr, schaffend, genießend, kämpfend und siegend, so der Germane. So, wenn ich Ernst Haeckels Wesen kurz zeichnen will, steigt mir immer wieder der altgermanische Held ins Bewußtsein. Wie Richard Wagner uns den Siegfried bildete, der unbekümmert und unbeirrt seinen Weg geht, seiner Empfindung, seiner Erkenntnis, seiner Überzeugung folgt, dem alles selbstverständlich, „aus sich selbst verständlich, natürlich" ist (auch seine eigene Art) und der, unbekümmert um die mögliche Wirkung, dieser Art gemäß redet und handelt und dann den Folgen dieses seines Redens und Handelns wieder mit derselben Selbst- verständlichkeit entgegentritt. So ergibt sich der volle Einklang mit dem eigenen Selbst und mit dem Dasein, mit der Welt, wie sie ist, so das Alleinsein im Alleinssein. So das Leben leben, heißt das eigene Selbst bewahren, ihm seine Entwicklung sichern, es als das Selbstver- ständliche hinnehmen, es anerkennen und überzeugt sein, daß, was man auch zu geben habe, man besseres als die eigene Wesensart, das eigene Selbst, nicht geben kann. „Der Gerechte wird sei nes Glaubens leben!"
So bewahrt der reife Mann sich die Kindlichkeit und Wesensein- heit, sich und die Welt anerkennend als das Selbstverständliche. Was im Griechentum uns entzückt, was das Evangelium als das Höchste preist, das „Werden wie die Kinder", das „Himmelreich im Herzen tragen", was uns im Siegfried als urgermanisches Ideal entgegentritt in Empfindung, Denken und Betätigung, das finden wir in Ernst Haeckel verkörpert! Das ließ ihn seine großen Werke schaffen, seine ungeheuren Arbeitsleistungen vollbringen, sein Leben so reich gestalten in Schaffensfreude, Genuß, in Kampf und Sieg. Das ließ ihn zusam- menfassen alle Ergebnisse seines reichen Schaffens, seines Beobach- ter und Denkens, seines künstlerischen Anschauens im „Monismus".
Die All- Einheit alles Seienden lehrte er uns erkennen — als Er- gebnis seiner objektiven Arbeit — , die Alleinheit des individuellen Seins lebte er uns vor!
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HANS GADOW, CAMBRIDGE, ENGLAND
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Anfangs der siebziger Jahre lasen einige von uns Primanern des Gymnasiums zu Frankfurt a. O. Büchners „Vorlesungen" und „Kraft und Stoff". Als diese gefährliche Beschäftigung herauskam, wurden der Klasse als Gegenmittel Ciceros tuskulanische Disputa- tionen und Natur der Götter verordnet. Dieses Zeug entsprach nicht den gehegten Erwartungen. Dann fiel mir das Kollegienheft eines Künstlerfreundes in die Hände, welches er, mit vielen bunten Bildern verziert, in Haeckels Vorlesungen unverständlich nachgeschrieben hatte. Ich hoffte auf kommende Aufklärung in Berlin, aber da war nichts zu holen in den biologischen Kursen, außer streng systemati- scher Beschreibung, die auch ihr Gutes hat, und Du Bois Reymonds mit hinreißender Beredsamkeit gehaltenen Vorlesungen über Dar- winismus. Dort erwarb ich die Freundschaft Richard Böhms, des späteren Entdeckers der Meduse im Tanganyika. Auf unseren Streif- zügen in den märkischen Forsten meines Vaters wurde mein lieber Jagd- und Strolchgenosse nicht müde, den „stieren Nabel des Rei- ches" mit dem frisch, frei, frohen Jena zu vergleichen. „Du geh' nach Jena, zu Haeckel."
In Jena fühlte ich mich in eine andere Welt versetzt. Biologie im weitesten Sinne wurde dort getrieben (einige von uns erfanden den Titel stud. biol.) ; es war beruhigend und erleichternd für den Anfänger, daß die Leiter der Zoologie, Botanik und menschlichen Anatomie und Physiologie, Haeckel, Straßburger, Schwalbe und Preyer in Auffassung und im Anfassen der Grundsätze miteinander harmonierten. Die zahlreiche Zuhörerschaft aus aller Herren Länder, und nicht nur aus Fachleuten bestehend, brachte es mit sich, daß unter uns die verschiedensten Beurteilungen des Meisters, seiner Lehren und Art ihrer Behandlung oft in bewegtester Weise besprochen wurden. Es ergaben sich da manche sehr treffende Kritiken: „Was er als sicher annimmt, ist gerade das, was noch die meiste Arbeit kosten wird, eine Hauptsache, an die vor ihm niemand gedacht hat." „Der Haeckel ist kein Gegenbaur und der Gegenbaur ist kein Haeckel", wie ein sehr philosophisch geschulter Russe einmal erklärte, mit komischer Verwechslung des G und H. Es mag frivol erscheinen, so
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etwas niederzuschreiben, und doch enthalten obige Aussprüche den Kern richtiger Beurteilung. Haeckel war damals in seiner Vollkraft. Ich habe ihn nur von seiner liebenswürdigen Seite kennen gelernt, stets bereit zu erklären, zu helfen, zu ermuntern, zu trösten, wo unüberwindliche Schwierigkeiten das Verständnis seiner Hypothesen bedrohten.
Es war ein erhebender Genuß, und von nachhaltiger Wirkung, wenn der stattliche Mann, leuchtenden Blickes und scheinbar seiner Zuhörer vergessend, eines seiner großen Probleme besprach. Es schien alles so klar, schön, beinahe einfach; da war Zusammenhang; es konnte ja gar nicht anders sein. Waren das nur Visionen? Bilder, Blicke eines genialen, mutigen Mannes auf hohem Standpunkte, die sich da entrollten, ermutigend selbst zu versuchen, in das Gewirr eines tropischen Urwaldes einzudringen, mit der Hoffnung, an freier Stelle einen Überblick seiner berauschenden, großartigen Schönheit zu ge- winnen. So manche dieser Visionen haben sich als sehr fruchtbar erwiesen, und die neuen Gefilde wären sonst nie entdeckt worden. In solchen Fällen durfte man ihm nicht mit Kleinigkeiten kommen, und doch konnte er streng genug sein, wenn er Pfuscherarbeit ent- deckte. Wer den Wald vor Bäumen nicht sieht, kann den Wald nicht beschreiben.
Wir alle machten in Stammbäumen. Ganze Wälder sind seitdem entstanden und viele, vielleicht die meisten dieser sonderbaren Phan- tasiegewächse sind sicher falsch, zur Freude nörgelnder Neider. Aber wer dachte denn vor ihm an graphisch darstellbare Entwicklungs- reihen? Schließlich ist es doch dahin gekommen, daß die Vision des Weltenbaumes anfängt sich zu verwirklichen. Dank der rastlosen Arbeit von Freund und Feind, so daß unter fortwährendem Nieder- hauen, Beschneiden und Pfropfen auch hier das Selektionsprinzip zur Geltung kommt. Stammbäume sind allerdings nicht das Endziel unserer Wissenschaft. Bestenfalls enthalten sie zwar alle morphologi- schen Resultate in zeitlicher Reihenfolge, den Tatbestand, daß etwas gerade so geworden ist wie es ist, vielleicht auch das Wie durch An- passung und Vererbung, aber noch lange nicht das Warum?
Ich verdanke es Haeckel, daß er mir riet, bei Gegenbaur weiter- zuarbeiten. „Dort werden Sie in strenger Schule lernen, wie schwer es ist, Tatsachen zu entdecken und zu verknüpfen." Die anscheinend
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so exakte, streng wissenschaftliche Methode der neueren vergleichen- den Anatomie, durch Gegenbaur begründet und ausgebaut, indem er sie vom Standpunkte der Transformation behandelte — ließ das Bild Haeckels im Laufe der Jahre verblassen. Seine Streitschriften er- schienen der Methode Gegenbaurs nicht ebenbürtig, nicht wissen- schaftlich genug. Nun, da man selbst das Fazit langer Jahre des Lernens und Lehrens ziehen möchte, ergibt sich ein bedenkliches Resultat: Welche der seit einem Menschenalter emsig bearbeiteten Hypothesen, Theorien Gegenbaurs sind endgültig erledigt ? Etwa der Ursprung der paarigen Gliedmaßen, oder auch nur der Fünffinger- hand ? Metamerism mit dem Streite über Ex- und Interkalation usw. ? Und trotzdem operieren wir mit den Prinzipien, die doch gerade erst durch diese und ähnliche Probleme ihre Berechtigung erhalten. Und wie steht es mit den Phylogenien; gerade über die kritischen Haupt- punkte, die Verknüpfung der Klassen miteinander, sind wir noch absolut im Dunkeln. Trotzdem sind wir weiter, oder glauben wenig- stens, weiter zu sein als vor fünfzig Jahren, und zwar weil wir die Phantasie — nenne man es idealistische Methode — nicht nur nicht entbehren können, sondern bewußt und unbewußt, oft wider Willen, angewandt haben. Das aber ist zum großen Teil ,,Haeckelismus".
Es ist sein eigentümliches Schicksal, daß dieser Genius vor nahezu 50 Jahren in der „Generellen Morphologie der Organismen" so ziemlich das Gesamtbild entworfen hat, so daß es sich später nur noch darum handeln konnte, die Einzelheiten der grandiosen Komposition auszu- führen und zu verbessern. Weshalb dieses allerdings längst vergriffene bedeutendste biologische Werk aller Zeiten den jetzigen Fachmännern kaum bekannt ist, bleibt unverständlich, zumal da doch so mancher Biologe erfahren haben muß, daß seine neusten, Epoche machenden Entdeckungen längst in der Generellen Morphologie dargelegt waren.
Haeckel hat aber in seinem langen, an Arbeit und Kämpfen reichen Leben noch viel mehr gewirkt, weit hinaus über die Biologie im engeren Sinne: kulturhistorisch. Obwohl kein eigentlicher „Tierfreund", ist er nie müde geworden, in künstlerischer Auffassung auf die ästhetische Freude an der Natur hinzuweisen. Daß die „Kunstformen der Natur" so wenig praktischen Erfolg haben, ist ein trauriges Zeichen ver- lodderter Bildung und Richtung, welche die Lügenkunst gezeitigt haben, wie solche an höchster Stelle gebrandmarkt worden ist.
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Zweitens hatHaeckel versucht, das Fazit zu schreiben; das ganze, große Endresultat der gesamten Naturwissenschaften und deren Kern ist und bleibt für die Menschheit das große dreifache Rätsel: Was sind wir, woher kommen und wohin gehen wir? Viele haben sich daran versucht, seit Jahrtausenden, aber wenige Naturforscher und noch weniger Fachzoologen, die doch schließlich allein dazu imstande sind. Die „Welträtsel" und noch mehr die „Lebenswunder" haben auch außerhalb Deutschlands einen viel viel größeren und nachhal- tigen Eindruck gemacht, als von mancher Seite zugestanden ist. Der nicht zu leugnende teilweise Mißerfolg läuft am Ende auf eine im Grunde bedauernde Ablehnung der polemischen Schreibweise hinaus.
Was anderen heilig erscheint, kann man nicht mit beißendem Spott widerlegen. Das ist das sicherste Mittel, diejenigen, welche so glück- lich oder unglücklich sind, gedankenfeste Schotten zwischen Ver- nunft und Neigung zu besitzen, zu verhindern, hinüberzusehen, ge- schweige die Scheidewand zu öffnen oder gar über Bord zu werfen. Auch der Willigste braucht Zeit, ihm in der Kindheit Liebgewordenes aufzugeben, und für was? Phrasen, die bei kühlem Nachdenken sich als kindlicher Unsinn erweisen, aufzugeben für andere Phrasen, die zwar reiner Vernunft entspringen, aber im Grunde unverständliche Begriffe sind. „Gott und die Welt" einzeln genommen sind ebenso unverständlich wie die „Gott-Natur", die Dreieinigkeit von Stoff, Kraft und Gefühl oder Bewußtsein. Alles Philosophieren führt schließ- lich zu etwas, bei dem man sich nichts weiter denken kann. Der Monist löst den dualistischen Doppelknoten, indem er an dessen Stelle einen dreifachen schürzt, eine Dreieinigkeit, im Vergleich mit welcher die kirchliche harmlos erscheint.
Bei seinem letzten Besuch in unserem Landhause sprach mein verehrter alter Lehrer und Freund mit uns in liebenswürdigster und toleranter Weise über die „religiöse Borniertheit der Engländer, dieses sonst so hochkultivierten, freien, willensstarken Volkes". Den Geist dieses Volkes — es gibt hier wie drüben unversöhnliche Ex- treme — zu verstehen, ist für mich seit mehr als 30 Jahren ein an- ziehendes Problem. Man anerkennt die angelsächsische ausgespro- chene Individualität, Selbständigkeit und zugleich Selbstunterwerfung für das Gemeinwohl. Das ist Willensstärke der „praktischen Eng- länder", wie sie bis vor kurzem oft genannt worden. Sie haben auch 3513§333933§!i33SilEl!3g!3gäi3§gs]g^§gG]G]gH]^G]33E|G]gEiE]EigG]E]E]E]G]
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ihre Ideale, aber sie wissen auch ihnen mit praktischer Vernunft Grenzen zu setzen, Grenzen, die sich verschieben lassen, aber doch Grenzen bleiben. Der reine Idealist ist der größte Fanatiker und Be- kehrer. Bisher hat die Weltgeschichte noch nicht gezeigt, daß radi- kaler Rationalismus, rücksichtsloser Fortschritt in Glaubenssachen den Massen inneren und äußeren Frieden gebracht hat. We can easily make the World worse, but it is slow wqrk to make it better.
Haeckel, der weitschauendste aller Gesamtzoologen, zitiert Goethe so oft als ultima ratio. Weshalb nicht auch: „Wo die Begriffe fehlen, da stellt zur rechten Zeit ein Wort sich ein" ? Ewigkeit der Substanz, Äther, Bau der Atome, Schwere, Leben, Bewußtsein. Wer ist denn nun der Bornierte? Der, dessen Geist sich „entwickelt" hat, oder der sich seiner als momentanes, lebendes Stäubchen der Welt be- wußt, willensstark genug ist, in von ihm selbst gezogenen Grenzen zu wirken? „Da wo ihr's packt, da ist es interessant," mehr als ge- nügend „derer Leute ihre verfluchte Curieusität" zu beschäftigen.
Metaphysische Gedanken, Träumereien, denen sich wohl niemand verschließen kann, bleiben innerstes Eigentum.
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RICHARD HERTWIG, MÜNCHEN: WIE ICH ERNST HAECKELS SCHÜLER WURDE
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Es sind jetzt 45 Jahre her, daß der herannahende Abschluß unserer Gymnasialzeit meinen Bruder Oscar und mich vor die Not- wendigkeit stellte, uns für eine Universität zu entscheiden. Vorüber- gehende Kränklichkeit meines Bruders, Beschleunigung meines Ele- mentarunterrichts durch einen Privatlehrer waren Ursache gewesen, daß wir beide trotz eines Alterunterschiedes von 1V2 Jahren gleich- zeitig in das Gymnasium in Mühlhausen i. Th. eintraten und damit die Periode gemeinsamer Arbeit begannen,, welche mit geringen Unter- brechungen uns bis zu meiner Berufung nach Königsberg vereinte. Unser Vater hatte frühzeitig bei uns Interesse für Naturwissenschaften wachgerufen. Er hatte selbst bei Liebig in Gießen mit Begeisterung Chemie studiert und hätte gern sich der akademischen Laufbahn gewidmet; Familienverhältnisse hatten ihn gezwungen, diesem Lieb- lingswunsch zu entsagen und sich dem Kaufmannsstand zu widmen, ein Verzicht, der auf sein ganzes Leben einen tiefen Schatten warf. So reifte in ihm die Idee, daß wir beide Chemie studieren möchten, um vielleicht ein Ziel zu erreichen, welches ihm selbst versagt ge- blieben war. Für Zoologie hatten wir keinerlei Interesse. Wir hatten zwar vorübergehend unter Leitung eines Volksschullehrers Käfer und Schmetterlinge gesammelt, aber diese Anregungen hatten keine dau- ernde Nachwirkung gehabt, weil der Unterricht in Zoologie, welcher sich auf die unteren Klassen des Gymnasiums beschränkte und in einem Auswendiglernen der Linneschen Systematik bestand, so geist- los betrieben wurde, daß die Idee, selbst einmal Zoologe zu werden, mir damals unbegreiflich erschienen wäre.
Wenn bei dieser Sachlage unser Entscheid schließlich auf Jena fiel, so war hierfür der Einfluß unseres Gymnasialdirektors Prof. Wilhelm Osterwald ausschlaggebend, mit welchem uns ein inniges Freundschaftsverhältnis verband. Derselbe war eine außergewöhn- liche Persönlichkeit. Ein Freund des Komponisten Franz, welcher manche seiner Gedichte komponiert hat, selbst dichterisch und musi- kalisch veranlagt, ein Feind aller Pedanterie, besaß er einen außer- gewöhnlichen Einfluß auf seine Schüler, besonders auf uns beide. Sgg]E]gggG]ggE]5]ggggggBiggggggE]ggE]gE@gggE]gggE]E]EiE]EiB]E]E]BiBiBiE]B]
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Er riet uns, nach Jena zu gehen, weil dort Haeckel lehrte, welcher in Merseburg sein Schüler gewesen war und, als Haeckels Eltern Merseburg verließen, in Osterwaids Haus den Rest seiner Gymnasial- zeit verbracht hatte. Haeckel und wir beide seien, so äußerte er sich, seine drei liebsten Schüler; es sei ihm daher ein Herzensbedürfnis, daß wir drei im Leben einander näher treten möchten. Haeckels Name war damals in wissenschaftlichen Kreisen rühmlichst bekannt, aber in weitere Volkskreise noch nicht vorgedrungen, besonders nicht in eine außerhalb aller modernen Verkehrsmittel gelegene kleine Stadt, wie damals Mühlhausen war. So war Haeckel uns völlig unbekannt. Dagegen erfreute sich Jena wegen roher Studentensitten und des damals noch herrschenden übermäßigen Biergenusses des denkbar schlechtesten Rufes, so daß es Osterwald nicht leicht fiel, unseren und unserer Eltern Widerstand gegen seinen Vorschlag zu überwinden. Schließlich gelang es ihm aber doch, und so siedelten wir, bewaffnet mit einem Em- pfehlungsschreiben an Haeckel, im April 1868 nach Jena über.
Unvergeßlich ist mir die bezaubernde Liebenswürdigkeit, mit wel- cher Haeckel damals gleich von Anfang uns beide weltfremden, im engsten Familienkreise aufgewachsenen jungen Studenten — ich zählte 17 V2 — Jahre aufnahm. Wenige Tage nach unserer Ankunft forderte er uns zu einem gemeinsamen Nachmittagsspaziergang nach den Kern- bergen auf. Dem ersten folgten bald weitere Spaziergänge, auf denen er uns mit den ihm so ans Herz gewachsenen Schönheiten der Um- gegend Jenas bekannt machte. Oder wir wurden eingeladen, des Abends mit ihm im Garten seiner Schwiegermutter , der Witwe des verstorbenen Anatomen Huschke, Boccia zu spielen. Auch mit seinem Freund Carl Gegenbaur suchte er uns in nähere Beziehung zu bringen, ein Versuch, welcher vonseiten des durch den Tod seiner Frau verbitterten und dadurch noch unzugänglicher gewordenen harten Mannes damals eine eisige Zurückweisung erfuhr.
Haeckel stand, als ich ihn kennen lernte, auf dem Zenith seiner Leistungsfähigkeit. Fünf Jahre vorher war seine Monographie der Radiolarien erschienen und hatte ihm reiche wissenschaftliche An- erkennung eingetragen. Im Jahre 1866 war die generelle Morphologie gefolgt, in welcher er die hohe Auffassung, welche er von den Auf- gaben der wissenschaftlichen Zoologie besaß, und zugleich seine Be- geisterung für die Abstammungslehre zum Ausdruck gebracht hatte.
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Selbst voller Enthusiasmus verstand es Haeckel wie kein anderer, seine Schüler für das, was ihn bewegte, zu begeistern. So ist es denn gekommen, daß die Idee, Chemie zu treiben, bald vollkommen in den Hintergrund gedrängt wurde und wir beide ganz für die Morphologie gewonnen wurden. Haeckels Rat und Beispiel folgend, widmeten wir uns dem Studium der Medizin, mit der Absicht, nach bestandenem Staatsexamen zur Anatomie oder Zoologie zurückzukehren.
Die herzlichen Beziehungen zu Haeckel wurden dadurch noch enger geknüpft, daß ich zweimal — beidesmal gemeinsam mit meinem Bruder Oscar — Gelegenheit hatte, ihn auf zoologischen Reisen zu begleiten. In den Osterferien 1871 vereinigte uns ein Aufenthalt im Kloster zu Lesina, einem alten Standquartier von Botanikern und Zoologen auf einer der schönsten dalmatiner Inseln, wo der einzige das Kloster noch bewohnende Mönch, der Pater Buonagrazia, ein für die Musik und die modernen Naturwissenschaften schwärmender und in ihnen wohl orientierter Mann, uns gastliche Aufnahme gewährte. Es waren arbeitsreiche Tage, an denen vom frühen Morgen bis späten
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Abend gefischt, präpariert und mikroskopiert wurde. Unterkunft und Verpflegung waren die bescheidensten, welche ich, obwohl an Einfachheit gewöhnt, je erlebt habe. Und doch stehe ich jetzt nach 42 Jahren noch ganz unter dem Zauber der Erinnerung, wenn ich an die damalige Zeit zurückdenke, an das mit unserem liebenswürdigen Wirt gemeinsam im alten schönen Refektorium eingenommene Mahl, bei welchem eine Suppe aus Wasser und Fleischextrakt die beste Würze war, an die Ausfahrten auf das blaue Meer mit seinem wunder- vollen Ausblick nach dem gebirgigen Lissa, den von Asphodelus über- wucherten Inselchen der Spalmadori und die am Berg angelehnte Stadt mit ihrem malerischen Kloster, an die Klippenfischerei , bei welcher es nicht selten zu einem lustigen Krieg der drei Zoologen kam, an die an die Arbeitstage zeitweilig sich anschließenden Spaziergänge und den den Abschluß der Reise bildenden Ausflug nach Zara, Sebenico, Spalato, Ragusa, Cattaround Cettinje. Inmitten dieser Fülle der schönsten Ein- drücke stehte die Lichtgestalt Haeckels voll jugendlicher Initiative, unverdrossen bei allen Schwierigkeiten und Hindernissen , immer der erste, wenn es galt anzupacken, Pläne zu entwerfen und auszuführen. Die gleiche ungetrübte Erinnerung knüpft sich an die fünf Wochen, welche wir gemeinsam auf Korsika zumeist in Ajaccio verlebten.
Ich bin so glücklich gewesen, einen großen Teil meiner Studien- zeit und 7 Jahre meiner Dozententätigkeit in Jena zuzubringen, und habe in dieser Zeit mit Haeckel in nahezu ununterbrochenem geistigem Austausch gestanden. Auch später hat uns Freundschaft und Ge- meinsamkeit der Interessen, sei es in Jena, sei es hier in München, immer wieder zusammengeführt. Ich glaubte aber hier die Zeiten besonders hervorheben zu müssen, in denen ich als Schüler von ihm als dem Lehrer eine ganz außergewöhnliche Förderung erfahren habe, eine Förderung, die mich ihm mit unauslöschlicher Dankbarkeit ver- bindet. Ich bin in meinen jungen Jahren zu den hervorragendsten deutschen Biologen der damaligen Zeit, unter denen ich hier vor allem Gegenbaur, Max Schultze, Pflüger nenne, in nahe Beziehung getreten; keiner von ihnen hat auf meine Entwicklung einen gleich nachhaltigen und bestimmenden Einfluß gewonnen.
Versuche ich nun, Rechenschaft zu geben, wie dies zugegangen ist, so sind es folgende Eigenschaften gewesen, welche ich am meisten an Haeckel bewundere.
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In erster Linie steht die hohe Auffassung, welche er von der von ihm vertretenen Wissenschaft besaß. Für ihn war die Morphologie nicht nur Gegenstand der Forschung und der Erziehung unserer akademischen Jugend, sondern ein wichtiger Faktor in der kultu- rellen Entwicklung weitester Volkskreise. Für ihn traten daher die vielen kleinen und kleinlichen Detailfragen, wie sie besonders die in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts herrschende systematische Richtung in der Zoologie beschäftigten, im Vergleich zu den großen, durch den Darwinismus aufgeworfenen Grundfragen völlig in den Hintergrund. Man muß die Zeiten, in denen Haeckel seine historische Stellung errrang, mit durcherlebt haben, um zu verstehen, welche Förderung die Zoologie seinen auf große Ziele gerichteten Werken verdankt.
Mit der hohen Auffasusng von den Aufgaben der Zoologie hing Haeckels ungewöhnliche, seine Schüler mit sich reißende Begeiste- rungsfähigkeit zusammen. Dieselbe hat sich bei ihm, wie es so oft bei Kraftnaturen der Fall ist, im Lauf der vielen Kämpfe nicht selten zu einer gewalttätigen Leidenschaftlichkeit gesteigert, welche ihm selbst nicht wenige schwere Situationen geschaffen und manchen Freund entfremdet hat. Sie gab ihm aber auch die feste Lebensfüh- rung, welche jedem, der Großes leisten will, nötig ist, und hat ihn vor kleinlichen Rücksichtsnahmen bewahrt. Ich habe Haeckel in der Zeit seines größten Ansehens besonders nahe gestanden, als ihm verlockende Berufungen nach Wien und Bonn zuteil wurden; die- selben haben nicht vermocht, ihn seinem ungleich bescheideneren, seinem Wesen aber harmonischen Wirkungskreis in Jena zu ent- fremden. Die Rücksicht auf persönliche Vorteile, welche außerhalb seiner wissenschaftlichen Tätigkeit lagen, hatte auf ihn keinen Ein- fluß.
An dritter Stelle nenne ich die künstlerische Durchdringung seiner Persönlichkeit, welche einen so hervorragenden Charakterzug seines Wesens bildet, daß wohl wenige an dieser Eigentümlichkeit achtlos vorübergegangen sind. Ich denke hierbei weniger daran, daß er auf seinen Reisen ein begeisterter Landschaftsmaler gewesen ist, als an die Art , wie er sich während seiner ganzen Lebensführung der Natur gegenüber verhält. Dieselbe ist ihm nicht nur ein Gegenstand der Forschung, sondern zugleich auch eine Quelle des ästhetischen Ge- "SSiaaaaaa33ai]aaa@]SSS!2iaS!3as]ggggggggggggB]B]E]E]E]E]gE]EiE]B]BiG3G]E]
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nusses. So ist es ihm bei der wissenschaftlichen Bearbeitung konser- vierten Materials immer ein Bedürfnis gewesen, von den durch Konservierung verursachten Schädigungen zu abstrahieren und das Tier so darzustellen, wie es als lebendes Wesen in der Natur aus- gesehen haben mochte. Der Wunsch, die Gestalten der Tiere und Pflanzen der Benutzung durch Künstler zugängig zu machen, veran- laßte ihn zu seinen „Kunstformen der Natur". Vor allem aber kam seine Künstlernatur in der Fortbildung seines eigenen Wesens zum Ausdruck. Was ihn wissenschaftlich beschäftigte, trat in Beziehung zu seiner gesamten Persönlichkeit, hatte Einfluß auf sein Denken und Fühlen und führte ihn zu einer einheitlichen Weltauffassung, für welche er ebenso kraftvoll in der Öffentlichkeit eintrat wie seinerzeit für die Darwinschen Lehren.
Die Art, in welcher Männer des Fortschritts in die Kulturent Wick- lung der Menschen eingreifen, kann sehr verschieden sein. Vor allein scheiden sich zwei Wege, der Weg der langsamen, stetigen organischen Fortbildung und der Weg der durch Enthusiasmus die Menschen mit sich reißenden raschen Umgestaltung. Wer den ersten Weg be- geht, sucht seine Mitmenschen nicht zu neuen, ihrem Wesen zunächst fremdartigen Anschauungen zu bekehren, sondern allmählich das Niveau ihres Wissens und Urteils zu heben und so den Boden zu schaffen, auf welchem das Neue wie eine Pflanze aus dem Samen- korn emporwächst. Der zweite Weg ist der Weg der Reformatoren. Beide Wege haben zu großen Zielen geführt. Es ist Temperaments- sache, für welchen Weg sich der einzelne entscheidet. Für eine Per- sönlichkeit wie die Haeckels ist nur der zweite Weg möglich. Ihm blieben die Spannkraft und die Leidenschaft der Jugend bis in sein hohes Alter treu und werden ihn bis an sein Lebensende begleiten.
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G. SPRENGER, MAINZ
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Auf Ihre mich sehr ehrende Aufforderung, einen Beitrag zu der von Ihnen herauszugebenden Festschrift zu liefern, konnte ich leider, wie Sie schon gemerkt haben, nicht eingehen, und ich bitte Sie, diese verzögerte Bekanntgabe meines Entschlusses gütigst entschuldigen zu wollen. Abgesehen von der winterlichen beruflichen Überlastung, die mich fast vollständig absorbiert, war ich auch noch durch einen äußerst scharf geführten Gemeinderatswahlkampf abgelenkt, bei der sowohl Dr. Thilo als auch ich zum stummen Entsetzen der Klerikalen gewählt wurden. Dies alles ließ in mir jene Konzentration nicht zustande kommen, die ich für notwendig halte, um Ihnen einen dem Rahmen der Festschrift würdigen Beitrag zu liefern. Außerdem muß ich Ihnen jedoch noch be- merken, daß die zur Anregung beigefügten Fragen für mich persönlich doch nicht so leicht als geschlossenes Thema in einem kurzen Aufsatz zu verwenden sind. Ich erlebte, radikal erzogen, Haeckel als vorhandene Tatsache, als Selbstverständlichkeit, er reihte sich notwendig und konse- quent in meine sich bildende Weltanschauung hinein, oder besser gesagt, ich kam von links und nahm ihn als neuen Bestätiger unserer Welt- anschauung, als willkommene geistige Stütze, als treulichen Mitkämpfer gegen die geistige Reaktion, ihn anerkennend als den auch als Mensch so idealen Führer der freigeistigen wissenschaftlichen Forschung.
Was mich persönlich so ganz zu ihm hinzog, ist das reine Menschen- tum, das aus seinem edlen Kopfe leuchtet und das mir das geläuterte Produkt seiner ganzen Denkart schien. Das reine ideale Streben im Dienste einer hohen , höchsten Zielen zustrebenden Geistesarbeit schuf solch einen herrlichen Menschen. Hier fühle ich mich ganz eins mit Haeckel, und aus dieser Zuversicht, aus diesem Urquell schöpfe auch ich die Kraft, täglich, stündlich auf allen Posten zu sein, wo es gilt, im Dienste seiner inneren Überzeugung, im Dienste der einmal er- kannten Wahrheit sich einzusetzen voll und ganz, mit dem ganzen Menschen, mit dem Leben!
So ist Haeckel für mich eine ethische Energiequelle geworden, die mich jederzeit, wenn notwendig, aktiviert. Dies ist er wohl nicht nur für mich, sondern für die ganze Menschheit geworden, und darin liegt seine Unsterblichkeit!
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AUGUST KAHL, HAMBURG
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An der Hand eines vernünftigen Vaters durfte ich schon frühe hinein- wandern in das Paradies der neuen Weltauffassung, und wenn auch jede weitere Auslegung der auftauchenden Fragen notwendig fehlen mußte, so war doch eines in mir schon in früher Kindheit vor- bereitet und sehr bald zur Gewißheit geworden: Der Gedanke von der Weltentwicklung. Die Anschauungen meines Vaters könnten als typischer Beleg dafür dienen, wie weit ins Volk hinein die Ideen Dar- wins und Haeckels bereits in den siebziger und achtziger Jahren ge- wirkt hatten.
Lediglich nur des Durchsickerns der Grundidee in ihrer reinen Größe ohne jede begleitende Begründung bedurfte es, um auch an den Grenzen des Volkstums in den denkenden Köpfen die erste Bresche zu schlagen. Die Werke der Gelehrten, die dieser Grundidee feste Füße gegeben hatten, brauchten dort nicht einmal dem Namen nach bekannt zu sein, um dennoch in ihrem letzten und wertvollsten Be- stand, eben der Entwicklungsidee, erfaßt zu werden.
So bewirkte die Linie, die über meinen Vater zu mir hinführte, daß ich schon als zwölfjähriger Knabe auf der Schulbank den vor- getragenen Glaubenslehren glaubenslos gegenüber saß, und weiter, daß ich sehr bald in dem Priester einen Mann erblickte, der Dinge lehrte und zu glauben schien, die mit den Fertigkeiten eines Zauberkünstlers Verwandschaft zeigten. Ich ging um so weniger ergriffen an diesen sogenannten Religionsstunden vorbei, als sie mit wenig WTärme und Überzeugungskraft vorgetragen wurden und in einem plagenden Wust von Memorierstoff das Wenige noch verloren, das sie — würden sie mit mehr Klugheit dargereicht worden sein — schließlich doch hätten bieten können. So war es natürlich, daß jene sparsam in den Wochen- plan eingefügte Stunde, die mit Naturlehre belegt war, trotz ihrer Dürftigkeit einen Trank für mich bot, von dem ich niemals genug be- kommen konnte, so daß ich sie vor allen anderen immer von neuem sehnlichst herbeiwünschte.
Da geschah in meinem 12. Lebensjahre etwas, was einen tiefen Eindruck in mir hervorrief, unter dessen Wirkung ich fortan stehen sollte, einen Eindruck, der so nachhaltig war, daß ich ihn auch heute
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noch zum Teil in mir wachzurufen vermag. Ich bekam ein älteres Buch geschenkt und zwar war es die Schillingsche Naturgeschichte in neunter Bearbeitung vom Jahre 1867, wie sie damals und fort- folgend in den Bürgerschulen Badens gebraucht wurde. Ein einfaches Schulbuch, das für die Kulturhöhe des badischen Schulunterrichts der sechziger Jahre ein geradezu glänzendes Zeugnis bietet. In diesem Buche, das ich verschlang, fand ich folgende Sätze, die ich nur mit steigender Erregung und Spannung zu lesen vermochte:
„Das Tierreich bestand nicht nur nicht immer aus denselben Arten, wie gegenwärtig, sondern es gab vielmehr Perioden in der Entwick- lung unseres Erdkörpers, in denen es einen von dem jetzigen ganz verschiedenen Charakter besaß und keine einzige Art aufzuweisen hatte, welche jetzt nicht ausgestorben wäre. Die verschiedenen Erd- schichten enthalten bis in die größten Tiefen hinab unzählige tierische Überreste, welche nicht allein ausgestorbenen Arten und Gattungen, sondern selbst ausgestorbenen Familien und Ordnungen angehören, so daß ein System der Zoologie erst dann Anspruch auf Vollständig- keit machen könnte, wenn auch die gesamte untergegangene Tierwelt nach ihren Merkmalen in dasselbe eingereiht wäre. Wie die pflanz- lichen, so liefern auch die fossilen tierischen Überreste durch ihr Vor- kommen in den Gebirgsschichten den schlagendsten Beweis für die allmähliche Entwicklung des tierischen Organismus zum Vollkom- meneren, obgleich man sich vor der irrtümlichen Annahme hüten muß, als habe diese Vervollkommnung einen mit der Aufeinanderfolge und Abstufung der Klassen von den einfachst und niedrigst organi- sierten Geschöpfen bis etwa zum Menschen hinauf ganz und gar paral- lelen Verlauf genommen."
Und nun folgte eine in den Grundzügen auch heute noch zutref- fende Aufzählung der paläontologischen Ergebnisse, wie sie sich aus den verschiedenen geologischen Hauptperioden einschließlich des Men- schen herauslesen ließen.
Ich las diesen klassisch knappen Extrakt immer wieder und erinnere mich noch sehr genau, welche Wirkung die Worte „bis zum Menschen hinauf" auf mich gemacht hatten, wie sie während des Lesens in mir nachvibrierten. Über diesem Satze konnte ich tagelang grübeln. Es ging mir schon damals eine bedrückende dunkle Ahnung auf von den sich verlierenden unzählbaren Verzweigungen, die in den
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Entwicklungsreihen angenommen werden müssen. Der Keim zur Fähigkeit phylogenetischen Denkens ward damals in mich gelegt, es war mir, als sähe ich weit zurück in die Vergangenheit, und die Erde aufgeschlagen wie ein gewaltiges Buch, aus dem die Gelehrten ihre Geschichte nur abzulesen brauchten. Fortan war es gründlich vorbei mit allen kindlicheren Vorstellungen über Entwicklung der Weltdinge, denn die Worte des Schulbuchs hatten auf mich wie ein Evangelium gewirkt. Sie waren mir ein sicherer Wegweiser für die nächsten Jahre, in denen die mir anfangs dunklen Bezeichnungen Silur, Devon, Kar- bon, Perm, Trias, Jura, Kreide, Tertiär, Quartär jener vielgelesenen Zeilen zu immer klareren Begriffen für mich wurden, die ich chrono- logisch richtig einzuordnen versuchte. Aber obwohl mein Vater die Namen Darwin und Haeckel des öfteren im Zusammenhang und in ihrer Bedeutung genannt hatte, vergingen doch noch einige Jahre, ehe ich an diesen klaren Quellen selbst schöpfen durfte. Erst einige Jahre nach dem Tode meines Vaters in meinem 18. Lebensjahre lernte ich Darwins Entstehung der Arten in der Übersetzung von David Haek kennen. Allein, nun erlebte ich das Überraschende, daß ich in diesem beispiellosen WTerke tiefschürfenden Gelehrtenfleißes nicht jenen wei- tergehenden Schwung fand, den meine Jugendauffassung darin ver- mutet hatte. Bewundernd stand ich vor dem unerhörten Material, das die Schlußfolgerungen beweisen mußte, gerade aber weil mir diese so selbstverständlich erschienen und weil sie bereits fest in mir ver- ankert waren, bedurfte ich dieses Materials zunächst nicht, um sie glaubhaft zu finden. Wirklich iDnerlich zur Gewißheit gewordene Vor- stellungen bedürfen für uns vorerst keines Beweises, um als gefestigt empfunden zu werden. Ich sollte erst später erkennen, wie notwendig es ist, wissenschaftliche Anschauungen nach allen Richtungen durch Belege zu stützen, und welche einzig dastehende Riesenarbeit in diesem Punkte mit Darwins Hauptwerk geleistet war. So fand ich denn in Darwins Entstehung der Arten nicht eigentlich die gesuchten Ketten der Entwicklung, deren einzelne Glieder logisch auseinander folgen müssen, sondern etwas ganz anderes, etwas, was mich zunächst min- der stark fesselte. Da aber geriet ich auf einer Seite dieser jüngeren Übersetzung an etwas, was mich sofort auf den gewünschten Weg bringen sollte.
Mit wenigen Worten war auf Haeckels „Generelle Morphologie"
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hingewiesen und gesagt, daß er „seine bedeutenden Kenntnisse und Fähigkeiten auf das, was er Phylogenie nennt", gerichtet habe. Es wurde betont, ,,er hat damit kühn einen großen Anfang gemacht und zeigt uns, wie in der Zukunft die Einteilung behandelt werden soll."
Das war es also, was ich sehnlichst suchte. In der Folge sollte ich aber nicht zuerst an die geniale Tat der „Generellen Morphologie" gelangen, sondern an die wuchtige populäre Darstellung in der natür- lichen Schöpfungsgeschichte. Die kristallene Klarheit und weitschau- ende Kühnheit, die — immer den Blick aufs große Ganze gerichtet — in genialer Art die Hindernisse nahm, das war es vor allem, was mich hier mit fortriß und wenn ich heute der Ansicht bin, daß der erstaunliche Erfolg der Haeckelschen Ideen letzten Endes eben dem unaufhaltsamen Einfluß der Vernunft an sich schon zuzuschreiben ist, so muß doch wohl daneben besonders betont werden, daß es die Klarheit und Kühnheit der überzeugenden Gestaltungskraft Haeckels mit in erster Linie waren, die hier Wege und Verständnis angebahnt haben.
Wo die Vernunft sich solcherweise mit dem Schwung der An- schauung paart, kann eine tiefe Kulturwirkung unmöglich ausbleiben. Als ich wenig später diese Eigenart Haeckels in noch mehr verblüf- fender Weise in der „Generellen Morphologie" kennen lernen durfte, war ich ihm mit Haut und Haaren verfallen. Immer klarer wurde es mir, welche originale Arbeit mit diesem Werke, das eben nur Haeckel schreiben konnte, geleistet war. Heute erfaßt mich so manches Mal der leider nur allzu wahre Gedanke, daß auch hier, wie in so vielen anderen Fällen, gerade das urwüchsigste, Neuland aufreißende und elementar wirkende Gedanken tragende Werk dem weiteren Publi- kum, ja heute sogar den meisten von denen, die Haeckel ganz und gar erfaßt zu haben glauben, unbekannt geblieben ist.
Als ich nach längerer Zeit die oben zitierten Sätze der Schilling- schen Naturgeschichte unter anderem wieder einmal durchlas und besonders die Schlußfolgerungen bedachte, konnte ich mich des Ein- druckes nicht erwehren, daß der Verfasser die „Generelle Morphologie" gekannt haben müsse. Die Bekanntschaft müßte allerdings, nach der Zeit der Abfassung zu schließen, schon binnen wenigen Monaten nach Erscheinen erfolgt sein. Die Tatsache und ihre Folgen wären jeden- "EjggggggggggE]gB]B]gE]ggE]ggggggggggggG]E]G]EiE]E]E]B]E]E]E]B]E]E]EiEiEiE]E]E]
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falls mehr als interessant und würden als einer der frühesten Beweise weittragendster Kulturwirkung Haeckelscher Ideen zu nehmen sein.
Ich habe zu Anfang dieser Abhandlung das Durchsickern genialer Gedanken und wissenschaftlicher Ergebnisse erwähnt. Diese stille fließende Arbeit, die von diesem fundamentalen Werke und allen späteren fachwissenschaftlichen und populären Arbeiten Haeckels aus- ging, hatte bis in Kreise hinein, in denen man sich so ganz anderen Dingen als Weltanschauungsfragen hingeben mußte, die Gedanken- richtung beeinflußt. Wie oft bin ich freilich in der Folge auf das Faktum gestoßen, daß man den Namen des deutschen Darwin und seine Be- deutung zwar kannte, aber seine Werke nicht. Allenfalls fand man die Auffassung vertreten, daß Haeckel der Mann sei, der die Affen- abstammung gelehrt habe, wobei man die Sache gründlich verkehrt faßte.
Immerhin, wie das verzerrte Bild auch schwankte, der Boden war in den neunziger Jahren weithin gepflügt und die Zeit reif geworden. Ein Heer von berufenen Schriftstellern hatte sich Haeckels Gedanken- welt bemächtigt. Die Spezialforschung hatte die zutreffende Bestä- tigung einer Reihe zuerst von Haeckel geäußerter Ideen gebracht, die Paläontologie eine Menge Material geliefert, das Haeckels Grund- ideen stützte. Der Darwinismus im weiteren Sinne hatte — in seinem Eroberungslaufe durch Haeckels unerhört kühnen Kampf beschleu- nigt — auf der ganzen Linie gesiegt. Es gehörte für einen denkenden Kopf, der in diesen Wandel hineingerissen war, schließlich zu den Unmöglichkeiten, sich die Dinge noch einmal im alten Sinne vorzu- stellen. So rückte denn das Jahr 1899, das Jahr des Erscheinens der Welträtsel herbei.
Um es gleich zu sagen: heute rückschauend, würde ich es uner- klärlich finden, wenn der Erfolg der Welträtsel nicht der gewesen wäre, den wir kennen gelernt haben. Alles wirkte hier in glücklicher Weise auf die Aufnahme hin. Zunächst der Titel, der im Verein mit dem berühmten Namen kaum treffender das schon geweckte Interesse aufrütteln konnte. Dann die Knappheit der Darstellung — das ganze Buch ist ja eine Essenz aus allen Gebieten der Naturwissenschaft — und dann die den Laien unter allen Umständen sofort fesselnde, ge- radezu genial getroffene Einteilung und speziellere Einordnung des Stoffes. Daneben noch einmal das lodernde Feuer des noch immer
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jungen Haeckel, die eindringliche Kraft der persönlichen Überzeugung gegenüber alten morschgewordenen Anschauungen. Alles glänzende Vorzüge, die freilich für manchen auch Gefahren bargen, die aber dem Werke die weiteste Aufnahme unbedingt sichern mußten.
Das Buch mußte durchdringen, alle freien Geister packen und — bei allen Ubervorsichtigen anstoßen. Für den ganz in Haeckel ein- gedrungenen Kenner hatte es noch einen besonderen Reiz. Das war ja derselbe Mann, der das schwere, einzig dastehende und wohl auch für lange unübertreffliche Werk der systematischen Phylogenie vor noch kaum vier bis fünf Jahren veröffentlicht hatte.
War ich nun schon seit langem von dem sehnlichsten Wunsche erfaßt, diesen Recken der geistigen Arbeit persönlich kennen zu ler- nen, so beseelte mich dieser Wunsch nun erst recht. Vorläufig sollte er leider unerfüllt bleiben. Gleich nach der Durchnahme der Welt- rätsel im Jahre 1899 war ich auf den Gedanken gekommen, in Ham- burg eine monistische Gesellschaft zu gründen. Jedoch auch die Aus- führung dieses Planes verzögerte sich infolge äußerer Widerstände bis zum Jahre 1903.
Da endlich am 12. Februar, dem Geburtstage Darwins, konnte die monistische Gesellschaft, wohl die erste in Deutschland, durch mich gegründet, ins Leben treten (aus ihr ging dann im Jahre 1906 die heutige Hamburger Ortsgruppe des Deutschen Monistenbundes hervor) und in der Folgezeit überraschende Belege dafür bieten, in welch unterschiedliche Schichten der Bevölkerung die Weltanschau- ung Haeckels bereits vorgedrungen war. Die ungeahnte Verbreitung der Volksausgabe der Welträtsel begann ebenfalls im selben Jahre und ihrem wachsenden Vordringen hatte die anfangs nur kleine Mo- nistengruppe später einen raschen Zugang von Mitgliedern zu danken.
Die arbeitsfrohen Vereins] ahre, die nun einsetzten — überstrahlt von dem Gedanken, die Hochburg Jena einmal zu besuchen — , brach- ten für mich wirklich als teuerste Frucht die Erfüllung dieses lange gehegten Traumes, meinen Besuch in Jena und meine Übersiedelung nach dort.
Niemals in meinem Leben werde ich den ersten Eindruck vergessen,
den die Persönlichkeit Haeckels auf mich gemacht hat. Da saß ich
auf dem berühmten Sofa dem Bewunderten und Vielgeschmähten
gegenüber, dem mich seit früher Jugend die Regungen meines inner-
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12 Haeckel-Festschrift. Bd. II IJJ
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sten Wesens verbanden. Und nun ging von diesem Recken die be- strickendste Liebenswürdigkeit auf mich aus, gepaart mit einer eigen- artigen Bescheidenheit, die mich in Verwirrung brachte. Ich konnte meine innere Ergriffenheit kaum verbergen. Gerade deshalb wohl ist mir fast jedes Wort dieser köstlichen Stunde, fast jede Situation im Gedächtnis geblieben. Eine wohl niemals wiederkehrende, das ganze Ich erfassende Konzentration aller inneren Kräfte mag hier so tief registrierend gewirkt haben. Erst als ich wieder draußen stand, löste sich unter Herzklopfen die ungeheure Spannung. Tag für Tag sollte ich nun Haeckel hören und, wie es so schön heißt, ,,zu seinen Füßen sitzen". Die jungen Studenten begannen zuerst eifrig zu schreiben. Aber das Material Haeckels war so unerhört groß, es war so interes- sant, was er in eine einzige Stunde legte, daß die meisten der Herren bald diese Tätigkeit aufgaben und lieber seinen lebendigen Worten lauschten. Da mir der Quell der Rede über alles geht, gab ich mich von vornherein um so lieber seinen freien Ausführungen hin. Später hatte ich das Glück, im Gespräch auf Spaziergängen tiefer in das Wesen seiner elementaren Persönlichkeit eindringen zu dürfen. Der echte Humor, der in manchen Stellen seiner Schriften aufblitzt, kam da oft in befreiendster Weise zum Ausdruck, und immer war man eingefangen von den sein ganzes Wirken durchdringenden Eigenschaf- ten seiner sonnigen Natur. Der Wärme seiner Persönlichkeit kann sich niemand entziehen. Es geht eine tief religiöse Wirkung von ihr aus. Dieser Ungläubige ist wirklich ein religiöser Mensch, natürlich im modernsten Sinn dieses Wortes.
Weil das echte Feuer der Überzeugung ihn und sein Werk immer wieder von neuem durchglühte, mußte auch sein Schaffen jene auf- rüttelnde Wirkung ausüben, die weit hinaus gezündet hat und lange weiter zünden wird. Er gehört zu jenen geistigen Kämpfern, deren Lebensarbeit vorbildlich geworden ist, zu den Aufrechten, die allen Stürmen zum Trotz durchhielten und durch die Kraft des Gedankens und des persönlichen Einsatzes siegten.
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EUGENIO FICALBI, PISA
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Ich habe öfters sagen hören: „Haeckel erging sich in zu umfassenden und gewagten Hypothesen, die der Wissenschaft nicht dienen; nur Arbeitshypothesen sind von Nutzen" ! Eine der üblichen Phrasen, die von den „Arbeitshypothesen", die höchst weise zu sein scheinen, im Grunde aber nichtssagend sind. Die Hypothesen Haeckels sind in wahrem Sinn Arbeitshypothesen geworden ; sie haben wissenschaft- liche Untersuchungen angeregt, welche seit einem halben Jahrhundert ein Heer von Arbeitern beschäftigen und Bibliotheken füllen. Genügt das nicht, den unvergänglichen Ruhm eines Menschen zu begründen?
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JOHANNES WALTHER, HALLE: ERNST HAECKEL
ALS REISENDER
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Wie man die Strahlen, die eine glänzende Lichtquelle aussendet, in ihre einzelnen Lichtarten zerlegen muß, um ihre mannigfaltige Zusammensetzung besser überschauen zu können, so möchte man auch den vielseitigen Einfluß, den ein großer Mann auf seine Schüler ausgeübt hat, in seine Elemente zerlegen, um sich an dem ganzen Reichtum seines Geistes doppelt zu erfreuen. Und so liegt es mir nahe, aus Ernst Haeckels Leben eine Seite herauszugreifen, deren hoher Wert besonders denen zum Bewußtsein kam, die das Glück hatten, mit diesem seltenen Menschen eine längere Zeitspanne in enger Fühlung zu stehen.
Haeckel erzählte einmal , daß er als kleiner Knabe auf die Frage : was willst du werden, geantwortet habe: ,,Ein Reiser." Was damals schon in seiner jungen Seele keimte, die große Sehnsucht nach den Wundern der Natur, der Wunsch, sie zu begreifen und zu verstehen und anderen ein Verkünder ihrer Schönheit zu werden — Haeckels Leben hat diese Anlage zu vollendeter Entfaltung -reifen lassen. Immer wieder zog er hinaus, allein oder mit Schülern und Freunden, und seine künstlerische , allen Erscheinungen der Umwelt offene Seele fand gerade hier die vollkommenste Förderung, reifte gerade hier die köstlichsten Früchte. Probleme der Wissenschaft und Kunst, Fragen der Kultur und des Lebens wirkten auf ihn mit zündender Gewalt, und wer in den Bannkreis seiner Gedanken kam, der wurde durch ihn begeistert. Vom sizilianischen Fischer] ungen bis zum befreundeten Fachgenossen , vom alten Sokrates in Belligamma bis zum geistvollen Fürsten reichte der Wirkungskreis seiner Persönlichkeit, jedem ver- stand er menschlich näher zu treten, jedem etwas zu sein.
Besonders wirksam war es, wenn ein Reisegenosse, der von einem anderen philosophischen Standpunkt aus den fürchterlichen „Mate- rialisten" Haeckel haßte, ahnungslos mit dem liebenswürdigen und liebenswerten Menschen wanderte und endlich beim Abschied er- fahren mußte, mit wem er zusammen gewesen war — gerade bei solcher Gelegenheit konnte man erleben, welch persönlicher Zauber von ihm ausging.
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Zwischen ernster Forscherarbeit fand er Zeit zu farbenprächtigen Aquarellen, und neben den Monographien, die seinen Namen in der ganzen wissenschaftlichen Welt berühmt gemacht haben, entstanden jene Perlen künstlerischer Reiseschilderungen, die weiteste Leser- kreise fanden und begeisterten.
Wer kennt nicht seine Schilderung einer Ätnabesteigung, seine köstliche Darstellung der Korallengärten im Roten Meer, die ent- zückenden „Indischen Reisebriefe", die wundervollen Briefe aus „Insulinde" — wer hätte nicht voll Sehnsucht die kleineren Auf- sätze Haeckels gelesen, die ein Stück Natur, gesehen durch ein Tem- perament, dem Leser entgegenbringen:
Kein Wunder, daß auch der junge Gelehrte, der zu Haeckels Füßen gesessen und an seinen Lippen gehangen hatte, voll Sehnsucht nach den Stätten erfüllt wurde, die ein Meister des Sehens und Dar- stellens ihm so vertraut gemacht hatte. Wer jene Zeit erlebt hat, wo von Jena aus in jedem Jahre neue Studien- und Forschungsreisen geplant und ausgeführt wurden, bald nach den eisigen Fjorden des Nordens, bald nach den malerischen Gestaden des Mittelmeeres, nach den Korallenriffen der Sinaiküste, den Wüsten von Mexico, den Ur- wäldern von Java oder dem australischen Busch, der weiß, wie Ernst Haeckel alle diese Pläne anregte und förderte.
Das alte schöne Wort: nichts Menschliches ist mir fremd — sollte jeder Reisende als Motto in seinem Herzen tragen. Was hilft es ihm, wenn er glaubt, er dürfe unterwegs nur wissenschaftlich arbei- ten, nur alle mit einem Sternchen ausgezeichneten Kirchen und Bil- der sehen, oder alle vorgeschriebenen Aussichtspunkte besuchen — er wird nicht wahrhaft gefördert zurückkehren. Der erste, der in deutscher Sprache gezeigt hat, wie man reisen müsse, um auch inner- lich reicher zu werden, war Goethe; dann folgte Alexander von Hum- boldt mit seiner wunderbaren Reise nach den Aequinoctialgegenden — aber der Name, den man gleich nach ihnen zu nennen hat, lautet Ernst Haeckel.
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P. G. UNNA, HAMBURG: VON DARWIN ZU HAECKEL
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Im Jahre 1868 wurde mir, dem 18 jährigen Gymnasiasten, von meinen Eltern die Erlaubnis zuteil, die Sommerferien zu einem Aus- flug nach Heidelberg zu benutzen. Meine Freunde am Propolytech- nikum in Hamburg, in dem ich ein Jahr Vorlesungen hörte, gaben mir eine Empfehlung an einen jungen Hamburger Chemiker, der bei Bunsen in Heidelberg studierte. An einem Sonntage machte ich mit diesem eine Fußtour auf den Melibocus. Unser Gespräch drehte sich nur um Darwin, dessen „Entstehung der Arten" der Chemiker gerade mit Begeisterung las. Er war ein guter Erklärer und bald lag der ganze Gedankengang des mir unbekannten wunderbaren Buches offen vor meinem Auge . Nur von einer Sache konnte mich mein Chemiker nicht überzeugen, nämlich daß die Thesen von Darwin etwas fundamental Neues seien. Nach jedem Absatz seiner Rede ärgerte ich ihn offenbar mit dem Ausspruch, ,,das sei ja ganz selbstverständlich", „das könne ja gar nicht anders sein". Es wurde ihm schwer, mir beizubringen, daß der derzeitige Standpunkt der Wissenschaft diese, wie mir schien, selbstverständlichen Erfahrungen und Schlüsse durchaus ablehnte. Voll von den neuen Ideen kam ich nach Hamburg zurück und teilte meine Begeisterung für das Buch von Darwin meinem Freunde Kärker mit, welcher Primus der Unterprima in der Gelehrtenschule des Jo- hanneums war, in die ich nun nach einjähriger Unterbrechung wieder eintrat.
In diesem Gymnasium existierte seit 1817 ein „wissenschaftlicher Verein" der Gymnasiasten, welcher neben den Arbeiten für die Schule in vollkommen freier Weise gelehrte Studien trieb. Viele bekannte Gelehrte hatten ihm angehört, so Erwin Rohde, Ernst Bernheim, Max von der Porten und last not least Hebbel während seiner Schul- zeit in Hamburg. Der Verein war ganz unabhängig von der Schule und wurde, da die meisten Professoren sehr alte und etwas wunder- liche Philologen waren und die Schüler wenig interessierten, mit um so größerem Eifer von der intelligenten Oberschicht der Klasse be- sucht. Jedes Mitglied mußte abwechselnd einen Vortrag halten, und mein Freund Kärker wählte dazu zwei Jahre hindurch (1869 — 1870) kapitelweise das Buch von Darwin.
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Durch diesen Umstand ist wohl zuerst in Deutschland in der Ham- burger Gelehrtenschule Darwins Lehre vor angehenden Studenten mit allen Details vorgetragen worden. Diese Vorträge blieben nicht ohne nachhaltige Wirkung auf viele von uns. Wenn schon vorher die Art der philologischen Bildung in der Gelehrtenschule manchem von uns unzureichend vorkam, fing es nun an zu gären. Als wir unter dem Direktorat des von uns verehrten Johannes Classen in feierlichem Akt Ostern 1870 entlassen wurden, hielt, wie immer, der Primus Primae die Abgangsrede. Dieses war wiederum mein Freund Kärker. Er hatte sich zum Erstaunen der Lehrer das Thema gewählt: Das Verhältnis der Geisteswissenschaften zur Naturwissenschaft. Auf seine Rede, welche in dem Satze gipfelte: „Nur durch eine weitgehende Berücksichtigung naturwissenschaftlicher Fächer könne die Gelehrten- schule mit der Neuzeit fortschreiten" — folgte erst eine peinliche Stille, bis der vor kurzem nach Hamburg berufene, noch jugendliche Profes- sor Kießling, der hauptsächlich die griechischen Tragiker dozierte, das Wort ergriff, um diesen unerhörten Angriff des Schülers auf den altgeheiligten Bau der Gelehrtenschule zu parieren. Seine improvi- sierte Rede gipfelte in dem kühnen Satze : „Wir müssen die alten Grie- chen und Römer deshalb studieren, weil sie uns für unseren späteren Beruf nichts nützen."
Noch niemals war in Hamburg der feierliche Aktus derartig unter- brochen und stürmisch verlaufen. Viele von uns Primanern nahmen aber auf die Universität ein Samenkorn der Aufklärung mit, welches erst in späteren Jahren zur Reife kommen sollte.
Kaum waren Freund Kärker und ich Ostern in Heidelberg imma- trikuliert und eingearbeitet, da brach der Krieg mit Frankreich aus, und ich trat als Freiwilliger unter die Fahnen. In diesem Herbst schenkte mir Kärker, was mir immer unvergeßlich bleiben wird, das Buch von Haeckel: die „Generelle Morphologie", welches mit seiner grandiosen Perspektive uns vollkommen gefangen nahm und uns ge- danklich intensiv beschäftigte, bis der Dezember 1870 mich auf den Kriegsschauplatz rief. Das Haeckelsche Werk fiel bei uns auf einen besonders gut vorbereiteten Boden, und ich vermute, daß wir wohl in jener Zeit die jüngsten begeisterten Leser dieses epochemachenden Werkes waren. Als ich später in Heidelberg das Physikum absolvierte,
meinte allerdings der examinierende Zoologe, es wäre besser, wir jun-
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gen Studenten lernten erst einmal die hergebrachte Zoologie gründ- lich, ehe wir uns an Werke von so zweifelhaftem Charakter wie die , »Entstehung der Arten" und die „Generelle Morphologie" machten.
Für uns war dies Werk von Haeckel mehr, es bedeutete den festen Abschluß einer früh gewonnenen Weltanschauung. Hatte uns die Lektüre des Darwinschen Werkes die lebendige Natur erst interessant gemacht und in dem Entwicklungsgedanken den Zauberstab geschenkt, der in das Chaos der Formen überall Ordnung und Leben brachte, so gewannen wir durch die ,, Generelle Morphologie" von Haeckel die Überzeugung, daß das Fundament des bisherigen Wissens durch diese neuen Gedanken nicht erschüttert, sondern gereinigt, nicht vernichtet, sondern gekrönt werde, und daß der Fortschritt der Wissenschaft in der Richtung liege, welche dieses Werk in so magistraler Weise eingeschlagen hatte.
Sicherlich trug der frühe Kampf gegen die rein philologische Gym- nasialbildung, den wir im wissenschaftlichen Verein von 1817, durch Darwins Ideen geleitet, selbständig gegen unsere Lehrer zu führen gewagt hatten, zu unserer Haeckelverehrung bei. Sagte uns doch dieser bedeutende Naturforscher gleichsam: ,, Kinder, ihr habt recht gehabt; eure Ahnung hat euch nicht betrogen."
Über dreißig Jahre waren vergangen. Mein lieber Freund Kärker, dem ich in Weltanschauungsfragen so viel verdankte, war zu meinem großen Schmerze bereits 1876 als einjähriger Arzt am Typhus gestor- ben. Die ärztliche, bald auch die spezialistische Praxis hatte mich gefangen genommen. Nur von ferne drangen Laute in meine Stille von dem unablässigen Kampfe, welchen die modernen Dunkelmänner um Thron und Altar gegen die Männer der Volksaufklärung führten. Nichts von den Hoffnungen auf geistige Befreiung, die wir Achtzehn- hundertsiebziger für unser Vaterland gehegt, ging in Erfüllung; es wurde schwärzer und immer schwärzer in Deutschland. Auch die geistige Macht, auf die wir als letztes Bollwerk gegen die hereinbre- chende Reaktion vertraut, die Professorenschaft der deutschen Hoch- schulen, die vor 100 Jahren der Jugend voranging, versagte. Und wiederum stand ein Mann, ein Professor allerdings, aber trotzdem ein furchtloser Recke strahlend in der allgemeinen Dämmerung und Finsternis und beugte seinen Rücken nicht den Mächten, welche die Verdummung des deutschen Volkes wünschen, um es leichter knech- ten zu können — das war Haeckel.
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Wie Bismarck so richtig sagte, fehlt dem Deutschen zumeist die „Zivilcourage". Vor den Feind geführt, schlägt er sich tapfer. Im Zivilleben jedoch bückt er sich vor jedem Vorgesetzten und will am liebsten den „Frieden um jeden Preis". Aber im Innersten seines Herzens hegt er trotzdem eine gewaltige Achtung vor den wenigen Mutigen, welche das nicht tun und die er deshalb beneidet. Daher die Begeisterung für Bismarck auch derer, die er selbst bekämpft und geschlagen. Daher die Verehrung für Haeckel, auch seitens vieler, die Grund und Tragweite seiner biologischen Ideen nicht voll ermessen können. Er ist der mutige Held, der selbstvergessene Befreier aus intellektueller Knechtschaft. Er ist einer der wenigen in Deutschland, die den Mut besitzen, dem Strom der durch reaktionäre Politik ver- fälschten Kultur entgegenzuschwimmen.
Es war beginnender Herbst des Jahres 1910. Noch immer kannte ich Haeckel nicht persönlich. Die Sonne sank bereits im Westen, als ich in Begleitung meiner Schwester von den Anhöhen um Wildungen ins Tal hinabstieg. Sie beschien Alt- Wildungen und das Schloß, um- rahmt von vielfarbigen, waldigen Höhen — ein wunderschönes Bild! Am Waldhaus, dort wo eine Terrasse mit weiter Aussicht vorspringt, hielten wir an, es zu betrachten. Auf der Bank vor uns saß ein hoch- gewachsener Mann allein, den Kopf zurückgelehnt, den großen Filz- hut nachlässig auf die Bank geworfen, ganz im Anschauen der Gegend versunken. Sein mächtiges Haupt war umrahmt von weißem Silber- haar, in dem das Licht der untergehenden Sonne goldig funkelte. Abendsonne, Landschaft und strahlendes Menschenbild verschmolz zu einem einzigen herrlichen Anblick, welcher den Schritt hemmte und das Herz einen Augenblick stillstehen machte. Wie ein elektrischer Schlag durchzuckte es mich, und ich flüsterte meiner Schwester zu: „Das muß Haeckel sein." Wir näherten uns leise, der stattliche Greis entfernte sich und eilte mit jugendlicher Schnelle ins Tal hinab.
Zu Hause angelangt, war unsere erste Frage : „Ist Professor Haeckel hier in Wildungen ? ' ' Die Antwort lautete : , , J a, die Exzellenz ist heute an- gekommen und wohnt neben uns in der Nachbarvüla." Die nächsten Tage mit ihren Brunnenpromenaden und Spaziergängen gaben reichlich Gele- genheit zur Erfüllung meines alten Wunsches, den Heros meiner Jugend, den Mann des immer seltener werdenden Mutes noch einmal kennen zu lernen und ihm persönlich für meine geistige Befreiung zu danken.
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JOSEF KOCKS, BONN: ERNST HAECKELS BEDEU- TUNG FÜR DIE BEFREIUNG DES MENSCHLICHEN GEISTES VON DEN FESSELN DES ABERGLAUBENS
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Der Lüge kecke Zuversicht reißt hin. Das Wunderbare findet Gunst und Glaube. Schiller, Demetrius.
Es scheint, daß auch bei den meisten Gebildeten der Gegenwart die erbliche Anlage zum Mystizismus und Aberglauben nicht aus- zurotten ist; sie erklärt sich phylogenetisch durch unsere Abstam- mung von prähistorischen Barbaren und Naturmenschen, bei denen die Anfänge religiöser Vorstellungen noch ganz von Animismus und Fetischismus beherrscht waren."
Mit diesen sehr wenig trostreichen Worten schließt Ernst Haeckel das dritte Kapitel seiner „Lebenswunder".
Wir müssen aber annehmen, daß unser hochverehrter Herr Jubilar trotz dieser Erkenntnis und seiner 80 Jahre immer noch nicht zu den Pessimisten gehört und nicht nur an eine Weiterentwicklungsfähig- keit der Tierwelt, sondern sogar an eine wirkliche Weiterentwicklung des menschlichen Geistes glaubt und an den Sieg der Wahrheit durch dieses höhere Menschentum zu glauben nicht aufgehört hat ! — Ernst Haeckel blieb in der Tat ein unverwüstlicher, jugendfrischer Optimist !
Schreiber dieser Zeilen ist auf Grund seiner psychologischen Ana- lysen der Mitwelt zu einem weniger guten Resultat gelangt, wenig- stens was den Sieg der Wahrheit durch die höhere Erkenntnis der Menschheit betrifft.
Er vertritt die Ansicht, daß die Mitwelt zwar durchschnittlich viel höher steht, was ihre Erkenntnis des theologischen oder des philo- sophischen Gottbegriffes betrifft, als es den Anschein hat, daß aber rein opportunistische, aber unüberwindliche soziale Hindernisse in der ganzen Welt diese Erkenntnis der „reinen Vernunft" durch die Resultate der paktierenden „praktischen Vernunft" totschlagen, tot- schlagen werden, ja totschlagen müssen! Und zwar nach dem all- gemein gültigen Gesetze für den Selbsterhaltungstrieb im Kampfe ums Dasein, das Ernst Haeckel selbst im Anschluß an Darwin gelten läßt — also nach dem Gesetze für the struggle for life! Somit muß der Schreiber dieser Zeilen, leider, Pessimist sein.
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In einer kleinen Broschüre über Harnack und Kahl und in seinen Hafisliedern (Deckname Walter Werner) hat er seinen Pessimismus wiederholt ausgesprochen und darin Kant als ein leuchtendes Exem- plar dieser Art des durchaus praktischen paktierenden Homo sapiens gekennzeichnet. — Kant hatte, wie noch heute die ganze Mensch- heit, erkannt, daß die ,, reine Vernunft" in der Praxis des Lebens zu schweigen und dem Brotgesetz, welches die ,, praktische Vernunft" diktiert, zu gehorchen hat! Diese Zwitterlogik, welche auch aus der Totalität der Menschen heraus spricht, ist es gewesen, welche Imma- nuel Kant veranlaßte, neben einer „reinen" noch eine „praktische" Vernunft gelten zu lassen, genau wie jener Eierhändler, der mir ge- stand: „Ich bleibe, um meine Kundschaft nicht zu verlieren, äußer- lich Christ, obgleich ich innerlich längst durch die Schriften Haeckels, Büchners u. a. Monist und Atheist geworden bin." — The struggle for life hier und dort! — Kant und Eierhändler!
Kants Zwitterlogik spricht sich in allen Teilen der bewohnten Erde und bei allen ihren Rassen aus, und ich unterscheide drei Arten von Weltbürgern: i. Die ganz kleine Gruppe von durchaus unab- hängigen und dazu aufgeklärten Atheisten, die Gruppe des Homo irreligiosus verax, und 2. die unendlich große Menge der Menschen, die Gruppe des Homo pseudo-religiosus mendax, die zwar auch nichts glaubt, aber aus Opportunitätsgründen den staatlich geschützten Kirchen angehört. Eine kleinere dritte Gruppe ist die der wirklich Armen im Geiste nach der Bergpredigt, die Gruppe des Homo imbe- cillus oder imbecillis, eine Gruppe, die wirklich glaubt, sei es aus Furcht vor Höllenqualen oder einer rettungslos idioten Beschaffenheit ihres Zerebrums. Das ist das Fazit meiner Lebenserfahrung.
Auf Kant angepaßt, heißt es in den Walter Wernerschen Hafis- liedern Band I, S. 300:
Der Zaubrer Kaut zeigt eins und drei,
Was praktisch ist, vernünftig sei!
Draus folgert er: bleib schlau ein Christ,
Ein Jude, Moslim, ein Buddhist! —
Wozu des reinsten Geistes Denken?
Wir sind gezwungen einzulenken!
Die „reine" Vernunft, was nutzt sie, Freund?
Die „praktische" lehr' deine Mündel,
Sonst sind sie im Leben Ecclesias Feind
Und schnüren als Ketzer ihr Bündel!
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So wirft also der Theologe Kant den Philosophen Kant einfach vor die Haustüre ! — Die praktische Vernunft schlägt eben die reine tot! —
Unser Jubilar Ernst Haeckel charakterisiert diesen Hermaphro- ditismus des Kantischen Geistes ebenfalls. Seine Unterscheidung zwischen einem Kant I und Kant II läuft auf dasselbe hinaus.
Es ließe sich ein prächtiger neunter Makarismus darauf auf- bauen: „Selig sind die Zweifältigen, die eine Kantische doppelte Vernunft haben, denn ihnen ist sowohl das Erd- wie das Himmel- reich!"
Seit Paul von Holbach in seinem „Systeme de la nature ou des lois du monde physique et^du monde moral" den Gottesbegriff zuerst frei und frank bekämpft hat, ist es unser Jubilar Ernst Haeckel ge- wesen, der mehr als alle anderen dazu beigetragen hat, den mensch- lichen Geist von den Fesseln des Aberglaubens zu befreien.
Voltaires Aufruf, den Aberglauben zu bekämpfen, sein „Ecrasez l'infame superstition", hat keiner so ernst genommen — als Ernst Haeckel, der Vater unseres modernen Monismus!
Wenn der Monismus auch bereits im griechischen Hylozoismus seinen ebenbürtigen Vorläufer hatte, so ist doch der Monismus Haeckels unter Wilhelm Ostwalds Führung heute erst zu der mate- rialistischen Macht geworden, die sich im Reiche der naturphilosophi- schen Systeme ihr Recht an der Sonne zu erobern anschickt.
Den Katechismus dazu hat nach Ludwig Büchner und Carl Vogt der Menge erst unser Jubilar geschrieben. Die Riesenauflagen seiner Volkslehrbücher haben in allen Sprachen der Menschheit die starren jüdisch -christlichen, jüdisch -mohamedanischen und buddhistisch- brahmanischen Gläubigen im 20. Jahrhundert aufgerüttelt. — Die neue Minerva des wissenschaftlichen Monismus, wenn auch manchmal aus taktischen Gründen etwas mystisch-romantisch kostümiert, im- poniert als eine aus dem Zeuskopf entsprungene stolze Göttin!
Haeckels Bedeutung im Kampf gegen den Aberglauben liegt meines Erachtens wesentlich in seiner unbestechlichen Unerschrockenheit, seinem begeisternden Opfermut, seiner eisernen Wahrheitsliebe and last not least in seinem Märtyrertum.
Der apostolische Mut Ernst Haeckels hat Proselyten in der ge- bildeten Lesewelt gemacht. Wir wissen es aus seinem Munde, wie selbst
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seine intimeren Freunde auf die staatliche Schergengewalt warnend hinwiesen, als Haeckel der Kirche den Rücken zuwandte!
Aber in der gebildeten Bürgerschaft hat Haeckel festen Fuß ge- faßt, und die Pforten aller Bonzenhimmel werden ihn nicht mehr überwältigen !
Wie sehr Haeckels materialistischer Monismus heute Gemeingut der Menschen, die lesen, geworden ist, konnte ich dieser Tage aus dem Brief einer sehr katholischen Dame entnehmen, die mich von der Unhaltbarkeit des modernen Monismus, als deren Anhänger sie mich kannte, zu überzeugen suchte. — Die Dame, mit welcher ich seit vielen Jahren befreundet bin, schreibt mir:
,,Ma pauvre petite intelligence ne peut pas se mesurer avec la vötre de savant. Mais je me demande comment il se fait qu'un prin- cipe d'affection subsiste si puissant en nous, alors que la cause qui l'a produit a cesse d'exister? Et tous ces milliers et millions de Sou- venirs de notre vie qui restent si nets et si vivants dans notre cer- veau dont les molecules changent cependant et se transforment pendant la duree de la vie. — Je ne puis croire que tout en nous soit mauere et mort."
Die Dame verdankt ihre Kenntnis von Gehirn und Naturwissen- schaft Ernst Haeckel und seinem Monismus, von dem ich ihr so oft und so warm sprach. — Und wenn die Dame sich auch nicht von dem Gedanken trennen konnte, daß neben der Materie im Gehirn etwas Unauswechselbares mit dem Gedächtnis betraut sein müsse, da doch die Atome und Moleküle im Gehirn wechseln, vergehen und durch neue ersetzt würden, so verdankt sie doch Ernst Haeckels Schriften ihre Kenntnisse und die Möglichkeit, über solche Fragen überhaupt einen, wenn auch irrigen Gedanken zu haben. — Wenn die Dame nicht so weit vorgedrungen ist, die Mneme als einen krassen Mecha- nismus, der vom Stoffersatze bestehen bleibt, aufzufassen, was ja sogar vielen sehr psychologischen Philosophen und Theologen nicht gelingt, so ist doch auch diese irrige Ansicht eine Lesefrucht und ein Denkprodukt, das Ernst Haeckel provozierte.
Ernst Haeckel ist's, der diese Art Wissen ins breite Volk trug, ihm verdankt es in philosophischer Hinsicht wenigstens seine wissen- schaftlichen Zweifel! Gewiß, es ist selbst für eine gebildete Frau und auch für einen gebildeten Mann ein schwerwiegender Einwand gegen
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den Monismus, wenn jemand ihnen sagt: Wie können unsere Hirn- atome oder unsere Hirnmoleküle Eindrücke der frühesten Kindheit über 60, 70, 80 Jahre festhalten, während doch nach so vielen Jahren gewiß kein einziges Atom unseres Gehirns mehr darin ist, was den Eindruck empfing? — Schwer wird es halten, bei Laien hier aufklärend zu wirken, selbst wenn wir sie auf die Worte des Meisters verweisen, welche lehren:
„Die fortgeschrittene vergleichende und genetische Psychologie der Neuzeit hat uns zu der Überzeugung geführt, daß auch das höchst ent- wickelte menschliche Bewußtsein keinem übernatürlichen „Geist" seinen Ursprung verdankt, sondern, gleich allen Seelentätigkeiten, eine Arbeitsleistung der Neuronen der Ganglienzellen in un- serer Großhirnrinde darstellt."
Bei naturwissenschaftlich Gebildeten, die diesen Ausführungen folgen können, ist damit der Dualismus, der Aberglaube aller Kirchen, besiegt, selbst der des aufgeklärten Buddhismus und Konfutianis- mus und Schintoismus, die unter den bestehenden religiösen Staats- aberglauben naturphilosophisch am höchsten stehen.
Alle Religionen der Welt arbeiten mit der Idee der Unsterblich- keit, die bekanntlich nach Kant „ein Postulat der praktischen Ver- nunft" sein soll. Das Postulat der Unsterblichkeit autem genuit die Religionen aller Völker. Mir ist die Religion kein Postulat der praktischen Vernunft, sondern des praktischen naturmäßigen Dar- winschen Kampfes ums Dasein in der sozialen Masse der Menschheit, also ein Postulat des struggle for life, wie jede andere Art Betrug und List.
Haeckel, der frisch, frei, fröhliche Stürmer und unbestechliche Wahrheitsfreund, der Apostel der reinen, ungefälschten Humanität, hat auch die Nächstenliebe, den Grundstock aller Ethik, das lautere Gold der mitleidigen rein tierischen Menschlichkeit, die Formel der allgemein geltenden universellen biologischen Moral als das Höchste gepriesen, was das Menschentum Heiliges hat!
Die Nächstenliebe als reine Tugend, nicht als irdische Wurst zum Wurfe nach der himmlischen Speckseite, den Freuden im Jenseits, die Nächstenliebe also ohne Aussicht auf Himmelslohn oder Höllen- strafe — ist eine rein tierische Eigenschaft bei allen sozial lebenden Tieren. —
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Darin ist der Monismus Haeckels den Lehren aller Religionen voran, die den Egoismus zu dieser Pseudoliebe erziehen, ihn in Altruis- mus durch Versprechungen für das Jenseits, durch Wechsel auf himm- lische Bankhalter zu züchten suchen!
Die Nächstenliebe schlechthin als eine rein tierische Tugend der sozial lebenden Wesen und der domestizierten Haustiere, wie wir sie aus dem Reiche unserer Tierahnen kennen, nach dem Muster jenes barmherzigen Hundes, der täglich einem Hundebruder ein Brötchen in den Kanalschacht wirft, in den dieser gefallen ist, und wie der Beispiele aus dem Tierreiche so viele bekannt sind.
Ich selbst besitze ein Schwanenpaar, das einer armen vereinsamten Ente, die mit ihm auf dem Teiche lebte, aus seinem Futtertrog jedes- mal Nahrung zuwarf, und zwar, ehe es selbst zu fressen begann ! — Mensch, wie steht deine Größe an Menschenliebe neben diesem Tier- paare? Oder hat etwa auch ein Schwanenchristus es gelehrt: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst? —
Was hat nun Ernst Haeckel an Aberglauben, besonders an kirch- lichen Dogmen bekämpft und wenigstens bei den aufgeklärten Men- schen moderner Richtung zerstört, zerstört bei den erklärten und nicht erklärten Monisten und Modernisten? — Er hat es deutlich in den „Lebenswundern" bei der Besprechung der drei Artikel des christlichen Symbolum apostolicum gesagt, besonders bei dem Er- lösungsartikel, wo es heißt:
„Merkwürdigerweise sagt dieser zweite Artikel nichts von der .Erlösung', die seine Überschrift bildet; diese wird nur von Luther in seiner Erklärung: ,Was ist das?' behandelt. — Hier erfahre ich, daß Christus mich verlorenen und verdammten Menschen erlöst hat, erworben, gewonnen von allen Sünden, vom Tode und der Gewalt des Teufels, nicht mit Gold oder Silber, sondern mit seinem heiligen, teuren Blute und mit seinem unschuldigen Leiden und Sterben. — Diesen schmerzvollen Tod hat Christus gleich vielen tausend anderen Märtyrern für seine Überzeugung von der Wahrheit seines Glaubens und seiner Lehre erlitten — wir erinnern nur an die mehr als hundert- tausend Menschen, die durch die Inquisition und die Glaubenskriege des Mittelalters getötet wurden! — Einen vernünftigen Kausal- zusammenhang desselben mit der angeblichen Erlösung von allen Sünden, vom Tode und von der , Gewalt des Teufels' hat noch keiner
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der Millionen Theologen nachzuweisen vermocht, die sonntäglich darüber predigen und gepredigt haben. — Dieses ganze .Erlösungs'- Gebilde des christlichen Glaubens ist uralten, völlig unklaren, ethi- schen Vorstellungen der Barbarvölker, insbesondere dem rohen Glau- ben an die Sühnemacht der Menschenopfer, entsprungen.
Praktischen Wert für unser sittliches Leben besitzt dasselbe nur für denjenigen, der an die Unsterblichkeit seiner persönlichen Seele glaubt, an ein wissenschaftlich unhaltbares Dogma.
Wer auf dieses leere Versprechen eines besseren und vollkommenen Lebens ein Jenseits' baut, der kann durch diese Hoffnung sich trö- sten und sich über tausend Mängel und Leiden unseres irdischen Lebens im .Diesseits' hinwegsetzen.
Wer aber das letztere vernunftsgemäß in seiner Wirklichkeit be- trachtet und durchlebt, wird nicht finden, daß die angebliche .Er- lösung' irgend etwas zum Besseren geändert hat; Not und Elend, Leid und Sünde, bestehen nach wie vor; ja in vieler Beziehung hat das moderne Kulturleben sie gesteigert!"
Maupertuis' Atomseele, seinen empfindenden Atomen, Leibnizens seelenvollen Monaden und Ernst Haeckels Zellseelen huldigen heute viele Monisten als moderne Hylozoisten des 20. Jahrhunderts — ohne ihnen aber einen freien Willen zu vindizieren.
Teleologie und freien Willen hat Ernst Haeckel (,, Lebens- wunder" S. 306) treffend charakterisiert: ,,Alle metaphysischen, supranaturalistischen und alle teleologischen Vorstellungen, ebenso die älteren mystischen Ideen von der besondern , Lebenskraft' be- ruhen darauf, daß die urteilende Vernunft durch die scheinbare Willensfreiheit und die zweckmäßige Organisation der höheren Orga- nismen geblendet ist. Dabei wird die Tatsache übersehen, daß jene Zielstrebigkeit aus den einfachen physikalischen Bewegungen nie- derer Organismen phylogenetisch entstanden ist! — Anderseits wird die bestimmte Richtung der organischen Energieformen übersehen oder geleugnet, und doch ist diese ebenso offenbar in der Entstehung jedes Kristalls wie in der Komposition des ganzen Weltgebäudes, in der Windrichtung wie in dem Planetenkreislauf. Es ist daher wich- tig, diese beiden Formen der mechanischen Energie stets im Auge zu behalten und ihre Wesenseinheit mit der vitalen Bewegungsrichtung
zu betonen."
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13 Haeckel-Festschrift. Bd. II
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Es läßt sich nun nicht bestreiten, daß es ein für die Menschheit humanes Werk wäre, wenn man es erreichen könnte, durch falsche Vorspiegelungen, durch „Einbilden anderer", wie Harnack es nennt, sie davon zu überzeugen, es gebe einen Gott, einen Himmel, eine Unsterblichkeit! Wäre es möglich, die Menge wirklich hiervon zu überzeugen, so wäre durch Hoffen auf Erlösung oder auf Himmels- seligkeit die Menschheit auf Erden getröstet! — Das ist der Grund- gedanke, der nicht nur rein egoistische Pfarrpfründner, die selbst nicht glauben, veranlassen könnte, bei ihrem Metier zu bleiben! — Einem wahrhaft ungläubigen Pfarrer wird es aber denn doch sehr schwer, Erwachsenen altersschwache Ammenmärchen zu erzählen, und feierlich zu bekennen, was er doch nicht glaubt ! — Aber prüfen wir den wirklichen Glauben der Gläubigen, so stellt sich heraus, daß er meist durchaus nicht ausreicht zu einem zuversichtlichen Hoffen auf eine Auferstehung oder auch nur zum Glauben an die einstige Seligkeit einer unsterblichen Psyche. — Der ernst denkende Arbeiter mit natürüchem Verstände glaubt heute nicht mehr solcherlei Kin- derstubenmärchen, und er wendet sich dann ab von der Kirche, und der moralische Halt geht ihm alsdann leider nur zu oft verloren, da er keinen weltlichen Moralunterricht genossen. — Daraus aber folgt: Weg mit der Fabel, das Kind muß auf die Wirklichkeit hin erzogen werden! — Das Glück im Diesseits ist Hauptsache; die beste Basis der Ethik ist die religionsfreie Morallehre. — Der beste Katechismus ist der Laienkatechismus, wie er in Frankreich bereits in die Volks- schule eingeführt ist.
Und nun! — Wird es wohl jemals gelingen, den Monismus gegen die Kirchen unter staatlicher Protektion zu einer Volksphilosophie zu machen ? Das ist die große Frage, die sich ein ernst und historisch denkender Mann und Freund der Wahrheit vorzulegen hat.
Und wie lautet hier die Antwort ? — Leider negativ! — Warum ? — Weil die Geschichte der freiheitlichen Ideen, sogar solcher, die im Schöße der Kirche selbst entstanden sind, leider zu deutlich zeigt, daß die Gewalt der beiden verbündeten Wahrheitsfeinde Staat und Kirche noch immer mit dem ihnen unbequemen Licht der Wahrheit, die sie Ketzereien nennen, fertig geworden ist!
Da lebte z. B. im 3. Jahrhundert im Orient ein frommer Christ mit Namen Arius! Er war sogar Presbyter und stand mit dem Volke BjggggggggggEjgEjggggggggggggE]gggEiB]E]E]E]E]sjEjE]E]B]E]E]EjE]E]E]E|E]EigB]
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auf bestem Fuße! — Der vernünftige Mann konnte nicht an die damals frisch gelehrte Gottheit Christi glauben und gab, um nicht anzustoßen, sogar eine Wesensähnlichkeit des Vaters mit dem Sohne, die sogenannte Homöousie, versöhnlicherweise zu! — Der Arianis- mus gewann auch bei den wahrheitsliebenden Germanen sichtlich an Terrain ! — Goten und Longobarden hielten an Arius fest bis um 700 nach Christus! — Aber zwei Konzilien, Nicaea und Konstantinopel, verdammten Arius' Lehre, und sie verkümmerte, weil sie verfolgt wurde.
Später lebte Arius' Lehre im Socinianismus nochmals auf, doch auch der Socinianismus des 17. Jahrhunderts wurde seit 1658 verfolgt und ist heute tot!
Leute wie Jatho und Traub, die es wagen, in die Fußstapfen der alten arianischen Ketzer zu treten, werden durch unsern sich auf den Kaiser stützenden Oberkirchenrat, nicht katholischer, sondern evangelischer Provenienz, verfolgt und durch Hochhängen des Brot- korbes echt preußisch mürbe gemacht! Das Kgl. Berlinische In- quisitionsgericht Professor Kahlscher Kreation besorgt die Verbren- nung ohne Scheiterhaufen!
Das ist das Bild unseres 20. Jahrhunderts in kirchlicher Hinsicht! — Tiefer gesunken als das Zeitalter des Arius ist das heutige, tiefer als das Zeitalter der Socinianer, so tief, wie es noch kein Zeitalter je gewesen, ist das unserige heutige tief gesunken — da heute alles kirchliche Heuchelei ist.
Nun wird man von optimistischer Seite wohl einwenden: ,,Ja, wir Monisten haben aber keine maßregelbaren Lehrer an unserer Spitze. Ein Haeckel und ein Ostwald sind keine Brotpfaffen, sie stehen frei und unabhängig da!"
Ich antworte: Ganz richtig, aber diejenigen unter den Laien, die sich ihnen, den Lehrern, anschließen, sind auch nur solche, die frei und unabhängig dastehen!
Aber, was hat die Menge damit zu tun? Diese steht eben unter der Gewalt des Kadi und des Mufti; sie fühlt die Zuchtrute nieder- sausen, sowie sie muckst. Und sogar unsere wissenschaftlichen so- genannten Republiken, die Universitäten, haben keine Leute, die den Mut hätten, Haeckel im Monismus offen zu folgen, obschon sie innerlich alle glauben, was er glaubt, und Christus ihnen höchstens ein Mensch, Gott ihnen ein Phantom ist! SS333SS9S3SSS5!SS51S35!ElSS]E!SS^3SS]SS§lEiE]E]5!SE'SlS51Els]SSS]S3SE]ElEJ
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Ernst Haeckel zählt 80 und darf noch auf manches Jahr hoffen; geistig und körperlich ungebrochen steht er vor uns, seinen auf ihn stolzen Freunden! Bei den unabhängigen „Modernen" hat er nur Freunde! Aber bei den Retrograden, Reaktionären, Pietisten und oppositionsreinen Kriechern im Staats- und Kirchendienst nur Feinde ! Die Alma mater Berolinensis hat sogar Kinder geboren, die von Ernst Haeckel nichts wissen wollten, als ihre Mutter ihr Jubiläum feierte! — Das lehrt die Zeitgeschichte. — Anastasius Grün denkt über solche Feinde :
Man schreibt auf manchen Stein:
„Er hatte keinen Feind!" — Als Lobspruch ist's gemeint, Doch schließt's gar Schlimmes ein! — Es klänge grad so gut:
Ihm fehlte Herz und Blut,
Er ließ wie Kies sich treten,
Er ließ wie Ton sich kneten,
Sein Aug' war blind dem Eichte,
Sein Mund war stumm dem Wichte!" — — O raubt mir nicht am Grabe Noch meine beste Habe, Die Feinde, deren Zorn Mein Schmuck, mein Stolz, mein Sporn!
Von jenen Worten rein
Laßt meinen Stein! — — —
Auch in der Tapferkeit seines Apostolates ist uns allen Ernst Haeckel ein leuchtendes Vorbild, und wenn er nicht wie Giordano Bruno endet, so ist es nicht der Fortschritt des heutigen Pfaffentums und seines weltlichen Armes, sondern die Scham vor der Minerva, der großen Griechengöttin, die aus dem Haupte Jupiters entsprang und nichts mit dem gemeinen Zeugungsakte zu tun hat, der Kriecher und Zeloten in die Welt setzt!
Möge diese Scham auch in den Kreisen unserer Regierenden und ihrer Helfer und Schranzen endlich stark genug werden, daß wir wieder die Zeit des großen Friedrich in unserm deutschen Vater- lande erleben, die Zeit, wo ein Voltaire Fürstenfreund sein durfte — statt eines Harnack, statt eines Kahl! —
Den Philosophen der Schule, den Philosophen, die ohne genügende Naturkenntnisse und ohne den klaren Verstand eines Arouet uns ihre Hirngespinste als Geistesfrüchte servieren wollen, rufen wir Natur- 9S335l393333333§lS§l33S133§lil§5I95133§51il51339S3351il35351E15!SS93
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gggEjgggggE]EjgigggEigggggBiggggE]ggB]gggggE3E]B]B]E]EjE3E]E;EiG]EjE]EiB]G]E3 forscher zu: „Messieurs, vos idees sont trop nebuleuses!" und gehen zur vernünftigen Tagesordnung des klaren forschenden Verstandes über, der seine Schlüsse ohne alle Sophismen zieht, Schlüsse, die jedermann, der nur voraussetzungslos zu denken gewillt ist, verstehtund sich selber konstruiert, ohne Collegium logicum, das schon Goethe verspottete!
Dem Haß der Schulphilosophen gegen Ernst Haeckel hat bekannt- lich Paulsen Worte gegeben.
Einen besseren Anwalt, als unser Jubilar gegen das Paulsensche Pamphlet in Albrecht Rau gefunden hat, kann es nicht geben.
Er sagt von Haeckel nach der Abfuhr, die er Paulsen beibrachte : „So treffen wir Haeckel überall auf richtigem Wege und immer in den vordersten Reihen ; immer und überall zeigt er sich als Denker und Mann, der unsere volle Hochachtung und Ehrerbietung ver- dient, und der weit über unsere Zeit hinaus wirken wird; ihm, dem absolut Ungläubigen, dem Leugner der Unsterblichkeit im christ- lichen Sinne, wird die Unsterblichkeit im menschlichen Sinne zu- erkannt werden müssen!
Mit Paulsen verhält sich das ganz anders; er ist eine Erschei- nung der Zeit und als solche allerdings typisch. Mag er im Sinne der Politiker unserer Zeit für „liberal" gelten und auch sein, als Philo- soph ist er ein trübseliger Reaktionär, der alles und jedes auf frühere Standpunkte zurückzuschrauben sucht und die lebendige Gegenwart immer zugunsten der toten Vergangenheit zu erwürgen strebt."
Auch hier sehen wir unsern Jubilar, den Paulsen als philosophisch nicht ernst zu nehmen hinzustellen versucht hat, den katheder- gesessenen Staatsphilosophen, der ihm seinen Intellekt neidet, in den Schatten stellen. Wenn einer ernst zu nehmen ist, auch auf dem Gebiete der Philosophie, so kann es nur ein denkender Naturwissen- schaftler sein — und das ist Ernst Haeckel! —
„Philosophie kann man nicht lernen", sagt Kant, demnach müssen echte Philosophen Autodidakten sein! Doch nur Naturforscher haben die Grundlagen, eine Weltanschauung zu erschaffen, die der Wissenschaft gerecht wird, die selbst Wissenschaft ist, nämlich Naturwissenschaft ohne krankhafte Spekulation!
Und ein „gottbegnadeter" Mann in dieser Hinsicht wäre unser Jubilar, Ernst Haeckel, wenn es überhaupt ein Gottesgnadentum gäbe!
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Das Gottesgnadentum aber fiel, und allen voran war es Haeckel, der es zu Fall brachte!
Paulsens pfäffischer Ärger über den Beifall der Menschen zu Haeckels Philosophie erklärt sich aus folgendem durchaus.
Als der Physiologe Adolf Fick 1870 in Würzburg seine Antritts- rede hielt, wies er auf die Charlatanerie der Kathederphilosophie in klaren berechtigten Worten hin im Anschluß an eine Festrede des Rektors Edel, der über die Flucht der Studenten vor den Vorlesungen der Reinkulturphilosophien klagte. Fick, obgleich selbst noch Kan- tianer, sagte: „Die Klage über die Vernachlässigung der philosophi- schen Studien ist auch von anderen Seiten vielfach laut geworden.
Man hat geradezu der studierenden Jugend den Vorwurf gemacht, sie ergebe sich, angesteckt von dem angeblich auf die materiellen Güter ausschließlich gerichteten Sinne der Gegenwart, banausischen Brotstudien, unbekümmert um höhere rein ideale Interessen.
Ich glaube, wir dürfen uns von diesem Vorwurfe freisprechen und die Schuld der Mißachtung, in welche überall, besonders aber in den naturwissenschaftlichen Kreisen die Philosophie gefallen ist, ledig- lich dem Entwicklungsgang beimessen, welchen diese Wissenschaft selbst in Deutschland genommen hat.
Nachdem nämlich gegen Ende des vorigen Jahrhunderts die er- staunlichen Werke Kants aller Augen auf die Phüosophie gerichtet hatten, wandten sich begreiflicherweise auch viele Talente niederer Ordnung zur literarischen Produktion auf diesem Gebiete. Jeder suchte seinen Vorgänger durch Kühnheit und scheinbare Tiefe der Spekulation zu überbieten, bis zuletzt in den zwanziger und dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts die eigentliche Charlatanerie und Windbeutelei in der philosophischen Literatur herr- schend wurde. — Das mußte denn doch allmählich das gebildete Publikum ernüchtern.
Man höre beispielsweise folgende Sätze, worin sich ein seinerzeit im höchsten Ansehen stehender Philosoph über einen Gegenstand ausspricht, der uns demnächst beschäftigen soll:
,Die Sinne und die theoretischen Prozesse sind daher 1. die Sinne der menschlichen Sphäre, der Schwere, der Kohäsion und ihrer Ver- änderung, der Wärme, das Gefühl als solches; 2. die Sinne des Gegen- satzes, der besonderen Luftigkeit, und der gleichfalls realisierten 3333333333333333333333333333333333333333333333333333
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Neutralität des konkreten Wassers und der Gegensätze der Auf- lösung der konkreten Neutralität — Geruch und Geschmack; 3. der Sinn der Idealität ist ebenfalls ein gedoppelter, insofern in ihr als abstrakter Beziehung auf sich die Besonderung, die ihr nicht fehlen kann, in zwei gleichgültige Bestimmungen auseinanderfällt.
a) Der Sinn der Idealität als Manifestation des Äußerlichen für Äußerliches, — des Lichtes überhaupt und näher des in der konkreten Äußerlichkeit bestimmt werdenden Lichtes, der Farbe und
b) der Sinn der Manifestation der Innerlichkeit, die sich als solche in ihrer Äußerung kundgibt — des Tones — , Gesicht und Gehör.'
Wenn derartiger höherer Blödsinn in den philosophischen Hör- sälen vorgetragen wurde, dann findet man begreiflich, daß sie sich allmählich leerten, und daß sich namentlich alle diejenigen daraus zurückzogen, welche durch Beschäftigung mit Naturwissenschaften an ein folgerichtiges Denken gewöhnt sind."
Daß die Worte der philosophischen Dialektik zum Zweck haben, nichts zu sagen, ist bekannt! Ein Repertoir Hegelscher und anderer Worte ohne Begriffe ist das beliebte Mittel der Schulphilosophie, um Gedankenleere zu verdecken. Die Theologie, die ihren Beruf daraus gemacht hat, dem Volke in seiner irdischen Not etwas vor- zulügen, mußte natürlicherweise erst recht mit leeren Worten, be- grifflosen Silbenkomplexen arbeiten! — Sie machte so die Philo- sophie vollends zu ihrer Haus- und Stallmagd. — Neben dieser Ver- wertung der philosophischen Dialektik sollten angehende Theologie- beflissene überall in der Welt Klubs bilden, um sich in der Kunst der Lüge, ohne verlegen oder schamrot zu werden, zu üben ! Solche theo- logische Lügenklubs wären für die junge Brut Gottes der christlichen, jüdischen und mohammedanischen die beste Vorschule.
Die beiden Hochstaplerinnen und Schwestern, Theologie und Schulphilosophie, die seit je von den Eulat-Vakufs leben und in les- bischer Liebe verkehren, sich auch gegenseitig Mägdedienste leisten, um unerkannt zu bleiben und sich wie die Pfaffen und Katheder- philosophen selbst beweihräuchern, um dadurch im Publikum höhere Qualitäten und metaphysische Inspirationen zur Schau zu stellen, obgleich sie dabei wissentlich mimen — fürchten beide für ihre Pfrün- den an Kirchen- und Kathedergut! — Dann schreiben sie Streit- schriften und nennen sich Ecclesia oder Philosophia militans ! — Sie EjBjgEjggggggEjgggggggggggggggggggggE]E]E]E]E]B]EiE]E]EiBiE]B]B]E]E]E]EiB]Ei
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glauben zu diesen Zeiten, auf den letzten Löchern zu pfeifen, und wissen dann gar nicht mehr, daß sie in der Ignoranz und Indolenz der Masse eine unerschöpfliche Anhängerschaft besitzen!
In solchen vermeintlichen Nöten sehen wir die beiden Sorores sich aufs engste verbinden mit ihren Brüdern, Staat, Junkertum und Großmammon. — Diese Familie hat stets unserer Erde Menschen- affen beherrscht und sie dann im sogenannten sozialen Staatsbetriebe geknechtet, knechtet sie noch und wird sie ewig weiter so knechten !
Die Macht einer solchen Familie ist unüberwindlich, da sie den Generaltrick kennt, mit dem das Volk geleitet wird: die Verbreitung des Aberglaubens durch mystisch-metaphysisch-poetisch-erotische Lügen, die man Inspirationen heiliger Geister nennt, ein Vogelleim, der noch stets alle Gimpel ohne Flügel gefesselt hat! — Philosophen und Pfaffen, die sich Priester dieser säubern Schwestern nennen und vikariierend füreinander einzutreten stets bereit sind, weil ihre Herr- schaft ein Kondominium ist, das sich seiner innern Kraft meist durch- aus bewußt bleibt und nur zeitweilig ängstlich um seine Pfründen zittert, nämlich dann, wenn einmal über den Moder der Erde etwas Morgenluft weht.
Die neuere Geschichte der Menschheit hat im Arianismus, im Nestorianismus, im Lutheranismus, im Enzyklopädismus, im Darwi- nismus und Haeckelismus solche Morgenluftströmungen erlebt. Aber alle wissenschaftliche Nahrung solcher Art ist Kaviar fürs Volk ge- blieben, und was heute noch vom Lutheranismus übrig ist, sucht Preußen unter Führung seines Königs zu „zerschmettern", und dazu mußte das Kahlsche Inquisitionsgericht errichtet werden.
Kassandras Ruf klingt mir immerfort in den Ohren aus dem Getue, das sich Kultur zu nennen beliebt, während es doch nur der technische Fortschritt ist, der in einem Lügengespinst drapiert auf unserer Weltbühne mimt, die Luft zwar durchfliegt, aber dadurch der Wahr- heit nicht dient, die sich allein der Naturwissenschaft offenbart und von sogenannten „Geisteswissenschaften" nichts wissen will! — Doch der Opportunismus der Kadis, im Bunde mit dem Pfaffentum und der Kathederphilosophie, hat noch stets durch die Praxis der Politik, mittels der Kantischen „praktischen" Vernunft die „reine" ermorden lassen! Dabei wird es bleiben! Auf immerdar siegt the struggle
for life — der Brotkorb — der Staat!
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Praktische Vernunft aber ist der Theismus fürs Volk, der Konfessionalismus, die Volksschule für die Verdummung, die staat- liche Hochschule, um den freien Gedanken zu ersticken, der Tempel- bau für die hungernde Menge, die Zwangserziehung zum Gottes- glauben, die Bestrafung des Kirchenaustritts, der rauchlose Scheiter- haufe für den modernen Ketzer, die elektrische Hinrichtung der zitternden Freiheit und der lebendigen Wahrheit der Wissenschaften der Natur und der Materie, dieses unpoetischen und ungeschminkten Naturburschen, der ohne Furcht vor Hölle und Teufel und ohne Hoffnung auf eine Auferstehung zu sterben weiß. — Es ist der Mord des so verpönten Materialismus — den wir im Monistentalar dem Volke vorstellen, obgleich es von seinem kirchlichen Aberglauben nicht läßt, nicht lassen kann, sich an ihn hängt mit klammernden Organen !
Nur dort, wo der Verstand nüchtern genug ist, alle Gemütsbe- dürfnisse, die mit uns geboren sind und uns anerzogen wurden, aus- zuschalten aus seinem Urteil, wie bei den reinen Monisten, die nur auf naturwissenschaftlicher Grundlage stehen, ist ein Leben mit zu- friedenem, das ist ergebenem Grundton möglich.
Fehlt dem Menschen dieser durchaus nüchterne Verstand, dann ist es nichts mit seinem Monismus, der durchaus materialistisch sein muß. Bei ihm kommt der monistische Mystizismus zu seiner dämmer- haften Entfaltung, der in der Tat mehr Aussicht auf traumschwangere Anhänger hat als der naturwissenschaftliche, reine, naturalistische Urmonismus, der Hylozoismus der ionischen Philosophen.
Sokrates und Christus gingen beide willig in den Tod, wenn diese Annahme bei Christus wenigstens kein Treppenwitz der Weltgeschichte wäre. — Aber wie unendlich viel höher steht die Sage des Sokrates über der Christi! — Sokrates verzichtet nicht auf seine Lehre, was ihn vom Tode hätte erretten können, und, verurteilt, verschmäht er die Flucht aus dem Kerker, und zwar ohne Hoffnung auf einen himm- lischen Vater, aus Respekt vor den bürgerlichen Gesetzen! Sokrates war ein Musterbürger!
Der Christus der Sage aber glaubt sich ein übermenschliches Wesen, Sohn eines Höheren, Gesandten des Himmels, verpflichtet, auch den Trumpf des Todes für die Erlösung der Menschen auf sein Leben zu setzen, aber auf ein Wunder rechnend, ruft er erst am Kreuze, als
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kein Wunder für ihn geschah: „Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!!"
Wie aus Obigem ersichtlich, hat der genannte Physiologe Adolf Fick, wie damals allgemein geschah, sehr für die Kantische Philo- sophie geschwärmt und sogar versucht, ihr neue Stützen zu schaffen. Er glaubt, für Kants Erkenntnis a priori eine Lanze brechen zu müssen, und begründet das mit dem Worte des Cartesius „Cogito ergo sum", der, wie er sagt, zuerst das Bewußtsein des denkenden Subjekts zum Ausgangspunkt der Philosophie gemacht habe.
Nun ist aber dieses Cartesianische Wort, wie alle schulphilosophi- schen Wendungen tutti quanti es sind, eine leere Phrase ohne ver- nünftigen Sinn. — Schon oft ist auf die Unbrauchbarkeit dieses ge- schickterweise verstümmelten Syllogismus für den Beweis einer ge- sunden Seelentätigkeit hingewiesen worden. Wäre er mit seiner Prämisse ans Lampenlicht getreten, so hätte jedermann gleich die nichtssagende Tautologie erkannt. Die Dialektik der faselnden Alten, der Frau Schulphilosophei, hat öfter solcherlei Erfolge!
Der Syllogismus des Cartesius müßte vollständig lauten:
Obersatz: Quodquod oder quidquid cogitat, est!
Untersatz : Cogito !
Schluß: Ergo sum!
Es ist klar, daß jedes andere Verbum für „Cogito" gesetzt werden kann! Ich werde ohnmächtig, torpeo ergo sum, ist geradeso richtig.
Der Obersatz ist ja schon ein fertiges Urteil, und der Schlußsatz enthält wieder das selbstverständliche Urteil des Obersatzes, daß ein denkendes Ding — man staune — ein Ding sei! — Sprachlich ist das aber einfach eine gewöhnliche Tautologie und eine wiederholte Selbstverständlichkeit, eine glatte Wiederholung des Obersatzes selbst. Und das soll Kant stützen?
Nun kommt dazu, daß jeder Syllogismus überhaupt ein Zirkel- schluß ohne Wert ist, selbst dann, wenn es weniger naheliegt als hier.
Der Cartesiussche Syllogismus ist eben eine petitio principii, ein leerer Wortschwall, eine vergeblich versuchte Erschleichung des Be- weisgrundes!
Wir können als Naturforscher nicht auf solchen lächerlichen Pfa- den wandern und müssen uns an strenge Untersuchungen halten, glauben aber, daß es der Wahrheit dienlich wäre, wenn nur natur-
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gggggggG]gggB]ggggggggggggggggE]@]E]ggG]EiE]E]E]E]E3gE]E]E]G]gE]BiGiG]B]E3 wissenschaftlich streng motivierte Schlüsse von Naturforschern in die allgemeine Naturlehre, das ist die moderne Naturphilosophie, übergingen.
Ernst Haeckel ist eben befähigt, naturwissenschaftlich zu denken und so auch naturwissenschaftlich motivierte Schlüsse zu ziehen, kurz, naturphilosophisch zu denken.
Ernst Haeckels naturphilosophische Werke, die die Welt erobert haben, haben wissenschaftlich mit allem Aberglauben restlos auf- geräumt. Die intellektuelle Welt denkt schon monistisch. Leider hapert es in der Praxis! Diese ist fürs Volk dualistisch und wird's aus Opportunitätsgründen wohl auch bleiben müssen!
Der Vater des aufgeklärten Monismus, unser Jubilar, sieht aber heute durch seine Lebensarbeit die Intellektuellen der ganzen Welt unter seiner Fahne versammelt.
Ernst Haeckel sieht als Achtzigjähriger noch den Triumph seiner Lehre, und wir alle, seine Schüler und Adepten, huldigen ihm, dem unerschrockenen, als dem unermüdlichen Kämpfer für das
Wahre, Schöne, Gute!
Ernst Haeckel ist der Prototyp des Darwinschen Tiermenschen, des geläuterten Nietzscheschen Übermenschen, meines Homo irreli- giosus verax! Für die große Masse bleibt der religiöse Aberglaube des Staates! —
Der Lüge kecke Zuversicht reißt hin.
Das Wunderbare findet Gunst und Glaube!
Als fester Pol in der Erscheinungen Flucht bleibt unzweifelbar, daß eine neue Weltanschauung sich nur auf den Empirismus der Naturwissenschaften aufbauen darf, wenn sie Berechtigung und Be- stand haben soll. — Das tat Ernst Haeckel, und diese Naturphilo- sophie ist sein Monismus!
Versuche zur Vermittlung zwischen den Forderungen der „reinen", naturwissenschaftlichen Vernunft und der „praktischen" schulphilo- sophisch-theologischen Vernunft, die man aus Staatsraison hegt und pflegt, sind vielfach gemacht worden. Aber alles muß erfrieren vor dem unerbittlichen kalten Verstände, der von einem künstlichen Kompromiß zwischen Naturwissenschaft und Volksglauben nichts wissen will.
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Weg mit allem idealistisch-romantischen Mythus in der Erklä- rung unseres Kosmos! — Rein mechanisch, und es sei hervorgehoben, rein materialistisch muß der Monismus sein. Alle Versuche, den Mate- rialismus durch das Epitheton „roh" zu diskreditieren, sind ebenso töricht, als es töricht war, sich gegen die Abstammung des Menschen vom Affen aufzulehnen! Beide Tatsachen bleiben, so wenig roman- tisch sie sein mögen:
wir sind die höchstentwickelten Affentiere,
wir sind nichts als eine Gruppierung der Materie.
Fechners Versuche, Geist und Herz in den Weltanschauungsfragen auszusöhnen, müssen wir, so hoch wir Fechner schätzen, als natur- wissenschaftliche Monisten ablehnen. Was Fechner wollte, sagt P. J. Möbius: „Vermitteln zwischen den Bedürfnissen des Geistes und denen des Herzens." Er fügt hinzu: „Und sein Weg ist der ein- zige, der gangbar ist." Fügen wir jedoch hinzu: „Dies gilt für alle Angstmeier, Zweifler und Philister, die allerdings auch unter den Gelehrten die Mehrheit ausmachen!" Möbius aber ruft selbst aus: „Aber die Gläubigen wandten sich ab, denn sie brauchten den Geist nicht, und die Wissenwollenden wandten sich ab, denn sie brauchten kein Herz!"
Die Parole lautet: „Entweder Philosophie oder Romantik."
Damit ist scharf unterschieden zwischen den Land- und See- tieren unter den denkenden Menschen; beide bewohnen verschiedene Atmungsmedien, und beide können nur in den ihnen adäquaten Medien leben! — Die Philosophen aber, welche als Amphibien in beiden sich aufhalten, bleiben von der Entwicklung zum Vernunfts- ideal ausgeschlossen; dieses Vernunftsideal ist aber der reine, natur- wissenschaftlich-mechanistische Monismus.
Wir lehnen es ab, mit Paulsen die physikalische Weltanschauung als eine einseitige Betrachtung anzusehen und uns der Paulsenschen allgemeinen philosophischen Weltanschauung ein- und unterzuordnen, wie er in seiner Philosophia militans naiv uns dazu auffordert.
Wissens- und Glaubensbedürfnisse zugleich sättigende Welt- anschauungen gibt es nicht und wird es nie geben! Wir müssen alle solcherlei Vermittlungen ausdrücklichst ablehnen und uns be- kennen zu Ernst Haeckels naturwissenschaftlichem Mo- nismus. ggggggggig^ggG]ggggggggggggG]gggB]E]B]EjB]E]E]E]E]EiB]B]E]E]E]E]E]E]E]EjE]E]E]
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Darf der Monismus der Naturforscher und Ärzte, der er heute ist, hoffen, gegen die Metaphysiker aufzukommen?
Naturforscher und Ärzte werden von den Metaphysikern auf den Kathedern unserer deutschen Hochschulen bekanntlich sehr von oben herab angesehen und demgemäß behandelt. — Eine unermeßliche Eitelkeit und Überhebung hat die Herren Metaphysiker dazu ver- leitet. — Ganz haben diese aber übersehen, daß eine Philosophie heute nur Sinn haben kann, wenn sie von der Naturwissenschaft ausgeht. — Und doch hat Schopenhauer sich selbst einen „Montblanc gegen einen Maulwurfshaufen" genannt, wenn er sich mit einem Natur- forscher vergleicht! — Helmholtz sagt zu dieser „propria laus": „Die Schüler bewundern das große Wort und suchen dem Meister nachzuahmen."
Schopenhauers Metaphysik selbst charakterisiert Helmholtz in seiner Kritik des Zöllnerschen Buchs über die Kometen, wie folgt: „Die Gestirne sollen sich einander lieben oder hassen, Lust oder Un- lust empfinden und sich so zu bewegen streben, wie es diesem Emp- finden entspricht ! Ja, in verschwommener Nachahmung des Gesetzes der kleinsten Wirkung wird der Schopenhauersche Pessimismus, wel- cher diese Welt zwar für die beste unter den möglichen Welten, aber für schlechter als gar keine erklärt, zu einem angeblich allgemein gültigen Prinzip von der kleinsten Summe der Unlust formuliert, und dieses als oberstes Gesetz der Welt, der lebenden wie der leblosen, proklamiert ..."
„Ich glaube," fährt Helmholtz fort, „daß der Philosophie nur wieder aufzuhelfen ist, wenn sie sich mit Ernst und Eifer der Unter- suchung der Erkenntnisprozesse und der wissenschaftlichen Methoden zuwendet. Da hat sie eine wirkliche und berechtigte Aufgabe. Meta- physische Hypothesen auszubauen ist eitel Spiegelfechterei! — Zu jener kritischen Untersuchung gehört aber vor allem genaue Kenntnis der Vorgänge bei den Sinneswahrnehmungen. —
Die Philosophie ist unverkennbar deshalb ins Stocken geraten, weil sie ausschließlich in der Hand philologisch und theologisch ge- bildeter Männer geblieben ist und von der kräftigen Entwicklung der Naturwissenschaften noch kein neues Leben in sich aufgenommen hat. Sie ist deshalb fast ganz beschränkt worden auf Geschichte der Philosophie.
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Ich glaube," schließt Helmholtz, „daß die deutsche Universität, welche zuerst das Wagnis unternähme, einen der Philosophie zu- gewendeten Naturforscher zum Philosophen zu berufen, sich ein dauerndes Verdienst um die deutsche Wissenschaft erwerben könnte.'*
Ich teile diese Ansicht Helmholtz', bin aber überzeugt, daß diese echten „Philosophen", echte Naturforscher bleiben müssen, Philo- sophen, die täglich aus dem naturwissenschaftlichen Laboratorium auf ihren philosophischen Lehrstuhl steigen!
Bis dahin muß die naturforschende Wissenschaft ihre Naturphilo- sophie auch ohne solche Lehrkanzeln für Philosophie vertreiben, wie es in so meisterhafter Weise geschehen ist durch unsern Jubilar
ERNST HAECKEL!
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KARL O. LEEGE, JENA: HAECKEL- VORLESUNG
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Als die Nachricht durch die Zeitungen ging, daß Professor Ernst . Haeckel mit dem Schluß des Wintersemesters 1908/09 seine akademische Lehrtätigkeit in Jena einstellen werde, haben sich die Gedanken Tausender nach der weitberühmten thüringischen Hoch- schule gewandt. Nicht nur in Deutschland dachte man des großen Gelehrten, der nun nach über achtundvierzigj ähriger öffentlicher, wissenschaftlicher Tätigkeit sein Lehramt kurz nach Vollendung seines fünfundsiebzigsten Lebensjahres einem anderen übertragen will, sondern in der gesamten Kulturwelt; denn Haeckels Gemeinde ist international. Tausende gedachten des Philosophen Haeckel, Hunderte des Zoologen, der sie in die Wunder der Tierwelt einführte, und gar manchem, der die Absicht hegte, noch unter seiner Leitung zu arbeiten, wird die schmerzliche Gewißheit geworden sein, daß es nun zu spät sei. Man mag über die Lehre Haeckels denken wie man will, man wird immer die gewaltige Tatkraft dieses Mannes bewundern müssen, der es als erster wagte, jahrhundertelang gehegten Irrtümern und Verstellungen energisch entgegenzutreten. Die Bewunderung für die Persönlichkeit Haeckels hat schon manchen in das Auditorium des zoologischen Instituts zu Jena gelockt, den „Weisen von Jena" von Angesicht zu Angesicht zu sehen und auf eine Kollegstunde seinen Worten zu lauschen — vielleicht auch die Neugier. Und jeder, der in Jena studierte, entsinnt sich, daß oftmals Leute in Haeckels Hör- saal erschienen, die nicht zu seiner Studentenschar gehörten, die über- haupt dem ganzen akademischen Leben offenbar fern standen. Viel- leicht auf der Durchreise, waren sie in Haeckels Auditorium ge- schlüpft, um später sagen zu können, daß auch sie einmal einer Haeckelvorlesung beigewohnt hätten. Das alles kommt auch bei anderen Hochschullehrern vor — bei Haeckel aber besonders häufig. Und wer den Hochschullehrer Haeckel in seinem Reiche kennen ge- lernt hat, dem werden die empfangenen Eindrücke nicht so bald entschwinden.
Das zoologische Institut zu Jena ist kein sonderlich imposantes Gebäude, besonders jetzt tritt es zurück, seit der schöne Bau des phyletischen Museums dicht davor erstanden ist; aber es kommt ja
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auf den Geist an, der in wissenschaftlichen Instituten waltet, und in dieser Hinsicht kann das Jenenser Institut wahrlich zufrieden sein. Fast jeden, der zum ersten Mal in dieses gelbe Backsteingebäude ein- tritt, überkommt ein gewisses Gefühl der Ehrfurcht. Dies also sind die Räume, in denen jene großen freien Gedanken entwickelt wurden, die Tausende und Abertausende aus Zweifeln schlimmster Art be- freiten, dies sind die Räume, in denen jene Prachtwerke aus dem Gebiete der Zoologie entstanden, die Haeckels Namen für alle Zeiten in die Annalen der zoologischen Wissenschaft eingegraben haben, und denen, was die Vereinigung exakter Beobachtung und künstle- rischer Wiedergabe des Gesehenen anbetrifft, kaum etwas zur Seite gestellt werden kann.
Wir treten ins Auditorium. Wohin wir auch blicken, jedes Fleck- chen der Wände ist zum Aufhängen von zoologischen Tafeln aus- genutzt, die die verschiedenartigsten Wesen darstellen und zumeist von Haeckel selbst gemalt worden sind. Dort hängen auch die großen Entwürfe vom mutmaßlichen Stammbaum der Tiere. Neben dem Katheder sind auf einem Tische eine Anzahl von Präparaten auf- gestellt, meist sorgfältig in Gläsern mit Alkoholfüllung eingeschlossen. Auch neben dem Rednerpult stehen einige, und fast auf allen Etiketten ist der Name Haeckels zu lesen, wie denn überhaupt der größte Teil der Schätze des zoologischen Museums von ihm selbst auf seinen großen Reisen gesammelt worden ist.
Allmählich füllt sich der Hörsaal. Einige überfliegen noch einmal kurz die Stichworte der vorigen Vorlesung; andere betrachten die aufgestellten Präparate; wieder andere sprechen miteinander. Doch plötzlich wird es ruhiger; schnell schlüpft jeder auf seinen Platz. Draußen werden kurze Schritte vernehmbar; eilig kommt jemand die zu dem Auditorium führende Treppe herab; dann wird die Tür geöffnet und der Altmeister tritt herein. Ein leises Kopfnicken schon an der Tür ist der Gruß an die Studenten, die den berühmten Lehrer durch donnerndes Trampeln willkommenheißen. Er besteigt das Katheder, einen Augenblick überfliegen seine Augen die Reihen der Hörer, dann beginnt er seinen Vortrag.
Nichts an ihm verrät sein hohes Alter. Seine Bewegungen sind frei und elastisch. Ungebeugt ist die hohe Gestalt, und das schöne, durchgeistigte, von schneeweißem Haar umrahmte Antlitz so rosig, gggggggggggggE]gggggE]gggggggE]gE]E]E]E]3]B]G]E]E]E]E]E]E]5iE]E]E]E]B]E]gEiE]
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daß man unwillkürlich all jene kleinen Fältchen übersieht, die die Zeit gleich einem feinen Netzwerk darüber hingespannt hat.
Haeckel spricht fließend; fast nie ist er genötigt, nach einem Aus- druck zu suchen. Niemals bringt er ein Stichwortheft oder auch nur einen Zettel mit der Disposition des Vorzutragenden in den Hörsaal. Er spricht immer frei. Man hat auch nicht den Eindruck, als ob er sich besonders vorbereitet habe. Es scheint vielmehr, als ob das Vor- getragene aus einem unerschöpflichen Quell hervorsprudele, als ob das alles erlebt sei und gleichsam von einem unsichtbaren Manuskript, das sich während des Sprechens aus dem gewaltigen Schatz an Kennt- nissen bildet, abgelesen werde. Und darin, daß Haeckel stets impro- visiert und ihm als souveränem Beherrscher seiner Wissenschaft stets eine gewaltige Fülle von Gedanken und Anknüpfungspunkten zufließt, liegt auch der Grund, daß es oft schwer ist, seinen Ausführungen zu folgen. Der Anfänger wird geneigt sein, von schlechtem Vortrage zu sprechen. Der Fortgeschrittene hingegen wird geradezu dankbar anerkennen, daß Haeckel ihn — bewußt oder unbewußt — auf all die kleinen Fensterchen aufmerksam macht, die vom zoologischen Fach- gebiet anregende Ausblicke auf die verschiedensten Disziplinen ge- währen, ihn lehrt, die Zoologie als eine von vielen Wissenschaften aufzufassen, als Teil eines höheren Ganzen.
Reichen zur Darlegung komplizierter Verhältnisse Worte nicht mehr aus, so werden mit farbigen Kreiden flüchtige Zeichnungen an der Tafel entworfen. Immer nur wenige Striche, aber man hat meist das Gefühl, als ob mit diesen groben Linien gerade das getroffen wor- den sei, worauf es ankam, und in einer Weise, die unter Voraussetzung der benutzten Mittel nicht übertroffen werden kann. Es ist geradezu erstaunlich, welche Meisterschaft Haeckel beim Entwerfen seiner Tafelzeichnungen entfaltet. Selbst hier offenbart sich die Künstler- schaft dieses Mannes. Einerseits ist er der wissenschaftliche Analy- tiker, der dem Einzelnen bis auf den Grund nachgeht; andererseits der künstlerische Synthetiker, der sofort weiß, wie er am besten das, was er eben zerlegt, wieder harmonisch zusammenfügt und zeich- nerisch darstellt. Jede Linie ist auf den ersten Wurf richtig; ich habe nie gesehen, daß es notwendig gewesen wäre, eine einmal hingeworfene Linie wieder fortzu wischen. Und so sonderbar es auch scheinen mag, ich habe oft beim Betrachten dieser rohen Tafelskizzen die Empfin-
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düng gehabt, daß es eben dieselbe Hand ist, die hier die eiligen Kreide- zeichnungen entwirft, dort die großen farbigen Wandtafeln zeichnete und dort die wunderbaren „Kunstformen der Natur" schuf. Man begreift es, daß dieser Mann einmal, begeistert von der Schönheit der Natur und der eigenen Fähigkeit, sie wiederzugeben, bei einem For- schungsaufenthalt auf Sizilien im Anfang der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, eine Zeitlang schwankt, ob er nicht um- satteln und Landschaftsmaler werden solle : Haeckel ist nicht nur ein großer Gelehrter, er ist auch ein großer Künstler. Das muß selbst derjenige schon ahnen, der auch nur eine Stunde seinem Vortrage aufmerksam gefolgt ist.
Aber man lernt in einer Haeckelvorlesung nicht bloß den Gelehrten und Künstler, sondern vor allem auch den Menschen Ernst Haeckel kennen. Das ist von der größten Bedeutung. Denn nun kann man sich über gewisse Fragen ein selbständiges Urteil bilden, ist nicht mehr auf fremde Charakteristiken angewiesen. Wer ihn so vor sich sieht, muß sich wundern, wie doch dieser Mann gar keine Selbstherrlichkeit zeigt, wie er so ruhig und sachlich aus seiner Wissenschaft vorträgt, ohne Dogmatismus, ohne sarkastische Seitenhiebe auf seine Gegner, selbst wenn er gelegentlich auf deren abweichende Anschauungen zu sprechen kommt. Ich habe ihn niemals polemisch werden sehen. Hier wird es so recht eigentlich klar, wie hoch Haeckel über all jenen häßlichen Angriffen erhaben ist, die sein Lebenswerk vernichten oder verdunkeln wollen. Ein Mann, der mit so freiem Auge in die Welt schaut, mag geirrt, mag manchen Fehler begangen haben, aber wissent- lich entstellt hat er nie.
Wenn die Vorlesung beendet ist, und Haeckel den Hörsaal verläßt, nachdem er durch eine leise Verbeugung für das donnernde Beifalls- trampeln seiner Studenten gedankt hat, dann hat man die Überzeu- gung, daß er nicht nur ein großer Gelehrter, ein großer Künstler ist, sondern, was vielleicht das Höchste darstellt, eine große harmonische Persönlichkeit, der es von Anfang an ernst war mit ihrem Ringen nach dem Ideal des Wahren, Guten und Schönen.
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ALFRED GREIL, INNSBRUCK : HAECKELS FÜHRUNG
IM NATURERKENNEN
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Was den Naturforscher und Mediziner beim Studium der Werke Haeckels fesselt, begeistert und belehrt, ist vor allem das tiefe kausalanalytische Streben, die auf die Ermittlung der Entstehungs- bedingungen, der „ursächlichen Zusammenhänge", auf die „kausale Begründung der Morphogenie" gerichtete Betrachtungsweise, welche vor allem in der Generellen Morphologie (1866), in der von Haeckel begründeten „mechanischen Wissenschaft" von den entwickelten Formen der Organismen in großzügiger und vorbildlicher Weise zum Ausdruck gelangt. Wie Darwin auf Haeckel einwirkte und den jungen, wissenschaftlich gebildeten Zoologen schon beim ersten Bekannt- werden seiner Lehre (1860) zu seinem begeisterten Anhänger machte, der auf der Stettiner Naturforscherversammlung (1863) freimütig und unentwegt, gegen den Widerspruch einer erdrückenden Majorität mit der Sicherheit tiefster Überzeugung Darwins Lehre vertrat — so wirkt Haeckel, dessen Lebensarbeit der wissenschaftlichen Durch- führung der Abstammungslehre gewidmet ist, dessen Riesenarbeit darauf gerichtet war, den Entwicklungsgedanken in allen seinen so weittragenden Konsequenzen voll zu erfassen, und die wichtigsten, getreuesten und verläßlichsten Dokumente der Abstammung, die keimesgeschichtlichen Überlieferungen zu heben und zu enträtseln und die Phänomene „der Anpassung und Vererbung" zu erklären — auf uns ein. Haeckel war der erste, der das „kausale Fundament der organischen Morphologie", die Ermittlung der Bedingungen des Ge- schehens, die ursächliche Erforschung der „Wirkungsweisen", wie er sich so treffend ausdrückte, als das erste Postulat wissenschaftlicher Forschung hinstellte, der klar erkannte, daß die bloße Anatomie ohne die Entwicklungsgeschichte „keiner wissenschaftlichen Behandlung fähig ist". Er hat als erster die Worte Karl Ernst von Baers voll erfaßt und bestätigt : „Die Entwicklungsgeschichte ist der wahre Lichtträger bei der Untersuchung organischer Formen; bei jedem Schritte findet sie ihre Anwendung, und alle Vorstellungen, welche wir von den gegenseitigen Verhältnissen der organischen Körper haben, werden den Einfluß unserer Kenntnis der Entwicklungsgeschichte erfahren."
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Keiner vor und niemand nach Haeckel hat den Entwicklungs- gedanken so genial und großzügig, so zielbewußt und klar zum Aus- drucke gebracht und verfolgt, auch nicht sein engerer Zeitgenosse Fritz Müller-Desterro, dessen Schrift „Für Darwin" (1863) der großen Publikation Haeckels zeitlich unmittelbar voranging. F. Müller ver- hielt sich in dieser Hinsicht zu Haeckel wie Wallace zu Darwin, doch gebührt Haeckel unter allen Umständen die Priorität in der groß- zügigen Erfassung und Durcharbeitung des Gesamtproblems, wobei Haeckel schon von Anfang an darauf bedacht war, das gewaltige Problem der Menschwerdung, der Stellung des Menschen in der Organismenwelt in seiner vollen Bedeutung aufzurollen. Die Lehre vom „Parallelismus zwischen der individuellen Metamorphose und der Metamorphose des Tierreiches" hatten schon Meckel und K. E. v. Baer (1821 bzw. 1828), also drei Dezennien vor der Begründung der Zellen- lehre durch Schwann, aufgestellt — die Lupe und die Schere waren ihre wichtigsten Forschungsinstrumente. Es konnte ihnen schon bei schwächeren Vergrößerungen der Keimscheiben und Embryonen nicht entgehen, daß „der Embryo der höheren Tiere die verschiedenen Stufen in derselben Ordnung durchläuft, als sie in der Tierreihe auf- wärtssteigen, so daß seine früheren Formen den niedrigeren, die späteren den höheren der unter seiner Art stehenden Organismen entsprechen" (Meckel). Die Entwicklungsvorgänge aber, welche diese Veränderungen herbeiführen , mußten allen , welche sich vor Schwann mit embryologischen Studien befaßten, verborgen bleiben, und auch der geniale K. F. Wolff konnte bei der Zurückweisung der aus solcher Unkenntnis erwachsenen Spekulationen über ein evolutionistisches Entwicklungsgeschehen nur in allgemeiner Fassung seine berühmte Theorie der Epigenesis aufstellen. — Die unerschöpfliche Fülle von deskriptiven Problemen, welche die Schwannsche Zellenlehre, die Be- gründung der mikroskopischen Anatomie mit einem Schlage eröffnete, lenkte sodann das Interesse von den großen und allgemeinen Fragen der Entwicklungslehre etwas ab, während auf ganz andern Wegen Darwin durch die Deszendenzlehre die alte Typenlehre zu Falle brachte und das neue großartige Problem der Abstammungslehre entrollte. — Dies war die allgemeine Lage, als Haeckel die Erkenntnisse, welche die Zellenlehre und die mikroskopische Technik erschloß, in den Dienst der Abstammungslehre stellte. — Nachdem das Dioskuren-
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paar Gegenbaur und Haeckel auf der hohen Schule zu Jena als ge- meinsame Frucht ihres Ideenaustausches die grundlegende Erkennt- nis vom zellulären Charakter der Eier der Wirbeltiere — und mögen sie auch noch so sehr mit Dotter beladen sein — gewonnen hatte, konnte Haeckel daran gehen, in zielbewußter Fragestellung und Durchführung die keimesgeschichtlichen Beweise der Deszendenz- theorie zu sammeln und zu sichten. Naturgemäß mußte dieses Prinzip zuerst an den jungen, primitiven, grundlegenden Entwicklungsformen aufgedeckt und bewiesen werden. Es war Haeckel von vornherein klar, daß die freilebenden Vertreter der jüngsten Entwicklungs- formen aller höheren Wirbellosen und der Wirbeltiere niedrige Meeres- tiere sein müssen. Auf weiten Reisen nach Süd und Nord, nach West und Ost verstand es Haeckel, sich mühsam das Untersuchungs- material zusammenzuraffen, welches ihm die Grundlage für seine be- rühmte Gasträatheorie (1872 — 1884) bot. Kaum hatte Kowalewsky die Entwicklung des Amphioxus entdeckt, als Haeckel in dessen Befunden den langgesuchten Gasträadenzustand des Vermittlers zwischen den Wirbellosen und den Wirbeltieren erkannte und den Becherkeim der Embryonalentwicklung des Amphioxus als ein letztes Idealbild einer Gastrula den Untersuchungen über den korrespon- dierenden Entwicklungszustand der Wirbeltiere voranstellte, bei denen durch den Dottererwerb und andere äußere Umstände dieser Formentypus nur in seinen wichtigsten Zügen unverkennbar wieder- holt, in nebensächlichem, an Masse allerdings überwiegendem Belange in Anpassung an jene eine weitergehende fortschrittliche Entwicklung ermöglichenden Begleitumstände progressiv abgeändert erscheint. Was Haeckel damals nur in großen Strichen angedeutet, können wir heute in aller Exaktheit begründen. Wir kennen heutzutage den Gastrulazustand der Keimlinge des Menschen, welcher in allen seinen, auch in den nebensächlicheren Details eine völlige Übereinstimmung mit jenem der Affenkeime aufweist und in seinen Hauptzügen den Gastrulaformen niederer Wirbeltiere und des Amphioxus in kardi- naler Weise gleicht, diese Erwerbungen sogar viel getreuer und mar- kanter, als die Keime der Vertreter mancher Wirbeltierklasse wieder- holt und wiederholen muß, denn nur dieser Entwicklungsweg, nur diese Art von grundlegenden Formenerwerbungen und -Veränderungen, nur diese Art des Ringens zwischen langsamer und rascher wachsenden
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Großtat von unabsehbarer Tragweite, welche der Eingeweihte vielleicht höher schätzen mag als die genialen Darlegungen über die großen Züge der Entwicklungsreihen der höheren und niederen Formen, welche ein so umfassendes Arbeitsprogramm erschlossen. Denn die Erkennt- nis der Epigenesis ist das allgemeine Resume, die Frucht des Ver- gleiches der Umbildungen in der Keimes- und Stammesentwicklung, im Embryonal- und im Freileben und bildet ein ganz fundamentales und durchdringendes Prinzip, welches bei jeder Untersuchung die wichtigste Vorfrage bildet, von deren Lösung und Beurteilung, die ganze Behandlung des Problems und die daraus sich ergebenden Konsequenzen der Auffassung in ihrer ganzen Tragweite abhängig sind. Erst durch diese Erkenntnis, daß sowohl in der Stammes- wie in der Keimesentwicklung in zellenstaatlichem Bauen und Ver- ändern, in zellenstaatlichem Anpassen sowohl im Ganzen wie in den einzelnen miteinander ringenden und einander beeinflussenden, sich sondernden Teilen vollkommen neue, spezifisch zellenstaatliche Mannigfaltigkeit entsteht, die in der Keimzelle als solche in keiner Weise vorgebildet sein kann, erhält die Embryologie ihre wissen- schaftliche Begründung. Damit wird zugleich das biogenetische Grundgesetz — wenn wir vom Beginne des Ei Wachstums ausgehen — in fundamentalem Belange bestätigt. In diesem Prinzip der An- passung an innere und äußere Verhältnisse , bei welcher , wie Haeckel so lapidar und treffend aussprach, „aus Gleichartigem das Ungleich- artige" entsteht, ergibt sich also vorerst die allgemeine grundlegende Bestätigung des biogenetischen Grundgesetzes — worauf der größte Wert zu legen ist — , denn die Wiederholung stammesgeschichtlicher Erwerbungen in der Keimesentwicklung ist in der allgemeinen Wir- kungsweise zellulären Schaffens gleichfalls ein vorwiegend epigene- tischer Vorgang und Erwerb. Die Bedeutung dieser Erkenntnis ist auch daraus zu ersehen, daß alle Angriffe auf das biogenetische Grundgesetz — soweit sie von wissenschaftlicher Seite erfolgt sind — von Forschern ausgingen, welche dieser Erkenntnis der epigenetischen Neuerwer- bungen und Neuschaffungen während der Keimesentwicklung nicht teilhaftig geworden und in das Wesen der Epigenesis nicht tief genug eingedrungen sind. Denn Haeckels Lehre und deren Konsequenzen können nur Epigenetiker voll erfassen, verstehen und vertreten. Das kausale Moment des biogenetischen Grundgesetzes, der onto-
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Zellen und Zellverbänden führt zu solchen Höhen. Da Haeckel stets den Menschen als Endziel der Forschung, als das „eigentliche Stu- dium der Menschheit" vor sich hatte, und der zeitraubenden und mit äußeren Schwierigkeiten aller Art verbundenen, von einem Einzelnen auch heutzutage infolge der erschwerenden äußeren Umstände nicht annähernd zu bewältigenden Arbeit der Sammlung des Untersuchungs- materiales, der geschlossenen Untersuchung des Entwicklungsganges des Menschen und der Wirbeltiere sich nicht unterziehen konnte, so überbrückte er mit Ungeduld, aber in genialer Konzeption, stets in den großen Zügen das Richtige treffend, die Lücken der Erfahrung und fügte dort Schemata und Ubersichtsbilder ein, wo erst jahr- zehntelange emsige Arbeit einer großen Gemeinde der Embryo- logen allmählich die Einzelheiten einsetzen und das exakte Bild ab- runden konnte. — So entstand „Die Anthropogenie" (1874), in der Haeckel die Entwicklungsformen des Menschen mit jenen der Wirbel- tierreihe verglich, den Werdegang des Menschen von dem der Wirbel- tiere ableitete, — ein Werk, welches für alle Zeiten an genialer Kon- zeption und prophetischem Erkennen seinesgleichen nicht finden wird. An diesem Werke können nur diejenigen nörgeln, welche sich an Nebensächlichem und Kleinlichem stoßen und die großen Ideen nicht zu fassen vermögen. Niemals werden die Grundfesten dieses Baues wankend werden, mögen noch so viele Ecksteine und Ziegel ausgewechselt und verbessert werden; der stolze Bau, den Haeckel mit den kargen Untersuchungsmitteln seiner Zeit aufgeführt hat, das weiten Kreisen in faßlicher Form mitgeteilte Wesen des Entwick- lungsgedankens wird vom Wandel der Zeiten und der Vertiefung und Erweiterung unserer Erfahrungen in seinen Fundamenten unbeein- flußt bleiben, denn Haeckel hat der Zukunft die wichtigsten und kostbarsten allgemeinen Erkenntnisse geschenkt und sie klar und lapidar in den Worten des „biogenetischen Grundgesetzes" und in seiner allzeit vorbildlichen Erkenntnis des epigenetischen Charakters der Formveränderungen und Formerwerbungen während der Stammes- und Keimesentwicklung niedergelegt.
Was den eingehend und mit Berücksichtigung aller Details und Nebenumstände, mit allen Kautelen der modernen Forschung arbei- tenden vergleichenden Embryologen vor allem zur Richtlinie dient, ist Haeckels Erkenntnis der Epigenesis. Dies ist eine wissenschaftliche
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Großtat von unabsehbarer Tragweite, welche der Eingeweihte vielleicht höher schätzen mag als die genialen Darlegungen über die großen Züge der Entwicklungsreihen der höheren und niederen Formen, welche ein so umfassendes Arbeitsprogramm erschlossen. Denn die Erkennt- nis der Epigenesis ist das allgemeine Resume, die Frucht des Ver- gleiches der Umbildungen in der Keimes- und Stammesentwicklung, im Embryonal- und im Freileben und bildet ein ganz fundamentales und durchdringendes Prinzip, welches bei jeder Untersuchung die wichtigste Vorfrage bildet, von deren Lösung und Beurteilung, die ganze Behandlung des Problems und die daraus sich ergebenden Konsequenzen der Auffassung in ihrer ganzen Tragweite abhängig sind. Erst durch diese Erkenntnis, daß sowohl in der Stammes- wie in der Keimesentwicklung in zellenstaatlichem Bauen und Ver- ändern, in zellenstaatlichem Anpassen sowohl im Ganzen wie in den einzelnen miteinander ringenden und einander beeinflussenden, sich sondernden Teilen vollkommen neue, spezifisch zeilenstaatliche Mannigfaltigkeit entsteht, die in der Keimzelle als solche in keiner Weise vorgebildet sein kann, erhält die Embryologie ihre wissen- schaftliche Begründung. Damit wird zugleich das biogenetische Grundgesetz — wenn wir vom Beginne des Eiwachstums ausgehen — in fundamentalem Belange bestätigt. In diesem Prinzip der An- passung an innere und äußere Verhältnisse , bei welcher , wie Haeckel so lapidar und treffend aussprach, ,,aus Gleichartigem das Ungleich- artige" entsteht, ergibt sich also vorerst die allgemeine grundlegende Bestätigung des biogenetischen Grundgesetzes — worauf der größte Wert zu legen ist — , denn die Wiederholung stammesgeschichtlicher Erwerbungen in der Keimesentwicklung ist in der allgemeinen Wir- kungsweise zellulären Schaffens gleichfalls ein vorwiegend epigene- tischer Vorgang und Erwerb. Die Bedeutung dieser Erkenntnis ist auch daraus zu ersehen, daß alle Angriffe auf das biogenetische Grundgesetz — soweit sie von wissenschaftlicher Seite erfolgt sind — von Forschern ausgingen, welche dieser Erkenntnis der epigenetischen Neuerwer- bungen und Neuschaffungen während der Keimesentwicklung nicht teilhaftig geworden und in das Wesen der Epigenesis nicht tief genug eingedrungen sind. Denn Haeckels Lehre und deren Konsequenzen können nur Epigenetiker voll erfassen, verstehen und vertreten. Das kausale Moment des biogenetischen Grundgesetzes, der onto-
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E]gggggggE]gggE]ggE]ggggggEjggggEiEiE]E]E]EjEiE]EjBjEiEjE]B]E]E]E]E]E3E]E]E]E]E]E] genetischen Wiederholung phyletischer Erwerbungen wird erst dann dem Verständnis erschlossen, wenn der sukzessive epigenetische Er- werb der Formenmannigfaltigkeit von den einfachsten zellenstaat- lichen Sonderungen und Organbildungen bis zu den kompliziertesten und vielseitigen Erfolgen ausdauernden und infolge des polarbilate- ralen Eibaues ungleichen Wachstums, ungleicher Energie der Zell- vermehrung und zellulärer Produktivität und Differenzierungsfähig- keit in der ganzen Tierreihe verfolgt wird, von den schon nach wenigen Tagen die Eihüllen verlassenden und sich den Bedingungen des Freilebens anpassenden niedrigen Formen bis zu den höchstgezüch- teten, mit Assimilationsmaterial trefflich versorgten, eine lange Embryonalentwicklung durchmachenden und ungestört unter den trefflichsten Außenbedingungen weiterbauenden und erwerbenden Zellenstaaten. Davon sind wir auch heutzutage noch recht weit ent- fernt. Wenn wir aber z. B. bei niedrigeren und höheren Wirbeltieren die Wachstumsvorgänge und -bedingungen, unter denen die Keim- blase, der Urdarm, die Mundöffnung, die axialen Sonderungen der Urdarmwand und der äußeren Keimschichte, die Entstehung der Kiemenspalten und aller folgenden im Weiterbauen sich ergebenden epigenetischen Erwerbungen erkannt haben, dann werden wir erst das Prinzip und den Zwang der Wiederholung erkennen, und dann wird es uns auch offenbar, daß primitive Organismen, welche nach dem Erwerb dieser und der folgenden Gestaltungen bereits ihren Dotter- vorrat erschöpft haben und ins Freileben d. h. in den Kampf ums Dasein eintreten und nun diese Formationen in Anpassung an die Umwelt ausgestalten und ausnützen, tatsächlich den wohlversorgten in raschem Wachstum, in Anpassung an die äußeren überaus gün- stigen Bedingungen durchlaufenen Entwicklungs formen und -zu- ständen der höheren weiterbauenden Organismen entsprechen. Dabei sind entsprechend der Unabhängigkeit, Freizügigkeit und Variabilität, welche die Embryonalentwicklung, die Entwicklung innerhalb der Eihüllen hinsichtlich der mangelnden oder erst spät einsetzenden funktionellen Beanspruchung der zellenstaatlichen Sonderungen, in- folge der Entrückung dem Kampfe ums Dasein schuf, gewisse Ab- änderungen und Abweichungen, Verschiebungen im zeitlichen Auf- treten, in der Anordnung, im Entwicklungsgrade der einzelnen Sonder- ungen und Organbildungen des Zellenstaates möglich. Diese Ab-
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änderungen sind entweder progressiv und phyletisch prospektiv von großer Tragweite und äußerst vorteilhaft und legen zu ontogenetischen und sodann in der Generationenreihe zu phyletischen Neuerwerbungen den Grund, die eben nur in einer Embryonalentwicklung möglich sind — oder sie sind känogenetischer Art, indem sie, wie Haeckel sagt, den Entwicklungsvorgang stören und die phyletische Wiederholung tatsächlich fälschen. Nichtsdestoweniger kommen aber die Erwer- bungen in ihren Grundzügen abgesehen von solchen nebensächlichen Veränderungen doch im wesentlichen in derselben Weise zustande wie bei niedrigeren Formen, die sie alsbald bei Beendigung der Ent- wicklung im Kampfe ums Dasein gebrauchen und erproben müssen. Es ist daher infolge der Gunst der Embryonalentwicklung und der spät einsetzenden funktionellen Beanspruchung der Formationen bei den höheren Formen das Gesamtbild der Embryonen etwas verwischt und verschoben, so daß dieselben nur mehr nach ihren wesentlichen Charakteren, nach ihren Leitformationen, aber nicht nach ihrem Ge- samthabitus den freilebenden, niedrigeren, die betreffenden Ent- wicklungszustände gewissermaßen arretiert und beendigt darbieten- den Organismen zu vergleichen sind , welche in ihren Leitformationen der Aszendentenreihe der höheren Formen entsprechen. Vor allem aber ist es — und dies erkannt zu haben , ist das große Verdienst Haeckels — der epigenetische Charakter der einzelnen Formerwerbungen, in was immer für einer Kombination und Gruppierung mit anderen, welcher dem Bilde der Wiederholung den Stempel der Gesetzmäßig- keit aufdrückt. Wenn wir die einzelnen Entwicklungsformen und -Veränderungen bei niederen und höheren Organismen auf die Be- dingungen des ungleichen Wachstums und der geweblichen Sonde- rungen untersucht und ermittelt haben, daß die epigenetischen Vor- gänge bei diesen Erwerbungen in korrespondierenden Stadien die- selben sind, dann entsprechen diese Erwerbungen in den wesentlichen Zügen einander — gleichviel ob sie so ausgestaltet werden, daß sie bereits für das Freileben, im Kampfe ums Dasein tauglich sind oder aber in geschützter Weiterbildung, das heißt bei allgemein gesteigerter Wachstumsenergie und vielseitiger Differenzierungs- bereitschaft nur als eine Grundlage zu raschem Weiterbauen dienen, wobei dann manches Detail, was zur völligen Gebrauchs fähigkeit nötig wäre, ausbleibt, zum Vorteüe fortschrittlicher Vorgänge. Diese
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ökonomische Einschränkung der Wiederholung kann jedoch nur so weit gehen, als es sich um in der Embryonalentwicklung Unbrauch- bares, Überflüssiges, dem Weiterbauen sogar Hinderliches handelt. Dies ist an sich gleichfalls ein „palingenetisches" Moment, weil eben dadurch der anschließende fortschrittliche Erwerb neuer und vorteil- hafterer Formenmannigfaltigkeit begünstigt wurde und noch wird. In ihren wesentlichen Zügen, sozusagen in ihrem Gerippe, müssen jedoch alle, auch die als solche unbrauchbaren und scheinbar unzweck- mäßigen Formationen der Entwicklungsreihen wiederholt werden, sofern sie Wachstumslagen und -Situationen repräsentieren, auf denen weitere Formerwerbungen basieren, aus denen sich weitere vorteil- hafte Wachstumsrichtungen, Wachstums- und Differenzierungs- weisen ergeben. Deshalb muß die Wiederholung der primitiveren, weiter zurückliegenden phyletischen Erwerbungen innerhalb gewisser Grenzen erfolgen, welche die züchtende Auslese geregelt hat. — Aus den Übereinstimmungen bei der Keimesentwicklung der rezenten höheren und niedrigeren Organismen ist sodann der Schluß zu ziehen, daß auch in der Aszendentenreihe der ersteren bei der allmählichen Verlängerung der Embryonalentwicklung und der Steigerung der zellulären Fähigkeiten, bei der Veränderlichkeit der Außenbedingungen und der Vielseitigkeit der Anpassungserscheinungen die einzelnen Etappen der epigenetischen Neuerwerbungen, des Weiterbauens im Wesentlichen in derselben Weise erfolgt sind, wie es rezente niedere Formen nach Abstrich der für sie charakteristischen Nebenerwerbun- gen darbieten. So können letztere auf Grund ihrer keinesgeschicht- lichen Dokumente als Vertreter jener Aszendenten gelten. So ge- währt also der Vergleich der Entwicklungsformen die wichtigsten und großartigsten Dokumente der Stammesentwicklung; daran schließt sich erst in streng wissenschaftlicher Methodik der Vergleich der ausgebildeten Organismen. — Diese Grundgedanken, welche wir aus Haeckels Werken gewinnen, basieren auf der Erkenntnis, daß in jeder Keimesentwicklung die Gestaltungen in raschem ungleichen und überschäumenden Wachstum mit zellulären Mitteln und Werten erst neu erworben werden müssen, daß dieses Anpassen des Zellenstaates an die unerschöpflich variabeln innern und äußern und die davon abhängigen, erst während der Entwicklung sich ergebenden Bedin- gungen während der Entstehung der Organismen viel intimer und
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pggggggggggggggggEjggggggEjggEiE]B]E]E]EjE]EjE]B]EiE]E]gE]EjE]E]5]E]E]EiE]E]E] vielseitiger ist als an vollendeten, im Kampf ums Dasein stehenden, sich der Umwelt anpassenden Organismen. So bilden also diese von Haeckel stets besonders hervorgehobenen Anpassungserscheinungen während der Embryonalentwicklung, welche auf Schritt und Tritt und in unerschöpflicher Mannigfaltigkeit am keimenden, wachsenden und beständig Neues erwerbenden Zellenstaate ,,aus Gleichartigem das Ungleichartige" schaffen, ein wichtiges Fundament der biologischen Forschung. Auf dieser Erkenntnis des epigenetischen Charakters der Wiederholung solcher Anpassungen und Erwerbungen basiert, um dies nochmals zu betonen, das Verständnis des biogenetischen Grund- gesetzes. Haben wir die Bedingungen, unter denen sich die Wieder- holung vollzieht, ermittelt, dann ist auch deren Zwang und deren Abänderung erklärt.
Die von Haeckel begründete Erkenntnis der Epigenesis und seine historische Betrachtungsweise der stammesgeschichtlichen Über- lieferungen der Keimesentwicklung erschließen auch die Richtlinien für das Verständnis der Vererbungserscheinungen, deren Gesetzmäßig- keit Haeckel in der „generellen Morphologie" bereits ausführlich behandelt hat. Die Analyse des Erbes der Vergangenheit, welches die Keimzellen repräsentieren, kann nur auf Grund der Erkenntnis des epigenetischen Charakters der Erwerbungen ihrer Abkömmlinge, die „aus Gleichartigem das Ungleichartige" schaffen, mit Erfolg in An- griff genommen werden, wenn wir unbefangen und frei vom Joche „pseudomechanischer Spekulationen" der Entwickelungsmechaniker die Fülle der epigenetischen Reaktionen analysieren, welche die so unerschöpfliche Variation zellulärer Fähigkeiten der Keimzellen beim zellenstaatlichen Bauen und Wachsen in den spezifisch zellenstaat- lichen Wachstums- und Differenzierungslagen herbeiführen, welche sich während der Entwicklung epigenetisch einstellen. Wenn wir die Bedingungen analysieren, in welche hierbei die Zellen bei der Ausübung ihrer Fähigkeiten — des Teilungswachstums und der Produktivität des Plasmas — geraten, dann lernen wir es ermessen, welche Bedeutung allein schon einer allgemein gesteigerten Wachstums- energie als kardinalem Erbe der Vergangenheit zukommt, wenn da- durch ein Weiterbauen auf allen, durch ungleiches Eiwachstum ein- geleiteten, im Ringen rascher und langsamer wachsender Zellen ent- standenen Situationen ermöglicht wird, was den fortgesetzten Form-
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erwerb und neue Anpassungserscheinungen aller Art zur Folge hat. Daraus ergibt sich die Tragweite des phyletischen Erbes der zellu- lären Hochzucht, der Steigerung des andauernden Teilungswachstums und der zellulären Produktivität für die immer vielseitiger werdenden geweblichen Sonderungen in komplizierteren Zellenstaaten. Haeckel hat uns gelehrt, zuerst über die Wiederholung der fundamentalen Formgestaltungen oder, wie wir vielleicht sagen möchten, die Ver- anlagung zum epigenetischen Erwerbe der einfacheren Gestaltungen der Organisation ins klare zu kommen, ehe allerletzte Detailfragen über komplizierte individuelle Varianten bei höherstehenden und höchstgezüchteten Organismen behandelt werden. Diese prinzipielle Forderung und Voraussetzung der wissenschaftlichen Bearbeitung der Vererbungserscheinungen, die historische Betrachtungsweise des zellulären Erbes der Vergangenheit und die Überzeugung vom epi- genetischen Wirken bei den Vererbungserscheinungen ist eine der wichtigsten Konsequenzen, welche wir aus Haeckels Lehren ziehen. Wenn wir einmal zuerst für die fundamentalen Gestaltungen das in langen Generationenreihen Ererbte von dem in jeder Ontogenese aufs neue epigenetisch mit diesem Erbe Erworbenen klar unter- scheiden können, dann erst können die in den letzten Generationen auftretenden subtilen individuellen Charaktere mit Erfolg behandelt werden, dann wird die Beharrlichkeit der dominanten und die La- bilität der rezessiven Merkmale mit einem Schlage offenkundig sein und durch sorgfältige Analyse der äußeren und inneren Bedingungen zellenstaatlichen Erwerbens erklärt werden können. Dann wird diese wissenschaftliche Betrachtungsweise das Vererbungsproblem in einem ganz andern Lichte erscheinen lassen als auf Grund pseudomechani- scher Vorstellungen über neoevolutionistische Vorgänge, wie sie füh- rende Entwickelungsmechaniker hegen. Dann werden auch die Ver- erbungsexperimente großzügiger erdacht und durchgeführt werden. Das Unbefriedigende der heutigen Ergebnisse ist darin begründet, daß die meisten Vererbungstheoretiker keine Ahnung von den keimesgeschichtlichen Entstehungsbedingungen der Erscheinungen haben, welche sie auf ihre Häufigkeit und Dominanz prüfen. Diese sorgfältigen Analysen der Entstehung der Vererbungserscheinungen müssen auch der zytologischen Betrachtungsweise der Keimzellen vorangehen, denn sie bieten das einzige und verläßlichste Kri-
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terium zur Unterscheidung belangloser und bedeutungsvoller zellu- lärer Formationen, deren Wirkungsweisen dann offenkundig sein werden. Bei solchen Analysen werden dann die Zytologen die Wahr- nehmung machen, daß sehr wenig Aussicht vorhanden ist, mit dem Tinktionsverfahren das Erbe der Keimzellen in subtilerem Belange zu analysieren, sondern daß biochemische und stoffwechselphysiologische Ermittelungen auf zellularphysiologischer Basis nötig sind, um Rück- schlüsse auf die epigenetischen Reaktionen zu gewinnen, auf solche charakteristische Veränderungen im zellenstaatlichen Bauen und Er- werben bei der Entstehung der Vererbungsmerkmale. So wird also auch in diesem so aussichtsvollen und wichtigen Belange die weitere Verfolgung der von Haeckel angebahnten Prinzipien bei der gene- tischen Interpretation ein klares Verständnis der so vielseitigen und wichtigen Erscheinungsweisen der phyletischen und ontogenetischen Vererbungsphänomene verbürgen.
Der Epigenetiker begreift die unentwegte und rücksichtslose Stellungsnahme Haeckels, des großen Wahrheitssuchers, gegen die sowohl die historische Betrachtungsweise wie den Epigenesisgedanken außer acht lassende und daher zu ganz irrigen Konsequenzen führende Keimplasmatheorie, sowie die ernüchternden Worte, mit welchen Haeckel, der erste, welcher an keimenden Organismen experimentiert hat, die ,, pseudomechanischen" Bestrebungen von Wilhelm Roux, eines seiner Schüler, aufs schärfste verurteilt hat, welcher sich in den Irrlehren von His und Weismann verfangen und das Experiment in den Dienst von Voraussetzungen, Annahmen und Spekulationen gestellt hat, die mit den fundamentalsten Ermittelungen der deskrip- tiven Analyse des Entwicklungsgeschehens in schroffem Wider- spruche stehen. Auch in diesem Tadel wirkt Haeckel als Lehrer, denn „Entwicklungsmechanik engster Perspektive", die Denkmöglich- keiten der Mosaiktheorie, die Konsequenzen der Determinantenlehre, die Hypothesen über die Lokalisation und Wirksamkeit „organ- bildender Keimbezirke und Stoffe", der „Plassonten" und „Organ- plasmen" fordern zumal bei gänzlicher Unterlassung der experimen- tellen Gegenproben der vermeintlichen, tatsächlichen Beweise die schärfste Zurückweisung solcher „unvorstellbarer Annahmen" heraus. Welch prächtige Bereicherung der Formenmannigfaltigkeit ließe sich schaffen, wenn wir alle die von der deskriptiven Analyse des un-
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gestörten Geschehens klipp und klar vorzuschreibenden Experimente im Sinne der Haeckelschen Vorstellungen von der Epigenesis durch Erzwingung andersartiger Wachstums- und Differenzierungserschei- nungen unter zielbewußt veränderten Bedingungen ausführen könn- ten! Aber leider hindern äußere Momente in vielen Fällen die Durch- führbarkeit solcher Experimente; immerhin sind viele klassische Er- gebnisse bereits erzielt worden, an denen der Epigenetiker seine Freude hat ; in vielen Fällen muß er sich damit bescheiden, die Probe und Gegenprobe kalkuliert zu haben. Was Haeckel in erster Linie vom Experimentator fordert, ist die historische Betrachtungsweise, die umfassende vergleichend analytische Erfahrung; denn nur dann, wenn der phyletische und ontogenetische Erwerb bestimmter Wachs- tums- und Differenzierungslagen in den Grundzügen festgestellt und die durch das Eiwachstum und durch äußere Bedingungen geschaffene Anfangssituation exakt untersucht ist, kann der ontogenetische Er- werb der Wachstums- und Differenzierungslagen künstlich mit Erfolg verändert und die epigenetische Reaktion des Zellenstaates zielbe- wußt hervorgerufen werden. Nur dann erwerben wir uns nach dem vorbildlichen Vorgehen Haeckels in seiner Siphonophorenarbeit das Recht, in das Wachstum einzugreifen und bei der zellulären Produk- tivität die Auslese einer anderen Differenzierungsweise zu erzwingen.
Haeckels unschätzbare Verdienste um die dem Volke gewährte Aufklärung über seine in umfassenden wissenschaftlichen Erfahrungen gesammelten Wahrheitsbeweise, über die großen Probleme des Natur- erkennens, über die „letzte aller Fragen" und das „eigentliche Stu- dium der Menschheit", sein beispielloser Erfolg in der populären abstrahierenden Darlegung wissenschaftlicher Ergebnisse mögen von Berufeneren geschildert werden, welche auch den an Nebensächlich- keiten sich stoßenden Kritikern zu entgegnen haben. Wir wollten vor allem zeigen, welche „Ziele und Wege" Haeckel (schon 1875) der wissenschaftlichen Forschung gesteckt, welch unerschöpfliche Fülle von Anregungen wir Haeckel bei der Aufdeckung des Werde- ganges der Natur verdanken, dessen Großartigkeit uns Haeckel er- schlossen hat.
Die tiefe Überzeugung von der Richtigkeit und Tragweite der großen Fragen und Antworten des Naturerkennens, des umfassenden
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Problems des ewigen Werdeganges der Organismenwelt verklärt den Lebensabend des großen Wahrheitsforschers. Wer je im Hause dieses Olympiers geweilt und die Ruhe und Zuversicht, die ab- geklärte Weltanschauung und die ausdrucksvolle Überzeugung und großzügige Erfahrung in den milden Zügen des hochgefeierten Jubilars geschaut, wer in seine, stets auf das Große und Ganze gerichteten Augen gebückt, — der schreitet nach diesem tiefen Erlebnis besonnen und innerlich gefestigt wieder an seine Arbeitsstätte, um mit er- weitertem Blicke und mit geschärften Waffen unentwegt für die Wahrheit, für Haeckels Sache, für den wissenschaftlichen Ausbau des Monismus einzutreten, den Haeckel vor allem durch seine so weittragende Epigenesislehre begründet hat.
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HUGO SPITZER, GRAZ: DARF ICH MICH EINEN HAECKELSCHÜLER NENNEN?
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Mit Haeckelschen Ideen bin ich in sehr jungen Jahren vertraut geworden. Nachdem ich bereits die zwei Vorträge „Über die Entstehung und den Stammbaum des Menschengeschlechts" gelesen hatte, wurde mir von meinem Vater, dem freisinnigen Verfasser von „Papsttum und Konzil" und anderen historisch-politischen Schriften, einem warmen Verehrer Haeckels, die „Natürliche Schöp- fungsgeschichte" bald nach ihrem Erscheinen, also im Jahre 1868 oder 1869, zum Geschenke gemacht. Durch Bücher von Vogt und Moleschott schon früher für die naturwissenschaftliche Weltansicht gewonnen, durch Vogts „Vorlesungen über den Menschen" insbe- sondere auch von der Wahrheit und Bedeutung der Darwinschen Lehre überzeugt, ergriff ich die Gedanken des Haeckelschen Werkes mit dem ganzen Enthusiasmus, dessen die Jugend fähig ist. Nicht nur der Gegenstand fesselte mich aufs höchste — kam es doch ebenso wohl meinem Triebe zu philosophischer Spekulation wie meinen zoologischen Interessen entgegen ! — , auch die Art , in welcher Haeckel die Fragen behandelte, machte den tiefsten und nachhaltigsten Ein- druck auf mich. Das klare, konsequente Festhalten an den natürlichen Erklärungsprinzipien, die Ablehnung jeder superstitiösen Teleologie, die ausnahmslose Zurückführung der uns zweckmäßig erscheinenden Gebilde und Einrichtungen teils auf natürliche Zuchtwahl, teils auf direkte Anpassung — alles das entsprach so sehr den in mir schon befestigten Grundvorstellungen, daß die „Natürliche Schöpfungs- geschichte" für mich fortan eine Art Evangelium wurde. Das einzige Stück des Haeckelschen Gedankenkreises, mit dem ich mich nicht ganz zu befreunden vermochte, war der Hylozoismus, wie er zum Schlüsse der ersten Vorlesung anklang: ich war damals völlig auf die „Kraft- und Stoff-Lehre in Büchnerscher Fassung eingeschworen, so daß selbst der Gedanke einer Allbeseelung mir schon als ein un- nützes Zugeständnis an den Dualismus erschien. Mit den pantheisti- schen Wendungen fand ich mich leichter ab, da ich mir sagte, daß es sich hier ja doch nur um Worte, um Benennungen handle.
Es dürfte ungefähr um dieselbe Zeit gewesen sein, daß mir Haeckels
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,, Schöpfungsgeschichte" und Feuerbachs sämtliche Werke in die Hand kamen, und ich darf es wohl aussprechen: der große Reformator der organischen Morphologie hat meine wissenschaftliche Entwicklung kaum weniger mächtig und entscheidend beeinflußt als der Urheber des neueren naturalistischen Monismus. Stand ich in den nächst- folgenden Jahren bezüglich der Auffassung der eigentlich philo- sophischen Probleme durchaus im Banne Feuerbachs, so wurden meine biologischen Vorstellungen ebenso vollkommen von Haeckel beherrscht. Seine Terminologie leistete mir die wertvollsten Dienste; mit ihrer Hilfe fand ich mich zurecht in der sonst verwirrenden Fülle von Beziehungen ; die mannigfachen morphologischen und gene- tischen Begriffe, auf deren Unterscheidung es der Deszendenztheorie ankommt, hielt ich mit leichter Mühe auseinander, da sie in den bündigen, sich von selbst einprägenden Terminis fixiert waren, und die Orientierung in den Erscheinungen der organischen Welt ließ mich im Stiche, wo mir die Haeckelschen Konzeptionen keinen Wegweiser boten. Ein Beispiel spricht hier besonders deutlich. Ich erinnere mich noch lebhaft, wie wenig die Vogtsche Mikrozephalen- theorie in ihrer späteren Gestalt (Einlenken der Gehirnentwicklung aus dem Prosimienstadium in die außerhalb der menschlichen Ahnen- reihe liegende Affenrichtung) mich befriedigte: sie paßte eben nicht zu meinen aus Haeckel geschöpften Vorstellungen über das Verhältnis von Onto- und Phylogenese; ich konnte nichts anfangen mit dem Abbiegen der Entwicklung in eine Seitenlinie, in welcher die Vor- fahren sich niemals bewegt hatten; die Gehirnbildung schien mir so wie jedes andere Stück der Organisation eine Frucht der Anpassung zahlloser Geschlechter an die tausendfach wechselnden Artschicksale, so daß sie Zug um Zug diese Schicksale gleichsam widerspiegeln mußte, und das Einschlagen einer andern Richtung als der durch die Erlebnisse der Ahnen bedingten, das Hineingeraten in eine Bahn, welche nach meiner Meinung auch ihrerseits die Anpassung der Vor- fahrenreihe an eine lange Folge ganz bestimmter Umstände zur Voraussetzung hatte, — eben der Umstände, unter denen der Affen- typus sich ausbildete, hielt ich für eine bare Unmöglichkeit. Das mochte nun im Hinblick auf den speziellen Fall eine recht naive An- schauung sein; aber sie beweist, wie ausschließlich mein natur- geschichtliches Denken durch Haeckel geschult war, wie mein Ver-
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ständnis versagte, sobald ich Haeckelsche Begriffe nicht anwenden konnte. Die Annahmen, denen ich mich verschloß, brauchten gar nicht einmal in Widerspruch mit den Lehren Haeckels zu stehen; es brauchten, wie in diesem Fall, nur Verhältnisse in Frage zu kom- men, auf die Haeckel nicht eigens eingegangen war und die er nicht ausdrücklich hervorgehoben hatte. Wo er mich nicht führte, da blieb ich, wie gesagt, ratlos stehen.
Als ich in Graz meine philosophischen Studien fortsetzte, in der glücklichsten Weise gefördert durch Riehl, den hervorragenden Den- ker, welcher damals noch an der Grazer Universität wirkte, erkannte ich bald die Unzulänglichkeit des dogmatischen Materialismus, und wenn auch die Schriften Dührings mich immer wieder nach dieser Richtung hinüberzuziehen suchten, so verhinderte doch eben der Verkehr mit Riehl, nebst der eifrigen Lektüre Schopenhauers, einen gänzlichen Rückfall. Ich fing an mich ernstlicher, als ich es bisher getan, mit Kant zu beschäftigen: aus dem ,, Kraft- und Stoff- Gläubigen wurde allmählich ein Neukantianer, ein wenig schopen- hauerisch gefärbt, aber vor Schopenhauers mystischen Neigungen be- wahrt durch die Schulung an Feuerbach, den ich nun in vielen seiner tiefsten und bedeutendsten Gedanken erst recht verstehen lernte. Von Aussprüchen wie: „Leben, Empfinden, Denken ist etwas ab- solut Originales" erschloß sich mir in der Tat jetzt erst der weit- reichende Sinn, nachdem ich die begriffliche Verschiedenheit des „Psychischen" von dem „Materiellen" der mechanischen Natur- wissenschaft, sowie die abstrakte Natur dieses Materiellen eingesehen hatte, und demgemäß begann ich nun auch über den Hylozoismus Haeckels ganz anders als in jenen philosophischen Flegel] ahren zu urteilen. Es wurde mir klar, daß eine Überwindung der „Kraft- und Stoff-" Doktrin ohne Preisgabe der monistischen Grundüber- zeugung nur auf doppeltem Wege möglich ist : entweder auf dem des Hylozoismus, wie ihn Fechner und Haeckel betreten haben, oder auf dem der kritischen Philosophie. Weshalb ich für meine Person den letzteren Weg vorzog, habe ich vor einem Menschenalter in einer kleinen Arbeit: „Über Ursprung und Bedeutung des Hylozoismus" ausein- andergesetzt. Die Abkehr von dem dogmatischen Materialismus be- deutete also für mich so wenig eine Abwendung von Haeckel, daß ich diesem infolge der Umwälzung meiner Anschauungen vielmehr
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auch da gerecht werden konnte, wo ich früher nur grundlose Phan- tasien und halbspiritualistische Irrtümer zu sehen geglaubt hatte.
Inzwischen war ich in Haeckels theoretisches Hauptwerk, die „Generelle Morphologie", so weit eingedrungen, als es mir für meine Zwecke dienlich schien; ich studierte mit Fleiß die „Anthropogenie" und vertiefte mich in die späteren, biologische Prinzipienfragen be- handelnden Schriften; Weismanns geniale Hypothese von der Kon- tinuität des Keimplasmas eröffnete mir neue Gesichtspunkte, und endlich wagte ich es, in den „Beiträgen zur Deszendenztheorie" alle die Gedanken niederzulegen, die ich mir selber über das Abstammungs- problem sowohl nach der objektiven Seite wie bezüglich des logischen \ Charakters der hier Aufschluß bringenden Methoden gebildet hatte. | Der Fachmann ersieht schon aus diesem Buche, wieviel ich Haeckel ! zu danken hatte, obgleich ich mich darin zur Vererbung somato- I gener Merkmale skeptisch verhielt und gegen ein paar der von Haeckel : aufgestellten Gesetze Bedenken äußerte. In dem letzteren Punkt I leiteten mich aber nicht etwa Zweifel am Tatsächlichen, sondern rein : formale, von den Erfordernissen des Gesetzesbegriffs ausgehende Er- ! wägungen; denn es ist klar, daß z. B. das „Huxleysche Gesetz" f bloße relative Ähnlichkeitsgrade bestimmt, zu welchen gar keine weitere Beziehung hinzukommt, während das „biogenetische Grund- gesetz" zwar an und für sich jenen Postulaten genügt, aber der 1 strengen Allgemeingültigkeit ermangelt, die den Gesetzen der Chemie I und Physik eigen ist. Indessen bekenne ich offen, daß ich heute \ diese Bedenken nicht mehr in vollem Umfang aufrechthalten möchte. ; Nicht, als ob ich nicht noch immer dafürhielte, daß das „biogenetische I Grundgesetz" anderer Art ist als die Gesetze, welche die exakte • Naturwissenschaft formuliert. Allein mancherlei Erfahrungen, die ich I im Laufe meines Lebens über den Erfolg wissenschaftlicher Arbeit ; gesammelt, haben mir die Überzeugung aufgedrängt, daß dasjenige, j was vom Standpunkte der Wissenschaftstheorie vielleicht richtig, : keineswegs auch praktisch und didaktisch zweckmäßig ist. Es reicht ! oft nicht hin, wichtige Tatsachen in einfach sachlicher Weise zu | erörtern, ohne daß die Aufmerksamkeit durch besondere Mittel auf 1 sie gelenkt wird. Wer eine Wahrheit verbreiten und zu allgemeiner j Anerkennung bringen will, der muß sie vielmehr auffällig hervorheben, j gewissermaßen unterstreichen, muß dafür sorgen, daß sie mit einem
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prägnanten, das Interesse fesselnden Namen belegt wird, und je höhere Vorstellungen von der Bedeutung der Sache dieser Name erweckt, um so rascher und sicherer wird sich die Wahrheit durch- setzen. So gesehen, erscheinen aber die Haeckelschen Aufstellungen unstreitig in einem wesentlich vorteilhafteren Lichte, und wenn sich Haeckel etwa noch entschlösse, das „Huxleysche Gesetz", das von einem wirklichen Gesetze doch gar zu wenig an sich hat, in den „Huxley- schen Satz" umzutaufen, so dürfte sich wohl überhaupt nichts Trif- tiges gegen sie einwenden lassen.
Einen Anlaß, unmittelbar zu Haeckels Wirken Stellung zu nehmen, bot mir das Erscheinen der „Welträtsel". Mit diesem Werke hat sich der gelehrte Zoologe in die erste Reihe jener großen Aufklärer gestellt, die vom 16. Jahrhundert an den Kampf für die Befreiung des Geistes aus den Fesseln kirchlicher Gebundenheit führen, — in die Reihe, die von Montaigne und Charron in Frankreich, von Herbert v. Cherbury, Hobbes und Toland in England, von Laurentius Valla, Pomponatius, Giordano Bruno und Vanini in Italien eröffnet wird. Das Buch ist ein Dokument von unvergänglichem Wert in der Kultur- und Geistesgeschichte der Menschheit; es wird stets mit Tolands „Pantheistikon", Holbachs „Systeme de la nature" und David Strauß' Schwanengesang: „Der alte und der neue Glaube" zu- sammen genannt werden müssen, und es ist dadurch doppelt inter- essant, daß es, ähnlich wie Moleschotts „Kreislauf des Lebens" oder Vogts „Köhlerglauben", den Anteil beleuchtet, welchen die Natur- wissenschaften an dem großen Befreiungskampfe genommen haben. Haeckel hat nie den Anspruch erhoben, daß man die „Welträtsel" als die Schöpfung eines Fachphilosophen ansehe. Aber in unseren Tagen, wo sich die allgemeine Reaktion insbesondere auch auf philosophischem Gebiete fühlbar macht, wo die Philosophie in einem immer größer werdenden Bruchteile ihrer Vertreter die Bahnen der echten, typischen Scholastik wandelt, sich bald in den verschrobensten, unnatürlichsten Begriffsbildungen logischen oder psychologischen In- halts gefällt, bald auf das Breittreten allbekannter Dinge mit Er- findung neuer Namen dafür ihre Kraft wendet und bei alledem den Weltanschauungsfragen ängstlich aus dem Wege geht oder, wenn sie schon diese Fragen beantwortet, es im Geiste des alten, kindlichen Dualismus tut, — heute muß auch der philosophische Fachmann
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ein Buch wie die „Welträtsel" mit freudiger Dankbarkeit begrüßen. Zwar erstreckt sich der Einfluß Haeckels nicht auf die Kreise der soeben gekennzeichneten ,, Philosophie"; allein die „Schöpfungsge- schichte", die „Welträtsel" und „Lebenswunder" können doch wenig- stens begabte Köpfe abhalten, sich dieser „Philosophie", dem Gemisch von Experimentalpsychologie und Scholastik, zuzuwenden, und auch das ist für die Sache der echten und ernsten Philosophie schon ein hoher Gewinn. Wiewohl Haeckels Weltanschauung sich in gar man- chen Stücken von derjenigen Wundts unterscheidet, ist der Jenaer Naturforscher mit dem von den Naturwissenschaften ausgegangenen Leipziger Philosophen doch völlig eins in der hohen Auffassung des Berufs der Königin der Wissenschaften, und wenn der Führer der wissenschaftlichen Philosophie, der Aristoteles unserer Zeit, seine ganze Autorität dafür einsetzt, die klägliche Rückkehr zum alten oder vielmehr mittelalterlichen Aristoteles zu verhindern, so findet er auch in diesem Bemühen wirksame Unterstützung von Seiten Haeckels, insofern die lebensvolle, auf unmittelbare Naturanschauung gegründete Denkweise, wie sie die Haeckelschen Schriften verkörpern, den feste- sten Damm gegen die Hochflut der Scholastik, gegen die Versuche vor- stellt, nach Sprachformen die Arten der Gegenstände festzusetzen. Ich sage es offen: das Verdienst der „Welträtsel" können nur die- jenigen bestreiten, welche die Philosophie zur Aufklärung in Gegen- satz bringen, indem sie die Aufgabe der erstem nicht in der Er- hellung, sondern in der Verdunkelung und künstlichen Verwicklung der großen Probleme des Daseins erblicken, oder jene Kurzsichtigen, die unfähig sind, über Einzelheiten hinwegsehend, eine Leistung als Ganzes zu erfassen und zu würdigen.
Aus der edlen Wahrheitsbegeisterung Haeckels, aus der Freiheit seines Geistes von althergebrachtem Dogmenzwang und aus seinem rücksichtslosen Bekennermute erklärt sich wohl auch zum großen Teile die Wirkung, die er auf Tausende und Tausende von hochgebildeten Menschen ausübt. Will man jedoch diesen Zauber in seiner ganzen Kraft verstehen und sich zumal über die Stellung Rechenschaft geben, welche Haeckel in der engeren Gelehrtenwelt trotz allen Ärgers leisetretender Berufsgenossen über sein kühnes Auftreten bis auf den heutigen Tag zu behaupten gewußt hat, so muß man noch andere Züge seiner geistigen Persönlichkeit heranziehen. Denn auch
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die imponierende Fülle von Spezialforschungen, die allerdings Haeckel allein schon für alle Zeiten einen Platz unter den ersten Zoologen verbürgt, dankt ihre höhere, durch den Fleiß und die Routine des ausdauerndsten, unermüdlichsten und technisch geübtesten Arbeiters nie zu erreichende Bedeutung selber diesen individuellen Eigen- schaften. Mein verehrter Lehrer, Victor v. Ebner, der ausgezeichnete Histologe, empfahl, als er gegen Ende der 70 er oder zu Anfang der 80 er Jahre des vorigen Jahrhunderts in Graz Entwicklungsgeschichte vortrug, den Studierenden ganz besonders die „Anthropogenie" und ich habe mich in späteren Zeiten noch oft überzeugt, wie richtig, wie j wohlbegründet diese Empfehlung war. Wer einigermaßen für höhere j intellektuelle Genüsse empfänglich ist, der kann die Darstellung der { Bildung des Auges, der Anlage des Gehirns, der Entwicklung des I Gefäßsystems der Säuger im Verhältnisse zu dem der Vögel und I viele andere embryologische Schilderungen der ,, Anthropogenie" nicht 5 lesen, ohne in helles Entzücken versetzt zu werden. Haeckel ist j zweifellos eines der größten morphologischen Genies, welche die I Geschichte der Wissenschaft kennt. Im höchsten Grad verwickelte 5 und verworrene Strukturen verwandeln sich unter seinem Blick j in einfache, durchsichtige Gestaltungen; alles störende Detail ver- j schwindet; die eigenwilligsten, widerstrebendsten Sonderteile ordnen 5 sich zwanglos den großen Linien unter; Formen, die für den un- I geschulten Betrachter gar nichts miteinander gemein haben, er- { scheinen sofort als Ausführungen des nämlichen Grundplans und so j stellt sich ganz von selber jener morphologische Zusammenhang der f Organismen heraus, welchen die Deszendenzlehre benötigt, um bei j Wahrung des Kontinuitätsprinzips die genealogischen Beziehungen j der Typen glaubhaft machen zu können. Es ist kein Zufall, daß j Haeckel es war, der die Abstammungslehre erst wirklich und wahrhaft • zur Grundlage der naturgeschichtlichen Spezialforschung erhob und { diese Forschung mit der Idee des Transformismus befruchtete. Der I Deszendenzgedanke, bei Darwin zunächst bloß eine allgemeine An- j schauung, bedurfte eines so veranlagten Geistes, damit sich der ab- j strakte Grundsatz in den konkreten morphologischen Einzelheiten \ bewähren, die Gruppierungen der Taxonomie durchleuchten und den j Schlüssel für die Verknüpfung des buntscheckigen Tatsachenmaterials j bilden konnte. Noch Dubois Reymond hat die Schöpfungsgeschichte j
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mit ihren Stammbäumen als bloßen „Roman" belächelt und doch unterliegt es heute keinem Zweifel mehr, daß diese vielgescholtenen Stammbäume allen modernen naturgeschichtlichen Untersuchungen das letzte Ziel gesteckt haben, — ein Ziel, welchem die Zoologen und Botaniker unserer Tage um so eifriger und entschlossener zu- streben, einen je höheren wissenschaftlichen Rang sie ihren Arbeiten sichern wollen.
Zu der morphologischen Genialität Haeckels gesellt sich aber noch die bewunderungswürdige Geschicklichkeit in der Schaffung einer Terminologie, auf deren hohen Wert schon Carl Vogt, der scharf- kritische und sonst allem Schulmäßigen so abgeneigte Forscher, hin- gewiesen hat. Mittels dieser Termini sind viele der Haeckelschen Begriffsfassungen Gemeingut geworden. Wo gibt es heutzutage eine mit Entwicklungsfragen sich beschäftigende oder auch nur berührende Schrift, in der nicht von Ontogenie und Phylogenie die Rede wäre? Psychologen und Ästhetiker, Historiker und Pädagogen, — sie alle verwenden beständig diese Ausdrücke und bringen damit der wissen- schaftlichen Größe Haeckels, bewußt oder unbewußt, gerne oder wider- willig, ihren Tribut dar. Wieviel diese Terminologie und die Haeckel- sche Betrachtungsweise überhaupt mir selbst bei meinen natur- philosophischen Studien bedeuteten, ist schon oben gesagt worden. Äußere Umstände haben mich seither von den Gebieten, auf welchen ich an die Großtaten Haeckels fast in jedem Augenblick er- innert wurde, weit abgeführt und mich inmitten der Geisteswissen- schaften mein Hauptarbeitsfeld finden lassen. Allein ich habe darüber trotzdem nicht aufgehört, im stillen die Gegenstände meines früheren Nachdenkens weiter zu verfolgen, neues Material für die Klärung der Deszendenzfrage zu sammeln und so, unbeirrt durch all die per- sönlichen Ablenkungen und die Torheiten der Zeit, die Gedanken- fäden fortzuspinnen, die sich ursprünglich an die Lehren Haeckels anknüpften. Auf diese Weise bin ich mit dem Altmeister in steter geistiger Fühlung geblieben und ich habe den Kontakt um so weniger verloren, als meine philosophie- und wissenschaftlich -historischen Forschungen gleichfalls mit Vorliebe auf die Geschichte der Ab- stammungslehre richteten, aus der noch so manche wertvolle und überraschende Urkunden auszugraben sind. Haeckels Werk aber zeigten mir auch nach dieser Richtung das Fundament, auf wel- ggggggggggggggE]gggggggE]gggggggE]G]E]B]E|E]G]E]EiEiE]E]E]EiE]B]gE]E]EiE]EJ'
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chem weiter gebaut werden muß. Wenn man also denjenigen als seinen Lehrer betrachtet hat, dem man ein Großteil seiner wichtig- sten Einsichten schuldet, ja, von dem man sogar vielfach die Richtung der wissenschaftlichen Arbeit empfangen hat, dann darf ich, obschon ich nie im Leben das Glück gehabt habe, Haeckel zu begegnen, wohl auch mich, natürlich ohne den Anspruch auf zoologische Fach- bildung, einen Haeckelschüler nennen.
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BERTHOLD HATSCHEK, WIEN
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iner jener Großen, deren geistiger Bannkreis uns — bewußt oder
unbewußt — stetig umfangen hält!
Bedarf es da erst eines äußeren Anlasses, um seiner zu gedenken? Oder soll uns dies nur an die ewige Jugend gemahnen, welche dieses olympische Haupt zu umstrahlen scheint? Jenes Haupt, das mit seiner Gedankenwelt den geistigen Entwicklungsgang eines halben Jahrhunderts machtvoll beeinflußte und dessen Lebenswerk es be- wirkte, daß der von Lamarck und Darwin begründete Evolutions- gedanke zum unverlierbaren geistigen Eigentum der Menschheit wurde — umgeprägt zur Lehre von der ewig fortdauernden Schöp- fung, der stetigen Neugestaltung und Fortbildung der Lebenswelt! Der Fortschritt als fundamentales Naturgesetz des Lebens!
Bei einer Rückschau auf die Taten dieses Mannes möchte es fast scheinen, daß erst die Zukunft seine Geschichte schreiben kann, und daß keiner von den Zeitgenossen es vermag, die Wirkungen, die von ihm ausgegangen sind, ganz zu ermessen. Und doch ist, um ihn ganz zu verstehen, das Zeugnis jener unentbehrlich, die ihn auch als Menschen kannten und den Eindruck seiner reinen, klaren, schönen Vollnatur empfangen haben.
Helläugig, mit freundlicher, hoher, freier Stirn, das Antlitz von aschblondem — jetzt weißem — Haar und Bart umrahmt, die Gestalt schlank, hoch und biegsam, so sehen wir ihn vor uns. Bei all dem heiteren Wohlwollen, das von ihm ausstrahlt, doch jeder Zoll eine Kampfnatur! Die unbefangendste Furchtlosigkeit, mit der er für jede Wahrheit eintritt, ist eben ein Grundzug seines Wesens — wie seit jeher bei allen mythischen und modernen Drachen- tötern !
Sein Blick ist der des Forschers, verrät aber doch zugleich die Fülle künstlerischer Phantasie! Uns fällt der hohe, eindringliche Diskant seiner Stimme auf, eine im Norden wohl häufigere Erschei- nung. Von tiefster Wirkung ist bei näherem Umgange die ethische Reinheit, Wahrheit und Klarheit seines Charakters, und beinahe rührend ist dabei das kindlich einfache Gemüt, das diesem ernsten Mann eigen ist. Ernst, aber voll lebensprühender Geistesfülle ist
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sein Wesen, vor allem aber ist es ein Grundzug, der an ihm hervor- tritt: das ist seine große Begeisterungsfähigkeit, die ihn auch be- fähigt, andere mit sich fortzureißen.
Die ungeheure Wirkung, die seine Schriften auf Hunderttausende von Menschen übten, wird noch weit übertroffen durch die unmittel- bare Wirkung seiner Persönlichkeit auf seine Schüler und Freunde. Niemand kann Haeckel ganz verstehen, der ihn nicht persönlich kennt, wie er ist, menschlich in seinen genialen Vorzügen, seiner Ursprünglichkeit und Klarheit, und auch menschlich in seinen Schwä- chen, insbesondere seinem herrlichen, ewig jugendlichen Übereifer und seiner überschwenglichen Uberzeugungstreue.
So sehr überragt die Eigenart dieser Persönlichkeit das Mittelmaß, daß sie fast jede Besonderheit der Herkunft und des Standes ver- missen läßt. Kaum wird man den geborenen Berliner, den Jenenser Professor, den Forscher am Mikroskop, den Mann der Feder erkennen — eher eine freie unbeschränkte Künstlernatur.
Die große Laienwelt kennt Haeckel als den Vorkämpfer und Verkünder einer neuen Weltanschauung, als den Autor der „Natür- lichen Schöpfungsgeschichte", der „Anthropögenie" und zuletzt auch — da er, seinem ursprünglichen Hange zur Naturphilosophie vielleicht nur allzuweit folgend, auf weiteres Gebiet sich begibt — der „Werträtsel". Ganz anders aber, nur harmlos formbegeisterter Künstler, ist er in den „Kunstformen der Natur".
Sein Einfluß als populärer Schriftsteller war von größter Be- deutung — nicht minder aber seine Wirkung in der wissenschaft- lichen Welt! Der Inhalt seiner immensen Lebensarbeit liegt zum weitaus überwiegenden Teile auf diesem Gebiete!
Hier ist sein Blick stets aufs große Ganze gerichtet, das er bei der riesigen Fülle und Mannigfaltigkeit seiner Forschungen nie aus dem Auge verliert. Und in der Tat liegt sein Verdienst trotz des Riesen- umfanges seiner Einzelforschungen, welche eine stattliche Reihe von Folianten füllen, nicht nur im einzelnen, sondern vielmehr im ganzen. Niemand anders hat auf den Fortgang der zoologischen Wissenschaft und Forschung in den letzten 50 Jahren auch nur annähernd einen ähnlichen Einfluß genommen.
Die Anwendung der Deszendenzlehre, die Ausbildung der phylo- genetischen Methode gibt seiner Tätigkeit das Gepräge.
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Als Deszendenztheoretiker hat er von Anfang an eine selbständige, nicht streng an Darwin sich haltende, zm Teil mehr dem Lamarck- schen Standpunkt sich nähernde Haltung eingenommen.
Er ist vor allem vergleichender Morphologe. Das Verständnis der Gestaltung als Ausdruck der natürlichen Verwandtschaft der Organismen zu gewinnen, das ist sein Hauptziel. Die Fülle seiner bahnbrechenden Ideen — zum erstenmal in seiner vielbewunderten „Generellen Morphologie" niedergelegt — ist eine erstaunliche. Es gibt auf diesem Gebiete in jenen Jahrzehnten kaum eine neue Er- kenntnis, die nicht von ihm begründet, vorbereitet oder beein- flußt ist.
Vor allem aber ist es die neue Methode der wissenschaftlichen Betrachtung, die von ihm geschaffen wurde. Neben der vergleichenden Anatomie lehrte er uns auch die vergleichende Embryologie — die Tatsachen der individuellen Entwicklung der Organismen — richtig verstehen und theoretisch anwenden. Vorbildlich wurde seine „Gasträatheorie", durch welche die Keimblätter (Keimschichten) der Tiere als primitive Organe gedeutet wurden, vergleichbar jenen der Polypen und Medusen. Das System des Tierreiches wurde so auf neue Basis gestellt. Ein ausführlicher systematischer Versuch, der sich auf die gesamte Organismenwelt bezieht, liegt in der mehr- bändigen „Systematischen Phylogenie" vor.
Und wieder anders tritt uns Haeckel entgegen in der Fülle seiner Einzelforschungen. Die niedere Tierwelt des Meeres, auf welche sich die Hauptprobleme der Zoologie so lange konzentrierten, war es, auf die seine unermüdliche Forschertätigkeit gerichtet war. Auf vielen Forschungsreisen, am Mittelmeer, Nord- und Ostsee, in den tropischen Regionen, im Roten Meere und bei Ceylon sehen wir ihn forschend und sammelnd. Sein künstlerisch gewandter Zeichenstift gibt in unzähligen Bildern, die Bände und Bände füllen, die Beob- achtungen wieder, die in scharfer theoretischer Analyse erläutert werden.
Die einzelligen, aber doch so formenreichen Radiolarien, die niedere Tierwelt der Spongien und der Medusen ist es, deren Bau- gesetze er enthüllt und deren mannigfaltige Gestaltung er zugleich mit formenfreudigem Künstlersinne erfaßt.
Manche neue Bewegung ist in der Wissenschaft der letzten Jahr-
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zehnte zu verzeichnen, die über Haeckels Bestrebungen hinausgeht. Viele der neueren ahnen dabei nicht, wie sehr sie auf Haeckels Schul- tern stehen, durch ihn zu ihrem Standpunkte erhoben. Selbst unter seinen unmittelbaren Schülern gibt es solche, welche dieses Ver- hältnis verkannt haben.
Die physiologische Forschungsrichtung, die so lange von der vorwiegend morphologischen in der Zoologie zurückgedrängt war, hat in Haeckel, dem großen Morphologen, keinen Gegner. Ja man wird manch reiche Anregung auch in dieser Richtung in seinen Werken finden.
Haeckels Lehren sind nicht dogmatisch, sondern der Fortent- wicklung und Umgestaltung fähig, und anregend zur weiteren For- schung. Dieser hervorragendste Zoologe, zu dessen Füßen unzählige Schüler saßen, der so zahlreiche Zoologen seine unmittelbaren Jünger nennt und als dessen mittelbare Schüler eigentlich die meisten jetzt lebenden Zoologen betrachtet werden könnten, hat in weiser Einsicht seinen Lehrstuhl an der kleinen thüringischen Universität Jena jeder anderen größeren Stellung vorgezogen. Er hat alle Be- rufungen an große Universitäten — auch Wien wollte ihn einst haben — abgelehnt. Das in seiner Größe oft so kleinliche und nieder- drückende Getriebe großer Universitäten, großer Akademien hat er gemieden und sich so seine Frische und seine Freiheit bewahrt. Zumal die volle Freiheit der Meinungsäußerung blieb ihm stets gegönnt, und sein streitbarer Geist hat ihrer stets bedurft. Auch im Kreise der Fachzunft hat er ohne Rücksicht auf Autorität so manchen Strauß bestanden. Selbst ein Virchow, ein Du Bois-Reymond mußten seine berechtigte Kritik erfahren.
Gegen die Großmächte des Weltgetriebes, die der gefährlich scheinenden wissenschaftlichen Lehre ihre Macht fühlen lassen wollten, ist er stets als Rufer im Streite aufgetreten und ist als solcher noch heute stets sieggewohnt und kampfbereit. Er versteht die Tragweite solcher Regungen, die dem Fachmanne oft bedeutungslos erscheinen möchten, wohl abzuschätzen. In jüngster Zeit sehen wir ihn noch gegen den trefflichen Insektenforscher Pater Wasmann zu Felde ziehen, der als Deszendenztheoretiker die natürliche Schöpfung der Organismen weit anerkennt, aber für den Menschen jenen Natur- gesetzen gegenüber eine Ausnahmestellung annehmen will. Mag auch
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jeder Fachmann die Widersinnigkeit eines solchen Kompromisses durchblicken, Haeckels Feldherrnblick sieht noch mehr, er sieht die Gefahren, die durch solches von außen her der Wissenschaft und der einheitlichen philosophischen Weltanschauung erwachsen.
Haeckels einzige Persönlichkeit wird in gleicher Art sich nicht mehr wiederholen, aber viele andere werden an seinem Vorbild er- starken.
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EUGEN REICHEL, BERLIN -SCHÖNEBERG: DEM LICHTBRINGER ERNST H AECKEL BEI VOLLENDUNG SEINES ACHTZIGSTEN LEBENSJAHRES IN UNVER- LÖSCHLICHER DANKBARKEIT UND VEREHRUNG
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Du warst mir Licht in jungen Jahren Und bist mir noch im Alter Trost, Wenn mich, im Lebenskampf erfahren, Des Tages Niedrigkeit umtost. Du zählst für mich zu jenen Größen, Vor denen es mich niederzwingt; Vor denen ich mein Haupt entblößen Und schwören muß: Dein unbedingt!
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ARTHUR SCHWARZ, BERLIN-LICHTERFELDE
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Ich wurde mit den Schriften Haeckels — besonders der „Natürlichen Schöpfungs geschichte" und der,,Anthropogenie" — vor ca. 20 Jahren bekannt und zähle seit dieser Zeit zu den aufrichtigsten Verehrern seiner Weltanschauung und seiner Person. —
Als ich im Oktober 1899 gelegentlich einer längeren Anwesenheit in Rom im Hotel Haßler erfuhr, daß der daselbst auch abgestiegene „Maler" Professor Ernst Haeckel bei einem Ausflug in die Albaner Berge mit seinem Maultier gestürzt und mit verletztem Fuß ins deutsche Hospital auf dem Kapitol gebracht sei, trieb es mich, ihn daselbst aufzusuchen, ihm zu danken und, wenn irgend möglich, ihm zu helfen. Ich fand Prof. Haeckel des Lobes voll über die ihm zuteil gewordene Pflege der freundlichen und sorgsamen deutschen Schwe- stern des Hospitals und ihn selbst in heiterster und glücklichster Stimmung, an der ich mich bei ihm bei den immer öfter wiederkehren- den Begegnungen noch so oft erfreuen sollte. Diese olympische Ruhe und Heiterkeit Haeckels ist nicht nur ein Hauptbestandteil seines Wesens, sondern, wie mir scheint, auch das notwendige Ergebnis seiner Weltanschauung.
Er hatte eben das erste Exemplar der „W'elträtsel" vom Verleger erhalten, das Buch, das seitdem in Hunderttausenden von Exemplaren in allen Sprachen der Welt so vielen so mancherlei Rätsel gelöst hat.
Ich habe noch oft das Glück gehabt, mich mit Prof. Haeckel über Weltanschauungsfragen zu unterhalten, und gehöre zu den ersten Mitgliedern des deutschen Monistenbundes, wie ich auch teilnehmen durfte an dem Zustandekommen des Phyletischen Museums.
Ich verdanke unserem Altmeister die festen Grundlagen meiner Überzeugung von der Richtigkeit unserer monistischen Weltan- schauung und verehre in ihm den unermüdlichen Verkünder natur- wissenschaftlicher „Heilswahrheiten", die den Menschen — im Gegen- satz zu den mystischen Heilswahrheiten — noch bei Lebzeiten zu ihrem Heile gereichen und von deren immer weiteren Verbreitung allein wir auch die Lösung der noch ungelösten Rätsel des sozialen Lebens in nationaler und internationaler Beziehung zu erwarten haben.
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FRITZ REGEL, WÜRZBURG
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Im Frühjahr 1872 bezog ich, 19 Jahre alt, die Landesuniversität Jena, um mich dem Studium der Naturwissenschaften, insbesondere der Botanik, zu widmen. Die ersten Anregungen zur „scientia amabilis" hatte ich in Schnepfenthal durch H. O. Lenz und namentlich durch August Rose und Reinhold Gerbing empfangen, hatte mich sodann als Schüler der beiden oberen Gymnasialklassen in meiner freien Zeit zumeist mit dem Sammeln und Bestimmen von Phanerogamen, Gefäßkryptogamen sowie auch von Muscineen und Thallophyten, namentlich Pilzen, beschäftigt, und war durch August Rose an die Professoren E. Haeckel und E. Strasburger empfohlen worden sowie an Dr. David Dietrich, der mich wie viele andere mit der so reichen ,, Flora Jenensis" näher bekannt machte. Ich verbrachte in Jena meine ganze Studienzeit von 4V2 Jahren bis zum Herbst 1876, diente hier 1873/74 mein Militär jähr ab, promovierte im Sommer 1875 in Botanik als Hauptfach, Zoologie und Mineralogie als Nebenfächern und trat im Oktober 1876 am Realgymnasium zu Lippstadt als Probandus ein, um neben dem Prof. Dr. Hermann Müller den natur- wissenschaftlichen Unterricht in den unteren Klassen zu erteilen ; leider unterbrach ich das begonnene Probejahr schon zu Ostern 1877, um an der noch in der Entwicklung begriffenen Oberrealschule ,, Hintern Brüdern" in Braunschweig als Lehrer einzutreten, erkrankte jedoch hier im Sommer 1877 und kehrte nach einer halbjährigen Erholungs- pause in meiner Heimat Gotha wiederum nach Jena zurück als Lehrer an der dortigen Schroeterschen Realschule, an der ich schon im Sommer 1876 Unterricht erteilt hatte. In Jena blieb ich von Ostern 1878, zunächst als Lehrer der genannten Anstalt, holte hier das früher unterbrochene Probejahr 1880/81 am Gymnasium Carolo - Alexan- drinum nach, unterrichtete von Ostern 1882 bis August 1890 an der 1880 neubegründeten Stoyschen Erziehungsanstalt, habilitierte mich im Sommer 1884 für Geographie, wurde 1892 außerordentlicher Professor, seit Ostern 1895 mit Lehrauftrag, und folgte Ostern 1899 einem Rufe als etatmäßiger Extraordinarius nach Würzburg (erst 1908 wurde diese außerordentliche Professur sodann in ein Ordinariat umgewandelt).
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Ich habe diese persönlichen Bemerkungen vorausgeschickt, um darauf hinzuweisen, daß ich über 25 Jahre als Student, Lehrer und Dozent in Jena gelebt habe und daher hier Gelegenheit hatte, in mannigfache und nähere persönliche Beziehungen zu Ernst Haeckel zu treten.
Schon im Sommer 1872 hörte ich ein Publikum über Säugetiere bei Haeckel, im folgenden Wintersemester aber vor allem das fünf- stündige Hauptkolleg Haeckels über die gesamte Zoologie und besuchte das damals am Sonntagvormittag von 9 — 1 Uhr abge- haltene Zoologische Praktikum; ich wurde auf die Empfehlung von A. Rose hin auch in Haeckels Haus eingeladen und kam nament- lich nach dem Militär jähr in häufige persönliche Berührung, besonders seitdem ich bei E. Strasburger Assistent wurde und meine botanische Dissertation im Botanischen Institut ausarbeitete. Damals war das Zoologische Museum, die Bibliothek usw. noch in dem Oberstock des Botanischen Instituts untergebracht, in dem sich jetzt die Dienst- wohnung des leitenden Botanikers (E. Stahl) befindet. Häufig kam Haeckel zu Strasburger herunter, um sich mit ihm über wissenschaft- liche Fragen zu besprechen; oft vernahm ich diese Zwiegespräche, die meist von herzlichem Lachen begleitet waren. Ich war schon im ersten Jahre sehr von der „Natürlichen Schöpfungsgeschichte" ein- genommen und benutzte nach dem 1872/73 gehörten zoologischen Kolleg und dem Kursus über Zoologie die freie Zeit während meines Militärjahres, um Haeckels „Generelle Morphologie" (1866) genauer zu studieren und mich durch sonstige Studien der biologischen Litera- tur auf die Doktorprüfung vorzubereiten; im Wintersemester 1874/75 habe ich nach dem Militär jähr zur Repetition die zoologischen Vor- lesungen nochmals gehört, nachdem Haeckel im Sommersemester 1874 die Vorträge über „Anthropogenie" vor einem weiteren Kreis von Zuhörern im größten Hörsaal der Universität gehalten hatte; das Stenogramm dieser Vorträge war die Grundlage für das gleichnamige Werk, in dem die Entwicklungslehre auf den Menschen rückhaltlos übertragen wurde. Nach einer größeren Reise in das östliche Mittel- meergebiet (mit Strasburger) in den Osterferien 1874 war Haeckel, damals 40 Jahre alt, auf dem Gipfel seiner physischen und ethischen Kraft, eine herrliche, von Gesundheit und Lebensfrische sprudelnde Erscheinung, die auf uns großen Eindruck machte. (Vgl. das schöne
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pgggEjggEjgggEigggggggggEjE]E]ggE]gggE]B]E]B]E]B]B|E]E]E]E]E]EiE]E]E]B]E]B]E]EiE] Gruppenbild : Haeckel und seine Schüler für Darwin, das im Sommer- semester 1876 vom Photographen Haack aufgenommen wurde.) vSowohl bei der Promotion (1875) wie bei Gelegenheit der Oberlehrer- prüfung im Februar 1877 wurde ich von Haeckel in Zoologie geprüft und trat bei meiner Rückkehr nach Jena zu Ostern 1878 alsbald wieder in ein herzliches Verhältnis zu ihm, besonders als ich seinem Sohn Walter im Gymnasium während des Probejahres naturkund- lichen Unterricht erteilte wie später auch in der Stoyschen Erziehungs- anstalt. In den Anfang der achtziger Jahre fällt Haeckels Reise nach Ceylon (Wintersemester 1881/82), die er zunächst in der „Deut- schen Rundschau" so trefflich geschildert hat, Schilderungen, die den „Indischen Reisebriefen" zugrunde liegen. Damals wandte ich mich immer mehr der Geographie zu und habe vor meiner Habi- litation (1884) auch die übrigen geographischen Schilderungen Haeckels, seine Besteigung des Pik von Teneriffa, die Reiseskizzen aus Sizilien, über das Sinaigebirge und das Rote Meer (vgl. „Arabische Korallen", 1873), Brussa und der asiatische Olymp mit Begeisterung gelesen. Waren die folgenden Jahre bei Haeckel auch hauptsächlich mit der Riesenarbeit für das Challengerwerk über die Radiolarien, die Sipho- nophoren und die Tiefseehornschwämme ausgefüllt, so unternahm Haeckel namentlich in den Frühjahrsferien immer wieder Reisen zum Mittelmeer, wie 1887 nach Syrien und der Insel Rhodos, 1889 nach der Insel Elba und Rom, 1890 nach Algier und Tunis; 1892 ist er hingegen mit Dr. Murray auf den Hebriden, um Plankton zu fischen, 1983 aber verweüt er wieder in Messina zu dem gleichen Zwecke, und auch im 7. Jahrzehnt seines Lebens unternahm Haeckel noch ver- schiedene größere Reisen, wie 1897 nach Rußland und den Kaukasus- ländern, 1900 nach dem Malayischen Archipel, besonders nach Java; eine Frucht dieser zweiten Indienfahrt ist das Buch „Aus Insulinde, Malayische Reisebriefe", Bonn 1901. An der 1882 von Dr. G. Kurze, Prof. Dr. Dietrich Schaefer und mir ins Leben gerufenen „Geogra- phischen Gesellschaft (für Thüringen) zu Jena" nahm Haeckel den regsten Anteil und ließ sich auch bestimmen, zeitweise den Vor- sitz zu übernehmen. Beim fünfjährigen Stiftungsfest im Jahre 1887 sprach er über die Tiefseeforschungen, wiederholt hielt er stark- besuchte Vorträge über seine ausgedehnten Reisen in derselben und brachte auch sonst den Interessen und Bestrebungen dieser Gesell-
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schaft das regste Interesse entgegen. So hat er auch auf geographi- schem Gebiet viele Anregungen gegeben, zuletzt namentlich durch die Herausgabe eines Teiles seiner vielen Aquarelle; es würde sich gewiß verlohnen, die verstreuten, noch nicht in Buchform erschienenen Schilderungen Haeckels zu sammeln und zu einer Gesamtausgabe zu vereinigen!
Am ehesten könnte Haeckels Schwiegersohn, Geheimrat Prof. Dr. Hans Meyer, dieses Unternehmen in die Wege leiten und die Perlen geographischer Schilderung aus Haeckels Feder einmal sam- meln und zu einer Gesamtausgabe vereinigen. Da ich seit etwa 30 Jahren aus dem Gebiet rein naturwissenschaftlicher Studien immer mehr auf das ausgedehnte geographische Gebiet in Lehre und lite- rarischer Tätigkeit übergegangen bin, liegt es mir ferner, Haeckels Bedeutung auf dem Gebiet des Darwinismus, wie namentlich der mikroskopischen und entwicklungsgeschichtlichen Spezialforschungen würdigen zu wollen. Wie aber auf seinem eigentlichen Arbeitsfeld, der Zoologie, bei ihm Spezialwerke abwechseln mit allgemeinen, zusammenfassenden Werken, so möge an dieser Stelle insbesondere die große Anregung gewürdigt werden, die dieser vielgereiste Forscher durch seine frischen, herrlichen Schilderungen der Mittelmeerländer wie durch seine Bilder aus den Monsungebieten von Süd- und Südost- asien auch der Erdkunde in hohem Maße hat zuteil werden lassen !
Auch während der fast 15 Jahre, die ich nunmehr von Jena fort bin, habe ich bei gelegentlichen Besuchen in Jena gerade ihn wieder aufgesucht, der mir von Beginn meiner Studienzeit immer mit größter Liebenswürdigkeit und Zuvorkommenheit begegnet ist und an meinen persönlichen wie wissenschaftlichen Interessen stets den regsten An- teil genommen hat!
Wir Geographen wissen ihm warmen Dank für seine lebendigen und plastischen Schilderungen erdkundlicher Stoffe!
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JOSEPH MC CABE, LONDON : ERNST HAECKEL IN
ENGLAND
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Vor vierzehn Jahren übergab mir der „Rationalist "-Verleger Watts ein Exemplar der ,,Welträtsel" mit der Bitte, ich möchte der Rationalist Press Association raten, ob es nützlich wäre, das Buch zu übersetzen. Haeckel war als Lehrer einiger unserer fähigsten briti- schen Zoologen, als Fürst der Wissenschaft in unsern biologischen Kreisen anerkannt, aber der großen englischen Masse war er wenig vertraut. Seine „Natürliche Schöpfungsgeschichte" hatte diejenigen begeistert, die sich ernsthaft mit der Entwicklungslehre beschäftigten, aber weiteren Kreisen war er wenig mehr als ein Name. Theologen, die mit seiner genialen und wirkungsvollen Feindschaft gegen ihren Aberglauben vertraut waren, hofften, daß in Anbetracht seines Alters die Gefahr seines Einflusses nicht eine gewisse Grenze überschreiten würde. Aber innerhalb dieser vierzehn Jahre ist er in der ganzen englisch sprechenden Welt zu einer gewaltigen Macht geworden, zum Abgott der Freidenker und zu dem Mann, der von der Kirche am mei- sten in der Welt gefürchtet wird.
Im Hinblick auf die Verbreitung von Haeckels früheren Werken in England, erwarteten wir nur einen bescheidenen Absatz der „Welträtsel "-Übersetzung, die ich übernahm. Doch das Buch wurde vom Publikum mit Enthusiasmus aufgenommen und wir mußten Auflage über Auflage herausbringen. Mehr als eine Viertelmillion Exemplare sind nun in Großbritannien, den Vereinigten Staaten und Australien im Umlauf. Ich sah es unter den einfachen Fischern der Orkney-Inseln — dieser ultima Thule der europäischen Zivilisation — von Hand zu Hand gehen, ich fand es unter den Bergleuten von Schottland und Wales, in katholischen Städten von Irland, unter den Schaf scherern Australiens und sogar bei den Maoris von Neu-Seeland. Kein ernstes Werk in englischer Sprache hat eine ähnlich ungewöhn- liche Verbreitung gehabt oder ist mit einem ebenso intensiven Interesse in allen Schichten der Gesellschaft von London bis San Francisco und Sydney gelesen und besprochen worden. Erst vor einigen Monaten sah ich eine tausendköpfige Menschenmenge im Volkspark von Sydney (in Australien) um einen Redner versammelt, die einem Vortrag über
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Haeckels Weltanschauung lauschte, und bei meinen Vorträgen in ganz England und seinen Kolonien habe ich gefunden, daß das popu- lärste Thema, das ungeheure Menschenmassen anzog, immer die ,,Anthropogenie" war. Dieses Werk Haeckels ist ebenfalls ins Eng- lische übersetzt worden und hat ebenso große Verbreitung gehabt wie die „Lebenswunder" und ,,der Kampf um den Entwicklungs- gedanken".
Kein Werk ist jemals in englischer Sprache geschrieben worden, das eine ebenso machtvolle Wirkung auf den Aberglauben ausgeübt und gleichzeitig ungelehrten Lesern so viel positive wissenschaftliche Belehrung verschafft hat wie das ,,Welträtsel"-Buch. Ich finde die Erklärung für seinen außergewöhnlichen Erfolg in der Unerschrocken- heit seiner kritischen Betrachtungen und in dem Aufbau einer ge- sunden Lebensphilosophie an Stelle der alten Märchen, die es zerstörte. Es ist eine meisterliche Zusammenfassung wissenschaftlicher Kultur, welche das Antlitz der Natur erleuchtet und den „Gespenstern" der alten Religion keinen dunklen Fleck überläßt, in dem sie hausen könnten. Dutzende von Versuchen sind gemacht worden, dieses Buch zu widerlegen, aber die englische Geistlichkeit ist im höchsten Grade wissenschaftlich ungebildet und kein Wissenschaftler hat sich ver- anlaßt gesehen, ihr beizustehen, ausgenommen Sir Oliver Lodge, ein Physiker, der nichts von Biologie versteht.
Die Macht der „Welträtsel" auf das englische Volk liegt in ihrer einfachen Wahrhaftigkeit und der meisterhaften Einfachheit ihres Aufbaues. Sie haben die Kirchen von Irland bis Neu-Seeland erschüttert, und die englische Übersetzung hat auch die Hindus und andere mit England verbundene Stämme in ihrer Aufklärung gefördert.
Die englischen Freidenker verehren deshalb in der Person ihres Autors den wirkungsvollsten Förderer der Auflösung der Theologie, der je gelebt hat. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts ist bei uns ein beständiger Verfall des Glaubens zu bemerken.
„Die Welträtsel" haben weit mehr als alle anderen Bücher getan, dies zu bewirken, und die „Anthropogenie" ist eine äußerst nützliche Ergänzung dazu geworden. Die Menschen schätzen die ausgesprochene Verwerfung jeder Form des Aberglaubens ebenso wie das Material zur Bildung einer positiven Ansicht der Wirklichkeit, welches das Buch in so reichlichem Maße darbietet. Uns in England ist es deshalb be-
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sonders willkommen gewesen, weil die furchtlose Sprache über Religion, die durch einen Huxley und Tyndall begonnen worden war, in der gegenwärtigen wissenschaftlichen Generation bedauerlicherweise nicht mehr gepflegt worden ist. Die Kirchen zogen aus ihrem Schweigen Vorteil und überzeugten den Unwissenden, daß der Konflikt zwischen Theologie und Wissenschaft vorüber sei. Unter diesen Umständen fiel Haeckels Werk mit besonderer Wucht über sie her. Sein Name wird von Hunderttausenden im britischen Kaiserreich mit Enthusias- mus begrüßt, und besonders nachdem ich die Bekanntschaft des ehrwürdigen und genialen Meisters in seinem geliebten Jena gemacht, halte ich es für eine meiner nützlichsten Taten, „die Welträtsel" in unserer Schwester-Zivilisation verbreitet zu haben.
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RUDOLF GOLDSCHEID, WIEN
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Man kann es sich heute gar nicht mehr recht vorstellen, daß es einmal Naturforscher gegeben hat, die nicht an Entwicklung glaubten — ja daß der Entwicklungsgedanke zunächst sogar auch gegen die Naturwissenschaft erkämpft werden mußte. Und noch un- glaublicher wirkt die Tatsache, daß gegenwärtig noch Menschen am Leben sind, die diesen Kampf mitgemacht, mehr noch, die sich das unsterbliche Verdienst erwarben, in der vordersten Reihe Jener gestanden zu haben, die ihn zum Siege führten. Wie soll man genug darüber staunen, daß ein so erbitterter Geisterstreit um den Ent- wicklungsgedanken notwendig war, wo doch schon vor über 2000 Jahren ein griechischer Philosoph den lapidaren Satz ausgesprochen hat: ,, Alles fließt" — und in klaren Worten die ewige Wahrheit niederlegte, daß niemand zweimal in denselben Strom zu steigen vermag, daß alles in unaufhörlicher Veränderung sich befindet, der Mensch ebenso wie die Dinge.
„Tempora mutantur et nos mutamur in illis!" Ist es begreiflich, daß selbst die Geschichtswissenschaft sich von diesem uralten Gemein- platz fernhielt, daß sie, deren innersten Sinn es ausmacht, das Sein als Werden zu begreifen, Widerspruch gegen die Idee der Entwick- lung erhob, daß sie versagte, als es galt, auch die lebendigen Träger der Geschichte nach genetischer Methode zu erfassen. Überblickt man nur diesen einen kleinen Ausschnitt aus dem Werden, den die Geschichte des Entwicklungsgedankens umfaßt, dann muß man sich schon vor dem Genius der Philosophie verneigen, weil dieser es war, der dem Entwicklungsgedanken zuerst gerecht wurde. Es ist deshalb geradezu als Versündigung am Menschengeist zu bezeichnen, wenn zuweilen noch immer die Anschauung vertreten wird, alle Philosophie sei müßige Spekulation, stelle gleichsam nur den bleichen Schatten dar, den das helle Licht der Einzelwissenschaften werfe. In Wirklichkeit können wir beobachten, wie zu allen Zeiten stets wieder eine Phase kommt, wo die Philosophie den Einzelwissenschaften voranschreitet, ja daß es genau genommen die Philosophie war, die den Begriff des Exakten erst zu seiner heutigen Klarheit und Schärfe durch- gearbeitet hat. "gggggG]gE]EjgggggggB]ggggE]gggggggE]ggggB]ggE]G]B]E]EiEiE]E]E]B]EiE]B]E]E]
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Und ebenso wie der Philosophie das Verdienst gebührt, daß sie schon weit früher von Entwicklung sprach, als die Naturwissenschaft, daß sie eherne Gesetze des Fortschritts proklamierte, zu einer Zeit, wo von biologischen Entwicklungsgesetzen noch nicht die Rede war, so darf sie auch den Ruhm für sich reklamieren, die Fortsetzung der naturwissenschaftlichen Methoden bis ins Organische hinein und von da weiter bis ins allerfeinste Psychische vorbereitet zu haben. Trotz aller ihrer großen Errungenschaften in der Erkenntnis der Naturgesetzlichkeiten war die anorganische Naturwissenschaft in dieser Hinsicht zaghaft bis ins Unglaubliche; vor dem Belebten machte sie in unbegrenzter Kurzsichtigkeit mit ihrer strengen Kausal- erkenntnis Halt, hier zauderte sie, die selbst gesteckten Grenzen ihres Forschungsgebietes zu überschreiten.
Diesen gewaltigen Schritt unternahmen erst Darwin und seine Vorläufer, anknüpfend an die ihrer Zeit weit voraneilenden philo- sophischen Theorien, von letzteren jedoch keiner mit der gleichen unbeugsamen Konsequenz wie Darwin selber. Er hatte den Mut, den Tatsachen, die sich ihm aufdrängten, mehr zu glauben, als den Traditionen, die ihn in ihren Bann zu zwingen suchten; er zog unbeirrt die notwendigen Folgerungen aus der logisch geordneten Erfahrungs- gesetzlichkeit, wagte es, jenen Boden, den die Philosophen spekulativ erschlossen hatten, mit festem Fuß experimentell zu betreten. So wurde er nach Lamarck, der aber noch nicht so energisch wie er mit unbewiesenen metaphysischen Voraussetzungen zu brechen sich getraute, zum ersten großen Naturphilosophen des Organischen und damit zum eigentlichen Begründer der modernen Biologie. Was bis zu ihm fast nur eine Summe von isolierten Einzelerkenntnissen war, das faßte er zum System zusammen, zum System einer exakt fun- dierten Entwicklungslehre. Geschichte und Naturforschung vereinigte er so zu einer einheitlichen Theorie, die die Geschichte zur Ent- wicklungsgeschichte erweiterte.
Es ist überaus interessant für die Eigenart des menschlichen Geistes, daß dieser durch nichts mehr in seinen Grundlagen erschüttert wird, als wenn man den notwendigen Versuch unternimmt, aus ana- lytischen Induktionen die zwangsläufigen synthetischen Schlüsse zu ziehen — ein Bestreben, das, wo es tiefgreifend genug ist, allerdings stets eine vollkommene Neuordnung unserer gesamten Erfahrungs-
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weit zur Folge hat. Aus dieser Erschütterung ging der ungeheure Sturm hervor, der sich gegen die Darwinsche Lehre erhob. Nur wenige waren es, die die ganze Größe dieser Leistung in der vollen Fülle ihrer Konsequenzen freudig bejahend zu erfassen vermochten. Zu diesen ganz Wenigen gehört Ernst Haeckel, der Mann, dessen acht- zigsten Geburtstag wir in diesen Tagen zu feiern die Freude haben.
Obwohl nicht zu Darwins engerem Freundeskreis gehörend, fern von ihm in einem Lande, wo fast alle Autoritäten entrüstet sich gegen den neuen organischen Heilbringer wandten, ergriff er sofort mit Feuereifer seine Partei, machte dessen Lehre zu seiner eigenen und widmete die ganze Lebensarbeit der Aufgabe, neue Bausteine zur Erweiterung und besseren Fundierung des Gebäudes beizubringen, das Darwin aufgerichtet hatte. Und er ging noch über Darwin hinaus in der Kühnheit seiner Hypothesen unterstrich das, was jener nur angedeutet hatte, verstärkte besonders dessen Angriffe gegen alle metaphysisch-teleologischen Spekulationen. Die „Generelle Morpho- logie" und die „Natürliche Schöpfungsgeschichte" sind die leuchten- den Dokumente dieser großen historischen Epoche.
Es muß fast wie ein Wunder erscheinen, daß es den jüngeren Mitgliedern der gegenwärtigen Generation noch vergönnt ist, einem der Heroen des Entwicklungsgedankens persönlich den Dank ab- statten zu können für das, was dieser ihnen gegeben. Wie langsam und mühsam sich der Kampf um jede kleinste Errungenschaft im All- tag auch hinschleppt, so ist es also doch eine Tatsache, daß wenige Jahrzehnte genügen, um etwas, was als heißumstrittene Hypothese ins Leben trat, zum Gemeingut der Wissenschaft zu erheben! Wer zweifelt heute noch daran, daß nicht nur die menschlichen Ideen, nicht nur die menschlichen Einrichtungen im geschichtlichen Prozeß erarbeitet wurden, sondern, daß auch der Mensch selber, ja sogar die Gattung homo sapiens ein Produkt des Entwicklungsprozesses ist, daß dieses hochkomplizierte Gebilde nicht wie Athene in der Sage fertig dem Haupt des Zeus entsprang.
Freilich — dieser ungeheuer rasche Werdegang, der jeden Mit- kämpfer an der lebendigen Tat der Kulturschöpfung mit neuem Mut erfüllen muß, er ist in erster Linie das Ergebnis der Unermüd- lichkeit, mit der diejenigen, die ihr ganzes Leben in den Dienst der Entwicklungsidee gestellt haben, ihr großes geistiges Befreiungswerk
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verfochten. Durch nichts waren sie in der Kraft ihrer Überzeugung zu beirren — Hohn, Spott, Verächtlichmachung, Denunziation, Ver- folgung, alles ließen sie ruhig über sich ergehen, ohne auch nur um Haaresbreite von dem abzuweichen, was sie als wahr, was sie als notwendige Erkenntnis ansahen. Diese Festigkeit in ihrer Über- zeugungstreue ist umso höher zu werten, wenn man sich vor Augen hält, welch ein ungeheures Maß von seelischer Stärke dazu gehört, um unter so schwierigen Verhältnissen ohne Schwanken auszuharren — weiß doch Jeder aus eigener Erfahrung, wie oft man von Stun- den, ja Tagen der Verzagtheit überfallen wird, welcher Fond von zäher Ausdauer erforderlich ist, um sich kontinuierlich seine unge- brochene Initiative zu bewahren.
Und nun haben wir in Ernst Haeckel das erhebende Schauspiel vor uns, daß hier ein Mensch noch unter uns lebt, dem es gelungen ist, sich bis in sein höchstes Alter die volle Wucht und Einheit seiner Persönlichkeit zu erhalten — ja mehr als das: die volle Kampf- freudigkeit für die Ideen, denen er seit jeher sein ganzes Sein ge- widmet. Niemals ließ Haeckel die Gefahr an sich herankommen, zum bloßen Pensionär seines Ruhmes herabzusinken, immer blieb er in der vordersten Kampfreihe, stets war er nur auf eines bedacht: die Konsequenzen seiner kritisch und empirisch erprobten An- schauungen noch strenger und noch energischer zu ziehen. Dadurch blieb er ein Junger bis ins höchste Greisenalter.
Auch mit seiner eigenen Persönlichkeit stellte er sich auf den Boden des Entwicklungsgedankens, indem er seine Weltauffassung stets durchaus im Einklang mit den Fortschritten der Wissenschaft zu halten bemüht war. Wie hat Haeckel noch im Jahre 1878 über die Grundlehren des Sozialismus gedacht, als Virchow die untilgbare Schuld auf sich lastete, die Entwicklungstheorie damit diskreditieren zu wollen, daß er sie anklagte, sozialdemokratischen Tendenzen Vorschub zu leisten. Damals wies Haeckel, der zu dieser Zeit über das engere Gebiet der Naturforschung noch nicht hinausgewachsen war, diesen Vorwurf mit Entrüstung von sich. Man traut seinen Augen kaum, wenn man in seiner Replik: „Freie Lehre im freien Staat", die er gegen Virchows Rede: „Die Freiheit der Wissen- schaft im modernen Staate" richtete, liest, wie er trotz seiner Un- voreingenommenheit in allen Fragen, die das Verhältnis von Religion
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und Wissenschaft betrafen, in sozialer Hinsicht so befangen war, daß er die Ergebnisse der Entwicklungslehre für unvereinbar hielt mit den Grundlehren des wissenschaftlichen Sozialismus. Wie hat er sich seitdem auf Grund besserer Einsicht, auf Grund unbeugsamer innerer Konsequenz, geschlossenen einheitlichen Denkens gewandelt! Indem er seine naturwissenschaftlichen Theorien zu einer monisti- schen Philosophie erweiterte, sah er sich genötigt, auch im Sozialen von allen Vorurteilen immer weiter abzurücken, — ein Prozeß innerer Wandlung, der seit den „Welträtseln" noch weitere Fort- schritte gemacht hat. Er hat hierin einen ganz ähnlichen Weg ge- nommen, wie der kürzlich verstorbene Mitbegründer der Entwick- lungslehre Alfred Russell Wallace.
Und was ihn dazu nötigte, das war die immer tiefere Erfassung der Bedeutung der monistischen Methode für alle Welterkenntnis und Weltgestaltung. Es macht das Wesen des Monismus aus, daß jeder seiner Bekenner sich gezwungen fühlt, sich nicht auf die Bearbeitung eines einzelnen Gebietes zu beschränken, ohne sich zugleich zu fragen, wie die von ihm gefundenen Erkenntnisse widerspruchslos einge- gliedert werden können in das Gesamtsystem menschlichen Erken- nens und wie Erkenntnis und Tat zur Einheit zusammengeschmiedet zu werden vermögen. Auch Haeckel konnte sich darum der Aufgabe nicht entziehen, darüber nachzusinnen, wie biologische und soziale Entwicklung innerlich zusammenhängen, welches die sozialen Voraus- setzungen geistiger Freiheit und organischen Fortschritts sind — und von diesem Gesichtspunkt aus wurde er zu Anschauungen geführt, die ihm nicht mehr erlaubten, einen unversöhnlichen Gegensatz zwischen den biologischen und den sozialen Entwicklungsnotwendig- keiten anzunehmen. Zur Erkenntnis der restlosen Übereinstim- mung, die hier gegeben ist, ist er allerdings auch heute noch nicht vorgedrungen. Dazu hat er die weitgehende Revisionsbedürftigkeit der Darwinschen Selektionstheorie und einer Reihe der Grund- begriffe der Entwicklungslehre nicht scharf genug erfaßt, hat er nicht genügend gewürdigt, wie tief bis ins Allerfeinste hinein die kontinuierliche Wechselwirkung zwischen Individuum und Umwelt sich erstreckt. Aber bei der Beweglichkeit des Geistes dieses Achtzigjährigen ist zu erwarten, daß er auch bezüglich aller dieser Punkte noch nicht das letzte Wort gesprochen hat.
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Und ebensowenig wie Haeckel sich scheute, neuen Tatsachen Rech- nung zu tragen, die aus der ganzen Zeitgeschichte mit der Wucht des Lebendigen auf ihn einstürmten, — ja ihnen selbst dort Rechnung trug, wo sie mit seinen ursprünglichen Ideen nicht übereinstimmten, ebenso hatte er auch die Kraft, Zeitströmungen, so machtvoll sie sich auch äußern mochten, unbesiegbaren Widerstand entgegenzusetzen, wenn er sie für ephemer hielt, wenn er die Geschlossenheit ihrer Argumentenreihe trotz allen gegenteiligen Anscheines nicht als auf ausreichender Beobachtung beruhend erachtete. Das schönste Zeug- nis für diese Art wissenschaftlicher Zähigkeit — bei aller Geneigtheit, jeder neuen gesicherten Erfahrung überholte eigene Anschauungen zum Opfer zu bringen — ist seine Haltung dem Problem der Vererb- barkeit erworbener Eigenschaften gegenüber.
Er ist nie schwankend geworden in seiner Überzeugung von der Kontinuität des Geschehens und ebenso energisch, wie er jede vita- listisch gedeutete Eigengesetzlichkeit der Lebensvorgänge entschieden bestritt, so wandte er sich auch gegen alle Bestrebungen, die dem Keimplasma eine isolierte Stellung im Organismus zusprechen wollten, die einen schroffen Dualismus von Soma und Vererbungssubstanz, ja zwischen Individuum und Umwelt vertraten, die hier Eigengesetz- lichkeiten postulierten, die außer jeglichem Zusammenhang unter- einander stehen. W'ie recht er darin hatte, das zeigen gerade die neuesten Ergebnisse der Wissenschaft aufs deutlichste, kann es doch heute nur noch fraglich sein, auf welchem Wege und in welchem Maße die Reize, die das Soma treffen, sich auch bis in die Keim- entwicklung fortsetzen — die Tatsache der Einheit des Organis- mus, der Ontogenese ebenso wie der Phylogenese ist jedoch kein Problem mehr.
Und auch in diesem Punkte war es seine monistische Philosophie, die ihn vor Irrtümern bewahrte. In dieser haben wir darum den Gipfel der Lebensleistung Ernst Haeckels zu erblicken. Sie ist das, was weit über die Leistungen auf seinem Spezialgebiet hinauswirkt, was das Fundament einer neuen vertieften allumfassenden Weltanschauung bietet, die in aktivistische Weltgestaltung mündet, in eine mächtig ausgreifende Kulturphilosophie, die alle Naturphilosophie krönt. Es ist sicherlich eine Erscheinung, die in ihrer Bedeutung nicht leicht überschätzt werden kann, wenn der Entwicklungsgedanke
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nun durch Haeckels und Ostwalds unermüdliche Bearbeitung im Einheit- lichkeitsgedanken kulminiert, ein Ergebnis, das bei der innigen Ver- wandtschaft zwischen Entwicklungstheorie und Konti- nuitätsidee geradezu als deren notwendiges Produkt angesehen werden muß.
Nichts war darum kurzsichtiger, als sich über Haeckels Materialis- mus aufzuregen. Die strenge Konsequenz, durch die Haeckels Monis- mus sich auszeichnet, ließ ihn in eine idealistische Spitze aus- laufen, die dahin wirkt, nun mehr als je in der Einheit des Erkenntnis- zusammenhanges die oberste Rechtfertigung aller Aussagen der Wis- senschaft zu erblicken. Der Einheitszwang ist der unablässigste Mahner des menschlichen Bewußtseins; er drängt über die Einheit der Anschauung hinaus zur Einheit der ganzen Persönlichkeit, in deren Denken ebenso wie in deren Tun, ja letztlich in diesen zwei Grundfunktionen alles Lebendigen untereinander.
Wir wissen heute: die erste und letzte Voraussetzung der Ge- schlossenheit unseres wirkenden Seins ist Konsequenz, die kein Aus- weichen vor den notwendigen Folgerungen aus notwendigen Prämissen gestattet, im Handeln ebensowenig wie im Denken, — die der Kon- tinuität des Geschehens und der Erfahrungsgesetzlichkeit voll gerecht wird, die nicht duldet, daß irgendwo im Gegebenen ein Schnitt zwischen durchweg getrennten Eigengesetzlichkeiten gemacht wird. Die Einheit der Persönlichkeit erlaubt keinerlei Dualismus, der die Äquivalenzbeziehung aufhebt, sie ist unvereinbar mit der Anschau- ung, daß Wesenheiten, die auch nicht das geringste miteinander gemein haben , aufeinander einwirken können. Der strenge Einheits- und Kontinuitätsgedanke verbietet deshalb auch, der Wissenschaft an irgend einem Punkte Halt zurufen zu wollen; in Erkenntnis- dingen gibt es keine höhere Instanz als die Vernunft und ihre imma- nenten Erfahrungsgesetze; was diesen widerstreitet, kann nicht als wahr hingenommen werden. Wo gegensetzliche Meinungen einander bekämpfen, da können wir nur jenen zustimmen, die mit der Einheit und Widerspruchslosigkeit des Gesamtzusammenhanges der Erfah- rung zusammen zu bestehen vermögen. Das gilt in gleicher Weise für alle Aussagen, mögen sie sich beziehen auf was immer. Unsere Vernunft kann sich weder beruhigen, wenn Glauben und Wissen einander widerstreiten, wie wenn Theorie und Praxis eine weite Kluft gggggggggggEjgE]gE]ggggE]ggggE]gggggggEiggEigE]E]E]BiE]BiE]EjE]E]E3E]E]B]
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trennt. Und ebensowenig, wie zwischen Tatsachenkonstatierungen unüberbrückbare Divergenzen bestehen bleiben dürfen, wenn ein- deutige Problemlösungen zustande kommen sollen, so ist auch jeder unbehobene Widerspruch zwischen praktischen Postulaten unterein- ander ein sicherer Beweis für deren Unzulänglichkeit. Jede Ordnung, wo das, was auf einem Gebiet als wahr angenommen wird, mit an- geblichen Gewißheiten eines anderen Gebietes im Widerspruch steht, ist als unbrauchbar, ja als der Menschenwürde zuwiderlaufend abzulehnen; möge sie von noch so starken Traditionen gestützt sein, sie sprengt die Einheitlichkeit der Persönlichkeit, die sowohl unser größtes Gut, wie unsere höchste menschliche Aufgabe ist, und muß darum energisch bekämpft werden.
Von diesem tiefgefühlten Bedürfnis nach strenger Einheit der Persönlichkeit, die den kritisch geprüften Ergebnissen der Erfahrung niemals und nirgends den Respekt versagt, ist das ganze Leben Ernst Haeckels geleitet gewesen. Von ihr getragen nahm er ruhig den Kampf mit der Autorität von Staat und Kirche auf, ging er unent- wegt hinweg über alle Stürme der öffentlichen Meinung. Und selbst wo er geirrt hat, ist er darum eine erfreulichere Erscheinung, als sie minder streitbare Naturen darbieten, die allerdings weniger geirrt, dafür aber auch weit weniger geleistet haben als er.
Die historische Gerechtigkeit wird ihm Dank wissen für den vor- bildlichen Mut, mit dem er immer seine ganze Kraft für das ein- gesetzt hat, was er für wahr und notwendig hielt, wie dafür, daß er jederzeit bereit war, die ganze Autorität, die er sich mühsam er- obert, aufs Spiel zu setzen, wenn es galt, neuen Erkenntnissen über- holten autoritativen Meinungen gegenüber zum Siege zu verhelfen. Was ihm die Mitwelt zum Vorwurf macht, gerade das wird ihm die Nachwelt zum Verdienst anrechnen. Dieser Wandel der Beur- teilung hat sich noch zu allen Zeiten am Schicksale der wahrhaft Großen in der Geschichte vollzogen; zu unsterblichem Ruhme wurden sie gleichsam hinaufgelästert. So unbequem der un- ermüdliche Kämpfer im einzelnen immer ist und sein muß, schließlich bemächtigt sich sogar seiner erbittertsten Widersacher die unabweis- bare Überzeugung: es ist doch das größte Glück für die Menschheit, daß die Persönlichkeiten nicht aussterben, die sich Tag für Tag von neuem für ihre freien Ideen opfern, die auch eine Welt von Wider-
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spruch nicht zum Schweigen zu bringen vermag, wenn ihr individueller Logos sie zwingt, ihre heiligste Erkenntnis tatenfroh in die wider- strebende Welt hinauszuschleudern. Was wiegen demgegenüber Irrtümer im einzelnen, besonders wenn auch sie von unerbittlichem Wahrheitswillen getragen sind? Der Wahrheitswille ist der Schöpfer der höchsten menschlichen Ordnung, ihn zu verehren ist darum das oberste Gebot der menschlichen Seele.
Durch einen solchen allerlebendigsten, unerschütterlichen Wahr- heitswillen hat sich Haeckel zu allen Zeiten ausgezeichnet. Deshalb muß diesen Mann jeder, der es ehrlich mit unseren höchsten Auf- gaben meint — stehe er auf welchem Boden immer und trenne ihn auch noch so viel von Haeckels Weltanschauung — an seinem Jubel- tage feiern. Bei Erscheinen der „Welträtsel" hat Paulsen in einem unüberlegten Augenblicke das bedauerliche Wort ausgesprochen: dieses Werk habe ihm die Schamröte ins Gesicht getrieben. Temperament- voll setzte er damit Überzeugung gegen Überzeugung. Es ehrt diesen Philosophen aber, daß er — wie ich aus authentischer Quelle weiß — jenen vielzitierten Ausspruch später bereute. Und wie dieser Einzelne es sich mit Recht bei ruhiger Überlegung zum Vor- wurfe machte, daß er sich an einer so geschlossenen sittlichen Indi- vidualität mit seiner herabwürdigenden Äußerung versündigte, so werden es auch spätere Geschlechter bereuen, daß unter den Zeit- genossen Ernst Haeckels Viele waren, die die Tiefe seiner Einheits- arbeit, die die Kraft seines sittlichen Einheitswillens, die seinen Erfahrungsfanatismus nicht in ausreichendem Maße würdigten, denen die ganze Größe der Ziele, die die monistische Natur- und Kultur- philosophie sich setzt, nicht voll zum Bewußtsein kam, die über deren Mängel im einzelnen, von denen keine neue Schöpfertat völlig frei ist, ihre ungeheuren Vorzüge übersahen, die verkannten, daß diesen Ideen die Anfänge einer gewaltigen Kulturbewegung zugrunde liegen, die zukunftsschwanger einen ganz neuen Habitus der mensch- lichen Seele aus sich hervorzutreiben berufen ist. Der Mann, der den Stammbaum des Menschengeschlechts aufzuzeichnen sich er- kühnte, dessen Namen wird die Kulturmenschheit aus der Ahnen- tafel ihres schöpferischen Genies niemals löschen!
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J. F. ZALISZ, LEIPZIG
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Heil dir! dem Vergehen und Werden lebensfrisch vor der Seele stand. Heil dir! der selbst der Wahrheit ringend den Schleier entwand.
Vergleichende Anatomie (Beobachtungsobjekt) und natürliche Ent- stehung der Erde als Denkprodukt dieser Beobachtung ergeben die Nichtexistenz eines Gottes. Deshalb sei die Gottheit schlafend dargestellt samt ihren Helfern, „den Engeln". Ich versuchte diesen Gedanken in meiner Radierung „An Ernst Haeckel" festzuhalten.
,,An Ernst Haeckel!" Welch eine Fülle von Gedanken kam über mich, als ich mich mit diesem Blatte beschäftigte ; ich wußte nicht, was ich mehr an ihm schätzen sollte, den großen Forscher, den Natur- freund, den Kunstfreund, den Menschen oder den Kämpfer für Gei- stesfreiheit und Willensstärke. In allem hat er Großes geleistet und Unsterbliches.
Ein schlichtes Denkmal suchte ich ihm mit diesem Blatte zu setzen. Ich versuchte es, d. h. ich bin überzeugt, damit nur einen kleinen Teil Haeckels erschöpft zu haben, denn um ihm ganz gerecht zu wer- den, hätte ich schon zum Zyklus greifen müssen.
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Nach einer Radierung von J. F. Zalisz, Leipzig
17 Haeckel-Festschrift. Bd. II
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EDUARD AIGNER, MÜNCHEN
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Als im Jahre 1906 der deutsche Monistenbund von Professor Haeckel gegründet wurde, da lernte ich in mancher langwierigen und erlebnisreichen Beratung im zoologischen Institut zu Jena die Be- geisterung und Beharrlichkeit kennen, mit der unser Ehrenpräsident an der Organisierung der Vertreter wissenschaftlichen Denkens gegen- über der Autorität des traditionellen Glaubens hing. Die Opferfreudig- keit des Führers hatte ihre begeisternde Wirkung auf seine Mitarbeiter, und wenn heute der Monistenbund sich zu allseitigem Ansehen durch- gerungen hat, so danken wir das in erster Linie dem damaligen Wirken der Persönlichkeit Professor Haeckels. Jahre sind seither ver- flossen. Ich habe Haeckels Abschiedsvorlesung und seinen Vortrag, mit dem er sich in Jena aus der Öffentlichkeit zurückzog, mit an- gehört. Der Körper hat seitdem dem Alter manchen Tribut zahlen müssen, um so mehr scheint das Glück, am Lebensabend all das sieg- reich sich entwickeln zu sehen, wofür man vor einem Menschenalter mit aller Hingebung gegen die finsteren Mächte der Reaktion ge- kämpft, den Geist des nunmehr Achtzigjährigen jung zu erhalten. Möge es unserm Ehrenpräsidenten noch recht lange vergönnt sein, diesen einzigartigen Triumph zu feiern.
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ARNOLD LANG, ZÜRICH: AUS MEINEM INTIMEN
SCHULDBUCH
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In wenigen Wochen wird sich zum vierzigsten Male der Tag jähren, an dem ich Ernst Haeckel zum ersten Male sah. Zwischen damals und heute liegt meine ganze akademische Laufbahn. Auf ihr Ende fällt des Meisters achtzigster Geburtstag, an dem wir ihm für alles danken wollen, was er uns war. Und wer hat mehr, als der Schreiber dieser Zeilen, Recht, Grund und Pflicht, dies zu tun und immer wieder zu tun. Heute darf ich mich wohl auf die Erinnerung an die persönlichen Wohltaten beschränken, die mir mein Lehrer erwies und die so stark auf meinen Lebensgang einwirkten.
Als Geschenk zum Neujahr 1874 hatte ich mir, der ich als Schüler Vogts in Genf studierte, Haeckels „Generelle Morphologie" er- beten. So gewaltig wirkte das geniale Werk auf mich, daß es mir Tag und Nacht keine Ruhe ließ, bis ich es ganz in mir aufgenommen und erfaßt hatte. Durch schwere, innere Kämpfe hindurch verhalf es mir zu jener mutig frischen Freude am Leben, Wissen, Streben und Forschen, die dem denkenden Menschen die Befreiung von den Fesseln der Überlieferung, das unbeengte, reine, voraussetzungslose Ringen nach Wahrheit verschafft.
Mein Entschluß stand nunmehr fest, mich der Zoologie zu widmen und meine Studien bei Haeckel fortzusetzen. Mein lieber Vater, ein ebenso bescheidener und wohlwollender, wie einsichtiger und aufgeklärter Mann, der mir ein umfassendes Studium und besonders auch wiederholte Studienreisen ans Meer ermöglichte und mir immer die Freiheit der Entscheidung ließ, auch wenn sie für ihn mit schweren Opfern verknüpft war, erteilte seine Zustimmung. Und so stand ich an einem schönen Tage des ersten Thüringer Frühlings pochenden Herzens, mit einem warmen Empfehlungsschreiben meines lieben Lehrers und nachherigen Freundes Carl Vogt in der Hand, in Haeckels Arbeitszimmer zu Jena.
Es erhob sich vor mir elastisch die hohe, im Ebenmaß den Geist verkörpernde Gestalt des gewaltigen Streiters. So wie ich ihn damals zum ersten Male sah, mit dem ersten Eindruck, den er als vierzig- jähriger Mann auf mich machte, kann ich mir ihn auch heute noch
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ins Gedächtnis zurückrufen. So wird er auch, wie ich glaube, im Gedächtnisse der Nachwelt fortleben. Mit seinem Namen wird die Vorstellung der jugendfrischen, kampfesfrohen Kraftgestalt so un- trennbar verbunden sein, wie mit demjenigen Darwins das Bild eines sinnenden alten Weisen des großen Altertums, im silbergrauen Bart. Blonde Locken umrahmten damals das männlich-schöne Ant- litz Haeckels. Freundlich und lustig blickten die hellen Augen her- über zu mir, um dann sinnend in die Ferne zu schauen. Bald lag in ihnen, den treuen Spiegeln der Seele, ein fast schüchterner Aus- druck kindlicher Naivität, bald blitzten sie, etwa in Erinnerung an eine Gefechtsepisode, fast mutwillig auf.
Die Augen, die so viel geschaut und die doch nimmer satt ge- worden sind von dem goldnen Überfluß der Welt, sie sind ihm treu geblieben. Und wenn auch die Jahre das edle Antlitz durchfurcht und Bart und Haupthaar gebleicht haben, so schlägt doch heute das Herz noch jugendfrisch und freut sich der ungetrübte Geist der Gewißheit, daß Tausende und Tausende heute in Verehrung seiner gedenken, eine ganze Legion von Intellektuellen. Wir freuen uns dieses Namens und sind stolz auf ihn.
1874! Es war die Zeit, da der Kampf für oder gegen Darwin am heftigsten tobte und Haeckel stand schon damals im Vorder- treffen. In Jena, dem lieben, kleinen, „närrischen", in seiner ur- alten Gestalt noch ganz unveränderten Professoren- und Studenten- städtchen, verlebte ich zwei fröhliche und doch arbeits- und gewinn- reiche Studienjahre zu Füßen des Meisters, der mir ständige Zeichen des Wohlwollens gab. Durch Haeckel auf Lamarcks Bedeutung aufmerksam geworden, übersetzte ich während dieser Zeit in den Ferien dessen „Philosophie Zoologique" ins Deutsche. Wenn nicht gar zu viele fachwissenschaftliche Übersetzungsfehler in dem Buche enthalten sind, so habe ich das den bereitwilligen Belehrungen Haek- kels zu verdanken. Im März 1876 promovierte ich in Jena. Ziemlich unvorbereitet wurde ich von dem alten lieben Pedellen Pilling von der Ölmühle, wo ich mit Landsleuten kegelte, ins Examen weg- gerufen. Trotz meiner mehr als bescheidenen Kenntnisse erhielt ich zu meinem freudigen Erstaunen die Note „magna cum laude". Es wurde mir sofort klar : Haeckel überschätzte mich in seinem Wohl- wollen und war wohl der sicher irrtümlichen Überzeugung, daß ich
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viel mehr wußte, als aus mir herauszubekommen war. Und das- selbe galt gewiß auch von meinem verehrten Lehrer Eduard Stras- burger, der mich in Botanik examinierte. Merkwürdig, Rudolf Eucken, der mich in Philosophie prüfte, hatte sich aus den empiri- schen Prüfungsresultaten ein viel zutreffenderes Bild von meinen wirklichen Kenntnissen gemacht, als die beiden großen Naturforscher. Meinen freudig überraschten Eltern habe ich den wahren Sachverhalt nie mitgeteilt. Ich bin nicht ganz sicher, daß ich es nur deshalb unterließ, um ihre Freude nicht zu beeinträchtigen.
Wenn ich jetzt, nach so langer akademischer Tätigkeit, auf die zahlreichen Prüfungen zurückblicke, die ich selbst abgenommen habe und mich frage, ob ich alle meine Kandidaten mit einem ähnlichen Wohlwollen wie Haeckel und Strasburger mich . . . .
Ich habilitierte mich noch im gleichen Jahre in Bern und ging dann bald für lange Zeit nach Neapel, ohne in einem Schweizer- regiment Dienst zu nehmen, wie meine Großmutter befürchtete.
Fast zehn Jahre später — ich hatte meine Polycladenmonographie eben publiziert — wurde meine äußere Lage plötzlich sehr schwierig. In meinen bedrängten Verhältnissen streckten mein Freund Ludwig von Graff in Graz und mein Lehrer Haeckel die helfende Hand nach mir aus. Ich suchte und fand im Herbst 1905 Zuflucht bei der mir befreundeten Familie Pilling und im neu erstellten Zoologischen Institut in Jena, an dessen Einrichtung ich mich noch etwas beteiligen konnte. Bald durfte ich erfahren, wie sehr mein Chef im stillen um mich besorgt war. Dabei hat es mir sicher nicht geschadet, daß Haeckels Famulus, der treue Pohle, Geheimrat Pohle, wie er nach meinem Vorgang in Professorenkreisen genannt wurde (in Studentenkreisen hieß es oft: Darwin, Haeckel und Pohle), mich von Anfang an in sein Herz einschloß. Bald verbreitete sich in Jena die anfänglich mit ungläubigem Kopf schütteln aufgenommene Kunde, es sei dem neuen Schweizer Zoologen gelungen, Haeckel zu überreden, daß er es zuließ, daß wenigstens in die Laboratoriums- räumlichkeiten die Gasleitung zugeführt wurde und er habe es außer- dem dahin gebracht, daß Haeckel beide Augen schließe, wenn etwa in gewissen Räumen geraucht werde.
Im folgenden Jahre gründete Haeckel aus der neuen Paul von Ritterschen Stiftung die Ritter-Professur für Phylogenie. Auf
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seinen Vorschlag hin wurde ich zum ersten Inhaber dieser Professur ernannt. Damit war mir eine, wenn auch bescheidene, Stellung ge- sichert und ich konnte daran denken, meinen eigenen Hausstand zu gründen. Von Anfang an übertrugen Haeckel und seine ver- ehrte Gattin ihr großes Wohlwollen auch auf meine junge Frau. Seiner väterlichen Fürsorge vor allem war es zu danken, daß sie sich rasch im fremden Lande einleben konnte, daß die Zahl der engbefreundeten Familien sich mehrte und daß uns Jena bald zur zweiten Heimat wurde. Bei meiner ältesten in Jena geborenen Tochter hat er als Pate die Rolle eines Schutzpatrons übernommen.
Den Bestimmungen der von Ritterschen Stiftung entsprechend mußte ich alljährlich eine öffentliche Rede über ein phylogenetisches Thema halten. Ich hielt die erste am 27. Mai 1887 über „Mittel und Wege phylogenetischer Erkenntnis". Noch lebhaft erinnere ich mich, welchen feierlichen Eindruck es auf mich machte, als jeweilen während der Rede in der Aula, zu deren Besuch das Läuten der ehrwürdigen Turmglocke einlud, die anstoßende Brüdergasse ab- gesperrt wurde. Die obligate Rechnung für das Heizen der Aula (Ende Mai oder im Juni!) hat jeweilen Haeckel selbst in seine geduldige Mappe gelegt. Das Abhalten dieser Reden war für mich heilsam. Es lag darin ein äußerer Zwang, nicht nur den Blick auf das Allgemeine gerichtet zu halten, sondern auch zu versuchen, der Darstellung eine gefällige, allgemeinverständliche Form zu geben.
Die Zeit meines Jenenser Ritter-Professorats war für mich die denk- bar glücklichste und fruchtbarste. Im Institut war es eine Lust zu leben und zu arbeiten. Haeckels wohlwollende Liebenswürdigkeit und anspruchslose Güte sahen über alle meine Schwächen hinweg. Er erwies mir auch sofort die seltene und hohe Ehre, mich in den illustren Referierabend einzuführen, eine familiäre, intime Vereinigung von gelehrten Professoren, in der abwechselnd in den Wohnungen der Mitglieder über die neuesten bedeutenden Leistungen auf dem Gebiete der Naturwissenschaften referiert und diskutiert wurde. Man mag sich vorstellen, wie unschätzbar wertvoll für mich der regel- mäßige Verkehr mit Männern der Wissenschaft wie Abbe, Bieder- mann, Detmar, O. Hertwig, Max Fürbringer, Wilh. Müller, Preyer, Stahl und Winkelmann war, von denen jetzt leider schon manche zu den Vätern versammelt sind. Und der rege geistige Verkehr 3E]E]gE]S]gggE]gggggE]gggE]gggggggggggggggG]EiE]B]5iB]E]E]E]gE]G]f£]E]S][5]S]
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setzte sich auch auf gemütlichen Spaziergängen in den reizvollen Umgebungen Jenas und in den abendlichen Zusammenkünften auf dem Forst oder der Schweizerhöhe fort, wo so oft herzerfrischend Haeckels „helles, lautes, fröhliches Lachen" ertönte.
In diese Zeit fiel auch der Wohlgemut-Konflikt mit meinem Heimatland und es kam meinem immer unvorsichtigen Tempera- ment zugute, daß namentlich Abbe mit seinem autoritativen An- sehen zuweilen seine schützenden Fittiche über mich ausbreitete. In meinem Hause war ein reger, fröhlicher Verkehr tüchtigster junger Gelehrter, von denen die meisten jetzt in ernstem Amt und hohen Würden stehen und mich trotzdem noch freundlich mit „lieber Lang" anreden. Ein Kränzlein dankbarer, aber wehmütiger Er- innerung sei hier Haeckels vortrefflichen, charaktervollen Assistenten Alfred Walter und Bernhard Weißenborn gewunden, die leider allzu früh ins Grab gesunken sind.
Im Herbst 1899 war die Professur Heinrich Freys für Zoologie und verwandte Fächer an beiden Hochschulen in Zürich zu besetzen und ich habe es in erster Linie wiederum der warmen Fürsprache Haeckels zu verdanken, wenn ich an diese Stelle berufen wurde, welcher seitdem mein ganzes Wissen, Wollen und Können gegolten hat. Eine gewichtige Amtsperson sagte später, als ich mich vor- stellte, zu mir. „So, Sie sind also der Mann, den Haeckel uns so schwer gerühmt hat." Mein väterlicher Freund wollte der erste sein, der uns in unserer Behausung im neuen Wirkungskreis — wir waren kaum eingezogen — besuchte und als ich später meine Antritts- vorlesung hielt, saß er zuvorderst unter meinen Zuhörern. Seitdem haben wir noch mehrere Male das Glück gehabt, ihn bei uns zu sehen und ihn bei seinen Wanderungen in unsern herrlichen Schweizer- landschaften zu begleiten, an denen ihm, dem Vielgereisten, der die halbe Welt gesehen , und stets auch mit künstlerischem Auge erschaut hat, das unvergleichliche, unvergängliche fruchtbare Grün als der in- timste und eigenartigste Reiz erscheint. Von den mannigfaltigen Erlebnissen will ich hier nur eines festhalten, wegen der charakte- ristischen heiteren Note. Als wir einst, Haeckel aquarellierend, den Gipfel der spitzen Mythenpyramide bestiegen und oben in der kleinen Wirtschaft übernachteten, wo er sich als Küster aus Apolda ins Frem- denbuch eintrug, war für die Versorgung seiner hohen Gestalt in
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einem der kurzen Betten der zwei engen und kleinen Schlafkammern guter Rat teuer und es ging nicht anders, als daß Haeckel über die Fußlehne seines Bettes hinweg seine Füße durch die offene Türe in mein und meiner Frau Schlafgemach hinüberstreckte. — Jetzt, seit dem unglückseligen Mißgeschick, das den greisen Gelehrten be- troffen, vermissen wir schwer jene erwärmenden Sonnenblicke, die sein Besuch uns verschaffte.
Wie sehr Haeckels Geist auch bei uns in weite Kreise eingedrun- gen ist, zeigt die großartige Beteiligung an der in Zürich bei Anlaß seines 70. Geburtstages veranstalteten Feier, an welcher wir, mein Studiengenosse und Mitschüler Haeckels Conrad Keller und ich, unsere Festreden wiederholen mußten.
An dieser Stelle darf ich wohl auch meiner freudigen Genug- tuung darüber Ausdruck verleihen, daß es mir am Vorabende des wunderbaren, hohen Festes des 350 jährigen Jubiläums der Universität Jena, der altberühmten und stets jugendfrisch fruchtbaren Pflanz- stätte freier Wissenschaft, vergönnt war, eine der Weihereden bei der Einweihung und Übergabe des von Haeckel gegründeten Phy- letischen Museums zu halten.
Ich kann nicht von meinen Beziehungen zu dem Jubilar und seiner unverbesserlichen Überschätzung meiner Person sprechen, ohne das Ereignis zu erwähnen, das für mich die denkbar höchste Ehrung war, die mir zuteil werden konnte, das Ereignis nämlich, daß mich, im Winter 1908/1909, der Senat der Universität Jena, wie man mir sagte, einstimmig, zu seinem Nachfolger im Amte vor- schlug. Dem Rufe konnte ich freilich nicht Folge leisten. Eine etwas zweifelhafte Folge dieser Ehrung war die, daß man mich vielfach mit ganz andern Augen betrachtete, als hätte ich plötzlich ein berühmtes, epochemachendes Buch geschrieben. Nicht selten guckten, was mir immer unangenehm ist, fremde Leute auf mich und im Tram belauschte einer meiner Schüler ein mich fixierendes Studentenpärchen, wie sie orientierend sagte: siehe, das ist der Mensch, den Haeckel zu seinem Nachfolger vorgeschlagen hat. Was ich aber vielleicht alles dadurch verscherzte, daß ich den ehren- vollen Ruf nicht annahm, kam mir erst dann so recht deutlich zum Bewußtsein, als mir bei einer feierlichen Gelegenheit im Reiche draußen ein ungefähr gleichaltriger, befreundeter Kollege, der mehrere
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hohe Orden mit mühelosem und würdevollem Anstand trug, be- kümmert auf meine eintönige, schmucklose Frackbrust blickend, mit ehrlichem Bedauern zu mir sagte: „Lieber Lang, nun werden Sie ja niemals Geheimrat werden."
Zum Schlüsse darf ich wohl sagen, daß ich Grund habe zu hoffen, daß mich Haeckel bei der heutigen Gelegenheit nicht überschätzt und gerne auf mein Eingehen auf die höchsten Welträtsel verzichtet. Eucken hat mich wirklich vor vierzig Jahren richtig eingeschätzt. Der erste Inhaber der ersten Professur für Phylogenie ist mit Bezug auf Welterkenntnis auf der phylogenetisch bedauernswert primitiven Entwicklungsstufe eines agnostischen Freidenkers stehengeblieben. Trotz oft wiederholter Versuche und Anstrengungen, die Fluida nach den Stellen zu leiten, wo sich jene Bildungen hätten entwickeln können, die geeignet gewesen wären, mich in höhere und höchste Regionen zu erheben, bin ich ein an die Niederungen gebundenes, wenn auch anthropomorphes Lebewesen geblieben. Mein gänzlicher Mißerfolg nach dieser Richtung hat nicht wenig dazu beigetragen, daß ich mit Bezug auf die Leistungsfähigkeit der sogenannten La- marckschen Faktoren immer skeptischer wurde.
Eines aber kann mein teurer Lehrer und Freund — ich bin dessen sicher — an mir nicht überschätzen, meine Gefühle der Dankbarkeit und Verehrung und, an dem heutigen seltenen festlichen Tage, die Innigkeit des Wunsches, daß ihn eine milde Abendsonne noch ge- raume Zeit erwärmen und erquicken möge.
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ALEXANDER SOKOLOWSKY, HAMBURG: ERNST HAECKEL UND MEINE STUDIENZEIT
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Die Bekanntschaft mit Haeckels Schöpfungsgeschichte machte ich bereits in den letzten Jahren meiner Schulzeit. Mir fielen damals die verschiedenen naturwissenschaftlichen Bücher meines verstorbenen Vaters, der Arzt gewesen war, in die Hände, unter denen sich auch ein Exemplar der ersten Auflage des genannten Werkes befand. Die Wirkung, die die Lektüre dieses Buches auf mein jugend- liches Gemüt ausübte, war eine so tief eindringende und nachhaltige, daß sie für meinen Berufsweg geradezu bestimmend wurde. Für mich stand es damals unbedingt fest, daß ich mich der Naturwissenschaft, und zwar in erster Linie der Zoologie, widmen wollte. Es war aber nicht nur die geistvolle Auseinandersetzung der Darwinschen Lehren, die mich zur Naturwissenschaft begeisterte, sondern es wirkte auch der Gestaltenreichtum der Naturobjekte, den ich dadurch kennen lernte, auf meine natürliche Anlage zum Malen und Zeichnen so elementar, daß ich beschloß, mich vor meinen naturwissenschaft- lichen Studien künstlerisch auszubilden, um später die von mir studierten Naturobjekte bildnerisch wiedergeben zu können. Als mich der Weg von Berlin aus, wo ich in der Kunstakademie künst- lerischen Studien oblag, nach Jena zu Haeckel führte, trat mir in der Person desselben ein Lehrer entgegen, der mich, meiner Anlage und Neigung entsprechend, daher in zweifacher Hinsicht zum Studium der Natur anregte. Es ist aber nicht nur der hochbegabte Naturforscher und Künstler, der mich als Student zu begeistern verstand, sondern nicht minder Ernst Haeckel als Mensch. Mir ist in späteren Jahren keine zweite Persönlichkeit entgegengetreten, die in gleicher Weise als liebenswürdiger und gütiger Mensch imstande war, den Schüler an sich zu fesseln, wie gerade Ernst Haeckel. Diese Anhänglichkeit an meinen alten Lehrer habe ich ihm bis auf den heutigen Tag treu bewahrt. Die Haeckelsche Lehre und Auffassung der Naturvorgänge übte auf die Ideenrichtung meines Denkvermögens bis auf die Gegenwart einen unüberwindlichen Einfluß aus. Ich kann gar nicht anders als bei naturwissenschaftlichen Aufgaben entwicklungsgeschichtlich den- ken. Der Frage nach dem „Warum" gesellt sich die nach dem ,, Woher"
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Farbensinn verband sich mit einer reichen Phantasie zu einem For- schungsrüstzeug, wie es, in einer Person vereint, seinesgleichen sucht.
Der Einfluß Haeckels auf das Kulturleben der Gegenwart ist meines Erachtens ein ungeheurer. Die Welträtsel haben eine Wirkung ausgeübt, wie sie in dem Maße von einem anderen naturwissenschaft- lichen Werke seit der Veröffentlichung von Darwins „Entstehung der Arten" nicht erreicht wurde. Der Bildungshunger und das Streben nach Wahrheit der Massen kam dieser Einwirkung auf das Kulturleben der Gegenwart auf halbem Wege entgegen. Namentlich war es der Zerfall mit der Kirche, der zahllose unbefriedigte Denker den Haeckelschen Lehren in die Arme trieb. Unser ganzes geistiges Leben ist zur Zeit in Gärung begriffen und es ist heute noch nicht abzusehen, welchen Ausgang die geistige Strömung nehmen wird. So viel steht aber für mich schon heute fest: Haeckel gebührt das Verdienst, den Stein ins Rollen gebracht zu haben. Ihm leuchtet in seiner Forschertätigkeit das ehrliche Ringen und Streben nach Wahr- heit so zielbewußt voran, daß die Massen dadurch instinktiv mit- gerissen und beeinflußt wurden. Haeckel ist daher als ein mächtiger Kulturförderer zu werten.
Da Haeckel als genetischer Anthropolog der Abstammung des Menschen in seinen Forschungen den wichtigsten Platz einräumt, ist es begreiflich, daß ich mich als sein Schüler unter seinem Einfluß als Tiergärtner dem Studium der Anthropomorphen zuwandte. Da mein Lehrer seine Untersuchungen auf das morphologische Gebiet beschränkte, versuchte ich den psychologischen Weg zu betreten. Der tägliche Verkehr mit lebenden wilden Tieren führte mich ganz von selbst diesem Arbeitsfeld zu. Die Resultate, die ich durch meine diesbezüglichen Studien bei den verschiedenen Anthropomorphen erzielte, führen mich einer polygenetischen Deszendenztheorie für den Menschen zu, welche im Gegensatz zur monogenetischen An- schauung Haeckels die Entstehung der Menschenformen unabhängig voneinander in ihrer Urheimat aus einem besonderen Affentyp an- nimmt. Wenn ich mich auch aus gewichtigen morphologischen wie psychologischen Gründen in dieser Ansicht von der Überzeugung meines verehrten Lehrers entferne, so erkenne ich mit besonderer Dankbarkeit an, daß ich zu dieser Anschauung nur durch die Lehren Haeckels als Basis für die selbständige Denkarbeit gelangen konnte.
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JULIUS SCHAXEL, JENA: ERNST HAECKEL UND
SEINE STUDENTEN
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Während der zwei letzten Jahre der öffentlichen Tätigkeit Ernst Haeckels als Professor der Zoologie in Jena hatte ich das Glück, sein persönlicher Schüler zu sein und verehre in ihm heute den väter- lichen Freund. Von dem Vielen, was ich Ernst Haeckel verdanke, soll hier nur eines genannt werden : der immer wieder erneute Eindruck seiner machtvollen Persönlichkeit.
Haeckel ist der vollkommene und wünschenswerte Gegensatz zu den Hochschullehrern, die ihre Aufgabe darin erblicken, eine gewisse Summe erprobten Wissensstoffes ihren Zuhörern vorzutragen und mit der Erledigung des Semesterpensums ihre Pflicht als „Lehrbeamte" erfüllt zu haben glauben. Studenten wie jener, der den Assistenten bei der Erläuterung der Präparate fragt, ob man das denn auch wirk- lich im Examen wissen müsse, kommen bei Haeckel nicht auf ihre Rechnung. Er erzählt nicht, was der angehende geistige Proletarier besser und billiger aus Kompendien und Repetitorien erfährt. Haeckel lehrt seine Überzeugung: das mühsam Errungene eines über die Maßen arbeitsreichen Lebens.
Wer Haeckel nur nach seinen Schriften allgemeinen Inhalts be- urteilt und nur auf das rein Sachliche achtet, erhält kaum ein treffendes Bild von seinem Wesen. Die große Kühnheit, mit der er die Probleme angreift und meist in einem Zuge alle Schwierigkeiten zu überwinden sucht, findet nicht leicht das rechte Verständnis. Die Freude an der Klarheit des Schemas wird für Dogmatismus gehalten und der wieder- holte und nachdrückliche Hinweis auf das für wahr Gehaltene fana- tisch genannt.
Näher rückt Haeckel schon dem, der sich mit seinen fachwissen- schaftlichen Werken eingehend befaßt. Die liebevolle Beachtung der einzelnen Erscheinungen fällt auf und zwingt bei dem ungeheuren Umfang der geleisteten Arbeit zu großer Bewunderung. Hier hat nicht nur Fleiß und Ausdauer gewirkt; auch Liebe und Güte führen den Stift, der ungezählten organischen Formen nachzeichnend folgt.
Daß Haeckel nicht nur der einzelnen Sache bei der forschenden Untersuchung hingebende Anteilnahme widmet unter dem bestän-
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digen Hinweis auf die großen Zusammenhänge, sondern auch als Lehrer allem und jedem dient, erfährt der Schüler, der sich die Mühe nimmt, mehr als bloße Worte zu hören.
Wo sich keine engeren, persönlichen Beziehungen anbahnen, wirkt das Beispiel des ganz von seiner Sache erfüllten Mannes vorbildlich. Mehr fast, wie er lehrt, als was er lehrt, bedingt den tiefen Eindruck auf alle, die ihm empfänglich entgegenkommen. Dabei sind es durch- aus nicht rednerische Künste oder blendende Demonstrationen, die den Schüler fesseln. Es darf vielmehr gesagt werden, daß Haeckel es nie zu einer besonders durchgebildeten Technik des Vortrags ge- bracht hat und daß die seinem bescheidenen Institute zur Verfügung stehenden Lehrmittel modernen Ansprüchen kaum genügen würden. Einfache meist selbst verfertigte Präparate und selbst gezeichnete oder nach eigenen Entwürfen hergestellte kleine Wandtafeln werden durch rasch hingeworfene Kreideskizzen erläutert und in schlichter Sprechweise die den Stoff beherrschenden Ideen vorgetragen. Was auch immer der Gegenstand des Vortrags oder der Demonstration sein mag, Haeckel spricht im Geiste seiner aus der genetischen Be- trachtung der Lebewesen stammenden Philosophie des Organischen, die er auf alle Erscheinungen der Natur und unseres Lebens anwendet. Es ist zu merken: hier gibt einer sein Heiligstes, gibt sich selbst. Und das soll der Universitätsdozent. Er muß mehr sein und bleiben als ein Einpauker, der gerade so viel hinreichend lehrt, als man braucht, um Prüfungen zu bestehen.
Besondere Sorgfalt wendet Haeckel den Schülern zu, die mit der ausgesprochenen Absicht zu ihm kommen, sich seiner Wissenschaft zu widmen. Die liebevolle Anleitung und die Fürsorge sogar in bezug auf die Dinge des täglichen Lebens gestalten das Verhältnis zu einem herzlichen. Bei der Anleitung im Laboratorium wie im Gespräch auf Spaziergängen ist er immer derselbe ruhige und heitere Beantworter aller Fragen. Bei großer Bestimmtheit im eigentlichen Vortrag und im geschriebenen Wort oder gar in der öffentlichen Polemik, zeigt er sich in der privaten Diskussion von einer überraschenden Beschei- denheit, von einer Zugänglichkeit für alle Einwendungen, die niemand erwartet, der ihn nur als Redner und Schriftsteller kennt. Er, der bereits über 50 Jahre wissenschaftliche Arbeit hinter sich hat, scheut sich sogar nicht, die wenig ausgereiften Überlegungen des zwanzig-
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jährigen Anfängers eine für ihn wertvolle Kritik zu nennen. Nichts liegt dem kühnen Theoretiker ferner, als die tastenden Versuche des Jünglings in von ihm vorbestimmte Bahnen zu drängen. Haeckel hat nie einen Schüler, der bei ihm seine erste Arbeit machte, an seiner Stelle in den Kampf der Meinungen geschickt, was viele Meister für kein Unrecht zu halten pflegen. Er öffnet nur begeisternd und be- geistert die Welt der ungelösten Fragen in ihrer bunten Mannigfaltig- keit und deutet zurückhaltend die Wege an, die er selbst für die gang- barsten hält, um in das Unbekannte einzudringen. Er erzieht zur Selbständigkeit, indem er von dem Schüler Initiative verlangt und kein Urteil über das Ergebnis vorwegnimmt.
Von dieser Art des Anlernens mag es herrühren, daß aus Haeckels Schule Forscher von recht verschiedenartigem Gepräge ihrer Gesamt- anschauungen hervorgegangen sind. Mit Carl Gegenbaur ist er der Lehrer der neueren vergleichenden Morphologen; aber auch die Be- gründer und Führer der Entwicklungsphysiologie sind seine Schüler. Sogar der Neovitalist H. Driesch hat bei ihm promoviert. Haeckel meint zuweilen, daß manche die großen Hoffnungen, die er einst auf sie setzte, nicht erfüllt haben. Wer aber so wie er aus dem Überfluß des weitfassenden Geistes mit vollen Händen gibt, sät mehr als er selbst ahnt. Wird nun gar der aufgehenden Saat freie Entwicklung gelassen, so wird vielerlei zur Blüte gelangen. Der Säemann mag einiges für Unkraut halten. Für das Gedeihen der Wissenschaft ist das vielgestaltige Bemühen um die Probleme von keinem Schaden und dem tätigen Arbeiter würde nichts trostloser erscheinen, als ein für alle sich Mühenden gleich geltender Plan des Weges und Zieles — das wäre trauriger Frohn in einer jede Eigenart vernichtenden In- dustrie und keine freie Wissenschaft mehr.
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MAX BRUNNER, WIEN: ÜBER DIE BEDEUTUNG
DER HAECKELSCHEN WELTANSCHAUUNG FÜR DAS
POPULÄR-PHILOSOPHISCHE DENKEN
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Nicht nur die Monisten, die sich Haeckels Weltanschauung ganz zu eigen gemacht haben, sondern auch jene Fortschrittsfreunde, die von seinen Ansichten in entscheidenden Punkten abweichen, ver- ehren in dem Begründer des deutschen Monistenbundes einen geistigen Führer, der auf ihr Denken bestimmend, bereichernd und befruchtend einwirkt. Dies bezeuge eine Skizze des Werdegangs meiner Welt- anschauung, zu welcher mich ein tiefempfundenes Dankgefühl gegen- über Haeckel und der lebhafte Wunsch leitet, zur Klärung praktisch- prinzipieller Fragen der monistischen Bewegung einen, wenn auch noch so geringen Beitrag zu leisten.
Wenn ich in meiner Erinnerung nach dem ersten Auftreten Haeckel- scher Einflüsse auf mein Denken suche, so muß ich bis in die ersten Jahre meines medizinischen Studiums zurückgehen. Von meinem für alles Schöne und Große begeisterten Vater zur Naturerkenntnis angeeifert, war mir schon im Gymnasium, unbeschadet der geist- tötenden Mittelschulpädagogik, eine Ahnung von der Größe der Darwinschen Gedankenwelt aufgegangen, und als mir nun von meinen Kollegen Haeckel als der Darwins Genius ebenbürtige Weiterbildner der Deszendenztheorie gerühmt wurde, da säumte ich nicht, mir aus der „natürlichen Schöpfungsgeschichte" Belehrung über den geistesrevolutionierenden Entwicklungsgedanken zu holen. Die Wir- kung dieses Buches auf mich war eine gewaltige, war so überzeugend, daß ich selbst dem Schlußkapitel der mir vorgelegenen älteren Auf- lage, welches die Urzeugung als eine schon fast empirisch bewiesene Tatsache hinstellte, keinerlei kritische Bedenken entgegenbrachte. Die in heißer Wissensbegier sich daran schließende Lektüre der „Welträtsel" wirkte womöglich auf mich noch überwältigender. Jetzt glaubte ich im Prinzip nicht nur die schwierigen deszendenz- theoretischen Probleme, sondern auch andere dunkelste Welträtsel ge- löst. Als ich nun einige Jahre später, die, von anstrengendem Prüfungs- studium und der Sorge um eine Praxisgründung erfüllt, der theoreti- schen Weiterbildung meiner Weltanschauung nicht günstig waren,
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neuerdings zu meinem Lieblingsbuch griff, da war der Eindruck der „Werträtsel" zu meiner eigenen Überraschung merklich abgeschwächt. Ich kann nicht entscheiden, ob das etwa bedingt war durch eine Reifung im Urteilsvermögen des selbständig gewordenen Arztes, hinter dem nicht mehr der klinische Lehrer als bequeme Denkstütze stand, oder ob sich vielleicht in die Freude des rein positivistischen Wahrheitsstrebens des Studenten skeptische Wertbeurteilungen über Haeckels Weltbild, namentlich wegen dessen Begründung auf die ,, indirekte Auslese", eingemischt hatten. Jedenfalls, was immer für Gründe gewirkt haben mögen, war ich nachdenklicher geworden. Es ist nun bezeichnend für die Suggestivgewalt von Haeckels Geist, daß mir gegen die Bedenken, die mir bei der Lektüre seiner Werke aufgetaucht waren, in Haeckel selbst ein Helfer erstand, indem er mir durch das umfassende Literaturverzeichnis der „Welträtsel" neue und reiche Anregung schuf. So konnte ich in Bölsches Büchern meinen biologischen Gedankenkreis erweitern, Machs und Ostwalds Schriften brachten mir viel Neues und Überraschendes in der Physik und Erkenntnistheorie, und viele, von Haeckel empfohlene Werke der Fachphilosophie gaben mir Gelegenheit, die feinere philosophische Dialektik kennen zu lernen. Allerdings war nun die unmittelbare Folge dieser Studien kein direkter Fortschritt, sondern mehr das chaotische Rohmaterial dazu, das mich im Anfang eher verwirrte, da die von Haeckel zitierten Denker sowohl untereinander als von Haeckel zum Teil recht weit divergierten.
Da war es nun wiederum ein Haeckelscher Grundsatz, der mir aus der Welträtsellektüre fest eingeprägt war, der Grundsatz, von der sicheren Basis der Naturwissenschaften aus das Weltbild zu kon- struieren, der mir neue und weite Wege wies. Meine Vorliebe zur Botanik führte mich bei dem nun in Angriff genommenen natur- wissenschaftlichen Studium zu dem von Haeckel empfohlenen „Pflan- zenleben" Kerners, und auf der Suche nach neuesten Werken stieß ich auf Frances Schriften, die mich mit dem Neolamarckismus bekannt machten. Diese Naturauffassung übte auf mich bald eine ähnlich starke Anziehungskraft, wie vor Jahren die Haeckelsche, ohne daß ich damit Haeckels Grundsätze aus den Augen verlor. Denn nicht nur bewahrte ich prinzipiell meinen empirischen Ausgangs- punkt für die Weltanschauung, sondern auch inhaltlich leitete mich
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18 Haeckel-Festschrift. Bd. II
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Haeckels biogenetisch - monistische Denkmethodik. Be- deutete mir doch die neolamarckistische Lebensbeseelung nur einen weiteren Schritt in der Richtung der von Haeckel gegen allen Ein- spruch materialistischer Naturforscher in die Philosophie wieder eingeführten Atombeseelung. Zweifel an diesem letztgewonnenen Standpunkt erweckte der bedeutende Biologe Kassowitz, auf den mich auch wiederum Haeckel hinwies, da er ihn wiederholt als Ge- währsmann für chemisch-physiologische Fragen rühmlich zitiert. In ebenso amüsanter, als geistreicher Gedankenführung legt Kassowitz die Schwächen sowohl der Selektionstheorie, als des entgegenge- setzten neolamarckistischen Standpunktes bloß. Aber seine eigene hypermechanistische Denkrichtung gab mir auch keine Befriedigung. Da griff ich denn wiederum zu den mir so unschätzbar gewordenen ,, Welträtseln", die meinem Denken immer neue Antriebe gegeben hatten, und prüfte, in der festen Überzeugung, daß meine erste Be- geisterung kein Strohfeuer gewesen sein konnte, das Buch daraufhin, was denn immer wieder den tiefen und dauernden Eindruck gemacht hatte, wiewohl im einzelnen so mancherlei abgebröckelt war. Und so stieß ich bei nachdenklichem Suchen auf die zwei Hauptpfeiler des Haeckelschen Gedankengebäudes, auf das Postulat, die Lebens- gestaltung auf die wissenschaftliche Denkweise aufzubauen, und auf deren wichtigstes inhaltliches Ergebnis, den Entwicklungs- gedanken als die Leitidee der künftigen Kulturbeherrschung. Hiermit entschied ich mich endlich, alle weiteren theoretischen Welt- anschauungsfragen, die über die praktische, dem Leben unmittelbar und allgemein dienende Denkweise hinausgingen, an zweite Stelle rücken zu lassen und freute mich, daß Ostwalds Weiterführung der monistischen Bewegung in diesem Sinne der Haeckelschen Grundidee erfolgte, die Ostwald durch seine Energetik so sinnreich und wertvoll ausgebaut hatte.
In allen Phasen meiner Weltanschauungsentwicklung hatte ich mich also — das sollte die vorangegangene Darlegung zeigen — an Haeckels Populärphilosophie orientiert, hatte aber dabei auch nicht versäumt, in häufigen Diskussionen die Entwicklung der Weltan- schauung meiner Gesinnungsgenossen zu verfolgen. Dabei machte ich die Erfahrung, daß ein nicht geringer Teil von Haeckels Anhängerschaft keine so mannigfachen Wandlungen durchgemacht
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hatte, sondern vielfach beim ursprünglichen Standpunkt ver- blieben war, den im wesentlichen die Lektüre der „Welt rätsei" geschaffen hatte. So bedeutet denn eine Betrachtung von Haeckels Populärphilosophie eine Auseinandersetzung mit den ,, Welträtseln", an die, dem vorliegenden Zwecke entsprechend, nicht die Forderung der Gründlichkeit gestellt werde, wie sie unter anderen Haeckel- kritiken der lehrreichen und ausgezeichneten Sammelkritik von Dr. Heinrich Schmidts ,,der Kampf um die Welträtsel" nachzurühmen ist. Nur durch flüchtige Streiflichter möchte ich im Sinne der posi- tivistischen Tendenz des Haeckel-Ostwaldschen Monismus die un- schätzbaren Vorteile und die möglichen Schäden, die aus der einzigdastehenden weltweiten Verbreitung der Welträtsellektüre erwachsen, ein wenig aufhellen. Über die hervorragende Eignung dieses Werkes zum Volksbuch sind alle Haeckelfreunde einig. Schon bei der ersten Lektüre entzückt der Grundton der Darstellung, der auf die so wirksamen und beliebten Mittel eines verfeinerten Ästhe- tizismus verzichtet, dabei aber nicht in das entgegengesetzte Extrem einer pedantisch trockenen Katechisierung des Stoffes verfällt. Mit der klaren, nüchternen und eindringlichen Sprache der Wissenschaft paart sich die hinreißende Wärme des unerschrockenen Kultur- kämpfers Haeckel und bietet dem Adepten der Naturphilosophie in gemeinverständlicher Sprache eine schier überreiche Menge positiven Wissensstoffes als Gegengewicht gegen die scharfe Befehdung des Kirchentums und seiner reaktionären Helfer. Nicht am wenigsten aber bannt den Leser in Haeckels Gedankenkreise die weitestgehende methodische Durchführung der Entwicklungslehre, in ihren theoretischen Verästelungen sowohl, als insbesondere in ihrem un- ausschöpfbaren Anwendungsreichtum auf die Lebenspraxis.
Soweit herrscht Gemeinsamkeit in dem hohen Lob dieses Buches. Differenzen ergeben sich erst in der Sonderbetrachtung der nach Haeckels eigenem Geständnis etwas ungleich geratenen Partien. Nicht vieler Worte bedarf es zunächst über die gehässigen Einwände des zu höchster Wut gereizten Kirchentums gegen Haeckels theo- logische Auslassungen. Was hätte denn der klerikale Anwurf — seine Stichhaltigkeit selbst zugegeben — Haeckel habe aus zweifel- haften Quellen geschöpft, für uns weiter zu bedeuten? Hätte Haeckel selbst die doppelte Sündenlast auf die Hierarchie gehäuft, als ihr mit
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unzweifelhaftem Recht aufgebürdet wird, so wollte das nicht mehr besagen, als der Unendlichkeit eine Million hinzuzufügen. Im übrigen, welche kulturgeschichtliche Ironie, die Kirche, den Hort aller be- wußten Täuschung und kulturfeindlichen Lüge, sich zum gestrengen Richter über den ehrlichen, wenngleich dem Irrtum unterworfenen Wahrheitssucher Haeckel setzen zu sehen! Schwerer in das Gewicht fallen die Mängel, die von fachkundiger Seite den physikalischen Partien des Buches nachgesagt werden. Dabei erscheinen diese erster, unkritischer Lektüre sehr klar, und wegen ihrer Schlicht- heit besonders überzeugend, und erst genauerer Überlegung erschließen sich Widersprüche. Ich kann mich noch gut erinnern, welche Genug- tuung ich in der Erfüllung von Haeckels Postulat des Selbstdenkens empfand, als mir endlich die Schwächen von Haeckels Theorie über die Konstitution der Materie vor Augen traten, und wie ich daraufhin allmählich zu der mich weit mehr befriedigenden Theorie der Ener- getik abschwenkte. WTer sich nun schon in Haeckels physikalischen Hypothesen im Besitze evidenter Vorstellungen glaubt, der ist natür- lich für die anderen, noch bedeutungsvolleren Grundzüge des Haeckel- schen Weltbildes leichter zu gewinnen. Wirkt doch die auf Seiten des Gebers wie des Empfängers unbewußt und ungewollt erfolgende suggestive Autorität eines ehrlichen und erfolggekrönten Denkers vielleicht ebenso mächtig, als der äußeren Machtzwecken dienende Dogmenzwang, der die unwahren, unsittlichen, kultur- hemmenden Thesen der Offenbarungsreligionen zu decken hat und darum von dem Aufklärungsfähigen bald durchschaut und leicht abgeschüttelt werden kann. Wie hat mir doch vor Jahren, um nun auf die dominierenden biologischen Ideen der ,, Welträtsel" zu kom- men, Haeckels Satz: Darwin ist der Newton der lebenden Welt, als die sicherste, triumpherfüllte Wahrheit eingeleuchtet. Und wie mancher, der nicht zur Vertiefung seiner Weltanschauung Haeckels Literaturratschlägen gefolgt ist, mag bei diesem Kernsatz des bio- genetischen Denkens Haeckels verblieben sein. Zwar erörtert Haeckel in den seinen Welträtsellesern zugeeigneten „Lebenswundern", die neuestens aufgetauchten biogenetischen Richtungen mannigfacher Art. Aber abgesehen davon, daß wenigstens in meinem Bekannten- kreise „die Lebenswunder" als das schwierigere, wenngleich ebenso wertvolle Buch leider weit weniger gelesen werden, als die „Welt-
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rätsei", hat Haeckel auch in diesem späteren Werke seine mecha- nistische Auffassung so stark accentuiert, daß befangene Leser wenig Initiative zum Nachdenken über andere Deutungen der Evolutions- theorie empfangen haben dürften.
Diese Lesergruppe folgt Haeckel nun auch in der Stellungnahme zu den „Schulphilosophien", womit wohl auf die akademischen Ver- treter der philosophischen Fächer in engerem Sinne gezielt wird. Bei diesem Kardinalpunkt des Themas: Wirkung der Haeckelschen Populärphilosophie angelangt, möchte ich nicht zurückhalten mit meiner Meinung, daß Haeckel wohl schärfer als berechtigt und nötig „Metaphysik", „Mystik" und „Dualismus" der „Schulphilosophie" angreift. Hierin wird er aber gar sehr überboten von manchen, „Haeckel vergröbernden und dogmatisierenden Anhängern", um mich der Worte eines Haeckel sehr nahestehenden, ihn hochschätzen- den Gelehrten zu bedienen. Finden sich doch bei genauerem Zusehen in den Schriften Haeckels sachlichen Gegneransichten gegenüber sehr versöhnliche, wie Kompromisse anmutende Äußerungen. So macht er der Metaphysik die Konzession einer mit der Forschung zunehmen- den Rätselhaftigkeit der Weltsubstanz, und ergänzt dieses negative Zugeständnis positiv durch spekulative Annahmen, wie Atom-, Zell- und Gewebsseelen. Das sind nun Hypothesen, deren meta- physische Natur von der charakterisierten Art der Anhänger freilich oft ebenso verkannt wird, als die Transzendenz von Haeckels einander mehrfach widersprechenden Aufstellungen über das Verhältnis zwi- schen Leib und Seele. Erst tieferem, vergleichendem Eindringen in Haeckels Schriften eben eröffnet sich Haeckels Aufnahmewilligkeit gegenüber anderen Denkrichtungen. Übertreibungen von An- hängern, nicht Haeckel selbst, sind darum die Hauptkosten anzu- kreiden für den üblen Ruf der Dogmatisierungstendenz, der oftmals der monistischen Bewegung von gegnerischer Seite vorgehalten wird, und sie zu schädigen geeignet ist. In Rechnung gesetzt werden muß aber auch als objektiver Faktor das heutige, Wissenschaft und Philo- sophie denkenergetisch schädigende Begriffschaos, dem Ostwalds organisatorisches Genie durch Neuordnung, Vermehrung und Präzi- sierung der Begriffe zu steuern sucht. Auch für diesen Gesichtspunkt bieten „die Welträtsel" reiches Studienmaterial. Mechanismus und Vitalismus, Monismus und Dualismus, sowie Schulphilosophie, durch-
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weg von Haeckel oft gebrauchte Ausdrücke, sind nachdenkenswerte Belege für den Ubelstand schwankenden, vieldeutigen Wortgebrauchs, dessen Analyse mir eines kurzen Verweilens wert erscheint. „Schul- philosophie" als Tadels wort für Kathedergelehrte hat sicher auch heute noch viel Berechtigung und, allgemein kulturenergetisch be- trachtet, steht darum hoch über den rein akademischen Größen als wahrer Lebensphilosoph Haeckel, der die großen Wahrheiten der Wissenschaft dem Volkswohl dienstbar zu machen und persönlich als unerschrockener Kämpe das Kirchentum und seine mächtigen Verbündeten zu bekriegen bis in sein hohes Alter nicht ermüdet. Dagegen ,, Schulphilosophie" als Spott wort für wirklichkeits- fremde, dogmatisierende und theologisierende Spekulation und a prioristische Begriffsspintisierung über die Naturwissenschaft hinweg, wie sie die Schellingsche Richtung mit der größten Anmaßung be- trieb, ist kaum mehr am Platze gegenüber der Gesamtheit der heu- tigen Fachphilosophen. Denn deren überwiegende Mehrzahl sucht bei ihrer abstrakten Denkarbeit jeden Widerspruch mit den Ergeb- nissen der Forschung zu vermeiden. Es ließe sich sogar die Zurück- gabe des Vorwurfs dahin nicht ganz abweisen, daß philosophierende Naturforscher oft den Wert dialektischer Denkmethodik und erkennt- nistheoretischer Schulung zu verkennen scheinen. Das zeigt sich eben auch im ungeschärften Gebrauch der nach näheren Bestimmungen verlangenden Begriffspaare Mechanismus und Vitalismus, Monismus und Dualismus u. a., deren schwankender Gebrauch bei Welträtsellesern, die zur Einseitigkeit in der Weltanschauung neigen, leicht Verwirrung stiftet. So nennt der von Haeckel hoch- geschätzte Naturphilosoph Kassowitz sein hypermechanistisches, also für das Durchschnittsdenken sehr monistisches System einen (funktio- nalen) Dualismus, was wirklich einen meiner Bekannten, der zu flüchtiger Denkweise in der Philosophie veranlagt ist, von der Lektüre dieses „Dualismus" abhielt. Hier zeigt sich so recht Haeckels und Ostwalds Verdienst der Definition des Monismus als wissenschaft- licher Methode, die im Gegensatz zum Dogmenzwang der Offen- barungsreligionen inhaltlich sehr verschiedene Weltbilder ergibt und zuläßt. Darum sollte man meines Erachtens schärfer zwischen wissen- schaftlichem und kirchlichem Dualismus unterscheiden und aus sach- lichen, ethischen und Opportunitätsgründen die kirchenfreien Dua- gggG]gggggE]ggggggggE]ggggggggggE]E]E]G]B3G]G]G]E]gEjE3gE]5]E]E]G]E]B]E]E3G)
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listen nicht anfeinden, ja im Gegenteil ihnen als tüchtigen Dialek- tikern, wie Haeckel selbst sie anerkennend bezeichnet, für die An- regung durch ihren oft scharfsinnigen Widerspruch Dank wissen. Das gilt noch mehr gegenüber den lamarckistischen und vitalistischen Biologen, unter denen hervoragende und verdienstvolle Naturforscher genau so wie die mechanistischen Denker sich als fortschrittstreue und aufklärende Volkslehrer hervortun. Übrigens ist Vitalismus genau so ein Sammelname für verschiedene naturphilosophische Richtungen als Mechanismus, und die Geschichte der Philosophie lehrt, daß von beiden Gruppen alle möglichen Schattierungen zwi- schen Dualismus und Monismus existieren.
Daß die hier auseinandergesetzten Komplikationen die dringend nötige Klärung von Weltanschauungsfragen und das Zusammen- rücken in ihrer Gesinnung verwandter Fortschrittspotenzen ver- zögern können, das ist eine unerwünschte Möglichkeit, welche aus der Dogmatisierung der Haeckelschen Populärphilosophie erwachsen kann. Darum sei Welträtsellesern, die trotz alledem Haeckels An- sichten zur Einseitigkeit ausgestalten wollen, endlich als stärkster Beweis Haeckels vorbildliches Verhalten im heutigen Wettstreit der monistischen Einzelrichtungen entgegengestellt. Aus dem praktischen Verhalten schließt man ja nach monistischen Grundsätzen auf die bei allem Schwanken überwiegenden Vorstellungen im Geiste eines Menschen. Welchen besseren Beweis für Haeckels Ablehnung jeder Dogmatisierungstendenz kann es aber geben, als daß Haeckel sich vor einigen Jahren in einem für die monistische Bewe- gung kritischen Moment, als bedenkliche Sonderbestrebungen auf- traten, gegen die Usurpation der Vorherrschaft einer monistischen Einzelrichtung, die noch dazu gerade die seinige war, mit größter Entschiedenheit aussprach ! Gewiß hätte Haeckel auch die heftige Ab- weisung, die ich vor einigen Jahren in Wien bei einer objektiven Kritik seiner Weltanschauung und erst vor kurzer Zeit gegenüber einer kräf- tigen, doch sachlichen Charakterisierung der Laienurteile über Wissen- schaft und Philosophie erfuhr, mißbilligt. Dessen versichert mich das wohlwollende Urteil, das er über meine in wichtigen Punkten ihm widersprechenden Schriften fällte. So freundlich urteüte freilich nicht bloß der Freidenker und dogmenfeindliche Philosoph, sondern auch der grundgütige Mensch Haeckel, der einen ehrlich Arbeitenden
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nicht kränken, ja im Gegenteil eher ermutigen will. So große Men- schengüte bei so bedeutenden Geistesgaben erweckt in dem Empfänger wieder innigere Sympathie und neue Freude an dem Erblühen von Haeckels Schöpfung. Nicht nur wächst von Tag zu Tag die ansehn- liche Schar der von Haeckel gewonnenen Fortschrittskämpfer, son- dern sogar bis in die entlegensten Gebiete des Denkens und Kultur- schaffens erstreckt sich der Einfluß von Haeckels Gedankenwelt. Zwei Beispiele mögen in die Weite dieser Kulturperspektiven hinweisen. Die eine Betrachtung, naturphilosophischer Art, führt in das Grenzgebiet zwischen lebender und toter Natur, das Haeckel in echt monistischer Problemstellung, mit seiner weit ausschauenden Intuition für die tieferen zur Einheit konvergierenden Zusammen- hänge des Seins durchforschte, und dessen Studium ihm die Frage aufdrängte, welche Stellung er der Kristallisation in seinem System anzuweisen habe. Die Lehmannsche Entdeckung flüssiger, scheinbar lebender Kristalle erscheint mir nun als eine Be- stätigung von Haeckels naturphilosophischer Ahnung, daß der Kristall ein Übergangswesen zwischen organischer und anorganischer Natur sei. Diese kühne Hypothese — man möchte sie fast eine Prophezeiung nennen — erinnert mich in der Größe ihrer Konzeption an Leverriers rechnerische Voraussage des Planeten Neptun, der später von dem Astronomen Gall mit dem Fernrohr aufgefunden wurde. Weitab von dieser unteren Stufe kosmogonischer Naturbetrachtung über die vielen philosophischen Probleme der Lebensentwicklung hin befruchtet Haeckels biologisches Denken die bisher dem kirchlichen Dogmatismus fast gänzlich ausgelieferte, für eine gedeihliche Menschheitszukunft so reformbedürftige Pädagogik. Das lehrte mich u. a. im Verfolge der praktischen Ausgestaltung der monistischen Idee ein Vortrag über „das biogenetische Grundgesetz in der Schule", auf das der Redner, ein ausgesprochen kirchenfeindlicher Lehrer, die Beibehaltung des Religionsunterrichtes in der Volksschule ohne wesentliche Änderung begründen wollte. Diese Beweisführung zeigt deutlich, daß eine nicht in ihrem ganzen Umfang erfaßte und ange- wendete Idee Haeckels auch zu zweifelhaften Konsequenzen führen kann. Wäre die Zusammensetzung des biogenetischen Grundgesetzes Haeckels aus den beiden Komponenten der Cenogese (Neu- oder Störungsentwicklung) und Palingenese (Wiederholungsentwicklung) giigggggggggggggggB]ggB]ggggggE]gggggB]gE]E]E]E]E]E]EiE]E3E]E]E]B]E]E]B]E]
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in Rechnung gesetzt worden, dann hätte die Rücksichtnahme auf die so mächtigen cenogenetischen Impulse in unserer Kulturentwicklung zu anderer Anwendung für die pädagogische Praxis geführt. Immer- hin beweist die gegenwärtige, im Sinne der Entwicklungsidee veränderte Gedankenorientierung selbst in der mangelhaften An- eignung und Anwendung Haeckelscher Leitsätze deren machtvolles Eindringen in das allgemeine Menschheitsbewußtsein. Wenn Haeckel so mit freudiger Genugtuung auf allen Kulturgebieten die reiche Aussaat seiner Gedanken verheißungsvoll emporsprießen und unter Leitung des ihm kongenialen Führers Ostwald die monistische Bewegung ebenso in die Tiefe aller wissenschaftlichen Kulturorgani- sation, wie in die Breite der denkenden und strebenden Volksmassen eindringen sieht, so mag ihm dieser großartige Erfolg seines idealen Strebens als die schönste Festgabe erscheinen, die ihm der Monisten- bund darbringen kann. Möge der Gefeierte die sichere Erwartung, daß er auch weiterhin nur Freude am Gedeihen seiner großen Schöp- fung erlebe, als den innigsten Geburtstagswunsch seiner dankerfüllten Gemeinde entgegennehmen !
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MAGNUS HIRSCHFELD, BERLIN: ERNST HAECKEL UND DIE SEXUALWISSENSCHAFT
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Als ich mein Buch „Naturgesetze der Liebe" vollendet hatte, , schien es mir naheliegend, an Ernst Haeckel die Bitte zu richten, die Widmung dieser Arbeit anzunehmen, nicht weil das von mir behandelte Thema in unmittelbaren Beziehungen zu der umfassenden Tätigkeit des großen Forschers stand, sondern weil mir bei der Be- arbeitung dieses Spezialgebietes der grundlegende und entscheidende Einfluß wieder einmal besonders deutlich geworden war, den Haeckel auf unser naturwissenschaftliches Denken überhaupt ausgeübt hat. — Haeckel antwortete mir: „Jena, 26. Februar 1912. Hochgeehrter Herr Doktor!
Die freundlichst übersandten ersten Druckbogen Ihres neuen Werkes über die .Naturgesetze der Liebe' habe ich mit großem Inter- esse gelesen ; ich freue mich, in allen wesentlichen Anschauungen mit Ihnen übereinzustimmen. Welchen hohen Wert ich auf eine vernunft- gemäße, wissenschaftliche Behandlung der fundamentalen Sexual- Probleme lege, die durch Ihre Bemühungen so sehr gefördert worden ist, können Sie aus den Sätzen über „Erotischen Chemotropismus" ( — als Urquelle der Liebe — ) sehen, welche ich in meiner ,Anthro- pogenie (Bd. II, Kap. 29, S. 875) der phyletischen Bildungsgeschichte unserer Geschlechtsorgane eingeflochten habe. Wenn Sie mir die hohe Ehre erweisen wollen, mir Ihr ausgezeichnetes Werk zu widmen, so nehme ich diese Anerkennung meiner biologischen Lebensarbeit mit herzlichem Danke an, in der Hoffnung, damit die weitere Ver- breitung und Verwertung Ihrer bedeutungsvollen sexuellen Aufklä- rungsbestrebungen zu fördern. Als Sie mich vor einiger Zeit in Jena aufsuchen wollten, war ich leider verreist. Ich hoffe, daß mir noch einmal Gelegenheit gegeben wird, Ihre persönliche Bekanntschaft zu machen und mit Ihnen die hochwichtigen Probleme der Sexual- Physiologie und -Psychologie zu erörtern. Hochachtungsvoll Ihr er- gebener Ernst Haeckel."
Bei dem Besuch, den ich einige Monate darauf dem Weisen in Jena in seinem ihm so adäquaten Heim in der Bergstraße abstattete — aus den Fenstern der Villa schweifte unser Blick gemeinsam über gggggEjgggEjgggggggggggg]E]gggggggG]ggE]EjB3gE]G]E]E]E]E]E]E]E]E]E]E]g]E]G3
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Schillers und Goethes klassische Spuren — , wurde es mir von neuem so recht klar, wie tief dieser universelle Geist auch in das Gebiet der Sexualwissenschaften eingedrungen war. Selbst für die geschlecht- lichen Übergangsformen, von denen er bereits in der ,,Anthropogenie" illustriertes Material (Gynäkomasten) veröffentlicht hatte, zeigte er das vollste Verständnis ; er hatte mir allerlei wertvolle Photographien von männlichen Negern mit weiblichen Brüsten zurechtgelegt, und als ich ihn bat, seine tiefgründigen Anschauungen darüber in dem von mir herausgegebenen „Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen" zu publizieren, löste er wenige Monate darauf sein Versprechen in glänzendster Weise ein. In dieser Arbeit über ,,Gonochorismus und Hermaphrodismus" im 3. Hefte des XIII. Jahrganges behandelt Haeckel das Problem der Geschlechtertrennung und Geschlechter- mischung von der hohen Warte biogenetischer Erkenntnis, indem er durch alle Klassen des Tierreiches diese beiden Grunderscheinungen, in denen auch die Notwendigkeit sexueller Zwischenstufen und Über- gangsformen begründet ist, in großzügiger Weise verfolgt. Auch hier erweist sich Haeckels „biogenetischer Grundsatz" als ein untrüglicher Kompaß.
Es ist nach allem begreiflich, daß Haeckel es mit besonderer Genugtuung begrüßte, als in den letzten Jahrzehnten auch — um mit Ostwald1) zu reden — „die Sexualprobleme als eine letzte Stufe der Verwissenschaftlichung der Verwaltung durch die Priester entzogen wurden", einleuchtend ist es aber auch, daß andererseits, als im Beginn des Jahres 1913 in Berlin eine „Ärztliche Gesellschaft für Sexual- wissenschaft" ins Leben trat, von dem Eröffnungsredner Iwan Bloch zuerst Haeckels Worte angeführt wurden, die er kurz zuvor an ihn und den Verfasser dieses Artikels schrieb : „Das Licht der wissenschaft- lichen Erklärung, das die moderne Entwicklungslehre seit einem halben Jahrhundert in alle Gebiete des menschlichen Denkens und Forschens erfolgreich eingeführt hat, dürfte auch erfreuliche Helle verbreiten über jene ,mystischen Geheimnisse', welche seit Jahrtausenden unter dem Drucke religiösen Aberglaubens und traditioneller Sitten der Forschung unnahbar erschienen. Dazu gehört in erster Linie das ungeheure, ebenso interessante als theoretisch und praktisch wichtige Gebiet der Sexualität, des organischen Geschlechtslebens. Jeder Ge-
x) Monistisches Jahrhundert vom 8. November 191 3, S. 902. g^gggggE]ggggE]gggE]ggggggggE]E]GjE]G]5]G]G3gB]B]G3G]E]E]E]S]E3ggE]E3ggG]G3Ei
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bildete weiß, welche unermeßliche Rolle im menschlichen Leben die sexuelle Liebe spielt, wie unser ganzes soziales und Familienleben, unsere Kunst und Literatur mit diesem gewaltigen Problem verwoben ist. Aber die wenigsten Gebildeten kennen die anatomischen Grund- lagen und die physiologischen Prozesse dieses , Liebeslebens', die wenigsten wissen, daß der , erotische Chemotropismus der Urquell der Liebe' ist, wie ich schon vor 40 Jahren in meiner ,Anthropogenie' darzutun versucht habe. Erst die gewaltigen Fortschritte der Sexual- forschung in den letzten 30 Jahren, die überraschenden Ergebnisse der physiologischen und morphologischen Untersuchungen über Be- fruchtung und Bastardzeugung, über den innigen Zusammenhang unseres ganzen Sinnes- und Seelenlebens mit den geheimnisvollen Vorgängen der Geschlechtsliebe haben weiteren Kreisen die Augen geöffnet über die fundamentale Bedeutung der Sexualität. Wir müssen es daher als einen großen Fortschritt begrüßen, daß in neuester Zeit eine , Ärztliche Gesellschaft für Sexualwissenschaft' sich in Berlin konstituiert hat, und daß hervorragende Gründer der- selben sich bemühen, auch weiteren Kreisen von Gebildeten die Augen über diese bedeutungsvollen »Geheimnisse* zu öffnen."
So schwebt Haeckels biologisch-logischer Geist belebend und befruchtend auch über dieser jungen und bedeutungsvollen Wissenschaft, und nichts wäre wünschenswerter, als daß ihr seine reiche Erfahrung und Regsamkeit noch recht lange zugute käme.
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LEO GILBERT, WIEN
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Wenn man einmal zu der dringenden Arbeit schreiten wird, die zum Betriebe der Wissenschaften unbedingt nötig ist, zur Begründung einer ,, Psychologie, Geschichte und Methodik der Er- kenntnis", wird man erst inne werden, welche Bedeutung Ernst Haeckel für die geistige Entwicklung der Menschheit hat. Ich er- innere mich des tiefen und umwälzenden Eindrucks, den auf uns junge Leute — ich studierte damals in Zürich — die Haeckelsche Darstellung der menschlichen Keimesgeschichte machte und wie sie für unsere Weltanschauung grundlegend wurde. Schon vorher war ich in der trefflichen Mittelschule zu Aarau auf den Darwinismus gründlich vorbereitet worden. Biologie und Physik, wie alle Wirk- lichkeitswissenschaften, bilden die Einbruchsstationen in die Philo- sophie. Daher werden solche Erkenntnisse besonders wertvoll, die für ein Sturmlaufen gegen veraltete und verrostete Anschauungen günstige Einfallstellen eröffnen. Es ist nun interessant, wie Ernst Haeckel, der Biologe, nicht bei seiner Biologie stehen blieb, sondern nach und nach zum Schöpfer einer wichtigen philosophischen Schule und einer eigenen Weltanschauung heranwuchs. Ich will gleich hier bemerken, daß ich diese Weltanschauung nicht bis in die kleinsten Konsequenzen teile, daß ich aber eben deswegen um so mehr die durch- schlagende Richtigkeit der Haeckelschen Errungenschaften bewundere, soweit sie zum sicheren Unterbau für kommende Philosophien dienen. Vor allem müssen wir dem Professor Chwolson in Petersburg dankbar sein für seinen interessanten „satirischen" Angriff auf Haeckel. Zu- vor hatte niemand in Deutschland gewußt, wer Chwolson ist. Jetzt weiß man's. Er war jener kühne Physiker, der den unsterblichen Mut hatte, all den physikalischen Aberglauben und die plumpen beschränkten Auffassungen der heutigen Mittelmäßigkeiten zusammen- zufassen und zu einen Sturmbock aus Papiermache zu leimen, mit dem er gegen Haeckels Anschauungen von Energie und Substanz an- lief. Es ist erfreuend zu berichten, daß es Chwolson gelang, seinen Namen an den Haeckels heranzudrängen und Wohlgefallen, sowie Beistimmung bei allen jenen physikalischen Mittelmäßigkeiten zu erregen, die der Meinung sind, ihr Gehirn hätte aus dem Inhalte
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ihrer Schulbücher den echten Wahrheitsextrakt geschöpft, sie wüßten wirklich und einzig, was Substanz und Energie sei. Gerade durch das Chwolsonsche Buch wurden ernstdenkende Gelehrte darauf aufmerk- sam gemacht, welch eine Fülle von Sinnlosigkeiten in unseren physi- kalischen Lehrbüchern steckt, und wie der Biologe Haeckel auch in den ihm scheinbar fernliegenden physikalischen Fragen sich durch einen besonderen Scharfblick und durch Folgerichtigkeit des Urteils auszeichnet. Damit kamen wir auch auf eine Bereicherung unseres Begriffes: Genie. Wir sehen, daß ein Mann nur dann das Höchste auf seinem Gebiete leisten kann, wenn seine Intuition, sein instink- tives Erfassen der Realität auch auf den Nebengebieten vollkommen sicher geht. Napoleon I. konnte von sich sagen, daß er in einer ein- geschlossenen Stadt imstande gewesen wäre, sich selbst seine Kanonen zu gießen. Vielseitigkeit ist nicht ein Akzidens in den Schöpfungen be- deutender Männer, sondern direkt ihre Voraussetzung. Wenn wir manchmal geniale Geister scheinbar einseitig finden, so ist damit nur konstatiert, daß sie auf Nebengebieten nichts Abgeschlossenes geleistet haben; aber, um auf ihrem eigensten und engsten Gebiet das Große zu schaffen, mußten sie in den wichtigsten Nebenfragen von einem sicheren Instinkt geleitet sein.
Haeckel hat im Laufe seiner Arbeiten begriffen, daß auch eine Stammesgeschichte der Seele notwendig sei. Wenn diese auch vorläufig nicht zu neuen, durchschlagenden Resultaten geführt hat, sondern bloß eine Betätigung und Erweiterung der körperlichen Keimes- geschichte darstellt, so muß sie doch unzweifelhaft als Vorbereitung angesehen werden zu bedeutenden Entdeckungen über die Psyche, die einer näheren oder ferneren Zukunft vorbehalten bleiben. Diese seine Arbeit ist heute noch wenig beachtet, sie wird aber wichtiger werden als vieles notwendig Vorhergegangenes, sie bereitet die wert- vollsten Aufschlüsse über Ursprung, Umfang und Zukunft unserer Psyche vor.
Verfolgt man den Weg, den Haeckel nahm, um den Monismus zu schaffen und ihm Anhänger zu werben, so sieht man, welche unge- heure philosophische Begabung hier Hand in Hand mit praktischer, persönlicher Energie geht. Soweit wir anderen philosophische Theo- retiker sind, werden wir uns vielleicht mit Haeckels „Welträtseln" nicht vollkommen solidarisch erklären. Wir sind eben an ein viel
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ängstlicheres Hin und Her, an eine viel feinere Distinktion von Grün- den und Gegengründen, von Einerseits und Andererseits gewöhnt. Dafür hat aber auch unsere „höhere" Philosophie den Nachteil, daß sie zu keinen abschließenden Resultaten führt. Die Sonne ist für uns „einerseits" weiß und „andererseits" schwarz. Das beste Bild von dieser unzweifelhaft richtigen und möglichen Philosophie gibt uns die Wundtsche. Bei diesem hervorragenden Gelehrten finden wir alles mit vielem Scharfsinn dargelegt, was sich für eine Sache sagen läßt, und gleich daneben auch alles, was ebenso überzeugend dagegen spricht. Das ist wahre Philosophie. Möge sie uns erhalten bleiben bis ans Ende der Welt. Denn nur aus diesem Schaukelzustand erwächst das großgesäugte Wissen. Aber schließlich brauchen wir auch ein positives Wissen. Zweifellos ist in einem bestimmten Falle von zwei Dingen immer nur das eine möglich; in einem gegebenen Augenblick ist die Sonne entweder nur weiß oder schwarz, oder gemischt, grau. Kurz, es muß auch eine positivistische Philosophie, eine sichere An- schauung innerhalb der Grenzen des Wirklichen geben. Der Schöpfer einer solchen muß robuster sein, fester zugreifen, bestimmte Über- zeugungen besitzen und vor allem solche im Zuhörer festigen. Die Philosophie Haeckels in seinen „Lebenswundern" und „Welträtseln" stellt nun ein solches festes Gebäude, einen gut fundierten Riesenbau dar. Und zwar den einzigen, der zurzeit möglich ist. Indem er alles zu- sammenfaßt, was unsere Zeit an Erkenntnis gefördert, indem sein Blick das Material sichtet, ordnet und aufbaut, schafft er seinen Zeitgenossen den Wohn- und Schutzraum für ihre geistige Existenz, steckt er den Bezirk ab für ihr Können und Wollen, bereitet er das Fundament für die kommende wissenschaftliche, also auch natur- philosophische Entwicklung. Hätte der an Goethe stilistisch gebildete Haeckel seine Philosophie nicht in gemeinverständlicher Sprache, sondern im Fach Jargon der Schul-Philosophen geschrieben, mit allen „Wenn" und „Aber", „Sozusagen" und „Einerseits — Andererseits", so hätten die Schulgelehrten ihn höchstwahrscheinlich als einen eben- so großen Philosophen bezeichnet, wie man ihn als Biologen anerkennen mußte. Der Monismus, den Haeckel propagiert, ist nicht „eine" Weltanschauung, sondern die zurzeit einzig mögliche Grundanschau- ung, der einzig sichere Besitz der Gegenwart, über der sich jede andere aufbauen muß, die nachkommt. Gleichgültig wie auch diese andere
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beschaffen sei. Ich kann mir ganz gut einen Dualismus denken, der nachkommt, der aber — es klingt scheinbar verwunderlich — nur auf dem Fundamente des Haeckelschen Monismus möglich ist. Ich plane sogar einen solchen Dualismus, der aber mit dem heutigen nichts mehr gemein hat als der Äquator mit den Polen. Es ist bezeichnend für Haeckels fruchtbares Wirken, daß er vielleicht der einzige ist, der die Elemente des wahren Monismus, das heißt der wahren Einheit alles Seins, in der Hand hält, während ein großer Teil seiner Anhänger, ja seiner besten und gelehrtesten Mitarbeiter über diese Einheitlichkeit lange nicht so im klaren sind wie er. Was mich lächeln macht, ist der Gedanke an die Zukunft. In fünfzig oder hundert Jahren wird der Monismus vielleicht überwunden sein durch einen darauf fundier- ten höheren Aufbau. Dann werden alle die Konservativen, die Thron- und Altarstützer, die Behörden, die Religionen und ihre Priester den Monismus, der heute so von ihnen verfehmt ist, als die einzig wahre Quelle des Lichtes und des Heils betrachten. Man wird dann von Staats wegen es jedem Neuerer übelnehmen, daß er dem revolutionä- ren Dualismus huldigt, daß er nicht Monist ist. Denn schließlich liegt im heutigen Monismus nichts Weltstürzendes, bloß daß die Unzu- länglichkeit der anders Denkenden ihn für aufreizend erklärt. Die Gedankenträgheit findet es immer staatszerstörend, wenn ihr Hirn sich bemühen soll, neue Lehren in ihre überkommenen Anschauungen einzuorganisieren. Die von Haeckel geschaffene Weltanschauung, man kann auch sagen, die von ihm und in ihm konzentrierte, ist un- zweifelhaft die einzige und gesunde Basis für jedes wissenschaftliche Wirken, zumal für das erkenntniskritische und rein philosophische der nächsten Zeit. Sie bildet ein festgefügtes, ungeheures System. Selbst der Dualismus, ihr Gegner, muß, wie gesagt, auf der monisti- schen Erkenntnisquader fundieren, weil sonst alles, was der Dualismus behauptet, unserem gegenwärtigen Wissen widerspricht, aus Phantas- men und Nebel zusammengebraut erscheint und wertlose Hirnge- spinste bedeutet. Für die spätere Entwicklung mögen ja diese Hirn- gespinste wertvoll sein. Wie in der Fabel der Atomisten die heutige Äquivalenten-Theorie, wie in dem Märchen der Alchemisten die heute vermutete Veränderlichkeit der Elemente unter dem Einfluß der Radioaktivität verborgen lag, so liegt in den dualistischen Hirnge- spinsten, eingehüllt und vermummt, gewissermaßen in der komischen
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und aktivitätslosen Gestalt einer Puppe, irgendeine Idee, die ein späteres Jahrhundert in irgendwelcher Form realisieren wird. Heute aber sind alle dualistischen Redewendungen nur phantastische Schaum- schlägerei ohne Wirklichkeitsgehalt; sie werden es bleiben, solange sie nicht ihre Opposition eben auf dem sicheren Fundamente des ange- fochtenen Monismus selbst aufbauen werden. Wenn Reinke sich be- müht, darzulegen, daß das Leben nicht aus sich selbst und in sich selbst entstanden sein könne, sondern erst auf höheren Befehl und womöglich außerhalb unserer Erde, so ist nichts dagegen einzuwenden, weder gegen das Zauberkunststück, noch gegen die angezogene höhere Instanz, noch gegen die Helmholtzsche Reise der Lebenskeime von Stern zu Stern im Vehikel eines Meteorsteines. Wir können bei Jules Verne und Wells noch viel merkwürdigere Sachen lesen. Schließ- lich leugnet ja auch Haeckel nicht, daß das Leben entstanden ist, daß es irgendwo sich einstellte, daß es von irgendwelchen Kräften zusam- mengebracht werden mußte. Was aber an der Reinkeschen Erklärung auffällt, ist einerseits die unnatürliche Umständlichkeit des Apparates, dessen er bedarf, und die nach unserem heutigen Wissen vollkommen überflüssig ist. Es ist gerade so, wie wenn wir in einem modernen Hotel mit elektrischer Beleuchtung einen Lord antreffen würden, der in Hemdsärmeln im Schweiße seines Angesichts zwei Stunden lang sich bemüht, Holzklötze aneinanderzureihen, um sich die Nacht- beleuchtung vor dem Schlafengehen zu verschaffen. Der Dualist reibt noch immer wie ein wilder Australneger mühsam Holzklötze, wo der Monist im Nu einen Schalter aufdreht und eine elegante Glas- birne zum Glühen bringt. Es gibt nun keine Möglichkeit und keine Berechtigung, dem Australneger das Feuerreiben zu verbieten, wenn es ihm Spaß macht, oder wenn er es für seine heilige Pflicht und schul- digsten Ahnenkult ansieht. Er wird auch mit der Zeit recht behalten. Denn eines Tages wird Dr. Auer von Welsbach ein Eisenklötzchen erfinden, das man nur zu kratzen braucht und das sofort Funken gibt. Dann wird der Wilde frohlockend ausrufen: „Seht ihr, seht ihr, ich habe es ja immer gesagt, nur in der Erzeugung des Feuers durch Reiben liegt das Heil der Menschheit." Dieser Australneger wird eben immer übersehen, daß der Weg zum pyrophoren Eisen mehr oder weniger mit dem Weg zur elektrischen Beleuchtung zusammenfiel, daß das Reiben der Holzklötze niemals zur Auerschen Erfindung ge-
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führt hätte. Ganz allgemein ausgesprochen : Der Irrtum — in unserem Falle der Irrtum des Dualismus und der religiösen Anschauungen — bewahrt uns Ideen und Denkelemente auf, die auf ihrer angewach- senen Basis unrichtig sind, die aber einst durch den Monismus hin- durchgehen werden und durch ihn zu einer neuen, ganz anders ge- arteten Wirklichkeit sich entfalten dürften. Der Irrtum ist konser- vativ, er konserviert die Ideen wie eingesponnene Puppen; erst die Wahrheit schenkende Wissenschaft gibt ihnen später die schöne, aktivitätsfrohe Schmetterlingsgestalt.
Gerade weil weder meinem philosophischen Schulgefühl in den „Welträtseln" Genüge geleistet ist, noch mir die letzten Konsequenzen genügen, also gerade weil ich kein verbissener Parteigänger bin, muß ich es aussprechen, daß die Haeckelsche Naturphilosophie eine Schöp- fung von aktuellem und höchstem positiven Werte ist, die unerbitt- lich das Denken der Menschheit in ihre Bahnen zwingen muß, falls diese fortschreiten soll. Ihre Normen, ihre Methoden sind ein nicht zu entbehrendes Gut; eine Erkenntnislehre ohne Haeckelschen Monismus ist ein Unding. Es wird sein Verdienst bleiben, den Den- kern des kommenden Jahrhunderts die sichere und einzig gangbare Straße gebaut und befestigt zu haben.
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KARL DOPF, HAMBURG
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Als im Vorjahre, anläßlich des 79. Geburtstages Ernst Haeckels .im „Monistischen Jahrhundert" sein Bild erschien, habe ich es lange, tief nachdenklich betrachten müssen. Ein prächtiger und mächtiger Denkerkopf voll Echtheit und Schlichtheit, bedeckt mit einem breiten Hute. Ein Greisenhaupt mit einem kindermilden Ge- sichtsausdruck, umspielt von einem sanften Lächeln. Ein ehrwürdiges Antlitz, aus dem selig froh zwei liebliche Kinderaugen leuchten. Ein echt monistisches Vorbild, dieser ewig jugendliche Greis.
Ja so sieht er aus, der so gefürchtete und viel gehaßte große Frei- geist, der Gottesleugner und Revolutionär der Schöpfungsgeschichte; so habe ich ihn gesehen im Bilde, den „Bahnbrecher der Zukunft", und würde ich ihn persönlich kennen, er würde mir ebenso, vielleicht noch hoheitsvoller und ehrwürdiger vorkommen.
Nun ist der Denker 80 Jahre alt geworden, und begeisterte Dan- kesbezeugungen Tausender, ja Hunderttausender umschmeicheln jubelnd den Greis, der in nie ermüdender Schaffensfreude sein Leben der Wissenschaft, der Kultur und dem Menschenfortschritt gewidmet hat. Diesen Hunderttausenden, die in hoher Verehrung ein inniges Band des Dankes und der Liebe um diesen Großen schließen, möchte auch ich als einfacher Arbeiter folgen.
Um es zu erklären, warum ich auch in den Kreis von Haeckels Verehrern und Dankschuldigen gehören will, muß ich kurz einiges erwähnen, wie ich mit Haeckels Ideen bekannt wurde, um derent- willen ich den bedeutungsvollen Mann als Forscher, Lehrer und auch als Mensch zu den Größten aller Großen zähle.
Ich bin ein Sohn des Salzkammergutes, geboren auf jenem herr- lichen Fleckchen Erde des oberösterreichischen Alpenlandes, wo male- rische Bergeshöhen ins tiefe Blau des Himmels ragen, wo sich in den klaren Fluten zahlreicher Gebirgsseen wildromantische Schluchten und freundliche Waldabhänge spiegeln. Dort wo unvergängliche Schönheit und ewige geheimnisvolle Stille der Natur herrscht, ge- nießen schlichte einfache Menschen glücklich und zufrieden frohe Lebenstage. Von dort bin ich zu Hause. Dort hat es auch Ernst Haeckel oft hingezogen, wenn er Ruhe und Sammlung für seinen
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Geist suchte, und stets hat er sie in dem Frieden dieses Berglandes gefunden. —
Als Kind einer armen Bauerndienstmagd kam ich zur Welt und wurde zur Erziehung meiner Großmutter übergeben, die mir fast schon in der Wiege vom lieben Gott und den schönen Engeln erzählte und mir die Händchen zum ersten Gebet faltete. Bald darauf, nachdem sich meine Mutter mit einem ebenso armen mittellosen Arbeiter verheiratet, kam ich in die Schule. Die oberösterreichischen Dorfschulen sind ja heute noch bekannt, daß dort zwar viel, sehr viel Religion eingedrillt, aber blutwenig Nützliches fürs Leben gelernt wird. Als ich aus der Schule kam, konnten mir meine Eltern — die bereits mit schweren Familiensorgen zu kämpfen hatten — keine andere Existenz geben als die des Arbeiters.
So wurde ich Bauernjunge. Als solcher war meine weitere Aus- bildung die berufliche Tätigkeit und die Religion. Aufgewachsen in Gespensterfurcht und Wunderglauben, umschloß meinen Geist die große chinesische Mauer der römischen Finsternis. So sehr ich den Drang in mir verspürte, Bücher zu lesen, es war mir nur die Bibel erreichbar. Zum Lesen und Nachdenken gab es keine Zeit, hier hieß es nur „bete und arbeite". Erst mit achtzehn Jahren, als ich mein Bauernbubenleben mit dem des Fabrikarbeiters vertauschte, hat sich das undurchdringliche Dunkel des Vorhanges geistiger Umnachtung etwas erhellt. Es erwachte in mir das Interesse am geistigen Leben der Zeit. Ich begann mich für Dichter und wissenschaftliche Forscher zu interessieren, habe aber viel gelesen, ohne zu verstehen und zu be- greifen. Eines Tages kam mir Arnold Dodels Buch über das Leben meines Landsmannes Konrad Deubler in die Hände, worin ich Haeckels Briefwechsel mit dem Bauernphilosophen fand. Dies regte mich an, zu den Werken des großen Forschers selbst zu greifen. Die ,, Welt- rätser' war das erste Buch, die „Lebenswunder" das zweite, dem die „Schöpfungsgeschichte" und andere folgten. Erreichbar waren mir die Bücher in der Arbeiterbibliothek.
Von da an umstrahlte mich der Sonnenglanz der mo- dernen Aufklärung. Dieser Lichtschimmer durch die Erkenntnis war ein Wendepunkt in meinem Leben, und diesen verdanke ich Ernst Haeckel. Es war mir von da an, als ob ein neues Leben für mich begonnen hätte, als ob ich in der 3E]gggggggggEigggggggggggEigggggE]5]ggggggB|ggE]ggEiE]E]gjE]B]EiE;si
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freien Weltanschauung meine geistige Erfüllung finden sollte. Wie Erdbebenstöße der Revolution wirkten Haeckels Ideen auf meinen Geist. Freilich bin ich kein Monist und habe noch nicht das Recht, mich als solchen zu bezeichnen, bevor ich mich nicht zur vollkommenen Erkenntnis durchgerungen habe.
Für mich als Arbeiter müssen viele der wissenschaftlichen Hypo- thesen soviel wie religiöse Dogmen sein; ich muß sie glauben, weil mir die geistige Kraft zum Nachprüfen fehlt. Aber diesen Glauben an die Wissenschaft halte ich fest ; dieser Glaube ist auch die höchste und herrlichste Religion für uns Arbeiter. In diesem Glauben zu wandeln, liegt mir das rechte Ziel. Wenn auch viele Ideen der Wissen- schaft oft den klaren Ausblick auf die Bahn zu diesen Zielen trüben, eines steht fest : auf dem rechten Wege bin ich doch. Soweit ich Haeckel verstehen konnte, habe ich mich durch den Großteil seiner Werke durchgerungen, soweit ich seinen Ideen nicht folgen, sie nicht er- fassen und begreifen konnte, werde ich mich noch hindurcharbeiten. Wie Schiller mein Lieblingsdichter ist, so ist Haeckel mein Führer durch die Wissenschaft.
Und wenn ich auch mein Weltbild noch kein vollkommenes nennen darf, so entspricht es doch den Lehren des großen Forschers, der im Grunde seiner freien, natürlichen Anschauung uns gezeigt hat, wie wunderbar verschmolzen, verwoben und versponnen unser Leben mit der Natur ist.
Es steht mir zwar nicht das Recht zu, über das Gesamtbild seiner Leistungen auf wissenschaftlichem und kulturellem Gebiete einen ab- schließenden Ausspruch zu tun — dazu sind Größere berufen — , aber das Recht, die Persönlichkeit des alten Monistenvaters zu verehren, und die Pflicht, ihm meinen Dank zu bekunden, den ich ihm um meiner Welterkenntnis willen schulde, habe ich mit allen anderen gleich, die sich bewogen fühlen, in dieser Gedenkschrift Haeckels Geist Bewun- derung, seinem Schaffen Dank und Verehrung entgegenzubringen. Dennoch möchte ich auch dessen noch gedenken und von meinem Standpunkte als Arbeiter kurz erwägen, was Haeckel als Begründer des wissenschaftlichen Monismus der ganzen Menschheit ist, was dieser gewaltige Denkergenius für unsere Kultur bedeutet, und warum in diesem größten Sohn der deutschen Geistesaristokratie für uns der Bahnbrecher der Zukunft erstanden ist.
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Was Haeckels Lebenswerk für die Menschheit ist, wissen wir, wissen viele, aber nicht allen ist es bekannt, am wenigsten aber denen, die ihn hassen und befehden. Diese mögen endlich zu seinen Werken greifen, und einer in klarster, nüchternster Wissenschaft gewonnenen Erkenntnis werden sie in Haeckels Weltanschauung begegnen. Ohne Schonung hellte dieser erleuchtete Geist das Dunkel der Probleme des Menschenlebens auf. Und die Natur galt ihm als Lehrerin, er verstand ihre Stimme, erforschte sie und gestaltete aus der reichen Fülle von gesammelten Tatsachen seine epochemachenden Zeitideen der Gegenwart.
Ein bedeutender Vorläufer und Vorgänger auf dem Wege zur Schaffensmöglichkeit ist für ihn Darwin.
Haeckel und Darwin — mehr als je stehen sie heute nebeneinander, die beiden Größen der Entwicklungslehre. Hat der große Darwin den Samen gelegt, so hat Haeckel die Frucht zum Reifen gebracht, indem er mit seinen Gedanken die unermeßlichen Weiten des ganzen Welt- raumes durchflog und in die geheimnisvollsten Tiefen des Mikro- kosmos eindrang, um der Welt die Erleuchtung zu bringen, nach der sie schon undenkliche Zeiten ringt.
Was der große Engländer zum Gegenstand seiner Untersuchungen machte, hat der große Deutsche zum Gedankenkreis einer haltbaren Lebensanschauung vereinigt. Was jener unausgesprochen, unausge- führt ließ, hat dieser ergänzt und zusammengefügt, und solch heroi- scher Charakter, solche Lichtflut eines hohen Geistes mußte bezau- bernd auf uns, seine Zeitgenossen wirken. Die Gesetzmäßigkeit der Natur mit so sondierender Gründlichkeit darzustellen, ist wohl nicht vielen so gelungen wie ihm. Alles ist bis in seine letzte Konsequenz kristallklar, alles ist in nie ermüdendem Fleiße, mit heiligem Ernste und glühendem Eifer geschaffen, die Grunderkenntnisse aller großen Zeitepochen bringt er mit seiner Wissenschaft in Verbindung. Dies allein schon sichert seinem Namen die Unsterblichkeit. Aber wir dürfen Haeckels Ideen nicht immer nur so verstehen, daß es sich um für unsere Kultur wichtige, rein wissenschaftlich-abgegrenzte Welt- anschauungsprobleme handelt, sondern in einem viel höheren Sinne : Haeckel ist nicht nur der große Wissenschaftler, Naturforscher und Philosoph, sondern er ist auch der Dichter und Maler, mit einem
Wort der Schönheitslehrer, der zum Naturschauen erzieht. gggggggg]ggggggggE]gggggggE]gggggg^E]EiBiE]i]E]EiB]EiE]G3EjE]E]EiG]gBiaE]
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Wir dürfen nur seine „Indischen Reisebriefe" zur Hand nehmen, und wir haben neben dem leidenschaftlichen Naturschwärmer den phantasievollen Dichter vor uns, der in wundervoller, farbenprächtiger Sprache die herrliche Tropenlandschaft mit ihrer mannigfaltigen Tier- und Pflanzenpracht in poetischer Feinheit darstellt. Wir sehen, daß er nicht nur der Natur, der Welt, dem Leben und Sein ihre inneren Geheimnisse und Wunder abgelauscht hat, sondern auch ihre äußere Schönheit. Wir sehen in ihm den Maler, der in unserer Allmutter Natur jede, auch die tief verborgenste Eigenart entdeckte und wun- derherrliche Gemälde der Schilderung schuf, die von einem vielseiti- gen Reichtum seines Innern, seiner Harmonie zur Weltnatur ein glän- zendes Zeugnis geben.
Aus allen seinen Werken sind neben der wissenschaftlichen Ge- nauigkeit und Feinheit der sprachlichen Darstellung besonders zahl- reiche ästhetische Grundsätze und Gefühle herauszulesen.
Und irdische Schönheit war es, die des Denkers Geist in den „Welt- rätseln" sehnsüchtig nach den tiefsten Tiefen der Wahrheit geführt hat. Kein Wunder, wenn sich Tausende durch seine Ideen und Anre- gungen zur Naturfreude durchgerungen haben, die sich nie sonst in ihrer innersten Schönheit zurecht gefunden hätten. Vielleicht ohne es zu wollen, hat er damit unserer Kultur einen hochentwickelten Natur- sinn gebracht, der es ihr ermöglichen soll, die höchsten Höhen der Vollkommenheit zu erklimmen.
Darum ist er auch ein Erzieher. Seine Werke, so streng wissen- schaftlich sie zu werten sind, so bedeutungsvoll ist auch der erziehe- rische Wert derselben. Wer darin nur eine monistische Denklehre, bloß eine theoretische Einführung in den Monismus sieht, betrachtet sie mit falschem Blick. Wer sich aber in sie gründlich vertieft, der muß vielmehr merken, daß er geradezu zum Monisten erzogen wird; er wird in unserer Kultur die steinigen Wüsten entdecken und wird an- gespornt, Hand anzulegen, mit zuarbeiten, wo fruchtbares, grünendes Land bereitet werden soll.
Und Haeckel selbst, wie er als Mensch lebt? Ist er nicht ein monisti- sches Beispiel ohne persönlichen Ergeiz, ohne Leidenschaft und Stolz, voll Einfachheit und Manneswürde ? Eine starke monistische Ge- stalt, die mit voller Seele seine Aufgabe erfüllt, durchdrungen von dem siegessicheren Idealismus, von dem Glauben ohne Zweifel an
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das absehbare Endziel der Menschheitsentwicklung. Wir sehen ihn an der Schwelle seines Alters im Vordergrund der Wissenschaf t stehen, und trotzdem ist er bei seinem Einfluß auf die geistige Welt stets der an- spruchsloseste und einfachste Mensch geblieben. Ist das nicht echt monistisch ? Zu bewundern und für unsere Kultur von höchster Be- deutung ist an Haeckels Persönlichkeit der Kämpfer.
Mit beispielloser Klugheit hat er, als die Zeit für ihn gekommen war, der viel gepriesenen Kultur den Fehdehandschuh hingeworfen. Mit kühnem Mute wagte er den Zorn der freien Rede selbst den Mäch- tigsten seiner Gegner entgegenzustellen. Ohne Scheu hat er offen be- kannt, daß er ein Gegner kirchlicher Wunderlegenden ist, obwohl uns gerade er selbst die größten Wunder gegeben hat, Wunder aber, die in voller, klarer Reinheit unserem Verstände begreiflich geworden sind. Weithin hörbar klang seine Warnungsstimme vor kirchlichem Offenbarungswahn durch die ganze Welt, die frevelhaftes Pfaffen- gaukelspiel im Banne hielt, und gab uns dafür die größte Offenbarung — das Evangelium der Wissenschaft. Das mag für ihn ein harter Kampf gewesen sein. Intransigenten haben ihn umsponnen, sie wollten ihn demütigen und zurücksetzen, aber trotzig ist er im Harnisch seiner Wahrhaftigkeit auf seiner Lebensbahn weiterge- wandelt, das Grollen seiner Feinde nicht beachtend. Als dann gar noch die Keime seiner Naturforschung und Lebensbetrachtung auf- gingen, da entbrannten die Kämpfe um seine Ideen in noch rascherer Folge. Aber die Gegner sind unterlegen. Immer reifer wird die Mensch- heit, immer mehr strebt sie ihrer Kulturvollendung zu, und um so höher wird sie ihren Bahnbrecher Haeckel schätzen, um so mehr wird sie seine großen Ideen brauchen, um ganz in Harmonie mit dem Wollen des reichbegabtesten Vorkämpfers — von denen wir viel zu wenige haben — zu gelangen.
Haeckel kommt mir als eine von jenen Männergestalten vor, die der Emanzipation nicht mehr bedürfen, weil er sie durch sein moni- stisches Denken, Fühlen, Leben, Wirken und Schaffen schon errungen hat. Er nennt sich Monist, hat dem Monismus seine Gesetze gegeben und hat ihn vorgelebt. Seine Ideen steigen in der ganzen Volkskultur kühn empor, voran als Führer wie ein Prophet der neuen Zeit, der Achtzigjährige mit seinen Silbersträhnen. Verehrung, tiefe Verehrung diesem Feuergeiste, der nie im Kampfe unterlegen, der nie die Waffen
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gestreckt, der selbst mit seinen achtzig Jahren seinen Geist nicht beugte, wenn ihn auch die Knute der Unvernunft von allen Seiten umsauste. Wir wollen hoffen, daß unsre gesamte zukünftige Kultur, die Kunst, die Wissenschaft, die Erziehung, die Politik, die Welt- wirtschaft sowie alle großen Fortschritte, die vorgesteckten Ziele Haeckels aufgreifen und sie zu einer großzügigen Menschheitskultur vereinigen werden.
Je näher der Lebensabend des greisen Forschers herannaht, um so näher soll der Jugendtag der neuen Menschheit kommen.
Darum vorwärts, immer vorwärts mit dem Zeiger der Zeitenuhr, bis es Licht wird überall, bis die Zeit kommt, wo das, was die Mitwelt an Haeckel versäumt hat, die Nachwelt gut macht. Haeckels Name wird, solange Weltgeschichte möglich ist, neben allen Großen glänzen, seine Gestalt wird aber wie ein mächtiger Leuchtturm aus dem Strome der vielen mittelmäßigen Unberufenen ragen, wenn seine Mission er- füllt ist.
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OTTO KNOPF, JENA: ENTWICKLUNGSTHEORIE UND
ASTRONOMIE
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Was hat ein Astronom mit der Entwicklungstheorie zu schaffen ? Selbst wenn Entwicklungstheorie und Astronomie zwei Gebiete wären, die durchaus nicht imstande wären, sich gegenseitig befruch- tende Gedanken zu liefern, so könnte man es weder einem Biologen noch einem Astronomen verdenken, wenn er sich in der ihm etwas abseits liegenden Naturwissenschaft umsieht. Haeckel hat der Astro- nomie stets ein äußerst reges Interesse entgegengebracht und sich durch die Lektüre astronomischer Werke und Einzelaufsätze über die wichtigsten Ergebnisse der astronomischen Forschung auf dem lau- fenden gehalten. Ihn, der beim Studium der Welt des Mikroskopisch- Kleinen so viel Genuß und Befriedigung fand, ihn erfüllte mit Be- wunderung auch die Arbeit der Natur, wo sie mit Siriusweiten statt mit Millimeter und Lichtwellenlängen mißt. Und warum sollte der Astronom achtlos an den der heutigen Naturforschung ihr Gepräge gebenden Ideen vorübergehen, welche eine vollständige Umwälzung nicht nur im Gebiet der Biologie herbeiführten, sondern in weiterer Folge auch unsere Ansichten über die Stellung des Menschen in der Natur von Grund aus änderten, welche eben dadurch unsere philo- sophische Erkenntnis vertiefte und die bisherige Philosophie, soweit sie dem Geist, der Seele des Menschen, eine selbständige Existenz zuschrieb , aus der Reihe der Wissenschaften strich, welche auf unsre Rechtsanschauung und auf unser soziales Leben den größten Einfluß auszuüben berufen ist? Ich wenigstens möchte nicht durchs Leben gegangen sein, ohne auch jenes Gebiet wissenschaftlicher Forschung in etwas kennen gelernt zu haben.
Aber haben Entwicklungslehre und Astronomie nicht doch viel- leicht etwas miteinander gemeinsam ? Zweifellos ! Das Ziel einer rein mechanischen Erklärung der Tatsachen ! Und ist es hierbei nicht viel- leicht manchmal vorteilhaft, die auf dem anderen Gebiete gewonnenen Resultate zu beachten? Gewiß! Sogar nötig, wie uns ein Beispiel später zeigen wird.
Schon lange vor Lamarck und Darwin hatte man für die anorga- nische Natur den Grundsatz einer mechanischen Erklärung der Er-
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scheinungen aufgestellt, und Kant setzt sich in seiner „Allgemeinen Naturgeschichte und Theorie des Himmels" ausdrücklich die Aufgabe, den jetzigen Zustand des Weltgebäudes rein mechanisch zu erklären, aber er hat sich doch nicht ganz frei machen können von den alten Reminiszenzen an die biblische Lehre vom Eingreifen einer außer- weltlichen Macht. Er geht aus von dem Zustand gleichförmig im Raum verteilter Materie, vom „einfachsten Zustand der Natur, der auf das Nichts folgen kann". Er denkt sich die Materie durch einen Schöpfungsakt aus dem Nichts entstanden. Von dem Moment an, wo der Schöpfer seine Arbeit geleistet, ging allerdings alles von selbst seinen Gang, die Naturgesetze genügten dann, das Weltgebäude aus jenem „Chaos" herzustellen.
Laplace hat in seiner Kosmogonie die unwissenschaftliche Annahme eines Urzustandes vermieden, indem er sich darauf beschränkte, die Entstehung des Sonnensystems aus einem rotierenden, bis zu dem äußersten der Planeten reichenden Gasball herzuleiten, ohne auf die Frage, wie dieser zustande gekommen sei, einzugehen.
Wohl aber gehen viele andere Forscher von einem Anfangszustand aus, so — abgesehen von Früheren — Lockyer, du Ligondes, See, Ball von einem chaotischen Durcheinander meteorischer, den Raum durchfliegender Körper. Sind diese ewig durcheinander geflogen, bis sie sich von einem Moment an zu größeren Massen vereinigten?
Arrhenius hat wohl als erster darauf hingewiesen, daß heute eine Kosmogonie nur dann als wissenschaftlich beachtenswert gelten kann, wenn sie zeigt, wie im einzelnen ein periodisches Werden und Ver- gehen im Weltall stattfindet — wie z. B. kosmische Gasmassen sich zu Sternen verdichten und diese sich wieder in jene zurückverwandeln — während das Ganze sich wesentlich gleich bleibt.
Nach der Laplaceschen Nebularhypothese bestand die Sonne, wie oben bereits erwähnt, früher aus einem großen Gasball, der sich im Lauf der Zeit zusammenzog und ab und zu einen Ring am Äquator absonderte. Von der Zeit, da die Sonne sich bis zur Neptunbahn er- streckte, bis heute sollten nach Helmholtz und Lord Kelvin nicht mehr als 18 Millionen Jahre vergangen sein, ein Resultat, das im grellsten Widerspruch stand zu der gewiß unumstößlichen Ansicht der Biologen, daß für die stammesgeschichtliche Entwicklung der heutigen Tierwelt ein sehr viel längerer Zeitraum nötig war, und auch
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im Widerspruch zur Ansicht der Geologen vom Alter der Erdkruste. In der Tat mußten die Astronomen auf Grund der biologischen und geologischen Forschungsresultate ihre Meinung über die Dauer des Bildungsprozesses der Sonne ändern. Die Entdeckung des Radiums hat ihnen die Möglichkeit einer außerordentlich viel längeren Dauer der Sonnenstrahlung, als man sie vordem berechnet hatte, an die Hand gegeben. Braucht man doch nur eine genügende Menge radio- aktiver Substanzen auf der Sonne anzunehmen, um das astronomische Resultat mit dem biologischen und geologischen in Übereinstimmung zu bringen. Die Astronomie hat in diesem Fall eine Belehrung durch die Biologie erfahren.
Kein moderner Naturwissenschaftler wird die Ansicht vertreten, daß die Erde oder gar das Sonnensystem planvoll eingerichtet worden sei, um als Wohnstätte des Menschen zu dienen. Wohl aber spricht man häufig von einer Ordnung in unserem Sonnensystem oder auch im Universum, ja das griechische Wort für Ordnung, Kosmos, dient uns als Bezeichnung für das Weltall. In gewissem Sinn ist man dazu auch berechtigt, insofern nämlich die einzelnen Glieder des Sonnen- wie des Fixsternsystems in manchen Punkten eine Übereinstimmung zeigen. So bewegen sich sämtliche Planeten und die meisten Monde im gleichen Sinn um ihren Zentralkörper; sieben von den 26 Monden und etwa die Hälfte der Kometen laufen allerdings in entgegengesetzter Richtung. Die Bahnen der Planeten, besonders der acht großen, fallen nahe in dieselbe Ebene und besitzen geringe Exzentrizität; die Fix- sterne kommen häufig als Doppelsterne vor, usw. Die Übereinstim- mungen sind zweifellos eine Folge der Entstehungsweise der Himmels- körper, sie sind nicht wunderbar, sondern notwendig. Von ihnen sei im folgenden abgesehen.
Aber auch darin will man, im Universum sowohl wie speziell im Sonnensystem, eine Ordnung erblicken, daß die Materie im Raum so verteilt sei, daß hierdurch eine fast unbegrenzte Dauer des Sonnen- systems und somit der Menschheit garantiert werde. In der Tat be- einflussen sich die Planeten, da ihre Massen im Verhältnis zur Sonnen- masse sehr klein sind und weite Abstände voneinander haben, in ihren Bewegungen nur unbedeutend. Dieser Einfluß macht sich zudem nur auf diejenigen Bestimmungsstücke der Bahn immer in demselben Sinn geltend, verändert sie also vollständig, welche für den Bestand
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des Systems ohne Bedeutung sind. Hierher gehören die Richtung der großen Achse der Bahnellipse, die Richtung der Knotenlinie und der Ort des Planeten in seiner Bahnkurve. Dagegen bewirkt er nur eine periodische Änderung der für den Bestand des Systems und die Gleich- mäßigkeit der Bedingungen, unter welchen es existiert, wichtigen Bestimmungsstücke der Bahn, d. i. der Exzentrizität der Bahnellipse, der Neigung der Bahnebene gegen die Ekliptik und der durchschnitt- lichen Entfernung des Planeten von der Sonne; diese werden also bald größer, bald kleiner, verbleiben dabei aber stets innerhalb ge- wisser enger Grenzen. Lagrange, Laplace und Poisson haben den Be- weis dafür geliefert, freilich nicht ohne gewisse Voraussetzungen, die in Wirklichkeit nicht zutreffen. Sie haben die Planeten als kugel- förmig angenommen, während sie Rotationsellipsoide sind, sie haben die Vermehrung der Sonnen- und der Planetenmassen durch einfallende Meteore und kosmischen Staub nicht berücksichtigt, während doch beispielsweise die Masse der Erde dadurch täglich um etwa ioo Tonnen vergrößert wird, ebensowenig den Verlust an Masse durch Teilchen, die sich von der Atmosphäre trennen, noch die Wirkung der Gezeiten. Wenn daher auch die Planetenbahnen noch viele Jahrmillionen fast unverändert dieselben bleiben, allmählich formt sich das System doch vollständig um.
Auch die äußerst spärliche Verteilung der Fixsterne hat man, wie oben bemerkt, im Sinne, wenn man die Ordnung des Weltalls rühmt; sie ist die Ursache, daß unsere Sonne gewiß seit iooo Millionen Jahren nicht in die gefährliche Nähe eines andern Fixsterns gekommen ist und sich infolgedessen das Planetensystem ungestört entwickeln konnte. Und wenn noch weitere Billionen Jahre das Sonnensystem keine Katastrophe durch die bedenkliche Annäherung an einen Fix- stern oder durch Hineinlaufen in einen kosmischen Nebel erleiden sollte, so ist das darum doch nicht für alle Zeiten ausgeschlossen. Die sogenannten neuen Sterne, welche wir gelegentlich am Himmel auf- tauchen sehen, dürften den Beweis dafür liefern.
Wenn wir also von einer Ordnung des Universums und im beson- deren des Sonnensystems reden als von einem Zustand, der die Garan- tie einer langen Dauer in sich trägt, so ist das von unserem mensch- lichen Standpunkt aus nicht zu beanstanden, denn im Vergleich zu unserer Lebensdauer ist die Dauer für die Möglichkeit menschlichen
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Lebens überhaupt in der Tat außerordentlich groß. Millionen von Jahren mag das Menschengeschlecht noch bestehen und sich im Kampf ums Dasein weiter entwickeln. Es wird aber eine Zeit kommen, wo kein Leben mehr auf der Erde gedeihen kann, so wie auch einstens kein Leben auf ihr möglich war.
Ist es aber wunderbar, daß Sonnen- und Fixsternsystem sich in einem Zustand befinden, der dem Menschengeschlecht die Möglichkeit einer nach unseren gewöhnlichen Begriffen fast unbegrenzten Dauer verheißt? Nicht im mindesten! Kämen leicht Begegnungen von Sternen mit Nebeln oder anderen Sternen im Weltall vor und gingen die Umformungen der Planetenbahnen nicht so außerordentlich lang- sam vor sich, so wären wir Menschen gar nicht entstanden. Uns aber zu verwundern, daß wir entstehen konnten, haben wir — wenn wir von einer Bewunderung des Naturschaffens überhaupt hier absehen — keinen Anlaß. Sehr viel größer als die Zahl der Individuen und Arten, welche entstehen konnten, ist die Zahl derer, welche nicht entstehen konnten, derer, welche zum Schweigen über das Schicksal ihrer Nicht- existenz verurteilt sind, während wir uns laut unsres Lebens freuen und die Ordnung der Dinge preisen. Setzen wir die Zeit, innerhalb deren die Erde geeignet ist, Leben zu beherbergen, auf iooo Billionen Jahre an, so würde für die Wesen, welche Billionen Jahre zu ihrer stammesgeschichtlichen Entwicklung brauchen, die Welt die Be- zeichnung „Kosmos" verdienen, nicht aber für solche Wesen, die Trillionen Jahre zu ihrer Entwicklung brauchten.
Wollte man etwa in der Langsamkeit selbst, mit der sich die Planetenbahnen ändern, eine Ordnung erkennen, abgesehen also von der dadurch ermöglichten langen Dauer des Menschengeschlechts, so ist zu bedenken, daß die Begriffe langsam und schnell überhaupt ganz relativ sind. Wir verfallen gar zu leicht in den Fehler, bei diesen kosmogonischen Betrachtungen den Menschen als das Maß der Dinge zu nehmen. Auch möchte es dem einen wenig erscheinen, wenn die Achse einer Planetenbahn sich in einem Jahr um i : 10 ooo ihres Wertes ändert, dem andern dagegen sehr viel, besonders, wenn er sich den Betrag in Metern ausgedrückt denkt.
Bei Kometenbahnen finden totale Umformungen so häufig statt, daß wir hier von einer Ordnung im Sinn der Beständigkeit nicht ver- sucht sind zu sprechen. Der nach seinem Berechner benannte Lexell- "B]ggggggggggggE]ggE]ggggggBjggggggggggB]E]EiB]EiE]E3E]E]E]E]E]E]EjE]E]E]5]
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sehe Komet wurde im Jahr 1767, als er sich dem Jupiter so stark näherte, daß er durch das System seiner Monde hindurchging, aus einer sehr weiten Bahn in eine Ellipse von nur 572 Jahren Umlaufszeit gezwängt, so daß er im Jahre 1770 entdeckt werden konnte; ja er kam der Erde bis auf l/7Q der Sonnenentfernung nahe. Im Jahr 1779 wurde er jedoch bei einer nochmaligen Annäherung an Jupiter von diesem wieder in eine weite, seine Wiederauffindung ausschließende Bahn hinausgeworfen. Hätten die Kometen nicht eine ganz un- berechenbar geringe Masse, so würden von diesem Kometen, wie bei vielen sonstigen Gelegenheiten von anderen Kometen, die Planeten- bahnen vollständig umgeändert worden sein. Eine Entwicklung der Organismen wäre dann auf einem Planeten so wenig wie auf einem Kometen möglich geworden. Wollten wir die Stabilität des Planeten- systems rühmen, so müßten wir die Unbeständigkeit der Kometen- bahnen tadeln. Die Ordnung in der räumlichen Verteilung der Him- melskörper, sofern dadurch ein langer Bestand derselben, womöglich noch unter gleichbleibenden Verhältnissen bedingt sein sollte, ist eine Illusion.
Wir müssen uns abgewöhnen, eine beabsichtigte Zweckmäßigkeit im Walten der Natur zu sehen. Das Sonnensystem ist so wenig eine planmäßig geschaffene Einrichtung wie etwa das menschliche Auge, dessen Entwicklung aus den einfachsten lichtempfindlichen Organen sich verfolgen läßt. Wäre es beabsichtigtermaßen hergestellt worden, so würde es wohl besser sein, als es ist, und ebenso könnte die Ver- teilung der Massen im Raum eine für den Bestand des Sonnensystems noch vorteilhaftere sein. Beides ist eben so, wie es ist, wie es aus der Werkstatt der Natur hervorgehen mußte.
Wird aber durch diese Erkenntnis unsere Freude an den Werken der Natur beeinträchtigt ? Im Gegenteil ! Sie wird vermehrt, weil wir durch die Entwicklungsgeschichte das Gewordene erst recht verstehen lernen.
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EDWARD LAURENS MARK, CAMBRIDGE, MASS. U.S. A
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Zu Anfang der siebziger Jahre, als ich Student in einer Universität nicht weit von Jena war, nahm Ernst Haeckel durch seine be- geisternden und anregenden Werke die Aufmerksamkeit der Zoologen in hohem Grade in Anspruch. Seine Kritiker waren ebenso zahlreich wie seine Bewunderer. Zwei Äußerungen mögen die vielleicht nicht seltene Stellungnahme bezeichnen. Eine meiner Studentenbekannt- schaften, ein Amerikaner, sagte: „Ich glaube, Haeckel streut den Leuten Sand in die Augen." Ich bin überzeugt, daß er Haeckel niemals begegnet ist, denn sonst würde er wahrscheinlich mehr Ver- trauen zu ihm gehabt haben. Die andere Äußerung kam von den Lippen des verehrten Professors, unter dem ich einige Zeit gearbeitet hatte, als ich ihm meinen Plan mitteilte, zu einem mehrmonatigen Studium nach Jena zu Professor Haeckel zu gehen. „Na, sehen Sie sich mal die Geschichte an", sagte er. Ich tat es und war entzückt von der Einfachheit und Aufrichtigkeit des Mannes, den ich in Jena traf. Seine milde und vornehme Art war überraschend; das Gleichmaß seines Temperaments und die beständige Aufmerksamkeit und Rücksicht auf andere waren bezeichnend, auch sein Diener Pohle hatte keine Gelegen- heit, den großen Abstand zwischen seinem Herrn und sich zu fühlen.
Eines Tages, als wir durch das Museum des Zoologischen Instituts gingen, bemerkte Haeckel: „Sie sehen, es ist nur klein; aber ich habe beobachtet, daß die Leistungen eines Instituts oft im umgekehrten Verhältnis zu seiner Größe stehen." Eine ähnlich ironische Ader kam gelegentlich in seinen Vorlesungen zum Vorschein. Ich erinnere mich eines Falles: Danas Werk über die Zoophyten, herausgegeben in „United States Exploring Expedition" unter Kapitän Wilkes, lag vor ihm. Nach einer kurzen Bemerkung über dessen Inhalt sagte Haeckel: „Ein großer Luxus in Papier."
Aber weder solche Scherze noch die beißenden Worte einiger seiner Schriften konnten mein Vertrauen erschüttern, das ich in seine absolute Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit hatte und noch habe. Haeckel persönlich kennen heißt an ihn glauben.
Von seinen zoologischen Werken haben die „Generelle Morpho- logie" und die „Anthropogenie" am unmittelbarsten nützlich und
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anregend auf mich gewirkt. Seine Analysis der tierischen Formen in der „Promorphologie" ist so umfassend und doch so einfach! Die Klarheit seiner Ausführungen und die Einfachheit seines Stils in der „Anthropogenie" machen dieses Werk besonders wertvoll für den Fremden, welcher wenig mit der deutschen Sprache vertraut ist, und war auch in nicht wenig Fällen für diejenigen wertvoll, deren Interesse an den Entwicklungsproblemen durch das Buch ge- weckt worden ist.
Aber so groß auch meine Bewunderung ist für seine gewaltige Beobachtungsgabe und seine Schilderungskunst in Wort und Bild, so ist sie doch noch größer für seinen Blick für das Wesentliche und seine Begabung für Vereinheitlichung und Vereinfachung, welche ihm eine so hervorragende Stellung unter den Wissenschaftlern gibt. Diese sind jedoch nur die Zugänge, welche ihn zu seiner Ansicht vom Universum geführt haben, eine Ansicht, die, wie mir scheint, mit der Zeit alle denkenden Menschen mit unbefangenem Geist in hohem Grade beeinflussen wird.
Wenn ich mich genau auf die Gründe besinne, so finde ich, daß es nicht Haeckels Größe war, auch nicht sein wissenschaftlicher Scharf- blick oder sein Kampf für eine monistische Kosmologie, was mich im Jahre 1910 veranlaßte, eine verzweifelte Anstrengung zu machen, den Mann, den ich bewunderte, zu sehen. Es war einfach seine be- zaubernde Persönlichkeit, nach der ich mich sehnte. Für mein zwei- tägiges vergebliches Suchen nach ihm in Venedig wurde ich vollauf belohnt, als ich ihn, ziemlich unerwartet für mich und vor allem auch für ihn, plötzlich in dem kleinen Speisezimmer eines bescheidenen Gasthauses in Feltre vor mir sah. Als wir am folgenden Tag zusammen nach San Martino di Castrozza wanderten, fand ich, daß ich ihn früher nicht falsch beurteüt, und daß er sich nicht verändert hatte : derselbe einfache und liebenswürdige Mensch, den kennen zu lernen ich vor 35 Jahren das große Glück hatte.
Der Vorsitzende des Deutschen Monistenbundes hat einen Gedan- ken, den ich oft gehabt habe, so bewunderungswürdig ausgedrückt, daß man mir verzeihen möge, wenn ich seine Worte hier wiederhole: „Dieser unversöhnliche Gegner alles dogmatischen Christentums er- wies sich als der beste und vorgeschrittenste Christ, den ich je per- sönlich kennen gelernt hatte."
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J. A. PALMEN, HELSINGFORS, FINLAND
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Sehr geehrter Herr Doktor!
Leider muß ich Ihnen jetzt mitteilen, daß es mir nicht möglich wurde, einen Beitrag zu Ernst Haeckels Festschrift zu liefern, wie ich noch in meiner letzten Postkarte eventuellin Aussicht stellte. Ich bedauere dies um so mehr, da ich durch Ernst Haeckels „Generelle Morphologie" eine überaus kräftige Anregung zum wissen- schaftlichen Denken erhalten habe, und seine Forscherpersönlichkeit überhaupt wie speziell seine phylogenetischen Schriften mir, wie so vielen anderen, in fundamentaler Weise wegleitend gewesen sind. Die zündende Einwirkung des genannten echt romantischen Forschers, in Verbindung mit der des ebenso tiefsinnigen wie nüchtern kritischen Klassikers, Carl Gegenbaur, dessen persönlicher Schulung ich unge- heuer viel verdanke, — die Einwirkung dieser beiden Forscher ersten Ranges werde ich alle Zeiten in der verehrungsvollsten Erinnerung dankbarst behalten.
Hochachtungsvoll
J. A. Palmen.
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Wenn in diesen Tagen von eirm Ende der gebildeten Welt zum anderen der Name des gröen Forschers fliegt; wenn Jünger und begeisterte Verehrer sein l oenswerk feiern, Berufene neidlos es anerkennen, Feinde und Fa es schmähen, aber doch nicht
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Selten noch hat das Wahn' daß der Stil der Mensch sei, in so restloser Weise seine Bestätigung gefunden wie in der Persönlich- keit Ernst Haeckels. Einer de .venigen deutschen Gelehrten seit Schopenhauer, die zugleich auch roße Stilisten sind, ist seine geistige Eigenart so ganz der Spiegel des was er lebt und ist und sein will. Und wer nur einmal diesen pr. n, noch heute so schön und frei
getragenen Kopf gesehen, den v nden Blick der blauen Jovisaugen auf sich ruhen gefühlt, sein herzbhes und sieghaftes Lachen gehört, das selbst wie eine Klang geworene Lichtfülle anmutet — der wird mit Entzücken erkennen, daß H kel der Forscher und Haeckel der Mensch eine Persönlichkeit von >lch vollendeter Harmonie bilden, wie sie das deutsche Volk viellei t seit Goethe nicht wieder besessen. Und in der nordischen Seele m? dann etwas vom Verständnis der alten Hellenenfreude an der „Kalkagathia" dämmern. Von derselben Freude, die keinen Geringeren als ismarck mitriß, der den berühmten Naturforscher bei Gelegenheit eier Anrede plötzlich umarmte und herzlich abküßte. Und so hat de Naturforscher Haeckel gegenwärtig nur einen einzigen Nebenbuhler den Menschen Haeckel.
Von diesem aber will ich einies erzählen. Und wenn ich ihm da und dort vielleicht allzusehr „as der Schule" plaudere, so mag er mir's verzeihen. Sein Jubeltag ibt mir das Recht dazu.
Ein glücklicher Zufall fügte s, daß meine erste Begegnung mit Haeckel an einem Orte stattfand, en schon ein anderer großer Natur- forscher durch seine Gegenwart fr immer geweiht. In unserem herr- lichen Salzburg, dem kein Gerincrer als Alexander v. Humboldt den
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GEORG J. PLOTKE, FRANKFURT A. M.
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Nicht dem großen Gelehrten, nicht dem schöpferischen Künstler Ernst Haeckel habe ich soviel zu danken, wie dem tiefhumanen Menschenbruder, dessen Güte mich beglückte. In zwei entscheidenden Augenblicken meines Lebens wandte ich mich fragend an ihn, und wie so vielen anderen gab er auch mir, anteilnehmend wie ein naher Freund, den befreienden Rat, den nur die reinste und innerlichste Menschlichkeit geben kann. Davon will ich Zeugnis ablegen. Ver- einheitlichung im letzten Sinne ist dies Leben, dessen wissenschaftlich- künstlerische und menschliche Grundstoffe sich immer wieder gegen- seitig befruchteten und sublimierten, wie nur bei ganz wenigen unserer Großen nach Goethe.
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M. E. DELLE GRAZIE, WIEN : ERNST HAECKEL DER
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Wenn in diesen Tagen von einem Ende der gebildeten Welt zum anderen der Name des großen Forschers fliegt; wenn Jünger und begeisterte Verehrer sein Lebenswerk feiern, Berufene neidlos es anerkennen, Feinde und Fanatiker es schmähen, aber doch nicht daran vorüberkommen — dann leuchtet vor den Augen derjenigen, die nicht bloß im Geist zu den Füßen des Meisters gesessen, sondern ihm auch in persönlichem Verkehre oft und herzlich nahetreten durften, plötzlich eine Sonne für sich auf: Der Mensch Haeckel.
Selten noch hat das Wahrwort, daß der Stil der Mensch sei, in so restloser Weise seine Bestätigung gefunden wie in der Persönlich- keit Ernst Haeckels. Einer der wenigen deutschen Gelehrten seit Schopenhauer, die zugleich auch große Stilisten sind, ist seine geistige Eigenart so ganz der Spiegel dessen, was er lebt und ist und sein will. Und wer nur einmal diesen prächtigen, noch heute so schön und frei getragenen Kopf gesehen, den wissenden Blick der blauen Jovisaugen auf sich ruhen gefühlt, sein herzliches und sieghaftes Lachen gehört, das selbst wie eine Klang gewordene Lichtfülle anmutet — der wird mit Entzücken erkennen, daß Haeckel der Forscher und Haeckel der Mensch eine Persönlichkeit von solch vollendeter Harmonie bilden, wie sie das deutsche Volk vielleicht seit Goethe nicht wieder besessen. Und in der nordischen Seele mag dann etwas vom Verständnis der alten Hellenenfreude an der „Kalokagathia" dämmern. Von derselben Freude, die keinen Geringeren als Bismarck mitriß, der den berühmten Naturforscher bei Gelegenheit einer Anrede plötzlich umarmte und herzlich abküßte. Und so hat der Naturforscher Haeckel gegenwärtig nur einen einzigen Nebenbuhler: den Menschen Haeckel.
Von diesem aber will ich einiges erzählen. Und wenn ich ihm da und dort vielleicht allzusehr ,,aus der Schule" plaudere, so mag er mir's verzeihen. Sein Jubeltag gibt mir das Recht dazu.
Ein glücklicher Zufall fügte es, daß meine erste Begegnung mit Haeckel an einem Orte stattfand, den schon ein anderer großer Natur- forscher durch seine Gegenwart für immer geweiht. In unserem herr- lichen Salzburg, dem kein Geringerer als Alexander v. Humboldt den
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Ruhmestitel der drittschönsten Stadt der Welt verliehen. Dorthin kam am 3. September 1896 Haeckel, wie er mir schrieb, „einzig zu dem Zwecke", um mit mir über eine Dichtung zu sprechen, die eine künstlerische Versinnbildlichung der modernen naturwissenschaft- lichen Entwicklungsideen an einer der größten Weltbewegungen der Neuzeit versucht hatte. Nach Wochen endlosen Regens brach gerade an jenem Tage zum erstenmal wieder die Sonne hervor, und so brachte der erlauchte Gast sie gleichsam mit sich. Himmel- und Erdenwande- rer, der er schon einmal ist ! Wir wohnten damals in einem Landhaus, das den barmherzigen Schwestern gehört. Und noch erinnere ich mich des leisen Zweifeltones in Haeckels Stimme, als er von der Straße aus eine im Hof anwesende Schwester fragte, ob hier Fräulein — delle Grazie wohne? Erst als ich ihm vom Fenster aus ein fröhliches: „Nur herein, Meister, Sie werden auch hier nicht bekehrt werden!" zurief, trat er ein und nahm dann, je zwei und zwei, rasch und elastisch die etwas steilen Stufen des altertümlichen Hauses. Einmal drinnen aber, brach er dann in ein Lachen aus, so herzhaft und mitfortreißend, daß ich es noch heute höre. Sogleich aber dämpfte er es, um, wie er in schöner Menschlichkeit und voll edler Rücksicht sagte, „der Schwe- ster, die den Schleier für die Kranken nahm, kein Ärgernis zu geben". Und nur ganz leise scherzte er: ,,Da war' ich ja nun richtig wie der Teufel ins Weihwasser gefallen !" Ein Dictum, das mich um so lustiger stimmte, als der „Miss Diana Vaughan "-Schwindel Leo Taxils gerade damals in Salzburg viel von sich reden machte.
Daß wir mit unserem Gespräche nicht länger beim „Teufel und seinem Anhang" verweilten, als gerade notwendig war, versteht sich von selbst. Und so stiegen wir aus dem Abgrund der Hölle zu der Dichtung, die ihn so lebhaft interessierte, um von da aus unter seiner Führung langsam und sicher die Höhen zu erklimmen, über die er herrscht, und von denen aus er schon so oft seinen fröhlichen Kampf- ruf in die Welt hineingeschmettert.
Den Nachmittag und Abend jenes Tages brachten wir auf dem Mönchsberg zu, und wieder fügte es ein drolliger Zufall, daß Haeckel in die Nähe einer Gesellschaft geriet, der er sonst sicher auf Meilen- weite ausgewichen wäre. Es war der „Katholikentag", der in dem- selben Restaurant sein Festbankett abhielt, in dem wir uns zum Abendessen niedergelassen. Und nie werd' ich den köstlichen Ausdruck
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im Antlitz Haeckels vergessen, mit dem er auf die Frage eines der Festordner, ob wir „auch zum Katholikentag geladen seien", halb verblüfft, halb belustigt erwiderte: „Soviel mir bekannt ist — nicht!" Worauf wir uns aus dem Gewirr der Festgäste in den hintersten Winkel des Restaurants zurückzogen. Hier aber hatte ich zum zweitenmal Gelegenheit zu beobachten, welch feiner Takt dem Manne eigen ist, der seinen Gegnern als angriffsfroher Polemiker gilt. Ein Wiener Ge- lehrter, zugleich katholischer Geistlicher, befand sich als Dritter in unserer Gesellschaft. Und da wir über die den ganzen Nachmittag ausfüllenden Erörterungen einiger naturwissenschaftlicher Streit- fragen redlich hungrig geworden waren, folgte als friedlicher Schluß ein nicht minder eifriges Studium des Speisezettels.
Da bemerkte ich, daß Haeckel zu keinem rechten Entschluß kommen konnte. Und weil ich schon gewählt hatte, riet ich ihm zu dem, was mir als das Beste, Schmackhafteste erschien, zu einem „Wiener Backhendl". Haeckel sah mich an, schüttelte aber dann leise das Haupt und bestellte endlich, allerdings mit etwas trübseliger Miene, „eine Portion Schiel".
„Doch nur als Vorspeise?" fragte ich. Das löste ihm endlich die Zunge. Und leise sprach er: „Wissen Sie, ich wäre ja am liebsten am ,Backhendl' hängen geblieben. Aber da unser lieber Freund ein katholischer Geistlicher ist, wollt' ich ihn nicht verletzen!" Und als ich ihn darauf etwas verblüfft ansah, meinte er: „Nun ja, weil der Katholikentag ist ! Das ist ja wohl zugleich auch so eine Art Büß- und Fasttag?" Nun mußte ich herzlich lachen. Und als es mir durch einen freundlichen Kellner gelang, eine Menukarte des Katholikentages herüberzuschmuggeln. könnt' ich den verehrten Meister augenschein- lich überzeugen, daß das Souper der Gäste des Katholikentages nichts weniger als ein Fastenmenu sei. Unser geistlicher Freund hatte sich unterdes in völliger Unkenntnis des leisen Zwiegespräches ein saftiges Rostbeaf bestellt, welchem Beispiel endlich auch Haeckel, ebenso über- zeugt als erleichtert, folgte.
Erst spät nach Mitternacht brachen wir auf. Es war eine herrliche Vollmondnacht; und die schlummernde Stadt lag so recht, wie ein Stück deutscher Romantik vor uns, mit ihrem ragenden Festungs- berg, ihren grauen Toren und Klöstern und dem heimeligen Zauber ihrer alten Giebeldächer, die da und dort noch der Nüchternheit der
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modernen Straßen ein Gesicht geben und den Adel einer Vergangen- heit. Von unten kam das Getos der Salzach herauf, doppelt laut in der tiefen Stille der Nacht. Sonst lag alles ruhig und wie verzaubert im silbernen Blau des Vollmondglastes. Und von diesem herrlichen Bild in tiefster Seele ergriffen, erzählte uns Haeckel, daß auch er hier eigentlich eine Art Heimatsrecht habe, da Salzburg die „Urheimat" seines Geschlechtes war und sein Urgroßvater, ein Bauer, zu jenen Salzburgern gehörte, die wegen ihres protestantischen Bekenntnisses aus Salzburg vertrieben und von Friedrich dem Großen in Schlesien angesiedelt wurden. „Wer weiß, ob heute eine .Natürliche Schöpfungs- geschichte' existierte, wenn das nicht geschehen wäre !" sprach Haeckel. Und in köstlicher Laune setzte er hinzu: ,,0 historischer Kausal- nexus! O sittliche Weltordnung!"
Den folgenden Tag brachten wir in dem herrlichen Park von Aigen zu. Und angesichts des einzigen Rundblickes, der sich von der „Kanzel" aus dem entzückten Auge bietet, verging uns der Vormittag wie ein Traum, den Sonnengold und Waldesgrün um uns spannen. Hier lernt' ich auch den Aquarellisten Haeckel so recht schätzen. Seinen feinen Blick für Lichtwirkungen und Luftstimmungen. Diesen echten Malerblick, der das Ferne wie das Nahe gleich zärtlich umfängt und dabei ebenso rasch als sicher überall das Charakteristische ent- deckt und festhält. Und die sichere Hand, die uns oft nur nach flüch- tigen Stationspräparaten die ganze entzückende Formenfülle der Tiefseeorganismen festgehalten, sie weiß auch die Landschaft immer dort zu fassen, wo auch sie eine „Kunstform der Natur" ist. So hat Haeckel von seinem zweimaligen Aufenthalt in den Tropen eine ganze Bildergalerie heimgebracht. Und die meisten Illustrationen seiner „Indischen Reisebriefe" und der „Arabischen Korallen" sind von ihm selbst an Ort und Stelle aufgenommen. In den Tropen freilich „wird jeder Naturforscher so eine Art Mädchen für Alles", wie er ein- mal lachend sagte, als er uns seine kleine Häuslichkeit in Belligemma schilderte. Aber auch die herrlichsten Stücke seiner Korallensamm- lung hat er sich selbst aus dem Meere hervorgeholt. Und ich bin im glücklichen Besitze einiger Prachtexemplare, die kein Geringerer als Meister Haeckel frei schwimmend und tauchend in Punto-Gallo und Belligemma auf Ceylon aus dem Meere herausgeholt.
Noch vor wenigen Jahren ein tüchtiger Tourist, hat er von den ]gggggggg]ggB]ggE]gggggE]E]E]E]E]B]E]i]ll§]SSi]SElE]E]E]E]gE]BJSlll]E]EJSS3E]S]S
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Höhen der Alpen bis zur Tiefe des Weltmeeres wohl alles kennen und meistern gelernt, was die Natur groß und geheimnisvoll macht und in jenen erhebenden Augenblicken einsamsten Schauens und Genießens die orphische Saite der Zusammengehörigkeit mit dem großen All um uns leis' und harmonisch vibrieren läßt. Niemand kann dies besser und hinreißender schildern als Haeckel. Und wenn er dann dazwischen lacht — sein leises, sonniges Lachen, dann ist es wirklich wie ein Lockton aus der Flöte Pans. Etwas im reichsten, im schönsten Sinne Heidnisches strahlt aus dieser Vollnatur. Und deshalb wird ihm, obwohl er keinen persönlichen Gott hat, doch alles ringsum Andacht und Kult. Daß ihm Italien da eine zweite Heimat werden mußte, versteht sich von selbst. Seit frühester Jugend hat er es immer und immer wieder durchwandert. Zuerst in Gemeinschaft mit dem seither verstorbenen Marschendichter Hermann Allmers, zumeist aber allein, forschend, malend, genießend. Oft auch bloß mit dem Ränzel am Rücken und dem Kalabreser auf dem Kopf, so daß er unterwegs aller- lei mögliche und unmögliche Reisegefährten bekam. Aber das ficht ihn nicht an. Es gehörte vielmehr mit zu dem Zauber, der von ihm ausgeht, daß er eben mit allen von allem reden kann. Daß er trotz seines Wissens und Ruhmes und der feinsten Kultur der Seele so ganz ein schlichter Mensch geblieben ist. Daß derselbe Haeckel, dem heute als Gast des Khedive ein ganzes Kriegsschiff (die Dampferkorvette „Khartoum") samt Bemannung und Musikkapelle ( !) für seine wissen- schaftlichen Forschungen zur Verfügung gestellt wird, sagen wir im nächsten Jahre eine Fußreise unternimmt, bei der sich ein Anstreicher- geselle vertrauensvoll an ihn anschließt und nach achttägiger, bester Kameradschaft in dem festen Glauben von ihm scheidet, all die Zeit her mit einem — Anstreicher beisammen gewesen zu sein! Und wie lacht Haeckel, wenn er darauf zu sprechen kommt. Wie kann er sich freuen, auf offener Landstraße mit einem ganz gewöhnlichen Menschen einmal so und so viel Tage bloß — ein Mensch gewesen zu sein!
Und so werden ihm ähnliche Fahrten und Abenteuer oft geradezu ein Bedürfnis. Das Bedürfnis einer gesunden, starken Natur, die nicht nur dem Geiste, sondern auch dem Körper sein Recht läßt, um dann wieder, doppelt verjüngt und bis auf die Wurzeln erfrischt, einen neuen Trieb ans Licht zu senden. Eine Art Antäus-Kur. Wie er mir denn einmal selbst gelegentlich schrieb, „daß der alte Antäus-Mythos
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schon seit seinen Knabenjahren eine der drei ethischen Lieblings- vorstellungen war, die ihm besonders imponierten". Und als deren erste und zweite er den gefesselten Prometheus und Herkules am Scheidewege namhaft macht. Und wer das innere und äußere Leben Haeckels kennt , der weiß , daß ihn aus diesen tiefsten Mythen der An- tike zugleich auch etwas wie die Schauer eigener künftiger Schicksale angeweht. Wie jeder Wahrheits- und Lichtbringer hat auch er prome- theisch getrotzt — prometheisch gelitten. Wie Herkules nicht bloß eine Kraft-, sondern auch eine gesunde Sinnennatur, mag er wie oft an der Wegwende gestanden sein, die von der rauhen Straße heroischer Kämpfe in die blühende Irrnis der Freuden dieser Welt lockt. Aber er ist standhaft geblieben. Selbst den großen Lockungen des Ehrgeizes und der äußeren Anerkennung gegenüber. Und als ihm vor nun zwei- unddreißig Jahren die Ehre einer einstimmigen Berufung an die Wiener Universität zuteil wurde, hat er, nach hartem, aber kurzem Kampfe, mannhaft abgelehnt. Sein Genius mochte ihm zuflüstern, daß die besten, die reichsten und tiefsten Werke immer nur weitab vom lauten Lärm der Welt gedeihen. Daß der echteste Ruhm nicht derjenige ist, der einem zugesprochen wird, sondern jener, den man immer wieder selbst erwerben muß. Täglich aufs neue. Oft im Kampfe wider Alle und Alles — aber stets sich selber getreu!
Deshalb ist es auch für alle, die ihn kennen, gewiß mehr als ein bloßer Scherz, wenn er sich selbst als „monachus monista" bezeichnet. Oder von der „Mönchsklause seines zoologischen Instituts in Jena" und von seiner „Askese" spricht. Und wer ihn wahrhaft kennt, der weiß, daß es volle Wahrheit ist, wenn er schreibt, „daß das drei- bändige Ungetüm der »Systematischen Phylogenie' nur in der Kloster- zelle des zoologischen Institutes und während einer dreißigjährigen Askese zustande kommen konnte". Nur daß jeder Wissende statt des von dem allzu bescheidenen Meister beliebten Ausdruckes dieses „Ungetüm" mit Standard work übersetzen wird. In der Sprache des großen Mannes, die Haeckel seinerseits wieder so hingebungsvoll und erfolgreich ins Deutsche übersetzt.
Doch hat Haeckel noch heute eine besondere Vorliebe für Wien. So oft er kann, besucht er die schöne Stadt, und mit zu seinen Lieb- lingserinnerungen an junge Tage und Siege gehört der Vortrag, den er 1878 als Gast der „Concordia" in Wien gehalten. Wie er denn über-
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haupt, nicht bloß in seinen Erinnerungen, sondern auch in seinen Gewohnheiten eine Natur voll Treue und Dankbarkeit ist. Und so wird ihm auch von allen, die ihn kennen oder die er seiner Weltan- schauung erobert — mit wenigen traurigen Ausnahmen — die gleiche Treue erwiesen. Kein Geringerer als Gabriel Max, den er durch seine „Natürliche Schöpfungsgeschichte" aus dem tiefsten Mystizismus auf die Höhe des Monismus geführt, hat sein Bild gemalt und sich herz- lich als seinen Schüler bekannt. Und — um die Spannweite des Kreises anzudeuten, in dem Haeckel verehrt und geliebt wird — weitab von dem genialen Maler in München sitzt in Neutitschein ein Bewunderer Haeckels, der es sich schon seit Jahrzehnten nicht nehmen läßt, dem verehrten Mann alle Jahre den geliebten „Kalabreser" zu liefern. Er heißt — mag er an diesem Tage seine Ehre mit haben — Hickl und ist Hutmacher. Und wenn Haeckel auf Hickl zu sprechen kommt, wird er dieser Neutitscheiner Eroberung nicht weniger froh, als seiner- zeit der Verleihung des großen Bressa-Preises und der ehernen Ge- dächtnistafel, welche ihm die Akademie dei Lincei in Rom als ihrem „Socio Straniero" gewidmet. Zwei Auszeichnungen, die ihn nicht bloß hoch ehrten, sondern auch doppelt erfreuten, weil sie aus dem von ihm über alles geliebten Italien kamen.
Was Haeckel der Wissenschaft war, ist und sein wird, was er — und dies sei hier besonders betont — nicht bloß zur Popularisierung, sondern auch zur Fundamentierung des monistischen Weltbaues ge- tan, das wird in diesen Tagen in allen Sprachen und in allen Kultur- zentren der modernen Welt erörtert. Wie Goethe hat auch Haeckel die Starrheit des eleatischen Seins-Pantheismus Spinozas in einen Pantheismus lebendigen Werdens, die mathematisch bedingte Ab- hängigkeit des einzelnen vom Ganzen in den lebenquellenden Strom der Entwicklung der Allnatur verwandelt. Wie in so vielem andern auch hier dem Spinozismus gegenüber heterodox, gleich Goethe — „unklar, was er aus Spinoza heraus- oder hineingelesen", mit dem In- stinkt des vollkommenen Monisten mehr in der spinozistischen Denk- richtung, als in Spinozas Denkweise wandelnd. Über die Rufe all der Lebenden hinweg aber, die ihn in diesen Tagen feiern, töne die Stimme eines der größten Forscher deutscher Nation, des genialen Helmholtz, der in seiner Rede über „Goethes Vorahnungen kommen- der naturwissenschaftlicher Ideen" (gehalten in Weimar anläßlich der
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Generalversammlung der Goethe-Gesellschaft) 1892 Haeckel als „einen der ideenreichsten Vertreter der Entwicklungslehre" feierte.
Und so mag der stille Zufluchtsort, wohin sich Haeckel vor dem Jubiläumsgedränge geflüchtet, ihn wohl der Schar seiner Verehrer ent- rücken, nicht aber dem geheimnisvollen Geistergruße, der von den großen Toten zu den großen Lebenden hinüberfindet und sie zeichnet als ihresgleichen, mit dem unauslöschlichen Merkmal des Ruhmes, für das All und für alle gelebt zu haben!
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CARL KOTTHAUS, MÜNCHEN: HAECKELS KOPF-
UND GESICHTSBILDUNG
EINE BIOLOGISCH-PHYSIOGNOMISCHE STUDIE (Mit zwei photographischen Bildnissen1)
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Doch bleibet immer das schönste Denk- mal des Menschen eigenes Bildnis. Dieses gibt mehr als irgend etwas anderes einen Begriff von dem, was er war. (Goethe.)
I.
Wenn wir die vorstehenden Worte von Goethe als zu Recht be- stehend anerkennen wollen, so müssen wir uns freuen, daß wir von Ernst Haeckel so viele ausgezeichnete Bildnisse besitzen. Sie offenbaren uns von seiner Persönlichkeit mehr, als alle Beschrei- bungen und Biographien. Hier redet die Sprache der Natur. Das Gesicht des Menschen ist ein Dokument von ihrer Hand. Es ist be- dauerlich, daß diese Naturinschriften in ihrer wahren Bedeutung so wenig erkannt und verstanden werden.
Schopenhauer behauptet mit Recht: „Das Gesicht eines Menschen sagt gerade aus, was er ist, und täuscht es uns, so ist dies nicht seine, sondern unsre Schuld." Und ferner: „Allerdings ist die Entzifferung des Gesichts eine große und schwere Kunst. Ihre Prinzipien sind nie in abstracto zu erlernen." —
Im Gegensatz zu allen bisherigen Versuchen, welche ausschließ- lich von empirischen, physiologischen oder metaphysischen Voraus- setzungen ausgegangen sind, erblicke ich in der Biologie — im wei- testen Sinne — die eigentliche Grundlage jeder ernsthaften physio- gnomischen Forschung. Das Leben ist der universelle Schöpfer und Bildner aller organischen Formen und Farben, auch des menschlichen Gesichtes. Die Sprache des Lebens, wie sie sich in der Körper- und Gesichtsbildung des Menschen offenbart, zu studieren, ist die Aufgabe der biologischen Physiognomik. Ihre naturwissen- schaftlichen Grundlagen sind in der allgemeinen Menschenkunde
!) Dieselben stehen gegenüber den Haupttiteln des I. und II. Bandes.
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gegeben. Insbesondere haben wir in bezug auf die Entwicklungs- geschichte des Menschen und seiner äußeren Gestaltung, der „An- thropogenie" von Ernst Haeckel die wertvollsten Aufschlüsse zu verdanken.
II.
An Hand der beigegebenen Photographien will ich nun versuchen, eine kurze physiognomische Analyse des Jenaer Forschers zu geben.
Ernst Haeckel ist fraglos eine der bemerkenswertesten und mar- kantesten Persönlichkeiten unserer Zeit. Nicht nur in bezug auf sein Leben und Wirken, sondern auch als Mensch in seiner äußeren Er- scheinung. Haeckels Kopf- und Gesichtsbildung sind in phy- siognomischer Hinsicht so außerordentlich interessant und charakte- ristisch, daß wir eine dreimal so lange Abhandlung wie die vorlie- gende schreiben müßten, wollten wir eine erschöpfende Darstellung geben. Allein wir müssen uns auf einige allgemein gehaltene Angaben beschränken.
III.
Am auffallendsten ist bei Haeckel zunächst die ungewöhnlich hohe und breite Stirne, sie läßt durch ihre wohlgebildete Form und eigenartige Plastik eine hervorragende geistige Begabung er- kennen. Hinter dieser Stirne arbeitet ein großes, starkes und wohl- organisiertes Gehirn, welches dem des Durchschnittsmenschen weit überlegen ist. — Wie die immer wieder aufs neue bestätigte Tatsache lehrt, kommt die geistige Bedeutung eines Menschen, außer im Auge, in der Stirnbildung am stärksten zum Ausdruck. Es ist daher not- wendig, stets hierauf in erster Linie unser Augenmerk zu richten. —
Der untere Teil der Stirne tritt bei Haeckel stark hervor: das Zeichen einer besonderen Sinnesschärfe für das Objektive und Kon- krete, für Naturbeobachtung- und Anschauung. Wir finden diese Form bei vielen bedeutenden Naturforschern: Carl Vogt, Rudolf Virchow, Gegenbaur, Pettenkofer, Galton, Forel, Semon, Wallace, Ostwald und am auffallendsten bei Darwin, dem genialsten aller Natur- beobachter. Im Gegensatz hierzu finden wir bei Kant, du Prel und anderen abstrakten Denkern den unteren Teil der Stirne verhältnis- mäßig schwach entwickelt.
Wie Wissenschaft und Erfahrung lehren, stehen die höheren gei- ggggggggggggg|gggggggE]ggggggEjEjE]E]E]EjE]E]E]E]E]E]E]EiB]E]E]E]E]S]E]E]E]E]E]
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In mancher Hinsicht erinnert Haeckels Stirne an diejenige Goethes, woraus sich z. T. seine Vorliebe für den Dichter erklären läßt. Vieles Gemeinsame ist auch in ihrer Weltanschauung und Denkungsart zu finden: die große Liebe zur Natur, der Entwicklungsgedanke, die Neigung zu naturphilosophischen Betrachtungen und der panthe- istische Gottesbegriff.
Auch die schriftstellerische Begabung kommt bei Haeckel in der Stirnbildung deutlich zum Ausdruck. Es zeigt sich dieses besonders in einer eigentümlichen Klarheit der Formen und in der schönen Abrundung der Stirne nach oben. — Leider läßt sich dies auf schrift- lichem Wege schwer näher erläutern ; es könnte nur durch vergleichende Demonstrationen an lebenden Menschen oder entsprechenden Bildern geschehen. Diese Besprechung bezieht sich lediglich auf die bei- gegebenen Photographien. Es sind Aufnahmen aus der letzten Zeit.
IV.
Die Augen sind bei Haeckel nicht eigentlich ,,groß" wie bei Kant, Fichte oder Goethe, dafür aber positiver und schärfer. Es sind nicht die Augen des Metaphysikers, des Dichters oder Psychologen, sondern des scharf analysierenden Naturbeobachters, des Realisten und Kritikers. Diese Augen verraten Lust und Freude am objek- tiven Sehen, Untersuchen und Vergleichen, auch des Kleinsten.
Haeckels Welt liegt weniger im Menschen selbst, als außer ihm. Daher ist er auch als Naturforscher — wo er es mit Objekten zu tun hat — viel bedeutender denn als Psychologe, da ihm das tiefere Interesse und Verständnis für das Subjektive im Menschen mangelt.
Auch in seinen malerischen Studien (Kunstformen der Natur usw.) hat Haeckel sich im allgemeinen der größten Naturtreue befleißigt. Er ist ein reiner Naturkünstler in des Wortes realster Bedeutung.
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gegeben. Insbesondere. laben wir in bezug auf die Entwicklungs- geschiclite des Menseln und seiner äußeren Gestaltung, der ,,An- thropogenie" von Eist Haeckel die wertvollsten Aufschlüsse zu verdanken.
II.
An Hand der beigege nen Photograph Len will ich nun versuchen, eine kurze physiognomis ie Analyse des Jenaer Forschers zu geben.
Ernst Haeckel ist i glos eine der bemerkenswertesten und mar- kantesten Persönlichke n unserer Zeit. Nicht nur in bezug auf sein Leben und Wirken, sc ern auch als Mensch in seiner äußeren Er- scheinung. Haeckels I >pf- und Gesichtsbildung sind in phy- siognomischer Hinsicht i tlich interessant und charakte-
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III.
Am auffallendsten t bei Haeckel zunächst die ungewöhnlich hohe und breite Stir , sie läßt durch ihre wohlgebildete Form und eigenartige Plasti eine hervorragende geistige Begabung er- kennen. Hinter dieser irne arbeitet ein großes, starkes und wohl- organisiertes Gehirn, \\ ches dem des Durchschnittsmenschen weit überlegen ist. — Wie di immer wieder aufs neue bestätigte Tatsache lehrt, kommt die geisti, Bedeutung eines Menschen, außer im Auge, in der Stirnbildung ai stärksten zum Ausdruck. Es ist daher not- wendig, stets hierauf ii erster Linie unser Augenmerk zu richten. —
Der untere Teil d< Stirne tritt bei Haeckel stark hervor: das Zeichen einer besonder Sinnesschärfe für das Objektive und Kon- krete, für Naturbeoba« tung- und Anschauung. Wir finden diese Form bei vielen bedeienden Naturforschern: Carl Vogt, Rudolf Virchow, Gegenbaur, lttenkofer, Galton, Forel, Semon, Wallace, Ostwald und am auffalledsten bei Darwin, dem genialsten aller Natur- beobachter. Im Gegenstz hierzu finden wir bei Kant, du Prel und anderen abstrakten Der.ern den unteren Teil der Stirne verhall mäßig schwach entwicllt.
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stigen Fähigkeiten eines Menschen mit der Entwicklung der vorderen | und oberen Gehirnpartien in unmittelba:m Zusammenhang. Die I Entwicklung des Gehirns aber findet in er Bildung des Schädels I ihren lebendigen Ausdruck. Dieses seht wir auch bei Haeckel. j Die außerordentliche Entwicklung der obren Stirnpartie — welche ! durch ihre ungewöhnliche Höhe, Breite nd plastische Form eine ! starke schöpferische Kraft erkennen läßt - steht zu seinen geistigen j Fähigkeiten und Leistungen in einem übei nstimmenden Verhältnis. I
In mancher Hinsicht erinnert Haeckels 'irne an diejenige Goethes, ! woraus sich z. T. seine Vorliebe für den Dhter erklären läßt. Vieles j Gemeinsame ist auch in ihrer Weltanschaung und Denkungsart zu j finden: die große Liebe zur Natur, der ntwicklungsgedanke, die i Neigung zu naturphilosophischen Betraciungen und der panthe- j istische Gottesbegriff.
Auch die schriftstellerische Begabung inmt bei Haeckel in der j" Stirnbildung deutlich zum Ausdruck. Es igt sich dieses besonders in einer eigentümlichen Klarheit der Fo icn und in der schönen j Abrundung der Stirne nach oben. — Leide läßt sich dies auf schritt- \ lichem Wege schwer näher erläutern ; es körn e nur durch vergleichende I Demonstrationen an lebenden Menschen 0( r entsprechenden Bildern { geschehen. Diese Besprechung bezieht s h lediglich auf die bei- I gegebenen Photographien. Es sind Aufnamen aus der letzten Zeit, j
IV. I
•
Die Augen sind bei Haeckel nicht gentlich „groß" wie bei j Kant, Fichte oder Goethe, dafür aber positer und schärfer. Es sind \ nicht die Augen des Metaphysikers, des Ichters oder Psychologen, ! sondern des scharf analysierenden Natur obachters, des Realisten und Kritikers. Diese Augen verraten Li und Freude am objek- tiven Sehen, Untersuchen und Vergleiche auch des Kleinsten.
Haeckels Welt liegt weniger im Mensc n selbst, als außer ihm. I Daher ist er auch als Naturforscher — w er es mit Objekten zu / tun hat — viel bedeutender denn als Psyeologe, da il Interesse und Verständnis für de
Auch in seinen malerischen, hat Haeckel sich im allgei Er ist ein reiner Naturl
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Aber diese Augen verraten uns noch mehr. Aus ihnen lacht die helle Freude am Leben, die Lust zu kämpfen und nicht zuletzt — der Schalk. Man muß es selbst gesehen haben, wie diese Augen bei an- regendem Gespräch funkeln und sprühen können und welche Lust am Scherzhaften und Ironischen sich schalkhaft hinter ihnen zu ver- bergen sucht. Doch wer zu sehen vermag, der wird sich auch aus den beifolgenden Bildern hiervon einen anschaulichen Begriff zu machen verstehen. — Welche Wohltat, daß der natürliche Glanz dieser Augen in seiner Wirkung auf den Beschauer nicht durch die berühmte „Gelehrtenbrille" beeinträchtigt wird. —
V.
Über den „hervorragendsten" Gesichtsteil des Menschen, die Nase und deren physiognomische Bedeutung, ist zu allen Zeiten viel dis- kutiert worden. Durch die Entwicklungslehre wird dieses „Problem" in der befriedigendsten Weise geklärt. Der Urmensch, sowie fast alle primitiven Völker hatten, bzw. haben mehr oder weniger kurze, breite und platte Nasen. Mit der kulturellen Höherentwicklung des Menschen ist auch die Nase größer, schmaler und länger geworden; sie tritt gewissermaßen mehr aus dem Gesichte heraus.
Bei den „herrschenden" Völkern finden wir im allgemeinen auch die größten Nasen — vorausgesetzt, daß sich die anderen Gesichts- teile nicht in einem primitiven oder verkümmerten Zustande befinden. Diese Regel können wir auch auf das Individuum im einzelnen an- wenden. Julius Cäsar, Friedrich der Große, Napoleon I., Goethe, Richard Wagner, William Booth — alles Menschen mit einer starken persönlichen Initiative — hatten große, vorspringende Nasen. Eine starke persönliche Initiative werden wir aber auch Ernst Haeckel nicht absprechen können. Er ist ohne Rücksicht auf die Urteile seiner Zeitgenossen zielbewußt und konsequent seinen eigenen Weg ge- gangen — und die Erfolge sind nicht ausgeblieben.
Die große, etwas nach außen gebogene Nase gibt Haeckels Gesicht einen Zug ins Einheitliche und Kraftvolle. Hiermit im Zusammenhang steht ein gewisses Organisations- und Dispositionstalent, sowie Inter- esse für Geographie und Reisen. Haeckel ist weder Pedant noch Phili- ster, eher besitzt er etwas von einem Diktator und Autokraten, wie fast alle die oben genannten Männer mit großen, vorspringenden Nasen. §sl3il51E13§51!3S51513S51§i]351ililE15]9SISS5]515133339il3S5151§151il£l!£!3^1ilil51i]
320
VI.
Der etwas geöffnete Mund mit der sympathisch geformten Unter- lippe ist charakteristisch für die leichte, freundliche und anregende Art, mit welcher Haeckel die Konversation zu führen versteht. Dieser Mund ist zum Reden, zum Erzählen und Scherzen wie geschaffen. Haeckel ist kein „Schweiger" wie Moltke mit seinem schmallippigen, festgeschlossenen Munde. Der leichte und anregende Stil, welcher uns in allen Schriften Haeckels begegnet, steht mit seiner Gabe zu sprechen und zu dozieren in innigem Kontakt.
Die verhältnismäßig kurze Oberlippe ist gleichfalls ein Merkmal des höher entwickelten Kulturmenschen. Sie kennzeichnet das Vor- walten intellektueller Interessen im Gegensatz zu den physischen Be- dürfnissen des Körpers.
Haeckel trägt einen Vollbart, wie die meisten großen Natur- forscher. Der natürlich-schlichte und väterliche Ausdruck seines Ge- sichtes wird hierdurch nicht unwesentlich erhöht. Auch verleiht der Bart seinem männlichen Haupte zugleich eine patriarchalische Würde.
VII.
Die Ohren sind bei Haeckel verhältnismäßig groß, namentlich sind die „Läppchen" lang und kräftig geformt. Nach meinen viel- jährigen Beobachtungen und Erfahrungen sind solche Ohren in der Regel das Kennzeichen einer großen Zähigkeit und Lebensenergie. Goethe, Kaiser Wilhelm I., Bismarck, Papst Leo XIII., Prinzregent Luitpold von Bayern, W. Booth, Tolstoi, Wallace hatten ungewöhn- lich große und markant geformte Ohren. Alle führten ein arbeits- reiches Leben und alle erreichten ein Alter von über 80, teilweise sogar über 90 Jahren. Dagegen hatten Schiller, Mozart, Napoleon I., Nietzsche, E. A. Poe, Carl du Prel verhältnismäßig kleine Ohren. Alle starben vor oder bald nach dem 50. Lebensjahre.
Um nicht mißverstanden zu werden, möchte ich jedoch ausdrück- lich darauf hinweisen, daß — ähnlich wie in der Medizin — ein ein- zelnes physiognomisches Kennzeichen an sich keineswegs eine sichere Diagnose oder Prognose gestattet, sondern daß es immer wieder darauf ankommt, in welchem Verhältnis diese einzelnen Teile zu den übrigen Organen stehen.
Eine besondere musikalische Begabung läßt Haeckels Ohr nicht
21 Haeckel-Festschrift. Bd. II
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erkennen; es entbehrt der feineren Modellierung, welche wir beispiels- weise an den Ohren von d' Albert, Richard Strauß, Mascagni, Wein- gartner und anderen berühmten Musikern bewundern.
Hingegen ist die Stellung von Haeckels Ohren charakteristisch. Sie stehen etwas schräg nach hinten und im oberen Teile — wenn auch nicht so stark wie bei Windthorst und Schopenhauer — seit- lich vom Kopfe. Hierdurch wird insbesondere Haeckels Neigung zur Opposition und Polemik physiognomisch gekennzeichnet.
VIII.
Haeckels Schädel besitzt den geradezu enormen Umfang von 62 cm. Der Kopfumfang der meisten Männer beträgt dagegen im Durchschnitt ca. 56 cm. Nur wenige Berühmtheiten haben es auf einen Umfang bis zu 60 cm gebracht.
Die Form des Schädels erscheint, auch von der Seite gesehen, außerordentlich günstig. Bemerkenswert ist die hohe Wölbung des Oberkopfes. Wie bei Schopenhauer und Tolstoi deutet diese Form auf die Neigung, sich mit religionsphilosophischen Fragen zu beschäf- tigen. Haeckel ist im Grunde — wenn auch nicht im kirchlichen, so doch im naturphilosophischen Sinne — ein ideal gesinnter, reli- giöser Mensch. Mit größerer Tiefe und Begeisterung wie er hat bisher kaum jemand die Wunder der Natur gesehen und von ihrer Schön- heit seinen Mitmenschen gepredigt.
Wie viele physiognomische Details ließen sich aus diesem Kopfe noch herausholen. Wie manches könnte ich von dem Eindruck er- zählen, welchen Haeckels lebendige Persönlichkeit, gelegentlich eines Besuches in Jena, auf mich gemacht hat. Aber dieses alles hoffe ich einmal mit mehr Muße und einer ausführlichen Begründung in einer anderen Schrift zur Darstellung zu bringen.
IX.
Überblicken wir das Gesicht als Ganzes, so fesselt uns beson- ders der heitere und freie Ausdruck, welcher — trotz der 80 arbeits- und kampfesreichen Lebensjahre — der Physiognomie des berühmten Forschers einen jugendlich-optimistischen Glanz verleiht. Welch ein Gegensatz zu dem zwar genialen, aber saueren und griesgrämigen
Gesichte Schopenhauers! — S5is]aas@]9i]aaa3aaaaai]S]3asiaa§iaa3ggg]B]ggG]gggE]G]E]G]E]siE]EjGjE]E]E]G]
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Auch wer von der Physiognomik nicht viel versteht, sieht es diesem Gesichte an, daß Haeckel ein Mann ist, der herzlich lachen und sich kindlich freuen kann, bei dem die Gelehrsamkeit den natürlichen Menschen nicht erstickt hat.
Wieviel Urwüchsigkeit und naives Glücksgefühl leuchtet aus diesem Kopfe! Schaut dieser Mensch nicht in die Welt wie ein fröhlicher Wandersmann ? ! — Und werden wir nicht alle von seinem aus der Tiefe geborenen Lächeln mit angesteckt?! — Ja, Haeckel ist ein Lebenskünstler, der es verstanden hat, neben dem Ernsten und Schwe- ren das Heitere und Schöne nicht zu vergessen. Sein Bild soll uns stets erhalten bleiben als das beste Denkmal einer der bedeutendsten Individualitäten unserer Zeit und nicht zuletzt als der Typus eines echten Deutschen und reinen Germanen.
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HELENE STÖCKER, BERLIN-NIKOLASSEE
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Wenn man lange Jahre Ernst Haeckels Namen als den eines unserer hervorragendsten Kämpfer für eine moderne Weltanschauung in seinem Bewußtsein getragen hat, ist es gar nicht so leicht, sich eine Zeit zu rekonstruieren, in der diese Aufnahme noch nicht erfolgt war. Wenn ich heute meiner Erinnerung nachgehe, um festzustellen, wann der Name Ernst Haeckels für mich zuerst persönliche Bedeutung gewonnen hat, so komme ich auf ein Buch zurück, das im Jahre 1895 unter dem Titel „Von Darwin bis Nietzsche" erschienen ist — „ein Buch Entwickelungsethik" von Alexander Tille (Leipzig, Verlag von Naumann, 1895). Für mich, die ich eine begeisterte Schülerin des Philosophen Nietzsche war, der zuerst die neuen Erkenntnisse und Umwälzungen der modernen Wissenschaft für unsere Welt- anschauung, speziell für unsere Ethik, im großen Stile fruchtbar zu machen versuchte, für mich hatte dies Buch durch Thema und Tendenz das lebhafteste Interesse. In dem Vorwort dieses Buches las ich den Satz: ,,Wenn ich hier einen Dank für Förderung aus- sprechen soll, die ich bei diesem Buche erfahren habe, so teilt sich derselbe zwischen einem Deutschen und einem Engländer. Was ich an Kenntnis den Werken Ernst Haeckels verdanke, das steht auf jeder Seite meines Buches geschrieben." — Als ich einige Jahre später einen Winter an der schottischen Universität Glasgow studierte, wo der nun bereits verstorbene Verfasser dieses Buches damals Dozent für deutsche Literatur war, da hat es oft an dem behaglichen schot- tischen Kaminfeuer heiße Dispute über die Überlegenheit der Geistes- wissenschaft oder der Naturwissenschaft gegeben. In jenen von dich- tem schottischen Winternebel erfüllten Tagen kam mir die „Natürliche Schöpfungsgeschichte" Haeckels zuerst in die Hände. So sehr ich nun rein theoretisch auch die Bedeutung dieser neuen Entdeckungen anerkennen mußte, so ist mir eine persönlichere nähere Beziehung zu Haeckels Schaffen doch erst später und mehr von einer anderen Seite seiner Wirksamkeit aus aufgegangen. Erst als ich nach Vollendung meiner Studienzeit an dem großen Kulturkampf unserer Zeit teil- nahm und für die Befreiung von lähmenden mittelalterlichen Vor- stellungen, von glückstörenden Hemmungen in der Sphäre der Liebe,
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Ehe und Elternschaft eintrat, begann ich die ganze Bedeutung eines Kampfes zu verstehen, wie der war, dem Haeckel sein Leben gewidmet hat. Er schien mir wirklich in seiner Art die ganz seltene Er- scheinung, die wir unter unseren offiziellen Vertretern der Wissen- schaft meist so schmerzlich vermissen: ein „Professor", ein Bekenner und Kämpfer für seine Überzeugung. Der großen Majorität seiner Berufsgenossen gegenüber fühlt man sich unwillkürlich an die Worte Richard Wagners erinnert, mit denen er den jungen Nietzsche einst gegen die dünkelhafte Geringschätzung und Verächtlich- machung durch die philologischen Berufsgenossen nach dem Er- scheinen seiner ersten Schrift „Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik" verteidigte. Wagner meinte da, es scheine, als ob diese offiziellen Vertreter der Wissenschaft nur „für sich selbst" da seien, um wieder Vertreter einer bestimmten Wissenschaft hervor- zubringen. „Man sieht, die indischen Brahmanen waren nicht er- habener gestellt, und man darf daher von ihnen wohl dann und wann ein Gotteswort erwarten, und wirklich erwarten wir dies: wir erwarten nämlich, daß einmal aus dieser wundervollen Sphäre ein Mensch herausträte, um ohne Gelehrtensprache und gräßliche Zitate uns zu sagen, was denn die Eingeweihten unter der Hülle ihrer uns Laien so unbegreiflichen Forschungen gewahr werden, und ob dieses der Mühe, der Unterhaltung einer so kostbaren Kaste wert sei. Aber das müßte dann etwas Rechtliches, Großes und weithin Bildendes sein." Der Hochmut der Mandarinenkaste, der heute so wenig wie vor vierzig Jahren zugeben will, daß die Resultate der Wissenschaft auch den Menschen im allgemeinen zugänglich gemacht werden, dieser Hochmut ist es, der auch bis heute noch der Bedeutung von Haeckels Wirksamkeit nicht gerecht werden kann. Wir aber, die wir meinen, daß die Wissenschaft nicht nur einigen Gelehrten, sondern dem Leben dienen soll, daß sie, aller reinen Forschung unbeschadet, doch zur Erhöhung, Besserung, Bereicherung des menschlichen Lebens, des sozialen Lebens bestimmt ist, wir meinen, wir können einem Manne nicht dankbar genug sein, der seine bahn- brechende wissenschaftliche Forschung bewußt in den Dienst des Lebens, des großen sozialen Lebens gestellt hat. Ihm war die „doppelte Buchführung" unerträglich, die von Seiten vielleicht großer Gelehrter, aber schwächerer Charaktere betrieben wird, die sich ängstlich vor
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jeder Berührung mit der Allgemeinheit fernhalten und die glauben, so lange nicht alle Rätsel des Daseins gelöst seien, dürfe man auch von den relativ gesicherten Ergebnissen noch nichts mitteilen. Ernst Haeckel dagegen war, wie seinem großen englischen Vorgänger und Mitkämpfer Alfred Wallace, vor allem klar: „Verglichen mit unseren erstaunlichen Fortschritten in den physikalischen Wissenschaften und ihrer praktischen Anwendung bleibt unser System der Regierung, der administrativen Justiz, der Nationalerziehung und unsere ganze soziale und moralische Organisation in einem Zustand der Barbarei!" Seine Bedeutung für unsere Kultur liegt daher, wie mir scheint, in der leider so seltenen Vereinigung von intensivster Forschergabe mit dem Mute der Überzeugung, mit der Wärme seiner Menschenliebe, wie ja übrigens dieser von der sogenannten „christlichen" Staats- kirche so heiß befehdete angebliche Antichrist die soziale Ethik des Christentums, den Altruismus, jederzeit zu der seinen gemacht hat. Eine persönliche, außerordentlich erfreuliche, wenn auch kurze Begegnung mit Haeckel wurde mir vor einigen Jahren zuteil. Als ich im November 1908 einen Vortrag in Jena über meine Be- strebungen: einen besseren Schutz der Mutter, der neuen Generation, der Verfeinerung der Liebesmoral hielt, hatte ich die Freude, Ernst Haeckel zu den anwesenden Zuhörern zählen zu dürfen. Er machte sich mir nach dem Vortrag bekannt und schloß sich unserer Organisation im Bunde für Mutterschutz an. „Zur freundlichen Erinnerung an unsere Begegnung in Jena" sandte er mir später seine „Welträtsel " und sein Bild mit sehr freundlichen Widmungen. Wir verabredeten noch einen persönlichen Besuch in seinem Hause für den nächsten Tag. Ich mußte an diesem Tage zu einer bestimmten Stunde Weiterreisen, da ich am Abend wiederum in einer anderen Stadt einen Vortrag zu halten hatte. Als ich nun zur festgesetzten Stunde im Begriff war, den Besuch, dem ich, wie sich denken läßt, mit großer Freude entgegensah, auszuführen, trat mir beim Fortgehen ein junger Mann entgegen, der dringend meinen Rat und meine Hilfe für eine in Not und Verlassenheit befind- liche außereheliche Mutter, — es war eine junge Lehrerin — die in diesen Tagen ihr Kind erwartete, in Anspruch nahm. Ich stand in dem Augenblick nur vor der Wahl, entweder dieser Bitte zu entsprechen oder meinen Besuch bei Ernst Haeckel aufzugeben, was mir begreiflicherweise ein großes Opfer war. Ich darf vielleicht sagen, ggggggggggggggggggggggggggggggE]5]E]gs]E]G]G]E]E]E]E]E]E]G]B]E]E]E]E]E]E]
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daß mir selten die Erfüllung der freiwillig übernommenen Pflicht, für die Besserung des Loses verlassener Mütter und Kinder zu kämpfen, so schwer geworden ist wie in jenem Augenblick, — unter diesem Konflikt zwischen der Erfüllung einer als Pflicht empfundenen Auf- gabe — und dem großen Wunsche, den verehrten großen Vorkämpfer einer freiheitlichen Weltanschauung noch eingehender persönlich kennen zu lernen. Aber ich mußte mir sagen, daß gewiß mein Verzicht — indem ich, so gut es ging, für jene Mutter noch Unterstützung und Unter- kunft bei gesinnungsverwandten Menschen zu schaffen versuchte — durchaus in dem Geiste des verehrten Kämpfers sei, dem ich gerne meine Ehrfurcht noch einmal persönlich ausgesprochen hätte — und daß ich ihm und seiner Lebensarbeit gewiß so auch am besten gerecht wurde.
Seitdem bin ich Haeckel nicht wieder persönlich begegnet; aber mit den Schwierigkeiten des eigenen Kampfes gegen Mittelalter und Reaktion auf dem Gebiet des Geschlechtslebens ist mir das Ver- ständnis für Haeckels Bedeutung immer besser aufgegangen, ist stets gewachsen und hat sich vertieft."
So muß ich in Ernst Haeckel nicht nur einen großen Naturforscher sehen, der lebenslang bemüht war, „dem Knochengerüst der philo- sophischen Spekulation das Blut der Naturwissenschaft zuzuführen", der das in jedem tieferen Menschen vorhandene Bedürfnis nach einer Weltanschauung auch zu befriedigen bemüht war, — sondern den von wärmster Menschenliebe beseelten Forscher, der für die Befreiung des Geistes und für die Verschönerung und Verbesserung unseres Lebens mit nie versagendem Mute Großes, Unverlierbares gewirkt hat. Man kann sich die heftige Gegnerschaft gegen Haekels tapfere starke schlichte wahrhafte große Persönlichkeit nur damit erklären, daß diese Gegner seine eigentlichen Ziele und Bestrebungen gar nicht kennen. Hätten wir unter unseren Führern der Wissenschaft nur noch ein Dutzend so starker Persönlichkeiten, die mit gleicher Energie und Unerschrockenheit die Resultate der Wissenschaft auch für die anderen, für die Allgemeinheit fruchtbar zu machen versuchten — wir würden dem wahren „Kulturstaate", dem wir alle mit unserer Arbeit entgegenstreben, um ein Unendliches näher- gebracht. In dem großen Kulturkampf um die Befreiung der Persön- lichkeit auf allen Lebensgebieten, — die sich zugleich ihrer so-
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zialen Gebundenheit stets bewußt bleiben muß, — in der Erkenntnis, daß nicht nur das eigene Glück, sondern erst dasjenige der Gemeinschaft das höchste eigene zu geben vermag, in diesem großen Kulturkampf ist Ernst Haeckel einer der tapfersten, kühnsten, entschlossensten, bahnbrechendsten Führer. Die große geistige Be- wegung einer neuen Weltanschauung und Lebensgestaltung, die er jetzt — und zu einem wesentlichen Teil völlig in seinem Sinne — ringsum sich entwickeln sieht, die Resultate, die diese Bewegung hoffentlich noch erringt, mögen ihm heute der beste Dank für seine Lebensarbeit sein, als ein lebendiges Zeichen, daß sein Wirken — trotz aller Anfeindung und Verleumdung — reiche Frucht ge- tragen hat.
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MAX VERWORN, BONN
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Es war im Jahre 1880. Ich saß in der Obersekunda, und die Lektüre von Piatos und Ciceros philosophischen Schriften brachte mich zum ersten Male mit philosophischen Problemen in Berührung. Be- sonders die hier mehrfach behandelte Frage nach der Unsterblichkeit der Seele machte damals tiefen Eindruck auf mich und regte mich zum eigenen Nachgrübeln an. Nicht daß etwa die Lehrer jemals den Inhalt dieser Lektüre zur Erörterung philosophischer Fragen mißbraucht hätten! Um Gottes willen! Diese Schriftsteller waren lediglich dazu da, daß wir die Feinheiten der griechischen und lateinischen Grammatik und Syntax an ihnen studierten. Aber es gab doch drei oder vier Jungens unter uns, die auch die perverse Neigung hatten, sich bei dem Inhalt des Gelesenen etwas zu denken, und so hatte ich mit zwei oder drei Freunden auf unseren Spaziergängen nicht selten eifrige philosophische Gespräche. Längst hatte mich das Inter- esse für die Naturwissenschaften, die Chemie und Physik, die Zoologie und Geologie gefangen genommen und zur Anlage von Sammlungen ver- anlaßt. So hatte ich mich entgegen der Erziehung durch das Gymnasium gewöhnt, mich auch mit konkreten Dingen zu befassen und anschau- lich zu denken. Von dieser Basis aus aber erschienen mir die Beweis- führungen der alten Philosophen manchmal etwas naiv. Da wollte es der Zufall, daß mir Ludwig Büchners Vorlesungen über den Darwinis- mus in die Hände kamen. Bis dahin hatte ich den Namen Darwins nur selten gehört und dann lediglich in der Konfirmationsstunde als den eines schlimmen Ketzers, der viel „Verwirrung" mit seinen „Irr- lehren" gestiftet habe. Dieses gelegentliche Auftauchen seines Namens hatte mich nicht weiter berührt. Nun lernte ich die Lehren zum erstenmal selbst kennen, und sie wurden zu einer um so mächtigeren Anregung für mich, als Büchner in seinen Vorlesungen vom darwi- nistischen Standpunkte aus auch rein philosophische Fragen erörterte. In jener Zeit fanden heftige philosophische Kämpfe in der Klasse statt. Es bildeten sich bisweilen zwei Parteien, eine naturwissen- schaftlich-philosophische und eine philologisch-theologische. Der Lehrer wurde im Anschluß an die Lektüre nicht selten in Streitfragen hineingezogen, mochte er wollen oder nicht. Ein dramatischer Auf-
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BjEjgggEjgggggBiE]gggg^gggggEigggB]E]E]B]E3EigEiB]B]EjB]B]BiE]B]E]E]E]B3E]5]E]E]E] tritt dieser Art ist mir noch lebhaft in der Erinnerung. Als offizieller „Naturforscher" und „Philosoph" in der Klasse war ich wieder ein- mal vorgeschoben worden, um in erprobter Weise durch die Ver- wicklung des Lehrers in eine philosophische Streitfrage zu verhin- dern, daß unsere lateinische Präparation kontrolliert wurde. So kam es sehr bald wider Willen des Lehrers zu einer lebhaften Diskussion über die Unsterblichkeit der Seele. Schließlich waren wir auf die Frage nach der Herkunft des Menschen gekommen, und ich hatte eben den darwinistischen Standpunkt eifrig vertreten, als es läutete. Da schloß unser Klassenordinarius, indem er seinen Cicero zuklappte, mit der geschmackvollen Wendung: „Na, wenn Ihr Vater ein Affe ist, meiner ist keiner." Die Stunde war aus. Unser Zweck war erreicht, und ich erntete den Dank meiner Partei. Es ist verständlich, daß unter sol- chen Verhältnissen die Beschäftigung mit naturwissenschaftlich- philosophischen Fragen nur noch größeren Reiz für mich und einige Freunde gewann.
So war der Boden gut präpariert, und da kam der Punkt, wo Haeckel zum erstenmal in mein Leben eintrat. Ich hatte mir zu mei- nem Geburtstage Haeckels ,, Natürliche Schöpfungsgeschichte" ge- wünscht. Das erste, was mich schon beim Aufschlagen des Buches fesselte, war das schöne und freie, ernste und doch so sympathische Bildnis des Verfassers. Aber sehr bald fesselte mich der Inhalt noch unvergleichlich mehr. Hier fand ich die Fragen, die mich so lebhaft beschäftigten, sämtlich in konsequenter Weise vom entwicklungs- geschichtlichen Standpunkte aus behandelt. Ich konnte immer nur kurze Stücke in dem Buche hintereinander lesen, so erregte die Lek- türe meinen jungen Geist und zwang ihn zum eigenen Weiterdenken! Die wichtigste Anregung, die ich Haeckel auf biologischem Gebiet verdanke, hatte hiermit ihre Wirkung begonnen. Es war die Durch- dringung meines Denkens mit dem Entwicklungsgedanken. Der „Natürlichen Schöpfungsgeschichte" folgten bald andere Bücher Haek- kels. Seine Studien über Moneren beschäftigten speziell den Natur- forscher in mir, der Geist seiner Schrift über freie Wissenschaft und freie Lehre packte den ganzen Jüngling.
Als Student konnte ich endlich in meinem dritten Semester dem lange gehegten Wunsch folgen und einen Sommer in Jena studieren. Hier stand ich im April 1885 dem Manne, der mich so mit Begeiste- rst] E]g[3Gjtggggggggg^G3ggggggggggE]gG]gE]gggE]g:ggg S]E]B]E] E]B]E]E]E]E]E]
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rung erfüllt hatte, zum erstenmal persönlich gegenüber. Natürlich hatte ich ihn mir anders gedacht. Er war ja auch etwas älter als auf dem Bilde. Aber was mich sofort gefangennahm, war die unge- zwungene Liebenswürdigkeit und die hinreißende Lebhaftigkeit seines Wesens. Hier stand ein natürlicher, freier, furchtloser Mann vor mir, der in seiner harmonischen Menschlichkeit ein Ideal bildete, wie es in dieser Vollkommenheit meinem jugendlichen Auge noch nicht be- gegnet war. Was ich dann im Kolleg hörte, war mir bereits zum Teil bekannt aus der Lektüre von Haeckels Arbeiten. Viel neue Anregung aber bot mir das zoologische Praktikum, an dem nicht viel mehr als zwanzig Studenten teilnahmen. Hier kam man in engere persönliche Fühlung mit Haeckel. Den tiefsten Eindruck machte auf mich in diesen Stunden die erste Bekanntschaft mit der lebendigen Zelle. Als ich sah, wie die einzelligen Infusorien unter dem Mikroskop sich bewegten, Nahrung aufnahmen und in mannigfaltiger Weise rea- gierten, als ich beobachtete, wie die abgetrennten Flimmerzellen einer Muschel im Wassertropfen ein selbständiges Dasein führten, als ich erkannte, wie sich aus der Teilung der Eizellen der gewaltige Zellenstaat aufbaut, den wir nachher im vollentwickelten Tier oder Menschen vor Augen haben, da wurde mir zum ersten Male die Offen- barung, daß hier in der einzelnen Zelle bereits die sämtlichen Pro- bleme des Lebens verborgen liegen, und der Wunsch, die Enthüllung derselben nach ihrer physiologischen Richtung hin selbst einmal in Angriff zu nehmen, begann bereits damals in mir zu keimen.
Die nächsten Semester, die ich wieder in Berlin verbrachte, er- weiterten meine speziellen Kenntnisse von der Zelle und ihrem Leben bedeutend. Niemals werde ich die Fülle von Anregung vergessen, die ich in dem Laboratorium meines verehrten Lehrers Franz Eilhard Schulze beim Studium der Protozoen empfing. In seiner vorsichtig- kritischen Weise führte er mich in die sorgfältige, geduldige und vor- urteilslose Beobachtung der Formenfülie und der Lebensäußerungen der einzelligen Organismen ein und kam so meinen eigenen Wünschen in willkommenster Weise entgegen.
Nicht immer war es in jener Zeit in Berlin eine Empfehlung, wenn man sich zu Haeckels Anschauungen bekannte. Ich habe das beim philosophischen Doktorexamen erfahren. Als ich in der Philo- sophie geprüft werden sollte, sagte ich mir, daß ich bei meiner leb-
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haften Beschäftigung mit den Problemen und der Geschichte der Philosophie, ohne mich besonders erst zum Examen einzupauken, gewiß so viel Kenntnisse besäße wie jeder Durchschnittsdoktorand, der in der Philosophie als Nebenfach geprüft wird. Da ich infolge- dessen keinen besonderen Wunsch hinsichtlich des Examinators ge- äußert hatte, wurde ich dem allgemein als „gefährlich" gemiedenen Professor Dilthey zugewiesen, den ich nie zuvor gesehen hatte. Als ich Dilthey besuchte, um ihn zum Doktorexamen einzuladen, fragte er mich, wofür ich mich besonders interessierte. Ich sagte ihm ganz ehrlich: ,,Für den modernen Monismus." Das war verfehlt, wie ich gleich sah. „Monismus? Monismus kenne ich nicht! Na wir werden ja sehen!" Das war Diltheys ermutigende Antwort. Am Tage des Doktorexamens legte er mir wieder dieselbe Frage vor. Das war mir verdächtig, und ich antwortete: „Spinoza", was ebenso zutref- fend war. „Nun dann setzen Sie mir einmal die Grundzüge der Leib- nizschen Philosophie auseinander!" Ich dachte mir: freundlich ist das nicht, jemanden erst zu fragen, wofür er sich besonders interessiert, und ihn dann über etwas ganz anderes zu prüfen. Aber mir war Leibniz ebenso recht wie Spinoza, und so begann ich denn ausein- anderzusetzen, in welcher Weise Leibniz durch Giordano Bruno und Spinoza beeinflußt wäre. Ich habe das gewiß nicht sehr geschickt gemacht. Kaum waren die ersten Worte meinen Lippen entflohen, da sprang Dilthey mir über den Tisch entgegen mit blaurotem Gesicht und schrie mich an: „Wollen Sie mich uzen?" Ich habe mir diese Worte gemerkt, weil sie mir ungewöhnlich erschienen. LTngewöhnlich war auch der Eindruck, den sie im Prüfungssaale machten, denn nun strömten von allen Seiten die Zuschauer zu unserem vorher einsamen Tisch, während Dilthey, ohne daß ich weiter zu Worte kam, mir zehn Minuten lang erregt auseinanderzusetzen suchte, was für einen komprimierten Un- sinn ich nach seiner Meinung gesagt hatte. Das Zeugnis, das mir Dilthey für das Fach der Philosophie gab, lautete „genügend". Ich war im stillen verwundert, daß er sich selber so ungünstig zensierte, denn es war ja Dilthey gewesen, der den Prüfungsvortrag gehalten hatte.
Derart waren meine Erfahrungen in Berlin. Ich sagte mir: In
Jena sind doch bessere Menschen, und ging ausgerüstet mit dem,
was ich bei Eilhard Schulze gelernt hatte und zugleich in du Bois-
Reymonds Vorlesungen und Laboratorium physiologisch mehr vor-
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gebildet, nach dreijähriger Zwischenzeit wieder nach Jena. Von nun an blieb ich in dauerndem Konnex mit Haeckel, wenn ich auch seit- dem im physiologischen Laboratorium arbeitete.
Die Anregungen, die ich in den folgenden Jahren von Haeckel empfing, entsprangen vorwiegend dem persönlichen Verkehr. In jener Zeit bildete sich allmählich in Jena ein kleiner Kreis von Biologen der verschiedensten Gebiete heraus, der sich nach und nach ver- größerte und in seiner durchaus zwanglosen und freundschaftlichen Form lange Jahre bestand. Da war Stahl, der Botaniker, und Detmer, der Pflanzenphysiologe. Da war Wilhelm Müller, der Pathologe, und Fürbringer, der Anatom. Da war der Physiologe Biedermann und Arnold Lang, der Ritterprofessor für Phylogenie. Da war Johannes Walther, der Geologe, und der Zoologe Kükenthal. Da war der Ana- tom Semon und der Chirurg Heinrich Haeckel und gelegentlich noch mancher andere Naturforscher und Mediziner. Ernst Haeckel aber war der Mittelpunkt. Man traf sich bei gutem Wetter regelmäßig jeden Dienstag gegen Abend auf der Schweizerhöhe und aß sein Rost- brätchen zum Lichtenhainer Bier. Da ging es lebhaft zu. Gespräche über allgemein-menschliche Dinge wechselten ab mit wissenschaft- lichen Diskussionen. Naturwissenschaftliche und medizinische Fragen wurden erörtert, Weltanschauungsprobleme wurden behandelt und die Ereignisse des politischen, sozialen und literarischen Lebens be- sprochen. Manches zündende Wort, mancher sprühende Witz flog her- über und hinüber. Eine Fülle von Anregung auf den verschiedensten Gebieten menschlichen Geisteslebens wurde genommen und wurde gegeben, und mancher neue Gedanke wirkte noch lange nach, wenn wir uns spät am Abend wieder trennten. War das Wetter verlockend, so brach der eine oder andere von uns mit Haeckel schon etwas früher am Nachmittag auf, wenn Haeckel sein Praktikum geschlossen hatte, um vor dem Zusammentreffen auf der Schweizerhöhe noch einen Spaziergang durch die herrlichen Seitentäler des malerischen Mühl- tales zu machen. Hier kam es zu intimeren Diskussionen über die Streitfragen der Wissenschaft und Weltanschauung. Nicht immer war in allen speziellen Punkten vollkommene Übereinstimmung zu erzielen. Aber darin lag gerade das Anregende und Reizvolle der Unterhaltung, daß sie noch einen Rest zum weiteren Nachdenken für jeden zurückließ, und die großzügige freie Gesinnung Haeckels war
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jederzeit bereit, eine abweichende Meinung, die einer ehrlichen Über- zeugung entsprang, zu würdigen. So knüpften sich auch die Bande, durch die Haeckel mich selber gefesselt hatte, von Jahr zu Jahr enger.
Mein Bericht über das, was ich Haeckel verdanke, wäre lückenhaft, wenn ich nicht meine Reisen erwähnte, an denen er keinen geringen Anteil hat. Nicht nur, daß die große Freude am Reisen und am Natur- genusse von ihm auf seine Schüler überging, so daß die meisten von ihnen selbst wieder große Reisen unternahmen, nein, auch durch Zuschüsse aus der Ritterstiftung unterstützte er diese Forschungs- reisen. So ermöglichte auch mir die Ritterstiftung im Verein mit den Mitteln der Berliner Akademie eine zweimalige größere Studien- reise nach verschiedenen Punkten des Mittelmeeres und des Roten Meeres, Reisen, die für meine Entwicklung als Physiologe und als Mensch eine gleich ausschlaggebende Bedeutung gewonnen haben. Nie hat sich in meinem Leben mein Gesichtskreis für die Beurteilung allgemein-menschlicher Dinge sowohl, wie speziell wissenschaftlicher und philosophischer Fragen in so kurzer Zeit so enorm erweitert wie in dem einen Jahre meiner ersten Studienreise, die mir gleichzeitig die Bekanntschaft mit meiner zukünftigen Frau brachte. Auf dieser Reise nahmen besonders bei langen, einsamen Ritten durch die Wüste meine weiteren Arbeitspläne festere Gestalt an. Auf dieser Reise entstand auch die Idee meiner Allgemeinen Physiologie. Diese Reise, und zwar schon die voraufgehende freudige Erwartung, mit der ich sie antrat, dann aber weiter die Begeisterung, mit der ich sie ausführte, zugleich erfolgreich arbeitend und froh genießend, verdanke ich in erster Linie Haeckel.
Soll ich schließlich sagen, wofür ich Haeckel unter allem, was ich von ihm empfangen habe, am meisten dankbar bin, so ist es nicht bloß die erste Einführung in die Geheimnisse des Zellebens, nicht bloß die tiefgehende Bekanntschaft mit dem Entwicklungsgedanken und seinen weitreichenden Konsequenzen, nicht bloß die Anregung zur unermüdlichen Arbeit an einer einheitlichen und harmonischen Welt- anschauung, sondern in erster Linie die begeisterte Liebe für ein natürliches, freies und schönes Menschentum. Daß Haeckel mir gerade in meinen entscheidenden Entwicklungsjahren den Sinn da- für geweckt hat durch das Vorbild seiner eigenen Persönlichkeit, das werde ich meinem alten Lehrer und Freunde niemals vergessen.
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MAX FÜRBRINGER, HEIDELBERG: WIE ICH ERNST HAECKEL KENNEN LERNTE UND MIT IHM VER- KEHRTE UND WIE ER MEIN FÜHRER IN DEN GRÖSSTEN STUNDEN MEINES LEBENS WURDE
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Die folgenden Blätter enthalten ganz schlichte und anspruchslose Skizzen, die nirgends in die Tiefe gehen, aber dem Bilde, wie wir es aus Haeckels Werken und Lebensbeschreibungen kennen, vielleicht einige minder bekannte Züge hinzufügen. Ich folge damit der freundlichen Einladung des Deutschen Monistenbundes und danke demselben für die meinen Zeilen gewährte Gastfreundschaft.
Mit Ernst Haeckel verbinden mich langjährige Beziehungen; unter den jetzt noch Lebenden gehöre ich vielleicht mit zu seinen ältesten Schülern.
Zu Ostern 1865 war ich als junger Student nach Jena gekommen, um nach dem Rate meines väterlichen Freundes und Lehrers Pro- fessor Carl Theodor Liebe daselbst Mathematik und Naturwissen- schaften zu studieren. Von letzteren sollte der Physik und Chemie mit ihrem Nebenfache Mineralogie mein Hauptstudium gelten, die biologischen Wissenschaften aber erst an zweiter Stelle dazukommen.
Da lernte ich den älteren Pringsheim und den jüngeren Haeckel kennen ; ersterer führte mich in die wissenschaftliche Botanik, letzterer in die Zoologie ein, und damit wurde mein Studienplan total verändert. Wenn ich auch pflichtgemäß und der Examina wegen bis zum Ende meiner Studienjahre an dem mathematisch-naturwissenschaftlichen Programm festhielt, meine Liebe gehörte von da ab den biologischen Wissenschaften.
Haeckel trat unter meinen damaligen Lehrern ganz in den Vorder- grund; in den Jahren 1865 und 1866 hörte ich bei ihm Zoologie, Paläontologie und Darwinsche Theorie und arbeitete in seinem zoolo- gischen Praktikum. Hell und deutlich, als wäre es vor wenigen Tagen geschehen, steht mein erstes Kolleg bei ihm vor meinen Augen. Das Auditorium, ein mäßig großes Zimmer, im zweiten Stocke des soge- nannten Schlosses freundlich nach Süden gelegen, eine große An- zahl bunter, sämtlich von Haeckel gemalter Unterrichtstafeln an gggggggggggggggggE]gggggggE]EiE]E]G]5]E]E]E]E]E]E]E]E]5]B]B]E]E]E|G]5ig]E]E]E]Bi
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den Wänden, vor den Bänken Tische mit niederen Tieren und Prä- paraten, auch diese fast durchweg von Haeckel gesammelt und be- arbeitet. In dem Zimmer eine für die damalige Frequenz der Uni- versität (etwa 500 Studenten) ganz ansehnliche, aber wohl kaum aus mehr als 40 — 50 Köpfen bestehende Zuhörerschaft. Alle glühend von Begeisterung und Erwartung. Man wußte, daß Ernst Haeckel, ob- wohl erst 31 Jahre alt, bereits zu den gefeiertsten Lehrern Jenas ge- hörte, der aufsteigende Stern Jenas, berühmt durch seine bahnbrechen- den Forschungen an den niedersten Wassertieren, den Protozoen und Cölenteraten, und durch sein großes Radiolarienwerk, zugleich durch sein volles Eintreten für Darwins Lehre von der Zunft der damaligen Fachvertreter angefeindet, jedoch in seiner Erkenntnis und Be- geisterung für Wahrheit und Fortschritt den Größten aus Jenas großer Vergangenheit gleichend. Jung an Jahren, aber nach Art des Goethe- schen Genies vollendet und das gewöhnliche Maß der Menschen weit überragend. Man erzählte auch, daß er an einem neuen großen Werke — der im September 1866 erschienenen Generellen Morpho- logie — schreibe, welches, die gesamte Lebewelt umfassend, eine voll- ständige Revolution auf botanischem, zoologischem und philosophi- schem Gebiete und darüber hinaus herbeiführen werde. Und man sprach von seiner Freundschaft mit dem großen Jenaer Anatomen Carl Gegenbaur, die ihn, den geborenen Preußen, in das freie Jena geführt hatte, auch von dem großen Verluste seines Lebens, der ihm, geradeso wie zur gleichen Zeit dem Freunde Gegenbaur, die Gattin nach 1 jähriger glücklichster Ehe geraubt hatte, und wie beide Männer nur durch übermenschliche Arbeit bei Tag und Nacht der Verzweif- lung Herr geworden.
Und nun trat er in das Auditorium, nicht im bedächtigen Schritt des Professors, sondern im siegreichen Dahinstürmen des apollini- schen Jünglings nach dem Katheder eilend, eine große, schlanke, imponierende Gestalt, ein blühendes, wohl von viel Nachdenken und Arbeiten erzählendes, aber nicht von ihnen angekränkeltes Antlitz, eine gewaltige, von einem prachtvollen Großhirn zeugende Stirn, goldene fliegende Locken, große, blaue, blitzende und so freundliche Augen, — wohl der schönste Mensch, den ich bisher gesehen, und mir war es, als ob das schon zuvor ganz heitere Zimmer merklich heller wurde. Und dann begann die Vorlesung, nicht ausgefeilt und wohl-
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gedrechselt, sondern ein unmittelbarer Erguß, ein Sprühen und Leuch- ten neuer Offenbarungen. Die Erscheinung, der Glanz der Gedanken und die besondere Art seines Vortrages wirkten zunächst fast aus- schließlich auf mich; erst weiterhin packte mich der Inhalt.
Ich habe mir aber nicht die Aufgabe gesetzt, auszuführen, was Haeckel schon damals als Lehrer und Forscher bedeutete, — eine unnötige Wiederholung von längst Bekanntem — , sondern nur zu schildern, wie er gleich beim ersten Eindruck auf mich wirkte, wie er meinen Studiengang beeinflußte und umgestaltete und wie ich sein Schüler werden mußte.
Durch meine zoologischen Studien bei ihm wurde ich zur Ana- tomie geführt und zu Carl Gegenbaur, dessen Vorlesungen und Übun- gen ich 1866 und 1867 besuchte. Welche seligen Stunden in dem kleinen, nur 7000 Einwohner zählenden Neste mit seinen großen Män- nern und mit seiner wundervollen, zum Naturgenusse zwingenden Umgebung !
Im Herbst 1867 mußte ich das geliebte Jena verlassen, um als Sohn eines preußischen Beamten und für die Lehrerlaufbahn in Preußen bestimmt auf einer preußischen Universität, in Berlin, weiter zu studieren. Auch da trat die Zoologie in meinen Studien in den Vordergrund. Ich wurde u. a. studentischer Volontärassistent bei dem dortigen Zoologen Wilhelm Peters, und meine Berliner philosophische Doktorarbeit behandelte ein zootomisches Thema, — alles das der Einfluß von Haeckel und Gegenbaur. Haeckels Generelle Morphologie und Gegenbaurs Vergleichende Anatomie und seine Untersuchungen zur vergleichenden Anatomie der Wirbeltiere waren meine Erbauungsbücher. Die historisch-genealogische Behandlung und Betrachtung der biologischen Wissenschaften, die Ontogenese und Phylogenese und das biogenetische Grundgesetz pulsierten in meinem Blute.
Nach Abschluß meiner Berliner Studien am Beginne des Jahres 1870 stand ich, ein freidenkender und unbemittelter Mann, vor der Alternative: Preußischer Gymnasiallehrer unter dem Ministerium Mühler oder Versuch einer akademischen Laufbahn, am liebsten in einer orthodoxem Einflüsse entrückten Universität. Die Wahl war entschieden, als mir durch Gegenbaur die Möglichkeit ward, bei ihm in Jena Assistent am anatomischen Institute zu werden und nach
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32 Haeckel-Festschrift. Bd. II
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seinem Rate und Wunsche zugleich Medizin zu studieren, wozu mir meine bisherige mathematisch-naturwissenschaftliche und anato- mische Ausbildung manche Erleichterung gewährte. So kam ich mit Beginn des Sommersemesters 1870 wieder in mein Jena und verlebte da, abgesehen von einer durch den Feldzug in Frankreich bedingten halbjährigen Unterbrechung, glückliche Jahre fleißiger Studien und eigener Untersuchungen, erfrischender Lehrarbeit und Hilfeleistung bei Gegenbaurs Unterricht und Forschungen. Die persönlichen Be- ziehungen zu Haeckel wurden weiter gepflegt, und viele erhebende Stunden verdanke ich ihm und seinen Freunden.
Gegenbaur übernahm im Herbste 1873 die anatomische Professur und Direktorstelle in Heidelberg, und ich folgte ihm, nach Absolvie- rung meiner ärztlichen Approbationsprüfung und meines medizini- schen Doktorexamens, Ostern 1874 dorthin. Im Jahre 1879 wurde ich Ordinarius der Anatomie an der vergrößerten Amsterdamer Universi- tät und hatte da das Glück, Gegenbaurs und Haeckels Lehren mit Erfolg zu verbreiten und auch sonst in ihrem Sinne zu wirken.
Im Herbste 1888 führte mich die Berufung als Oskar Hertwigs Nachfolger auf den Lehrstuhl der Anatomie wieder nach Jena und an Haeckels Seite. Hier verlief die glücklichste und arbeitsreichste Zeit meines Lebens. Mit Ernst Haeckel verband mich treueste Kolle- gialität und Einheit im Arbeiten und Streben. Er, der viel Größere und weiter Angelegte, mit dem unbegrenzten Streben, die Güter seines Wissens und Glaubens womöglich Jedermann anzuvertrauen, ein Held der Wissenschaft und zugleich ein Künstler, Prophet und Religionsstifter ; ich, geschult in der Herbheit Gegenbaurschen Geistes und Gegenbaurscher Methode, im begrenzten Gebiete meiner Wissen- schaft konzentriert, mehr in die Tiefe als in die Weite strebend und womöglich vor jeder Berührung mit der Außenwelt und der profanen Menge ferner stehender Geister scheu zurückweichend. Aber in dem Großen und Ewigen fanden wir uns immer.
Die Stadt Jena war damals gegenüber meiner Studienzeit auf das Doppelte angewachsen, zu ihrem Segen aber immer noch ein kleines Städtchen, ein „akademisches Dorf", wie es von uns mit Vor- liebe genannt wurde, geblieben. Die klassischen Zeiten der Universität, als unter Großherzog Karl August und unter Goethes Curatorium Schiller, Wilhelm von Humboldt, Fichte, Schelling, Hegel, Oken u. gggggggggggggggggggggggggggggg]E]BjEiB]BjE]E]E]E|E]B]E]E]E;BiE]E]EjS!E]E]Ej
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v. A. hier tätig waren, wo die Kantische Philosophie zur ersten Aner- kennung und Verbreitung gelangte, wo Jenas Geisteshauch befreiend und erhebend die Welt durchdrang, bildeten die große Tradition und Resonanz. Ein neues Geschlecht bedeutender, freidenkender Männer war ihnen in den verschiedensten Gebieten der Wissenschaften ge- folgt. Haeckel war der hervorragendste unter ihnen, seine macht- volle Persönlichkeit und sein hohes Ansehen unter den Zeitgenossen, sein Weltruf gab der Universität ihr besonderes naturwissenschaft- liches Gepräge; Jena stand unter seinem Zeichen.
Wie hervortretend er aber auch war, da zeigte sich nichts von jenem prof essoralen Hochmut, jenem anspruchsvollen geheimrät- lichen Wesen, welches so oft als üble Zutat bei großen und kleinen Gelehrten als Zeichen des beginnenden Alters in Erscheinung tritt. Bei Haeckel gab es kein Altern. Er war ja bekannt als scharfer und nicht selten recht derb losschlagender Polemiker, mitunter selbst mit einem fast religiös-unduldsamen Einschlage, wenn es den Kampf für den Monismus und gegen orthodoxe Überhebung und Engherzig- keit und gegen niedrige Kampfesmittel galt. Persönlich war er aber der bezaubernde Jüngling wie vor 25 Jahren geblieben, sozusagen der Jüngste unter uns, und zugleich der reine, einfache Mann von fast spartanischer Lebensführung. , , Höchstes Glück der Erdengüter ist doch die Persönlichkeit." Der Sonnenglanz seiner Persönlichkeit verklärte alles um ihn. Im alten Griechenland wäre er zum Sonnengotte erhoben worden. Das wäre jedoch nicht nach seinem Sinne gewesen ; wohl aber freute es ihn, als in einer launigen Tischrede einer seiner Freunde (Th. W. Engelmann) ihn Heliozoon, Sonnentierchen nannte und zu der so be- zeichneten Abteilung der Urtiere in Parallele brachte. Obwohl ein beson- ders begnadeter Mensch, wollte er doch nicht über die Tierwelt erhoben sein, und es machte ihm besonderen Spaß, daß er gerade mit so tief- stehenden Vertretern derselben verglichen wurde. Mit seinen Kollegen in den Naturwissenschaften und den propädeutischen medizinischen Fächern hatte er sogenannte Referierabende gegründet, die aller vier Wochen bei den Kollegen umgingen und in welchen mit großem Fleiße mehrere Stunden lang über alle neuen wichtigeren naturwissenschaft- lichen Erscheinungen referiert und debattiert wurde; ein ganz ein- faches, früh endigendes Abendessen unter dem Vorsitze der Hausfrau
beschloß diese ebenso lehrreichen wie angenehmen Abende. Wöchent- 1
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lieh traf er sich auch im Sommersemester mit seinen Freunden und Getreuen und deren Frauen und erwachsenen Kindern zu zwanglosen Zusammenkünften auf der „Schweizerhöhe" und dem „Forste", zwei anmutig auf Jenas Bergen gelegenen und eine reizvolle Aussicht dar- bietenden einfachen Wirtschaften, zu welchen wir meist auf stunden- langen, eifrig botanisierenden Spaziergängen in Jenas blumenreichen Höhen und Wäldern gelangten. Den von unten Kommenden ver- kündete sein fröhliches, herzliches Lachen schon von weitem, daß er bereits oben eingetroffen war. Und auf den Umwegen nach Forst und Schweizerhöhe erwies er sich als großer Botaniker und Spezialist der Jenaischen Flora, der manchen verborgenen Standort seltener Orchi- deen und anderer Raritäten nur den nächsten Freunden offenbarte, nicht minder auch als mächtiger Felsenschleuderer und Wegever- besserer, namentlich auf der Höhe über dem Münchenröder Grunde, wo er die von den dortigen Böschungen auf den Weg herabgestürzten Felsblöcke mit den Freunden um die Wette mit gewaltiger Faust in die Tiefe des Abgrundes hinabschleuderte.
Ein besonders lieber Platz war ihm auch die „Ammerbacher Platte", ein hoch und steil über dem Dörfchen Ammerbach sich erhebender Aussichtspunkt mit weitem, umfassendem Ausblicke auf die liebliche und zugleich charaktervolle Umgegend. An diesen von ihm ent- deckten Platz führte er auch die näheren Kollegen und Freunde mit verbundenen Augen und nahm ihnen die Binden erst ab, wenn man an der schönsten Stelle angelangt war. Herzog der Ammerbacher Platte zu sein, und daß dereinst seine Asche von deren Höhe in die Lüfte verstreut werde, war ein gern von ihm geäußeiter Wunsch.
Bei diesen Spaziergängen und abendlichen Zusammenkünften gab es keine Rangstufen; der älteste Professor und der jüngste Assistent standen sich gleich. Welche Ausgelassenheit herrschte da, welches Sprudeln und Sprühen der Gedanken! Jenaer Genius loci. Sang doch schon Goethe: Freitag gehts nach Jena fort, denn das ist bei meiner Ehre doch ein allerliebster Ort; — Weimar, Jena, da ist's gut! An diesen Abenden wurden Schweizerhöhe und Forst von vielen Fremden besucht, die sich versammelten, um Haeckel und das verrückte Völk- lein um ihn zu sehen. Und wie luxuriös wurde da gelebt! Eine Rost- bratwurst, wenn es hoch kam, ein Rostbrätchen, und als einmal die Frau eines eben nach Jena berufenen Kollegen sich in Unkenntnis der
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Jenaer Sitten nach der Rostbratwurst noch einen „Truthahn", d. i. eine Portion Butter und Käse bestellte, da wurde sie als der Gipfel- punkt sybaritischer Üppigkeit angestaunt. Die Verlobung der Tochter eines Kollegen wurde „Im grünen Baum zur Nachtigall", so anmutig hieß das Gasthaus eines anderen kleinen Dörfchens, Kospeda, auf den Höhen um Jena mit frischer Blut- und Leberwurst und mit Lichten- hainer Bier, jenem berühmten oder berüchtigten, fürchterlichen, aber erfrischenden und „mit Musik" (einem Zusätze von geriebenem Brot, Zucker und Korinthen) eben erträglichen Getränke, gefeiert, und bei dem Brauen einer für den Schluß vorbehaltenen Bowle, der Freund Wilhelm Müller mit seinem Cumarin den üblichen Glanz verlieh und zu welcher ein Kollegenpaar als besondere Feierlichkeit eine neue Essenz mitgebracht hatte, wurde diese vollständig vergessen; erst beim Heimweg, zu spät, erinnerten wir uns mit Lachen an die löb- liche, nun unausgeführt gebliebene Absicht. In dieser Einfachheit des damaligen Jenas, auf die Haeckel mit großer Sorgfalt hielt, lag ein großer Reiz. Später, als er sich mit den Jahren mehr zurückzog, kam auch hier leider, leider eine reichlichere Lebensführung wie ander- wärts auf, und damit ging Jena ein besonderer Zauber verloren.
Während dieser ganzen Zeit erhielt der einfach lebende Mann eine Fülle von Ehrungen von Universitäten und Akademien, Ehren- doktorate und Ehrenmitgliedschaften, dazu eine ungezählte Menge von Beweisen der Liebe, Verehrung und Dankbarkeit aus weitesten Krei- sen der Bevölkerung, zu denen er durch seine mehr populären Schriften in nähere Beziehung getreten war und denen er Licht und Aufklärung gebracht hatte.
Nur einer Ehrung will ich hier noch kurz gedenken. Sie kam 1890 aus Amsterdam, der Stadt, wo Swammerdam gelebt hatte, und wo der große Swammerdam-Preis an Haeckel vergeben wurde, — von dem großen holländischen Naturforscher, der vor 200 Jahren seine „Bibel der Natur" geschrieben, an den umfassenderen deutschen Natur- forscher, der in seiner Generellen Morphologie eine noch höhere Bibel der Natur der Menschheit geschenkt. Wir, meine Frau und ich, die wir 9 Jahre lang in Amsterdam gelebt, begleiteten ihn, als er dort- hin reiste, um auf besondere Einladung hin den Preis persönlich in Empfang zu nehmen, und wir wurden Zeugen und Teilnehmer an den Ehrungen, welche ihm Stadt und Universität und zahlreiche
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nach Amsterdam geeilte holländische Gelehrte und gelehrte Gesell- schaften erwiesen, und wir saßen mit dem Amsterdamer Bürger- meister und Rektor, den befreundeten Kollegen und den vielen Hun- derten von Studenten zu seinen Füßen, als er in der großen Aula seine Ehrenvorlesung hielt. Ich kannte die Holländer nach ausreichender Erfahrung als eine warmblütige, aber immer das Deftige, die vor- nehme Würde und gleichmäßige Ruhe in der Lebensführung wahrende und darum dem Ausländer leicht als kalt und phlegmatisch erschei- nende Nation. Einen solchen Enthusiasmus, wie er bei dieser Gelegen- heit und bei der Überreichung der Medaille ausbrach, hätte ich aber meinen Holländern niemals zugetraut. Die Haeckelsche Leuchte hatte hier einen gewaltigen Brand angezündet und seine sonnige Persönlichkeit schien selbst das nebelreiche holländische Klima zu besiegen.
Was waren das glückliche Zeiten in Jena, als mich des Schicksals Hand noch nicht hart angepackt hatte, und welche himmlische Ruhe für die eigenen Untersuchungen!
Ich bin später, dem dringenden Wunsche meines großen Lehrers Gegenbaur folgend, nach Heidelberg übergesiedelt, als sein Nach- folger. Meiner Natur nach, als Canis familiaris, mußte ich das tun. Ich habe dort einen größeren Wirkungskreis und auch sonst viel gutes gefunden, — glücklichere Verhältnisse und solche Muße zur produk- tiven Arbeit wie in Jena nicht. Haeckel ist immer in Jena geblieben, als echte Felis domestica, und er hat damit vielleicht das bessere Teil erwählt. Auch Gegenbaur hat von Jena gesagt: Es war in jeder Hin- sicht meine hohe Schule.
Nun aber das schönste und größte Wunder, das meine Frau und ich von Jena aus und in Jena mit Haeckel, durch ihn, erleben durften.
In jedes Mitlebenden Gedächtnis ist mit un verlöschbaren Lettern eingegraben, wie Fürst Bismarckim Jahre 1892 entlassen und auf seiner Reise zur Hochzeit seines ältesten Sohnes nach Wien durch Schreiben seines unfähigen Nachfolgers, einer der traurigsten Er- scheinungen in Deutschlands Geschichte, bei den in Betracht kom- menden Gesandtschaften und Höfen geächtet wurde. Der größte Deutsche und Held seiner Zeit, der Mann, der mehr Gehirn und mehr schöpferische Tatkraft hatte als sämtliche Regierende und Staats-
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männer seiner Zeit, der in endlicher Erfüllung von jahrhundertelan- gem Sehnen, aber unter anfänglichem Widerstreben seines Königs ein mächtiges Deutschland, ein Deutsches Reich von Bismarcks Gnaden geschaffen, war zudem als Handlanger seines Herrn bezeichnet worden. Die Vertreter des deutschen Volkes, Reichstag und Abgeordnetenhaus, hatten nicht den Mut und den kategorischen Imperativ gefunden, gegen das Geschehene zu protestieren; eine jämmerliche Presse hatte sich an der Hetze gegen ihn beteiligt. Es ist das schwärzeste Blatt in Deutsch- lands Geschichte; es erzählt von einer Undankbarkeit und Untreue, wie sie zuvor im Lande der deutschen Treue unbekannt gewesen. Ein französischer Schriftsteller schrieb damals: „Nein, die Deutschen sind kein großes Volk; das Pantheon, das Himmelszelt wäre uns nicht hoch genug, um diesen Mann hineinzusetzen!" Längst hat die Geschichte darüber gerichtet, und unser von einer elenden Kama- rilla belogener, übel beratener und mißleiteter Kaiser würde wohl viele Jahre seines Lebens darum geben, wenn er diese Tat ungeschehen machen könnte.
Da erhob sich das Volk, in Sachsen, in Österreich, in Süddeutsch- land, dann auch in Norddeutschland, um seinem größten Helden seine Liebe, Verehrung, Treue und Dankbarkeit zu bezeigen. Ein Sturm der Entrüstung und zugleich ein Sturm des Jubels um Bis- marck durchbrauste Deutschland. Das alles ist in den Annalen der Geschichte aufbewahrt.
Auch in Jena flammte es auf, in der Universität, in der Bürger- schaft. Haeckel war das treibende Element. Jena mit seinen großen Erinnerungen an Luther, Goethe, Schiller und Fichte, mit seinen Kämpfen für die geistige Befreiung und Veredelung der Menschheit und mit seinen zuerst in der Jenenser Burschenschaft gepflegten und von da aus in alle deutsche Universitäten verbreiteten Idealen für Deutschlands Einigung galt ihm, wie klein es auch unter den Städten Deutschlands war, doch als das Herz unseres Vaterlandes, nach geographischer Lage und nach geschichtlicher Überlieferung. War es denn gar so vermessen, zum Fürsten nach Kissingen zu gehen und ihn einzuladen, auf der Rückreise nach seiner Heimat Jena und seiner Universität die Ehre seines Besuches zu schenken? Dieser Besuch sollte zugleich eine Art Entsühnung von dem unsäglichen Unglücke sein, das im Jahre 1806 mit der Schlacht bei Jena über Deutschland
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hereingebrochen war. Der Kurator unserer Universität, ein wohl- wollender und uns Allen wohlgesinnter Mann, hielt es für seine Pflicht, uns darauf aufmerksam zu machen, daß diese Reise und Einladung möglicherweise für uns und die Universität verhängnisvolle Folgen haben könne. Was galten uns diese, wo die glühende Dankbarkeit und unser heißes Sehnen gebot! Für unseren Fürsten, für die Be- kundung unserer Treue, Verehrung und Dankbarkeit wären wir auch in den Tod gegangen.
In schnell zusammenberufenen Sitzungen, wie im Rausche, wurde die Anfrage in Kissingen beschlossen und zugleich eine Deputation gewählt, welcher von selten der Universität die Professoren Haeckel, Geizer und ich, von Seiten der Stadt Bürgermeister Singer, Gemeinde- vorstand Köhler und der Vorsitzende des Kriegervereins, Walter, Ritter des Eisernen Kreuzes, angehören sollten. Und das Wunder ge- schah. Fürst Bismarck nahm unseren Besuch an und lud uns durch ein Telegramm seines Sekretärs Chrysander auf den 10. Juli ein. Auch meine Frau, die aus einer um den Gedanken der Einigung Deutsch- lands wohlverdienten Famüie stammte und von einer der Anbetung gleich kommenden Verehrung für den Fürsten erfüllt war, nahm die gute Gelegenheit wahr, ihren heißen Wunsch, ihn endlich von Person zu sehen, zu erfüllen. Haeckel und wir Beiden reisten am 9. Juli vormittags nach Kissingen, nach alter Jenenser Art 3. Klasse, diese aber auf der Station vor Kissingen mit der 2. Klasse vertauschend; dem großen Zwecke und der Weihe des Ortes entsprechend mußte unsere Ankunft in Kissingen in denkbar vornehmster Weise erfolgen, höheres als die zweite Klasse gab es für Jenaer Professoren nicht! Mit einem späteren Zuge kamen die anderen Mitglieder der Deputation an ; aus freier Initiative stießen noch zu uns unsere Kollegen Stintzing und Kluge und unser Jenaer Diakonus Dr. Kind. Zuvor war Haeckel mit mir zur oberen Saline, der Residenz des Fürsten gegangen, um mit dessen Leibarzte Professor Dr. Schweninger und dessen Sekretär Dr. Rudolf Chrysander das Genauere über den morgenden Empfang zu vereinbaren; Beide erschienen uns als Huld spendende Götter durch ihre große Liebenswürdigkeit und ihr überaus gütiges Entgegenkom- men. Meiner Frau wurde gestattet, dem Fürsten und der Fürstin Blumen zu überreichen. Als ich zu ihr kam, erzählte sie mir mit Tränen in den Augen, sie habe soeben den Fürsten, von der Menge ggggggggggggg]ggE]gE]ggggE]ggggggE]ggE]E]E]E]E]E]E]E]E]E]B]5]E]E3E]E]E3E]g!3
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um jubelt, gesehen, nun sei ihr höchstes Sehnen erfüllt. Ihre Gefühle bei meiner Mitteilung zu schildern, ist unnötig.
Am nächsten Mittag fuhren wir Alle zur Saline und wurden von Prof. Schweninger und Chrysander empfangen. Bald traten der Fürst und die Fürstin mit einigen begrüßenden Worten in das Zimmer. Aus oft gelesenen Schilderungen, auch als Zuschauer im Abgeordneten- haus und im Reichstag hatten wir uns eine Vorstellung von des Für- sten imposanter Persönlichkeit gebildet. Aber so nahe uns gegenüber erschien er uns viel größer und gewaltiger, über jeden Begriff er- haben.
Zuerst sprach Jenas Bürgermeister, dann Haeckel. Seine An- sprache kennzeichnet den ganzen Mann, darum sei sie hier wieder- gegeben. Er sagte:
„Durchlauchtigster Fürst! Durchlauchtigste Fürstin!
Der herzlichen Einladung, welche unser Bürgermeister an Euer Durchlaucht gerichtet hat, erlaube ich mir, als eines der ältesten Mitglieder unserer Thüringer Landes-Universität, einige Worte hin- zuzufügen. Jena gehört zu jenen kleinen deutschen Universitäten, deren hohe Bedeutung für die Entfaltung des freien Geisteslebens Sie schon wiederholt und erst kürzlich hervorgehoben haben. Daraus schöpfen wir den Mut, Sie zum Besuche unserer stillen und kleinen, aber geistig lebendigen Musenstadt einzuladen. Jena liegt mitten im Herzen von Deutschland, und mit der ganzen Wärme des deut- schen Herzens haben wir hier jene glänzendste Periode der deutschen Geschichte durchlebt, welche der unvergleichliche staatsmännische Geist des Fürsten Bismarck seit einem Menschenalter geschaffen hat. Wenn wir Euer Durchlaucht bitten, uns auf Ihrer Rückreise die Ehre Ihres Besuches zu schenken und einen Tag in unserem idyllischen Saaletale zu verweilen, so wollen wir damit nur unseren Gefühlen der höchsten Bewunderung und der wärmsten Dankbarkeit Ausdruck geben. Besonderes Bedürfnis ist uns dies in einem Zeit- punkte, in welchem leider ein großer Teil der deutschen Presse sich bemüht, die nationalen Verdienste und die patriotische Persönlich- keit Eurer Durchlaucht in den Staub zu ziehen. Es würde uns ein beglückender Gedanke sein, in demselben „Gasthof zum schwarzen Bären", in welchem Martin Luther einst mit Jenenser Studenten verkehrte, auch den genialen Begründer des Deutschen Reiches als
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Gegen Ende der Tafel kam eine eigens zum Fürsten gereiste Zigeunerkapelle, ihn mit ihren feurigen Klängen zu erfreuen, und dann erscholl brausender, mächtiger, endloser Jubel aus dem an das Gebäude grenzenden Hofgarten. Die 700 Württemberger und zahl-
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lieben Gast zu bewirten. Wir erfüllen damit einfach die Pflicht der nationalen Dankbarkeit. Für uns ist allezeit Fürst Bismarck der unsterbliche Nationalheld, welcher unter Überwindung der größ- ten Schwierigkeiten der deutschen Nation die lebensfähige Form ge- geben und das neue deutsche Kaisertum geschaffen hat. Bei diesem Gedanken steigt neben Euer Durchlaucht das edle Heldenbild Wil- helms I. vor uns auf, des allgeliebten ersten Hohenzollern-Kaisers, der die größten Erfolge mit der liebenswürdigsten Bescheidenheit und die reichste Erfahrung mit der unermüdlichsten Pflichttreue ver- band. Wie Kaiser Wilhelm I. einst das Wort „Niemals" unter Ihr Entlassungsgesuch schrieb, so antwortet der beste Teil des deutschen Volkes mit „Niemals" auf die Frage, ob die unsterblichen Ver- dienste des ersten deutschen Reichskanzlers um die Wiedergeburt unseres Vaterlandes je vergessen werden können.
Die Universität Jena hat aber noch eine besondere Veranlassung, den Besuch Ew. Durchlaucht zu erbitten. In dem Sagenkranze, welchen die deutsche Volkspoesie schon bei Lebzeiten um das Haupt ihres Altreichskanzlers flicht, findet sich auch die Erzählung, daß Sie einst als Göttinger Student Jena besucht haben, aber wegen einer Mensur aus unserer Stadt ausgewiesen seien. Sollte diese Angabe wahr sein, so müßte die Universität Jena jetzt doppelt wünschen, jene Ausweisung zu sühnen, und Sie in unsere Stadt zurückzuführen. Wie stolz würden wir sein, wenn Sie damals in Jena geblieben wären, und Ihr Name das Album unserer akademischen Bürger zierte! Wir dürfen aber zugleich versprechen, daß das ganze Thüringer Land die Gelegenheit Ihres Besuches ergreifen wird, um Sie durch den Ausdruck der aufrichtigsten Verehrung und der herzlichsten Dank- barkeit zu erfreuen."
Den Fürsten während der beiden Ansprachen zu sehen, war ein hoher Genuß. Als er mit seinen buschigen Augenbrauen über den gewaltigen Augen zuckte, duckten wir unwillkürlich; einen solchen Eindruck mag der donnernde Zeus erweckt haben. Und wenn er dann bei dieser oder jener Stelle lächelte und damit seinem Einverständnis Ausdruck gab, wie gütig, wie übermenschlich gütig waren da seine Züge! Da ging uns erst ein Ahnen auf, wie groß, wie unendlich groß der Mensch in seinem höchsten Gipfel sein kann.
Und dann antwortete er. Seine Rede ist bekannt und allenthalben ggggjggggg]ggggg]ggggggggggggggggggggggggBiE]EiE]siE)E]EsiBiB]E|EiEis}
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gedruckt. Da wurde kein wichtiges Moment aus Jenas, aus Weimars, aus Thüringens Geschichte vergessen, auch der Wartburg und der Burschenschaft mit ihren edlen, wenn auch verfrühten Bestrebungen wurde gedacht, und die hohe Bedeutung von Weimars und Jenas Literatur und Kultur als damaliges einziges Band nationaler Einig- keit hervorgehoben. Das alles in den großartigsten Zügen. Glücklich Diejenigen, die dabei zugleich Zuhörer und Zuschauer sein durften. Auf die Einladung nach Jena kam er mit sichtbarer Freude zurück; eine endgültige Entscheidung sei aber erst nach Überlegung mit seiner Frau und seinem Arzte möglich.
Meine Frau durfte dann dem Fürsten und der Fürstin unsere Sträuße unter Handkuß überreichen, den aber der Fürst ablehnte, indem er sie auf die Wange küßte, und dann ging es zum Frühstück, der Fürst meine Frau führend, die Fürstin von Bürgermeister Singer geführt, Haeckel mit Schweninger, dann aber zwischen Fürst und Fürstin sitzend. Die Unterhaltung an der Tafel war die denkbar reichste; da war keine Kenntnis in Geographie und Geschichte, in Kunst und Wissenschaft, selbst in den Details der klassischen Philo- logie, wo der Fürst nicht genauesten Bescheid wußte, und mit Jedem von uns gewann er Fühlung, als genialer Seelenleser sofort eines Jeden innerste Empfindungen und Neigungen erkennend.
Auf unseren Großherzog Karl Alexander hielt er beim ersten Glase Schaumwein in dankbaren und bewegten Worten eine feierliche Tisch- rede, und begeistert stießen wir auf unseren gütigen und geliebten Landesherrn aus Johann Friedrichs des Großmütigen und Karl Augusts Geschlechte an.
Die Fürstin, die echte deutsche Frau, treu besorgt um das Wohl ihres Gatten, von hoher Bildung, feinstem Verständnis und bezau- bernder Liebenswürdigkeit gegen uns. Und Professor Schweninger und Chrysander, prachtvolle Menschen; wie beglückte es uns, daß solchen Männern des Fürsten leibliches Wohl und die Hilfeleistung bei seinen Arbeiten anvertraut war! Und hier wurde auch das Kom- men nach Jena beschlossen!
Gegen Ende der Tafel kam eine eigens zum Fürsten gereiste Zigeunerkapelle, ihn mit ihren feurigen Klängen zu erfreuen, und dann erscholl brausender, mächtiger, endloser Jubel aus dem an das Gebäude grenzenden Hofgarten. Die 700 Württemberger und zahl-
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reiche Deutsche aus anderen Gauen waren erschienen, mit ihren Frauen an die Tausend, um dem Fürsten zu huldigen. Sofort ging er, von Schweninger und Chrysander begleitet, in den Garten, über eine Stunde unbedeckten Hauptes in der heißen Mittagssonne stehend, der 77 jährige Mann, Reden auf Reden anhörend und immer wieder beantwortend, darunter jene herrlichen Worte auf die deutschen Frauen, ungezählte Händedrücke und Beweise glühendster Liebe und Verehrung empfangend. Wir durften zuhören und zuschauen, und die schwere Last wälzte sich von unserer Seele; ein Gefühl von Er- lösung überkam uns. Auch Haeckel griff ein, indem er seiner Begei- sterung Ausdruck gab, daß Süddeutsche und Norddeutsche sich hier gefunden und sich die Hände gereicht, und indem er alle Anwesenden aufforderte, unserem deutschen Vaterlande und dem Fürsten Bismarck, dessen größtem Nationalheros, Treue zu schwören. Bei dem aufs neue ausbrechenden Jubel erfaßte den Fürsten die tiefste Rührung. „Ich bin überzeugt," erwiderte er, „daß nach dem Wunsche des Herrn Vorredners hinter mir das Deutsche Reich unbewegt und unentwegt seinen Weg fortsetzen wird, so wie es ihn begonnen hat, denn die Ein- drücke der Befriedigung über seine Herstellung, die Geleise, in denen es seit 20 Jahren geleitet worden ist, sind zu tief geworden, als daß sie der Reichswagen je wieder verlassen könnte. Das Gesamtergebnis unseres Siebziger Krieges und unseres ganzen Weges durch die Wüste, den wir vorher geführt worden sind, wird uns keine Macht wieder entreißen." Und dann wandte er sich um, umarmte und küßte Haeckel, er, der auf das Evangelium eingeschworene Dualist, den Monisten Haeckel. Wo sich die Menschheit auf ihren höchsten Höhen begegnet, wie geringfügig werden da alle Unterschiede der von Menschen ge- bildeten und Menschen trennenden Dogmen und Konfessionen und verschwinden vor dem Größten, was die Herzen bewegt und zu- sammenschlagen läßt!
Seid umschlungen Mülionen ! Diesen Kuß der ganzen Welt ! Wohl Mancher von uns mag in der Schule, wo er den Hymnus an die Freude lernte, und auch nachher sich gefragt haben, ob unser Schiller da nicht zu Uberschwängliches gesungen; später beim Anhören der 9. Sym- phonie ist ihm wohl die Empfindung geworden, es sei doch möglich. Hier in Kissingen, als wir schieden und uns der Fürst „Auf Wieder- sehen!" zurief, da erfüllten sich unseres großen Dichters glühende,
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trunkene Worte buchstäblich. Wir waren berauscht. Es läßt sich nicht beschreiben. Wenn Schiller und Beethoven das gesehen und miterlebt hätten!
Gegen 4 Uhr schieden wir von der Saline, gingen wieder in das Kurhaus und versuchten unsere Erlebnisse und Eindrücke in einem Berichte zusammenzufassen. Es gelang nicht; wir waren zu tief er- griffen. Später hat wohl der Eine oder Andere von uns seine Gefühle zu Papier gebracht.
An unseren edlen Großherzog sandten wir aber ein ausführliches Telegramm ab. Und diese spontane Mitteilung wurde huldvoll an- genommen und sollte uns die Wege für den Empfang des Fürsten in Jena ebnen. Auch hier erwies sich unser Landesherr und Rector magnificentissimus vor so vielen Anderen, welche die große Zeit klein gefunden, groß, dankbar und treu gegen den Schöpfer des Deutschen Reiches.
Abends um 8 Uhr fuhren wir ab; die Abendsonne schenkte uns ihren goldenen Abschiedsgruß. In Ritschenhausen, wo es inzwischen Nacht geworden war, machten wir Station, unter wunderlichen Um- ständen, welche in Erinnerung an die Kissinger Stunden mit Humor ertragen wurden. Ursprünglich hatten wir beabsichtigt, noch einen Tag auf den Höhen des Thüringer Waldes, in Oberhof, zu verweilen. Es ließ uns aber keine Ruhe, es trieb uns am nächsten Morgen nach Hause, den Freunden zu verkünden: Er kommt, er kommt!
Inzwischen ereigneten sich in Kissingen jene großen nationalen Kundgebungen, wo Tausende von deutschen Männern aus Baden, Rheinpfalz, Hessen, Thüringen mit ihren Frauen und Kindern zum Fürsten eilten, ihm Huldigungen ohnegleichen bereiteten und das Köstlichste von ihm empfingen, was Menschen von seiner Größe schenken können.
Und dann kam er zu uns, mit seiner Familie und mit seinen Ge- treuen, und mit ihm kamen die großen Jenaer Tage vom 30. und 31. Juli, die größten, die Jena jemals erlebt hat. In das gleiche Haus, in welchem Luther 350 Jahre zuvor gewohnt, in den Gasthof zum schwarzen Bären zog jetzt Fürst Bismarck mit den Seinen ein. Erst der Reformator ecclesiae, jetzt der Reformator Germaniae. Zwei eherne Tafeln am Bären zeigen an, welche beiden Männer innerhalb seiner Wände gewohnt. Kommt dazu noch Goethe, dessen Erinne-
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rungen Jena durchdringen. Die drei größten Geisteshelden Deutsch- lands in unserem Städtchen. Kleines und so hoch begnadetes Jena!
Es liegt mir fern, darauf einzugehen, welcher Jubel die ganze Reise des Fürsten von Kissingen nach Jena begleitete, was in Jena geschah, welche guten und großen Worte da gewechselt wurden. Das alles ist in ausführlichen Schilderungen niedergelegt und für immer in die Weltgeschichte eingetragen. Auch habe ich den mir zur Ver- fügung gestellten Raum längst überschritten. Unsere Deputation hatte ihre Aufgabe in Kissingen erfüllt, naturgemäß trat sie jetzt, abgesehen von Jenas Bürgermeister, in der Öffentlichkeit mehr zu- rück, aber auch hier ward Haeckel zu originellsten Kundgebungen — u. a. ernannte er den Fürsten Bismarck zum Ehrendoktor der Stammesgeschichte — Gelegenheit gegeben, und ich verlebte mit den Meinigen beseligende Stunden in der Umgebung des Fürsten.
Fortes fortuna adjuvat. Den Mutigen gehört die Welt. Hätte damals Ernst Haeckel nicht die Initiative ergriffen, so hätten die Jenenser kein Kissingen erlebt und Jena nicht seine großen Tage. So verdanken wieder ihm Stadt und Universität, denen er immer treu geblieben und unvergänglichen Ruhm gebracht, auch hier das Erhabenste, was ihnen seit Goethes Zeiten zuteil geworden.
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WILHELM KLEINSORGEN, BERLIN-GRUNEWALD : ERNST HAECKEL; ALS ETHIKER
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Ernst Haeckel hat stets betont, daß ihm die Probleme der prak- tischen Philosophie nicht liegen und daß es ihm bei seinen „Stu- dien zur monistischen Philosophie" vor allem um die Ausbildung des theoretischen Monismus zu tun gewesen sei. Als ich mit Haeckel zum ersten Male über meine Absicht sprach, meine im „Freien Wort" 1906 veröffentlichte Skizze über „Cellularethik" ausführlicher zu bearbeiten, ermunterte er mich sehr und erzählte mir, daß er erst kürzlich wieder gebeten worden sei, doch seine in den „Welträtseln" nur kurz skizzierten ethischen Ansichten einmal näher auszuführen; er müsse es aber ablehnen, diesem öfter geäußerten Verlangen nach- zukommen, da ihm diese Materie nicht liege, und ich möchte mich nur ja dieser wichtigen Aufgabe unterziehen, zumal ein großes Be- dürfnis dafür vorliege. Als ich Haeckel dann im Jahre 1910 das Manu- skript der Cellularethik überreichte1) und ihn um Annahme der Wid- mung bat, betonte er wieder, wie lückenhaft seine Ausführungen über „Unsere monistische Sittenlehre" seien und wie sehr er sich freue, daß einer seiner Schüler dieses Gebiet in Bearbeitung genommen habe. Diese Bescheidenheit Haeckels der eigenen Leistung gegenüber hat auf mich umso mehr Eindruck gemacht, als seine Behandlung der monistischen Ethik keineswegs die starken Vorzüge der Haeckelschen Erfassung philosophischer Probleme vermissen läßt. Ja, es reizt mich direkt, hier zu zeigen, mit wie sicherem Blick Haeckel bereits die wichtigsten Konsequenzen der monistischen Weltanschauung für die Ethik gezogen hat, und wie wenig vor allem die Theologen ein Recht haben, so hochmütig auf den Ethiker Haeckel herabzuschauen. In Wirklichkeit zeigen Haeckels Ausführungen über monistische Ethik ein tieferes und feineres Verständnis für wahre Sittlichkeit, als es die kirchenchristliche Ethik aufzuweisen hat.
Darwins prophetisches Wort: „Meine Theorie wird zu einer ganzen Phüosophie führen", ist wohl von keinem Jünger Darwins mit solcher Energie und Klarheit in Erfüllung gesetzt worden, wie durch Ernst
1) 191 2 bei Alfred Krön er, Leipzig, unter dem Titel: „Cellular-Ethik als moderne Nachfolge Christi" erschienen.
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Haeckel. Daß die neue entwicklungsgeschichtliche Weltanschauung auch zu einer neuen Ethik oder, vielleicht richtiger, zu einer neuen Grundlegung der Ethik führen mußte, hat Haeckel klar erkannt. Eben deshalb hat er auch im Jahre 1892 der in Berlin neugegründeten „Gesellschaft für ethische Kultur" gegenüber die Abhängigkeit der Ethik von der Weltanschauung betont, ein Punkt, der für die Auffassung vom Wesen der Ethik und von der Stellung der Ethik im System der Wissenschaften von grundlegender Bedeutung ist. Da das ganze Universum im Lichte des Entwicklungsgedankens ein zusammenhängendes Ganze darstellt, so ist natürlich für Haeckel die sittliche Welt nur ein Teil der allesumfassenden Natur. Dement- sprechend betrachtet er die Ethik als Naturwissenschaft und fordert eine biologische resp. physiologische und entwicklungsge- schichtliche Begründung derselben. Dabei betont Haeckel mit Recht, daß diese Auffassung nicht zu einem Verlust der Ideale führt, sondern im Gegenteil dieselben als tief in der menschlichen Natur begründet erweist. Überhaupt vertritt ja Haeckel, ähnlich wie Goethe — ent- gegen der herrschenden Auffassung des Christentums die Über- zeugung, ,,daß wahre Naturerkenntnis nicht allein dem grübelnden Verstände, sondern auch dem sehnenden Gemüte volle Befriedigung und unversiegliche Nahrung zuführt." (Der Monismus als Band zwischen Religion und Natur- wissenschaft S. 35.) „Ihnen, hochgeehrte Anwesende, als Natur- forschern und Naturfreunden — heißt es an einer anderen Stelle dieses berühmten Altenburger Vortrages — brauche ich nicht auseinander zu setzen, wie sehr jedes tiefere Eindringen unseres Verstandes in die Erkenntnis der Naturgeheimnisse gleichzeitig auch unser Gemüt er- wärmt, unserer Phantasie neue Nahrung zuführt und unsere Schön- heitsanschauung erweitert. Um sich zu überzeugen, wie eng alle diese Gebiete der edelsten menschlichen Geistestätigkeit zusammenhängen, wie unmittelbar die Erkenntnis der Wahrheit mit der Liebe zum Guten und der Verehrung des Schönen verknüpf t ist, genügt es, einen einzigen Namen zu nennen, den größten deutschen Genius: Wolf gang Goethe." (S. 34). Wer diese Grundüberzeugung Haeckels und auch Goethes zu würdigen weiß, wird verstehen, welches Armutszeugnis sich diejenigen Gegner Haeckels ausstellen, die in einer naturwissenschaftlichen Be- gründung der Ethik eine Herabwürdigung des Sittlichen erblicken. g@]ggE]gggE]gggggggE]gggE]gggggggggggE]gE]SE]E]E]B]E]EiE]E]E]B]E]E]E]E]E]E|
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Wie monistische Ethik nur naturalistische Ethik sein kann, so hat Haeckelmit aller nur wünschenswerten Konsequenz auch den deter- ministischen Charakter der monistischen Ethik betont und dabei mit Recht auf das noch viel zu wenig beachtete Beweismaterial auf- merksam gemacht, das uns die moderne Vergleichende Physiologie und Entwicklungsgeschichte zugunsten des Determinismus liefert.
Die positive Bedeutung der modernen Naturerkenntnis für die Ethik demonstriert Haeckel durch die Begründung des menschlichen Pflicht- gefühls auf die sozialen Instinkte, die wir bei allen gesellig lebenden höheren Tieren finden, und deren Bedeutung für die Ethik schon Darwin erkannt hat. Mit gutem Grund zieht Haeckel eine solche reale Be- gründung des Pflichtgebotes der Illusion eines Kantschen kate- gorischen Imperativs oder gar eines göttlichen Gebotes vor.
Auch eine Entwicklungsgeschichte des Sittlichen wird von Haeckel versucht. Anfänge der sozialen Tugenden findet er schon bei den in Zellvereinen lebenden Einzelligen. Letzten Grundes sind auch die Sitten als erblich gewordene Gewohnheiten, als Anpassungs- formen des Selbsterhaltungstriebes der Organismen zu bewerten.
Das Fundamentalgebot der monistischen Ethik sieht Haeckel in einer vernunftgemäßen Gleichberechtigung des Selbst- und Arterhaltungstriebes, wie sie ja auch in dem christlichen und vorchristlichen Gebot: „Was du willst, daß dir die Leute tun sollen, tue ihnen auch" zum Ausdruck kommt. Der kirchenchristlichen Vernachlässigung des Selbsterhaltungstriebes gegenüber — in der Haeckel sehr richtig einen Widerspruch zum christlichen Grund- gebote: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst" sieht — betont Haeckel den fundamentalen ethischen Wert der Selbstliebe: „Nichts Großes, nichts Erhabenes ist jemals ohne Egoismus geschehen und ohne die Leidenschaft, welche uns zu großen Opfern befähigt." (Welträtsel, S. 408). Auch in dieser hohen Bewertung des Selbst- erhaltungstriebes stimmt Haeckel durchaus mit Goethes ethischen Anschauungen überein. Sehr treffend weist übrigens Haeckel auf den schneidenden Widerspruch zwischen der vom Kirchenchristentum empfohlenen überspannten altruistischen Moral des einzelnen Men- schen und der realen, rein egoistischen Moral der christlichen Kultur- staaten hin. „Es wäre interessant" — bemerkt er mit berechtigtem Sarkasmus — „mathematisch festzustellen, bei welcher Zahl von
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vereinigten Menschen das altruistische Sittenideal der einzelnen Person sich in sein Gegenteil verwandelt, in die rein egoistische .Real- politik' der Staaten und Nationen." (Welträtsel, S. 409). So sehr Haeckel aber auf der einen Seite den Wert des Selbsterhaltungstriebes hervorhebt, so wenig verkennt er andererseits die große Bedeutung der Nächstenliebe: „Will der Mensch in geordneter Gesellschaft existieren und sich wohl befinden, so muß er nicht nur sein eigenes Glück anstreben, sondern auch dasjenige der Gemeinschaft, der er angehört und der .Nächsten', die diesen sozialen Verein bilden. Er muß erkennen, daß ihr Gedeihen sein Gedeihen ist und ihr Leiden sein Leiden." (Welträtsel, S. 404). Es ist ein entschiedenes Verdienst der Haeckelschen Ethik, daß sie nicht in die naheliegende Einseitigkeit einer rein selbstsüchtigen „Kampf-ums-Dasein-Ethik" verfallen ist, wie sie gerade von Darwinisten so oft als ,,darwinistische" Ethik ver- treten worden ist, trotzdem Darwin anderer Meinung war und auch Haeckel von ihr geäußert hat, sie befinde sich in einem „biologischen Irrtum". Mat hat nun aber gerade wegen dieser Gleichberechtigung von Egoismus und Altruismus der Haeckelschen Ethik oft vorge- worfen, daß sie damit zwei feindliche, entgegengesetzte Prinzipien vertrete. Dieser Einwurf ist wohl verständlich, wenn man bedenkt, wie verschieden die Begriffe Egoismus und Altruismus von den ein- zelnen Autoren ausgelegt werden; aber in dem Sinne, wie sie Haeckel gebraucht hat und wie sie vernunftgemäß allein gebraucht werden können, besteht kein Gegensatz zwischen Selbstliebe und Nächstenliebe, denn mit vollem Recht betont Haeckel: „Ebenso wie einerseits das Gedeihen der Gesellschaft an dasjenige der Personen geknüpft ist, die sie zusammensetzen, so ist andererseits die volle Entwicklung des individuellen Menschenwesens nur möglich im Zu- sammenleben mit seinesgleichen. Die Christenmoral predigt die aus- schließliche Geltung des Altruismus und will dem Egoismus keinerlei Rechte zugestehen. Gerade umgekehrt verfährt die moderne Herren- moral (von Max Stirner, Friedrich Nietzsche u. a.). Beide Extreme sind gleich falsch und widersprechen in gleicher Weise den gesunden Forderungen der sozialen Natur." (Welträtsel, S. 463).
Zu den schönsten Stellen der Haeckelschen Ethik gehört seine Auffassung vom Mitleid: „Ich gehe von meiner persönlichen Ansicht aus, daß das Mitleid (Sympathie) nicht nur eine der edelsten
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und schönsten Gehirnfunktionen des Menschen, sondern auch eine der ersten und wichtigsten sozialen Bedingungen für das gesellige Leben der höheren Tiere ist. Die Gebote der christlichen Liebe, die das Evangelium mit Recht in den Vordergrund der Ethik stellt, sind nicht von Christus zuerst entdeckt, wohl aber von ihm und seinen Jüngern mit größtem Erfolge geltend gemacht zu einer Zeit, wo der raffinierte Egoismus die überfeinerte römische Kulturwelt dem Zerfall entgegenführte. Tatsächlich bestanden die natürlichen Gebote der Sympathie und des Altruismus nicht nur Jahrtausende vorher in der menschlichen Gesellschaft, sondern auch bei allen höheren Tieren, die in Herden oder Staaten vereinigt leben; sie haben ihre älteste phylogenetische Wurzel sogar schon in der geschlechtlichen Fort- pflanzung der niederen Tiere, in der sexuellen Liebe und Brutpflege, auf der die Erhaltung der Art beruht. Daher sind die modernen Pro- pheten des reinen Egoismus Friedrich Nietzsche, Max Stirner usw. in biologischem Irrtum, wenn sie allein ihre ,Herrenmoral' anstelle der allgemeinen Menschenliebe setzen wollen und wenn sie das Mitleid als eine Schwäche des Charakters oder als einen moralischen Irrtum des Christentums verspotten. Gerade in der Betonung des ,Mitleidens' liegt der hohe ethische Wert der christlichen Lehre, der immer fort- dauern wird, wenn ihre morschen Dogmen längst in Trümmer gefallen sind. Nur sollte man dieses hehre Gebot der Nächstenliebe nicht auf den Menschen allein beschränken, sondern auch auf seine »nächsten Verwandten', die höheren Wirbeltiere, ausdehnen, wie überhaupt auf alle Tiere, bei denen wir auf Grund ihrer Gehirnorganisation be- wußte Empfindung, das Bewußtsein von Lust und Schmerz, annehmen dürfen." (Lebenswunder, S. 131). Die Ausdehnung des Mitleids auch auf die Tiere wie überhaupt die Wertung der Tiere als unsere „Brüder" auf Grund des Darwinismus erhebt die Haeckelsche Ethik, weit über die christliche, speziell kirchliche. Mit Recht schreibt Haeckel (Welträtsel, S. 411): „Das Christentum kennt nicht jene rühmliche Liebe zu den Tieren, jenes Mitleid mit den nächststehenden, uns befreundeten Säugetieren (Hunden, Pferden, Rindern usw.), welche zu den Sittengesetzen vieler anderer älterer Religionen gehören, vor allem der weitverbreitetsten, des Buddhismus.
Wie erhaben steht in dieser Beziehung die monistische Ethik
über der christlichen! Der Darwinismus lehrt uns, daß wir zunächst
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von Primaten und weiterhin von einer Reihe älterer Säugetiere ab- stammen und daß diese ,unsere Brüder' sind; die Physiologie beweist uns, daß die Tiere dieselben Nerven und Sinnesorgane haben wie wir; daß sie ebenso Lust und Schmerz empfinden wie wir."
Zu den stärksten Seiten der Haeckelschen Ethik gehört auch die sittliche Bewertung des Natur- und Kunstgenusses, der Kulturerrungenschaften, der Familie, des Geschlechts- lebens und der Achtung vor der Frau. Auch in diesen Punkten ist sie der christlichen Ethik weit überlegen, die gerade hier höheren sittlichen Ansprüchen nicht genügt. Speziell was Haeckel über die ethische Bedeutung des Natur- und Kunstgenusses und über die Veredelung des Menschenwesens durch die Liebe zum anderen Ge- schlecht schreibt, beweist, wie befruchtend und veredelnd der Natu- ralismus auf die Ethik wirkt.
Nur blinde Unwissenheit und fanatischer Haß erklären die heftigen Angriffe, die man gegen die ethischen Anschauungen Ernst Haeckels gerichtet hat. In Wirklickeit entspringen seine ethischen Lehren demselben glühenden Idealismus und Wahrheitsdrang, die den Zauber seiner Persönlichkeit ausmachen und die allein auch die gewaltige praktisch - ethische Wirkung erklären, die Haeckel als Mensch, Lehrer und Forscher auf die weitesten Kreise ausgeübt hat und noch ausübt. Eben diesem Idealismus und Wahrheitsdrange entspringen auch seine heftigen Angriffe gegen die christliche Ethik und Religion und gegen herrschende Vorurteile und Mißstände. Mannhaft und un- erschrocken hat Haeckel alte Götter und Götzen gestürzt, um freie Bahn für neue sittliche Ideale zu schaffen. Eben dieser hochsittliche Bekenner- mut hat ihm ungezählte Sympathien eingebracht und seinem Namen jenen Glanz verliehen, der ihn weit über seine Zeitgenossen hervorhebt. Was Haeckel über das Scheinchristentum, über den Papismus, über die sittliche Verlodderung und Verlogenheit der herrschenden Zu- stände geschrieben hat, setzt seinen ethischen Anschauungen allein schon ein ehrendes Denkmal. Die ganze ethische Bedeutung Haeckels wird aber den breiten Massen erst dann zum Bewußtsein kommen, wenn die herrschende Goethe m o d e oder besser Goethe prostitution einem wirklichen Goethe kult gewichen ist. Erst dann werden alle die Vorurteile gefallen sein, die heute noch weite Kreise gegen die wahre Bedeutung dieses unseres größten Zeitgenossen blind machen.
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IWAN BLOCH, CHARLOTTENBURG
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Die Bedeutung Ernst Haeckels für die Entwicklungslehre und für die moderne Weltanschauung lernte ich zuerst, noch vor dem Studium seiner eigenen Werke, aus den Schriften zweier anderer großer Denker des 19. Jahrhunderts kennen, nämlich aus der berühm- ten „Geschichte des Materialismus" von Friedrich Albert Lange und aus dem klassischen „Lehrbuch der Anatomie" von Karl Gegenbaur, dessen Vorlesungen ich im Sommer und Winter 1892/93 hörte. Das Urteü dieser beiden durch umfassendes Wissen und besonnene Kritik gleich ausgezeichneten Forscher über den begeisterten Apostel Darwins, ihre rückhaltlose Anerkennung seiner genialen Entdeckun- gen, namentlich seines fundamentalen biogenetischen Grundgesetzes, machte damals einen tiefen Eindruck auf mich und steigerte nicht nur meine Empfänglichkeit für die alsbald mit Begeisterung auf- genommene Lektüre der einzelnen Schriften Haeckels (zuerst der „Natürlichen Schöpfungsgeschichte", dann der „Anthropogenie", der „Generellen Morphologie", der „Populären Vorträge", später der „Welträtsel", „Lebens wunder" und der kleineren Einzelschriften), sondern bildete fortan die unerschütterliche Grundlage der Ver- ehrung seiner Großtaten gegenüber allen Anfeindungen und Ver- dächtigungen der Kritik. Diese Großtaten gipfeln in der einen und höchsten, daß Haeckel wie kein anderer in unserer Zeit den Kampf für eine einheitliche Welt- und Lebensanschauung aufge- nommen und mit einer bewunderungswürdigen Konsequenz durch- geführt hat. Er ist der Georgsritter, der den Drachen der „Zer- rissenheit" des modernen Menschen getötet, der alle dualistischen Uberlebsel vorwissenschaftlicher Kulturen als Hemmnisse des geistigen und sittlichen Fortschritts der Menschheit unerbittlich gebrandmarkt hat.
Bei meinen Forschungen über das Sexualleben des Menschen war mir die Auffassung Haeckels über die körperlich-seelischen Elementar- phänomene der Liebe von größtem Werte. Er, der im zweiten Bande der „Anthropogenie" die gewaltige Macht des Eros in herrlichen Worten geschildert hat, hat in seiner Lehre vom „erotischen Chemo- tropismus" die durch die heutigen Forschungen über die innere
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Sekretion immer mehr zur Anerkennung gelangende wichtigste biologische Grundlage der Sexualwissenschaft geschaffen und den sexuellen Chemismus als „Urphänomen" der Liebe erkannt. Es war mir eine besondere Freude, in meiner in der ersten Sitzung der neugegründeten „Ärztlichen Gesellschaft für Sexualwissenschaft" ge- haltenen Eröffnungsrede (Februar 1913) auf die große Bedeutung der Forschungen Haeckels für die Sexualwissenschaft hinzuweisen und die schönen Worte vorzulesen, mit denen er diese erste Or- ganisation der wissenschaftlichen Sexualforschung begrüßte und so die letztere als neue vollwertige Disziplin der Naturwissenschaft an- erkannte.
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A. CARRARO, WIEN
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Während meiner Studienzeit (bis 1881) an einer k. k. Lehrerbildungs- anstalt hatte ich nichts von Haeckel und seinen Werken gehört. Naturgeschichte war für mich damals ein zusammenhangloses Ge- misch verschwommener, nur Bestimmungszwecken dienender Syste- matik und ödester Morphologie; Biomechanik und Biologie waren uns allen spanische Dörfer. Dieses vollständig unorientierte Notizen- wissen, dieser bloße Gedächtnisballast befriedigte mich um so weniger, als ich seit meiner Kindheit ein reges Bedürfnis nach kausal gerich- tetem Naturverständnis hatte. Meine grüblerische Geistesrichtung suchte schon damals unbewußt in den Erfahrungswissenschaften nach dem Schlüssel zum Weltverstehen und zur Erkenntnis in den großen Menschheitsproblemen.
Und so war ich in aller Stille ein Vertreter naturwissenschaft- lichen Denkens geworden. Da fand ich eines Tages in dem Heiß- hunger autodidaktischen Strebens in der Hand eines Freundes ein mir bisher fremdes Buch, die Welträtsel. Schon beim bloßen Blättern entdeckte ich darin eine neue Welt und es ist bezeichnend für meine damalige Geistesverfassung, daß ich gerade das XI. Kapitel, das von der Unsterblichkeit der Seele handelt, sofort mit heißen Augen verschlang. Die Lektüre dieses Kapitels übte auf mich eine unbeschreibliche Wirkung aus, es war mir, als wäre eine Zentnerlast von Brust und Gehirn genommen, es war ein Gefühl der Erlösung vom dumpfen Drucke dogmatischen Denkzwanges. Freier atmete ich auf, denn ich hatte gefunden, wonach ich so heiß begehrte: den Schlüssel zu einem naturwissenschaftlich begründeten, durch keinen Denkzwang getrübten oder gefälschten Weltbilde!
Mit fieberhaftem Eifer studierte ich das ganze Werk und später alle übrigen Schriften Haeckels, und welches Problem ich auch studieren mochte, immer war ich von der Einheitlichkeit der darin geübten Forschungs- und Denkmethoden bis ins innerste ergriffen.
Und so lernte ich mein früheres Lexikonwissen ordnen nach den großen Gesichtspunkten der Kausalität, nun erst wußte ich, was Naturwissenschaft ist. So wurde ich Schüler Haeckels und bin es all die Jahre her treu gewesen.
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Von höchster Bedeutung aber schien mir in meinen weiteren Studien die Tatsache, daß sich der Entwicklungsgedanke und das Kausalitätsdenken auf alle Gebiete menschlichen Lebens und mensch- licher Forschung mit großem Nutzen anwenden ließen.
Das habe ich ganz besonders auf meinem engeren Arbeitsgebiete, der Jugenderziehung, bestätigt gefunden. Ich erkannte, daß die Erziehungswissenschaft mit physischen und intellektuellen Ent- wicklungsgesetzen des Kindes rechnen muß und daß es sich bei Erziehungsproblemen und Unterrichtsmethoden um angewandte Naturwissenschaft handelt. Die Erziehungsziele konnten sich nunmehr nicht aus den Bedürfnissen engherziger Kirchen- oder kurz- sichtiger Staatsgedanken ergeben, sondern mußten geschöpft werden aus den Bedürfnissen wahrer Menschlichkeit. Ich bekenne freudig, daß Haeckel auch auf dem Gebiete der Ethik subjektiv und objektiv mein Lehrer war.
Daß sich seine erzieherische Kraft auf einen großen Teil der Lehrerschaft aller Grade erstreckt hat, ist aus den die ganze päda- gogische Welt erfüllenden Reformbestrebungen zu ersehen: Phy- siologie, Psychologie, Ethik und alle anderen pädagogischen Teil- wissenschaften stehen heute dank Haeckels und seiner Schule unter dem Einflüsse naturwissenschaftlich gerichteter Denkweise.
Da müßte man denn erwarten, daß unsere Schulbehörden und unsere Gesetzgebung der Pflege des Entwicklungsgedankens und der modernen Denkweise auf dem Gebiete der Lehrerbildung die größte Aufmerksamkeit und Förderung zuteil werden lassen? Trotz- dem das ganze praktische Leben unter dem befruchtenden Einflüsse der Erfahrungswissenschaften steht, ist in unseren Elementar- und Mittelschulender Entwicklungsgedanke offiziell nicht anerkannt. Hat man einstens dem Lehramtszöglinge die Namen und Werke Lamarcks, Darwins und Haeckels bloß vornehm verschwiegen, so ist man heute unter dem Einflüsse klerikaler Behörden niederen und höheren Grades daran, diese Bildungsquellen zu verfälschen und so erfahren die jungen Leute von obgenannten Männern oft nicht mehr, als daß sie „Gottesleugner" waren, deren Schriften ohne Erlaubnis des geistlichen Beraters, Beichtvaters etc. nicht gelesen werden dürfen. Nebenbei bemüht man sich durch die Art der Unterrichts- erteüung und der Lehrbücher, den jungen Leuten womöglich das
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Studium der Naturwissenschaft systematisch zu verekeln. (Siehe Keplerbundschrif ten. )
So ist denn der Lehrernachwuchs (wenigstens in Österreich), wenn er sich überhaupt den geistlichen und geistigen Fesseln zu entringen vermag, auf die seinem Privatfleiß zufällig unterkommenden Bildungs- quellen angewiesen.
Esisteines der Haupt verdiensteunseresli eben Haeckel, daß diese Bildungsquellen in Form gemeinverständlicher Schriften und Vorträge heute so reichlich sprudeln, daß sich die jungen Geister daran trotz aller Gewaltstreiche einer uner- müdlichen Reaktion immer wieder erquicken und aufrichten können.
Da stehen sie in meinem Bücherschrank, die lieben und ver- trauten Freunde aus Haeckels Feder und immer, wenn ich sie um Rat frage, schenken sie mir Stunden der Erkenntnis, der Weihe und Andacht, begeistern mich zur Tat, machen mich besser und glück- licher, und lassen mich erkennen, daß dieses angeblich gottgewollte irdische Jammertal zum Freudental der ganzen Menschheit werden kann.
Aus Haeckels Leben und Werken gewann ich die Tatkraft und Arbeitsfreudigkeit, die mithelfen will, das Leben persönlich und sozial glücklich zu machen. Daß ich Gutes, Wahres und Schönes erlebt habe und es mit meinen kleinen Kräften in einem kleinen Wirkungskreise weitergeben und weitererwecken darf, das verdanke ich Haeckel.
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JAKOB KOLTAN, HEIDELBERG
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Nach Absolvierung meines Studiums an einer Universität in Rußland habe ich mich einige Jahre mit chemischer Praxis beschäftigt. Der Drang zu wissenschaftlichen Verallgemeinerungen, der ja sehr verbreitet ist, zwang mich zur Ausbildung einer Welt- anschauung, die auf meinen dürftigen Kenntnissen in Chemie, Physik und Biologie gegründet war. Eine allgemeine philosophische Bildung konnte ich mir nicht erwerben, schon aus dem Grunde, weil es in Rußland keine philosophischen Fakultäten gibt. Allerdings war ich im „Darwinismus" so weit beschlagen, daß ich mir bei meinen Kollegen den Scherznamen ,,Der Darwinist" zugezogen hatte. Dabei muß ich hinzufügen, daß ich Darwin lange nicht in allen Punkten zugestimmt hatte. Skeptiker, wie ich einmal bin, habe ich aber auch mir selbst in philosophischen Dingen wenig zugetraut, ich habe vielmehr an- genommen, daß andere ihre Weltanschauung wohl viel feiner und schöner ausgebaut haben mögen als ich. Daher beschloß ich, bei günstiger Gelegenheit im Auslande Philosophie zu studieren.
Diese Gelegenheit bot sich mir im Jahre 1899, als ich mich an der Universität Zürich immatrikulieren ließ. Hier habe ich haupt- sächlich die philosophischen Disziplinen in den Bereich meiner Studien gezogen. Nebenbei habe ich aber die , »akademische Freiheit" dazu benutzt, auch viele andere „Fächer" zu hören. Endlich an einem schönen Tage fühle ich mich „soweit reif", um an eine „Doktor- Dissertation" zu denken. Mein hochverehrter Lehrer (ein hervor- ragender Psychologe) gab mir entsprechend meiner naturwissen- schaftlichen Vorbildung eine Arbeit in der modernen Naturphüosophie, wobei er mich besonders auf die Werke von Haeckel, Reinke, Mach und Ostwald verwies. Nun machte ich mich an die Arbeit und begann natürlich mit dem altern Naturphilosophen, mit Haeckel. Eine „wichtige Tatsache" war mir dabei von vornherein bekannt: mein Lehrer war ein erbitterter Gegner Haeckels, den er als „oberfläch- lichen Denker" titulierte, weshalb er sich mit seinen Werken gar nicht beschäftigen wollte; er urteilte über Haeckel mehr vom „Hörensagen". Der Wahrheit halber muß ich aber hinzufügen, daß lange nicht alle Philosophieprofessoren über Haeckel so „oberflächlich" urteilen. SSg]ggE]§]gggggggggB]gggggE]gggB]ggggggggE]B]5iB]E]EjE]G]B]B]E]!£]S]E]E]5]E]
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Denn der zweite Professor (der in Zürich nur kurze Zeit dozierte und jetzt in Deutschland wirkt) hat in unseren philosophischen Übungen über „Spinozas Ethik" mehrmals „Haeckels Welträtsel" zitiert mit der offenen und mutigen Bemerkung: „Bei Haeckel kann man immer noch etwas lernen."
Nun faßte ich aber die Sache und meine Aufgabe mit der „denk- würdigen Dissertation" ganz anders auf, als mein hochgeschätzter Lehrer. Ich wollte nämlich nicht bloß über die erwähnten Natur- philosophen kurz referieren, sie mit scharfen Bemerkungen abtun, um meine „philosophische Überlegenheit und Reife zur Doktorwürde" zu beweisen; es war mir vielmehr darum zu tun, die Problem- lösungen gründlich zu untersuchen. Dann hat sich aber herausgestellt, daß meine Abhandlung über Haeckel allein zu einer stattlichen Dissertation herangewachsen war. Es hat sich aber noch mehr ergeben, daß ich nämlich in vielen Fragen meinem Lehrer direkt widersprechen mußte. So z. B. in der Frage des „Unbewußt- Psychischen", wo er ganz rationalistisch befangen und einseitig war. Die einzige Konzession, die ich ihm machte, war die, daß ich gegen Haeckels Naturphüosophie mehr formale Einwendungen erhob, als es mir lieb gewesen wäre, weil ich sonst auf formale Fehler kein großes Gewicht lege. Dagegen in prinzipiellen Fragen stimmte ich Haeckel meist zu. Über die Ergebnisse meiner Untersuchungen machte ich meinem Lehrer Mitteilung. Natürlich sah er sich ge- zwungen, mir zu sagen, daß er meine Begründung prüfen müsse. Nachdem er meine Begründung (durch eine Stichprobe!) geprüft hatte, gab er mir zu verstehen, daß er wegen einer Arbeit über Haeckel allein (!) und noch einer für diesen günstigen (!) keine „Doktorwürde" zusprechen könne, daß er nur eine Abhandlung über weitere Natur- philosophen einer ernsten Prüfung zu unterziehen bereit sei. Um meinen Überzeugungen und denen meiner Examinatoren keinen Zwang anzu- tun, habe ich beschlossen, auf die „Gloriole des hohen Doktorhutes" zu verzichten, zumal es mir nicht um den Titel, sondern um die Wissen- schaft zu tun war. Der Gerechtigkeit wegen sei noch bemerkt, daß dieser „Doktorstreit" nichts mit der „akademischen Freiheit" speziell an der Universität Zürich zu tun hat. Mein Opponent ist auch kein Schweizer und er doziert jetzt in Deutschland, wo die „Haeckel-Gegner" noch immer mehr Aussicht auf Erfolg haben als die „Haeckel-Jünger".
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Und nun der Ertrag meiner Studien der Haeckelschen Schriften, besonders der „Welträtsel" und , .Lebenswunder". Es ist mir freilich unmöglich, sie genau zu bestimmen, zumal ich mich gleichzeitig mit allen möglichen Studien befaßt hatte. Jedenfalls waren die Anregungen Haeckels mitbestimmend für meine Stellungnahme und Entscheidung in einigen grundlegenden und wichtigen Fragen, die ich nachstehend kurz andeuten möchte.
i. Das Substanzproblem. Als Jünger der Naturforschung war ich natürlich zunächst geneigt, mich mit den Begriffen „Materie oder Energie als Weltbegriff" zu begnügen. Das habe ich auch getan, indem ich in meiner früheren „ureigenen Weltanschauung" selbst die geistigen Erscheinungen einfach als Funktionen bzw. Trans- formationen der Materie oder Energie betrachtete. Allein meine Be- schäftigung mit der modernen Psychologie hat mich überzeugt, daß diese Lösung in ihrer primitiven Form unzulänglich ist. Der „psychophysische Parallelismus", der seit Fechner und Wundt in der empirischen oder besser physiologischen Psychologie vorherrschend ist und der mich zuerst als philosophische Spitzfindigkeit anmutete, zog mich mehr und mehr an, besonders als ich seine ganze Tragweite erkannte. Das war eben der erste Anstoß und Grund, warum ich Spinozas bzw. Haeckels Substanz- und Attributenlehre im Prinzip als annehmbar anerkannte. Freilich die Begründung der Substanz- lehre läßt sich noch vervollkommnen. In einem Aufsatz „Ansichten der Chemie und Physik und Monergie als Weltbegriff" (Neue Welt- anschauung Heft g, 1912) habe ich den Versuch gemacht, die Be- gründung der Substanzlehre weiter zu entwickeln. Ich beabsichtige, bei späterer Gelegenheit diese Lehre ausführlicher zu erläutern und zu begründen. Vorderhand kann ich nur auf jenen Aufsatz verweisen, und auf meine Schriften: „E. Haeckels monistische Weltansicht (besonders die Dreiattributenlehre) und J. Reinkes dualistische Weltansicht (besonders Deutung des psychophysischen Parallelismus).
2. Das Unbewußt-Psychische. Wie jedem „naiven" Natur- forscher und manchem „kritischen" Philosophen schien mir zuerst der Begriff des „Unbewußt-Psychischen" als Widersinn oder Wider- spruch (contradictio in adjecto). Allein mein Studium der Psycho- logie, besonders der Gedächtniserscheinungen hat mich zur Über- zeugung geführt, daß die Annahme des „Unbewußt-Psychischen"
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geradezu eine Selbstverständlichkeit ist. Es hat mich daher ge- wundert, daß es solche kurzsichtige Psychologen gibt (darunter mein sonst so begabter Lehrer), die dies nicht einsehen und begreifen können. Ich war infolgedessen froh, daß ich in dieser Frage mit einem so hervorragenden Mann wie Haeckel einig war, d. h. daß ich ihn auf meiner Seite hatte. Jetzt gibt es aber unter den Philosophen gar viele Anhänger des „Unbewußten", während die „kritischen" Psychologen sich mit dem Begriff des — „Unterbewußten oder Unterbewußtseins" zu behelfen wissen. (Vgl. meine Haeckel- Schrift, Kapitel 10).
3. Die Entropielehre. Haeckel hat in den ersten Auflagen seiner „Welträtsel" die Gültigkeit des Entropiesatzes für das Weltall sehr eingeschränkt, er hat sich dabei aber „physikalisch" nicht ganz richtig ausgedrückt. Darob wurde er von vielen „berühmten, aber frommen und kurzsichtigen" Physikern heftig angegriffen. Ich habe in meiner obigen Haeckel-Schrift auf die Mißverständlichkeit mancher physikalischer Ausdrücke hingewiesen, in der Sache aber mit Grund- angabe Haeckel zugestimmt. Gegenwärtig haben solche bedeutende Physiker wie Felix Auerbach in Jena (Ektropielehre) und Svante Arrhenius in Stockholm die Einschränkung des Entropiesatzes bzw. das Freiwerden der gebundenen oder entwerteten Energie mit aller Entschiedenheit postuliert (Kreislauf der Energie). Der „Dile- ttant" Haeckel hat also richtig gesehen, und ich habe ihm also mit gutem Grund zugestimmt. Die Frage ist bekanntlich von großer Tragweite !
4. Das biogenetische Grundgesetz. In der Entwicklungs- lehre habe ich allerdings nicht in allen Punkten Haeckel zustimmten können. Ich habe in meiner Haeckel-Schrift wenigstens auf die Möglichkeit mehrfacher Entwicklungsreihen (Polygenesis und Poly- transformation) hingewiesen. Dagegen habe ich die Annehmbarkeit und Brauchbarkeit des „biogenetischen Grundgesetzes" schon damals erkannt und anerkannt. Dieses Gesetz sollte mir in der Folge noch einen merkwürdigen Dienst leisten. An der Universität Basel habe ich mich nämlich auch mit theologischen Studien befaßt. Bei meiner Lektüre der Religionsgeschichte ist mir der Entwicklungsgang der Ereignisse besonders aufgefallen. Das biogenetische Grund- gesetz, das im Dunkel meines Unbewußt-Psychischen oder Unter-
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bewußteins schlummerte, hat bei seinem Erwachen die ganze Situation in helles Licht gerückt. Ich habe nämlich bereits im Jahre 1909 die Gültigkeit des biologischen Prinzips für die gesamte Kultur erkannt. Doch haben die Umstände mir nicht erlaubt, mit der Be- gründung dieser Gesetzmäßigkeit mich ausführlich und genauer zu befassen. Erst in den nächstfolgenden Jahren (in Straßburg und Heidelberg) habe ich mich mit der Sache weiter beschäftigen können. Leider ist es mir noch nicht möglich gewesen, mein ganzes Material zu veröffentlichen. Daher habe ich beschlossen, zum 80. Geburtstag unseres hochverehrten Altmeisters und Führers wenigstens die Er- gebnisse meiner Untersuchungen in kurzen Zügen zusammenzufassen. Ich habe sie in einer Abhandlung — „Gesetz und Ordnung in der Kulturentwicklung" — an den hochverdienten Jubüar gerichtet, der sie freundlich anerkannt und angenommen hat. Sie zerfällt in zwei Teile: 1. Das psychogenetische Kulturgesetz und 2. das natür- liche periodische System der Idealkulturphasen.
Überblicke ich das Gesamtergebnis meiner philosophischen und naturphilosophischen Studien, so muß ich feststellen, daß ich die meisten positiven Anregungen von Ernst Haeckel erhalten habe, während die anderen Denker mich gar oft so „belehrt" haben, „wie man nicht denken soll". Diese negative Lehre muß ich allerdings ebenfalls mir auf das Pluskonto setzen, daher liebe ich auch meine ehrlichen Gegner. Schon aus meinen kurzen Darlegungen geht deutlich hervor, daß Haeckel fast auf allen Wissensgebieten schöpfe- risch und anregend gewirkt hat. Die Wissensgebiete sind jetzt aber so ausgedehnt und zahlreich, daß ein Universalgenie entweder un- möglich ist oder er notwendig ein „Dilettant" sein muß. Ein solches Universalgenie ohne Fachdünkel ist Haeckel. Ich bin der Ansicht, daß Ernst Haeckels Lebenswerk ein Markstein und Wendepunkt in der Kulturentwicklung darstellt und daß wir mit ihm in eine neue Epoche, in die wissenschaftliche Kulturphase eingetreten sind oder einzutreten beginnen.
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WILHELM SCHALLMAYER, KRAILLING-PLANEGG : ERNST HAECKEL UND DIE EUGENIK
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Die Anwendung der Gesichtspunkte der Entwicklungslehre auch auf das Menschengeschlecht war so unvermeidlich, daß selbst Darwin trotz seiner Scheu vor der öffentlichen Behandlung dieser Seite seiner Lehre — eine Scheu, die nach Lage der Dinge nichts weniger als unbegreiflich war — sich dieser Konsequenz nicht ent- ziehen konnte. Um die zu erwartende Gegnerschaft gegen seine Entwicklungslehre so wenig wie möglich herauszufordern, fand er es gut, in seinem 1859 erschienenen Grundwerk „Über die Entstehung der Arten" dieser Konsequenz nur durch die kurze Bemerkung Rechnung zu tragen: „Viel Licht mag auch noch über den Ursprung des Menschen und seine Geschichte verbreitet werden". Erst viel später, 1871, nachdem seine Theorie in so gewaltigem Maße Beachtung gefunden hatte, daß sie nicht mehr unterdrückt werden konnte, ver- öffentlichte er seine „Abstammung des Menschen".
Sein Freund Ernst Haeckel war in dieser Hinsicht etwas anders geartet. Seiner Siegfriednatur war vorsichtige Zurückhaltung schlecht- hin fremd, und niemals trug er das geringste Bedenken, sich vor der Öffentlichkeit zu jeder seiner Anschauungen auf das freimütigste zu bekennen, ohne irgendeine Rücksicht auf die öffentliche Meinung oder gar auf eine Gefährdung seiner persönlichen Interessen. Der Universität Jena und der Regierung des Großherzogtums Sachsen- Weimar gebührt Ruhm und Ehre für die Duldsamkeit, die sie sich gegenüber diesem unbändigem Feuerkopf abrangen. An den meisten anderen deutschen Universitäten wäre damals für einen Haeckel schwerlich ein Platz gewesen. Später allerdings erhielt Haeckel sogar einen Ruf an die Universität Berlin, aber er hatte mehr als nur einen Grund, ihn abzulehnen und Jena treu zu bleiben, unter anderen auch den der Dankbarkeit für die Duldung, die dort in kritischer Zeit von maßgebender Stelle gegen ihn geübt worden war. Damals wußte Jena schon, was es an Haeckel hatte, und noch mehr weiß das heutige Jena, wie viel es seinem Haeckel verdankt. Eine Zeit lang aber war er ernst- lich in Gefahr gewesen, diese seine Freistätte zu verlieren, wie er während eines mehrstündigen Spazierganges, den der Schreiber dieser
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Zeilen mit ihm und Professor H. E. Ziegler im Jahre 1903 in Jenas Umgebung machen durfte, uns erzählte. Der Freimut seiner Vor- lesungen schien der Aufsichtsbehörde der Universität Jena einmal das zulässige Maß allzusehr zu überschreiten; vergeblich wurden ihm amtliche Vorhaltungen darüber gemacht. Schließlich siegte, wieHaeckel erzählte, die ihm gegenüber offen ausgesprochene Erwägung, daß er ja in dem kleinen Jena nur weniger Schaden stifte als anderswo.
Wie vor keiner anderen Konsequenz der Entwicklungslehre scheute Haeckel also auch nicht davor zurück, sie auch auf die Ent- wicklungsgeschichte der Menschheit anzuwenden und aus ihr Schlüsse auf die Zukunft der Menschheit zu ziehen; auch der Grundgedanke der Eugenik, daß die Erkenntnisse der Entwicklungslehre auch prak- tisch nutzbar gemacht werden können und müssen, indem wir eine solche Gestaltung unserer sozialen Zustände und unserer Kultur über- haupt zu erstreben haben, daß mindestens eine Rasse Verschlechte- rung verhindert und allmählich auch eine Rasse besser ung erzielt wird, ist in Haeckels Schriften schon frühzeitig mehrfach angedeutet.
An der späteren Entwicklung des neuen Wissenschaftszweiges der Rassehygiene oder Volkseugenik und der auf Rassedienst gerichteten Bewegung ist Haeckel ebenfalls beteiligt, indirekt und direkt.
Auf dem Spaziergang, von dem oben die Rede war, und der, wie beiläufig bemerkt werden mag, eine gute Gelegenheit mit sich brachte, uns auch über die ungewöhnliche körperliche Rüstigkeit des damals nahezu Siebzigjährigen zu freuen, erzählte er auch, daß er die uner- wartet große Wirkung der „Welträtsel" auch noch auf andere Weise zu spüren bekommen habe, als nur durch den riesigen Absatz des Buches. Bis zum Erscheinen der „Welträtsel" hatte seine überaus starke Menschenfreundlichkeit ihn stets dazu bestimmt, jede aus ernst- haftem Interesse an seinen Publikationen hervorgegangene höfliche Zuschrift zu beantworten. Nach dem Erscheinen der „Welträtsel" aber wurde das sehr bald schlechterdings unmöglich, so riesig schwoll die Menge solcher — und zumteil auch ganz anderer — Zuschriften an, und diese Hochflut hatte sich damals noch nicht ermäßigt. Aber auch mündlich wandten sich so viele wissenschaftlich Interessierte an ihn, daß ich die ersten Worte, die ich aus seinem Mund zu hören be- kam, nur allzu begreiflich finde. Zunächst wirkten sie allerdings etwas verblüffend auf mich. Jch war brieflich zu ihm geladen, hatte mich jgggggggggggggggggggE]ggggggEiE]E]E]gE]E]E]G]E]E]G]E]E]E]GiE3E]E]E]E]E]E]E3B]E]
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24 Haeckel-Festschrift. Bd. II 3^9
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zur bestimmten Stunde im Zoologischen Institut in Jena eingestellt und ließ mich zu Professor Haeckel führen. Als ich schon eingetreten war, sah ich ihn noch beschäftigt. Das veranlaßte mich, den Wunsch auszusprechen, daß ich ihn nicht allzusehr in seiner Arbeit störe, worauf ich die Antwort erhielt: „Mich stört man ja immer in der Arbeit, das bin ich schon gewöhnt." Unter den durch Haeckels Schriften Angeregten war auch der, einige Monate vor meinem Be- such bei Haeckel aus dem Leben geschiedene größte Industrielle Deutschlands gewesen, Alfred Krupp, der auch sonst sehr starke wissenschaftliche Interessen hegte, obschon ihn die Öffentlichkeit von dieser Seite wohl nur wenig kennt. Als Krupp den Entschluß faßte, dieses Interesse auch durch eine Preisstiftung zu betätigen, bat er, da er selbst zunächst ungenannt bleiben wollte, Professor Haeckel, die Sache zu übernehmen. Das Thema, dessen Bearbeitung er durch ganz ungewöhnlich hohe Preise zu fördern wünschte, lautete: „Was lernen wir aus den Prinzipien der Deszendenztheorie für die innerpolitische Entwicklung und Gesetzgebung der Staaten?" Das Ausschreiben dieses Themas war von „Erläuterungen" begleitet, die der Stifter selbst verfaßt und mit seinen wissenschaftlichen Freunden beraten hatte. Unterzeichnet war die Veröffentlichung an erster Stelle von Prof. E. Haeckel, außerdem von den Professoren J. Conrad in Halle und E. Fraas in Stuttgart. Der erste von den ausgesetzten Preisen wurde einer Schrift erteilt, welche die obige Frage hauptsächlich im Sinne des Rassedienstes beantwortete. Dieses Ergebnis der Preis- stiftung hat zur Verbreitung des Ideals des Rassedienstes, die bei uns gerade seit diesem Zeitpunkt ausnehmend rasche Fortschritte ge- macht hat, sicherlich sehr viel beigetragen. War es doch zuvor fast unmöglich, bei uns einen angesehenen Verleger für eine Schrift mit einem derartigen Inhalt zu finden. Das hatte der Verfasser dieser Zeilen zur Genüge erfahren, als er im Jahre 1886 seine erste rasse- hygienische Schrift „Über die drohende körperliche Entartung der Kulturvölker" geschrieben hatte. Erst fünf Jahre später gelang es, sie zu veröffentlichen, aber auch dann nur unter finanzieller Sicher- stellung des Verlegers auf Kosten des Verfassers.
Daß jene rassehygienische Bearbeitung der Preisfrage zur Aus- führung kam, dazu hat Haeckel noch in besonderer Weise beigetragen. Die schon erwähnten „Erläuterungen", die der Preisfrage beigegeben
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waren, schienen nämlich eine Beantwortung der Frage hauptsächlich im Sinn des Rassedienstes aussichtslos zu machen, so daß eine der- artige Bearbeitung ganz gewiß unterblieben wäre, wenn nicht Profes- sor Haeckel auf eine dieses Bedenken betreffende Anfrage, die ihr Verfasser vor Beginn seiner Arbeit an ihn richten ließ, weitherzig und ermunternd geantwortet hätte.
Auch nachher hat Prof. Haeckel den mit Hilfe jener Stiftung ver- öffentlichten Schriften so viel Wert beigemessen, daß nach seiner Absicht der von ihm ins Leben gerufene Monistenbund „gewisser- maßen die Stelle werden sollte, welche die Gedanken der in dem Sam- melwerk, Natur und Staat' vereinigten Preisschriften nun weiteren Kreisen zugänglich machen und weitere Arbeiten dieser Art anregen sollte." F. Siebert, der erste Vorsitzende des deutschen Monisten- bundes direkt nach seiner Gründung, der im ,, Volkserzieher" vom 28. September 1913 in dem Artikel ,, Der Monistenbund" diese Mittei- lung macht, bekennt sich auch seinerseits zu der Meinung, daß so ein geeigneter Boden zu aufbauender Arbeit schon vorhanden ge- wesen wäre, indem man, wie es besonders in der ersten Preisschrift geschehen war, die Folgerungen zog, die sich aus der Entwicklungs- lehre für die zukünftige Gestaltung unseres Lebens ergeben. Diese Auffassung ist nun freilich nachher im Monistenbund nur sehr wenig zur Verwirklichung gelangt, weil eben die Tätigkeit eines derartigen Bundes weit weniger von den Grundsätzen und Idealen bestimmt wird, die zu seiner Gründung führten, als vielmehr von den Ideen und Bestrebungen der jeweils an der Spitze stehenden Personen.
Der Glanz, von dem der Name Ernst Haeckel umstrahlt ist, hat viel stärkere Quellen. Vor allem sind ja seine fachwissenschaftlichen Lei- stungen in der Zoologie und Biologie so groß, daß seinem Namen wohl niemals ein hervorragender Platz in der Geschichte der Wissenschaften bestritten werden wird, es sei denn, daß einmal jene Mächte, die nur eine ihren Interessen dienende Wissenschaft als wahre Wissenschaft gelten lassen und in der freien Forschung ein Übel sehen, in der ganzen Menschheit zum Siege gelangen. Gerade gegen diese Mächte war ja Haeckel ein so erfolgreicher Kämpfer wie nur sehr wenige. Er hat auch außerhalb seines Fachkreises die Anschauungen der Gebildeten in außerordentlichem Umfang beeinflußt. In den tonangebenden Kreisen wird freilich die Popularisierung von Forschungsergebnissen,
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soweit sie geeignet sind, die Weltanschauung und Lebensauffassung in nicht orthodoxem Sinn zu beeinflussen, vorherrschend mißbilligt. Aber um derartige geheimrätliche Grundsätze hat sich Haeckel sein Leben lang wenig gekümmert. Unabhängigkeitssinn war von Anfang an einer seiner ausgeprägtesten Züge. Es entsprach seiner Natur, rückhaltlos für das einzutreten, was er als wahr erkannt hatte. Stets galt ihm Erkenntnis bedingungslos als ein Gut, an dem die ganze Mit- und Nachwelt nach Möglichkeit teilzunehmen ein Recht hat. So hat Haeckel sich nicht damit begnügt, ein großer Forscher zu sein, er verwendete seine Kräfte nicht weniger auf weiteste Verbreitung seiner Erkenntnisse und war auch hierhin wieder besonders erfolg- reich. Wie groß der Einfluß war, den allein die unerhörte Verbreitung der „Welträtsel" auf das geistige Leben unserer Zeit in allen Kultur- ländern hatte, ist kaum zu ermessen; das aber läßt sich sagen, daß wohl selten einem Buch wissenschaftlichen Inhaltes eine so ausge- dehnte und starke Wirkung beschieden war.
In seinen jüngeren Jahren ein unermüdlicher Sucher und genialer Finder überaus bedeutungsvoller Erkenntnisse, am Abend seines Lebens ein von ungezählten Tausenden verehrter Verkünder des von ihm Erkannten, so darf Haeckel wahrlich mit Befriedigung auf sein an Arbeit, Erfolgen und Verdiensten so reiches Leben zurückblicken, wie es unter vielen Millionen kaum einer mit so gutem Rechte tun kann.
In einem Punkt, der zu den glänzendsten im Charakterbild Haeckels gehört, sollte jeder den Glauben, den Mut und den Willen haben, ihm gleichzukommen: Haeckel war zeitlebens ein leuchtendes Beispiel unbeugsamen Wahrheitsmutes. An solchen Charakteren herrscht leider niemals Überfluß, und unsere Zeit bedarf ihrer dringend. Wenn Haeckel in diesem Punkt recht vielen zum Vorbild wird, so gehört das zum Wertvollsten von dem vielen, was die Menschheit ihm verdankt.
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W. O. FOCKE, BREMEN
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Kennen gelernt habe ich Ernst Haeckel im Oktober 1855 zu Würz- burg im „Roten Ochsen", wo wir, jeder mit seinem Freundes- kreise, zu Mittag zu speisen pflegten. Während zweier Semester begegneten wir uns auch in Vorlesungen und bei sonstigen Anlässen nicht selten, doch blieb unser Verkehr ein gelegentlicher und ober- flächlicher. Als ich dann aber zu Anfang Mai 1857 m Wien eintraf, fand ich Haeckel dort vor und wurde von ihm sehr freundlich auf- genommen. Aus seinen anfangs ziemlich bunt gemischten Bekannten- gruppen sonderte sich bald eine kleine Zahl von Nordländern heraus, lauter Medizinern, die auch naturwissenschaftliche Interessen pflegten. Außer einem ehemaligen Schulgefährten Haeckels, dem Dichtersohne Adalbert Chamisso, gehörten der Zoologe Harald Krabbe aus Kopen- hagen und ein junger schottischer Arzt namens Cowan unserem Kreise an. An den gewöhnlichen Wochentagen besuchten wir fleißig Krankenhäuser und medizinische Vorlesungen, aber nicht nur Sonn- tags, sondern auch Sonnabends waren wir frei, und außerdem gab es zu Anfang des Sommers zahlreiche kirchliche Feiertage. Wir teilten unsere Zeit zwischen ernsten Studien und heiteren, mehr oder weniger naturgeschichtlichen Ausflügen. Als ich am 1. Mai in Wien anlangte, lagen die dicht belaubten und im Anfang der Blütezeit stehenden Kastanienalleen des damals noch recht breiten Glacis unter einer wuchtigen Schneedecke, und die Höhen des Wiener Waldes blickten weiß verschneit zur Stadt herüber. Das junge Buchenlaub war erfroren, aber auf den kalten, winterlichen Gruß folgte ein unge- wöhnlich warmer und fast regenloser Sommer, der unsere Wander- pläne kaum jemals störte. Die zahlreichen arbeitsfreien Tage be- nutzten wir zu Ausflügen in die schönen Umgebungen Wiens, in die wir Budapest und den Neusiedler See, Laxenburg und den Semmering mit der Raxalp einbezogen. Überwiegend war bei uns, und auch bei Haeckel, die Freude an der schönen Natur, insbesondere an der reichen Flora, vertreten, doch ließen uns unsere Zoologen auch an mancherlei Beobachtungen über Tiere, namentlich über Insekten, teilnehmen. An unseren gemeinsamen Verkehr gewöhnten wir uns bald so sehr, daß wir auch an den Arbeitstagen zur Mittagsstunde
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und am Abend fast regelmäßig zusammentrafen. Volksleben und Ungarwein sowie die Schätze der Kunst haben wir damals genügend gewürdigt; nur der Verkehr mit der holden Weiblichkeit Wiens kam bei unsern vielseitigen Bestrebungen etwas zu kurz.
So mannigfaltig auch die Tatsachen und Beobachtungen waren, die Haeckel und ich auf unsern Ausflügen austauschten, so entsinne ich mich doch aus jenen Wiener Tagen nur einer einzigen kurzen Aussprache, in der wir unsere naturwissenschaftlichen Grundanschau- ungen berührten. Es war die Zeit, in der Wallace und Darwin den Sauerteig ihrer entwicklungsgeschichtlichen Ideen noch nicht in die reichhaltige Tatsachensammlung der Zoologie und Botanik hinein- geworfen hatten. Wohl gab es manche Forscher — ich nenne nur Lyell, Weddell und Naudin — die nicht an die Spezies der Cuvierschen Lehre glaubten, aber keiner von ihnen überblickte ein hinreichend weites Gebiet, um die herrschenden Schulmeinungen ernstlich be- kämpfen zu können. Frei von dem Zwange kirchlicher Dogmen, suchte auch ich eifrig nach Beweisen für die Wandelbarkeit der organischen Arten und glaubte sie damals besonders bei Rubus, bei Lotus, in der Gruppe der Silene inflata und in ähnlichen Fällen zu finden. Eines Tages stellte mich nun Haeckel ernstlich zur Rede wegen meiner zwecklosen Beschäftigung mit gleichgültigen Abarten und „schlechten" Arten. Ich hatte vor kurzem auf einem Ausfluge eine gute Saxifraga verkannt, was Haeckel als eine Folge meiner törichten Liebhaberei für die „Varietäten" auffaßte. Auf seine Frage, was ich damit bezwecke, erwiderte ich, daß ich in solchen Abände- rungen beginnende neue Arten vermute. Haeckel meinte darauf, eine solche Anschauungsweise sei zwar verständlich, aber er halte sie ent- schieden für unrecht; er wolle den Lehren seines alten würdigen Geistlichen treu bleiben, nach welchem die wirklichen Arten unver- änderlich und einstmals selbständig erschaffen seien. Ich war über- rascht von diesen Ansichten meines sonst so vorurteilsfreien Freundes, ahnte aber nicht, daß bei ihm schon so bald der amicus Plato durch die magis amica veritas in den Hintergrund gedrängt werden würde. Als ich zu Anfang 1858 für einige Monate nach Berlin kam, traf ich dort Haeckel im Elternhause und kurz vor Beendigung seines medizinischen Staatsexamens an. Unter diesen Verhältnissen sahen wir uns seltener, doch konnte ich damals meine Stellung als Mediziner gggEjgggg]gggE]gggggg]gggggB]E]ggggggggE]E]E]E]E]E)EiE]B]E]E]E]B]E]E]E]E3E]E]
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benutzen, um ihn während der Absperrung, der er und dann auch seine alte Mutter als Pockenkranke unterworfen wurden, zu besuchen. Durch gelegentlichen brieflichen Verkehr blieb ich mit Haeckel in Verbindung, verfolgte ihn auf seiner Italienfahrt, wurde durch ihn auf meinen engeren Landsmann Hermann Allmers aufmerksam und begrüßte schließlich die reife Frucht der Reise , das große schöne Radiolarienwerk, mit Freude. Aus meinem begeisterten und schwär- menden Freunde war nun ein anerkannter Forscher geworden und die Entwicklungslehre trennte uns nicht mehr.
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L. REH, HAMBURG: ERNST HAECKEL, ER- INNERUNGEN UND EINDRÜCKE
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Etwa in meinem 15. Lebensjahre fiel mir ein Schriftchen in die Hand: „Glaubensbekenntnisse eines modernen Naturforschers", dessen Urheberschaft in einer ihm beiliegenden Anpreisung dem jungen Virchow zugeschrieben wurde. Über seinen Wert vermag ich heute nichts mehr zu sagen. Damals wirkte es jedenfalls wie eine Offenba- rung auf mich. In meinem Innersten schlummernde Gedanken und Urteile, die von mir seither gewaltsam unterdrückt waren, fanden hier schärfsten, klaren Ausdruck. Ich wurde gewissermaßen aus einer geistigen Lethargie aufgeweckt. Die Folge war, daß ich von nun an alles gierig verschlang, was mir über Darwin, Haeckel usw. in die Hände fiel, Gutes und Schlechtes. Etwa in meinem 17. Jahre las ich dann auch Haeckels „Schöpfungsgeschichte", die auf mich ebenso mächtig einwirkte wie auf Tausende anderer Menschen, und die mich endgültig zu einem begeisterten Anhänger Haeckels machte.
Von Kind auf zum Zoologen bestimmt, war es nun selbstverständ- lich, daß ich in Jena studieren würde. Sofort nach meinem Abitu- rium ging ich schon zur Ableistung meines Militär] ahres dorthin. Meine Absicht, nebenbei bei Haeckel und anderen Vorlesungen zu hören, konnte ich, wie nicht anders zu erwarten, nur höchst unvoll- kommen ausführen. Hierdurch und durch die mangelhaften Kennt- nisse in der Zoologie, die ich von der Schule mitgebracht hatte, er- klärt es sich wohl, daß ich mich in nichts mehr an den Inhalt der Vorlesungen bei Haeckel erinnere.
Umso mehr an seine Persönlichkeit. Wohl war sie mir durch Schriften von ihm und über ihn, durch Porträts usw. vertraut. Immerhin war der Eindruck, als ich Haeckel nun in vollem Leben auf dem Katheder sah, ein so mächtiger, daß mir heute noch sein damaliges Bild leben- diger vor Augen steht, als das aus seinen späteren Jahren, das sich nur wenig mit jenem vermischte. Wenn ich an Haeckel denke, sehe ich immer noch den 53 jährigen, noch ganz blonden, aufrechten, frischen Mann vor mir, wie er auf dem Katheder steht, den Blick meist durch das Fenster zu seiner Rechten in die Ferne, auf seine geliebten Saalberge gerichtet, nur hie und da ihn über seine Zuhörer schweifen
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lassend, halb geistesabwesend, halb durchdringend, als ob er in der Seele jedes Einzelnen lesen wollte. Auch die großen, abgerundeten, schwunghaften Bewegungen sehe ich noch vor mir, mit denen er die Zeichnungen an die große Wandtafel entwarf, immer nur großzügig das Wesentliche betonend, nebensächliche Kleinigkeiten vollständig außer Acht lassend. So machte es mir immer besonderen Spaß, daß er keine, eigentlich geschlossene Kurve auch wirklich schloß, sondern nur so- weit führte, bis man sah, sie solle sich schließen; den Rest zu ergänzen überließ er seinen Hörern.
Besondere Verhältnisse veranlaß ten mich, nach Abdienung meines Militär jahres zunächst wieder nach meiner Heimat, Darmstadt, zu- rückzukehren und hier einige Semester zu studieren. Aber auch hier blieb ich bis zu gewissem Grade unter Haeckelschem Einflüsse, in- dem meine beiden Zoologie-Lehrer Schüler von Haeckel waren, der künstlerisch hochbegabte Prof. Dr. G. von Koch und der genial- philosophische, wie ein leuchtendes Meteor am Biologen-Himmel auf- tauchende und ebenso rasch und vollständig wieder verschwindende Wilhelm Haacke, beide grundverschieden voneinander, geradezu Gegensätze, beide aber in gewissen Seiten ihres Wesens mit Haeckel übereinstimmend, auf jeden Fall seinen Geist und Einfluß weiter- gebend.
Als ich dann später wieder für meine Schlußsemester nach Jena kam, hatte Haeckel sich von seiner Lehrtätigkeit schon ziemlich zurückgezogen. Zwar seine Vorlesungen hielt er noch; das Prakti- kum für Mediziner usw. leitete er noch ein, überließ es dann aber in der Hauptsache seinem Assistenten. In das große Praktikum kam er nur selten und nur vorübergehend. So konnte naturgemäß sein Einfluß auf uns Studenten nicht mehr so groß und unmittelbar sein, wie in früheren Jahren, in denen er sich noch ausgiebiger mit diesen abgab.
Hier seien mir einige Worte über seine Vorlesungen gestattet. Seit nahezu 30 Jahren hatte er sie schon gehalten; die Verbindung mit der Masse seiner Zuhörer beschränkte sich in der Hauptsache auf die Prüfungen. So ist es wohl verständlich, wenn ihm allmählich das Empfinden dafür abhanden gekommen war, was und wieviel er bei diesen voraussetzen oder vielmehr eigentlich nicht voraussetzen durfte. In der Hauptsache bestand das Auditorium damals aus Medi-
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zinern und anderen Gymnasialabiturienten, denen in der Zoologie gewöhnlich auch die elementarsten Vorkenntnisse fehlten. Kein Wun- der, daß sie seinen Vorlesungen schlecht folgen und ihnen kein oder nur wenig Interesse abgewinnen konnten. Besonders trat das hervor bei denen, die Ostern kamen und nun sofort die „Allgemeine Zoo- logie" hörten, die ihnen zum großen Teile unverständlich bleiben mußte.
Ganz anders war dagegen der Eindruck auf uns Zoologie-Studie- rende, besonders auf uns ältere, die wir über die nötigen Vorkenntnisse schon verfügten, Die Durchgeistigung und vollkommene Beherr- schung des Stoffes, die klare, immer von großen Gesichtspunkten be- herrschte Vortragsweise Haeckels machten uns seine Vorlesungen geradezu zu einem hohen Genüsse, namentlich seine „Allgemeine Zoologie", die ich im ganzen dreimal hörte, mit immer steigendem Verständnisse und Genüsse.
Typisch für Haeckels Vorlesungen, und im Gegensatz zu vielen anderen war, daß er nie die Tatsachen als Selbstzweck vorbrachte, also nicht eigentlich seinen Hörern Kenntnisse vermitteln wollte; alle Tatsachen waren vielmehr für ihn nur Beziehungen, nur Glieder einer Kette, nur Äußerungen von Naturgesetzen. Ganz besonders trat diese philosophische Durchdringung auch des sprödesten Tat- sachenmateriales hervor, als Haeckel in unserem letzten Winter- semester in seiner Vorlesung über die Wirbeltiere mit größter Ge- nauigkeit und Ausführlichkeit die Zahnformeln der ausgestorbenen und lebenden Säugetiere behandelte, nicht gerade zur Erbauung seiner medizinischen Hörer, auch nicht zum Ergötzen von uns älteren Zoo- logie-Studierenden, die wir bald bei ihm promovieren wollten und nur mit Schrecken an diese Unendlichkeit von Zahlenformeln denken konnten. In der Vorlesung war es für uns aber bewundernswert zu sehen, wie Haeckel nicht nur alle diese Formeln beherrschte, sondern auch zu deuten und zu verknüpfen verstand, daß uns an ihnen die Phylogenie der Säugetiere fast plastisch entgegentrat. Und, nur nebenbei sei es bemerkt, in der Prüfung verschonte uns Haeckel mit den Formeln, bzw. nahm es nicht übel, wenn wir sie nicht genau kannten, solange wir nur ihren Sinn zu deuten wußten.
Es ist eine alte Erfahrung, daß so leicht kein Akademiker den Einfluß seiner Lehrer im späteren Leben verleugnen kann. Fast jeder
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der letzteren, sobald er nur von einiger Bedeutung ist, macht „Schule". Man sollte nun annehmen, daß der Einfluß einer so über- ragenden Persönlichkeit wie der Haeckels auf seine Schüler ein ganz besonders großer hätte sein müssen, daß also Haeckel ganz besonders „Schule" gemacht habe. Wie alle seine Freunde wissen, und wie Haeckel selbst oft zugegeben hat, offenbar mit einem leisen Be- dauern, ist das aber keineswegs der Fall. So groß sein Einfluß auf unser allgemeines Kulturleben ist, so gering war er verhältnismäßig auf seine Schüler. Er selbst rechnet nur wenige seiner früheren Hörer dazu; und ich bin stolz darauf, von ihm selbst dazu gestellt zu werden.
Auch nach meinem Abgange von der Universität suchte ich diesen Einfluß Haeckels auf mich zu erhalten, durch Studium seiner Schriften, der alten und der neu erscheinenden. Gelegentliches Wiedersehen, hie und da ein Brief und andere Freundschaftszeichen Haeckels sorgten dafür, daß auch der unvergleichliche Zauber seiner einzigartigen Persönlichkeit nicht erlosch.
Es dürfte schwer der ganze Einfluß einer so vielseitig genialen Persönlichkeit auf seine beeinflußbaren Schüler festzustellen sein. Ich möchte daher nur drei Seiten seines Charakters kurz erwähnen, die immer, im Hörsaale, im Verkehr und in seinen Schriften beson- deren Eindruck auf mich machten.
In erster Linie dürfte da Haeckels künstlerische Betrachtung der ganzen Natur, seine glühende Begeisterung für alle ihre Schönheiten, von ganzen Landschaften bis herab zu den kleinsten ihrer Gebilde, zu nennen sein, die überall bei ihm zutage trat und seinen Vorlesungen einen eigenen Reiz verliehen. Haeckels Bedeutung für die künst- lerische Wertschätzung der Natur ist so allgemein anerkannt, daß hierüber Worte nicht weiter zu verlieren sind.
Wie schon erwähnt, war die geistige, philosophische Durchdrin- gung des wissenschaftlichen Tatsachenmateriales wohl die hervor- stechendste Eigenart seiner Vorlesungen und ist es auch in seinen Werken. Darauf beruht ja auch in erster Linie seine allgemeine Be- deutung. Selbst seine ärgsten Gegner stehen hierin völlig unter seinem Einflüsse. Es braucht also auch hierauf nicht weiter eingegangen zu werden.
Wie oft wurde und wird Haeckel der Vorwurf gemacht, er spiele sich als „Papst" auf. Kaum Jemand aber kann bescheidener und duld- §Si3333333333ilS93E]E]ggggG]ggggg§E]gE]E]E]gE)G]E]G]G]E]Eiü]E]E]GSG]G]E]E]
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33S!3E3S3SS0333333a3S33S3SSSS3S3gE]ggggggB]ggE]EjgggE]EiB]E]g samer sein als gerade er. Immer und immer wieder führte er uns, seinen Schülern, zu Gemüte, und bekennt er auch in seinen Schriften, daß es keine absolute Wahrheit gäbe, sondern nur eine relative. Unsere Naturkenntnis und -erkenntnis im kleinsten wie im größten, von einer beliebigen Tatsache bis zu Weltanschauungsfragen, sind nur Produkte unseres gegenwärtigen Entwicklungszustandes. Wahrheit als solche gibt es nicht, nur relative Augenblicks Wahrheit, die aber jeder Mensch zu ergründen suchen müsse und für die er mit seinem ganzen Wesen einzustehen habe.
Diese Einsicht macht bescheiden und duldsam. Und Bescheiden- heit und Duldsamkeit sind mit die hervorragendsten Charakterzüge Haeckels, die ihm von seinen Gegnern zwar immer abgesprochen werden, die aber seine Freunde und Schüler immer wieder von neuem an ihm bewundern müssen. Unduldsam wird Haeckel nur, wo er Böswilligkeit oder wenigstens Mangel an gutem Willen voraussetzt oder vermutet. Hier allerdings kann er in seinem Urteile nicht nur außerordentlich hart, sondern selbst ungerecht werden. Gewiß ist das ein Fehler von ihm. Aber wo wäre der seiner Gegner, der frei von Fehlern ist, und wo ist der, der so bereit wäre, Fehler und Irr- tümer einzusehen, einzugestehen und wieder gut zu machen wie Haeckel ?
Wie aus Allem ersichtlich, mußte ich so allmählich von Haeckels Einfluß förmlich durchdrungen werden. Und das erklärt wohl auch, wie merkwürdig es mir mit seinen „Welträtseln" erging. Er selbst sandte mir das Buch mit der Bitte, darüber zu referieren. Ich tat das in der „Naturwissenschaftlichen Wochenschrift" Bd. 15, 1900, und besprach es, wie jedes andere Haeckelsche Buch, ohne Ahnung, welches Aufsehen es bald erregen sollte. War doch für mich kein Gedanke darin, den ich nicht schon aus Haeckels früheren Schriften kannte oder der nicht eine einfache, logische Folgerung der darin geäußerten war oder wenigstens mir schien.
Von dem Sturme, den die „Worträtsel' ' erregten, für und wider, wurde ich also vollkommen überrascht. Mag man sich dazu stellen, wie man will — ich bekenne mich gerne und freudig zu ihnen — , eines muß wohl auch der schärfste Gegner zugeben: sie haben in einer Weise aufrüttelnd gewirkt, wie wohl selten ein Buch. Die geistige Trägheit, die ja charakteristisch ist für die große Masse,
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hat einen Stoß erhalten, der sich noch jetzt, nach 15 Jahren über- all fühlbar macht. Die lebhafte, an sie anknüpfende Diskussion hat allseitig ein früher nie für möglich gehaltenes Interesse für die Naturwissenschaften geweckt, das seinen deutlichsten Ausdruck findet in der Flut von naturwissenschaftlicher Literatur, mit der die Verleger sich gegenseitig zu überbieten suchen. Mag man über die „Volksaufklärung" denken wie man will, mag unter der er- wähnten Literatur noch so viel Minderwertiges sein, ich müßte kein Zoologe und nicht ein Schüler Haeckels sein, wenn ich mich nicht über dies drängende Verlangen nach naturwissenschaftlicher und natur- philosophischer Aufklärung freuen sollte. Und haben nicht von diesem Drängen der naturwissenschaftliche Unterricht in der Schule, die naturwissenschaftlichen Institute letzten Endes große Förderung er- fahren ? Ob das alles so gekommen wäre ohne den mächtigen Trom- petenstoß der „Welträtsel"?
Selbstverständlich haben auch sie nichts Neues geschaffen, son- dern nur Latentes geweckt ; auch sie waren nur ein Glied in der Ent- wicklung.
Damit ist die Wirkung der Haeckelschen Schriften aber nicht erschöpft. Am meisten äußert sie sich, wie nicht anders zu erwarten, in der Biologie selbst, besonders in der Zoologie im weitesten Sinne. Um sich ein Bild von dieser Wirkung zu machen, genügt es, zoologische Schriften etwa aus der 1. Hälfte des vorigen Jahrhunderts mit jetzigen zu vergleichen. Mindestens in der Zoologie dürfte seit Jahrzehnten keine Arbeit veröffentlicht sein, die nicht auf Grundlagen fußt, die erst von Haeckel in die Wissenschaft eingeführt sind, oft unter dem Widerstände der zünftigen Wissenschaft. Und mit am meisten findet man Haeckels Spuren in den Schriften seiner Gegner, besonders auf naturphilosophischem Gebiete, die oft völlig auf Haeckelschen Grund- lagen aufgebaut sind, nur daß dann andere Folgerungen daraus ge- zogen werden.
Aber unser ganzes Leben ist von Haeckelschem Einflüsse durch- tränkt, unsere Literatur, Soziologie, Ethik, selbst die moderne Theo- logie. Überall wird mit den Begriffen Vererbung, Anpassung, Kampf ums Dasein, Zuchtwahl, Entwicklung usw. gearbeitet ; Begriffe, deren Einführung in die Geisteswissenschaften, scharfe Fassung und Ver- ständnis vorwiegend Haeckel zu verdanken sind.
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Fraglich könnte es nur sein, wieviel von diesen Begriffen auf Dar- win, wieviel auf Haeckel zurückzuführen ist. Ohne aber Darwins Verdiensten irgendwie zu nahe treten zu wollen : das unterliegt keinem Zweifel, daß der Siegeszug seiner Ideen in erster Linie dem entschlos- senen, begeisterten und überzeugenden Eintreten Haeckels für sie zu danken ist, ebenso wie ihre Anwendung auf philosophische Fragen und unsere ganze Kultur.
In der Tat dürften wir alle noch viel zu sehr unter der Einwir- kung dieser Haeckelschen Gedankenarbeit stehen, um sie ganz wür- digen und überschauen zu können. Ihr völlig gerecht zu werden, bleibt der Zukunft überlassen.
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HEINRICH HAECKEL: PERSÖNLICHE ERINNE- RUNGEN AN ERNST HAECKEL
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Wenn es mir als einem der nächsten Verwandten Ernst Haeckels vergönnt ist, an dieser Stelle zu schildern, wie er durch seine Person und durch seine Ideen auf mich einwirkte, so hat diese Schil- derung vielleicht darin etwas Besonderes, von den übrigen Beiträgen zu dieser Festschrift Abweichendes, als sie einmal zeigen kann, wie die Einwirkung sich gestaltete, wenn sie schon in frühester Jugend auf ein Kind der Mitte des 19. Jahrhunderts traf, und sodann, weil ich in fünfzigjährigem, innigen Verkehr mit dem seltenen Manne sein Wesen so gut kennen lernte wie nur wenige; die Begeisterung des Knaben für seine urgermanische Lichtgestalt ging bei wachsen- dem Verständnis seiner gewaltigen Leistungen über in bewunderndes Aufschauen zum Heros der Wissenschaft, um im Lauf der Jahre bei immer tieferem Vertrautwerden mit dem Menschen sich zu warmer Freundschaft zu entwickeln.
Soweit mein Gedächtnis in die ersten Zeiten dämmernden Bewußt- seins zurückreicht, leuchtet Ernst Haeckel als die markanteste Per- sönlichkeit unter allen Erinnerungsbildern hervor. Ein sehr aus- geprägter Familiensinn verband ihn aufs innigste mit seiner Mutter, meiner Großmutter, und seinem einzigen, um 10 Jahre älteren Bruder, meinem Vater. Dadurch daß die Großmutter als Witwe nach Pots- dam, dem Wohnsitz meines Vaters, zog und zuletzt in demselben Hause mit uns wohnte, kam es, daß Ernst Haeckel wenigstens zwei- mal in jedem Jahr zu längerem Besuch zu uns kam. Diese Zeiten wur- den stets als ein Fest erwartet, das Strahlende seiner sieghaften Natur brachte Licht und erhöhtes Leben in das Haus, seine Liebenswürdig- keit und übersprudelnde Lustigkeit im Umgang mit der übermütigen Kinderschar nahm uns völlig gefangen, und so wirkte schon auf mich als Knaben der Zauber seiner gewinnenden Persönlichkeit.
Daneben aber dämmerte schon bald die Empfindung auf, einen ungewöhnlich groß angelegten, schöpferischen Mann vor sich zu haben. Schon die Art seiner Zeitverwendung zwang uns zur Be- wunderung. Das war ganz etwas anderes, als was wir unter Genuß der Ferien verstanden. Saß er im Zimmer bei der Großmutter, so
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Besonderen Eindruck machte die Art, wie grundverschiedene Weltanschauungen hier aufeinander trafen und doch sehr gut mit- einander auskamen. Die Mutter und der Bruder standen auf einem, wenn auch liberalen, so doch durchaus festen christlichen Stand- punkt, sie waren überzeugt religiöse Naturen in den Bahnen Schleier- machers, zu dessen Füßen die Mutter gesessen hatte — und daneben der Sohn, der volle Freigeist, der, sprühend von Übermut, gelegentlich auch leichte Neckereien gegen den frommen Glauben der Mutter nicht zurückhalten konnte. Da war es rührend und reizend zug: zu sehen, wie bei der sonst so strengen Frau das Bestreben, ihren eigenen religiösen Standpunkt zu wahren, stritt mit der innigen Liebe zu „ihrem Jungen", wie sie noch in hohen Jahren den Sohn zu nennen pflegte, und dem Stolz auf die wachsende Berühmtheit des Sohnes. Aber nie führte dieses liebenswürdige Geplänkel zu einem ernsthaften Konflikt.
Unter diesen Umständen ist es begreiflich, daß Ernst Haeckels Ideen Eingang bei mir fanden, sobald ich Weltanschauungsfragen näher trat. Die „Natürliche Schöpfungsgeschichte" wurde von mir und gleichgesinnten Freunden schon während der Schulzeit mit Be- geisterung verschlungen, bald kamen die populären Vorträge und die „Anthropogenie" dazu. Ein Vortrag, von ihm in der Wohnung "ggG]ggggggggG]G]G]ggggg3gggggGjB]B]E]E]B]E]E]E]E]EiB]E]G]B]B]G]E]B3G]sjG3S3SSS
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Besonderen Eindruck machte die Art, wie grundverschiedene Weltanschauungen hier aufeinander trafen und doch sehr gut mit- einander auskamen. Die Mutter und der Bruder standen auf einem, wenn auch liberalen, so doch durchaus festen christlichen Stand- punkt, sie waren überzeugt religiöse Naturen in den Bahnen Schleier- machers, zu dessen Füßen die Mutter gesessen hatte — und daneben der Sohn, der volle Freigeist, der, sprühend von Übermut, gelegentlich auch leichte Neckereien gegen den frommen Glauben der Mutter nicht zurückhalten konnte. Da war es rührend und reizend zugleich zu sehen, wie bei der sonst so strengen Frau das Bestreben, ihren eigenen religiösen Standpunkt zu wahren, stritt mit der innigen Liebe zu „ihrem Jungen", wie sie noch in hohen Jahren den Sohn zu nennen pflegte, und dem Stolz auf die wachsende Berühmtheit des Sohnes. Aber nie führte dieses liebenswürdige Geplänkel zu einem ernsthaften Konflikt.
Unter diesen Umständen ist es begreiflich, daß Ernst Haeckels Ideen Eingang bei mir fanden, sobald ich Weltanschauungsfragen näher trat. Die „Natürliche Schöpfungsgeschichte" wurde von mir und gleichgesinnten Freunden schon während der Schulzeit mit Be- geisterung verschlungen, bald kamen die populären Vorträge und die „Anthropogenie" dazu. Ein Vortrag, von ihm in der Wohnung
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der Großmutter vor Freunden und Bekannten über die Gasträa- theorie an der Hand von vielen Tafeln mit Abbildungen gehalten, ist einer meiner ersten Eindrücke naturwissenschaftlicher Art.
So kam es, daß die Entwicklungslehre, fast möchte ich sagen, mit der Muttermilch von mir eingesogen wurde. Später, beim Studium der Medizin, vor allem durch die Vorlesungen Gegenbaurs, konnten die Haeckelschen Ideen nur noch befestigt und vertieft werden. Die hohe Blüte aller Gebiete der Naturerkenntnis, der volle Glanz des Zeitalters der Naturwissenschaft lag auf meiner Studienzeit. Nimmt man dazu, daß auch Haeckels Goetheverehrung früh auf mich überging und in dem weimarischen Großen die reifste Frucht deut- schen Geisteslebens erblicken ließ, so ist es erklärlich, daß sich mir nach nur geringem Kampf mit anderen Gedankenkreisen eine Welt- anschauung in den Bahnen der Entwicklungslehre wie von selbst ge- staltete und bis heute zu restlos innerer Befriedigung unverändert geblieben ist. Die Bildung dieser Weltanschauung ging so vor sich, daß sie mir wie ein Produkt der Natur, wie ein durchaus selbst- verständlicher Ausfluß der Atmosphäre, in der ich atmete, erschien und mich vor vielen Konflikten zwischen Glauben und Wissen be- wahrte, mit denen andre sich lange auseinanderzusetzen haben. Da- für ist mir freilich das Glücksgefühl der Anderen entgangen, bei denen das Bekanntwerden mit Haeckels Ideen in reiferen Jahren wie eine plötzliche Offenbarung wirkte. Viele, und besonders solche, die aus strengkirchlichen und hochkonservativen Kreisen stammen, haben mir geschildert, wie es ihnen namentlich beim Lesen der „Welträtsel" wie Schuppen von den Augen gefallen sei, wie sie auf einmal befreit von verstaubten Vorurteilen die frische Luft der neuen Erkenntnis eingesogen, freudig erstaunt in eine freie, lichte Welt neuer Vor- stellungen geschaut haben.
Später war es mir während meiner mehr als zehnjährigen Tätig- keit als Assistent an der chirurgischen Klinik in Jena und Dozent an der Universität vergönnt, in fast täglichem Verkehr Ernst Haeckel näher und näher zu treten und voll den Zauber zu empfinden, dem die meisten unterliegen, welche persönlich mit ihm in Berührung kommen. Neben der gewinnenden Liebenswürdigkeit und frischen Natürlichkeit seines Wesens trat imponierend hervor der hohe sitt- liche Gehalt seiner Persönlichkeit. Bei all seinen Äußerungen auf
SE]G]gggggggE]gggG]ggE]gggE]gggggggE]E]G]E]E]E]G]gJG]E]G3B]gG]S]E]E]gG3E]ElE]G3 25 Haeckel-Festschrift. Bd. II 385
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dem Katheder und im Gespräch hatte man den Eindruck vollkom- mener Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit; man fühlte: das, was er sagt, ist seine feste Überzeugung. Für ihn waren die Worte nicht da, um die Gedanken zu verbergen. Nun gibt es viele, die zwar nichts gegen ihre Überzeugung sagen, aber noch lange nicht alles sagen, was ihre Überzeugung ist. „Das Beste, was du wissen kannst, darfst du den Buben do< h ni< ht sagen" ist nie Haeckels Sache gewesen. In seinem erfrischenden Freimut hielt er nie mit seiner Ansicht hinter dem Berge, und äußere Rücksichten konnten ihn nie dazu bringen, seine wahre Meinung ZU unterdrücken. Aber die hohe Auffassung seines Berufs als Forscher und Lehrer führten ihn noch weiter; war das, was seine eigene Überzeugung geworden, richtig, so empfand er es als zwingende Pflicht, es nichi bloß einem kleinen Kreise von Zu- hörern, sondern mit allen Konsequenzen Allen zugänglich zu machen, und so entstanden seine zahlreichen, für die weitesten Kreise be- rechneten Werke. Wie sein sie in das Volk gedrungen, sehe ich oft beim Gang dun h die Säle meines Krankenhauses; da finde ich oft die Welträtsel bei den einfachsten Leuten, denen ich nie die Neigung zu sol< hen Studien zugetraut hätte.
So überzeugt Haeckel klar Erkanntes festhielt, klebte er doch nichi an vorgefaßten Meinungen fest, sondern war bereit, sie bei I« .']<i Erkenntnis zu ändern. So wurde er, politisch sonst nicht im Sinne von Parteileben ausgesprochen interessiert, aus einem Gegner Bismarcks, in dem er zur Konfliktszeil nur den reaktionären
I preußischen Junker sah, mit der Zeit ein begeisterter Verehrer des | Reichsgründei i und einer der Hauptveranlasser zu dem berühmten I Besuch Bismarcks in Jena r.892, Lebhaft steht mir vor Augen die Art, wie die Einladung ZU diesem Besuch zustande kam, und sie ist zuglei< h sein bezeii hnend für Hae< kels Weise, frisch und unbe- kümmert um Schwierigkeiten und Bedenken eine Sache in die Hand zu nehmen. Wir saßen an einem warmen Juliabend auf der Schweizer- hohe, einei jener kleinen Bergwirtschaften bei Jena, die Erregung I ul>ei die Ereignisse bei Bismarcks Aufenthalt in Wien war groß, [sein begeisterte! Empfang in München wurde lebhaft besprochen, i Da wart einei aus der Korona das Wort hin, dann könne man ja
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Erstaunlich war seine Arbeitskraft und -lust. Während des Se- mesters sah ihn sein Institut Tag für Tag mit der größten Regel- mäßigkeit an der Arbeit, vom Morgen bis spät in den Abend, nur durch die Vorlesung und eine kurze Mittagspause unterbrochen. Um in der Woche möglichst ungestörte Zeit /um Hinteremanderarbeiten zu haben, wurde im Anfang des Winters regelmäßig eine kleine Komödie aufgeführt. Die Studenten, welche das sehr beliebte zoologische Praktikum Haeckels belegen wollten — es stand im Lektionskatalog unter ..noch zu bestimmenden Stunden" — mußten sich äußern, welche Stunden sie noch frei hätten: bei allen Überlegungen fanden sich natürlich nie in der Woche Stunden, welche allen paßten, und so wurde durch freie Wahl der Studiosen das Praktikum stets auf 4 Stunden des Sonniagsvormittags gelegt: eine unerhörte Abweichung von alten akademischen Gewohnheiten — aber die Studenten hatten es ja selbst so gewollt' Ich konnte Haeckels unverwüstliche Arbeits- kraft besonders bewundern, als er sich einen schweren Knöchelhrueh zugezogen hatte. Wahrend der Behandlung, die er mir anvertraut hatte, war ich erstaunt, schon nach wenigen Tagen, wo das Bein noch sehr schmerzte und auf eine Schiene gewickelt sich in nicht sehr bequemer Lage befand, zu einer Zeit, wo andre Patienten sich noch voll gehen lassen und von ihren Leiden ganz beherrscht sind. zu sehen. d.\\j um das Krankenlager herum eine Menge Bucher auf- gestapelt waren und er sich mitten im Schreiben befand. Wie em Tiger über seinem Raube saß er schon wieder über der Arbeit und förderte m den Wochen der unfreiwilligen Muße an seiner ..Svste- j manschen Phylogenie" mehr, als er sonst in der doppelten Zeit •
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dem Katheder und im Gespräch hatte man den Eindruck vollkom- mener Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit ; man fühlte: das, was er sagt, ist seine feste Überzeugung. Für ihn waren die Worte nicht da, um die Gedanken zu verbergen. Nun gibt es viele, die zwar nichts gegen ihre Überzeugung sagen, aber noch lange nicht alles sagen, was ihre Überzeugung ist. „Das Beste, was du wissen kannst, darfst du den Buben doch nicht sagen" ist nie Haeckels Sache gewesen. In seinem erfrischenden Freimut hielt er nie mit seiner Ansicht hinter dem Berge, und äußere Rücksichten konnten ihn nie dazu bringen, seine wahre Meinung zu unterdrücken. Aber die hohe Auffassung seines Berufs als Forscher und Lehrer führten ihn noch weiter; war das, was seine eigene Überzeugung geworden, richtig, so empfand er es als zwingende Pflicht, es nicht bloß einem kleinen Kreise von Zu- hörern, sondern mit allen Konsequenzen Allen zugänglich zu machen, und so entstanden seine zahlreichen, für die weitesten Kreise be- rechneten Werke. Wie sehr sie in das Volk gedrungen, sehe ich oft beim Gang durch die Säle meines Krankenhauses ; da finde ich oft die Welträtsel bei den einfachsten Leuten, denen ich nie die Neigung zu solchen Studien zugetraut hätte.
So überzeugt Haeckel klar Erkanntes festhielt, klebte er doch nicht an vorgefaßten Meinungen fest, sondern war bereit, sie bei besserer Erkenntnis zu ändern. So wurde er, politisch sonst nicht im Sinne von Parteileben ausgesprochen interessiert, aus einem Gegner Bismarcks, in dem er zur Konfliktszeit nur den reaktionären preußischen Junker sah, mit der Zeit ein begeisterter Verehrer des Reichsgründers und einer der Hauptveranlasser zu dem berühmten Besuch Bismarcks in Jena 1892. Lebhaft steht mir vor Augen die Art, wie die Einladung zu diesem Besuch zustande kam, und sie ist zugleich sehr bezeichnend für Haeckels Weise, frisch und unbe- kümmert um Schwierigkeiten und Bedenken eine Sache in die Hand zu nehmen. Wir saßen an einem warmen Juliabend auf der Schweizer- höhe, einer jener kleinen Bergwirtschaften bei Jena, die Erregung über die Ereignisse bei Bismarcks Aufenthalt in Wien war groß, sein begeisterter Empfang in München wurde lebhaft besprochen. Da warf einer aus der Korona das Wort hin, dann könne man ja auch Bismarck nach Jena einladen. Halb als Phantasiespiel wurde
alsbald ausgesponnen, was man ihm in Jena bieten könne, was für
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ein Programm ins Auge zu fassen sei, doch fast niemand nahm die Sache ernst, da es ausgeschlossen schien, daß Bismarck in unsere kleine Universitätsstadt kommen werde. Bei Haeckel aber blieb diese hingeworfene Idee sitzen: warum sollte man es nicht versuchen? Das Schlimmste könne eine Ablehnung sein; eine solche Gelegenheit kehre nie wieder, also frisch gewagt ! Schon nach wenigen Tagen war er mit einigen Gleichgesinnten auf der Reise nach Kissingen, um Bismarck einzuladen, auf der Rückreise nach Varzin in Jena Aufent- halt zu nehmen. Der Empfang dort war über Erwarten freundlich, und es kam, was die Einladenden selbst kaum gehofft hatten, zu dem unvergeßlichen Besuch des Fürsten in Jena.
Erstaunlich war seine Arbeitskraft und -lust. Während des Se- mesters sah ihn sein Institut Tag für Tag mit der größten Regel- mäßigkeit an der Arbeit, vom Morgen bis spät in den Abend, nur durch die Vorlesung und eine kurze Mittagspause unterbrochen. Um in der Woche möglichst ungestörte Zeit zum Hintereinanderarbeiten zu haben, wurde im Anfang des Winters regelmäßig eine kleine Komödie aufgeführt. Die Studenten, welche das sehr beliebte zoologische Praktikum Haeckels belegen wollten — es stand im Lektionskatalog unter „noch zu bestimmenden Stunden" — mußten sich äußern, welche Stunden sie noch frei hätten; bei allen Überlegungen fanden sich natürlich nie in der Woche Stunden, welche allen paßten, und so wurde durch freie Wahl der Studiosen das Praktikum stets auf 4 Stunden des Sonntagsvormittags gelegt : eine unerhörte Abweichung von alten akademischen Gewohnheiten — aber die Studenten hatten es ja selbst so gewollt! Ich konnte Haeckels unverwüstliche Arbeits- kraft besonders bewundern, als er sich einen schweren Knöchelbruch zugezogen hatte. Während der Behandlung, die er mir anvertraut hatte, war ich erstaunt, schon nach wenigen Tagen, wo das Bein noch sehr schmerzte und auf eine Schiene gewickelt sich in nicht sehr bequemer Lage befand, zu einer Zeit, wo andre Patienten sich noch voll gehen lassen und von ihren Leiden ganz beherrscht sind, zu sehen, daß um das Krankenlager herum eine Menge Bücher auf- gestapelt waren und er sich mitten im Schreiben befand. Wie ein Tiger über seinem Raube saß er schon wieder über der Arbeit und förderte in den Wochen der unfreiwilligen Muße an seiner ,, Syste- matischen Phylogenie" mehr, als er sonst in der doppelten Zeit
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geschafft hätte. Dieses Arbeitsbedürfnis zeigte sich auch auf gemein- schaftlichen Reisen und Exkursionen. Sich behaglich ins Gras zu strecken und den Himmel anzuschauen, lag ihm nicht, ebensowenig, wie längere Zeit an einem Ort rein als Erholungsaufenthalt zu weilen ; häufig den Ort wechseln, Neues sehen und dabei produktiv tätig sein d. h. malen, das war seine Neigung. Als wir mit einem gemeinschaft- lichen Freunde noch vor fünf Jahren in einem kleinen Motorboot auf dem Vierwaldstätter See fuhren, wo man sich doch sonst so gern auf dem Wasser einem dolce far niente hingibt, ließ er wiederholt halten, um vom Boot aus hier eine Kapelle, dort ein altes Haus zu aqua- rellieren, ja selbst auf dem vielbesuchten Hauptaussichtspunkt des Pilatus, dem „Esel", mußte inmitten zahlreicher Touristen rasch die Kette der fernen Schneegipfel ins Skizzenbuch eingefangen werden. Bei diesen Aquarellstudien trat der schon erwähnte Zug seines Wesens, die Art, wie er eine Sache in Angriff nimmt, sehr bezeichnend in Erscheinung. Ebenso wie er frisch und flott an wissenschaftliche Probleme heranging und ohne viel Bedenken und zaghaftes Zaudern den Stier an den Hörnern faßte, so schreckte ihn auch beim Aqua- rellieren keine Schwierigkeit zurück, und Maler vom Fach sagten ihm vor manchen Skizzen, das hätten sie nie gewagt, anzupacken.
Dieser Arbeitsfreude konnte er nun nach Herzenslust fröhnen im stillen Jena; hier fehlten die tausend Sitzungen, Kommissionen, Examina der großen Universität, die Geselligkeit raubte wenig Zeit, ungestört konnte er sich ganz in seine Arbeit vertiefen, und nur der Möglichkeit dieser ungeheuren Konzentration ist die überwältigende Fülle seiner Werke zu verdanken.
Ein hervorstechender Zug seines Wesens ist eine große Einfach- heit in seinen Lebensverhältnissen ; das ist ein Erbstück seiner Mutter, die, obwohl sie wohl in der Lage war, sich ein behagliches Leben zu gestatten, in fast puritanischer Einfachheit lebte. In Kleidung, Essen, auf Reisen ist ihm das Einfachste das Liebste; sich helfen, bedienen lassen, ist ihm greulich: was man selbst machen kann, soll man selbst machen. Hotels ersten Ranges sind ihm verhaßt, und wenn er doch einmal als Gast reicher Freunde darin wohnen muß, so ist es spaßhaft zu sehen, wie er in gewohnter einfacher Weise auftritt, unbeirrt durch eine glänzende internationale Gesellschaft. An einem heißen Augusttage ging ich mit ihm über die Strandprome- jgs]gggE]ggggggggE]gggggE]gE]ggG]ggggE]EjE]E]E]E]B]E]E]E]E]E]E]E]B]B]BiE]E]gE]Ei
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nade in Saßnitz, er zog sich die Jacke aus und lachte vergnügt über die mißbilligenden Blicke der Badegäste, welche über den Wanderer in Hemdsärmeln ihre Empörung nicht unterdrücken konnten. Sehr gelungen war es auch, zur Zeit der letzten Pariser Weltausstellung mit ihm über die Boulevards zu gehen und die erstaunten Augen der zylindertragenden, eleganten Menschheit zu sehen, wenn sie der hohen Gestalt in grauer, einfacher, kurzer Joppe und dem mächtigen, breitkrempigen Schlapphut nachblickten — „Schöpfungshut" wurde er in Jena genannt, da ein Hutmacher in Österreich und begeisterter Ver- ehrer der „Schöpfungsgeschichte" ihm alljährlich ein Prachtexemplar dieser Gattung schenkte.
Dieser ausgesprochene Sinn für Einfachheit im täglichen Leben hat dazu geführt, daß er, der im geistigen Leben nicht fortschrittlich genug sein kann, in seinen häuslichen Lebensgewohnheiten durchaus konservativ ist. Konservativ ist er außerdem noch auf einem andern Gebiete, dem der bildenden Kunst. Während er in der Wissenschaft mit Begeisterung jeden Fortschritt begrüßt und sich nicht im gering- sten scheut, Altes niederzureißen und Neues aufzubauen, ist er auf dem Gebiete der Kunstauffassung dem Standpunkt treu geblieben, den sie etwa um die Mitte des letzten Jahrhunderts hatte. Ihm spielt der Inhalt des Kunstwerks noch eine ausschlaggebende Rolle für seine Bewertung, während die bloße Vollendung der Form, die Hoch- schätzung der Qualität, das l'art pour l'art keinen Eingang bei ihm fand. Der Impressionismus, Pleinairismus, die Sezession, geschweige denn die modernsten Ausläufer der Kunstentwicklung liegen ihm fern. Bei der nur als Jüngling bezeichneten Statue von Adolf Hilde- brand in der Nationalgalerie vermißte er doch bei aller Bewunderung der klassisch vollendeten Form, daß nicht gesagt sei, was sie vor- stellen solle, daß man sich also nichts dabei denken könne.
Neben dem hohen Ernst seines Schaffens bewahrte er sich aber trotz manchem Schweren, das ihm das Leben gebracht, doch einen hohen Grad von Fröhlichkeit. La joie de l'esprit en marque la force, und wenn Fröhlichkeit die Mutter aller Tugenden ist, so hat sich das bei ihm bewährt. Wenn wir mit jüngeren und älteren Freunden und Kollegen nach einer wissenschaftlichen Sitzung zusammen waren oder nach einem Gang über die Jenenser Berge in einer der reizenden Bergwirtschaften bei einem bescheidenen Abendessen saßen,
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dann übertraf er uns Jüngere alle an Lebhaftigkeit, weithin tönte sein ansteckendes Lachen, und gegen sein sprühendes Temperament kamen wir uns wie Greise vor. Dabei konnte sich seine Lustigkeit in harmlosester Weise äußern. Wenn wir beim Abstieg von den Bergen in den Feldern die eigentümlich schnarrenden Töne des Wiesen- schnerzes hörten, so rief er stets mit schallendem Lachen: „Da ist ja wieder der Geist des Kirchenrats N." — so hatte sein Freund Gegenbaur den Wiesenschnerz getauft wegen der auffallenden Ähn- lichkeit seiner Stimme mit dem schnarrenden Organ des Kirchenrats auf der Kanzel. Dieser Grundzug der Freudigkeit ist ihm auch heute noch geblieben, wo der Achtzigjährige zu seinem Leidwesen durch eine schwere Hüftverletzung sehr in seiner freien Beweglichkeit be- hindert ist. Daß er einer seiner größten Liebhabereien, dem Wandern und Reisen, ganz hat entsagen müssen, trifft den früher so Beweg- lichen besonders schwer, und er klagt lebhaft über sein Schicksal. Aber bei angeregter Unterhaltung macht sich bald auch heute noch seine unverwüstliche Freudigkeit Bahn, das Erfrischende seines Wesens bricht leuchtend durch, und der Alte ist dann ganz wieder der alte.
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ORTSGRUPPE LEIPZIG DES DEUTSCHEN MONISTEN- BUNDES
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Vorbemerkung des Herausgebers: Schon beinahe fertig mit der Zusammenstel- lung dieser Haeckel-Schrift, erhalte ich aus Leipzig die Nachricht, daß die dortige Ortsgruppe des Monistenbundes im kleinen Maßstab schon zu Haeckels jj. Geburts- tag eine ähnliche Idee verwirklicht hat, wie sie in diesem Buch zur breiteren Aus- führung gekommen ist. Herr Paul Otto Ruppert, Leipzig, hatte die Güte, mir eine Abschrift dieses interessanten Dokuments zu senden, die ich im nachstehenden zum Abdruck bringe.
Die Ortsgruppe Leipzig möchte zum yy. Geburtstage E. Haeckels unter den Glückwünschenden vertreten sein und bittet daher ihre Mitglieder bis zum 15. 2. um Übersendung einer Postkarte, auf der in kurzer, schlichter Weise die Frage beantwortet ist:
,, Welchen Einfluß hat das Lebenswerk Haeckels, insbesondere darunter die : , Welträtsel' auf meine Welt- und Lebensanschauung ge- habt; was dankt meine geistige Entwicklung Haeckels Lehre?"
Die eingehenden Antworten werden dem Gelehrten in einem Album überreicht und sollen ihm den unmittelbaren Dank für sein Wirken ausdrücken.
Nachstehende Äußerungen sind eingegangen, in einem Album ver- einigt, und verbunden mit Glückwünschen auf ein noch recht lang- währendes beglücktes und beglückendes Leben an Prof. Dr. Ernst Haeckel übersendet worden.
Wankten schon die orthodoxen Grundpfeiler, als ich anfing selbständig zu denken, so wurde dieser Eindruck noch beschleunigt durch Haeckels Welträtsel. Doch nicht nur eingerissen, sondern auch wieder aufgebaut wurde, und neues Leben rankte aus den Ruinen. — Basierend auf dem Grundgedanken der natürlichen Entwicklung der Dinge vollzog ich in mir eine neue Geburt mit vollständiger Ver- drängung der althergebrachten eingetrichterten Anschauung. Mein Lebenszweck wurde mir durch die Welträtsel erst voll bewußt, und nicht mehr verließ ich mich auf ein höheres Wesen in überirdischem Sinne im Kampf ums Dasein, sondern lediglich auf meine eigene Kraft, vereint mit Selbstbewußtsein. Dazu kommt noch, daß sich in mir das Denken, Fühlen und Wollen verfeinerte und vertiefte. Nur dem
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volkstümlich geschriebenen Werke: ,,Die Welträtsel" danke ich diese Erkenntnis, und ich habe nur diesen Herzenswunsch, daß die Welt- rätsel noch recht viele aus der geistigen Finsternis in den Bannkreis des Lichtes tragen mögen.
Walter Großmann, Zeichner.
Ein Stern, ein leuchtender Stern in den Finsternissen des Lebens, in den rauchenden Tiefen des Alltags bist du mir, großer Meister, und deine Werke. — Was mir der lärmende, mordende Arbeitstag raubt, das gibst du mir wieder in meinen Feierstunden, wo deine Werke mir die Welt vergolden und meine staubige Brust so frei, so stark atmet. Möge der Monismus seinen Hoheitsstempel der ganzen Mensch- heit aufprägen und so eine paradiesische Zukunft schaffen, das sei mein Geburtstagswunsch.
Wilh. Schmidt, Weber1).
Haeckels großen Einfluß auf meine Welt- und Lebensanschauung erkenne ich vor allem darin, daß er durch seine wissenschaftlichen Forschungen wie kaum ein anderer meine Überzeugung gefestigt hat : wie für alles in der Welt, so gilt auch für Entstehen, Bestehen und Vergehen des Menschen und aller seiner Lebensäußerungen das Natur- gesetz der Entwicklung, sei es Fort- oder Rückbildung; also niemals und nirgends kann es ein ,, übernatürliches" Geschehen geben.
Dr. phil. J. Kippenberger, freireligiöser Prediger.
Was ich Haeckel danke? Ich bin sehend geworden und trat an seiner Hand in vorher nie geschautes Land. Die Nebel und Dünste einer eingebildeten Schein weit, die wirklich zu erreichen ich nie hoffen durfte trotz allen Glaubens, sanken unter seinem klaren Worte und vor dem Lichte seiner Erkenntnis zu Boden; aus ihnen entstieg und lag nun vor mir ausgebreitet in reiner Schönheit, klar geordnet in allen Teilen, begreifbar und eindeutig die Erde, die Welt; jauchzend stand ich inmitten aller ihrer tausendfachen Erscheinungen, die nun mir so nahe verwandt, meines eigenen Wesens mich dünkten, und ein neuer Wille zu einem guten, schönen und wahren Leben in diesem
x) Ein stark schwindsüchtiger Mensch, dessen ganzes seelisches Glück in der Teil- nahme an der monistischen Bewegung bestand. Der arme Mensch ist vor 3 Jahren gestorben.
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Paul Otto Ruppert, Kaufmann.
Das ist eins der größten Verdienste unseres Haeckels, daß er in seinen volkstümlichen Werken zum Volke niederstieg, zur großen Masse sprach und ihr den kristallenen Trank der Wahrheit, der wissenschaftlichen Erkenntnis reichte. Was nützt denn alle Weis- heit, alle tiefgründige Erkenntnis, wenn nur einzelne, und nicht die Allgemeinheit im Besitze dieser wissenschaftlichen Erkenntnis ist? Ja, seien wir offen: was ist denn Schuld an unseren gesamten uner- quicklichen sozialen Verhältnissen? Weil das Volk nicht aufgeklärt ist, um den Weizen von der Spreu zu unterscheiden.
Karl Wiegand, Beamter.
Aufgezogen in den beengenden Schranken einer altersgrauen Kon- fession und in mißlichen Lebensverhältnissen, war der Trost meiner Kindheit die Hoffnung auf ein besseres Jenseits. Der Jüngling durch- tränkte sich mit Fachwissenschaft, die all sein Denken, seine Kraft und Zeit in Anspruch nahm und ihn der Möglichkeit beraubte, die Fortschritte anderer Wissenszweige kennen zu lernen. — Die mit der Fachwissenschaft erweckte Erkenntnis vieler Naturgesetze hatte den Verlust des beseeligenden Kinderglaubens zur Folge und mit ihr den der Lebensfreude; die Zeit des Grübelns um den Zweck des Lebens führte mich fast an den Rand des Abgrunds, zur Lebensver- leugnung, zum gewaltsamen Abschluß des Lebens. — Heute — in reiferen Jahren — verdanke ich dem Studium der Werke unseres Meisters, daß das Gefühl, bloß ein Stäubchen im Weltall darzustellen, dessen Kommen und Schwinden im Weltganzen spurlos vorübergeht, zurücktritt hinter der hehren Gewißheit, auch mit den kleinsten Kräf-
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ten und in stiller Zurückgezogenheit mitarbeiten zu können am Wohl, am Fortschritt der Gesamtheit der Menschen, beizutragen zu immer höherer Entwicklung des Ganzen! Das, was ich als richtig und be- wiesen erkannt habe, kann ich hinausschreien in alle Himmels- richtungen ohne ängstliche Rücksichten auf die möglichen Folgen und somit neuen Wahrheiten mit zum Siege zu verhelfen: „den Mut des Bekenners," der aus jedem Wort unseres Meisters strahlt, diesen verdanke ich ihm und damit das wiedergefundene Gleichmaß der Seele.
Dr. M. Goldschmidt, Chemiker.
Was habe ich als geborener Proletarier einem unsterblichen Men- schen, einem E. Haeckel zu verdanken. Eine nicht mit meinem Wort- schatz wiederzugebende innere Glückseligkeit, welche ich durch Be- greifung und Erlebung seiner, der Menschheit gegebenen, monisti- schen Weltanschauung gewonnen habe. „Ach, könnte doch jeder diesen Lebenstrost im harten Daseinskampf sein eigen nennen!" — Wohl habe ich die Überzeugung, daß durch die Menschen unwürdigen Angriffe vonseiten der herrschenden Kirchen und ihrer Helfer auf seine ehrliche, unermeßlich reich gebende Person das große, die Menschheit erhebende Lebenswerk eines E. Haeckels nicht aufge- halten werden kann. „Alles Entwicklung, ewiges Werden und Ver- gehen zu neuer Form!" Ja, Haeckel, du gabst mir Gewißheit: „Die Naturwissenschaft ist der Fels, auf dem die Kirche der Zukunft er- richtet werden wird."
Hermann Käppel, Werkmeister.
Haeckels wissenschaftliche Feststellung, daß, wie überall in der Natur das weniger Vollkommene und weniger Gute von Höherem und Besserem besiegt und abgelöst wird, so auch für uns Menschen eine Höherentwicklung stattfindet und endlich bessere und idealere Verhältnisse kommen werden, ja kommen müssen, diese Erkenntnis hat meinem Leben erhöhten Wert gegeben, und das Gefühl, ein Glied in der Höherentwicklung zu sein und in jedem Lebewesen ebenfalls einen Teil des sich zu Höherem entwickelnden Ganzen zu sehen, hat bei mir wahrhaft religiöse Empfindungen ausgelöst.
Arthur Rolle, Aufseher. 394
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In Jena war ich, ein junger Student, Doch selten froh und toll mit den Jungen, Hielt meist mich still von den andern getrennt Und schien ich sorglos, war halb es erzwungen.
In Jena war ich, in schweigender Nacht Hat mich mein Schritt auf die Berge getragen: Während die andern gezecht und gelacht, Schlug mir das Herz voll Sorgen und Fragen.
In Jena war ich, im Paradies Hab' ich zur Nacht auf der Brücke gestanden, Ob mir die rauschende Tiefe verhieß Antwort auf Fragen, die wir nicht fanden!
In Jena war ich, an deinem Mund Hab' ich mit strahlenden Blicken gehangen: Was du mich lehrtest, das machte gesund: Von dir hab' ich mein Leben empfangen.
Dr. H. Welcker, Rechtsanwalt.
Durch die Lektüre Joh. Scherrscher Schriften schon frühzeitig aus der Lethargie mechanischen Hinnehmens von mechanisch Ge- gebenem aufgeschreckt, hat mir Haeckel auf alle die Zweifel, die meine Seele bewegten, eine bündige Antwort gegeben und mich aus dem dunklen Tasten in der Wirrnis meiner Lebensauffassung von Welt und Mensch zu lichten Pfaden, zu sicherem Verstehen geleitet, auf Wege, auf denen ich zufriedenen Herzens weiter pilgern kann.
Georg Stiebner, Kaufmann.
Die Kenntnis der Werke Haeckels, insbesondere der Welträtsel, bewirkte eine Befestigung und Vertiefung meiner freigeistigen Welt- anschauung, und ich verdanke dem Einflüsse Haeckels die Empfin- dung freien Menschentums und wahre menschliche Glückseligkeit, die sich auch vor dem Tode nicht fürchtet.
Georg Schubert, Kaufmann.
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Haeckels furchtloses, mutiges Kämpfen gegen die Mächte der Finsternis erfüllt mich mit freudigem Stolze.
Frau Luise Karch.
Meine Abendlektüre, die Welträtsel, haben mir schon so viel Belehrung gebracht, daß ich das Buch als meine monistische Haus- bibel betrachte, daß sich gleichzeitig aber auch ein Haß gegen pfäf fi- schen Lug und Trug erzeugte. Wir Deutschen können stolz sein, daß wir in unserm Professor E. Haeckel einen kühnen Streiter und Wahrheitsforscher, kirchlichen Irrlehren gegenüber, haben; mögen seine Welträtsel noch Hunderttausenden die Augen öffnen und sich diese Tausende der monistischen Bewegung anschließen. Mein Kir- chenaustritt ist kürzlich erfolgt.
Th. Funke, Lithograph, 81 jährig.
Obwohl schon eine Reihe von Jahren vorher zur freien Gemeinde übergetreten, gab mir die Lehre Haeckels erst den Schlußstein zur Bildung einer einheitlichen Weltanschauung für die Entwicklung eines freien Menschentums.
Joseph Julius Beck, Ingenieur.
Ich habe, ähnlich wie ja auch mancher andere, eine Reihe von Jahren geschwankt und bin im Unklaren geblieben, in welcher Weise ich mir meine Welt- und Lebensanschauung bilden sollte. Die Lek- türe von Haeckels Schriften, insbesondere der „Welträtsel" und des „Monismus als Band zwischen Religion und Wissenschaft" hat viel dazu beigetragen, daß es mir möglich geworden ist, mir eine feste und gesicherte Weltanschauung zu bilden. Als die beiden wichtigsten Punkte erscheinen auch mir einerseits der Kampf ums Dasein mit dem eng damit verbundenen Trieb zu unaufhaltsamem Fortschritt, andererseits die auch von Haeckel im letzten Teil der „Welträtsel" vertretene „Goldene Lebensregel": „Handle gegen jeden anderen stets so, wie du wünschest, daß man gegen dich handle."
Dr. F. Joel, Lektor.
Die Lehre vom Monismus, die unser großer deutscher Naturfor- scher wissenschaftlich begründet hat, muß auch eine andere Welt- anschauung hervorrufen als die dualistische, die nicht auf Forschung
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beruht, sondern angeblich auf Offenbarungen. Was es mit solchen Offenbarungen auf sich hat — wie sie entstehen, von wem sie kommen und wer sie verbreitet ? — da gibt es nur eine Antwort : die Kirche ! Die gibt sich mit wissenschaftlichen Forschungen nicht ab, höchstens mit dem Studium verschimmelter alter Kirchenväter. Ich danke es dem unerschrockenen Forscher Haeckel, daß ich zu denen gehöre, die die Wahrheit seiner Lehre aus voller Überzeugung gewonnen haben. Meinen Austritt aus der evangelischen Kirchengemeinde habe ich vollzogen.
E. A. Funke (geb. 1832).
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KONRAD HUSCHKE, GREIZ
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In der „Villa Medusa", die so freundlich aus grüner Hülle zu dem Berg mit dem rötlich strahlenden Gipfel hinübergrüßt, bin ich schon in meiner Schülerzeit kraft meines Neffenprivilegs viel, oft auf meh- rere Wochen, zu Besuch gewesen. Damals und auch später in meiner Studenten- und Referendarzeit war es in erster Linie der „Mensch" und „Künstler" Haeckel, der mich begeisterte und zur Bewunderung fortriß, diese sprühende, lachende, sonnige, von Humor durchtränkte Persönlichkeit, die jeden, der nicht ein Erzphilister war, unwider- stehlich in ihren Bann zog. Die Ausflüge nach seiner geliebten Ammer- bacher Platte, nach dem Forst, den Kernbergen, die lustigen Szenen beim Bocciaspiel im Garten, bei denen sein helles Lachen so oft zu einem köstlichen Lachduett mit dem ebenso bezwingenden Lachen meiner liebenswürdigen, feinsinnigen Tante zusammenklang, stehen als leuchtende Punkte in meiner Erinnerung ebenso wie die Stunden, wo er auf der Rückreise von seinen Fahrten nach Ceylon und Palä- stina bei uns Station machte und seine farbenprächtigen, mit genialer Intuition hingeworfenen Aquarellskizzen vor uns ausbreitete. Mein ganzes Sehnen galt damals der Kunst, vor allem der Musik, und wenn Haeckel auch gerade dieser Kunst nicht huldigte — ich sehe ihn noch, wie er lachend am Klavier saß, sein Bravourstück Santa Lucia sang und sich schauerlich-schön begleitete — , seine Persönlichkeit war doch durch und durch künstlerisch mit ihrem blühenden, feurigen Enthu- siasmus und der herzerquickenden Frische und Lebensanmut, die sonst die Gelehrten so gern zwischen ihren Büchern vergessen und zu den Akten legen.
Der große „Wissenschaftler" Haeckel spielte im Bereiche meiner Großhirnrinde noch eine sehr verworrene Rolle. Mit dem Substanz- gesetz, der Entwicklungslehre, dem biogenetischen Grundgesetz, der Gastraeatheorie usw. wußte ich nicht viel anzufangen. Und neben den Beethovenschen Sonaten und Symphonien und den Wagnerschen Musikdramen fanden Medusen und Radiolarien keine, auch nicht eine noch so bescheidene Stätte. Zwar hatte ich im ersten Semester droben im Zoologischen Institut bei Haeckel Vorlesungen gehört, aber bei 20 — 250 Wärme mittags zwischen 12 und 1 nach römischen Institu- s]EigE3ggggggggggggE]gggg§gE]^gggG]g§ggggE]E]B]E]B]E]EiE]G35]E]E]G]E3i?s}3]
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tionen, Einführung in die Rechtswissenschaft und anderen zermür- benden Kollegs. Wie sehr habe ich später bereut, daß damals der Reiz zur Naturwissenschaft und Philosophie noch von dem erst- semestrigen Hang zu leichterer Geistesnahrung überwuchert wurde. Die Folge war, daß mangels weiterer Anregung neben dem Berufs- studium die Kunst fast 10 Jahre lang allein im Vordergrund blieb, reichen Segen spendend, aber zu einseitiger Bildung führend. Auch Schopenhauer und David Friedrich Strauß, deren Studium mir mein Vater, selbst ein treuer Freund und Verehrer Haeckels und philo- sophisch wie künstlerisch hochgebildet, neben dem von Haeckels Natürlicher Schöpfungsgeschichte ans Herz legte, ohne sie mir auf- zuzwingen, wurden nur flüchtig gelesen.
Da kam ich in den Bann der „Welträtsel". Man mag gegen dieses vielbefehdete und -verketzerte Buch vorbringen, was man will, man mag es insbesondere als verderblich hinstellen für philosophisch noch nicht geschulte, unerfahrene Köpfe, für mich ist es im höchsten Maße segensreich gewesen. Und vielen Tausend anderen ist es ebenso gegangen. Es hat mich mit den in ihm behandelten Problemen nicht losgelassen, vielmehr mit wunderbarer Triebkraft in entwicklungs- geschichtliche und philosophische Studien hineingetrieben, so daß diese Studien jetzt neben Familie und Kunst mein höchstes Glück bedeuten. So war auch bei mir Haeckel, wie bei so vielen sonst, der große Anreger, der den spröden Stoff, der sich ihm gerade bei mir bot, trotz allen Widerstandes zwar spät, aber nun um so intensiver be- zwang. Er zeigte mir die tiefgründige, lichtschaffende Größe der Entwicklungslehre und ihre so unendlich große Bedeutung für die gesamte Biologie und Soziologie, Ethik, Geschichtswissenschaft und selbst für die heute so vielfach noch im argen liegende Jurisprudenz. Er beleuchtete hell und eindringlich das gewaltige Substanzproblem und die dunklen Gänge der Psychologie. Er weckte meine Begeiste- rung für Spinoza, dessen erhabene Gott-Natur-Substanz-Einheit er so genial erneuert hat. Er lehrte mich einen neuen Goethe kennen, den Naturforscher und monistisch -pantheistischen Denker Goethe, der so oft geflissentlich entstellt wird. Er trug endlich wesentlich zur Befreiung meines religiösen Fühlens von den Schlacken starren Dog- mas und irreführenden Wunderglaubens bei, die aus dem einseitig- orthodoxen Religions-Unterricht im humanistischen Gymnasium, das
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mir auch sonst so wenig fürs Leben mitgegeben hat, infolge der starken Beeinflussung im empfänglichen Knaben- und Jünglingsalter leider lange und fest in mir haftete, und förderte damit in mir ein tieferes religiöses Empfinden. Ist ja doch überhaupt der innerste Kern seiner natürlichen, wissenschaftlichen Weltanschauung Religion, nicht im kirchlichen Sinne, nach dem Schema einer bestimmten Konfession, sondern als Inbegriff von Erkennen und ernstem Wollen, voll Glauben an die fortschreitende Entwicklung unseres Erkenntnisvermögens und voll fester Zuversicht auf eine stetige Weiterentwicklung auch unserer ethischen Kräfte, auch als Inbegriff höchsten Glücksgefühls im Be- wußtsein, mit Gott als der ewig waltenden Naturkraft eins zu sein, so daß ich mein Denken und Tun, mein Wollen und Vollbringen in die ewige Harmonie einordne nicht allein zu meinem eigenen inner- sten Glücke, sondern auch zu dem meiner Mitmenschen. Ich verweise auf Arnold Dodel in seiner bekannten Schrift ,, Ernst Haeckel als Erzieher". Und Alfred Brehms treffliches Wort fällt mir ein: ,,Sie schelten uns Gotteslästerer und unser Forschen gottverlassen. Wenn sie unsere Arbeit zu würdigen verständen, so würden sie sie viel- leicht Beten nennen." Wie schön paßt das auf Ernst Haeckel!
Alles aber ist nur ein Teil von dem, was er mir gegeben hat, und ich kann ruhig sagen, daß ich neben meinen geliebten Eltern ihm für meine Geistesbildung das meiste zu verdanken habe und daß er auch in meiner Herzens- und Gemütsbildung tiefe Spuren hinter- lassen hat. In Ehrfurcht neige ich mich daher an seinem 80. Geburts- tage dem großen, schöpferischen Geist, dem tiefgründigen Gelehrten, dem edlen Künstler, dem lieben Menschen.
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E. FRIEDERICI, BERLIN
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Noch ehe ich das Glück hatte, Ernst Haeckel persönlich kennen zu lernen, klang sein Name meinem Ohr vertraut. Schon früh hörte ich ihn mit Bewunderung nennen im Hause meiner freidenken- den Eltern, die uns Kinder außerhalb der Kirche erzogen haben. Wie oft erzählte mir mein vor Jahresfrist verstorbener Vater von den genußreichen Wochen, die er beim Bauernphilosophen Deubler in Goisern verlebte; wenn auch in jenem Sommer 1882 dessen großer Freund Haeckel nicht zum Besuch dort weilte, so haben die beiden Männer desto mehr von ihm gesprochen und in seinen Werken ge- lesen. — Mein Vater war bei einer Naturforscherversammlung mit Haeckel persönlich bekannt geworden. —
Als die Welträtsel erschienen, ging ich noch zur Schule, ich las sie erst 1903 in der Aufsehen erregenden Volksausgabe. Vorher jedoch lernte ich ein anderes Werk kennen und lieben : die Indischen Reise- briefe. Mein Vater las uns — seiner lieben Gewohnheit folgend — dies Werk vor und ich weiß noch heute, welchen Genuß ich beim Zu- hören empfand, und mit welchem Entzücken meine Augen immer wieder auf dem darin befindlichen Bilde des Forschers weilten, das ihn so schön und stattlich im hellen Tropenanzug darstellt. — Damals ahnte ich nicht, daß mein Wunsch, dies Buch zu besitzen, von Ernst Haeckel selbst einst erfüllt werden sollte.
Welche Wirkung die „Welträtsel" auf mich hervorriefen, kann ich schwer sagen. Ich las das Buch von Anfang bis zu Ende, und über die Stellen, die mir nicht verständlich waren, weil sie der wissen- schaftlich ungeschulte Verstand eines so jungen Mädchens noch nicht verarbeiten konnte (die damalige Mädchenschulbildung ließ in bezug auf Naturwissenschaft alles zu wünschen übrig!), las ich einfach hinweg. Erst nach und nach arbeitete ich mich durch die Kapitel über das Wesen der Seele hindurch, bis sie mir immer verständlicher wurden. Nie hat das Buch aufgehört, mich zu fesseln. Einen Aufruhr in meiner Weltanschauung konnte das Werk nicht verursachen, war ich doch weder gläubig, noch indifferent, sondern schon damals über- zeugte Freidenkerin. Wohl aber vertiefte und festigte sich meine Welt- anschauung durch dies Buch und mein junges Herz glühte vor Be- EjgggggggEiggggggggggggggggggggggEiE]E]BiEigigg|E]EiEiEjEiEigiBiBiEiEiEiBi
26 Haeckel-Festschrift. Bd. II
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geisterung für diesen Mann, der als deutscher Professor es wagte, solch Buch zu schreiben. Und als nun im Herbst 1904 dieser über- zeugungstreue Kämpfer persönlich in mein Leben trat, da empfing ich durch ihn eine unermeßliche Bereicherung meines Innenlebens. Ich verdanke Ernst Haeckel viel mehr, als ich auszudrücken vermag.
Von dieser Bekanntschaft möchte ich erzählen, denn mehr als seine Werke noch, hat der Mensch Haeckel auf mich gewirkt.
Es war am 19. September 1904, als ich mit meinen Eltern und einigen Deutschen auf dem Bahnhof in Rom stand, um Prof. Haeckel zu empfangen, der anläßlich des Internationalen Freidenkerkongresses dort erwartet wurde. Nie werde ich vergessen, wie des Gelehrten hohe, noch ungebeugte Gestalt sich aus der ankommenden Menge löste, und er — ein Handtäschchen und Plaid am Arm — mit jugend- licher Elastizität über die Schienen eilte. Mit welcher Herzlichkeit drückte er uns die Hände, für unsere Begrüßung dankend, seine Augen lachten und strahlten wie die eines ganz jungen Menschenkindes. Seine Anwesenheit in Rom machte jene Tage zu den schönsten meines Lebens. — Wir waren in der kurzen Zeit öfter mit ihm zu- sammen. — Wie jubelten die ungezählten Freidenker aller Nationen, als unser Ernst Haeckel am 20. September bei der Kongreßeröffnung sich vom Podium erhob — im Hofe jenes alten Jesuitenklosters — unter dem tiefblauen Himmel, von dem die liebe Sonne so recht be- haglich strahlte auf alle die Ketzer, die den heiligen Boden Romas entweihten — um erst deutsch beginnend, dann italienisch fortfahrend, Rom als den idealen Mittelpunkt der zivilisierten Welt zu begrüßen. — (In der italienischen Zeitung II Messaggero stand darüber: Haeckel si avanza a parlare, il piü grande de gli scienziati tedeschi, un vecchio bellissimo.) — Hier in Rom wurden die monistischen Thesen verteilt, welche die Grundlage zum nachmaligen Deutschen Monistenbunde bildeten. — Wir Deutschen verlebten einen schönen Abend mit unse- rem verehrten Meister zusammen — er plauderte vom alten Rom, von der Zeit, da er mit seinem Freunde Hermann Allmers hier ge- weilt — mit dem er in der prächtigen Kirche San Paolo ein Tänzchen gewagt. Auch amüsierte er sich köstlich, daß die Italiener seinen Namen ohne das ,,h" aussprachen: „Man hat mich hier schon zum ,EkeP gemacht", meinte er. — Als wir dann alle gemeinsam vom kleinen Garten im ,,Tre Re" in ein Zimmer wanderten und an langer
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Tafel saßen, Reden hielten und Lieder sangen — da sprach auch Ernst Haeckel zu uns. Jene Worte, in denen seine Goetheverehrung und seine tiefe wirkliche Religiosität zum Ausdruck kam, wirkten unbeschreiblich auf mich und haben gewiß bei allen Gesinnungs- freunden einen bleibenden Eindruck hinterlassen.
Nachdem sah ich Ernst Haeckel nur noch einmal in Berlin, als er seine Vorträge über den Entwicklungsgedanken hielt. Ich fand ihn viel weniger frisch als vor einem halben Jahre in Rom, nur die Augen hatten noch das alte Feuer. Wieder begrüßte er mich mit jener bezaubernden Herzlichkeit und lud mich nach Jena ein. Allein ich hatte nicht das Glück, ihn dort wiederzusehen, jedesmal, wenn ich nach Jena oder in die Nähe kam, war er abwesend. — Schriftlich aber bin ich mit Ernst Haeckel in Verbindung geblieben und besitze so manchen lieben Brief und manches, mit einer Widmung seiner Hand versehene Buch von ihm. — Es hat mich immer so gerührt, daß er, der vielbeschäftigte Mann, doch stets Zeit fand, mich unbe- deutendes Menschenkind mit seinem Gedenken zu erfreuen — so erhielt ich auch jahrelang immer einen Gruß zur Erinnerung an den XX. Settembre in Roma 1904. —
Haeckels Kunstformen und Wanderbilder zu betrachten, ist mir immer ein Fest; ich weiß nicht, was ich mehr bewundern soll, seinen beispiellosen Fleiß oder die Gabe, so die Schönheit des Lebens zu empfinden. Er ist doch wirklich ein Lebenskünstler, wie selten ein Mensch.
Über meinem Schreibtisch hängt eine große Photographie von Ernst Haeckel, so aufgenommen, wie er mir 1904 zuerst entgegen- trat — von diesem Bilde, das mir seine lebendige Persönlichkeit vor- zaubert, ist mir in dunklen, qualvollen Stunden meines Lebens Trost und Kraft gekommen, ihm danke ich es, daß ich nicht ver- zweifelte.
Ernst Haeckel, der Gelehrte, der Künstler und vor allem der Mensch hat meinem Leben die Weihe gegeben, daß ich, immer strebend, mich bemühe, dem Wahren, Guten und Schönen zu dienen.
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ROBERT H. LOWIE, NEWYORK: HAECKELS VER- HÄLTNIS ZU AMERIKA
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Die im Harperschen Verlage veröffentlichte Übersetzung von Haeckels „Welträtseln" wird das amerikanische Volk mit An- sichten vertraut machen, die in ihrem bedingungslosen Gegensatz zu seinen religiösen Traditionen von allem ihm bisher Bekanntgewordenen wesentlich abweichen. Wir sagen „von allem", und dies ist keine Übertreibung. Denn wenn wir von mehreren rein populären Erzeug- nissen absehen, können wir getrost die Behauptung aufstellen, daß von den Vertretern liberaler Tendenzen, welche sich in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts an das Englisch sprechende Publikum wandten, kein einziger mit einer der Haeckelschen auch nur nahekommenden Konsequenz die Resultate der modernen For- schung philosophisch verwertet hat.
Dies gilt in erster Linie von den englischen Vorkämpfern der Ent- wicklungslehre. Wir beabsichtigen deshalb nicht, ihr Anrecht auf dankbare Anerkennung in Frage zu ziehen. Im Kampfe gegen die Unduldsamkeit der Orthodoxie haben sie sich wahrlich als wackere Streiter bewährt und haben, trotz der heftigsten Opposition, den neueren Ideen der Wissenschaft in einem noch vor kurzem ungeahnten Maße die Gunst der gebildeten Kreise errungen. Für diesen großen Dienst gebührt ihnen gewiß uneingeschränktes Lob. Aber nichtsdesto- weniger bleibt es eine unumgängliche, sich dem unparteiischen Be- obachter gewaltsam aufdrängende Tatsache, daß keiner von ihnen seine Lehren zum logischen Ende verfolgt hat, daß sie sich vielmehr sämtlich in letzter Instanz, wenn nicht der Reaktion, so doch einem friedlichen Vergleich mit der Reaktion, unterwarfen.
Der unter ihnen in seiner geistigen Entwicklung erhaben allein- stehende Darwin bildet zwar individuell eine bemerkenswerte Erschei- nung, aber in seiner unmittelbaren Beeinflussung der in seinem Vater- lande vorherrschenden Tendenzen gar keine Ausnahme. Wenn es ihm auch in späteren Jahren gelang, das Joch des Konservatismus abzu- schütteln und sich dem für einen Naturforscher einzig folgerechten philosophischen Bekenntnis, dem materialistischen Monismus, anzu- schließen, verschwieg er sorgfältig mit charakteristischer Bescheiden-
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heit die Ansichten, welche er sich über außerhalb der Fachwissenschaft liegende Probleme gebildet hatte. Die wenigen seiner Urteile, welche trotzdem in die Öffentlichkeit drangen, konnten wegen ihrer milden Fassung leicht mißverstanden werden und wurden tatsächlich von Rechtgläubigen als die Äußerungen eines friedliche Eintracht zwi- schen Religion und Wissenschaft anstrebenden Gemüts aufgefaßt. Somit gipfelte der philosophisch-theologische Einfluß Darwins, in- sofern er sich überhaupt fühlbar machte, in der Befestigung jenes ängstlichen, sehr gemäßigten Liberalismus, dessen Entstehung den oben von uns der Inkonsequenz bezichtigten Gelehrten, Spencer, Huxley und Fiske, zugeschrieben werden muß.
Daß Männer von so hervorragenden Fähigkeiten auf halbem Wege stehen geblieben sind, dürfte im ersten Augenblick überraschen. Aber das Rätsel ist sogleich gelöst, wenn wir unsere Aufmerksamkeit jenem bigotten, reaktionären Puritanismus zuwenden, der, wie Taine in seiner meisterhaften Literaturgeschichte nachweist, seit mehr als zwei Jahrhunderten in England — teilweise auch in den Vereinigten Staa- ten — grassiert, und innerhalb dieses Zeitraums seinen verderblichen Druck auf jedes Erzeugnis englischen Geistes ausgeübt hat.
Frömmelei, Engherzigkeit, starres Festhalten an einer der Vernunft widerstrebenden Moralsatzung sind seine wohlbekannten Merkmale; hemmend steht er allem im Wege, das sich nicht mit seinen spieß- bürgerlichen Begriffen verträgt; eifrig widersetzt er sich jeder Kund- gebung unabhängiger Gesinnung. Wir erkennen seinen Einfluß in der stumpfsinnigen Verunglimpfung Goethes — dem untrüglichen Prüfstein des reinsten Philistertums; in der unablässigen Forderung, die Kunst zur Magd der Moral herabzusetzen; in der hartnäckigen Aufrechterhaltung der mittelalterlichen ,, blauen" Gesetze, welche ein so eigentümliches Streiflicht auf den vielgerühmten englischen Frei- heitssinn werfen. Um aber die Macht des Puritanismus als die Trieb- kraft englischen Denkens in ihrer ganzen Ausdehnung zu begreifen, müssen wir uns daran erinnern, daß ein Gladstone im letzten Dezennium des vorigen Jahrhunderts die wissenschaftliche Berechtigung der bibli- schen Schöpfungslehre zu verteidigen wagte. Dann begreifen wir auch alles, dann verstehen wir, was Spencer und Huxley vom Durchbruch zu gänzlicher Freisinnigkeit abhielt, was bei Fiske die normale Ent- wicklung seiner Lebensanschauungen ausschloß. Wo einer der her-
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vorragendsten, schätzenswertesten Vertreter der Intelligenz sich zu einem solchen Grade fortschrittlichen Ideen verschließen konnte, da war es allerdings notwendig, die furchtbare Anklage des Materialis- mus durch wiederholt betonte Abweisung niederzuschlagen. Da mußte freilich das Augenmerk selbst der liberalen Gelehrtenwelt hauptsäch- lich auf die friedliche Versöhnung des Neuen mit der Tradition ge- richtet sein: da war also das Erstreben vollständiger Aufklärung bei einzelnen Individuen, wie bei der großen Masse, eine Unmöglichkeit.
Und nun tritt vor unser amerikanisches, unter denselben, wenn auch nicht in gleichem Maße tätigen, Einflüssen leidendes Publikum der streng konsequente, jedes Kompromiß mit dem Feindeslager ver- werfende Haeckel; zwar nicht zum ersten Male, aber zum ersten Male mit der Macht, so allgemein tiefes Interesse zu erwecken. Denn heute kann man seinen Radikalismus nicht mehr wie einst vorübergehender Titanensüchtelei zuschreiben, heute steht fest, daß gereif teres Urteil die Schlußsätze des jugendlichen Stürmers bestätigt hat. Haeckel ist nicht nach Canossa gegangen: endgültig wirft der im Dienste der Wissenschaft ergraute Geistesheros der Orthodoxie wie dem Halb- liberalismus den Fehdehandschuh hin ; endgültig erdröhnt der Posau- nenschall seines „Impavidi progrediamur!"
Wie mannigfache Beispiele aus der Kulturgeschichte der Mensch- heit bezeugen, verbreiten sich Ideen zwar nur langsam und mit Schwie- rigkeit durch ihren inneren Wert, aber mit desto zündenderer Gewalt, wenn sich eine große Individualität ihrer annimmt. Und eine solche Individualität ist Haeckel unbedingt. Ehern, unbeugsam, erhaben tritt seine Gestalt aus dem Gewühle der durch die Darwinsche Theorie heraufbeschworenen Kämpfe hervor. Während die englischen Agno- stiker taumelnd vor den letzten Folgerungen ihrer Philosophie zurück- wichen, während die einstigen Gesinnungsgenossen sich abtrünnig dem Konservatismus zuwendeten, hat Haeckel mit unerschütterlicher Uber- zeugungstreue das Licht der Aufklärung verbreitet, ohne die Schrek- kensrufe ob der Vernichtung ihrer ideellen Luftgebilde klagender Schwärmer, ohne die Drohungen der aus sanftem Schlafe aufgeschreck- ten Obskuranten im geringsten zu beachten. Dieser Mann, der seit vierzig Jahren trotz aller Anfeindungen das Banner des Liberalismus emporgehalten, die Angriffe der Orthodoxie mit nie wankender Festig- keit zurückgeschlagen, der willkürlichen, von reaktionären Gelehrten ggEjgEjgggB]gggE]ggggggggggggggggB]E;E]E]EjB]E]EjE]E]E]E]E]E]G]BiE]E]E]G]giG]E]
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geforderten Beschränkung der naturwissenschaftlichen Forschung sein entschiedenstes Veto entgegengesetzt hat; dieser aufopferungsvolle Diener der Wahrheit, dieser Lessing im geistigen Kampfe der Gegen- wart, muß, alle Hindernisse traditioneller Vorurteile überwindend, den beim amerikanischen Volke so stark entwickelten Heldenbewun- derungstrieb wecken und für sich einnehmen.
Dann wird er mit Erfolg an unseren Verstand appellieren, uns durch seine Logik zur Annahme der monistischen Weltlehre zwingen können. Dann wird er seinen Einfluß auf unser tägliches Leben ausdehnen, uns von dem schwer auf uns lastenden Puritanismus erlösen ; auf den Trümmern der abderitischen Puritanermoral die Ethik des daseins- frohen, menschenfreundlichen, Kunst und Wissenschaft fördernden Freidenkertums begründen. Um es kurz zu fassen: er wird dazu bei- tragen, ein politisch freies Volk auf das Niveau eines auch geistig freien zu erheben. — Wenn ihm dies gelingt, dann wird der Einfluß des Deutschen Haeckel höher zu schätzen sein, veredelnder gewirkt haben, als der dreihundertjährige, oft so gepriesene unseres „Mutter- landes" England.
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Schon als ganz junger Student fing ich an. mich mit der Philosophie Haeckels zu beschäftigen. Mein alter Lehrer der Malakologie war ein begeisterter Verehrer Lamarcks, aber er riet uns dringend von seinen verderblichen philosophischen Neigungen ab. Von dein Dreigestirn Lamarck, Darwin, Haeckel wollte er erst recht nichts
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In dieser Kampfeszeit war ich Professor an der Universität Bar- celona und veröffentlichte eine Naturgeschichte im Sinne des Monis- mus. Langsam gewann meine Überzeugung Anhänger unter der jungen Generation, aber bald bemühten sich die Klerikalen, meinen Einfluß zu untergraben. Meine „Allgemeine Zoologie" und meine „Geologie"' wurden auf den Index gesetzt, und im Jahre 1895 entzog man mir meine Professur in Barcelona.
Per inzwischen schon mutig hervortretende liberale Geist Spaniens stellte sieh mir zur Seite. Die akademische Jugend führte in edler schrankenloser Begeisterung einen tapferen Krieg zu meinen Gunsten, so daß ich nach drei Monaten meine Lehrtätigkeit wieder aufneh: konnte. Zahlreiche Auflagen meiner Bücher wurden vergriffen und ich konnte ohne weitere Unterbrechung in monistischem Geiste als Lehrer, Forscher und Aufklärer wirken.
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Schon als ganz junger Student fing ich an, mich mit der Philosophie Haeckels zu beschäftigen. Mein alter Lehrer der Malakologie war ein begeisterter Verehrer Lamarcks, aber er riet uns dringend von seinen verderblichen philosophischen Neigungen ab. Von dem Dreigestirn Lamarck, Darwin, Haeckel wollte er erst recht nichts wissen. Die Angriffe auf den genialen Jenenser Gelehrten wurden außerordentlich heftig und hartnäckig vorgebracht. Natürlich erregte das unsere Neugierde und wir lasen die „Natürliche Schöpfungs- geschichte" mit einer wahren Gier und diskutierten mit Feuereifer darüber. Am Ende unserer Studienzeit waren fast alle von uns jungen Naturwissenschaftlern Haeckelianer.
Im akademischen Lehrkörper überwogen die Reaktionären unter der Führung meines Lehrers der Malakologie. Die heftigen Aus- einandersetzungen zwischen der sehr unduldsamen äußersten kleri- kalen Rechten und der revolutionären Linken in jener Epoche, der Spanien zum großen Teil den Aufschwung der letzten Zeit verdankt, zerrten Haeckel in den Kampf der Meinungen. Universitäten und Akademien, öffentliche Vorträge und Zeitungen hallten von seinem Namen wider. Während ihm die einen fluchten und ihn beschimpften, verteidigten und rühmten ihn die andern.
In dieser Kampfeszeit war ich Professor an der Universität Bar- celona und veröffentlichte eine Naturgeschichte im Sinne des Monis- mus. Langsam gewann meine Überzeugung Anhänger unter der jungen Generation, aber bald bemühten sich die Klerikalen, meinen Einfluß zu untergraben. Meine „Allgemeine Zoologie" und meine „Geologie" wurden auf den Index gesetzt, und im Jahre 1895 entzog man mir meine Professur in Barcelona.
Der inzwischen schon mutig hervortretende liberale Geist Spaniens stellte sich mir zur Seite. Die akademische Jugend führte in edler schrankenloser Begeisterung einen tapferen Krieg zu meinen Gunsten, so daß ich nach drei Monaten meine Lehrtätigkeit wieder aufnehmen konnte. Zahlreiche Auflagen meiner Bücher wurden vergriffen und ich konnte ohne weitere Unterbrechung in monistischem Geiste als
Lehrer, Forscher und Aufklärer wirken.
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Ich kann versichern, daß in Spanien Haeckel an Volkstümlichkeit kaum seinesgleichen hat. Seine Lehre hat auf die Entwicklung des spanischen Gewissens einen außerordentlichen Einfluß gehabt. Mit Stolz behaupte ich, daß in meinem Vaterland Freiheit und Duldsam- keit immer mehr Boden gewinnen und daß sich mit dem Ausbreiten und dem Gedeihen der Naturwissenschaften eine Zukunft des Wohl- standes, des Friedens und des Fortschrittes vorbereitet.
Dem Meister Haeckel wünsche ich an seinem achtzigsten Geburts- tag noch viele Jahre des Lebens.
(Aus dem Spanischen von H. Schaxel.)
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MAX PAATSCH, DESSAU
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Aus dem Dunkel des Akasa dämmernd bist Du aufgestiegen, ewigem Gesetz gehorchend. Licht und lichter ward es, wo auch Du den Fuß hinwenden mochtest, und beglückender Erkenntnis wichen trüben Wahnes Nebel. Furchtlos tratest Du und freudig vor des Kosmos düstre Sphinx: Deinem jugendstarken Werben konnte sie nicht widerstehen, und die ewig Rätselvolle gab Dir manch' Geheimnis preis. Zu den „Müttern", wie einst Faustus, bist auch Du hinabgedrungen, Antwort glühend heiß begehrend auf die „Frage aller Fragen". ,, — Sie lebt in lauter Kindern, und die Mutter, wo ist sie?" Dies, das einzige Weltenrätsel, das Du im „Substanzgesetze" rein und machtvoll vor uns aufrollst, wird es jemals uns gelingen, dieses Rätsel zu bezwingen?
Keine Macht der Welten hemmet uns den raschen Schritt der Zeit; niemals ward sie eingedämmet, ist in Wahrheit Ewigkeit. Aller Kräfte Wechselspiel fügt sich des Gesetzes Band; fragest du nach Zweck und Ziel, oder wo die Meisterhand — ?
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„Freude, schöner Götterfunken" singt des Lebens lautes Tönen, und nur der versteht sein Wehen, der vor ihm aufs Knie gesunken.
Doch ob auch das Bild von Sa'is niemals ganz sich uns entschleire, eines haben wir gewonnen, eines müssen wir Dir danken: Klar und stark und fest und freudig können wir zum Werke schreiten, das die Zukunft von uns fordert. Ausgelöscht der Götter Willkür, kann das Göttliche im Menschen endlich wieder frei nun wirken, Fußend auf der heil'gen Erde, nicht vor sich das Ungewisse, auf die eigne Kraft vertrauend, keines Gottes Gnade achtend, ward der neue Mensch geboren, der nicht nur ein Teil des „Brahman", sondern dieses selber ist.
Wahrheitsuchen ist Dein Leben, nur die Wahrheit kann uns lösen; nur dem Guten gilt Dein Streben, Wahrheit dienet nicht dem Bösen; innerster Erkenntnis Kraft, sie allein zwingt Leidenschaft. Das Mysterium des Schönen hast Du vor uns aufgeschlagen; stetig rätselvolles Wunder ist uns wieder neu geworden. Wir sind mitten in ihm drinnen, wir sind stets von ihm umgeben — keiner weiß doch, wie es wirke, niemand mag es uns entwirren.
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Freuen wollen wir uns seiner! Freude sollen wir genießen, wo auch wir das Schöne sehen, wo es siegend sich uns zeigt. —
Wäre doch der Tag noch ferne, wo Du, vielgeliebter Meister, ehernem Gesetz gehorchend, wollend, und mit heitrer Ruhe, froh der Lebensarbeit, rücksinkst in das Dunkel des Akasa —
Doch nicht diese Töne, Freunde, sollen heute uns bewegen; freudenvollere und heitre mögen heute mit uns sein. Noch beleuchtet unsre Sonne mild des Meisters Silberhaare; Sonne seiner Jugendtage, du bist immer noch die alte; sonnengleiches Herz voll Feuer — froh und jung bist du geblieben, ja, uns allen bist Du teuer, nur eins können wir: Dich lieben! Möge blinder Feinde Grollen Dich nicht kümmern, noch erregen! Nimm aus unserm übervollen Herzen unsre Lieb' entgegen, Die Du redlich Dir erworben, die wir ungeheißen bringeni da Du Güte uns gelehrt, Güte, welche ewig währt.
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ALPHABETISCHES VERZEICHNIS DER
MITARBEITER
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Seite
Aigner, Dr. med. Eduard, Schriftführer des Deutschen Monistenbundes,
München II, 258
Altmann-Bronn, Ida, Schriftstellerin, Rombach II, 142
Antipa, Prof. Dr. Gregorio, Direktor des Museo storia natural, General- inspektor im Ministerium des Ackerbaus und der Domänen, Bukarest I, 408
Baege, M. H., Dozent, Friedrichshagen b. Berlin II, 150
Beck, Prof. Dr. Paul, Leipzig-Gohlis II, 34
Beiles me, Prof. Dr. Jousset de, Brüssel II, 56
Bloch, Dr. med. Iwan, Charlottenburg II, 357
Blossfeldt, Willy, Schriftleiter des „Monistischen Jahrhunderts", Leipzig I, 298
Boerner, Wilhelm, Schriftsteller, Leipzig II, 139
Brauckmann, Carl, Instituts-Direktor, Jena I, 1. II, 156
Breitenbach, Dr. Wilhelm, Herausgeber der „Neuen Weltanschauung",
Brackwede i. W I, 204
Bresgen, Sanitätsrat Dr. M., Wiesbaden I, 215
Brunner, Dr. med. Max, prakt. Arzt, Wien II, 272
Buen, Dr. Odon de, Professor an der Universität Madrid II, 408
Carraro, Oberlehrer A., Wien II, 359
Crompton, Frau Elli von, Berlin-Grunewald I, 287
Crutcher, Dr. Howard, Roswell, Neu-Mexiko II, 48
Davidoff, Dr. M., Direktor des zoologischen Laboratoriums, Villefranche-
sur-Mer I, 319
Daxenbichler, Frau Fanny, Salzburg II, 93
Dopf, Karl, Arbeiter, Hamburg II, 291
Dosenheimer, Amtsrichter E., Ludwigshafen a. Rh II, 38
Eulenberg, Dr. Herbert, Schriftsteller, Kaiserswerth a. Rh II, 138
Felden, Emil, Pastor an St. Martini, Bremen II, 125
Ficalbi, Dr. Eugenio, Professor der Zoologie, Pisa II, 179
Flothuis, M. H., Oberlehrer, Amsterdam II, 50
Focke, Dr. med. Wilhelm, Bremen II, 373
Forel, Prof. Dr. August, Yvorne, Schweiz I, 241
Friederici, Fräulein E., Berlin II, 401
Froelich, Heinrich, Baurat, Georgenswalde I, 295
Fürbringer, Prof. Dr. Max, Geh. Hofrat, Heidelberg II, 335
Gadow, Dr. Hans, Professor an der Universität Cambridge (England) II, 160
Georg y, Ernst August, Schriftsteller, Halle a. S I, 309
Gerling, Friedrich Wilhelm, Wiesbaden I, 223
Glatz, Friedrich, Kaufmann, Wien II, 61
Gilbert, Leo, Redakteur der „Zeit", Wien II, 285
Goldscheid, Rudolf, Soziologe, Wien II, 247
Grazie, Fräulein Maria Eugenie delle, Wien II, 309
Greil, Dr. Alfred, Professor der Anatomie a. d. Universität Innsbruck . . II, 211
Gurlitt, Prof. Dr. Ludwig, München I, 234
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Seite 383 233 165 282 I20 419 398
H a e c k e 1 , Prof. Dr. Heinrich, Direktor des Städtischen Krankenhauses, Stettin
Hatschek, Prof. Dr. Berthold, Hofrat, Wien
Hertwig, Prof. Dr. Richard von, Geheimer Hofrat, München
Hirschfeld, Dr. med. Magnus, Berlin
Holgers, Frl. Maria, Berün
Hopf, Dr. med. Ludwig, Stuttgart
Huschke, Dr. Konrad, Mitgl. der Fürstl. Kammer, Greiz I
Ihering, Prof. Dr. Hermann von, Dir. des Museo Paulista, Sao Paulo,
Brasilien
Jans, Johann, Elva, Livland
Juliusburger, Oberarzt Dr. Otto, Steglitz-Berlin
Kahl, August, Schriftsteller, Hamburg I
Kammerer, Dr. Paul, Privatdozent an der Universität Wien .... I Keller, Dr. Conrad, Zürich, Professor am Eidgenössischen Polytechnikum,
Zürich
Keller, Prof. Dr. Robert, Direktor des Gymnasiums in Winterthur . .
Kleinsorgen, Wilhelm, Berlin -Wilmersdorf I
Knopf, Hofrat Prof. Dr. Otto, Jena I
Kocks, Dr. med. Josef, Universitätsprofessor, Bonn I
Koltan, Jakob, Schriftsteller, Heidelberg I
Koerner, Prof. Ernst, Berün I
Kotthaus, Carl, München I
Krauseneck, Dr. Gustav, Triest
Kroell, Dr. Hermann, Geheimer Sanitätsrat, Straßburg
Lang, Dr. Arnold, Professor der Zoologie an der Universität und dem Eid- genössischen Polytechnikum, Zürich I
Leege, Karl O., Jena I
Leipzig, Ortsgruppe des Deutschen Monistenbundes I
Leon, Dr. Nicola, Professor an der Universität, Jassy I
Lipsius, Dr. Friedrich, Privatdozent an der Universität, Leipzig . . . I
Loeb, Dr. Jacques, Professor an der Universität Newyork I
Lowie, Robert H., Newyork I
McCabe, Joseph, London N. W I
Mark, Prof. Dr. E. L., Dir. of the Zool. Lab. Harvard University, Cam- bridge, Mass I
May, Dr. Walther, Professor an der Technischen Hochschule, Karlsruhe
Meyer, Dr. Erich, Kgl. pr. Landesgeologe, Dahlem-Berlin
Meyer, Professor R., Berlin I
Michelis, Dr. phil. Heinrich, Oberlehrer, Königsberg i. Pr
Morton, James F., Rechtsanwalt, Präsident der Thomas Paine Asso- ciation, Newyork
Neu mann, Carl W., Herausgeber von Reclams Universum, Leipzig . . I Ort mann, Prof. Dr. Arnold, Curator of the Dep. of the Invertebrate Zool.
am Carnegie Museum, Pittsburg
Ostwald, Geh. Rat Prof. Dr. Wilhelm, Groß-Bothen
Paatsch, Max, Handlungsgehilfe, Dessau I
Palmen, Dr. Axel, Professor an der Universität Helsingfors I
Plotke, Georg J., Frankfurt a. M I
397 315 391 172 6
403 323
3Si
298
186
362
68
317 416
329
259
207
391
73
22
15 404
244
304
273
423
28
267
374
154
336
195 410
307
308
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Porten, Dr. med. Max von der, Hamburg
Rabl, Geh. Rat Prof. Dr. Carl, Dir. des Anatomischen Instituts, Leipzig I
Rahner, Dr. med. Richard, Gaggenau i. Bad
Regel, Dr. Fritz, Professor an der Universität Würzburg I
Reh, Dr. Ludwig, Custos am Naturhist. Museum, Hamburg I
Reichel, Eugen, Berlin -Schöneberg I
Rheindorf, Dr. med., Augenarzt, Krefeld
Rieß, Carl, Kaufmann, Hamburg I
Römer, Prof. Dr. Julius, Kronstadt (Siebenbürgen)
Sars, Dr. Ossian, Professor an der Universität Christiania
Schall mayer, Dr. Wilhelm, Krailling- Planegg bei München I
Schatt, Carl Oswald, Fachlehrer, Brunn i. Mähren
Schaxel, Dr. Julius, Privatdozent an der Universität Jena I
Scheffauer, Hermann, Schriftsteller, London I
Schmidt, Dr. Heinrich, Jena
Schneider, Hugo, Bankbeamter, Berün I
Schrickel, L., Schriftsteller, Klotzsche bei Dresden
Schwaner, Wilhelm, Herausgeber des „Volkserziehers", Schlachtensee- Berlin
Schwarz, Arthur, Generaldirektor, Gr. Lichterfelde-Berlin I
Schweninger, Geh. Rat Prof. Dr. Ernst, München I
Seber, Dr. Max, städtischer Tierarzt, Dresden
Semon, Prof. Dr. Richard, München
Siebert, Dr. Fritz, Spezialarzt für Haut- und Geschlechtsleiden, München
Sokolowsky, Dr. Alexander, Hamburg I
Spitzer, Dr. Hugo, Professor der Philosophie an der Universität Graz I
Sprenger, Dr. med. et phil. G., Mainz I
Steman, Friedrich, Oberlehrer a. D., Weimar
Stoecker, Frau Dr. phil. Helene, Berlin I
Stona, Gräfin Maria Scholz-, Schloß Strzebowitz, Schlesien
Thiele, C. H., Privatgelehrter, München-Solln
Thieme, Friedrich, Schriftsteller, Weimar I
Trapp, Frau Grete, Zürich
Tschirn, Georg, Präsident des Deutschen Freidenkerbundes, Breslau
Unna, Prof. Dr. P. G., Hamburg I
Verworn, Prof. Dr. Max, Direktor des physiologischen Instituts der
Universität Bonn I
Vogtherr, E., Mitgüed des Reichstags, Dresden I
Walther, Prof. Dr. Johannes, Dir. des Mineralogischen Instituts, Halle a. S. I Weber, Alfred Ritter von Ebenhof, k. k. Ministerialrat d. R., Wien . . I
Wolfsdorf, Eugen, freirel. Prediger, Nürnberg I
Yung, Dr. Emile, Professor an der Universität Genf I
Zalisz, J. F., Leipzig I
Zucca, Prof. Antioco, Cagliari, Sardinien
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