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Adam Orhlenfchläger's Be rt

3um zweiten Male gefammelt, vermehrt und verbeffert.

Schsjehntes Bändden.

Breslan, im Berlage bei Joſef Mar und Komp.

e.

Adam Orhlenfchlägers . Erzäblende Dichtungen,

Zweites Bänden.

Die Zufein im Eldmeere. Zweiter Tpel. ee Breslau, im Verlage bei Joſef Mar und Komp.

1839

Die

Inſeln im Südmeere

Ein Woman

Zweiter Theil.

1. Bruhftüde aus Eberhards Tagebuch.

un das Meer.

Veiliges Meer, ſeh' ich dich wieder? Dich, das in meiner Kindpeit Mit breiten een Dad Geflade ſchlus Mnfeen der Hütte, 80 ich Träume der Vorzeit wieder trämmte; Und, wenn Seehunde ſich Auf den trocknen Steinen Tonnten, Meerfeanen ſah⸗ Und den grimmigen Meermann, Der ducd'3 falſche Betön feiner Lieder Die am Strand’ wandelnde Zungfrau 3a die Tiefe lodte!

Jahre trennten mich ‚Heilige Glement von dir,

42.

Bruchſtücke aus Eberhards Tagebuch.

Und ich ſah nur deine lieblichen Eifenkinder: Wenn fi) ein Bach durch Blumen ergoß, Oder wenn ein Fluß

Den luſtigen Städten vordeigog;

Oder wenn im Winter

Du das dunkle Feld

Mit Lilien bedeckteſt

Und wenn dein glänzendes Eis,

Wie Diamanten » Gefchmeide

Der entlockten Dryad' in den Ohren hing.

Graufig und würt Nennt dich des Thales Sohn, Nennt dich des Werged Cohn, ber der Iufele, der Küfe » Sohn Sicht dich mit Inbeunft

Wie der Schweier, dee Echott feinen Feld; Und Heilige Tpränen weint er laut,

Wenn deine freudige blaue große Fläche Wach langer Trennung

„Seinen Blicfen begegnet.

Fürchterlich zwar biſt du. 0 Meer! Unter deinem lächelnden Gimmelsfpiegel Lauert der Balte Tod, And wenn du die Mähne fchüttelt, | Zerbricht der mächtige Dreiman J Wie ein gebrechlich Spielieug in des Anaben Hand. Schauer ergreift J Den muthigen Schiffer,

Bruhftüde aus Eberhards Tagebuch. 11

Wenn dad Meerwaſer kocht, Benn die Wolke ſich ſeukt.

Und in faufenden Mähren

Wo ziſchender Waſſerſchlangen

Himmel und Erde

Cie wüthend teeffen;

Benu der Wlig durch Die vafende Säule auckt, Zapvelt dad Schiff mit matten Flügeln,

Ein Eperling im Birbelwind;

Das Ruder entfinkt des Steurers Hand,

Und das Blut erſtarrt in den Adern.

Ber ergründet deine Tiefe, o jadige rothe Eteinwälder Zu Infeln wachen, Die einſt Gras und Kräuter, . Tugend und Lafer der Menfchen tragen ? - 8o die Biefenfchlange lauert, Deren Kamm nur der Schiffer Stüctocife gefehen, And worüber die @talden der Borzeit gefabelt!

Doch luſtig und guthersig biſt du Zähzorniger! Beni dich Milde beherrſcht. Dann achtet nicht der Menfch Deiner polternden Risen. In Happernden Tauen kleitert Der Mateofe keck Und begegnet dem Sturm Mit Big und Extern Zu duntler Racıt

12 Bruhftüde aus Eberhards Tagebuch.

Weber die iehe gebüdt, - \ Fürchterlich über den Abgrund geſchauteit

Seine Segel fchmürend.

Dann erfreuft du dich ded Schiffs,

Nach deinen Fifchen und Vögeln

Künftlich gebildet,

Das die Weile bevöltert;

Und eine leichte Bahn >

Gröffnet du den Menſchen

Son Pol zu Pol,

Bon Getade in Geade;

Wald im Rordmeer die Taue

Mit Gife befrufend, \ ' Bald unter fenfrechter Sonne

Den Theer der Balken kochend.

und ais fördernder Geleitsmann

Biaſt der Yafat aus vollen Baden,

Gin freundlicher Cherub,

Verbindend die alt’ und Die neue Melt,

Das Schiff.

Sonderbares Haus! das den ganzen langen Weg mit macht! Wenn der Wagen vör der Thüre harrt, wenn der Schwager in’s Horn ſtoͤßt, und wir die Treppe zum letzten Male hinunter gehen, weilen die Augen mit Wehmuth an den alten Wänden der Heimath, da ergreift uns ein tiefer Schmerz, weil wir die liebliche Gewohnheit, unfre zweite Natur, verlaffen follen. \

- Nicht fo das Schiff! Als ein Feenſchloß ſchwimmt es auf den Wellen. Die Heimath folgt: Zimmer, Tiſch, Fen⸗ ſter, Spaziergang auf dem Verded, Mafte, Segel, alles

BSruhftäde aus Eherhards Tagebuch. 13

bleibt unverändert. Dieſelben Menſchen auch. Raum würde man glauben, man fei einen Schritt weiter vorgerüdt, wenn nicht Kälte und Hige, Vögel, Eerthiere und Meerespflan- zen einen ſprechenden Beweis dafür gäben. Küften’ fahren an uns wie Wolken vorüber; Schiffe noch füncler; nur eine bunte, Flagge, ein durch's Sprachrohr herüberhallender " Laut fündigt den Fremden an. Bald werden wir ſchwarze Menfgen auf den Küften von Afrika Laufen ſehen.

Der Kompaß.

Es war geftern eine ftärmifche Nacht, ich konnte nicht ſchlafen. Zog mid an, und ſchlich zu dem Steuermann. Sein kleines Zimmer war von einer Laterne erhellt. Uns beweglich, die Augen auf die Meine Magnetnadel gerichtet, lenkte er mit ftarker Fauſt das gewaltige Ruder. Wenn das nicht Zauberet iſt, fo giebt «8 keine! "Was hülfen Plan⸗ ten, Segel, Bade, muthvolle Gefhäftigfeit, wenn nicht der Beine Zwerg aus dem Berge uns begleitete, nicht im Eifen wohnte, und mit feinem dünnen ſchwatzen Zinger nach Norden zeigte?

Breite und Länge,

Der Magnet Hilft den Menfchen auf hoͤchſt einfache Weiſe, dadurch weiß er fogleih in welchen Beg er cin- lenken folle. Wo er ift, entdect cr aber nicht fo leicht; um das zu erfahren, muß cr zu feinem eigenen Verftande die Zuflucht nehmen, da muß er die Polhoͤhe mellen, die Länge berechnen.

Wohl möchte ich den Kombaß den ſchlichten Grund-

fügen der Weisheit vergleichen, die Ieder kennt. und die dennoch nichts helfen, wenn man die Polhöhe feines eignen

14 Bruhfäde aus Eherbards Tagebuch.

Selbſt nicht zu meſſen weiß, und Leinen erften Meridian des feſten Karakters annimmt, um dadurd die Länge der Seit mit der Breite der Kräfte in Verbindung zu bringen, Ich ſtehe immer gern bei.dem Kapitain, wenn cr die Pol böhe nimmt, und wenn fein treues Fräftiges Auge bald zum

" Himmel binauf fhaut, bald das metallne Inftrument ber . trachtet.

Wolfgang bleibt ſich immer gleich. IA fürqtete, er werde ſich verän⸗ dern, und ein ſtolzeres kälteres Weſen aunehmen, wenn wir nichts als Himnrel und Waffer fähen. Gewöbhnlich mißs brauden die Menſchen ihre Gewalt, und kaum hat einer über den andern einen Bortheil, irgend ein Uebergewicht, fo läßt er ihn ſolches auf der Stelle empfinden. Doch nicht alfo der gropmüthige Menfh. Unfer Meiner Seekönig, der während der Neife fait uneingefcränft nad) firengen Ger

fegen herrſcht. geht freundlich und brüderlich unter ung ein»

ber; und blidt Jeden von uns mit eben dem offenen Auge an, welches mid einnahm, als er mir im i Abeater die Orange gab.

Seekrankheijt und Schaarbod,

Als der erfte Schiffer Fühn mit dem leichten Bretter⸗ geräfte die Wellen durchſchnitt, jubelte er laut äber die Schnelle der Reife; und die früheren Beſchwerlichkeiten bes trachtete er hochmüthig als ein bereits überftandenes Uebel, Um diefen Hochmuth zu demüthigen, und fid an den Men» ſchen zu taͤchen, die das Salzmeer zu durchkreuzen wagten, fandten grimmige Meermänner zwei Unholde an Bord: den Schwindel und den Schaarbock. Doch auch gegen den Lege

Bruchſtüke aus Eherhards Zagebud. 5

teren diefer Kobolde, gährt im gefunden Sauerkraute ein heilſames Mittel. Der Schwindel aber muß ſich ſelbſt hei⸗ Ten. Diefen Tribut zahlen nafeweife Landthiere, um in die Zunft der Seevögel und der Fiſche aufgenommen zu werden.

Abſcheuliche Krankheit! die die edelſten Lebensgeifter angreift. Der Muth verſchwindet und man würde in fol hen martervollen Stunden mit Freuden in die Tiefe finfen, und, um das Uebel los zu werden, ertrinken. Dazu muß man in diefem unglüdlihen Zuftande das lindernde Gefühl des Mitleids ganz entbehren. Die abgehärteten Seeleute geben gleihgältig umher, man wird mitten in der Qual verfbottet und ausgelacht; alle effen, trinken und ſcwaͤtzen, während der Arme, bieid, wie eine Leiche, mit falten To⸗ desſchweiß auf der Stine faft den Geift aufgeben will. Freilich hat diefe Krankheit felten fhlimme Folgen; und wer Eönnte von Matrofen verlangen jedesmal Mitleid zu fühlen, wenn einem fremden Paflagiere auf dem Schiffe übel würde? .

Ich bin fhlimm daran geweſenz jeßt befinde id mic jedoch beſſer. Hanna Hedtraft ift, wie ih es dachte, gar nicht ſeekrank geworden. Dagegen hatten wir uns mit Litz⸗ bergen und Lademann ganz verrehnet. Alle glaubten, Iehe terer mit feiner zarten Gonftitution werde fehr Teiden, und der derbe Ligberg ganz frei gehen. Umgekehrt! Lademann befindet ſich wie ein Vogel in der Luft, umd ift nicht ein⸗ mal unpaß geweſen; Lihberg aber wälzt ſich noch auf der Bank, und brummt wie ein verwwundeter Bär. Seinen Big und feine Laune hat.er auf kem feften Lande zuräd gelaffen; das Einzige, wodurd) ſich noch zuweilen feine derbe Natur fund hut, find Flüche, wenn er die Dummheit tar

16° Bruchſtücke aus Eberhards Tagebul.

delt. die ihn davon abhielt, mit dem Czaar der Moscowi⸗ ten nad) Rußland zu reifen, wo fein Baffer iſt. Er bat dem Meer einen ewigen Haß geſchworen, und ift beie nah waflerfchen geworden. Kapitain Wolfgang lacht, trös ftet ihn und fagt, es werde bald beſſer werden. Er hat ſich ein Kleines Schwefel» Kiffen von Hanna Hellkraft nähen laſſen, und dies auf die Herzensgrube gelegt.

Der Wind,

Einmal nur hat mir der Kapitain ein ſaures Geſicht gemacht, und mid mit einem trodnen: „Das weiß id nice!" abgefertigt, als ich ihn nad) langer Windftile frug, ob er nicht glaube, daß wir bald guten Wind befämen?

Nachher hat mir Here Cramer, unfer Schiffs⸗Arzt, ein

ſehr geſchidter verftändiger junger Mann, erzählt, ein Aber glaube verbiete den Seeleuten vom Winde zu'fpreheu. Auch pfeifen darf der Matrofe nicht, weil er fürdtet, den guten Wind damit wegzufheuden.

Allen ſolchen alten Gebraͤuchen, wenn fie aud mit Vorurtheilen verbunden find, Liegt irgend etwas Wahres und Ghrwürdiges zum Grunde. Die günftige Seefahrt hängt vom Glüde ab, darüber laͤßt ſich nichts voraus far gen; wenn ſich nun nichts darüber fagen lägt, ſchidt es ſich auch nicht, darüber zu ſchwatzen. Was das Pfeifen ber trifft, ſo erinnert diefer Laut an Sturm und Ungewitter; und es liegt etwas Unverfhämtes und Freches darin, dag der Menſch, der fih auf einem ſchmalen Breite dem Ele- mente vertraut, ſelbſt in fhünem Wetter des möglichen Un» glüds ſpotte, indem er den Ton des pfeifenden Ungewitters nachahmt.

Bruchſtücke aus Eberhards Tagebuch. 17

Segel und Flaggen

Ohne Wind hängt das Schiff mit den Segeln, mic ohne Regen! die Blume mit den Blättern; wie ſich aber nad) einem frifhen Maienſchauer alle grünen Knofpen ent- falten, fo ſchwellen die Segel im Winde. Das große Mare- fegel, die Bode, das Befan, die Blinde, das Bram» und Bovenbramfegel entfalten ſich wie breite Blätter an der Palme, und als Blume glänzen und flattern die reizenden Zlaggen droben und hinten. Hoch in der Luft ſchnalzend und fid) fAlangenförmig ringelnd kündigen ihre helle Far⸗ benflöde dem fern vorbeifegelnden Schiffer das Liebe Vater- land, mitten auf dem ungeheuereu gegenftandlofen Meere, das Allen und Niemandem gehört, freundlich an.

Die Bafferfurde,

Steh id hinten im Schiffe und betrachte die lange Furche, die der Schiffstiel pflügt, und die Hald wieder von den Wellen ansgeglättet wird, ſo tritt mir oft eine Träne der Wehmuth und der Demüthigung in’s Auge. So find der Dienfhen Thaten! Und dod) ift es ja befler, dag diefe Furchen wieder ansgeglättet werden, als daß fie alle dort ftehen blieben, und mit ihren unzähligen Strichen den ſchö⸗ nen Wellenſpiegel verunftalteten.

Kein Tabafrauden.

Ob wohl ic ſelbſt ‚Leinen Tabak raue, bedaure id doch die armen Matrofen, die ſich auf dem Schiffe diefen Genug verſagen müſſen; nirgends könnte «6 ihnen ange wehmer und erquiklier fein. Im Nebelwetter erheitert

eine friſch gezündete Pfeife, wie im Winter I Dfenfeuer Dedlent Schriften. XVI.

18 Brudftüde aus Eherhards Tagebuch.

in der kalten Stube. Der Vorſiht wegen, mäffen ſih aber die luſtigen Burfche, mie die Ochſen im Zelde, mit dem traurigen Kauen begnügen.

Das Zufammenleben.

& frei aud das Schiff seht, fo uneingefhränkt und miltüprlih aud feine Bahn it, fo einförmig und einge» ſchränkt ift dagegen auf einer langen Reife das Schiffsleben ſelbſt. Man wundert fi, daß bäufig auf ſolchen Neifen Unfreundfpaft und Haß unter. der Mannſchaft entftche, Sie follte ja eben, fagt man, recht zufammenbalten und ſich lichen; da fie ein Meines Vaterland in der Fremde ause macht. Freundſchaft und Gefelligfeit muß aber aus freier Wahl und Neigung entſtehen. Wenn nur äußere Umſtände Menſchen von verſchiedener Gefinnung znfammendrängen, entſteht äfters etwas Böfes als etwas Gutes daraus. Dee halb trifft man eben in Familien fo viele Mißhelligkeiten. Auch die Langeweile am Bord trägt viel zu Zänfereien bei, Unfer Schiff ift in der Rüdfiht jedoch eine glückliche Auge nahme, es hertſcht ein fehr guter Ton, und Bolfgangs

» heitre männliche Freundlichkeit verbreitet ſich wie Sonnen» ſchein über das Ganze.

Das grüne Borgebirge.

Dem Pic auf Teneriffa fegelten wir vorüber, und ich konnte nur aus der Ferne den hohen Bergaipfel betrachten; jest nabeten wir uns dem grünen Borgebirge. Wenn man fi) lange auf dem öden Meere herumgetrieben hat, erfreut es das Yuge außerordentlich, wieder ein grünes feſtes Land u fehen. So ging es aud mir, als der fhöne Fels mir sum erſten Male in der Morgenröthe entgegen trat; und

BSruhfüde aus Eberhards Tagebuch. 19

ich hoffte beſtimmt, der Kapitain werde an einer diefer In⸗ fein antern, damit wir uns dort erfriſchen könnten. Gr fagte jedoch: Bewahre mic Gott, daß ih es ohne Noth thun folte. Laſſen Sie fich durch diefen grünen Schein nicht bienden. Auch die Fäulnig ift grün! Dies Klima ift das ungefundefte in der Belt!

Bas wollen die Menfhen denn in diefem Faulloche? frug id. Cie wollen bier das bene Mittel gegen die Faͤulniß holen, erwiederte der Kapitain; es giebt dort ein fehr ſchönes Salz, das in großer Menge mit ihren Sqhif- fen ausgeführt wird. ji

So in Gegenfägen witzig ſpielt oft die Natur mit ih⸗ ren eignen Wirkungen; bei dem Gifte findet fi immer das Gegengift,

Die Saildteöte, Ich hatte einen folden Ekel gegen die grünen Infeln befommen, daß mid aud eine grüne Schildkröte, die ſich der Kapitain von einigen Fiſchern erhandelt hatte, anekelte. Als das Thier aber in Madera mit trefflichen Spezereien gekocht war, und fid) die andern die Scäffel wohl ſchmet- ten ließen, bekam id) auch Luft, und muß geftehen, daß es

ein gutes Effen fei. Ligherg liebt befonders diefe Speife; . er iſt völlig hergeftellt, und bat feine alte Laune wieder befommen. Lademann bat fih die Schaale der Schild- tröte aus, er hat Darmfeiten darüber gefhannt, und dem Heinen Sciffsjungen Jack mit der Leier ein Geſchenk ger macht. Er wunderte ſich, als ich ihm erzählte, dies Inſtru⸗ ment fei ſchon fehr alt, und Mercurius ſei der Erfinder geweſen. Es iſt rührend mit folden Mengen von Genie; fie wilfen oft gar nicht, was Andre vor ihnen gedacht oder

PX

20 Bruchſtücke aus Eberhards Tagebuch.

aethan haben; und doch fünnen fie alles ſelbſt erdenten und verfertigen.

Sigberg

firebt jegt ein volkommener Matroſe zu werden. Er Elete tert weiblich in den Tauen. Ich bin um ihn bange, weil er etwas fteif und corpulent ift. An gymnaſtiſche Uebun« gen von Kindesbeinen an gemößnt, folge id den Matrofen leicht in die Höhe; weil ich es nun aber wagen darf, will auch er es thun. Ich fühle felbft, daß er dabei zehnmal mehr Muth zeige, als id), denn an feiner Stelle würde ich es gewiß nicht wagen. Hier Lümmt ihm aber feine Befon« nenheit, feine eiferne Beharrlichleit und fein gutes Auge wohl zu ftatteh. Wir haben ſchon ein Paar Mal mit ein« ander im Maſtkorbe unfern Morgenfaffee getrunken.

Die Tabakinſel.

Geftern trafen wir einen Meinen Felſen mitten im " Meere, mit einer Sandbank; weil nun der Wind fid fait ganz gelegt hatte, warfen wir Anker. Warum? Blos um auf der fhönen weißen Sandbant im Schatten des Felfen Tabat zu rauhen. Nings um eine Zeuerftätte, wo der Kaffee gekocht ward, Tagerten wir ung. Hätte Homer den Tabak gekannt, würde er gewiß mit großer Behaglichkeit don Genuß fo geſchildert haben:

„nd fle erhoben die Hände zu Enaflerduftenden Pfeifen, Mer nachdem fle gedampft, ald die Luft mit Wolfen gefünt war, Da erfenten fle fich im Bechfelgefpräch mit einander."

BRothes Meer.

Bir kamen heute durch eine Mecrftrede, die von ro⸗ then Krebfen ganz gefärht war. Sonderbare Erſcheinung

Bruhftäte aus Eberhards Zagebuch 21

die nur in dieſen Gegenden zu finden iſt. Wir wollten die Krebſe koften, als fie aber auf den Tiſch kamen, waren fie roh. Der Kody hatte geglaubt, fie fein fhon im Meere artocht, weil fie roth wären.

Der Han. Wir Haben heute alle mit größtem Veranügen unfer Mittageeffen eingebüßt. Der Koch bat einen Ochſen auf dem Verdeck geſchlachtet; und wollte das Fleiſch in Stüde bauen, mährend fein Sohn, der Meine Jack mit der Schild⸗ trötenfchaale am Schiffsrande leierte .und fpielend herum lief. Ehe er es ſich aber verfah, verlor er das Gleichge⸗ wicht und fiel in's Meer. Sogleich warfen ihm einige Ma« trofen ein Tau zu; mit Todesfhweiß auf dem bleihen Ge⸗ ſichte ergriff indeg der Vater den ganzen geſchundenen noch blutenden Ochſen, und warf ihn über Bord. Bir ftauns ten alle, und glaubten, der Mann babe den Kopf verloren. Bald aber Löfte fi) das Näthfel, als ein fürchterlicher Hay, den das Vaterauge glüdlicherweife früh genug entdedt hatte, den bäglihen Hammerkopf mit den glühenden Blutaugen über die Wellen erhob, den ungeheuren Rachen auffperrte und den Ochſen, deſſen gefhundenes Fleiſch ihn mehr als der beffeidete Knabe anlockte, verfhlang. Der Knabe er- geif giaclich das Täu, und mit Blihzesſchnelle kletterte er au dem Verdec hinauf, während ein zweites Ungepeuer ſich nahete, und nad) ihm ſchnappte, gerade als er body genug beraufgefommen war, um nicht in Stüde gerilfen zu wer» den. Welche Scene, als der zitternde Vater den lieben wiedergeſchenkten Knaben an feine Bruft drüdte! Wir konn. ten den glücklichen Zufall und des Vaters Geiftesgegenwart nicht genug loben. Hätte er beute den Hay nicht beffer als

22 Brucſtücke aus Eherhards Tagebuch.

geſtern die rothen Krebſe gekannt, fo wäre der Meine freund« liche Arien vom fürchterlichen Delphin verfhlungen worden.

Der Starm.

Man muß alles verfuchen, jeßt haben wir auch einen Sturm erlebt. Wunderbarer Zuftand, wo zwei Elemente müthend mit dem ſchwach verflammerten Kaften Ball ſpie- Ien, und ihn zu zerſchellen drohen. In ſolchen Augenbliden muß man den Muth der Matrofen und die Befonnendeit des Befehlshabers erft recht bewundern. Cie arbeiten im Sturme fo muthig fort, als der Tiſchler an feiner Hobel» bant, oder der Nomade, wenn er im guten Wetter ein Zelt auf dem grünen Felde ausfpannt. Daher ſchreibt ſich der Big, der Stolz und die Laune der meiften Seeleute. Diefe wigige Laune ift nur eine Gedanfenabbreviatur, weil feine Zeit zum ſchwahen ift, eine Blume, nicht der Lebens», viel mehr Der Todesphiloſophie, weil fie täglich ftolz mit dem Tode fbielen, und ihn mit Verſchlagenheit hintergehen. Der naͤmliche Trog verbindet ſich ſo mit einer gewiſſen frommen Refignation und diefe Miſchung von guter Laune und flils ler Melancholie ha tetwas fehr Liebenswürdiges.

Die Roth iſt vorüber; ich Täugne nicht, daß mir bang geweſen fei; doc) konnte ich nicht umhin, aud den Zuſtand der Andern zubeobadhten. Unſer lieber Magiſter Schmel- zer verhielt fi) während der Anftrengung ſchweigend und ernft; er drängte ſich nicht hervor, um die Leute mit Beten und Eingen zu ermuthigen. Als aber die Gefahr vorbei mar, trat er mit der Bibel und dem Geſangbuche aufs Verdec, und rief: Nun Kinder, laßt uns Gott danken, der

"uns in diefer großen Noth beigeftanden hat. Und mit fröm« merer Indrunft AR wohl das fhöne Lied: Nun dantet alle

Bruhftäde aus Eberhards Tagebuch. 23

Gott! nie gefungen worden. Es war eine Freude, den gu- ten Wolfgang dabei zu fehen, der ſich kurz vorher wie ein Zöme gebärdet hatte, und jegt wie ein Kind weinte.

Hanna Hellkraft verhielt fi‘ während des ganzen Err eigniffes ſtumm und troden; nur einmal, als es Ernft au werden drohete, rüdte fie in der Kajüte mit ihrem Stuhle zu mir, und ſprach: Eherhard, laß mid meinen Arm um Deinen Leib ſchlingen. So faß fie wieder ruhig, und hielt mic) in ihren Armen. Ich verftand die treue Seele fehr wohl: fie wollte mit mir fterben. Als aber die Ge fahr vorüber war, und id ihr Betragen deuten wollte, ließ fie es gar nicht gelten, und fagte und, es wäre ihr in dem Augenblide ſchwindlich geworden,

Litberg ging mitten unter dem Sturm zu Bette, nach⸗ dem er ung allen mit einem freundlihen bedeutungsvollen Händedrud. und Bid gute Nacht geſagt. Er verſuchte zu Schlafen, und Einige meinen, er habe wirklich geſchlafen. wie es am Ärgften tobte.

Lademann faß wie ein Berflärter in der Kajütentpüre:

und horchte dem Sturm, dem Kfappern in den Tauen, dem Heulen des Windes, dem entfeglihen Braufen der Wels Ien mit großer Vermunderung und Aufmerkfamteit zu. Man bemerfte dei ihm Feine Furcht; als fi) das Ungewitter ger Tegt hatte, faß er noch lange ftaunend in ſich ſeibſt gefehrt. Ih ging hin, rüttelte ihn am Aermel, und rief: Lademann! Der Sturm hat ſich gelegt. Weiß wohl, fagte er ferf- zend; ganz göttlih! Das waren mal Fugen und Chöre, Ein Concert fonder gleihen! Aber aud welche rieſenhafte Inftrumente! Und welde Lungen fie zu blafen! Welch ein Pedal in der Orgel! Er ſchwur darauf, er habe das fünf- geſtrichene C deutlich gehört; und die Piccoloflöte des Bin»

2 Bruhftüde aus Eberhards Tagebuch.

des habe ihm ganz vorzüglid; gefalen. Er habe Heute Naht unendlich viel gelernt, zweifle aber, das alles aufs Papier bringen zu können.

Das Shi hat einigen Ehaden befommen, und wir find wieder zurüd nad) Teneriffa getrieben; jegt werden wir doch dort anfern müffen.

2. Fortfepung aus Eberhards Tagebuch.

Teneriffa

Alſo kamen wir doch nach den glüdfeligen Infeln der Alten; und in der That, als wir bei Oratava anferten, und die fhöne perſpectiviſche Landfhaft mit dem hohen Die ſahen, der üher die Berggipfel, wie der Kölner Dom über die Bürgerhäufer hervorragte, fonnten wir uns nicht genug wandern. Ih habe von Kindesbeinen an die canarifchen Infeln geliebt. Ein Heiner Jugendfreund, aus diefem Lande gebürtig, hatte mit mir_fünf Jahre auf meiner Stube ge» lebt, mir taͤglich vorgefungen, und als der tleine gelbe Saͤn⸗ ger ſtarb, Hatte ic ihn mit Thränen in den gelben Taffet gekleidet, in eine Nürnberger Schachtel eingefargt, und in unferm Garten begraben. Auch von dem fhönen Cana⸗ rienfert wußte id) zu fagen. An allen Geburtstagen ward von dieſem koͤſtlichen Weine bei meinen-Aeltern getrunken, und id befam dann auch meinen Eleinen filbernen Becher - voll, um mit anzuftogen. So hatte ic mir in meiner jur

Bortfegung aus Eberharde Tageduch. 25

gendlichen Phantafle aus dem führen Geſchmac des Sects, dem luſtigen Gefange des Vogels, und der goldhellen Farbe beider, ein feenhaftes Gebilde zufammen gewebt; und id Tann nicht fagen, daß die Wirklichkeit hier, wie es doch oft iſt, dem Bilde der regen Phantaſie habe weichen müflen.

Litzberg ſchlug vor, eine Wanderung nad) dem Pic vor zunehmen ; ich hatte indeß Feine Zuft ihn zu begleiten. Von dem Pic hatte ich gelefen, und mußte, daß man viel von Kälte und Hige ausftehen müſſe, um hinauf zu gelangen. Bir fehen ihn doch bier am beften, fagte id; es iſt mit ihm, wie mit dem Regenbogen, er muß in der Ferne bes trachtet werden; mo er feldft ift, iſt nichts.

Herr, Wolfgang fah auch nicht gern, daß Litzberg diefe gefährliche Wanderung unternahm. Hab’ ih nun einen vorzüglihen Mann der Infel Felſenburg fo nahe gebracht, ſptach er, damit er ſich auf Tenerifa in Gefahr begebe? Barten Sie, bis wir nach Felſendurg kommen, da giebt’s Berge genug, da können Sie Metern. Litzberg aber, deſ⸗ fen größtes Vergnügen darin beftcht, Schwierigkeiten zu überwinden und tieffinnig zu fein, ließ ſich das nicht aus« reden. Lieber Mann! fagte er, laflen Sie jedem Thiere feine Gewohnheit! Wollen Sie mich gefangen halten, fo machen Sie es wentgftens fo fhlau, dag ich es nicht gewahr werde. Legt man doch ein Stück grünen Raſens in der Lerche Käfig, um ihr einzubilden, daß fie nod im Felde ſchmettere. Dem Bären pflanzt man eine Stange in feinen Bezirk, damit er nach Herzensluſt klettern Lönne, und mir, der ich doc ein Menſch bin, wollt ihr das Klettern verbie- ten? Laßt Euch durch diefen gemärhlichen Poeten nur nicht

26 Bortfeßung aus Eherbards Tagebuch.

iere leiten. Voeten kounen von der ganzen Flora nur Ro— fen, Lilien und Vergigmeinnicht. [ Lademann hatte aud keine Luft, die Himmelfahrt mit zu machen, tweil er aber feinen Freund in Gefahr nie ver- laſſen will, folgte er ihm treu. Ich werde während der Zeit mit dem großen Boote eine Meine Luftfahrt um die Infel machen.

Eucverloren.

Alein mit meinem treuen Pudel Sucverloren, Tieß ich mich vorgeftern von zwei Matrofen herum rudern; mo es der Wind erlaubte, fegelten wir. Bei der Stadt Gui« mar fteuerten wir ans Land. Es verlangte mich, die En- kel der vorigen Wilden zu fehen. Sie wohnen jegt in Elcie nen Hütten; und gehen wie Bettler in Lumpen einher. Ihre vorige kräftige Wildbeit haben fie verloren, von der euro« päifhen Bildung haben fie nichts erwiſcht. Hier bereitete mir der Zufall ein Abenteuer, das mir leicht das Leben hätte koſten können.

Ich ſpazierte, nachdem ich ein Eleines Mittagsmahl ger noffen, mit meinem Pudel im Walde. Die Matrofen blie ben im Boote, und ich verſprach, innerhalb drei Stunden wieder zu kommen. So made id) denn einen angenehmen Spaziergang; weil es mir aber zu heiß ward, ruhte ich unter einem Abhang des Berges, nahm meinen Krug mit Limonenfaft, nebft meinem Becher hervor, und mifchte den kühlen Trank der Duelle mit der angenehmen Säure, wähs rend ſich der Pudel ſchlicht hin mit dem fliegenden Waſſer begnũgte. Drauf ſtredte ich mic hin unter den Baum, der Hund aber.fing an zu fpüren, und plöplih ſab ich ihn in

Fortſetzung aus Eberhards Tagebuch. 27

eine große Höhlendffnung, die fait ganz von Gebüſch bes deAt war, einfhlünfen.

Wohl Hatte ich meine geladene Zlinte und meinen Hirſchfaͤnger mit; ich fühlte mid aber dennoch nicht ver» ſucht, in die unbekannte Erdhöhle mit hinein zu geben. Es dauerte nicht lange, fo kam der Pudel zurüd, fah mid an, bellte, und zupfte mich, als ich ihm noch nicht folgen wollte, am Kleide.

Die Neugier fing bei mir an zu fleigen; ohne mid Tange zu bedenken, folgte id.

Bir (id und der Hund) famen in eine hohe Grotte, die durd das Licht, welches oben durch eine Oeffnung fiel, ſchwach erleuchtet war. Es war fehr kalt da, und es fing an, mir unheimliher zu werden. Ich dachte an die ver» wundeten Lindwürmer meiner Kindermährden; hier wäre es nt unmöglich, daß fih eine ſolche Beftie aufgalten koͤnnte. Was ich zu fehen bekam, erſchredte mich faſt eben- fo fehr, als ein Lindwurm oder Boaſchlange es vermocht hätte. Ich entdedte eine große Menfchengeftalt, die an der Band fteif aufgerichtet ſtand, und mid mit hohlen melan- choliſchen Augen anftarrte. Ich griff nad) meiner Flinte, zielte auf den Fremden und gab mit Geberden zu verfie- ben, daß er ein Mann des Todes fei, wenn er ſich einen Schritt näher wage. Wie erftaunte id; aber, als id eine ganze Reihe folher braunen Niefengeftalten an der Wand aufgeftellt ſah, die mic, alle unverwandt mit trüben Yugen angrinzten. Ich entdedte bald, dag es Mnmien waren, in Biegenfellen mit Riemen ſehr fauber und knapp eingenäht. Die Haare hatten fie nod an den Köpfen, und · ich konnte die verſchloſſenen Hohlaugen, Nafen, Mund und Ohren, deutlich unterſcheiden. Ich mußte beinahe darüber Lachen,

28 Fortſetßung aus Eberhards Tagebuch

daß id den Mann des Todes mit dem Tode bedroht hafte. Die’Haare ftiegen mir aber zu Berge, als id) 3 bis.400 folder Leichname in der großen labyrinthiſchen Höhle ent- deete; wovon viele an der Wand aufgeftellt waren, viele auf dem Boden lagen. Abſcheuliche Gewohnheit, dachte ih, das ſchon Verdorbene als etwas Unvergängliches zu bewah⸗ ten. Barum bin ic) aber fo närrifc, etwas Gefbenfterar- tiges in diefen trodenen Hülfen zu fehen? Was fürdte ih? Rechne ich mid) zu ihnen oder nit? Thu' id es? Wes— bald fürdte ich denn meine eigenen Kameraden? Tu ic) es nicht? warum zittert denn meine zagende Seele? Eine leife Stimme ſpricht: Co wirft dereinft auch Du! Das ift nicht wahr! Welcher Dus foll fo werden? Mein wahres Ich, mein Geift, kann nicht fo werden. "Und was frag ih nad) einem alten Lumpen, den ich weggeworfen?

Diefe Gedanken gaben mir den Muth zurüd; und jeßt machte es mir fogar Vergnügen, herum zu geben in der Todeshalle der alten Guanchen, die wie die Aegyptier ſich auf das Balfamiren trefflich verftanden hatten. Bald ward ich doch meiner Unterfuhungen müde; denn die Leihname faben fi) alle gleich, und mid) verlangte wieder nad) dem Grünen und der Sonne.

Heiliger Gott, wie erſchrat ih, als ih den Ausgang der Höhle nicht finden konnte; die Gänge Ereuzten fi, fa«- ben fidy alle gleich; überal fanden die Mumien für mic, wie zum Spott, in zwei Neihen anfgeftellt, als Trabanten zum Orkus, der mid nun aud) einlud. Gerechter Himmel, dachte id), bin ich denn wieder im Gefahr, lebendig begras dig begraben zu werden? Soll id jept bier unter fo vie« len Leichnamen allein vermodern? Hier it kein Obadias Schlenk, der mich reiten Tann, Sein graͤßliches Bild am

" Sortfehuug aus Eherhards Tagebu 29

Gochgerichte ſtellte ſich auch noch meiner gereisten Phantafie dar, und es ſchien mir, als ſchwebe fein Geiſt an den Mus mien vorüber,

Ich lief wieder, aber vergeblich. Zulett ſetzte ih mich erfhöpft auf einen Stein und ließ die Augen zu Boden finten. Da ftand mein ehrlicher Suchverloren vor mir, we⸗ delte mit dem Schwanze und ftarrte mich an nftt den freuen blauen Augen, die im Dunkeln glänzten, und ein erquicken⸗ des Licht von fi gaben. Ein Strahl der Hoffnung ging mir auf. Sudverloren, ſprach ih (und diefer Name ſchien mir in diefem Augenblid fehr bedeutungsvoll und vrophetiſch gewählt zu fein) du haft deinen Herrn herein gebracht, fannft du ihm wieder hinaushelfen? Suche den Ausgang wieder aufl fonft find wir verloren.

Der Pudel ſchien feinen beängftigten Herrn zu verſte⸗ ben, er fab mid) wieder an, wedelte, Lief umher, roch an der Erde, um unfere Spur zu finden, verdoppelte feine Schritte, und ich folgte ihm herzklopfend, obſchon er einen Weg einſchlug, der tiefer in den Fels zu führen ſchien. Zur weilen Tief er ſo ſchnell, dag ich ihm nicht folgen Fonnte, ich fiel und umarınte eine todte Tran, deren Mund mit den braunen Zähnen meit offen fand. Bild richtete ich mid wieder auf. Der Hund war weg. Suchverloren! rief ich, verläßt du deinen Herrn, dann muß er bier ſterben. Wie Noahs Taube mit dem Delblatte kam aber das edle Thier wieder, mit der Limonenflaſche in den Zähnen, die ich uns ter dem Baum hatte liegen laſſen. Glückliches Beiden! Treuer Gefährte! rief ich. Ich nahm mir einen Zug aus der Flaſche, um mich zu ftärken und folgte dem Hunde, der bald freudig herum forang, bald langſam ging, um wich nicht zu verlieren. Es dauerte nicht lange, fo Rand

30 Fortſetzung aus Eberhards Tagebud.

id) wieder unter Gottes blauem Himmel, von grünen Sträus hen umringt, von warmer Luft ummeht, und fah in der Gerne den Fels feine weige Pyramide durd die Wolfen fireden. Ich ging ſogleich nad) dem Etrande, Die Boots Teute erwarteten mid) mit Ungeduld, denn es waren ſchon mehr als zivei Stunden über die verſprochene Seit verflofe fen. Bir fepten uns in den Kahn, mein treuer Pudel mir zu den Zügen. Ich umärmte meinen Befreier, und vers forad) ihm einen Halsband, worin feine That eingegraben werden follte, durch das ſchlichte Wort feines eigenen Nas mens: Sudverloren!

Der pie.

Als wir wieder bei Dratava landeten, fanden wir den Eapitain in voller Arbeit auf feinem Schiffe. Die Freunde waren von dem Pic noch nicht zurüd gekommen. Um mir die Zeit zu. vertreiben, aud) um einen Spaß mit Litzbergen zu haben, und ihm feine Roſen, Lilien und Bergigmeins nicht einzufalgen, holte id) einige alte Neifebefhreibungen aus der Kajüte und las die Erzählungen von dem Pic, fo dag ich in Kurzem mit diefem Berge fo vertraut war, als bätte id) dort Zeit Lebens gewohnt, und alle feine Merk⸗ würdigkeiten mit eignen Augen gefchen.

Am nächften Abend gegen Mitternacht kamen Ligberg und Lademann ganz erfhöpft von der Reife zurüd. Der Gapitain ließ ihnen ein gutes Abendeſſen bereiten, die Wan« derer ftärkten ſich ſchweigend; dann ward eine chineſiſche Bowle mit Glühwein auf den Tiſch geſetzt, Pfeifen ange ftedt, und num follte das. Erzählen angehen. Ich bat mir die Erlaubniß aus, anzufangen, und Lißberg verfepte fhöte tif: Ach das ift ja wahr, Ihr und der Hund habt euch

Fortſeßzung aus Eherhards Tagebuch. 31

herum rudern laſſen. Bitt' um Verzeihung, antwortete id, id) bin auf dem Pic gewefen,.und habe mir da aller lei Roſen, Lilien und Bergigmeinnicht gepflüdt. Ihr auf dem Pic? fragte Litzberg verwundert.” Haben wir uns doch da ſo ziemlich umgefehen; Euch haben wir aber nicht entdedt,

Als Ihr weggegangen war’t, verfeßte ich, Fand ih au, dag es fih nicht fhide, nach Teneriffa zu kymmen, ohne den Pic zu befehen. Ich folgte Euch alfo auf den Ferſen, und es wundert mid) nur, daß Ihr mid) nicht gefehen; Eud habe id) beinahe nicht aus den Augen verloren. Drauf kramte ich meine ganze Gelehrfamteit aus, erzählte, wie idy erft geritten, dann zu Fuß gegangen wäre, weil die Haare den Pferden wie Borſten in die Höhe geftanden; wie der mitgebradhte Wein mir in den Flaſchen fo kalt gewor · den, daß ich ihm nicht trinken konnte. Auf der Spike fei der Wind fo heftig geweſen, dag ich mid nur fo lange auf - halten Tönnen, bis ich mein Gewehr abgefeuert und die Ges ſundheit Sr. Majeftät des Königs gefrunfen habe. In den Krater hinunter zu ſteigen, um Schwefelblumen zu pflücken, dazu Habe ic) eben nicht befondere Luſt in mir gefpürt, un nicht das Schidfal des Cajus Plinius Secundus zu theilen. Im Hinunterfteigen freute mich aber der Rieſenſchatten des ungeheuern Pics in der Morgenröthe unendlid, weil er nicht 6108 über die Infel und das Meer, fondern aud hin» aus in die Luft feinen Lauf fortfege, und fo zu ſagen den Himmel verdunfelte,

Diefe Erzäplung, die id) mit vielen characteriſtiſchen Beſchreibungen ausftaffirte, feßte Lademann, der zerftreut zubörte, in das größte Grftaunen. Er konnte gar nicht bes greifen, wie id) da gewefen fei, ohne daß er mich gefehen habe.

32 Jortſetung aus Eberhards Tagebud.

Eine ſolche Reife noch einmal machen, tief Zademann, nein, dafür bedanfe ih mid. Barum nicht? frug id. Sie iſt ſehr leicht auf dem gepolſterten Felſen zu machen. Stredt Euch auf den Sopba, da habt Ihr die Neifeber ſchreibung des edlen Ritters Edmund Scory, darin Könnt Ihr es alles Iefen.

Schlag das Wetter drein, rief Lißberg, mit diefen ver» fluchten Büchern, diefen Efelsbrüden, wodurch die faule eitle Welt eine oberflaͤchliche Kenntniß von allen Dingen ber fommt, ohne fi anzuftrengen! Dieſe Dilettanten willen immer fehr geſchickt durch leichte Lectüre den Rahm von der Milch zu ſchäumen.

Bas hab’ id) nun davon, daß ich mich geſtern in Les bensgefahr gefeßt habe, um den Galdera ein Biffel näher zu unterfuhen? Cie haben die Gnade der Götter er» fahren, antwortete ich; fein Sie dankbar. Jeht erzählen Cie aber auch bübſch mein Abenteuer, wie id das Iprige erzählt habe. Willen Sie wohl, dag ih die merfmürdige Todtenhalle der alten Guanchen entdedt habe? Während Sie in die Luft ſtiegen, bin ich in die. Erde geftiegen, und bin nicht weniger in Lebensgefahr gewefen.. Da fteht mein ehrlicher Suchverloren, der kann meine Worte beätigen, denn er hat die ganze Reife mitgemaht. So laßt den Hund erzählen rief Lißberg, fonft glaub’ ich, dag Ihr wies der fügt. O Herr Gapitain! verfepte er, fein Sie doch fo gut, uns die alte Chronik holen zu laſſen, worin er die Entdedung der Todtenhalle gelefen hat. Er hat wirklich

die Erfahrung ſelbſt gemacht, antwortete Wolfgang. Doch

Ihr tofen Menſchen, wie bring’ ih Euch mit heiler Haut 38 dem lichen Grogvater auf Felſenburg? Schade, daß id Euch nicht vorher in Amfterdam habe aflekuriren laſſen.

\

3.

Gapitain Wolfgang erzählt feine Lebensge ſchichte.

Wie fie num zwiſchen den Wendekreiſen und der Linie, unter den Paflatwinden waren, mo es nicht viel für die Seeleute zu thun gab, rief der Gapitain die Freunde zu- fammen, und unter dem Schatten des großen Segels in der vom Paflatwinde apgefühlten Luft, festen fie fih an einem friſchen Morgen mit ihren Kaffeeföpfen um den Gar pitain, und diefer begann, mas er fo oft verſprochen hatte, Bruchſtücke feines Lebens zu erzählen.

Dieine Aeltgen waren gute ehrliche Schwaben; Hand- werter. die aus dem Bienenforbe Würtemberg auszogen, um fih zu Bien, als in einer fremden, blüthenreihen Linde niederzulaſſen. Mein Vater war ein Leinweber, und foll ein ganz trefflicher Heiterer Mann geweſen fein. Er liebte mich wie feinen Augapfel; bis zu meinem fünften Jahre trabbelte id ihm täglich auf den Knien, zündete ihm feine Pfeife, und mußte mit gefalteten Händen die Tiſchgebete berfagen. Nie ging id: zu Bette, ohne ihm vorher herzlich gute Naht zu fagen, und einen Kuß von ibm zu befom- men. Diefer einzige treue Freund in der Welt, an deflen mannltch⸗ kräͤftigem Geſichte id täglich meine kindlichen Au« ‚gen weidete, ſtarb, als id nur erft fünf Jahr alt war. Das Einzige, deſſen ich mid, aus diefer Zeit erinnere, find awei Verſe eines Liedes, das er immer an feinem oder mei⸗

Sehlenf. Ecriften. XVI. 3

3 Gapitain Bolfgung

ner Mutter Geburtstage fang, wenn er Gäfte bei fih batte, und wenn der Wein ihn, der fonft ein fehr ordentlicher Mann war, Iuftiger gemacht hatte. Dann fang er das Leineme- ber Lied; die Freunde mußten mit einfimmen, und in dem Refrain mit Mappernden Ellenbogen auf dem Tiſche, und mit ftampfenden Zügen das Geraͤuſch des Webftuhles nadje machen.

Die Leineweber wollten gottedfücchtig fein, (Hier kommt Das Klappern.) © Niegen fie durchs Kirchenfenſter hinein (Wieder Alappern.) Und ftahlen dem Paſtor fein Mepgewand, Rlappern.) Werben fie nicht gehangen, werden fie doch verdammt. (Wieder Klappern.)

Die Leinerseher nehmen feinen Lehriuugen am, Der fieben Jahre nicht faften kann,

Sieben Jahr’ nicht if blind wie ein junger Hund! Das macht, die Leineweber find fo gefund. u. f. w.

In reiferen Jahren hat dies Eid für mid) einen gro» Ben Werth gehabt, es ſchien mir den ganzen Charakter mei» nes Vaters einzuſchließen. Erſtens fah ich, daß er, wie es ſich einem deutſchen Handwerker geziemt, die altdeutihen Zunftlieder lichte und fhäßte. Zweitens, wenn ih an die Barmlofe Freude dachte, womit er das Lied vortrug, leuch⸗ tete mir feine Gutherzigkeit und Redlichkeit recht deutlich ein.

Freundlich genug batte die Natur dafür geforgt, mir ein ziemlich ähnliches Bild meines Vaters ohne Koften zu

erzählt feine Lebensgeſchichte. 3

hinterlaffen, das war nämlich mein eigenes Geſicht; denn alle Menfchen, die ihn gefannt haften, verfiherten, ih gliche ihm wie ein Waffertropfen dem andern. Doch mas ſpreche ich von Aehnlichkeit! wenn wir einft nad) Felſenburg kom men, und unfern lieben Eberhard. mit feinem Ahnberrn ver» gleichen, werden wir erft von Aehnlichteit fagen Können. Bas nun meine Aehnlichteit mit meinem feligen Vater bes trifft, fo hat fie mic zu einer eigenen Gewahnheit verleitet, die id) wohl mit mehreren heile, die ihren Aeltern nicht aͤhnlich find; ih kann nämlich nie einem Spiegel vorbeiges gehen, ohne meine Augen darein zu werfen. Oft ſteh' ich ſtundenlang betrachte mid) im Spiegel und ſpreche im Beifte mit meinem Bater, deſſen wirkliches Geſicht ich vergeflen habe. Und nie ift es ärger gemefen, als eben jeßt, da ich beinahe fein Alter erreicht habe. Ein junges luſtiges Fraucns zimmer aus meiner Bekanntſchaft ertappte mid eink auf friſcher That, und dachte mid, recht in Verlegenheit zu feßen. Bie erftaunte fie aber, a‘s fie mich in Thränen ger badet fand, und hörte, dag es nicht aus Eitelfeit, fondern aus Eindliher Liebe geſchehen fei.

Ich Hin, wie Ihr-gehört, ein quasi Wiener! ift Je⸗ mand von Eud in Wien gewefen? D ja, antwortete Litzberg. Nun wohl, verfepte der Gapitain, fo habt Ihr ohne Zweifel dort ein Iuftiges ruhiges Leben geführt, Hän- del und Mehifpeifen gegelen, und in ver Zeopoldfiadt den Cafvert gefehen? Als ic da war, ging es nicht fo. An⸗ fangs war freilich Alles fehr ruhig, und ich verlebte bei meiner Mutter, die das Handwerk meines Vaters fortfeßte, Mille einförmige Tage. Denkt Euch aber, wie einem kiei⸗ nen Knaben zu Muthe werden mußte, wenn er plößtzlich todtblaſſe Geſichter um ſich ſieht, wenn alle u Ge⸗

z6 Gapitain Bolfgang

werbe ftoden, wenn er auf den verfallenen Bafteien mit verzweifelter Anſtrengung arbeiten fieht, und hört: Es nahe ſich der Großvezier Kara Muftapha mit 200,000 Türken und Tatarn, um die Hauptſtadt zu erobern und in einen Schutthaufen zu verwandeln.

Wie ich das alles hörte, fing ic erbärmlid an zu wei⸗ nen; als id aber ein Stündchen geweint hatte, und vie Türken noch nicht famen, trodnete id die Augen, mei- nen Bregel, und vergaß die Gefahr.

Der Abend, an welchem der Hof die Hauptſtadt ver- Hieß, und fid) über die Donaubrücke nad) Linz begab, ſchwebt mir noch Mar vor dem Gedaͤchtniſſe Die Wagen konnten die Fliehenden nicht fortbringen. Vornehme Damen liefen mit Bündeln unter dem Arm, um hinten auf eine Kutſche zu kommen. Das Volk wüthete und ihimpfte auf die Re— gierung, befonders, als cs einen Wagen voll Iefuiten ſah; denn diefe waren Schuld daran, daß Ungarn in Aufruhr gerathen. Nur menige von ihnen entgingen der Rache und Buth der aufgebrachten Menge. Ein Küchenjunge, den ich Tannte, batte mir, feinem alten Kameraden, den er zufäls ig im Burgbofe traf, Plag bei fih auf einem Vackwagen verſchafft, und wir rollten ſchon zum Thore hinaus. Ich hatte in diefem Tumulte meine Mutter ganz vergeffen, und dachte nur daran zu entkommen. Unmweit der Burg begege nete fie ung; fie war ausgegangen, um mid) zu fuhen. Ad) mein liebes Kind, rief fie, als fie mich ſahz biſt Du’ geret» tet? So will id gern fterben. Lebe wohl, mein Leonhard! falle nit vom Wagen nnd komme glücklich nad Linz. Deine arme Mutter ſiehſt Du nimmermehr. Mutter, rief id, Du mußt mit fahren. Es ift kein Plag für fie, riefen die andern. So will id auch bier bleiben, fagte ic,

erzählt feine Lebensgeſchichte. 3

forang vom Wagen, und eilte in meiner Mutter Arme. Sogleidy hatte ein anderer meinen Pla eingenommen, und der Bagen rollte fort. Ad, mein liebes Kind, mas haft Du getban? rief die Mutter. Mutter, ih will es nicht defe fer haben als Du, rief ih, und fügte fie zu wiederholten Malen. Ach Du lieber Leonhard, wilft Du mit mir un. tergehen? frug fie feufzend, führte mid wieder nach Haufe, und bradte mir mit ſchwerem Herzen mein gewoͤhnliches Abendbrod.

So hätte ih, wie ein armes Lamm, geduldig im Schaf- ftalle mein Futter verzehrt, bis die Barbaren eingedrungen wären, und mir die Gurgel abgefhnitten Hätten, wenn nicht Gottesgülfe in einem freundlichen Nachbar erſchienen wäre. Diefer wadre Mann mar ein geborner Pole Franz Georg Koifchigky, der türkifc wie feine Mutterſprache verftand.

Wie denn? fiel ihm Ligderg ins Wort, Bruder Herz? Haben Sie den berühmten Bruder Herz gefannt, deifen ges woͤhnlicher Gruß nachher über ganz Deutſchland zum Sprüd« worte geworden if? Er war unfer Erretter! verfepte Wolfe gang: denn meine Mutter und ihr Bruder, ein guter lan» ger vierfdrötiger Echulmeifter, in abgetragenem ſchwarzen Node, dachte an nichts. Ja, letzterer fing fogar an, mid) in den drangvollften Tagen lateiniſche Grammatik Lehren zu wollen. Bruder Herz, (mir wollen ihn diefen Eprentitel behalten laſſen) mar unferm Haufe und befonders mir klei⸗ nem Springinsfeld fehr zugethan. So trat er denn eines Abends Herein, als meine Mutter Heim Spinnroden faß, und mein Dheim mir das ſchwierige unregelmäßige Ber bum fero, tuli, latum, ferre einbläuen wollte. Nein, Bruder Herz! rief Kolſchizky, diefe Unregelmäßigteit kön⸗ nen wir weder länger tragen noch ertragen. Stedt Euer

3 - Sapitain Bolfgang

Büchlein zu Euch, Schulmeiſter! und Ior Frau Mupme, nehmt alle Eure Epwaaren und verteilt fie unter Euch in drei Bündel. Ic trage ſchon bier, wie Ihr febt, eine ziem⸗ liche Bürde, dann wollen wir in Gottes Namen fortgehen. 60,000 Menſchen haben bereits die Etadt verlaflen. Ih will Euch retten und in Sicherheit wifen. So gingen wir denn mit Bruder Herz, wie die Yraeliten mit Mofes durch die Wüſte. Umd eine Wüſte konnte man es freilid nennen, denn überall trafen wir nur abgebrannte Schlöffer und Doͤr⸗ fer, niedergeftampfte Aecker; und wir mären gewiß bald von herumſchweifenden Tatarenborden niedergefäbelt, odee in die Sklaverei gefchleppt worden, wenn uns nicht Bruder Herz durd feine Unerfchrodenheit, Befonnenheit und Kennt niß der Gegend gerettet hätte. _

Beit wegfliehen, ſprach er, geht nicht! Wie will man einen langen Weg machen, ohne auf einige der 200,000 Mann au flogen, die wie Weepen und Hummeln in der Gegend ohne Ordnung herum ſchwärmen. Sich verbergen, geht eher, und wo die Zürfen einmal gewefen find, geplündert, gemordet und verheert haben, kommen fie nicht wieder. Drauf führte er uns zu einem benachbarten abgebrannten Schloſſe im Walde. Bir wußten nit, mas wir in diefem Scqutthaufen folten; Bruder Herz ſprach aber: Ich kenne diefe alte Burg; fle it auf Felſen gebaut, und bier And ganz treffliche Kellerwölbungen, die von den Türken gewiß unentdedt geblieben find.

In diefem herrlichen Gewölbe, das Iuftig und trocken genug war, trafen wir nicht allein Schuß und Zuflucht, fondern aud Lebensmittel vollauf, um zwei Monate dort leben zu können.

Um friſche Luft zu ſchöpfen, ging id während der Zeit

erzäplt feine Lebensgeſchichte. 9

mit Bruder Herz oft des Nachts hinaus in den Wald, wenn alles ſtil war. Meine Mutter aber und ihr Bruder mag ten fi nicht hervor. Bruder Herz hatte aud andere Gründe zu diefen naͤchtlichen Walfahrten ; er wollte etwas vom Zuftande der Stadt willen. Ad wie ſchnitt es ihm in's Herz, wenn er die Naketen in der Nacht von dem ho⸗ ben Stepbanstyurme der bedrängten Stadt auffteigen ſah, um dem Herzoge von Lothringen ihre dringende Noth an» aufündigen. Das find fonft Zeichen der Freude, zu Hoch⸗ zeiten und Feſten, mein Junge, fagte er tief bewegt, jeht tündigen die Feuerfäulchen die baldige Bluthochzeit an.

Wir feten uns auf einen moosbewachfenen Stein uns ter einem großen Baume. Der Mond warf nur ſparſame Strahlen durd die vorüberfliegenden Wolken; id, fah in den Baum hinauf, und es ſchien mir, als ſchwebten drei Engel im Baume, in weißen Gemändern, von den ſchoͤn⸗ Men Gliedmaßen, die Gefihter aber konnte ich nicht feben, denn fie kehrten mir den Rüden; die Häupter waren ges beugt, und die fhönen langen goldenen Locken walten ih»

nen bis zu den Hüften.

Aber wie beſchreibe ich Euch die Verzweiflung und die Wuth meines edlen Freundes, als er drei ſchöͤne Mädchen entdedie, von den Türken an den Baum gebentt! Doch tröftete er ih mit den Worten: Dankt Gott, arme Mad⸗ hen, daß ihr eure Schmach nicht überlebt habt; ich wi euch ein chriſtliches Besräbnig geben. Drauf brachte er mic) armen, vor Schred halb todten Knaben wieder in den Keller, und begrub die Todten.

In der naͤchſten Nacht hatten wir die Freude, uns an den Türen zu raͤchen, und einen ganzen ganzen Haufen unſchuldiger Chriſten zu retten.

40 7 Gapitain Bolfgang

Bruder Herz batte nah und nad) mehrere Schießge- wwehre in den Keller geb acht, alle diefe hatte er, ſcharf ge laden, an den Eingang geftellt, und ſich dert einige ver- ftedte Schichlocher gemacht. Bir murden in der Nacht durd ein lautes Geſpraͤch unweit der Kellerthüre, das ſich mit einem Zant endigte, aus dem Schlafe geftört. Bruder Herz und ih waren gleih munter und an unfern Späß löchern. Drei Türken zankten fi laut mit einem Bierten. Sie hatten zwanzig niedliche Kinder mitgebradt, alle uns ter fieben Jahren, die fanft wie Lämmer Paarweife vor ihnen hergingen, mit Riemen zufammengefhnürt. Auf dem Plage vor dem Keller ward Halt gemacht, und jept fonn- ten die vier Türken nicht einig werden. Der Menſchlichſte von ihnen wollte, daß man die Kinder verkaufe, die drei andern fagten: Bir haben ſchon Beute genug, wir wollen uns jegt auch einen Spaß maden, und die Meinen Ehri- ftenhündchen an den großen Baum da, wo wir vorgeftern die Mädchen gehenkt haben, alle auffnüpfen. Der gute Türke ſprach: Sind fie aud) Ungläubige, fo Ind fie doch Menſchen; fie find Kinder! Ihre Unſchuld fhmilzt mir die Seele. Seht, wie fie dort fiehen, und uns mit fanften Augen anfdauen. Fort Weihling! riefen die Andern, wenn Du den Anblid niht ertragen fannft. Er ſpornte fein MEord md verſchwand in der Ferne. Um nun aber

aſamkeit recht die Krone aufzufeßen. gingen die ve herum, verteilten Brod aus einem Korbe une inder, und ſprachen ihnın zu. daß fie zum letzten⸗ afollten. Die armen Kleinen, die den ganzen Tag gehungert hatten, griffen begierig nad) dem Brode jeigten einander die Biſſen und frohlodten; die fingen fogar unter dem Baume an zu fpielen, als

erzählt feine Lebensgeſchichte. 4

man ihnen die Banden getöft hatte, Inzwiſchen bereiteten ihre Henfer die Schlingen. uud der Aergſte und Häglihfte griff, wie Polyphem die Genoſſen des Ulyſſes, einen klei⸗ nen ſchoͤn Iodigen Rnaben, der an ihm vorbeiging, bei den Haaren, und warf ihm die Schlinge um den Hals.

In eben dem Augenblide fiel-ein Schu und der Hen» ter ſtürzte zu Boden. Die andern zwei munderten fid, und warfen die Augen umber, um den Feind zu entdeden, der zweite Schuß fiel, und der zweite Räuber lag binge- firedt. Sehr leicht wäre e6 dem Bruder Herz gewefen, den dritten eben fo unverfehens zu todten. Als aber die Par- tie gleich fand, erlaubte ee ihm feine Tapferkeit nicht, er flürzte aus dem Hinterhalte hervor, und als er den Feind mit heftigen Worten berausgefordert halte, begann ein Ger fecht, welches damit endigte, daß er mit feiner guten Klinge den Hirntaſten des Türken ſpaltete.

Nach geendigtem Streite, da ich zu ihm berauszufome men wagte, war er ganz · verdrießlich, und rief ärgerlich), ine dem er fein Schwert in die Scheide ſtieß: Da bat mid, meine Hige wieder zu einem dummen Streiche verleitet. Bie fo? frug ih. Ihr habt ja geſiegt und die Kinder ger rettet. Gefept aber, antwortete er, ich hätte es nicht, folte id denn diefe armen Seelen. und End im Keller fol» cher Gefahr ausfepen?

Als er uns nun gefihert (ab, verließ er uns, um der bedraͤngten Stadt zu Hülfe zu eilen; und feine Thaten find in der Belt Hinlänglid) bekannt geworden, und wohl auch Euch zu Obren gefommen.

Inzwiſchen führten wir in dem Gewölbe ein abgeſon⸗ dertes, obſchon gar nicht rubiges Lehen, denn wir Kinder, die wir doch nicht immer ftill fein konnten, machten von

42 Gapitain Wolfgang

Zeit zu Zeit in den weiten Gängen unferer Unterwelt einen boͤlliſchen Lärm, wie mein Obeim, der Schufmeifter, ſich ausdrüdte. Um uns zu befidäftigen, und um in fein eige- nes Element verfeßt zu werden; fing er an, eine Schule un« ter uns einzurichten. Einige von den Knaben, die von den Türken gefangen waren, gerade als fie zur Schule gingen, hatten noch die ABE Bücher in der Taſche, und mit dies fen Eremplaren mußten fid) alle behelfen. Mein vierferd« tiger Obeim, der unter Kindern feine Würde zu behaupten mußte, bielt die Beine Republit in ziemliher Ordnung. Bumeilen machte fie es ihm jedoch zu fraus; dann Fonnte er recht ärgerlich) werden, und klagte bitterlid darüber, daß er feine Ruthe in den Keller mitgenommen habe. Einſt als er fehr böfe geworden, weil den Kindern die Buchſta⸗ ben und Sylben nicht recht in den Kopf wollten, nahm er feinen Muth zufammen, und begab fid in einer Dunkeln Nacht hinaus in den Bald, um fih eine Ruthe von dem Baume zu ſchneiden, an weldem die Türken die kleinen Spettafelmader hatten henfen wollen. Als es aber zur Erekution kam, und die Jungen fürchterlich zu brüllen an⸗ fingen, ward er blaß, wie die Wand, und bat die Knaben um Gotteswillen zu ſchweigen, damit wir in unferm Hin« terhakte nicht entdedt würden,

Am zwölften September theilten wir das allgemeine Entzüden, als Bruder Herz wieder Bam, unfere eiferne Thür weit öffnete und uns die Rettuug und Befreiung! von den Türken verkündigte. Ieder fuchte nun’ die Seinen; und da ergab es ſich denn, dag meine Mutter ganz verarmt ger worden, weil unfrre Wohnung am Kärnthnerthore, von Bomben getroffen, mit den Bebftühlen und allem Geräthe in Aſche gelegt war. Doch half uns der liebe Gott wieder

erzählt feine Lebensgeſchichte. 43

durch unfern treuen Bruder Her. Denn es begab fih, dag er eben mit mir am Graben ftand, als des Königs von Polen Majeſtaͤt Johann Eobickfy auf dem prächtigen weis gen Hengfte des Großveziers, vom Volke mit Segenswän- ſchen begleitet, vorbeiritt. Als er meinen Beſchuͤtzer fab, den er fhon kannte, grüßte ex ihn freundlich, und ich hüpfte vor Freude, und füßte dem König mehrmals die Stiefeln, wie ich gefehen, daß ſchon mehrere andere gethan hatten. IR der Peine flinke Knabe Dein Sopn, mein waderer Kol ſchizty? frug der König. Nein, Ihro Majefät, war die Aatwort, er iſt eine bintarme Baife, deſſen Mutter in die⸗ fer Noth Hab und Gut verloren hat. Der Eleine Patriot vergißt aber fein eigenes Elend, und dankt Eud, weil Ihr fein Vaterland gerettet Habt. Der König lächelte, griff in den Buſen und holte eine ſcwwere goldene Kette mit Juwe Ien hervor; (er hatte neulich im Türkenlager unermeplihe Beute gemacht) reichte. mir die Kette und fagte: Bring Deiner Mutter dies Geſchmeide, mein Kind! das wird ihr, bo id), den Verluſt erfepen. Lehe wohl, mein braver Kol⸗ ſchißkv, fuhr er fort; mir willen, was wir Dir ſchuldig find; ohne Dich hätte die Hauptſtadt den Muth verloren, und wir wären mit der Hülfe zu fyät gefommen. Darauf ritt er mit gnädigem Haͤndewinken weiter, vom Jaudzen der Menge begleitet. Bruder Herz drachte mich au meiner Mutter, und num waren wir, durch den trefflihen Freund, wieder in Beblftand gerathen.

Wie wir jegt reicher geworden, hatte ich auch Luſt ber tommen. ein edieres Gewerbe zu treiben. IA wollte gern Serofficier werden, und reifte mit einem hollaͤndiſchen Freuude nach Amfterdam. Es gelang mir, Cadet zu werden und im Kriege zum Offlcier und endlich bis aum Gapitain zu avam .

4 Gapitain Bolfgang

ciren. Ich will Euch den Krieg nicht weiter hier erzählen; fo etwas lieſt man beffer in den Zeitungen.

Als der Friede geſchloſſen war, nahm id meinen Ab- ſchied; ich hatte aber die See zu lieb gewonnen, um fie fo bald zu verlaffen; vielmehr gelüftete es mich, mit dem gro⸗ sen Weltmeere genauere Bekanntſchaft zu machen. Ich fand es nicht unter meiner Würde, als Capitain in der Marine

Kauffahrtheifahrer zu werden. Die Kauffahrtheifahrer ſchie- nen mir vielmehr die eigentlichen Seeleute zu fein. Die Lis nienſchiffe find große Mafchinen, zu Schlachten an der Küfte beftimmt; auf den weit ungemaͤchlicern Fahrzeugen, mit z weniger Hülfe, pflügt der Schiffer das abenteuerlihe

cr.

Ich hatte mein Schiff mit Waaren befrachtet, und wollte nad) BWeftindien fegein, um ſolche mit Vortheil abaufekenz kaum waren wir aber im atlantifhen Meere. fo ward id gewahrt, daß ich einen großen Fehler dadurd begangen hatte, Leute zu Dingen, ohne nad) ihrem Charakter und ih- rer Lebensweife zu fragen, wenn fie nur tüchtig, muthig und ſtark waren. Es dauerte nicht Lange, fo fah ih, daß diefe Schufte zum Auswurf der Menfchheit gehörten. Kaum vermochte ih, hald durd Strenge, bald durh Güte, fie in Ordnung zu halten, und mid in Reſpect zu’ ſehen. Auch merfte ih, daß fie ſich oft heimlich beſprachen.

Ich war mir das Aergfte vermuthend umd das Näths fel Töfte fi bald, als der Hauptfhelm unter ihnen, Jean le Grand, wit zwei andern, eines Morgens zu mir in die Kajüte trat, Ich griff nach meinen Piftolen uud rief: Bas mollt Tor? Bolt Ihr Meuterei anfangen, da Ihr Euch drei Mann ftart. ohne Erfaubnig in die Kajüte des Eapis tains eindrängt? Entfernt Eu! oder ich ſchieße dem er-

erzäblt feine Lebensgeſchichte. 45

fen, der da ſpricht, eine Kugel dur den Kopf. Bil Je⸗ mand mit mir reden, fo muß er allein kommen.

Sie verbeugten fd mit fbeinbarer Demuth, und vers ſicherten, fie hätten nichts Böfes im Sinne, weil aber der Herr Gapitain es befehle, verfeßten fie ironiſch, wollten fie wieder gehen, und eine gelegenere Zeit abwarten. Dar mit entfernten fie ſich, und ic) faß allein in der Kajäte mit ‚meinen Piſtolen.

Ich dachte: Was hilft langes Zaudern? Geſchehe bald, mas geſchehen mug. Benigftens will id) mein Leben theuer verkaufen. Ich gürtete mein Schwert Im, ftedte noch zwei Terzerolen in den Bufen, nahm eine Piltole in jede Hand, trat heraus, ſah fie alle auf dem Verdec beifammen, und tief: Bas wollt Ipr von mir? Hier fieb’ ih! Ican le Grand, als der Verſchlagenſte, Klügfte und Boshaftefte unter ihnen, trat fehr affectirt hervor, griff an feine Müpe, und ſprach: Der Here Sapitain ereifere ſich nicht, und glaube nicht, Daß mir gegen Ihn etwas Böfes im Schilde führen. Bir ha⸗ ben Ihm nur freundlich einen Beinen Vorſchlag zu thun. Ihr wollt nach MWeftindien, um Handel zu treiben, und wir follen als gedungene Matroſen Euch das Schtff dahin brin⸗ gen, damit Ihr Eure Waare dort mit Profit abſehen Lönnt. Mit diefem Plane find wir nun aus zwei Gründen nicht zufrieden; erftens weil nur allein Ihr, und Niemand von uns feinen Vortheil dabei findet, zweitens weil es ung gemein vortömmt, daß flch brave Seeleute mit Schachern abgeben. Bir find alle Helden aus den letzten Seetreffen. Hätte der Krieg länger gedauert, wären wohl auch mehrere von uns, wie der Herr Gapitain, avancirt. Wenn aber das Glück nicht gutwillig fommen wil, muß man es bei den Haaren berbeizichen. Die Fürften haben Frieden ger

4 Gapitain Bolfgang

ſchloſſen, ohne uns zu fragen, nun wollen wir, ohne fie zu fragen, den Krieg noch eine Weile auf eigne Hand fortiehen. Ein ehrlicher Freibeuter ift überall geachtet, und dieſes Mes tier war, wie uns die Gefdichte Ichrt, in den heroiſchen Zeiten fehr ehrenvol. Die alten Skandinavier haben fi durd) ſolche Thaten unſterblich gemacht; wir brauden aber nicht fo weit zurüd zu gehen! Auch im verwichenen Jahr. hunderte haben die Boucaniers und die Flibuſtiers Wun⸗ der der Tapferfeit von der Infel St. Domingo und dem Meinen Gilande la Tortue aus, verrichtet. In ihre Fuße tapfen, die weder Sturm nod Bellen auslöfhen können, wollen wir treten. Wir haben gehört, eine Silberflotte werde bald aus Brafilien nach Spanien gehen; auf diefe wollen wir Jagd maden. Das hat mehr zu bedeuten, als armfelige Waaren in Weftindien zu verkaufen. Und Ihr ſollt unfer Anführer verbleiben, wenn Ihr Eud in Güte dazu verftehen wollt, mit uns gemeinfhaftlihe Sache zu machen.

Ich antwortete: Ich konnte Euch hintergehen, ja fas gen, und nachher nur daran denken, Euch in's Verderben zu ſtürzen Das will ich aber nicht; ich will Euch nicht be⸗ trügen, und id) erkaufe mein Leben nicht durch eine Züge, Ich fönnte Euch über Pfiicht und Treue eine Predigt hats ten; das will id) aud nicht; denn ih weiß, es würde mir nichts helfen; und bin id nicht länger Euer Gapitain, fo will ich wenigftens nicht Euer Narr fein. Schiff und Fracht will ih Euch überlaffen! Ihr könnt es nehmen, ohne mir mein Lehen zu rauben. Wollt Ihr mid) aber durchaus er morden, fo thus. Ich bettle Euch nit um Gnade. Gebt mir aber lieber die Schaluppe, gebt mir Eßwaaren für drei Wochen, und laßt mir meine treuen Schiffsjungen Paul

erzählt feine Lebensgeſchichte. 4:

und Rudolf. Das Wetter it (hön, id werde mein Gläd aufs Neue verfuhen. Vergehen wir, fo begegnet ung nur, was ſchon fo vielen wackern Geeleuten begegnet ift, und was uns auch auf einem großen Schiffe treffen könnte. Ich bin Chrift, Habe gelernt, Geredjtigkeit zu üben, und an Unfterblicpkeit zu glauben. Bor Holands Feinden habe ich nicht gezittert; ich zittre nicht vor dem Teufel, und nicht vor Eu!

Diefe Rede gefiel den Matrofen; der niedertraͤchtige Jean le Grand aber ärgerte fi über meine Kecheit, wos rin er deutlich Verachtung gegen ſich entdedte. Er mollte

fogleih auf mich abdrüden, ein anderer flug ihm jedoch

die Piftole aus der Hand und der Schuß ging Ins, ohne Schaden zu thun. Der andre rief, man folle mid nicht ohne Noth umbringen. Diefem Verlangen ftimmten Meh rere bei. So verfeßte ich dann gelaflen: IA bin Euer Gefangner, macht mit mir, was Ihr wolli. Ich ging binunter in die Kajüte und erwartete mein Schidfal, das ſich wohl bald entfdieden hätte, wenn nicht die folgende Nacht ein ſchreclicher Sturm entftanden wäre, wobei die Böſewichter ganz den Muth verloren; theils weil einige glaubten, es fei Gottes Strafe, theils meil der Steuermann den fie mit in's Complott gezogen batten, frank lag, und fein anderer fid) getrauete, in diefer Gefahr das Schiff zu lenken. Sie kamen zu mir und baten mid, Schiff und Les ben zu retten. Ich blich mit gefalteten Händen ruhig in meinem Lehnſtuhle figen, fah zur Erde, und fagte: Ihr habt mid, meines Amts entfeht, jetzt rettet Euch ſelbſt. Sie gingen wieder hinauf. Jean le Grand meinte, er würde ſchon ohne mid fertig werden; er war freifih cin großer Wagehals, aber ein ſchlechter Steuermann, und die Gefahr

‘48 Gapitain Bolfgang

» flieg mit jedem Kugenblide. Ich faß ganz vorſtoct in der Kojüte, als ein alter Matrofe hinunter fam, und ganz pblegmatiſch fagte, indem ex die Kapuze abnahm: „Ih foßte den Herrn Gapitain gefälligft bitten, einen Augenblic binauf zu fommen, Jetzt vergehen wir gleich.“ Ich mußte über den Gleichmuth des Alten iachen, der mir diefe Kunde in demfelben Zone rapportirte, als wenn er mir zu fagen hätte, dag mein Eſſen auf dem Tiſche fände. Der Selbfte erhaltungstrieb erwachte indeß bei mir; ich fprang auf das Verdec, und rief: Reut Euch Eure That, und wollt Ihr mir wieder Treue (hören, fo fol alles vergeffen fein, und mit Gottes Hülfe wil Euch reiten. Alle ſtrecten die Hände sen Himmel, und bethenerten mit gräglihen Eidſchwüren. daß fie mir treu fein, und mir unbedingten Gehorſam leis ften wollten. So ftrengte id) denn alle meine Kräfte an, und es dauerte nicht lange, fo waren wir außer Gefahr, und der Sturm legte ſich.

Müde von der Anftrengung ging ic zu Bette und ſchlief ruhig ein. Als id wieder erwachte, fand ich mich feſt in Banden unten im Sciffsraume in eine Ede hingeworfen.

Ich fühlte, dag ich unklug gehandelt hatte. Wie tonnte ich mid) auf Treue und Eidſchwüre folder Böfewicte ver⸗ laſſen, und glauben, daß fie Dankbarkeit gegen mid) beweifen mürden, weil id) ihnen das Leben rettete? Meines vorigen Stolzes und meiner Unerbittlickeit würden fie ſich aber um fo beffer erinnern ; diefe neue Verpflihtung, würde mein Schick⸗ fat ſchneller entſcheiden, damit fie eines Läftigen Menſchen los würden. Hätte ich mid) unbedingt und ohne Trotz bin« gegeben, Hätte ich gleich ohne Bedingungen ihren Willen erfüllt, fo wären fie vieleicht gerührt und zum Mitleid ber

erzählt feine Lebensgeſchichte. 49

wogen worden. Der Gedanke aber, von ſolchem Janbagel bemitleidet zu werden und Wohlthaten von den Schurken zu empfangen, die alles geräubt hatten, war mir ärger als der Tod.

Mein treuer Schiffsiunge Paul beſucte mid und er- zählte, da Sean le Grand durd feine Reden und Bor Rellungen alle Gemüther für id gewonnen habe. Ein Paar von ibnen wären freilich unzufrieden, müßten aber gute Miene halten, um nicht ermordet zu werden. Jetzt [maus ſten fie und zechten alle droben auf dem Verdecke. Ich fonnte ihren wilden Gefang unten im Raume hören. Jean le Grand hatte mir einen ewigen Haß geſchworen; die Mannſchaft wollte aber nicht erlauben, daß mir ein Leides geſchehe: fie waren überein gefommen, mir das Boot zu ges ben und mid dann den Wellen zu überlaffen. Paul folte mid) abholen; er ſchnitt mir die Stride wieder los, und ich folgte ihm hinauf auf'g Verde,

Hier faßen die Näuber alle um einen langen Tiſch, und verpraßten mein Eigenthum. Ein Stuhl ftand auch für mich da, und Jean. le Grand fprad:

Gapitain, die Brüderfhaft bat beſchloſſen, Euch das Meine Boot zu überlafien, und Ihr ſollt es Haben. Lebens⸗ mittel oder fonft etwas befommt Ihr aber nicht. Die Vor febung, anf die Ihr fo trohig baut, wird Euch ferner hel⸗ fen, was braucht Ihr folhe Schufte, wie uns, darum zu betteln? Ein Paar weichherzige Serien wollten freilich, dag wir Euch verprovianfiren follten, wir haben aber geftimmt, die Mehrheit ift dagegen: ich verbiete es jegt, Kraft meines Amtes als Hauptmann der Freibeuter, und werde dem Er ſten eine Kugel durch's Gehirn jagen, der noch ein Wort davon ſpricht. Iept fept Euch, und U Euch zum

Geblenf. Schriften. XVI.

5. Capitain Wolfgang

Abſchied, fo viel Ihr wollt! Ihr könnt es möthig haben, denn Ihr babt eine chen fo beſchwerliche Reife anzutreten, als des Elias vierzigtägige Neife auf den Berg Horeb.

Erſt in diefem Augenblide ergriff mid) Kleinmuth. Bor einer Hinrichtung hätte mir‘ nicht gegrauf, der Hungertod ſtellte Ach aber plöglih vor meine Seele mit allen entſet - lichen Zügen. IA bat fie demüthig, Mitleid mit mir zu haben, und mir wenigftens Lebenemittel für acht Tage mit- zugeben. Mein armer Paul brad) in Thränen aus und rief, es wäre ſchändlich, mid auf dem falzigen Meere vers ſchmachten zu laſſen, mährend fie ſich felbft mit meinem Eiv genthume zu Gute thäten. Kaum aber hatte der arme Zunge diefe Worte geredet, fo traf ihn die Kugel des grau« famen le Grand fo, dag fie ihm den Hirnfhädel zerſpal- tete, er fiel rüdwärts und befprüßte mid) mit feinem treuen Blute. Iean fe Grand aber fagte ruhig, indem er ſich wie⸗ der feßte, und der Leihnam in die See geworfen war, Ge— borfam gegen Die Gefege (und der Wille der Brüderſchaft iſt Gefeh) gesiemt wadern Freibeutern, und ift notwendig, menn wir die ſbaniſche Silberflotte erobern wollen. .

Dies Zauberwort machte auf die niedrigen, eigennüßi- gen Menſchen einen ſtarken Eindrud, und die leichte Re— gung von Menſchlichteit, die in ihrer Bruft entfianden war, verſchwand ſogleich nieder.

Drauf kehrte Jean le Grand ſich zu mir und ſprach: Euer Loos iſt geworfen! Füllet euren Magen mit gutem Eſſen und Trinken, und ftärft Euch, daß Ihr es fo lange aushaltet, als möglich. Wahrſcheinlich wird es Eure Ichte Mahlzeit werden.

As ih merkte, dag id) den Elenden mit Worten nicht erweichen konnte, Dachte ich: Ic) will den Hund nicht mehr

erzählt (eine Lebensgeſchichie. 5

vergeblich anrufen, ich will nicht hier wie ein armer Sän- der figen. Effe ih nicht, fo werde id) im Boote bald ohne mädtig, und dann ift feine Rettung mehr möglich. Mad’ ich aber eine gute Mahlzeit, fo kann id es doch ein Paar Tage aushalten. Diefer Gedanke gab mir den Appetit wies der, und-id weit mehr, als ich pflegte.

Ein tühtiger Kerl, hörte ich mehrere Freibeuter unter ſich murmeln; er hat nicht das Hafenfieber. Da irrten fie ſich aber, denn ich eigentlih nur aus Furcht zu ver bungern.

Als der Punfhnapf auf den Tiſch Fam, tranten die Gauner alle fpottweife, laut jauchzend, meine Gefundheit. Was mid am meiften ärgerte war, daß mein zweiter Schiffs Junge, Rudolf, den id) eben fo fehr wie den Paul geliebt hatt, ganz zu diefem treuen Kameraden den Gegenfag machte, und mic ärger als alle andern mit unverfhämten Epotte und Schimpfreden verhöhntes weshalb ihm auch Iean le Grand, der jest fehr benebelt worden war, den Befehl gab, mein Boot zu unterfuhen, ob mir Jemand vieleicht etwas zugeftelit habe. Er kam bald zurüd und verſicherte. es wäre nicht fo viel, dag fid eine Maus daran fättigen fönne. So ward id denn mit vielen Geremonien von der betrunkenen Brüderfhaft ins Boot gebracht; mo mir noch Iean le Grand zum Abſchiede eine Dofe mit Schnupftabak verehrte, und ein altes Meſſer. Rudolf fuhr fort mid; zu verhöhnen; drauf ſchnell meine Hand ergrets fend, während die Andern es nicht merkten, raunte er mir ing Obr: Lebt wohl, mein theurer Herr und Wohlthäter! Vergebt dem armen Rudolf! Ihr werdet im Boote Eh ıaaren finden. So führte er mi ſcnell in’s Boot hin unter , ftieg mit einer Bootftange meinen Kahn in die Ste

52. Gapitain Bolfgang

und unter einem lauten Hurrah der Mannfhaft, ſah ich mein Schiff wegſegeln, und fid in die Ferne verlieren.

Als id) mir felbſt überlaffen war. fand ih unter mei» mem Eige, der mit einer Matte bededt war, einen Beutel mit Schiffszwiebad, zwei Stud geräuchertes Fleiſch, einen großen Krug vol friſchen Waſſers, zwei Flaſchen Wein, und einige Stüde Bindfaden, Ales diefes Hatte mir der gute Rudolf mit Lchensgefahr zugeftedt.

So trieb ich denn umber, ohne Land zu fehen, ohne ein Schiff zu treffen, und hatte nod den Schmerz, an mtis nes treuen Pauls Leichnam vorbei zu fegeln. Ih erhob meine Hände zum Himmel, dankte ihm für feine Treue und beweinte fein Scyidfat. Durd eine plöplihe Bewegung des Bootes war ich fo unglücklich, all mein friſches Waſſer in’s Meer zu verfhütten. Dieſer Verluft raubte mir ganz den Muth. Der Himmel erbarmte ſich aber, es fiel ein milder Regen, und ich konnte meinen Krug, mit dem Waſſer, das id) in der Matte auffing, ganz wieder füllen. Ich bedauerte nur, daß ich nicht mehr Krüge hatte. Am dritten Tage hatte ich das Glüd, durd eine Schlinge, die ih mir aus den Bindfaden gemacht, einen Meinen Seehund zu fangen. Hier kam mir das alte Mefler, das mir Jean Ie Grand ſpottweiſe verehrt hatte, wohl zu ftatten. Ich tödtete den Seehund damit, die zerfhnittenen Stüde begoß ih mit Bein und briet fie in der Mittagsfonne. Die Mahlzeit Märkte mic wunderbar. Auch der Tabak erheiterte mich im rauhen Wetter. Meine Matte war wieder troden, ih wit⸗ fette mich darein, ftredte mich bin im Boote, und ſchlief tubig ein.

Als ich wieder erwachte, war mein Meines Fahrzeug auf eine Sandbank feſt gelaufen, und ale id die Augen

erzählt feine Lebensgeſchichte. 58

aufſchlug, fah id über mir einen ungcheuren Felſen. Ich watete fogleih vom Boote nad dem Felſen, um feftes Land au gewinnen. Kaum ftand ic) auf dem Trodenen, als «in Bind ſich erhob, und mein Boot wieder in’s Meer hin austrieb. J

Jetzt Hatte ich freilich feſten Boden gewonnen, der Fel- fen ſchien mir aber tahl und unbewohnt und ich ſtand bier aller Hülfe beraubt. Bu meinem Troſte entdedte id) einen großen Waſſerfall, der mit außerordentlichem Geräufhe aus dem Felſen forang. und fi in's Meer ergo. Ich eilte fo ſehr ich Fonnte, um dabin zu gelangen und meinen Durft au loſchen.

Denkt Euch aber meine Verzweiflung, als das frifhe Waſſer plöglich zu fliegen aufhörte und mir, als ich dahin kam, nur einen dunfeln trodenen Schlund zeigte.

Ih warf mic) wie wahnfinnig zur Erde, und rief un

tröſtlich: Unendliche, ewige Natur! thuft du fo große Wun⸗ der, um einem armfeligen leidenden Gefhönf den legten Labetrunk zu verfagen? Diefer Flug hat vieleicht feit Iabre bunderten feinen Lauf fo genommen, Bögel und Thiere feit der Sündflut gelabt, fobald ich aber die zitternde hohle Hand gegen ihn ausftrede, ftodt er plötzlich und verfiegt. Run, fo mil id denn auch nicht mehr hoffen. Die Vor⸗ fehung hat meinen Untergang beſchloſſen, und mir diefen trodnen Schlund zum Grabe angemwiefen. So rufend ſtreckte ich mic) verzweifelt hin auf die Kierelfteine,

Doc) 18 ift jetzt Zeit, daß id) abbreche, ſprach der Ca⸗ pitain, denn was jept folgt, werdet Ihr ſelbſt in einigen Zagen erfahren, wenn wir an der Sandbank und an dem Felſen anfern. D Rudolf, gieb mir ein Glas Bein! die Erzählung hat mir den Hals troden gemacht,

54 Die Landung auf Felfenburg.

Ein wohlgewachſener Iüngling, des Capitains Diener, (den ſchon Eberhard in Amfterdam gefchen, als er feinen Herrn vom Schauſpiele abrief,) brachte auf einem Zeller das Berlangte; und der Gapitain Wolfgang ſprach, indem er ihn bei der Hand nahm: Ic) habe hier die Ehre, der Geſellſchaft meinen ehrlichen Rudolf vorzuftellen. Das Glück bat ung wieder vereint, und ich hoffe, dag wir Lünftig fhd« nere Tage mit einander verleben werden!

4. Die Landung auf Felſenburg

Sehr geſchigt Hatte der Capitain Wolfgang Ort und Zeit zu feiner Erzählung gewählt, und fehr Hug brad er eben da ab, wo ſich die Wirklichkeit der Erinnerung reis zend anknüpfte, .

Glüclicherweiſe braucht Erzähler diefes nichts von dem Seinigen hinzu zu fügen; es findet ih in dem Tagebuche des Herrn Julius das Fragment eines Gedichte, welches er kurz nach der Landung auf Zelfendurg verfaßt haben mag, HH er die Scene, fo gut es gehen will, homeriſch be»

reiht,

Eberhards Gedicht.

Uber nachdem wir das Meer genftügt, vom ſtarken Paſſatwind Fortgetrieben, Neptun auf dem Eanthus reitet nicht fchneiler, Wet mich der treffliche Wolfgang laut, ald am Morgen des Dftens

Die Landung auf Felfenburg. 5

vurdur ftieg aus dem bleiernen Schooß nachtähnlicher Bellen, Bern im Meere zu fhad'n Die erwünfchten Heiligen Zelfen, Welche die fahlen Häupter empor auftnuchten gen Himmel, Sieden der Wollen gleich, im Geflhtötreis! ber fie wuchſen Wiiefengroß aus der faligen Mat, und mah'ten dem Schif fich; Zeigten mit Dornenbäcfen beroachfen erflaunliche Blöce, Unfruchtbarer noch ald das Meer; unzählige Fiſche,

Hayn, Merefchweine doch wimmelten hier: in ſteinernen Mlüften Sarien Geevögel vergeblich nach fparfam wachfenden Beeren, Nur aus dem harten Gefein, mit Geräuſch bergpolternder @eifer, @prubeite reich Die Fiut aus den Gingeweiden des Werhes,

Und vermifchte Das füße Getränf mit bitterem Meerfal.

Dort dedt Brandungen ziſchend der Echaum, hier brachen die Miffe Zorniger Srandungen Bath; Sandbanten hoben fich ſchneeweis Mus den gebrochenen Weiten, im cup vorragender Klippen; Hügeln {m Felde gleich, die mit Reinigen Scheiteln da Reh, @ieblich von wogenden Medeen umringt, des Iuftigen Feldes. Diefe luden und ein, im Schatten und da iu erfeifchen.

And ald Unter geroorfen, verließen die Männer den Dreimaft, Welche der Saiffer ertor, zu teilen das fhöne Geheimniß. Cage mir, Mufe! Die Namen des fröhlich landenden Hauſens.

GR der würdige Diener des Herrn, der trefliche Gchmelier, (Schön war der Rame gewählt, denn er ſchmolz die Herien in Andacht) Sarısarı im Denat, als ein lutyeriſcher Pfarrer gefleidet,

Sties er in’d Boot und trug im ſchwarzen Sammet gebunden And mit Eilberbefchlag verdiert, Die heilige Bibel,

Sigderg drauf, der räftige Geift, old ehrbarer Bürger

Mn der Meichhfadiggrann war fein Roc, von Blantem Metalle Zeug er Die Inftrumente der mathematifchen Forſchung

Bierlich im rothen Befted, Ihm folgte ſchlant mit der Harfe

5% Die Landung auf Felfenburg.

Sademann mit dem blonden Geficht und den wahlenben Soden. Mber der Meit, den ſelbſt ein gefegneteg Eiland niemals 2eider fo gamı entbehrl, ald Graduirier im rothen - Mantel erſchien, mit Baret von fchönem purpurmen Gammet, Wie es aiſer Muguf dem Greetter felber gegeben. Drauf ein großer erfeenlicher Schmid, gar fauber in Mleidern, Doch mit Iedernem Gchucifell vorn, und Hammer und Zange Zeug er in nervigter Hand, und der Hut ſas (hräg auf Der Gtirne, Drauf ich felbf, Eiudent aus Leipsig, ſchwarz und in Echnhen, And an der Seite mic ding der sierlich Rählerne Degen. Hanna ‚Heilkraft drauf, die Schweierin; reichlicher Oaarwucs Wabenfchwars in Flechten dem Müden entlang, und das Haupt ihr Sagaitet ein breiter Hut, mit chrbar flatternden Bändern, Gndlich der trefflihe Schifer in feinem bläulichen Tuch, Mit Golbfaumen gebränt, und den Hut mit ähnlichen Treffen, Und in der Hand das gemwalt'ge Echwert, das oft in Gefahr im Ehe’ erworben, und Rußen den meervertrauten Batavern. Diefe Befenfchaft war's, die beflieg den heiligen Seifen.

Doc die Datrofen folgten in Böten, und in der Gchaluppe Brachten fie wiederfehrend das Gut and Europa, die Ballen Aufgeſtapelt in Klüften des Berge, damit nicht die Salaflut Ehadete Büchern und Stoff, Seinwand und dem treflichen Berkieng, @täglern, mit Mahagonienhol, verfertigt in England.

Much viel trefüched Bich ward gebracht dem wartenden Gand.

Sechs Gtüd brünender Küp, und ein Stier aus der Marfch; und die ‚Hengfte

Sie herten nach den Stuten, geholt vom graſigen Dan mart.

Schafe mangeiten nicht, und Difd« kretſende

Otredten die Häupter empor nach Dem Kraut des bürftigen Felſens.

Auch calitutifche Hühner vol Zorn mit blutigen Rämmen,

Die Landung anf Kelieubur, Und pplegmatifche Schwein’, Deren euer ir ene

Küclein pickten das Korn in Käfgen; —— Sehnten ſich mach Dem Mafler uud ſchrien auf wachen Arber. Much vier Gfel blärseten laut, den Feiſen becigenb;,

Heijeude Tauben, einige weiß und Die übrigen famwerdia Wirrten und fenäbelten fich liebtofend gleich auf dem Gerawss, Noch vier Hunde (cılofien den Zug, in Gtriden gebunden Blicten ſie Höhnifch und Rumm auf erbärmlich miauende Kapen, Mber nachdem nun Mücd auf fehlen Boden gebracht war,

Dantte der tretfliche Schiffer dem Bolt, entblößte dad Haupt ſich Wufend mit tönender Stimm’: Ih dank Euch, mad're Geſellen! Anfer Geihäft iR vonbracht; weis ſiad im Hafen der Bünfche. Dandert Gpc nicht, und bier auf nactem Beflein zu verlaffen! Gott wird ferner forgen, fürwaht. Ans lächelt die Zukunft, Mber gedentt des heiligen GiD's, den Jeder gefdhworen;

Dad vorlaut die Lippe nicht ſpricht; bewahrt Dad Gebeimniß! ‚Hier, als denker des Schifis, als Haupt der gehorfamen Mauuſchaft. Sten ich Euch Ferdinand Horn, den Steurer vor, er betritt jept Weinen Play; ſo sehorcher ipm treu, mit gesiemender Ehrfurcht. Seat? Such der Himmel künftiges Glac. und baldige Rädtehe.

Doch die gebärteten Soͤdne deb Meerd, die Troder des Windes Beineten laut wie Rinder und ſchwenkien die fchwarien Rapulen Diederdoit in die Suft, und riefen (lnchiend ihr Ourrad⸗ Gerlamienb! & lebe der brave Gapitain, der trefliche Wolfgang! Eegn ipn Gast! denn er iR und ein Zreund, ein Water geweien.

Darauf errichteten wir das Geickt, und blieben den gansen Tas am fandigen Straud, bis das Schiff feine Auker gelichtet. ber nachdem mit Ranonengeichoß Abſchied cd genommen,

53 Die Landung auf Felfenburg.

Bern in die Macht verſchwindend, da fliegen rothe Maleien, Wömifche Sichter, lieblich zu ſehn von fpipigen Seifen, Eaufeten über und hin in (hönen Bogen und Enaitten.

WS die Dämmernde Eos mit Mofenfingeen emporflieg, „Und und ein kurzer Schlummer gelabt, begaben wie fämmtlich Und au dem MWaflerfal, der geflern gewaltig gefprubelt, Weber Dad Bunderbild des gehemmten Stromes au Aaunen, Doch ganz troden ſchon maren des Schlunds gehauene Stufen Und zehn Jünglinge, fhön wie der Tag, mit brennenden Fackeln Mltdeutich alle gefleidet und hachdeutfch ſprechend wie Cachfen, Namen wie Engel bervor, und erflanneten über den Mablic, Drauf den treflichen Freund umarmend, den rütigen Wolfgang, Kepeten fie fich nach mir, und erfammten mich gleich an den Zügen, Rannten mich Better und Freund, und Drüdten mich fe an den Buſen. Zedt begab fich der Zug durch den Schlund des gewaltigen Berge Sangfam gemächlich ſteigend auf breiten Stufen des Feiſens. Mer die größeren Thier’ und bie Ballen wurden Durch MBinden, Trefflich ſtart auf der Klippe gebaut, in tragenden Seilen Meder den Felſen gehoben und landen auf sierlichen Wagen Schon im Grünen, gehäuft, auf Dem Plap den Fremden erwartend.

Wie ein Kranker, der lange Das Wett gehütet, er naht ſich Täglich ducch Dämmernde Echlände der Furcht Den Dallen des Todes; Giche da endet fich ſchnel Die Roth, er genefet, Das Leben Winft ihm wieder und ſchoner mit allen blühenden Beenden;

&o wir Aaunenden Fremden, das Sci, das enge, verlaffend, Grin duchfchleichend den Gang des audgetrecineten Versſtroms. MUS auf Hlüpender Mu, von Gebirg umgürtet und MBaldung, Wieder das deilige Sicht, als nengeboren, und aufthat Varadieſiſche Suft und einlud, Die Grüchte au koſten.

Die Landung auf Felfenburg.

Sicher gehemmt war der Fluß durch Dämme gewaltiger Balten, Stufen zu beiden @eiten gehau'n, das Feld zu gersinnen, 80 Baumgänge gewölbt von Mfazien herrlich ſich reiten, Doppelt, jenfeits des Fluſſes und hier. von üppigen Bacätthums ; Und ein Teppich des frifcheften Gründ von Blumen gefpreikeit, Zeigte Die reizende Gerne des (cheäg anlanfenden Hügen. Yalmen, Granat, Gitronen, Simenienbäum’ und die Beige, Und an ber deutfchen Giche gedieh Der indiſche Bambus. Fenchtbar waren die Thaler und lieferten (chöned Bemüfe, Yortulad, Yeterflie, Senf, Iguamen und Rüben, Ananas, Pifang, Melonen, Erbſen und Bohnen; Wach Pataten und Yams und Cocus zeigte häufig.

Weiter, von feiner gaffenden Eqhaar gedrängt noch verhindert. Fahren wir ganz gemächlich in ſchon gesimmerten Wagen, Bit dem ſcnellen Geipann vielendiger bräunlicher Gieſche. Kein Einwohner begegnet‘ und da, den Weg zu verengen, Aber jenfeits fahen wir Häufige Echaaren in Reihen Gecundlich gräßend, den Hut abnehmend, gefieidet wie reiche Sandeinwohner in Sachfen vor hundert und mehreren Jahren.

Ufo mahten wir und dem baumbewachfenen Hügel, So ein geräumiged Haus, mit dem Dach von röchligen Ziegeln Ecön ſich erhob, und zeigte die Burg der Infel; wo einft du, albert Julius, treflicher Greis, Großvater der Enkel, Ms ein Züngling die Hütte gebaut; Gntdeder des Gilands,

Wie wir und nahen und jogen in fchöngeordneten Reihen Ueder den Find, auf der Brüde, vom Pol des Waldes geiimmert, Siede, da dffnete ſich der ſittſam grüßende Haufen,

Mt den heitern Gefchtern, und lud und ein, nach dem Paine

60 Der Großvater fängt an

Sleich zu eilen, wo Bänm’ als Pilaſter der gothiſchen Kirche Schlank ſich wölhten, und wo und der Greis erwartet’ im Lehnſtuhl.

Aber die Jünglinge feeueten ſich der wichernden Pferde, Wütter und Bäter fog'n mit Bergnügen die Kuh’ und die,Echafincht, Madchen die Tauben, und Kinder die Körner frefienden Hühner: Etrecien die Heinen Händ’ hinaus mit Krumen des Meotes, Giefen: Kiterifi! Denn, ie kannten fie aus der Befcheeibung.

"Uber der herrliche Greis mit locigen Gilberbarte, Mit dem offnen gefunden Geſicht und der Stirne vol del Sob vom Stuple ſich ſchnell, dem kommenden Entel ermartend, Wief: Mein Eberhard! Gott! ja Du’bils! Ich kenne den Bruder! Und von den Armen des Greiſes gedrückt, füß weinte der Jungling!

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Der Großvater fängt an feine Lebensgeſchichte zu erzählen.

Unfere Neifenden find fhon acht Tage auf der Infel Felſenburg, haben ſich umgefehen, und die Täler zum Theil von den Einwohnern bebaut gefunden. Sie haben den Hirten» und Aderleuten, die in niedlichen Häufern wohnen, mit Bibeln, Gefangbühern, mit weltlichen Schrif - ten, eifernem Hausgeräte u. ſ. w., Geſchenke gemacht. Sie haben die Felfen, von denen die Infel wie von einer Feſtung umgeben iſt, beſtiegen, und herrliche Metalladern

feine Lebensgeſchichte au erzählen. 6

in den Schichten gefunden; fie find durch den Wald gegan gen, und haben treffliches Bauholz überall angetroffen. Je⸗ den Abend find fie zur Albertsburg, zum lichen Großvater zurückgekehrt, und haben den Abend mit ihm froöͤhlich zuge⸗ bracht. Auch haben fie ſchon dem Gottesdienfte in der fühe den boben Laube beigewohnt. Magifter Schmelzer hat eine f&öne Predigt gehalten, Lademann auf einer mitgebrachten Handorgel gefpielt; Andaht und Freude haben die Ger meinde beſeelt, und der fräftige Greis bat unter dem Gote tesdienfte herzlich geweint. In den Rath der Grauen (feine Grafen, fondern wirkliche Greife, wie zu den Zeiten Karl des Großen) find die gebildeten Europäer: Schmel⸗ zer, Wolfgang, Lipberg und Eberhard aufgenommen. Schmelzer und Eberhard Haben das Schul- und Erzie hungsweſen unter fib; Ligberg ift Direktor der Induftrie und der Gebäude. Wolfgang hat ein militairiſches Inftie tut eingerichtet. Lademann aber wünfcht kein großes Amt; er mil lieber unter Lißberg arbeiten, und ihm gehorcht wieder der treflihe Schmid Heinrich Wetterling. Der Arzt, Herr Cramer, hat Gott Lob als foldyer nicht viel zu thun gehabt, denm die Leute hier auf der Infel find ger fund, und fterben gewöhnlid nur in hobem Alter; als Bor taniter und Naturkundiger wird er aber der Infel von gro» Gem Nupen fein. Hanna Hellkraft ift wieder ganz in ide rem Elemente. ie hat eine Landwirthſchaft angefangen; die Kühe und die Schafe gehören zu ihrem Departement, und auf des Großvaters Tiſch hat fie ſchon trefflichen Schweizerfäs zum Defert gebracht. Ligberg hat eine (höne Lbonſchict gefunden, von der er Porzellan zu fabriciren. denft. Eine Kirche fell auf der Iufel gebaut werden, und die rüſtigen Männer, die bier das Maurer+ und. Bimmer-

62 Der Großvater fängt an

bandwerf treiben, werden unter Ligbergen Lademann treffe liche Dienfte leiften. Jeden Abend. wenn die Freunde nach Haufe kehren, und zu Nacht gegeſſen haben, erzählt der Grogvater Albert Julius ein Kapitel aus feinem Lehense Taufe. Bir wollen ihn feloft reden hören, und feine Er— sählung nit dadurdy unterbrechen, dag wir die Tagesar- beit der Zuhörer dazwiſchen einſchieben.

Der Greis erzählt alfo, und wir fliegen uns an den trauten Kreis der Zuhörer.

Ih babe oft fagen hören: Die Menfhen find nicht immer glüdlih, darum ift es beſſer mit Trübfal anzufan» gen, als umgekehrt. Ich mag ſolche Redensarten nicht. Die mebreften Menſchen find freilich nit immer glücklich; viele werden cs nie. Barum follte es aber nicht mitunter ganz glückliche Menſchen geben?

Was mid, beirifft, fo habe ich freilich ziemlich Früh den Wermuthsbecher geleert. Gott hat aber alles zum Bes ften gelenkt.

Wenn id in meinem Gedächtniffe zu den fräheften Er. innerungen zurüdgebe, fo finde ich mic, im fehsten Jahre meines Alters, in der großen fhönen Stadt Prag in Boh men, mo mein Water Stephanus Julius bei der hohen Säule als Lehrer der Philofophie angefellt war; und wo meine Aeltern anderthalb Jahr ein ruhiges glüdliches Leben führten. Der unfelige Zwieſpalt zwiſchen Lutheranern und Neformirten, der ſich auf einige Meine Abweichungen der Glaubensformeln gründete, hatte fhon zu großen Uneinig« keiten Anlaß gegeben, und war wohl die Haupturfadhe, marum die Reformation nicht weiter gedieh, fondern viel

feine Zebensgefhichte au erzählen. 6

mehr zurädging. Mein Vater Leg ſich aber nicht irre ma- ben, und als er einen Huf durdy den Hofprediger des Kd« nige, Ecultetus, bekommen hatte, verließ er Sachſen, und 308 nad) Prag, in fehr chrenvoller Anftellung, nachdem er zu der teformirten Religion übergetreten war. Diefer Echritt koſtete zwar meiner guten Mutter viele Tpränen; denn fie war aus Eiſenach gebürtig, aus dem Geſchlechte Luthers, und fehr firenge in der lutheriſchen Glaubensform, welche fie auch nie ablegen wollte, erzogen.

Lieber Großvater! rief Eberhard bier in freudiger Beſtürzung. it Ihre Mutter auch aus dem Geſchlechte Lutbere? Ad dann find wir ja einander doppelt ver⸗ wandte?" Daher ſchreibt fid die große Achnlickeit, fagte der Greis, den Jüngling herzlich umarmend, und fubr in feiner Geſchichte fort,

Das Glück meines armen Vaters dauerte nicht lange. Svpinola rüdte von Spanien ber in die Rheinpfalz mit 24,000 Wann; fodann fhlugen Marimilian von Bayern und der öfterreihifye General Bouquoi am 8. November 1620 die Böhmen aufs Haupt, wodurch fih Ferdinand in feine Rechte wieder einfepte, und Friederich genäthigt ward, nach Holland zu fliehen.

Länger denn drei Monate nad der Schlacht war in Drag alles fo ftil aeblicben, daß die Böhmen bereits boffe ten, fie würden ungeftraft wegtommen. Auf einmal wur⸗ den aber vierundvierzig der vornehmften Häupter der Em» pörung in ibren Häufern feitgenommen und in’s Gefängniß gefhleppt. Unter diefen waren der Nektor der Univerfität Ieffenius, und mein unglükliger Vater.

Bir Kinder gingen ein Paar Tage vor diefem Ereig⸗ niſſe forgles umher, ſpielten und freuten uns, denn «6

64 Der Großvater fängt an

nabte fid) eben der Geburtstag unferes Vaters. Eben wie die Gefundheit meines Vaters ausgebracht werden follte, ward ſtark an die Thäre geflopft. Er eilte ſelbſt binaus. In der offenen Thüte ftanden Hellebardiften, die ihn er- griffen und in’s Gefängnig abführten. Denkt Euch, welch ein Geburtstag für Mutter und Kinder!

Die Gaͤſte bezeigten uns allen tief ſchweigend mit Hän« dedrud und Thraͤnenblick das herzlichſte Mitleid.

Wir Kinder wußten uicht, wo er binging, und was die Hellebardiften eigentlich gewollt hatten; wir meinten und jammerten, weil der gute Bater an feinem Geburts tage weggeſchleppt ward, und die verzweifelnde Mutter konnte ung nicht tröften.

Es verſloſſen acht Tage, in welden die Mutter far fein Wort ſprach. Sie ging und kam, gab uns unfere Nahrung zu rechter Zeit, weinte, betete, las in Gefangbü« bern und in der Bibel, und lehrte uns Kindern unter vie⸗ len Thränen das ſchöne Lied: Iefus, meine Zuver- ſicht. J

„Ach Gott!“ rief Ederhard. Er faßte ſich aber und ſchwieg, um den Greis nicht zu unterbrechen.

An einem Nadmittage kam der Schneider mit einem Bündel Kleider. Ohne uns fie anzupaflen, wie er fonft pflegte, legte er das Bündel mit befümmertem Geſichte auf den Tiſch, drüdte meiner Mutter die Hand, ſprach: nehme feinen Heller dafür,“ und entfernte fih ſchnell. ſt pflegten wir uns immer zu freuen, wenn wir neue Kleider bekamen, jetzt ſchüttelte uns aber ein ahnungsvolles Grauen, als die Mutter das Bündel aufmachte, und wir fahen, dag es ſchwarze Kleider waren. Ach ift mein Vater ſcon todt? rief Rudolf, der Aelteſte. Noch lebt er, mein Sohn, ant

feine Bebensgefhichte zu erzäplen. 65

wortete die Matter, zieht die Kleider an, Kinder! ich wil die meinigen aud anziehen, dann gehen wir, den lieben Vater zum Iepten Male im Gefängniffe zu beſuchen. Er wünſcht uns fo zu fehen. Gr will die Trauer feiner Lie ben vor feiner Hinfahrt vor Augen haben. Es wird ihn tröften und freuen. Ich fühle mich ſtart genug dazu. Kommt, Kinder!

Wir gingen in unfern ſchwarzen Kleidern dahin, der lieben Mutter zur Seite. Es war ihr ein fauerer Gang, und fie mußte fi) unterweges mehrmals fegen. ‚Der Ge⸗ fängnigvogt öffnete uns die eiferne Thür, wir traten in’s Zimmer, von einer ſchwachen Lampe dDämmernd erhellt, und fanden zitternd vor Furcht vor einem blafien bagern Manne mit hohlen Augen und ftruppigem Barte, der in der Ede in Gedanfen vertieft mit verfchlungenen Armen, die Augen auf den Boden gerichtet, ſaß. Es mar unfer Bater! Ich ertannte ihn an dem gewöhnlichen Morgenüberrode, den er immer des Vormittags bei feinen Arbeiten trag. Wenn ich auf feinem Schooße faß. pflegte ic ihm am einem der meffingenen Knöpfe zu drehen; und diefer Knopf bing noch loſe am Faden herab. Bei dem Geräuſche fhlug er die Augen auf und ſtarrte uns an; kaum hatte er und aber erkannt, fo ſpraug er auf, drüdte uns heftig an die Bruft, amd Lüßte uns zu wiederholten Malen. Drauf zog er uns bin zum Lidhte, um mit inniger Liebe unfere Geſichtezüge recht zu betrachten. Iept halten wir alle Furcht verloren, ich feßte mich wie fonft auf feine Knie, Rudolf ſtellte ſich üben zur Seite, und die Mutter fepte ſich ihm gerade ger genuber. Bas er dann ſprach, hat uns die Mutter made . der wieder erzäblt. Es Tautet ohngefäbt alfo: Lieben Kine der! Euer Bater ſoll erben. Weinet- nicht, fies Euch

Pa, earifin. XVL.

66 Der Großvater fängt an

nicht! Wie oft dab’ id Euch gefagt: der Tod fei für den guten Menfchen nur ein Uebergang zum ſchöneren Dafein- Von äugerfter Wichtigkeit it es mir aber, daß Ihr es wißt und glaubt, Euer Vater fterbe unf&uldig. Noch feid Ihr zu Mein, um das Alles zu begreifen, was ih Euch von meinem Schickſale fagen Fönnte; fo viel mögt Ihr in- deß vernehmen: Die Menſchen, die ſich Chriften nennen, rafen noch immer, wie Iuden und Heiden vor 1620 Jade ren, als Chriftus geboren ward. Statt fi zu feiner bimme liſchen Lehre zu halten, Gott über alles, und ihren Näch⸗ ften wie ſich feloft zu lieben, zanken fie fih um Wunder. thaten und Nebenſachen, und ein graͤßlicher Religionskrieg wird nad meinem Zode in vielen Jahren Europa und bes fonders unfer deutſches Vaterland verwäten. Als Opfer dieſer Parteiwuth und Seftenfümärmerei falle ih. Eure Mutter bringt Eud nad) meinem Tode zu ihren Verwand⸗ ten in Eiſenach, wo, wie ich es wünfde, Ihr in der luthe⸗ riſchen Kirche erzogen werdet. Glaubt aber ja nicht, Kin« der, daß Euer Vater feinen Glauben verläugnet habe. Sroifhen Lutheranern und Neformirten ift nur ein fehr einer Unterſchied, der, wenn der Eifer nicht beiderfeits zu heftig geweſen wäre, zum größten Heile des Chriſtenthums leicht hätte ausgeglichen werden können. Und jet, Kinder, wollen wir den leßten Abend freundlich unter einander zu⸗ dringen. Der Gefängnigvogt bringt uns bier ein gutes Abendeſſen, Waſſer und eine Flaſche edlen Weins. Bir wollen uns einbilden, dag wir in gemaͤchlicher Ruhe wie- der fo mit einander fißen. Kommt Albert und Rudolf, laßt mid) in Euren Meinen zinnernen Becher -ein wenig Bein giegen. Ihr follt mit der lichen Mutter auf die Ger fundpeit Eures Waters trinken, den Abend vor feinem

feine Lebensgeſchichte zu erzählen. 67

Geburtstage. Ia, tief er freudig⸗maͤnnlich, und ſchlug die Präftigen Augen gen Himmel, morgen werde ich neuge- doren! Weint nicht, ibr Lieben, weil der Vater kurz vor Euch eine große Wallfahrt unternimmt; wir fehen uns ja bald wieder.

So fliegen wir denn mit ihm an, und tranken wei- nend auf feine Gefundpeit, wie er es haben wollte. Wir munderten ung über den herrlichen Mann, der in diefem Zuſtande fo heiter fein, und fo vielen Muth zeigen konnte; wir waren daran gewöhnt, uns von feinem Gefühle, von feinen Meinungen beherrſchen zu laffen; fo, aßen wir denn getroſt unfer Abendbrod mit gutem Appetit wie er. Die Mutter aber konnte nichts genießen, fie meinte ftil vor ſich bin, indeſſen freute es fie doc, den geliebten Gatten mit feinen beiden Knaben fo ftandhaft und muthig zu fehen.

Drauf ſprach der Vater: Bir pflegten font oft des Abends Gefhicten und Mähren mit einander zu leſen; jegt wollen wir die Leidensgeſchichte des himmliſchen Jeſu iefen, der weit unfhuldiger als ih armer Sünder fterben mußte. Dann wollen wir aud das Evangelium vom bei» ligen Stenhanus Iefen.

Mein Vater, meine Mutter und mein Bruder laſen nun wechſelsweiſe, und die Leiden des Erlöfers, die er fo fanft, fo kräftig, fo geduldig, fo Fhön ertragen hatte, ftärften fie, das ihrige auszuhalten. Ich kleiner Junge Tonnte das alles nicht faſſen und mitfühlen; meine kindliche Gelaffenheit, Verwunderung und Zerftreutyeit rühren fie aber noch mehr; befonders als ic) mit gefalteten Händen das Evangelium vom Stephano, das id) answendig fonnte, - laut herfagte, und mit den Worten ſchloß: „So fteinigten fie Stephanus, der rief und ſprach: „dert au nimm

68 Der Großvater fängt an

meinen Geift aufı" Er fniete aber nieder, und ſchrie laut: „Herr, behalte ihnen diefe Sünde nicht! Und als er das geſagt hatte, entſchlief er.“

Es herrſchte eine tiefe Stille, nachdem ich geendigt hatte, und die Andern beteten leiſe. Drauf nahm der Va⸗ ter das Geſangbuch, ſchlug ein Lied auf und ſtimmte mit ſtarker Bapftimme an. Meine Mutter hatte einen herrli⸗ hen Alt, wir zwei Knaben waren Diskantiften, fo fangen wir den Choral dreitimmig, wie es uns der Vater gelehrt hatte:

Jeſus meine Zuverficht

Und mein Heiland ift im Leben! Dieſes weiß ich! font’ ih nicht Darum mich zufrieden geben? Was die lange Todesnacht

Mir auch für Gedanken macht.

34 bin Fleiſch und muß daher Mc) einmal zu Aſche werden; Das gefteh” ich; doch wird er Mich erweclen aus der Erden, Das ich in der Herrlichkeit Um ihn fein mög’ allezeit.

Diefer meiner Augen Sicht

Bird ihn, meinen Heiland, fennen; Ich, ich felbft, Bein Fremder micht, Berd’ in feiner Liebe brennen; Rur die Schwachheit um und an Wird von mir. fein abgethan.

feine Lebensgeſchichte zu erzählen. 6

Bas hier Frantet, feufit und ficht, Wird dort friſch und herrlich gehen; Ardiſch werd’ ich ausgefä’t, OSimmliſch werd’ ich auferſtehen. Gier geh ich natürlich ein!

Nachmals werd" ich geiflich fein!

Nachdem wir das Lied gefungen hatten, küßten wir unferm Vater die Hand, und wünfhten ihm gute Nadıt, wie gewoͤhnlich, wenn wir zu Bette geben follten. Gr ume arme uns, und befradıtete uns fange mit unfäglier Liebe. Drauf nahm er die Bibel von dem Tifche, und die filberne Uhr aus der Taſche, ‘verehrte meinem Bruder die Bibel und mir die Uhr. „Mein Meiner Albert,“ fagte.er, mic fiebtofend (denn obſchon er beide feine Söhne vaͤterlich liebte, war ich doch, als der Kleinfte, fein Liebling) diefe Upr Hat Dein Vater zwanzig Iahre in feiner Taſche ger tragen, und Abends ordentlich aufgezogen, wenn er zu Bette ging; heute thw ich es nicht, und Du ſollſt es auch beute Abend nicht thun. Nimm die Ur, ſteh morgen früh auf, und bete für Deinen Vater. Um fieben Uhr wird der Zeiger ftilffteben, weil die Uhr nicht aufgezogen dt; zu der Zeit wird Deines Vaters Lebensuhr auch in's Stoten gerathen.

Drauf fehrte er ſich zu der Mutter und ſprach: Sam, meine treue Lebensgefährtin, mein gutes Weib, wir müſſen ſcheiden. Iept zeige, daß Du eine kräftige Enkelin bift des grogen Martin Luthers. Faſſe Dich, und made die Ana- ben nit noch betrübter. Gieb mir den Abſchiedekuß. Einmal hätte es doch fein müflen, und wer weiß, ob denn Krankheit und Schmerz uns erlaubt hätte, einen fo fhönen

70 Der Großvater fängt an

Abſchied von einander zu nehmen. Meine liebe Schweſter ſtarb im Fieber; mit rothem brennenden Geſichte, fliegen⸗ den Haaren und wilden irren Augen, ſtarrte ſie mich zum Icgten Male an, ohne mid zu kennen da id) fie am Ster⸗ bebette fah, und von ihr Abſchied nehmen mollte. Als ih ihr einige Worte der Liebe fagte, nidte fie gleichgültig und ſprach vermorren: Bir können mit fhönem Bewußtſein von einander ſcheiden. Die Mutter fiel dem herrlihen Manne um den Hals und ſchluchzte; er trat zum &enfter und fprad: Der Mond feheint Mar in der Herbſtnacht. Morgen Nach⸗ mittag, liche Frau, koͤnnteſt Du einen Meinen Spaziergang mit den Knaben nad dem Gotttsader außer dem Thore madıen. Laß fie dann Blumen und Sand auf mein fris ſches Grab freien. Aber morgen Vormittag bleibt zu Haufe! Schließt Euch alle Drei auf Euer Zimmerlein ein, und betet. Darauf rief er den Gefängnigvogt, umarmte ung nod einmal und entließ uns.

Am nädften Morgen ftanden wir früh auf und bete ten. Die Uhr lag vor uns auf dem Tiſche. Eben als die groge Stubenuhr fieben flug, Hörte die Peine filberne meines Vaters auf zu gehen, und der fhmarje ftählerne Zeiger fodte. Meine Mutter fiel in Ohnmacht. Eine treue Nachbarin am ihr zu Hülfe. Der ganze Tag ging fill bin, ohne dag von uns Dreien cin Wort gewechſelt ward. Bir waren alle blaß und falt, zitterten, und ſetz⸗ ten ung Ieder hin in feine Ede, wie Tauben im Donner metter. Die Nachbarin beforgte den Tiſch. Wir Anaben fafen die Tifhgebete, wie gewöhnlich, konnten aber nichts genießen. Weinen konnten mir nicht. Unfere Mutter legte fi) aufs Bett, und flarrte gen Himmel. Wir fürdteten, dag fie ferben würde. Rudolf kehrte die Stuben, denn

feine Lebensgeſchichte zu erzählen. 71

die Magd Hatte uns verlaſſen. ich ſchälte einen kleinen grüs nen Stecken. Als es daͤmmerte, ſtand meine Mutter auf, ging in den Garten, und fam zurüd mit einem großen Blumenſtrauß und einem Bündel voll weißen Sand. Sie öffnete eine Schublade und ftedte drei Heine Nürnberger Schachteln zu ſich. Ihr Weſen hatte fid verändert; fie war ruhig, kräftig, ein edler Stolz gegen die eitle Welt, den fie wohl von ihrem ‚großen Ahnherrn geerbt hatte, leud- tete von ihrer Stirn. Sie fang mit ftarfer Stimme: „Eine feſte Burg iſt unfer Gott!“ Der Mond ſchien, und wir folgten ihr auf's Feld. Cie machte einen ziemlihen Um« weg, bis wir mitten anf einer öden Wieſe ftanden. Wir entdedten in der Ferne mitten im Grünen einen weißen Zled. Als wir näher kamen, war cs cin blufiger Sand⸗ baufen. Sie miete nieder, fügte den rothen Sand, füllte die Fleinen Schachteln damit, und reichte jedem Kinde die feinige. Es mar unferes Vaters unfhuldig vergoflenes Blut! Dräuf gingen wir zum Goftesader, und beftreuten fein frifhes Grab mit Blumen. Ad, was mein’ ih ſchwa- her Greis nad) 94 Jahren? Meine Mutter und mein Bruder haben ja ſchon längft im Himmel den Seligen ge- funden; bald umarm’ id} fie ale Drei wieder!

6 Kindheit in Eifenad.

Unfere einzige Hoffnung ftand jeßt zu meiner Mutter Schweſtet Urſula in Eiſenach, die unverheirathet war, uud

72 Kindpeit in Eiſenach.

ein hübſches Bermögen beſaß. Meine Mutter hatte aber al’ das Ihrige verloren, denn meines Vaters hinterlaffene Baarſchaften beliefen fih nicht höher, als daß fie die Keife von Prag nad) Eifenad) damit beftreiten konnte,

Urfula war ein drolliges Gefhönf, niht ohne Gut · herzigkeit, zugleich aber von vielen Albernheiten und Drol- ligkeiten zufammen gefeßt. Sie war eben fo garftig, ale unfere Mutter ſchön war, und deshalb war fie wohl mit fammt ihrem Gelde, (das fie von einer noch garftigern Verwandtin geerbt hatte) eine alte Iungfer geblieben. Ins deß liebte fie unfere Mutter herzlich; als wir anfamen meinte fie, und drüdte uns Knaben an die Bruſt. Drauf hielt fie ohngefähr folgende Nede, die id auswendig weiß, weil fie ähnliche nachher mit Variationen oft wiederholte:

Liebe Schweſter! Die Vorfehung hat es befler mit mir als mit Dir gemeint; denn hab’ ich freilich keinen Mann bekommen, fo habe id) and feinen verloren, und brauche meinen Verluſt jest nicht zu beweinen. Did bat die Natur mit einer unglüdfeligen irdifhen Schönheit in Verſuchung. geführt; mid) hat Gott dagegen von diefem Uebel erlöiet und mid) gegen alle Anfehtungen mit dem ehernen Schilde der wie fol ih es nennen der Schmucloſigkeit bewahrt. Doc hätte ich vieleicht eben fo ſchon wie Du, und noch ſchöner werden fännen, wenn es der liebe Gott gemolt, ich meine, wenn nicht die garftigen Blattern mit ihren Narben mein vorher glattes Geſicht fo entſtelt hätten; eine Strafe Gottes, weil id nicht den Kigel bezwang, und das Juden des Blutes mit dem Kratzen der Nägel befricdigte. Doch dafür dan?’ ic meinem Schö- pfer und Herrn! denn, recht bei'm Lichte beſehen, mas ift

Kindpeit in Eiſenach 73

Schönheit anders, als die Wurzel alles Böfen? Hätte wohl ‚Eva fo begierig nad dem Apfel verlangt, wäre nicht die Schlange fo ſchön geweſen? Hätte nicht Adam einen fefteren Charakter gezeigt, wenn ibn nicht der Reiz feines jungen Weibes aus der Faſſung gebracht? Traun, ich hätte ihm zehn Mai den Apfel bieten Können, er häfte ihn fauer geheigen und nicht darein gebiffen. Doch wir wollen uns im Paradiefe nicht hänger aufhalten; da ging es noch fo leidlich, nachher kam aber die Arbeit im Schweiße des Angefihtes, die Sünde der verführerifhen Lodungen und die Geburtsmwehen! Davon wußte die arme Sara ein Wort zu fagen, als fie wegen des Kebsmweibes Hagar vom rechte lichen Eheherrn vernacläffigt ward. Vorher hatte fih aber Pharao an Abraham geräht. Das fhadete ihm uicht; warum gab er die Frau für feine Schweſter aus? Soiche Unwabrbeiten fönnen zu den ärgften Dui«pro-guo’s Anlag geben. Meiner Treu! Nicht ale Mannsbilder find Jo⸗ fepbe, davon giebt es leider fomohl in der Schrift, als in der profanen Geſchichte unzählige Beiſpiele. So ftandhaft war Loth gegen feine eigenen Töchter nicht, waren nicht die Kinder Ifraels gegen die Töchter der Moabiter. Muße ten die Sichemiter nicht erbaͤrmlich bluten, weil der Siem die Dina, Lea's Tochter, fo fhön gefunden? Und alfo konnte die garfige Lea doch eine fhöne Tochter gebären. Da ſieht man, der Apfel kann auch mitunter weit vom Stamme fallen, und chen fo umgekehrt. Es wäre ihr aber beſſer geweſen, der armen Dina, wenn fie bübſch garftig wie ihre Mutter geblieben; dann hätte fe zu ſolchen Berwüs ungen feinen Anlag gegeben. Was ſprech' id) nod von Sufanna im Bade, die den zwei ehrwärdigen Richtern fo fehr den Kopf verrälte, dag fie ale Biligteit vergagen und

74 Kindheit in Eiſenach.

nicht länger ordentlich urtheilen konnten? Oder von der Bathfeba im Bade, die den Föniglihen David ganz aus dem Takt brachte, als der gute Harfner hübſch ehrbar auf dem kühlen Altane mit der Harfe zwifchen den Beinen fag. ſich mit dem unſchuldigen Saitenfpiel ergägend, und an nichts Böfes denkend? Wahrlich, ich liebe aud die Reinlichteit Über alles, allein fo etwas fol man unter Schloß und Niegel verrichten, nicht öffentlich unter Gottes freiem Himmel ein Standal geben, mit dem Feuer fpielen und das Blut der Mannsbilder in Wallung brin- gen, wenn fie ſich auf den Däcyern ihrer Häufer abfühlen wollen. Soll id) Dir noch den großen Salomo anführen, deſſen Weisheit Über die ganze Welt verbreitet war, bis ihn die Schönheit der heidnifhen Metzen am Narrenfeile herum führte? Dagegen Tönnte ih Dir taufend Beifpiele nennen, liebe Schwefter, daß es der Herr Gott mit den häßlichen Iungfern immer fehr gut gemeint, So konnte fi freilich Lea nicht mit Rahel an Schönheit vergleichen, und doch bekam fie ſieben Jahre früher einen Mann, und zwar denfelben, auf melden Nabel vorher mit Liebäugeln und Schönthun Jagd gemadt. Beſſer aber nicht Keira» then! Und damit konnte fi) auch die unglüdfelige Tochter Icphta’s tröften, daß fie doch wenigſtens als eine reine Magd abgethan ward. Und fo mil ic denn auch, wie fie, als die fieben Fugen Jungfrau’n, und als meine heiligen elftaufend Namensſchweſtern, die Urfulen, mein Lebensdl für den bimmlifhen Bräutigam auffbaren, und als Jung⸗ frau verwelfen, leiden und ſterben. Amen! Hätten Du eben fo folid gedacht, Julchen, fo hätten Du es eben fo gut, wie id), haben können, ftatt daß Du jept einen Gat- sen beweinſt, der zu fterben verdiente, weil er von unferm

Kindheit in Eifenad. 75

alleinfeligmadjenden Lutherthume, als ein Abtrünniger und Nenegat zu der calvinifchen Heidenſchaft überging.

Meine Mutter antwortete: Liebe Urfula! Ich kenne Did, weiß, dag Du gut bift, und dag man Did nicht immer nad) Deinen Aeugerungen heurtheiten muß! Ih bitte Did aber, fei gerecht, und rede mir meinem feligen Ehcherrn im Grabe nichts Uebles nad, fonft nöthigſt Du mic, wieder in die weite Welt hinaus zu gehen, und mein Bred, mit den Meinen Knaben an der Hand, bri den Thür rem mitleidiger Chriften zu betteln.

Bie? rief die Muhme, der zwei allerliebften Knaben milt Du mid) nieder berauben? Nein, das dald' ich nicht, fie follen bei mir bleiben. Knaben find ned) feine Mannebilder. Wenn fie erwachſen find, und ofdentlihe Dianneleute geworden, dann fönnen fie ſich nur wieder forte ſcheeren. Kinder find aber mie Engel, fie gehören keinem Geſchlechte an. Hab’ ich doch meinen Papagei, meine Katze, meinen Mops ganz Über die Jungen vergeffen. Da ift auch das Meine Aennchen, die Tochter der Nachbarin, die mocht' ich fonft immer fo gern leiden. Seit aber die Anas ben hier find Mit den Knaben hat es eine andere Art fie -find ſchrötiger, tüchtiger! Und fie follen ja Lutheras ner bfeiben, und feine calvinifhe Heiden.

Ihr feliger Vater bat felbft befohlen, daß fie lutheriſch erzogen werden follen! fiel ihr meine Mutter in’s Wort. Nun dann fann er vielleicht auch noch felig werden, fagte die Muhme, dann hat er ſich befehrt, und feine Ende gebüßt. Co mill ich ihm denn auch der lieben Kna⸗ ben wegen nicht länger abhold fein; denn es war fonft ein braver, rechtſchaffner Mann mit vielen guten Eigenſchaften; die Philoſophie hat ihm aber zum Atheiften gemacht.

76 Kindpeit in Eifenad.

Du liebſt die Knaben, Schweſter, verfegte meine ber trübte Mutter lähelnd, und doch wollteſt Du, dag ich ihre Mutter nicht fein folte. Nun, rief Urfula, gefchehen iſt geſchehen, und Täßt ſich nicht ändern. Die Knaben find nun einmal da. Cie find unfhuldig. was konnten fie dafür? Und dabei mollen wir es bewenden laſſen.

Schade, dag unfer großer Ahnherr die Klöfter aufges hoben hat, verfegte meine Mutter, meil-Dir doch die Ehe fo zuwider ift. Eine Jungfrau darf nidt gezwungen fein, ermiederte Urfula, fonft bat fie. ſchon ihren Lohn das bin. Ihr Herz muß felbft ein Klofter fein, worin ſich feine mascnline Gedanten einſchleichen dürfen.

Bon jest an waren wir bei der Muhme, gingen in die Schule zu Eifenad, und fie lieg es uns an nichts man⸗ geln. Bei alle dem lebten wir doch mitten im Ueberfluffe nicht fo gut, als wir Hätten thun können, wenn die Urfula tüdhtiger, oder weniger eigenfinnig geweſen wäre. So wur» den zum Beifpiel immer die Eßwaaren reihlid, ja, gar zu reichlich eingefauft; felten waren fie aber recht Vorzüge lich, weil die Muhme immer in großen Portionen dag taufte, was am wohlfeilften war. So hatte fie Boden und Keller und Haken draußen an der Küchenwand voll häns gen, ohne eigentlihe genaue hiſtoriſche Kenntnifle von dies fen Sachen zu befigen, fie ließ es immer beitm oberflähli« hen Ueberbfid und einer gemiffen lyriſchen Unordnung bes wenden. Die Zolge davon war, dag der Tiſch oft mit geihmadtofen, oft widrigen Speiſen voll befeßt war Das Fleiſch hatte mitunter zu faulen angefangen, die Fiſche hatten einen moderigen Gefhmad, das Brod war wurm⸗ fräßig. Dazu kam, dag die Mubme, die durdaus ſelbſt die Schüſſeln bereiten wollte, und ſich viel auf ihre Koch

Kindheit in Eiſenach. 77

tunſt einbildete, nichts weniger, als eine gute Kochin war. Nie ging fie in die Küche, ohne vorher ihre vollftändige Toilette gemacht zu haben. Da ftand fie nun fteif in Neife töden, mit einem blauen Filzhute fhräg auf dem Kopfe über den Haarwulſt mit Nadeln befekigt, als eine Schä- ferin, die Fleiſchgabel in der Hand, und hatte nod oben. drein die Schlafſucht fo, daß fie oft nahe daran war, in’s Schornſteinfeuer zu fallen, und wie die Tochter Jephta's oder wie Inhigenie geopfert zu werden, hätten fie nicht die fteifen Rocke gerettet, in denen fie, wie eine Nürnberger Holpuppe bängend, gar nicht umfallen konnte, ‘wenn fie aud) feine Beine darunter gehabt hätte. Bei Tiſch ſchlief fie gewoͤhnlich ein, indem fie den Löffel zum Munde führen mollte; dann niefte mein Bruder Rudolf ihr gewaltig in’ Ohr, wodurch fie aus dem Schlafe geftört, verwildert die Augen umberwarf, und ihm gutherzig zulädelnd mit dem Finger drohte, wenn fie feine Schalkheit entdedte. Der Heine Mops lag ihr jeden Nadmittag im Schooge; eine Meine Stubenuhr batte fie au, die allerlei ſchmachtende Melodien fpielen konnte. Cine Weiſe rührte fie befonders derzlich, fie fang dazu ein Lied, wovon fie nur die zwei erften Zeilen wußte, die alfo lauteten: „Mc weh, wie ift mein junges Den Verwundet alfo Hart.»

Dazu meinte fie ganz erbaͤrmlich, und trednete fi die Au- gen mit dem Hunde.

Ihr Phlegma erlaubte ihr micht, in heftigen Born zu geratben; einmal ward fie aber doch auf Rudolf bitter nöfe, als er ihr den Mops an einem heißen Hundstage in den kublen Stubenofen eingefperrt hatte. Sie begriff an- fange nicht, wo Ver Hund hegraben läge; rief, pfiff, trip

78 Kindheit in Eifchad.

pelte ängftlih umher, und fonnte ihn nicht im zugemachten Dfen bellen hören, bis die Magd kam, und den Liebling aus dem Gefängniffe heraus lieg. Rudolf bekam einen derben Verweis, und die aufgebrachte Muhme ſchloß ihre Nede mit den Worten: Das fag’ id Dir, Bube, unter ftehe Dich nicht, künftig den Hund zum Narren zu haben!

Bie nun aber Iuftige übermüthige Knaben find, wir liehen es nicht dabei bleiben. Auch der Papagei und der Kater, die uns das Herz der Muhme abwendig madıten, fuchten wir in's Unglüd zu fürzen. So Ichrten wir den Papagei die Worte: „Alte Iungfern“ fagen, und er« gößten uns koͤſtlich, wenn die Muhme lichkofend dem Bor gel den Kopf kratzte, und er dazwiſchen immer: alte Jung« fern! ſchrie. Weil fie taub war, Lonnte fie den Ausländer der fein Deutfch mit fremdem Accente vortrug, nicht recht verftehen, und glaubte, dag er: „Halte die Jungen fern“ fage; denn fo hatte mein Bruder es ausgelegt und ihr weiß gemacht, dag der Schulmeifter, der alle Mittwoche bei uns den Freitiſch hatte, es den Vogel gelehrt Hätte, weil wir Knaben immer den Papagei zu neden fuhten.

Ein andermal waren wir früh morgens in die Milde tammer gegangen, hatten alle Gimer gelcert, und einer ar⸗ men Frau gegeben. Drauf fverrten wir den Kater im Milchzimmer ein, nachdem wir ihm erſt den Bart tüchtig mit Rahm eingefeift hatten. Die Muhme, die den Kater allein bei allen den geleerten Eimern fand, glaubte, das Tbier habe alle ihre Milch getruufen, obſchon der Kubik- inhalt der Eimer den des Katers weit übertraf. Eo mußte denn der arme Hinze unfern Frevel bügen, und den ger frümmten Budel berhalten.

Kindheit in Eifenad. 9

Als fie nachher alles erfuhr denn mein Bruder und ich konnten ſelbſt nicht ſchweigen, hielt fie uns eine tüchtige Strafpredigt, wie gewöhnlich auf feltfame Beife mit biblie ſchen Beifsiclen ausftaffirt. .

Bin ich doch mit Euch Wechſelbaͤlgen ärger daran, rief fie, als Eva mit ihren zwei Lümmeln nad) dem Sünden falle; denn der eine von jenen wollte freilich auch nicht vor⸗ wärts, ihr ſchlagt aber beide aus der Art, und foltet bile lig beide Kain beißen. Ihr feld ärger, als die zehn Söhne Iatods, die ihren Bruder verkauften. Hab’ id mid nicht eben fo edelmüthig gegen Euch erwieſen, wie Iofeph in Aegypten gegen die Zumpen, als fie bettelnadt binfamen, und weder zu beißen noch zu brechen hatten? Geb’ ih Euch nicht volauf zu eſſen und zu trinken? Und doch bin id von Euch verrathen und verfauft! Glaubt Ihr etwa, weil Ihr bübfde Geſichter habt, und die Haare Eud in fraufen Loden um die Schultern fallen, daß Ihr einer jungfräuli- Gen Perfon von gewiflen Jahren alles bieten könnt? Denkt an den Abfalon, der auch ein hubſcher Junge war, der auch ſchone Loden hatte, ja fogar von koͤniglichem Geblüte berftammtel Seine Durchlaucht blieben aber dod an den goldfarbnen Flechten im Baume hängen, weil fie ſich ge- gen ihren koͤniglichen Herrn Vater zu viele Freiheiten her- ausnahmen. Ich werde mic. wohl vor dem Hängenbleiben hüten, nicht weil ich falſche Haare auf dem Kopfe trage, denn das hat Bott gethan, fondern, weil id einen tugend- famen Bandel führe. Nehmt Euch aber in Abt: Kahl kopf! Kablkopfl zu rufen. Denkt an den Propheten Eliſa. wie er ſich rächte Noch laufen, Gott Lob! genug Bären im Balde herum, um Euch zu zerreigen, und wenn Ihr wei und vierzig unverfhämte Buben wärt, Dann kömmt

so Kindbeit in Eiſenach

das Beinen zu ſpät! Ic werde Euch aus meinem Haufe jagen, und fein Mitleid fühlen, und wenn Ihr aud) tau⸗ fend Mal, mie der verlorne Sohn, Buße thätet, und mit den Schweinen aus einem Troge frefien wolltet! "

So betrübt auch unfere Mutter war, ‚mußte fie doch über die Thorheiten der Muhme oft herzlich lachen. Ih will nod) eine Begebenheit unter vielen erzählen. Urfula Bannte ihre Bibel gut, in der Kirchengeſchichte war fie aber nicht ſonderlich bewandert. Davon legte fie einen Beweis ab, als fie einft am Martinstage drei fette Gänfe bratete, ihrem großen Ahnherrn dem Dr. Martin Luther zu Ehren. Unter den Bäften war auch unfer Echufmeifter, der, ſelbſt mager, doch ein großer Freund fetter Biffen war; er nahm an der Mahlzeit thätigen Antheil, und nagte fo kräftig an einem federn Knochen, dag ihm die Thränen in die Augen traten, während das Fett um feinen Mund wie ein Heilie genſchein glänzte. Als er ihr aber auseinander fepte, daß der Martinetag und die Martinsgans mit unferm lieben Luther in gar keinem Zuſammenhang ftebe, fondern ſchon von dem Biſchofe Martinus im vierten Jahrhunderte her⸗

. rührten, ward die Urfula bitterhöfe, verließ den Tiſch, und wollte feinen Biſſen von der katholiſchen Gans in den Mund feden.

So ging es nun mehrere Jahre, einen Tag wie den andern; ich war vierzehn, mein Bruder Rudolph achtzehn Jahr geworden; in den Wiſſenſchaften hatten wir eben feine Fortſchritte gemacht, dagegen gediehen wir zufehends, «blür beten in jugendlicher Heiterfeit, und merften nicht, daß une fere Mutter wie eine welle Lilie ihr Haupt gegen das Grab neige, weil fie ſchwieg, Läcpelte, nie klagte, und ſich oft über uns freute. Mein Bruder war ſchon feit zwei Jah⸗

Kindheit in Eiſenach. 8

ren bei einem Tuchmacher in die Lehre gethan, ih aber ſollte ftudiren, und bei der Mutter bleiben. Ad, der Burm des Grams hatte ſich bereits zu tief in die ſchöne Blume eingefrefen. Eines Abends faß fie fehr heiter und ver- gnügt allein mit ung Brüdern; die Muhme mar nicht zu Haufe. Bir ſprachen von muntern Dingen, wie wir im- mer gern thaten, die Mutter Ienkte aber das Geſpraͤch auf den Vater, und da wurden wir beide gleich traurig. Sie mar es aber heute nicht. Weinet nicht, Kinder! fprad fie; denkt daran, wie muthig und ruhig der Selige mit uns eben heute vor acht Jahren den letzten Abend zubrachte. Ach Gott, find es morgen ſchon acht Jahre her? frug id. Bigt Ihr das nicht, Kinder? Glückliche Jugend, die in die Zukunft nur nach Freude und Hoffnungen ausfhaut, und alle Merkmale des Kummers hinter fih läßt! Wie weife hat der liebe Gott das alles eingerichtet! Wer immer trauert, kann nit lange leben; und Ihr follt. Ichen und glüdticy fein.

Du au), Mutter, rief id befümmert. Sie ſchwieg einen Augenblic, unterdrädte einen Seufzer, drauf ſprach fie gelaſſen: Ich will morgen früh aufftehen, leihe mir Deine Uhr, lieber Albert, Ich wußte wohl, warum fie die Uhr haben wollte und fürdtete, es möge fie zu ſeht angreifen, wagte aber doch nicht, fie ihr zu verweigern. Bir folgten ihr auf ihr Zimmer, wo fic uns entließ, und ung mit Herzlichteit gute Nat wůnſchte.

Am nähften Morgen um fieben Uhr ſchlichen wir uns beide zu ihrer Thür, fie lag noch im Bette und ſchien zu ſchlafen. Als wir näher kamen, lag fie blaß mit geſchloſ- fenen Augen, die Upr in der Hand. Die Uhr fhlug nad, ihr ſchoͤnes Herz hatte aber zu ſchlagen auſse it Auf

Cchient Schriften. XVI.

82 Wartburg. Die Hodzeit.

dem Heinen Ziſche an ihrem Bette lag Rudolphs Bibel aufgefhlagen mit der Epiftel von Stephano. Die Heine Schachtel mit dem geronnenen Blute ftand geöffnet dabei. Ich babe Euch fhon genug von meinem Kummer erzählt, un will. heute abbrechen, um Euch nicht mehr zu bes trüben,

7. Bartdurg. Die Hochzeit.

Die Mutter hatte Recht, als wir ihr unfere kindliche Ihränen gezollt, fahen wir wieder heiter in die Zutunft, beſuchten aber oft ihr Grab, und gedachten ihrer in Trauer und Wehmuth.

Unfre größte Freude war jet die Wartburg. Es ver ging felten ein Tag, ohne dag ih hinauf ſtieg. Einige Anlage zur Dichtkunſt glaubte ih in mir zu entdeden.

Bas id) zu dichten verfuchte, mar im Volketone; ich will Eud) doch ein ſolches Licd herfagen, wozu mic zwei gegen einander gebogene Felfenblöde an der Wartburg, der Mönd und die Nonne genannt, veranlaßten:

Der Mind und die Nonne, Gin Mofer hie, ein Kofler dort, Richt weit geivennt der Ort vom Drt, Da wohnten ju Schaaren die Frommen. gt die Geſchicht. fo Lig” ich auch, 3% finge, was ich vernommen.

Bartburg. Die Hochzeit. 8

Die Monche fanden eb gar hart, Sie wünfchten der Schweitern Gegenwart, um recht Die Mefle zu fingen, Zum guten Waß gehört Diskant, Son der Gefang gelingen.

Die Saweſtern waren nicht abgeneist, Gin junges Herz beregt man leicht; Die Alten wachten indeffen: IM erſt die Kuh von Jahren Reit, Nie wird fie mürb zum effen. .

Der abt des Rloferd den Mönch ergreift; Die Uebtin mit der Rovigin keit, Sie thãt die Schwefter beneiden. Im feuchten Kerter ein armes Paar . Muß von dem Leben ſcheiden.

Der Mbt indeß nicht Heiliger war,

us Vo auf dem Berg im Morgenblau ie fühlten der Liebe Flammen.

Der Mbt, die Aebtin trefien fich, Sie füfen Ach beider» und ſchwederlich Im Heiliger Sichednsonne,

MB wollten fie leien die Hora gleich, In früher Morgenfonne.

Da rief der Oerr· Gott Falſches Pant, = Mich Hintergehft Du nicht fürmahr! Ars dan Du es getsichen!

84 Bartdurg. Die Hodzeit.

Du Buhl, und ſtrafſt mit graufem Tod Die ſich unſchutdis lieben.

Kaum hat der Herr geſprochen nur, Eo rächt ich ſchleunig Die Natur An denen, die fchlecht gehandelt. Kaum ft der erſte Gonnenfirapl, Sind fie in Stein verwandelt!

Run ftehen fie da am Berge frei, Ein ew⸗ges Bild der Heuchelei, In Regen, Sturm und Sonne. Seht ihr die Felſenbloͤcke nicht? Den Mönd mit feiner Nonne?

Dies Gediht fiel meiner Muhme in die Hände, und Ihr begreift, daß ich mid vor ihr, die das Heirathen wie die Peft hate, auf eine tühtige Strafpredigt gefaßt machte. Wie erftaunte ih aber, als fie mir mit einem hodfügen Laͤcheln das Papier wieder zurükgab, und folgende: Rede bielt. Denn das war eine Eigenheit bei ihr“ fie Zonnte ganze Wochen lang das Reden unterfafen, wie ein Kameel das Trinken, ſprach fie aber einmal, fo waren es immer ganze Neden, gleich denen im Titus Livius; nnd dann batte die Rede der Muhme immer einige Beziehungen auf das alte Teftament; denn das neue war ihr nicht fo ſehr geläufig.

Es freut mic, Albertus, ſprach fie (bier laͤchelte id) felmifh, weil ih in ihtem Munde kein rechter Bofa- tivus ward) es’ freut nich, dag ich im Dir den gättli- hen Funken der Dichttunſt verſpuͤre. Denn Dichter find beinahe ale Eriväter in der Bibel gewefen; als Adam,

Wartburg. Die Hochzeit. 86

der den Thieren und Bäumen ihre Namen gab, wezu ſchon ein ziemlicher Grad der Imagination und Geläufigkeit der Mutterforade gehörte; item Mofes, der das Trinklied oder Ertränfungslied auf die erfofenen Aegypter ſchrieb; dann vornemlih David, der das erfte evangelifh criſtliche Geſangbuch herausgab, und endlich Salomo, deſſen hohes Lied meine liebſte Lektüre in der ganzen Bibel iſt. Bon den großen und Eleinen Propbeten will ic nicht reden, die zugleich große und eine Poeten waren. Und könnteft Du es auch nur zu einem kleinen treiben, fo märe das ſchon für Dich groß genug. Freilich it Dein Lied etwas lieder lich, das muß man aber Deiner Jugend und Unerfahren⸗ beit vergeben.

Ich wollte meinen eigenen Ohren nicht trauen, fie ver- feßte aber: Der Menſch denkt, Gott Ientt! Bei genauerer Ueberlegung habe ich felbft gefunden, daß eine ewig wan⸗ dernde Jungfrau, wie ein ewig wanderuder Jude, nah den hiefigen irdifhen gebrehlihen Einrichtungen ein Uns ding fei, Denn was iſt ein Weib? Eine Rippe! Beiter nichts! Freilich giebt es falſche und wahre Rippen, Rips ven find wir aber doch einmal. Und ih will nicht länger zu den falſchen gehören, die fih an nichts anſchliegen, ich mil mid) als eine wahre Rippe an den treuen Bruſtkno⸗ chen meines lieben Salvator Veilchenblau, Handſchuhma⸗ chers aus Erfurt fügen, der in Zucht und Ehrbarkeit um meine Hand angehalten hat. Er fol fie beide haben. Und es kann ihm nöthig thun, denn wo fein Zaun ift, da wird das Gut verwüftet, und wo Feine Hausfrau ift, da geht's dem Hausmwirthe, als ging er in der Irre. Wie man nit vertrauet einem Straßenräuber, der von einer Stadt in die andere ſchleicht, (id meine von Erfurt nad) Eiſenach)

86 Wartburg. Die Hochzeit.

alfo traut man aud nicht einem Manne, der kein Net dat, und einfehren muß, mo er ſich verfpätet. Iefus Eis rachl Zwar bin id nicht mehr in der erften Blüthe, hat doch der Herr- Gott auch die Sara gefegnet, als fie noch älter war; umd ift es denn zum erften Male, dag ein trok⸗ fener Steden, ordentlich in die Aſche gelegt, des Morgens darauf reife Mandeln getragen? Ih babe ihm alfo in Gottes Namen mein Jawort gegeben, und binnen acht Tagen werden wir Hochzeit halten.

Heiſal liebe Muhme, vief id, das ift ja allerliebſt. ich gebe meine Eenwilligung dazu. Ich danke Dir, lie ver Nieffe, antwortete fie. halb ſpöttiſch, halb gnädig, (denn fie war heute fehr guter Laune); ein Srauenzimmer darf ohne die Einwilligung ihrer männlihen Verwandten und Xormänder nicht heirathen. Ich Hoffe, Dein Bruder Aus dolph wird aud Feine Schwierigkeiten machen.

Von heute an roch nun unfer Haus nach Bifam und » Eavendelwafler. Mandeln zum Marzipan wurden im Mör- fer geftoßen, fo, dag es aus der Küche in alle Zimmer wiederhallte. Eine treflihe Köchin aus Straßburg ward gerhiethet, Matronen, Nürnberger Lebkuchen gebaden, und des Dinges ward fein Ende.

Am Hoczeittage ftand die Muhme früh auf, und es ward nod bei Liht an ihrem Toupee gebaut, ehe der Nahtwächter zu rufen aufgehört hatte. Sie hatte einen franzoſiſchen Friſeur ausdrüdlih dazu kommen laflen, um dem Meinen Salvator Veilchenblau einen Gefallen zu thunz denn diefer hatte in Paris fein Handwerk ftudirt, und ging jegt a la modiſch im hochrothen Scharlachrocke eimber, mit einer weißgepuderten Allongeperüde, die ihm Bis zu den dünnen Baden berabbing, und zu feiner Kürze (er war

Bartburg. Die Hochzeit. 87

nur 2% Glen lang) einen fonderbaren Gegenfap machte. Er war auf fein Handwerk ftolz, und erzählte, daß er bei Seiner Durchlaucht, dem Herzoge Chriſtian, Adminiftrator des Bistbums Halberftadt, jetzt Befehlshaber eines Heeres ‚gegen die Ligue, Hofhandſchuhmacher gewefen fei; dag er alle Handſchuhe gemadt habe, die Ihro Durchlaucht die Hfalzgräfin, jet Prätendentin zur Krone von Böhmen, täglich braude, und womit fie Nachts ſchlafe, um die Ala⸗ bafterweißge der Hände zu bewabren; unter andern habe er den von ihren Nachthandſchuhen verfertigt, den der Herzog Chriſtian ftatt einer Feder an feinem Hute trug, mit der Devife: Tout pour Dieu et pour elle. Freilich habe der " Neid der Handſchuhmacher ihn anzuſchwärzen verſucht. ind da das Leder feiner Arbeit fo außerordentlich fein und ges ſchmeidig fei, habe der böfe Leumund ausgebreitet, er grade, glei der Hyäne oder dem Schakal, die Leihname auf den jest häufigen Wahlplätzen wieder auf, und ziehe ihnen die Haut ab, fie zu gebrauden; weil das Menſchenleder ber kanntlich Das allertrefflichſte und vorzüglichfte zu folder Ars heit fei. Er könne aber auf Ehre verihern, dag es lauter Zügen fein. Die armen Teufel hätten ſchon im Leben fo- viel ausgeftanden, daß er es nicht Über’s Herz bringen - önne, ihnen noch nad) dem Tode die Haut Über die Ohr ten zu ziehen, um eine junge vornehme Dame dazu zu ver fügren, mit der Haut eines fremden Mannshildes, viel ieicht von gemeiner untafelfähiger Geburt, an ihren ſchö⸗ nen weigen Händen alle Nachte zu ſchlafen.

Jeht erfhien die Duhme in einer weiten Peripherie, die damals für eine groge Schönheit galt, und melde nicht Blog durd eine Menge von Illnterröden, fondern auch durch einen ringeum über die Hüften gelegten Wulſt, den man

38 Bartburg. Die Hodaeit.

Syed nannte, und der 25 Pfund mog, hervorgebracht

ward. Das Kleid trug eine lange Schleppe, Bruft und Naden waren Leider entblögt. An der Ceite Hatte fie cin Nürnberger Ei, Meffer und Gabel im Futteral und einen Schläffelbund; die Strümpfe waren roth, wie die der meh⸗ zeiten Sumpfvögel.

Der Bräutigam trug an den Schuhen doppelte Hör« ner; ob das eine allegorifche Bedeutung haben follte, weiß ich nicht. Uebrigens fah er mir aus, wie ein Mann, der die Kinderſchuhe vertreten, und fid die Hörner abgelaufen bat. Der franzöfifhe fammetne Leibrock war‘ fleiihfarb, weldyes ihm ohnerachtet feines vollen Anzuges ein fonder» bares fafelnadtes Ausſehen gab. Statt des deutſchen breis ten Halskragens trug er Iabots, oder vieleicht Poſtillons d Amour? Der Bart war befänitten, und mit dem Brenn« eifen geformt, ob's aber ein Zirtelbärtel, ein Schnedenbär- tel, ein Jungfrauenbärtel, ein Dotterbärtel, cin Spitzbaͤr⸗ tel, ein Maitäferbärtel, ein Entenwedele, ein Edhmalbär- tel, oder ein Stug- und Truphärtel war, bab’ ic in der Iangen Seit wieder vergeffen.

Als ich die große fette Braut und den Fleinen hagern Bräutigam fah, mußte ich über das feltfame Paar laut laden, denn es erinnerte mic an die Infeten, mo das Weibchen bei weitem größer ift, als das Männden.

Jetzt gingen wir zur Kirche, unter Glodengeläute und „Trompetengefhmetter; die Fenſter waren gepfrobft voll von Zufhauern, und id) mußte an Siegfried und Chriemhild in dem Nibelungenliede denken:

Wanich Poſaune viel Fräftiglich ertoß, Bon Drommeten und von Zlöten, der Schal war alfo- groß,

Bartburg. Die Hochzeit. . 89

Das Gifenach die viel weite, danach viel laut erſcholl. In den Fenſtern faßen die herrlichen Weib

Und viel der fhönen Maide, gesieret war ihz Leib. So vertrieben fie die Weile, Die däuchte fie nicht lang, Man hörte da jum Dome viel mancher Glockenkiaug.

Der Prediger bielt eine (höne Traurede, in welder er .

aller verfiedenen Nüffe des Lebens erwähnte, welche das Iebe Ehepaar fünftig zu knacken haben würde, und wozu ihnen vielleiht die Zähne zu wurmſtichig wären. Erſtens ſollten fie die Früchte des Erkenntnuſſes foften, drauf folge ten alsdann viele Betrübnäffe und Befümmernüffe, bis end» lich der wahre Genuß darein zu feßen fe, dag fie im Gleich⸗ nuffe der Unſchuld und Treue mit einander fortlebten, und ſowohl die tauben ale die kernichten Nüffe mit einander theilten. "

Meine Muhme, die auch ziemlidy taub war, hörte nur den Prediger das Wort „tauben“ laut herfagen, indem er die Augen fehr andächtig zur Kanzel aufſchlug, mo der heilige Geift als eine vergoldete Taube unter der Dede ſchwebte. Cie holte einen tiefen Seufzer, und fühlte ſich bei diefem Worte ſeht erbaut.

Drauf drüdte fid) der Prediger paraboliſch aus, und verglich Mann und Frau mit einem Unter- und einem Oberzwieback, die beide anfänglich als zwei Hälften eines Brotes gefhnitten, eigentlich aufammen gehörten. Ob er diefe Idee von Plato genommen, oder ob er fie felber er funden, kann id) nit fagen.

Bährend der Trauung fhlief die Muhme ein; als nun der Prediger frug, ob fie den Herrn Srhaflian Beil» chenblau zu ihrem Eheherrn haben wolle, und ihr ziemlich

90 Wartburg. Die Hochzeit.

bart zuſprach, um fie wieder zum Bewußtſein zu bringen, rief fie Nein, ftatt Ia, wie fie immer pflegte, wenn fie bei Tiſche eingeſchlafen war und nachher den Schlummer läugnen wollte. Der Prediger wollte Fein Skandal daraus maden, er nahm c6 als einen lapsus linguae; und, als ob er den Fehler nicht gemerkt babe, traute er fie, der Verneinung ohneractet, ihrem Sebaſtian mit dem gemöhn- lichen Spruche an, daß, mas der Himmel zufammengefügt babe, kein Menſch trennen folle.

Als nun aber das fnieende Brautsaar aufftehen mollte, batte der Raufdegen des Bräutigams fid) fo tief in den Reifrock der Braut verwidelt, daß fie gar nit von einan- der Iostommen konnten. Der Paftor mußte ihnen, der Schiclichteit wegen, Hülfe leiſten, und als er fie auf ſolche Weiſe felbit fogleih wieder getrennt hatte, gingen fie nach Haufe, wo Trompeten und Pauken fie an der Thüre em⸗ pfingen

Die Nachbarn hatten Abends illuminirt, und die Na- men Urfula und Beilhenblau durd) ein doppeltes „W“ mit Palmenzweigen und einer Krone angedeutet. Die Gafs ſenbuben verftanden das freilich unrecht, und ſchrien wies derholt: Weh, Web! Ihr Gefhrei ward aber jedesmal von Trompetengefcmetter übertäubt. Hätten die Stadtmu⸗ fitanten gewußt, dag die Muhme fo taub fei, würden fie ſich nicht fo fehr angegriffen haben.

Bei Tiſche fielen mir zwei Menſchen auf, die ih vor⸗ ber nie gefehen hatte. Oben am Tiſche, nicht weit von dem Brautpaare, faß ein hübſcher ehrbarer Ältliher Mann in braunem altdeutfhem Node mit ſpauiſchem Kragen. An einer ſilbernen Kette trug er ein Bild von demfelden edlen Metalle auf der Bruft, das den König David mit feiner

.

Bartburg. Die Hodzeit. . 9A

Harfe vorftellte. Dies Ocdensband flögte allen für den Fremden große Achtung ein, und man erzählte mir, es ſei ein berühmter Meifterfänger, der die Güte gehabt babe, die Hochzeit mit feiner Gegenwart zu beehren. Ic brannte vor Begierde, den feltnen Mann kennen zu lernen, und frug, od er uns wohl etwas vorfingen werde? Bewahre Gott, war die Antwort, darum wagen wir ihn gar nicht zu bitten. Die Meifterfänger fingen nicht für Geld, und dichten nicht aus dem Stegreife. Siehſt Du aber den klei⸗ nen. Kerl da unten am Tiſche, hart an der Thäre, mit der

wunderlichen Müge und den ſchelmiſchen ſchielenden Augen ?.

Das ift ein Sprucfpreher, der den Scherz als Hand» werk treibt, und fid) bei Kindtaufen, Hochzeiten und andern

Feſten für Geld bören lägt. Er wird uns gleich ‚einige "

Späße vormachen.

Der Meine Pofenreißer gefiel mir beinahe beſſer, als der ernfte Meifterfänger, der ein trodenes unbedeutendes Geſicht hatte, das nichts weniger, als Geift verrieth.

ALS die Geſellſchaft etwas Iuftiger geworden war, fang man das damalige Lieblingslied:

Der liebſte Buhle, den wir han, Der liegt in unferm Keler,

Gr hat ein hölern Mödlein all, Und heißt der Mudtateler.

Drauf fehrten fie fih zu dem Sprudfpreher und ver» Tangten mit Ungeftüm, er folle fingen. Er leerte einen ziemlich großen Becher, um den Geift zu erwecken, als er fi) daranf den Mund mit dem ermel gewiſcht Hatte, fagte er: Ich will üͤberſchreclich Iufig, als ein Beiden

2 » Bartburg. Die Hochzeit.

dankbarer Erkenntlichteit für empfangene Gnaden, zu Un- ehren des a la modiſchen Braulpaares und zum Lob ihrer ſchönen Kleidungsftüde ein Lird'fingen. Drauf fing er an:

Das junge Männervolf trägt Degen an der Ceiten,

Ulfo das Iungfernvol denkt immer auch au ſtreiten. Statt Degen hängen fie von Silber zudereit

Das Scheidchen, Mefier und die Gabel an der Seit.

Ja manche hat fürwahr Das Bund der Gchlüfel Hangen, Richt anders, ald wenn kommt Thor-Mefter hergegangen, Die Ctrümpfchen müflen roth von Leibeöfarbe fein, Blau, grün, gelb oder fonft, was giebet hellen Schein.

Nein, nein, rief die Geſellſchaft. Niederfihfifh, Nie- terfähfifh! Und nicht fo ehrbar. Der Sänger trant nod einmal, und fing in einem höheren Tone an:

Bat fat id von der Dullen Dracht, vom den Fontangen feggen. De nun de Jungfern alltomahl ohn Unterichied anleggen?

Man legt das Haat um ifern Drath, mit fünderlichen Flst,

Män neiht dat Band up Kern up. O rechte iſern Tudt!

So fuhr er eine Weile fort, während die Sveiſen mit Safran und Suderbrüen herum getragen wurden. Es erſcholl alle Augenblide ein entſeßliches Gelächter. In dies ſem Wirrwar hatten fid Braut und Bräutigam meggefäli» en. Auch die Frauen verliegen ihre Männer und gingen " nah Haufe. Jept war der Lärm noch größer, jeder wollte reden, feiner hören, an allgemeine Theinahme nnd Aufe merffamfeit war gar nicht mehr zu denken. Die Trinfer theilten fi), je zwei und zwei, wie zärtlihe Paare, und entdedten einander ihre tiefften Gefühle und Geheimniſſe.

Bartburg. Die Hochzeit. 08

Einige umarmten und füßten ſich, andere meinten aus Be, trübnig, das fie ſich fo lange verfannt hatten. Es war wie auf einer Börfe, wo ſtatt Handelsgefhäften lauter Herzens- angelegenheiten abgemacht wurden. An Geld ward nicht gedacht. Der Betrug ſpielte aber noch immer feine Rolle; es war jedoch der Selbſtbetrug. Einige zankten fh, und droheten einander grimmig mit ausgeleerten Beinflafchen wie mit Etreittolden, und nur mit Mühe wurden fie aus. einander gebracht, und mußten noch ſchäumend, zitternd und blaß vor Wuth Brüderfhaft trinken.

Ich war ſtumm vor Erfaunen und der einzige Nüch⸗ terne im ganzen Haufen, denn aud) mein Bruder Rudolph hatte heute Abend einen Haarbeutel, und war tief im traus lichen Geſpraͤch vertieft mit einem Dummkopfe, den er fonft nicht Teiden mochte, und der fein Wort von dem verftand, mas er ihm fagte. Nudolph war aber über feine Aufmerk famkeit und Mitde äußerft gerührt, und bat ihn zu wieder» bolten Malen um Verzeihung, weil er ihn bis jeht für ei⸗ uen Dummtepf gehalten habe; heute entdede er in ihm cin tiefes Gemüth, obſchon er, ſelbſt im betrunkenen Zuftande, fein Mann von vielen Worten fei. Der Betrunfene, der ein baumftarkee Kerl war, drüdte meinem Bruder dabei fo berzlid die Hand, während ihm die Thränen über die Bangen roten, daß Rudolph laut aufſchrie. Jeßt fing der Andere aber erft recht zu Heulen an, und konnte fi das gar nicht vergeben, daß er feinem beften Freunde bei⸗ nahe die Finger zerquetſcht hatte,

Ich ſaß da und mußte nit, was id zu dem allen fagen ſollte, als mir Jemand leiſe auf die Schultern klopfte. Wie angenehm ward id überraſcht, als der ehrhare Mei⸗ Merfänger mit dem filbernen König David um den Hals

94 Bartdurg. Die Hodzeit.

binter mir ftand, und mit elnem freundlichen Lächeln fagte: Es wird mir hier zu wüfte, wollen wir ein Stündlein mit einander in die andere Stube gehen, lieber Sohn? Euere Muhme hat mir gefagt, dag Ihr zum Dichten einige na⸗ türlihe Anlagen verrathen follt, vielleicht könnte ih Euch ale erfahrner Mann mit mehreren nüglihen Lehren und Winken behülflich fein.

Ach Gott, mein ehrwürdiger Herr, rief ich froh über» raſcht, dem alten Meifterfänger gleich folgend, und mit ibm in’s Nebenzimmer hineintretend, Ihr hättet mir feine größere Güte ergeigen fönnen. Iſt's möglich? Haͤtt' ich doch nie geglaubt, daß ſich eine ſolche göttlich freie Kunſt wie ein Handwerk Iernen laſſe.

Freilich läßt fie ſich Iernen, ſprach der alte Mann mit ſtarren Augen, und ziemlich lahmer Zunge im Schweiße unſers Angeſichts läßt fie fi lernen. Nur mug man hübſch nüchtern fein, und ſich nicht auf blinden Meinungen ertappen laflen.

Blinde Meinungen, frug ih, mas it das? Ihr dürft nicht ſchwärmen, fagte der Meifler, wenn Ihr in die Innung aufgenommen fein wollt. Und wenn Ihr aud) ein Glas mehr als gewöhnlich getrunken haben folltet, fo darf das doch anf Eure Urtheilstraft feinen Einfluß haben. Scht einmal mid an! Ich Habe auch zu Ehren des Brautpaares heute Abend etwas tiefer als gewöhnlich in's Glas gegudt; vielleicht ft mir die Sprache der Zunge deshalb einigerma⸗ Ben ſchwierig geworden, aud) Haben die Beine ein Mein we⸗ nig von ihrem gewöhnlichen Gleichgewichte verloren. Das ift aber nur der Körper; an meinem Geile werdet Ihr aber nicht die mindefte Yenderung verſpüren; der ift eben fo nüchtern, als er immer zu fein pflegt. Alſo, licher Junge, um alles in

Bartburg. Die Hochzeit. %

der Belt, befonnen fein! Wie würden wir fonft alle die Sä- chelchen im Kopfe behalten, die zum Dichten nothwendig find, wenn wir den nüchternen Richtern, die nichts ges trunfen haben, und die den Teufel danach fragen, was wir auf dem Herzen haben, fondern nur immer wieder aus une fern Gedichten ihre eigenen Meinungen und Auſichten ber» ans zu Iefen wünfchen, gefallen wollen. Ich dächte, ante mortete ih, die Porfie fei eben eine fhöne Kunft, die mit dem uͤberraſchen follte, was andere Menfchen nit auf ſolche Art vorber gefehen noch gefühlt hätten. -

Profit die Mahlzeit, fagte der Alte; auf die Art wer⸗ det Ihr Euer Lebtag fein Deifterfänger. Alfo, Heber Cohn, bũbſch aufmerkfam und fleißig! Ihr ſprecht von Dictkunft, und wißt nicht einmal, was Dichtkunſt ſel. Was ift die . Dichtkunſt? Sie ift fo viel, verfeßte ib, daß ihr großer Geiſt ſich gar nicht in den engen Kreis eines Begriffes bineinbannen, noch ſich mit wenigen Worten ausſprechen laͤßt. Da irrt Ihr wieder, ſagte der alte Meiſter, mit einem Scluden, und einem dummen Blid; die Poefie ift die Kunft: „gute Gedanken in guten Neimen vorzutragen.” Jetzt wollen wir uns gleich zu den guten Reimen wenden, denn was die guten Gedanken betrifft, die ftellen ſich unter dem Dichten von felbft «in. Doc erft muß id mid in den Lehnſtuhl feßen, denn, wie gefagt, die Beine verfagen mir ihren Dienft, Holt mir dann auch noch einen Becher Bein, Tiebes Kind! Dann wollen wir bier in unferer Einfamteit vernänftig die Sadıe beſprechen. und mit den tollen Men- ſchen drinnen, die fidy nicht betrinfen können, ohne die Nüch-⸗ ternpeit zu verlieren, feinen Verkehr haben.

Ich holte ihm den Bein; er leerte den Becher Halb in langſamen bedaͤchtigen Zügen und ſprach: Ein vollftändiger

% Bartburg. Die Bochzeit.

Meiftergefang beigt ein Bar, die Versarten heigen Ge bäude, und verbunden mit einer Gefangsweile wird ein Ton daraus. Das vergig nicht; denn diefe Benennungen find in der Kunſt von aͤaßerſter Wichtigkeit. Zwar wech- ſeln fie mit der Zeit, und wenn wir längft vermodert uud von den Würmern gefreffen find, werden unfere Nachkom⸗ men andere Kunftwörter brauden. Sie werden aber eben fo fteif und eifrig auf ſolche halten, und ihnen eben fo große Wichtigkeit beilegen, als wir den unfrigen; alfo muß man von folhen Terminologien Beſcheid willen. Die Gedichte werden auch noch in Stollen oder Abfäge getheilt. Wir baben diefe Redensarten zum Theil vom Bergbaue genom- men, weil der Bergbau mit der Dichtkunſt einige Aehnlich⸗

- keit hat. Oft werden nämlid große Vorbereitungen: mit ſchweren Koften gemacht, und man findet nichts. Dann ann aber oft mieder eine reihe Ader alles erfegen. Doch zur Sache! Die Reime Lönnen Elingende und ſtumpfe fein. Das falſche Latein darfit Du nicht gebrauchen; davor wirft Du Dich aber zu hüten wiſſen, weil Du, wie ich höre, fudirt Haft. Bor Halbworten und Klebfyl- ben mußt Du Dich auch wohl in Acht nebmen. Hüte Did ferner vor dem Lafter, das will fagen, ein gelindes Bort mit einem harten zu reimen. Dann kannſt Du noch ein vorzü. licher Dichter merden.

Er trank die zweite Hälfte des vor ihm ftehenden Bes ers, und verfegte mit unbegreiflicher Gelaſſenheit: Jetzt will id Dir einige dee Eing-Weifen berfagen, in denen Du dichten kannſt; als da find: Friedrich Furner des Tud- ſcheerer Feilweißz Meldior Chriftopb des Bäders Preß« weiß; Paul Fiſcher des Kürſchners geſchwinde Pflugmeiß ; Hans Berchler des Gaftgebers hohe fröhliche Lobeweiß;

Bartburg. Die Hochzeit. ° 97

Veit Fiſcher des Schloſſers harte Felderweiß, Hand Mül- lers ſtumpfe Schoogweig

Der kalte Schweiß trat mir auf die Stimm, es ſchie⸗ nen mir Sauter Folterbänte zu fein, worein mein Geift ge⸗ legt werden follte, um zu befennen, mas er nicht wife, Es ward mir im öden Zimmer mit dem alten Manne ganz unheimlich; feine Kälte, die kein Bein in Glut verwandeln konnte, ſchien mir faft gefpenfterartig zu fein, und ich fprang ganz gelaſſen auf. um ihn zu verlaffen, als ein großer Tu⸗ mult tm Speifegimmer entſtand, wodurd die Thüre aufge riffen ward und einige von den Bäften zu uns hereintau⸗ melten. Id lief in's Speifegimmer, und fiebe, mehrere Betrunkene waren damit beihäftigt, den Kleinen Spruch⸗ ſprecher zum Fenſter hinaus zu werfen, weil er ihrer gar zu unverfchämt geſpottet hatte.

Ich that was ich fonnte, um ihn zu retten; einige, die noch nicht ganz ohne Befinnung waren, erbarmten ſich fee ner gleihfals; fo ward denn der Friede wieder auf die Bedingung geſchloſſen, er folle ein Berföhnungstied fingen. Er dat ſich jedoch die Erlaubnis aus, vorher einen Augene blic in den Hof zu geben; und ſchlich ſich fort. Iept folte auf ihn Kloppjagd gemacht werden; und alle ftürzten auf die Straße hinaus, wie die von unfaubern Geiſtern befefe fenen Säue ins Meer. Der Heine Aefon hatte fih aber zu gut verftedt, und man fonnte ihm nicht finden. Die heraus in die frifhe Luft gekommen waren, fonnten weder Mend noch Sternenwagen am Himmel fehen, und mußten fi) taumelnd von Knechten und Jungen nad Haufe brine gen laſſen.

Oehlenſ. Schriften. XVI.

8 Dir Berber. 8 Der Werber.

Inzwiſchen wüthete der Krieg in Deutſchland. Als proteftantifher Fuͤrſt, als Beſiter der Wartburg, woher die Reformation in Deutfchland ausgegangen war, konnte unfer wadrer Herzog Iohann Ernft nicht umhin, an dem Kriege Theil zu nehmen. Unfre Gegend war bis jegt fo ziemlid von den Unruhen verfchont geblieben; als aber Ballenftein auf der Donaubrüde den Mansfeld geſchlagen hatte, und ſich diefer nach Schlefien wandte, um mit Beihe len Gabor gemeinfhaftlihe Sache zu machen; bekamen tie nige Werber Erfaubnig, auch in unferer Gegend Nefruten zu werben; und fo geſchahen denn verſchiedene Betrügereien und Gewaltthätigkeiten.

Befonders war ein alter Werber, Namens Meldior Stelzfuß, vieler Niedertraͤchtigkeiten wegen berüdtigt. Mit feinem militaͤriſch fhönen Gefihte, welches ein Paar Nar⸗ ben und ein großer Krausbart zierten, mit einem gewillen väterlichen Anfeben, wußte er, wie eine Spinne, die Jüng- linge, die wie Stiegen herumſchwebten, in fein Gewebe zu Ioden. Sein hölgernes Bein, und fein Invalidentfum nahm auch für ihn ein.

Er hatte vor Kurzem einer alten Witwe ihren einzigen Sobn. einen flinten Tuhmachergefellen, weggeſchnavpt. Die Braut des Jünglings, ein reizemdes Mädchen, warf ſich verzweiflungsvoll meinem Bruder zu Zügen. Mein wacke⸗ rer Bruder, von den Thränen des ſchönen Kindes und der alten Mutter gerührt, beſchloß, mit einigen mutbigen Ge⸗

Der Berber. 9

fellen den Burfchen zu erlöfen, und fih an dem alten Schur- Een zu rächen. Kaum hatte er einigen feinen Borfag mit» getheilt, fo bewaffnete fi eine große Zahl von Handwerks⸗ gefellen, und ftand ihm zu Dienften. Mit genauer Noth betam id), meiner Jugend und Zartheit wegen, Grlaubnig mit zu gehen... Muthig naheten wir ung dem Dorfe, wo der Unglüdlide gefangen faß. Freilich hatten wir feine Schießgewehre; doch waren wir in größerer Anzahl, und die gute Sadye ftritt für ung.

Glaͤclicherweiſe gelang es uns, die Soldaten zu über» rumpeln und uns ihrer Gewehre zu bemädtigen, ehe fie ſich zur Gegenwehr feßen konnten, wodurch mehrere von ung vieleiht das Leben eingebägt haben würden.

Die Bagabunden waren zum Zrieden bereit, als fie unfere Uebermacht fahen. Sie erbaten fih nur ihre Waf- fen zurüd, dann wollten fie abzichen. Mit gefällten Ba» jonetten trieben wir fie aber fort, und da fie fürdteten, die Obrigkeit würde vielleicht von ihren Spipbübereien Wind betommen haben; padten fie ſich ſogleich, ohne Widerſtand zu leiſten.

Jetzt galt es den alten Sünder, Meldior Stelzfuß, der im Birtbshaufe mit feinen vier Buben zechte und auf Raub Lauerte, zu fangen. Mein Bruder behielt fih das Vergnügen vor, ſich feiner zu bemädtigen. Bir mußten indeg Vorſicht brauchen; da wir mußten, daß vier Pferde dort gefattelt fünden, um die Werber bei dem mindeften Verdachte fortzubringen; und wenn der alte Stelzfuß ein. mal im Sattel feit faß, dann war er ein guter Reiter, . Iept hatten wir freilich Schießgewehre; Pferde aber hatten wir nicht; auch war es nicht unfere Abfiht, den alten Sün« der niederzufhiegen. 7

wo Der Berber.

Mein Bruder traf die nöthige Verabredung mit dem Wirthe, der am ganzen Leibe zitterte, weil er fürdhtete, mar babe entdedt, daß er mit den Werbern gemeinſchaftliche Sache made. Drauf gingen wir beiden Brüder in die Stube, wo Melchior mit feinen Trabanten am Tiſche mit einem Schoppen Bein vor ſich faß.

Kaum traten wir herein, fo fing er an: Ei, da hab’ id ja wieder das Gaudium, einige meiner Heben Jungen in der Nähe zu fehen. In es mir dod, als ob ih ein Leckerbihlein nach dem magerften Nindfleifche gendffe. Kommt, liebe Knaben! ſetzt Euch zu mir! Die vier Schnurrbärte dort find ſtumm. wie die Buben im Kartenfbiele; und wenn ich einen guten Einfall habe, laden fle nicht einmal das rüber, Un den jungen Milchbaͤrten mit Flaumfedern um das Kinn hab’ ich mic aber wahrhaft zum Narren gefrefe fen. Aber das Kind da, (auf mic deutend) kann ich noch nicht gebrauchen; es möchte denn als Pfeifer oder Trom⸗ melfchläger fein! Herr Birth! noch zwei Scoppen Bein, befter Sorte, auf meine Rechnung, nebft Brod und Brat⸗ wurft.

Bir bedankten uns, er rief aber: Ihr folk, tra mic) Gott, trinken. Der Bein verbindet die Menſchenherzen Denn es iſt Feuer drin, verfteht mich! Schwefel und Sal peter. Das will nicht fagen, der Wein fel geſchwefelt. Ich meine nut, es ſei Glut darin. Zrinft Kinder!

Bir tranten vom waſſergemiſchten Beine, welchen der Birth, nad der Verabredung, uns vorgefeßt datte, und der alte Werber fuhr fort:

Es fee der Krieg Der Krieg ift das wahre Element der Mannsbilder; im Srieden regieren die Weiber. Auf dem Streitfelde baufet aber der Teufel. Verſteht, ih meine

Der Berker. 101

nicht den Beeljehub, den Satan mit dem Stelfuge mas fag’ id, mit dem Pferdefuge; fondern den Taufend» fafa! das Ingenium; der verflucht luſtige Poflenreiger und heroifhe Hans Wurf, der im trüben Waller filht. Was mar der glorwürdige Mannsfeld, ch’ der Krieg begann? Ein ſchlichter Soldat. Was war der BWallenftein? Gin verlaufener Student. Und was find fie jept? Die Shrek» ben der Belt! Der Tilly war auch nicht viel mehr. Wir wollen aber den Tillb, den Wallenftein und alle die ver- fluchten papififgen Halunfen Ihren, die Schuhe mit Baft zu binden. Sind wir nicht Lutheraner? Sind wir nicht Vroteſtanten? Sollen wir nicht gegen den Gräuel proteftis ven? Den Antihrit? Wie Heigeft Du, mein Freund? Rudolf Julius, antwortete mein Bruder rubig. Wohlan. Rudolf Julius, verfeßte der Alte, hier ift Handgeld! Herre lid geränderte niederländifhe Dutaten. Du bit ein Aus erwäblter; ein Gefegneter des Herrn! Du ſollſt Dein Glück im Hecre des trefflichen Mannsfeld machen. Und jept ſprach er, ſich au den Schnurrbärten kehrend, wollen wir auf die Gefundbeit des neuen Rekruten anftopen. und falls Ihr mir nicht Beſcheld thut, vertradte Holzblöde, werd’ ich Euch den Beyer in’s Gefiht werfen.

Mein Bruder ſtrich mit der Hand das Geld wieder zurüd, der Alte drüdte ihm aber die Hand auf's Geld, und rief: Iept bit Du Soldat. Du haft das Handgeld genom- men. Könnt Ihr das nicht alle bezeugen, Kerle? Ia wohl, brummten die Bierbäffe, er hat's genommen; er ift Soldat. Ich nehme fein Geld, rief mein Bruder mit verſtellter Angſt, ich geb’ Euch nur Euer Geld wieder zu⸗ tüd. Ic danke Dir, Freund, fagte der Alte, dag Du es mir wieder giebſt. Hört Ihr wohl, Kinder? er hat mir

102 Der Berber.

die Dukaten wieder gefchentt. Ein treifliches Herz! Jeder iſt Herr des Eeinigen. Soldat bit Du nun aber einmal, fo wahr ih ein ehrlicher Diefe legten Borte ſprach er mit gedämpfter Etimme; denn im felbigen Augenblide _ wirfte der Schlaftrunt, den er unwiſſend im Beine genofe fen hatte, und er fiel hin auf die Bank. Kaum ſchlief er, fo traten mehrere von unferm Gefolge in die Etube. Als die vier Schnurrbaͤtte das Schikfal ihres Kameraden ges wahr murden, entfernten fie fih freiwilig, und einige der zu uns Gehörigen brachten fie über die Gränze. An dem alten Stelzfuß follte jedod eine eremplarifhe Strafe ftae tuirt werden, und es ward Kriegsrath gehalten, wie wir uns räden wollten; denn weil der Neidbart alt und ges brechlich war, fhämten wir uns, ihn zu prügeln, und ihn megiujagen, wie die Andern, ließ ſich nicht einmal gleich tun, weil er nicht gehen konnte. Hier ward id, der in den vorhergehenden Auftritten eine paffive Role gefpielt batte, befragt, meil mehrere der Gefellen, die mid fann- ten, von meinem Erfindungsgeifte gute Gedanken hegten.

Ich antwortete: Der alte Kerl ift eine Art von Höle lengeiſt, wir müffen ihm von den Qualen der Hölle einen Vorgeſchmac geben. Bie denn? frug Einer, follen wir ihn auf die Folter bringen? Freilich, antwortete id, die Fol⸗ ter fol aber menſchlich fein, und ung mehr Spaß maden, als ihm Schmerz verurſachen. Mein Vorſchlag ward ans genommen, und folgendermagen ausgeführt:

Bäprend der Schlaftrunk wirkte, ward Meldior Stelz⸗ fuß nad) einem abgelegenen Orte im Walde gebracht; als der Stelzfuß bier von ihm abgelöft war, ward er mit Ric " men feit an ein Bagenrad gefhnürt, und auf einen Pfahl binauf gezogen, An den Zweigen der Bäume, die ihm

Der Berber. 103

über dem Kopfe ſchwebten, hatten wir Flaſchen mit Bier, Bein und Branntwein gebunden; ein fhöner Schinken und mehrere Bratwürfte Bingen aud dort, wie Früchte, ohne

. daß er die Nahrungsmittel mit den Händen ergreifen. Tonne. Diefe Strafe war auf feine Gefräßigkeit und Trinkluſt bes rechnet. Ein wenig Honig batten wir nod dem armen Sünder in’s Geficht geſtrichen, und zwar niht um fein Schid- fat zu verfügen, fondern um die Müden und liegen her- auloden.

Als er erwachte, und ſich auf dem Rade fand, zitterte er am ganzen Leibe und glaubte wirklich, vermuthlid weil er auch die Gicht hatte, die beim Erwachen immer am em» vfindlichſten ift, daß er lebendig gerädert fei; eine damals

ſehr häufige Strafe, die er wohl hundert Dial hätte auss fichen müffen, wenn er nah den geltenden Geſetzen haͤtte veruttheilt werden follen. Meer aber einige Minuten fo in Angſt gelauert hatte, und fid feine graͤßlicheren Schmer» zen einftellten, verwandelte ſich feine Angft in eine ſtille Verwunderung; er befühlte feine Glieder, und als er ent» dedte, dag man nur das hölzerne Bein von ihm getrennt Habe, holte er einen tiefen Seufer, und fing an, fih auf dem Nade zu orientiren.

> Jept kam ihm der Geruch des Bramntneines und der Ehwaaren in die Nafe; die Luft zum Lebensgenuß kehrte

mit dem Bervußtfein des Lebens wieder; er ſtrecte die Hände

mit Verlangen nad) der Branntweinsflafdhe, nad) den Wür⸗

fen, dem Brode; als er aber nichts erhaſchen fonnte, fing

* er graͤßlich an zu fluchen. Sein Fluchen half ihm aber nichts, und wie zum Spotte flogen die Müden und Zlie-

‚gen Hin und her von den Eßwaaren nad) fetnen honigfügen

104 Der Berber.

Lippen, um einen Heinen Nachtiſch nach der folidern Mahl⸗ zeit zu halten. -

Damit war nun aber aud) die Strafe vorbei; er ward von den Banden gelöft, und an den Tiſch gebracht, den wir im Walde bingeftelt hatten, um da unfer Frühſtück im ſchoͤnen Wetter zu genießen. Er mußte. wie ein Lehrjunge unten am Tiſche ftehen, während wir andern fagen. Auch durfte er fein Wort ſprechen, nur follte er mit gefalteten Händen ein Tiſchaebet berfagen. Er meinte aber, und vers ſicherte, es fei ihm pur unmöglich, er wiſſe fein einziges Gebet auswendig, und wir möchten ihn mit weiteren Nedes reien verſchonen. Sobald er fid nun mäßig gefättigt Hatte, ward er fortgeführt, und durd einige von uns über die Gränze gebracht; weniger aus Härte, als aus Barmberzige keit, um ihn gegen den firengen Arm der Obrigkeit zw fügen, wenn feine Thaten ruchtbat würden.

Als er weggeführt war, und wir nod am Tiſche fas Ben, fahen wir einen Haufen ſchwarz geffeideter Jünglinge berfommen. Es waren Etudenten aus Iena, die in den Serien herumſchwärmten, und jet aud) die Wartburg bes ſuchen wollten. Sie batten von unferem Abenteuer gehört, maren damit zufrieden, rühmten uns und thaten fehr fidel. Uns Schülern und Handwerksburſchen ſchmeichelte es fehr, von Studenten gerübmt zu werden; wir fragten befcheiden und etwas ſchüchtern, ob fie vieleicht an unferm geringen Aiſche vorlieb nehmen wollten? Bas vorlieb! rief der Se- nior, der Seifert bieß. Wir find Euch für Eure Gaftfreis beit fer verbunden, und können es nöthig haben, denn wir haben heute einen langen Ummeg gemacht, und noch nichts rechtes genoffen. Ihr feid Handwerkögefellen, und wir E:tudenten? Was will das fagen! Burſche find wir alle

Der Berber. 105

zufammen; frei wie der Bogel auf dem Dad, führen ein dagabon diſches Leben, und find feine Ppilifter. Drauf fege" tem fie ſich; wir fühlten ihnen die Glaͤſer, und fie fangen folgendes Lied, wozu mir nad) ihrer Aufforderung in den Chor mit einftimmten.

Der ift ein freier Mann, Der ehrendaft und tüchtig Sich felbft bederefchen kann. Denn wer dad noch nicht kann, Bär’ er ein Mlerander,

Er if ein Marker Mann, Doch noch kein freier Mann.

> Der if ein freier Mann, Der fräftiglich und bieder, Den Degen führen kann; Denn wer dad noch nicht kann. Bär’ er der Weifen einer, Cr if cin edler Man, Doch noch fein freier Mann.

Der ift ein freier Mann, Der feinem Baterlande Das Leben opfern kann; Denn wer das noch nicht kann, Er fei ein wadrer Bürger, Ein rechter Edelmann, Doc noch fein freier Mann.

Der if ein freier Mann, Der feine Menſchenrechte

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Mit Kraft behaupten kann. Denn wer das noch nicht kann, Gehört zum Zroß der Anechte, Bas fraa' ich nach ihm dann? Er if kein freier Mann.

Ber it der freie Mann? Der Hope Fücn im Bande, Der aur auf Zugend (ann. Der fei verflucht in Bann, Der nicht dem guten Herefcher, Der unfer Her gewann, Schügt, wie ein freier Mann!

Kaum Hatten wir das Lied geendigt, fo erfhien eine neue Schaar mit Biden und Blehhauben, von einem Manne im ſchwarzen Mantel und weiß gepuderter Perüde angeführt. Es waren die Häſcher aus der Stadt, und dir Gerichtsſchreiber, der wie cin Abgefandter der hohen Obrige keit erſchien. Ein Trompeter ging ihm voran, und alle Augenblide ftanden fie ftil, als fie ung nabeten, und blie- fen, um anzudeuten, daß fie Etillftand verlangten, und dag wir uns an der heiligen Perfon des Ambaſſadeurs nicht vergreifen dürften. Wir gingen ihm alfo mit Ehrfurcht entgegen, und als er unfere Unterwürfigteit ſah, rief er mit finftergezogenen Yugenbraunen:

Bas hat alles diefes zu bedeuten? Macht man fo auf eigne Hand in bona charitate Yufrubr, während der Here zog mit feinen Reiſigen abweſend it? Bald wird der gnä⸗— digfte Fürft wie ein Gewitter erſcheinen, und dann wird es ſowohl über den Gerechten als den Ungerechten hergeben.

Die Trennung. 107

Bie unterfteht man fi, einen fürſtlichen Werber, der mit ‚gnädigfter Erlaubnig Rekruten wirbt, in eflgie zu rade- brechen, Tiſchgebete herfagen zu laſſen, und über die Graͤnze zu jagen?

Als wir aber dem Gerichtsfchreiber alles erzaͤhlt hat» ten, und damit floffen, dag wir der hohen Obrigkeit mit den zwölf erbeuteten Gewehren und den vier fhönen Heng · ften ein unterthäniges Geſchenk zu machen däcten, erheie terte ſich die Miene des Mannes augenblicklich. Er ließ die Haͤſcher mit den Blechhauben und Piken wieder zur Etadt marfdiren, feßte fih hin, um mit uns zu zechen. verſprach. alles am gehörigen Ort ins günftigfte Licht zu ftellen, und fing als alter Student felbft zuerft das Lied an: „Gaudeamas igitar, javenes dum sumus!“

8. Die Trennung

So hatten wir den wieder auf kurze Seit Ruhe; mein Bruder ging mit den Gefelen zur Arbeit. und ich ſchlen - derte täglich in träger Gewohnheit mit dem Bude unter dem Arm nad) der Schule, um nichts Ordentliches zu ler» nen und um mid) über die Ungezogenheiten meiner Mitſchũ- der zu ärgern. Id mar doch immer lieber dort, als zu Haufe, mo es, feit meiner Muhme Heirath mit dem St» Haftian Veilchenblau, elend herging. Der Meine Wicht vers wandelte fi) bald in einen Haustyrannen, und prügelte

108 Die Trennung.

feine vide, große, ſchlaͤfrige Frau bei den unbedeutendften Anläffen. Diefe Anläffe waren oft Hödft närriſch; denn fie lieg ihn fonft im Haufe walten, er war Herr ihres Bere mögens; er konnte Zreunde einladen und bei andern zu Gaſte fein, wenn er wollte. Auch plagte fie ihn nicht mit Eiferſucht, obſchon er ſich ein Liebchen hielt. Da kam ihm denn die Geſchtchte von Abraham, Sara und Hagar gut zu ftatten. Cie faß gelaſſen zu Haufe, mit dem Hunde im Schooße und ſchlief meiſtens. Wenn die Upr fpielte, wachte fie immer auf. Ceit fie verbeirathet war, kehrte fie ſich aber nicht mehr an das alte Lieblingslied, das am Tage erflang, dagegen fonnte fie mie Abends das Sterbelied

„Herzlich thut mid) verlangen nad) einem ſel'gen End“, his ren, ohne zu meinen und die Augen mit dem Mopfe zu trocknen; und da mußte id) denn mit der armen Frau’ ein wahres Mitleid haben.

Bald nachher batte id den Kummer, meinen einzigen wahren Freund, meinen guten Bruder, zu verlieren. Der Herzog kehrte plöplic zurüd, und ließ fogleih in der Stadt ausrufen, er fei Willens, mit dem Grafen Manns- feld gemeinfhaftlihe Sache zu maden; diefer dringe in Oeſtreich mit einem Heere ein, und er, der Herzog, fodre alle treuen mannhaften Unterthanen auf, ihm zu folgen.

Kaum hatte aber mein Bruder dies gehört, fo verließ er die Werkftatt, vertaufchte den Webſtuhl mit Spieß und Schwert, und die Klappmüge mit der Pickelhaube.

Kurz darauf reifte der Herzog ab, und Rudolf fah ihn in mehreren Jahren nit wieder. Ich habe nie etwas von feinem Schicſale gehört, bis Su, mein Eberhard, auf

Die Trennung. 109

meine Infel gekommen bift, und mir erzählt haft, wie er nachher Vater eines glücklichen Geſchlechts geworden fei.

Von meinem Gefühle überwältigt, ſchrieb ich beim Ab⸗ ſchiede folgendes ſchlichte Gedicht:

Aa Gott, mein liebſter Bruder; So fon ich miffen Dein;

Der ich an Dich gewöhnet Som tleinften Kindesbein!

Kein Jahr ift noch genoffen, Verfloſſen

Ohn innigen Verein.

Nater einem Oerzen getragen Bir fogen diefelbe Bruft; Torten in jungen Tagen Deb Sehens Cchmer) und Luft Zedt folen wir und trennen And Eennen,

Bad fonft wir mie gewuti.

Die Sehnfucht in der Weite Wird angewaltig fein.

Im Kampfgewühl und Gtreite Gedent', in Dir alein,

Der Wartburg, wo wir faben Und iaſen

Bel ſchwacher Sanıyen Schein.

Und ich an meinem Buche, eig. ih nun Dazmal,

110 Die Trennung.

Und meinen Rudolf ſuche Vergebens in dem Saal, Ich werde, find‘ ich keinen, Stil weinen,

Beim blaſſen Rondenſtrahl

Sie muß ich mich detrüben, Beil wir und oft gejanft. Bei denen, die ſich lieben, Mitunter Liebe krautt; Doch wieder bald gefanden Die Bunden,

Und nimmer Treue wänft.

Der Bater und die Mutter, @ind auch nicht länger bier. Du, der Du fammf von Luther; Sein Cegen folge Dir;

, Und bringe Dich zurüce Mit Glüde Zu Gifenach und mir!

Mein Bruder las das Gediht, und fiel mir weinend um den Hals; drauf fagte er: Die große Bibel Fann ich aber nicht mitfehfeppen, fie fol bei Dir bleiben. Ad) Ru— dolf, rief id), dann mußt Du die Uhr nehmen; und wenn Dir aud die Stunden im Menſchengewuͤhle und immer neuen Abenteuern ſchnell fortlaufen; wirft Du doch, wenn Deine Augen auf dem ſchwarzen Zeiger weilen, der ſich langſam fortbewegt, des Bruders gedenken, der in ftiller

Einfamteit fi tägli nach Dir fehnt. Recht fo! rief Au-

Die Trennung. 111

dolf, Krieger und Geiſtlicher! Zeit und Ewigkeit! Uhr und Bibel. Gott iſt in beiden. Jetzt muß ih Dir auch ein Lied machen. Drauf fhrieh er, ohne ſich lange au beden- ten, folgende Zeilen:

Immer Tonnen wie nicht warten, Sich, ded Sehens Bäclein eilt! Kleine Bäum’ aus einem Garten Werben in bie Welt vertheilt.

Doch was wir zuerſt empfunden, Theuer und ich Herzen blüht, Denn die Zeit der erſten Stunden Die entwicelt dad Gemüth.

Fliegen auch die Bögel Heute, Zu verſuchen fern ihe Glüd, Kehren fie Doch mit der Beute Morgen nach dem Baum zurüci.

Dir der Lehrſtand, mir der Wehrſtand, Dir die Feder, mic der Stahl;

Einft vielleicht umarmt der Biſchof Brůderlich den General;

Bol meinem Bruder war ich jetzt getrennt. Ich brachte noch ohngefähr ein Jahr bei meiner Muhme zu, und weil ich etwas mehr Verſtand befommen hatte, fo dag ich mid feloft antreiben konnte, machte id während der Zeit in mei⸗ nen ES hulübungen ziemlihe Fortſchritte. Der Meine Beil» Genblau, der eigentlich, diefen füglihen Namen haben follte,

112 Die Trennung.

weil er feiner Frau oft den Rüden veilhenblau prägelte, Eonnte mich indeß nicht ausftehen. Um die arme Muhme au raͤchen, batte ic ihm eines Abends in vollem Pug in den Ninnftein fallen lafen, ‘indem id das Brett verſchoben hatte. Hierdurch befam der ſcharlachne Rod fo viele Flede, dag Salvator, als er mit der verwor- renen Allongenperüde auf dem Konfe grimmig in die Stube bereintrat, einem fledigen Leoparden oder Pantherthiere nicht unaͤhnlich ſah. Er konnte mic, freilich der That nicht überführen und ic läugnete alles bartnädig und frech; war er mir aber nicht vorher feindlich gefinnt, fo ward er es jeßt. . An einem Mittage, wie ih mit der Muhme allein ſpeiſie, fing fie, gegen ihre Gewobnheit, an, ganz vernänfs tig zu reden, ohne ſich der altteftamentarifhen Redensarten und Bergleihungen zu bedienen, aud ohne die rhetorifche Methode des Vortrages, die ihr beinahe zur zweiten Na- tur’ geworden. Sie fprad von ihrer Schwefter, meiner Mutter, zwar ohne Tpränen, doch mit einem gewillen ſtil⸗ len Gefühle, das mir auffiel und mic rührte. Sie ſprach von dem Grabe der Seligen, welches fie immer fehr gewiſ⸗ ſenhaft alle Vierteljahre mit Sand, Buchsbaum und Blu« men hatte beftreuen laſſen; fie äußerte, dag fie, wenn ffe ftürhe, ihrer Schweſter zur Seite ruhen wolle, Drauf ſtarrte fie Lächelnd hin auf das Bild des großen Luthers (teine ſchlechte Copie des Wartburger Originals) und fagte mit einem gewiffen phlegmatifchen Stolze und einiger Selöft- gefälligkeit: Er war dod unfer Ahnberr! Ih habe doch immer fo gern auf dies Präftige Geſicht bingefehen, wenn ich fo allein mit meinem einen Jolie ſaß, und die Uhr orgelte. Er liebte ja auch das Drgelfpiel fo (ehr. Als

Die Trennung. 113

fie fo geſprochen, wollte fie den Löffel zum Munde führen, ſchlief aber ein, ehe der Arm den halben Weg gemacht batte, und ließ die Hand mit dem Löffel wieder finten. Ich war diefes Manöver gewöhnt, und wollte fie aufweden, Es war aber vergeblid, die gute Muhme fhlief den lan⸗ gen Todesihlummer. Als nun eben in diefem Augenblic die Stubenubr ihre gewöhnliche Mäglihe Weiſe zu fhielen anfing, morüber die felige Muhme fo. oft gemeint, und ich gelacht hatte, rührte cs mich bis im Innerften meiner Seele. Arme Urfula, rief ich weinend! Jeht wird diefe Melodie feine tief in der Bruft verheimlichte eitle Hoffnung wieder erweden! Ad warum finden wir thörichten Jünglinge doch oft eine alte Jungfrau fo läderlih? Viele diefer Erſchei⸗ nungen find einft junge reizende Schönheiten gewefen. Uns fere Väter haben für fie geglüht. Eine vereitelte Hoffnung bet das Glück ihres Lebens auf immer geftört, und wir verfpotten die armen Unglüdlihen! Die Reſte einer gewe⸗ fenen Menſchenſchönheit erregen nur verächtliche Gefühle, und auf den Mauern alter Burgträmmer ſchreiben wir chr- furchtsvolle fhmärmerifge Lieder. Sind dod die Burg- trümmer nur Stein und Squtt, bier hauſt aber eine un ſterbliche Seele. Und war die Erdenhüle diefer Menfcen- Seele garftig und unangenehm, fo daß fie alles das weg⸗ feuchte, nah weldem cin gefühlvol ſchwelgendes Herz in- nig begehrte, adı Gott! war's denn ein Bunder, wenn ein noch feltfamerer Wahn, eine ſtille Wuth fih nad und nach der Arien bemädtigte? daß fih die Serrüttung des Lebens auch in irren Thaten und Worten offentarte? Nein. meine arme Mubmel verfeßte ih ſchluchzend, währ rend die Uhr immer dabei ihre Melodie Leierte, ein hoͤl⸗

vs, „tes Inftrument fell nicht die · einzige Stiume fein, lenf. Schriften. xVI.

114 Die Trennung.

die Deinen Tod beklagt. Du biſt mir in vielen Jahren gut und hüffreid) gewefen. Gin marmes theilnchmendes Herz fol Dir fein aufrichtiges Gefühl zollen. Id will Dir zur Grube folgen, und dann einen Ort verlaſſen, mo keine le⸗

bendige Seele ſich mebr um mid) und mein Echidfel be- kümmert.

Als ich diefe Parentation gehalten hatte, während die Muhme noch immer fteif und fert am Tiſche mit dem Löf- fel in der Hand ſaß, ohne fid) im mindeften verändert zu baben, trat der Heine Salvator Veilchenblau herein. Er war fehr übler Laune, und wollte ſchelten; als er aber börte, daß feine Frau todt fei, ward er ploͤtlich fehr aufs

. geräumt, und fing an, die guten Eigenfdaften der Seligen auseinander zu fegen. Auch meinte er etwas; id war aber. fo bosbaft zu glauben, daß es vor Freude fei, hoͤchſtens aus Dankbarkeit, weil die felige Urfula ihn nicht länger ine commodire, und ihm alles das Ihrige hinterfaffen habe. Er feßte fih fogar zu Tifh, und mit gutem Appetite. Ich will das Vergnügen haben, fagte er, mir einzubilden, dag id uod einmal mit meiner lieben Ehehälfte Dinire. Sie war eine fromme Seele, es ift mir in ihrer Nähe gar nit bang. Sie hat oft fo gefeffen und fein Wort gefpro- hen, fie wird es aud heute nicht thun.

Ic ward über den Meinen Wicht fehr aufgebracht, mäs Higte mich aber, und ſprach rubig: EMt nur, Salvator! ich wünfde Euch eine gefegnete Mahlzeit. Ihr babt ja doch meine arme Muhme nur gebeirathet, um einen guten täglichen Bilfen zu befommen. Die Leiche follt Ihr aber nicht verhöhnen. Ich rief Leute, und ließ die Todte meg- tragen. Er wunderte ſich über meine Kühnpeit, wagte aber kein Wort Dagegen zu fagen. Nur äußerte er troden: Ihr

Die Trennung. 115

mißt, Eure Muhme hat cin Teftament gemacht. Ich bin der Univerfalerbe. Hundert Thaler hat fie Euch vermacht; die werd’ ih Euch) morgen auszahlen und dann wünſche id Euch eine gluͤckliche Reife.

Bon Eurer Gropmuth zu leben, antwortete ich kalt, wäre eine gar zu ſchlechte Koft und eine gar zu tiefe Ber fhimpfung. IA gönne Euch das Geld, das Ihr mir und meinem Bruder dur diefe Heirath cigennügig und nieder trädtig entwender habt, und gebe fogleih aus Eurem Haufe. Hätet Euch aber, von meiner Muhme, meinen eltern, meinem Bruder oder mir ein ſchlechtes Wort zu ſprechen, während ih noch in Eiſenach bleibe, fonft werde ich meinem lieben Obeim fo den Rüden bläuen, wie er es oft meiner armen feligen Muhme gethan hat.

Mit diefen Worten verließ ih das Haus, fehr dadurd) erleichtert, dag ich den minzigen Schurken einmal meine tieffte Veractung in derben Worten hatte empfinden laſſen.

Als ich meine hundert Thaler ausbezahlt bekommen hatte, düntte mid, der ih nie mehr als ein Paar Gros fhen in der Taſche gehabt, dag mir künftig nichts man» geln könne. Ih 308 zu einem meiner Bekannten, einem Studenten, Namens Seifert, der vier Jahre älter war, als id, ein fehr guter Kopf, und cin zwar ercentrifcher, doch zugleich, ein liebenewürdiger Menſch, wie Ihr nachher hö⸗ ven werdet,

Man follte glauben, mein Er-Ohelm und id) wärden uns nun nie mehr mit Augen gefehen haben, und doh muß- ten wir noch ein Paar Etunden lang ganz ruhig und fite tig einander zur Seite geben. Er konnte nämlich nicht ums bin, mich durd den Leichenbitter zum Begräbniffe meiner Muhme einzuladen. Bir gingen alfo vie, I ſchwarze

116 Abenteuer.

Mäntel gehüllt, Schritt vor Schritt, zunähft dem Sarge. Kein Menſch als ih war bei der Leichentrauer gerührt. Es fam aber dem Heinen Beilhenblau wohl au ftatten, dag ihm immer die ſchwachen Augen'im Winde mäflerten; er trodnete ſich fleißig mit dem weigen Schnupftuche, und die Zufhauer waren mit feiner Theilnahme fehr zufrieden. Ich fonnte niht weinen. Erſt als ich hinter dem Leihen» gefolge das leife Klingeln einer Schelle hörte, und den Heis Joli ſah, der feiner Herrin aud die letzte Ehre erweiſen wollte, ward bei mir ein ſympathetiſches Gefühl erregt. Diefes ward noch gefteigert, als ich iu die Gruft hinunter fah, und ein kleines Stüd von dem ſchwarzen Sarge mei» ner Mutter entdedte, das durch das nahe Aufgraben cnte Hlößt worden war.

Nach geendigtem Begräbniffe, und als ih ein Water. unfer mit dem Hute vor dem Geſichte gebetet hatte, ging id fort, und habe feitdem weder dag Haus meiner feligen Muhme, nod meinen Er-Obeim mit Augen gefehen.

10.

Abenteuer.

Ich möchte die erften Schönen Kinderjahre, die unſchul⸗ dig in der Heimath verledt werden, den heitern Märztagen vergleichen, die den noch unverhofften Frühling ankündigen. Die Sonne fheint dann warm, das Gras fängt an zw wachſen, die Beilden blühen, die Stubenfenfter, die der Sonne zugetehrt find, werden eröffnet; ja man findet es

Abenteuer. 417

mol in der Stube zu Heiß, ſetzt fi draußen auf die Baut in ter Mittagsfonne, und wähnt, daß es bereits Sommer fei. Dann kömmt jedod der wilde April mit feinem Ban felmuthe, feinen Leidenfhaften, mit Negen, Sturm, Has gel und Nactfröften.

Glaubt aber nicht, Kinder, dag ich dies als eine 2is tanei einftimme. Die Borfehung Hat mid fo ziemlich mit heiler Haut aus jenem Kattegat der Iugendriffe in's freie Meer des Mannesalters gebracht.

Acht Tage nad dem Begräbniffe meiner Muhme, faß ich mit meinem neuen Freunde Seifert und mehreren Iuftis ‚gen Gefellen im Birtbehaufe, zwei Meilen von der Vater⸗ ſtadt entfernt, mit achtzig Thalern in der Taſche; denn zehn hatte mir mein Oheim Veilchenblau durch allerlei Eleine Rechnungen verkürzt, und die übrigen zehn hatte ich gebraucht, um meinen Freunden einen Abſchiedsſchmaus zw geben, und um mir einige neue Kleidungsftäde zu kaufen.

Seifert faß jeßt am Ende des Tiſches mit einer Fla⸗ ſche franzöffgen Weins vor ſich, aller Augen waren auf ibn gerichtet. Ich wollte, dag ih Euch ein treues Bild diefes wunderbaren, finnreihen, vagabundiſchen Menſchen malen fönnte. Er war ziemli bob, ſchlank und breite ſchultrig; dabel aber mager; befonders waren ihm die Beine dünne gerathen. Alles jedoh bei ihm war Sehne und Nerv; feine Gefihtsfarbe war gewöhnlich blaß und fiel in's Gelbliche; fobald er indeſſen zu reden begann, glühten ihm die Wangen fhön, und die großen Augen funfelten immer,

Obſchon er die Belt im Ganzen verachtete, leuchtete doch bei ihm eine unbeſchreibliche Anmuth und Freundlich. teit gegen Menſchen hervor, die er einmal liebgewonnen

118 ı Abenteuer.

hatte. Sie mußten fi) aber blindlings feinen Neigungen und feinem Willen fügen, fonft fuhr cr auf und ſchmetterte fie mit Spott und Schmäbungen zu Boden. Naher ward er wie gerührt, und madıte mit Anftand und Würde alles wieder gut. Obſchon er felten Gedichte las, und eigentlich die Poefie wenig liebte, weil feine egoiſtiſche Natur fie nicht felbft üben konnte, und weil er ein zu guter Kopf war, um feine Eitelteit mit mittelmäßigen Verſuchen abzufpeifen, war doch fein ganzes Wefen fehr poctifh. Jedem Vorfalle, je dem ihm begegnenden Menfhen-Charakter wußte er die ei⸗ genthümliche Seite, abzugewinnen und in gut gewählten Borten darzuftellen Es mußte jedoch alles improvifatorifd) aus dem Stegereife fein. Seine Einfälle, feine Gedanten, feine Begeifterung waren wie der Champagner, der augen biidich brauft, und auf der Stele getrunken fein will, Selbſt ftolz auf feine Vorzüge, haßte er bis zur Wuth als les Herkommliche, das ſich ohne eigenes Verdienft hervor⸗ thun will. Er war ein treuer Freund, und theilte den Iepten Heller mit feinen guten Gefellen. Auf ihre Ber- dienfte und Vorzüge war er aufmertfam, und rühmte fie oft. Bar es ein Wunder, wenn id) und mehrere Jüng- linge meines Alters uns ihm biindlings ergaben, und fei- nem Billen folgten?

Brüder fprad er, uns die GläferZmit dem feuris ‚gen lichtrothen, noch nie gefofteten Burgunder füllend es giebt eigentlich fein höheres Glüd, als das fhöne vaga« bundiſche Zeben. So haben es aud die Menſchen von An» beginn ber getrieben, und nur die Norh, als das Geſchlecht ſich zu art vermehrte, zwang die Männer aus der freien Natur, die fie ihr Paradie: nannten, auszugehen, um mit Ofen Felder zu pflügen, um mit Weibern Kleider und

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Schuhe zu nähen, und mis Bibern und Wespen Zellen und Häufer zu bauen. Jeder tüdstige Burſch fühlt deemegen auch noch in ſich den Trieb, das alte natürliche Verhältnig wieder herzuftellen. So wollen wir denn einiger der erften Heroen in Liebe gedenken, als des Nimrod, der ein rüſti⸗ ‚ger Jäger vor dem Herrn war, des Herkules, der die zwölf fhönen Abenteuer ohne Schwierigkeiten beſtand. Welch ein Gaudium mag es nicht dem Inadus, dem Kadmus, dem Gecrops geweſen fein, auf Heinen Edyiffen vol Iuftis ger Bagabunden an fremden Ufern zu landen, und dort eine neue Wirthſchaft einzuführen! Als fie jedoch vom Erichthonius leſen und ſchreiben gelernt haften, waren fie verloren. Bewundern wir aber auch die Argonauten, die nach Colchis, die Hellenen, die nach Troja fifften. Denk wenn auch die verblendete Welt dafür bält, fie hätten es um eines verlaufenen Weibes, um eines armfeligen golde⸗ men Vliehes willen gethan, fo find wir Eingeweihten doch Aug genug es einzufehen, daß fie fid nur diefes Dedman- tels bedienten, um den Dummen und Blödfinnigen Sand in die Augen zu fireuen! Im Grunde gelüftete ihnen nur nad einem guten Abenteuer. Welch eine Freude müßte es gewefen fein, nachher mit dem Nomulus und Remus und al’ dem tüchtigen Ianhagel eine Freiftatt zu bilden. Wenn ich aber wünfcte, mit dem Nomulus gelebt zu haben, fo wäre es nur, um ihn todt ſchlagen zu können, weil er, wie der erſte Phifiner Cain, aus kleinlicher Eiferfuht feinen Bruder ermordete. Remus ift gewiß ein ganz anderer Kerl gewefen; er fpottete der kindiſchen Ginrichtungen des Ro—⸗ mulus, der fhon einen Ball machen wollte, um die Leute in die Bornirtheit bineinzuzwingen, um fie zu Philiſtern und ESpiegbürgern zu erziehen, wie fie es denn auch nach

1% Abenteuer.

ber wurden. Darauf kamen aber die wahren Burfhel Der Odin mit feinem Gefolge nad Norden! Die Cimdren, Zeutenen, Longobarden nad) Cüden. Nachher machte das mißverftandene Chriſtenthum freilich die Menſchen wieder etwas ſchlaff. Der Heldenmuth artete in die Frage, in Graufamteit aus, der crafle Burf Attila würhete mie ein toller Hund,. der allerchriſtlichſte Clodwig und feine Nach⸗ folger, die Merovingen, waren das infamefte Lumbengefin» del, das je auf der Welt geathmet bat. Dann kamen je doch die Normannen, und lehrten die Eüdländer wieder Mores. Eine ritterlihe Gefinnung verbreitete ſich Äber die Belt, und bald gaben die Kreuzfahrer den Eimbern, Lon⸗ gobarden und Normannen nichts nad. Freilich mußten fie mieder die Philifter mit Honig um's Maul ſchmieren, das mit fie mit ihnen gemeinfhaftlihe Sache machten. Sie folugen ſich aber nicht mehr um’s heilige Grab, ale um des Kaifers Friederich rothen Bart! Nachher hat die Phir Kifterel, wie eine anftedende Krankheit, ſich Teider fehr ver⸗ breitet. Der liebe Herrgott forgt aber doc immer noch für feine Geſchbpfe. Ieht find wir Gottlob Proteftanten ! Und wogegen profeftiren wir eigentlih? Fragt die Schaa⸗ ren des Mannzsfeld, des Herzogs Chriſtian, fragt die Hau⸗ fen des Tily, des Ballenftein, warum fie fih ſchlagen ! Straf’ mich Bott, fie wiſſen eg nicht, fie wollen es nicht wiſſen; fle denfen nicht viel daran, ob fie Katholiken und Vroteſtanten lud! Das ift wie vorher mit den Guelfen und Gbhibellinen in Italien, wie mit der rothen und weißen Rofe in England; fie fuhen nur Abenteuer, und find im Grunde einander fehr verbunden, weil die verfiedene Den- Rungsart ihnen den Anlaß giebt, ſich willkürlich und hel- denmäßig zu bewegen.

Abenteuer. 121

Er trank hier eins dazwifhen, und fuhr fort: Nun bätten wir uns freilich an eine diefer großen Horden an» fliegen Fönnen; allein dann wären wir wieder Knechte, die dem Befehle eines mächtigen Anführers gehorchen müßten. Auch Hat man in fpäteren Zeiten den Krieg verdorben. Die Krieger find Britken auf dem großen Echadbrette; der befte Schachſpieler it der größte Held. Nein, lebten wir nody zu den Seiten der irrenden Ritter, dann wollte ich Euch vorfälagen, dag wir uns für unfer Geld Helme, Epiege, Schwerter, Harniſche und gute Pferde kauften; dann wollten wir in Gottes Namen auf Abenteuer aus» aiehen, den Witwen beifteben, die Jungfrauen befhügen, die Philiſter auseinander bringen, wenn fie fih in die Haare gerathen wären. Die Belt duldet aber keinen Nit- tergeift mehr, die Witwen wollen nicht befhügt, die Junge fern nicht gerettet fein, die Bürger und Bauern wollen ſich nicht helfen laſſen. Jett rauben, fengen, brennen, ſchänden und morden die Horden. Bir wollen indeg feine Räuber werden, obſchon diefe prefäre Lebensart, dies romanenbafte Herumftreifen im frifhen grünen Walde, für ein junges Gemüth etwas fehr Neizendes bat. Die Räuber aber find Lumpenkerls und wahre Phitifter; fie Fechten nicht, um Muth und Tapferkeit zu beweifen, fondern nur aus Mordſucht und Geiz! Hol der Teufel alle ſolche fpigbübifchen, ſpieß Dürgerlihen Beweggründe.

Ich weiß jedoch einen Ausweg! ich weiß ein gemäch- liches geiftreihes Mittel, wie wir Könige, Helden, Patriare hen, Bürger, Bauern, Räuber, Türken und Juden fein können; wie wir die Großmuth ohne Aufopferung, die Graufamteit ohne Gewiſſensbig ausüben können. Laßt uns Schauſpieler fein; wir wollen alte Faſtnachtſpiele, Schwänte,

12 ' Abenteuer.

Zragödien, fogar moralifhe Lchrfüde aufführen, Umd ic will Direktor der Bande fein! So ziehen wir im deutſchen Baterlande herum, genießen das Leben, befhauen die Nar tur und die Etädte, ergründen die Menſchen, verdienen Geld, trinken Wein, eſſen Braten, lichen die Weiber, wer- den geliebt. Und wenn wir des Weſens wieder müde find, bören wir auf.

Seifert hätte nicht die Hälfte feiner Beredfamteit nd- thig gehabt, um uns junge Menfhen ganz nach feinem Willen zu Ienten. Wir wollen aber das Handiverf vers edeln, ſprach er, nicht wie Bachanten und Schützen einher» ziehen, und die Schwaͤcheren zwingen, für die Stärferen zu betteln. Auch wollen wir uns nicht für Zauberer, Schap- gräber, Aftrologen und Negromanten ausgeben. Dagegen Fönnen mir gern den hübſchen Weibern einbilden, wir fein in dem Venusberge gewefen, und Meifter der fieben freien Künfte geworden: 'magistri septem artium liberalium, Benn wir älter werden, können wir Graft madyen; jeßt fingen wir: J

Nonnen zechten, Pfaffen jcchten! Mägde trinten noch mit Anechten; Trintt der Abt mit dem Priore, Mönche faufen früh im Chare. Würger mit einander trinken,

Bis fie von den Stühlen ſinken. Bein. erquickt die Durft'gen Zungen, Mlte bechern mit den Jungen.

Für den Pabft und für den König Bein die Menge, Waller wenig;

Abenteuer. 13

Für die Fürhten, für die Pfaffen

IR der Mebenfaft erſchaffen; Brüderlich zuſammen bechern

Leut' aus ganz verſchiednen Fächern. IM verloren Malz und Hopfen?

Zecht den Wein in großen Tropfen! *)

Licher Eeifert, ſprach id), ich gehe gern mit Dir, und made gern alle Iuftigen Etreihe mit, In’s Pfaffenland mag id aber nicht mitzieben. Ich meiß, es mürde meinem Vorfahren, dem großen Luther, nicht gefallen.

Seifert runzelte die Stirn ein wenig, und erwiederte vornehm: Du ſprichſt immer fo viel von Deinem großen Abnherr, mein Lieber! Das ift eine liebenswurdige Schwach · beit an Dir, die Du ablegen foltet. Kein Menſch, rief ich erbigt, fol mic davon abhalten. Zwar ftamme id nicht in gerader Linie von ihm ab, fondern nur von einem

*) Frei nach dem alten Liede: Bibit ille, bibit illa,

Bibit servus cum ancilla, Bibit Abbas cum Priore, Bibit coquus cum factorez Et pro Rege, et pro Papa Bibunt vinum sine aqua, Et pro Papa, et pro Rege Bibunt omnes sine lege. Bibunt primum et secundo, Donec nihil ait in fundo.

124 Abenteuer.

Nebenzweige. Hab’ ih aber dod) eben fo wohl Erlaubnig, ihn das Haupt meines Geſchlechts zu nennen, als viele Adelige, die einen ausgezeichnten Helden als Blume des ganzen Stammes anerkennen. Auch finde id mid, Hefugt, fein Wappen, die Roſe, in meinem Petſchafte zu führen. Das baden fon meine Vorältern gethan, und der große Melanchthon fagte felber von unferm Gefhleht: Vetus familia est, et late propagata, *)

Nun wohlan, fprad Seifert ruhiger, als er mid fo bigig meine Rechte verteidigen fah, ich will Deine Nofe nicht brechen. Ich war ſchon wieder gut, und er verfeßte: Ich finge mit Properz:

Me juvat et multo mentem vincire Lyaeo Et caput in verna semper habere rosa, ”)

Bir wollen Deine Rofe nad) alter Weiſe über unfern Speiſetiſch aufhängen, zum Zeichen, dag man, was unter guten Freunden geſprochen wird, geheim halten, und nicht zu genau nehmen folle. So thun wir alles sub ross, Gut aber, verfepte er läächelnd, daß unter ung fein Chevalier de Guise ift, denn der könnte feine Roſe fehen, ohne ohn⸗

machtig zu werden; und wie würde ihm erſt Deine bürgers liche Wappenrofe in die Nafe geſtunken haben!

Wir zogen demnad) wie Zugvögel mit unferm Seifert luſtig fort in unbekannte Gegenden, und fo lange das Geld in der Taſche klingelte, dachten wir an nichts, als große Herren zu fein. Als aber das Geld beinahe alle war, denn

+") Dad Geſchlecht if alt, und weilverbreitet. **) Mic erfecut ed, den Aopf voll von Bachus zu haben, und das Haupt mit Grüplingerofen zu fränien.

Abenteuer. 125

wie die Apoftel welland, hatten wir gemeinfhaftlihen Beu tel, ſprach Seifert: Iept, Kinder, müffen wir arbeiten.

Ziemlich müde und fehr arm famen wir an einem ſchö⸗ nen Aprilabend einer Nitterburg am Thüringerfelfen vor⸗ bei. Unfer Wegweiſer zeigte uns im Vorbeigehen tief uns ter der Burg eine große; roftige, eiferne Thür im Selfen- geftein. Bir dahten, es fel vieleiht ein Burgverließ, er erzählte aber, daß der edle Nitter Curt von Anaufdegen, der droben als Witwer wohne, bier feinen Weinkeller habe. Er fei, verfeßte der Wegweifer, ein Iuftiger, freundlicher Mann, der einen guten Schwank liebe, weswegen er fih aud oft als ſchlichter Bürger verkleite, um drunten im Wirthshauſe die Fremden zu ſprechen und von Zeit zu Zeit feinen Spag mit ihnen zu haben. Möglich fei es, dag wir ihn aud) heute Abend dort freffen würden.

Kaum hatte Seifert das gehört, fo fhra er heimlich zu uns: Wir wollen lieber unfern Epap mit ihm haben, und wenn ſich nicht Alles gegen uns verſchworen hat, wer» den wir nod heute Abend den trefflichen Bein des edlen Eurt von Knaufdegen koſten. \

Nun ift zu willen, dag mir in unfere Bande einen Bauer, Namens Barthel Schmolz, aufgenommen hatten, der einen diden Bauch, ein großes Maul und ein fehr al» bernes Geſicht Hatte. Er war aber nicht fo dumm, als er ausfab, wir brauchten ihn dazu, unfere Schuhe zu fäuberu und unfere Kleider zu bärften; Seifert hatte ihn aber noch aus einem andern Grunde mitgenommen: denn diefer Bars thel war eine komiſche Srape, die uns in den Poſſenſpielen vom größten Nugen fein konnte.

Als wir in die Birtheftube hineintraten, faß da am blankgeſcheuerten ſchneeweißen Eichentiſche, der in der Mitte

126 Abenteuer.

mit ſchwarzem Schiefer eingelegt war, ein ehrbarer alter Bürger, mit einem großen Becher vor fi ven Buchsbaum, morin, fehr fauber geſchnitten, zu fehen war, wie der bes rauſchte Noab von feinen rüdmärtsgehenden Söhnen mit dem Mantel zugededt wird.

Bir gaben unferm Wegweiſer ein gutes Trinkgeld; er verließ uns vergnägt; und raunte uns zum Dante beim Abſchiede in's Ohr: der chrbare Bürger dort ift eben. der erwähnte Nitter Curt von Knaufdegen; cin Freuzbraver, ehrlicher Herr, der viele Fehden in feiner Jugend mitger macht bat. Hier im Wirthshauſe mögt Ihr Euch aber auf feine Eprficpfeit nicht verlaffen; denn hinter dem Bürger» wams ftedt der Ritter, und im hölzernen Becher nicht der ſchlechte Wein des Wirths, fondern der treffliche Rebenſaft des eben gefehenen Kellers. Der Wegweiſer ging, Sei- fert hatte uns ſchon alles Nöthige gefagt und Barthel feine Role begriffen.

Guten Abend, liebe Gefellen, rief der Nitter uns ent» gegen; wer feid Ihr, mit Verlaub? Etwa fahrende Schüler? Bir find Studenten, die nad) Erfurt gehen, um da unfere theologifhen Studien fortzufeßen, antwortete Seifert mit ernfter Höflichkeit. Nun, das ift hübſch von Euch, verfegte der dlte Herr, ich freue mic immer,

*junge aufgewedte Leute zu fehen, die fi auf die fhöne Kunft der himmliſchen Wiſſenſchaft legen, melde” ung der unſterhliche Luthet von allen Auswüchfen und Zufägen ge⸗ reinigt bat.

Bei dieſen Worten des Nitters mandelte mi nad Gewohnheit gleich eine große Luft an, mid als Enkel des feligen Doktors zu produciren; ein Blid aber auf Seifert, dem von einem foöttifhen Lächeln und leiſem Kopfſchütteln

Abenteuer. 127

begegnet ward, weil er mir in der Seele las, band mir die Zunge. Ia, licher Herr, ſprach Seifert hurtig, weil er immer fürdhtete, ich werde mit meiner Entdedung der Verwandtſchaft herausrüden; von jeher haben ja Adel und Geiſtlichteit zuſammen gehalten. Doc, rief der alte Nitter, iſt der achtbare Bürgerftand auch nicht zu ver⸗ achten. Diefer, erwiederte Seifert, hat eigentlich die Re⸗ formation begonnen; fie ift aus feinem Schooße entfprun« gen. Drauf das ernfte Geſpräch damit abbrechend und ſich zu Bartheln kehrend, frug er ihn lachend: Nun, wie geht's Meifter -Bartel? Bit Du noch immer fo müde? Du moͤchteſt Dich mohl jeßt gern an einem guten Trunfe la- ben? Der alte Weinkeller droben am Berge mit den ver» fallnen Stufen und der roftigen Thür bat Deinen Durft noch ftärfer erregt! Nicht wahr? Der alte Weinkeller? fiel ihm der Ritter in's Wort. Ia wohl, verfeßte Sei⸗ fert. Ich habe freilich dem Menſchen gefagt, dag es da nicht geheuer fei, und er fürchtet ſich fonft vor Gefbenftern, mie die Weiber vor Spinnen. Eein Baud) geht ihm über alles, wie Ihr ſeht; und wenn er nur guten Bein faufen Bann, fo verfhriebe er ſich, glaub’ id, gern dem Teufel mit Leib und Serle. Ja, ſprach der alte Nitter, der gleidy merkte, Seifert wolle den Bauer aufziehen, freilich iſts da nicht geheuer. Haft Du nie etwas von diefem Wein keller gehört, mein Freund? Nein, antwortete Barthel, dumm fiftig, möchte aber für mein Lehen gern ein Wort davon erfahren. Vor hundert Jahren, ſprach der Nit- ter, ging ein chen fo verwegener Gefell, wie Du, den Zrümmern des alten Weinkellers vorbei. Er traf den Ein- gang zu einer unterirdifhen Ereppe, melde gar Keil ſchien, fo dag.er hinabſtieg, und in einen anſehnlichen Keller

128 Abenteuer.

gelangte, an deſſen beiden Eeiten er große Faͤſſer gereihet fah. An den vorderften mangelten weder Hahn noch Krahn, und als der Bürger vorwigig umdrehte, fah er mit Ber» munderung einen Wein fliegen, köſtlich wie Oel. Er hatte zwei große Krüge mit fi, welche etwa zwanzig Maag fafs fen konnten; er war aber nicht dazu zu bemegen, einen ſolchen Gang zum zweiten Male zu maden. Nachher hat man den Schlüſſel zum Weinkeller in der eifernen Thür gefunden; und er bängt noch zum Andenken, groß und roſtig an der Wand in diefem Wirchshaufe Denn Fein Wagehals hat nachher das Abenteuer gemagt.

Hat er denn dort Geifter gefehen, frug Barthel ſehr andaͤchtig. Freilich mag er folh Zeug da gefehen haben, antwortete der alte Ritter. Man ſagt, dag Gefpenfter ihm dort feinen Tod vorherverfündigt Haben; aud fol er nachher wirklich geftorben fein. Wie lange mag das wohl her fein? frug Barthel. Hundert Jahre, erwie⸗ derse der Nitter. Dann ift es eben Fein Wunder, daß er geftorben ift, rief Barthel. Ich hätte große Luft, dus Abenteuer auch mal zu verſuchen. Das dat’ ih! flür fterte Seifert dem alten Knaufdegen in’s Ohr: denn diefer Kerl ift der größte Trinker in der Chriftenpeit!

Der alte Ritter nahm Seiferten zur Eeite, entdedte ſich ihm, und geftand, dag cr mit dem Dicbauche einen Schwank vornehmen möchte; wir Andern wurden mit in’ Epiel gezogen, und die Pofle begann,

Der alte Nitter fandte eilig hinauf zur Burg, um das Nöthige zu holen und einzurichten. Drinnen in der Bildung fanden wir brennende Lichter und einen kleinen Tiſch mit ſchwarzer Schiefertafel und Griffel, Gleich Berg leuten oder Kobolden kleideten wir uns in ſchwarze Ueber⸗

Abenteuer, 129

röde, und bededten die Köpfe mif Iedernen Mügen. Kaum waren wir damit fertig, fo erſchien Barthel. Wir hatten unfere Lichter in eine Zelfenfluft gefeßt, damit er fie beim Eintritte nicht gleich gewahr werde. Mit einer Hornleuchte in der einen und einem großen Eimer in der andern Hand, trat er ganz erſchrocen herein, und fein Wegweiſer verließ ihn an der Thüre.

Barthel ſpielte feine Role gut. Hier ftehen freilich Namen genug mit ſchwarzen Buchftaben auf weiße Schilde fauber geſchrieben, ſagte er; das find mir aber lauter ſpa⸗ nifhe Dörfer, denn id bin der edeln Kunft des Buchſtabi⸗ rens nicht mächtig. Was thu' ic) jeßt? Vielleicht zapf' ich aus der ſchlechteſten Tonne, und id möchte für mein Leben gern vom beften haben.

Sapf aus dem Orboft, das Du mit der Hand bes rührft, donnerte mit hohler Stimme der alte Ritter, aus der Dunfelpeit hervor, der ift gut. Barthel zitterte, daß ihm beinahe das Lit in der Leuchte umgefallen wäre, faßte ſich aber ſchnell, machte einen tiefen Büdling gegen alle vier Weltgegenden, und ſprach: Dan’ Euch, gnädige ſter Herr Geift! Jetzt ſeh' ih, dag Ihr es mit mir ehrlich weint.

Bei diefen Worten war der alte Nitter Willens wieder ein großes Gebrüll hören zu laffen, aus Furcht aber, der Bauer werde ihm im feiner Angſt zu viel Wein auf den Boden verſchütten, nnterließ er es.

Bäprend uns Barthel den Rüden kehrte, hatten wir Zeit genug, in aller Gemaͤchlichteit zu erſcheinen; und als er ſich endlich wieder umdrehete, um mit dem gefüllten Gis mer wegzugehen, faßen die ehrmürdigen Greife: (id, Sei⸗ fert und ein dritter Schüler) in Bergmannstraßten, mis

Dedienſ. Schriften. XVL

190 Abenteuer.

langen weißen Ziegenbaͤrten, am Tiſche, die Schiefertafeln vor ſich, und fperrten ihm den Weg.

Iept follten wir orafelmäßig fprehen und da hatten wir denn Gelegenheit, die Gutherzigeit des alten Nitters wahrzunehmen. Macht's nur nicht zu arg! flüfterte er uns ins Ohr, hat man doch vorher gefehen, daß ein armer Tropf bei folder Gelegenheit vor Schrecken in Ohnmacht gefallen ift, ja mohl gar den Geift aufgegeben hat. Zürctet nichts, ermiederte ihm Seifert leife; diefer Kerl bat feinen Geift aufzugeben. Wie lange, Bruder, frug er mich jegt laut mit verftellter bobler Stimme, meint Du wohl, dag diefer unverfdhämte Schmeerbauch, der uns den Bein vor der Nafe wegftiehlt, noch Ichen, fteblen und zechen werde? Sehr kurz, war meine Antwort, fehr kurz wird er noch (Barthel zitterte) Wein trinken, verfegte ih. Das Verhänguiß bat ihm feinen Tod in Bier und Branntwein angemiefen, und zwar nicht vom beften.

Ach, lieber Himmel, rief Barthel vergnügt, das ift ja die Hälfte mehr von Glüdfeligkeiten und Herrlichkeiten, als ein armer Bauer zu hoffen wagte, Dank Euch, liebe un« ſichtbare Herrihaften, und gnädige Gefpenfter, mer Ihr auch feid, für den fhönen Bein und die höflihe Prophe⸗ zeifung. Denn follte ih aud den Kummer erleiden, in meinen alten Tagen mit Bier und Branntmein vorlieb zu nehmen, fo weiß ic doch aus Erfahrung, dag man ſich auch in diefen geringeren Sorten ganz ordentlich betrinken Kann. Seid Ihr felige Geifter, fo wünfd ih Euch, dag die Seligkeit bis zum jüngften Gericht fortdauern möge! Seid Ihr aber verdammte, fo if das gewiß nur aus Irr« thum geſchehen! Der liebe Gott wird ſich Eurer erbarmen

Der Ritter und fetn Burgtaplan. 131

und Eud) wieder aus diefem Arreſte befreien, obſchon ein guter Weinkeller eben kein ſchlechtes Gefängnig iſt.

Drauf wollte er fi) aus dem Staube maden; damit er aber doch nicht durch die gräulichen Gemaͤcher des Jam⸗ mers und Höblen des Elends auf lauter Nofen tanzen ‚solle, Töfpten wir die Lichter, und verfolgten ihn heulend mit Kardatfchen in der Dunkelheit zur Thür heraus.

Der alte Ritter lachte fo herzlich, Daß ihm die Thrä, nen in die Augen traten, nahm von uns Abſchied, weil es Mmät war, und Iud uns ein, Morgen um zehn Uhr bei ihm auf der Burg zu effen. Bir cilten nach dem Wirthshaufe, trafen unfern Barthel da, mit dem Weineimer, ließen ung das Abendbrod gut ſchmecen, und tranfen im edien Weine des edeln Ritter Curt von Rnaufdegens Gefundbeit.

11. Der Nitter und fein Burgkaplan.

Wie freute es mid am folgenden Morgen, mit meis nen luſtigen Gefellen den Fels zu befteigen und in die alte Nitterburg zu treten.

Man brachte uns dur ein Borzimmer und durd den ſchonen Nitterfaal in das Wohnzimmer des alten Ritters, Sein Burgtaplan ftand neben ihm, diefer hatte eben ein Schreiben für feinen Herrn vollendet, und der alte Held ſtieß feinen Schwerttnopf, worein fein Wappen gegraben

132 Der Ritter und fein Burgkaplan.

mar, in den an der Urkunde hängenden Wagellumpen Daraus nahmen wir nun ab, daß der edle Nitter nicht ſchreiben fönne.

Gr grüßte uns freundlich, und frug, als er ſich umge fehenzhatte: Warum habt Ihr den Barthel nicht mitgee nommen? Edler Herr, antwortete Seifert etwas empfinde lich, er ift unfer Knecht, unfer Aufmärter! wir dachten nicht IM er doch geftern Hauptafteur im Schaufpiele geweſen, fagte der alte Ritter launifh; und mit einem taum merklichen Stirnfalten, id dädıte, wir fähen heute nicht gar zu fireng auf den Rang. Wenn es fo gemeint iſt, antwortete ich, mit einer nadläffigen Verbeugung, fo danten wir für die ung zugedachte Gnade, und wollen weis ter ziehen. Nun, nun, mein junger Epringinsfeld, forady der Nitter gutmüthiger, Du bift mir auch verfluht kurz angebunden. Ihr_feid Etudenten Theologen gelehrte Herrn da muß ein alter Ritter Reſpekt haben. Seifert warf mir einen ſpoͤttiſchen Blick zu, ſchüttelte den Kopf, und ſprach: Nehmt unferm Freunde, Herrn von Zus ther, feine jugendliche Aufwallung nicht übel, Herr Nitter. Herr von Luther? ſprach der alte Ritter, das adeliche Geſchlecht kenn' ich nicht. Eeifert, ſprach ich, indem ich ihn am Rocarmel in eine Ede zog, fals Du noch ein fol- des Wort ſprichſt, fo geh’ ih zur Thür hinaus, und Du haft mic zum legten Mal gefehen. Vergebt, Herr Rit⸗ ter, verfeßte Seifert ehrbar und gelaſſen das ift nur ein Scherz unter uns jungen Leuten; wenn es Euch be- liebt, wollen wir gern ſogleich den Barthel holen laſſen. Er kann ja bei Tiſche mit aufwarten, ſprach der Herr von Knaufdegen und wißt Ihr was? Ein beſſeres, reinlicheres Kleid follte er doch billig anziehen; wenn Ihr nichts dage-

Der Ritter und fein Burglaplan. 133

sen habt, will ih ihm ein funfel nagelneues Narrenkleid geben, das der felige Narr meines hochſeligen Herrn Ba- ters nur drei Mal am Leibe trug, ch er ſtarb. Es hat zwanzig Jahre im Kleiderſchrank gelegen, und ift, wenn es gut ausgeftopft und ausgelüftet wird, noch wie neu. Das wird ihm fchön ftehen. Ich hoffe, er wird gegen den Fuchs ſchwanz, die Schelle und die Efelsohren nichts einzuwenden haben. Nicht im mindeften, antwortete Seifert. Gleich ward nad) dem Barthel in's Wirthehaus gefhidt.

Während der alte Ritter einen Knappen rief und ihm auftrug, den Brief zu beforgen, ließ er den Burgfaplan fi) mit uns unterhalten. Wir merkten wohl, er fole ung auf den Zahn fühlen, wie meit es mit unferer Gelchriam- feit Her fei. Der Kaplan aber war feloft ein fehr unwiſ⸗- fender Menſch, der vorher Moͤnch gewefen, und zum Zus therthume Übergangen war. Als Seifert ihm mit feinen Ioteinifhen Broden zufeßte, verlor er beinahe Nafen und Ohren, und damit wir feine Armfeligteit nicht verrathen möhten, überhäufte er ung mit den größten Lobeserhebune gen, als der Nitter zurüd kam. Nun, das freut mic, rief diefer vergnügt, daß Ihr hoffnungsvolle Jünglinge feid! Jet wil ich Euch au) meine Burg zeigen, während der Tiſch gededt wird.

Drauf führte der alte Herr ung berum; mir befticgen die Burgzinnen und faben weit über Wald und Thal hinaus. Bir mußten mit ihm die gefährliche Ringmauer befteigen, und ummandern. Wer da in die Ziefe hinunter gefallen wäre, hätte an dem Tage fein Mittageffen befom- men. Drauf befahen wir die Gemäder, er öffnete den Waffenſchrank, wo noch fteinerne Beile und Aſchenkrüge der alten Thüringer aufbewahrt wurden. Schöne Harnifhe,

134 Der Ritter und fein Burglaplan,

Helme und Schwerter hingen in bunten Reihen. Bas uns aber das meifte Vergnügen machte, war eine volftändige Sammlung von allerlei Trinfgefhirren aus Gold, Silber, Holz und Elfenbein. Aus allen mögligen Geftaltungen konnte man trinfen: aus Schiffen, Windmühlen. Wein trauben, Dfauen, Affen, Pfaffen, Nonnen, Hirfhen, Schweinen. Der alte Ritter gab uns die Wahl, ſelbſt die uns beliebigen Trinkgeſchirre auszuſuchen. Wir wählten einige ſchlichte grüne Gläfer mit Weintrauben verziert. - Da habt Ihr gut gewählt, rief der alte Ritter. Rhein⸗ wein muß man aus grünen Gläfern trinken, und das alte Seug da ift mehr zum Spaß als zum Gebrauch, denn wer Teufel möchte aus Windmuͤblen, Mönden und Nonnen zechen, wenn man Gläfer bat?

Als wir in’s Sveiſezimmer traten, war das Eſſen ſchon aufgetragen, meift nad) alter Art Geräuchertes, Ges pfeffertes und Gefalzenes; doch ftand auch ein großer ge⸗ bratener Kapaun vor dem Burgfaplane, der, die Nodärs mel auffrämpend, mit einem großen Vorſchneidemeſſer in der Hand, ſich bereit machte, das Tier zu zerlegen. Der Kaplan ſchien jet recht in feinem Elemente zu fein; drei Bediente ftanden hinter den Stühlen, und unter ihnen Barthel ganz ehrbar als Hanswurſt angezogen, mit den berabhängenden Eſelsohren und einer Serviette unter dem Arme. Benn er fid) mitunter bewegte, klingelte die Schelle hinten im Fuchsſchwanze, als wenn ein Meiner Humd im Simmer wäre: das machte ihn aber blöde, und er blich deshalb meiftens auf einem Flec ftehen. Der Ritter grüßte ihn ernft, mit einem freundlichen Niden, und nach feinen Beiſpiele taten wir Ale, als wenn gar nichts Ungewöhn- liches vorfiele,

Der Ritter und fein Burglaplan. 135

Als der Kaplan das Tiſchgebet mehaniih hergeſagt hatte, fiel er über den Rapaun her, begann vorzuſchuei- den, und rüdte nun nach und nach mit allen den Schwän fen und Einfällen heraus, die in des Barfügers Frater Io bannes Pauli Sammlung zu leſen find. Doc hatte er zu⸗ weilen auch ſelbſt drollige Einfälle, und es war zu bemer ten, wie der alte Nitter, der vermuthlich ale Tage dieſe Hiftörpen wieder verbauen mußte, fib verwundert und überrofät dabei ftellte, als wenn er es zum erfien Male hörte, und zum Mitlachen aujfordernd, uns ſtarr in die Augen fab; alles, um feinen Kaplan in's günftigfte Bicht iu fielen, und uns ein Vergnügen zu maden.

Könnt Ihr wohl auch einen Kapann zerlegen, Water Gotthold? frug cr den Kaplan ſpoͤttiſch, der Idr fo ver⸗ wegen mit dem blinkenden Eifen in der Hand ftehet. Frei⸗ lich, antwortete der Prediger, fteht im Tranchirbucht, muß man, um gut tranchiren zu können, primo von Adel fein, secundo Gourage haben; mit den Kapaunen hab’ ih aber immer noch Muth genug anzubinden. Und mit diefen veraͤchtlichen Gefbönfen mag ſich doch felbſt nicht das furcht - ſamſte Weib einlaſſen. weil ihnen fo ganz die Waffen man- geln, verfepte der Nitter. Die Weiber verachten diefe Tptere ans Eiferfuht, ſprach der Kaplan, weil beide Die- tant fingen und Soprawifen find. Ihr fürstet vielleicht, Herr Ritter, verfeßte er, daß ich diefen Braten fo verſchnei⸗ dem werde, wie der Beichtiger weiland beim Edelmanne. Run, wie that denn der? frug der Ritter uns neugierig anblidend, und wir merkten fehr gut, dag er die Geſchichte auf den Zingern wußte. Gr fdmitt dem Kapaune dem Kopf ab, ſprach Herr Gotthold, und legte ihn dem Edel» manne vor, weil ihm als Haupt des Geſchlechts folder mit

156 Der Ritter und fein Burgkaplan.

allem Rechte gebühre; dann befam die Edelfrau den Kra- gen, weil fie dem Haupte am nädıften fei; die Flügel wur⸗ den den Töchtern zu Theil; weil die Mädchen mit ihren Sinnen hin und her flattern. ‚Den Söhnen gehörten die Schenkel, als Stügen des Haufes, weil auf ihnen das Ge- foleht ruhete. Den ungeftalteten Klumpen aber behielt der Pfaff für fih, weil er ſelbſt fo ein Rumpf ohne Kopf, Kragen, Flügel und Schenfel fei,

Der Nitter late, füllte unfere Gläfer, und erzählte dem Herrn Gotthold, er habe uns heute die Eeltenheiten der Burg gezeigt. Sie waren doc) gewiß nicht fo groß, als die drei Seltenheiten zu Leipzig, fagte der Kaplan. Bie waren denn die? fragte der Ritter. Die Mönche vertauften dort das ganze Jahr hindurd Korn verfegte jener und hatten Reine Aecker; führten große Gebaͤude auf, und waren Barfüger ohne Geld, zeugten alle Jahre viele Kinder und hatten keine Weiber. Unfere Fremde baben aber noch nicht die Kapelle gefehen, fuhr der Nitter fort: da müßt Ihr ihnen das fhöne Altarblaft zeigen. Es kommt darauf an, ob fie den Herr-Gott lieber todt oder Iebendig fehen wollen, antwortete der Kaplan: «8 möchte mir fonft mit ihnen gehen, wie dem Maler mit den drei Bauern. Wie ging es denn ihm? frug der Ritter. Der Kaplan wollte eins dazwiſchen trinken, da er aber zu eilig war, um wieder erzählen zu Lönnen, gerieth ihm der Bein in die unredhte Kehle: er huſtete entfeßlih, ward erft dunkelroth, dann veilchenblau im feiften Geſichte. und konnte lange nicht wieder zu Athem kommen. Geifert benutzte diefe Paufe, ergriff das Wort und ſprach: Erlaubt, Herr Nitter, dag ich die Geſchichte erzähle, während der Herr Paftor ſich wieder erholt; ich habe fie auch bei Frater

Der Ritter und fein Burgkaplan. 137

Johannes Pauli gelefen. Der Maler frug, ob fie einen todten oder lebendigen Chriſtus am Kreuze haben wollten? Lieber Meifter, antworteten die Bauern, malt uns einen Iehendigen! Gefällt er ung nicht, konnen wir ihm ja nach⸗ ber immer todtſchlagen.

Mag ich doch ſolche luſtige Geſchichten gar gern bören, ſprach der alte Ritter. Gewiß, erwiederte Seifert, zur Abwechslung mag es ganz gut fein. Nur dürfen ſolche Anefdoten nicht zu häufig auf einander folgen, font könnte man fi eben fo gern allein auf fein Zimmer mit einem alten Vademecum in der Hand hinfeßen. Das ift nicht zu läugnen, ſprach der Nitter, beſſer iſt es wenn man ſelbſt einige gute Schmänfe erfinden ann. Dann muß man aber auch Ernſt mit Scherz abwechſeln, verfepte Sei . fert. Das ewige Scherzen und Spotten entſteht aus Kälte, Stolz, Eitelteit und Mangel an ernfter Theilnahme. Es

iſt eine Art von Parforcejagd, modurd das edle Thier des Biges zuleßt keuchend erliegen muß, bis es fi verblutet. Auch habe ich ftets gemerft, dag etwas Unfreundliches in dem biegen ununterbrohenen Spatzmachen liege. Man ſcherzt, weil man der Geſellſchaft nicht genug traut, ihr fein Gemüth aufzuthun: Auch folgt auf das entſetzliche Lachen immer ein leeres Schweigen, wo man fid verlegen anfieht und micht weiß, was man wieder anfangen folle. Und wenn man endlich nad folden witzigen Spöttereien aus einander geht, hat man immer im geiftigen Munde einen faden Nacgeſchmack, wie Leute, die zu viel Saures auf einmal gefoftet haben. Ihr habt Recht, Freund, forad der alte Ritter, dergleihen mug von ſelbſt kommen, und nicht immer wiederholt werden. Barum, verfeßte Seifert, war der Hofnact, der Hanswurft immer mit allem

18 Der Ritter und fein Burgkaplan.

feinem Wige, mit fammt der augenblidlihen Bewunde- rung, ein verachtetes Gelhöpf? Beil er ein Diener war, der von feinem Brotherrn abhing? Keinesweges! das thar ten die ernten Anappen au, und wurden nicht verachtet. Nein, weil er Profeffion von dem Spotte und dem Spaße machte; weil er Scherz trieb, nicht aus Liche zum Ernte, zur Wahrheit, fondern aus Eitelteit, aus Verachtung und Kälte gegen die Welt. Er war mit fammt feinem aufge wedtem Kopfe ein egoiftiiher Flegel! Das Luftigfeinfole len ift immer ein jämmerlid Ding! Davon giebt uns heute unfer armer Barthel einen einleuhtenden Beweis. Geftern war er aufgeräumt, als er noch im Bauerntittel fat; jept da er den Habit des Spaßmachers angezogen bat, ift er tleinlaut. fteht mit der Serviekte unter dem Arm, mie ein wahrer Tropf, und fieht mit feinen herabhängenden Eſels⸗ ohren einem wirklichen Eſel nicht unäbnlic.

Bei Gott, das ift wahr! rief der Nitter. Gebe bin, Kerl, und ziehe Deinen alten Wamms, und Deine alte Laune wieder an. Steht er nit da, mit dem erbärmli- hen Geſichte und mit gefalteten Händen, wie ein Sünder im Beichtſtuhle, der feinen Fuchsſchwanz felbt gern dem lieben Herr» Gott verbergen möchte. In der That, das ernfte Fratzengeſicht zwingt mid) zum Laden.

So bab ih doch als Schallsnarr meinen Beruf cr» füllt, ſprach Barthel troden, indem er abging.

Der Bayer bat mid) geftern köſtlich unterhalten, ſprach der Ritter Ich glaube, es könne ein ganz guter Komödiant aus ihm werden; erwiederte Seifert: Lieht Ihr etwa Schau⸗ ſpiele, Herr Ritter? Frage. ob ic) fie liebe? antwortete der alte Heer; wie betomm’ ich aber ſolche Herrlihteiten in meinem abgelegenen Nefte zu fehen. Ic war mal in Dres»

Der Ritter und fein Burglaplan. 139

den bei einem Faſtnachtsſpiele, und hab’ mir dort faft die Augen ausgelacht. Es geht mir aber ein Licht auf!’ Ihr feid fahrende Schüler, feid Ihr etwa auch es muß cum grano salis verftanden werden, erwiederte Seifert. Grano ealis, wiederholte der Nitter, fih zum Kaplan kehrend, der ganz mürriſch und ſtill faß, weil er feine Anekdoten mehr erzählen durfte was ift grano salis, Kaplan? Ohne ein Wort zu ermwiedern, deutete der Kaplan auf das vor ihm ftebende Salzfaß, und Seifert verfeßte: Wir find ehr- liche Leute und wohlftudirte Studenten, wie Euch der Herr Paſtor gefagt haben wird, gedenken andı unfere Studien mit allem Ernfte, Eifer und Fleige fortzufehen. Die Ju⸗ gend liebt aber Heiterkeit und Vergnügen. Wenn es alfo Eurer ritterliben Gaftfreigeit gefallen follte, mit unfern fhülerifhen Verſuchen in einer fhönen Kunft, welde Ari» ftoteles und die Griechen fo hoch fhäßten, vorlieb zu nehmen.

Mein Seel, das ift Herrlich, rief der alte Nitter, nicht wahr, Kaplan? Komödianten, ſprach der Geiftlihe mit Nafenrümpfen ba, jept begreif ih, warum die Herrn allein ſprechen wollen; nur ſeh' ich nicht ein, was fie denn fo viel gegen den Hauswurſt und die Narrentheidigungen einzuwenden haben. Auf den Brettern, lieber Herr Paftor, ſprach Seifert, Haben wir nichts dagegen, nur gebt es und, wie andern Handwerkern, die feine Böhnhafen, beſonders am unrechten Drte fehen wollen. Uebrigens, fehte er vor- uehm hinzu, ſpielen wir nur, um unfere wiſſenſchaftlichen Talente zu entwideln. Bir fügren lateiniihe Komödien auf, auch Stüde, die in der Mutterſprache gedichtet find. Beliebt es Eud vielleicht, einige lateinifhe Dramen des unſterblichen Plauti oder Terentii zu ſehen?

140 Der Ritter und fein BSurgkaplar.

Nein, nein, rief der Ritter, deutſch, lieber Junge, deut; damit wir es alle verftehen Lönnen. Id mil fo viel Leute ans dem Städtchen dazu einladen, als der Rit⸗ terfaal faffen kann. Vieleicht beliebt es Euer Geftrengen, die gräulice Tragödie vom weltberühmten Doftore Fauſto zu fehen, nebft einigen Hans Sachsſchen Nachſpielen, worin vielleicht aud Barthel mit Erfolg auftreten könnte? Ia, ja, ſprach der Ritter, das ift gut, das ift fhön.

So werden denn aud Euer Geſtrengen uns gütigft vergeben, verfegte Seifert, ſich ernft verbeugend und uns einen ſchlauen Blick zumerfend, dag wir Euch fhon geftern Abend Proben unferer Fähigkeiten abgelegt, und Euch eis nen Schwank vorgefpielt haben, um unfere Gaben zu fols hen Vorftellungen zu beweifen, damit-Ihr nicht die Katze im Cad kaufen folltet. Wie denn? rief der Nitter halb zornig, habt Ihr geftern mit mir Komödie gefpielt? Bor Euch Komödie’ gefbielt, ſprach Seifert, ſich ebrerbietig ver- beugend, Und der Bauernlümmel? Wäre hei weitem nicht fo drollig gemefen, fiel Seifert dem Ritter in's Wort, wenn er fd, wirklich, gefürchtet hätte.

Bei diefen Worten entftand draußen ein erftaunlicer Lärm. Die drei Bedienten ftürzten mit blutigen Nafen herein, und Magten den Barthel an, daß er fie geprügelt babe, weil fie ihn einen Schaltsnarren geſcholten.

Scyämt Euch, rief der Nitter: drei ſolche Wichte, die Nitterfnappen fein follten, laſſen ſich von einem einzigen Bauer prügeln? Jetzt ſeh' ich, daß Barthel ein ganzer Kerl ift, tam in marte, quam in arte, wie die Gelehrten ſa⸗ gen; und id habe Euch feinetwwegen verziehen. Mein Burg- vogt fol Euch Schirmbretter verſchaffen und übermorgen foäteftens muß ein Stück im Nitterfaale aufgeführt werdeu.

Die Tabuletfrämerin. 141 Der Kaplan wendete ein, daß die fhöne Hauteslice dabei Schaden leiden könne, Ohne fid) aber an feine Einwen«

dungen zu fehren, fand der Ritter auf, und lud uns ein, ihn auf die Jagd zu begleiten. .

12.

Die Tabuletfrämerin. -

Wie Seifert, durch Hülfe des Burgvogts, fo ſchnell im Saale eine Schaubũhne errichten konnte, weiß id nicht: ich hatte für mid) volauf zu thun, weil id die Hauptrolle in einem Stüde, der verlorne Sohn, fpielen folte. Theils hatte wohl Seifert nicht Zeit, den erſten Abend mitzufpielen, weil er zugleich Direktor und Mafcinenmeir Rer war, theils babe ich ihn im Verdacht. dag er mich als Folie für den Diamant feines Genies brauchte, damit man, wenn ich mid) vergeblich bemüht hatte, feine Kunft nad Verdienst ſchaͤhen folle. J

Er batte aber diesmal die Rechnung ohne den Wirth gemacht, denn ih erhielt außerordentlihen Beifall. Ich war ein recht hübſcher Junge; und der Schaufpieler, der diefen Vorzug bat, fpielt immer den Weibern zu Dante. In meiner Pracht und Herrlichteit erſchien ich im erften und zweiten Akte keck und verwegen genug. Nachher im dritten, als ich mit den Echweinen aus einem Zroge zu freſſen Hatte, ging ich Freilich micht mehr fo ſtattlich in

142 Die Tabuletträmerin.

Kleidern einher. Die phantaftifhe, zwar etwas zerriffene, aber doch nicht weniger huͤbſche Schͤfertracht kleidete mich noch beſſer; Frauen und Maͤdchen hatten ein rechtes Mit⸗ leid mit meinen nackten Armen und Beinen, und weinten herzlich, als der grauſame Vater den verlaufenen Herrn Sohn nicht ſogleich wieder zu Gnaden annehmen wollte.

Als ich aber in langen langweiligen Knittelverſen Beſ⸗ ſerung verſprach, mid dem Vater zu Zügen warf, und don ihm wieder in die Arme geſchloſſen ward, entftand ein entſetzliches Naſenſchneutzen, und des Händeflatfchens war kein Ende. Die Iufige Perfon, der Schweinhirt, ward gar nicht beachtet. Nur einige alte Männer lachten über feine Späge, unter diefen der Ritter felbft, der feine Vor⸗ liebe für Barthel, der den Schweinbirten fpielte, nicht verläugnen konnte.

Ich wae fehr vergnügt, und als’ ich nad geendigtem Spiele Seiferten hinter der Bühne traf, drüdte id ihn brüberliher, zugleich aud) kecker an’s Herz als je. Er em pfing meine Liebtofungen ziemlich froftig, und erwiederte blos: es freue ihn, dag mir aud) unter Leuten Glück mar hen könnten, die ſich auf die Kunft gar nicht verftänden. Das hätte ih nun übel nehmen follen, ich Hatte aber feine Zeit, mid) bei ihm aufzuhalten. Es follte draußen in einer Scheune gegeflen werden; eine lange Tafel mit Bünfen fand fhon bereit. Doc nach dem Eſſen verlangte mic eben nicht, obſchon ich mich als verforner Sohn tüchtig an« gegriffen hatte. Unter den Zuſchauern hatte ich ein ſchönes Mädgen entdedt, deren blaue ſchmachtende Augen immer auf mid) gerichtet waren, fo daß fie mic) ein Paar Mat während des Spieles beinabe aus der Faflung gebracht hätten. Ihr ſchwarzes rothgeſaͤumtes Mieder und die weiße

Die Tapuletträmerin. 143

Leinewand, die ſich ehrbar an den Leimenden Bufen flog, die Herabhängenden gelben Flechten, und das kleine Käpp- hen von Goldftoff mit geftreiften Spitzen, das ihr den Hin« terfopf bedecte, ohne die vorn gefceitelten Haare zu ver⸗ bergen, Meideten fie vorzüglid gut. Man fagte mir, fie fei die Tochter eines herumziehenden Krämers. Ich hatte fie gleih nah dem Schauſpiele mit einem Käfthen voll Spigen zu der alten Burgvögtin im obern Stode hinauf geben feben, und kannte bereits das Haus fo gut, daß ih mußte, ich würde ihr, wenn ich mich beeilte, auf einem lan« gen halbdunfeln Gange begegnen. Mit klopfendem Herzen und zitterndeu Knieen fprang id) die Treppe hinauf. Ich harte nicht Lange gewartet, fo hörte ic eine Thüre öffnen, und erkannte die leichte fhöne Geſtalt, welche ſchnell durch den Gang zurück kam. Ein noch gewaltigeres Herzklopfen, ein ſtarkes Gefühl fagte mir, daß ih den Augenblick ber nugen müffe, wenn er nicht auf ewig verloren gehen folle. Daß das Mädchen mir gut war, hatte ich deutlich ger mertt.

Als ihr im dunkeln Gange ploͤtzlich Jemand aufftieg, konnte fie ſich, uüͤberraſcht, eines kleinen Schreies nicht er» wehren, Ich ergriff aber zitternd ihre fhöne Hand! und ſtotterte Teife: Um Gotteswillen, liebe Mamfell, ſchreit nicht, lärmt nicht! Ich din es! Der verlorne Sohn ftebt vor Euch. Mit diefen Worten zog ic fie bin zu der mattbrennenden Lampe, damit fie mid, und ich fie fehen könnte. Ad Gott, lieber verlorner Sohn, feld Ihr da, ſeufzte fie freundlich, und drüdte mir heftig die Hand. Im Nu lagen wir einander in den Armen. Ihr Mund, ihre Hände. ihr Hals und Naden wurden von meinen Küffen bededt, die fie ſchweigend und häufig erwiederte. Es war

144 Die Zabuletfrämerin.

ein berrliger Augenblick. Liebe war es noch nicht, allein Verliebtheit im edleren Sinne, ohne Eitelteit, Verführung und Sünde.

Gott weiß, wie lange wir ned, als Amor und Pſoche im dunfeln Gange ftehen geblieben wären, hätte nicht die alte Burgvögtin ihre Mnarrende Thüre geöffnet. Sogleich mar mein fhönes fdhüdternes Reh meinen Armen entflo⸗ ben. Zaumelnd folgte ih ihr die Wendeltrenpe hinunter. An diefem Abende hatte id) noch das bimmlifhe Bergnü- gen, ihr zur Seite zu fipen. Ich wagte, ihre Zinger eberreichen der Teller zu drüden; das litt fie gedul ohne es jedoch zu erwiedern. Als id) es aber magte, i Zuß ein wenig zu berühren, zog fie ihn ſchnell an fid, und rückte den Stuhl weiter von mir weg. Jetzt ward td une gehalten, wollte nicht mit ihr reden, und wandte mid an meine zweite Nachbarin. Da fprady fie mir aber wieder freundlich zu, ſah mir liebevoll in die Augen, faßte gele⸗ oentlich meine Hand, und als id ihren Fuß wicder zu ber rübren wagte, drüdte fie den meinigen ganz leife mit der Epige des ihrigen. Cine überirdifhe Glut durdftrömte meine Adern, und als id ihr in dem Augenblide einen Zeller reihen wollte, hätte ich ihr beinahe die kochend⸗heite Brühe in den Schooß gegoflen. Seifert aber, der uns gerade gegenüber an dem ziemlich fhmalen Tiſche Sag. und mit einer fehr bübfchen Frau in ein Geſpräch vertieft war, hatte deſſenohngeachtet auch uns im Auge behalten. Er bog ſich ſchnell über den Tiſch und ergriff den Teller, als er eben im meiner Hand zu ſchwanken anfing.

Mad) geendigter Mahlzeit ward im Mondfdein, weil es noch nit fpät fhien, ein Spaziergang beſchloſſen. Um ſchneller nach der Heerftrage zu kommen, gingen wir durch

Die Tabuletträmerin. 185

ein Meines Geboͤlz. Hier war eine Heine Mauer zu über klettern. Meine Schöne war hinauf gefliegen, und mir lag es 05, ihr herunter zu helfen; aus ehrfurdtsvoller Ber ſcheidenheit eigentlid) aus lauter Luft dazu wagte id) es aber nicht, fie um die vollen Lenden zu fallen; ic ums ſchloß nur die niedlihen Beine tief an den Knöcheln; das durch verlor der Körper das Gleichgewicht, fie wankte, und bätte fi gewiß die Stirne auf dem Steinwall zerſchlagen, wäre nicht wieder glüdliherweife Seifert, der mit- feiner weit ſchwereren Bürde bei weitem nicht fo blöde geweſen mar, zugefprungen, und hätte meine ſchwankende Schöne gereitet,

Plagt Dih denn der Teufel, rief er, biſt Du denn ganz toll? Willſt Du heute Abend das liche Kind auf alle mögliche Arten umbringen? Erſt fie lebendig verbrüben, und ihr dann den Kopf an den Steinen zerquetſchen? Ach Gott, liebe Mamfell, feufzte id) kläglich, und küßte ihr die Hand, vergebt! Es ift aus lauter aus lauter aus lauter aus lauter Dummbeit gefhehen, rief Seifert, indem er und verließ, und wieder feine Schöne ſuchte, die die Falten ihrer Kleider ausglättete. Das liebe Maͤdchen wußte aber wohl, weshalb ic) mid) fo linkiſch be⸗ tragen, und hafte mir von Herzen vergeben.

Am folgenden Tage war fie mit ihrem Vater im,

Städten und in der Gegend umher; erft den Tag dar« auf Abends fah ich fie wieder, als im Nitterfaale die alte Tragödie Doftor Fauft aufgeführt ward. Id fpielte dies mal nicht mit, war unter den Zuſchauern, und halte mei- nen vlatz fo genommen, daß ich meine kleine Tabuletkraͤ— merin während der Vorftellung immer im Auge behalten fonnte. Ad wie viel Liebesblicke wechſelten ai nicht an ergo Sariften. XVL.

146 Die Tabuletkrämerin.

diefem Tegten Abende. Wir machten es aber zu arg, ihr Vater merkte Unrath, und als die Vorftellung zu Ende war, empfahl er ſich fogleid dem alten Ritter und ging mit feiner Tochter fort. Sie wandte ſich noch in der Tpüre um, löfte eine Meine rothe Schleife von ihrer Bruft, ließ fie fallen, warf mir einen fügen Abſchiedekuß zu und ver- ſchwand.

Id eilte Hin und bemaͤchtigte mich meines Schatzes. Noch habe ich die Meine Schleife, fie iſt jehßt farblos und unſcheindar. Das holde Kind fah ich nie wieder.

Nach der Vorſtellung ſpeiſten Seifert und ih allein auf unferm Zimmer. Trotz meiner Liebe hatte id) doc in einigen aufmerffamen Augenbliden wahrgenommen, daß er die Rolle des Fauſt ganz trefflich fpiele; mehrere fhöne Re⸗ den, Bilder und Einfälle waren aud von ihm ſelbſt hin⸗ zugefeßt; um der Darftelung mehr Leben zu geben, und um die Leidenfhaft und den Eharacter gewaltiger und na» türlier auszudrüden. Cr begehrte aber gar nicht mein Lob, auch machte er ſich nichts daraus, daß der alte Rit⸗ ter und die ganze Gefellfhaft den Barthel als Casperl un terhaltender als ihn in der tragifden Perfon als Doctor Fauſt gefunden hatten.

Ic habe mic ſchon Tange daran gemöhnt, die Gleich- „güftigkeit und Unbilligkeit der Menſchen zu verachten, ſprach er. Wer etwas Tuͤchtiges leiftet, muß damit zufrieden fein,

daß er es thue; können oder wollen andere es nicht begreis fen, deſto ſchlimmer für fie.

Du haft ganz vortrefflich geſpielt forad ich mit ei⸗ nem tiefen Seufzer. Was Verliebte und Trunkenbolde von mir ſagen, antwortete Seifert, daran kehr' ih mich noch weniger, als an das, was nüchterne Ppilifter ſchwatzen

Die Tabuletkrämerin. 147

Du Haft mich ja gar nicht fpielen fehen, fondern nur die Augen in den zwei blauen Zauberfeen der Trödelträmerin gebadet. Glaube jedod nicht, daß ich derweil oben auf den Brettern mic als ein eitler Narr nur um trodne Lor- beeren und Laube Nüffe bemüht habe, während Du mit dem fchönen Kinde Liebäugeltet. Sahſt Du das herrliche Beib, das vorgeftern Abend neben mir faß, als Du nabe daran warft, die Brühe in den Schoos Deiner Holden zu verfpütten? Mit der vollen feſten Bruft, dem ſchlanken Leib, den ſchneeweißen Armen und Händen, und dem üp- digen Haarwuchſe? Wohl fah id fie mar meine Ant- wort. Freilich war fie (hön fie fhien mir aber et⸗ mas zu Sinnlihes und Leihtfertiges in ihrem Weſen zu baben. Defto leichter werd’ idy mit ihr fertig werden, erwiederte Seifert. Das iſt meine Geliebte, und wir wer den jeßt fehen, mer von uns beiden die fhönften Früchte feiner Liebe ärntet.

Ich war zu erhaben geftimmt, zu wehmüthig und zu troftlos, um länger bei diefem fanguinifchen Liebhaber zu verweilen. Er mit größtem Appetit einen ganzen Ka- paun, und trank dazu häufig alten Rheinwein auf die Ge⸗ fundheit feiner fhönen Bädern. Ich ſchlich mid aus der Thür, nachdem ich zuvor mein Federmeſſer zu mir geſteckt batte. Wie denn? rief er mir nad Du wirft Die doch nicht todtſtechen? Heute Abend haben wir des Tra- gödienweſens genug gehabt; vergiß nicht, daß Du übermor⸗ gen den Knecht in dem Hans Sache'ſchen Narrenſchueiden zu ſpielen haft. Ih will nur ihren Namen in einen Baum ſchneiden! feufzte ih, So thw mir den Gefallen, tief er; und ſchneide den Namen der meinigen daneben. Sie heißt Gatharine, Benediete, Elifabeth eefierfomibt

148 Die Tabuletfrämerin.

Du mußt aber zu allen diefen Buchſtaben einem tüchtigen ftämmigen Baum erwählen, mit äppigem Laube und glat- ter Rinde, wie fie felber it. Hüte Dih au, dap Du, bei allen den frummen C's, E's und B’s, die ſchwer zu machen find, befonders im Mondſchein, Did nicht in die Finger ſchneideſt, oder das Meſſer zerbrichft.

Ich lief ins Gehölz, und blieb zuerft an dem Stein. walle ſtehen, wo ich nahe daran geweſen mar, aus ſchüch⸗ terner Liebe das holde Kind zu tödten. Die ſchönen Beine, wo Sartheit und Züle einen fo retzenden Gegenſatz mach⸗ ten, ftellten fidy wieder vor meine Phantafie. Dann dachte ich mir recht deutlich ihr herrliches Geſicht mit den geſchei⸗ telten Flahehaaren, den herabhängenden Flechten und dem goldenen Kapbchen mit den gefteiften Spigen.

Ein großer Baum ftand dort, und fehrte feine glatte lichtgraue Rinde gegen den Mondſchein. Echnell machte ich mein Federmeſſer auf, wollte ſchneiden und jept erſt fiel es mir ein, daß ich ihren Namen nicht wiſſe. Ich begriff nicht, wie es möglich fei, dag id) den Namen von der nicht wife, die ih ſchon fo gut kannte. Ich war untröftlid. Nicht einmal ihr Name! Ih warf mid auf eine Bank und zerfhmolz in Thränen. Ein Meines Iuftiges Eichhorn büpfte in den Zweigen herum, fa zuweilen im Mondſcheine ſtill, legte den prächtigen braunen Schweif hinauf gegen den Rüden, und dien mid), der ich mit verfdränften Ara men ganz ftill in meinen Träumen verſunken faß, für ein bölzernes Bild zu halten. Ich hatte noch nie vorher ein ſolches Thier geſehen; die niedlihe Erſcheinung zerftreute mich auf einen Augenblic. Bald ftellte ſich aber die Web- muth flärter ein. Ih ſchuitt das Wort „Geliebte“ in den Baum, fügte die Buchſtaben, und machte jet einen

Die Tahufetträmerin. 19

weiten Weg in der Richtung. nad) welder fie mit ihrem Vater gereih war. Müde und matt fam ih von der Ban- derung zurüd. Id wollte das Wort: Gelichte, nochmals küffen, und dann mit meinem Kummer zu Be:te gehen.

Als ich mid) dem Baume nahete, las ih: „Belichte Catharine Benedicte Eliſabeth Mefferfhmidt.” Der Schalt Seifert hatte mir, fo fhläfrig er war, noch beute Abend diefen Streich gefpielt. Ich fand das Denk- mal meiner Liebe durch feine Poſſe entweiht. Erſt wollte ich alles abfhälen, dann nur der Bäderin Namen eg ſchneiden. Zufcgt griff ih zu dem Mittel, nur das von mir gefdnittene Wort „Geliehte” zu vertilgen, und ließ der Bäderin Namen ftehen. Aber, gleich der Spinne, die, wenn man ihr Gemebe zerreißt, unverdroffen wieder in einer ans dern Ede ihre Arbeit anfängt, ſuchte ih mir in der Nähe einen zweiten Baum, von Gefträuh umwachſen. Hier drängte ich mich durd) Dornen und Zweige, und achtete nicht der Wunden; vielmehr waren fie mir lieb, weil fie mie für meine Inſchrift Sicherheit gewährten. In diefem verborgenen Hellduntel konnte ih nun mein Wort „Ger liebte“ anbringen, ohne zu fürchten, daß es von abgeihmad- ten Zufäßen profanirt werde.

Ach Gott, Kinder! wir alten vernünftigen Leute ſcher⸗ gen immer, wenn wir von jugendlichen Auftritten der Liebe foredhen. Im Grunde iſt es nur Neid, weil wir fold ei⸗ nes Gefühles nicht länger fähig find, weil wir folhe bitter⸗ füge Freude nicht mehr koſten können! „Sie find ſauer,“ fagte der Fuchs von den Weintrauben, die ihm zu hoch bingen!

‚152 Die Bälerin.

len, ſprach Seifert, da Du überhaupt weißt, dag ich nicht zu den empfindfamen Leuten gehöre. Ich ſprach: Sei fert, .güte Di, dag Du nicht ſelbſt ein Fauſt wirft! Ih fürdte, Du haft diefe Rolle zu gut begriffen. An etwas muß der Menſch mit Liebe und Treue halten. Du denkſt an Deine Tabuletfrämerin, fprad Seifert lachend. Das fanfte Kind glich zwar einem Monde; und id glaube, das junge Blut hätte gern immer als treue Trabantin um Deine Irdiſchheit getrippelt, wenn es das Verhängniß, im der Geftalt des firengen Vaters, erlaubt hätte. Daß id aber tein Fauft fei, ſiehſt Du aus meiner Offenheit gegen Did), und meiner Scheu gegen die Bäderin. Sie ift we⸗ der Sonne noch Mond, fondern ein fdöner feltner Komet, mit langen fliegenden Goldhaaren; aber ohne Kern. Und wenn man in die Natur nicht eine beſſere Einſicht hätte, fönnte vielleiht eine ſolche Naturerfdeinung, bei weniger Zuverfihtigen, Schauer und Grauen erregen.

Ich will Dir geftehen, ſprach er, als er meine Neu⸗ gierde aufs Höhfte geſpannt hatte, dag id die fhöne Bitwe mehrmals Kefuht Habe. Was nun meine Forna- rina betrifft, fo bat fie zwar Leidenfhaft, Gefühl und Feuer, ich fürdte aber, fie fei tol und mahnfinnig. Freie lich weiß ic noch nichts Rechtes Erſt Heute Abend, beim Vollmonde. hat fie verfproden mir ales zu entdeden; denn Foldye Mittheilungen laſſen ſich nicht am heilen Tage thun. Du lächelt, Albert? Nur unter der ausdrüclichen Bedin- gung ift es mir bente Abend zu kommen erlaubt, daß ich felbander erſcheine, und einen Vertrauten aus der Bande, wie fie es nennt, mitnehme. Ih habe Did) vorgeſchlagen. Nun ja, tief fie, er mag kommen! Er ift ja auch von un fern Leuten. IC wollte willen, was fie mit den Worten:

Die Bälerin. 153

„von unfern Leuten,“ fagen wollte. Immer mifht fie die Ideen und Vorftelungen fo fonderbar! So nannte fie mid) zum Beifpiel einmal, als ich ihr eifrig die Hand küßte, ihren fieben Fauſt, und verdrehte dabei die ſchönen Augen fo wahnfinnig, daß mir beinahe unheimlich bei ihr ward. Wahrfſcheinlich ift fie etwas verrüdt, und mähnt mit Heren und Teufeln Umgang zu haben. Solte fie mid) aber- in der That nur lieben, weil fie in mir einen Teufel ſieht, fo mußt Du mir doch gefteben, daß eine ſolche Liebe eben nicht viel Schmeichelhaftes und Angenehmes für mid bar ben könne. i

Ihr begreift, mit welcher gefpannten Erwartung ih meinen Freund zu feiner wunderbaren Liebſchaft begleitete. Bir öffneten die Thüre zum Bäderladen, die Glocke klin» gelte, der angenehme Gerud von friſchen Pretzeln mit Ko⸗ rinthen und Nofinen, der uns entgegen fam, erinnerte mid) am Tage der Kindheit, wo ic, wenn id einen Kreuzer hatte, gern binlief, mir einen Zudirkringel zu kaufen. Die Bäderin ftand im Laden, und id muß geftehen, dag id) nie ein üppiger blühendes Weib gefehen habe. Ihre Hemd⸗ ärmel, nad) Bäderart, His zu den Schultern aufgerollt, Tie- gen die ſchoͤnſten Arme fehen, und Hände fo weiß wie Mehl. Der Bufen war vom dunfelbraunen Bruftlage bededt, ohne die prächfigen Formen zu verbergen; um dag Haupt man- den ſich ‚die mächtigen Flechten, von denen Seifert mit fo großer Befonnenheit geſprochen hatte; ihre großen blauen Augen funtelten wild, und es loderte eine fonderbare Ber- zädung darin.

Sie gebot dem Lehrburſchen im Laden aufjupaflen, drauf ließ fie ung in ihre Stube treten, wo alles niedlich und ordentlih war. Der Kanarienvogel aber zwitſcherte

154 Die Balerin.

laut im Fenſter, zum Aerger für Eeifert, der ſolchen Bo- gelgefang im Zimmer nicht ausfteyen konnte. Sie lade, weit fie bereits feinen Widerwillen gegen den Vogel kannte, und als fie den Meinen Schreier dadurd zum Schweigen gebracht harte, daß fie cin weißes Tuch über feinen Käfig warf, Iud fie uns ein, auf dem Kanapee neben ihr Platz zu nehmen. Hier erlaubte fie Seiferten, ihre fhönen Hände mit Küſſen zu bededen, an den Mund durfte er ſich aber nicht wagen. Sie gab ihm jedod) ſelbſt unbefangen einen Kuß und ſprach: Da wir nicht allein find, und da id weiß, dag es Euch Vergnügen macht, füllt Ihr einen Kuß haben. Wenn wir aber allein find, müßt Ihr fein beſcheiden fein, was märde fonft Eure Geliebte, die Herzogin von Parma, dazu fagen!

Seifert, der mit dem Siege noch lange nicht zufrieden war, und der das Laͤcherliche feines Verhäftniffes fühlte, madıte zum erften Male in meiner Gegenwart ein albernes Seht, und ſtrich id den Mund. Herzogin von Parma, ſprach er zu mir, während fie aufftand und zum Fepſter ging. da hat fie mid; wieder für den Fauft genommen.

Die Bäderin kam zurück, und ſprach gebeimnigvol: Der Vollmond leuchtet über die Bäume, jept it die Stunde da! Seid jept aufmerffam, lieben Jünglinge, und miß- braucht nicht Das Vertrauen, das ih zu Euch habe.

Die Here. 15

14. Die Here

Ich will Eudy ohne Furt meine Bekenntniffe ablegen fuhr fie fort weil aud Ihr Dienfhen feid, die ſich wenig um die Vorurtheile der Welt fümmern, fondern viele mehr gewagt haben, Euern Bund und Eure Gemeinfhaft mit den Geiftern zu offenbaren: fretlich nur verhlümt, da» mit Euch der Arm der Obrigkeit nicht erreiche,

Solltet Ihr mich verrathen, fo dag meine jungen Glie- der von den beißhungrigen Flammen verzehrt würden dann nehmt Euch nur in Act! Lucifer, die Frau Venus und Badus werden mic räden. und Euch ein ähnliches Bad einheizen. Uebrigens muß man ſich daran gewöhnen, in Flammen zu leben, denn das mird doch das Ende vom Liede. Lapt Euch aber durd eine kindiſche Furcht nicht irre machen. Nach dem Tode zieht Ihr einen andern Körber an, der ſich im Feuer fo wohl befindet, als der Salaman- der, und als die irdifhen Glieder jet in der Luft. Wie würden die Teufel fonft fo ſtark und Luftig fein, wenn fie fi in den Höllenflammen nicht wohl befänden?

Seifert ſah mid bedächtig an, und ſprach: Cie ift aus meiner Schule, und geht nur einen Schritt weiter; in ih rer Gegenwart möchte idy mic) indeg ſelbſt noch für einen Pbiliſter erfennen.

Ohne fi) um feine Zwiſchenrede zu kümmern, fuhr fie fort: Mein Vater war ein reiher Bäder, und das gefunde Brod, das er buf, befam mir in der Kindheit trefflich wohl;

156 \ Die Here.

aud) genoffen wir übrigens ftets gute Speifen. So wuchs ich denn in die Höh' und in die Breite, und im zwolften Jahre war ich ſchon ein erwachſenes Mädden. Mein Bar ter aber war cin graufamer Mann, der mid zu meinen Sünden durch Härte verleitet hat. Doch jegt Lime die Neue au ſpät, und kann ich nicht in den Himmel kommen, will ich mir wenigftens die Hölle fo angenehm als möglich vor- ftellen. Möge Gott meinem Vater vergeben, und ihn in feinen Himmel genommen haben; denn follte ih aus irgend einer Urſache die Hölle fheuen, fo wäre es, weil ich fürch⸗ ten müßte, meinen Vater dort wieder anzutreffen.

Ich hatte eine ältere Schwelter, die aber bei weitem nicht fo hübſch mar, als ic), denn die Blattern hatten ihr das Geſicht ziemlich übel zugerichtet, weil fie jedoch flink, fromm und gut gewachſen war, und weil mein Vater Bere mögen befaß, hatte fte dennod) einen Bräutigam befommen, einen Müller aus der Nachbarſchaft. Ic dachte: Kommt Zeit, kommt Rath! Du wirft wohl aud einen Mann krie- gen, wenn du did) gut aufführft.

Ein junger VBädergefel war bei meinem Vater in Dienft getreten, ein fehr hübfcher Junge von zwei und zwanzig Jahren, Namens Joſeph. Wenn er Nachmittags unter dem Thorwege ftand, nach Bäderart im weigen Kite

tel, langen Ieinenen Hofen, eine rothe Müge fhräg auf -

den braunen Haaren, die nakten Arme Über einander ges ſchlagen, und ich auf der Bank faß und ftridte, konnte ih nicht umhin, mid mit ihm in Geſpräch einzulaflen, und nad den naften Armen zu ſchielen. Denn die Bäder, (Prach fie, indem fie mit der Hand nad) den Flechten griff, um eine Locke in Ordnung zu bringen) haben immer fhöne Arme, Das bekommen fie durd die tägliche Arbeit; durch

Die Here. 157

das Hineinfhiehen und Herausziehen des Brotes auf den Schaufeln im Badofen, ſchwellen ihnen die Muskeln des Oberarms fdöner und Eräftiger. Ich babe freilich mie fo harte Arbeit gehabt, bei den Weibern iſt's auch nicht nd- thig, fie können ohnedies hübfche Arme befommen.

Es währte nicht lange, fo entdedte mir Joſeph feine Liebe, ich geftand ihm wieder, dag ih ihm gut fei, ging zum Vater und fprab: Water, Malen hat den reihen Müller gebeirathet, gieb mir den Bädergefellen, fo Tann er Dein Gehälfe werden. Bir Ieben wie im Paradiefe, mab» " len, baden und würzen unfere Kuchen. Er antwortete indeß: Du unverfhämtes Ding; Du Gelbfhnabel, kaum noch dem Flügellleide entwachſen, wagſt Du ſchon von eie nem Manne zu reden? Ich antwortete: Ich kaun noch ein Baar Jahre warten, wenn es Euch recht it! Mir wärs eben gleidy recht. Er gab mir ein Paar tühtige Maul- ſchellen, und verfiherte mid, wenn id) ein einzigesmal wieder von Iofeph rede, werde id noch die Ruthe befommen. Ic) ſchwieg und liebte in der Stille. Unten im Garten im Lufthaufe trafen wir uns oft des Abends, und da ging es dran auf ein Küſſen los.

Mein Vater kam einst Abends gegen feine Gewohn⸗ beit, foät in den Garten. Bir fagen in der Jasminlaube, und da waren mir denn fiher genug, denn der Alte. mochte die Jasminen nicht riechen. Uns dufteten fie aber füR und lieblich; und alles wäre noch gut abgelaufen, wenn nur der unvorfihtige Joſepyh das Schmagen hätte unterlaffen kön nen. Ich batte es ihm mehr als hundertmal verboten und befohlen, daß er leiſe küffen folle; ic winfte, wenn er es doch nicht Meß, mit der Hand, weil ic in dem Augenblide nicht ſprechen konnte; es half aber alles nichts. Ein Kuß

158 Die Here.

ohne Schmatz, fagte der leichtfertige Burſch, iR, ale eb man die Lippen mit Wein feuchtete ohne zu trinken. Iept gingen ihm leider die Augen auf. Diefer einzige Schmag bat uns unglüdiih gemacht, und mid zur Höle verdammt. Dein Vater hörte das Küffen, trat in die Laube, und traf mich auf dem Schooße des Zünglings. Iofenh ſprang auf, und eilte in feiner Anoft Daven. Ich faß wie verfleinert, und magte cs nicht, die Augen aufzuſchlagen. Ic war auf eine entfeßlihe Strafpredigt gefaßt, mein Vater war aber todtenblaß, zitierte vor Aerger, und befahl mir fogleid, ohne Abendbrod zu Bette zu gehen. Ich date: wenn es nur das ift, und ſchlief ruhig ein. Kaum hatte ich aber eine halbe Stunde geſchlafen, fo ward ih durch ein Ger räufd) geweckt. Ich hörte die Stimme meines aufgebrad- ten Vaters und einer alten Wärterin Mariane, die ihm zwar ergeben war, die aber aud mic lieb hatte. Sie rief: Unterlaßt es doch, Herr! fie iſt ja fein Kind mehr; es Shit ſich nicht! es half aber alles nichts: der un. barmberzige Vater geißelte mich bis aufs Blut.

Dpne ein Wort zu fagen, ging er aus der Thüre; ohne ein Wort zu fagen erſchien ih am folgenden Tag bei Tiſche. Allein mein Beſchluß war gefaßt, ein tiefes Rache» gefühl bemächtigte ſich meiner Seele. Ich wollte mich aufs empfindlihfte räden, und meinem Bater zeigen, daß ich kein Kind fei.

Iept beſuchte mich Iofeph heimlich alle Abende, und fo lebten wir drei Monate lang in Herrlichkeit und Freude. Die alte Diariane wußte von unferem Berhältniffe, war aber gutherzig genug, uns nicht in’s Berderben zu ftürgen. So bing der Himmel einſtweilen für ung voll Geigen.

Der Krug geht aber fo Tange zu Wafler, His er bricht.

Die Here. 159

Mein Vater entdedte die Folgen einer Liebe, die der Pre⸗ diger noch nicht gefegnet hatte, und ſchäumte vor Wuth. Und da muß ich denn geftchen, dag mein lieber Iofeph we nig Herzbaftigfeit verrieth; denn ftatt mir beizuftehen, ſtatt dem Zorne meines Vaters mit Bitten und vernünftigen " Vorftellungen zu begegnen, ging er in die Fremde, und wir haben ihn nachher nie wieder gefehen. Das will fagen in der Wirklichteitz denn wie id ihn durd Zauber wieder

. gefunden, und mit ihm glädtiche Stunden verleht habe, werde ih Euch gleich erzählen.

Statt uns alfo mit einander trauen zu Taffen, wodurd) das ganze Uebel gehoben worden wäre, freute es meinen Vater, durch Starrfinn und Rache uns Beide und fich ſelbu in's Elend zu ſtürzen. Sein Haus beftand aus vielen Ge» bäuden mit mehreren Höfen. Hinten war ein Gewölbe unter einem Bachauſe, deſſen zwei Beine Gitterfenfter auf den Hühnerhof und das Gemüsgärtdhen gingen. Da ſperrte er mid) ein, erft bei Waſſer und Brod, nachher auf magere Koft. Allein die alte Mariane, die fhlau genug war, ſich bei ihm von allem Verdachte zu reinigen, ward wieder meine Aufpaflerin; fie verſchaffte mir ein gutes Bett, gute Sveiſen, und ftand mir bei in einer gef.hrlichen, durch Shre® und Verzweiflung zu früh herbeigeführten Stunde, die mich freilich viele Thränen Foftete, mid) aber zugleich davon befreite, ein unglüdiihes Pfand meiner unfeligen Liebe täglich vor Augen zu haben.

Durch die gute Pflege der alten Mariane gewann ich

. bald meine vorige Gefundheit, und blühete wie eine Roſe. Ich gut, ſchlief beffer, hatte aber feine Bewegung. Mein Zeitvertreib war durch's Fenfter zu fehen. Dort im Gar- ten dufteten die Kraufemünzen und Nefedas reiht erquid«

160 Die Here,

lich, und erinnerten mic an die Iasminlaube, wo id fo glüdlidy gewefen war. Durd’s andere Fenſſer ſah ic die Küdjlein im Hofe herum geben, die Enten ſchwammen im Meinen Teiche, der Habn ging ftol und trogig mit blutro⸗ then Kamm, wie der türkifhe Sultan in feinem Harem, von Hühnern umgeben.

Trat ih dann einen Schritt zurüd, fo fand id mich verlaffen im öden dunkeln Gewölbe, mit meinem Bette, meinem Stuble, meinem Tiſche und meinem Nähkäſtchen. Die gute Mariane hatte mir aud die Bibel und einige weltliche Bücher verſchafft; dies balf mir aber zu nichts, denn id) konnte nicht ordentlich leſen, anftrengen mochte ich

* mid) nicht, und fo gingen mir denn alle Freuden verloren.

Jetzt ftelten fih Nachts fonderbare Träume bei mir "ein, oder richtiger, Erſcheinungen.

Eines Abends ſpaͤt konnte ih durchaus nicht einfhlas fen, id dachte an meinen treulofen Joſeph. Ich bagte ihn, weil er mic fo feige verlafen hatte; feine Lichenswürdige feit rief id) mir aber auch in’s Gedächtniß zurück, und wäre er in diefem Augenblide gekommen ich hätte ibm gern vergeben. Endlich ſchlief ich ein.

Bald aber erwachte ich wieder dutch den leiſen Drud einer warmen Hand; ic frug entfeßt, wer da ſei? Und fiehe, da fand Joſeph vor mir im weiten braunen Mans tel, warf ſich vor mir nieder, fügte mir die Hände, und flehte mit weinenden Augen um Bergebung.

Ich wollte ihn in meine Arme drüden, da wid er zu⸗ rück und beklagte, daß er gleich wieder gehen müſſe. Beim Weggehen büllte er ſich in den Mantel, als er aber durchs Zimmer ging, ſah ich ihm einen Ummeg maden, um dem Tiſche, wo die Bibel lag, nicht zu nahe zu kommen; auch

Die Here. 161

entdecte ich unter dem Mantel einen Pferdefuß; und er verſchwand durchs Kaminloch.

Mic) ſchauderte und ich dachte: Hat der Teufel fein Epiel gehabt? Indeſſen fehnte ih mid doch wieder nach der folgenden Nacht. "Die Naht fam und Iofenh mit ihr, Ich magte nicht. ihn um etwas zu befragen; er war mir zu lieb, und id fürctete, feine Vertheidigung möchte nicht binlängliy fein. Er beſuchte mic) alle Nädte einen gan⸗ zen Monat bindurh immer nur auf wenige Augenblide und mit einer deutlihen Unrube.

Da ich merkte, dag ihm die Bibel auf dem Tiſche, in der ich doch nicht leſen konnte, im Wege fei, gab ich fie der alten Mariane zurüd. Das half etwas, Joſeph verweilte jegt länger, und ging keck durd die Stube zum Kamin- loche; er verſchwand mir aber immer zu früh, umd ich dachte: Lönnten wir uns dod länger und ungeftörter an ei» nem angenehmern Orte treffen,

Die alte Mariane, die mid täglid beſuchte und mic mein Effen brachte, wunderte ſich darüber, mid fo verän- dert zu finden. Denn feit id meinen Iofeph wieder fah, mar meine alte Heiterkeit zurüdgelchrt; zwar ängftigte mid) fein Pferdefuß, und dag er durchs Kaminloch verſchwand; ich dachte aber: Du mußt did wohl, was diefen Puntt betrifft, geirrt haben, und ließ cs dahin geftellt fein. Es that mir nur Leid, da er immer fo große Eile Hatte. Auch war fein Blick finſter und feine Liebtofungen krampfhaft. Einmal drüdte er mich beim Weggehen fo feſt gegen eine Buſenſchnalle feines Mantels, daß ih vor Schmerzen laut auffcrie. Er verfhwand. Als ih erwachte, war es lich⸗ ter Dorgen; er hatte mir ein rothes Zeichen an den Hals gedrüdt, ich fag aufrecht im Bette, und hatte die Licht»

Dedienſ. Schriften. XVI. 1

162 Die Here.

ſcheere in der Hand, die font auf dem Kleinen Tiſche bei meinem Bette lag.

Zuletzt konnte ich der Verſuchung nicht widerſtehn, die alte Mariane mit in mein Geheimnig zu ziehen.

Eie hörte mic mit größter Anfmerkfamfeit an, nidte beifälig mit dem Kopfe, und gab unter der Erzählung auf allerlei Beife ihre Zufriedenheit, zu verftehen. Als ich ge⸗

endigt hatte, ſprach fie: Es freut mid, Toͤchterlein, dag ſich endlich aud der alte ſchwarze Ziegenbod Deiner er⸗ barmt bat; denn wen der droben (fie zeigte zur Dede Binauf) verläßt, der hat nichts Beſſeres zu thun, als ſich dem abtrünnigen Lucifer auf einige Zeit in die Arme zu werfen. Freilich if er ein gefallener Engel, vieles von feir ner vorigen Macht und Herrlichkeit hat er indeg doch noch behalten, und tbeilt denen feine Hülfe mit, die nicht gar zu fireng und ängftlid, auf die Mittel fehen, wenn fie auch nicht ganz nad ihrem Geſchmacke fein follten. Denn freiv lich erfeint er in garftiger Umgebung! Als ein alter ftin- tender Bol fipt er droben am Berge auf dem hölzernen Stuhle. Eeine Kammerherrn und Hofjunfers geben wie Höllenfragen einher mit Affen, und Negergeſichtern, mit Krallen vorn, mit Eſels⸗ und Fucheſchwaͤnzen hinten. Von Nachtigallen, Tinten, Hirfhen und Neben im Walde, weiß er nichts. Seine Mufltanten und Lafaien find Unken, Krös ten, Schlangen und was des Ungeziefers mehr iſt. Das iſt aber alles nur die Außenfeite, nad der fein vernünfti- ner Menſch fragt. Die Hauptſache ift, dag man feinen Liebſten bei ihm findet, der frellich auch ein wenig von der Teufelsnatur an fih haben muß, um beim Höllenhofe ſtan⸗ desmäßig und tafelfähig zu erfheinen; und fo hat denn auch Dein Joſeph, wie id höre, den Pferdefuß bekommen.

Die Here. 163

Urbrigens geht alles da fehr luſtig und freundlich zu. Die

Fefte werden befonders im Früblinge gefeiert: da duften

die Blumen, das Gras it weich und grün, der Vollmond

ſceint. Dann wird aus dem großen Zauberkeſſel das treff⸗

lichſte Froſchtagout gefhmauft, das fein franzöffher Koch

beffer bereiten toͤnnte. Aud Bann. wer fein Freund vom

Froͤſchen ift, Katzenbraten detommen, der von Hafenbraten” nicht zu unterſcheiden iſt.

Deine Geſellſchaft und Deine Gerichte, rief ich, ſind abſcheulich; doch würde ih mid allem unterwerfen, um meinen geliebten Iofenh wieder zu treffen. Das if ja eben der Haken, zief die Alte; und er hat ſich vermuthlich auch Deinetwegen in diefe Art von Freimaurerei aufuehe men laſſen. Der Pferdefug beweift uns, dag er in den Drden der Höllengeifter mit Ehren aufgenommen iſt, und ſogar feinen niedrigen Poſten bekleidet, denn fo gehen fonft wur die Teufel vom Geblüt. Ia was thut man nicht, wenn man verliebt it? verfegte fie mit einem Seufjer. Ih bin auch mal jung, hübſch und verliebt geweſen. Das Shid- fal hatte mich aud) von meinem Buhlen getrennt, Da er barmte fi) ein altes Mütterden meiner, wie id) mich jet” Deiner erbarme. Sie machte mid mit dem Herrn vom Berge befannt, und er drüdte mir fehr gnädig bei der er ſten Audienz ein Blutzeichen auf die Braft, das ich noch

"trage.

Das ift mir aud begegnet, Mariane, rief ih: fieh mal meinen Hals da! Schön, ſprach die Alte, fo it ſchou etwas gethan. Drauf verfepte fie mußte ih ſchwö⸗ ren, die vier Herenfabbathe zu feiern, befonders den in der Balpurgisnaht. Diele anftändig zu begeben, mußte ih

+ mid mit Tollwurzel. Rauffraute und Springmurzblättern . 1.

164 Die Here.

beräudern, mich naft ausziehen, und mic mit Herenfalbe unter den Achſeln, an den Arm» und Beingelenten, in den Kniekehlen und auf den Fußfohlen ſtreichen.

Und moraus befteht diefe Salbe? frug ih. Sie wird verfeßte die Alte aus Kinderfett, Nachtſchatten, Ius dentirſchen, Schierling, Iudenleber und noch anderen In« gredienzien gekocht. Ein folder Topf ward mir von meis nem bodfüßigen Liebhaber gleich verehrt. Ich habe noch die Hälfte der Tepten Portion auf meinem Zimmer, freilich etwas verfhimmelt und ranzig, dadurd hat fie aber an Kraft gewonnen, und ich will Dir wieder damit ein Ge farent machen Da id alt zu werden anfing, mochte ich diefe Thorheiten der Jugend nicht laͤnger treiben, und that Vonitenz. So fann id denn nod einigermaßen felig wer den, und wenn auch nicht fo volkommen, wie mande an dere, hab’ id mid doch ſchon in diefer Welt daran ge» wöhnt, mit Wenigem vorlieb zu nehmen. Ach ja! feufjte fie, wenn man nur feine Sünde bereut, fann man immer nachher ein Bishen fellg werden; und das ift ein großer Troſt für une Menfhen. Freilich muß man auch beihten, davor foll mid) aber Gott bewahren, bis ich in meinen Ich« sen Zügen liege. Hüte Dich auch dafür, Töchterlein, fo lange Du noch zu leben denkſt. Die neidifhen Mannsbil« der ſieden und braten uns lebendig, wenn fie dergleichen er» fahren. Und was haben wir denn getban? Stehlen, mor- den, rauben, verläumden, betrügen, andere unglüdlic mar hen, mas dom die ärgften Sünden find, thun wir nicht. Das hun die Männer, ohne einen Bund mit dem Teufel gemacht zu haben. Was thaten wir auf dem Blodsberge? Eſſen, trinten, tanzen, liebfofen und faullenzen! Iſt es wodl der Mühe werth, dag man deswegen Sceiterhaufen

Die Here. "165

errichte, beſonders heut zu Tage, wo das Brenndoh fo theuer wird? Und do hat man mehrere hundert taufend arme Weiber deswegen verbrannt.

30 antwortete: Mariane, vor dem Scheiterhaufen moͤchte ich mic wohl hüten, was aber Buße und Beichte betrifft, fo babe ich dazu fein Vertrauen. Der droben läßt fi) fein & für ein U machen. Auch gefält mir folder Banfelmuth nicht; ift man einmal des Teufels, fo muß man es muthig verbleiben, und ſich mit dem Gedanken des Verdammtſeins fo lange ve.traut machen, bis er alles Schrecliche verloren hat.

Ich mil Euch meine Geſpraͤche mit der Alten nicht weitläufiger mittheilen, fondern nur hinzufügen, daß ich mid) ihrer Hülfe bediente, und mich am naͤchſten Balpur- gieadende mit der Salbe beſtrich, nachdem id) die Kleider von mir geworfen. Drauf rief ih: „Obenaue, nirgends an!“ und flog glei zum Kaminloch hinaus, wo mir ſchon SIofenh den Weg gebahnt hatte. Auf dem Dache wartete mein ein alter gehörnter ſchwarzer Stallmeiſter, der mir die Baht gab. ob ih auf einem mohlgezäumten Bode, ei⸗ ner ſchwarzen Kae, einer Ziege, einer Miftgabel oder einem Befenftiele nad) dem Blockeberge reiten molle. Ich wählte den Bod, weil er mir am tuͤchtigſten ſchien, eine ſolche Reife auszuhalten; und fo ritten mir denn gemaͤchlich durd die Luft, und trafen die Herenfompagnie auf dem Blockeberge beifammen, wie eg mir die Alte vorher gefagt hatte. Ich mußte mid, in die Eitten der Geſellſchaft für gen, die aber fo roh und abgeihmadt waren, dag ich fie Euch nicht wieder erzählen mag. Bas mir am meilten Vergnügen madıte, waren die Heinen Truggeftalten, von Kapen, Eidechſen, Affen und Schlangen artig jufammen

166 Die Here.

gelept; die fänflihen Bafllisfen, halb Habn, halb Wurm; die närrifhen lebendigen Knochengerivpe, die mit dem Ges bein nad) dem Takte klapperten, wie alte ausgemergelte Zanzmeifter, die aus Eitelkeit nicht wieder aufhören kön⸗ nen. Die Augen glühten bei allen diefen Erſcheinungen tieblih in der Dunfelgeit des Waldes, und fie verdrehten fie heiter und wahnfinnig im Kopfe, während giftige Kräu- ter und Stierlinge voll glähender St. IJohanniswürmer hingen; und mäßrend eine große Eymphonie mit Gebel, Miauen, Brüllen, Heulen, Wiehern, Stöhnen, Pruften und Peitſchentnallen im fhönften Geſchmacke, ſchulgerecht nad dem Generalbafle aufgeführt ward; morauf denn ein aus Kerordentliches Tanzen und ausgelaſſenes Walzen folgte.

Ich hatte mir bald meinen Joſeph aus der Menge herausgefunden. Wir entfernten uns, um im Mondſchein einen Spaziergang zu maden. Das Hochgericht winkte gar feltfam romantifh dort einfam auf dem Felde, mit feinen Linien, Birken und Triangeln, wie eine große mathematis ſche Figur, die einen wichtigen Lehrfag ftreng beweifen wollte. Bir ſetzten uns im Mondſchatten des gemauerten Galgens, der verfallen und zerriffen mit Mood und Blur men durchwachſen ſich wie die Trümmer einer alten Burg erbob. Ieht überliegen wir uns ganz der Freude des Wie— derſehens, nur von einigen Nachtvögeln geftört, die den Rabenſtein umflatterten, um Nahrung zu ſuchen, aber wie der davon flogen, als fie nur ſchneeweiße Knochen im Grafe blinten ſahen.

Unglädtiher- oder richtiger: glädliherweife verfnäteten mir une. Die Geiflerkunde war vorüber, die Bafilisten hatten geträbt, wir faben die Heren, wie ſchwarze Bögele

Die Herr. 167

ſWaaren, auf ihren Befenftielen und Ziegen bed) durch die Luft nach Haufe fahren, wild durch einander fAreiend:

Kuna hin, Runa her! Hurtig über Sand und Meer. Hufe werf ich den Mantel hin, Das ich Halb au Haufe bin.

Als wir wieder nach dem Berge famen, war alles wäßt und &de, und wir fanden nur die Feuerſtelle vol Aſche und Kohlen, wie im Balde, mo Zigeuner gehauft haben. Bas thun mir jegt? rief ih. Wie fomme id) früh genug zurück nad) meinem Gefängniffe in Thüringen, eh der Bar ter meine Abweſenheit entdedt. Und wie komme id nach Schafhauſen in der Schweiz, rief Joſeph händeringend. wo ich wieder als Bädergefell Dienft genommen. Die Brote fteben noch ale im Badofen, und wenn id nicht zu rechter Stunde da bin, fo merden fie zu Kohlen verbrannt, die Leute haben morgen in Schafhaufen nichts zu effen, und ftürzen ſich alle verzweifelnd in den Rheinfall

In diefer Noth irrten wir durch den Wald, und fa men endlid) an einem großen hohlen Baume vorbei, mo ein vierfchrötiger alter Krieger in ſchwarzer Nüfung auf einem Steine faß. den Ellenbogen auf das Knie, den Kopf in die Hand ftügend und in Gedanfen vertieft. Als er uns gewahrte, ridıtete er ſich auf, winkte mit der Hand, und rieth ung ab, uns dem benachbarten Hügel zu nahen, es fei der Venusberg, und er der getreue Edhart. Bir achteten wenig darauf, was der alte Griesgram, wie ein Prediger auf der Kanzel, im Barte marmelte; uns war es eben recht die Frau Venus zu treffen, mas könnten ſich ein Paar Lichende beffer wünfchen?

168 Die Here.

Sie faß vor der Thür mit drei ſchönen Jungfern, die aber micht fo bübſch waren als fie. Ihr feid mir willtom- men! rief Frau Benus; ic will Euch nicht in meinen Berg einladen; denn mit Weibern mag ich nicht umgehen, der Junggeſell da gefiele mir wohl; cr hat ſich ja aber ſchon ein Liebchen gewählt. Indeß, weil Ihr Vertrauen zu mir best, und auf die Warnungen des alten Graubartes nicht achtetet, werd’ ich Eud aus Eurer Noth belfen. Cupid-

. Gen! komm mal her. Das war ihr Sohn. Der Meine niedliche Junge kam herbei gelaufen, er hatte im Graje mit den Irrlichtern gefbielt, und ihm waren zmei bunte Slüs gelchen aus den Schultern gewachſen. Sie rupfte ihm ein Paar Federchen aus, gab uns jedem eine und ſprach: Mit diefen werdet Ihr leicht den Weg nad) Thüringen und nach der Schweiz zurüd finden. Was wilft Du aber auf dem Blocksberge, mein hübſches Kind? frug fie mid, die Ges ſellſchaft dort ſchickt ſich nicht für Die, fie iſt gar zu pö⸗ beihaft und unanftändig. Ad, liche Frau Venus, er- wiederte id, mid) tief neigend, was thut die Liebe nicht? wozu bequemt man ſich nicht, um feinen Bräutigam zu fin» den? Haft Du nicht einen Bruder gehabt, frug Frau Venus, der frühe ftarb, der aber ein wigiger Knabe war und in die lateinifhe Schule ging? Wohl hab id, ante mortete ih. Hat er Dir nicht damals oft von dem heid- niſchen Gotte Baus, von deilen Faunen, Satyrn und Bachantinnen auf dem Weinberge erzählt? Freilich hat er, verfeßte ih. Nun das ift im Grunde alles einerlei, rief Benus, nur find die Badanalien weit angenehmer und ſchoner auf dem indifhen Weinberge, als die Teufels und Herentänze auf dem Blodsberge. Möhtelt Du nicht lieber Deinen Joſeph dort als jungen Zaun treffen, dran auf

Die Here. 169

dem Biodsberge, als Hinfenden Teufel mit dem Pferde, fuge? Benn es ſich thun ließe, gewiß, feufzte ib. Ber aus erhob drauf ihre bildfhöne, ſchneeweige Hand, ber rührte ihm das Ohr, und gleich war der Pferdefug ver» ſchwunden. er ftand als ein noch fhönerer Züngling da; nur maren ihm die Obren Hinter den Zoden ein Klein bischen ſpitziger geworden.

Drauf entlich fie uns; wir ftedten die Slügelfedern des Meinen Cupido in den Bufen, flogen fort, und -famen zu rechter Zeit nach Haufe. Als ich erwachte, kttzelte mich noch die Fedet in dem Buſen; fie hatte aber ihre rothe und blaue Farbe verloren, und fah aus, wie eine gewoͤhnliche lichtbraune Hühnerfeder, wovon mehrere vom Winde durd’s Sitterfenfter aus dem Hühnerhofe in’s Gefängniß geweht. auf dem Eſtrich umber lagen. Ih ficg mid aber nicht irre machen, verwahrte forgfältig meine Feder in der Trube, und habe nachher oft mit leichter Mühe in kurzer Zeit die Reiſe nach dem herrlichen Badusberge iu Indien gemacht. Der blühende Gott mit den Neben um die mallenden Lot» ten, hat mid) mit meinem Joſeph dort verbunden; wir ha⸗ ben mit dem wonnetrunfenen Haufen die Thyrſusſtaͤbe ger ſchwentt; alte Satyrn haben uns auf ihren Flöten Lieder vorgefpielt, und der grüne Wald mit den Baumgeiſtern und Baffernisen bat uns glüclich gefehen.

In diefen Freuden meine Nächte zubringend, vergaß ich ganz, wie elend id meine Tage im Gefängnifle ver ſchmachten müffe, und als ic durch den Tod meines Ba- ters, der ein Jahr darauf erfolgte, plöglic erläft und zur Erbin feines ganzen Vermögens eingefegt ward, fühlte ich mein Vergnügen dadurch wenig vermehrt, denn das Beſte harte ich ja ſchon; und obwohl mein Vater mic ſchlecht

170 Die Here.

behandelte, bätte id ihm doch gern das Leben gegönnt, wenn id aud meine ganze Seit hätte eingefberrt fipen follen.

Das Erfte, mas ich that. war einen Brief nach Schaf⸗ haufen zu fenden, um meinen lichen Iofebb einzuladen, das mit er jegt mein Mann werde. Ich nahm mic, aber, aus Vorſicht. wohl in Acht, im Briefe unferer nähtlihen Zus fammenfünfte zu erwähnen, fondern bat ihn nur, ſchnell in meine Arme zu eilen.

Zu meiner größten Betrübnig befam ich feine Ants wort. Gin halbes Jahr darauf fertigte ih ein Sendſchrei⸗ ben an alle Bäder in Schafhauſen aus. Sie ließen mir aber fagen. dag fie von feinem Iofenh etwas müßten. Endlich entdedten fe doch einen und fandten mir ihn mit der Poft. Mein Herz Mopfte vor Freuden, als die Magd mir eines Abends meldete: cin Bädergefell aus Scafhaus fen, Namens Joſeph, ſtehe draugen und münfde mid zu ſprechen. Ich flog aus der Thür, und ſchloß in der erften Entzückung und in der Dunfelpeit den Fremden in meine Arme, ohne zu zweifeln, daß er der rechte Iofenh fei. Als mir aber in die helle Stube traten, ward id) einen alten

bettifhen, grämlichen Menſchen gewahr, der viel huſtete, und triefende Augen hatte, Ich fuhr mit Schaudern zu⸗ rück, und verfiherte ihn zu wiederholten Malen, dag ich mid) geirrt habe, Er wollte mid) aber durchaus heirathen, weil id) es verfproden, und er deswegen eine lange, bes ſchwerliche, foftipielige Reife unternommen habe. Nur mit genauer Noth ward ih ihn los; ich mußte ihm die Reife» Eoften doppelt er ehen, und nod) obendrein eine Entſchädi- gung für Mühe, Zeitverluſt und vereitelte Hoffnung geben, damit er wieder einpade und nach der Schweiz ziehe.

Die Here. > aM

Dieine Hoffnung war vereitelt. Die Geſchichte hatte Aufſehen gemacht, und man lachte mich aus, Indeß mel« deten ſich doch immer Freier vollauf; ic Hatte aber meinem Joſebh Treue gefhworen, und weil id ihn ale Nähte (ah, mar mir feine Abweſenheit am Tage meniger fhmerzbaft.

Das Eonderbarfte war, daß es mir, bei unfern nächte lichen Zufammentünften nie einfiel. ihn um feinen jepigen Aufentgait zu befragen, ich fepte es wir alle Abende vor, vergaß es aber wieder. Und dabei hat der Teufel gewiß fein Spiel gehabt, um mid nicht aus feinen Krallen zu verlieren; denn wären mir glüdlic in der wirflihen Welt geworden, was hätten wir dann nad) den teuflifhen Nadıte erfheinungen gefragt?

Indep lebte id, als eine junge reihe Witwe, ziemlich wobl. Die alte Mariane war bei mir, und id that ihr au gefallen alles, mas ic konnte. Als fie aber kränklicher ward, ward fie auch graͤmlicher und ängſtlicher. Meine naͤchtlichen Wallfahrten fingen an, ihr zu migfallen, und fie verlangte nun, daß ich mich bekehren folle. Das wollte ich jedoch nit, um meinen Joſeph nicht zu verlieren. Die Fahrt nach dem Badueberge, ſtatt nach dem Blodeberge, war ihr gleichfalls nicht recht. Auch wenn man ſich dem Teufel ergeben bat. ſprach fie, muß man fein Vaterland lieben und das Eigene nicht verachten. Warum können wir nicht chen fo gut einheimiſche eingefleiſchte Satanaſſe haben, wie die Indianer und Grichen? Glaubft Du etwa, die Griechenteufel fein menſchlicher und fhonender, weil fie fhöner find? Armes verirrtes Schaf! Aerger find fie. Die Schoͤnheit it ja chen der befte Köder auf Lucifers An. nelhaten, damit die Menſchenſeelen gieriger anbeißen. Das alles ift nur Trug und Larve. Auf tem Blodeberge gehen

172 Die Here.

fie, wie biedere deutſche Teufel, unverlarut in ihrer wahr ten Geſtalt und Löblihem Berufe einher. Dort hat man ſich einmal an das Ding gewöhnt, und fid) feine überfpann« ten Erwartungen gemadıt, die in der wirklichen Hölle nicht erfüllt werden. Denke Dir aber, wie Dir dereinft zu Mu⸗ the fein werde, wenn die Loden und Neben Deines Bar Mus fi in lauter Hörner und Scylangen verwandeln! Wenn fein feifter, blühender, weißer Körper, wie braune graues geraͤuchertes Fleiſch mit himmel bewachſen ausfer_ ben wird. Und nun vollends die Venus, die gegen vier⸗ taufend Jahre alt fein fol! Wenn Du die alte Vettel ſiehſt, ehe fie ihre Toilette gemacht, ehe fie die falſchen Zähne in den hölzernen Gaumen geſchraubt, ſich geſchminkt, geſchnüͤrt und fid alle die blühenden Gliedmaßen angeſchnallt bat, die das Auge entzüden, die aber nur aus lauter fans tenen Kiffen mit Springfedern, beftehen.

Ic) antwortete: Wo mein Joſeph hinkömmt, da komm’ id auch. Glaubſt Du, dag, wenn ich mic befehre, ex auch felig werde? Mariane antwortete: Ich trage einige Bedenklickeiten wegen des Pferdefußes. So will id auf verdammt fein, rief ich. Liber in die Hölle mit Iofeph, als in den Himmel ohne ihn. Ad), Du gutes. Kind, ers wiederte Mariane, mich küſſend und umarmend, Du liebit Deinen Bräutigam zärtlich, und das ift hübſch von Dir; der liebe Herrgott ift aber auch nicht ganz zu verachten: er bat Did doch erſchaffen und verdient immer, dag Du ihm deswegen Deine Dankbarkeit bezeigft. Ich will Joſephen ſprechen, fagte ih; kann ich ihn dazu überreden, fo wollen wir uns Beide befehren; ich verlaffe ihn aber nicht in der Noth, worein er meinetwegen gerathen ift.

Als ich Joſeph wieder ſprach, entdedte ich ihm, nicht

Die Here. 173

ohne Verlegenheit, meine Gewiſſensanaſt. Er fhüftelte aber wehmüthig laͤchelnd den Kopf, und ſprach: Liebes Kind, es iſt zu hät.

Bon diefem Augenblide an ftand mein Entſchluß feſt; und alle albernen Plauderelen der alten Mariane konnten mid) nicht irre machen. Ein groger Schred ftand mir in deg noch bevor. Sie ward todikrant, die Stunde ihrer Auflöfung nahete mit ſtarken Schriteen, und fie wollte beiten! Cie hatte ſchon nach dem Paftor gefhidt, als ich allein zu ihr in’s Simmer trat. Sie fpielte mit den todtkalten bläulihen Fingern auf dem Betttuche (ein Zei⸗ hen des naben Todes) und murmelte mit halbgebrochenen Augen Gebete vor fi hin. Ich warf mid ihr zu Fügen und rang die Hände: Mariane, rief ih, um Gotteswillen, verrathe mic) nicht. Du haft mich felbft verführt, mas ger winnſt Du dabei, cin armes Weib unglücklich zu machen. „Beller zeitig trennen, als ewig brennen!“ war alles, was fie mir mit ftarren Augen antwortete.

Ich forang auf und fah fie wüthend an; ih marf die Augen umber, und fand mid mit ihr allein, die Magd war nad) dem Paftor gelaufen. Die Alte konnte nicht leben! Ein einziger leifer Drud meiner Hand um ihre Kehle, der Tod wäre nur ein Vaar Minuten früher. ge» kommen, mein Geheimnig ſtürbe mit ihr. und ich wäre ges rettet. Meine zitternde Hand war fhon ausgeſtreckt, und die Finger frümmten fih. Ih hörte Icmanden die Treppe langſam hinauffteigen: vermuthlich der Beichtiger; meine Angft vergrößerte ih, ein kalter Schweiß bededte meine Etirn; ih ſchwankte, dumpf Über meinen Vorſaß brätend, und es war mir, als ftede ein ſchwarzer Teufel den Kopf grinzend dur die Bettgardine in die Wand, mir Beifall

174 Die Here.

aunidend, damit id eilen folle. Rein, Teufel! rief ih halb wahnfinnig, fo folt Du mic nicht haben! Zu einer ſolchen Sünde ſollſt Du mid nicht verleiten. Geſchehe, mas geſchehen mill, ich erwarte mein Schidfal. Mit diefen Wor⸗ ten fürzte ich raſend zur Thüre hinaus, und hätte beinahe den alten Prediger, dem ic auf der Treppe begegnete, berunter geworfen. Ich eilte in den Garten nach der Ias minfaube. Eine ganze Stunde brachte id Hier allein zu, Ibr könnt Euch denten, in welchem Zuftandel Bei jedem leiſen Geräuſch der Zweige erwartete ih, die Haͤſcher würs den kommen, mic nach dem Gefängnifie zu ſchleppen. End- lich kam Iemand, ic fuhr anfammen. Es war die Magd, die, in Thränen gebadet, die Hände rang. Ach Gott, ach Bott! weld ein Unglück! Ber hätte das denten follen, rief fle fhluczend, und wollte mid nicht anfehen. Dirne, was it geſchehen? rief id außer mir, und fah fie grimmig an. Die alte Mariane Nun? ift ohne Beichte geftorben! Eine Stunde haben der Herr Paftor und id fie mit dem Tode fämpfen fehen. Sie hatte gewiß etwas fehr Wichtiges auf ihrem Herzen. Als wir aber ka⸗ men, batte fie ſchon die Sprache verloren; und id bin doch fo ſchnell gelaufen, daß id meinen einen, Pantoffel in die Goſſe babe fallen laſſen Gott babe fie felig! rief ih mit erleichterter Bruft, indem mein Bufen wieder hoch ſchwoll und das Blut in meine Wangen znrüdtrat. Ich werde Dir ein Paar neue Pantoffeln und der Zodten ein anftändiges Begräbnig geben. Drauf kehrte ich kec in's Leben, in mein Baterbaus und fhon verloren geachtetes Eigentbum zuräd.

Obwobi ih nun aus einer großen Gefahr errettet war, und fein Menſch mehr lebte, der mein Verkehr wit den

Die Here. 175

Geiftern verrathen konnte, war id dagegen wieder ganz allein und verlaffen, ohne Freund, ohne Vertraute. Keiner Menſchenſeele konnte ich meine Gefühle, meine Befümmer- niſſe, meine Begebenheiten mittheilen. Freilich beſuche ih nod oft den Bachusberg und freffe meinen Gelichten dort: die-Entzüdungen find aber nicht fo groß als ehedem. Jo⸗ fenb iR, wie mic deucht, weniger verliebt; die Geftalten treten alle mehr abgebleicht in Nebel zurüd, und id bes fürdpte, fie möchten zuleht ganz verſchwinden. In-diefer Noth, Fieber Fauſt, habe ich Dich bei dem Nitter Curt au dem bemußten Abende kennen gelernt Ich babe gefehen, dag Du ein großer Schwarztünſtler ſeiſt. Zwar glauben die Leute, der Teufel habe Dich ſchon geholt, das war aber nur Gaufelfpiel, denn dag Du noch da bift, bemeift mir Deine Gegenwatt. Sogleidy fiel es mir cin, bei Dir Raths zu erholen, ob Du mir nicht vielleiht dazu verhelfen könn teft, meinen Jofeph in der wirklichen Welt anzutreffen, che anfere Jugend verblüht. Denn das geiftige Verkehr mag gut genug fein, wenn man nichts Befleres hat; es if aber alles.dod nur dünn und Iuftig, und einem Traume fo ähn- lich, daß ih die fämmtlihen Erfheinungen für lauter Ein- dildungen erklären möchte, wäre ich nicht vom Gegentheile überzeugt. Wo nun mein Iofeph in der Welt ift, weiß ich gar nicht; in Edafhaufen iſt er nicht, das weiß ih. Du wirft es mir aber leicht entdeden. Freilich haft Du Did in mid) verliebt, und das iſt übel. Das iſt mir aber fhon mit mehreren Männern begegnet. Man fann nicht freunds lich fein, nit den Handſchuh ausziehen, nit den Zuß ein menig bervorfiredin, wicht das Buſentuch ein wenig vers füichen gleich giebts Feuer. Du bift aber ein verfän« diger Wann, der einfehen wird, dag ich Dich unmöglich

176 Die Herenprobe.

lieben Tann, wenn id meinen Joſebh fo treu liebe, dag ih fogar feinetwegen auf den Himmel Verzicht thue. Eo wirft Du mid) denn aud nicht verrathen, fo wenig wie diefer Jüngling, den id, wenn er nicht mit zur Bande gehörte, für ein gutes unverdorbenes Blut halten möchte.

So weit war unfere Erzäplerin gefommen, als Hlöße lich im Nebenzimmer ein Tumnlt entftand, und wir einen Stupl vom Tiſche herabfallen hörten. Gott im Hims mel! rief die Bäderin, wir find verrathen. Der Ladens burſch hat gelauert, und durd das Loch droben alles ger hört. Sieh, da läuft er ſchon bei dem Zenfter vorbei nach der Burg. Holt ihn ein, oder ich bin des Todes.

Seifert und ih ſtürzten hinaus, und verfolgten den Jungen. Er hatte aber einen zu großen Borfprung ger monnen. Eeifert war bereite ermüdet, ehe er den halben Weg gemacht hatte; ih mar ein fo guter Läufer wie der Junge; er erreichte aber die Burg, während id mod dem Felſen erfieg. IA ſah ihn in den Hof, in das Zimmer des Burgfaplan bineilen, und die Thüre ward hinter ihm verriegelt.

15. Die Herenprobe.

Ale mir am nächſten Morgen kaum gefrübftädt hat- ten, traten die Gerichtsdiener in’s Zimmer und fündigten Sciferten und mir Arreft an. Cie geboten ung gleich bin»

Die Herenprobe. 177

auf nad der Burg zu gehen, um vor dem alten Ritter, unferm Richter, zu erfheinen.

Bir folgten willig und ſprachen Latein auf dem Wege, damit ung die Trabanten nicht verftänden. Das ift eine verwünſchte Geſchichte, rief Seifert, die Bädern if von einem fonderbaren Wahnſinn ergriffen, der nichts Seltnes iR, und viele Frauen auf den Scheiterhaufen gebracht hat: fie bildet fih ein, eine Here au fein. Gin feuriges Tempe rament, eine rege Phantafie, Liche, Unglüd, Enthaltfam- keit, Mangel an Bewegung find die Urſachen ihrer Kran- beit. Alles Tüchtige ſtrebt nad) Abenteuern; für junge Weiber haben nur Liebesabenteuer Reiz, und da hätte fie denn ein weites Feld vor fih gehabt; zum Unglüd aber ſpielt ihr die feihte einfeitige Liche einen Etreih, und fie vergafft fih in einen einzigen Büdergefellen. Als wenn nichts weiter auf der Welt wäre, als ein armfeliger Io- ſeph. Hol der Henker all die engherzige einfeitige Philifte- rei. Nein, ich halte mid zum Licde:

Maiches Blüc! mir immer neuer Mit Verſchiedenheit vereint, Schaff mir täglich Abenteuer, Dann bIR du mein wahrer Freund!

Gern auf Kiffen wit ich fchlafen, Ausgepeitert, fammetweich; Mber, mach du mich jum Grafen, viedes Gluͤc, dann geh ich gleim.

Much mit Bauern win ich fügen Auf der Bank uud auf dem Stroh Pu Schriften. XVI. 12

178

Die Herenprobe.

In der Eonne win ih (Aigen, Schatten macht nicht immer froh.

Gern auch ſchmauſ ich wild Geflügel Benn es mir der Reiche bot; Aber mit dem Hirt am Hügel @f ich morgen Käs und Wrod.

‘Schöne Kinder , Fräulein Holde, Mh wie fchäg" ich uch zur Stund! Wintt mie mit des Haares Golde, Küßt mich mit dem Risfchenmund.

Mder ſchmachten, immer ſchmachten? Nein, dann geh’ ich auf die Au’, Bil beim Pächter übernachten, Er Hat eine Hübfche Fran.

Ber iſt ſchoͤner? Ach die Laune M allein der Richter hier; Feuriger it meine Braune,

Weine Blonde füßer mir.

Schnüre" dad Bündel auf den biücken. Nimm den Etad ın leichte Hand; aues Gute fol entiücen, Und fo sieh" ich durch dad Sand.

Mit Gelehrten win ich ſprechen Ueber die phileſopdie; Mit Soldaten will ich zechen. Rur mit den Fhilftern nie,

Die Herenprobe. 179

Jedes Oandwert, jede Tugend Jede Blum’ if mein Genuß; Eo verleb' ich meine Jugend Eparſam und in Meberfluß.

Das in mir ein verflodter Sünder, ſagte der eine Sbirre, der uns begleitete. Das ift nichts Neues, er⸗ wicderte der Andere; hab’ ih doch mehrere ſolche Galgen⸗ vögel gekannt, die auf dem Wege zum Hochgerichte Saufs bieder fangen. Ich hoffe aber, Freund, verfegte er, ſich zu Seifert fehrend, aus dem Bündelfnären und dem Stab» in die Hand Nehmen wird nichts. Traun, Du bift Deine längfte Zeit Landläufer geweſen.

Bir fraten in den Nitterfaal, wo wir vor Kurzem ' Komödie gefpielt hatten. Der Nitter fag an einem großen grünen Tiſche, und einige Beifiger, Bürger der Stadt, ner ben ihm. Der Burgkaplan führte das Protokoll. Nun, das find mir hübſche Geſchichten, rief der alte Ritter ung entgegen.

Seifert hieß ihn reden und betrug ſich mährend der ganzen Verhandlung mit feltner Faſſung, Klugheit und Beredfamteit. Er frug gelaffen, weſſen man uns beſchul⸗ dige; und als er hörte, die Bädern habe fhon Alles ger ſtanden, ſprach er: Mit Eurer Erlaubnig, geftrenger Herr, werde ich nachber als Sachführer des armen Beibes auf- treten; unfere eigene Vertheidigung wird bald im Neinen fein. Die Bäderin Hat uns eingeladen, ihre Lebensgeſchicte 30 horen. Der Bäderjunge hat gleihfalls alles mit ange

12°

189 Die Herenprobe,

hört, freifih auf eine unerlaubte, hämiſche Weiſe. Er iſt fAuldiger als wir. Wenn num aber das bloße Anhören ein Verbrechen ift, fo feid Ihr, Herr Nitter, diefe wadern Bürger und der Herr Prediger Gotthard eben fo wohl Mitſchuldige. Denn Ihr habt ja auch Alles aus ihrem Munde vernommen. Was fünnen wir dafür, daß ung die fes Weib für Zauberer gehalten hat. Cie verwechſelt ſtets Wirklichteit und Stein; fo hat fie es auch in diefem Falle gethan. Sie hat mid, den Fauft in der Tragödie fpielen feben, und glaubt nunmehr, ich fei der wirkliche Fauſt. Bas Hatteft Du aber bei der Bäderin zu ſchaffen? frug der Nitter, wenn Du weder Brod kaufen, noch zaubern wollteſt. Wer weiß, ob ich Brod kaufen wollte oder nit, ſprach Exifert; wir armen Schüler müſſen wohl jept mit trodenem Brote vorlieb nehmen, feitdem Euer Geftrengen die Hand von uns abgezogen. Hatteft Du denn nicht die Abſicht zu zaubern? frug der Ritter. Freilich wollte ih) aaubern, antwortete Seifert, es verdient aber nicht, dag ic) deswegen in’s Gefängnig gefchlenpt werde. Iept hör ren wir fein eignes Bekenntniß, rief der Kaplan! Was brauden wir weiter Zeugniſſe! Ich - geftebe, verfeßte . Seifert, dag mich nit blos die Zuderkringel in der Schub» Lade der fhönen Bäderin anlodten. Cie ift ein ſchönes Frauenzimmer. Allein ſchöne Weiber find Heren, wenn fie uns verliebt machen. Wollten wir aber Alle fammt und fonders zum Scheiterhaufen verdammen, die verliebt mar chen und verlicht werden, wie erbielte dann die Welt Bär ter und Mütter zu den fünftigen Söhnen und Töchtern? Statt mir aber ihre Gegenliebe zu fhenfen, bat fie mir eine weitläufige Geſchichte ihrer Träumereien erzählt. Was

kann ih dafür? Alſo hat Er doch geftanden, dag Er ,

x

Die Herenprobe. 181

fündhaftes Verkehr mit einer Here ſuche, rief der Kaplan: das iſt bereits genug. Nein, halt, Vater Gotthard, ſprach der biedere Nitter: bier ift ein großer Unterſchied; ich begreife ganz wohl, wie ein junger feuriger Menſch. von den Reizen der Bäderin entzüdt werden könne, wenn er Übrigens nichte von ihrem Bunde mit dem Teufel wüßte. Und bei ihr ſelbſt liegt es nur in der Einbil- dung, etwas davon zu wiflen, rief eifert; fle it unſchul · dig umd beträgt ſich ſelbſt. Wenn ein fanguinifhes Weib, mie fie, nach der Trennung von ihrem Iofepb, ihre Liebe nicht auf natürliche Weiſe befriedigen founte, mußte fie überfhnappen. Schlafen, Eſſen und Stilleſihen erzeugen in einem ſolchen kräftigen jugendlihen Körper dickes Blut und böfe Träume. Otium est pulvinar Diaboli, Das iſt es alles!

Nein, nein! rief der Ritter, fie Hat ſelbſt gefanden, dag fie nach dem Blods- oder Bachusberge auf einem ſchwarzen Bode geritten fei; und dag fie gerade Üdermors gen in der Walpurgisnacht wieder eine ſolche Neife vorge babt babe.

Dann ift es ja leicht, ſich von der Wahrheit zu über- zeugen, erwiederte Seifert. Thut, ale ob Ihr jegt von ih- ter Unſchuld überzeugt märet, laßt fie gehen, und überrum« velt fie Übermorgen Nacht in ihrem Haufe! Id wette, Matt fie auf dem Befenftiele zum Scyorafteine berausfahren und auf dem ſchwarzen Bocke wegreiten zu fehen, werdet Tor fie fhlafend in ihrem Bette finden,

Der alte Ritter war ein ziemlich vernünftiger Mann, mo gemeiner Menſchenverſtand, ohne weitere Kenntniffe und Anftrengungen hinreichte. Er fand Seiferts Verteidigung befriedigend, und der Vorſchlag Dünfte ihm gut. Nah

182 Die Herenprobe.

Seiferts Rath entlieg man aud die Baͤckerin mit einer Entſchuldigung, dag man ſich in NRüdfiht auf fie geirrt babe. Man erwartete die Walpurgisnadht, und ſtellte heim⸗ lich Waͤchter, um ihre etmanige Flucht zu verhindern.

Bir büteten uns wohl, die Bäderin wieder zu beſu⸗ den; in der Walpurgisnacht begleiteten mir aber den Nit- ter, den Kablan und bie übrigen Herren nach dem Haufe. Ohne Icmand zu erweden, öffneten mir leife die Thür mit einem Schlüfel, den der untreue Burſch feiner Herrſchaft entwendet hatte, und traten in's Wohnzimmer. Der Ras plan, der ein Rauchgefaͤß mitgenommen hatte, fing bier am zu räudern und zu erorcifiren; drauf äffnete der alte Rit⸗ ter ſelbſt das Schlafzimmer. Bir fanden das Bett leer. Scht Ihr wohl, flüfterte der Kaplan, fie ift auf dem Blodsbergel Die Sache hat ihre Richtigkeit An das Schlafzimmer fieg ein Gartenzimmer, mir gingen aud da binein, Nie vergeg ich diefen Anblid! Im bellen Monde feine lag das fhöne Weib natt wie Eva im Paradiefe, oder wie die Venus auf einem Lager von jungem friſchen Laube und Frühlingsblumen. Ale Anweſende, ſelbſt der Burgfaplan, vergaßen einige Augenblide hindurd im An. ſtaunen ihrer Schönheit, weshalb fie eigentlich gefommen waren. Endlich befahl der Prediger, dag man fie mit ei» nem dalicgenden lichtblauen Gewande bededen ſolle. Bir bemerkten deutlich, daß fie innerlih erbigt und in einem Traume begriffen fei. Nun, feht Ihr, Herr Kite ter, ſprach Seifert, da haben wir die Zauberei! Alles ift nur Krankheit, Traum, Selöftbetrug, hyſteriſche Zufälle! Es freut mid, fagte der alte Nitter, dag wir dies junge Weib fhonen Finnen; denn wahrhaftig, diefe Glied⸗

Die Hesenprobe. 133

magen find zu berrlih und vollendet, als daß fie im Feuer verbrennen follten,

Hat der Gott ſei bei uns aud Euch verführt, Herr Ritter? rief der Kaplan. Wißt Ihr niht, daß der Teufel zu diefem, und vielen andern noch künſtlichern Gau⸗ keleien, im Stande iſt, wenn es ihm darauf anfömmt, die kurzſichtigen Menſchen zu bintergehen? Es ſcheint freilich daß die Väderin bier in ihrer Nadtheit liege, ich will aber meinen Kopf darauf verwetten, dag ihr wirklicher Körper in diefem Augenblide viele Meilen von bier entfernt, auf dem Blodsberge mit den Höllenfragen den Kehraus tanze.

Der Ritter ſprach: Der Herr Paftor hat Recht; man tann nicht wiflen, wie es mit dem Dinge eigentlich beſchaf- fen ift. Die Here muß wieder eraminirt werden; und ge ſteht fie ſelbſt, daß fie auf dem Blocsberge gemefen, fo fol fie fih der Wafferprobe unterwerfen. Beſteht fie darin, gut, fo wollen wir es als einen eiteln Traum anfeben; dann mag fie künftig ungefört Schwarz- und Weißbrod baden; wo nicht, dann follen diefe (hönen Schultern, Lens den, Baden mit allem Zubehör binnen adıt Tagen ſchwarz verfoßlt werden, wenn fie aud zehn Mal blühender wären. So ward denn zur Waſſerprobe geſchritten.

In einer Prozeffion von der Art, wie wenn in Spas nien ein Keger zum Auto da fe geführt wird, brachte man die ſchöne Frau im weißen Gewande, mit herabhängenden Haaren und gefalteten Händen, vor die Stadt, um ſich im Fluſſe der Probe zu unterwerfen. Unzählige Zuſchauer aus der Gegend waren an den Ufern verfammelt.

Die Baͤterin ging rubig mit langfamen feſten Schrit⸗ ten, wie eine Nömerin, blond aber und ſchlank wie eine germanifde Heldin der Vorzeit, ihren Weg. Das eigene

184 Die Herenproße.

Gefühl ihrer Cchönbeit, die Begeifterung und ihre Unſchuld die fie ſelbſt nit einmal kannte) gaben ihr einen Reiz eine Würde und etwas Nührendes, das vortheilhaft auf die Menge wirkte. Als ihr das Gewand abgeriffen ward, ſab fie ſtolz vor fi bin, und ſchämte ſich nichts ein zorni⸗ ges Gefühl Färbte ihr aber die blaggewordnen Wangen mit ſchönen Rofen, und es wäre ihr leicht gewefen, fih in das mädjtige Meer des Haares zu verbergen... Das that fie aber uicht, theils aus Stolz, theils aus Befonnenbeit, weil fle wußte, dag man bei'm Binden ihr gleich wieder die Haare auseinander bringen würde; und fie wollte nicht von unreinen Händen ibren Hauptfhmud verdorben haben. Da- gegen bob fie die Hände zum Naden zuräd, flocht die Haare leicht zufammen und band fie in einen Knoten. Nies mand hinderte fie daran, aller Augen verſchlangen ihre Reize, von allen Lippen tönte: Bott, wie fhön! Ein mil« des Lächeln ſchwebte auf ihren Lippen; diefer vieleicht letzte Sieg ſchmeichelte ihrer Eitelkeit, und fie ſchien die Gefahr vergeffen zu haben. In diefem Augenblide war gewiß nicht Einer zugegen, der nicht das ſchöne Bild gerettet wünſchte. Ein junger Menf nit weit von mir feufzte, meinte, rang die Hände, ſprach immer leiſe vor ſich bin: Beneditte, Be» nediftel und betete.

Ein Ausrufer hatte ihr Urtheis verkündet: dag fie au den Flammen verdammt fei, mofern fie jegt nicht in den Bellen unterfinfe. Im Bunde mit dem Teufel befämen die Weiber durd ihn, weil er ein Geiſt fei, eine gewiſſe Leichtigkeit, die nicht mehr menſchlich fei; daher müßten fie auf dem Baffer fhwimmen, und künnten nit unterfinken, wie Andre, die nichts mit dem Satan zu thun hätten.

Die Bäderin ward jegt Treuzweis gebunden, fo dag die

Die Herenprobe, 185

rechte Haud an die große Sche des Hinten, die Hufe Land am vie große Behe des rehten Fußes feitgefnänft waren. Während dem hörte ic den genannten Juͤngling mit trampfe haft gefalteten Händen, und mie verzweifelnd Gebete here fagen. Das Wort Benedite, das er immer wiederhelte, machte mid) glauben. er fei ein Kathelit, etwa der Bäder tin verwandt. Die Unglüdlihe ward jept in’s Waſſer ges bradıt, und der entſcheidende Augenblid nahte fi. Allein die Unſchuld fiegte, Die kalte, todfe Natur erbarmte ſich id rer, und that ihr die Menſchenberzen w.eder auf, die ſich gegen fie verſchloſſen und verfteinert hatten. Drei Mal ward die Probe gemacht, drei Dial fank fie unter, Une - ſchuldig! Unſchuldig! rief Seifert, und das ganze Bolt mit ibm, Unſchuldig, ſchluchzte der junge Menſch. und hob die Hände gen Himmel. Das fböne Weib and wieder am Ufer wie eine griechiſche Bildſäule in naffen Draperin ftarrte verwundert vor fih bin, und fragte in der ihr eige» nen charatteriſtiſchen Unbefangenheit, indem ein himmliſcher Hoffnungsftrahl ihre matten Augen wieder beiebte: Großer Gott! bin ich denn wirtiih unfhuldig?

Ia Du biſt's! Du biſt's! Benedikte, rief der junge Menſch, der fi) durch die Dienge zu ihre hindrängte, und fie heftig umarmte. Und bier ift Dein Iofeph, Dein Ge⸗ liebter, Dein Bräutigam, der aus der Fremde als Bäder» meifter zurüdgefommen ift, um Dich zu beiratben, und mit Dir glüdlihe Tage zu leben.

Jetzt batte fih alles in Luft und Freude verwandelt, Niemand verließ den Drt, ohne das Brautpaar begrüßt und ihr zu ihrer Bermählung Gluͤt gewuͤnſcht zu baben. Das Belle war, dag die Baͤcerin ſelbſt durch diefe Probe ganz geheilt ſchien; es fiel ihr wie Schuppen von den Augen,

186 Die Herenvrobe. -

und fie ſah dentlik ein, daß fie vorher von einem ſchweren Wahne befangen mar, befonders als Iofenh fie verficherte, dag er nic auf dem Blocsberge, nic auf dem Venusberge und nie in Schafhauſen gemefen fri.

Mit Heiterkeit und Ausgelaffenheit trennte fi die Menge; und ein luſtiges Nachſpiel folgte auf die Tragödie. Ein armer Maler hatte fih mit ſemem Zeichenbuche an's Ufer gefhlihen, um hinter einem Buſche verborgen, die fhöne Bäderin im Augenblide des Entkleidens als Stus dium zu brauden, weil es ihm unmöglich war, für Geld, wenn er es auch gehabt hätte, ein Model zu bekommen. Als es aber zum Treffen kam und ihm die Venus erfchien, konnte er nicht zeichnen, die Hand zitterte ihm gewaltig, und er brachte eine haͤßliche Frage auf's Papier. Er mard entdedt, die Zeihnung ihm aus den Händen geriffen, die Karikatur der Bäderin ging von Hand zu Hand und er⸗ regte unter der Menge ein erſtaunliches Gelächter. Auch Benedifte und ihr Joſeph befamen die Zeichnung zu fehen; fie mußte herzlich darüber laden: um aber den Maler eis nigermaßen zu träften, verfprad fie ihm, daß er ihr und ihres Bräufigams Bild malen folle,

16. Näuber-Örogmuth,

Mit leichtem Herzen und ſchweren Beuteln zogen wir weiter. Ale hatten uns geopfert; der Nitter machte uns

Räuber - Grogmutb. 187

zum Abſchiede ein anſehnliches Geſchent, von der Bäderin mußte Seifert auch, aller Beigerungen ohnerachtet, etwas annehmen. Wäre ihm nicht das Geld fo höhft nöthig ge» mefen, wärde fein Stolz wahrſcheinlich die Gabe abgelehnt baben; denn freilih war fie nur ein ärmliher Grfaß für das, was er an der thönen rau verloren hatte. Unfer Barthel blieb beim Ritter, der fih, Bott weiß marum, in diefe Frahe fo vergafft hafte, daß er ihm nicht miflen wollte. An dem leßten Abend batte Seifert im Spiele gewonnen, mir fonnten uns als reihe Leute betrachten, und hatten mehr als-Anfangs, da wir von Eiſenach auszogen. Sei» fert trug den Schaf in einem Iedernen Gurt um den Leib unter dem Leibrode, und fo pilgerten wir luſtig weiter durch den Thüringerwald. ir waren unferer fünfe, alle nad) damaligen Gebraud mit Flinten und Schwertern be» waffnet, und hatten feine Furcht, obſchon das Gerücht ging, dag man oft hier im Walde von Näubern geplündert wer- de. Auf einem Meinen Hügel madıten wir Halt, und ver zehrten unfere Mahlzeit. Der große irdene Krug, den uns der Nitter zu guterlept aus dem Zauberkeller hatte füllen laſſen, mar ſchon mehrmals herumgegangen, als wir in der Ferne, binter den Bäumen ein Stüder fichen bis acht Kerls ſtart bemafinet, mit langen fhwarzen Bärten und wunderlihen Mügen, entdedten.

Eeifert befahl uns, zu den Waffen zu greifen, und anf die Räuber mit den Flinten zu zielen.

Der Anführer fab uns kaum ſolche Anftalten maden, als er feinen Geſellen gebot, ihre Flinten, Piftolen und Zerzerolen auf die Erde zu werfen; drauf winfte er uns mit einem Schnupftuche freundlich Frieden zu. Bir nab- men alfo auch unfere Gewehre beim Fuß. zogen aber die

188. Räuber: Grogmuth.

Schwerter und riefen den Räubern zu, ſie ſollten ſich nicht unterftchen, uns auf zmölf Echritte zu nahen.

Als fie näher kamen, entdedten mir bald, der Haupt mann und noch drei derfelben fein Juden, ein Baar an» dere Rigeuner, und die übrigen mittelmäßige Chriften. Drauf redete uns der Anführer obngefähr in feigenden orten an:

Sollten wir Die nicht kennen, greßer Seifert, der Du bei alen benachbarten hoben Schulen und Univerfitä« ten im Ruhme ſtehſt, ſowohl Deiner Tapferteit als Ge⸗ Iehrfamfeit wegen! Hab’ ich nicht jedes Honigmort, wie eine Biene, ron Deinen Lippen gefogen, als Du im Birthe- baufe jene Jungen dort werführtert, Komddianten zu merden? Gegen Deine Anfiht der Menſcheng'ſchicht und der Natur der Sachen in der Welt kann aud) der größte Dummtopf fein vernünftiges Wort einwenden. Ueber die Näuber haſt Du ater in’s Blaue gefhoflen; denn wir find den Henter nicht fo eigennügig nie Du denken thuft, und morden auch nicht immer blos aus Habfuht, fondern aus Kurzweil, weil uns das Ding Vergnügen macht, wie den Gimbern und Leoparden.

Seifert antwortete: Ih höre, Du bift ein Jude! Hätt’ ich doc) nicht geglaubt, dag einer von Euern Leuten fo tapfer fein könne, fih zum Räuber» Haupfmanne aufzu« fhwingen.

Der Räuber antwortete: Willſt kein Ppilifter fein, Seifert! und kannſt doch an der Stärke Simfons zweifeln? Sind die Juden auch nicht einft tapfer geweſen? Waren Mofes, Joſua, der König David und die Maktabäer keine Heiden? Haben mir nicht hartnädig gefämpft, den Tempel verteidigt, wie Kapen gemiauet, mit den Zähnen gebiffen

Näunber-Grokmuth. 189

wad wit den Krallen geriffen, ch’ der Titus uns im die Gefangenſchaft fhlenpen fonnte? Und nachher? Sind mir eiwa immer Wucheter und Schacherer geweſen? Haben nicht im dretzehaten Jahrhundert ein Städer 30,000 um anfern Leuten unter König Philipp tem Schönen in Fran» reich mit Ehren gefohten? Und mußten wir nicht, gleich den Elephanten im Nömerheere, den Vortrab machen, um nicht wegzulaufen, und um den Chriften den Weg zu bad» nen? Eind wir nicht in Worms zur höchſten bürgerlichen Ehre und Würde gelangt? Hieß es nicht dort: „Wormfer Iuden, fromme Juden,“ uad Tauteten die Verordnungen nit: „Unfere lieben Bürger, Juden und Chriſten?“ Has ben wir nicht fogar einft ein Iudenturnier gehalten? Fah⸗ renden Schülern thun wir aber kein Leides; das ift ein Gefeg unter uns. Bir wollen nur einen Augenblit in Eurer: Geſellſchaft ausruhen, und aus Teinem Munde geündlihern Unterricht in der Gauner-Philofophie hören.

Es freute uns, mit diefem Ian Hagel fo leicht fertig au werden, und wir gaben ihnen den Bein her. Sie feh- tem fi) unberaffnet zu uns, tranken auf unfere Gefund- beit, Ieerten den Krug, amd zu guterlept mußte jeder von uns auch noch eine Umarmung von diefen Lumpenkerls dulden. Drauf wäufhten uns ae eine glüdliche Reife und verließen uns ſchnell

In es doch aicht wunderbar, rief ich nach einigen Schweigen, dag man unter ſolchem Befindel noch mitunter einen Reſt von Gropmuth finde. Sie wollten nur einen Ttunk Bein aus unferm Kruge haben, dann zogen fie weiter! > Berrunßere mar nick zu fr ihre Befleldenheit, tiet Seifert mit erzwangener Kälte. Der Hallunke hat mir un-

1% Geiftererfgeinungen. ter der freundlichen Umarmung meinen Iedernen Gurt mit dem Gelde geftohlen. Bei diefen Worten griff jeder nach feiner Zafye, und ſiehe da, alles war rein gefegt. Nur einen Bündel mit unbedeutenden Siebenſachen, zur. Komds die gehörend, hatten fie ung gelaflen, fo mie drei Gold» füde, die Seifert fonleih unvermerkt in der Baumrinde verborgen batte.

17. Geiftererfheinungen.

In diefem traurigen Suftande famen mir zu einem Dorfe, das von lauter armen Leuten bewohnt war; nur erzählte uns ein Bettler wohne an der Ede zunächſt der Kirche, eine reiche Witwe, die heute Abend Gänſe brate, aber fehr geizig und unbarmherzig fein folle.

Wollen wir unfer Glüd bei ihr verſuchen? rief Seifert. Den Iumpigen Bettler hat fie abgewiefen, wir aber find bübfche wohlgefleidete ‚Junggefellen, mit folden pflegen Bitwen immer das meifte Mitleiden zu haben.

Es war ein falter windiger Abend und fehr dunkel, denn es war in der Kohlſchaft, wie fih die Gauner

> auszudrüden pflegen, und der Mond ſchien nicht. Bir ka⸗ men an der Kirche und dem Kirchhofe vordgl, und fahen in einer Meinen Kapelle eine Lampe brennen. Der Bettler erzäblte, dort liege in gläfernem Sarge ein adeliches Fräu-

Geiftererſcheinungen. 191

lein, es brenne dort alle Naht eine Oellampe, und es werde alle Abend mit einer kleinen ſilbernen Glocke geläu« tet, weil fie vor mehreren hundert Jahren der Kirche ihr ganzes DBermögen vermaht babe. Es folle aber in der Zodtengruft nicht geheuer fein: man erzählte, das gnädige Fräulein öffne. mitunter den gläfernen Satg, fteige heraus und wandle in der Kapelle auf und ab.

Der Bettler verließ uns, und wir flanden vor der Kapellentgür. Der Küfter hatte fie zu fliehen vergeflen, mir traten ein, fanden die Fleine Halle Iuftig. heiter und reinfih und frifhgeftreuten Sand mit duftenden Blumen auf dem faubern Boden. Die Mumie lag wie eine ger ſchmückte Puppe in dem gläfernen Schranke. Ueber der Lampe hing ein altes Gemälde, fo ſchwarz beräudert, daß man die Gegenftände auf demfelden nicht mehr zu unters ſheiden vermochte. Hier treffen wir allenfals ein gutes Nachtlager, wenn wir fonft feines befommen, und wir felbft Stro mitbringen, fprady Seifert. Wir gingen weiter, und es freute mich heimlich, als wir uns den Wohnungen der Lebendigen wieder naheten. Wir entdedten bald das Haus der reihen Witwe an der Ede.

Das Feuer auf dem Heerde ftrablte Iuftig roth durch die bleiernen Fenfter zu uns heraus in die Dunkelheit, wir naheten uns und gewahrten eine Altlihe grämliche Frau, hoch und von ftarfem Knochenbau, die damit beſchaͤftigt war, zwei Gänfe zu braten. Sieh mal, rief Seifert, wie - braun und leder fie am Bratfpieß glänzen und ſich mit ihm drehen. Sollte man es glauben, dag eine Gans fo rei⸗ end, ſo verftändtg ausfehen könne? Laßt mir die Frau ungeſchoren, id) febe es ihrem Weſen an, daß fie eine gute Birthin ik. Sich nur, wie das Kupfer blank gefeuert

192 Geiftererfheinungen,

an den Wänden herumbängt. ie die reinlichen zinnernen Zeller in Reihen über dem weiß geſcheuerten Kuͤchentiſche biinfen. Auch die irdenen Krüge hängen in ſymmetriſcher Ordnung. Die Thür zur Speifelammer öͤffnet fih, und zeigt mir Tonnen und Flaſchen in unendlichen Reihen.

In diefem Augenblife befam der Junge, der drinnen den Bratſpieß wendete, ein Paar tüchtige Maulfchellen, dag das Küdyengemwölbe davon dröhnte, er erhob ein fürdterli- Mes Geheul, und ſchrie: IN’s nicht genug, dag ich fein ein- ziges Städ Gänfebraten befomme, muß ic mir nody oben. drein Ohrfeigen geben laffen? Bas hab’ ich denn gethan? Nichts! ſprach die Frau, darum eben befümmft Du Maulſchellenz Du haft den Bratfpich zu drehen vergefien, Schlinge! Ihr feid cine gottlofe Frau, winfelte der Junge, und behandelt eine arme Baife, daß es Gott er- barme! Immer muß id. mit ſchimmlichem Roggenbrote. bartem Käs und Dünnbier vorlich nehmen, während Ihr und Euer feifter Sohn Euch mit Spanferkeln, Merfebur- ger Bier und Bänfebraten volauf mäftet. Morgen Som tags kommt er aus der Stadt, und heute Abend müffen ſchon die Gänfe gebraten werden, weil Ihr mit ihm in die Kirhe gehen wolt. So zeigt denn auch Früchte Eurer Gottesfurdt. Bas hilft das Weinen in der Kirhe, wenn Ihr immer graufamer nad) Haufe Tehrt? Gott fieht nur auf das Herz; Beweiſet, dag Ihr ein chriſtliches Gemüthe badt, effet meinetwegen die Bänfe morgen allein, gebt mir nur heute Abend die Flügel. Ei warum nicht gar? rief die rau, Gaͤnſe ohne Flügel ſollte ih morgen meinem Sohne worfegen? Dann wär’ id) eine Mutter, auf welche die Leute mit Fingern zeigen würden. Cie werden ihm wohl ohnedieß in ven Mund fliegen, fagte der Iunge; Men-

Beiftererfheinungen. 193

ſchen fürchtet Ihr freilich wit, ale armen Leute und Be- dräugte jagt Ihr obne Mitleid und Erbarmen von Eurer Schwelle; nehmt Euch in Acht, dag nicht nieder der todte Martin Kiperlein, der verwichene Woche an den Galgen gebangen ward, fein kreideweißes Geſicht ins Bleifenfter binein ftede, wie er es {bon einmal gethan, weil Ihr bei feiner Hinrichtung kein Mitleid fühltet. Kirche und Kirchhof find auch, wie Ihr wißt, nit weit von hier. Knabe, ſprich nicht fo ruhlos, erwiederte die Frau fanfter mit ge» dämpfter Stimme; laß die Todten ruben und fei fromm, ich will Dir ein Stüd Bratwurft und ein Weigbrod geben.

Diefe Borte waren für Eeiferten genug. Das Bün- dei mit theatralifhen Siebenſachen ward aufzethan; er machte ſich ein Ereideweiges Geſicht befeftigte einen Strid um feinen Hals, hülte fi in ein Gewand, und fland als der leibhafte gehangene Martin Kiperlein da, hütete ſich aber wohl zu erfheinen, bevor die Gänfe an dem Spiege gar waren. Kaum fah er fie aber im Hafen auf zwei großen zinnernen Tellern, fo klopfte er leiſe ans Fenfter, und drüdte feine Nafenfpige flach gegen die Scheibe. Das todtenblaffe Geht fehen, freien und weglaufen war das Werk eineg Augenblids für die Frau ſowohl als für den Burſchen; burtig bineinfpringen, die Gänfe, zwei Brote und einen Krug Bier wegfhnappen, das augenblidlihe Geihäft Sei» ferte. Drauf ging er ſpornſtreichs zur Kabelle, mo die Maplzeit verzehrt werden ſollte.

34 blieb auf dem Kirhhöfe unmwilig zuräd, und in diefem Augenblide war mein Borfag gefaßt, mid) von Seis ferten au trennen. Es geht zu weit! dachte ich; Freilich thus er alles im Scherz, ohne Bosheit, ja es miſcht fih ſogat immer etwas Liebenswürdiges und Keces in feine Tollhei-

Drblenf. Schriften. XVI. 13

194 Geiftererfheinungen.

ten, foldıe Gefchisbten fünntn uns aber zaletzt ungküctich machen.

So mit mir ſelbſt redend, hatte ih wich auf einen Srabftein geſetzt, auf den die Lampe aus dem Kapellfen- fter ein fpärliches Licht warf. Wie erfhrat ih, als id, in meine Grübeleien verfunfen, die Augen aufſchlug, und mid felbander entdedtel Eine lange, bleiche Geftalt ſaß in weißem Gewande auf der entgegen geſetzten Ede mir gerade gegmüber, und fah mic mit hohlen Augen an. Ich wollte fliehen, die GeRalt griff mid mit ciefalter Hand am Arm, und dalb ohnmaͤchtig fant ich auf den Grabftein zurück.

Armer Iüngling! ſeufzte der bleiche Mann, biſt Du auch ungluͤcliwe Ich bin der Geiſt eines Unglüclichen Furchteſt Da Dich vor Geſpenſtern? Mein Schret er, laubte mir feine Antwort, und die weiße Geſtalt fuhr fort: Du haft Did) auf das Begräbnig meines zweiten Ichs nie dergelaffen, fo bi Du in meiner Gewalt: Ih will Dir das Geheimnig meiner Leiden anvertrauen. Was ich in der Belt geweſen bin, und welden Namen id) damals führte, weiß ich in dem jehigen Zuftande nicht mehr. Daß ich aber ein edles Maͤdchen liebte, weiß ich leider noch gar zu gut. Ich gewann ein treues Herz, weil ih, mie Du wohl noch an meinem Schatten wahrnehmen fannft, ein überaus. fdö« ner Züngling war. Eitelkeit und Leihtfinn machten es mir aber bald zum Bedürfnig, andern Liebſchaften nachzugehen Da gtaͤnne fie ſich in der Stile, ſchmachtete Hin und ſtarb. Ich meinte und rang die Hände. Bald ftellte fid) aber wieder der Leichtfinn ein, ja fo fipmell, dag ich nicht einmal warten fonnte, bis das arme Kind zur Erde beftattet wurde. Abends vor ihrem Leihenbegängniffe ging ich ſpaͤt

Beiftererfheiuungen. 19

auf der Straße, Der Mond ſchien, ich dachte an fie, ih hatte in einem Garten Rosmarin gepflüdt, und wollte da» mit ihre Leiche zieren. Da ward id) plöplih auf der ans dern Seite der Stratze ein ſchönes junges Frauenzimmer gewahr. Es Hatte kürzlich geregmet, fie hatte den Rod mebr als gewöhnlich aufgezogen, und die (hönften Beine mit ſchneeweigen Eträmpfen und Beinen lichtgrauen Schu. ben zeigten Ach mir. Sie ging viele Stragen durd, ſchien es aber nicht übel zu nehmen, dag ich ihr folgte, immer wit wonnetrunkenen Augen die niediihen Beine betrach⸗ tend; und wäre fie wie eine Mecrnice ins Waſſer gewan- dert, ich wäre ihr blindiings gefolgt.

Wo wir jept waren, wußte id nicht, id fah unr fie. Endlich ſchlüpfte fie in eine Thür Hinein, ohne Diefe hinter fich zu fchlisgen I wagte es, ihr zu folgen. Bald ftans den wir im fleinen Zimmer. Ein weißes Ruhelager ftand mitten in der Stube; lange weiße Gardinen waren vor die Zenfler gezogen. Sie fhmebte hin zum Nuhebeite, ttrecte fi) darauf hin und ein ſchauerliches klagendes Nedı- zen heulte durch die Luft und durchbebte alle meine Ner- ven. Ih wollte flichen die Thüre war zugemacht Komm, Liebipen! zage nicht! tänte es wieder ſpoͤttiſch. Ich

nahete mich ihr fie lag blaß und lang ausgeftredt. Ich

wollte ihre Hand ergreifen eine eiskalte feuchte Hand drüdte id) mit der meinigen. Gott! es war meine verftor- bene Braut! Ih fand vor ihrer Leibe am Sarge. Ein Eimer mit Waſſer ſtand auf dem Boden; der Dedel zum Sarge war an die Wand gelehnt, ein dumpfer Leichenge⸗ ru, vermiſcht mit dem twiderlihen Geruche der neuen Fenter- Gardinen erfüllte die Luft. In diefem Augenblide fiel ich ohnmaͤchtig Hin und verſchied. 3

1% Geiftererfheinungen.

Aber die tollen Menfhen glaubten, ich lebe noch. Statt mid) zu begraben, wie ich fie mit weinenden Hugen bat, ſperrten fie mid; in ein Irrenhaus ein, und zwangen mid, trotz meines Todes, zu een und zu trinken. Ich babe mich aber, ihrer Wachſamteit ohnerachtet. aus dem Gier fangniſſe gefhlien, das Grab meiner Geliebten aufgefuht und es glůcklich entdedt. Nun habe id fie reuig um Ver» weibung gebeten, ihr Geift ift mir erfhienen und hat mir verkündigt: Wenn id einen unfhuldigen Jüngling, wie Abraham feinen Ifaat, auf meinem Grabfteine opfern Eönne, dann würde id, während fein Blut das weige Mar« morgrabmal färbe, Ruhe befommen. So fand ih Die, theurer, herrlicher Jüngling! Dein Auge beträgt nicht, Du bit gewiß gut und unſchuldig, und verdienft, was ich für Dich thun will. Durch Deinen ſchnellen Tod werden wir beide fogleih zur ewigen Seligteit und Ruhe gelangen. Nimm es mir alfo nicht übel, dag ih Dir dies blinkende Meſſer ins Herz ftoße.

Mit diefen Borten padte mid der Nafende an der Bruſt, und holte trampfhaft mit der dürren Hand, die den Dolch hielt, aus, um mid zu ermorden. Zugleich aber kam eine nervigte Fauft aus dem Hollunderftraude binter dem Grabfteine hervor, faßte den Wahnfinnigen an dem Arm und eine ftarke Bapftimme rief: Da haben wir den Beſeſſenen. Fort mit ihm ins Tollhaus.

Ohne fidy weiter um mic) zu brfümmern, ergriffen die Herbeieilenden den Bahnfinnigen und eilten mit ihm da- von. Etwas mußten fie Halt machen, weil der Tole Wir derftand Leiftete. Dann hörte ich fie ſich heimlich beſpre⸗ hen. Die Jungfrau wandelt wieder auf und ab in der Kapelle flüfterte einer; ſeht ihr nicht, wie der Schalten

Beitererfheinungen. 1

drinnen an der Dede ſich bin und her bewegt? Das gebt uns nihts an, fprady der mit der Bapftimme, mit den Todten haben mir nichts zu thun. Unverftändiges Vieh! tief der Tolle, wenn Ihr mit den Todten nichts zu thun babt, mas habt Ihr denn mit mir zu thun, der id eim Geiſt bin. Das werden wir nachher genauer unterfu-

hen, antwortete jener, vor’s erſte wollen wir den gnädigen ‚Herrn Geift in eiferne Kette fegen Und fie eilten, mir zum Troſte mit ibm weiter, denn-die unvorfihtigen Men» ſchen in der Kapelle ſprachen zumeilen fo laut und lacten fo hell, dag man nicht bios ihre Schatten an der Dede feben, fondern aud) ihre Stimmen deutlich hören Lonnte.

So mißvergnägt id aud mit Seiferten war, konnte ich doch nicht Nein fagen, als er heraus fam, mid) zum Schmauſe in der Kapelle einzuladen, denn id hatte den ganzen Tag nichts genoffen. Drinnen war alles fehr fau- der und Häuslich eingerichtet. Das weige Gewand, womit er den Gehenkten gefpielt hafte, war über den Sarg ges breitet, der jept als Tiſch diente. So hatte er:leiht und ſchlau das Schauerliche unter diefer Hülle verborgen, und ſtatt in einem Grabgemölbe, glaubte man in einem bübs ſchen beitern Luſthäuschen zu fein. Die Gänfe fanden auf den Tellern, zierlich in gewiſſenhafte Portionen geſchnit⸗ ten, und dabei Brod und Bier vollauf. Fünf Ruhelager von friſchem Stroh breiteten ſich an der Waud bin.

Ich mar ſehr hungrig, und vergaß alles Bedenkliche. Ich muß geſtehen, nie hat mir eine Mahlzeit beſſer ge⸗ ſchmect; zum Deſert erzaͤhlte ich mein gehabtes Abenteuer auf dem Leichenſteine, meine Spießgeſellen hörten mir mit Verwunderung zu, und bald ſchliefen wir alledſüß auf un» ferm Etroblager.

18 Der Pfarrer und fein Küfter.

18.

Der Pfarrer und fein Küfter.

Herr Jeſus! was ift doch das? hörte id) bein Erwa⸗ chen eine heile Stimme ſchreien. Ich öffnete die Augen; meine vier Kameraden ebenfalls, wir blidten wild umber, und wie erftaunten wir, als wir den Dorfpfarrer und ſei⸗ nen Käfter in der Kapellenthür ſtehen fahen, erftern die Hände über den Kopf aufammen fhlagerd. Lauft, Traut mann! rief er; lauft und läutet mit der Sturmglode; das will fagen, mit der größten, mit der einzigen Glode, die wir haben. Läutet Landſturm. Zigeuner find in die Ge⸗ gend gefommen; die Türken find eingebroden, und haben thriſtliche Kirchen zu Pferdeftällen gemacht. Um Gotted« ‚willen, Herr Paftor! rief Seifert, der glei munter und auf den Brinen war, ſchreiet doch nicht, macht ung nicht unglüdlih. Bir find weder Zigeuner, Türken, noch Pferde, fondern arme fahrende Schüler, die beute Nacht fein Ob⸗ dad) unter den Lehendigen erhalten fonnten, und deshalb gendthigt wurden, bei dem Todten zu ſchlafen. Bo ift das gnaͤdige Fräulein, wo iſt die Hochſelige hingerathen, rief der Pfarrer aͤngſtlich; Ihr ſollt mir für ihren Meinften Finger verantwortlid fein. Verlieren wir fie, dann ver- Kiert die Kirche jährlich dreihundert Thaler von ihren Ein⸗ fünften. Wo habt Ihr das gnädige Fräulein gelaffen? Ich glaube, fie haben fie aufgefreflen, ſprach der Küſter trodem, da ftehen noch die Knochen auf dem Teller. Spaß apart, Trautmann, ſprach der Pfarrer ärgerlich; Hier gilt

Der Pfarrer und fein Küfter. 49

fein Zaudern. Wo habt Ihr den Sarg bingefchleppt, und wo habt Ihr den Zifh ber befommen? Ohne zu ant« worten, riß ih das Tuch von dem Sarge; und die Mu- mie dag da unzerftört in ihrem Kaften mit den gläfernen Scheiben. Den Sarg zum Tiſche zu machen, feufzte der Bfarrer, bab’ ic mein Tag nicht gefehen. Und was habt Ihr gegefien? Geftohlenen Bänfebraten? Gott behäte, aut« wortete Seifert. Der fonderbarfte Fall ift uns geitern be gegnet. Hier an der Ede wohnt eine wohlhabende Witwe. Die hat Euch feinen Kuochen mit ihrem guten Bilen ‚gegeben, ſprach der Pfarrer. Nein, gewiß nicht, fuhr Sei fert fort, ohne ſich aus der Faſſung bringen zu Iaffen, denn das iſt die geisigfte Kreatur, die auf Gottes Erdboden geht, fie iſt aber fehr abergläubiih. Ein wahnfinniger Menſch iſt beute Nacht auf dem Edelhofe ausgebrochen: in’ weißem Gewande gute er ihr in's Fenſtet hinein, als fie die Gänfe driet. Die alberne Gans, (ih meine nicht die Gans, fon» bern die Frau,) wmähnt ein Gefpenft zu fehen, und macht fh aus dem Staube. Der Tolle ftärzt zur Küchenthüre berein, erobert die Bänfe,-nebft Bier und Brod, und läuft damit nad) dem Gottesacker mas er laufen Tann. Unter⸗ wegs begegnet er ung. Weil er nun todt zu fein glaubt, und keiner Speife bedürftig, reicht er uns alles hin. Bir armen hungrigen Schüler danken ihm, und richten ung in der Kapelle fo gut ein, als es in der Eile gehen will weil uns im Dorfe jede Ghriftenthür verſchloſen it. Um dem ſcheutlichen Anblicke der Todten, während der Mahlzeit, zu entgeben, und um der Seligen, die doch noch immer, felnt nach dem Adfterben, eine unverheirathete Jungfrau ift, kein Aergerniß gu geben, haben wir diefes Gewand als Niſch⸗ tuch für uns, und als Beitgardine für fie gebraudt, um

200 Der Pfarrer und fein Küſter.

ihr die ſchuldige Ehrfurcht zu ermweifen, und ihren guten Ruf zu fhonen, während wir fünf Iunggefellen es uns in ihrer Nähe commode machten und zu Bette gingen. Der Tolle ift noch etwas auf dem Kirchhofe umbergelaufen; der defperate Kerl hat einen von meinen Kameraden, den jun⸗ gen Menſchen da, todtftehen wollen; zum Glück famen noch die Haſcher zu rechter Zeit, und zogen mit dem Blödfinni- gen ab. Seht, Herr Paſtor! das ift die lautere Wahrheit, Und wollt Ihr mir nicht glauben, fo fragt den Herrn Ir» tenhaus»Infpector, der felbft bier geweſen ift; er it (wenn ich nicht irre) ein vernünftiger Mann, und wird mid nicht " Zügen ftrafen.

Durch diefe halbe Wahrheit und halbe Dichtung ret- tete Seifert uns vellig. Der alte Prediger, der ein etwas einfältiger, zugleich aber gutherziger Menſch war, ward über unfern Zuſtand gerührt; und durch die fraßhafte Ein» Meidung gewann Seifert den Küfter, einen guten Kopf, der mit feiner trübfeligen Phyſiognomie einen Spaß zu lieben ſchien, und den Ton zuerft angegeben hatte.

Wir mußten die Kapelle wieder reinigen, und das Stroh heraustragen. Dann Ind uns der Prediger zu Mit-⸗ tag ein, und id hatte Gelegenheit, den Character feines fonderbaren Famulus weiter zu ftudiren. Er ſchien mir zum Küfter nicht geboren. Bierzig Jahre mochte er ohn⸗ gefähr alt fein, war blaß und mager, hatte aber ein ſchö⸗ nes, ausdrudsvolles Geht, und die tiefliegenden Augen hatten noch Feuer und verriethen Gefühl, Er trank unter der Mahlzeit viel Wein, und fpottefe in gutmäthigen Tone über die Welt, ohne doch aufgehört zu baden, die Menſcheu au lieben. Der alte Prediger war ein licher phlegmatiſcher Alltagemenſch, und fand Gefallen an uns, weil ihm Sei»

Der Pfarrer und fein Küfter. 201

fert ſchmeichelte, und Die alten Schüldereien im Pugiimmer rühmte. Nun, Zrautmann! rief der Alte heiter über den Zi, es ift nicht genug, guten Bein zu trinfen, man muß auch dazwiſchen ein Lied fingen; mas hilft es fonft, die Kehle anzufeuchten? Er kann viele hübſche anftändige Trintlieder, verfepte der Alte, die fih aud vor geiſtlichen Leuten bei einem Glafe Bein opne Anftoß hören laflen. Ein anfändiges Trinflied! rief Seifert, fo ein gebratenes Huhn möchte ih wohl au in der Luft fliegen ſehen. D lieber Herr Küfter, fingen Sie doch. Er hat eine fehr gute Singftimme, flüfterte der Prediger Seiferten in's Obr, um feinen Liebling nicht laut zu rüpmen; darum hab’ id) ibn zu meinem Küfter und Gantor gemadıt. Wenn er nur nicht fo tief in's Weinglas fähe; doch Ihr kennt wohl das lateiniſche Sprichwort: Cantores amant humores. Nun, verfelte Eeifert, wenn er nur immer anfländige Trinklie⸗ der dazu fingt, fo bat es nicht fo viel zu bedeuten. Nun, Trautmann! rief der alte Prediger, der heute ſelbſt ein Glas mehr als gewoͤhnlich getrunken hatte; ein gutes Lied! Bein und Liebe! Liebe und Bein. Dafür braudt fid ein lutheriſcher Geiſtlicher wicht zu ſhaͤmen! Eingt doch unfer großer Reformator, Doctor Martin Luther, ſelbſt:

Wer nicht liebt Bein, Weiber und Gefang, Der bleibt ein Rarr fein Bcbenlang.

Luther! rief Seifert und ſtarrte mich ernft mit großen foöttifhen Augen an; Albert, das ift Waſſer auf Deine Mühle. Ich ſchwieg. betrachtete aber Seiferten mit einem ruhigen Blide, der ihn ein wenig aus der Faſſung brachte. Es lag viel in diefem Blick er fagte: Seifert, id bin nicht länger in Dich vergafft, Deine gar zu große Eitelfeit iſt

202 Der Pfarrer und fein Küſter.

mir jetzt recht einleuchtend. Da willſt immer allein ſpre⸗ hen und fuͤrchteſt fogar jeßt, da es uns vieleicht beim als ten. Prediger nupen könnte, daß ih aud) ein Wort mitrede.

. Sei nur rubig, bald werde ich nicht Dir und Du nicht länger mir zur Laft fallen. Er hatte eine gute Nafe, mitterte, was in meinem Gemüthe vorging, nnd wolltt mic) im Ernft als einen Enfel Luthers vorftelen; ich raunte ihm aber in's Ohr: Kein Wort davon, oder weiß Gott, ich ſtehe vom Tiſche auf und gehe meines Weges.

Der Küfter, der damit befhäftigt war, die Gläfer zu füllen, und die Spifode zwiſchen Seifert und mir nicht ge- merft batte, fagte jept: Ich weiß wohl, dag man gemöhn. lich den Bachus mit der Venus zu baaren pflegt, das ift aber, meiner Meinung nad, eine.ganz abgeihmadte mifer rable Ehe, eine wahre Mesalliance, aus der mein Tag nichts Gutes herauskommen kann. Entweder muß Liebe ohne Wein, oder Wein ohne Liebe genofien werden. Bie werdet Ihr num wieder diefe Sophifterei beweifen? frug ihn der alte Pfarrer. Durch ein Lied, fprad der Küfler, das ich ſelbſt vor zehn Jahren gedichtet Habe, als ich noch zu etwas taugte. Drauf fein Glas vor fid) binfeßend, fang er:

Glaͤckuch lieben, Bachus lieben? Rein, das thut fein rechter Mann, Ber glüdfelig lieben kann,

Dem ift Bachus fremd geblieben. Denn Eupido mit dem Köcher

IR au fein, zu jart geſtunt;

Er ift zartlich wie ein Kind,

@ebt nicht mit bem Gott der Zecher.

Der Pfarrer und fein Küfer.

Feucten kannt Du zwar die Lippe Liebender, damit in Glut Bläder Minor teinte Muth. Baus aus der Agauippe. Uber aus der Liebe Schale Cchlürfen fie, zu füßen Bein. Nebenfaft auch teinten? Nein, Past nicht au der Siebe Maple,

Doch unglhücklich, ohne Hoffen Sieben, ohne Luft und Muh 30 dann ſchüreſt Du die Giui. Soft, und jeigf den Himmel offen. Dann, dann muß fih an Dich halten Gun verlafen traurig Heri, Denn Du Undert feinen Schmeri, Mit den dunfligen Gewalten.

Zeinten win ich, und wicht weinen, Trinken neue Bebensluft; In die Dunkle, wunde Bruft Bird dann Sonne wieder fcheinen. Teinfen win ich ohne Trauer, Und vergefien, wenn ich fing" Iene Traube, die mir hing Gar zu Hoch und gar au fauer.

Leider nur iſt Deine Schale, Bachut, mir nicht tief genung; Bagt ich dreiſt den kühnen Eprung, Wär's gethan mit einemmale.

284 Der Pfarrer und fein Küfter.

@eht den Fluß, er winkt dem Zecher! Ber da trinkt, nicht. ferner Flagt. Erin es war im Scherz gefagt; FÜHt mir wieder meinen Becher!

Als Trautmann das Lied geendigt hatte, ftand er auf, und ging in den Obftgarten, der an das Speiſezimmer fieg, um den Tauben im Taubenſchlage Erbfen zu geben, und der alte Prediger feufzte: Lieber Gott! faſt follte ich glauben, der alte Kerl fei noch etwas verliebt, obfhon es bereits fünfzehn Jahre find. feit ihm der ſchelmiſche Hei- dengott Eupido die Bruft vermundete. Ich verlange, daß er ung ein anftändiges Trinflied finge, und dann fingt der gottlofe Menſch ein verkapptes Selbftmörderlied. Nun, Herr Paftor, ſprach Seifert, es war wohl fo übel nicht gemeint; die Yeute, Die von dergleichen fragen, vollfüh- ren es ſelten. Freilich hätte ich lieber ein luſtiges Trink⸗ lied gehört; wenn es aber durchaus melancholifch fein follte, mar doch diefes Lied eines von den ärgften. Und konnte es nicht toll auf die eine, fo mußte es ſoiches auf die andre Beife fein. Wenn man trinkt, feht Ihr, mug man ent weder das Leben, oder den Tod bis zur Toüheit lieben und rlihmen; denn was die Anftändigkeit betrifft, Herr Pa- Kor, die ift gewiß ganz vortrefflich in mancher Rüdficht, aber zum Trinken taugt fie nicht viel. Ein guter Trunt muß entweder ganz warm, oder ganj kalt genoffen werden; das Laue ift nnr zum Erbrechen. Euer edler Bein hat mid erbitzt; das Trautmann'ſche Lied Hat mich wie ein ſchmachaftes Eis oder Gefrornes zum Nachtiſch wieder ab» getühlt. Bas ſprecht Ihr da von Eis, Gefrornem, und ich weiß nicht was! junger Sant? rief der Alte, der Sei«

Der Pfarrer und fein Küfter. 205

fertens Spaß nicht verfland; mas ſprecht Ihr von ſchwahen and nicht thun? Ich fage Euch, er häste es gethan, wenn ich nicht geweſen wäre. Nein, fo muß Liebe nicht beſchaf - fen fein. Id habe auch den Berluft einer braven Ehefrau bemweint; aber alles mit Magen. Man muß nicht darüber vum Narren werden. Zreilih, fagte Seifert, wenn das Kind ftirbt, fo ift die Gevatterſchaft vorbei. Eo meine ich es nicht, ſprach der Prediger; man bat aber mehr zu thun, als zu lichen in der Belt, und man mug nicht alles aufgeben, weil ein Wunſch uns nicht gewährt wird, denn das ift eine unmännlide Schwachheit und goftios obendrein.

Trautmann verliebte ſich vor vielen Jahren in ein hübe ſches Mädchen, das fih, ihren Eltern zu Gefallen, ſchon mit einem andern adıtharen, febr refpeftabeln Manne ver ſprochen hatte. Nun fah fie den guten Trautmann zu ſpät und mußte naher in ihren fauern Apfel beißen. Ich traf den verzweifelten Juͤngling eben. als er im Begriff fand, ſich den Garaus zu machen. Er wollte fih in dem Flug ertränfen. Ich bielt ihm aber eine tüchtige Strafpredigt, tonnt Ihr glauben. Naqher it er mein Küfter gewor- den; und da muß ic) geftehen, hat er in zehn Jahren fein Amt mit Gewiſſenhaftigteit verwaltet, und die Gemeinde un gemein mit feiner fhönen Tenorftimme erbaut, wenn er die herrlichen Lieder von Ergebung in Gott, Sehufuht nad dem Eode, Hoffnung an die Unſterblichkeit, und Troſt im Ungtüd gefungen. Die Leute glaubten, «6 fei pure Bot- tesfurdt, die aus ihm töne. Gott befier's! Ich mußte wobl, wo ihn der Schuh drüde, daß es nur eine weltliche Liebe fei, die ihn begeiftere. Ich ließ aber die guten Ehri- Ken in ihrem frommen Wahne, und date: auch aus einem serbrocpenen Scherben kann man den bimmlifhen Labetrunk

206 Der Pfarrer und fein Käfer.

fepöpfen. Nahıber ift er freilich bitterer und ſpoͤttiſcher geworden, und hat aus Trotz, weil ihm die Borfehung ein geliebtes Meib verfagte, eine alte böfe Sieben gebeirathet, die ihm täglich mehr ärgert, als Kanthippe den Sokrates.

Der Käfter kam wieder zurüd, und als er etwas mit Seiferten geſprochen, und feine Anfihten und Meinungen, mit denen cr immer gern hervorrädte, befonders wenn er ein Glas Bein getrunten hatte, kennen gelernt, ſprach Trautmann: Ihr ſcheint mir von einem militärifhen Beifte beſeelt zu fein, und follter billig in diefen wichtigen Zeiten Kriegsdienfte thun, ftatt mit jungen Leuten herumzuziehen. und Eure Zeit zu vertrödein. Freilich, mas Ihr von dem Zily, dem Wallenſtein ſprecht, ift wahr: fein braver Menſch follte Ady billig diefen düftern Räuber» Häuptlingen anſchlie⸗ pen. Allein wißt Ihr denn nicht, dag gerade ein folder Held, wie Ihr ihn mänfct, ein wahrer Enkel Odins, mit feinen nordiſchen Burſchen, tie Ihr fie nennt, auf deut, ſchem Boden erſchienen iſt? Der berrliche Guſtavus Adol phus von Schweden, der mit feinen Nordenhelden in den Scheeren bei Elfenaben gelandet iſt, um den Proteftanten in der äußerfien Roth beiguftehen.

Bir jungen Leute vermunderten uns, folde Nachrich- ten zu hören, denn obmohl Zeitungen ſchon damals herans- gegeben wurden. waren uns doch weder das Frankfurter Iournal, noch der Poſtreuter zu Gefit gekommen. Der alte Prediger wollte auch ein Wort mitfpreden, er vermed- felte abet und verdrehete alle Namen. und warf Begeben« beiten und Iahreezahlen fo verworren unter einander, daß der Küfter alle Diühe Hatte, denn Wirrwar wieder in Ord- nung zu bringen.

Bon diefem Abende an hatte Seifert feinen Entfhlug

Der Pfarrer und’fein Küſtet. 207

gefaßt: er wollte zu Guſtav Adolph, und bei ihm fein Glüd verfuhen. Unfere drei Reifegefährten folgten ihm. Und ih? Bas that denn ih? Ich blieb beim alten Pres viger, um Sabftitut feines Küfters zu werden. Ihr fine det, das fei ein fehr Meines Gluͤck geweſen. In meiner das maligen Lage war es in der That ein.fehr großes! Denn was wäre fonft aus mir gewordrn, da ich nun einmal nicht Luſt hatte Soldat zu werden? Ich follie bei Trautmann wohnen, und er verſprach, mir in ledigen Stunden in den Schulwiſſenſchaften gründlicheren Unterricht zu ertheilen. Er bat Wort gehalten, der arme Unglüdliche, und ic werde feine liebliche Erſcheinung nie vergeflen.

Bon ‘Seifert trennte id) mic) nicht ohne Beträbnig, er mar aber, nad) feinem Entſchluſſe Soldat zu werden, noch härter als fonft, und machte es fich ordentlich zur Pflicht, alle mildeten Gefühle, die oft im reizendften Widerſpruche mit feinen Orundfägen fanden, zu unterdrüden. Als ic am leßten Abende gerührt durch das bitterfüge Gefühl des Abſciedes etwas fagen wollte; rief er: Nicht doch! Noch brauch’ ich feinen Beldprediger. Einen Kerl, wie mich, fin- dert Du leicht wieder, und Deines Gleichen giebt es auch nody in der Belt. Ich mag das Henlen und Umhalſen der Leute in der legten Abſchiedoſtunde nicht leiden. Oft ge⸗ ſchieht es, wenn man ſich auch vorher nicht ausftehen mochte, aus Sauter Freude, dag man ſich gegenfeitig los werde. Im⸗ mer leben ſolche Menfchen in der Ginbildung! Nach dem, was zugegen ift, fragen fie nie; fie wollen nur das Ber» lorne beweinen ; und ‚das Berfäwundene (welches fie auch nicht genoffeu baben,) muß immer als Folie und Hinter grund ihrer Wehmuth und Berfiimmung dienen, um den Genug der Gegenwart zu ſchwächen. Etwa wie eine alte

208 Der Pfarrer und fein Käfer,

Witwe, die ihren erften feligen Mann (mit dem fie ſich täg- lid) zankte) beweint, um den jepigen täglich zu ärgern. So auch das Beten und Lamentiren auf dem Sterbelager, weil man ein Leben verlieren fol, das man oft gar nit genofe fen hat. Wit Du nicht auch, dag id in Dein Stamm» buch ſchreibe: „Wantle auf Nofen und Bergigmeinniht?” Und wenn Du etwa im Frankfurter Journal liefeft, der Hauptmann Seifert fei da und da rühmlich gefallen, willſt Du dann nicht noch ein Meines Grabpügelhen zufammt dem Kreuze mit der Feder unter meinen Namen hin zeichnen?

Ich wußte nicht was ih zu dieſen geſchraubten Res densarten fagen follte; ich drüdte mit Ernſt und Ruhe feine Hand, und ſprach gemütblih: Lebe mohl, Seifert! ih danfe Dir für die guten Etunden, die wir mit einander ‚genoflen haben. Da ftürzten ihm plöplid) die Thränen aus den Augen; er drüdte mic beftig an die Bruſt, fügte mid, als ob ich feine Geliebte geweſen wäre, bat mic) aber wugleidy, es ja Niemanden zu fagen, daß er fid fo unmänn» Kid und fentimentalifd aufführe, damit man ihn nicht des. wegen belache und verachte. Ja er fhrieb es fogar dem Rauſche zu, obſchon er doch eben diefen Abend fehr wenig getranfen hatte. Drauf riß er fi von mir los und eilte von dannen.

In filles Nachdenken verfunten faß ih auf meinem Bimmerden,’ und dachte darüber nach, mas ih an Seifert verloren habe. Gigentlih mar fein Einflug auf mid fein

. guter gewefen, er hatte mic zu dem vagabundiihen Leben verführt, und mit Sophismen oft meine ſchlichten rechtlichen Grundfäge wankend gemacht Immer wollte er allein re» den, immer ſich felbit hören, ſtets fyottete er meiner &r-

Ungläglihe Liche 2

füble. Kein eigentliher tiefer Eruſt, keine Nude, keine wahre Heiterkeit war im ibm; obſchon er beftändig dies Bort im Munde führte. Mit außerordentlicher Beredfam- keit und Begeiſterung vertheidigte er gewoͤhnlich eine ſchlechte Sade gut, ohne ſelbſt ſchlecht zu fein. Seine Liebenswür⸗ digkeit und Laune, fein Unternehmungsgeift, feine vielen einzelnen treifenden Bemerkungen und originellen Gedanten, die Lebendigkeit, womit er jeden Gegenſtand auffapte, alles das mußte id am ihm loben und f&äpen, und ic) fühlte mopl, dag id einen ſolchen unterbaltenden Geſellen auf meinem Lebenswege nicht fobald wieder antrefien märde.

19. Ungfüdlide Liebe.

Es freute mid, wieder eine Mille, ebrbare Lebensweile einzufchlagen; mein Verhältnig zu Trautmann war ange» nehm, fein mildes melaucholiſches Schweigen. ein heilſamer Balfam auf alle Wunden, die mir Seiferts Geſchwaͤtzigkeit oft geſchlagen hatte. Jeßt Eonnte ‚ic doch zumeilen ſelbſt denken und mid) frei äußern. In Jenes Gegenwart fühlte ich zulept meine Kraft geähmt, meine Perſonlichteit unter- drüdt; und ich gewöhnte mid) nach und nad daran, die ſtumme Perfon zu fein, die er eigentlich zu feinem Gefell- fbafter haben wollte, damit Liefer, wie ein Conductor, die Falten Funken feiner egoiſtiſchen Electriſtrmaſchine raofange and weiter bringe.

Keplenf. Eriften. xvi. 14

210 Unglüdlige Eiche,

Trautmann ſprach freilich zu wenig, e6 frente ihn aber, die Klaffiter mit mir zu leſen, und durch feine geiftreide Nittheilung gewann ih Gefhmad an einer Befdhäftigung, die mir vorher beinahe widrig geweſen mar, umd zu wei⸗ cher ich mich zwingen mußte.

Meine täglichen Geſchaͤfte in der Kirche waren mir auch lieb. Ic ging dort oft allein und betrachtete die Bil« der verftorbener Prediger an den Wänden. Wenn Kinder getauft wurden, mußte ich den Taufſtein mit papiernen Blumen ſchmücken; im Sommer ſuchte ih anfangs natüre lie Blumen zu befommen, davon wollten aber die Bauern nichts wiſſen; fle verbanden mit den alten Raubigen Kirchen⸗ blumen, die fo oft bei ähnlichen Gelegenheiten gebraucht waren, einen Begriff von Heiligkeit: Feldblumen, meinten fle, hätten fie bereits draugen, deshalb brauchten fie nicht ihre Kinder zur Kirche zu bringen. Das ließ ic gut fein, denn Abgeſchmadtheit ſelbſt kann fih mit dem Gefühle ver» binden, und ein guter Geſchmack herzlos nachgemacht wer⸗ den. Bei Begräbniffen fang ih mit Trautmann das Ster⸗ des, dei Hochzeiten das Brautlied. Co gewöhnte ih mid daran, als rubiger Zufhauer die Menſchen in ihren glüd- lichſten und unglücklichſten Augenbliden zu fehen, und relie güöfe Erhabenheit, die ihre Freude und ihren Schmerz mä- gigte und milderte, gab dem Allen cin Gepräge höherer Birde. . Dft wenn ic allein ging, dachte ih an Martin Zus tber, an meine feligen Aeltern, an meinen guten Bruder, den ich vielleiht nie mebr fehen würde; dann meinte ich herzlich, und fah mid als eine arme verlaffene Waiſe an.

Benn id mid) dann aber vor dem Altart niedermarf, wenn .

ich das Bild des frommen Jeſus fab, wie er am lehten

Unglüdtige Liebe. EN

Abende mit feinen Iüngern zu Tiſche faß, wenn ich meine Augen zur Taube des Tauffteins, zu dem hebräiſchen Ie- hova- Namen {m mpfifcen Dreied über der Orgel erhob, und die Heinen Pofaunen- Engel in blauen BBolfen, mit vergoldeten Bretterſtrahlen, erblidte, daun fühlte ich mid wie von unfihtbaren Geiftern umgeben in einer ewigen Heimath, Die ich nie verlaffen konnte, und ward wieder beiter und froh.

Zu Haufe murden mir Die Unterrichtsſtunden auf Traut⸗ manns Zimmer die liebſten. Meine Wohnung war fehr ſchlecht, und id konnte einen ganzen firengen Winter hin- durd aus meinem Bette den Himmelswagen durch Deff- nungen im Dache deutlidy fehen.

Unten in der Stube bei den Eheleuten war es wieder gar zu ſchwul; denn die böfe Frau beizte den Ofen derma- gen, dag man Aepfel an den Fenſtern braten konnte, dabei jankte und lärmte fie wie ein böfer Höllengeift. Nie hatte id damals den Haupfgenuß eines jungen Menfhen, mid völlig fatt efen zu können. Wenn fie. mir Abends ein Bütterbrod gegeven hatte, frug fie: Wil Er mehr? und obſchon mir der Mund nad) einem zweiten wäflerte, wagte ich es nie, Ia! zu fagen, um den Born meiner Wirthin nicht zu reizen. Nur menn ih beim Prediger ag. oder wenn mid) Trautmann im Wirthehaufe beföftigte, Tonnte id) meinen Hunger völlig ſtillen.

Trautmann fprad fait nie mit feiner rau; wenn fie mäthete, begnägte er ſich, fie mit einem ftillen, veraͤchtlichen Blick anzufehen, der ſie nod mehr in Wurh brachte. Ward es ihm dann zu arg, fo ;ing er entweder auf fein Zim⸗ mer, mo fie ihn nicht ohne Gefahr verfolgen durfte, oder deſuchte feinen Freund, den Gaſtwirth. Wenn er dann

14°

22 ungluͤalicht Siehe.

Abends fpät, benebelt, nie aber eigentlich betrunken, nach Haufe fam, war er am liebenswärdigften und geiftreichften gegen alle andere, nur wagte die Frau es nicht, ihm im diefem Zuftande in die Quere zu kommen, denn dann prü- gelte er fie gewoͤhnlich, ohne ein Wort zu reden umd ging iu Bette.

Einmal, als ich ihm in diefem Buftande nad Haufe begleitete, er febr aufgeräumt war, und über die Erbärm- lichteit feiner Frau fpotiete, wagte id), ihn zu fragen, wie er denn zu einer ſolchen Gattin getommen fei? Ich bin

"gar nicht zu ihr gekommen, erwiederte er launig, fie iſt zu mir gelommen! Sie hat um meine Hand angehalten, und ich fand es unverſchaͤnt von einem Wanne, einem Frauen simmer den Korb zu geben. Ich war damals ſchon nichts ehr werth. Wie nun aber die Weiber find, fie harte ſich eigenſinnig in mic vergafft, und id) wolte fie nicht betrüs ben, weil ih aus Erfahrung wußte, welch’ ein bitteres Kraut unglücliche Liebe fei. Zuerſt war ih freilich Wil⸗ lens, mid) zu erfäufen, und das wäre ohne Zweifel Das DVernünftigfte gewefen. Der alte Prediger legte ſich aber dazwifhen, als ih eben bineinplumpen mollte. Ich vere naclägigte alles, wohnte im Haufe meines Lorchens, fie gab mir zu eſſen, zu trinken, Kleider, Schuhe, Bett, Dfene wärme, fogar Taſchengeld. Gott weiß, wie viel ih ihr ſchuldig war, denn id} bin immer ein ſchlechter Buchhalter gewefen. Da verkaufte ich mich ihr denn mit Haut und Haar, damit das Ding ſchnell ein Ende bekomme. Id werfhrieh mid) ihr mit meinem eigenen Blute. Sie war fo großmüthig, mein hinfäliges Wefen für Baluta zu nehmen, obgleich es fhon damals, weiß Gott, nicht länger Couraut war. Ihr Schelten und Lärmen war mir nicht zuwider

Unglädlide Liebe. J 213

id habe fünf Jahre in der Nähe eines Kupferſchmide ge⸗ baufet; da gewöhnt man fid an ſolchen Epectafel und hört ibn zuletzt nicht mehr. Auch könnte id) nicht fagen, dag midy anfangs ihre Zänfereicn fehr verdroffen Hätten. Ich langweilte mid, vernünftig tonute ih ded nicht mit ihr reden; über Dekonomie, Gulden, Groſchen und Kreuzer wagte ich es nicht, Betrachtungen anzufellen womit foll« ten wir ung nun unterhalten? Kenntniffe beſaß fie nit, was Alerander gethan, mas Ariftoteles geſchrieben hatte, war ihr verdammt gleichgültig. Da kam cin gutes Scheltwort, eine unvrtſchaͤmte Beleidigung, oft wie gerufen, brachte mir das Blut wieder in Wallung, und da gab es denn immer volauf zu ſchlichten, zu beſchwihtigen und auszugleichen. mitunter zu prügeln.

- Bir waren bis an die Hausthüre gefommcn, und bör- ten fie drinnen die Küchenmagd laut ausfhelten. Traut- mann fagte: wir wollen in die Fräuleintapelle gehen, dort iſt es immer fo ordentlich und Iuftig, dort wil id) Die mehr erzählen, die böfe Cieben ſtört uns da nicht. Ach Gott, Albert, ſprach er, ſich drinnen auf eine Bank nieder. laſſend, ich gehe fo gern mit den Zodten um; fie liegen fo anftändig, fo ernft und fanft, fo ruhig in ihren Särgen, ohne Eitelkeit, Bosheit, Zorn und Düntel. Doch mug ih Dir auch fagen, daß diefe Kapelle für mid) einen eigenen Werth hat; denn bier fah id) meine Siegfriede jum Letz⸗ tenmal. O mein guter Herr, bat id, erzählt mir doch Eure Liedesgefhichte. Statt Dir eine frofige Beſchrei⸗ bung meiner feurigen Liebe zu geben, fagte Trautmann, mil id) Dir ein altes Lied vorlefen, das auf dies felige Sräulein im gläfernen Sarge gedichte worden; denn fie fol einft auch eine Unglüdligliebende gewefen fein. Er

2 Unglüdlie Liebe. -

nahm ein altes beräuchertes Papier aus feiner Schreibta⸗ fel, und Tas mir folgendes Gedicht, deſſen Abſchrift ich

noch befige:

Das holde Fräulein von Grauenſtein Mit der Taudenſeel / und Mofengeficht, @ie war eine adcliche, reihe Maid, Mein glüdtfelig war fie nicht.

Bor Water befaß der Burgen Drei, u Ginen chernen Helm, einen Schild von Err; Auch war er tapfer und dreift im Krieg,

und doch, doch hatte der Held kein Herd;

In der Kapede iu Reifenwaid

Da lagen ihm Mpnen, fechdchn an Zahl;

Er Hatte ſich fchier als ein Mffe vergafft,

Im die Todtengerippe mit Schädel kahl; .

Er liebte fonft nicht viel auf der Belt, Nur Hatt’ er fich vergaft in den Echild,

Da Randen drei Teufel mit Krallen dein, Das war auf der Welt ihm das liebſte Bild.

Das Fräulein wandelt unten am Bach; Die Mühle beim Bafferfa kenat ihr fon; Da grüßt fie beim Sonnenuntergang

Mit freundlicher Miene des Mülers Cohn.

@ hat feinen Cchild mit Teufeln dein, uch keine Burgen, fein Etreitgewand,

Unglüdtihe Liche. 215

Er hat einen freien, edlen @inm,

Mach mangeln dem Burſchen nicht Wip und Berfland. And ex erbt ja den Hof, mit Medern viel

Much jene Mühle, fo gut defekt,

Der Megendogen ich fpiegelt drein.

Wenn die Sonne ſaeint und Das Baer fügt. +

Die Erlen ſchatten, der Eppich grünt,

Die Müplfeine (Amen ſich vegen mit Cafl. Die Liebe mahlt noch feinered Mehl - Dies Mäderwerk in des Menfchen Brufl.

Die ſchoͤnen Stunden verrauſchen (chnell, So wie die Wellen im Bafcrfal; Mein die Grinnerung ſchwindet nicht; Tont aus des Ferne der Biederpall.

Der Sommer weicht mit dem fhattigen Laub, Wo glüdliche Liebe ſich oft werledt,

Sud hinter dem nactten Herbftedaft

Der Ritter das freundliche Paar entdedt-

Du Dirne haft meine Ehre beicimpft, Du daft mein adliches Blut emtehrt, Drum fon Du ſchmachten im Kerter tiet Der Buhe da if des Galgens werth;

Die Auſchuld Hat unfere Liebe gefch'n &s fahen die Sefen den reinfien Kuß,

216 |

Unglüdlige Liche.

Sich Eppich treu um die Pappel fchlingt, Dad macht dem Himmel feinen Berdruß.

Doc Zor feid Herr, und Water Ihr feid, Und feſeit die Tochter im Qualgemadı; Dann will ich auc länger nicht Leben mehr; So fprict er, und flärst im den Müplenbach.

Richt rädern win ihn die Mühle fein,

Sie ftoct in dem Lauf umd ein Mad zerbricht. Da floß die Leiche fo bleich und (hön, Durch Blumenſchilf wit dem trenen Geficht.

Biſt Du unfauldig und if er todt,

So wi ich die Thorheit vergeffen Dein’, Komm wieder herauf aus dem Burguerlieh, .- Ich liebe Dich wieder als Zöcterlein.

Und werde des ebien Bitterd Bemaht,

Der um Deine Liebe bei mir gefleht.

Die Tochter ſpricht fein einziges ort, Als ein weißed Gefpenft im Saal fie ſteht.

Und naht ſich dem Fenfter, und horcht und horcht. IMs Pferdegetrappel? Kommt er zur Etund? Ach nein, ed mar nur dad Saufen ja,

Das Näderwert aus dem Müplengrund.

Die Erlen (chatten, der Ervich grins, Die Müplfteine (ame fich wegen mit Suft,

Ungtüdlihe Liebe

Die Liebe mahlt noch feinered Mehl, Dies äderwert in des Menichen Bruf,

Der fchöne Rudolf begraben liegt

Dort unten am Baum, wo Ctaubregen fällt. Der Negenbogen fich friegelt drein,

Gin nichtiged Ding; fo iſt die Melt.

Der Nitter kommt mit der Hocheitſchaar In Goid, Iumelen und Purpur ſchön. Bo if meine Tochter? Der Alte fragt: Ich Habe fie heute noch nicht gefeh'n.

Ste fchläft noch droben im Schlafgemach; Der Ritter erblaßt, er ahnet die Roth. Gr ürzt in der Tochter Kämmerlein, Da liegt fie, weiß wie ein’ (Engel, todt.

Scrlfslumen drüdt noch die falte Hand Ihr an den erblaßten Rofenmund,

@ie dat um das Paupt einen nafen Aranı, Bergißmeinnicht aus dem Wieſengrund.

Das große Bermögen, ded Fräulein Gut, Hat nun die Kirche geerbt allein;

Im gläfernen Earg der Rapene fie ruht, Dort unten modert des Müller Gebein.

And wenn die Glode des Mbends Klingt, Mit fühernem Sant, fo traucig ſchon.

217

218 Unglädlihe Liebe.

Da hat man oft in dem Grieumser UNS Schatten das liebende Paar gefch'n.

Man ficht fie mit fröhlichen Ungeficht,

Sie ſchweben fo leicht, in Nacıt und Sturm, Und fingen: Liebende grämt Euch nicht ; Dort nagt an Fiche fein böfer Wurm.

ALS Trautmann mir das Lied vorgelefen hatte, ſchwie⸗ gen wir Beide eine Zeit lang, und unfere Augen ruheten auf der braunen Mumie, die einft ein fo ſchöͤnes Mädchen gewefen, daß fie einem rüftigen Müllerburſchen den Kopf verrüdt Hatte. Nun, das ift Die alte Leier, ſprach Traut- mann: Burg und Mühle, Fräulein und Gefelt, das hat man wohl öfter gehört; allein dag Lied ift mit Zartfinn und Gefühl gedichte.

Mit innigem Mitleid, zugleich aber mit dem Gleich muthe, der dem Meuſchen eigen ift, wenn ihn das Unglüd nicht ſelbſt trifft, ſuchte ih den düftern Mann zu tröften, drüdte feine Hand und blickte vor mid nieder. Es war fpät, Die Lampe fing an zu fladern. als ob fie verlöſchen wolle, und Trautmann ſprach: Komm, mir mollen ins pro⸗ viforifhe Grab gehen.

Somne levin, quamquam certierima mortis imago Consortem cupio te tamen esse tori.

Alma quies, optata veni! nam sic aine vita _ Vivere, quam susve est, sic sine morte mori, ®)

*) Holder Schlaf! wenn auch mir Das ähnliche Wilbniß deb Todes, Sehnlich verlang' ich nach Dir, fei mir ein Lagergenoß!

Unglüdlige Liche. 219

Bartet! rief id. was liegt denn bier auf dem Fußbe⸗ den? Ein Meines Patet. Ih nahm es auf: ein rather Bindfaden ummidelte ein Manufeript; ic erkannte meine eigene Hand, und las: „die Rolle des verlornen Eodnes.” Ich erinnerte mich deutlich, daß ich dies Papier aus der Tafche verloren hatte, als ic) am leßten Abende mit der ſchönen Tabuletfrämerin zu Tiſche fah. Ein freudiger Hoff nungsftrabl ftieg in meiner Seele auf. Ich Höfe zitternd den Bindfaden. O Himmel! eine lange feidene Haarlode, deren Farbe und Weiche id gar zu gut kannte, lag darin, nebft einigen welken Feldblumen, die id) mid wohl erin- nerte, ihr auf dem Spaziergange damals gereicht zu haben. Unter meinem Namen auf dem Zitelblatte ftand mit etwas unfihern, aber doch recht hübſchen Buchſtaben: „Im Leben und Tod Deine Johanna Klein.“ O Gott im Him- mel, welche uͤberirdiſche Seligteit durcftrömte mein ganzes Befen. Bater, rief ih dem verzagten bleichen Küfter zu, der neben mir auf der Bank ſaß, und meine Freude mit Verwunderung anfab; weint nicht mehr, grämt Euch nicht mehr über das allgemeine Unglüd der Menſchen. Es gibt noch glüllihe Seelen unter der Sonne. Mein ſchö- nes, fhühternes Reh if wieder gefunden! Meine Ios banna! jegt weiß ich, wie fie heißt ift wieder da, und hat mir ihre Liebe gefanden.

Das find nichtige Jugendträume! Schaumblafen einer leichtſinnigen Eindildungstraft! ſprach eine fepulfralı

‚Geilige uhe, fo komm’ Erwünfchte, denn füß ohne Leben IR’S ju leben, und auch ſterben it füß ohme Tod. B “ufon,

220 Unglüdlige Liebe.

Stimme. Ich warf erſchtecen den Bid dahin: Ein Mann mit einem Bündel auf dem Nüden, mit greifen, mild um den Kopf fliegenden Haaren und einem Knoten⸗ ſtocke in der Hand, ftand in der Thür. Gram hatte das Geficht fehr verändert, ich erfannte indeg doch den Tabus letträmer wieder. Vater, rief id, und flürzte ihm zu Zügen, feid nicht ferner fo ftreng, trennt nicht zwei liebende Herzen. Wenn id aud nicht reich bin, fo bin id doch jung und rüftig; id babe etwas gelernt, und will Euch belfen, Euer Brod zu verdienen.

Elender Komdbiant! rief der Alte erzärnt, bleibe mir mit Deinen Lamentationen vom Leibe, mir macht Du mit Deinen Poffen nichts weiß, und die, welde Du damit bes tbört Haft, fiehft Du nie nieder, fie liegt unter der ſchwar- zen Erde. Gieb mir das Paket wieder! Ich Habe es in der Kapelle verloren, als ich nad: einem ſchweren Gange bier ausruhete. Cie ift todt? rief ich leichenblaß. Ein Fieber bat fie dahin gerafit, ſprach der Alte, die Folgen einer Erkältung, die fie fih zuzog, weil wir Tag und Nacht auf offenem Wagen über Stock und Etein wegfahren muß« ten, um aus Deinem verführeriihen Dunftkreife zu gelane gen. IA habe fie nicht verführt, rief ich entrüftet, und bin kein Boͤſewicht. Zu Eurem Eidam war id immer gut ge⸗ nug, zum Geliebten des herrlichen Maͤdchens gar zu ſchlecht. darum hat mid der Himmel verworfen. Warum habt Ihr das weiche Herz gleich eine Tiger zerriffen? Es war mein, Ihr Habt es gelefen! Cie hat es geftanden. Aus einem Züänglinge kann alles werden, eine Belt der Möglichkeiten biegt vor ihm offen. Was hattet Ihr dagegen, Ihr Krä« mer, Ihr! nur gewöhnt, Beltverhältniffe mit armſeliger Elle zu meſſen; deſſen Ohr. Groſchen und Kreuzer fo lange hat

Die Grabmäler. 221

Bingen hören, bis es gegen Seufjer und Klagen eines für ben Mädchens völlig taub geworden!

Ach Du ſprichſt nur zu wahr, rief der Alte, plötlich erweicht; ich Hab es mir oft felbft gefagt. Nur ih bin an - ihrem Tode Echuld. Er reichte mir die Hand. Das Liht der Grabeslampe erlofh. ine tiefe Finfternig verbreitete Aid. Wir Heiden Ungläcklichen weinten und feufzten in ihr, wie die Mönde des heiligen Grabes am Charfreitage, wenn fle fi in der Dunkelbeit geißelad ihr Miferere ſin⸗ gen, und Trautmann rief mit ſchrecklichem Hohngelächter: Das it Menſchenglück auf Erden!

Die Grabmäler.

Der beträbte Baier verblich noch den folgenden Tag im Dorfe, und ich wid) nicht von feiner Seite. Liebe Er- innerung an einen dritten Verlornen, verbanden zwei fremde, ganz verfäicdene Menſchen. Es erleichterte den Alten, ſei⸗ nen Schmerz in meinen Bufen auszufhütten, nur war es ihm zuwider, daß ich ihn wiederholt fragte, ob fie mih denn auch wirklich fo fehr geliebt habe? Ja, ja, ja! ſprach er mürriſch, wie oft fol ih es Dir denn fagen, dag fie ih sanz in Dich vergafft hatte, daß fie in ihrer Todesſtunde nur von Dir phantafirte?

Als der Alte weiter pilgerte, folgte ih ihm vier Mei- len wei nad) dem Orte, wo die liebe Johanna geſtorben

222 Die Grapmälern '

mar. Waͤhrend er fih in der Herberge erholte, lief ich zum Gottesader. Biele Gräber waren mit Sand und Blumen geſchmückt, unter ihnen ein Meiner friiher Hügel, ſchon et mas von Neffeln und Unkraut bededt. Auf einem ſchwar⸗ gen Holze ſtand mit ſchlichten Buchftaben: „Iohanna Klein.“ Du weinft, Eherhard, mein Eohn? Du fühlft, was ich bei diefem einfachen Denkmale empfinden mußte? Ja! Ih dachte an die Nacht, wo ih umfränzt von taufend Blu men, ohne ihren Namen zu willen, das Wort „Geliebte“ in den grünen Baum geſchnitten hatte. Hier fand nun der wirkliche Name, auf einem dürren Holze, ohne Blüs then. Auch die fhönfte Blume ſelbſt war verweltt. Ihr begreift, mit welcher Sorgfalt id) das liebe Grab zurecht machte und fhmüdte. Der alte Vater faß daneben und freuete ſich üher meinen Eifer. Mit berzliher Umarmung verlieg er mid, um nad) feiner Vaterftadt Magdeburg zu geben. O gütige Vorfehung! Wie wunderbar find deine Wege, und mie oft zeigft du dem Menſchen -deine Güte da, wo fie Strenge vermuthete! Bäre die holde Ios hanna nad Magdeburg zurüdgekehrt, fo wäre fie ohne Zweifel ein Opfer der gräglihften Verwüſtung geworden. Mit Schmach und Schande bededt, hätte fle ihr junges Leben unter Hentersbänden verblusen müffen. Iept nahm der Allgütige das füge Kind in feinen Himmel, als ihr jun« 908 Herz von einem [hönen Gefühle noch ganz durdzüdt war. Der Tod Hatte für fie nichts ſchrecliches vielmehr etwas Wünſchenswerthes. Sie entſchlief, Feldblumen be» deden jetzt ihren Hügel, jeden Sonntag tönen Glodenge Läute und Orgeltlänge über ihn bin, und der Fromme förcitet an ihm vorbei zum Haufe des Herrn.

Trautmann freute ſich meiner ſchwaͤrmeriſchen Web⸗

J Die Grabmäler.. 223

muth, und es ſchien mitunter, als ob mein Zuſtand das lehte Fünklein Liebeafeuer in feinem ausgeftorbenen Herzen wieder anfadye.

Diefen einzigen Freund follte id nun aud verlieren. Er ging jept wieder alle Abend, wenn er vom Wirths⸗ baufe fam, den Steig mit den Trauerweiden entlang, und phantaſirte in der Einfamteit.. Einſt blieb er au lange aus; er kam die ganze Nadıt nicht. Die. Frau heulte und jam⸗ merte; ich ſuchte ihm vergebens. Am folgenden Tage brach- ten ihn einige Fiſcher; fie hatten feinen Leichnam im Fluſſe gefunden. Es hatte in der Nacht ‚geregnet, das Ufer war lehmicht und ſchlüpfrig. Es mar nicht unmwahrfäeinfid, Trautmann fei unverſehens und wider feinen Willen an eis nem jähen Orte herabgeglitſcht. Freilich fand ich das Volks⸗ lied vom Waſſermanne in feiner Taſche, und ſtecte es heim. lich zu mir. Auch feine Uhr hatte er, gegen feine Gewohn⸗ beit. geftern an dem Nagel bei feinem Bette hängen laflen, und gerade den Tag zuvor hatte er das heilige Abendmahl genoflen. Er erbielt ein criſtliches Begräbnig,. ih fang an feiner Gruft und 'erdte fein Küſteramt. Die böfe Frau, die, als ſie eine Woche lang gebeult und ſich die Haare ausgerifien hatte, wieder zu ſchelten und zu lärmen begann, mußte aus dem Haufe. Sie hatte noch einiges Vermögen, und zog zu der geizigen Muh, der Seifert die Gaͤnſe genommen hatte.

Natürliermweife konnten ſich zwei ſolche Zanthippen nicht in einem Raume vertragen; jebt ‘hatten fie keine Män- ner mehr, über die fie ihren Zorn ausbelfern Tonnten, fie kehrten ſich daher gegen einander, zankıen, ſchlugen ſich täg⸗ lich und wurden zum Kinderfpott. Dan nannte fie: „Done

224 Die Grabmäler mer und Blitz,“ und die Urſache dieſes Spottnamens war feltfam genug.

An einem ſchwulen Sommertage zog ein fuͤrchterliches Gewitter über unfere Gegend, ich babe in Europa fein ähnliches erlebt; denn hier auf meinen Felſenburgiſchen Aliy- pen domnert Jupiter freilich oft in gewaltiger Majetät, wie Ihr Hereits gebört haben werdet. Das Bauernvolt wurde nun, nad) feiner Art, während des Gewittertobens ſehr an dachtig, holte Geſangbücher hervor, und fang unter Don. nerfhlägen Sterbe- und Reuelieder. Zulcht aber, als es zu arg ward, konnte man nicht mehr fingen. In allen Häufern ward es maufeftill, kein Menſch wagte ih hinaus. Ich ſtand am Zenfter und flaunte die erhabene Naturfcene an. Die Donnerfhläge folgten häufig auf einander. In der tiefen Stille der Zwiſchenräume, kam er mir jedoch vor, als hörte id Scheltworte und Weibergekreiſch. Der Regen firömte wie mit Gimern herab, die Goſſe war übergelau- fen, die Straße üͤberſchwemmt. Plöglih gerade als ein entieplicher Blig in einen morſchen Pfabl am Thorwege faylägt, ſtürzen jene zwei Weiber, gleich Zurim, mit zer⸗ zauſtem Haare und blutig gefrapten Gefihtern aus dem Haufe; die Augen funfelten ihnen vor Wuth, die Adern ſchwollen von Zorn, ohne das Gemitter zu achten, verfeßen fie, unter Donner und Blig, ihre Schlägerei, mitten in den Plagregen auf die Gaſſe, und hören nit auf, bevor fie Beide häuptlings in die tieffte Pfüpe gefallen find, aus welcher fie dann hinlaͤnglich abgekühlt, wie ein Paar Waſ⸗- ferragen, ſich beſchämt in ihre Löcher zurüd ſchleichen.

Ich habe indeß noch einen Bug zu erzählen, in welchem Ad) der Charakter der Küfterin ausfpriht. Ic lich es mir angelegen fein, das Grab ihres feligen Mannes immer ſau-

Dis Brahmäler. 25

ber zu erhalten; wie ich dann auch monatlich eine Mal: fahrt früh Morgens nah der Ruheſtaͤtte meiner Johann« unfernapm. Einft, als ich bei Trautmauns Grab heichäf- tiget war, Ram ein Wagen mit vier Pferden laugſam ger fahren. Es wunderte mic, daß die vier Pferde den Mar gen fo verdroſſen fchleppten, denn er ſchien im der Ferne ziemlich Teer; als er aber näher Bam, kntdeckte ich einen ‚großen vieredigen Stein im Wagen. Der Kutſcher fahr auf den Kirchhof; ein Maurergeſell folgte ihm. Ws fie mich fahen, grüßten fie mich, und frugen nach des Küſter Traut- mauns Grabe. Das hab’ ich hier eben in Ordnung ges bracht, ſprach sch, und zeigte ihnen Die Rosmarinen, die ich darauf gepflanzt hatte. Gi, lieber Herr, ſprach der May- ver, fo thut es mir leid, daß ich Eure Arbeit flören, und Eure Pflanzungen vernichten muß, denn hier bring’ ich eben einen ſchönen Grabftein, den eine Freundin des feli- gen Mannes auf ihre Koften beftelt Hat, und mit Erlaub: niß der Obrigkeit, über feinem Grabe errichten Laffen will. Dann zieh’ ic) mich gern zurüd, erwieberte ich. Meine Kräuter blühen nur kurze Zeit; ein folder Stein Bann län- ger aushalten. Die Arbeit war bald gethan, und jetzt hielt eine Kutfche vor dem Kirchhofe, aus der eine ſehr blaſſe Dame zitternd herausſtieg; fie Hatte noch ſchoͤne Gefichtszüge, und war, wohl einfach), dennoch geſchmackvoll in weißes Zeug gekleidet. Sie nahete ſich dem Grabe, ſtarrte auf die Inſchrift, trocknete fih) die Augen mit dem Schnupftuche, drauf frug fie mich: Seid Ihr jet der Küfter hier, lieber Her? Ja, war meine Antwort. So bitte ic Euch, fahr fie fort, indem fie miv einen Geldbeutel in die Hand drüden wollte, für dieſes Grab einige Sorge zu fragen.

Nicht nöthig, meine liebe Dame, antworsete ich, das thue Dehenf. Schriften. XV. {13

226 Die Grabmäter.

ich geru unentgelblich, denn der Verftorbene war mein fehr guter Freund. Erlaubt mir aber eine Frage: ift Euer Taufname nicht Siegfride? Ja, rief fie ſchnell in Thraͤ⸗ nen ausbrechend, meine Hand brücend und wieber zur Kuf- ſche hineitend. Ich bückte mid) demüthig vor ihr, und fie rief aus dem Wagen: Verzeiht, lieber Herr, daß id Euch Geld geben wollte! Wart Ihr fein Freund, und habt Ihr ihm feine legten bittern Tage verfüßt, fo fegn’ Euch Gott dafür. Drauf rollte ber Wagen fort; bie Arbeiter verlie- Fen mich und ic) fand allein nor dem Grabfteine.

Trautmanns Name, nebft feinem Geburts: und Tor destage, war fehr zierlich in den Stein gehauen. Drauf fah man den Tod künſtlich abgebildet mit Stundenglas und Hippe, und unten folgende Zeilen:

36 bin nicht (hd, bin Dürr und hart, Drum Hilft fein Wiverfreben.

Ausbtaf ich Euch das irdiche Licht; Allein den @eift vertilg ich nicht,

Gott ſchentt Cuch eiw'gen Lehen.

Ad) Hanna, rief Eberhard der Freundin zu, die auch immer bei den Erzäpfungen des Großvaters zugegen war, der legte Vers des Todestanzes. Erinnerft Du Dich noch in Leipzig? Hanna nickte und fhüttelte zugleich den Kopf, damit er nicht den Greis zu lange unterbreche, und der alte Albert Julius fuhr in feiner Erzählung fort.

Alle Leute im Dorfe waren über diefen Grabftein er- freut, denn fie haften den guten Trautmann alle geliebt; drüben aber bei den Kanthippen tobte wieder den ganzen folgenden Tag Douner uud Blitz, denn die Wirthin freuete fih, daf man ihrem Neffen eine Ehre nach feinem Zode

Die Grabmäler. 27

erzeigt habe; die lacherlichſte Eiferſucht fing aber an, bie Galle der Küfterin aufs Neue zu erregen, weil ihr, wie fle fagte, die unverfchämte Mepe, die ihr Mann geliebt, dies fen Streich gefpielt habe.

Als ich am folgenden Abend ziemlich fpät, es war bei⸗ nahe Mitternacht, zufällig an der Kirche vorbeiging, warb ich gewahr, ‚daß oben im Kirchenthurme ein Fenfter aufges fprungen fei, und vom Winde hin und her getrieben werde. Ich wollte nicht, daß die Scheiben zerfchlagen würden, da ich num den Schlüffel bei mir Hatte, und mich eben nicht vor Gefpenftern fürdytete, ging ich in Gottes Namen hin⸗ auf, das Fenfter zu fchließen.

Kaum ftehe ich droben, fo fehe ich, daß die Muhme des feligen Trautmanns ſich mit einem großne Eimer Waſ fer eilig auf dem Kirchhof ſchleicht und fich in dem Gebein⸗ hauſe unmeit des Grabes verbirgt. Ich deuke: Mein Got, was hat die Frau vor? Mein Erſtaunen wird aber noch größer, als die Küfterin gleich darauf, mit fliegenden Haaren, gleich einer Eumenide, und in der Hand ein gro« Bes Schlaͤchterbeil, hereinftürzt. Die wunderlichften Phans tafien fpielten bei diefen Erfcheinungen in meinem Kopfe. Bald Löfte ſich aber das Näthfel. Die Küfterin eifte mit dem Beile zu dem Grabfteine, die Muhme folgte ihr heim · lich und ſchnell mit dem gefüllten Waffereimer. Kaum war Erſtere beim Ziele, fo vief fie: Jeht, gnädige Frau, werde ic) Deine Müpe vernichten! Wagft Du es noch, mit meis nem Manne nad feinem Tode vor meinen Augen fchön zu thun? Und jest fing fie an aus allen Kräften den Grabs flein mit dem Beile zu bearbeiten. Eine Ede hatte fie auch fchon abgefchlagen, als die Muhme ihr den Waſſerei⸗ mer mit den Worten: Unverfchämte! wagft Du es, Dich

15*

28 Die Grabmäler.

nach an den Zadfen zu vergreifen, und das Heiligthum mit frechen Händen anzutaſten? über.den Kopf goß.

Furchterlich, wie ein cimbrifches Heidenweib, das den Kupferkeffel mit dem Blute des Geopferten gefühlt hat, und ſich jeht vafend an den Pferdeſchweif Hängen will, weil die Schlacht perioven iſt dehrte die Küſterin fich mit der im Mondſcheine bliukenden Art gegen die Muhme. Zwei fürch⸗ texfiche Schläge hörte ich den Eimer mit hohlem Getöſe abwehren; ich wagte nicht, den dritten abzuwarten und rief oben aus dem Kicchenfenfter mit hohler Stimme herab: Gottloſe Weiber! yerfündige Euch wicht! Fliehet dieſen hei⸗ ligen Ort.

Mein Geacht im Hafen. Mondlichte am Beinen Kir henfener entdedien, Art und Eimer fallen laſſen, und ge- meinſchaftlich zu entllichen, war das Werk eines Augenblicks fie Beide,

Adam Orhlenfchläger's Be rt ee

3um zweiten Male gefammelt, vermehrt und verbeffert.

Siebzehntes Bänden. "

3 J Breslau, im Verlage bei Jofef Mar und Komp.

1839

28 Die Grabmäler.

nach an den Todten zu vergeeifen, und das Heiligthum mit frechen Händen angutaften? üher den Kopf goß.

Furch terlich, wie ein cimbrifches Heidenweib, Das den Kupferkeſſel mit dem Blute des Geopferten gefühlt hat, und ſich seht raſend an den Pferdeſchweif hängen will, weil die Schlacht perloren iſt Behrte die Küſterin lich mit der im Mondſcheine bliukenden Art gegen die Muhme. Zwei fürch- tertiche Schläge hörte ich den Eimer mit hohlem Getöſe abwehren; ich wagte nicht, den dritten abzuwarten und rief oben and dem Kiccenfenfter mit hohler Stimme herab: Gottiofe Weiber! werfündige Euch wicht! Fliehet dieſen hei⸗ ligen Ort.

Mein Seht im blafien. Mondlichte am Heinen Kir- chenfenſter entdedten, Art und @imer fallen laſſen, und ge: meinſchaftlich zu entfliehen, war dad Werk eines Augenblicks für Weide.

Adam Orhlenfchläger's Bert e

3um zweiten Male geſammelt, vermehrt und verbeffert.

Siebzehntes Bänden.

u rl .

JBreslau, im Berlage bei Joſef Mar und Komp.

183®

Adam Oehlenfchlägers Er—züählende Dichtungen.

Drittes Bändchen.

Die Infein im Südmeere. Dritter Theil.

Breslau, im Verlage bei Joſef Mar und Komp.

18398.

Die

Snfeln im Südmeere

Ein Roman

Dritter Theil.

1. Der Rittmeiſter.

Munerweile müthete der Krieg mit allen feinen Gräueln, und Sachſen war noch das einzige Land, das verfhont ger blieben war.

Jetzt ſollte es au über uns hergeben. Als Tilly ſich in dem ausgefogenen Niederſachſen nicht länger halten konnte, und der Kurfürft ſich fträubte, vom Leipziger Bunde abzutreten, rüdte zener weiter vor, und nahm Eisleben, Merfehurg, Naumburg. Zeiz und mehrere Orte in Befiß.

Die Gemeinden verfammelten ſich taͤglich mit Inbrunft in den Kirhen, die Glocken läuteten, die Orgeln Mangen und alle Tage ward das göttlihe Streit- und Zroftlied: „Eine feſte Burg ift unfer Gott!” gefungen. Eines Tages, als wir zu den Worten:

n Das Wort fie ſollen laſſen fan, Und feinen Dank dazu haben.“

19 Der Rittmeifter,

getommen waren, ward die Kirchthüre plöblih aufgeriſſen. Ein ftaubiger Kourier in kurſaͤchſiſcher Montur, mit Stie feln, die bis Über die Knice gingen, tritt herein. Die Dr« gel ſchweigt. der Gefang verftummt; er eilt hin zum Altare, ſchwenkt drei Mal feinen Hut und ruft: „Freut Eud), lier ben Brüder and Chriften! Die Lutheraner haben gefiegt, die Schlacht bei Leipzig ift gewonnen. Ciebentaufend Kair ſerliche liegen auf dem Schlachtfelde. Tilly iſt entflohen! Der lange Trip bat ihm mit dem umgekehrten Piftol in den Rüden und auf den Hinterkopf geflagen. Der Sieg iſt unfer. Guftav Adolf und fein ganzes Heer baben dem allmaͤchtigen Gott auf ihren Knieen gedantt!“

Da lieg id) wieder die Orgel mit allen ihren Flöten und Stimmen erklingen, und mit hohen Freudenthränen fegten wir alle das Lied fort:

Sr iR mit und wohl auf dem Plan, Wit feinen guten Gaben.

Nehmen fie und den Leib,

Gut, Ehre, Kind und Weib,

fahren dahin!

Es Haben tein'n Gewian.

Das Weich muß und doch Dieiben.

Drei Boden nad) diefem Siegesfeſte, als ic fhät Abends in die Fräuleinfapelle trat, um Del in die Lampe zu gießen, begegnete mir ein munderliher Vorfall. Im Dämmerlichte ward id nämlich auf der Bank eine Men» ſchengeſtalt, gehült in einen ſchwarzen Mantel und mit eis ner Klappmüge auf dem Kopfe, die dem verftorbenen Traute

Der Rittmeifter. 11

mann ſehr aͤhnlich ſah, gewahr. Die Erſcheinung ſchien mich nicht zu bemerken, ſaß in tiefen Gedanken, und macte eben ſolche Kopf⸗ und Armbewegungen, mie der ſelige gü⸗ fer, wenn er ſich allein glaubte, und ſich feinen Gefühlen und Borftellungen überließ. Ic trat einen Schritt zuräd, und das Blut erftarrte mir in den Adern. Albert. ſprach es leiſe (und jeht erfannte id deutlih Trautmann’s Stimme) fürchteſt Du Dich vor einem alten Bekannten? Ale guten Geifter loben Gott den Herrn! ſprach id, Muth faffend. Bravo, Albert, rief jeßt Seifert lachend, den Mantel abwerfend, hätt? ich dod nicht geglaubt, daß Du fo viel Courage beſaͤßeſt Mein Entfegen verwan⸗ delte fid in Freude, allein mein Staunen hatte nicht auf- gehört: Denn im lichtgelben Lederkollet mit polirtem Brufte harniſch, hohen Stiefeln, klingenden Sporen, einem großen Sdlachtſchwerte an der Eeite, ftand mein fabrender Mite fhüler da, als ſchwediſcher Offizier, und fein befiederter Helm Tag neben ihm auf der Bank. Jetzt umarme mid! ſprach er, und dann will ih Dir nicht erzählen, wie ich ſchwediſcher Rittmeifter geworden, denn das begreift fich leicht. Wenn es in der Welt Ernft wird, befommen die Kinder der Vornehmen, die Lieblinge der Prinzen und Mi⸗ nifter, wenig Einfluß. Im unfern Tagen wirft Du felten einen Feldoberſten treffen, der in feiner Jugend nicht die Mustete getragen. Selbſt bei den Kaiferlihen und Katho- liſchen, die doch die befteu Ariftofraten find, ift dies der Tal: Tilly und Wallenftein maren Anfangs ſchlichte Edels leute ohne Vermögen; Dampier und Bucaoy ebenfalls. Johann von Werth ein Bauer; General Bed ein Schäfer; Stablhantſch ein Bediente; der Feldmarſchall Aldringer ein Kammerdiener. .

12 _ Der Rittmeifter.

Er pfiff, ein großer, blonder, ſchwediſcher Dragoner trat herein, legte eine faubere, damaftene Serviette über den bekannten Sarg, feßte eine Bouteille Wein und zwei grüne Gläfer darauf, und entfernte ſich ſchnell wieder. Das felige Fräulein, ſprach Seifert, wird es einem reifen den Soldaten, der weder Heimat noch Obdach hat, ver» geben, daß er es fid noch immer in ihrer Nähe kommode macht. Drauf goß er die Glaͤſer voll Rheinwein, ftieg mit mir an und rief: der große Guftav Adolf foll Ieben! Ia, Albert, mein Ideal fputt nicht mehr in meinem Gebirn- kaften. Alles, was Odem hat, das will fagen: was Geift befißt, muß ihm dienen. Er Ieerte fein Glas und fubr fort: Was hat nicht Guſtav alles gethan! Ein beflerer Menſch atmet auf Erden nicht, und in der Kriegswiſſen⸗ ſchaft hat er es weiter gebradt, als je ein Sterblider vor ihm. Guftav Molf fol leben, aud wenn er römifher Kaifer fein will,

Ich wunderfe mid) nicht wenig über die Veränderung, die mit Seifert vorgegangen war. Sehr Vieles erzählte er mir und ſchloß mit den Morten: Jetzt will ih auch Dein Glück machen. Zum Soldaten bift Du nun einmal verdorben, allein bei uns adıtet man den Lehrftand, wie den Wehrftand. IA habe oft Über Deine Verwandtſchaft mit Luther gefpoftet, jept fol fie Did aus dem Staube erheben. Der König ift ein eifriger Lutheraner, und wird gewiß für Dein Glüf forgen, wenn er bört, dag Du vom grogen Martin abftammft, wenn auch nur von einer Seis tenlinie. Und jegt gute Nacht! Mein Pferd wichert auf dem Kirchhofe in der falten Zuft: ih muß fort: Bir kam⸗ piren drei Meilen von bier auf dem Nachbarſchloſſez der König und alle feine Generäle find da einquartirt. Beſuche

ji Der Rittmeifter. 13

mid) übermorgen, dann will ih Dich einer Majeftät vor- ftellen. Mit diefen Worten umarmte er mid und ſchwang ſich auf fein ſchönes Nö. Der Dragoner folgte ihm auf einem ähnlihen; und wie zwei Ritterfhatten der Vorzeit flogen fie Über den Kirhof durd den Mondſchein, mit wmehenden Helmbüfden, und verfhmanden in der Ferne.

Nie hab’ ic) meinen alten, ſchwarzen Rock forgfältiger gebürftet, als an jenem Morgen, da ih meine Wanderung nad) dem Schloffe anzutreten hatte, um dem großen Guſtav vorgeftellt zu werden.

Eine Viertelmeile vom Schloſſe traf ih Soldaten, in Häufern und Zelten. Sie waren gut gefleidet, und ver bielten fi ruhig. Ich dachte, mid, als einen armen Kü« fter, würden fie zum Beten haben, da id) aber dem vor nehmften Offiziere meinen Schein. vorgezeigt hatte, erwies er mir, als einem Geiftlihen, Achtung, und fagte mir, mo ich den Nittmeifter Seifert treffen könne; er wohne in der Nuübe des Schloſſes.

Seifert, hoffte ih, werde mir mit offenen Armen ente

gegen eilen; fein Befiht mar aber mit Wolfen überzogen. Als ex mich ſah, ward er noch verdrießliher, und ging mir mit den Worten entgegen: Guten Tag, lieber Albert! Bar es heute, daß Du kommen follten? Meint’ ich doc, id) Hätte Dich erft auf morgen bieher beſtellt. Doc auch

gut, verſeßte er freundfih, meine Hand drüdend; morgen.

hättet Du mich vieleicht nicht angetroffen.

Bas giebt es, Eeifers? rief ich erſtaunt, ift ein Unglück geſchehen? Bift Du in Ungnade gefallen? Umgefehrt, er- wiederte er; der König bat mir eine große Gnade, eine befondere Auszeichnung erwiefem Er verſchloß die Tpür, und als wit allein waren, ſprach er leife: Jeder Menſch

14 Der Rittmeifer.

bat feinen Wurm, und ein großer König iſt auch Menſch. Guſtav hat den Zweifampf verboten, und bei Todesftrafe verpönt. Ih wollte fprehen, Seifert rief: Schweige Mi, Albert, ih weiß f&on, was Du fagen willſt; als Kür fter Hal Du es mit dem Könige, magft auch den Zwei⸗ kampf wicht, und finde, dag er Recht habe. So künnen König und Küfter denken, denn der Küfter nimmt es mit dem point d’homnenr nicht ſo genau, und der König kann auf ſolche Weife nicht beleidigt werden. Dem fei jedod, wie ihm wolle, der König bat diesmal eine Ausnahme ge» macht, und mit dem Hauptmann Soon ein Duell auf Le⸗ ben und Tod erlaubt; nur foll der Kampf im Ritterſaale vor aller Welt Augen Statt finden, und der König will ſelbſt mit allen feinen Feldoberſten zugegen fein. Auf die Gallerie kommen aber auch Bürgersleute und dort werde ich Dir gleidy einen guten Platz verfhafen. Nimm es nicht übel, da ich dem Könige noch nichts von Dir gefagt habe; ich batte in diefen Tagen vollauf mit meinen eignen An- gelegenheiten zu thun. Sieg ich, fo ift es ja immer Zeit, au ſprechen; ſollte id) den Kürzern ziehen, fo wirt Du leicht als Luthers Enkel (er laͤchelte ein wenig, dann drädte er wieder ernft weine Hand und fagte) nein, wahr- lid, jept ſpatze ich wicht; als Luthers Entel wirſt Du dem Könige merkwürdig werden, und er wird für Did forgen. . Er rief einen alten fähfiihen Unteroffizier und fagte ibm: Du, Görge, wirft mit diefem Manne auf die Galerie sehen; forge dafür, daß er einen guten Plaß bekomme, wo er alles fehen Tann, und daß er nicht gedrüdt werde. Jeßt muß ich mid anziehen und ein wenig berauspupen., denn mir haben vornehme Zuſchauer. Aber fage mir dad, Du wunderbarer Mann, rief ich,

Der Rittmeifter. 15

der Du zu einem Zweitampfe auf Lehen und Tod, luſtig und eitel, wie zum ESchauſpiele, läufft; was habt Ihr denn einander gethan? Worin befteht die große Beleidigung? Er Hat mid) einen Wind bentel geſcholten, rief Seifert, und id) habe ihn wieder einen groben Ochſen gebeißen. Jetzt wollen wir doch fehen, ob der Ochſe den Wind auf die Hörner nehmen, oder der Wind den Ochſen umblafen werde. Mit diefen Worten verließ er mid, um feine Toilette zu machen.

Ich fand, wie verfteinert. Der alte Unteroffizier (ah mid bedenllich an, nahm ſich eine Prife und ſprach troden: Das tam er wodl nicht begreifen, Schufmeifter? IR es mir faf felber au hoch, Der ich doc ein Unteroffizier bin. Sag’ Er mit, als ein gelchtter Mann, weher Löumt 26, dah das Kind fo felten bei'm rechten Namen genannt fein will? Ich kenne mm meinen Herrn. feit einem Jahre; ih babe ibn in der Schlacht fechten fehen, und Gott foll mid ſtrafen, wenn er nicht feinen Degen eben fo gut braucht, als das Maul. Und das ift viel gefagt! Denn freilich, Berftand und Kenntwiffe hat er, etwas windbeutlicher Na- tur it er aber au, das laſſe ich mir nicht ausreden. Und der Rittmeiner Soon ift freilich ein braver Held, der ſo⸗ gar dem Künige einmal das Beben gerettet hat; er iſt aber grob, wie Bohnenſtrohl Wie hat es ihn man fo fehr ver- drießen können, ein grober Ochſe genannt zu werden?

16 Der Zweitampf.

2. Der Zweikampf.

Ich ging mit dem alten Unteroffiziere auf die Galerie. Es waren fon viele Leute zugegen. Die königliche Garde, in lichtblauen Rocken mit ftäplernen Brufipanzern, befieder- ten Helmen und langen, gelben Klapphandſchuhen, hatte ſchon in zwei Reiben den Saal befeßt, und ihre blanken ‚Hellebarden funfelten auf hoben, ſchwarzen Lanzen.

Iept füllte fih der Saal nach und nad mit Offizieren; Hlöglich verftummte das Gerãuſch ein ehrfurchtsvolles Schweis gen verbreitete fih, Die Flügelthüren wurden eröffnet, und das Herz tlopfte mir, weil ich jeßt zum erften Male den großen König ſehen follte. Gin langer, bagerer Herr, aber Mark von Gliedmagen, mit einer Habihtsnafe, hoher Stirn und buſchichten Augenbrauen trat herein. In feinem Antlig war große Kraft mit Sreundlicfeit verbunden. Er grüßte hoͤflich zu beiden Seiten, drauf ging er zu einem für ihn beftinnmten Plag, wo er mit verfhränften Armen fand, auf den Boden fah, und am der ganzen Sache keinen Antheil au nehmen ſchien. Wer ift der vornehme Herr? frug ic, das kann dod nicht der König fein; der König, bab' ich gehört, fei ein korbulenter, jonialifher Mann.

Das ift des Königs rechter Arm, ſprach der alte Goͤrge; der trefilihe Buftav Horn, der in der Leipziger Schlacht dem Tilly gegenüber ſtand. Er ift ein chen fo edeldenken⸗ der Mann, als ein ſchreclicher Streiter. Eine Stadt, (wie bieg fie doch?) folte geplündert werden, weil der Romman-

Der Zweitampf. 17

dant gegen den General ein grober Flegel geweſen. Da kamen die fhönften Maͤdchen heraus, ergriffen die Steig. dügel des Generals, marfen ſich auf die Kniee, weinten und flehten, daß er ihre Ehre und das Leben iprer Anver- wandten fhonen folle. Sagt jenem Dummtopfe von Kom» mandanten, ſprach der wadere Horn. daß ih Eure Tprä- nen eben fo febr ehre. als ich fein Schwert verachte. Und die Stedt war gerettet. Barum ift er denn jeht fo beträbt? frug ih. Er hat neulich feine vortreffliche Ge⸗ mahlin und zwei allerliebfte Kinder an einer anftedenden Krankheit verloren, war die Antwort. Doc feht da, dm Drenftiern, den Reichskanzler, der eben angefommen if. Beld ein ſtattlicher Herr. Habt Ihr ein offeneres Geſicht gefehen! Gerade das, mas die Italiener ein viso scioko nennen? Kein Kardinal Richelieu! Kein Machiavel! Und doch klug, wie der Teufel. Da ficht man, ehrliche Leute können auch Verſtand haben. Seht da, den jungen Hau- Degen, der bereineilt mit dem Helm unter dem Arm, weil es ihm zu beiß it! Der da, mit den halb Über die Stirn herunter gefämmten Haaren, wie es mehrere junge Leute jept pflegen, ſtatt fi, wie der König und der Heihstanz- fer, die Haare auf Löwenart binaufzubürften. Kennt Ihr ihn? Ad, rief ih, das ift ja mein gnädigfter Fürſt. der Prinz Bernhard von Weimar! Ja, das wird mal der zweite Guſtav Mdolf, ſprach der afte Unteroffizier Ber ift denn der ernfte Seldoberft, der jetzt hereintritt und von allen fo freundlich begrügt wird? Ja feht mal, Squlmeiſter, ſprach Görge, das ift nun eben das Schöne beim Kriege, daß ſich Berdienfte ſelbſt hervorthun können. Das ift der Oberfte Stablhantſch. ein Biständer Im ſei⸗ Deslenf. Schriften. xvii.

18 Der Zweikampf.

ner Iugend war er gemeiner Bediente, jebt ift er des Her⸗ 3096 Bernhard Kamerad.

Iept hörten wir draußen im Hofe Pferdegetrappel und Vwatrufen. Ich brauchte mid nur umzufehren, fo fonnte ich aud) den ganzen Hof überbliden; denn wir haften das Fenſter im Nüden. Da mar ein erſtaunliches "Gedränge von Menſchen. Soldaten machten aber nicht Plab; vie Leute wichen felbft chrerbietig zurüd. Ich fah einen großen Mann in neuem Anzuge von grauem Tuhe: er hatte eine grüne Feder am Hute, und rift einen fchänen Flügelfhim- mel. Görge brauchte mir nicht zu fagen, daß es der König fei. Seht mal, wie langſam er durch den Hof reitet, er fürchtet, etwa einen der Meinen Knaben mit dem Pferde zu befhädigen, und Hält die Hand über die Augen, denn er iſt etwas kurzſichtig. Der König iſt ſehr einfach ge» leidet, bemerkte ich; nur fein Pferd ift ausgezeichnet fhön. Das ift feine Liebhaberei, ſprach der Alte. Und mer, fragte ich, iſt der breitfcpultrige Held mit dem friſchen, braunen Gefihte, und der junge), fÄhmarzgefeidete Menſch im Studentenkragen? Er ſcheint noch kaum fiebzchn Jahre alt zu fein. Der ftarke Mann, erwiederte Börge, ift der trefflihe Banner, eine lebendige Standarte im wildelten Scälatgewühle. Der Jüngling, raunte er mir in's Obr, iſt des Königs natürlicher Sohn, Guſtav Guſtavſon, den er mit Margaretha Kabiliau vor feiner Ehe gezeugt bat. Schade, daß der Junge nicht Kronprinz von Schweden ift; denn er hat vieles von des Vaters Ingenium geerbt. Er wird gewiß ein treffliher General. Fürs Erfte fol er nod, wie man fagt, feine Studien in Wittenberg fortfeßen.

Iept faß der König im Saale auf einem etwas erhoͤhe ten Sig, fein Reichskanzler und feine Seldoberften um ihn

Der Sweifampf. 19

ber. Der Iufige, fhöne Marſch der den König empfangen hatte, verftummte, und auf feinen Wink begannen die Haut beiften jegt einen Todtenmarſch, der gewöhnlich geblafen ward, menn ein Offizier eines groben Subordinationsfehe les wegen erſchoſſen werden follte. Während des Marſches murden zwei ſchwarze Sarge von Soldaten hereingefragen, und ihnen folgte ein großer, düftrer Mann, mit entblößtem Haupte und gemeinem Gefihte Unter feinem rothen Man- tel ragte ein fehr blanfes, breites Schwert halb hervor, das beinahe mehr Achnlichteit mit einem chirurgiſchen In ftrumente, als mit einer Waffe hatte. Bas ift das? frug ich meinen alten Gefellfyafter, der bis jet fo guten Beſcheid von allem wußte. Eben fo neugierig, als id, ant- wortete er aber, ohne die Yugen von diefer fonderbaren Erfdeinung zu verwenden: Das find zwei Särge und der Mann im rothen Mantel mit dem Schwerte ift der Kriege profoß, der Scharfrichter.

Als die Särge jeder in eine Ede geftellt waren, und der Nachrichter in den Hintergrund zurück gefreten war, ſchwieg die Mufit und der König ſprach obngefähr Fol- gendes:

Liehe Herrn und Freunde!

Es ift jedem von Euch bekannt, dag ich nach reiflicher Ueberlegung mit meinen treuen Rüthen und Zeldoberften ſchon feit Jahren in meinem Heere den Iweifampf verboten und bei Todesftrafe verpänt habe. Das Duell war in der Heldenzeit nothwendig, als noch fein Geſetz den Einzelnen fügte. Nachher haben die Nitter in ſchwaͤrmeriſcher Lie bensmwürdigteit diefes, wie fo vieles andere, übertrieben. Bir ſollen aber ihre Uehertreibungen nicht nachahmen!

Und doch fehen mir heute, daß zwei wadre, ehrenwerthe

2

20 Der Zweitampf.

‚Helden fid) zu einer ſolchen Thorheit verleiten laſſen, und vielleicht fogar wähnen, Bemunderung zu erregen, weil fie auf den erſten Wink glei) zum Gurgelabſchneiden bereit Aindt j

Nun Lönnte ih Euch freilich wantelmüthig erſcheinen, meine Herren, weil ich den Zweitampf im Allgemeinen ver- biete, und ihn dann zweien meiner Offiziere in meiner ei» genen Gegenwart erlaube. Hier aber ift ein ganz befondes rer Fall, wie Ihr hören werdet. Zwei Gelübde binden mid) und widerſprechen ſich wechſelſeitig. Um bei diefem fonderbaren Verhältniffe Zeugen zu fein, und es richtig bes urtheilen zu fönnen, hab’ ih Eud Alle hierher eingeladen, damit Ihr mic) beftens entſchuldiget. Die beiden Nittmeis ter Soop und Seifert wollen durchaus einander den Hals brechen. Ihr kennt fie beide als ehrenwerthe Männer. Coop bat fidy ſchon lange als Held bewieſen, er hat mir im pols nifhen Kriege das Leben gerettet, als Eirot mitten im Ger megel meinen Hut erbeutete; welcher gottlofe ketzeriſche Hut, wie man fagt, von den Oeſterreichern nach Loretto geſchickt iſt um den Altar der heiligen Jungfrau zu (hmüden. Da⸗ mals flug id Soop zum Nitter und gewährte ihm, im Vertrauen auf feine Beſcheidenbeit, eine freie Bitte Bis jegt bat er nichts von mir verlangt. Geftern aber hat er mic) erſucht, ſich mit dem Nittmeifter Seifert ſchlagen zu dürfen. Seifert, der auf deutſchen Univerfitäten feinen Hel- denmuth gelernt hat, bemeift mir mit vielen lateinifchen und griechiſchen Broden, dag ic ihm Billigerweife feinen Wunſch nicht abſchlagen könne.

Bas bleibt mir num zu thun übrig? Mein Wort an Soop: ihm eine freie Bitte zu gewähren, kann ich wicht brechen; mein Gefeg kann id) feinetwegen nicht umfoßen.

Der Zweitampf. 21

Durch Ueberredungen und Gründe der Vernunft laſſen ſich die Gegner nicht befänftigen. Glüͤcklicherweiſe habe ih in⸗ deß einen Ausweg gefunden. Cie wollen durchaus ihre Tapferfeit gegen einander verſuchen, fie wollen durchaus einander vernichten. Sei dem alfol Ihre Wünſche follen ihnen beiden gewährt werten. Dann hat keiner ſich zu bes Hagen. Ich will ſelbſt Augenzeuge ihrer außerordentlihen Tapferkeit und Unerfhrodenpeit fein. Wohlan, meine Her ren, jeßt fechtet, bis der eine bleibt! Ich babe den Kriegs» profoß bierher beftellt: in dem Augenblide, da der eine todt Tiegt, ſchlage der Scharfrichter vor meinen Augen dem Andern den Kopf vom Rumpfe! So wird jedem fein Wunſch gewährt, ic) Halte mein Wort und das Gefeg wird nicht Ühertreten.

Hier ſchwieg der König; der Trauermarſch ward wie der geblafen; die Särge wurden näber gebract. der Scharf richter trat hervor und entblößte fein gräßlihes Schwert.

In diefem Augenblide fab ich die beiden Zeinde ſich dem Könige zu Füßen werfen und um Gnade bitten.

Mid habt Ihr um nichts zu bittten, ſprach der Ads nig, als Ales wieder ruhig war, denn wenn Ihr nicht kämpft, hat der Scharfrichter hier nichts zu thun. (Er gab einen Wink und der Büttel entfernte fih ſchnell durch eine Hinterthüre) Wollt Ihr aber vor diefer ehrenvollen Ver⸗ fammlung Eure Achtung als Chriften wieder gewinnen, fo vergeßt allen Groll und umarmt Euch als Freunde. Die zwei Feinde lagen einander in den Armen.

22 Bstäd.

3. sıäd

Nach diefem Auftritte ging ich Seiferts Wohnung wies der zu. Lachend und keck kam er mir entgegen, reichte mir froh die Hand und rief: Nun, nicht wahr, Albert? Das mar eine ſchoͤne moralifhe Komödie? Noch beffer ale das Narrenfhneiden beim Ritter Rnaufdegen? Alles das hab’ id) nun fo eingerichtet, mein Kind, um Dir ein Bergnügen zu maden; damit Du auf einmal einen Ucherblid des Gan⸗ zen befommen mögen. Hat der König nicht fehr gut ges ſpielt? Das ift wirklich unfer alerbefter Aeteur, Er hat nicht gefpielt, Seifert! rief id ernft; er war die Wahrheit ſelbſt. Nun ja, fuhr der Andere ruhig fort: das mein ich ja eben! Ein gutes Spiel kann nie ohne innere Wahre beit fein. Befonders war der Einfall mit dem Scharfrich- ter allerliebſt. Das würde ihm kein anderer fo leicht nach- gemacht haben; zu fo etwas muß man geboren fein.

Und nun, mein Kind, ſprach er, meine Hand freund» Kid ſchüttelnd, bleibſt Du bei mir; ic babe ein kleines Abendmahl beftellt, wo der Ochs und der Windbeutel wie der Brüderfhaft trinten werden. Willſt Du auch etwas Gutes thun, fo made uns ein Lied darauf, Du fannft ja reimen! Laß cs aber um Gotteswillen luſtig fein, damit Wein und Freundſchaft beſſer hinuntergleiten, und nicht wie Moral und Staub in der Kehle ſtecken bleiben.

Ich lieg mir das nicht erft wiederholen; er ſchloß mich ein, nachdem er mir Papier, Feder und Dinte gegeben hatte

Stäüd. 23

und id mathte folgendes Lied, das die Herren Dffiziere am Abend mit vieler Freude und unter hohem Gelädter zus fammen fangen, nachdem fon der Wein das Befte gethan.

Der Ochs und der Bind.

- Der Ochs iſt ia ein edled hier, Wir haben felber einen hier,

Mit ſtarker, breiter Stirne,

Der nicht den Feind mit Hörnern flöpt; Weit mehr: mit dem Gehirne!

Der Bind iſt auch ein gutes Ding, Zwar iſt der Wind ein Sonderling, Der wüthen kann und foren,

Bald ſchnaudt er in Gibiriend Schnee, Bald fpielt er in den Rofen,

Der Ochs, der Wind nicht konnen fich AS Feinde fehlagen ritterlich, Bean fie fich auch gefunden; Denn flogen Hörner in den Bind, Was konnen fie vermunden?

And HIÄft der Wind den Ochfen an, Es nicht dem Starten ſchaden Tann, E wird fein Haar ihm rupfen, Der Ochs trägt einen guten Yeh, Bekommt fo leicht nicht Schnupfen.

Doch beide find des Bauers Heil, Wird gutes Better ihm zu Theil,

2 sıäüd.

Dann können Araͤuter (priehen: Dann graft Der Dchs im fetten Aler, In Hohen Blumenwieſen.

Drum Sind und Dehſe laf't den Streit Und feid allein zur That bereit, Den Bauer zu beglüden. Und will der Froſch ein Ochfe fein, Ylag' er voll Wind in Stüden!

Das Lied gefiel; es verbreitete ſich Schnell im Lager, und fam aud dem Könige zu Geſicht. Schon am dritten Tage ließ er mi) rufen. Mir war ganz elend zu Muthe, und ich wußte in meiner Verlegenheit weder aus noch ein. Ich frug Seiferten, ob er mir nicht einen ſchiclichern Ans zug verſchaffen könne? Gr ſprach aber: Albert, das vers ſtehſt Du nun wieder nicht. Ehen in diefem abgetragenen, armfeligen Küfterrode mußt Du vor dem Könige erſcheinen; und als Freund rath' ih Dir, noch unterweges einige Lö⸗- Ger in die Aermel zu reißen. Hübſche Kleider Hat der Kö⸗ nig genug gefehen; Du mußt aber in Deiner ganzen Gi» genthümlichkeit auftreten, als des großen Luthers Enkel, der auf die Knie gekommen ift; das wird eine lebhafte Theil⸗ nahme hei ihm erweden, und vor Sonnenuntergang, wett” ih, läßt er Did reparicen und neu überziehen.

Die Knie zitterten mis, als id) auf's Schloß ging, und die Erde ſchwankte. Es half gewaltig, als ih aroge Un» rube im Burghofe mit Paden und Wagenaufladen wahrs nahm und erfuhr, der König wolle glei aufbrechen und weiter ziehen. In diefem Wirwar, dachte id, wird er nicht fo genau auf Dich Achtung geben, und die Audienz wird

Glüſ. 26

nur kurz danern. Als ich in das Gemach des Königs ge⸗ führt ward, ging er naddenfend auf und nieder und dit tirte feinem Geheimſchreiber in die Feder. Der Dienſtha⸗ bende Offizier, der mic einließ, berichtete gleichfalls, daß der Reichskanzler gleich ommen werde. Holt mir doch ſogleich Euftav Guſtavſon, ſprach der König; drauf fi freundlich zu mir wendend, frug er: Biſt Du der junge Küfter, der Enkel Lutpers, der Freund Seiferts, der geftern das hübſche Lied gemacht hat? IA antwortete zitternd, mid tief verbeugend: Ja, Ihro Königliche Majeftät. Nun, fei wicht bange, mein Kind, ſprach er leutſelig, mir mit der Hand die Wange fireihelnd; ſeh' ich denn fo fhred- lich aus? Gr betrachtete mich mit einem wahren Bater- biide, worin feine ganze große Seele offen lag, und alsbald war meine Furcht verſchwunden. Ach nein, Ihro Mas jeftät, antwortete ih: man ann aber auch vor Freude zit⸗ tern. Bie nab' biſt Du denn Luthern verwandt? frug er. Ach nur fehr weitläuftig, erwiederte ich: ich ſtamme můtterlicher Seite von einem Bruder von ihm ber. Du baft ein ehrlich offen Geſicht, fuhr der König freundlic fort, mir immer Muth einflögend, in fo fern ſiehſt Du ihm ähn« Ki; Luther war aber nicht hübſch, und Du haft ja ein wahres Madchengeſicht. Kannft wohl gar wie ein Mädchen roth werden? Und weinen? Es rührt mein Gemüth fo

tief, ſprach ich Leife, dag Eure Majeftät fo herablaffend mit .

einem armen Menſchen ſprechen. Ber Geift, Herz und - Jugend hat, ſprach der König. ift nicht arm. Ich wollte gern etwas für Did thun, babe aber keine Seit, mic, laͤn⸗ ger hier aufzubalten. Du bift in einer gelehrten Schule unterridstet, höre ich. Haft aber noch feine Univerfität beſucht. Sum Küfer biſt Du zu gut, mußt Prediger, wie Luther

% Sstäüd

werden: möchten Du wobl mit meinem Sohne nad Bit- tenberg ziehen und es da fo gut mie er haben? Ich fand mie verfteinert; der ſchͤne Jüngling, den id) geftern im Hofe gefehen, trat herein. Guftav, ſprach der König mein lieber Sohn! id) muß Dich jetzt verlaſſen. Beide um» armten fid und meinten herzlich. Cie gingen in's Neben- zimmer und überließen ſich ihren Gefühlen. Inzwiſchen ftand ich allein, war verlegen in der Geſellſchaft des ſtolzen Schreibers der mich mehrmals mit einem veraͤchtlichen Blick betrachtet hatte, zerfnällte meinen Hut und wünſchte den König zurüd, mit dem ic (dom Bekaͤnntſhaft gemacht hatte.

Meine peinliche Lage vermehrte fih, als der Reichs⸗ Banzlır Arel Orenftiern bereintrat, ſich niederlieg und auf den König wartete. Der Schreiber reichte ihm einige Pa⸗ piere; er fah fie flüchtig durch, runzelte mehrmals die Stirn und frug ihn, fie wieder zurüdgebend, auf Schwedifd, was ich doch verftand: Iſt denn Abo noch immer krank? Kann er nicht bald wieder arbeiten? O ja, antwortete der Schrei» ber, er fommt morgen. Sind Eure Ercellenz etwa nicht mit der Arbeit zufrieden? Nun, ſprach der Reichskanz⸗ ler, id) habe mic) an Abo gewöhnt; er kann ſich beſſer in meine Art fügen. Id hatte während der Zeit nicht ge« wagt, den Kanzler zu grüßen, das fiel ifm auf und er frug jegt den Schreiber auf Deutlich, weil er wohl merkte, ich fei ein Deutfper: Ber ift der junge Menſch? Was will er? Das ift der Küfter, gnädiger Herr, antwortete der Shreiber hurtig, mit boshaftem Lädeln, der geftern das Lied vom Bind und Ochfen gedichtet Hat.

Jetzt lief es mir wie Eis über den Rüden. Herr Jeſus dachte ih, Du Haft mit dem Namen des Reichskanzlers Deinen Scherz getrieben! Sept ftebft Du vor ihml Wie

ste a

wird das ablaufen? Der Kanzler, der meine Angft ge⸗ wahr ward und fogleih verftand, lachte laut, erhob ſich vom Stuhle, legte feine Hand auf meine Schulter und ſprach, indem er mir wie der König ſogleich Vertrauen ein. flögte: In der That, Fieber Freund, Ihr Habt mir ein wahr res Kompliment gefagt: dag meine Ochfenftirn mit dem Gehirne und nicht mit den Hörnern ftoße. Ih danke Euch für den guten Schwant, er hat mid fehr ergäßt, es iſt Geift darin. Nun, feid nur nicht fo blöde. Seh’ ih denn aus wie ein Dummfopf, der feinen Spaß verficht? Nehmt dies dafür zu meinem Andenken. Zugleich reichte er mir eine große filderne Echaumünze, die der König neulich auf den Sieg bei Leipzig hatte prägen laſſen.

Der Kanzler ward jeßt zum Könige gerufen, und ich blieb mit dem Secretair allein. Da ich aber bereits fo große Patrone bei Hofe hatte, wagte id) es, feinem ftolzen Blide mit ziemlicher Ruhe zu begegnen. Schöne Ein ritung! brummte er in den Bart, man braudt nur ein erbaͤrmliches Lied zu fhmieren, fo wird man und befommt man, ich weiß nicht was. Und ein Anderer kann fid in for liden Gefhäften von Morgen &is Abend matt arbeiten, die Finger lahm ſchreiben, und befommt noch Spitzworte oben- drein. Der Abo! Als menn er allein das Pulver erfunden hätte. Ich begnügte mid, die zwei letzten Zeilen meines Liedes in den Bart zu brummen:

And will der Froſch ein Dehſe fein, Pla ex voll Wind in Stüden!

Bas Zeufel nimmt Er ſich heraus, rief der aufge brachte Schreiber, Er fingt und trällert in des Königs Kar binet? .

28 Glünc.

Jetzt kam der Dienſthabende Offizier, der mich herein⸗ geführt hatt, und bat mich, ihn zu begleiten, er wolle mir Reiſekleider verſchaffen, denn in einer Stunde folle ih mit dem jungen Guftav nady Wittenberg fahren. Allein lieber Herr, frug ich naiv, wie komme id) denn mit meinem guten alten Prediger zuredit, wenn ich mein Amt ohne Urlaub verlaffe? Das wird der König ſchon in Ordnung brin⸗ gen, fagte der Offizier! Ich werde dem Sqreiber Hier ei⸗ nen Brick dicfiren! Und gemig, id) werde Eure Sache in's befte Licht ftellen. Aud das noch, feufzte der Schreiber, und zernagte die Feder. Harte Prüfung! Triumphirend folgte ich dem Offizier, freute mich jedoch, daß ic) den Hof, wo die Gunft feinen Augenblick begläden Tann, ohne zu⸗ gleich den Neid zu erwecen, fo bald verlaffen hatte.

4 Unsgläüd.

Mit dem herrlichen Jünglinge Guftav Guftaufon ber 309 ich nun die Wittenberger Umiverfität nnd lebte mit ihm dort ein Jahr, ohne daß es eigentlich zur Freundſchaft zwi⸗ fen ung gekommen wäre. Dazu waren wir Beide zu ver⸗ fhiedener Natur. Als Sohn des großen Guftaus, wenn auch aus uneheliher Verbindung, fühlte ich ihn weit über mid) geſtellt. Auch Hatte er, bei aller feiner Gutmüthigkeit, einen gewiſſen Stolz den id; bei den mehrften Adelihen

uUngiäüd. 2

gefunden, den ich gern entſchuldige und fogar natürlich finde, den aber meine Natur nie bat ertragen fönnen; denn auch ich war ſtolz auf meine Art und zog mic bald empfindlich zurück, wenn man mir nit mit Zuneigung entgegen kam. Er war einige Jahre jünger als id), kannte die Welt noch ‚gar nicht, war aber ſchon weit gelehrter. Um feinem gro« Ben Bater au ſchmeicheln, machte man ihn nad damaliger Sitte zum Rector der Univerfität. Gr benahm fi mit Ans Rand und fogar mit Beſcheidenheit iu diefer Würde, und hielt Heim Antritte feines Rectorats eine zierliche lateiniſche Rede, die das Lob der größten Philologen erhielt. Dennoch war ein fibenzehnjähriger Nector Magnifieus eine feltfame Erſcheinung; auch ward ic) fehr wohl gewahr, daß er eis gentlich zum Gelehrten nicht geboren fei. Der Soldat gudte überall hervor. In feinen Zimmern hingen Rappiere, Schwer» ter und Helme, unter Duarten und Zolianten; und ftatt eines Schreibtiſches lagen feine Echreibgeräthe gewöhnlich auf einem Paar großer Pauken, auf denen er fih oft bis foät in die Nacht übte, fo dag man, menn ganz Wittenberg ſchlief, den Rector Magnificus noch auf feinem Zimmer die Vauten ſchlagen und die Trompete blaſen hören konnte. Immer hatte er Zur zu fechten. und hierin kam ihm Kei⸗ „ner an Geſciclichteit gleich. In jugendlichem Uebermuthe warf er mir manchmal. wenn ich an feinen ritterlichen Uebun- gen nicht Theil nehmen wollte, vor, daß ich keinen Muth befige.. Nichts auf der Welt konnte mid) empfindlicher kraͤn⸗ ten. Eine dunkle Röthe färbte mein Gefiht, umd ich zitterte vor Yerger. Da er aber der Sohn meines großen Wohl⸗ thäters war, zwang ih mid), ihm nichts Unangenehmes zu fagen, und Gegnügte mid) zuletzt damit, ihn gelaſſen zu bit- ten: Thut mir doch nicht den Schimpf, lieber Herr, mir

30 uUngläd

Zeigheit vorzumerfen. Der Muth des Menſchen ift verſchie⸗ den, wie fein Charakter. Wie kann ein tiefes Chrgefühl ohne Muth fein? Vielleicht habe id nicht, wie Ihr, den augenblidlihen, Ariegerifhen; es gehört aber auch Muth zum Ausharren, zum Arbeiten; sed gehört Muth dazu, et⸗ was Neues und Eigenes zu denken und zu erfinden. Es giebt auch einen geiſtlichen Muth. Glaubt Ihr nicht, daß Luther Muth beſeſſen Habe? Ei, rief er, das fol ih mel» nen, als er gen Worms nach Teufeln und Ziegelfteinen ritt. Nun ja, rief id. Dagegen würde er fi mit dem Schwerte in der Hand lächerlich ausgenommen haben. Und melde von diefen beiden Arten hat denn mein Vater? frug er mich prüfend. Er hat fie beide, rief ich entzüdt, er iR ebenfo guter Bürger als Edelmann, denn er ift ein wahrer König, und der muß beides in fid vereinigen. Das ift wahr, ſprach Guftav, mein Bater iſt Allee. Guftanus if nur ein Anagramm von Auguftus; er vereinigt Alles in fi. Er it weit gröger als Auguſtus! ſprach ih; Der mar nicht eben befonders groß. Wie fo? frug er vere wundert, findet Ihr den Kaifer Auguftus nicht grop? Glaubt etwa Ihr ein Auguftus fein zu können? Bebüte Gott, antwortete ich, dezu hab id weder feine glänzenden, noch feine ſchlechten Eigenſchaften.

Wenn der junge Guftav Briefe. von feinem Bater ber tam. zeigte er fie mir immer, und wir folgten frahlodend dem herrlichen Sieger auf feinem Zuge. Als der Vater ihm feinen feierlichen Einzug in Augsburg beſchrieb, wo er plöglic) am Abende Luft zu tanzen befam, und fi) mit den Töchtern der Fuggerſchen Häufer und mit mehreren anwe⸗ fenden fürſtlichen Perfonen etliche Stunden fang durch eng» liſche und deutſche Zänze erlufiigte, warf der Sohn den

Unglüd 3

Cicero de offieiis, den er eben in der Hand bielt, durcs Fenſter in einen großen Waflerbehälter und rief meinerlih: Nein, das ift zum Tollwerden: er dreht fih auf dem Balle mit den niedlichen ſüddeutſchen Mädchen herum, und id armer Unglücliher mug bier ſihen, um den Cicero de of- Keiis zu ſtudiren.

Die Schlacht bei Zügen war nahe. Alles hoffte, Gu⸗ Rav werde den Wallenſtein befiegen ic überließ mid auch diefem Gedanken; eine dunkle Ahnung aber bee ſchwerte zugleich meine Bruſt. Ich und mehrere Profeſ⸗ foren waren eben zugegen, als der Sohn den verhängnig- vollen Brief erhielt. Er mar nicht von dem Vater, fondern von Ochſenſtiern und mit einem ſchwarzen Siegel verfehen. Der Jüngling öffnete den Brief und ward leihenblaß, zit- terte aber nicht. Ohne eine Miene zu verändern, las er den Brief zu Ende; darauf ſprach er mit ſchwacher Stimme: Freut Euch, meine Herren! die Proteftanten haben gefient. tie Sriedländifhe Mannſchaft ift zu Grunde gerigtet, Bal- lenſtein ift wie eine Memme geflogen! Nur ein Mann ift auf der ſchwediſchen Seite gefallen. Mit diefen Borten flürzten ihm die Thränen aus den Augen, er eilte aus der Zhür und die Zreppe hinab.

Bir folgten dem unglüdlihen Sohne nad) und konn ten ihm lange nicht finden; endlich Körten wir, er habe ſich ſelbſt in den Garcer gefperrt, um Ruhe zu haben, und das mit ihn Niemand weinen fähe. Dort blieb er vier und zwanzig Etunden, ohne etwas zu genicgen; nur der Nacht waͤchter hörte ihn laut reden, den Water beim Namen tus fen, heulen und jammern. Dann trat er wieder hervor, blag wie ein Gefpenft, länger und hagerer. Biele Haarlo⸗ den hatte er ſich in der Verzweiflung ausgeriffen, auch wa⸗

32 Ungiie

ten ihm zwei Gelenke an der rechten Hand verwundet ohne daß er es wußte.

Willſt Du mic begleiten, Albert, frug er, die Leiche meines Vaters zu fehen? Cie wird nad Stodholm ges bracht, wir wollen ihr auf dem Wege begegnen Ja gern, lieber Herr! antwortete id, und ging mit ihm auf‘ fein Zimmer. Er öffnete einen Schranf, worin eine volle ſtaͤndige Rüfung hing, und rief: Jetzt, Vater, will ih auch in den Krieg. Ich will in Deine großen blutigen FZußftan- fen treten, id werde Deine Mörder treffen.

Bir begaben uns auf den Weg, und hörten, als wir nad) Grimma famen, daß die Leiche dort gegen Abend ein- treffen werde; und daß die Königin Maria Eleonora, die . ihrem Gemahl nach Deutſchland gefolgt war, mitreife, um die Leiche nad Schweden zu bringen. Dann, ſprach Gu- ſtav ernft und in ſich gekehrt, muͤſſen wir incognito bier bleiben. Ich mag fie nicht, und fie foll mich nicht zum er» ſten Male am Sarge meines Baters fchen.

As Wittenberger Studenten mietheteu wir und jeßt ein Eeines Zimmer in der Hauptitrage, ziemlich theuer, denn die Stadt war ſchon vol Menſchen, befonders in den Straßen, wo die Leiche vorbei mußte, um in der Kirche bei⸗ gefegt zu werden. Hier wohnten wir nun fill hinter den Fenſtergardiuen dem Auftritte bei. Denkt Euch den Bus Mand des armen Jünglings, als er durch die Ritze des grü« nen Vorhanges den bededten, von Garden umgebenen Ba- gen fah, der ziemlidy ſchnell nad der. Kirche hingelenkt ward, als die Königin im Gaſthof abgeftiegen war. Der Bagen konnte aber nur langfam fortfommen, weil die trage vol⸗ der Menſchen war, die fi grade vor den Pferden auf die Knie warfen, die Hände gegen den Leichenwagen firedten

uUngtläüd. 3

und fluchzend ausriefen: Gott fegne Dich Du edler Bus ſtav Adolph in Deinem Himmel, Du unfer zweiter Luther! Du der Lutheraner Vater, Befhäper und Erretter. Da meinten die alten Schnurrbärte, die dem Wagen folgten, die Veteranen, die alle Schlachten mit Guftav gemacht hat ten, und deren fräftige braune Gefihter faſt alle mit Eb⸗ rennarben geziert waren. Guſtav Guftavfon und ih ware fen uns innerhalb des Fenſters auch mit gefaltcten Händen nieder und beteten mit dem Volte.

Sobald ee dunkelte, gingen wir am fürmifchen Nos vember- Nachmittage zum Küfer und verlangten, daß er uns die Kirche öffne. Er erwiederte: er könne unmöglich unfern Wunſch gewähren, er bätte ſchon Bieten die Bitte abſchlagen mäflen, und es fet iym ſtreng verboten, Jeman den in die Kirche zu laſſen.

Ior ſollt mir nicht nur die Kirche, fondern aud den Sarg öffnen, rief der Jängling mit Donnerfiimme, denn ich bin fein Sohn, und id will die Leiche meines Vaters feben. Sobald der erſtaunte Mann das hörte, lief er hin, Anftalten zu machen; und es ergab fih, daß gerade der Nittmeifter Soop bei der Kirchenwache das Commando führte. Sobald er den jungen Guftao erkannte, gab er Befehl die Kirhe und den Sarg zu öffnen. Aber ad! Vom großen Guftav Adolph war nichts mehr zu fehen. Sein aufgeſchwollenes, blaues Geſicht hatten die Wunden und der Tod ganz entftellt. Der Sohn flarrte lange auf die jer« fehten Ueberrefte, dann frug er kleinlaut: If der Leihnam da wirklich mein großer Vater? IA denn gar nichts von ihm übrig geblieben? Ia, bei Gott, rief der Rittmeiſter Soop! Sein unfterbliger Ruhm, der über die Vernichtung der Zeit ewig erbaben ift. Da erhlidte der Sohn des

Dehlenf. Echeiften. XVII. 3

4 Ungläüd

Baters rechte Hand, die noch ganz und unverleßt war. Er bededte fie mit Küffen und rief: Jeßt erkenn' ich ihm wie⸗ der! Ibr habt mid nicht getaͤuſcht, mir nichts vorgelogen. Da ift die Hand, die den Tilly, den Wallenſtein geſchlagen bat, die das Rettungeſchwert der Chriſten in Deutſchland geführt. Kennt Ihr fie noch, diefe Helden ⸗Rechte mit dem Bräftigen Daumen, den langen ſtarken Fingern, den ſchönen großen Nägeln? Diefe Hand, die eben fo männlich das Schwert faßte, als ſich Eindlih-fromm vor Gott dem All⸗ mädjtigen faltete! Diefe Hand, mit der er mir zum letzten Male feinen väterlichen Segen gab.

Eine tiefe Stile herrſchte. Der Sohn lag lange ſprach-⸗ los neben dem Sarge, drüdte die blaſſe Leichenhand an feis nen Mund und ſchien zu beten; endlich fand er auf und entfernte ſich erföpft und ſchweigend; der Decel ward wieder von dem Veteranen über den Sarg gelegt. Alle folgten ihm langſam aus der Kirche. Als ih in Iräume verfunfen, meine Augen wieder auffhlug, traf es fih, dag ich dem Rittmeiſter zur Seite ging. Bie gebt es Seis fert? wagte ich zu fragen. Er ift in der Schlacht gefallen, antwortete diefer. Ich ſchwieg und folgte dem Rittmei⸗ ter aus der Kirche. Was war Seiferts Verluſt gegen den des großen Guftaus? Allein er war dod mein Freund ge- wefen; und id konnte ihm meine Ehränen nicht verfagen.

Deland 3

5. Deland.

Ich Hlieb in Wittenberg bis 1635. Ih will Euch nicht damit ermüden, mein Tagewerk zu wiederholen: wie oft ich Luthers Grab beſuchte, wie gern ich in den Univerfitätsges bäuden verweilte, wo er zu wirfen angefangen hatte, in den Hörfälen faß, mo er als Profeſſor. Vorlefungen gehalten. Nur bisweilen, wenn font Niemand zugegen war, beftieg ih das Katheder, wo der große Mann geftanden, und hielt mir ſelbſt begeifterte Reden. Meine Freunde nannten mid aum Scherz den Kiofterbruder, weil fie von mir glaubten, dag ich, mitfammt meiner Gutmüthigfeit ein Saulenzer fei. Bas dies Lehte hetraf, fo moͤchten fie wohl, obſchon nicht in ihrem Sinne, Recht gehabt Haben. Ich fühlte, dag in mir ein prattiſches Talent erwache. welches nicht hieß zum Wiſſenſchaftlichen führte. Ein Tiſchler kam oft in's Gym⸗ mafium ; fein fünftlihes Handmwerk ergägte mich, id ver» ſchaffte mir eine Hobelbant, und während fih Andere oben im Auditorio über philoſobhiſche Subtilitäten lateiniſch zant- tem, lernte ich unten Stühle, Tiſche und Schränke machen. Unfer Nadıbar, der Schmid, erhielt von mir häufige Ber face, und obwohl id bei ihm nicht fo große Fortſchritte machte, als bei dem Tiſchler. Iernte ich doch Manches, das mir nachher zu Nupen gefommen if.

Endlich gefiel es mir nicht länger in Wittenberg. ih wollte etwas mehr von der Welt fehen, mid verlangte wie der nad Abenteuern. Fr

36 Deland

Iept fiel es mir ein, nad) dem Norden zu reifen. Durch Guſtav Wolf. und feinen Sohn war Schweden mir lieb geworden. Mit den Kenntniffen, die ich befaß, fagte man wir, würde es mir ein Leichtes werden, dort mein Glüd zu madıen.

Mit einem Meinen Fahrzeuge wollte id von Danzig nad Galmar fegeln. Ein Sturm nöthigte uns jedoch, an der Infel Deland beizulegen. Hier befam ich das falte Fieber, wagte nicht, weiter zu reifen, und mußte in einem Dorfe mehrere Wochen verbleiben. Der Bauer war ein wohlpabender Mann, man behandelte mid, gut, auch hatte ich fo viel Geld, dag id) vor's Erfte nicht brauchte mir et⸗ was umfonft geben zu laflen. Das Fieber konnte ich aber nicht wieder 106 werden. Es mar auf der Infel fein Arzt, und der von Galmar taugte auch nicht viel. Ich behielt daher mein Sieber, welches mic) dermaßen ermattete, daß ich befürchtete, die Krankpeit werde einen gefährliheren Char ratter annehmen.

In diefem Zuftande tröftete mic ein junges Dienftmäd- Wen; ſtark und ſchlank, ſchoͤn gewachſen und fehr blond. Sie liebte den Sohn vom Haufe, und er fie wieder. Die Eltern wollten jedod nichts davon willen, weil das Mäd- den arm war. Das gute Kind wartete mid in meiner Krantgeit fehr gewiſſenhaft. Es dauerte nicht lange, fo lerute ih fo viel Schwedifh, daß id fie meiftens verftand. Ihr Bräutigam war nach Danzig mit einer Ladung Kalt» feine abgegangen, denn die Einwohner an der weſtlichen Küfte leben befonders von dem Ertrage ihrer Kaltfteinbrüde und verfehen Riga, Danzig und Reval damit. Ic berau- erte die gute Sara vorzüglid deswegen, dag fie fo weit zu geben hatte, um Waſſer zu bolen. Denn da der Grund

Deland 37

bier fteinig if, fann man feine Brunnen graben, fondern begnögt fih mit den fvarfamen Duellen, die ſich durd das Negenwafler aus den Bergrigen fammeln. Deswegen ift das Land aud fo mit Dürre geplagt, dag nad langem Mangel an Regen die Wieſen ganz dunfelbraun find. Defe ſenohngeachtet lichte Sara ihre Heimath, und erzählte mir oft von den vielen niedlichen Hafen und Neben, die über den Weg liefen, wenn fie nad der Duche ging, und von den unzähligen Nachtigallen und andern Singvägeln, die in den Dornbuͤſchen und belaubten Bäumen fängen.

Einft, fam fie ganz wehmüthig von einer Hodzeit in der Nachbarſchaft nad Haufe. Cie erzählte mir, wie der Bräutigam dem Zuge voran, dem Prediger zur Seite ge⸗ ritten, wie dann die Braut mit ihren Brautjungfern zu Fuße getommen ſei. Das Better war ſchlecht, es hatte äfe ter-geregnet, und mitunter wären fie durch das fteigende Seewaſſer bis über die Kndchel gewatet. Daraus hätten fie fi) aber Ale nichts gemacht, und Sara war noch ganz heiß; fie waren ſtark gelaufen, denn je ſchneller die Braut mit ihren Iungfern zur Kirche läuft, defto mehr wird es ihr zur Ehre angerechnet.

Saras Geliehter kam zuräd, und hatte gute Geſchäfte gemacht; als er aber hörte, das Mädchen babe ihren Dienft aufgefündigt (vermuthlic, um den Alten zuvor zu kommen) und wolle zu ihrer Mutter, in einem entfernten Dorfe, zu⸗ rüdfehren, ward er fehr betrüßt.

Ich lag in einem offenen Altoven, der an das große immer ftieß, welches für Fremde beftimmt war. Nur dort mar es dem guten Zungen erlaubt, fbät Abende mit feiner Schönen zu ſprechen; denn fie wußte, dag ich nicht fo früh einſchlief; id war in ihr Geheimniß eingeweiht, konnte das

8 Deland.

Bett nicht verlaffen: fie waren daber auf die Beife allein, und nicht allein, mas eben die Mädchen fo gern wollen. Sie firitten fi immer. Er wollte, fie folle fagen: „Ih liebe Di,“ und ihm einen Kuß geben. Das wollte fie aber nicht, weil feine Eltern die Heirath nicht erlaubten. Erit war außer fi; bald meinte er, bald ward er bäfe und fluchte, bald Überredete er. Es half ihm aber Alles wichte, und obſchon das Mädchen für ihm mie eine Roſe lühete, wollte fie doch wicht fagen: „Ich liebe Dich,“ ſon⸗ dern nur: „Ic bin Dir von Herzen gut.” Auch durfte er nur die Wange, nicht den Mund füffen.

In feiner Verzweiflung kam er einmal zu mi in den dunteln Altoven, als ich gerade einen ſtarken Fieberaufall hatte, fo dag mir die Zähne im Munde Mlapperten, und fragte weinerlih: Iſt das nicht eine abſcheuliche Kälte, Here Magifter? Sie will nicht fagen: „Ich liebe Did,“ und mir einen Kuß geben. Ad, Kinder, ſeufzte ich unter der Bettdece zitternd, feld doch feine Narren! Bertragt Euchl @enießt in Unſchuld und Freude Euer junges gefundes Les ben. Wenn das beinerne Gerippe mit der Senfe kommt nn mit den Zähnen klappert, wie jeht, dann ift das Alles vorbei. ü !

Das wirkte. Gin folder Oratelſpruch von einem Ster- benden (fo fah ich mwenigfiens aus) führte Sara ploͤßlich vor allen fpräden Bedentlichteiten zur Natur und Billigfeit wuräd, Eie umarmte Erik, ſprach: „Ich liebe Dich,“ und ihre Lippen begegneten ſich. Im diefem Augenblide ging meine Fieberfälte im Hige über.

Es war eine entſehliche Nacht. Der Sturm wäthete,

und id konnte die Brandungen gegen die Klippen toben hören. Furchtbare Bindftöge heulten über Feld und Wald.

Delant. 3

Im Traume fam es uns vor, als ob, ein großer Rettungs⸗ engel, ein Cherub mit ſeche ungeheuren Flügeln (wie ihn Ejediel beſchreibt. kern am dden Firmamente zu Hülfe elle. Als er aber naͤber ſawebte, erſchrak id vor feiner unger beuren Geftalt, und kroch unter die Dede.

Ich wollte mic) im Bette umkehren; da trodnete mir eine freundfihe Hand die Stirn, und eine Stimme fragte: Nun, Here Julius, wie geht's? Ihr feid wohl fehr ange griffen? Ach Sara! rief ih, diR Du da? Bo it Erit? Gr ift ſhon zu Bett, antwortete fie. Haft Du den Engel sefehen? frug ic. Ihr feid wieder in einem ſchweren Traume gewefen, fbrad fie, und ic wollte Euch fo lange nicht verlaffen. Ieht hoffe id), das Fieber werde für dies Mal vorüber fein, und id will auch ruhen Es iſt ein exe Raunlies Better. Der Himmel erbarme fi der armen Menſchen auf dem Meere. Gottlob, dag wir Erit wieder auf dem Trocknen haben. Mit diefen Worten nahm fie das Licht und verließ mid. Ich fiel in einen erquidlis den Schlummer.

6 Der Sciffbruch

Ich erwachte ſpät am Nacmiktage; das Wetter war ſchon die Sonne fhien zum Fenſter herein. Eine warme kräftige Manneshand fagte die meinige, und fühlte mir den Yuls, Durd den zuverfihiltäen fihern Drud erwachte be⸗

40 Der Sciffbruch.

reits Zutrauen in mir. Er hat jett kein Fieber, ſprach eine ſonore Stimme, muß aber ſtark angegriffen geweſen fein, denn der Puls ſchlägt noch matt. Wie werden wir doch den armen Mann kuriren? hörte id Sara mitlcidig fragen. Er bat ſchon lange Arzenei gebraucht, es will aber altes nichts verſchlagen. Laßt mid) Eure Chinapulver fe- ben, die Euch der Arzt aus Calmar gegeben hat! ſprach der Fremde. Sara brachte ibm einige, er Öffnete das Papier, berod) das Pulver, zerrieb Etwas zwiſchen den Fingern, Boftete es und ſprach dann: Das gland’ ih, mit Birfenrinde, geftoßenen Biegelfteinen, oder Gott weiß was, heilt man «ein kaltes Sicher. Ich werde Euch ächte China pulver verfhafien. Der Kranke ſcheint ein junger Mann von guter Konftitution; er wird bald genefen. Nachdem er dies gefagt hatte, ging er. Ich kehrte mid um und fab einen hübfhen jungen Mann, etwa von dreißig Jahren, mit locigem lihtbraunen Haare, die Stube verlaffen.

Ich betrachtete Sara mit ftarren Augen und fprad: Mein Gott! wer ift der gute Mann, der mir wieder Hoffe nung und Muth in's Herz geſprochen bat? Gr ift ſelbſt vor einigen Stunden der Lebensgefahr enfronnen, erwiederte fie. Ihr Habt gefchlafen und wißt nicht, mas vprgegangen it. Ein Schiff mit vielen vornehmen Herren ift heute Nacht an der Küfte geſcheitert Ueber die hundert Menſchen find rund herum in den Dörfern einauartirt. Glücklicherweiſe iſt der Arzt Hier, und er wird Euch gewiß bald wieder here ſtellen.

Ich ſah einen alten Seemann, der ſich in der Stube bei einem Glafe Branntwein und etwas Falter Kühe an den Tiſch feßte. Er war gleich bereit, meine Neugier zu

Der Schiffbruch. 4

befriedigen, rüdte mit feinem Zeller meinem Bette näher, und erzählte:

Bir ſchifften Heute vor acht Tagen von Lübel, nachdem alles Gepät und Geräthe, nebft zwölf Neitpferden zu Tra⸗ vemünde in's Schiff gebradt waren. Die Herren Gefand- ten famen auch bald. Tags darauf waren wir an der di- niſchen Küfte, weil es aber gelinder Iuftete, gaben wir dem Binde alle Segel; jedoch um zehn Uhr, als wir an feine Gefahr daten, Iiefen wir auf eine blinde Klippe und blie- ben fisen. Es war Neumond, finftere Naht, wir mußten nicht, wo wir waren. und fonnten nicht die Schiffslänge zu Ende feben. Viele von uns fielen auf die Knie, ſchrien und riefen inbrünftig zu Gott um Hülfe. Der Schiffer feloft weinte wie cin Kind, und wußte feinen Rath mehr. Bas uns das Herz am meiften ergriff, war des Gefandten ' Krufins Söhnlein, ein (höner Knabe von neun Jahren, der die ganze Nacht auf den Knien lag und mit aufgchobenen Händen zum Himmel unaufpörlic rief: Ad, Du Sohn Davids, erbarm' Dich mein! Und dann ſoprach der Feld⸗ prediger : Herr, wilft Du uns nicht erhören, fo erhöre doch dies unfhuldige Kind. Und das hat der liche Herr Gott auch ehrlich gethan. Denn wir find gerettet.

Und was feid Ihr denn eigentlich für Leute, mein Freund? frug id neugierig. Ja feht, damit hätte ich frei⸗ ih anfangen ſollen, ſprach der Bootsmann. Wir find holſtei⸗ niſche Seeleute und führen die prächtige Geſandtſchaft Sci» ner Durchlaucht, des Herzogs Sriedri von Holftein-Gottorn von Lübel nach Reval. Bon Reval werden die Derrihaften den Übrigen Beg nad Perfien zu Fuß oder zu Pferde machen.

Ich fragte nach den Gefandten. Cie heißen Tag und Nacht, ſprach der Bootemann lachend. Tag und Racht!

2 Der Sciffbruch

rief ich, das iſt ja eine ſchwediſche Familie. Freilich ver feßte der Bootsmann, ift Tag und Nacht die aͤlteſte adelige Familie, denn fie entftanden am erften Schönfungstage. Es it aber nicht fo zu verftehen; ih meine, die zwei Geſandten ſehen fid) fo ähnlich, wie Tag und Naht; denn Krufus ift leutſelig und vernünftig; Brüggemann düſter und ärgerlich. Dot) da kommt ein Herr, der Euch das Alles beffer fagen tann.

Der Hauswirth trat in die Stube mit einem ſtattlichen Manne von mittleren Iahren. Der Fremde war ſchwarz gefleidet, und trug eine große weiße, runde Perüde, oben mit einem ſchwarzen Käpplein. Er hatte ein Fräftig-männe liches Geficht, nicht eben hübſch, aber fehr bieder. Ein klei⸗ ner Bart bedeckte ihm die Oberlippe. Das ift der Ge

"fandtfgaftsrath und Seerefarius, Herr Adam Dlearius, ſptach der Bootsmann, ein gelehrter Herr, der die Reife bes ſchreiden und in Drud herausgeben wird, menn die Ger ſandtſchaft glüclich nad Haufe gefommen ift. Und der junge Mann, frug id, der bei mir mar, iſt alfo der Schiffs-⸗ arzt? Zum Henker audy, erwiederte der Bootsmann las hend, das ift der Poet, der Truchſeß und Hofjunker, der luſtige Paul Flemming. Wie, rief ich erſchrocken, ift es ein Poet, der mir das falte Fieber vertrieben wii?

Hier trat der Port und der Arzt in die Stube. Als Diearius hörte, daß ein Kranker im Alkoven fhlafe, ſchlich er fid) leiſe aus der Thür; der Wirth folgte ihm, und fie liegen mich mit dem Poeten und dem Arzte allein.

Der Arzt ſtimmte dem Dichter bei daß ich bei einer ordentlichen Behandlung bald genefen werde. Er legte mehr tere Meine Papiere mit ähter China auf den Tiſch, und id) betrachtete fie mit eben dem Gefühle, welches ein Lich»

Der SHiffsru. 8

baber bei eben fo vielen Liebesbriefchen feiner Inniggelieb⸗ tem, worin fie ihm zu hoffen erlaubt, empfindet. Der Dichter 309 eine ziemlich große Flaſche mit Ehinamirtur aus feiner Roctaſche und fagte: Die Yulver allein, Grah⸗ mann, können fo große Dinge nicht wirken: bier it China auf guten alten Rheinwein gefeßt, das wird ihn Märkten und erbeitern zugleih. Dann wird er bald auf die Beine tommen. Ich denke, wir veranftalten bier noch einen Ball für die Iuige Landjugend, ehe mir weiter reifen. :

„2aßt und tanıen, Iaßt und fpringen, Saft und laufen, für nnd für; Denn durch Tanzen lernen wir Eine Kunft von fhönen Dingen.“

Ich Habe mir, fuhr er fort, ſchon ein hübſches Mäd- en ermählt, mit dem ich tanzen will. Das einzige Häß- liege an ihr iſt der Name Sara; die Heine Here follte bil lig Hagar beißen.

Der Arzt Grahmam der älter und ernfter war, ſprach. freundlid feine Hand drüdend: Ia, lieber Flemming, fo überlaffe ich denn diefen Patienten Dir; denn ich habe, wie Du wohl weißt, mit den gefährliheren Kranten vollauf zu hun. IA empfehle mid, mein Herr, ſprach er zu mir; haltet Euch nur mit Zuverfiht an diefen guten Mann; er ins bios, wie id, ein Leibes-, fondern auch ein See⸗ lenarzt.

Als wir allein waren, berrfihte eine kleine Stille. Der Dieter betrachtete mich aufmerkfam, fah, was in meiner- Seele vorging warf fi in den Lehnſtubl und lachte. Iept, rief er, glaubt Ihr gewiß aus der Schlla in die Charyb⸗ dis ‚gefallen zu fein. Gin Poet fol Euch kuriren! Bei die

4 Der Schiffbruch.

fem Gedanken klavpern Eud) die Knochen im Leibe, und der Schred fhüttelt Euch, mie vordem das Fieber!

Um Eud) aber den Neft aller Bedenklichteiten zu neh⸗ men, ſprach er, indem er Chinamirtur in einen Lörfel 908, fo wißt, daß ich aud) ein paar Jahre lang zu Leipzig Mes dizin fudirt habe, und wie es der Doftor Grahmann be zeugen ann, nicht ohne Erfolg. (Ich verſchluckte zuverſicht lid) die Mirtur, und mir war's als 06 id bereits heilſame Wirkungen verfpüre.) Auch kann ih eben nicht fagen fuhr Flemming fort, dag mir diefe Wiſſenſchaft eigent- lich zuwider wäre. Ein Arzt muß aud Künftler fein. Doc als ic) diefe Wiſſenſchaft eine Zeitlang getrichen hatte, wollte fie mir nicht länger behagen. Ic) hatte zu viel Gefühl, war zu reizbar, um ein guter Arzt zu werden.

Barum habt Ihr doch diefe nüplihe Wiſſenſchaft auf gegeben, lieber Herr, fragte ih. Eben, weit fie nutzlich if ſagte er. Ein Dichter ſoll gar nicht nupen, das will ſa⸗ gen: mittelbar. Er foll unmittelbar auf den Geift wirken, und den Sinn für das Schöne bilden.

Es freut mid), Tieber Herr, ſprach ic, daß Ihr nicht das allgemeine Schidfal theilt, fondern glädlih feid, und als ein Zugvogel zum fhönen Dſchinniſtan binflattern könnt, wärend wir bier in Europa von Winterftürmen leiden.

Freilich, ſprach Flemming bedenklik, deshalb reife id) auch. Denn wie fieht es jept in Deutſchland aus, feitdem Guſtav Adolf gefallen iſt?

Ihr feid bei der Geſandtſchaft angeftellt? fagte ih. Ja wohl, antwortete Flemming: als Hofjunker und Truch · feß; id est: Vorſchneider beim Gefandtentifhe. Iſt das nicht eine große Ehre für einen Doctor Philosophiae nen non Magister artium? IA verfihere Eu, Herr von

Der Schiffbruch. 4

Bruggeman glaubt, der Herzog habe damit einen großen Fehler begangen. Hier ward die Thür zur Wohnſtube weit aufgeriffen, wir hörten Jemand auf dem Flur ſchelten und lärmen, und ein langer, grämliher Mann mit dünnem, rötplihen Barte und einer goldenen Kette um den Hals, vom Gefandten Kruſius und dem Herrn Olearius begleitet, trat herein.

Rein, das ift zum Tollwerden, rief er mit greller Tee norfimme; haben nicht die Buben die Chatoulle mit den fürſtlichen Kredenzſchreiben beim Reiten in’s Waſſer fallen laſſen, ſo dag fie ganz naß und unleſerlich geworden find, und wir aus Neval wieder nach Gottorp ſchreiben müffen, um neue Kredenzſchreiben zu erhalten,

Nun, licher Freund, ſprach Kruflus gelaffen, in ſol⸗ chem Wirrwar laͤßt ſich nicht über Alles gebieten, wir has ben noch Gott zu danken, dag wir fo ziemlich troden, mit heiler Haut davon gekommen find. Ihr, Herr von Krus fius, feid immer troden, ſprach von Brüggemann. Und wie fie jeßt berumlaufen. Bas ift denn an diefer armfeligen Infel zu fehen? Eteht nicht mit Maren und deutlichen Wor⸗ ten in der fürftlihen Hofordnung gefhrieben, daß, „ſobald zur Tafel geblafen wird, Alle und Jeder alfobald ſich ein- ftellen follen, damit man auf Niemanden warten dürfe?" Und doch haben mir heute eine halbe Stunde blafen und warten müfen, ebe die Pagen das Eſſen auftrugen, und die Herren Truchſeſſe erfhienen. Befonders ift diefer Port, der Paul Flemming, febr verfäumlih, und feinem Amte gar nicht gewachſen. Wo ift er denn jet? Er fipt drinnen im Altoven bei einem Kranten, ſprach Dlearius. Bas! rief Herr von Brüggemann, ift hier ein Kranker. fo geb’ ich ſogleich wieder. Was das doc) auch für Wohnun-

4“ Der Sciffbruch.

gen und Einrihtungen find. Krankenſtübchen und Geick- ſchaftszimmer, das läuft Ales in Eine,

Ihr könnt über Eure Wohnung nicht flogen, Herr von Bräggemann, ſprach der Marſchall Herrmann von Etaden, ich habe Euch eine fehr gute verſchafft. Aber dort kann man dod nicht den ganzen Tag fipen und ſich ennupiren, tief der Andere. Die Herren wollen mir nicht die Ehre gönnen, fo muß ich wohl zu Ihnen kommen. Was fehlt dem Kranken? Ic will doch nicht hoffen, daß es eine an⸗ Nedende Krankheit fei? Flemming kam heraus und ver- ſicherte es fei ein Gremder, der nur das falte Fieber habe.

Recht gut! verfcpte Brüggemann; aber deswegen foll- tet Ihr ihm doch nicht Meditamente reihen. Ihr feid jept Hofjunfer und Truchſeß, und habt mit den Avothekerſachen nichts mehr zu thun. Wenn ih Rebhühner verzehre, will ich nicht, dag mein Truchſeß nach Teufelsdred, China und Rhabarber ſtinke. Ich beforenge mid, immer mit wohl« riehendem Waſſer ehe ih mid) Euch nahe, Herr von Brüg- gemann, ſprach Flemming und konnte einen veraͤchtlichen Blic nicht zurädhalten. Schon gut, Fieber Flemming, fiel ihm Krufius-in’s Wort, indem er befänftigend feine Hand auf die Schulter des Dichters legte: Wir Andern ind fehr mit Euch zufrieden, und folte dem Leibarzte etwas zufto- en, fo ift es ja ein großes Glüd, daß wir noch einen Mann mit uns haben, der Berfe darüber maden kann, rief Brüggemann böhnifh, die Euer Wohlgeboren gewiß ge» fallen, wenn fie gut find, fprad) Flemming, denn nur Dumm töpfe haben einen natürlichen Widerwillen gegen den Wiß. Erinnert Eud des erften Artitels der Hofordnung rief Brüggemann: „Anfänglic und für's Erfte ſollen alle und jede Obbemeldeten unfern Gefandten in unferm Reſpett

Der Schiffbruch. 47

alle fhuldige Epre, Folge und Aufmartung erivelfen, und ohne Gontradiction oder Weigerung ihren Befehlen pari⸗ ren.“ Es fteht aud in der Hofordnung, rief Flemming, „daß fid alle und jede bei der Ambalade der Einigkeit befleigigen, daß Einer dem Andern alle gute Freundſchaft. Liebe und Aſſiſtenz ermeifen; hingegen aber des Zankens, Haderns, unnöthigen groben Agirens, Beſchimpfens und Schlagens enthalten fol." Mit diefen Worten verlieh er das Zimmer.

Barte nur, Bude, rief der aufgebrachte Gefandte ihm nad), id werde Di wohl paden. Ich werde eine Klage über Dich auffegen und fie nach Holftein fenden; Du wirft die goldenen Zinnen von Moskau nicht zum zweiten Male feben.

Ihr feid übler Laune, Herr von Brüggemann, ſprach Kırufus, weil wir Schiffbrud gelitten haben. Dem guten Paul Flemming werdet Ihr aber gemig nichts zu Leide thun. Bir lichen ihn alle, und eher wollten wir zuräd nach Gottorp reifen, als diefen wadern Freund und treuen Ge- fährten aus unferm Kreife verlieren. Ia, das ift gewiß! fprab Dlearius. Gewiß, wiederholte der Marſchall von Staden. Gewiß, rief der glühende, raſche Stalmeifter von Mandelsiope. Gerwiß, ſprachen Alle!

Ich fehe, ich habe bier Ale gegen mich, rief Brügge mann; ich werde die Herren heute nicht länger mit meiner Gegenwart infommodiren. Er ging, und ſchlug die Thäre heftig binter ſich zu.

Krufius ſchwieg. Gebe der Himmel, daß es fo wäre! rief Mandelslohe. Lieber Gott. mit ihm follen wir nun den weiten Weg nad Jepahan machen! Bas find Felfen- tlüfte und Wüften gegen einen folden ärgerliden, zänfifcen

4 Die Ausſteuer. Menſchen, ohne Kopf und Herz. Stille! gebot Krufius

mit Milde. Mir that es aber in der Seele wohl, daß mein dichteriſcher Arzt von Allen fo gelicht war.

7. Die Ausfteuer.

Zwei Mat hatt’ id das Fieber erwartet, es blieb aus. Bas das für ein angenehmes Gefühl war, weiß Jeder, der aud) einmal in diefem Zuftande geweſen ift. Meine früs heren Kräfte ſchienen wieder zu erwachen. Während der Zeit war das Schiff flott geworden. Die Gefandtfhaft follte abreifen. Herr von Krufius aber hatte zuvor einen Ball für die Jugend der Nachbarſchaft veranftaltet.

Bei diefer Gelegenheit wollte fih Flemming auf edle Weiſe an dem geizigen Brüggemann räden. Der Boots- mann hatte mir bereits erzählt, daß Iener auf dem Schiff in Todesgefahr das Gelübde gethan, ein armes Maͤdchen auszuftatten, Es follte ein armes Mädchen auf der Inſel Oeland fein, und Clas Lundgreen, unfer Hausmwirth, war ſchon von Allem unterrichtet; er fandte feinen Sohn nach Gothland, ein Pferd zu kaufen, und erlaubte Sara, ihre Mutter auf einige Tage in Runſteen zu beſuchen. Diefe Erlaubnig war dem Maͤdchen fehr milltommen. Als der Bräutigam weg, und ich geheilt war, verließ fie gern das Haus, um dem verliebten Paul Flemming zu entgehen, der ihr uüberall nachſchlich, um einen Kuß zu bekommen,

Die Ausfteuer. cw

Er wußte nicht, dag fie heimlich verſprochen war, und fie nicht, daß fie eigentlich dieſem edlen jungen Mann ihr künftiges Gtüd verdanken würde.

Ad, Julius, ſprach er einmal zu mir, als wir zuſam⸗ men allein fagen, und ic über feine Verliebtheit ein wenig geſpottet hatte, e8 geht mir, wie einem geweſenen Reichen, der fein ganzes Vermögen verloren, und jegt nur noch mit unter an einem fremden Zifhe einen Biffen ſchmauſen ann. Einmal habe ich ein himmliſches Mädcyen geliebt, fie ſchenkte mir wieder ihre Neigung, und damals konnte id fingen:

„Die iſt wohl beim höchften Echmerie, Denn ich weiß ein treued Herze!

Damals konnte id) fingen:

„O Sonne der BWonne, © Bonne der Sonne!“

Aber meine füge Rubella ift geſtorben; in der hödften Jugendblüthe raffte die Peft fie hin, und alle armfeligen Arzeneien konnten fie nicht retten Bulept haben freilich die Iapre meine Wunde geheilt, allein ich trage noch die Nar- be, als liebſtes Merkmal ſchöner Stunden, in meiner Bruſt. Iept will id mid der Phantafie ergeben, und an fernen Orten ſchone, feltne, wunderbare Blumen bflüden. Schöner

werden die Georgianerinnen und Circaſſierinnen fein, al⸗ kein mein ſchuͤchternes erröthendes Liebchen an der Pleiße. mit dem kindlichen Melpomenen-Geſichte, die fo früh ver- ſchwand, werden fie mid) nie vergeffen machen.

Jetzt ward -natürkihermeife auch der Schatten meiner Neben Zabuletträmerin aus dem Grabe hervorgemahnt, und -fo wechſelten wir unfere Gefühle gegen einander aus.

Geblenf. Schriften. XVIL, 4

60 Die Ausſteuer.

Drauf eilte er fort, um in's Werk zu ſetzen, was ich leider zu fpät erfuhr, weil er auch mich damit überraſchen wollte.

Der Ball war auf den Übermorgenden Abend feſt⸗ gefegt, und damit der geizige Brüggemann nicht umfatteln folle, und fein Wort drehen, das er freilid in Gegenwart der ganzen Schiffsmannſchaft gegeben hatte, veranftaltete lemming erſt, nachdem alles heimlich mit Krufus und Dlearius verabredet war, eine Deputation armer Väter des Dorfes, um ihm, für feinen chriſtlichen Vorfag, ein Maͤdchen aus ihrer Mitte auszuftatten, gehorfamft zu danken,

Brüggemann, der nicht mußte, mas man von ihm wolle, der ſich aber gern gehuldigt fabe, lich ſogleich feinen Trompeter, mit wiederholten Stögen das ganze Perfonale der Geſandtſchaft zufamme..rufen, und gab alsdann, ums ringt von Hofjunfern und Pagen, den Bauern cine fürme liche Audienz.

Als er aber hörte, aus welchem Lore der Wind pfiff erblaßte er, und warf einen grimmigen Blic auf Flem · ming, denn er witterte gleich, wer ihm dieſen Streich ge⸗ ſpielt Habe. Flemming aber ſtand gleich einem frommen Kinde mit gefalteten Händen und niedergefcjlagenen Augen. Jetzt, da die Sade fo w.it gefommen mar, fah Herr von Brüggemann ſich genöttigt bei feinem Worte au bleiben, und bielt daher eine zierliche Nede. Denn er befaß eine gewiſſe Geſchiclichteit, Nichts mit vielen glatten Worten, in fünftlien Worten zu wiederholen. "

Er geftand, daß er in äußerfter Noth ein ſolches Ge⸗ lübde geihan babe; freilich fehr unvernünftigerweife, denn jeder gefittete gute Chrift fei doch jegt davon unterrichtet, dag man tie goͤttliche Vorfehung nicht mit armfeligen Geld⸗

Die Ausſteuer. 51

gelübden abſpeiſen und auf andere Gedanken Ienten könne. Beil das Gelühde nun aber einmal abgelegt fei, wolle er auch fein Wort drehen; beklage jedoch, dag die Umftände ähm nicht erlaubten, viel für das arme, ehelüfterne Kind zu thun. Dreißig Thaler wolle er indeß hergeben, weil es nun nit anders fein Lönne. Sollten feine Herren Kolle⸗ gen und die übrigen Offizianten finden, daß diefe Enmme zu Mein fei, fo fände es Iedem frei, diefelbe nach Herzens iuſt zu vermehren. Denn in fofern nicht nur er, fondern mit ihm zuglei die ganze Mannfhaft aus der Lebens» gefahr errettet fei, fehe er micht ein, warum er für Ale ber zahlen folle.

. Krufius, der feinen Kollegen nicht Länger auf der Fol⸗ ter laffen wollte, antmortete ſchnell: er fei bereit, aud drei» Big Thaler zu geben. Alle übrigen zur Gefandtfhaft ge- börigen Perſonen verpflichteten ſich, verhältnigmäßig zu der Ausfteuer beizutragen. So ward ſchnell eine Summe von hundert Thaler Elingender Münze zuſammengebracht, ein Fa Schatz für ein oelaͤndiſches Landmaͤdchen damaliger

Ich wußte von allem diefen nichts. Vermuthlich wuünſchte Flemming es auch zu verhindern, daß ih auf den Ball ginge, und mid) der Nachtluft ausfepte.

Ih war am Mittage vor dem Balle ein menig im Sonnenſchein fbaziert; und zwar zum erften Male nad) der Herſtellung; id) fühlte mid etwas erfhöpft, legte mic) aufs Bett im Altoven und ſchlief ein. Als id wieder ermadıte, war es Nachmittag; id fab Elas Lundareen mit ſeiner Frau in die Stube treten, und da fie fih allein glaubten, forad er: Nun, Frau, bab’ ich meine Karten nicht pfiffig gemiſcht? Erik it nach Gothland gereift, ein Pferd zu kau-

52 Die Ausſteuer.

fen, Sara beſucht ihre alte Mutter in Runſteen, zwei Mei« len von bier. Heute Abend werden die Bräute des Dor⸗ fes, die ſich zu einer Ausfteuer Hoffnung machen fönnen, dem Gefandten vorgeftellt. Gut, dag Cara nicht da ift. Beläme fie feine Ausfteuer, fo waͤre das für ung ein Schimbf, meil unfer Sohn fie liebt; befäme fie aber aud die lum- vigen hundert Thaler, fo müßte ich mein Verſprechen hal ten, und meine Plane würden ganz über den Haufen ge worfen. Nein, Erik foll die reiche Witwe beirathen, und Sara mug fort. Wenn fie ein Paar Boden geweint har ben, werden fie fid wohl wieder tröften. Ei freilich, ſprach die Frau, das ift eben die rechte Art: Wir Beide Haben ja einander auch nie geliebt, und find dod nachher glüdtic) geworden. Und es ift ung nicht wie gefühlvollen Eheleuten ergangen; denn wir haben nie aufgehört, uns zu lichen, weil wir nie den Anfang damit gemacht haben. Wer könnte auch, bei taufend Tonnen Teufel”), das Mefen in der Einige feit fortfeßen? Das fagt man nur etwa fo hin,

Allein holen mid) zehntaufend Tonnen Teufel, liede Grau, ſprach der Schwede Ieife, legt nicht dort wieder der Sachſe aufm Bett, und hat vieleicht jedes Wort gehört. Er foläft, der arme Kerl; antwortete die Frau. Er bat heute ein wenig in der Sonne ſpaziert. und iſt fo matt, wie eine Fliege. Komm, mir wollen ihn nicht flüren. Sie gingen, allcin jegt hatte ich genug.

Sobald ich allein war, und es dunfelte, warf ic) mid, in einen diden Ueberrod, der dem Wirthe gehörte, nahm

ein gutes Neitpferd aus feinem Stall, fattelte es in aller

*) Ein ſchwediſcher Eidſchwur.

Die Ausſteuer. 53

Eile, und ohne mit Jemandem zu reden, no um &rlaub- niß zu fragen, ritt ih nad Runſteen. um die gute Sara zu bolen, damit fie früh genug zur Ausſteuer erſcheine. Als ich das Thal durdritt, flieg ein weißer Nebel aus dem Grunde. Du wirft das Fieber wieder bekommen, dachte id, vielleicht opferft du durch Diefe Anftrengung dein Leben. Doch gleichviell Die gute Sara hat mir fo lange treulich beigeftanden! Jetzt wi ich ihr auch ihren lieben Erit zum Manne verfhaften. Sonft befime fie ihm nie.

Nach zwei Stunden hielt id mit dem Pferde vor dem Haufe, wo Saras Mutter wohnte. IA band das Pferd an die Thür, und trat hinein. Es war eine ziemlich ge⸗ räumige Stube und Kühe zugleih. Gin luſtiges Feuer braunte auf dem Heerd. Die Alte hofte beim Feuer in einem Lchnftuple, zu ihren Füßen faß die Tochter auf einem Schemel. Aridte und hörte die Mutter ein Mähren er zählen. Es war die Boltsfage vom todten Nitter, der das Maͤdchen auf feinem Pferde nad dem Kirchhofe brachte und worin die Reime vorfamen:

„Der Mond ſcheint he, Die Todten reiten fchnell.”

Jetzt, Sara, rief id im Hintergrunde der Halle, gilt kein Zaudern. Schwinge Did vorn aufs Pferd, halte Dich an den Eattelfnopf, fo reiten wir Über Berg und Thal, und fommen noch vor Mitternacht feäb genug zur Hochzeit, wenn wir ſchnell reiten.

Die Mutter, die mein wodlblaſſet Geſicht (der Ritt batte mic, angegrifen) beim Küchenfeuer entdedte, ſank er» ſchroden zurüd in den Lehnftuhl, kreuzte fi mehrmals, und glaubte, der todte Baladensitter ſei da, um ihre Tochter

5 Die Ausſteuer.

nad) dem Grabe zu bringen. Cara erfannte mid aber ſogleich; mit zwei Worten hatte ich ihr alles erklärt; fie nahm hurtig Abſchied von der Mutter, die ſich tröftete; und jest trabte ich fort mit dem Mädchen, über nactes Geftein, braune Haide und überſcwemmte Ufer. Es ſah nach Regen aus, und id hörte das fromme Kind inbrün flig zu Gott beten, daß er es doch nicht eher ‚regnen laſſen molle, bis wir im Trodnen wären, damit meine Geſundheit nicht gar zu fehr leide, Der liche Gott erhörte ihr Gebet. Erſt als wir wie- der ins Dorf anfamen, fiel ein feiner Staubregen. Bir börten die Geigen im großen Birthshaufe luſtig erklingen. Als wir näher famen, war die ganze Straße von Lichtern die durch die Fenfter ftrahlten, erheüt. Ih warf den Ueber» roc ab, nahm Sara vom Pferde, gab dem Hofknechte das Mferd und den No, und bat ihn, für heides Sorge zu tragen, während ih meine Dame hinauf brachte. Iſt das nicht Clas Lundgreens Pferd und Ueberrod? frug der Haustnecht. Freilich, ſprach ih. Ie, feld Ihr. nicht der junge Deutſche, der bei ihm wohnt? Ia, der bin ih! Nun, das wird ihm einen ſchweren Stein vom Herzen wälzen, verfeßte der Knecht. Er glaubt, dag Ihr mit dem Ueberrode und dem Gaule Neigaus genommen, ohne die Miethe zu bezahlen. Dummes Zeug, rief ich. auf einer kleinen Infel flicht man nicht weit zu Pferde. Ich ging mit Sara hinauf und traf den Mann in der Thür. Bo itt mein Pferd? rief er mir entgegen. Es ſteht unten im Thorwege, antwortete ih. Bo ift mein Ueberrock? verfeßte er. Der Hoftnecht trägt ihn auf dem Arm, fagte ih, und bier ift Eure Schwiegertochter noch obendrein. Ohne fih um meine Borte zu betümmern

Die Ausfteuer. 5_

ftürzte er die Treppe hinunter, um feinen Ueberrock ‚und fein Pferd zu befommen. Ich trat mit Sara in’s große Balliimmer. Zwei Lehnftühle fanden im Hintergrunde. In dem einen breitete ſich Herr von Brüggemann, fo viel es ihm feine hagere Länge erlauben wollte. Der andere Stuhl, für Krufus befimmt, ftand leer, doch ſah ich ihn und .alle übrige zur Geſandtſchaft Gehörenden in der Nähe. Bor dem Richter im Lehnftuhle fanden drei Dienſtmädchen die weder hübſch nod jung waren; auch madıten ihre ges meinen Geſichtezüge einen widrigen Eindrud auf die Bus ſchauer. Nun, meine Herren, hörte id Brüggemann zu den andern ſpoͤttiſch ſagen: Welcher von diefen drei Goͤt⸗ tinnen foll ich den Apfel reihen? IA dachte: wie die Göttinnen, fo der Paris. Sie zauderten alle, und Niemand batte Luft unter den drei Schönheiten zu wählen!

Hier iſt noch eine Vierte, rief ich, und 309 meine nied- liche blonde Schwedin hervor, deren beſcheidene Schüchtern⸗ beit fie noch liebenswuͤrdiger machte.

Es bedurfte nur eines ganz einfachen Vortrags der Sache, um Sara foyleid den Preis zugumenden, und die hundert Thaler wurden ihr in Golde gereicht. Glas Lundgreen fam zurüd. Mein Pferd ift da, forady er, aber ganz mit Schweiß bededt, mein Ueberrod auch, aber vom Regen durchnetzt. Ber hat Euch erlaubt, fo mit andrer Leute Eigenthume zu wirthſchaften? Fragt Euren Sohn, Bater Glas, ſprach Herr Olearius, wenn er von Gothland zu Haufe fümmt; und ſcheltet nicht diefen wadern Jüngling, der für feine tapfere Treue eher einen Lorbeerkranz vers diente. Jetzt wollen wir für ihn forgen, rief Paul Flemming.

Er und Grahmann brachten mid nach Haufe und zu

56 Die Ausfeuer.

Bette, gaben mir einen guten Schlud Chinamirtur und dedten mic warm zu. Ich ſchlief bald ein, und verfpürte am folgenden Tage feine ſchlimmen Zolgen; welches ich wohl theils der Begeifterung, theils der Eile, und beſonders Vater Glafens vortrefflichem Ueberrode von didem, wolle men Zeuge, zuzuſchreiben hatte. Der Alte war genötbigt, Ah zufrieden anzuftelen. Das Pferd, das ich geritten batte, ward indeg frank, und er wollte mir das Pferd zu Rechnung führen. Als aber Erik mit einem guten Pferde von Gotbland zurädfam, wagte der Alte es nicht mehr, von der Sache zu reden, um den Sohn, des gefbielten Strei» es willen, nit noch aufgebranter zu machen.

Zwei Tage darauf war die Verlobung der jungen Leute. Flemming fhrieb ein Hochzeitslied, in weldem er, wie es bei folhen Gelegenheiten gewöhnlich ift, mit den Namen fpielte, und von der jungen Sara in Vergleich mit der alten bibliſchen viel Wipiges ſagte. Das Hoch- zeitslied ward gefungen, und ich mußte diefen Abend mit dem trefflichen Manne Brüderfgaft trinken; weiches id als eine gar große Ehre anzufehen hatte. Er trug bereits ei nen berühmten Namen, und feine Gedichte waren mir weit lieber, als die von Opig, die er mir geliehen. Als id dem Herrn Diearius meine Verwunderung über Slemminge außerordentliche Liebe zu den Opipifhen Gedichten zu er⸗ kennen gab; ſprach diefer: Das ift nur cin Zug von Zlem- mings Liebenswürdigkeit; er hat als Kind Dpipens Werte gelefen, fie Haben ſich mit feinen blühendflen Jugeudvor- ſtellungen verbunden, er kann fie nicht von diefen trennen.

Das Schiff war wieder fegelfertig; ich, der id gar feinen Lebensplan entnorfen Hatte, der allein in der Belt Nand, und nun in Flemming, Olearius und Grahmann

Die Ansfeuer. 57

nene Freunde gefunden hatte, wäre gern mit nad Perſien gereift, alle Uchrigen hätten mich auch gen mitgenommen, Herr von Brüggemann fepte ſich aber mit Händen und Fü- Ben dagegen, befonders, weil es Flemming fo fehr wünſchte. So mußte id) denn nad) berzliher Umarmung meiner Freunde das Schiff mit ihnen abfegeln fehen.

Iept mußte ich nicht, mas ich anzufangen bitte. Das Fieber war ic) freilich los; durd meinen langen Aufenthalt bier, war mein Geldbeutel aber auch beinahe leer gewor⸗ den; umd obfhon die jungen Leute mid als ihren Mobl- thäter gern bei ſich ſaben, fühlte ih doch, daß es für ein grogumäthiges Herz angenehmer fei, Wohlthaten zu beweiſen, als zu empfangen.

Mein gutes Schickſal wollte aber, daß id) auf andern fonderbaren Wegen meinem entfernten, geahneten Glüde entgegen gehe, denn eines Tages, als id) ganz trübfelig al- fein in der Stube faß, das Haupt auf meine Hand geftäßt, trat Erik Lundgreen herein und rief mir entzegen: Ieht, Herr Albert Julius, könnt Ihr von Glück fagen, und die Welt zu ſehen bekommen, wenn Ihr es felbft begehrt. Ein Schiff aus Eſthland liegt hei Calmar vor Anker. Ein vor- nehmer hollaͤndiſcher Edeimann, der über England nad Dflindien reifen will, bat feinen Kammerdiener verloren, und ſucht jest einen geſchikten Menſchen, der etwas gelernt bat, und der immer um ihn fein fann. Wenn Ihr Euch ein wenig Mübe gebt, Könnt Ihr gewiß diefen Poſten be⸗ kommen.

Mir ſchnitt das Wort „Rammerdiener“ verfluht in’s Ohr. Nach reiflicher Ueberlegung fand ich es jedoch thö⸗ richt, in meiner jeßigen Lage eine ſolche Rettung eines blo⸗ Gen Namens wegen nicht zu benupen,

58 Die Ausſteuer.

Ich ging nad) Calmar ab und fick mid bei dem Edel» manne melden. Ich gefiel ihm, und aud der Herr Karl Franz van Leuven machte auf mid einen angenehmen Eindrud. Er hatte fein ftolzes Ausfehen; war ein feiner, ſtiller, freundlidyer, junger Mann, nur, wie es ſchien, etwas ſchwermüthiger Natur. Diefer melancholiſche Zug, verbun⸗ den mit feinem boländifhen Phlegma, gab ihm etwas An⸗ genehmes. Auch merkte ich bald, dag er verliebt fei, denn wenn er fi) allein glaubte, küßte er oft ein Mignaturbild, das er auf der Bruft trug. Unter den glatt gefämmten Haaren woͤlbte ſich eine ſchoͤne Etirn, die mid an die nie derländifhen Sreibeitshelden denken Lich, von welden er abftammte. Wir waren bald einig, id follte 68 fo gut ha⸗ ben, als er, und ihn nur unterhalten; er hatte bereits einen andern Bedienten, ‚der alle fervilen Arbeiten verrichtete. Indeß blied mir dod der Name „Kammerdiener.“ Unſere Sergel wurden gefpannt und wir fuhren ab.

Als wir an der Infel Deland vorbeifegelten, ftand das junge Brautpaar Arm in Arm am Ufer, winkte mir ein Lebewohl mit den Tüchern zu, und trodnete fih die Augen. Ich grüßte fie freundlich. Das Schiff durchſchnitt die Wel⸗ fen. I ftand auf dem Verde, und date forgfam über

meine fünftige Lage nah. Bald aber ſchöpfte ich wieder

Muth; um mid zu ſtaͤrken, holte ih mein Stammbuch her- vor, und überlas in demfelben das treffliche Lied, welches mir Paul Flemming beim Abſchiede gedihtet hatte,

Laß Dich nur Nichts nicht dauern Mit Trauern. Sei fine!

Kopenhagen. 5

Wie Gott es fügt, &o fei vergnügt Dein Bitte.

Was willſt Du heute forgen Für morgen? Der Eine Steht Allem für, Der giebt auch Dir Das Deine!

Sei nur in allem Handel Ohm’ Wandel, Eich fehe; Bad Gott berchleußt, Das in und Heißt Das Befe!

8. Kopenhagen.

Als wir nad) Kovenhagen gefommen waren, mietheten wir uns glei in ein gutes Wirthehaus ein. Mein Hert befam ein fhönes Zimmer, weil aber noch fein Plap da war, indem ein Fremder das mir beftimmte Zimmer erft räumen follte, fand id) mid, gern darein, dag man mir ein Felddette in's Bedientenzimmer fepte. Herr van Leuven befuchte diefen Abend einen Bekannten. Als ich etwas in

60 Kopenhagen.

den Straßen herumgeſchlendert war, kehrte ich mit dem Hausknechte zurück. Ich gedachte ein*einfahes Abendbrod zu eſſen, und dann früh zu Beite zu geben, weil mid, die Reife ermüdet hatte.

Waͤhrend ich die Treype hinaufftieg. ermahnte ih mich felber, gegen den Bedienten recht freundlich zu fein, und mid vor allem Stolz und Dünkel gegen ihn wohl zu hüten. Ich hatte immer die Verachtung gehaßt, womit vornehme Herren fo oft ihre Diener behandeln. Sie ma- Gen ihnen das Leben leicht und angenehm, dachte ih, müſſen fi alle Augenblide müde laufen, und befommen obendrein fargen Lohn und höhniſche Worte. Warum nennt man den Dienerftand niedrig? Iſt es niedrig. daß der Aer— mere dem Glüdlichern hilft, um es ein wenig befler zu ha⸗ ben? Wie wunderlich find dod die Menfhen! Ieht fangen die Poeten an, das Hirtenleben zu befingen, und vor ein Paar hundert Jahren waren die Hirten unehrlich und wurs den zu der Klaffe der Schinder und Büttel gerechnet. Bes diente find ja alle Staatsdiener. Iſt es viel befler, daß id) für meinen Borgefepten etwas rein ſchreibe, als daß ich feine Stiefeln wichſe? Ich werde mich wohl vor folhen Vorurtheilen hüten. Mit diefen chriſtlihen Borfägen trat . ich in's Bedientenzimmer. Kaum war id aber da, fo fing die feierfihe Stimmung an, etwas nachzulaſſen. Schon die Atmofphäre war mir zuwider, von den vielen gewichs⸗ ten Stiefeln, die an der Band hingen, aud andere Sachen efelten mich an, Der Bediente des Herrn van Leuven ſat mit mehreren feines Gelidhters an einem runden Tiſche, voh Beinhouteillen, Bierflafhen, Gläfern, Tabatspfeifen and Tabadsafcıe.

Als ich hereintrat, fanden Re alle auf und machten

Kopenpagen. 6

dem Heren Kammerdiener ibre Heverem. Ein Lehn⸗ ſtuhl ward mir fogar angemwiefen, wo ih als Primus inter pares präfdiren follte. Da mußte id denn von biefen bochſt unmiflenden Menſchen alle mögliche alberne Grob- beiten hören, wie fie Fürften und große Männer verſpotte⸗ ten und verurtheilten. Alles höhnten fie, alles ſuchten fie au fih hinunter in den Echlamm zu zichen. Nichts Edles, Großes, Verdienſtvolles gab es ihrer Meinung nah. Nur Eigennug und Furt bändigten fie. Da begriff id denn, woher die Verachtung gegen den Bedientenftand im Ganzen fich fhreibe. In diefem Trübfinne Rörte mid mein Rad bar, der indeg mein Glas gefüllt hatte und vorſchlug, dag wir Brüderfaft trinken follten. Ich erröthete Aber und Über, und war in der größten Verlegenheit. Geraden, Mein zu fagen, wagte ich nicht, um mid der Wuth der be ' truntenen Menſchen nicht auszufegen. Ein glücklicher Ein- fall rettete mid: id) gab ein Nafenbiuten vor, hielt das Sqgnupftuch vor das Geſicht, eilte die Treppe hinunter, lief die Straßen entlang, lenkte in einige Quergaſſen ein und ruhete nicht, bevor ich mid) wor dem Gefindel in Sicherheit mußte.

Iqh lieg mic) auf eine Thürſchwelle wieder, ergab mid, in mein Schickſal und hoffte, die Nachtwächter würden mich wenigſtens aufs Ratbhaus bringen, wo id Lieber bleiben wollte, als in der vorigen Geſellſchaft. Es dauerte auch mit Lange, fo ſah ich zwei Wächter einen Betrunfenen oder Todten auf ihrer Leiter durch die Etrage tragen. Sie bielten an der Hausthüre ſtill. wo ich faß, ließen die Leiter herunter und riefen mehrmals: Matz Hanfen! Map Han« fen! jetzt feid Ihr zu Haufe. Es balf aber alles nichts. So müſſen mir ihm in die Nafe kneifen, ſprach der eine.

62 . Kopenhagen.

Als das geſchehen mar, fing der Betrunfene auf der Leiter an, munter zu werden, richtete fih auf und ſprach heiter: Schon da! Nun, gute Nacht, lieben Kinder! Gotteslohn! Da it Trinfgeld! Habt Ihr geflingelt? Sie tbaten es und das Mädchen kam herunter mit Liht. Co entdedten mid die Vaͤchter und wollten mich glei) wegſchlepben. Als ih aber erzählt hatte, wer ich fei, und wie ich mid verirrt babe, ſprach Mat Hanfen auf Deutſch: Irren ift menſch⸗ fi. Bei Gott, Kinder, Ibr follt diefem armen deutſchen

Menſchen nichts zu Leide thun! Es ift eine gute Haut und .

ein ebrlihes Blut, das merke ih an Allem. Es giebt über» haupt in diefer Welt Feine Bosbeit, feine Sünde, feine Schurken, Beträügereien und Gfeleien, das find nur Sclin- gel und Epigbuben, die fo etwas gegen das arme Menfchens geſchlecht behaupten. Alles ift gut, vortrefflid, allerliebſt auf diefem ſcönen Erdenrunte, Seht nur die Sterne dro⸗ ben! die Milhfleden und Nebelftragen, wie fie funkeln und ſich berumdrehen! Was find wir Würmer und Maden ger gen ſolche mächtige Himmelskörper, die nie zu Bette gehen? Und wenn ſ.lbſt fie benebelt fein können, koͤnnen wir es nicht? Wenn ſelbſt der Himmel feine Fleden hat. was ſchaͤ⸗ ‚men wir uns, benchelt und beflekt zu fein? Seht nur, wie bell und demüthig der Mond im Ninnfteine daliegt. Der Koth vermag feine ätheriſchen Strahlen nicht zu verduns fein. Wenn der Mond im Ninnfteine liegen fann, feiner Gottheit unbefhadet, wie follte id es nicht auch, der ich nur ein Anterſchmid bin? Und bin ich nicht derfelbe reihe Mag Hanfen, der ſich feinen Sonntagsraufh getrunken bat, dort, fo gut wie anderswo? Darauf verliehen uns die Wächter Mag Hanfen führte mid die Treppe binauf, und wies mir ein ſchoͤnes Zimmer und ein gutes Bett an,

Kopenhagen. 63

mo ich beute übernachten könne. Der Rauſch ſchien ihm etwas verdunftet zu fein; als er hörte, dag id noch nicht zu Nacht gegeffen, ließ er kalte Küche bringen, und id mußte noch ein Glas mit ihm trinken.

Bir Dänen, ſprach er, müſſen mehr als andere Men- ſchen trinken, weil wir bier mitten im Meere wohnen, um uns gegen die feuchten Dünfte des Ozeans zu wahren. Ein Rauſch ift an und für ſich nicht zu tadeln, wenn man ihn nur gut vertragen kann und wenn er der Befundbeit, dem Bleiße, der Tugend, den Verrichtungen keinen Abbruch thut. 34) bin eigentlich nie beſoffen und verliere nie mein menfch« liches Bewußtſein, noch mein korberliches Gleichgewicht. Lege id) mich einmal auf die Leiter und laſſe mid von den Wäc- tern nad) Haufe tragen, fo ift das eine freiwillige Hand» lung, weil ich dieſe Beförderung liebe; fle iſt commode und dtonomiſch zugleich: ic rue da bequem auf den Eproflen. und kann mittlerweile friſche Luft ſchöpfen und die Milch⸗ frage betrachten. Sonft trinke ich gewöhnlich alle Tage nur vier Flaſchen Wein. Der Sonntag allein ift eine Aus» nahme, da trinke id zmölfe und gerathe dadurch in drei verfihiedene Zuſtãnde. Erſt werde id fehr mißtrauifh und zäntifh, und da rathe ich Keinem, mir zu nahe zu treten, weil ih in dieſem Zuftande mit Scheltworten und Nafen- ſtübern ſehr Freigebig bin. Nachher ergreift mich eine in⸗ mige Behmuth und Demuth; ich werde über Alles gerührt, die Thränen laufen mir von den Baden herunter, und id bekomme eine übergroge Luft, alle Menfhen zu küſſen und zu umbalfen und um Berzeifung zu bitten, bis ich das Du⸗ gend geleert habe, wodurch ich denn in die Erhabenheit ge» tathe; dann ſchaue ih zum Himmel hinauf, und Tann mit

Kerensagın

rem Iihes ud Berzılıra der Firteme mt Manche nal fm: warten

Des Ziorsen darauf ran er beurt ur rein za wir in's Zammer, mut ich pur matı ans wer cm Ami ter auitır Em Grisı mar act friert, ut Die Kae Basıc omas maarniyahtes, der Dan Saoe Nik tem aber ii mut fröfzig munter den ungchruree Aaccabras · am verrer. die aufiahın, als eb ür mu Eneimahie gie Amar miraı Er war vicrireria um) rem einer craas · In Yarekirte Die Dan? tridır er mur ie. dab des Diss wir (a% zu dem Naariwarde Ieransiprang wehei er

im tie Rüde gegangen war. {aate cr: ir haben

woh) einige gute Zimmer zu verniciben ERÜ vcun IXIT Dam Lruven vihciht hier wohnen weile, ſe Rchen fc km zu Dienken. Im Birtfeganie if es zu firaer mehun. da mus man wur irinfen. ein erfes Stecwert wirt von einem veruchmen Diüsier bemehnt. der wid nad Hofe tommt. Gr ii eim gufer Freund von uns. kcionders von meiner Frau. Die Leute mennen ige den ars. meine uud mich il

I

Kopenhagen. 6

Henker, mas die Tudmäufer mit diefen Redensarten fagen molen. So viel weiß ih, daß Bachus der Gott der Res ben ift, und das ift mir genug. Uebrigens hat mir der Offizier die Lieferungen für die Flotte verſchafft, wodurch er mich zum wohlhabenden Manne gemacht hat.

Jetzt eilte ih nach dem Wirthsbaufe, um Herrn van Leuven über alles Beriht zu erftatten. Er begegnete mir. in größter Unruhe auf der Treppe; die ganze Nacht hatte er meinefwegen fein Auge zugethan, weil id, nad) der Ber diensen Ausfage, einen Blutfturz bekommen babe, und wie ein toller Menſch meggelaufen fei. Sie batten mid) überall Hefucht, aber nirgends finden können. Ic erzählte ihm ale les rein aus, wie ſich die Sache verhielt. Lieber Julius, forad) er leutfelig, warum habt Ihr mir das nic gleich gefagt? In der kurzen Zeit, dag wir uns kennen, babe ih ſchon an Eudy entdrdt, daß Ihr ein gebifdeter, braver Jüng- ling feid. Bon jegt an feid Ihr mein Sekretär! Int es fo gut? Der nafeweile Bediente bat ſchon feinen Abſchied, ih mochte ihn fo nicht leiden. Wollt Ihr aber. bei mir blei⸗ ben, fo will id Euer Glück machen. Ihr sefalt mir. ih braude einen Freund, und mein Herz fagt wir, dag ic) ihm in Eud finden werde.

Diefe feltene Güte rübrte mich fehr, ih küßte Herru van Leuven die Hand. leid) darauf liegen wir alle un- fere Sachen nad) dem Haufe des Ehmids bringen, wo mir uns fehr gut befanden.

Herr van Leuven hatte mandes abzumachen und viele Briefe zu ſchreiben, wovon ih gar nichts wußte, obſchon ich fein Sekretär war. Während der Zeit ging der treffe liche Schmid mitunter mit mir in der Stadt berum. Er

brachte mid) am naͤchſten Eonnabende in den Re Ochlenſ. Echriften. XVIL.

4 Der Schiffbruqh.

reit6 Zutrauen in mir. Er hat jeht fein Fieber, ſprach eine fonore Stimme, muß aber ſtark angegriffen geweſen fein, denn der Puls ſchlägt nod matt. Wie werden wir do den armen Mann kuriren? hörte ih Sara mitleidig fragen. Er hat ſchon lange Arzenei gebraucht, es will aber alles nichts verfhlagen. Laßt mich Eure Chinapulver fer ben, die Euch der Arzt aus Galmar gegeben hat! ſprach der Fremde. Sara brachte ihm einige, er dffnete das Papier, beroch das Pulver, zerried Etwas zwiſchen den Fingern, foftete es und ſprach dann: Das glanb’ id, mit Birkenrinde, geftoßenen Ziegelfteinen, oder Gott weiß was, heilt man -ein faltes Fieber. Ich werde Euch ächte China- pulver verfhaffen. Der Krante ſcheint ein junger Mann von guter Konftitution; er wird bald genefen. Nachdem er dies gefagt hatte, ging er. Ih Fehrte mid) um und fab einen huͤbſchen jungen Mann, etwa von dreißig Jahren, mit Iedigem lichtbraunen Haare, die Stube verlaflen.

Ich betrachtete Sara mit ftarren Augen und ſprach: Mein Gott! wer ift der gute Mann, der mir wieder Hoff nung und Muth in’s Herz geſprochen hat? Er ift felbit vor einigen Stunden der Lebensgefahr entronnen, erwiederte fie. Ihr habt geſchlafen und wißt niht, was vorgegangen iſt. Ein Schiff mit vielen vornehmen Herren ift heute Nacht an der Küfte geſcheitert. Ueber die hundert Menſchen find rund herum in den Dörfern einquartirt. Glücklicherweiſe 1 der Arat hier, und er wird Euch gewiß bald wieder her

ellen.

Ib fah einen alten Seemann, der ſich in der Stube

bei einem Glaſe Branntwein und etwas Falter Kühe an den Tiſch fepte. Ex war gleich bereit, meine Neugier zu

Der Shiffbrug. 4

befriedigen, rüdte mit feinem Zeller meinem Bette näher, und erzählte:

Bir fhiften Heute vor acht Tagen von Lühel, nachdem alles Gepäd und Geräthe, nebft zwölf Neitpferden zu Ira vemünde in’s Schiff gebracht waren. Die Herren Geſand⸗ ten kamen auch bald. Tags darauf waren wir an der dä- niſchen Küfte, weil es aber gelinder Luftete, gaben wir dem Binde alle Segel; jedoh um zehn Uhr, als wir an feine Gefahr dachten, liefen wir auf eine blinde Klippe und blie- ben ſihen. Es war Neumond, finftere Nacht, wir mußten nicht. wo wir waren. und fonnten nicht die Schiffslange zu Eude fehen. Viele von uns fielen auf die Anie, fhrien, und riefen inbrünftig zu Gott um Hülfe. Dir Schiffer ſelbſt weinte wie ein Kind, und mußte feinen Rath mehr. Bas uns das Herz am meiften ergriff, war des Gefandten " Krufius Söhnlein, ein fhöner Knabe von neun Jahren, der die ganze Nacht auf den Knien lag und mit aufgehobenen Händen zum Himmel unaufhörli rief: Ad, Du Sohn Davids, erbarm Dich mein! Und dann ſprach der Feld» prediger: Herr, willſt Du uns nicht erbören, fo erhöre doch dies unfhuldige Kind. Und das hat der liche Herr Gott auch ehrlich gethan. Denn wir find gerettet.

Und was feid Ihr denn eigentlich für Leute, mein Freund? frug id neugierig. Ja feht, damit hätte ich frei» Hidy anfangen follen, ſprach der Bootsmann. Wir ind holſtei- niſche Seeleute und führen die prächtige Geſandtſchaft Sei- ner Durchlaucht, des Herzogs Friedrich von Holftein-Gottorn von Lübel nach Neval. Bon Reval werden die Herrihaften den Übrigen Weg nach Perfien zu Fuß oder zu Dferde machen.

Ich fragte nad) den Gefandten. Eie heißen Tag und Nacht, fprad der Bootemann lachend. Tag und Nacht!

42 Der Schiffbruch

rief ich, das iſt ja eine ſchwediſche Familie. Freilich ver⸗ feßte der Bootsmann, iſt Tag und Nacht die ältefte adelige Familie, denn fie entftanden am erften Schöpfungstage. Es it aber nicht fo zu verftehen; ich meine, die zwei Gefandten fehen fid) fo äͤhnlich wie Tag und Nacht; denn Krufius ift feutfelig und vernünftig; Brüggemann düfter und ärgerlich. Dot) da kommt ein Herr, der End das Alles beffer fagen kann.

Der Hauswirth trat in die Stube mit einem ftattlihen Manne von mittleren Jahren. Der Fremde war ſchwarz gekleidet, umd trug eine große weiße, runde Perüde, oben mit einem ſchwarzen Käpplein. Er hatte ein fräftig-männs liches Geſicht. nicht eben hübſch. aber fehr bieder. Ein klei⸗ ner Bart bededte ihm die Oberlippe. Das ift der Ger

ſandtſchaftsrath und Serretarius, Herr Adam Dlearius, ſprach der Bootsmann, ein gelehrter Herr, der die Reife ber fhreiden und in Drud herausgeben wird, menn die Gee ſandtſchaft glücklich nach Haufe gekommen if. Und der junge Mann, frug id, der bei mir war, iſt alfo der Schiffs- arzt? Zum Henker audy, erwiederte der Bootsmann las hend, das iſt der Poet, der Truchſeß und Hofjunker, der luſtige Paul Flemming. Ric, rief ich erfhroden, ift es ein Poet, der mir das falte Fieber vertrieben will?

Hier trat der Port und der Arzt in die Stube. Als Dlearius hörte, daß ein Kranker im Alkoven ſchlafe, ſchlich ex ſich leife aus der Thür; der Wirth folgte ihm, und fie liegen mid) mit dem Poeten und dem Arzte allein

Der Arzt ſtimmte dem Dichter bei dag id bei einer ordentlichen Behandlung bald genefen werde. Er legte mehr tere Meine Papiere mit ähter China auf den Tifh, und ich betrachtete fie mit eben dem Gefühle, welches ein Lich»

Der Shiffsrut. 43

baber bei eben fo vielen Liebesbriefchen feiner Inniggelieb⸗ ten, worin fie ihm zu boffen erlaubt, empfindet. Der Dichter zog eine ziemlich große Flaſche mit Chinamirtur aus feiner Rocktaſche und fagte: Die Pulver allein. Grab⸗ mann, können fo große Dinge nicht wirken: bier ift China anf guten alten Rheinwein gefeßt, das wird ihn ftärken und erbeitern zugleih. Dann wird er bald auf die Beine tommen. Ich denke, wir veranftalten hier noch einen Bal für die luſtige Sandjugend, ehe wir weiter reifen.

„2aßt und tanzen, laßt und fpringen, Saßt uns laufen, für nnd für; Denn durch Tanien lernen wir Eine Kunfı von ſchönen Dingen.“

34 Habe mir, fuhr er fort, ſchon ein huͤbſches Mäd- en erwaͤhlt, mit dem ich tanzen will. Das einzige Häße liche an ihr ift der Name Cara; die Heine Here follte bil» lig Hagar beißen.

Der Arzt Grahmann. der älter und ernfter war, ſprach, freundlich feine Hand drüdend: Ja, lieber Flemming. fo überlaffe ich denn diefen Patienten Dir; denn ich habe, wie Du wohl weißt, mit den gefaͤhrlicheren Kranten vollauf zu tbun. Ich empfehle mid, mein Herr, ſprach er zu mir; haltet Euch nur mit Zuverſicht an diefen guten Mann; er 14 nicht blos, wie ich, ein Leibes⸗ fondern and) ein Ste-

rat.

Als wir allein waren, herrſchte eine Eleine Stile. Der Dichter betrachtete mid aufmerkfam, fah, was in meiner- Serie vorgiug warf fih in den Lehnſtubl und lachte. Iept, rief er, glaubt Ihr gewiß aus der Scylia in die Charvb⸗ dis gefallen zu fein. Gin Poet foll Euch kuriren! Bei die⸗

4 Der Schiffbruch.

fem Gedanken Flanpern Euch die Knochen im Leibe, und der Schrec ſchüttelt Gud, wie vordem das Fieber!

Um Euch aber den Neft aller Bedenklichkeiten zu neh⸗ men, ſprach er, indem er Chinamirtur in einen Löffel goß, fo wißt, dag ich auch ein paar Jahre lang zu Leipzig Mer dizin ſtudirt Habe, und wie es der Doktor Grahmann bes zeugen kann, nicht ohne Erfolg. (Ih verſchluckte zuverſicht lich die Mistur, und mir war's, als ob ich bereits heilfame Wirkungen verfpüre.) Auch kann ich eben nit fagen fuhr Flemming fort, dag mir diefe Wiſſenſchaft eigent» lid) zuwider wäre. Ein Arzt muß auch Künftler fein. Doch als ich dieſe Wiſſenſchaft eine Zeitlang getrieben hatte, wollte fie mir nicht länger behagen. Ich hatte zu viel Gefüht, mar zu reisbar, um ein guter Arzt zu werden.

Barum habt Ihr doch diefe nüglihe Wiſſenſchaft auf gegeben, lieber Herr, fragte ich. Eben, weil fie nützlich it, fagte er. Ein Dichter fol gar nicht nutzen, das will fas gen: mittelbar. Er foll unmittelbar auf den Geift wiren, und den Sinn für das Schöne bilden.

Es freut mich, lieber Herr, ſprach ich, dag Ihr nicht das allgemeine Schikfal theilt, fondern glücklich feid, und als ein Zugvogek zum ſchönen Dſchinniſtan binflattern könnt, während wir hier in Europa von Binterflürmen leiden.

Freilich, fprad) Flemming bedenklich, deshalb reife ich aud. Denn wie ſieht es jept in Deutſchland aus, ſeitdem Guſtav Adolf gefallen in?

Ibr feid bei der Geſandtſchaft angeftelit? fagte ih. Ja wol, antwortete Flemming: als Hofjunter und Truch⸗ feß; id est: Vorſchneider beim Gefandtentifhe. IR das nicht eine große Ehre für einen Doctor Philosophiae new non Magister artiam? Ih verfihere Euch, Herr von

Der Sciffbruch. 4

Bruggeman glaubt, der Herzog babe damit einen großen Fehler begangen. Hier ward die Thür zur Wohnftube weit aufgeriffen, wir hörten Iemand auf dem Flur ſchelten und lärmen, und ein langer, grämlider Mann mit dünnem, rothlichen Barte und einer goldenen Kette um den Hals, vom Gefandten Krufius und dem Herrn Olearius begleitet, trat herein. B

Nein, das ift zum Tollmerden, rief er mit greller Te⸗ norfimme; haben nicht die Buben die Chatoulle mit den füͤrſtlichen Kredenzſchreiben beim Reiten in’s Bafler fallen laſſen, fo daß fie ganz naß und unleferlih geworden find, und wir aus Neval wieder nach Gottorp ſchreiben müſſen, um neue Kredenzfchreiben zu erhalten,

Nun, lieber Freund, ſprach Kruflus gelaſſen, in ſol⸗ dem Wirrwar laͤßt fid nicht über Alles gebieten, wir has ben noch Gott zu danken, daß wir fo ziemlich troden, mit Geiler Haut davon gekommen find. Ihr, Herr von Kru- ſius feid immer trocken, ſprach von Brüggemann. Und wie fie jept herumlaufen. Bas ift denn an diefer armfeligen Juſel zu fehen? Steht nicht mit Maren und deutlihen Wor⸗ ten in der fürftlihen Sofordnung geſchrieben, daß, „ſobald zur Tafel geblafen wird, Alle und Jeder alfobald ſich ein« ſtellen follen, dait man auf Niemanden warten dürfe?” Und doch baden wir heute eine halbe Stunde blafen und warten müffen, ehe die Pagen das Eflen auftrugen, und die Herren Truchſeſſe erfhienen. Beſonders ift diefer Voet, der Paul Flemming, febr verſäumlich, und feinem Amte gar nicht gewachſen. Wo ift er denn jept? Er fipt drinnen im Alkoven bei einem Kranten, ſprach Dlearius. Bas! rief Herr von Brüggemann, ift bier ein Kranker, fo geb’ ich ſogleich wieder. Was das doch auh für Wohnun⸗

4 Der Schiffbruch

gen uud Eiriquunoen find. Crauteaſtũcqen und Geh Moaftsziumer, Das läuft Ars in Eins.

Ihr könnt über Eure Wohnung nicht Magen, Herr von Brüggemann, ſprach der Marſchal Herrmann von Staden ich Habe Euch eine fehr gute verfhaft. Aber Dort kann man doch wit Dem ganjen Tag ſihen und fd eununiren, rief der Audere. Die Herren wollen mir niht die Ehre gönnen, fo muß ih wohl zu Ihnen kommen. Was fehlt dem Kranten? Ich will doch nicht hoffen, daß es eine an- Nedende Krankheit fei? Flemming kam heraus und ver» ſcherte e6 fei ein Zremder, der nur das falte Fieber habe.

MRecht gut! verſchte Brüggemann; aber deswegen fi set Inr ihm doch nicht Medikamente reihen. Ihr feid jept Hofjunfer und Zrucfeß, und habt mit den Avotheterſachen nichts mehr zu thun. Wenn ich Rebhühmer verzebre, mil 46 nicht, dag mein Truchſeß nad Teufelsdret, China und Ababarder finfe. Id beſprenge mid) immer mit wohl» riechendem Waſſer ehe ich mid Euch nahe, Herr von Brüg- gemann, ſptach Ziemming und konnte einen verähtlihen Bil nit zurädhalten. Schon gut, lieber Flemming fiel ihm Arufus in's Wort, indem er befänftigend feine Hand auf die Schulter des Dichters legte: Wir Andern find fehr mit Euch zufrieden, und ſollte dem Leibarzte etwas zufo- sen, fo iſt es ja ein großes @lüd, Dap wir noch einen Mann mit uns haben, der Verſe darüber machen kann, rief Brüggemann höhniſch. die Euer Wohlgeboren gewiß ger fallen, wenn fie gut find, ſprach Flemming, denn nur Dumm⸗ töpfe haben einen natürlichen Widerwillen gegen den Wiß. Erinnert Eud des erften Artikels der Hofordnung rief Brüggemann: „Anfaͤnglich und für's Erſte ſollen alle und jede Obtemeldeten unfern Befandten in unferm Nefbeft

Der Shiffsrug. 4

alle ſchuldige Ehre, Folge und Aufwartung eriveifen, und ohne Gontradiction oder Weigerung ihren Befehlen Hari» ven.“ Es fteht aud in der Hofordnung, rief Flemming, „dag ſich ale und jede bei der Ambaſſade der Einigfeit befleigigen, dag Einer dem Andern alle gute Freundfdaft, Liebe und Aſſiſtenz erweifen; bingegen aber des Zankens, Haderns, unndtbigen groben Agirens. Beſchimpfens und Schlagens enthalten folle." Mit diefen Worten verlieg er das Zimmer.

Barte nur, Bude, rief der aufgebrachte Gefandte ihm nad), id werde Did wohl paden. Ich werde eine Klage über Dich auffeßen und fie nach Holftein fenden; Du mirft die goldenen Sinnen von Moskau nicht zum zweiten Male feben.

Ihr feid übler Laune, Herr von Brüggemann, ſprach Krufius, weil wir Schiffbrud gelitten haben. Dem guten Paul Flemming werdet Ihr aber gemig nichts zu Leide thun. Bir lieben ihn alle, und eher wollten wir zurüd nach Gottorp reifen, als diefen wadern Freund und treuen Ge⸗ fährten aus unſerm Kreife verlieren. Ja, das ift gewiß! ſprach Dlearius. Gewiß wiederholte der Marſchall von- Staden Gewiß, rief der glühende, raſche Stallmeiſter von Mandelslohe. Germiß, ſprachen Alle!

Ich fehe, ic) babe bier Ale gegen mid, rief Brügge mann; ich werde die Herren heute nicht länger mit meiner Gegenwart infommodiren. Er ging, und fhlug die Thüre heftig binter ſich au.

Krufins ſchwieg. Gebe der Himmel, daß es fo wärel rief Mandelelohe. Lieber Gott. mit ihm follen wir nun den weiten Weg nah Jsbahan machen! Bas find Zelfen- Müfte und Hüften gegen einen ſolchen ärgerliden, zaͤntiſchen

48 Die Ausſteuer. Menſchen, ohne Kopf und Herz. Stille! gebot Krufus

mit Milde. Mir that es aber in der Seele wohl, daß mein dichteriſcher Arzt von Allen fo gelicht war.

7. Die Ausftener.

Zwei Mat hatt’ ih das Fieber erwartet, es blieb aus. Bas das für ein angenehmes Gefühl war, weiß Jeder, der aud) einmal in diefem Zuſtande geweſen ift. Meine frür beren Kräfte ſchienen wieder zu erwachen. Während der Zeit war das Schiff flott geworden. Die Geſandtſchaft follte abreifen. Herr von Krufius aber hatte zuvor einen Ball für die Jugend der Nachdarſchaft veranftaltet.

Bei dieſer Grlegenpeit wollte fid Flemming auf edle Weiſe an dem geizigen Brüggemann raͤchen. Der Boote mann hatte mir bereits erzählt, daß Jener auf dem Schiff in Todesgefabr das Gelübde gethan, ein armes Mädchen auszuftatten, Es follte ein armes Mädchen auf der Jaſel Deland fein, und Glas Lundgreen, unfer Hausmwirth. war fen von Allem unterrichtet; er fandte feinen Sohn -nady Gothland, ein Pferd zu kaufen, und erlaubte Sara, ihre Mutter auf einige Tage in Nunfteen zu beſuchen. Diefe Erlaubnig war dem Maͤdchen fehr milltommen. Als der Bräutigam weg, und ich geheilt war, verließ fie gern das Haus, um dem verlichten Paul Flemming zu entgehen, der ihr überal nachſchlich, um einen Ruß zu bekommen.

Die Ausfteuer. L.)

Er wußhte nicht, daß fie heimlich verſprochen war, und fie nicht, daß fie eigentlich diefem edlen jungen Mann ibe künftiges Gtüd verdanken würde.

Ab, Julius, ſprach er einmal zu mir, ale wir zufame men allein fagen, und ic über feine Verliebtheit ein wenig geſpottet hatte, e8 geht mir, wie einem geweſenen Reichen, ber fein ganzes Vermögen verloren, und jegt nur noch mite unter an einem fremden Tiſche einen Bien fhmaufen kann. Einmal habe ic ein himmliſches Mädchen geliebt, fie ſchenkte mir wieder ihre Neigung, und damals Lonnte id) fingen:

„Sir iſt wohl beim höchften Echmerie, Denn ich weiß ein treued Heriel Damals konnte ic fingen:

„D Sonne der Bonne, © Bonne der Sonne!"

Aber meine füge Rubella ift geſtorben; in der hoͤchſten Iugendbläthe raffte die Peſt fie hin, und alle armfeligen Arzencien konnten fie nicht retten Zuletzt haben freilich die Jahre meine Wunde geheilt, allein ich trage noch die Nar- de, als liebſtes Merkmal fhöner Stunden, in meiner Bruſt. Jett will id mid) der Phantafie ergeben, und an fernen Orten fhöne, feltne, wunderbare Blumen vflüden. Schöner

werden die Georgianerinnen und Circafficrinnen fein, al⸗ kein mein ſchüchternes, errötbentes Liebchen an der Pleiße. mit dem kindlichen Delpomenen» Gefihte, die fo früh ver- ſchwand, werden fie mic) nie vergeffen machen.

Jetzt ward -natürliherweife aud der Schatten meiner lieben Zahuletträmerin aus dem Grabe bervorgemahnt,

und -fo wechfelten wir unfere Gefühle gegen einander aus. Beblenf. Schriften. XVII, 4

60 Die Ausſteuer.

Drauf eilte er fort, um in's Berk zu ſegen, was ich leider zu fpät erfuhr, weil er auch mich damit überrafchen wollte.

Der Ball war auf den übermorgenden Abend feſt- gefeßt, und damit der geizige Brüggemann nit umfatteln folle, und fein Wort brechen, das er freilih in Gegenwart der ganzen Schiffsmannſchaft gegeben hatte, veranftaltete Flemming erft, nachdem alles heimlich mit Krufus und Diearius verabredet war, eine Debutation armer Bäter des Dorfes, um ihm, für feinen chriſtlichen Vorſatz, ein Mädchen aus ihrer Mitte auszuftatten, gehorfamft zu danken.

Brüggemann, der nicht wußte, was man von ihm wolle, der ſich aber gern gehuldigt fahe, lich ſogleich feinen Trompeter, mit wiederholten Stößen das ganze Perfonale der Geſandtſchaft zufamme.rufen, und gab alsdann, ums ringt von Hofjunkern und Pagen, den Bauern eine förm⸗ liche Audienz.

Als er aber hörte, aus welchem Loche der Wind Hfif, erblaßte er, und warf einen grimmigen Blick auf Flem- ming, denn er witterte gleich, wer ihm diefen Etreid ger foielt Habe. Flemming aber fand gleid) einem frommen Kinde mit gefalteten Händen und niedergefchlagenen Augen. Jetzt, da die Sache fo w.it gefommen mar, fah Herr von Brüggemann ſich genötbigt bei feinem Worte zu bleiben, und hielt daher eine zierlihe Rede. Denn er befaß eine gewiſſe Geſchicklichteit, Nichts mit vielen glatten Borten, in fünftlihen Worten zu wiederholen,

Er geftand, dag er in Äußerfter Noth ein ſolches Ges 1übde gethan habe; freilich fehr unvernünftigerweife, denn jeder gefittete gute Chrift fei doc jept davon unterrichtet, dag man tie göttliche Vorfebung nit mit armfeligen Geld⸗

Die Ausſteuer. 5

gelähden abfpeifen und auf andere Gedanken lenken könne. Beil das Gelübde nun aber einmal abgelegt fei, wolle er auch fein Wort brechen; beklage jedoch, dag die Umſtaͤnde ihm nicht erlaubten, viel für das arme, eheläfterne Kind zu thun. Dreißig Thaler wolle er indeg hergeben, meil es nun nit anders fein tonne. Sollten feine Herren Kolle- gen umd die übrigen Offizianten finden, daß diefe Enmme au Mein fei, fo fände es Jedem frei, diefelbe nach Herzense luft zu vermehren. Denn in fofern nit nur er, fondern mit ihm zugleih die ganze Mannfdaft aus der Lebens» gefahr errettet fei ſehe er nicht ein, warum er für Ale be- zahlen folle.

Kruſius, der feinen Kollegen nicht länger auf der Fol⸗ ter laſſen wollte, antwortete ſchnell: er fei bereit, auch dreis Big Thaler zu geben. Alle übrigen zur Geſandtſchaft ge- börigen Perfonen verpflichteten ſich, verhältnigmäßig zu der Ausfteuer beizutragen. So ward ſchnell eine Summe von bundert Thaler klingender Münze zufammengebradt, ein wahrer Schaf für ein veländifces Landmäddhen damaliger Zeit.

Ich wußte von allem dieſen nichts. Vermuthlich wünſchte Flemming es auch zu verhindern, daß ich auf den Bau ginge, und mic der Nachtluft ausfepte.

Ich war am Mittage vor dem Balle ein wenig im Sonnenſchein fpaziert; und zwar zum erften Diale nad) der Herftelung; ich fühlte mich etwas erſchoͤpft, legte mic aufs Bett im Altoven und ſchlief ein. Als id wieder erwachte. mar es Nachmittag; id ſah Clas Lundgreen mit jeiner Frau in die Stube treten, und da fie fid allein glaubten, ſprach er: Nun, Frau, hab’ id meine Karten nicht pfiffig gemiſcht? Erik ift nad) Gothland gereift, ein u u kau⸗

2 Die Ausfteuer.

fen, Sara beſucht ihre alte Mutter in Runſteen, zwei Mei len von bier. Heute Abend werden die Bräufe des Dor⸗ fes, die ſich zu einer Ausfteuer Hoffnung machen fönnen, dem Gefandten vorgeftellt. Gut, daß Cara nit da if, Betaͤme fie feine Ausfteuer, fo wäre das für uns ein Schimpf, weil unfer Sohn fie liebt; befäme fie aber aud die lum⸗ pigen hundert Thaler, fo müßte ich mein Verſprechen hal« ten, und meine Plane würden ganz Über den Haufen ger worfen. Nein, Erik foll die reiche Witwe heirathen, und Sara muß fort. Wenn fie ein Paar Wochen geweint har ben, werden fie fid wohl wieder tröften. Ei freilich, ſprach die Frau, das ift eben die rechte Art: Wir Beide haben ja einander auch nie geliebt, und find doch nachher glücklich geworden. Umd es ift uns nicht wie gefühlvollen Eheleuten ergangen; denn wir haben nie aufgehört, uns zu lieben, weil wir nie den Anfang damit gemacht haben. Ber könnte aud), dei taufend Tonnen Teufel”), das Wefen in der Ewig- keit fortfeßen? Das fagt man nur etwa fo hin.

Allein holen mid, zehntaufend Tonnen Teufel, liede Frau, ſprach der Schwede Teife, liegt nit dort wieder der Sachſe aufm Bett, und hat vlelleicht jedes Wort gehört. Er fhläft, der arme Kerl; antwortete die Frau. Er hat heute ein wenig in der Sonne fpaziert, und ift fo matt, wie eine liege. Komm, wir wollen ihn nicht flören. Sie gingen, allein jegt hatte ich genug.

Sobald ich allein war, und es dunfelte, warf ich mid, in einen diden Ueberrod, der dem Wirthe gehörte, nahm

- cin gutes Reitpferd aus feinem Ctall, fattelte es in aller

*) Ein ſchwediſcher Eidſchwur.

de

Die Ausftener. 53

Eile, und ohne mit Iemandem zu reden, nod um Erlaub⸗ niß zu fragen, ritt ih nad Runſteen, um die gute Sara zu bofen, damit fie früh genug zur Ausfteuer erſcheine. Als ich das Thal durchritt, flieg ein weißer Nebel aus dem Grunde. Du wirft das Fieber wieder bekommen, dachte ich vielleicht opferft du durch diefe Anftrengung dein Leben. Doch gleihwiell Die gute Sara hat mir fo lange treulich beigeftanden! Jetzt will id) ihr auch ihren lichen Erik zum Manne verfhaffen. Eonft bekäme fie ihn nie.

Nach zwei Stunden bielt id mit dem Pferde vor dem Haufe, wo Saras Mutter wohnte. IA band das Pferd am die Thür, und trat hinein. Es war eine ziemlid ge⸗ räumige Stube und Küche zugleih. Ein Iuftiges Feuer brannte auf dem Heerd. Die Alte hofte beim Feuer in einem Lehnſtuhle, zu ihren Zügen faß die Tochter auf einem Schemel. fridte und hörte die Mutter ein Mähren er» zählen. Es war die Boltsfage vom tedten Nitter, der das Mädien auf feinem Pferde nach dem Kirchhofe brachte, und worin die Reime vorfamen:

„Der Rond ſcheint heil, Die Todten reiten fhnel.”

Iept, Sara, rief id im Hintergrunde der Halle, gilt kein Zaudern. Schwinge Did vorn aufs Pferd, halte Dich an den Eatteltnopf, fo reiten wir über Berg und Thal, und fommen noch vor Mitternacht frůt genug zur Hodyeit, wenn wir ſchnell reiten.

Die Mutter, die mein todtblaſſes Geſicht (der Ritt batte mic, angegriffen) beim Küchenfeuer entdedte, ſank er⸗ ſchtocen zurüd in den Lehnftuhl, kreuzte fi mehrmals, und glaubte, der todte Baladenriter fei da, um ihre Tochter

56 Die Ausſteuer.

Bette, gaben mir einen guten Schluck Chinamirtur und dedten mid) warm zu. Ich ſchlief bald ein, und verfpärte am folgenden Tage feine ſchlimmen Folgen; weldhes ich wohl theils der Begeifterung, theils der Eile, und befonders Bater Claſens vortrefflichem Ueberrode von didem, wolle men Zcuge, zuzuſchreiben hatte. Der Alte war genötbigt, Ach zufrieden anzuſtellen. Das Pferd, das id geritten batte, ward indeß frank, und er wollte mir das Pferd zu Rechnung führen. Als aber Erit mit einem guten Pferde von Gotbland zurädfam, wagte der Alte es nicht mehr, von der Sache zu reden, um den Sohn, des gefpielten Strei- &es willen, nicht noch aufgebrachter zu machen.

Zwei Tage darauf war die Verlobung der jungen Leute. Flemming ſchrieb ein Hochzeitslied, in welchem er, wie es bei folden Gelegenheiten gemöhnlid iſt, mit den Namen fpielte, und von der jungen Sara in Vergleich mit der alten bibliſchen viel Wipiges fagte. Das Hoch» zeitslied ward gefungen, und ich mußte diefen Abend mit dem trefflichen Manne Brüderſchaft trinken; welches ih als eine gar große Ehre anzufehen hatte. Er trug bereits ei⸗ nen berühmten Namen, und feine Gedichte waren mir weit lieber, als die von Opip, die er mir geliehen. Als ich dem ‚Herrn Dfearius meine VBerwunderung über Flemmings außerordentliche Liebe zu den Opißiſchen Gedichten zu er⸗ kennen gab; ſprach diefer: Das ift nur cin Bug von Flem- mings Liebenswürdigfeit; er hat als Kind Opitzens Werke gelefen, fie haben fid) mit feinen blübendften Jugeudvor⸗ Relungen verbunden, er kann fie nicht von dieſen trennen.

Das Schiff war wieder fegelfertig; ih, der ih gar keinen Lebensplan entworfen Hatte, der allein in der Welt Rand, und nun in Flemming, Dlearius und Grahmann

Die Ausfeuer. 57

neue Freunde gefunden hatte, wäre gern mit nad Perſien gereift, alle Uebtigen hätten mid) aud) gen mitgenommen, Herr von Brüggemann fepte fid) aber mit Händen und Für Ben dagegen, befonders, weil es Flemming fo fehr wünſchte. So mußte id) denn nad) Herzliher Umarmung meiner Freunde das Schiff mit ihnen abfegeln fehen.

Jeht mußte id nicht, mas id) anzufangen bitte. Das Sieber war id) freilich 108; durch meinen langen Aufenthalt bier, war mein Geldbeutel aber aud beinahe leer gewor⸗ den; umd obſchon die jungen Leute mich als ihren Wohl⸗ thäter gern bei ſich ſahen, fühlte ih doch, daß es für ein großwmätgiges Herz angenehmer fei, Wohlthaten zu beweiſen, ale zu empfangen.

Dein gutes Shiefal wollte aber, daß ich auf andern fonderbaren Wegen meinem entfernten, geahneten Gläde entgegen gebe, denn eines Tages, als id) ganz trübfelig al- fein in der Stube faß, das Haupt auf meine Hand geftüßt, trat Erit Lundgreen herein und rief mir entgegen: Jetzt, Herr Albert Julius, Fünnt Ihr von Glück fagen, und die Belt zu ſehen befommen, menn Ihr es felbft begehrt. Ein Schiff aus Eſthland liegt hei Calmar vor Anker. Ein vor- nehmer boländifher Edeimann, der Über England nad Dfindien reifen will, bat feinen Kammerdiener verloren, und ſucht jegt einen geſchikten Menſchen, der etwas gelernt Sat, und der immer um ihn fein kann. Wenn Ihr Euch ein wenig Mühe gebt, Könnt Ihr gewiß diefen Poſten bes kommen.

Mir ſchnitt das Wort „Kammerdiener“ verfluht ims Obr. Nag reifliher Ueberlegung fand id es jedoch thö⸗ richt in meiner jehigen Lage eine ſolche Rettung eines blo⸗ Ben Namens wegen nicht zu benupen.

58 Die Ausftener.

Ich ging nach Calmar ab und fick mic bei dem Edel- manne melden. Ich gefiel ihm, und aud) der Herr Karl Franz van Leuven machte auf mid einen angenehmen Eindrud. Cr hatte fein ftolzes Ausfehen; war ein feiner, ſtiller, freundlider, junger Dann, nur, wie es ſchien, etwas ſchwermüthiger Natur. Diefer melancholiſche Zug, verkun« den mit feinem hollaͤndiſchen Phlegma gab ihm etwas An» genehmes. Auch merkte ich bald, dag er verliebt fei, denn wenn er fi) allein glaubte, fügte er oft ein Mignaturbild, das er auf der Bruft trug. Unter den glaft gefämmten Haaren woͤlbte fid) eine fhöne Stirn, die mich an die nie» derländifhen Freiheitshelden denken lich, von weldhen er abftummte. Wir waren bald einig, ich follte es fo gut ha⸗ ben, als er, und ihn nur unterhalten; er hatte bereits einen andern Bedienten, ‚der alle fervilen Arbeiten verrichtete, Indeß blieb mir dod der Name „Kammerdiener.“ Unfere Seegel wurden geſpannt und wir fuhren ab.

Als wir an der Infel Deland vorbeifegelten, fand das junge Brautpaar Arm in Arm am Ufer, winfte mir ein Lebewohl mit den Tüchern zu, und frodnete fi die Augen. Ich grüßte fie freundlich. Das Schiff durchſchnitt die Bel len. Ic ftand auf dem Verdeck, und dachte ſorgſam über meine fünftige Lage nach. Bald aber ſchöpfte id wieder Muth; um mid zu ſtaͤrken, holte id mein Stammbud ber» vor, und überlas in demfelben das treffliche Lied, welches mir Paul Flemming beim Abſchiede gedichtet hatte,

Laß Dich nur Nichts nicht dauern Mit Trauern. @ei fine!

Kopenhagen. 59

wie Gott es fügt, &o fei vergnügt Dein Bitte.

as wiuſt Du heute forgen Für morgen? Der Eine Sept Allem für, Der giebt auch Dir Das Deine!

Sei nur in allem Handel Ohn Bandel. eied fene; Bas Gott befchleußt, Das if und heißt Das Bene!

8 Kopenhagen.

Als wir nad Konenhagen gekommen waren, mietheten wir uns glei) in ein gutes Wirthehaus ein. Mein Herr bekam ein fhönes Simmer, weil aber noch Fein Plap da war, indem ein Fremder das mir beſtimmte Simmer erft räumen follte, fand ih mic) gern darein, dag man mir cin Feldbette in's Bedientenzimmer feßte. Herr van Leuven befuchte diefen Abend einen Bekannten. Als id etwas in

60 Kopenhagen.

den Straßen herumgeſchlendert war, kehrte ich mit dem Hausknechte zurück. Ich gedachte ein*einfahes Abendbrod zu eſſen, und dann früh zu Beite zu gehen, weil mich die Reiſe ermůdet hatte.

Waͤhrend ich die Treppe hinaufſtieg, ermahnte ih mid ſelber, gegen den Bedienten recht freundlich zu ſein, und mich vor allem Stolz und Dünkel gegen ihn wohl zu hüten. Ich Hatte immer die Verachtung gehaßt, womit vornehme Herren fo oft ihre Diener behandeln. Cie ma- hen ihnen das Leben leicht und angenehm, dachte id. müſſen ſich alle Augenblide müde laufen, und befommen obendrein kargen Lohn und höpnifhe Worte. Warum nennt man den Dienerftand niedrig? Ift es niedrig. daß der Aer⸗ mere dem Gtüdlihern hilft, um es ein wenig beffer zu ba» ben? Wie wunderlid, find doch die Menſchen! Jetzt fangen die Porten an, das Hirtenleben zu befingen, und vor ein Paar hundert Jahren waren die Hirten unchrlih und wur⸗ den zu der Klaffe der Schinder und Büttel gerechnet. Ber diente find ja alle Staatsdiener. Iſt es viel beſſer, daß id) für meinen Borgefepten etwas rein ſchreibe, als daß ich feine Stiefeln wichſe? Ich werde mich wohl vor ſolchen Vorurtheilen hüten. Mit diefen chriſtlichen Vorſätzen trat . ich in's Bedientenzimmer. Kaum war id aber da, fo fing die feierliche Stimmung an, etwas nachzulaſſen. Schon die Atmofphäre war mir zuwider, vom den vielen gewichs⸗ ten Stirfeln, die an der Band hingen, auch andere Sachen efelten mich an, Der Bediente des Herrn van Leuven faß mit mehreren feines Gelichters an einem runden Tiſche, vol Beindouteilen, Bierflaſchen, Gläfern, Tabadepfeifen und Tabadsafcır.

As ich Hereintrat, fanden fie alle auf und madıten

Kopenhagen. 6

dem Herrn Kammerdiener ibre Reverenz Ein Lehn⸗ ſtuhl ward mir fogar angewiefen, wo id al6 Primus inter pares präfidiren follte. Da mußte ih denn von diefen hochſt unwiſſenden Menſchen alle mögliche alberne Grob⸗ beiten hören, wie fie Fürften und große Männer verſpotte⸗ ten und verurtheilten. Alles höhnten fie, alles fuchten fie zu fi hinunter in den Schlamm zu ziehen. Nichts Edles, Großes, Berdienftvolles gab es ihrer Meinung nad. Nur Eigennug und Furcht bändigten fie. Da begriff ih denn, woher die Verachtung gegen den Bedientenftand im Ganzen fd) ſchreide. In diefem Trübſtune färte mid mein Nach⸗ bar, der indeß mein Glas gefüllt hatte und vorſchlug, daß wir Brũderſchaft trinken follten. Ich erröthete über und Über, und mar in der größten Verlegenheit. Geraden, Nein zu fagen, wagte ich nicht, um mic der Wuth der ber ' truntenen Menſchen nicht auszufeßen. Ein glüdliher Ein- fall rettete mich: id) gab ein Nafenbluten vor, hielt das Ehnupftud vor das Gefiht, eilte die Treppe hinunter, lief die Straßen entlang, lenkte in einige Duergaflen ein und ruhete nicht, bevor ich mich wor dem Gefindel in Sicherheit wußte.

Ich ließ mich auf eine Thürſchwelle wieder, ergab mich in mein Shidfal und hoffte, die Nachtwaͤchter würden mich wenigftens aufs Rathhaus bringen, mo id lieber bleiben wollte, als in der vorigen Gefellfhaft. Es dauerte auch nicht Tange, fo ſah ich zwei Wächter einen Betrunkenen oder Todten auf ihrer Leiter durch die Straße tragen. Sie hielten an der Hausthüre fi, wo ich faß, liegen die Zeiter herunter und riefen mehrmals: Map Hanfen! Mag Han- fen! jeßt feid Ihr zu Haufe. Es dalf aber alles nichts So müſſen wir ihm in die Naſe kneifen, ſprach der cine,

62 Kopenhagen.

Als das geſchehen war, fing der Betrunfene auf der Leiter an, munter zu werden, richtete ih auf und ſprach beiter: Schon da! Nun, gute Nacht, lieben Kinder! Gotteslohn! Da ift Trinfgeld! Habt Ihr geflingelt? Sie taten es und das Mädchen kam berunter mit Licht. So entdedten mid die Wächter und wollten mid; gleich wegſchleppen. Als ich aber erzählt Hatte, wer ich fei, und wie id mid verirrt babe, ſprach Mas Hanfen auf Deutſch: Irren ift menſch⸗ lich. Bei Gott, Kinder, Ihr follt diefem armen deutſchen Menſchen nichts zu Leide thun! Es ift eine gute Haut und ein ebrlihes Blut, das merke ih an Alem. Es giebt über haupt im diefer Welt feine Bosbeit, keine Sünde, keine Schurken, Betrügereien und Efeleien, das find nur Schlin- gel und Spitzbuben, die fo etwas gegen das arme Menſchen⸗ oeſchlecht behaupten. Alles ift gut, vortrefflih, allerliebſt auf diefem ſchoͤnen Erdenrunde. Echt nur die Sterne dro⸗ ben! die Milchfleken und Nebelftragen, wie fie funkeln und fid herumdregen! Was find wir Würmer und Maden ger gen ſolche mächtige Himmelstörper, die nie zu Bette gehen? Und wenn f.Ioft fie benebelt fein können, können wir es nicht? Wenn ſelbſt der Himmel feine Zleden hat, was ſchä- men wir uns, benebelt und befledt zu fein? Seht nur, wie bel und demüthig der Mond im Ninnfteine daliegt. Der Koth vermag feine ätherifhen Strahlen nicht zu verduns fein. Wenn der Mond im Ninnfteine Tiegen fann, feiner Gottheit unbefhadet, wie follte ich es nit auch, der ich nur ein Anterfhmid bin? Und bin id nicht derfelbe reihe Map Hanfen, der ſich feinen Sonntagsrauſch getrunfen bat, dort, fo gut wie anderswo? Darauf verließen ung die Wächter Mag Hanfen führte mid die Treppe hinauf, und wies mir ein ſchönes Dimmer und ein gutes Bett an,

Kopenhagen. 63

mo ich Heute übernachten könne. Der Rauſch ſchien ihn etwas verdunftet zu fein; als er hörte, daß ich nod nicht zu Nacht gegeffen, ließ er kalte Küche bringen, und ich mußte noch ein Glas mit ihm trinken.

Bir Dänen, ſprach er, müſſen mehr als andere Men- ſchen trinfen, weil wir bier mitten im Deere wohnen, um uns gegen die feuchten Dünfte des Ozeans zu wahren. Ein Rauſch ift an und für ſich nicht zu tadeln, wenn man ihn nur gut vertragen kann, und wenn er der Gefundheit, dem Fleige, der Tugend, den Verrichtungen keinen Abbruch thut. Ich bin eigentlich nie befoffen und verliere nie mein menſch- liches Beroußtfein, noch mein Lörperliches Gleichgewicht. Lege ich mid) einmal auf die Leiter und laſſe mid) von den Waͤch⸗ tern nach Haufe fragen, fo ift das eine freiwillige Hand» lung, weil id) diefe Beförderung Liebe; fie ift commode und öfonomifd zugleich: ich ruge da bequem auf den Eprofien. und kann mittlerweile friſche Luft ſchöpfen und die Milch»

ſtraße betrachten. Sonft trinke ich gewöhnlich alle Tage nur vier Flaſchen Wein. Der Sonntag allein ift eine Aus nahme, da trinke ich zwölfe und gerathe dadurd in drei verſchiedene Zufände. Erſt werde ich fehr mittrauiſch und zankiſch, und da ratbe ih Keinem, mir zu nahe zu treten, weil id in diefem Zuftande mit Scheltworten und Nafens Nübern fehr freigebig bin." Naher ergreift mic eine in» ige Behmuth und Demuth; ich werde über Alles gerührt, die Thränen laufen mir von den Baden herunter, und ich befomme eine übergroße Luft, alle Menſchen zu küſſen und wm umhalſen und um Berzeifung zu bitten, bis ich das Du- send geleert habe, wodurd ich denn in die Erhabenheit ger rathe; dann ſchaue ich zum Himmel hinauf, und Tann mit

64 Kopenhagen.

dem Zählen und Vewundern der Firfterne und Plaueten nicht fertig werden.

Den Morgen darauf trat er Beiter und räftig zu mir in’s Zimmer, und fah gar nicht aus wie ein Menfch, der ausfhmeift. Sein Geſicht war freilich kupferroth, und die Naſe hatte etwas traubenähnliches, die Meinen Augen blig- ten aber hell und Fräftig unter den ungeheuren Augenbraur nen hervor, die ausfahen, als ob fie mit Stiefelwichſe ges ſchwaͤrzt wären. Er war vierfhrätig und von einer erftaun- lichen Leibesftärfe. Die Hand drüdte er mir fo, dag das Blut mir faſt zu den Ragelwurzeln heransiprang, wobel er übermäßig lachte. Nachdem ich erft warmes Bier mit ihm hatte trinfen müffen, folgte ich ihm in die Werkftatt, wo ich mid) denn über die Kraft wundern mußte, womit er die gewaltigen Anter haͤmmerte. Alle Gefellen bezeigtem ihm die größte Ehrfurcht, auch war er den ganzen Tag bindurch ein ordentfiher Diann Es freute ihn, dag ih auch ein wenig von der Schmicdefunft verſtand, dod meinte er, daß ich mit meinem glatten Mädcengefihte zum Schmid nicht tauge. Jeßt brachte er mid aud zu feiner Frau, einem friſchen blonden Beide, mit ſchelmiſchen Augen. Als fie wieder in die Küche gegangen war, fagte er: Bir haben noch einige gute Zimmer zu vermiefhen, und wenn Herr vam Leuven vielleicht hier wohnen wollte, fo ſtehen fie ihm zw Dienften. Im Wirthsbauſe iſt es zu theuer wohnen, da muß man nur frinten. Mein erſtes Stocwert wird von einem vornehmen Dffizier bewohnt, der viel nach Hofe tommt. Er iſt ein guter Freund von uns, beſonders von meiner ‚Grau. Die Leute nennen ihn den Mars, meine Gran die Venus und mi den Bulkanus. Beil id mid aber auf die Etymologie nicht verftehe, fo weiß id den

Kopenhagen. 65

Henter, mas die Tuckmäuſer mit diefen Redensarten fagen wollen. So viel weiß ih, daß Bachus der Gott der Re⸗ ben ift, und das ift mir genug. Uebrigens Hat mir der Offizier die Lieferungen für die Flotte verſchafft, wodurch er mid zum wohlhabenden Manne gewmacht hat.

Jetzt eilte ih nad dem Wirthshaufe, um Herrn van Leuven über alles Bericht zu erftatten. Er begegnete mir in größter Unruhe auf der Treppe; die ganze Nacht hatte er meinetwegen fein Auge zugethan, weil id), nad) der Bes dienten Ausfage, einen Blutfturz bekommen babe, und wie ein toller Menſch meggelaufen fel. Sie batten mid überall gefucht, aber nirgends finden können. Ic erzäbkte ihm ale des rein ans, mie ſich die Sache verhielt. Lieber Julius, ſprach er leutfelig. warum habt Ihr mir das nicht gleich gefagt? Im der kurzen Zeit, dag wir uns Eennen, babe ih ſchon an Euch entdrdt, dag Ihr ein gebildeter, braver Jäng- ling feld. Von jept an feid Ihr mein Sekretär! Iſt es fo gut? Der nafeweile Bediente bat fhon feinen Abſchied, ih mochte ihn fo nicht leiden. Wollt Ihr aber, bei mir blei⸗ ben, fo will ih Euer Glück machen. Ihr gefallt mir. ih brauche einen Freund, und wein Herz fagt mir, daß ich ihn in Euch finden werde.

Diefe feltene Güte rübrte mid fehr, ich küßte Herrn van Leuven die Hand. Gleich darauf liegen wir alle un fere Sachen nad) dem Haufe des Schmids bringen, wo wir uns ſeht gut befanden.

Herr van Leuven hatte manches abzumachen und viele Briefe zu ſchreiben, wovon ih gar nichts wußte. obſchon ich fein Sekretär war. Während der Zeit ging der treffe liche Schmid mitunter mit mir in der Stadt berum. Er

brachte mid) am nähften Sonnabende in den fhönen Ro- Oedlenſ. Schriften. XVII. 5

66 Kovenhagen.

fenburgergarten, mo eine köſtliche Statue von Bronze auf- geftelit wurde, die ein vom Lönen zerriffemes Pferd vor Reit.

Man mutmelte allerlei von der Bedeutung des Bildes; von dem Herzoge von Lüneburg, deſſen Bapdenbild ein Pferd ift, wie das daͤniſche ein Löwe, und frug fi mit allerlei Reden von der Feindſchaft, die der Herzog dem Könige im dreigigiährigen Kriege gezeigt habe. Aber laut wagte feie ner zu foreden, außer Maß Hanfen, der heute Feierabend machte, und ſchon ein Paar Flaſchen über das gewöhnliche Maag ausgeftohen Hatte. Er war jept in feiner zaͤnkiſchen Laune und machte laute Anmerkungen über deutſche Pferde and daͤniſche Löwen, die ſich feinen lüneburger Sand in die Yugen werfen liegen. Drauf fing er noch an, über deutſche Windbeuteteten Stichelteden herzufagen. Das hätte ich ihm nun als Deutfcher eigentlich Übel nehmen follen. Weil ih An aber fhon dannte und wußte, daß diefe Gemuͤthoſtim mung bald in eine fanfte übergehen wärde, fobald er nur mehr Wein getrunken habe, eilie ich ſchleunig mit ihm In eine Schenke, und kaum hatte er noch zwei Flaſchen geleert, To mußte ich wieder mit ihm in den Garten hinaus. Hier fing er an, meinend eine Menge welfen Laubes in den Hut au ſammeln und obfhon es im Spätherbfte mar, wollte er oc, Vergigmeinnichte und Veilchen pflüden. Ach, Ir Kns, ſprach er ſchluchzend, was find wit Menſthen andere, als welles Laub? Alles Fleiſch iſt Heu. mein Sohn. Alles bluͤht aur, um zu verweifen. Ein groter Zweifel beengt mir die Bruſt. “Wieder Herzensjunge, kannſt Du mir die Unſterblichteit matgematifch beweifen? Glaubſt Du wirklich daran, daß mir nad) dem Tode im Sarge einmal wieder fellg aufleben und die Augen aufſchlagen, wenn wir be

Der Mater. 76

graben find? Id) weiß wohl mad den’ Volizeigefepen ift es ung befoßlen, fo etwas zu glauben. Aber ale Philoſophen lieber Junge, als Freidenker und Atheitten, was glauben wir da? Und warum fann eine Katze oder ein Hund nicht eben fo felig wie id werden, wenn er fih bier im Lehen gut auffũhrt und nicht betrintt? Als wir nach Haufe gin- gen, verließ er mich, um durd die legte Dofis in-die Er⸗ habenheit zu gerathen, und da zweifle id denn nicht, dag ihn die Aſftronomie wieder in’s Gleichgewicht haben wird.

® Der Maler.

Sert var Leuven hatte für meine Garderobe geforgt, die fehr in Verfall gerathen war; als aber der Schneider mir das Maaß nahm, und es doppelt, für einen männli- dien und einen weibiihen Anzug machte, Tonnte id) das nicht begreifen. Das Näthfel löſte ſich aber bald. J

Im ſchoͤnen Herbſtwetter fuhren wir zur Stadt hinaus nad) dem Holländerdorfe‘). Dies Dorf ift an einem anmutpigen waldigen Hügel gelegen, wovon man die freie Ausficht hat Über Kopenbagen, die Infel Amat, die Oſtſee und Schweden. Seinen Namen hat e6 von Holändern bes kommen, die feit den Zeiten Chriſtian des Zweiten dort

*) Racer Greberitäberg.

68 Der Water.

wie auf der Infel Amat wohnen und die Stadt mit (hd nem Gemüfe verfehen.

Bir fuhren den Hügel hinauf und hielten vor einem anmutbigen Häuschen am, wo des Königs Hofmaler Karl van Mandern wohnte der ein vorzüglicer Künftler und

+ alter Freund des Edelmanns, und eben in diefen Tagen

damit beſchaͤftigt war, des Känige Bild zu malen.

Seine Stube bing voll von Werken flamändifder Meir fer, und ich fonnte mid) an den reizenden Bildern nicht fatt fehen, obſchon fie lauter alltägliche Gegenftände dar- elfen, weil alles mit fo viel Wahrheit, Treue und Gemüth- Tichfeit wiedergegeben war.

Das ift es chen, ſprach van Mandern, nicht ſowohl

* den Gegenftand bewundern wir in der Kunft, als vielmehr

deu Geift des Künftlers, der das Ding mit Kraft und Ges fühl auffaßte, und deshalb können uns die gemeinften Sa- Gen im Bilde, als ausgezeichnet erfreuen. Biele neuere Italiener dagegen behandeln das Große und Erhabene auf eine konventionelle Hleinlihe Art, und darum maden uns Diefe Bilder, die nicht ſchöne Nachahmungen der Natur, fondern mittelmägige Nahahmungen der Kunft find, fo ver» ſtimmt und niedergefchlagen. Allein das können die meiften vornehmen Leute nicht begreifen! Und Bott foll mid) ftrafen, wenn mander Italiener jept, der in einer Nacht einen Gott Vater bei Fadelihein verfertigt, im Etande ift, bei Tagese lichte eine ordentliche Kuh auf dem Felde zu malen.

Habt Ihr die Frauentracht vom Schneider bekommen, frug van Leuven laͤchelnd, als das ernfte Geſpraͤch abge» brochen war. Verſteht ſich, antwortete der Maler, fie bängt droben im Dachzimmer, wenn fid Albert hinauf be⸗ mühen will. Albert, ſprach van Leuven, es wird näd«

Der Mater. 6

ſtens eine Masterade gegeben, hättet Ihr wohl Zur, der» felben beijuwohnen? Zu fo etwas bat ein junger Menſch inmer Luſt, war die Antwort. Wohlan, verfeßte er, Ihr folt als junge Holländerin gekleidet erſcheinen und ich wil Euer Edelmann fein. Herr van Mandern bat mir ver- ſprochen. Euch beſtens auszuftaffiren, damit das Männliche fo viel als moͤglich verſchwinde. Ihr feid ein hübſcher Jüng- ling, habt noch feinen Bart umd könnt zur Noth für ein Srauenzimmer gelten. Geht hinauf und zieht Euch die Kleider an ich will mich fo lange in der Gegend umfehen. Benn Ihr fertig few, fo zeigt Euch dem Herrn van Man« dern; er wird an Euren Pub die lette Hand legen. Diefer Spaß machte mir Vergnügen; oben traf id eine alte Haushälterin, die mir half, wo mein eigener Ber fand nicht ausreidhte, und bald ftand die junge Holländerin fertig da. Ich lief die Treppe Hinuter, riß die Thüre meit auf und rief: Da bin ich, Herr van Mandern! Wie kleidet mich Die Tracht? Iſt es fo Recht? Wie erſchrak ih aber, als ich einen Rattliden Herrn vor dem Maler fipen fab. An dem bedeutenden Geſichte, der goldenen Halskette, worin er den Elephantenorden trug, und der herunterbängenden Filz⸗ loce errieth ich gleich, daß es der König fei. Id lief er- ſchrocen zurüt und ſchlug die Thüre hinter mir zu. Der König ſprang lachend auf und rief: Ei, ei, mein lieber van Mandern, ift das die alte Hausbälterin, von der Ihr mir vorgefhwapt habt? Großmädtigfter König, ant- wortete der Maler verwirrt, es ift eine junge Verwandte von mir, neufih erft von Amfterdam angefommen. Cie verficht werder daniſch noch deutſch. Nun, fprad der König. fo viel holländiſch verſteh' ich ſchon, als möthig ift,

70 Der Aukerſchmid in feiner Glorie.

am ein junges Frauenzimmer zu unterhalten. Ich zit terte am ganzen Leibe hinter der Thüre und dachte: Gro⸗ Ser Gott, wie wird das ablaufen, ich ſpreche weder Hol⸗ Sändifh, noch Hin ich ein Srauenzimmer.

Glůclicherweiſe befreite mich des Königs geliehtefte Tochter, die ſchoͤne Fräulein Eleonora Chriſtina. Sie hielt in ihrem Wagen vor der Thür, und war gefommen, um ihren Bater während des Malens zu unterhalten, damit er fein luſtig ausſehe und vor Langeweile kein faures Geſicht made. Kaum hatte der König durch's Fenſter feine Toch⸗ ter bemerkt, fo ſetzte er ſich gleich wieder fehr gravitätiſch auf den Stuhl und bat den Mater, in feiner Arbeit fort- aufahren. IA lief wieder hinauf, kleidete mich ſchleunigſt um und ſchlich mid aus dem Haufe, um Herrn van Leuven draußen zu treffen. Diefer Zufall machte ihn fehr beſtürzt. Er Hätte meinen ganzen Plan über den Haufen werfen tonnen, ſprach er. Gott fei Dank, daß alles nod fo gut abgelaufen ift. Ich begriff feine Worte nicht, wollte aber nicht weiter in ihn dringen, weil ich merkte, daß er nicht Luſt Hatte, fi umftändlicher zu äußern.

10. Der Ankerſchmid in feiner Ölorie.

JIhr dürft aber nicht meine Fran umhalſen und küfe fen, denn das geht zu weit,” hörte ih den Ankerſchmid

Der Ankerſchmid in feiner Blorie 71

verdrießlich rufen, als ich, wieder nach Kopenhagen zuräd- gekommen, in die Stube trat, wo id Qulfanus, Mare und Venus zufammen traf. Ei Map Hanfen, rief der Dfr Mister Tuftig, einen Kuß in Ehren darf niemand mehren. Ih f&mwöre End zu, es ift der erfte, den ich ihr beute im meinem ganzen Leben gegeben habe. Date ih dad, Ihr märet über ſolche Vorurtheile weit erbaben. Seid kein Kind, Freund. und hört, mas ih Euch Wichtiges zu fagen babe. Ihr habt mich fo oft beneidet, weil ich bei des Ko⸗ nigs Tafel eſſen und trinken kann; was fagt Ihr dazu wenn ih Euch auh eine Einladung zur Königs-Zafel ver ſchaffe. wo Ihr nicht nur trinken fol, fo viel Ihr Luſt bat, fondern mod weit mehr.

Macht mir den Kopf mit Euren verfänglihen Neden nicht noch krauſer, rief der Schmid. Trage ich fein Schwert an der Seite, fo verfteh” id mit dem Hammer in der Hand defto beffer umzugehen, und mein’ Sec’, der Menſch, dem id) damit vor. die Stirn ſchlage, fteht fobald nicht wieder auf. So mahr ih ein Ravalier und Euer guter Freund bin, ſprach dr Dffizier, ich babe Euch nichts vorgelogen. Hört mir aufmertfam zu. Hier ift eine vorncehme fuͤrſtiiche Verſon ein Knees aus Rußland angefommen, der fih ein» bildet, der erfie Trinker der Welt zu fein. Der König hat es fon mit allen feinen tafelfäbigen Unterthanen verfucht, ihn zu überwinden ; fie haben aber alle dem Kürzeren ger zogen. Beil nun der gute Herr feine Unterthanen wie Kin- der licht, hat es ihm das Herz gefreſſen, daß die Dänen ihren alten Ruhm, die been Trinker zu fein, einbüßen _ felten. Da trat id vor Seine Majeftät und ſprach getroft: Grohmdchtigſter König und Herr! Nicht immer in den bd- heren Etänden fol man die Tugend und ausgezeigneten

i2 Der Anferfhmid in feiner Glorie.

Leute ſuchen; oft unter einem ſchlichten Kleide verbirgt fich das flille Verdienſt. Ic kenne einen wacern Zecher aus dänifhem Geblüte, der es mohl mit dem ruſſiſchen Kneeſe aufnehmen kann. Zwar iſt er weder von Adel, noch von ausgezeichnetem Range, treibt aber ein ehrliches Gefhäft, denn er maqt den Schiffen Eurer Majeftät Flotte den ge» waltigen eifernen Zahn, womit fie in den Abgrund beißen, und der Mat der Elemente trogen. Es freute den König fehr, Euch fo rühmen zu hören; und er ermiederte: Hat nichts zu fagen, daß er fein Adelicher üft, wenn er nur nicht betrunken wird. Eilt ſogleich nad Haufe, und fast Eurem Schmid, daß er fi Übermorgen Punkto eif Ubr im großen Luſthauſe des Rofenburger Gartens einzufinden babe. Laßt ihn aber erſt ins Bad gehen, reine Waͤſche ans ziehen, ſich mit Biſam und riechendem Waſſer die Gelente einreiben; leidet ihn dann wie einen Ritter und bringet ihn mit. Ich eilte nun ſpornſtreichs hieher, Eurer Fran das Evangelium zu bringen; weil das gute Weib Euch nun zärtlich liebt und wohl meiß, wie fehr Euch diefe Auszeich⸗ nung ſchmeicheln würde, iſt fie mir vor Freuden um den Hals gefallen. Das ift es alles!

So falle ihm noch einmal um den Hals, liebe Frau, rief der Anterfhmid gerührt; denn das ift ein wahrer Freund in der Noth,. der wohl weiß, wo mid der Schub drüdt. Habe id erſt die Freude gehabt, mid vo: dem Angefihte Seiner königlichen Majeftät und an feiner eige- nen Tafel zu betrinfen, fo will id gern ind Grab gehen. Aber erft den ruſſiſhen Knecs überwinden, rief der Dffier. Das wird feine Noth haben, antwortete der Schmid.

Das Wetter war noch wortreflih, das Gras —*

Der Anterfhmid in feiner Gloörit. 73

grün und die Bäume voll frifher Blätter, deren goldene Heröffieden im Sonnenſcheine nur ein noch fhöneres Far- benfpiel gewährten. Freilich wor dieſes Jahr eine Aus nahme, aber auch immer ift Dänemark mit feinem Meere und feisen Seen, mit feinen Biefen, Acdern, Hügeln und herrlichen Wäldern weit ſchöner, als das nördlihe Deutſch- land mit feinen fandigen Tannen-Haiden, und als ein Theil Frankreichs, mit feinen kreidigen Weinbergen. Nur in Düs nemart und England wachſen die Buchen fo mächtig und fbön, grünt das Gras bis in den Winter hinein mit fole ber Friſche; auch iſt die Kälte bier eigentlich gar nicht zu Haufe; die Infeln in der Dftice werden, wie England, ‚mehr von Negen und Nebeln, ale von Eis und Schnee beimgefugit. 5

Als cin junger Menſch ſpürte ih eine große Luft in mir, der Zrinkfcene im Lufthaufe zuzuſehen. Das lieh ſich aber nicht thun. Herr van Leuven hätte vielleiht, als Edel» mann, dieſen Spaß baben können, wenn er ih am Hofe Hätte vorftellen laſſen; er war aber zu ernft, um Vergnügen an fo etwas zu finden, auch wuͤnſchte er inkognito zu bleiben.

Unverhofft. fagt man aber, kömmt oft. Ich batte mich den Tag vorber in der Morgenftunde auf eine Bank im Rofenburger Garten niedergelaifen und las in den Horazifchen Den. Eine Bortfügung war mir zu ſchwer, ich zerbrach mir vergeblich den Kopf, und wünſchte mir laut ein Wöre terbuch. Hier it cin Börterbud, börte id) einen Men⸗ fen fagen, was wollt Ihr willen? IA ſchlug die Au⸗ gen auf und entdedte einen ſchoͤnen, wohlgebildeten Herrn, mit geiftreihem, freundlichen, zugleich aber etwas ſtolzen Geſichte, febr prächtig angezogen, der neben mir ſaß. Ih fprang von der Banf auf, grüßte ihn chrerbietig und

74 Der Anterfpmid in feiner Glorie

reichte ihm das Bach. Gr überfepte mir gleih die Stelle mit Leichtigkeit in gutes Deutfc, obſchon ic an feiner Aus⸗ ſprache mertte, daß er ein Däne fe. Habt Ihr erft neulich angefangen, Latein zu lernen? fragte er. Nein, geftrene ger Herr, antwortete ich; die Horaziſchen Oden find aber ſchwer, es kommen fo viele Bezichungen und Heine griechi⸗ ſche Wendungen darin vor, Daß es einem immer genug zw ſchaffen macht, wern man aud die einzelnen Worte ver ſteht. IM will Euch doch in einer wenigen ſchweren Ode +zaminiren, ſprach er, blätterte ein wenig herum, und zeigte drauf gleichgültig auf eine Etelle mit dem Finger. Ich überfeßte:

„Geroaltiger wird Die ungeheure Tanne vom Cturme gefchüte

telt; die erhabenen Burgsinnen ſtützen mit lauterem Getöfe ;

der Bliß fchlägt in Die Höchften Bergaipfel -

Ganz gut, ſprach der Fremde, der auf den Inhalt der Heilen nit zu achten ſchien, fondern nur daraus meine Sorachtenntniß erfehen wollte, Als er hörte, ich fei ein Fremder, der große Luſt babe, morgen der fonderharen Zrinffcene beizuwohnen, verfrad) er mir einen Plaß drau- Ben im Garten beim Fenſter zu verſchaffen, wo es dem Bolte bei ſolchen Gelegenheiten erlaubt fei, zu ſtehen. Ber det Euch nur an einen meiner Bedienten, fprad er, und ſagt. ich Habe «6 defoblen, dann wird man Euch gleich ce» nem guten Plag verſchaffen. Damit ging er fort, ohne mir zu fagen, wer er fel. Ih wagte nicht zu fragen, und fo war id denn wieder nit weiter, als vorher, als ih eine Heine fonderbare Geſtalt durch den Garten nad) dem Schloſſe hinauf eilm fah. Es mar ein ältliher Mann mit trummer Nafe und großem, kahlen Scheitel deffen we⸗

Der Ankerſchmid in feiner Glorie 75

ige braune Haare ſchon anfingen, gran zu werden; er war in ein ſchmutziges, ledernes Wamms gekleidet, umd feine Skube waren mit Hafen zufammen geneftelt; in der rede ten Hand trag er einen Stod, mehrere Bapiere unter dem linten Arme und an den Fingern hatte er Dintenkiedfe. Dabei ſah er weder rechts, mod links, fondern eilte nur in feinem Berufe fort. Id wagte es indeß, ibm in dem Beg zu treten und beicheiden zu fragen, ob er mir nicht fagen fünne, wer der vornehme Herr dert fei, der mid in . den Horayifchen Odeu eraminirt habe? Der Heine Mann- ſtarrte mid, mit durchdringenden, blauen Augen an, und fragte dann neugierig: Weihe Etelle hat er Euch über feßen laſſen? Ich zeigte ihm die Dde. Er fhlug die Au- gen zum Himmel, ſchuttelte den Kopf und rief: Sonderbar, fonderbar! Allein mas helfen alle Warnungen. Lieber Freund, warum habt Ihr ihm nicht auh den Schluß über- feht: „Sch keck und ftark im Gläde, wenn fid) aber der Wind drebt, ziehe weielich die gar zu ſchwellenden Seegel ein.“

Der vornehme Herr in goldgeſticter Seide, verſette der Meine Mann, ift der Reichsbofmeiſter Gorfig Uifeld; und ic im Ledertoller. mit zuſammengeneſtelte Schuben, bin des Königs Staatsfekretär Friederid Günther.” Gr habt Euch wohl, mein Freund. ich babe feine Zeit, länger mit Euch zu forechen. Damit eilte er zum Schloffe hinauf, und ich konnte mich äber dies fo fonderhare, gegen einander abſtechende Paar nüht genug wundern.

Am folgenden Tage fah ich die ganze Trinttomodie ſeht gemaͤchlich dard's Gartenfenfter. Der König ſelbſt führte dem vornehmen Ruſſen in den Gartenfaal, wo der Aufl) gededt Rand. Mein Wirth war auch fhen da, und

76 Der Anterfhmid in feiner Gloric.

ich erkannte ihm nur an dem bäurifhen Komplimente, das er dem Könige machte, fonft wäre es mir unmöglich gewe⸗ fen, denn er ftroßte fteif im goldgefitten Node, und auf's Haupt hatten fie ihm eine große gepuderte Perräde mit weit hinunterhängenden Loden, gefekt.

Der Tiſch mar reichlich mit Speifen verfehen, mit Bra- ten und Pafteten, Beinfuppen und Torten. Die Pafteten maren wie Greife gebaden, mit ausgebreiteten Flügeln, reichlich vergoldet, bemalt und mit Budsbaum ausftaffirt. Borne an der Bruft trugen fie das dänifche Wappen. Auch ward viel Gebadenes aufgetragen, wie Bafilisken und Hähne geformt; zwei gebratene Ferkel fah ih mit rothen Aepfeln, Hechte mit Leber im Munde. Auch mangelte es nicht an Marcivanen und föftlihen Gonfituren.

Der König winfte, und eine fhöne Tafelmuſik lietz Ad) durch verfhiedene Deffnungen im Saale hören; bad ſchien fie ganz nahe, bald weit entfernt zu fein. Dicfe reis sende Erfindung verdanfte man dem Könige ſelbſt. Der Nuffe glaubte, «8 fel Hererei, und munderte ſich über die Magen, Der Schmid lich fih aber von nichts anfehten; er ftand ganz ruhig, die Augen ftarr auf die großen, ſilber⸗ nen Pokale gerichtet, die ihm zum Eiege winkten. \

Jetzt follte das Trinken losgehen. Der Anterfhmid faß dem Kneeſe gerade gegenüber. Er war vorher dem Geſellſchafter des Ruffen, der franzöfiih forady. vorgeftellt worden, als ein Herr von Anker, aus einer fehr alten Fa⸗ milie, die ſich fhon vor den Zeiten der Sündflut befon- ders ausgezeichnet habe. Jetzt wurden den beiden Zechern die großen Pokale gereicht. Der Ankerſchmid hatte nur fo viel Franzoͤſiſch gelernt, dag er „A vous!“ fagen konnte, da- mit ihm der Ruſſe immer Beſcheid thue Als fie aber eine

Der Ankerſchmid in feiner Glorie. 77

Weile ſolchergeſtalt getrunken hatten, fing die däniſche Macht an. zu ermatten, und der König fürchtete, Map Hanfen würde die Sergel reihen müſſen. Gr war aber jegt in feiner zäntifhen Laune, und fing an, über die Allongever- rüde, die er tragen mü’te, gewaltige Satiren zu machen. Benn man in einem ſolchen Wulſte erftikt wird, ſprach er, und fo eingewidelt in goldgeftidten Schnärbrüften fipen muß, wie ein Kind in Windeln, wie fann man da als freier Mann trinken? Bekomme id nicht Erlaubnig, die unnöthie gen Kleidungsftüde über Bord zu werfen, fo vergehe ih mit Mann und Maus, und der heilige ruffiihe Nikolaus bat auf ewig die drei dänifthen Zömen mit fammt dem Elefanten verfhlungen. In's Teufels Namen, rief Cor- ſitz Uifeld, thut, wie es Eud gefällt, nur trinkt! Kaum börte Map Hanfen diefen Orakelſpruch, fo flog die Allonge- perrüde Über den Tiſch und einem Pagen in’s Gefiht, der Dinter des Könige Stuhle ftand. Hierdurch verbreitete ſich eine weiße Staubiwolfe über den ganzen Tiſch, und aus diefem Baubernebel flieg Mag Hanfen wie men geboren empor; denn als das Wetter ſich erheiterte, faß er wieder ganz als Ehmid da, mit tahlem Scheitel, in bloßen Hemds⸗ ärmeln, die nicht die ſauberſſen waren, weil die Spitzen⸗ manſchetten an den Händen nicht weit hinauf reichten. So griff er aufs neue das Werf an mit Fäuften, während ihm die heilen Thränen über des Königs Leutfeligfeit und Here ablafung über die Baden in den Becher floflen und den Bein würzen; denn jept war er in die Wehmuth gerathen. Der Ruffe fing an, noch dümmer, wie vorher, auszufehen, wiſchte ſich den Bart mit der Hand, wie die Kape mit der Pfote, wenn fie zu viel Rahm getrunken, und wollte fon Stillſtand machen. Alein Mag Hanfen, dadurch nur mehr

78 Der Unterfgmid in feiner Glorie

angefeuert, rief begeiftert: Bei allen heiligen Siebengeftir- nen und Himmelswagen, jetzt wollen wir ein Mal die Ge ſundbeit des unfterblihen Aftronomen Tycho de Brabe trinfen, der aud, wie ic, eine kupferne Naſe trug, und der fi fo gut auf den Himmel verftand, ohne ein Narr auf Erden zu fein. Aber erft muß ih ein wenig friſche Luft ſchopfen, umo.die neue Statue da hinter den Bäumen in der Nähe befehen, damit es mir nicht wie Tycho de Brabe bei der Tafel des Kaifers Rudolf ergebe.

Die Hofleute fahen bedaͤchtig den König an, als aber diefer laut auflahte, wagten fie es aud. Der Ruſſe bog ſich mit f@läfrigen Augen über den Tiſch und verſuchte ver seblich, den Mund zum Läheln zu ziehen. Da trat Map Hanfen nieder neu belebt und räftig in den Saal, und ale er ein großes, ſilbernes Beden bemerkte, einen Gishehälter, worin man Sommers den Wein abfühlte, befahl er dem Mundſchenken. denſelben mit altem Rteinweine zu füllen. Drauf den Ruſſen am Halstragen füttelnd, rief er laut: & vous! und verſchlang die Hälfte. Nun follte der Knees die zweite Hälfte ausleeren, kaum hatte er aber aue gefangen, fo verdrehte er die Augen, wie ein Stück Bich, das mir dem Beile vor die Stirn geſchlagen wird, und ſank wie leblos unter den Ziſch. Darauf ward dem Dir nen Map Hanfen mit vielem Hurrahrufen von den Pagen eine Weinrebe. um’s Haupt geflochten, umd fo ward er im Triumphe vom Volke nad) Haufe gefahren.

Die männlide Braut.

11.

Die männlide Braut.

Ich Tehnte mic, nad) der Masterade, und wagte Herrn van Leuven zu fragen, ob fie nicht dald Statt Haben wer⸗ de? Ja wohl, lieber Freund, ſprach er, uͤbermorgen wird fie gegeden; die einzige vermummte Perfon folt aber Ihr fein. Und doch braucht Ihr Feine Maske zu fragen. Ich will Eud auf dem Lande in eine Geſellſchaft als meine rau einführen. Seid nur darauf bedacht, recht zaͤrtlich gegen mich zu fein. Ihr braucht aber nicht zu ſprechen; #9 führe Euch in eine englifhe Familie, wo fie nicht Hol landiſch verſtehen. Die Engländer ſprechen ohnehin mit fremden Frauen, die Re zum erften Male feben, wenig; die Holländer gar nicht, und Ihr Fünnt fo blöde und ſchüchtern fein, als Ihr wolt. So viel Helländiſch Könnt Ihr ſchon. um zur Roth einige höflihe Worte zu ſagen. Spielt Ihr Eure Rolle gut, fo habt Ihr mein Glüd gemacht, und ih merde das Eurige machen, wenn Ihr Euch dazu entſchlie- Ben Fönnt, mir nah Oſtindien zu folgen. Ih folge Euch Dis an der Welt Ende, Herr van Leuven, ſprach ich und thue gern, was ihr von mir verlangt.

Ohngefahr zwei Meilen von der Stadt naͤherten wir uns einem (hönen Lamdhaufe, am Eingänge eines Waldes und am Ufer eines Sees gelegen. Hier mehnt ein eng« Hiper Kaufmann, Herr Samuel Plärs, forad van Leuven. 3% babe feine Bekanntſchaft vor zwei Jahren in London gemacht. Der Kämig von Dänemark, der viel für den Hau⸗

© Die männlige Braut.

del feiner Staaten thut. bat diefen einfictsvollen Maia auf vortheilhafte Bedingungen dazu vermocht, ſich in Die nemark niederzulaffen. Ban Lruven würde mir noch mehr gefagt haben, aber ein Better des Haufes, der ihn Eannte, begegnete uns ſchon zu Pferde und rief: Ei, ei, mein Herr van Zeuven, willlommen in Dänemark! Erinnert Ihr Euch aber auch wohl Eures Verſprechens; meinen Obeim nicht eher zu beſuchen, als bis Ihr verheirathet waͤ⸗ vet? Das ift ſchon geſchehen, antwortete van Xeuven, und bier feht Ihr meine Frau. Nun, das if mas ans ders, rief der Engländer. Und wenn Ihr heute über vier- zehn Tage wiederfommt, boffe ih Euch and. meine Braut zu zeigen, denn die ſchöne Concordia wird, hoffe ih, bald ihrem Vater geherfamen, und mir ihr Jawort geben. Alſo thut fie es nicht gern, fragte van Leuven mit einem gezwungenen Lächeln, indem er die Bläffe feines Gefichtes mit feinem Schnupftude zu verbergen ſuchte. Das giebt ſich alles nachher, ſprach der Engländer. Jetzt will ich Cuch aber gleich melden. Co ſelbander feid Ihr uns ſehr will kommen! Damit fpornte er fein Pferd und ritt zuräd. -

Nun wißt Ihr (don etwas, Albert, ſprach van Leuven. Vergebt, daß ich noch ſchweige. Mein Herz fdlägt mir zw unruhig, zu ungeduldig. zu gefpannt ermartungsvoll. Spiele aur beute die Rolle meiner Frau! Sie ift leicht zu ſpielen. denn fie iſt ganz paſſiv.

Es freut mic, Herr van Leuven, (rief der Kaufmann Samuel Plürs, ein fetter Maun, mit rotken Baden und lichtgrauen Augen, der uns in der Thür begegneten, es freut mid, Euch bier in Dänemark bei mir zu fehen. Ich böre, Ihr. feid jetzt verbeiraspet. Euer Herr Vater in Ant- werpen und ih in London ftanten ſonſt zu einander im

Die männlige Braut. 81

freundſchaftlichem Verkehr, und haben mit einander vide Geſchaͤfte gemacht, wobel feiner verlor und jeder gewann. Er, als Erelmann, wollte aber nicht, daß Ihr eine Bin serliche beirathen folltet. IA verdenke es ihm micht, Gleich und Gleich geſellt fib am beſten. Eure Heirath mit meis ner Tochter würde ihm feinen Stammbaum in Unordnung gebracht haben. Euer Bater fand es unnatürlich, einen friſchen Zweig in einen alten Baum einzuimpfen, und id) habe Euch aufrichtig bekannt, dag mir diefe Ehe auch ſehr zuwider war. Wir Bürgerliche haben auch unſern Stolz. Adel und Bürgerſchaft find zwei verſchiedene Rationen die ſich, wie alle Nachbarvoͤlker, haſſen, weil fie immer Fehde mit einander geführt haben. Eure Kinder mit meiner Toch⸗ ter wären dod nur Zwitter geworden, weder Fiſch noch Fleiſch. Der Adel würde über Mic die Nafe gerümpft ha⸗ den, weil fie nur ein balbes Wappen führten; fie ſelbſt mir den über ihren bürgerlichen Großvater die Rafe gerämpft haben, weil er Schuld an ihrer adelihen Halbheit gewefen märe; und in allen bürgerlichen Gefellihaften würde man wieder über fie die Nafe gerämpft haben, wegen des alber- nen Dünfels. AH diefes gegenfeitigen Nafenrümpfens find mir nım quitt und loe. Sept deitathet Concordia meinen Reffen. Bir find fhon Compagnons im Handel und diefe Ehe wird unfere Intereffen noch näher verbinden.

Es waren mehrere Gäfe beim Kaufmanne zu Tiſch geladen. Sie fpazierten vor dem Eſſen im Garten in ver- ſchiedenen Gruppen umber.

Allein die fhöne Concordia, um derentwillen wir au die Subereitung und die ganze Reife gemacht hatten, fahen wir nicht. Cie hatte Kopfſchmerzen vorgegeben, und blieb auf ihrem Zimmer. Herr van Leuven, der der Mahl.

Dehlenſ. Echeiften. XVII.

82 Die maͤnnliche Braut.

zeit mit mir allein in einem großen fleifen Hedengange im: entlegenen Winkel des Gartens fpazierte, war untröſtlich. Gr hatte deutlich) an mehreren Aeußerungen gemerkt, dag der Tochter nichts fehle, und dag es weder des Baters nod des Liebhabers Schuld fei, dag fie nicht komme. Es mußte alfo Zorn gegen van Leuven fie dazu bewogen haben, weil fie glauben mochte, er babe ſich wirklich verheitathet. Bas iſt num gewonnen? feufzte er. Ach, alles it verloren! Nur, um Gelegenbeit zu finden, fie allein zu fpreden und zu ei ner ſchleunigen Flucht zu überreden, habe ich dies Gaufel- fviel getrieben. Aber fie will mid) nicht fehen. Großer Gott! bat fie mid) denn wirklich vergeffen? Will fie den erbärmlie ben Menſchen, der nur an Zahlen und Geld denkt, heira- then? Umd zürnt fie, weil ich fo zur Unzeit erfheine? Er lehnte ſich an meine Schulter, drüdte meine Hand an fein Herz, und ich fühlte eine heiße Thräne darauf Fallen.

Ei, ci! wie Ihr doch fo verliebt in Eure junge Frau feid, ſprach eine kreiſchende Stimme, da Ihr mit Euren Xichlofungen nicht einmal warten Fönnt, bis dag Ihr nach Haufe kommt. Ich ſab auf, und bemerkte eine Hägliche Negerin, die mit zornigem Geſichte vor uns ftand; die gro« sen breiten Lippen hatte fie zu einem höhniſchen Lächeln beinahe bis an die Ohren hinaufgezogen, und mit den meißen Zäpnen fletſchte fic uns an, als ob fie uns beißen wolle.

Ad, Mingal bit Du da rief van Leuven; liebe, treue Minga, wo iſt Deine Mig? Wo ift meine Concordia? Eure Concordia, antıvortete die Schwarze höͤhniſch, ſendet Eud diefen Brief. Er öffnete zitterad den Brief und las:

Treulofer Karl Franzi Während drei Jahren habe ih nur an Euch gedacht!

. Die wännlige Braut. 83 Nur Euren Namen nonnte ic in meinem Morgen- und Abendgebet. Das Veilchen zeigte mir nur Eure Treue, die Nofe Eure Liebe. Wenn it Muſit hörte, war es cin Wort meines Geliebten aus der Ferne. Spiegelte der Mond ſich in meinen Thränen, fo tröftete es mid), dag er aud Eure Trauer fähe. Ih hatte Verzicht auf alle Jugendfreuden geleiftet, denn Wehmuth und Sehnſucht waren mir mehr als Gegenwart und Vergnügen. Nun ift das Alles wie ein Traum verſchwunden. Ihr habt Goncordia verlaffen, und feid noch fo graufam, mit Eurer Frau hieher zu kom⸗ men, um mid) zu verhößnen. Bon jet. an bat das Leben für mid, feinen Werth mehr. Ich gehöre nun ganz meinem Bater. Dem fonft Verhaßten reihe id meine Hand. Er iſt micht fchön, micht geiſtreich und micht reizend, allein er iſt ehrlich, und verfpricht nicht mehr, als er zu halten gedentt. Concordia Plürs feht Ihr nimmermehr. '

Gott im Himmel! rief van Zeuven, bla mie der Tod, diefem Irrthume muß ſogleich vorgebeugt werden. Er nahm einen Bleiſtift aus der Brieftafche, und ſchrieb auf ein Meines Stuͤck Pergament:

Himmlifhe Concordia!

Alles it Irrthum. Ich bin nicht verbeirathet. Nur Zreundfhaft Hat fih dazu bequemt, die Nolle meiner Frau zu fpielen, um unfere Liche zu unterflügen. Gilt in den Garten! Die gute Minga wird Euch fageh, wo Ior treffen könnt Euren bis in den Tod getreuen und liebenden

Karl Franz van Leuren. |

Als er der Negerin diefe Zeilen vorgeleſen hatte, ver- ſchwand gleich die gehäffige Miene aus ihrem Geſichte

4 Die männlige Braut.

Kurz vorber hatte fie ihm wie ein nurrender Hund die Zaͤhne gezeigt, nun blidte fie ihm wie ein treuer Pudel ru⸗ big in’s Auge, und ſchnell wie ein Windfpiel eilte fie mit dem Zettel fort.

Entzädung über Concordias treue Liebe wechſelte jept mit Belämmernig und Sehnſucht in feiner Bruf, und er konnte die Minuten kaum abwarten, die ihn noch von der Geliebten’trennten. Wie viel peinliher ward aber noch die» fer Zuftand, als ihm der Kaufmann Plürs entgegen kam. Er hatte ihn aufgeſucht. um ihm eine neue Bildfäule zw zeigen, die.er auf eimem grünen Rafenplage aufgeftelit hatte, und die den Mercurius vorſtellen ſollte. Das Bild, ſprach der Kanfınann, fei freitich nur von Holz; da er es aber Babe grau malen laſſen, und die Delfarbe mit feinem Sande gemiſcht fei, fo fähe «6 lelbhaftig aus, als ob es ein wirklicher Mercurius von Stein wäre. Ban Leuven fagte mir ein paar Worte in’s Ohr, id) mußte Müdigkeit vorgeben und blieb auf der Bank figen, damit Jemand da fei wenn Concordia fäme.

Es dauerte nicht lange, fo eilte ein fhönes ſchlankes Mädchen durch den Bang hinauf. Jhr Gefiht ann ich Euch nicht beſchreiben, fo etwas mug man geſehen haben. Bas hilft es, wenn id Euch erzähle, daß fe beinahe ſchwarze Haare hatte, wie eine Brünette, weiße Haut und blaue Augen, wie eine Blondine; dag die Glieder ihres Körpers in den fhönften Verhaͤltniſſen zu einander ſtanden; dag Schüchternheit und Charakter in ihr feltfam vereint waren? Dag kindliche Undefangenheit und die ernfte Schwär« - merei eines gefühlvollen Herzens in ihren Bliden fo unter den großen Wimpern bervorlenchteten, wie die Morgenfonne durch eine dunkle Wolfe? Meine Urenfeiin, die Heine Gore

Die minnlige Braut. 85

dula da, gleicht ihr etwas, nur dag fie lichte Haare hat. Sie war fhliht und doch geſchmacvoll angezogen. Sobald fie mid) ſah, eilte fie mir entgegen, flog mich in ihre Arme, drüdte mic an den Bufen, fügte mid) zu wiederhols ten Malen, und rief: Liebe, undekannte Freundin! Um Gottes Willen, vergebt, dag ih Euch vertanut habe! Ein elektriſches Feuer durchzuckte mid, wie Ihr wohl bes greifen könnt, und es foftete mich viel, zu geſtehen, dag fie mich noch vertenne, und dag ih ein Mann fi. Cie fuhr erfhroden und beſchämt zurüd, faßte ſich aber gleich und fprab: Auch gut! Noch befier! Den Dank habt Ihr, er ift Euch von Herzen gegönnt.

Jetzt tam Herr van Leuven zurüd, und Minga und id zogen uns zurüd, um Wade zu halten, und um den Lite benden Gelegenheit zu geben, ſich ungefört zu ſprechen. Die Küffe der Schönen brannten mir noch heiß auf Linpen und Bangen. Bir gingen an einer Duelle vorbei; id) ſchöpfte zitternd Waller mit der Hand, trank envas, und wufd mir das Gefiht, es weilte aber als nichts helfen.

Yıöplid kamen uns die beiden Liebenden ängrtlik und blaß entgegen. Hiwmel, liebe Dinge, rief Concordia häns deringend, haft Du ſchon meinem Vetter Anton Plürs den Brief gebraht, den ich ihm in der erſten Aufwallung mei⸗ nes Herzens ſchrieb, und morin id) ihm mein Jawort gab? 3% traf ibn nicht auf feinem Simmer, antwortete Minga, aber id legte den Brief auf den Tiſch im Luſt⸗ baufe, wo er gewoͤhnlich feine Pfeife raucht und fein Mit⸗ tagsfhläfdyen hält. Laufe um Gottes Willen, rief Eon» cordia, und hole den Bricf zuräd, wenn er noch da Liegt. Laufen, erwiederte Minga, kann ich fo gut wie eine, ob aber der Brief noch da liegt, weig id nicht.

86 Die männlige Braut.

Eie lief fort und fam bald darauf mit der traurigen Nadricht zuräd, daß der Brief ſchon vom Tiſche wegge⸗ nommen fei. Das ift Gottes Etrafe, rief die fhöne Concordia, weil ich glei in Zorn gerietb und mid) raͤchen mollte. Den Anton Plürs nehme ic nie, mein gelichter Karl Franz, feitdem id von Eurer Treue und Redlichteit überzeugt bin. Ich folge Eud) wohin Ihr wollt. Allein böhrt unangenehm ift doc) diefer Zufall. Ih babe noch nie einem Menſchen etwas vorgelogen, nod nie mein Wort gebrochen, und jet, jept muß ich es doch thun!

Bir waren Alle über dies Ereigniß verfiimmt. und wurden es nod mehr, als uns der Vetter Anton Plürs fehr vergnägt mit einem offenen Briefe entgegen fam. Als er ihr aber den Brief reichte und fie erfuhr, es fei rur eine angenehme faufmännifhe Correſpondenznachricht, ſchoöpfte fie wieder Muth und äußerte gleichgültig ihre Zufriedenheit darüber. Als er aber auh Plag bei ung nehmen wollte, fagte fie ruhig: Lieber Anton. laßt ung bier einen Augen» blick allein. Herr van Leuven beſucht ung nicht wieder, er reift nad Oftindien. Mein Vater wird nichts dagegen ha⸗ ben, daß ih unferm Freunde in feiner Gemahlin Gegen- wart das letzte Lebewohl fage.

So entfernte ſich denn der beſchwerliche Liebhaber, um feiner Coufine nicht zu mißfallen, und tröftete ſich vermutbe lich damit, daß dies Gefprädy mit dem beneideten Neben- buhler das letzte fei.

Goncordia folgte ihm ſpähend mit den Augen und ſprac: Ich begreife das Alles nicht! Er ſcheint den Brief noch nicht befommen zu baben- und doch liegt der Brief nit da. Iſt er vielleicht meinem Vater in die Hände ger fallen? Das wäre nod ärger!

Die männlige Braut. 8

In diefem Augenblide hörten mir eine Schelle Klingen; es war der Meine Beautiful, der Schooghund und das Schooßlind ‚Soncordiens, der mit dem Briefe im Munde

laufend kam, um ihn feiner Herrin zu bringen, wie er oft zu thun pflegte, wenn er von ihren Sachen etwas fand, das cr am Gerud erkannte. Anton Plürs begegnete dem Hunde, und als er fah, er trage einen Brief im Munde, wollte er den Meinen Beautiful an fi loden und fangen, um ihm den Brief aus den Zähnen zu reißen. Man denfe fi) Concordia's Schrecen; denn die Aufſchrift war ja chen an den Verhaßten. Der Hund entwich ihm aber behend, lief zu feiner Herrin, ſprang ihr auf den Schooß und reichte ihr den Brief, den fie ſchnell in die Taſche fedte. Anton Plüre fam herbei und mollte wiſſen, von wem der Brief fei und mas er enthalte? Das geht Eud nichts an, ſprat Goneordia raſch, die jet wieder Athem ſchöpfte, nod habt Ihr mir nichts zu befehlen, noch feid Ihr nicht mein Herr; ob Ihr es jemals werdet, ift eine große Frage.

Er ſchlich ſich beſchamt von dannen, und fo war Alles wieder im Gleife. Die nöthigen Verabredungen wurden von den Liebenden getroffen, und Concordia ging wieder auf ihr Zimmer; wir nahmen Abſchied von der Geſellſchaft und fuhren nad der Stadt zurück

88 Abſchied von Konenbagen. 3

12. Abſchied von Kopenhagen.

Die Flucht war gelungen, und die Trauung in aller Eile heimlich in der Etadt, in Gegenwart der nöthigen Zeugen geſchehen; ein Schiff lag fegelfertig auf der Rhede. um uns nad Dftindien zu führen. Ban Leuven hatte den beiden Eltern Briefe Hinterlaffen. Der Inhalt war: „Gr , ſaͤhe recht gut ein, daß ehrenwerthe Männer, die beide ei⸗ nen großen Theil ihres Lebens thätig, ihrem Etande ge- mäg, genoffen Hätten, feine Veränderungen wünſchten; daß fie gern ihre Kinder nach fih bilden wollten. Es fei auch gufer Kinder Pflicht, den Eltern zu gehorfamen. ſich nad ibren Tugenden zu bilden, ja fogar ihre Eigenheiten zu adj tem und zu fhonen. Er glaube aber, Gott vergebe es den Kindern, dag fie gegen der E.tern Eigenfinn bandelten, wenn diefer das hoͤchſte Glück ihres eigenen Lebens au vers

uichten drobe. Er theile ihre Meinungen, was den Stan desunterſchied betreffe, nicht. Eben, damit die Geſchlechter ſich nicht ſtets von einander trennen follten, und fo zulegt entarten, habe Gott die Liebe in die Herzen gepflanzt, wo⸗ durd das Neue, das Ungewohnte und Fremde plöplid, wie durch einen Zauberſchlag dem Gemüthe theuer und ere wuͤnſcht werde. Durch Umpflanzungen und Ginimpfungen gewinne ſowohl das Menſchengeſchlecht als der Baum. Die fi gar nit miſchten, würden zuleht blödfinnig. Woher ſchreibe ſich fonft der Gräuel der Blutſchande, als aus die

Abſchied von Kopenhagen. 80

sem Gefühle? Was nun Concordien und van Leuven be⸗ treffe, 10 märe ihr Stand gar nicht fe verfdieden. Ihre Eltern feien beide Kaufleute, ob adlich oder bürgerlich, das thue zur Saqhe nit. Sie hätten beide lange in freund⸗ ſchaftlichem Verkehr zu einander geftanden und Geſchäfte abgemacht: dieſe Heiraty werde ihnen größeren Vorteil dringen. Cie hätten ſich fange einen treuen Commis auf der Infel Ceylon gewünfdt; er, van Leuven reife jegt mit feiner jungen Zrau dapin, um ſich mit ihr fünf Jahre dort aufzuhalten. Während der Zeit wolle er ihre Geſchäfte auf der Infel mit größter Treue und Fleiß beforgen; und wenn er nadıher wieder nad) Gurena reife, einen zuverläfigen Mann verfhaien, der ihm ablöfen fünne. Auch in’ der Ferne würden fie ihre Eltern lieben, und täglih zu Gett für ſie beten; und der Allmägtige der die bimnmlifhe Liebe in ihre Herzen gepflanzt hätte, würde fie auch als treue Kinder zurüd in die Arme ihrer verfüpmten Eltern führen.“

Ic war meder zugegen bei der Hochzeit, noch bei dem Eleinen Abendſchmauſe, den van Mandern beforgt hatte, ob⸗ ſchon id) eingeladen war. Warum? Id) hatte Unpaͤßlichteit vorgegeben. Was fehlte mir denn? Soll ich es ſagen? Die Küffe der fhönen Gonrordia brannten mir noch beiß anf Lippe und Wange. Ib mar fterblid in fie verliebt, und obſchon id Herrn van Lenven chrie und fhäpte, war es mir doc unmöglich, Zeuge feiner Trauung wit der ſchönen Gngländerin zu fein.

Cie liegen ſich noch denjelben Abend nach dem Schiffe hinaus rudern, ich folte noch eine Nact bei dem Anker⸗ ſchmiede bleiben und erſt morgen folgen. Grdanten und Berathſchlagungen kreuzten fi) fo in meinem Kopfe, daß ich die ganze Nacht nicht ſchlafen konnte. Zuerſt beſchloß

n Abſchied von Kopenhagen.

ich, nicht mitzureifen. Ban Leuven, dachte id), ift ein Biedermann; er verdient nicht, daß Du feine Offenheit hin« tergebeft, daß Du ihn heimlich beneideft. Diefe Glut fün- nen nur Zeit und Trennung fühlen. Was ftürze Du Dich muthwillig in den Krater hinunter? Noch ift es Zeit, den Zug vom Abgrunde zurädzuziehen.

Dann dachte id wieder: Du haft ihm Dein Wort ge geben, ihn zu begleiten, er rechnet darauf, dein Ausbleiben würde ihn in Verlegenheit fegen. Junge Liebende brauchen einen verftändigen, ruhigen Freund in der Nähe. Biſt Du denn ein folder verftändiger, ruhiger. Freund? fragte ich mid wieder? ber, mein Gott, was fol id denn thun? Kann ic ihm die wahre Urfache fagen? Und ſag' ich fie nicht, muß er mid) nicht für einen undankbaren und manfelmüthigen Menſchen balten, ohne alles Zartgefühl? Und fol fie das von mir glauben? Soll fie der einzige Kup gereuen, den fie mir gegeben hat und je geben wird? Und will ich wirklich die füge Goncordia nie wiederfehen? Nein, nein! Id reife mit. Allein, bei Gott! ich will meine licht als Freund und Menſch erfüllen.

Als ich fo mit mir felber einig geworden war, nahm id von meinem waderen Birthe Abſchied. Er wollte mich aber durchaus nad dem Schiffe begleiten.

Er war heute nicht betrunken und fehr freundlich ger gen mid, denn er hatte mich lich gewonnen. Ich wi mid ein Stündlein nod mit Dir Icgen, fagte er; den Bein habe ich immer, und wenn ic trinke. fo Iche ich in meinen eige⸗ nen Einbildungen und Vorftellungen, umd Lehre mid den Henfer an IJemanden, dann habe ich aud) nid? die nötbige Aufmertfamfeit für meine Freunde. Ich war dem ehr- lichen Manne auch recht gut geworden, der mir fo viele

Abſchied non Ropenbaget. 9A

Dienfte geleiftet hatte, ich drüdte ihm Herzlich, die Hand und bat ihn, fünftig doch nicht mehr fo viel Wein zu trinken. Er verſprach es mir gleich ohne Widerfprud), id zweifle aber, dag er Wort gehalten habe. Mir ruderten an der im Hafen liegenden däniſchen Flotte vorbei. Die fhöne rothe Flagge mit dem weißen Kreuz wehete überall. Wenn , wir Dänen diefe Flagge betrachten, ſprach der Schmid, Dann färbt ſich unfere Stirn auch roth von altem Nationalſtolz. Sind wir dod die älteften Sceleute Europens. Als noch feine Benetianer, Genuefer, Holländer und Engländer wa⸗ ren, befegelten mir ſchon das Weltmeer und die Flüſſe und verdreiteteten unfern Ruhm, wohin wir kamen.

Der Anterfhmid befticg mit mir das Berded, mo ſich ſogleich die ganze Mannſchaft binzudrängte, um den fonder» baren Trinker zu fehen. Als er den großen neuen Anfer fab, den er felbft gefhmicdet hatte, und der jegt feine erfte Reiſe mitmadyen follte, ward ihm ganz weich um’s Herz, und er fing ordentlich an, den Anfer wie ein geliebte Thier zu ſtreicheln und zu liebtofen. Bift Du da, mein Junge? fagte er; num, das ift gut, glücliche Reife! Gehab' Dich wohl! Seefrant wirft Du nimmer werden. Grüße die Wallfiſche, die Seeſchlangen, die Haie und Delphine viels mals; und merde nicht ſtolz und vergig nicht, menn Du im tiefen Beltmeere unter Korallen liegt, und mit ſeltſamen Gemwäcfen und Pflanzen Bekanntſchaft machſt, Deinen al» ten Matz Hanfen und die fröplihen Stunden, die wir im Auftigen, feurigen Elemente mit einander zugebracht haben. Du bift ja ein Bild der Hoffnung! So fei denn auch ſtark wie die Hoffnung auf Gott, und faß nie diefe chrlihen Leute verzweiflungsvoll die Hände ringen. Halte feſt mit Deinem Hafen, wenn der Wind pfeift und die Belle fhäumt.

9 Abtchied von Kopenhagen.

Sollleſt Du aber endlich einmal liegen bleiben, weil das faule Tau nicht länger im Stande it, Did wieder hinauf zu ziehen, fo liege getroft da, bis zum jüngften Gericht. Uud wenn einmal der Teig der Erde wieder umgeknetet wird, dann verftede Dich ſchlau in cin Stud Thonſchiefer oder fo etwas. damit man Did verfteinert in künftigen Naturalien- Kabinetten aufbewahre, und ſich über den auf Dir eingegrabenen Borten: „Maß Hanfen“ vergeblich den Kopf zerbrede, ob es Chaldäiih, Egvptiſch oder Syriſch fei.

Unfer Schiff war neu und fhön, und beinahe fo groß wie eine Fregatte, nur hatte es fehr wenige Kanonen. Der Schiffskapitãn, ein geborner Franzofe, hatie einen Meinen Tiſch auf das Verded binftellen laſſen, mit zwölf Bouteil« len des beiten Bordeaurweines und einigen geräuderten Speifen befeßt. Rund umher waren Stühle in eine Neige geftclt, als ob ein Schaufpiel aufgeführt werden follte: al les, (wie ich nachher hörte) um der fhönen Frau van Leise ven einen Spa zu mahen. Der Kapitän ſprach Halli diſch, was der Ankerſchmid verftand, reichte ihm die Hand und fagte: Weil Ihr mir den Anker fo wohlfeil verkauft Habt, Meifter, ſoll es mir auf ein Duzend Bouteillen guten Bordeaurer nicht anfommen. Seht Eud und früpkädt. Mag Hanfen ſchielte ihn an wie ein mürrifher Hund, dem wan aus einem Glaſe zu trinken reicht, und antwortete: Dante vielmals, Herr Kapitän 2eimelie; als wir um den Unter handelten, waret Ihr nicht fo freigebig. Ich trinke nur in Geſellſchaft, oder für mein eignes Geld. Ihr habt ja ordentlich da eine Komödienbude aufgerihtet; glaubt Ior, daß ich Euer Hanuswurſt fein will? So trinten viele leicht die Franzofen, aber die Dänen nit. Habt Ihr doch auch beinahe fo im königliche Luſthauſe gezet, ante

Abſchied von Kopenhagen. 93

wortete der Kapitän ſpottiſch. Das that ih meinem großen Könige zu Gefallen, ermiederte Map Hanfen ſtolz; rien Chriftian dem Bierten von Dänemark und Kapitän Lemelie ans Havre de Grace ift doch wohl einiger Unter ſqied; obſchon ich wohl weiß, dag Ihr ein Edelmann feid- Dort war ja au ein Kerl, ein Aneet, der mir Beiheid thun konnte. Ihr ſcheint mir aber der Mann nicht dazu zu fein. Der Kapitän erblagte vor Aerger; er hatte ein recht hübfhes, aber mir hoöͤchſt widerliches Geſicht. Här miſche Liſt ſuchte fih in den großen, mattblauen Wagen, die einen Menſchen nie gerade anfeben konnten, vergeblich zu verbergen, und das falſche Lächeln auf feinen ſchmalen Lippen war füß und giftig, mie Bleizuder. Gr ſuchte ſich jegt ſchnell zu fallen, was ibm nit ſchwer fiel, und fing an, den Schmid aufzuichen, um ihm noch mehr in Harniſch zu bringen. Map Hanfen fagte aber ruhig: Berfteh” Euch ſchon. Herr Lemelie: Ihr feid hier im Schiffe Gert umd Gebieter, möchtet mic) gern beben, damit ich Ha⸗ der und Zant anfinge, and mid gegen Euch vergäße! Dann tanutet Ihr mir als Meuter meine rechte Hand mit einem Meſſer an den Maftbaum nageln lafien. Nein, das ſol wicht geſchehen! Mit diefer nervigten Rechten, die der Wein nad) nicht geſchwaͤcht bat, drüde ich zum Abſchiede die Hände meiner Freunde Albert Julius und van Leuven. Noch lange Zeit Hoffe ih Damsis den ſchweren Hammer umd das leichte Glas zu ſchwingen. Soltet Ihr aber Zur haben, Euch mit mir wieder aufs Land nach dem Weinhauſe zu bemäs ben, mo Ihr fein Wort zu befeblen habt, da ſieht Euch dieſe gute Fauſt in allem zu Dienfen. Da wil ih Euch unter den Tiſch trinken, oder aus dem Zenfter ſchmeißen mie es ſich fügen mag. Hier empfehle ich mid.

94 Abſchied von Kopenhagen.

Damit verlich uns der gute Schmid, ‘und wir waren alle auf den Kanitän verdrieplidh, dag er dem ehrlichen Bürger fo verädtlic begegnet babe. Was ging ihn fein Trinken an, wenn Maß Hanfen es vertragen Lonnte, und ſonſt ein rechtlicher, ordentlicher Mann war? Und das war er. Es giebt in der Natur mitunter ſolche Ausnahmen, ſolche Niefenfonftitutionen, die fi alles erlauben können. Map Hanfen war eine davon. Herr van Leuven und ich minften ihm unfer Lebewohl zu, als er ſich fortrudern lieg. Er hatte eine Flaſche Wein im Boote verftedt mitgehabt, diefe nahm er hervor, ſchwenkte feinen Hut, feßte die Flaſche vor den Mund und ſo verſchwand er, indem fein Boot bei einem großen vor Anker liegendem Schiffe umlenkte, und wir ſahen ihn nie wieder.

Im Schiffe hatten die jungen Gpeleute ihre eigene hübſche Kajüte. Drunten fand ic die fhöne Concordia, die treue Minga und den Meinen Beautiful mit feiner Stelle. Er lief undeforgt umber, und war feiner Herr⸗ ſchaft gefolgt, ohne zu ahnen, welche lange Reife er untere nommen babe. Concordia reichte mir ibre fhöngeformte, ſchneeweiße Hand; ich küßte fie zitternd und erröfhete über und über. Man follte nod glauben. dag er ein Mädchen fei, ſprach van Leuven Lüceind, fo ſchuͤchtern und blöde ift noch der gute Albert. Doch das giebt fi bald, Wir dürs fen einander nicht fremd bleiben, fagte Concordia. Mein Karl Franz und ic ſprechen Holländiid, Ihr Deutſch. fo verftehen wir uns ohne Schwierigkeit. Ich babe (dom fo viel Gutes von Euch gehört, lieber Julius: ich hoffe, wir werden recht vergnügt met einander in Geylon leben wo die herrlichen Zimmtbäume wachſen, mit deren füger Ninde die Europäer ihren Reisbrei beſtreuen. Dieſe

Abihied von Kovenbagen. %

Ninde, ſprach van Leuven, wird ung in den Stand ſehen. das Mart des wahren Lebensbaumes zu genießen. Ih ſtimmte aud) mit in diefen Ton ein, und bald war die Bes tanntſchaft gemacht. Concordia war heiter und aufgewedt, augleicy aber auch tieffühlend und ernft. Ihr Herz mar weich, ihr Charakter feit, kurz, fie war das herrlichſte Bein. Cs it mir oft aufgefalen, fagte fie. wie Sa- en, die in Europa von Einzelnen fo wenig genoflen und geachtet werden, den Kaufınann doch fo erſtaunlich berei⸗ bern fönnen, blos, weil alle Menſchen ein Geringes davon brauchen. er in den Meinen armſeligen Familien, der zu feinem Kaffee cin Bischen Zuder in den Mund nimmt, eine Diefferfpige Pfeffer auf feine Erbfen freut, ein kleines Stůct Ingwer in feine Suppe thut, oder feine Wäͤſche mit einigen Gran Indigo bläuf, denkt wohl daran, d.B cr das zu beitrage, Mitlionäre zu maden?

Nachdem wir die Seckrantheit glůclich Überftanden hat. ten, fuchte Jeder auf feine Weife ſich die Zeit zu vertreiben. Concordia ſchlug vor, mid Engliſch zu lehren, und wie gern milligte ih ein, ihr Schüler zu fein. Lemelie wollte fie wieder Spanifd lehren, denn er verftand die meiften le⸗ benden Epradyen gut. Sie danfte iym höflich, entſchuldigte fi) aber, dag fle nicht Aufmer:famfeit genug befipe. um Schülerin zu fein; Lehrerin, befonders ihrer eigenen Mut · terſprache zu fein, ginge ſchon leichter. Auch meinte fi, des Kapitäns Gegenwart auf dem Berded molle alle Augen» biıde vonnöthen fein. Nicht, wenn wir unter den Vaſ⸗ fat fommen, ſprach Lemelie, mit gezwungenem Lächeln ftir nen Zorn verbergend.

Ich mertte wohl, daß er mic) beneidete, wenn id der fhönen Frau fo nahe faß, dag meine Wange beinahe die

[73 Ubſchied von Kopenhagen.

ihrige beräßrte, und ihr Athem die meinige bethaute; wenn mein, Auge mehr auf der ſchönen Hand ruhete, die das Bud) hielt, als auf dem Bude felber. Concordia merkte recht gut meine Zerſtreuungen. und laͤchelte mitunter dar über; doch dräte dies Laͤcheln weder Spott noh Mifver- gnügen aus. Es gefällt auch einer tugendhaften Frau, mit Geiſt und Herz ſich von einem Manne gehuldigt zu fehen, den fie achtet und leiden mag. Ban Leuven war nicht eis ferfüchtig; daß id) von feiner Fran bezaubert war, fand er nicht blos natürlich, ſondern auch nothwendig. Er erfannte in mir einen unſchuldigen Jüngling, und war nicht meinet⸗ wegen beforgt. Diefe Großmuth verpflichtete mich ihm noch mehr, und machte unfer gefelliges Berhältnig edel und an- genehm.

13.

Macbeth und die Seeräuber.

Sobald ic) im Engliſchen cin wenig vorgerudt war, fing Concordia an, mid mit des trefflihen Shakeepear’s Wer- fen befannt zu machen. Diefer Shakespeare war ihr Stamm» vater mätterliher Seite, denn fie war eine-Entelin feiner ‚geliedteften Tochter Sufanna, an den Doctor und Arzt John Hall verheirathet. Ihre Großmutter lebte ned), ihre eigme Mutter war aber in den Wochen mit ihr geftorden. Sie erzählte mir manderlei von dem herrlichen Shakespeare,

Macbeth und die Seeräußer. 7

der in die Charaktere und Gemütber der Menfchen fo tief geſchaut hat. Sie zeigte mir auch fein Bild: ein kräftiges, offenes Gefiht. In den Ohren hatte er Heine Obrringe. Bartet einmal, die ann ih Euch wirklich zeigen. Sie eilte bin, öffnete einen Schrank, und brachte ein Kaͤſt chen mit Baumwolle, woraus fie ein Paar ſchlichte goldene Oprringe nahm. Da find fir. rief fie ſtolzz das find Shatespeare's Ohrringe. Heute will id feine Obrringe tragen.

Minga mußte ihr belfen, ihre eigenen abzunehmen und die Shatespear ſchen wieder in die Obrläppden zu fteden. Da ſaß nun die fhöne blühende Ur» Enkelin des großen Dichters, mit den Beinen goldenen Ohrringen in den zart geformten Ohren. Als eine wahre Julia, als eine reizende Viola faß fie da.

Sie hatte mir etwas von der Tragödie Romeo und Julia erzählt, und ich flug ihr vor, diefelbe mit mir zu Iefen, fie wählte aber den Macbeth.

Zemelie war oft in meinen Unterrihtsftunden zugegen, nicht. um das Stüd zu hören, das er immer kleinlich kriti⸗ firte, fondern um meine Freude zu fören.

Das ift ein abſcheuliches Stüd, diefer Macbeth, rief er voll Unmutb, als wir zu dem Tode des Boͤſewichts im legten Akte gefommen waren. So etwas darf ein Dichter wicht Fildern; ein Gediht darf nur angenehme Empfin- dungen erweden, und bei diefer Dichtung Lönnen Einem ja die Haare zu Berge ftehen, wenn man nicht mehr Courage bätte, als diefer Macbeth, der im Grunde ein erbärmlicher Tropf iR, denn er hat alle Augenblicke das Hafenfieber.

Dies Meifterftäd, erwiederte id, rührt von einem böchft menſchlichen milden Genius her, der mit den von Laftern

„Sehlenf. Cchriften. XVII. 7

%* Macbeth und die Sceräuber.

und Leidenfchaften verirrten Menſchen, in deren Herzen noch nicht der lehte Funke des Gewiflens ausgelöfcht ift, Mitleir den fühlt. Die Handlung diefes Dramas befteht nicht ſo⸗ wohl in Macheth's Verbrechen, als in dem Kampfe feines Gewiſſens vor und nad) der That. Sein Weib ſcheint frei» lich noch teufliſcherer Natur zu fein; fie bept ſich aber ſelbſt mit graͤßlichen Worten, chen weil fie innerlih im Herzen nit ruhig fündigt. Und wenn fie feläft, behauptet Die Natur ihre Rechte, und als Traummandierin gefteht fie, was ihr wachend Stolz und Furcht zu fagen verbieten; ja, fie erkrankt. fie flirbt vor Verzweiflung. Alles in dieſem trefflichen Werke verräth den tiefften Menſchenkenner.

Wie lacherlich, bemerkte Lemelie, von Menſchenkenntnitz und Natur in einem Stüde zu reden, das von lauter Un⸗ naluͤrlichteiten und Albernheiten zufammengefeßt it. Die Heren wahrfagen ihm ja Alles voraus. So ift Alles ja auf den Fatalismus gegründet. Macheth ift unfhuldig; Gott oder der Teufel treibt fein Spiel. Und das ift noch das Vernänftighe von Allem, fuhr er nad einer Meinen Vauſe fort, denn ich bin felbft zu dem Glauben geneigt, daß feurigen, lebendigen Naturen nicht immer das anzu⸗ rechnen fei, was die Welt im gewöhnlichen Leben Sünde nennt.

Soft bewahre! rief id), fo hat es gemig Shakespeare nicht gemeint. Diefe Heren find nur Macheth's eigene böfe Leidenſchaften und Neigungen. So treten diefe firen

Ideen vor Macheth, fo offenbaren fid die verzerrten Geftal« ten feines böfen Willens, diefe Miggeburten zweier Grtreme, die immer verbunden find: Graufamfeit und Furcht, als bärtige Weiber, und legen die ausgezehrten Zeigefinger auf die weiten Lippen.

Macbeth und die Seeräuber.

Biel Geſchrei und wenig Wolle, rief Lemelie, das ift wohl auch der Mühe werth, eines folden einzelnen Todſchlages megen fo viel Aufbebens zu machen. Wie oft. nd nicht weit größere Miffethaten verübt, gegen welche diefe eine wahre Kleinigkeit ift. So mas thun die türfifhen Sultane alle Tage; zu ihrem Vergnügen enthaupten fie oft den Sklaven, der ihnen den Steigbügel Hält, während fic ſich in den Sattel ſchwingen. Und wie haben die Chriften, die Kreuzfahrer, die Inquifition, die Katholiken und Ketzer ge⸗ ‚gen einander gemüthet.

Mit ſolchen Gräueln, antwortete ih, Tann fid die Dichttunſt nicht befaſſen. Der Dicter kann nicht Tiger, Hyänen, Bölfe, Brillen und Klapperfhlangen auf die Bühne bringen.

‚Herr Lemelie, bemerkte Concordia, ſcheint fi) zu mir derforedhen, erft ift ihm Macbeth zu graͤßlich, dann if er ihm nicht gräßlic genug. Ihr meint, Shatespeare könne feine berzlofe kalte Böfewichier ſchildern. ohne Gewiſſen und Neue? Left einmal den Dtbello, Herr Lemelie, und fagt mir dann, wie Ihr mit Jago zufrieden feid. Ich ſollie meinen, er fei niederträhtig, keck und unverfhämt genug.

In diefer Unterredung wurden wir geſtört, indem ein Matrofe in die Kajüte trat und meldete, ein maroftanifder Seeräuber ſehe uns aus allen Kräften nad) und merde ung bald einholen. Concordia erblagte, aud mir ward bei dire fer Nachricht nicht wohl zu Muthe. Lemelie ließ ſich aber von nichts anfechten. Nachdem er durch das Fernrohr die Schebede ausgeſpäht und bemerkt hatte, Daß das Schiff voll von Menſchen mit Saͤbeln in den Händen gerade auf uns 168 fteure, fam er wieder zu uns in die Kajüte hinunter und rief hoͤhniſch: Nun. Wadgme, wird es bald bier är-

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100 Macbeth und die Seeräuber.

ger, als in Macbeth zugehen. Die Heren nahen ſich ſchon. Wolt Ihr nicht Euren großen Poeten bitten, daß er ung zu Hülfe komme, fonft ift es um unfer Zehen und Eure Tugend geſchehen. Die Eorfaren haben nicht Romeo und Julie gelefen, fie werden Euch als Sklavin verfaufen, und ich mette, binnen drei Monaten Hat Eure Schönheit öfter Monde gewechſelt, als der Mond am Himmel. |

Jetzt trat aud) van Leuven in Die Kajüte; gerührt, je- doch mit Faſſung ergrüf er feiner Gemahlin Hand und bat fie, nicht zu verzweifeln. Wir wollen uns wehren, ſprach er, bis auf den letzten Blutstropfen, und entweder mit Ehre leben oder fterben.

B Lemelie lachte höhniſch. Ihr feld mir große Helden, ſprach er, ftehen die Barbaresten erft auf dem Verded, fo zerhauen fie uns zu Frikaſſee, und die fhöne Frau muß nachher zum Deferte dienen. Nur Lift und Gewandtheü önnen uns retten. Wo wollt Ihr jegt hin mit Eurer zit, rief van Leuven. Die Barbaren verfichen weder Lift noch Tranzöfifh. Wie wilde Thiere fürzen fie mit ſcharfen Zapen auf uns ein. Und fallen vieleicht in die Grube, antwortete Lemelie, kalt wie is.

Darauf befahl er dem Konftabel, zwei Kanonen aus den Kanonenlöcyern berauszuzichen und fie auf dem Ver⸗ ded aufzupflanzen, in einen gewiffen Winkel fhräg in die Luft gerichtet. Diefen Winkel mag er forgfältig, nachdem er die Schebecke wiederholt durch's Fernrohr betrachtet hatte. Zugleich befahl er, feinen einzigen Schuß auf den Feind zu thun. Als die Corſaren zu bemerken glaubten, daß wir kei⸗ nen Widerſtand leiſten wollten, kletterten fie alle auf das Bugfpriet hinaus; und daran bängend mie ein Bienen« ſchwarm an einem Baumzweige, ſchwenkten fie die Säbel,

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Macbeth und die Seeräuber. 1

tiefen: Allah! Alah! und erwarteten den Augenblid, wo fie vom quer über unfer Schiff binragenden Bugfpriete wür- den aufs Verded hinunter fpringen fünnen. Das war es eben, was Lemelie wollte,

Blaß und kalt fand er wie eine Gisfäule bei feinen Kanonen. Noch immer maß er forgfältig den Winkel, wie der Tiſchler die Brettlinie, nach der er hobeln fol. Plög- lich drennen feine Kanonen 106, die Kugeln zerſchmettern das Bugfpriet. Der Maft und der ganze darauf wim melnde Haufe ftürzen krachend und heulend, wie vom Blige getroffen, in die Wellen, und Ale finden da ihren Tod. Unfer Schiff fegelt jept feines Weges ungeſtört weiter fort; die Schlacht if gewonnen, die Gefahr vorüber.

Diefer plöglihe Gtüdsmehfel wirfte heftig auf uns alle, beſonders auf Concordia, die febr erſchöpft ſich früh Nachmittags unentkleidet auf das Bett warf und eiuſchlum⸗ werte. Bir Männer waren alle ſeht vergnügt. Die Ma- teofen hatten doppelte Portionen Branntwein befommen, tiefen Hurrah und tranten des braven und Mugen Kapi-⸗ täns Gefundbeit. _

Der brave Lemelie, fagte van Leuven, wir haben ihm Unrecht gethan. Was kann er dafür, dag ihm die Natur fein gutes Geſicht gegeben? Sein Gefiht, bemerkte id, iſt nicht häglich, nur etwas verdroſſen und ärgerlich fieht er aus. Er mag viel üble Erfahrungen gemacht haben, dar um traut er den Menſchen nicht gleich.

Als Lemelie auf feinem Schiffe Alles wieder in Ord⸗ nung gebracht Hatte, und die Matrofen auch wieder ruhig waren, fam er zu ung hinunter, und lud van Leuven und

mich ein, in feiner Kajüte ein Glas Punfh zu trinten, wäbrend die Weiber ſchliefen.

102 Machetb und die Sreräuber.

Bir fanden einen Punfhnapf auf dem Tiſche dam- pfend, fondern eine Theemaſchine mit kochendem Waſſer und dreisfhän geſchliffene gläierne Pokale, für Jeden einen bingefteltt. Ic) trinke den Punſch am liebften wie Thee fagte Lemelle, man befommt ihn fo am wärmften, und er muß heiß genoffen fein, denn lauer Punſch ift ein erhärm- liches Geföffe. So ann ihn Ieder nad Gefallen brauen, und braucht ſich nicht nad der Andern Geſchmack zu rihten.

Bir hatten gegen feine Theorie nichts einzuwenden, und als wir über die Zubereitung einig geworden, that er Zuger In die Porale und bat Ieden, fo viel Gitronenfaft, Num und Waſſer⸗ Hineinzugießen, als er wolle, aud über PR Diehr oder Weniger des Zuckers nach Belieben zu ver · fügen. . Der Ronftable, der dem Kapitän heute bei den Kano⸗ nen geholfen, und zugleich fein Bedienter war, ftand chrere bietig hinter dem Stuble des Herrn van Leuven. Er hatte einen Meinen Tiſch hinter fi mit einem ähnlichen Potale, der nicht vergeffen wurde. Und wahrlich, wir fanden alle, dag der chrlihe Kerl wohl verdient habe, ein Glas Punſch mit uns au frinfen, denn ohne feine Hülfe hätte Lemelie fein Manöver nicht ausrichten fönnen. Als der Punſch fer- tig war, wurde die Thecmafdine zu Dem Konftable auf den kleinen Tiſch gefegt, damit wir auf dem unfern beffern Raum hätten.

Bir ftiegen mit einander an und wollten chen die Pos tale zum Munde führen,’ als eine feltfame Erſcheinung uns fo vermunderte, daß Jeder fein Glas wieder auf den Tiſch ſehte. Die Thüre ging auf, und mit einem Lichte in der Hand, mit fteifen Schritten und ftarr geöffneten Augen, die nicht faben, trat Goncordia, gefpenftermäßig, im weißen

Macbeth und die Sceräuber. 103 _

Nacıtzeuge, traummandelnd berein, fehte ſich zwiſchen ihren Mann und Lemelie, und ſprach mit Hopler Stimme: Mir erſt den Pokal, ich wi ihn kredenzen! Darauf ergriff fe van Leuven’s Glas und wollte trinten. Lemelie erblaßte, riß ihr hurtig den Becher von den Lippen und ſprach in ei» nem gezwungenen gleihgültigen Tone, der ihm doch nicht recht gelingen wollte: Der Punſch it zu ſtart für Euch, Madame, Frangois muß erft cin wenig Waſſer hinein gie- Ben. Bei Gott, fie fhläft, fie weiß ſelber nicht, was · fie but! Damit reichte er dem Konftabler den Polal, der jept hinter feinem Tiſche ftand. Diefer fehte den Punſch auf den Meinen Tiſch zu feinem eigenen Glafe, weil er mir aber im Wege ftand, indem er ums den Nüden zukehrte, konnte ich nicht ſehen, ob er den Pokal rechts oder links zu feinem eigenen feßte, auch konnte id nachher nicht. unter- beiden, in melden Pokal er Waller goß, denn fie waren einander völlig aͤhnlich. Concordia ftarrte Lemelie grüße , lich an und ſprach: „Ihr feid Krieger und zagt? Was macht es Euch, wenn es auch Iemand weiß? Wer zicht wohl Eure Macht zur Rechenſchaft?“ Darauf feine Hand ergreifend und mit ihrer eigenen Handflaͤche reibend, ſprach ſie leiſe: „Hier ift ein Fleck bier riet es noch nad Blut. Die Miyrrben des ganzen Arabiens vermögen nicht, diefer Hand den Geruch zu benehmen.“ Ad, fagte Lemelie, der ſich ſchnell gefaßt hatte, jetzt verftehe ich Alles! Ihre Lebens geifter find heute durch die Angſt zerrüttet worden. Sie wandelt im Traume, hat fürzlid den Macbeth gelefen und fpielt jeßt die Rolle der Lady Macheth, mit einigen Heinen Beränderungen. Komm, meine Liebe, fagte van Leuven, ic will Did zu Bette dringen. Ach ja, mein Freund, ſprach fie und

104 Macbeth und die Seeräußer.

tüßte ihn, folge mir. Bleibe nicht bei dem Boſewicht und trinke nicht mit ihm; der Tod lauert im Beer. Ich entfeßte mic und fprang vom Stuble auf. Reiche mir den Bedyer wieder, Trangois! ſprach Lemelie ruhig. Fran⸗ <ois reichte ihm einen von den Polalen, welcher es aber war, konnte ich, wie gefagt, nicht unterſcheiden. Wollt Ihr nicht mit mir trinken, verfeßte Lemelie, fo will ih we⸗ nigftens zu guter Nacht Eure Gefundheit aus Euren eige- nen Gläfern trinken, (und bei diefen Worten Ieerte er wirk- lich die Hälfte aus dem dargereichten und aus meinem Po» tale) damit Euch nicht dieſe Begebenheit die Phantafie mit nichtigen Einbildungen erhitze.

Bir ſtanden alle auf; Frangois aber, der zurüdtreten wollte, war fo unvorfihtig, fein eigenes Glas, das hinter ihm fand, mit dem Ellenbogen auf den Boden zu werfen. Hlerüber ward Lemelie ſehr entrüftet, und während er dem Kerl tüchtig aueſchalt, daß er ihm fein ſchon geſchliffenes Glas entzwei geſchlagen babe, folgten van Leuven und id Concordien in ihre Kajüte. Die ſchwarze Minga und der Beine Beautiful ſchliefen ſchon auf der Matratze. Concor- dia firedte ſich ruhig auf ihr Lager hin, ohne aufzuwachen. Ban Leuven und ich fahen einander lange flumm und ver« wundert an.

Ein nichtiger Traum! fagte er endlich; Lemelie trant ja ſelbſt aus unfern Bechern. Aus dem melnigen, ja, antwortete id), der Konftable hatte aber zuerit den Eurigen anf feinem Tiſche, wenn er ibn nun umgewechſelt hätte, während wir nod über Goncordiens Erſcheinung ftaunten? Dann bat Lemelie aus des Konftables Becher getrunten, und der Konftabler hat den Eurigen auf den Boden ges worfen.

Macbeth und die Seeräuber. - 105

Um Gottes Billen ſchweigt, rief van Leuven. und ſprecht fein Wort zu Goneordien davon, Vielleicht weiß fie es ſelbſt nicht, wenn fie ermadıt. Gebe Gott, daß wir dieſen ge» fährlichen Menſchen los wären, und glüdlih auf Ceylon angefommen.

Als Concordia den folgenden Morgen erwachte, fagte fie: Ich babe verwichene Nacht einen abſcheulichen Traum gehabt, werde aber Niemandem ſagen, was mir träumte. Bir drangen nicht in fie; fie fuhr aber fort: Hütet Euch vor Zemelie, mein Gemabl! pt nnd frinft nur, was ich mitgeniege. Er verſprach es ihr. Als wir Lemelie wie der fahen, war er guter Dinge, als wenn nichts Huperor- dentliches vorgefallen wäre. Bir ſchwiegen auch.

1a. Schiffbruch und Rettung.

Unfere Fahrt war im Anfange fo glüklid, als man

Ach nur wänfchen kann. Schon faben wir fern das Vor⸗ gebirge der guten Hoffnung, ohne das geringfte von Regen und Ungewitter ausgeftanden zu haben. Der Kapitän ver⸗

fißerte, wir würden bald dort angekommen fein, und er wolle einige Tage da ausruhen. Allein der Himmel wollte es anders, und ſchwere Wahrzeichen liegen das Aergſte bes fürdten. Die Sonne war eines Abends in einer diden, erdfarbigen Wolke untergegangen, die oberen Bolten er⸗

106 Schiffbruch und- Rettung.

fdyienen dunkelroth. Den Morgen darauf, als fi) die Sonne dem Gefigtstreife näherte. ſtrahlten die Bolten zwar angenehm vergoldet, faum war indeß die Sonne über zwei Grade geftiegen, fo verlor fie fid in einem trüben, raudähnlicen Dunft der wie eine Mauer den Horizont umgürtefe, und woraus eine Menge ſchwaͤrzliche Etrahlen bervordrangen. Bald war der Himmel mit ſolchen Bolten bededt, melde die Secfahter dichte nennen, und die mit keinem Negen drohen. Vom Rande des Horigontes an, bis drei oder vier Grad Höhe, waren fie goldfarbig. dann roth⸗ glänzend, endlich dunkler in ihrer natürlichen Farbe.

Lemelie hielt diefe Anzeihen für ſehr wichtig, weil er bemerkt Hatte, ein folhes Gemölt verfündige immer einen nahen Sturm. Ich erwartete, daß er mit gewöhnlicher Ger kaffenheit der Gefahr entgegen gehen werde. Aber weit ges fehlt! Er war Meinlaut und unruhig, feine Gefihtefarbe ward nod) bleierner, als zuvor; er zitterte, ging in feine Kajüte, verſchloß fih drinnen, und wir hörten ihn wie ein Kind Vaternofter plapbern, und mit heiferer Stimme latei- niſche Hymnen fingen.

Als er wieder heraus Fam, war er cin wenig rnbiger. Ich wunderte mic, fehr über die Verſchiedenheit feines Be⸗ nehmens bier und gegen die Seeräuber, und gab ihm dies zu erfennen. Gr antwortete: Bor Menſchen habe ich mid) nie gefürdtet; wenn man aber mit Gott oder dem Teufel zu thun Hat, fo weiß man nie recht, wie man daran iſt. Darauf ſuchte er den Matrofen Muth einzuflögen. Muth mangelte diefem Janhagel nicht, (denn wie der Meifter, fo die Gefellen) fie fuchten ſich aber auf eigene Art zu ermun⸗ tern. Als der Sturm am. färkten wüthete, verloren fie ganz den Gehorſam gegen. den Kapitän; und ohne ihn zu

Sciffbruch und Rettung. 107

fragen, offneten fie zwei Fäller mit Branntwein, fingen an, fid) zu betrinten, ſchrien Hurrah und fangen Zedlieder, die fie felber nicht hören konnten, weil fie der Sturm übertäubte,

Als Lemelie den nahen Tod vor Augen fab, benahm er fi wie ein gemeiner Miffethäter, der hingerichtet werden fol. Er verzog das Geſicht abſcheulich, ein halb wahnſin⸗ niges Lächeln, das zugleih Troz und Verzweiflung aus drüdte, zudte von Zeit zu Zeit gräßlic auf feinen blauen Lippen; mechaniſch verrichtete er noch einige Gebete, dann betrant er ſich aud, um fein Gewiſſen einzufcläfern.

Jeht war an feine Nettung mehr zu denten. Die Bellen gingen fo hoch und furz auf einander, wie man ih» resgleichen wohl felten gefchen hat. Hätte fih eine Belle an unferm Schiffe gebrodyen, fo bütte fie und unfehlbar in den Abgrund getaucht. Dabei verurfadten fie ein fo ger waltfames Schwanfen des Schiffes, daß man in unaufhör- licher Gefahr ſchwebte, fi) ven Kopf an dem Verdeck oder an der Wand einzuogen. Der Negen ſchoß ſtromweiſe herab, und der Orfan b:ulte fo, da man eine abgeſchoſſene Kanone nicht gehört haben würde. Diefe unfihtbare Ges walt mußte meines Erachtens unfer Schiff zumeilen in eie ner Stunde fehr viele Meilen fortführen. Zumeilen, fhien es dagegen an einer Stelle zu bleiben, und wurde wie ein Kreifel in der See berumgedreht, während der Bind durch alle Striche des Kompaſſes lief.

Ban Leuven und Goncordia hatten ſich auf ihr Lager bingeftreitt, ſchloſſen einander in die Arme, und ſchienen den Tod nicht zu fürdten. Drunten auf der Matrage lag noch ein zärtlihes Paar: die Negerin mit dem Beinen Hunde,

Zch armer Knabe hatte Niemanden, mit dem id) fterben konnte. Schmwermäthig blidte ih in einen Winkel; da ent

108 Schiffbruch und Rettung.

decte ich meine Bibel; ih nahm ſie herunter und drückte fie an mein Herj.

In dieſem Augenblide hörte ich einen außerordentlichen Knall; das Schiff löfte ſich aus feinen Fugen, die Kajüte füllte fi) halb mit Waſſer, welches aber ſchnell wieder ab» lief. Das Shif war auf einer Sandbant geſcheitert. Die Kajüte war in ganz verfehrtem Zuftande: der Fußboden war zu einer Seitenwand geworden, und wir alle in einen Bintel geworfen, Iept hören wir eine Stimme, die „Eons cordia, Concordia!“ ſchrie. Cs war Lemelie, der ſich des Boots bemädtigt hatte. Auf der großen Schaluppe hatte ſich ſchon die betrunfene Mannſchaft herausbegeben. Ban Leuven und id nahmen Concordia, die in einer Ohnmacht lag, und wollten fie in’s Boot bringen, Der Kapitän rief aber, er wolle nur Concordia mitnehmen. Wir kehrten uns aber an feine Drohungen und Flüche nicht, und fpran- gen mit hinein. Kaum waren wir da, fo ſchleuderten uns die Wellen weit bin und verfchlangen und. Bas weiter mit mir geſchehen ift, weiß ich nicht, das Bewußtfein ver» lieg mid, und erit den folgenden Tag erwachte id, und fand mid ſchwach und matt auf dem trodenen Sande an der Sonne liegend.

Es mwunderte mic, die Sonne wieder am Elaren Him⸗

mel zu erbliden, von deren wärmenden Strahlen ih die

angenehmſte Erauitung in meinen Gliedern empfing. Ich richtete mih auf, ſah mid) um, und fah, daß ih mid auf einer Heiner Sandinfel befand; hinter mir ragte ein un⸗ geheurer ſchroffer Felſen in die Luft. Ein Schauer durch⸗ fuhr meine Glieder. Biſt Du allein bier gerettet, dacte id, um an der den Klippe eines langſamen Todes zu fler- ben? Haben fon die Sreunde den bitten Kelch draußen

Sgiffbruch und Rettung © 10

geleert? Bie froh wurde ich Bald darauf, als ich un fern von mir Concordia und van Leuven auf dem Sande ſchlafend entdedte. Ieht war id wieder ganz ruhig. Ib kehrte meine annoch nafle Seite gegen die heiße Sonne, ließ mic, durchbraten und ſchlief wieder ein.

Als ih nach einem tiefen Schlummer die Augen aufe flug. fund van Leuven neben mir mit untergefchlagenen Armen und betrachtete mid mehmüfhig. Armer Albert, feufzte er; ift dies das Glüd, das ih Eud) verfprah? Wir theilen ein gleiches Loos; als Brüder und freue Gefellen wollen wir Freude und Leid theilen. Bir ftellen bier im Kleinen ein Bild des Menfhenlebens dar: Auf die öde Erdſcholle hinausgeworfen, find wir unfern eigenen ſchwa⸗ hen Kräften überlafen; ein Engel und ein Teufel beglei- ten uns auf dem unfieren Pfade. Bei diefen Worten warf ic meine Augen ſpäͤhend umber, und entdeckte außer Eoneordien noch Lemelie, der entfernt von uns auf einem Steine faß; mit unterftügtem Haupte ftarrte er auf das jetzt ruhige Meer.

Ban Leuven hatte eine große mit Baſt umflochtene Beinflafhe, woraus er mir zu trinken gab. Ih babe Mühe genug gehabt, fagte er, dieſe Flaſche auf einige Au⸗ genblide von Lemelie zu bekommen. Er bat fie gerettet, und mill fie allein auslerren. Wo wir jeßt find, ob mir je wieder Menſchen fehen werden, weiß Gott. Das Schiff iſt drüben an der nahen Sandbant gefheitert. Das Hin, tertheil ragt noch ziemlich hoch über die Wellen empor; und fo in noch Hoffnung da, daß wir die Lehensmittel retten können, um uns einige Beit das Leben zu friften.

I brachte Lemelie fein? Weinflaſche wieder. Statt Gott für feine Rettung zu danten, entfuhren nur Lauter

10 Sciffbruch und Rettung. '

Fluche und Gottesläfterungen feinem Munde, und er wollte fi) gar nicht tröften Iaflen, weil er, wieer fagte, durdy die fen Schiffbruch Ehre und Eigentum verloren. Eigen» thum, dachte id, mag fein; wer aber vorher feine Ehre noch hatte, konnte fie nicht durd einen Schiffbruch verlieren.

Wir verließen ihn und näherten uns Concordia, die in einen Mantel gehült, mit den Zähnen Happerte, fehr über Froſt klagte und wicder ſchlafen wollte; erft verlangte fie aber einen Trunk friſchen Waſſers. Das hatten wir nihtl Ban Leuven gab ihr ein wenig Wein, den fie, weil er friſch war, ſehr begierig hinunter ſchluckte. Cie befand fid) aber übler darnach und glühete bald wie eine Kohle. Ihr Gemahl machte ihr die größten Liebkoſungen, fie fprad aber ſtrenge und mit wildem Blide: Karl Franz, gebt mir aus den Augen, damit id ruhig fterbe. Die übergroge Liebe zu Euch hat mid verführt, das vierte Gebot zu übertreten; nun kömmt die Strafe. Gott fei meiner und Eurer Seele gnaͤdig.

Der ſonſt fo ruhig beſonnene van Leuven wurde von diefen Worten ganz zur Verzweiflung gebradıt. Algür tiger Himmel, rief er bänderingend, iſt es möglih? Noch einen Verluſt fol id an diefer öden Klippe leiden, nachdem ich alles verloren wähnte. Ihre Liebel Das Ungebeuerftet Ihre Liebe, um derentwillen id dem Tod und dem mwüthen« den Elemente tropen wollte? So mil id denn auch nicht länger leben. Darauf lief er nad) dem Meere zu, und bätte fid gewiß bineingefürzt, wenn id ibm nicht zuvor⸗ gefommen wäre, und ihn durch Fräftige Reden, die mir Gott eingab, wieder zur Vernunft gebracht hätte. Ic) ftellte ibm vor, Concordia wife ja in der Ziederhige felber nicht

Schiffbruch und Nettung. 11

was fie fage; fo ward er denn wieder etwas rubiger, legte ſich nieder und ſchlief bald ermattet ein.

Concordia bewegte ſich, und ich lief zu ihr. Gie bat mid, ihr etwas Regenwaſſer aus dem Mantel auszudrüt- fen, der dort am Baume hinge. Lieber Gott, da war wer der Baum noch Regenwaſſer! Ich bat fie, eine Halde Stunde zu warten, weil die Arbeit etwas langfam von der Hand ‚geben würde; fie verfprady mir, fo lange Geduld zu haben. Jetzt watete id in’s Waffer hinaus, gerade nad dem Schiffe au; zur Noth fonnte ich auch ein wenig ſchwimmen. Es mar aber nicht mötbig, das Waſſer reichte mir nur bie an die Kniee, und fo Mletterte ich gemählih an dem Schiffe hinauf, um in die Kajüte zu gelangen. Als ich bis an die Zhür gekommen war, hörte ih zu meinem Grftaunen fol« gende Worte: Armes Tier, arme Schwarzel Eind treue Geſchöpfe, unferer Herrin mit Leib und Seele ergeben. Konnten nicht mit ihr den naflen Tod leiden; wollen zus fammen auf der Matrape verſchmachten! Ich riß die Thür auf und fand Minga mit dem Beinen Beautiful auf dem Boden liegend. Ihr font kohlſchwarzes Geht war aſch⸗ grau vor Kummer und Mattigkeit geworden. Sobald fie aber hörte, Concordia lebe noch, kehrte die fhmarze Farbe in ihr Geſicht zurüd, umd fie rief: Dann, Beautiful, wol» len wir aud leben und ein Freudenmahl begchen. Drauf Kief fie bin, Lebensmittel zu Holen, denn es war wirklich ihre Abfiht gervefen, fi und den Hund zu verhungern.

Ich ſuchte nun auch das Nöthige. In der Kajüte hing eine Rolle Schmwefel, deren ich mid) bemächtigte. Feuerzeug konnte idy nicht finden, dagegen ein Paar wohleingewidelte wiſtolen, welche mir achft dem Schwefel zum ſchönſten Feuer zeug dienlich ſchienen. Zu meiner Freude fand id) ein wohl

112 Schiffbruch und Rettung.

sugevichtes Faß fügen Waſſers, wovon id ein ertraͤgliches Lägel füllte. Thee, Zuder und Rum fand fih auch noch im der Kajüte, und mit diefer Laft anf meinem Haupte wa⸗ tete ip zurüd, nachdem ic) erft mit Minga und dem klei⸗ nen Beautiful gefrübftüdt hatte,

Minga mußte zurüdhleiben, um den Zwieback, geräu- Wertes Fleiſch, Neis und Mehl aus den Fäffern zu neh men und in Beine Bündel zu binden, damit man es näd» ſtens gemaͤchlich hinüber tragen könne. Lange war nicht zu zaudern, denn der erfte ftarfe Windftoß konnte das Wrak glei in die Wellen hinunterſtürzen. Ich batte etwas Fleiſch, Brod und Rum gleich mitgenommen. und mit dies fen Habfeligfeiten watete ich zurüd. Auf der Sandbant hatte ich hinaufgeſpültes, trodenes Holz genug gefehen; ein Beil und einen alten mollenen Bruflag in der Kajüte gr» funden. Ich zerrig den Ichten in Streifen, flug Feuer - und blics fo fange, bis das Holz in volle Flamme gerieth.

Concordia erwachte wieder und verlangte heftig au trin« ken. Ich reichte ihr den unterdeß zubereiteten Thee in einem Becher; fie glaubte, dag es wieder Wein fei und rief wei⸗ nend: Ihr wollt mir das Herz mit Wein brechen. Gott vergeb’ es Euch! Als fie aber den Ehre gefoftet hatte, fagte fie froh: Habet Dant, mein lieber Albert, jetzt bin ih voll- tommen erquidt; dedt mid) nun mit dem Mantel zu umd tagt mid) ſchlafen. Ic) gehorfamte ihr, und machte hin⸗ ter ihrem Nüden ein gelindes Feuer, welches nicht eher aus« neben durfte, bis die Sonne mit ihren Fräftigen Stralen hoch genug ftand.

Als id) meine mitgenommenen Sachen auf einen breis sen Stein ausgenaft hatte, ſtopfte ih auch die Pfeifen, machte einen guten Punſch, (obſchon ‚nicht. nach Lemelies

Shiffbruh und Rettung. 113

Tbeorie in verfhiedenen Glaͤſern) und ging bin, die beiden Herren einzuladen. Van Leuven lief nod, denn er hatte die Nacht vor Kummer über Concordia gewacht; er ward aber bald munter und freute ſich fehr, als er die Beſſerung feiner Frau hörte, und den gedeckten, fteinernen Tiſch auf dem Sande fah. Lemelie, der Smicbad in der Taſche mitgehabt. und die große Weinflafhe dazu ausgelcert hatte, fluchte noch immer. ICh hätte ihm feine Pfeife angezündet, und. um mid mit diefem tüdifhen Menſchen ein wenig auszuföhnen, weil uns die Noth doch jegt fo nabe verbun« den hatte, reichte ich ihm höflich die Pfeife und Iud ihn ein, nachher an unferm Mahle Theil zu nehmen. Er rig mir die Pfeife aus der Hand, als ob ic) fein Knecht fei, und dankte mir mit feinem Worte, vielmehr fluchte er noch ärger. Beil ih nun zum Jähzorne geneigt bin, beſonders menn man meinem guten Willen höhniſch entgegen kam, füblte ich mich ſehr aufgelegt, ihm die Pfeife aus den Zäh⸗ nen zu reißen und in's Waſſer zu werfen, zwang mid) aber, meiner armen Leidensgefährten wegen.

Wahrend der Mahlzeit ſuchte er fi dem Herrn van Leuven gefällig zu erzeigen, weil er meine Gemüthsbewegung wohl gemerkt hatte, und mic ärgern wollte. Bir Zwei find geborne Edelleute, Herr van Leuven, fagte er: der gute Albert da, iſt, wie mir gefagt worden, vorher Euer Be diente geweſen; fo ift es denn billig, daß er fein voriges Amt wieder einnimmt, denn einen Sekretär braucht Ihr wohl ſchwerlich hier auf der Sandbant, einen Bedienten tann man aber immer brauden.

Es freut mid), Herr Lemelie, antwortete van Leuven, Euch wieder luſtig zu fehen und ſprechen zu hören, denn im Ernſt könnt Ihr wohl unmöglid fo dresen. Nur ein

Oedlenſ. Schriften. XVfL.

114 Schiffbruch und Rettung.

Migverändniß bat zu jenem augenblidlihen Mihverhaͤlt. niß zwiſchen Herrn Julius und mir Anlaß gegeben. Er ift von guten eltern, wohlerzogen, und, was id) über alles ſchäte, er ift brav und tugendhaft. Selbſt in den glän» aendften Verhältniffen würde ic ihn zum Freunde wählen, wie weit mehr jept, als armer Schiffbrüchiget auf der äden Kippe.

Ich ſchwieg, auch Lemelie ſchwieg. Ohne ein Wort zu fagen, nicht einmal gute Nadıt, ging er fort, nachdem er waidlich getrunten hatte, hülte fid) in feinen Mantel, kratzte ſich ein Loch in den Sand, wie eine Henne, und ſchnarchte bald fo laut, dag mir es von weitem hören fonnten Dan Leuven und id wurden einig, einander abzulöfen, um. beim Feuer zu wachen. IA wollte der Erfte fein. Er legte fi) vergnügt fchlafen, als id ihm von Minga und dem einen Beautiful erzählt hatte, mit welcher Nachricht wir Concordia morgen erfreuen wollten.

Ich machte ein großes Feuer hinter ihrem Rüden und umfcanzte fie mit einem Sandwalle, damit fie auch im Schuß vor dem Binde liege, wenn er ſich wieder erheben follte, denn jeßt rührte ſich fein Lüftchen. Darauf feßte ih mid) auf einen Stein und ſchauete bald in die dunkle Fin» fterniß hinaus, die über dem ungeheuern Meere ruhete, bald auf die reizende Geftalt, die neben mir lag. vom Nachtfeuer maleriſch beleuchtet. Ach, dachte id, mas wäre die ganze Welt ohne fie, und wie gern trenne ich mid) von der Belt, wenn ih mit ihr in der Einfamteit Ichen kann! Mein jugendlicher Muth ließ mid nidt daran zweifeln, daß es uns gut gehen würde. Sie hatte [hlafend die fhöne Hand aus dem Mantel herausgeftredt; ich wollte fie audel« ten, eine unbezwingliche Luft reiste mic) aber, die Hand

Sciffbruch und Rettung. 115

erſt zu füllen. IA lieg mic) auf ein Knie nieder, weine zittternde Lippen naheten fi ſchon der Hand da ent- dedte ich van Leuvens fhlihten, goldenen Trauring an ih- rem Zinger, und bebte zurüd. Id) kehrte mid) um und ſah nach ihm bin. Suverfihtlic und freundlich f&lief der ritterliche Niederländer, als od er fagen wolle: Mein treuer Iulius wacht, id) verlafe mid ganz auf ihn. Nie werde ich diefe Zuverſicht mißbrauchen, fagte id) leiſe, und bedecte wieder die fhöne Hand. Lemelie in der Ferne ſchlief unruhig, waͤlzte fi oft träumend umber und flug

mit geballter Fauft in den Sand. Ich hoffte, van Leuven .

würde nicht fobald aufmachen; ich wollte allein. machen und fühlte mid, doch faft vom Schlafe überwältigt. Als ih das Feuer gefhürt hatte, feßte ih mid auf den Stein, fügte mid) auf ein Stüd Holz und fing fhon an, mitunter einzuniden. Da ftand mit einem Male der biedere Geſell

wach und heiter vor mir. Wie habt Ihr das fo genau abpaffen können? frug id, Ihr lagt im tiefften Echlummer noch vor einem Augenblicke. Hat mir der Kriegsdienſt aud nichts weiter genüßt, antwortete er, fo hat er mid) wenigftens gelehrt, zu beftimmter Stunde aufzuwachen; und ich verſchlafe nie die Zeit. Geht bin und ruht jept, lieber Albert, Ihr habt Euch mehr, als wir Andern, geftern an« gegriffen, und feid der Ruhe bedürftiger als ich.

116 Troglodptenichen.

15.

Troglodytenleben.

Concordia erwachte ziemlich fpät, das Frühſtück wartete ihrer ſchon und ſie verzehrte es mit Luſt. Ihre jugendliche Stärke ſchien die Erkaͤltung bald beſiegen zu wollen und fie fragte ungeduldig, wo ihr Karl Franz wäre? Er kam gleid) hervor und füßte fmieend und weinend ihre Hand. Eie trodnete feine Thränen mit ihrem Halstuche und ſprach mit kräftiger Stimme: Weine nicht, mein theurer Freund, ich befinde mic) jeßt meit beffer, und Gott wird ferner beifen.

Iept waren wir alle Drei wieder fo froh, als ob wir glülid) in Ceylon augefommen wären. Ban Leuven wollte ihr eben von Minga erzählen, ich bat ihn aber, nod zw ſchweigen, damit fie die freudige Ueberraſchung recht geniche.

Nun lief ich wieder nad dem Sciffe hinaus, wo ih Minga und den Meinen Hund fhlafend fand. Sie wurden beide gleich munter. Ich lich Minga fi mit fo vielem Sa⸗ hen belaften, als fie tragen konnte, ich felbft that ein glei ches, und fo gingen wir fort. Es that mir Leid um Beau tiful, aber diesmal mußte er zurüd bleiben, weil wir zu bepadt waren, um ihn auch noch zu tragen. Ich fperrte ihn in die Kajute ein, und es betrübte mid) recht, das treue Thier drinnen heulen und mit der Pfote an der Thüre kratzen zu hören.

Concordia wollte ihren Augen nicht trauen, als fie Minga wicderfah. Nun, rief fie, zweifle id) nit an Ente

Troglodptenleben. 117

tes Hüffe, da er mir diefe Freundin gerettet und wieder⸗ gegeben bat. Sie umarmten fid) innig. Minga batte Eoncordia feit ihrer früheften Kindheit gepflegt, und fo mes nig aud die Negerin eigentlich in Bildung fortgerädt war, fo hatte dod ihre freue Gefinnung und Anhänglicfeit fie au Goncordias Bertrauten gemadıt; Ihr begreift alfo, wie Schr fie das Wiederfehen derfelden entzücken mußte. Auch van Leuven und id umarmten ung und meinten vor Freude wie die Weiber. Allein unfer Glüͤck follte noch erhöht were den. Mitten in der Umarmung hört Goncordia von fern aus den Bellen eine Schelle erklingen. Wir fhauen Hin: O Bunder! der kleine Beautiful, der eine offene Spalte in der Kajüte gefunden haben mußte, wodurch er aus fei« nem Gefängnife entfhläpfen konnte, hatte fih, auf feinen feinen Gerudy und fein angebornes Schwimmertalent vers trauend, auf den naffen Weg begeben, um feine Herrſchaft aufzuſuchen Welch Entzüden! Ban Leuven and ic) brauche ten unfers ganzen Anfehens, um den einen Schwimmer, voll Sand und Waſſer, der fih in dem Scooge feiner Her- in erft abſchutteln wollte, fo lange zurück zu halten, bie wir ihm fauber abgetrodnet hatten.

Nun erwachte auch Lemelie; ohne fid am unfere Freude zu fehren, die ihn ärgere, oder an unferem Srühftüde Zeil zu nehmen, das er verfhmähete, begab er ſich ſelbſt heute gerade nad) dem Wrade hinaus.

Ic) lief voll Entzüden umher, mit dem Hunde auf dem Arm; ihn fonnte id) doch ohne Sünde fo viel küſſen und bergen, als id) wollte Allein diefer Tag war zu glũclichen Enideckungen beſtimmt, denn, wie ich ſo umherlaufe, ſtotze id) auf einen Sandhaufen, der mir gar zu ordentlich länge ti) gewolbt ausficht, um vom bloßen Zufalle fo gemacht

118 Troglodytenleben.

au fein. Ich flampfte mit dem Fuße darauf und entdedte das von Sand überſchüttete, umgeroälzte Boot, weraus wir in die Eee geftürzt waren, und das gleichfats vom Sturme bierher getrieben fein mußte.

Bir zwei Männer und Minga baten jetzt vollauf zu thun. das Boot aus dem Sande heraus zu ziehen. Einige Bretter lagen in der Naͤhe, die man leicht mit dem Beile zu Rudern machen konte. Bald war die Arbeit fertig und wir im Befig eines Bootes, was ung von größer Wichtig · keit war; denn nun Fonnten wir nicht nur alle Sachen leicht von dem Wrade abholen, fondern auch Goncordia nach je» nem Felfenufer bringen, weldes von unferer Sandbant durch ein tiefes Waller getrennt war, wo hindurd man nicht waten konnte. Dort fahen wir aber herrliche, trodene Hallen in der Kippe ſich öffnen, theils gegen die Sonne gekehrt, theils im Schatten liegend.

Bir. bradten die theure Frau gleich an den ſichern Strand hinüber und wählten ihr eine gute, trodene Grotte, wo Sonne und Schatten zugleich zu finden waren. Hier ließen wir fie mit den Lebensmitteln zurüd, und ruderten hinaus nad) dem Wrade, um alles Mögliche zu retten, be vor ein neuer Sturm ſich erhöbe und die Trümmer in's offene Meer ſchleuderte.

Ju der Kajüte lag Lemelie auf dem Fußboden, sine Bewußtfein, hingeſtrekt. Wir dachten, der Boͤſewicht habe ſich ſelbſt ermordet oder ein Schlagfluß habe ihn getroffen; er batte fih aber nur betrunken und ſchlief jept feinen Rauſch aus. Bir befümmerten uns nicht weiter um ibn, Yadten das Boot voll Proviant und Geräthe, und fuhren fo den ganzen Tag bin und zuräd, bis wir beinahe alles in der Kajüte Befindlie in die Felſenhoͤhle gebracht hatten.

Troglodytenleben. 119

Bei der fünften Ladung ermunterte Lemelie ſich erſt. und machte große Augen, als er die Kajüte leer fand. Er fragte, was das bedeuten folle, ob wir als Seeräuber vers fahren wollten, und befahl une, folde Verwegenheit ein» auftellen, ſonſt wolle er uns etwas anderes lehren. Herr Lemelie, antwortete ih, entweder habt Ihr den Verſtand verloren, oder Euren Rauſch noch nicht ausgefhlafen. Ich bitte Euch, hört auf zu brutalifiren! Die Zeiten haben ſich deider geändert, Euer Kommando ift zu Ende. Bolt Ihr bier auf dem gebrechlichen Wrade umkommen, fo thut es meinetwegen, Bir reiten, was noch zu retten if. Bolt Ior vernünftig fein, fo werden wir brüderlih mit Euch theilen; nur von Seeräubern ſprecht uns nicht, denn wir laſſen uns nicht [elten. .

Ueber diefe Rede wollte er rafend werden und augen» bliclich vom Leder ziehen, van Leuven ließ es aber dazu nicht kommen, fondern riß den Großſprechet wie ein Kind au Boden. Hieran fhien es dem Lemelie blos gefehlt zu haben, in wenigen Minuten fam er völlig wieder zu Ver⸗ ande, vertrug fi, dem Scheine nad, recht brüderlich mit uns, und legte auch Hand mit an die Arbeit, fo, dag wir mod) vor der Nacht wohlbeladen bei Concordia in der neuen Felſenwohnung anlangten.

Ich habe ſchon erzäbkt, daß mehrere Höhlen da waren, fo, dag wir unfere Wohnzimmer wählen und theilen konn⸗ ten. Die Eheleute bekamen die beften und gemädlicften, welche ihnen Lemelie ſelbſt aufgefucht hatte. Minga hatte fidy gleich nebenbei eingerichtet, ih wohnte nicht weit vom ihr, und dann Lam Lemelles Höhle. Unfere Betten waren gerettet; mit trodenem Meergrafe verftöpften wir die Löcher gegen den Zugmind, umd fo hatten wir es erträglich gut.

120 Troglodptenlehen.

Lebensmittel, Yulver/ Blei und Slinten waren vom Wracke geholt, und das Wihtigfte, drei Faͤſſer friſchen BWalers, wurden in einer tiefen fühlen Kluft aufbewahrt.

So lange wir nod mit dem Netten befhäftigt waren, ermunterte uns ein freudiges Gefühl. Aber, licher Gott, als die ganze Meine Habe in der Höhle fand, da ſank ung wieder der Muth, denn eine leichte Berechnung lieg uns leicht einfehen, dag uns diefe Wenigkeit nur ein Paar Wo⸗ hen lang das Leben kümmerlih erhalten könne.

Fleiſch und Brod waren freilich für längere Zeit da. Mit unfern Flinten konnten wir Vögel ſchießen, eine große Schildkröte hatten wir fhon auf dem Strande gefunden, auch Seefälber waren in der Ferne au fehen, auf melde wir Jagd machen konnten. Lemelie war nicht nur ein Let⸗ kermaul, fondern auch ein trefflicher Koch, der die Leder biffen gut zu bereiten verftand; und diefe Arbeit, die ihn in ein näheres Verhältnig zu Concordia brachte, trug viel dazu bei, feine Langeweile und üble Laune zu verſcheuchen. Bei Tiſche, wo Concordia vorlegte, befam er immer die erſte Portion, und wir Hüteten uns wohl, einen Biffen in den Mund zu fteden, bevor er und mit einem guten Bei⸗ fpiele vorangegangen. Diefe Borfiht machte ihn nicht im mindeften verlegen, er nahm «6 als eine Höflichkeit, die wir ihm, als dem Vornehmſten, erwieſen. Demüthigung, Be- ſchämung und Neue waren gar nicht zu fpüren. Wir zo⸗ gen hieraus den Schluß, daß diefer Menſch fhon durchaus verdorben fein mäfle, und daß er nicht zum erften Male

ein ſolches Verbrechen begangen habe, weil fein abgeſtumpf- „tes Gewiffen gegen Gindräde der Art ſchon: ganz unem- pfindlich zu fein ſchien.

Ban Leuven war ein guter Jäger und ich fein gelch«

Troglodytenleben. 121

riger Schüler, der ihm gern mit der Flinte folgte, und ſchnelle Fortſchritte machte. So hätten wir denn recht gut eine Zeit Hang feben und unfere müßigen Stunden damit zubringen Fönnen, nadı vorbeifegelnden Schiffen zu fehen, wäre nur Waffer dagemefen. Was wollten aber ein Paar Bäffer verfchlagen? Und welch ein gräßliher Gedanke, auf den trodenen Steinen zu verdurften! Bir liefen fo weit umher, als wir fonnten, nirgends aber war die Spur einer Quelle zu ſehen.

Bir Hofften, noch ein Fap Waſſer auf dem Wrade zu entdecken, und wollten den naͤchſten Morgen danach hinaus fahren, denn ſollten auch einige Tonnen mit Seewaſſer ver» miſcht fein, fo war das ja doch beffer, als gar feine. In der Nacht erhob ſich aber der Sturm aufs neue, und da Eonnten wir Gott danken, dag mir ziemlich hoch hinauf im Felſen wohnten, und alles auf dem Zrodenen hatten, denn die Sandbant und der flahe Strand unten am Felſen murden ganz vom Meere überſchwemmt. Gegen Morgen legte ſich freilich der Sturm, als wir aber nad dem Wrade binausfahen, waren die leßten Trümmer verſchwunden. Nur etwas Schwarzes ragte noch aus den Bellen, da, wo das Shif gefheitert war,

Die Hoffnung greift nach einem Grashalm, um ſich zu retten. Dan Leuven und ic ſchifften burtig binaus, um zu fchen, was das Schwarze fei. Unfere Phantafie bildete ſich ſchon ein großes Faß fügen Waſſers daraus, fo trefflich verſchloſſen und verpicht, daß es fih mitten im Salze meere undefhädigt erhalten habe.

Als wir hinaus famen, war es das Schiifsanter aufs recht im Sande chend, und die eingegrabenen däniſchen Borte: „Mads Hanfen i Kiöbenhaun“ ragten über

12 Troglodytenleden.

die Wellen, die fie lieblich mit leichtem Schaume beſpülten. Herrn van Leuven madıte diefe Entdecung fehr betrübt; denn er hatte gehofft, wenigftens etwas zu finden, was man mitnehmen könnte. Ich aber rief: Glück auf, mein Here van Leuven! Das ift ja die Hoffnung felber. Erinnert Ihr Eut nicht der fhönen Rede, die uns Mag Hanfen beim Abſchiede hielt, und des wäterlihen Segens, den er feinem Anter mitgab. Mir wird bei diefem Wahrzeichen ganz lu⸗ fig zu Muthe, als od ich mit unferm wackern Wſrthe wie» der eine Flaſche guten Rheinweines getrunken hätte. Hof» fen, lieber Herr, boffen muß man, bis das Herz bricht. Bir wollen gleih eine weitere Fahrt um die Klippe ver- ſuchen. Zu Lande verbieten uns zwei in’s Meer weit hin⸗ ausfpringende ſchroffe Felfenpfeiler, an der Küfte berum zu wandern. Rudern können wir aber, und vielleicht entdeden wir in einer entfernten Bucht die viel gewünfdte Duelle.

Bir nahmen uns nun vor, recht weit zu rudern, faum waren-wir aber dem Bafalt- Pfeiler vorbei, fo tamen wir plötzlich in eine Art von Mahlſtrom, von zwei gegen einans der ſtehenden Zelfen gebildet, welche wie lange Pyramiden, obngefäbr vom Ausfehen wie die fogenannten Maidens bei der ſchottiſchen Infel Sky, aufrecht abgetrennt im Waſſer fanden. Vergeblich firengten wir uns an, unfer Boot zu reiten. Das Ruder zerbrach in meiner Hand. Jeht war nichts weiter für uns zu thun, als ins Wafler zu ſpringen. zurück zu ſchwimmen und das Boot indeß in den Strudel gleiten zu laſſen.

Mit genauer Noth retteten wir auf diefe Art das Les ben; das Boot aber, unfere einzige Hoffnung, hatten wir eingebüßt. Concordia dankte Gott, dag wir noch der Ge» fahr entvonnen waren; Lemelie tobte und fluchte, und machte

Zroglodytenleben. 13

uns bittere Vorwürfe, dag wir, als zmei Londragen, die mit einem Fahrzeuge nicht umzugehen müßten, ohne fein Biffen und feine Zeitung die Fahrt unternommen hätten. Bir fühlten, dag er diesmal Recht hatte und ſchwiegen.

Ih ging in meine Höhle, Meidete mich um, ag tühtig auf die Bewegung, ſchlief gleih darauf ein, und als ih erwachte, hatte midy die Hoffnung noch nicht verlaffen. Ich vertraute auf Gottes Barmherzigkeit; die alte Luft, die ich Lange nicht in mir gefpürt, Verſe zu machen, erwachte aufs neue, und fo ſchrieb id denn, um mic ſelbſt und meine Freunde zu tröften, folgendes Lied:

Du heil'ger Duell,

©o freudenheil,

Du feifcher Geitt des Lebens.

weh, ſcmachten wir

Vieueicht nach dir

An dieſem Strand vergebens: Eonſt liebteſt du die Klippe ia, Und auf dem Feiſenſtiege

Warſt du ald Meines Kind fchon da, Da fand man deine Wiege.

Bas hilft dad Meer

So tief und hehr

Mit feinen breiten Wellen?

Cin Zruggeict! °

Es reicht und nicht

Den füßen Trank der Queen. Wir (machten in dem Weberfluß, Es merken laut und Farben;

124

Troglodvtenleben.

Wir wůſſen fo wie Tantalus Den Becher fehn und darben!

Dem Baffer nah,

Kein Bafler da,

Zu ſtillen unfer Schmachten.

Wie trodner Cand J

Im wůſten Sand

Die Fluten nur zu achten.

Doch in der Wüfe Quellen oft Der matte Pilger findet;

Bir finden auch! Die Seele hofft, Bis ganz das Leben ſchwindet.

MS Moſes mit dem Gtabe fchlug Im trocnen Felfenthale,

Da fprang das Bafler reichlich g’uug Mit breitem Gilberfale,

Die Hoffnung falägt,

Das Heri bewegt,

Und Muth wir alle fallen;

Die Zuverficht

Berläßt und nicht:

Gott wird und nicht verlafen!

Ich hatte das Lied zu einer Kirhenmelodie verfaßt, es

fand allgemeinen Beifall; ſelbſt Lemelie, der cs ſich von Concordia überfegen lieg, mochte es leiden, nicht, als ob er etwas Frommes oder Erbauliches dabei gefühlt hätte, der Inpalt unterhielt ihn aber, weil ihm aud nad der Duelle

Iroglodytenichen. 125

verlangte. Sein kalter Geiſt fand den Gegenſatz von Meer- waſſer in Weberflug und Mangel an fügem Waſſer artig, als Franjoſe hatte er ein wenig Achtung für die Dictkunft gelernt, und ich merkte wohl. daß er von heute an den Ton gegen mich änderte.

Soncordia, van Leuven und id fangen jeden Abend dies und andere geiftlihe Lieder dreiftimmig, und es Mang recht ſchön in der großen Felienmölbung, während die Sonne ins Meer tauchte. = Einmal wurden wir aber von einem gräßlihen Geſchrei mitten in unferer Andacht geftört. Es kam von Minga’s Höhle. Wir liefen hin und trafen Lemelie vor Wuth zitternd, mit einem blinfenden Meffer in der Hand, und die Negerin, immer nody fehreiend, in einen Winkel bingeflähtet. Bir glauben erft alle, er babe fie morden wollen, emtdedten aber bald, daß es auf den klei⸗ nen Beautiful gemünzt war, den fie auf dem Arme trug. Barum, frug van Leuven, mollt Ihr das arme unſchui⸗ dige Thier ermorden? Was unſchuldig? rief er rafend; verfluchtes Bich, das uns das wenige noch Uebrige auffrigt und trinkt. Sollen Menſchen eher als eine ſolche Beſtie umtommen? Sol es unfer Yarges Diahl, womit wir er- baͤrmlich das Leben friften, noch ſchmaͤlern?

Concordia warf ſich ihm zu Zügen und beſchwur ihn mit Thraͤnen, ihren kleinen Liebling zu (denen. Das rührte ihn etwas; er bat fie höflich, wieder aufzuftchen, drüdte ihr die Hand und fagte: Für Euch, Madame, onfere ich Act, felbft mein Leben,

So war denn der Friede wieder hergeſtelt. Als wir mit Minga darüber ſprachen, fagte fie: Wäre der Hund gefrägig, wollt' ich mir es noch gefallen laſſen; er frißt

1236 Trogloditenleben.

aber wenig und trinkt noch weniger. Seht einmal, den Topf mit Waſſer hat er ja beute kaum angeräbrt.

Nicht angerüprt? wiederholte id, und ein Hoffaungs- ſtrahl durddrang mir die Eeele. Ih ſchwieg aber, um Alles erft ſelbſt zu unterfuhen. Am folgenden Morgen fand ich früh auf, der Meine Beautiful, der bei mir ge⸗ ſchlafen hatte, und den id laufen ließ, verlor ſich gleich in die Zelfenklüfte. Nac einer halben Stunde kam er wies der, Iedte fi um’s Maul, und im Barte hingen ihm noch Mare Waflertropfen. Ic fhmedte daran. O Himmel! «s war. frifces, füges Waſſer. Noch ſchwieg id und nahm mir vor, dem Hunde das nächſte Mal auf feiner Bandes rung zu folgen. Es war aber unmöglid), er entſchlüpfte wir, und id) konnte feine Spur nicht finden. Nun fülte ich ein Saͤctchen mit weißem Sande, machte ein Loc) daran und band es dem Hunde das nähfte Mal auf den Rüden, fo, dag er im Laufen immer eiu wenig daraus verlieren mußte. Auf diefe Art zeigte mir ein weißer Streifen den Weg über nadtes (hwärzlihes Geſtein Moos und Dornen, durd mehrere Schlupfwinfel, und id war feine Biertels meile gegangen, fo hörte ich ein ſtarkes Braufen, und ent» deite, als ich auf einem ziemlihen Umwege dem ſchroffen Meerpfeiler vorbei gefommen war und wieder hinunter nad dem Etrande ftieg, einen großen Waſſerfall, der ſich aus der weiten Oeffnung des Berges in’s Meer ergoß. Da ftand der Meine Beautiful und trant mit dem Sad auf dem Rücken, woraus er aber das Meiſte verſchüttet batte Ich befreite ihn glei von feiner Bürde und fdönfte Baffer mit der bohlen Hand. Es war Mar wie Kryſtall und konnte nicht beffer fein.

Eu mein Gefübl in diefem Augenblide zu ſchildern.

Troglodytenlehen. 127

iſt unmdglich. Ich eilte zurück und begegnete Lemelie, der verdrießlich und niedergeſchlagen ausfab. Er wunderte ſich über mein frohes Geſicht. Hat Concordia Euch wieder eine englifhe Stunde gegeben? frug er ſpöttiſch. Herr Les melie, antwortete ich, ich will Euch eben fo vergnügt ma⸗ hen, wenn Ihr mir erlaubt, Euch Baumwolle in die Ohr ven zu ftopfen, und cin Tuh um die Augen zu binden. Er bedachte ſich ein wenig, weil er aber an meiner arglofen Freude wohl merkte, dag mir ehvas Angenehmes begegnet Mr 4 ih ihm mittpeilen wollte, lich er fich die Bedingung gefallen.

So führte ih ihn zu dem Waſſerfall und ließ ihn we der hören noch feben, bis wir gerade vor der herrlichen fau- fenden Fluth fanden, von grünen Eträudern und Felfen- blumen umringt. Wie beſchreibe ih Euch fein Geſicht, als er den Waſſerfal fah und braufen hörte? Es giebt Augen- blicke wo ſelbſt das fältefte Herz des verruchteften Sünders von Gottes Güte, Almadt und Schönheit gerührt werden muß. Seine Geſichtemuskeln verzogen ſich krampfhaft, denn es koſtete fie eine große Anftrengung. die gewöhnlichen höh- niſchen Spottfalten, die hämifche Tüde daraus zu verjagen, und demütbig, dankbar und beglüdt auszufehen. Das ge⸗ lang nun freilich nit; das Ganze ward dod nur eine wie drige Frage, rührte mich aber dennoch, weil id die Mög- lichkeit zur Beſſerung daran erkennen konnte,

Scht einmal, Herr Lemelie, rief ic, diefe Quelle hat der Feine Hund entdert, den Ihr vorgeftern morden wolle tet, weil er einige Tropfen Waffer in feinen Topf befam. Bäre «6 geſcheben, fo hätten wir alle bald auf dem trof- tenen Felſen verſchmachten müſſen. Seid fünftig nicht mehr

128 Troglodptenleben.

fo graufam, und haht und verfolgt niht unſchuldige Ge⸗ ſchopfe, die Euch nichts zu Leide thun.

Ihr babt Recht, Herr Albert, antwortete er fanft und bedentlich, indem er den Hund, der uns zur Duelle gefolgt mar, ftreigelte; wahrlich, das ift eine edle Art, ſich zu en. Ihr fammelt mir alle glühende Kohlen aufs Haupt. Ich habe es nicht verdient. Man hat mir fonft gefagt: ein einziger fündhafter Menfh auf einem Schiffe könne die ganze Mannſchaft in’s Verderben ftürzen; bier geht es um» gekehrt: der Himmel rettet einen Sünder, tugendbafter Men- fen Willen. JIept wollen wir uns aud recht brüderlich lich vertragen.

Es freute mid) fehr, ihn fo fpreden zu hören. Con. cordia, van Leuven und Minga theilten unfer Entzüden, als wir fie nad dem Waſſerfalle brachten. Als Lemelie vorangegangen war, erzählte ich ihnen aud feine Neue und wie er geſprochen habe. Beim lebendigen Gotte, rief der biedere van Zeuven, diefe Nachricht Klingt mir eben fo litblich und tröftend in's Dbr, als das Rauſchen der neue entdedten Quelle!

Gebe der Himmel, feufzte Concordia, daß diefe Gefin« nung eben fo dauerhaft fei. Aber leider! Auch auf dem nadten Sande kann wohl das Heidefraut mitunter ſpaäͤrlich gedeihen. Es blüht ein Meiner Fleck und ficht recht reizend und grün aus, als wäre es frifher Wiefengrund. Der lot tere Sand liegt aber lofe darunter. Bei'm naͤchſten Wind» ſtohe reigen ſich die ſchwachen Wurzeln los, und der Sand wir bell wieder abſcheulich in die Luft, und verdunfelt den Himmel. Aud das Krokodil meint im Scilfe, wie ein unſchuldiges Kind, wenn es Menſchen verfhlingen will.

Troslodytenleben. 130

Beſonders bat fie ihren Gemahl. ſich vor dem falſchen grau. ſamen Menſchen in Acht zu nehmen.

Liebes Kind, ſprach van Leuven, fie Heiter tröftend, wir Holländer find ein ruhig aufmerkſames Volt, und Laffen uns nicht fo leicht hintergehen. Haben wir dod) täglich mit ei⸗ nem meit fürdterlideren Ungeheuer zu fümpfen, das ung zu verſchlingen droht, das gewaltige Meer, und doch leben mir gfüdtic hinter unfern Deicen, laſſen ung nit aus der Faſſung bringen, und feine Furcht ſtört unfern ftillen Ge nuß. Hier jprudelt die Lehensquelle wieder friſch und er⸗ quidlih, fo wollen wir denn auf Gottes Gnade bauen, und nicht bloß Miftrauen und Furcht aus diefem ſchönen Hoffnungsbecher ſchlürfen.

Nun waren wir im Beſiß der wichtigſten Lebensbedurf⸗ niſſe. Der Fels vertheidigte uns, wenn das Meer wüthete. hinter feinen Wänden fanden wir Schatten gegen die drüt⸗ kende Mittagshige, obſchon wir nicht die Freude hatten, uns unter einem fühlen, grünen Baume zu erquicken. denn nichts, als früpplihes Geſtruͤpp wuchs umber in den Nipen. Nur um die Duelle blühte etwas Gras und einige Blumen. Bir nannten diefen Ort Goncordias Barten, und ih hauete Eipe in den Stein, damit wir die Morgen» und Abend- Runden da zubringen onnten. Auch richteten wir eine Küche in der Nähe ein, um gleich Waſſer zu haben. Zwieback und geräucertes Fleiſch hatten wir nod für ein Biertel- jahr, Syießpulver und Biel für ein ganzes Jahr, und das mit wir auch nachher unfere Nahrung finden fönnten, hatte die Borfehung uns noch einen fhönen Bogen und“ Pfeile in der Kajüte finden laffen, ‚womit fih van Leuven zum Vergnügen vor feiner Abreife geübt hatte, denn weil er

Veplenf. Echeiften. XVIL. 9

130 Zroglodytenleben.

fonft ein-guter Schüge war, wollte er aud den Ceylonern zeigen, daß er mit ihrer Waffe umzugehen wifle.

Diefen Bogen bewahrten mir, als unfer koſtbarſtes Kleinod; ich nannte ihn Philoftets Bogen, und fühlte nun erſt die Schönheit der fophotleifchen Tragödie, wo ſich die Handlung einfach fhön um einen ſolchen Bogen dreht, der des Verlaffenen einziger Troft ift, den ihm dennoch feine grau⸗ ſamen Landsleute aus Eigennug rauben wollten, ohne ſich um feine Leiden zu befümmern, bis die Vorſehung es fo fügt, daß der Unglüdliche ihrem Berlangen nad diefem Bo» gen eben feine Rettung verdantt, indem die Gefährten, die nur NRaubfucht in feine Nähe gebracht hatte, zum Mitleide gegen ihn bewegt werden.

Uchrigens war unfer Zuftand doch höchſt elend. Soll- ten wir fo, als Zroglodyten, auf dem nadten Steine in dunteln Höhlen unfer ganzes Leben zubringen? Waſſer hate

- tem wir freilich genug; follten wir aber nie mehr die Müte terliche Erde betreten, aus deren fruchtbarem Schooße der Lenz mit lieblichen Farben empor blüht, der Herbft mit goldenen Früchten wrangt? Ia, noch eine größere Furcht drobete ung in der Ferne; nod ein zweites Element drohte uns zu verfallen! Der Funke des Lebens, die Erheiterin und Hervorruferin der Schöpfung, das beilige Feuer. Denn Bretter und Planken lagen freilich vollauf umher nach dem Schiffdruche. Wie lange konnte aber das dauern? Und Holz wuchs auf diefem Zelfen nicht. Das wenige Ge⸗ fräud mochte nur wenig verſchlagen; unfere einzige Hoff« mung gründete fi nod auf das Meergras, ob wir das- vielleicht trodnen kdunten, um unfer Effen dabei zu kochen.

Für Concordias Schönpeit that es mir im Herzen am leideſten. Soll diele zarte Blume, dachte ih, in Nebel,

Troglodytenleben. 131

Regen, Hipe und beigendem Seewinde zuſammen ſchrum⸗ pfen und verwelfen? Soll die zarte reizende Lady bald wie ein armfeliges hollaͤndiſches Fiſcherweib ausfeben? o

Noch war nichts verloren; wir hatten alle Kleider ge« nug, und gingen fo einher, wie wohlhabende Bürger auf den flamländifhen Bildern. Minga mar eine fleißige Bär ſcherin. Ein großer breitihattiger Sonnenhut, den Cori- cordia mitgenommen hatte, kam ihr jept fehr zu Staiten. Und etwas darf id nicht verſchweigen: mir hatten ein gro- Bes Paket dänifher Handſchuhe aus Kopenhagen mitgenom- men; das war aud) gerettet. So fand zu hoffen, daß we⸗ der Kälte, Regen noch Sonnenſchein das Alabaſterwerk ih ver ſchoͤnen Hände vernichten würde.

Ich ſelbſt foll mic, als vier und zwanzigjähriger Iüng- ling, mit den wallenden braunen Loden, mit dem ſchwar⸗ zem Sederhute, der kurzen Jade, der Jagdtaſche auf dem Nüden, der Flinte auf der Achſel. am Felſenſteige nicht übel ausgenommen haben. Zu meinem fanguinifhen Blute machte van Leuvens männlich ruhiges, tieffinniges, etwas bleiches Gefiht einen guten Gegenfag. Und um dem Bilde auch feinen Schatten zu geben, fo ſtach Lemelie wieder zu uns recht poetifd) ab, mit dem liſtigen hämiſchen Antlige, und ven fraufen blonden Locken, worauf er fehr ſtolz that, weil

‚fie feinen alten franzöfilhen Adel bemeifen follten. Freilich ,

war der Scheitel ſchon ziemlich fahl; die breite Stirn nur von wenig Haaren bededt, der rothe Bart aber war ftark, und verbarg das gar zu fbigige Kinn. Nafe, Mund und - Augen hätte man ſchoͤn nennen können, wenn ein beflerer Ausdrud das Gefiht belebt hätte. Ein grauer aufgefrem- velter Hut mit hochrother Feder ſaß ihm immer ſchraͤg am Kopfe; und fo fah er einem vermummten Teufel nit unähn«

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12 Neue Entdedungen.

lich. Minga und der Tleine Beautiful, ſchwarz und weiß, vollendeten das Bild; beide treu, gefund, wach und immer u Bewegung; neigte die ftumpfe Neger-Natur in ipr ſich zum Thieriſchen, fo ließ der gefählvolle Blick des Hundes etwas Menſchliches ahnen. Diefe Berwandfdaft fühlend waren fie unzertrennlich.

Hätte nun ein guter Mater diefes unfer ganzes Perfos nal auf der Klippe gefehen, um den berrlihen Waſſerfall gelagert. beim Sonnenuntergang, oder während die blaſſe Sichel des Mondes über dem Felfen ſchwebte, und das Küchen⸗ feuer hinten dunfelroth aus der Spalte deſſelben hervor lo⸗ derte; bäfte er zugleich ein Paar fledige Schildkröten dort hinauf Frieden, ein Seekalb den Kopf aus den Wellen er- heben laſſen. da wo die ſentrechten Bafaltpfeiler ſich im Waſſer fpiegelten, hätte er mod die Zuft mit einigen Ser vögeln bevölkert, fo würde das wahrlich, fein ſchlechtes Bild gegeben haben.

16, Neue Entdedungen.

Im Klettern war mir Niemand überlegen. Als ih nun merkte, daß fih oben auf der elfenfripe andre Gattungen Bögel bören und fehen Liegen, ſuchte ih durch allergand Umwege immer höher zu fteigen, bis ich den höchſten Gipfel erreiht hatte. Wie wurden nun meine Einnen von dem größten Bergnügen der Belt erfült! denn es fiel mir, durch

Neue Entdelungen. 133

einen einzigen Blick die anmuthige Gegend dieſer Zelfen- Infel in die Augen, melde ringsum mit dergleihen ſtarken Dfeilern und Mauern umgeben und verborgen war.

Eine ganze Stunde Rand id) vol Entzüfen, denn der Gegenfag meines bisherigen Aufenthaltes, und des jehigen konnte nicht ftärker fein. Dort wafle, raube Seeluft, ſchroffe natte Zelfenwwände, das öde, flache, oder fhaumbededte, brau⸗ fende Meer, Sandbänfe, Meergras, Schildkröten und heie ferfchreiende Waſſervögel. düftere Bergklüfte; alles nur von Morgen» und Abendroth und Mondſchein einförmig oder geſpenſtermaͤßig beleuchtet. Hier füger Zrühlingsduft, Blu- men, Wälder, Bählein, Eingvögel in den Zweigen, Hirſche, Rehe, Affen und Ziegen im Thale; die mehr verwundert als bang, ſich nicht weit entfernten, um über den vielleicht mie gehabten Wunderanbitt eines Menfhen zu ſtaunen. Id fab mebrere Arten Geflügels, das unfern Nebhühnern glich. gab unter fie Feuer, und fünf blichen auf dem Plage lies gen. Nah dem Schuſſe, der oft in den Bergen wieder» halte, Aupten alle lebendigen Geſchöpfe gewaltig. gingen und flohen, jedoch bedachtſam, fort, und verbargen fih in den Wald. Faſt that er mir leid, daß mid der Knall die fer angenehmen Geſellſchaft beraubt hatte.

Ich flreifte weiter umder, um auch Menſchen zu finden, fand aber feine-Spur davon; und fol ich die Vahrbeit befennen? ich kann nicht fagen, dag mir viel daran gelegen war. Es war jeßt zu fpät, über den Felſen zu meiner Ge⸗ fellihaft zurüdzufehren. I blieb alfo im Innern der In fel; und verzehrte mein mitgenommenes Abendbrod. Schöne rothe Beeren, unfern Morellen glei, bingen auf dem Bäumen, und lodten mid mit ihren ſchwellenden Kugeln, ich wagte fie aber nicht zu Loften, weil ich ſie noch nicht

134 Neue Entdedungen.

tannte, und begnügte mid), aus dem Bächlein meinen Durft zu löfhen; dann flieg ich auf einen Baum, und ſchlief dort die Naht. Ic, der gewohnt war, nur das Meer braufen zu hören, wurde diesmal von dem Iuftigen Bogelgefang früß erwedt. Ich färlug die Augen auf; das Gras war mit Thaudiamanten überftreut. Das braune Wild erſchien m verſchwand Hinter den Bäumen. Bunte Papageien und

joldfafane hüpften in den Smeigen. In den oberſten Baummipfeln zürnten kalikutiſche Hähne, breiteten ihre Faͤcher troßig aus, und wurden roth und blau vor Aerger, weil ſich die Morgenfonne unterftand, ihnen in die Augen zu blin⸗ fen. Naͤrriſche Affen krochen umher in der Nähe, und der gudten mid neugierig. Sie mußten nicht, ob fle mid zu ihrem Geſchlecht reinen follten oder nicht. Ein ſchoͤner klei⸗ ner Vogel kam mir fo nahe, daß ich meinen Hut über ihn werfen, ‚und ihn lebendig fangen konnte. Ich ſteckte den Bo- gel in meine Jagdtafche, und weil das hohe Gras doch noch zu naß war, ſchnitt ich einige Smweige von einem nahen Baume, der mit einer Beide große Aehnlichkeit hatte, und flocht in aller Eile einen runden Käfig für meinen Bogel, den ich Goncordien bringen wollte. Drauf begab ih mid wieder auf den Weg, um meine Gefährten nad) diefem Gas naan zu führen. Das erftaunlid reihe Farbenſpiel auf den Schmetterlingsflügeln, Slumenblättern und Bogelfedern, das ich nie fo in Europa gefehen hatte, entzüdte mid außeror- dentlih. Nod war es mir niht eingefallen, mich vor den mögliden Uebeln zu fürchten. Plöglih fuhr der Gedante mir wie ein Blig durd den Kopf: Wenn nun der Bald voll reigender Tiere, das Gras vol tödtender Schlangen, die Erde voll Giftpflanzen wäre? Meine gereizte Phantafie lieg mich ſchon alles deutlich fehen. Ic glaubte ein Löwen»

Neue Entdelungen. 135

haupt mit ungeheurer Maͤhne ſchaue ſchon dort hinter dem Baum hervor; hier Ero eine ſchuphige Schlange, mit der graßlichen Brile an dem gefhwollenen Halfe. Das Löwen-

baupt war aber nur ein Baumfnoten in der Rinde, die

Salansı ein heruntergefallener trodner Zweig, mit gelbem oft.

Ploͤtzlich entdede ih Scherben eines zerbrochenen Topfes aus der Erde Halb hervorragend. Dieſes Merkmal eines Menfependafeins richtete mic wieder auf. Alfo Fönnen doch Menſchen bier Ichen und haufen, dachte ih. Aber licher Himmel, wenn nun das Kannibalen find, die did greifen, ſchlachten, braten und verzehren? Es lief mir eisfalt über den Rüden, id verwünfchte meine Neugierde, und wünſchte mic) wieder in die fteinerne Höhle zu Concordia und van Zeuven zurüd, wo wir nur gegen ein reigendes Thier, eine Giftblume, eine Brillenfhlange und einen Kannibalen uns zu wehren hatten.

In diefe Gedanken vertieft, gerieth ih auf einen ſchma len, wie es ſchien, einft durch das Gehdlz gehauenen Weg, der in eine Sommerlaube führte. Sie war freilid jeht

ganz verwachlen, fhien aber doc ein Wert von Menfhen- ,

band zu fein, das fah id) an den geraden, in einer Linie abgefägten Baumftämmen, die wieder hoch emporgefhoilen waren. Diedurd war das Dad dichter geworden, und die genaue Sufammenfügung der Zweige lieg aud vermu- then, dag nicht alles Natur und Hloger Zufall fei. Das Laubdach war fo did, daß kein Waffertropfen durchdringen fonnte. -

In der Nähe diefer Laube fand ih deutlih Spuren eines längft verfallenen Gartens, wo nod. alle Obftbäume in Reihen fanden. Menſchen und Wohnungen gelang «6

13 Rıne Exrttedungen

mir aber wicht zu entzeien De chem dieſe Guitelung mar mir Die lichite. Ich ſah dentlich. dag hier an Ein- Fedler geringer Zabl gelebt, ie Längft geterhen jem mung. sem. Wis gehörte Tiefe Jaſci ums; Ed wir hatiea ver eigenten Ihierm vichts za fürdeen, tem die Meberrefie xigten ja, Tag einzelne Diewihen hier lange Zeit ungehört ihre Sitihſchaf getriehen hartem.

Au eilie ich wirder nach Dem Felſen zarad. und ſchet meh cin junges Reh auf tm Sege, das ich witichlevpte Den Zaawes fand ich leicht und üher, denn ih hatte bei ter Ede cin Zeiden gemacht; dus mir im dicjen Pargrin- Ihe ſtatt Des Fadens der Ariatne diente. Mein junges Ach ward ziemlich beitanst, meil ich es nachilempte, die Ürbhübner hingen wir im einem Bunte auf dem Nüden, der Bogelläig anf der Bruk, die Flinte diente mir zum Banderhabe, und mein Hut firpte von Blumen umd frie ſchen Laube.

34 wunderte mich über meine eigne Dreiftigkeit, als ich wie ein Strinbed, über Die Abgründe fprang und ohne Grauen die ſteilen Bänte Hinnterfieiterte.

Im Hinunterfieigen mertte ih mir eine gefährliche Kluft. Hier muß eine Meine Brüde für Gencerdia geichla- gen werden, fagte ib. Ich zitterte, wenn ich am die Gefahr date, der fie fi) ausſeten Lünnte; mein Troſt mar aber: 6 ik leiter hinauf- als binunterkiettern.

Den erfien, den ich in den untern Regionen fraf, war van Leuven. Gr faß ziemlich hoch auf einem Felſenbloce. den Kopf auf die Hand, den Arm aufs Knie getügt, und ich hörte ihm fagen: Mein guter, frommer Albert Julius! So haben wir did denn aud verloren? Herrlicher Icbens- Infiger Junge! voll Zuverſicht und Hoffnung, mit dir if

Neue Entdedungen. 137

das Gläd von ung gewichen, und die Sonne dringt nicht mehr in unfere düftre Eteinpöhle. Herr van Leuven! rief ich froh geräprt, grämt Eud nicht. Da habt Ihr den Al- bert Iufius wieder. Und feht mal den fhönen Vogel! Der bringt wie Noahs Taube ein Delblatt mit im Munde. Seht Ihr aud das frifhe Laub, die Blumen auf meinem Hute? Die Rebbühner und das Reh?

Er wollte feinen eigenen Augen nicht trauen, und das‘ hochſte Entzüden verdrängte den tiefften Schmerz. Ad, sief er, fo önnen wir nun doch noch den Geburtstag mei- ner Concordia mit Freude feiern? Ich glaubte, es würde aur ein Schmerzenstag für uns fein. Ich habe Euch verge- bens geſucht, bin weit höher hinauf geweſen, und wäre gern noch weiter geftiegen: allein der Gedanke, auch, wie Ihr vermuthlich, in dem Abgrund zu ſtürzen und das arme Weib mit dem abſcheulichen Boſewicht allein zu laſſen, hielt mich zurück

Ibt Geburtstagl rief ih und eine freudige Röthe überflog mein Geſicht. Sie vollendet heute ihr neunzchn« tes Iahr, antwortete er. Ad, id habe ihr fein Geſchent matten Fönnen; nicht einmal meine zärtlihe Aufmerkfamteit Bonnte ic ihr widmen, denn meine Gedanken waren bei Euch, fieher Freund, auf dem Felſen. Lemelie dagegen iſt recht aufgeräumt. Er fheint fih Euren Verluſt gar nicht nahe gehen zu laſſen. Er möchte uns wohl gern Beide zum Ichtenmal gefehen haben. Ein Paar hübſche Angelvue then hat er geſchnitten, und Concordien die eine gefchentt. Jetzt ſihen fie drunten und filhen. Der Elende! Mit ver- führerifhpen Reden liegt er immer der unfhuldigen Seele im Dhr. Bas follen wir aber thun? Das Schidfal hat ung nun einmal im engen Kreiſe mit ihm zuſammengebracht.

138 Reue Entdedungen.

Durch Strenge und Milde zugleich mäfen wir feine Bos- heit zähmen und bändigen. Die treue Minga verläßt Gon- cordien wie, wenn er bei ir it, und er fürdtet fih mehr vor diefer gutberzigen Schwarzen, als vor dem Teufel; denn er weiß, fie verficht feinen Spaß, umd wenn er fi die Meinfe Unverihämtpeit gegen die Herrſchaft erlaubte, würde fie ihn, gleih wie der Iagdhund den wilden Eher, an der Kehle faflen, ohne ſich an feine Hauzähne zu Lehren.

Ban Leuven folgte mir in meine Höhle, wo ich erft ein Lied auf Goncordiens Geburtstag dichtete. das ihn ſebt erfreute. Ich glaube, fie Hat auch Etwas heute über Euch gemacht, fagte er, denn fie iſt ganz untröftlih, bat lange in ihrer Höhle geleflen und geſchrieben. Sie hat es aber wieder entzweigeriffen, ohne es Iemanden zu zeigen, und vor Beträbnig ſich faſt die Augen ausgeweint.

Wie wopl that mir dieſe Rachricht ĩ Ich flocht das Laub und die Blumen in einem Kranz, und lief hinunter nach dem Strande, die ſchöne Zifherin zu tröften, umd ihren Hut mit dem Kranze zu (hmüden. Den Bogel im Käfig hatte ich mitgenommen.

Lemelie faß verdroffen siemlih weit von ihr entfernt, und ſchien mit gerunzelter Stirn fehr aufmerkfam feine An« gelruthe im Waſſer zu betrachten. Minga fah ihn höhniſch an, mit den Händen in die ‚Seiten geftemmt, und warf mit- unter bedeutende Blicke auf Goncordia, die betrübt in tiefen Gedanken da ſaß, die Hände im Schooß, und mit Teifer Stimme fang:

„Keine Blum’, Beine Blam’füß @ei gefreut auf den ſchwärzlichen Sarg, Keine Eeer, feine Seel grüß Mein Gebeia wo die Erd’ eb verbarg.

Neue Entdedungen. 139

Um Ach und Beh zu wenden ab, Bergt alleine

Dich, wo fein Treuer wa aus —* Und weine.“ #)

Ich ſchlich mich leiſe auf dem Sande binter fie, und "

ffredte meinen Arm über ihr Haupt, fo daß der niedliche Bogel im Käfig ihre grade vor die Augen am, ohne daß fie mußte woher. Und wie alerliebft! Der Kleine Sänger, der die ganze Beit feiner Gefaugenſchaft geſchwiegen hatte, fing gleih an, eine luſtige Weiſe anzuſtimmen. Sie fhrang-er- ſchroden auf, und kehrte ih um. Da fand id, und firedte ibt das Lied, den Kranz und den Vogel entgegen. Ste fiel mir entzüdt um den Hals, küßte mid und rief: Mein ger liebter Freund! Meines edlen Gatten Freund! Lebt Ihr noch? Athmet Ihr noh? Nun, fo wollen wir auch wieder aufleben und hoffen. Ich bat fie, dag Meine Gedicht zu le⸗ fen; «6 lautete alfo:

Der Fiſch und der Vogel.

Das Fifchlein mag wohl niedlich fein,

Mit Silberſchuvven (hön.

Doch kann es mit mir leben? Rein!

Bald irs um und gefcheh'n.

Es jappelt eine kurze Beil,

Der waffe Gein entflicht in Ei’; Dann legt es in der Butte todt,

Bis die Ratur gebot,

*) Aus Ehakefpeareh

s ihr wollt,” nach ©. 8. Ochlegel.

140 Neue Entdedungen

Und folgen kaunt du nicht dem Fiſc Racı.feinem Clement. Der duntie Grund iR gar zu feifch, Wo feine Sonne brennt. Da ſchwimmt der Waufifch und der Hai Dem röthlichen Korall vorbei; And was in jener Tiefe Ned, r ‚Hat noch fein Aug’ entdeckt.

Dagegen fich das Böglein an

Im bunten Federſchein!

Es fingt fo Kieblich, fliegt bergan Und bringt dich nach dem Hain. Bei Sonnen Kufs und Untergang Es witſchert feinen Lobgefang. Und deiner Schönheit Herrlichkeit Befngt es, ohne Neib.

Der Vogel fömmt zum Fee her

Und bringt ben bunten Kram.

Concordia, dad graue Meer

‚Hat feinen ſolchen Glanz.

So folg’ dem Bogel kec genug,

Nach Paradies geht hoch fein Flug. Komm! Evas Tochter bift du doch; Rur &a mangelt noch.

Lemelie ſaß indeg mit affectirter Ruhe bei feiner An⸗ gelruthe, woran nichts beigen wollte, und that. als ob er meine Zurädtunft gar nicht bemerkt haͤtte. Dan Leuven

Neue Entdelungen. 14

mußte ihn mehrmals einladen, ehe er aufſtand und zu uns tam. .

Ei, ei, rief er, da haben wir ja ünfern Poeten. Ich mußte wohl, daß er zu vernünftig fei, fich wirklich in Le⸗ bensgefahr zu wagen. Mit Gemfenjagd geben ſich die Her- ren Verfifere felten ab. Er bat Blumen in einer Zelfen- Muft gefunden und einen Vogel gefangen. Charmant! Und deshalb ift ihm Madame um den Hals gefallen und bat ihn fo zärtlich gefüßt, als ob es ihr Gatte wäre. Bas fagt der gute Herr van Zeuven dazu? Ich würde fie nicht Lieben, antwortete van Leuven, wenn fie nit den bra⸗ ven, ehrlichen Albert lichte, und um ihn befümmert geweſen wäre. Nun, Ihr ſprecht ja recht, wie ein vernünftiger Ehemann, ‚Herr van Leuven, verfeßte der Kapitän: allein marum foll id denn allein das Stieffind fein, und mit trok⸗ kenem Munde davongepen? Warum darf id) nicht auch küſ-⸗ fen und ein wenig geliebt werden? Was die Sitte in Ew ropa verbietet, wo Weiber volauf find, davon faun die Rede nicht bier am äden Beifenftrande fein, wo wir nur ein ein» ziges Srauenzimmer haben. Denn das bäßlihe, ſchwarze Thiermenſch, das dort mit dem Wildpret zur Küche gebt, wollt Ihr doch wohl fein Frauenzimmer nennen; fo wenig mie die Hündin, die ihr nachlaͤuft? Citten richten fih aber nad) Zeit und Umftänden, nad) der Natur der Verhaͤltniſſe. fonft werden fie Vorurtheile. Was natürlih und menſchlich ift, kann weder gottlos noch fafterbaft genannt werden; und fo denfe id, dag“ die reizende Goncordia nit länger fpröde thun wird, ſeitdem Herr van Leuven nicht Länger eiferfüch- iſt. Bei den Mohamedanern ift Polygamie, bei einigen malabarifcen Stämmen Polyandrie eingeführt. Sollen uns die Indianer in gefundem Menſchenverſtande, in Artige

142 Reue Entdelungen.

keit und Gefältigfeit beſchämen? Bas fih eine zarte, indi⸗ fe Schonheit gefallen läpt und ich verfihre Euch auf Ehre, Madame, die indifhen Damen haben viel Zartgefüpl vielen Gefhmad, viel ſchwaͤrmeriſche Religiöfität und Blu menliebe; das, denke ih, wird eine fhöne Engländerin aud) thun können.

Ihr ſpaßt wieder, Herr Lemelic, antwortete van Leu⸗ ven; könntet Ihr im Ernfte fo reden, müßten wir Euch bes dauern und verachten. Doch muß ih Euch fagen, ſelbſtt als Spaß betrachtet, finde ich ſolche Reden in einer tugend» haften Frau Gegenwart fehr unziemlich, und mug wir in der Zufunft folde verbitten. Id weiß wohl, die Sranzofen nehmen es mit dergleihen Aeußerungen nicht fo genau, und das kann Euch einigermaßen zur Entfhuldigung dienen. Bir Engländer, Deutſche und Niederländer find aber ehr⸗ barer. Sogar Senegal und Gambia mit ihren Thiermen- fen würde gewiß unferm Gefhmade beitreten. Und ge gen eine folde Duadrupel-Allianz wird ſich hoffentlich Frant- reich in der Zukunft nicht auflehnen. Ihr habt ganz Recht, Zeit und Umftände verändern Vieles. Hättet Ihr uns fo etwas in Europa gefagt, ich hätte Eud als Edel⸗ mann geantwortet. Hier auf diefem öden Zelfen- fühle ich mich aber zugleih weniger und mehr als vorher. Hier bin ih nur Menſch und Chriſt. Das ſolltet Ihr auch fein! . - Ihr feid ja kein Chrift, Ihr feid ja nur ein Holländer, tief Zemelie lachend, der die ganze Sache zu einer Plai- fanterie madyen wollte. Wir theilten ihm alfo unfere Ente decung mit, die jedoch feinen fonderbaten Eindrud auf ihn machte. Er beneidete mir vielmehr meine Entdeckung und fragte fpöttelnd: Hat der Spürhund wieder etwas auf-

Die Inſel. 143 genöbert? Ich kehrte mich an feine Bosheit nicht und wür«

digte ihn Feiner Antwort. Der kommende Morgen ward zu unferer Wallfahrt beſtimmt.

17. Die Infel.

Ban Leuven, Lemelie und id begaben uns friſch auf ven Weg. Concordia blieb in der Felfenhöhle zurück mit Minga, bis wir ihr eine hequemere Bahn gemacht und eine Wohnung droben eingerichtet halten. Lemelie ſtellte ſich trant an, ale wir eine Eleine Strede geftiegen waren, und fagte: er fünne heute nicht weiter Mettern, weil ihm ſchwind lich werde. Als mir aber die Reife feinetwwegen auffhieben mollten, und verfiherten: wir würden oßne ihn feinen Schritt weiter ihun, ließ er es fih gefallen und fagte: Eben fo gut Heute als morgen, wenn es doc) fein muß.

Man fann aber mitunter auch einem Schelmen Unrecht tbun, und das war heute der Fall, denn er befand ſich wirt uch nicht wohl, und als wir bei der großen Kluft ftanden, worüber er fpringen follte, erblagte er, und wäre ohne Zwei⸗ fel in den Abgrund geftürzt, hätte ich ihm nicht an den Arm gegriffen. Er fiel in Ohnmacht, wir trugen ihn abfeits in Scatten und rieben ihm die Schläfe mit Brantwein. Er zitterte Über den ganzen Leib, big die Zähne zufammen, Schaum ftand ihm vor dem Munde und ein kalter Schweiß bededte feine Stirn.

144 ‚Die Infel,

Als er wieder die Augen aufſchlug ſtatrte er mic) an und ſprach beifer: Das war nicht hübſch von Euch gerhan, Monfleur Julius, mid) gerade vor die Höllenthür zu füh- ren, bevor ich gebeichtet hatte. Wenn id nun hinunter ge fallen wäre? Kein Erbarmen wäre jenfeits zu hoffen. Denn id) fah ſchou den Teufel drunfen, ganz rauh und ſchwarz wie ein ungebeurer Affe, mit Glutaugen und ſcharfen Aral» len an den Fingern, nad) mir greifen. Drunten wimmelte es von feinen, efeligen böfen Geiftern, wie in einem Schylan- gennefte. Die Marterfammer öffnete fi) fhon, und ich ſah deutlich die Folterbant zubereitet, worauf: ich Cünden be⸗ fennen folte, von denen ic) nichts weiß. denn ic bin fo unſchuldig, wie ein neugebornes Kind.

‚Herr Lemelie, antwortete id, Ihr ſprecht noch im Fie⸗ ber. Ih habe Euch fein Leides gethan, vielmehr babe ih Euch das Leben gerettet. Ad, das ift wahr, fagte er, ſich die Stirne reibend. Iept beſinne ich mid. Ihr grifft mid) beim Arme, als mir ſchwindelte. Icht it mir wieder wohl. Ich habe die Schwachheit, mitunter ſchwindlig zu werden. Dann fafele ih und forede das dümmſte Zeug, ganz gegen meine eigene Ueberzeugung. Sobald id vom Teufel ſpreche, könnt Ihr immer gewiß fein, daß ich Erant bin. Im gefunden Zuftande Denke ich nie an fo etwas Un⸗ verfländiges. Laßt mid) aber bier bleiben und mid erho« den. Ueber die Kluft ſpringe ich nicht; denn da iſt es nicht geheuer.

Ban Leuven und ich berathſchlagten uns, was wir mit ihm machen follten. Einem ſolchen durchaus verdorbenen Menſchen, ſprach ich, ift nicht zu trauen. Vielleicht fagt er nur alles das, um, wenn wir ihn verlaſſen, hinunter zu

Concordia zu laufen. Beſſer gehen wir zwei gleich hinun-

Die Inſel. 145

ter, einige Bretter und ein Tau zu holen. Wir müffen ja doch an diefem Orte Concordien eine'Brüde bauen.

Gefagt, gethan! und als das Brett über dem Abgrund lag, als van Zeuven am der einen und ich an der andern Eeite des Abgrundes das Tau hielten, wagte fi endlich Lemelie ſchwankend in fihtbarer Todesangſt hinüber. Bir wunderten uns, daß einem erfahrenen Seemanne fo ſchwindlich fein Fönne. Unfere Muthmagung ward aber inner mehr und mehr beftärft, dag er nur ein Abenteu- ver fei, der das eigentliche Seeweſen nie recht gründlich ge- trieben hatte,

Ban Leuven freute ſich eben fo fehr wie ich, das ſchöne Eitand zu entdeden. Sogar in Lemelie erregte der Anblick der blühenden Natur eine angenehme Empfindung. Seine

Sinnlichteit fühlte fi) geſchmeichett in der behaglihen Im-

gebung, die ihm in der Zufunft größere Bequemlichkeit ver⸗ ſprach·

Concordia zeigte ſich beim Hinaufſteigen weit raſcher und dreiſter, als id) erwartet Hatte. Die Sehnſucht, bald die fhöne Infel zu fehen, verdrängte alle Furcht; wie eine leichte Nympbe ſchwebte fie Über die Kläfte, und als fie aun droben im Grünen land, unter den Bäumen, unter den Blumen, da kniete fie hin und fredte die ſchönen Hände gen Himmel, und wir mit.igr, und ich fimmte an:

Huf den Mebel folgt die Sonne,

Auf das Zrauern Freud und Bonne, Auf die ſchwert bitt’re"Pein

Eteut ſich Troſt und Labfal ein. Weine Seele, die zuvor

Eant His zu dem Höltenthor,

Steigt nun bis zum Dimmelcor! Oehlenſ. Echriften. XVII. 10

124 Troglodytenleben.

Bir müfen fo wie Tantalus Den Becher ſehn und darben!

Dem Waher nah, Kein Bafler da, Zu Riten unfer Schmachten. Wie trodner amd Im wüften Sand Die Fluten nur zu adıten. „Doc in der Wüfle Quellen oft Der matte vilger findet; Bir finden auch! Die Setle hoft, Bis ganz dad Leben ſchwindet

Ms Moſes mit dem Stabe ſchlag Im trocknen Felfenthale,

Da fprang das Waſſer reichlich g’uug Mit breitem Gilberftrale.

Die Hoffnung fhlägt,

Das Hers bewegt,

Und Muth wir ale fallen;

Die Zuverfiht

Berläßt und nicht:

Bott wird und nicht verlaffen!

Ich hatte das Lied zu einer Kirchenmelodie verfaßt, es fand allgemeinen Beifall; ſelbſt Lemelie, der cs fih von Concordia überfegen ließ, mochte es leiden, nicht, als ob er etwas Frommes oder Erbauliches dabei gefühlt hätte, der Inhalt unterhielt ihn aber, weil ihn aud nach der Duelle

Iroglodytenlehen. 125

verlangte. Sein kalter Geiſt fand den Begenfap von Merr- waſſer in eberflug und Mangel an fügem Waſſer artig, als Franzoſe hatte er ein wenig Achtung für die Dichtkunſt gelernt, und ich merkte wohl. daß er von heute an den Ton gegen mid änderte,

Goncordia, van Leuven und id fangen jeden Abend dies und andere geiftlihe Lieder dreiftimmig, und es klang recht ſchoön in der großen Felſenwoͤlbung, während die Sonne in’s Meer tauchte. = Einmal wurden wir aber von einem gräßlichen Geſchrei mitten in unferer Andacht gehört. Es kam von Minga’s Höhle Wir liefen, Hin und trafen Lemelie vor Wuth zitternd, mit einem blinfenden Meſſer in der Hand, und die Negerin, immer nody fehreiend, in einen Binfel bingeflähtet. Bir glaubten erft alle, er habe fie morden wollen, entdeckten aber bald, dag es auf den klei⸗ nen Beautiful gemünzt war, den fie auf dem Arme trug: Barum, frug van Leuven, mollt Ihr das arme unfhul- dige Thier ermorden? Was unſchuldig? rief er rafend; verfluchtes Vieh, das uns das wenige nor) Uebrige auffrißt und trinft. Sollen Menſchen eher als eine folde Beftie umfommen? Sol es unfer Yarges Mahl, womit wir er barmlich das Leben friften, noch fümälern?

\ Goncordia warf ſich ihm zu Fügen und beſchwur ihn mit Tpränen, ihren kleinen Liebling zu ſchonen. Das rührte ihn etwas; er bat fie höflich, nieder aufzuftchen, drüdte ihr die Hand und fagte: Für Euch, Madame, opfere ih ul, felbft mein Leben.

So war denn der Friede mieder hergeſtellt. Als wir mit Minga darüber ſprachen, fagte fie: Wäre der Hund sefräßig, wollt' ich mir es noch gefallen laſſen; er frißt

126 Trogloditenleben.

aber wenig und trinkt noch weniger. Seht einmal, den Topf mit. Waffer hat er ja beute kaum angeräbrt.

Nicht angeräprt? wiederholte -ih, und ein Hofnunge- ſtrahl durddrang mir die Seele. Ich ſchwieg aber, um Alles erft ſelbſt zu unterfuhen. Am folgenden Morgen fand ic) früh auf, der kleine Beautiful, der bei mir ge Schlafen hatte, und den ic Laufen ließ, verlor ſich gleich in die Felfenklüfte. Nach einer halben Stunde kam er wie der, Tedte ſich um's Maul, und im Barte hingen ihm noch Mare Waſſertropfen. Ic fhmedte daran. O Himmel! es war. frifcyes, füßes Waller. Noch ſchwieg id und nahm mir vor, dem Hunde das näcfte Mal auf feiner Bandes rung zu folgen. Es war aber unmöglich, er entſchlüpfte wir, und id Eonnte feine Spur nicht finden. Nun füllte id ein Saͤcchen mit weißem Sande, madıte ein Loch daran und band cs dem Hunde das naͤchſte Mal auf den Rüden, fo, dag er im Laufen immer ein wenig daraus verlieren mußte. Auf diefe Art zeigte mir cin weißer Streifen den Weg über nadtes ſchwärzliches Gefein, Moos und Dornen, durch mehrere Schlupfwinfel, und ich war feine Viertel» meile gegangen, fo hörte ich ein ſtarkes Braufen, und ente dedte, als id auf einem ziemlicyen Umwege dem (droffen Meerpfeiler vorbei gefommen war und wieder hinunter nad dem Etrande ftieg, einen großen Wafferfall, der ſich aus der weiten Definung des Berges in’s Meer ergoß. Da ftand der Meine Beautiful und trank mit dem Sad auf dem Rüden, woraus er aber das Meiſte verſchüttet hatte Ic; befreite ihn gleich von feiner Bürde und ſchöpfte Waſſer mit der hohlen Hand. Es war Mar wie Kryſtall und konnte nicht beffer fein.

Euch mein Gefühl in diefem Augenblide au ſchildern.

Troglodytenleben. 127

iſt unmöglih. Ich eilte zuräd und begegnete Lemelie, der verdriehlich und niedergeſchlagen ausfab. Er wunderte ſich über mein frohes Gefiht. Hat Concordia Eud wieder eine engliſche Stunde gegeben? frug er ſpöttiſch. Herr Les melie, antwortete ich, id will Eud eben fo vergnägt mar hen, wenn Ibr mir erlaubt, Euch Baummolle in die Ohr ven zu ftopfen, und ein Tuch um die Augen zu binden. Er bedachte fi) ein wenig. weil er aber an meiner arglofen Zreude wohl merkte, dag mir etwas Angenehmes begegnet das ich ihm mittheilen wollte, ließ er fich die Bedingung gefallen.

So führte id) ihn zu dem Waſſerfall und lieg ihn we» der hören noch feben, bis wir gerade vor der herrlichen fau- fenden Fluth ftanden, von grünen Eträudern und Zelfen- blumen umringt. Wie beſchreibe id) Euch fein Geſicht, als er den Wafferfalt fah und braufen hörte? Es giebt Augen- biide, wo ſelbſt das Pältefte Herz des verruchteſten Sünders von Gottes Güte, Allmacht und Schönheit gerührt werden muß. Seine Gefihtemusteln verzogen ſich trampfhaft, denn es foftete fie eine große Anftrengung. die gewöhnlichen Höh« niſchen Spottfalten, die haͤmiſche Tüde daraus zu verjagen, und demäthig, dankbar und beglüdt auszufehen. Das ge⸗ fang nun freilid nicht; das Ganze ward dod nur eine wi⸗ drige Frage, rührte mich aber dennoch, weil ich die Mög- lipfeit zur Beflerung daran erkennen konnte.

Seht einmal, Herr Lemelie, rief ich, dieſe Quelle hat der Meine Hund entdedt, den Ihr vorgeftern morden mol tet, weil er einige Tropfen Waſſer in feinen Topf befam. Bäre es geſcheben, fo hätten wir alle bald auf dem troß- tenen Felſen verſchmachten mäffen. Seid künftig nit mehr

123 Troglodvtenleben.

ſo grauſam, und haßt und verfolgt nicht unſchuldige Ge⸗ ſchoͤpfe, die Euch nichts zu Leide thun.

Ihr habt Recht, Herr Albert, antwortete er fanft und bedenklich, indem er den Hund, der ung zur Quelle gefolgt mar, ftreihelte; wahrlich, das ift eine edle Art, ſich zu rär den. Ihr fammelt mir- alle glühende Kohlen aufs Haupt. Ich habe es nicht verdient. Man hat mir fonft gefagt: ein einziger fündhafter Menf auf einem Schiffe könne die ganze Mannſchaft in’s Verderben ftürzen; bier geht es um⸗ gekehrt: der Himmel rettet einen Sünder, tugendhafter Men» ſchen Willen. Jetzt wollen wir uns aud recht brüderlich lich vertragen.

Es freute mich fehr, ihn fo fprehen zu hören. Gon- cordia, van Leuven und Minga theilten unfer Entzüden, als wir fie nad dem Waflerfalle brachten. Als Lemelie vorangegangen war, erzählte ic) ihnen auch feine Neue und wie er gefprochen habe. Beim lebendigen Gotte, rief der biedere van Leuven, diefe Nachricht klingt mir eben fo litblich und tröftend in's Dbr, als das Rauſchen der neue entdedten Quelle!

Gebe der Himmel, feufzte Concordia, dag diefe Geſin⸗ nung eben fo Dauerhaft fei. Aber leider! Auch auf dem naften Sande kann wohl das Heidefraut mitunter ſpäͤrlich gedeihen. Es blüht ein Meiner Fled, und fieht recht reizend und grün aus, als wäre es friſcher Wiefengrund. Der lot⸗ tere Sand liegt aber lofe darunter.. Bei'm nädften Wind» ſtohe eigen fi die ſchwachen Wurzeln los, und der Sand mirbelt wieder abſcheulich in die Luft, und verdunfelt den Himmel. Auch das Krokodil weint im Scilfe, wie ein unſchuldiges Kind, wenn es Menſchen verfhlingen wild.

Troslodytenle ben. 13o

Befouders bat fie ihren Gemahl. fi ver dem feiften. grau famen Menſchen in Acht zu nehmen.

Liebes Kind, ſprach van Leuven, fie heiter tröftend, wir Holländer find ein ruhig anfmerffames Volk, und laſſen ung nicht fo leicht bintergehen. Haben wir do) täglich mit eis nem meit fürdpterliyeren Ungeheuer zu kämpfen, das ung zu verſchlingen droht, das gewaltige Meer, und doch leben wir gfüßlih hinter unfern Deichen, laſſen uns nit aus der Faſſung bringen, und feine Furcht ſtört unfern ftillen Ge nuß. Hier jprudelt die Ledensquelle wieder frifh und er⸗ quidlih. fo wollen wir denn auf Gottes Gnade bauen, und nicht blog Mißtrauen und Furcht aus diefem fhönen Hoffnungsbecher fhlürfen.

Nun waren wir im Befig der wichtigſten Kebensbedürf- aiffe. Der Fels vertheidigte uns, wenn das Meer wüthete. hinter feinen Wänden fanden wir Schatten gegen die drüß- kende Mittagshige, obſchon wir nicht die Freude hatten, uns unter einem fühlen, grünen Baume au erquiden, denn nichts, als früppliches Geftrüpp wuchs umber in den Rißen. Nur um die Duelle blühte etwas Gras und einige Blumen. Bir nannten diefen Ort Concordias Garten, umd ih hauete Eige in den Stein, damit wir die Morgen- und Abend- Runden da zubringen fonnten. Auch richteten wir eine Kühe in der Nähe ein, um gleich Waſſer zu baden. Zwiebac und geräuchertes Fleiſch hatten wir nod für ein Viertel» jahr, Shiegpulver und Blei für ein ganzes Jabt, und das mit wir aud) nachher unfere Nahrung finden könnten, batte die Vorſehung uns noch einen fhönen Bogen und’ Pfeile in der Kajüte finden laffen, ‚momit fih van Leuven zum Vergnügen vor feiner Abreife geübt hatte, vun weil er

Deplenf. Exheiften. XVIL.

130 Troglodytenleben.

ſonſt ein guter Schüge war, wollte er auch den Ceylonern zeigen, daß er mit ihrer Waffe umzugehen wiſſe.

Diefen Bogen bewahrten wir, als unfer koftbarftes Kleinod; ich nannte ihn Philoftets Bogen, und fühlte nun erft die Schönheit der fophofleifhen Tragödie, wo fih die Handlung einfach fhön um einen folden Bogen dreht, der des Verlaffenen einziger Troft ift, den ihm dennoch feine grau« famen Landsleute aus Eigennug rauben wollten, ohne ſich um feine Leiden zu befümmern, bis die Vorſehung es fo fügt, dag der Unglückliche ihrem Verlangen nad) diefem Bo- gen eben feine Rettung verdankt, indem die Gefährten, die nur Raubſucht in feine Nähe gebracht hatte, zum Mitleide ‚gegen ihn bewegt werden.

Uchrigens war unfer Zuftand doch boͤchſt elend. Soll ten wir fo, als Troglodyten, auf dem nadten Steine in dunteln Höhlen unfer ganzes Leben zubringen? Waller hat«

- ten wir freilich genug; follten wir aber nie mehr die müt« terliche Erde betreten, aus deren fruchtbarem Schooße der Senz mit lieblihen Farben empor blüht, der Herbft mit goldenen Früchten mrangt? Ja, nod eine größere Furcht drohete ung in der Ferne; noch ein zweites Element drohte uns zu verlaflen! Der Funke des Lebens, die Erheiterin und Hervorruferin der Schöpfung, das beilige Feuer. Denn Bretter und Planten Lagen freilich vollauf umher nad dem Schiffbruche. Wie lange fonnte aber das dauern? Und Holz wuchs auf diefem Felfen nicht. Das wenige Ge⸗ ſtrauch mochte nur wenig verfhlagen; unfere einzige Hoff mung gründete fih noch auf das Meergras, ob wir das vielleicht trodnen könnten, um unfer Eſſen dabei zu kochen.

Für Concordias Schönpeit that es mir Im Herzen am leideſten. Soll diefe zarte Blume, dachte ich, in Nebel,

Troglodytenleben. 131

Regen, Hipe und beißendem Seewinde zufammen ſchrum⸗ pfen und verwelten? Soll die zarte reizende Lady bald wie ein armfeliges hollandiſches Fiſcherweib ausfehen? 5

Noch war nichts verloren; wir hatten alle Kleider gee nug, und gingen fo einher, wie wohlhabende Bürger auf den flamländifhen Bildern. Minga mar eine fleigige Bä-

ſcherin. Ein großer breitfhattiger Sonnenhut, den Con⸗

eordia mitgenommen hatte, fam ibr jept fehr zu Statten, Und etwas darf ich nicht verfeptweigen: wir hatten ein gro- es Paket daniſcher Handſchuhe aus Kopenhagen mitgenom- men; das war auch gerettet. So ftand zu hoffen, daß wer der Kälte, Regen noch Sonnenfhein das Alabaſterwerk ih · rer fdjönen Hände vernichten würde.

Ich ſelbſt fol mich, als vier und zwanzigjähriger Tünge ling, mit den wallenden braunen Loden, mit dem ſchwar⸗ gem Sederhute, der kurzen Iade, der Jagdtaſche auf dem Nüden, der Slinte auf der Achſel. am Felfenfteige nicht übel ausgenommen haben. Zu meinem fanguinifhen Blute machte van Leuvens männlich ruhiges, tieffinniges, etwas bleiches Geſicht einen guten Gegenfag. Und um dem Bilde auch feinen Schatten zu geben, fo ſtach Lemelie wieder zu ung recht poetiſch ab, mit dem Liftigen hämifhen Antlipe, und den Eraufen blonden Loden, worauf er fehr ftolz that, weil ‚fie feinen alten franzoͤſiſchen Adel bemeifen ſollten. Freilich "mar der Scheitel ſchon ziemlich kahl; die breite Stirn nur ‚von wenig Haaren bedekt, der rothe Bart aber war ftark, und verbarg das gar zu fhigige Kinn. Nafe, Mund und Augen hätte man fhön nennen können, ‘wenn ein beſſerer Ausdrud das Geſicht belebt hätte. Gin grauer aufgefrem- velter Hut mit hochrother Feder ſaß ihm immer ſchräg am Kopfes und fo fah er einem vermummten Teufel „ia unähn«

1% Neue Entdedungen.

lich. Minge und der Leine Beautiful, ſchwarz und weiß vollendeten das Bild; beide treu, gefund, wach und immer Wi Bewegung; neigte die ſtumpfe Neger-Natur in ihr ſich zum Thieriſchen, fo lieh der gefühlvolle Blid des Hundes etwas Menſchliches ahnen. Diefe Verwandfchaft fühlend waren fie unzertrennlich. -

Hätte nun ein guter Maler diefes unfer ganzes Perfo- nal auf der Klippe gefehen, um den herrlichen Waſſerfal gelagert, beim Sonnenuntergang, oder während die blaſſe Sichel des Mondes über dem Felſen ſchwebte. und das Küqhen feuer hinten dunkelroth aus der Spalte deffelben hervor lo⸗ derte; bätte er zugleich ein Paar fledige Schildkröten dort hinauf Friehen, ein Seekalb den Kopf aus den Wellen ers beben laſſen. da wo die fenkredhten Bafaltpfeiler fi im Waſſer ſpiegelten. hätte er nod die Zuft mit einigen See vögeln bevölkert, fo würde das wahrlich kein ſchlechtes Bild gegeben haben.

16, Neue Entdedungen.

Im Klettern war mir Niemand überlegen. Als ih num merkte, daß ſich oben auf der Zelfenfvipe andre Gattungen Bögel bören und fehen Liegen, fuchte ih durch allerhand Ummege immer höher zu fleigen, bis id} den höchſten Gipfel erreicht hatte. Wie murden nun meine Einnen von dem größten Vergnügen der Belt erfüllt! denn es fiel mir, durch

Neue Entdedungen. 133

einen einzigen Blick die anmuthige Gegend dieſer Felſen Inſel in die Augen, welche ringsum mit dergleichen ſtarken Pfeilern und Mauern umgeben und verborgen war.

Eine ganze Stunde fand id) voll Entzüden, denn der Gegenfag meines bisherigen Aufenthaltes, und des jegigen konnte nicht lärker fein. Dort waffe, rauhe Seeluft, ſchroffe nafte Selfenwände, das äde, flache, oder fhaumbededte, brau⸗ fende Meer, Sandbänfe, Meergras, Schildkröten und heie ſerſchreiende Waffervögel, düftere Bergklüfte; alles nur von Morgen« und Abendroth und Mondſchein einförmig oder geſpenſtermaͤßig beleuchtet. Hier füger Frühlingsduft, Blu- men, Wälder, Bählein, Eingvögel in den Zweigen, Hirfche, Rebe, Affen und Biegen im Thale; die mehr verwundert als bang, fid nicht weit entfernten, um über den vicleicht nie gehabten Wunderanditd eines Meuſchen zu faunen. Ih ab mehrere Arten Geflügels, das unfern Nebhühnern gli, gab unter fie Feuer, und fünf blieben auf dem Platze lie⸗ gen. Nah dem Schuffe, der oft in den Bergen wieder- Halte, Rugten alle Iehendigen Geſchöpfe gewaltig. gingen und floben, jedoch bedachtſam. fort, und verbargen fid in” den Wald. Faſt that er mir leid, daß mid der Knall die- fer angenehmen Geſellſchaft beraubt hatte.

Ich flreifte weiter umber, um auch Menſchen zu finden, fand aber feine-Spur davon; und fol ic die Wahrheit befennen? ic kann nit fagen, daß mir viel daran gelegen war. Es war jegt zu fhät, über den Felſen zu meiner Ges ſellſchaft aurädzutchren. IA blieb alfo im Innern der In fel; und verzehrte mein mitgenommenes Abendbrod. Schöne rohe Beeren, unſern Morellen gleich, bingen auf den Bäumen, und lotten mid mit ihren ſchwellenden Kugeln, ich wagte fie aber nicht zu Roften, weil ich ſie noch nicht

134 Neue Entdetungen.

Tannte, und begnügte mich, aus dem Bächlein meinen Durft zu löfhen; dann flieg ich auf einen Baum, und fälief dort die Nadıt. Ich, der gewohnt war, nur das Meer braufen zu hören, wurde diesmal von dem Iuftigen Vogelgeſang früh erwedt. Ic ſchlug die Augen auf; das Gras war mit Tpaudiamanten überftreut. Das braune Wild erfhien

md verſchwand hinter den Bäumen. Bunte Papageien und

oldfafane hüpften in den Bmeigen. In den oberften Baummipfen zürnten kalikutiſche Hähne, breiteten ihre Fächer troßig aus, und wurden roth und blau vor Aerger, weil ſich die Morgenfonne unterftand, ihnen in die Augen zu blin- ken. Naͤrriſche Affen krochen umber in der Nähe, und bes gudten mich neugierig. Sie mußten nicht, ob fle mid zu ibrem Geſchlecht rechnen follten oder nicht. Ein ſchöner klei⸗ ner Vogel kam mir fo nahe, daß ich meinen Hut über ihn werfen, und ihn lebendig fangen konnte. Ich ftedte den Vo⸗ gel in meine Jagdtaſche, und weil das hohe Gras doch noch zu naß war, ſchnitt id) einige Zweige von einem nahen Baume, der mit einer Weide große Aehnlichkeit hatte, und flocht in aller Eile einen runden Käfig für meinen Vogel, den ih Goncordien bringen wollte. Drauf begab id) mid wieder auf den Weg, um meine Gefährten nad) diefem Gas naan zu führen. Das erſtaunlich reihe Farbenfpiel auf den Schmetterlingsflägeln, Blumendlättern und Bogelfedern, das ih nie fo in Europa gefehen hatte, entzüdte mich außeror- dentlih. Noch war es mir nit eingefallen, mid vor den möglicen Uebeln zu fürdten. Ploötzich fuhr der Gedanfe mir wie ein Big durd den Kopf: Wenn nun der Bald voll veigender Thiere, das Gras vol tödtender Schlangen, die Erde voll Giftpflanzen wäre? Meine gereizte Phantafie Lie mic) ſchon alles deutlich fehen. Ich glaubte ein Löwen,

Neue Entdedungen. 135

haupt mit ungeheurer Maͤhne ſchaue fhon dort Hinter dem

Baum hervor; bier kroch eine ſchuppige Schlange, mit der

gräßlihen Brille an dem geſchwollenen Halfe. Das Lümen-

baupt wat aber nur ein Baumfnoten in der Rinde, die

Saint ein heruntergefallener trodner Zweig, mit gelbem of.

Möglich entdede ich Scherben eines zerbrochenen Topfes aus der ‚Erde halb hervorragend. “Diefes Merkmal eines Menfchendafeins richtete mic) wieder auf. Alfo können doch Menfchen bier Ichen und haufen, dachte ich. Aber licher Himmel, wenn nun das Kannibalen find, die did) greifen, ſchlachten, braten und verzehren? Es fief mir eiskalt über den Rüden, id verwunſchte meine Neugierde, und wünſchte mic wieder in die fteinerne Höhle zu Concordia und van Leuven zurüd, wo wir nar gegen ein reißendes Thier, cine Giftblume, eine Brillenfhlange und einen Kannidalen

uns zu wehren hatten.

In diefe Gedanken vertieft, gerieth ih auf einen (hma- len, wie es ſchien, einft dur das Gehölz gehauenen Weg, der in eine Sommerlaube führte. Sie war freilich jeßt ‚ganz verwachſen, ſchien aber doch ein Werk von Menfchen« band zu fein, das fah id) an den geraden, in einer Linic abgefägten Baumftämmen, die wieder hoch empotgeſchoſſen waren, Diedurd) war das Dad) dichter geworden, und die genaue Zufammenfügung der Zweige ließ auch vermu- then, dag nicht alles Natur und bloger Zufall fe. Das Laubdach war fo did, dag kein Waflertropfen durchdringen tonnte.

. In der Nähe diefer Laube ‚fand ih deutlich Spuren eines längft verfallenen Gartens, wo nad). alle Obftbäume in Reihen fanden. Menſchen und Wohnungen gelang es

136 - Neue Entdedungen.

mir aber nicht zu entdeden. Doc eben diefe Entdedung war mir die liebſte. Ic ſab deutlich, daß hier einft Ein- fiedler geringer Zabl gelebt, die längft geftorben fein muß- tem. Alſo gehörte diefe Infel uns; und mir haften vor eißenden Thieren nichts zu fürchten, denn die Ueberreſte zeigten ja, daß einzelne Menſchen hier lange Zeit nngefört ihre Wirthſchaft getrieben hatten.

Nun eilte ich wieder nad) dem Felſen zurüd, und ſchoß noch ein junges Reh auf dem Wege, das ic) mitſchleppte. Den Rüfmweg fand ich leicht und fiher, denn ich hatte bei jeder Ece ein Zeichen gemacht; das mir in diefem Labyrin- the ftatt des Fadens der Ariadne diente. Mein junges Neh ward ziemlich beſtaubt, weil id es nachſchlebpte. die Rebhühner Bingen mir in einem Bunde auf dem Rüden, der Vogelkäfig auf der Bruft, die Flinte diente mir zum Banderftabe, und mein Hut ftrogte von Blumen und frie ſchem Laube.

Ic) wunderte mid über meine eigne Dreiftigleit, als id, wie ein Steinbod, über die Abgründe fprang, und ohne Grauen die fteilen Wände Hiunterfletterte.

Im Hinunterfteigen. merkte ih mir eine gefährliche Kluft. Hier muß eine Meine Brüde für Concordia geſchla⸗ gen werden, fagte id). Ich zitterte, wenn ih an die Gefahr dachte, der fie ſich ausfegen Könnte; mein Troft war aber: Es ift leichter hinauf» als binunterkfettern.

Den erften, den ich in den untern Regionen traf, war van Leuven. Er faß ziemlich hoch auf einem Zelfenblode, den Kopf auf die Hand, den Arm auf's Knie geftügt, und ich hörte ihn fagen: Mein guter, frommer Albert Iulius! So haben wir did denn auch verloren? Herrlicher Iebens- Iufiger Junge! voll Zuverſicht und Hoffnung, mit dir iſt

Neue Entdedungen. 137

das Glück von uns gewichen, und die Sonne dringt nicht mehr in unfere däftre Eteinhöhle.— Herr van Leuven! rief

"ih froh gerührt, grämt Euch nicht. Da Habt Ihr den Ar

bart Julius wieder. Und feht mal den fhönen Vogel! Der bringt wie Noahs Taube ein Delblatt mit im Munde. Seht Ir auch das friſche Laub, die Blumen auf meinem Hute? Die Rebhühner und das Reh?

Er wollte feinen eigenen Augen nicht trauen, und das‘ hochſte Entzüden verdrängte den tiefften Schmerz. Ach, rief er, fo Fönnen wir nun doc noch den Geburtstag mei- ner Concordia mit Freude feiern? Ich glaubte, es würde nur ein Schmerzenstag für uns fein. Ic babe Euch verge⸗ bens geſucht, bin weit höher hinauf geweſen, und wäre gern noch weiter geftiegen: allein der Gedanke, auch, wie Ihr vermuthlic, in den Abgrund zu ſtürzen und das arme Weib mi dem abſcheulichen Böfewicht allein zu laſſen, hielt mic zurück.

Ihr Geburtstag! rief ih und eine freudige Röthe überflog mein Geſicht. Sie vollendet heute ihr neunzchn- tes Jahr, antwortete er. Ad, ich Habe ihr fein Geſchent matten fönnen; nicht einmal meine zärtlihe Aufmerkfamteit konnte id ihr widmen, denn meine Gedanfen waren bei Eu, lieber Freund, auf dem Zelfen. Lemelie dagegen iſt recht aufgeräumt. Er ſcheint fih Euren Verluft gar nicht nahe gehen zu laſſen. Er möchte uns wohl gern Beide zum letztenmal gefehen haben. Ein Paar hübfhe Angelru⸗ then hat er geſchnitten, und Goncordien die eine gefhentt. Iept figen fie drunten und fiſchen. Der Elende! Mit ver- führerifhen Reden liegt er immer der unfyuldigen Seele im Ohr. Bas follen wir aber thun? Das Schidfal hat ung nun einmal im engen Kreiſe mit ihm zuſammengebracht.

138 Neue Entdedungen.

Durch Strenge und Milde zugleich mäffen wir feine Bos- heit zähmen und bändigen. Die treue Minga verläßt Con- eordien nie, wenn er bei ihr iſt, und er fürdtet fih mehr " vor diefer gutherzigen Schwarzen, als vor dem Teufel; denn er weiß, fie verfteht keinen Spaß, und wenn cr fi die Meinfte Unverfhämtheit gegen die Herrſchaft erlaubte, würde fie ihn, gleich wie der Iagdhund den wilden Eher, an der Kehle faſſen, ohne ſich an feine Hauzähne zu kehren.

Ban Leuven folgte mir in meine Höhle, wo ic erſt ein Lied auf Goncordiens Geburtstag dichtete, das ihn ſehr erfreute. IA glaube, fie hat aud ‘Etwas heute über Eu) gemacht, fagte er,. denn fie iſt ganz untröftlih, hat lange in ihrer Höhle geſeſſen und geſchrieben. Sie bat es aber wieder entzweigeriffen, ohne es Iemanden zu, zeigen, und vor Beträbnig fih faft die Augen ausgeweint.

Bie wohl that mir diefe Nachricht! Ich flocht das Laub und die Blumen in einen Kranz, und lief hinunter nad dem Strande, die fhöne Fiſcherin zu tröften, und ihren Hut mit dem Kranze zu fhmüden. Den Bogel im Käfig hatte ich mitgenommen.

Lemelie ſaß verdroffen ziemlich weit von ihr entfernt,

und ſchien mit gerungelter Stirn ſehr aufmerkfam feine An⸗

gelruthe im Waſſer zu betrachten. Minga fah ihn Höhnifch an, mit- den Händen in die Seiten geftemmt, und warf mit« unter bedeutende Blide auf Concordia, die betrübt in tiefen Gedanten da faß, die Hände im Schooß, und mit leiſer Stimme fang:

„Reine Blum, feine Blum’rüß

@ei geftseut auf den ſchwärzichen Sarg,

Keine Seel, keine Seel’ grüß

Mein Gedein, wo die Erd eb verbarg.

Neue Entdedungen. 139

Um ch und Sed zu wenden ab, Bergt alleine

in, wo fein Trener wat” ans Gieb Und weine.” *)

Ich ſchlich mic leiſe auf dem Sande binter fie, und " firedte meinen Arm über ihr Haupt, fo daß der niedliche Bogel im Käfig ihr grade vor die Augen kam, ohne daß fie mußte woher. Und wie allerliehft! Der Eleine Sänger, der die ganze Zeit feiner Gefangenfhaft geſchwiegen hatte, fing gleich an, eine luſtige Weiſe anzuftimmen. Sie forang-er- ſchroden auf, und kehrte fi um. Da fand id, und firelte ihr das Lied, den Kranz und den Vogel entgegen. Ste fiel mir entzuckt um den Hals, fügte mid) und rief: Mein ge- liebtet Freund! Meines edlen Gatten Freund! Lebt Ihr noch? Athmet Ihr noch? Nun, fo wollen wir aud wieder aufleben und hoffen. Ich bat fie, dag Meine Gedicht zu le⸗ fen; es lautete alfo:

Der Fiſch und der Vogel.

Das Fiſchlein mag wohl niedlich fein,

Mit Silberfhhuppen (hön.

Doc kann es mit mir leben? Rein!

Bald iſns um uns geicheh'n.

Es jappelt eine kurze Beil,

Der nafle Bein entflicht in Gil’; 2 Dann liegt es in der Butte tobt,

Bie's die Ratur gebot,

*) Mus ehateſpeares „Bas ihr wollt," nach 0.3. Ochlegel.

140 Neue Entdedungen.

Und folgen kannt du nicht dem Fiſch Nach. ſeinem Glement,

Der dunkie Grund iR gar au frifch.

Wo feine Sonne brennt.

Da ſchwimmt der Wallfiſch und der Hai Bem rötplichen Korall vorbei;

And was in jener Tiefe fedt,

‚Hat noch fein Aug" entdeckt.

Dagegen fieh das-Wöglein an

Im bunten Federſchein !

&8 fingt fo lieblic, fliegt bergan Und bringt dich nach dem Hain. Bei Sonnen Auf und Untergang Es witſchert feinen Lobseſang. Und deiner Schonheit Herrlichkeit Befingt ed. ohne Neid.

Der Vogel kommt zum Feſte her

Und bringt den bunten Kram.

Concordia, Dad graue Meer

‚Hat feinen ſolchen Glam.

So folg' dem Bogel fe genug,

Nach Paradies geht hoc) fein Flug. Komm! Gvas Tochter bift du doch; Nur Goa mangelt noch.

Lemelie (aß indeg mit affectirter Ruhe bei feiner An⸗ gelruthe, woran nichts beißen wollte, und that. als ob er meine Zurückkunft gar nicht bemerkt Hätte. Dan Leuven

Neue Entdelungen. 141

mußte ihn mehrmals einladen, ehe er aufſtand und zu uns tam. -

Ei, ei, rief er, da haben wir ja unfern Poeten. I mußte wohl, daß er zu vernünftig fei, ſich wirklich in Les bensgefahr zu wagen. Mit Gemfenjagd geben ſich die Her-

‚ren Berfifere felten ab. Er hat Blumen in einer Selfen- luft gefunden und’ einen Bogel gefangen. Charmant! Und deshalb ift ihm Madame um den Hals gefallen und bat ihn fo zaärtlich gefüßt, als ob es ihr Gatte märe. Bas fagt der gute Herr van Leuven dazu? Ih würde fie nicht Lieben, antwortete van Zeuven, wenn fie nit den bra⸗ ven, ehrlichen Albert liebte, und um ihn befümmert geweſen wäre. Nun, Ihr fpreht ja recht, wie ein vernünftiger Ehemann, Hert van Lenven, verfeßte der Kapitän: allein marum foll id denn allein das Stieffind fein, -und mit trof- kenem Dlunde davongehen? Barum darf ich nicht auch küſ⸗- fen und ein wenig geliebt werden? Bas die Sitte in Eu⸗ ropa verbietet, wo Weiber vollauf find, davon faun die Rede nit bier am dden Ferſenſtrande fein, wo wir nur ein ein« siges Frauenzimmer haben. Denn das häßlihe, ſchwarze Thiermenſch, das dort mit dem Bildpret zur Küche gebt, wollt Ihr do wohl fein Frauenzimmer nennen; fo wenig wie die Hündin, die ihr nachläuft? Eitten richten fih aber nad) Zeit und Umftänden, nad) der Natur der Verhältuifie, fonft werden fie Borurtpeile. Was natürlich und menſchlich ift, fann weder goftlos noch Lafterbaft genannt werden; und fo denfe id), daß die reigende Concordia nicht länger fpröde “hun wird, feitdem Herr van Leuven nicht länger eiferfüh- iR. Bei den Mohamedanern ift Polygamie, bei einigen malabariſchen Stämmen Polyandrie eingeführt. Sollen uns die Indianer in gefundem Menfchenverftande, in Artig-

142 Neue Entdedungen.

keit und Gefälligfeit beſchämen? Bas fid) eine zarte, indie ſche Scyimpeit gefallen läßt und id verfihre Euch auf Ehre, Madame, die indiſchen Damen haben viel Zartgefühl vielen Gefhmad, viel fhwärmerifhe Neligiöftät und Blu menliebe; das, denke ich, wird eine fhöne Engländerin auch tun Fännen.

Ihr ſpaßt wieder, Herr Lemelic, antwortete van Leu ven; könntet Ihr im Ernſte fo reden, müßten wir Eu) be dauern und verachten. Doch muß ih Euch fagen, ſelbſt als Spaß betrachtet, finde ich ſolche Reden in einer tugend» baften Fran Gegenwart fehr unziemlich, und muß mir in der Zufunft ſolche verbitten. Ich weiß wohl, die Franzofen nehmen es mit dergleihen Aeußerungen nicht fo genau, und das kann Eud einigermaßen zur Entfhuldigung dienen. Bir Engländer, Deutſche und Niederländer find aber ehr- barer: Sogar Senegal und Gambia mit ihren Thiermen- ſchen würde gewiß unferm Geſchmacke beitreten. Und ge gen eine ſolche Duadrupel-Allianz wird ſich hoffentlich Frant reich in der Zukunft nicht auflehnen. Ihr habt gang Net, Zeit und Umftände verändern Bieles. Hättet Ihr uns fo etwas in Europa gefagt, ich hätte Eud als Edel mann geantiwortet. Hier auf diefem öden Zelfen- fühle ich mich aber zugleih weniger und mehr als vorher. Hier bin id) nur Menſch und Chriſt. Das foltet Ipr auch

fein! B - Ihr feid ja fein Chrift, Ihr feid ja mur ein Holländer, rief Lemelie lachend, der die ganze Sache zu einer Plai⸗ fanterie machen wollte. Bir tyeilten ihm alfo unfere Ent dedung mit, die jedoch feinen fonderbaten Eindrud auf ihm machte. Er beneidete mir vielmehr meine Entdelung und fragte ſpöttelnd: Hat der Spürhund wieder etwas auf-

|

Die Intel. - 143 getöbert? Ic kehrte mich an feine Bosheit nicht und wür⸗

digte ihn feiner Antwort. Der kommende Morgen ward zu unferer Wallfahrt beſtimmt.

17. Die Infel

Dan Leuven, Lemelie und ich begaben uns frifh auf den Weg. Concordia blieb in der Zelfenhöhle zurüd mit Minga, His wir ibr eine bequemere Bahn gemacht und eine Vobnung -droben eingerichtet hatten. Lemelie ſtellte ſich krank an, ale wir eine kleine Strecke geſtiegen waren, und fagte: er könne Heute nicht weiter klettern, weil ihm (Kroind- lich werde. Als wir aber die Reife feinetwegen auffhieben wollten. und, verfiherten: wir würden oßne ihn feinen Schritt weiter Ihun, ließ er es ſich gefallen und fagte: Eben fo gut heute als morgen, wenn es doch fein muß.

\ Man fann aber mitunter au) einem Schelmen Unrecht thun, und das war heute der Fall, denn er befand ſich wirt- luch nit wohl, und als wir bei der großen Kluft ſtanden. worüber er fpringen follte, erblaßte er, und wäre ohne Zwei⸗ fel in den Abgrund geſtürzt, hätte ich ihm nicht an den Arm gegriffen. Er fiel in Ohnmacht, wir trugen ihn abſeits in Scyatten und rieben ihm die Scläfe mit Brantwein. Er zitterte Über den ganzen Leib, big die Zähne zufammen, Schaum fand ihm vor dem Munde und ein kalter Schweiß bededtte feine Etirn.

144 ‚Die Infel,

Als er wieder die Augen aufſchlug ſtarrte er mid an und ſprach Heifer: Das war nicht hübſch von Euch gethan, Monfleur Julius, mic gerade vor die Höllenthür zu füh- ren, bevor ic) gebeichtet hatte. Wenn ich nun hinunter ge⸗ fallen wäre? Kein Erbarınen wäre jenfeits zu hoffen. Denn ich ſah ſchou den Teufel drunfen, ganz taub und ſchwarz wie ein ungeheurer Affe, mit Glutaugen und ſcharfen Kral- len an den Fingern, nad) mir greifen. Drunten wimmelte es von Meinen, ekeligen böfen Geiftern, wie in einem Schlan⸗ gennefte. Die Marterfammer öffnete fih fhon. und id fah deutlich die Folterbant zubereitet, worauf id) Cünden bee kennen follte, von denen id) nichts weiß, denn id bin fo unſchuldig, wie ein neugebornes Kind.

‚Herr Lemelie antwortete id, Ihr fpreht nod im Fie⸗ ber. Ich habe Euch fein Leides gethan, vielmehr babe ich Euch das Leben gerettet. Ach das ift wahr, fagte er, fid) die Stirne reibend. Jetzt befinne id) mid. Ihr grifft mid, beim Arme, als mir ſchwindelte. Jetzt ift mir wieder wohl. Ich Habe die Schwachheit, mitunter ſchwindlig zu werden. Dann fafele id) und fprehe das dümmfte Zeug, ganz gegen meine eigene Ueberzeugung. Sobald ih vom Zeufel ſpreche, fönnt Ihr immer gewiß fein, daß ich krant bin. Im gefunden Zuftande denke ic nie an fo etwas Un⸗ verfländiges. Laßt mid aber hier bleiben und mic erbos den. Ueber die Kluft fpringe id) nicht; denn da ift es nicht geheuer.

Ban Leuven und ich berathſchlagten uns, was wir mit ihm machen follten. Einem folden durdaus verdorbenen Menſchen, ſprach ic, ift nicht zu trauen. Vieleicht fagt er nur alles das, um, wenn wir ihn verlaffen, hinunter zu

Eoncordia zu laufen. Beſſer gehen wir zwei gleih hinun⸗

Die Infel, 145

ter, einige Bretter und ein Tau zu holen. Bir müffen ja doc) an diefem Orte Concordien eine Brucke bauen.

Gefagt, gethan! und als das Brett über dem Abgrund lag, als van Leuven an der einen und id an der andern Seite des Abgrundes das Tau hielten, wagte ſich endlich Lemelie ſchwankend in fihtbarer Todesangſt hinüber. Bir mwunderten uns, daß einem erfahrenen Seemanne fo ſchwindlich fein könne. Unfere Muthmaßung ward aber immer mehr und mehr beftärft, daß er nur ein Abenteu⸗ rer fei, der das eigentliche Seeweſen nie recht gründlich ge- trieben hatte,

Ban Leuven freute ſich eben fo ſehr wie ic, das ſchöne Eiland zu entdeden. Sogar in Lemelie erregte der Anblick der blühenden Natur eine. angenehme Empfindung. Seine Einnlidjteit fühlte ſich geſchmeichelt in der hehaglihen Im- gebung, die ihm in ‚der Zukunft größere Bequemlichkeit ver- ſprach.

Concordia zeigte ſich beim Hinaufſteigen weit raſcher und dreiſter, als ich erwartet hatte. Die Sehnſucht, bald die ſchone Inſel zu ſehen, verdrängte alle Furcht; wie eine leichte Nymphe ſchwebte fie Über die Klüfte, und als fie nun droben im Grünen fand, unter den Bäumen, unter den Blumen, da Ehiete fie hin und ftredte die ſchönen Hände

gen Himmel, und wir mit.ihr, und id ftimmme an: Auf den Nebel folgt die Sonne, Auf dad Trauern Freud und MWonne, Auf die ſchwere hitt're’pein @tent fih Troſt und Labfal ein. Meine Seele, die zuvor Eant His au dem Höllentdor,

Steigt mun bis zum Dimmelhor! Oehlenſ. Schriften. XVII.

146 Die Infel..

Ich batte mein Geſangbuch in der Taſche, ſchlug das Lied auf und reichte es van Leuven und Goncordien. Sie batten ſchon öfter deutſche geiftliche Lieder mit mir gefun- gen, und die fremde Ausfprade machte ihre Andacht noch rührender. Nur Semelie fang nicht mit. Ihr feid Keper, pflegte er bei folder Gelegenheit zu fagen, ih als guter Katholit muß meine Andacht abgefondert von Euch halten. Darauf ging er fort mit der Branntweinflafhe, und ich zweifle nicht, daß er fehr eifrig auf feine Weiſe gebetet habe, denn- als er wieder zurüdtam, waren ihm die Augen roth, und die Flaſche war leer. . ,

Mit den ſchwerſten Rechnungen, wenn ſie aud noch fo fehr in die Brüche gehen, ann ic) fertig werden, fagte van Leuven, da muß das Facit richtig werden; die Menſchen wa⸗- ven mir aber immer eine ſchwierige Aufgabe, befonders die⸗ fer Leinefie; denn das ift ein Bruch, der weder Zähler noch Nenner hat. Mit dem blogen Berftande, Herr van Leuven, antwortete ich, beurtheilt man keinen Charakter. Ihr feid älter und habt gewig mehr Scarffinn als id; Ihr fheint Euch aber mit Euren Wiſſenſchaften, mit Eurer Mathema« tie und Aftronomie fo.eifrig abgegeben zu haben, daß Ihr die übrige Welt darüber vergeflen habt. Und jept find wir ja aud von diefer mittelmägigen Welt getrennt; ein Engel hat Euch begleitet, nad Elvſium feid Ipr mit ihm verſcht. wozu denn jet jene viel gepriefene Menfchentenntnig? Allein Lemelic! verfegte van Leuven, auf ihn möchte ich mic doch gern verftehen. Wäret Ihr in Eurer Jugend nicht fo glüdlid und wohlhabend gewefen, ermiederte ich, nicht nad einer Schnur erzogen, hättet Ihr nicht immer brave tugeudbafte Leute um Euch gehabt, die vernünftig bandelten, fo würde Euch die Nothwendigkeit wohl gelehrt

Die Infel. om

haben, End auf folde Kähze, wie der Lemelie, zu verfte- ben. Wolluſt ohne Herz macht immer graufam. Böfe Men- ſchen ohne Gewiſſen müſſen fi) auch die Gottheit boshaft und grauſam denfen. Darum fürchtet er Gott, ohne ſich zu beſſern. Darum find Aberglaube und Unglaube laͤcher⸗ lid bei ihm gepaart. Alle erhabene Gefühle, tröftende re ligiöfe Bortellungen, Kunft, Poefle, Tugend und Großmuth verachtet er als Schwmärmereien. Sein Geift, der am Grob» Irdiſchen Alebt, kann ſich nie vom Staube losreißen; daher ſchreiben fi) die Schreckbilder des plumpeften Materialis- mus, wenn er zu fterben fürchtet. Wenn aber die Angft vorüber ift,- fpielen Eitelkeit und Stolz wieder ihre alten Nollen, unterfiügt von der Lüge, und der ſchwache knechti⸗ ſche Geiſt in feiner Dummheit wähnt, er fei ein Freigeiſt; weil,er nit weiß, dag nur in Gott allein die Freiheit zu ſuchen if.

Jetzt verſteh ich mid) fo gut auf Lemelie, wie auf den Hutbageräifien Lehrfag, rief van -Leuven. Eo, lieber Als dert, mollen wir oft mit einander ſprechen. “Ihr folt mich die Weltfenntnig, und ic will Euch Mathematik und Aſtro⸗ nomic lehren. Gin gutes Fernrohr haben wir gerettet. Ad, das it fhön, Herr van Leuven, rief ih Das wollen wir. Nenne mid nit mehr Herr van Leuven, nenne mid Du, fora er freundlich, und reihte mir die Hand. Das Schickſal hat uns zu Brüdern gemacht. Ziemt es fid noch für uns, ſolche fremde Redensarten zu gebrauchen? Ach, ſprach id, ich mollte gern, aber id ſchäme mich geht das an? Und mas wird Eure Frau Gemahlin dazu fagen? Solten wir fie nit er fragen? Närrifher Albert! rief van Leuven, eben ſprachſt Du fo vernünftig, und jept fpript Du fo albernes Zeug. Da haben nn wieder den

wo. Die Infel.

Widerſpruch des Menſchlichen. Ih frage Did noch einmal, willt Du mein Sreund fein oder niht? Nun ja denn! Dein Freund bis in den Tod, rief id, und drüdte den- vor trefflihen Mann an meine Bruf.

Bir hatten vollauf zu thun, unfere Wirtbfhaft auf der Infel einzurichten. Die Sommerkaube war bald gerei- nigt und ausgelüfte. Unter der Iodern Erdlage, die ſich von faulen Blättern in vielen Jahren gebildet hatte, fan- den wir einen trefflihen Eſttich von Sand und Thon, der fich ganz troden hielt. Als die Wände glatt befhnitten, die Fenſierloͤcher darin gemacht waren, konnte ih Goncor- dien nicht davon abhalten, diefe Laube zu ihrem Schlafzim⸗ mer zu wählen. Mit allen Euren übrigen Einrichtungen, Hieber Albert, ſprach fie, bin id ſehr zufrieden, aber in's Bogelneft, in den Baum, mag ih nicht alle Abende bin- aufflettern, wenn ſich eine fhöne Wohnung ganz von felbft darbietet. Eure Sorge wegen der Luft ift Übertrieben. Der Steintoplendampf in London ift oft ärger. Was fagt Ihr dazu, mein Gemahl? Ach, verfeßte van Leuven, gebe Gott, dag wir immer in Holland und Antwerpen eine ſolche Luft gehabt hätten. Nun, rief Concordia ladend, fo mag Herr Albert als Sachſe, der auf der Wartburg und am Ihüringerfelfen beim Nitter Rnaufdegen feine Lunge ver- wöhnt hat, (des Dachzimmers beim Küfter, wo er das Cie bengeſtirn durch's Loch fehen konnte, nicht zu vergeffen,) im Baume lange genug friſchere Luft fhöpfen. Wir Eheleute und Minga bleiben hier; denn eine Beine Borftube wird Aid) leicht machen laſſen. AG, Frau, antwortete die Schwarze, mo Gras und Erde ift, da iſt Bett für Minga und für den kleinen Beautiful.

So richteten wir uns denn en; fo gut wir fonnten

Die Infel. 149

und mochten, und weil weiter für ihn nichts zu mählen war, mußte Lemelie auch in einen Baum hinauf. Concor⸗ dia und Minga fingen gleidy an, ven alten Garten zu bes arbeiten. Bir Männer "harten mehrere Tage vollauf zu thun, alle Sachen aus der Steinhöhle über den Fels auf die Infel binauf zu bringen. Hier halfen uns mun van Leuven's Kenntniffe in der Mechanik, wodurd er uns die ‚Arbeit fehr erleichterte und beinahe das Unmögliche mög. lich madıte.

Als wir damit fertig waren, hatten wir beinahe nichts zu hun. Jagd und Fifderet kofteten uns im Anfange gar feine Mühe. Die Thiere hießen ſich ſchiegen, die Fiſche fan⸗ gen ebne Schwierigkeit. Und io ift der Menſch! Bas er gar zu leicht hat, achtet er nichtz die Jagd hatte für une ihren Reiz verloren, meil dabei nichts zu wagen war, weil fie feine Anftrengung koſtete. Es koſtete van Leuven und mir große Ueberwindung, die unfchuldigen Thiere zu töd⸗ ten, die uns forglos entgegen kamen.

Do das dauerte nit lange. Die Thiere lernen bald die Menfchen kennen, wo fie ſich treffen. Bald entflohen Vögel und Wildpret, wenn fie unfere blanken Flinten fü- ben, und wir hatten Unterhaltung genng.

Waren van Leuven urd ic ganz Jäger und Baumei- fter, Concordia ganz Gärtperin und Fiſcherin, fo war wie der Lemelie ganz Koh. und Minga mußte ihm in der Kühe Hülfe leiten. Es war nicht zu läugnen, die Maple zeiten, die er uns off durch feine Reden verbitterte, ‚mußte er durch die Zubereitung lederhaft zu würzen. Bein und Branntwein hatten wir nicht viel mehr, der Palmenfaft mit Wafler gemifcht gewährte uns aber ein fehr angench« mes Getränf. Unfer Zwieback wurde wie ein fäftlices

150 Die Infel.

Bacwerk nur ſparſam zum Naqtiſch genoſſen. Der Bret- baum war aber auf einmal unfer Adermann, Müller und Bäer, und wir brauchten nur die Hände augzuftreden, um das liebe Brod zu haben, darum ſich Die lieben Europäer im Schweiße ihres Angefihts bemühen. Lemelie, der vor« der blaß und mager war, fing jept an, fett und roth im Gefihte zu werden. Er machte fid keine Bewegung, auf die Jagd mochte er nicht geben: wenn er in der Küche fer« tig war, lag er den ganzen Tag auf feiner Matrage, klim⸗ verte auf feiner Laute, Die er gerettet hatte, und wollte

Concordia ihn nicht giftig machen, fo mußte fie ihm wenig- ſtens eine Stunde täglich bei der Handarbeit zuhören.

Zeit genug hätte id nun gehabt, mit der fhönen Frau . den Shafespeare zu Iefen. Ein Paar Bände waren auch von dem Wrade gerettet, wir konnten fie aber nachher gar nicht in den Steonhöhlen finden. Wahrſcheinlich hatte Les melie die Bücher vernichtet, weil er nicht Teiden mochte, daß Concordia und id) zufammen tarin fafen. ine deutſche und eine engliſche Bibel, woran er ſich vermuthlich nicht zu vergreifen wagte, hatten wir doch noch. Auch van Leuven rettete einige wiſſenſchaftliche Werke. Nun las ih alle ' Tage mit Concordta in der englifhen Bibel, wodurch der Unterricht mir ſehr erleichtert vourde, weil ih beinahe meine deutſche Bibel ausmendig mußte. Es freute mic fehr, die mohlbefannten Sachen in einer fremden Sprache erzählt umd ausgeforodhen zu hören, wodurd fie den Reiz der Neu-

beit gewannen. R

Der Greis in der Höhle, 151

18. Der Greis in der Höble.

Beil id) einmal der Entdeder geworden war, fo ber gnügte ih mich nicht damit, allein in unferer Gegend zu bleiben, fondern ftreifte weit umber auf der Infel. Ueberall ſab ich fruchtbare Thaͤler, fhöne Wälter. Ein größerer und Mleinerer Flug bildeten niedlihe Seen und durchfloſſen das Eiland. Der große Fluß werlor ſich in die Bergklüfte, woher wir gefommen waren, und ih entdedte fpäter, daß er drunten den Waſſerfall bilde, der uns in den erften Ta- ‚gen das Leben gerettet hatte.

Mitten auf der Infel fing es wieder an, bügelicht zu werden. Eine fhöne Anhöhe zog befonders meine Aufmert⸗ famteit auf fi. Ich hätte fie leicht von einer enfgegenger ſetzten Seite erfteigen können, weil ich mid) aber einmal an das Klettern gewöhnt hatte, gefiel es mir mehr, die ſchroffe Bandfeite hinaufzufteigen, weil diefer Weg viel fürzer war.

Die fteinerne Band war mit Moos und Geftrüpp ber wachſen. Kaum hatte id einige Schritte gethan, fo fiel ich flürzte in ein Loc) hinein. und befand mid) in einer finftern Höble, wo die Luft fo beflommen war, daß ich faſt zu er» fiden glaubte. Ich ſchöpfte beinahe nicht Athem, bevor ich ſchnell wieder aus dem Loche herausgekrochen war. Dann lief ih, mas ich laufen fonnte; es war mir ein Schreden in's Blut gefommen; nicht blos der verhefteten Luft wegen. ſondern weil es mir vorgefommen war, als bütte id) einen

152 Der Greis in der Höhle.

alten Mann mit langem Barte im Hintergrande der Höhle an einem Tiſche ſihen gefehen. _

Im Freien ſchöpfte ih wieder Athem; trank Waller

aus der Quelle die aus dem Steine herausfloß, und mußte über meine eigenen Ginbildungen laden. Wie könnte ein Menfd wohl in einer ſolchen verſchloſſenen Höhle voll erfis Gender Luft wohnen? Das ift die alte Geſchichte von Barthel im Weinkeller, Dachte id), die Dir im Kopfe ſpukt. Das Maͤhrchen von Kaifer Friedrich, deilen rother Bart durch den fteinernen Tiſch gewachſen war. Iſch befümmerte mic nicht weiter darum und blieb die Nacht oben auf der Anhöhe, wo ich guten trodnen fteiner- nen Grund fand, worauf id in meinem mitgenommenen Mantel gewidelt ſchlafen konnte, ohne von den Dünften des Thales zu leiden. Was mir diefe Nacht begegnete, wii ich Euch ganz erzählen. Wahrſcheinlich war es ein bloger Traum; denn es ift nicht zum erſten Male, daß ich wa⸗ hend träumte, an demfelben Orte befindlich, wo ich wirke Kid) war. und fonft alle Gegenftände wohl ertennend.

Es däudte mich, als hörte ich unter der Erde, drun⸗ ten im Hügel, worauf ich f&lief, ein Gepolter, als ob Ie= mand vom Stuhle aufftehend, einen ſchweren Tiſch von ſich Thöbe. Darauf lie ſich ein Seufzen vernehmen, wie von einem Tiefbetrübten. Eine tiefe Baßſtimme las darauf la⸗ teiniſche Gebete; dann börte id deutlich Iemanden Feuer ſchlagen, worauf Alles eine kurze Weile file ward. Ich richtete mid von meiner Schlafſtelle auf und fah erſchro⸗ den gerade vor mid, hin, denn ich glaubte, leiſe langſame Schritte zu vernehmen. Erft fah id nur einen Meinen ro» then Etern. Als der Stern näher fam, war es das Licht einer großen Lampe mit vier Dochten, wie fie oft in den

Der Greis in der Höhle. 153

Shiffelaternen zu brennen pflegen. Die Rampe ward von einer alten runzlihten Knochenhand getragen, und dahinter ſah ich einen langen hagern Greis auf mid zu wandeln, Cein grauer Bart reichte ihm bis zum Nabel. Sein Rod mar von rohen Thierfellen, und eire ähnliche Drüpe bedecte den Kopf. Sein Gefiht war eraft und traurig, das Alter hatte es mit Runzeln durdpflügt. Diefes Schredbild ber tradytete mich lange fhmeigend. Dann ſprach es:

Leichtfinniger Knabe! Diefe Höhle willſt Du mwicder verlafen, woran id fo viele Jahre hindurch fleißig arbei⸗ tete, bis fie zu meiner Bequemlichkeit taugte. Meint Du etwa, das Verhängnig habe Dich zufällig in jenen Graben binunter geftoßen? Nein, feinesweges! Weil ich aber mit eigenen Händen mehrere Chriftenbräder bier auf der Infel begraben habe, ziemt es Dir aud), mir diefen Lichesdienft zu erweiſen. Fürchte Did nicht! Deifne meine Wohnung. Hüte Dich aber, Hinein zu gehen, ehe Du mit Scießpulver und Rauchwerk die Luft gereinigt haft. Deine Mühe wird Dir reichlich belohnt werden; und ein in Gott verftorbener Ehrift dankt Dir, dag Du ihm die Gratesruhe gönnft.

Mit diefen Worten verſchwand die Erſcheinung, oder ich erwachte vollends aus meinem Traume; in welhem Bus ftande, fönnt Ihr felber denten.

MUS ich zu meinen Gefährten zurädtam, und ihnen mein Abenteuer erzählte, wurden van Leuven und id darin einig, dag wir mächftens hingehen wollten, die Höhle zu un terfuchen. Nur Lemelie ſprach viel dagegen. Lußt Die Tod- ten ruhen, wo fie Tiegen. Bas wollt Ihr im Dunkeln Schooße der Erde wählen? Da kommt Ihr doch früh ge mug bin. Vielleicht fowkt in der Gruft ein verdammter Geift, wenigftens eine im Fegfeuer leidende Seele, weil

, b

154 Der Greis in der Höhle.

"feine Serlenmeffen über fie gelungen find. Und könnt Ihr das als Ketzer tun? Bas hilft dann alles Aufwühlen? Menſchen fuͤrchte ich nicht; mit den unſichtbaren Mächten mag ich aber nichts zu ſchaffen haben,

Vielleicht, ſprach Concordia mit Nahdrud, ängfteten Euch die unſichtbaren Mächte weniger, wenn Ihr Euch vor Menſchen mehr fürchtetet. Bir liegen den albernen Tropf ſchwatzen; doch Die fonft fo fanfte, beſcheidene Gon- tordia hörte nicht auf, ibn mit Spott zu verfolgen, bis er mitging. Ihr ſprecht immer fo viel von Eurem Muthe. ‚Herr Lemelie, ſprach fie, ich fürdte aber, er iſt nicht weit ber. Beil es Euch einmal gelungen ift, einen glädlihen Schuß auf Leute zu machen, die zu entferne waren,. um ſich vertbeidigen zu können, ift Euer Heldenmuth noch nicht ab- gemacht. Bolt Ihr für einen Mann gelten. fo folgt den Männern, und laßt uns Weiber allein in der Küche. Wir brauchen Eurer Hülfe nicht mehr. Wahrhaftig, man follte Blauben, Ihr wäret vorhet ein Koch geweſen. Folgt den

. Männern, ſag' ic, rührt Euch und arbeitet. Ihr fipt bier in der Hütte, flimpert auf der Laute, faullenzt und werdet fett und unverſchämt vor lauter Trägheit. Im faufen Holze niften die Giftſchlangen, fagte Minga.

Es munderte uns Andere, die fromme Goncordia fo reden zu bören; allein ihre Wangen brannten von edlem Borne, und fie hatte wohl ihre Urſachen. Lemelie erblagte, mie er immer that, wenn er böfe ward, faßte ſich aber glei und ſprach läͤchelnd: Cine fhöne Frau kann einen Cavalier nicht beleidigen. Ienen wichtigen Kanonenſchuß. der Euch Lehen und Ehre rettete, folltet Iht doch nicht ver» böhnen. Bas der Eindifhe Spott über meine Geſchicklich- feit, Speifen zu bereiten, betrifft, fo kann ic) ſolches bela⸗

Der-Greis in der Höhle. 155

en ‚Ein franzöfiiher Eoldat, ſelbſt vom älteften adlichen Gefchledite, legt ſich in feiner Jugend immer etwas auf die Kochkunft, um nicht, wenn er in barbarifchen Ländern can- tonnirt, wo die Leute nicht kochen können, zu verhungern. Und diefe Sertigfeit fann ein Seemann, der alle Tage Mangel und Noth entgegen geht, noch meniger entbehren. Bolt Ihr lieber das Fleiſch Fünftig roh oder verkohlt effen? Meinetwegen! Wollt Ihr Eure fhönen Hände am Küden- feuer verderben? Sollen die niedlichen ‚Finger bald wie Pe⸗ terfilienwurzeln und gelbe Rüben ausfehen? Meinetwegen !

Folgt den Männern, rief Concordia, und fümmert Euch nicht um meine Singer. Cure Furcht vor Gemwittern und Gefpenftern zeigt ein boſes Gewiſſen Gewiſſen? wic- derholte Lemelie; mit diefen Worten verbinden die Menſchen nur einen bornirten Begriff Ich geftehe, ich liebe nur Schönes, und mag mit dem Efligen nichts zu tbun- baden. Indeg, damit Ihr mid) feine Memme ſchelten folt, will ih Diesmal mitgehen.

Alfo machten wir uns auf den Weg nach der Höhle. Rauchwerk, Schießpulver, Spaten, Hafen und ein Stüd Segeltud hatten wir mitgenommen. Wir fanden droben auf dem Hügel ein rundes Loch durch den Stein gehauen, von Gebüfd, bedeckt; unmeit der Stelle, wo ih die Nacht gefchlafen hatte. Ob es ein Zenfter oder ein Schornſtein geweſen, mußten wir nicht zu unterfceiden. Den Eingang zu der Höhle, wo ich hineingefallen war, öffneten wir leicht. Darauf liegen wir ein Licht oben durch's Loch in die Höhle gleiten. Diefes konnten wir durch die geöffnete Thüre deut⸗ lich im Hintergrunde brennen fehen, bis es doch bald er- loſch. Lemelie glaubte bier wieder Gefpenfterumtriebe ‚zu mitten. Ban Leuven verfiherte aber, es komme nur vom

156 Der Breis in der Höhle,

tohlenfauren Gas und Mangel an Lebensluft im lang⸗ verſchloſſenen Raume. Gut, fpra er, dag ſich unfer Al- dert nicht tiefer hineingemwagt, fonft wäre er faum lebendig zurückgekommen. Und doc wollt Ihr mich in diefes Zeufelsneft Hineinjagen? frug Lemelie. Die Luft drinnen, antwortete van Leuven, Tann leicht gereinigt werden. Der Eingang und das Fenfter find jept offen. Der Zugwind hat freien Epielraum. Bir wollen etwas Pulver hinunter werfen und abbrennen, wollen tüchtig mit Eſſig räuchern. und den Keller einige Tage offen ftehen laſſen. Dann präs fen wir es wieber mit dem Lichte; wo ein Licht Mar bren« nen kann, da kann eine Menſchenbruſt au) gefund athmen.

Bas van Leuven vorausgefagt hatte, geſchah. Zuleßt konnte das Licht fehr- gut brennen. Wir liegen eine große Lampe hinunter, und als diefe ganz heiter die Felſenwände erleudjtete, faßte Lemelie plöpfih Muth, und um den leg» ten Zweifel gegen feine Tapferkeit wegzuräumen, wollte er fogar vorangehen. Kaum war er aber drinnen, fo ſchrie er: Jeſus Maria! und ftürzte wie Ichlos zu Boden. Was iſt das? ſprach van Leuven, mid bedenklich anfehend; iſt die Luft drinnen voch fo verpeftet? Habe ich unſchuldiger- weiſe den böfen Menſchen aus der Belt fortgeihafft?- Bas fönnen wir dafür, antwortete ih. Es war ja fein eigener Bille; wäre nicht er, fo wäre einer von uns voran gegangen. Ad, mein theurer Freund, rief van Leuven, und umarmte mich, hier erfenne ih Gottes Finger. Bir ent fernten uns etwas. Lemelie zu retten, der tief in der Höhle lag, war unmoͤglich, wir fonnten, uns auch bineinwagend. nur fein Schidfal theilen.

Bir ließen uns anf zwei entfernte Steinblöde nieder, athmeten tief. fahen einander ſchweigend an, und wollten

Der Greis in der Höhle. 157

uns nicht felber gefteben, daß uns der Tod eines Menſchen nicht fehr beträbe, deſſen Bosheit unferm eigenen Leben alle Tage mit Berderben drohe.

Ich mahıte mir innerlich Borwürfe, ſolche Gedanken - au begen; bald hatten wir uns aber gar nichts vorzumer- fen, denn Lemelie kam unerwartet leichenblaß und zerfört uräd. Ich dachte, er würde van Leuven mit Schrähun- gen überfallen, dag er ihn in die mephitiſche Luft hineinge - lodt Habe; der ehrliche Niederländer mollte ſich ſchon recht fertigen, allein von erſticender Luft war die Rede gar nicht; die Lampe brannte drinnen noch lichterloh. Barum feid Ihr denn aber in Ohnmacht gefallen? fragten wir. Beil mir auch das Sqredkild erfhienen ift, ſagte er. Bei meiner Ehre und den Anfechtungen des heiligen Antonius, id) habe den Alten mit dem langen Barte auch geſehen. Er fag an dem fteinernen Tiſche und ſtarrte mic mit hob» len Augen an. Nichts weiter? ſprach van Leuven ruhig; dann wollen ih und Albert gleich bineingehen und die Ent derungen fortfegen.

Bir gingen hinein, idy nicht ganz obne Grauen. Kaum Hatten mir einige Schritte getban, fo faben wir die näms Hiche Erſcheinung. Im Winkel, rechter Hand. ſaß ein alter Mann. grade fo, wie id) ihn verwichene Nacht geſehen. auf einem fteinernen Seilel, als ob er fäliefe, das Haupt hatte . er auf den einen Arm, der auf dem Tiſche ruhte, geftäßt. Seine rechte Hand lag ausgeftredt. An der Wand neben ibm hing eine vieredige Lampe; auf dem Tiidhe fanden et» liche Speifen und Trinkgeſchirre. Der voflige Feuerſtahl im bölzernen Kaften entging nicht meiner Aufmertfamfeit. Bald entdedten wir nun, daß wir einen verdorrten Leichnam vor uns hatten. Auf dem Tiſche unter feiner rechten Hand,

18 Der Greis in der Höhle.

worin noch ein eiferner Griffel ſtegte, lag ein ausgehäm- merter zinnerner Teller, worin folgende Zeilen in lateinie ſcher Sprache eingegraben waren:

- Gremder, wer Du auch ſeiſt. wenn Did der Zufall in meine Behaufung führt, fo erſtaune nicht gar zu fehr Über den unvermutheten Anblid meines Gerippes, fondern ges denke, daß Du nad dem Fall unferer erſten Eltern dem- ſelben Schickſal unterworfen biſt. Laß die Ueberrefte eines ehrlichen Spaniers nicht unbegraben liegen. Einem Chris ften, wo Du anders ein Chriſt, wenigftens ein Menſch biſt. gebührt es, einen Chriften ehrlich zur Erde zu beftatten. Du wirft für Deine geringe Arbeit einen reihen Lohn ern- ten; denn in meiner Höhle findet Du Schaͤtze, die Dich reich machen können. Bift Du aber, wie id, gezwungen, in diefer Einſamkeit zu verbleiben, fo werden Dir doch ei⸗ nige merfwürdige Schriften, die in meinem fteinernen Stuble verborgen find, erforderlich und nüßtzlich fein. Lebe wohl, anfommender Freund! Der Himmel madıe Dich glüdticyer, als mid), obſchon ich mic) nie ganz unglüclich fühlte. Ich bin geboren den 20. Auguft im Jahre 1498, und fam auf diefe Infel den 14. November 1530. Ich fühle, dag ich Alters halber bald fterben werde, obwohl id) weder von Krankpeit noch von Schmerzen leide. Ich lebe noch im Jahre 1613, bin aber dem Tode fehr nahe, den 28., 20. 30. Iunius. Noch den 1. Iulius, 2,3. 4.

Bir wollten den Leichnam nad) dem Wunſche des Ein fiedlers, glei begraben. Ich ſchlug aber vor, Eoncordien erſt zu holen, um ihr diefen feltfamen Anblid zu gönnen. Bas Anblic? rief Lemelie, wie kann cine zarte, fein. fühlende Frau Vergnügen an ſolchem Gräuel finden?

Der chriſtliche Greis hat fid ein chriſtliches Begräknig

Der Greis in der Höhle. > 189

gewünfeht, erwiederte van Zeuven, das wollen wir ihm nicht verfagen. Und wenn er nun verlangt hätte, Ihr folltet ihn in Ambra und Myrrhen balfamiren und nad Spanien fenden, wohtet Ihr das aud, ohne Spezereien und Schiff, tbun? fragte Lemelie hoöͤhniſch. Vergebt, dag id) grade von der Leber weg ſpreche; Ihr zwingt mid) dazu! Wie könnt Ihr dem ftreng katholiſchen Spanier ein chriſtliches Begräb- mig geben, da Ihr felber Keper feid, die feiner Meinung nad ewig verdammt merden?

Sein langer Aufenthalt in der Einfamfeit und der. Natur, antwortete van Zeuven, wird ihn, wenn er auch vorher die Vorurtheile feiner Zeit, feiner Umgebungen theilte, nad) und nad) zurüd zu Jeſu wahrer, menſchenliebender ohne Haß, phariſäiſchen Stolz und Dänfel geführt

jaben.

Concordia und Minga kamen nun aud), den am Tiſche figenden Leichnam zu feben, ehe wir ihn begruben. Bei die- fer Gelegenpeit offenbarte ſich wieder reht ein wahrer Zug Lemelieſchet Bosheit. Concordias Ankunft milderte feinen Ingeimm nicht, fondern verftärkte ihm vielmehr, weil fie ihn. auch kürzlich mit Verachtung von fi) gewiefen hatte. Das mußte nun der kleine Beautieul entgelten, der mitgelaufen mar, und nah Hundeart zu Heufen und bellen anfing, als er die fremde Geſtalt in der Höhle fab. Lemelie, der nur auf eine Gelegenheit Iauerte, um Concordia zu fränten, ftieß dem armen Zhiere mit dem Fuße fo ſtark in die Bei- ben, dag ibm das Eingeweide aus dem Leibe heraus fiel und rief dabei: Verfluchte Beſtie, wagt Du auch nod mit unverfhämtem Bellen die Grabesruhe diefes feligen Geiſtes zu fören?

Nein, Beftie, rief van Leuven und padte ihn mit flar-

10. Der Greis in der Höhle.

fer Fauſt an der Bruft; das Meine Thier war unſchuldig alein Du bift ärger, als ein wüthendes Tpier. Einmal haft Du mic ſchon vergiften wollen; meine Ftau wilft Du verführen! Unſer armes Leben verbitterſt Du täglich mit Bosheit und Tüde. Hebe Did) weg von uns, Satan! Bir hätten Did drunten an der Klippe follen ſchmachten Laffen; das wollten wir aber nicht. Und Du ſollſt auch jept noch nichts verlieren, wir wollen redlih mit Dir theilen. Aber als Kain folft Du aus unferm Eden verwieſen fein. Noch baft Du nicht Abel ermordet, Fliehe weit von uns nah entfernten Gegenden. Bir werden Dir das Nöthige zu ber ftimmter Zeit nad) beftimmten Orten Kinbringen, aber fe hen wollen wir Did nimmermehr.

Um Gotteswillen, Herr van Leuven, rief Lemelie de- müthig und Fleinlaut, feid doch nicht fo graufam, und ver« ſtoßt nit einen armen Mann, nahdem er ſchon Shift, Eigentum, Mannfaft und Alles verloren hat. Ich fhmöre Euch zu, Ihr hut mir das größte Unrecht; nie habe ich daran gedacht. Euch zu fhaden. Ich habe ja ſelbſt damals das für Euch eingefhenkte Glas ausgeleert. Nachdem es Dein Konftable zuerft ausgewechſelt hatte, rief van Leu⸗ sen. Habt Ihr das gefehen? fragte Lemelie; könnt Ihr vor Gott und Eurem Gewiflen Euren Eid darauf anlegen, dag dem fo wäre? Ban Leuven ſchwieg. Ihr ver- muthet es alſo nur, weil Eure Frau einen tollen Traum batte. Smeimal, wicht im Traume, babe ih Euch wirlich das Leben gerettet; erſt gegen die Gorfaren, dann im klei⸗ nen Boote, als das Schiff ſcheiterte. Und was babe ich Euch nachher gethan? Bin ih mitunter etwas ärgerlich und ungeduldig, mas man eigem Manne in meinem Zus Rande zu gute halten muß fo bat es mir ja immer nach

Der Greis in der Höhle. 161

ber Leid gethan. Ich habe mic in alle Eure Ginritun- gen und Launen gefügt. Es thut mir herzlich leid, dag ih den Meinen Beautiful getötet babe, der ung die fhöne Quelle entdedte, aber es geihab im Unwillen, als der Kopf mir nicht recht ftand. Allein es wäre doch gar zu hart, ci» nen Hundemord mit einem Menfhenmorde zu räden! Und vergehen muß ich, wenn ich verfaffen den Trübfeligkeiten diefer Infel allein ausgefeßt werde. Ihr thut alfo Unrecht daran, Euren Unwillen gegen mid) auszulaſſen. Denn dag Ihr jept nur Gelegenheit zum Streite ſuchen folltet, und mic) wegjagen, blos, um den gefundenen Schatz allein für Euch zu behalten, kann ich unmöglich glauben.

So bleibe denn, Berräther, rief van Leupen, ihn un geduldig von ſich wegftogend: bleibe und finne nur auf un« fer Aller Berderben.

Lemelie verlor fi in den Wald, ohne ein Wort mehr zu fagen. Concordia war über den Meinen Beautiful un⸗ troͤſtlich und folgte Minga, die das arme fterhende hier auf dem Arme nad) Haufe trug. Ban Leuven und ich blie⸗ ben zurüd. Das Grab hatten wir bald gemacht; wir wollten jest den Leichnam in's Segeltuch wideln, van Leu⸗ ven fagte ihn an den Schultern, ih an den Beinen. Als wir ihn aber aber aufheben wollten, fiel er mit Gepraſſel in einen Klumpen zufammen. Wir erfhrafen anfangs et⸗ was, fanden aber bei reiferer Ueberlegung, daß es nicht an- ders fein fünne. So begruben wir denn unfern ehrwürdi⸗ gen Vorgänger fo gut, als wir fonnten, am Fluſſe unter einen grogen Baum, fehten ihm ein Kreuz aufs Grab und fangen Grabeslieder über ihn.

Oehlenſ. Schriften. XVII. Hi

162 Der Greis in der Höhle.

Ws der Altvater ſo weit in feiner Erzählung voräe- ract war, fra er: Ran will ich Euch nicht damit ermü« den, die Scaͤtze aufzuzäͤhlen, M wir in der Höhle fanden, welche nachher durch reiche Ladungen vermehrt worden find, die der Sturm am unfere Küfte geworfen hat, und durd große, in den Bergen gefundene Goldſtufen, Schäge, die alle Einwohner dieſes Gilandes zu reihen Leuten machen Bönnten, wenn fie Luſt haben follten, dies Paradies zu ver» laffen; um fid) in Europa anzufiedeln. So viel will ih nur fagen, daß diefer Fund den Lemelie auf einige Tage ganz tot machte. Er verglich ſich ſelber mit dem Tantalus, mit den Danaiden und dem Prometheus, an die Klippe ge⸗ ſchmiedet. Er klagte das Schilfal an, daß es ihm diefen Streih nur darum gefpielt, um, wie er fih nad der Kot- tunſt ausdrüdte, einen haut gout auf fein Unglück zu fehen.

Ganz Unrecht Hatte er freilich nicht; und wenn ich nicht in Concordia fo platomifch verliebt geweſen märe, hätte ich vielleicht in feine Klage mit eingeftimmt. Ieht beſchaͤftigte ich mich damit, die Lebenshefhreibung Don Eyrilo’s, die wir in feinem fteinernen Stuble fanden, aus dem Lateini« ſchen zu Überfegen. Sobald die Arbeit fertig war, Tas ich fie meinen Gefährten vor. IA babe das Manufeript noch, und nun kann mein Eberhard mid ein wenig ablöfen.

Der We holte die Papiere ans dem Schrank, reichte fie Eberharden, und diefer las nun, wie folgt:

Rebensbefchreibung

des

Don Eyrillo de Balaro.

Glauben mir, wenn wir denn als Chriften nicht an- ders fönnen, daß jedes Gefhid bier im Leben uns von der goͤttlichen Vorſehung zugetheilt werde, um uns zum künfti⸗ gen Dafein zu bilden, fo follte Billig fein Menſch Hagen; erwägen wir aber die Schmerzen, den Kummer und die vielen vereitelten Hoffnungen mancher unſchuldig Zeidenden, wer wagt dann, auf feinen Bruder den erften Stein zu werfen, weil er Magt? Aber in meinem Alter klagt man miche mehr; das längft verfhmundene Leben liegt mie ein balbvergeffener Traum mit feinen Schatten und Irrlihtern weit binter mir, und ich erzähle nur diefe Begebenheiten, um mir felbft während des Schreibens, und vielleicht einem Nachfolger während des Lefens eine kurze Unterhaltung zu gewähren.

Und darum, mein Freund, wenn Du diefe Blätter in meinem fteinernen Stuhle findeft, ebe fie vermefen, will ich Deine trübfelige Einfamfeit mit trühfeligen Betrachtungen: nicht noch trübfeliger maden; noch, wenn Du vielleicht gläktih biſt, Dir Anlag geben, die Ungeduld des Greifes au verfpotten; vielmehr will id ſuchen, das an fih Eraus tige mit einer gewiſſen Heiterkeit vorjutragen, um feinen Eindrud zu mildern; auch verſpreche ih Dir, nicht gar zu meitläufig zu fein, obſchon man fagt, daß dies ein gewoöͤhn licher Fehler des Alters fei.

166 Lebensbeſchreibung des

Wabrlich, Lieber Lefer! wenn ich Die die lleberſchriften meiner Lebens»Kapitel voraus fage, glaubſt Du vielleicht ei- nen Scherz zu hören, oder dag ich Dir ein eitel Näthfel zu

» löfen gebe. Denn mas fagft Du dazu, wenn ih Dir er-

zähle, dag mein edler Vater nach feinem Tode ſchaͤndlich bingerichtet ift, dag mein ſchuldiger Bruder wiſſentlich einen unſchuldigen Selbftmord begangen. "Daß ih den reichſten Mann, der je in der Welt lebte, in Armuth babe ſterben eben; daß meine Frau ‚alles aufgeonfert und gewagt aus Liebe zu ährem nic geliebten Gatten, daß ich einen Voeten mit einigen Reimen eine Raͤuberharde Habe bändigen fchen, die ein mächtiger Furſt mit feinen Kriegerbaufen nicht bän- digen onnie, und endlich. daß mich das wunderbare Schid»

ſal ans sinem künſtlich gezwungenen in ein matürkiges Frei-

williges Kloſter führte.

3% flamme aus einem altadlichen ſpaniſchen Geſchlechte. Mein Bater, Don Diego de Valaro, wer Feidoberſi im Le niglichen Heere, und meine Mutter war eine Donna Blanca de Cordua. Obſchon die Geburt etwas Zufaͤlliges iſt und der Erloͤſer, eben um den eitlen Stolz der Menlchen au ben⸗ gen, ſich in einem elenden Stalle von gemeinen Eltern zur Welt dringen ließ, freut es mid) doch, wenn ih an ‚meine wadern Borfahsen Danke, die -nehtlihe Leute and Aanfere Krieger waren. B

Auch freut es mi, ‚ein Spanier gu Sen; und das Ge fübt, ſo id ſhon als Kind begte, wenn ich die Karte Eu topens betrachtete, mo Diefer Welttheil als eine Jungkrau dargeftels it, hege ih noch immer als Exeis. Denn ;wabr- baftig, das Yand kann man wohl das Haupt nennen, Das " fekbfftändig für fih, nur durch den Marken Raden der Pp⸗ enden zu dem Nüdgrate des übrigen Körpers gefügt iſt,

Den Cyrillo de Valaro. 167

wo fi Berge, Thaͤler, Flüſſe und Wälder, wie auf dem menſchlichen Haupte Knochen. Jleiſch, Adern und lociges Haar wunderſchon zu einem Ganzen verbinden, und wo ſich Nömer, Weſtgothen, Chriften und Mohren mie Gedanken und Meinungen im menfhlihen Gebirn lange bekämpft. befiegt und abenteuerlich gefreut haben. Kann nun auch das fhöne Frankreich für den ſchwellenden Bufen der Jung» frau gelten, wo Leichtſinn und Liebesluſt reizend ihr Spiel treiben, ift Italien der geiſtliche, und England der weltliche Arm diefer Minerva, Deutſchland der Leib, wo alles ver-

daut wird, und woraus die Nahrungsfäfte zu den Übrigen

Gliedern geben; und kann man die weniger gefannten und gebildeten Länder ihre Schleppe nennen, fo ift und bleibt Hispania dod das Haupt! Und Iammerfhade, dag fih Portugal, weldyes mit dem Gefichte zum Weltmeere Hin» aus ſchaute, ſich eigenfinnig vom Haupte gefrennt, wodurch es feine Lebendigkeit verloren bat, und eine bloße Maste geworden iſt.

Freilich leidet von allen Theilen des Körpers der Kopf oft am meiften von Ziebern und Nervenzufällen, und fo ere gab es fid) denn auch, daß ich das Licht erbliden mußte im Jahre Chriſti 1498, chen, als mein Vaterland an innern Budungen außerordentlich Litt. Denn wenn aud) der katho⸗ liſche Glaube nie fiegreiher glänzte, als kurz vor der glüd- lichen Sclacht, worin die Mauren überwunden wurden, und ihr Reich in Spanien ein Ende nahm; wenn auch zur ſelbigen Zeit hundert und ficbenzigtaufend caftilifhe Iuden- familien nad) Portugal, Mauritanien und Navarra flohen, fo lägt es ſich auf der andern Seite nicht läugnen, dag die ſpanifchen Provinzen dadurch unendlich geſchwächt wurden, und gar zu viel von ihrer alten Kraft und Blüthe einbüg-

168 Lebensbeſchreibung des

ten. Und wie man fagt, daß der Löwe, feiner Natur nady eim edles Thier, wenn feine fharfe Zunge erft Blut gelcdt, plötzlich graufam wird, fo dag er mitunter felbft feinen freundlichen Wärter zerreißt, dem er font gehorfamte, fo geſchah es auch Hier; denn die Heilige Inquifition fing auf einmal an, von wahnfinnigem Blutdurft ergriffen, von dem Henfersgeifte des abſcheulichen Torquemadas befeelt, wie ein geimmiges Thier zu wüthen. Freilich ſtarb dies Ungeheuer in meinem Geburtsjahre, feine Nachfolger Deza und Cis— neros waren aber um fein Haar befler; und in wenigen Jahren hatte Spanien viele taufend feiner Söhne und Toͤch- ter unſchuldig hingerichtet, wie Saturnns in feiner Wuth die eigenen Kinder verfhlang.

Die erfte merkwürdige Begebenheit, die auf mid als Meiner Knabe von acht Jahren augerordentlihen Eindruc machte, war folgende: Ich hatte meine Eltern früh verlo- ven; nur ein Bruder, zehn Jahre älter als idy, Ichte noch. Unfer Bater Hatte ung aber ein großes Vermögen hinter» laſſen, und wir wurden in einem fdhönen, großen, einfamen Palafte in Baladolid, unferer Vaterſtadt, auferzogen. Mit unferm Hofmeifter befuchten wir off die alte Domtirde, wo das marmorne Grabmal unfers feligen Vaters ftand, und mo feine fehr ähnliche Büfte, über dem Sartophage, zwi- ſchen Trophäen und Attributen feines Standes und Ran- ges thronte. Oft, wenn ich das Bild fo anfchaute, rief ich in Eindliher Unbefangenheit: Bater, komm zurüd! und wünfcpte ihn felber zu feben.

Eines Tages, als wir fo ftanden, kamen einige Fami- Haren der Inquifition mit ihren Trabanten. Ein gewillir Don Petro de Tramaflo, der, wie ich nachher hörte; der Todfeind meines feligen Baters geweſen, und jegt ein be-

Ton Eyrillo de Balaro. 169

rüchtigter Fanatiter geworden war, näherte fih uns, und meinen Wunſch hörend, den Bater ſelber zu fehen, ſprach er: Nun, Kind, den Wunſch kann ic Dir gewähren. Darauf fielen die Leute über das ſchöne marmorne Denk mal her, und vernichteten es ſchnell mit ihren Hämmern und Brecheiſen. Der Dedel wurde vom Sarge aufgcho- ben, die einbalfamirte Leiche meines Vaters berausgenom- men, und aller Pracht entblößt auf eine ſchlechte hölzerne Bahre geworfen. Haft Du ihn jeßt gefehen, Kind? frug der graufame Familiar, und während ic heftig weinend den Leichnam meines Vaters halb mit Grauen, halb mit tindlicher Neigung betrachtete, warfen fie ein großes Stück Salleinewand über ihn und trugen ihn zur Kirche hinaus.

Einige Tage darauf hörten wir die große Glode im alten Dome ſchauerlich zu einer Auto da fe läuten; der Bug ging aber unferm Haufe vorbei; da fahen mir denn, wie es in jener Zeit oft gefhah, die zum Sceiterhaufen verdammten Keper in fafranfarbigen Bußkleidern (san be- nito) mit der fhigigen Müße (coraza), mit Flammen und Zeufeln bemalt, zum Tode wandeln. Auch ein ſchwarzer, mit Feuer und Höllenfragen bemalter Sarg’ erſchien im furchtbaren Zuge. Das waren die Ueberrefte unferes Bas.

- ters, der als Keher ſechs Jahre nach feinem Tode verurs tbeilt, auch den Flammen übergeben wurde.

Mein Bruder, der weit älter war als id, batte im mer, feiner Jugend ohnerachtet, einen fehr ftoifhen Charat- ter gezeigt. Sein Herz war nicht weich, fein Temperament etwas düfter-melangolifh, und fo verſchlog er den Schmerz ſchweigend in feinem Innern, ohne die Erleihterung der Tränen und der Mittheilung zu fühlen. Den Tag nad der Hinrichtung fagte er zu mir: Mein lieber Eyrillo, man

170 Lebenshefhreibung des

bat unfern Bater nad feinem Tode aus Rache und aus toller Schwärmerei_beihimpft; wenn wir aber, nicht ſelbſt lebendig fein Schicſal teilen wollen, dürfen wir fein Wort gegen Andere äußern. Auch auf uns fält die Strafe. Un— fere Güter behalten wir freilich; die Ehre iſt ung aber ge- raubt; unfer alter Name ift jept eine falſche Münze ohne Klang; wir können fein Amt erhalten, Feine Ehrenſtelle be tleiden. So wollen wir und denn allein den Wiſſenſchaften ergeben, wie wir angefangen ‚haben; allein in unfern Häu- fern wollen wir wabnen, und die Menſchen ihren wilden Gang gehen laſſen. Bleibe Du hier im Palaſte zurüd mit Deinem braven Lehrer Francesco Perez, der Dich nicht vers laſſen wird. Ich ziehe mit meinen einzigen Freunde (bier ſtrich er den Nüden eines überaus ſchönen Iagdhundes, der ihm überall folgte) auf unfer Meines Jagdſchloß im Walde hinaus. Da wil id mid, halb Eremit, Halb Jäger, dem ftillen Kummer weigen. Vielleicht ſchleift die Zeit die Scharte aus, und das Gemüth wird wieder ruhig.

Ich blieb alfo bei meinem guten Francesco de Perez im Palaſte, der im großen Stile gebaut war, mit weiten Vorhalen und Hreiten marmornen Treppen; in den leeren Niſchen hatten vorber fhöne Statuen von hohem Werthe geftanden; allein auch diefer griechiſchen Gögenbilder hatte . fid die heilige Inguiftion bemädtigt. Die Gemaͤcher wa» ren beinahe alle Leer. Die Mobilien im Haufe waren feit uoferer Eltern Tode, theils verkauft, tbeils geftablen, weit kein ordentlies Aufſehen da war. Nur die Konſoltiſche mit vergoldeten Zügen und fhönen bunten Steinplatten ftanden noch da. Auch bewunderte ih oft die großen, in der Wand eingemauerten Spiegel, die dod alle etwas gelitten Hatten. Mein Lehrer verſtand ſich wohl gut auf

Don Eyrillo de Balaro. m

Spragen und Wiſſenſchaften, auf weltliche Dinge nur wer nig; und die Haushälterim, wenn fie uns ein ſpaͤrliches Ef« fen zubereitet hatte, ‚meinte ihre Pflicht gethan zu baben, und ließ den alten Palaſt ſich felber hüten.

Bas auf mein kindliches Gemüth den tiefſten Eindruck machte, war eine große gemölbte Halle uon ſchwarzgrauem Marmor, im Erdgeſchoße, die gegen den kählen, ſchattigen Nafenplap im Garten binaus lag, wo zur Rechten eine Duelle aus einem feinen Felſen duch Blumen reichlich flot ‚Hier brachten mein Hofweifter und id) die heiheſten Com- mertage mit Leſen zu, in der fhönen friſchen Kühle und der größten Einfawkeit. Und wie fonderbarl I es Dir, lieber Leſer auch nicht mitunter fo gegangen, daß Du einen Zuftand zweimal au erleben glaubteft? So ſchien mir der Aufenthalt in der ſchwarzgrauen Marmorhalle zu Ballade lid ein Vorbild meines jehigen Stilllebens in diefer Infel« böble zu fein. Denn auf hier iR es luftig, kühl und ge» räumig; auch bier bringe id meine meifte Zeit mit Lefen au. Auch diefe Höhle Liegt nach einem ſchönen Nafennlape binaus; und was dag fonderbarfte ift, auch hier ſprudeit eine Duelle rechter Hand ans den Steinen und wällert meine Blumen.

In den großen Gemähern wandelte ih oft, obſchon fie wüft .und leer waren. Nur ein Bild fand id in einem Kabinette noch, das id ſebt liebte. Es ſtellte eine fhöne Frau der, ein kleines Kind an ihren Buſen drüdend. Das Gefit der guten Frau betrachtete mic) fo liebevoll, obſchon Beuchiägteit die Farben etwas verderben Katie; und ber Beine Kaabe au ihrer Bru laͤchelte mich Immer fo ſchel⸗ miſch an, als ob cr fagen wolle, keunſt Du mid deun wicht? Nach vielen vergebligen Bitten und unerfülten Verhei⸗

172 Lebensbeſchreibung des

gungen bewog ich endlich meinen alten, ſteifen Lehrer, ſich mit mir eines Tages die Treppen hinauf zu bemühen. Er

- verftand ſich gar nicht auf Bilder und dergleichen: als er aber das Gemälde lange betrachtet Hatte, ſprach er: Ich müßte mid) fehr"irren, oder das ift ein Bild Deiner feligen Mutter; was das Kind aber bedeuten foll, weiß ich nicht; vermuthlich ſtellt es Deinen ältern Bruder vor, wie er Mein war. Dir gleicht es ja nicht. Nun bolte id die Haushäls terin, die mid) gleich verfiherte, das Kind folle Niemand anders als mich bedeuten, und daß ich gerade fo ausgefehen babe, als ich nur erft zwei Jahre alt geweſen.

Bie lieb mir das Bild von diefem Tage an wurde, begreift ein Ieder, der eine Mutter verloren hat; ich ging täglich, da hinauf, und dort verrichtete ich mein Morgenges bet, wenn die Sonne heiter in's Kabinet herein ftrahlte. Eines Tages wollte ih auch mein Abendgebet dafelbft vers richten; es war ziemlich foät, und der Mond ſchien durch die fangen, großen Fenfter der Gemäder. Als id in's Kar binef treten wollte, wozu die Thür halb offen fand, ſchien es mir, als entdece id) eine weiße Geftalt, vor dem Bilde mit gefaltenen Händen ftehend und es ſehr aufmerffam be» tradıtend. Als die Geftalt meine Enarrenden Fußtritte hörte, tebrte fie das Geſicht gegen die Thür, und ic glaubte das Anttig meines feligen Vaters, weiß wie die Alabafterbäfte auf feinem Sarkophage zu feben. Ich entfloh mit einem Geſchrei. Es half nichts, dag mich mein Lehrer verfiherte, es fei nur meine eigene, aufgeregte Einbildungskraft gewe⸗ fen. Ich magte nie mehr, die dden Hallen im Mondfcheine allein zu betreten. Im Morgenrotb, wenn die Böglein draus Ben in den Bäumen ſchlugen, beſuchte ich ſie aber immer Moch getroſt.

Don Eprillo de Balaro. 173

Der gute Francesco Perez ſchlug mir eines Tages vor, mit ihm nad einer einen Straße der Stadt hinzugeben, um einen alten Freund von ihm au beſuchen, der jeßt da _ wohne, den er mir aber noch nicht nennen wollte. Gr fagte mir, es fei ein fehr gereifter Mann, der noch vor Kurzem in weit glüdlicyeren Umftänden gelebt babe, und mir viele unterhaltende Gefdichten erzählen Fünne, wenn er nur wolle. 3% folgte ifm gern, und wir traten in ein ziemlich ſchlech⸗ tes Simmer binein mit gemeißten Wänden, wo eine große roſtige, eiferne Kette am Nagel hing, wie in einem Gefäng- niſſe. Gin ältlier Mann mit einem fonneverbrannten, aber fehr bedeutenden Geſichte faß in einem wunderlihen Lehnſtuble von geflochtenen Weidenruthen. In Käfigen bins gen mehrere fhöne, bunte Vögel, dergleihen ich noch nie gefehen hatte, und einen hübſchen, Kleinen, bunten Teppich von Baft hatte er unter den Fügen. Sonft war das Stu. bengeräth aͤrmlich und fparfam, und der Mann fügte ſei⸗ nen Arm auf einen ungemalten Fichtentiſch, worauf ein klei⸗ ner Erdglobus ftand. Er fag in Gedanken vertieft, ſtarrte den Globus an und drehete ihn fpielend mit dem Finger herum. B

Als wir hinein traten, erhob der Fremde fein großes, braunes, feelenvolles Auge, das etwas geſehen zu haben ſchien. mas fein anderes Auge fo gefehen hatte, und lächelte freundlich.

Willtommen, Freund Pere, fprad er mit ſchwacher Stimme, hier fige ich mit meiner Heinen, neuentdedten Erde, der ich ein Jauusgeſicht verſchafft babe, fo daß fie künftig au beiden Seiten dinausſchauen kann. Barum bemüht ſich doch der Menſch fo viel, Erde zu finden? Braucht er doch aulegt nicht mehr, als ein naar Schaufeln vol, um die mü⸗

eſchreibung des em. Ber if der bübſche Meine

ihm, und ſprach zu mir: Knie laß Bir’ vom dirfem: unfterblichen

Er keidet auch unſchuldig, hat n Neid und die Verfolgung der flehſt Gier den großen Admiral re wie er in’ feiner Hafienifhen gt: Chriftonyoro Columbo. Golumbo, feine Hand auf meine ! Du Hift in den glüdtichen Jah⸗ ‚feiten. Schaue nicht zurüd auf eit, fondern mir vormärts im die h noch jung; mie Du, bei Gott, mod nicht die Segel einziehen; ich je nieder wehen laſſen und in die d dom, verfepte er nach einer klei ich eigentlich entdeden? Men- ungen? Die kenne ich fon gar

kam herein und fagte ihm etwas vieder binauegegangen war, kehrte fagte: Ich ſchaͤme mich faft, mein oth bricht Eifen, toͤnnt Ihr mir er leihen? Es ſcheint Freitidy lãcher⸗ von Indlen, der feiner ſpaniſchen er mit Gold fühte, um fünf Pia- Kaffe ift aber Teer, ich habe dem ieine Meine Penfiom iſt mod: nicht ıgt ja: waͤhrend das Gras wachſt, itlanifchen und aragmifden Hufe,

sa. u. ...—.n

Don Eyrillo de Balare. 175

wißt Ihr, geht alles fehr langfam. Konnte es acht Jahre danern, bevor ich die drei Böte bekam, womit ic die neue Belt entdedte, wie-lange wird es dann nicht dauern, ehe daß die Penfion mir angemiefen wird, Befonders wenn mein Breund Don Juan Rodrigo de Fonfeca fie mir auszahlen fol.

Mein Hofmeifter drach in Verwünſchungen über die Undantbarkeit der Regierung ans, Columbo bat im aber, ruhig zu fen. Ich bin ſchon über folde Eitelkeit hin- ans, fpra er, denn ich fühle, daß ich Bald eine weit‘ grd» Gere Reife zu thun babe, nach einer wigtigern terra ineo- guita als Indien ift. Ih will dem Könige Fernando feine Borwürfe maden; feine Beine. Seele fann nichts Großes ſchaͤtzen. denn er ahnete nie, was Größe mar, und in feinem meidifhen Herzen wunzelte nur Giferfucht gegen alles Auge gezeichnete. Als die Königin Iſabella ſtarb, fiel meine lette Stüge; fie fhägte das Berdienft, und war eine feltne Frau, ihren einzigen Fehler, eine gar zu hohe: Meinung von den Fähigkeiten ihres Gemahls, würde man ihr im Privatftande als’ eine Tugend angerechnet Haben. Auch vergebe ich gern allen meinen Zeinden. Wäre ich ſelbſt nicht chrgeizig ge⸗ weſen, fo hätte ich als Ausländer, als Sremder, nicht den ſpaniſchen Nationalſtolz gegen mic) gereist. Barum. wollte ich Vicefönig fein? Bar der fhlichte, genuefifhe Schiffer Chriſtoph Columbo, der die neue Belt auf feinem gebrech⸗ lichen Babrzeuge entdecte, der ſich erft durch alle Hoflaba- Ien; dann durd alle Scheeren und Sandbaͤnke arbeitete, ohne zu. fheitern, nicht mehr werth, als ein weitindifger Vicelönig, wozu man jeden Höfling, jeden Schwachtkopf ma- hen kann, der immer hoͤber fteigt, je tiefer er ſich büdt? Darum vergebe ich auch dem armſeligen Bovadilla der mic

176 Lebensbefhreibung des

mit diefer eifernen Kette ale Verbrechet nach Europa brin- gen ließ; und weiß Gott, die Kette hängt nicht da an der Band aus Race, um ihn vor der Welt anzuklagen, fon« dern als ein memento mori aller weltlichen Eitelkeit, und fo fol fie mir auch in’s Grab folgen.

Ih beſuchte von diefem Augenblide an alle Tage den großen Columbo, der Vergnügen daran zu finden ſchien. mic, Fleinem.-Iungen viele feiner Sata und Begebenheiten zu erzählen, und.fo hörte ich denn auch, dag er einmalnahe daran geweſen, wie id jegt, auf der Infel Jamaika Ein- fiedler zu werden, ganz von aller gefitteten Menſchengeſell⸗ ſchaft getrennt.

" Seine Gefundheit litt taͤglich mehr, und er neigte ſich

augenſcheinlich zum Grabe. Eines Abends, als id ihm bes

ſuchte, war er fehr aufgeräumt, er hatte cin Lied gedichte. Das Fenfter ftand ofen, die Luft war fo dunkelblau wie das Meer, und leichte Bolten, von der beruntergehenden Sonne mit Gold verbrämt, ſchwebten fern am Horizonte als Tafeln. Lies mir einmal dies Schwanenlied laut vor, mein Sohn, fprad er, indem er beide Hände über den Erdglobus, der vor ibm auf dem Tiſche ftand, faltete und mit feuchten Augen in die fernen Wolken hinaus fchante. 3% las: "

Bed iſt MUCH nun volldracht. Bald die dieiſe wird beginnen, um das umentdeckte Sand, Sähnelien Laufes, Dort iu finden.

Da ein Jeder feloR entdedt, Ohne Nachricht Doch au bringen,

Don Eyrillo de Balaro.

Denn kein Schiffer kehrt zurůck 30 ex felig nur von hinnen.

Kein geſchnittaes Hol, fein Baum Bird hierhergefpült vom Himmel; Keinen Leichnam findeft Du

Bon verfiorbnem Engelötinde.

aues if Geheimnis Dir;

Nur durch Glauben, Freud’ und Piebe, ar durch Hoffnung fegein Du

Dort auf Deines Todes Schife.

Spanne dann die Segel auf Unverzagt, mein frommer Schiffer! Seele, durch Das Aethermeer

Wirſt in kurzer Zeit Du ſchwimmen.

30 fein Bei die Tiefe mipt,

Scheitern Du auf feinem Rife, Und die Engelgflü, Werden zum Paflate dienen.

©o verlaffe denn getroft ‚Die Ayoren, die nur irdiſch; 30 die Wolle roſenroth⸗ Da ift Deine Rettungsinfel.

Eicht Du den San Ealvador? Deinen Heiland wirſt Du finden. 80 nicht Eiteiteit Dich treibt, Bird Die Beine Freude ſchwinden.

Keblenf. Schriften. XVIL. 12

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178 Lebensbeſchreibung des

Ich hatte das Lied nad) Verlangen mit lauter, deut⸗ licher Stimme vorgelefen, und warf jeßt meine Augen von dem Papiere hin auf den Berfaffer, um ihm für die Fromme Dichtung zu danken. Da faß der große Columbo todt, mit den gefulteten Händen über dem Erdglobus, und feine ges brodenen Augen ſtarrten hinaus nad den Wolteninfeln; die Abendfonne laͤchelte heiter auf feine roftige Kette, und fünftehalb Piafter Tagen noch auf dem Tiſche.

Ich habe ſchon erzählt. dag mein Bruder ſich zwiſchen feinen Bücyern und der Jagd theilend, einfam im, Walde hauſete, wobei er die Sonderbarkeit zeigte, feines Bedienten Hülfleiftung haben zu wollen. Zweimal woͤchentlich ließ er ſich die nöthigen Lebensmittel in einem Korbe hinaustragen und in die Vorhalle des einen Jadſchloſſes hinfeßen. Und fo lebte er derin als ein wahrer Eremit mit dem Hunde, der fein einziger Freund und Bertrauter war. Denn er hatte, feit dem ſchändlichen Spiele, das man mit unfers Vaters Leiche getrieben, einen wahren Haß gegen die Men- ſchen gefaßt. Ale Vorſtellungen des biedern Francesco Pe⸗ rez halfen zu nichts, und wie ein hitziger Jünbling bald mit feiner Theorie fertig ift, fo geſchah es denn auch bier. Selbſt der ehrliche Perez verlor die Freundſchaft meines un» vernünftigen Bruders, weil er feinen Spipfindigfeiten und Liehlingsideen widerſprach, und beweifen wollte, dag noch Ehrlichteit und Liebe unter den Menſchen feien. Nein, rief der aufgebrachte Dionyfio, der Menſch ift ein falſches Thier, nur von Eigenliebe, Wolluft, Graufamteit, Kälte, Traͤgheit, Neid und Unbarmderzigfeit zufammen gefegt. Nur unter den Thieren iſt noch Treue zu finden. ‚Der Hund ift

"Don Cvorillo de Balaro. 179

treu. Der liebt mich ehrlich; er will nichts von mir, als die nothwendigſte Bedingung feines Lebens; er fhügt mic, wachſam und muthig, und verläßt mich nicht in der Noth. Mit den ehrlichen braunen Augen blidt er mir, ohne Falfch. tief in die Seele. Nur Fidelio fol mein Lebensgefährte fein, und fterb’ ich einmal, fo bin idy gemiß, er wird auch vor Gram auf meinem Grabe fterben.

So kehrte er mit dem Hunde in den Wald zuräd; auf dem Rüden hatte er feine Flinte hängen, an der Seite fein Waldhorn, welchem er im Weggehen die lieblichſten Töne entlodte, die feinen Gemüthszuftend mir wenig verriethen, denn er war auf diefem ſchwierigen Inftrumente ein ziem- licher Virtuoſe.

So verſtrichen meine Kinderjahre. Ih beſuchte meinen Bruder ein Paarmal jährlih auf dem Jagdſchloſſe, und lebte felbft mit meinem Ueben Lehrer Fernando Perez in ſtiller Rube.

Als Jüngling sing id) äfter in die Kirche, als gewöhn« lich. Sol ich meine Iugendfünde betennen? Sicht fo fehr aus Gottesfurdt, als um die ſchöne Muflt zu hören, und eine nod-fhönere Srauengeftalt zu fehen, die während der Meſſe alle Augenblide ihre Iunoaugen auf mic richtete. Bir fahen uns oft da, und die Blide wurden immer ſchmach⸗ tender und zärtliher. Ih wagte feinen Schritt weiter zu thun. Sie hatte aber mehr Muth, als ih. Einmal im Beggeben drüdte fie meine Händ zärtlich im Gedränge, und der Drud zudte mir durch Mark und Bein. Den- noch wagte ich es nicht, ihr au folgen, noch kannte ich fie bei Namen, ich fürchtete mid, Iemanden zu fragen, damit nicht das Beben meiner Stimme und meine Gefihtsfarbe mein Geheimnig verrathen möchten. "

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Don Eyrillo de Balaro. 175

wißt Ihr, gebt alles fehr langſam. Konnte es acht Jahre dauern, bevor ich die drei Böte befam, womit ich die neue Belt entdedte, wie lange wird es dam nicht dauern, ehe dag die Penfion mir angemiefen wird, Befonders wenn mein Bund Don Iuan Rodrigo de Fonſeca fie mir auszahlen

Dein Hofmeifter brach in Berwinfgungen über die Undankbarkeit der Regierung aus, Columbo bat ihn aber, ruhig zu fein. Ich bin ſchon über ſolche Eitrikeit Hin aus, ſprach er, denn ich fühle, Daß ih Bald eine weit grd« Here Reife zu thun habe, nad) einer wichtigern terra inco- guita als Indien ift. Ich will dem Könige Fernando keine Bormwürfe. maden; feine Meine. Seele kann nichts Großes fdyägen, denn er alnete nie, was Groͤße mar, und in feinem neidiſchen Herzen wurzelte nur Giferfudht gegen alles Huse gezeichnete. Als die Königin. Ifabella ftard, flel meine Iepte Stüpe; fie ſchatzte das Berdienft, und war eine ſeltne Frau, ibren einzigen Tehler, eine gar zu bobe: Meinung ven den Fähigkeiten idres Gemabls würde man ihr im Privasktande als’ eine Tugend angerechnet. haben... Auch vergebe ich gern atien meinen Feinden. Wäre idy ſelbſt nicht ehrgeizig ger mefen, fo hätte ih ale Ausländer, als Sremder, nicht den ſpanifchen Nationalftolz gegen mich gereist. Barum. wollte ich Birefönig fein? War der fhlihte, genueſiſche Schiffer Shriftopp Columbo, der die neue Belt anf feinem gebres · lipen Fahrzeuge entdete, der ſich erſt durch alle Hoftaba- In, dann dur alle Scheeren und Sarvbänfe arbeitete, oßme au. fheitern, nicht mehr wertg, als ein meitindifger Diceögig, wozu man jeden Höfling, jeden Schwachtopf ma- hen Weg, der immer höher fleigt, je tiefer er ſich hädt? Da ee ich arch dem annfellgen Bopadilla, der mich

170 Lebensbefgreibung des

bat unfern Vater nad feinem Tode aus Rache und aus toller Schwaͤrmerei befihimpft; wenn wir aber nicht ſelbſt lebendig fein Shidfal theilen wollen, dürfen wir fein Wort gegen Andere äußern. Auch auf uns fält die Strafe. Un- fere Güter behalten wir Freilich; die Ehre iſt uns aber ge- raubtz unfer alter Name ift jeßt eine falſche Münze ohne Klaug; wir können fein Amt erhalten, Feine Ehrenſtelle de» tleiden. So wollen wir ung denn alein den Wiſſenſchaften ergeben, wie wir angefangen haben; allein in unfern Häu- fern wollen wir wohnen, und die Menſchen ihren wilden Gang gehen laſſen. Bleibe Du hier im Palafte zurüd mit Deinem braven Lehrer Francesco Perez, der Dich nicht ver» laſſen wird, Ich ziehe mit meiner einzigen Sreunde (bier ſtrich er den Rüden eines überaus ſchönen Jagdhundes, der ihm überall folgte) auf unfer kleines Jagdſchloß im Walde hinaus. Da wil ih mih, halb Eremit, halb Jäger, dem ſtillen Kummer weihen. Vielleicht ſchleift die Zeit die Scharte aus, und das Gemuͤth wird wieder ruhig.

Ich blieb alfo bei meinem guten Trancesco de Perez im Palafte, der im großen Stile gebaut war, mit weiten Vorhallen und breiten marmornen Treppen; in den leeren Niſchen hatten vorber fhöne Statuen von hohem Berthe gefanden; allein auch diefer griechiſchen Göpenbilder hatte . fich die heilige Inquiſition bemädtigt. Die Gemaͤcher sen beinahe alle Leer, Die Mobilien im Haufe waren feit unferer Eltern Tode, theils verkauft, teils geftoblen, weil fein ordentlies Auffehen da war. Nur die Konfoltifce mit vergoldeten Zügen und fhönen bunten Steinplatten fanden noch da. Auch bewunderte ih oft die großen, in der Wand eingemauerten Spiegel, die doch alle etwas gelitten Hatten. Mein Lehrer verftand ſich wohl gut auf

Don Eyrillo de Valaro. m

Spraden und Willenfhaften, auf weltliche Dinge nur we⸗ nig; und die Haushälterin, wenn fie uns ein ſpaͤrliches Efr fen zubereitet hatte, meinte ihre Pflicht gethan zu haben, und ließ den alten Palast ſich ſelber hüten.

Bas auf mein kindliches Gemüth den tiefften Eindruck machte, war eine große gemwölbte Halle von ſhwarzgrauem Marmor, im Erddeſchohe, die gegen den kühlen, ſchattigen Nafenplap im Garten hinaus lag, wo zur Rechten eine Duelle aus einem Meinen Felſen durch Blumen reichlich flog. ‚Hier brachten mein Hofweifter und id die heigeſten Som- mertage mit Lefen zu, in der fhönen friſchen Kühle und der gwößten Ginfamfeit. Umd wie fonderbarl Iſt es Dir, lieber Lefer auch nicht mitunter fo gegangen, daß Du einen Zuſtand zweimal zu erleben glaubteft? So (diem mir der Aufenthalt in der ſchwarzgrauen Marmorhalle zu Ballado- lid ein Vorbild meines jepigen Stilliebens in diefer Infel- böble zu fein. Denn au bier if es Iuftig, Lühl und ger täumig; auch bier bringe id meine meiſte Zeit mit Selen au. Auch diefe Höhle liegt nach einem (hönen Raſenplatze binaus; und was dat fonderbarfte iſt. au bier ſprudelt eine Quelle rechter Hand aus den Steinen und wällert meine Blumen.

Im den großen Gemaͤchern wandelte ich oft, obſchon fie wůſt und leer waren. Nur ein Bild fand ih in einem Kabinette noch, das. ich ſeht liebte. Es ſtellte eine ſchone Frau dar, ein kleines Kind an ihren Buſen drücend. Das Geſicht der guten Fran bettachtete mich fo liebevoll, obſchon Feuchtigleit die Barben etwas verborben baties und ber Heine Knabe an ihrer Bruſt Läcelte mid immer fo ſchel⸗ miſch an, ale ob er fagen wolle, kennſt Du mic denn nicht? Nach vielen vergebůchen Bitten und unerfüllten Verhei⸗

172 Lebensbeſchreibung des

hungen bewog ich endlich meinen alten, fteifen Lehrer, ſich mit mir eines Tages die Treppen hinauf zu bemühen. Er verftand ſich gar nicht auf Bilder und dergleichen: als er aber das Gemälde lange betradhtet hatte, ſprach er: Ich müßte mic) fehrtirren, oder das ift ein Bild Deiner felgen Mutter; was das Kind aber bedeuten foll, weiß ich nicht; vermuthlich ftellt e8 Deinen ältern Bruder vor, wie er Mein war. Dir gleicht es ja nicht. Nun holte ich die Haushäl« terin, die mid) gleich verficherte, das Kind folle Niemand anders als mid) bedeutch, und daß ic) gerade fo ausgefehen babe, als ich nur erft zwei Jahre alt geweſen.

Bie lieb mir das Bild von diefem Tage an wurde, begreift ein Jeder, der eine Mutter verloren bat; id} ging taglich da binauf, und dort verrichtete ih mein Morgenges bet, wenn die Sonne heiter in’s Kabinet herein ftrahlte. Eines Tages wollte Ih auch mein Abendgebet daſelbſt ver- richten; es war ziemlich foät, und der Mond ſchien durch die langen, großen Fenſter der Gemaͤcher. Als id in's Kar binet treten wollte, wozu die Thür halb offen ftand, ſchien es mir, als entdede id eine weiße Geftalt, vor dem Bilde mit gefaltenen Händen ſtehend und es fehr aufmerffam bes trachtend. Als die Geftalt meine Enarrenden Zußtritte hörte, kehrte fie das Gefiht gegen die Thür, und id glaubte das Antlitz meines feligen Vaters, weiß wie die Alabafterbäfte auf feinem. Sarkophage zu ſehen. Ich entfloh mit einem Gefäyrei. Es half nichts, dag mich mein Lehrer verfiherte, es fei nur meine eigene, aufgeregte Einbildungstraft gewe⸗ fen. Ich wagte nie mehr, die dden Hallen im Mondſcheine allein zu betreten. Im Morgenrotb, wenn die Böglein draus gen in den Bäumen ſchlugen, beſuchte ich fie aber immer noch getroft.

Don Cyrillo de Balaro. 173

Der gute Francesco Perez flug mir eines Tages vor, mit ihm nad) einer Heinen Stage der Stadt hinzugeben, um einen alten Freund von ihm zu befuchen, der jeht da _ wohne, den er mir aber noch nicht nennen wollte. Er fagte mir, es fei ein fehr gereifter Mann, der noch vor Kurzem in weit glüclicheren Umftänden gelebt habe, und mir viele unterbaltende Geſchichten erzählen könne, wenn er nur wolle. Ic folgte ihm gern, und wir traten in ein ziemlich ſchlech⸗ te8 Zimmer hinein mit geweißten. Wänden, mo eine große voftige, eiferne Kette am Nagel hing, wie in einem Gefäng- niſſe. Ein ältlier Mann mit einem fonneverbrannten, aber fehr bedeutenden Gefichte fag in einem wunderlichen Lehnftuble von geflochtenen Weidenruthen. In Käfigen hin⸗ gen mehrere fchöne, bunte Vögel, dergleichen ih noch nie gefehen hatte, und einen hübſchen, Kleinen, bunten Teppich von Baft hatte er unter den Füßen. Sonft war das Stu- bengeräth aͤrmlich und fparfam, und der Mann fügte feie nen Arm auf einen. ungemalten Fichtentiſch, worauf ein klei⸗ ner Erdglobus ftand. Er ſaß in Gedanken vertieft, flarrte den Globus an und drehete ihn fbielend mit dem Singer

m. .

Als wir hinein traten, erhob der Fremde fein großes, braunes, feelenvolles Auge, das etwas gefehen au haben ſchien. was fein anderes Auge fo gefehen hatte, und lächelte freundlich

Willkommen. Fteund Perez. ſprach er mit ſchwacher Stimme, hier fie ich mit meiner kleinen, neuentdeckten Exde, der id) ein Ianusgefiht verſchafft babe, fo dag fie künftig au beiden Seiten hinausſchauen kann. Barum bemüht ſich doc) der Menſch fo viel, Erde zu finden? Braucht er doch zuletzt nicht mehr, als ein naar Schaufeln voll, um die müs

174 Lebensbeſchreibung des

wären &ebeine zu bederen. Ser iM der bübſche Heine Knabe dar

Meim Lehrer fagte es ihm, und fſprach zu mir: Knie wieder, mein- nd, und lag Bir vom diefem unſterblichen Manne den’ Segen geben. Er keidet au; unſchuldig, hat aud die Armfeltgkeit, den Neid und die Verfolgung der Menſchen erfahren. Du flehſt bier den grogen Admiral Chriſt obh Gofen, oder wie er in’ feiner ttalieniſchen Mutterſprache eigentlich heißt: Chriſtophoro Golumbo.

Gutes Kind, ſprach Columbo, feine Hand auf meine Stirn Iegend, fafle Muth! Du biſt in den glüclichen Jahr ren aller ſchönen Möglichkeiten. Schaue nicht zurüd auf die träbfelige Vergangenheit, fondern nur vormärte im die rofige Sufmft. Waͤre ich noch jung; mie Du, bei Gott, ich wollte nicht tranern, noch nicht die Segel eimziehen; ich würde meine fühne Flagge wieder wehen Ihffen und in die offene Eee ſtechen. Und dom, verfepte er nach einer klri⸗ nen Beile mas wollte ich eigentlich: entdegen? Men ſchen und Menſchenwohnungen? Die kenne ih ſchon gar zu gut.

Seine Haushälterin kam herein und fagte ihm etwas leiſe ing Ohr. Als fie wieder himausgegangen war, kehrte er fi zum Freunde und fagte: Id ſchaͤme mich faft, mein lieber Franceseo, doch Noth bricht Eiſen, innt Ihr mir auf acht Tage fünf Piafter leihen? Es ſcheint freilich Fücher- li, daß der Vlcefönig von Indien, der feiner ſpaniſchen Majertät die Schattammer mit Gold fühle; um fünf Pia- ſter Bitten fol. Meine Kaſſe ift aber Teer, ih habe dem Könige alles gegeben, meine Meine Penfion ift noch nidyt angefonmmen, und man fagt ja: während‘ das Bras wächft, ſtirbt die Aub. Am kaſtiñaniſchen und aragmifden Hufe,

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wißt Ihr, geht alles ſeht langſam. Konnte es acht Jahre dauern, bevor ich die drei Böte befam, womit ich die neue Belt endete, wie lange wird «8 dann nicht dauern, ehe dag die Penfion mir angeriefen wird, Befonders wenn mein Freund Don Iuan Rodrigo de Fonfera fie mir auszahlen fol.

Mein Hofmeifter brach in Wermünfdungen über die Undankharkeit der Regierung aus, Columbo bat ihn aber, ruhig zu fein. Ich bin ſchon Aber ſolche Eitelkeit hin- aus, ſprach er, denn ich fühle, daß ih Bald eine weit grd- Bere Reife zu tun habe, nach einer wichtigern terra ineo- guita als Indien ift. Ich will dem Könige Fernando keine Borwürfe. machen; feine Heine. Seele kann nichts Grotzes f&ägen, denn er ahnete nie, was Größe war, und in feinem neidiſchen Herzen wurzelte nur Eiferſucht gegen alles Yus« gezeichnete. Als die Königin Iſabella ftard, fiel meine letzte Stüge; fie ſchaͤzte das Berdienft, und mar eine feltne Frau, ihren einzigen ehler, eine gar zu hohe: Meinung von den Fähigkeiten ihres Gemahls, würde man ihr im Privatftande als eine Tugend angerechnet haben. Auch vergebe ich gern allen meinen Feinden. Wäre id; ſelbſt nicht ehrgeizig ge⸗ weſen, fo hätte ih als Ausländer, als Frruder, nit den ſpaniſchen Nationalftolz gegen mich gereist. Barum. wollte ich Vicefönig fein? Bar der ſchlichte, genuefifhe Schiffer Cbriſtoph Eolumbo, der die neue Belt auf feinem gebrech⸗ lichen Fahrzeuge entdecte, der ſich erft durch alle Hofkaba- len; dann durd alle Scheeren und Samdbänte arbeitete, ohne zu ſcheitern. nicht mehr werth, als ein weſſindiſcher Bicekönig, wozu man jeden Höfling, jeden Schwachkopf ma- hen kann, der immer höher ſteigt, je tiefer er fih büdt? Darum vergebe id; auch dem armfeligen Bovadilla der mic)

166 Lebensbeſchreibung des

Baprlich, Lieber Leſer! wenn ich Dir die lleberſchriften meiner Lebens ⸗Kapitel voraus fage, glaubft Du vielleicht ei⸗ nen Scherz zu hören, oder daß ich Dir ein eitel Räthfel zu

» Löfen gebe. Denn was ſagſt Du dazu, wenn ih Dir er» zähle, dag mein edler Vater nady feinem Tode ſchändlich bingerichtet ift, dag mein ſchuldiger Bruder wiſſentlich einen unſchuldigen Selbſtmord begangen. ˖ Daß ich den reichſten Mann, der je in der Weit lebte, in Armuth habe ſterben fehen; dag meine Frau ‚alles aufgeonfert und gewagt aus Liebe zw übrem nicht geliebten Gatten, daß ich ‚einen Morten mit einigen Reimen eine Räuberharde Habe bändigen ſeben, die ein mächtiger Fuͤrſt mit feinen Kriegerbaufen nicht baͤn- digen konmie, und endlich, Daß mich das wunderbare Sci

ſal ans einem kuͤnſtlich gegwungenen in ein matürkshes Frei» williges Klofter führte,

36 ſtamme aus einem altablihen Franifihen-Beiülchte. Mein Vater, Don Diego de Valato, war Beldoberft in L- niglichen Here, und meine Mutter war eine Donna Blanca de Cordua. Obſchon die Geburt etwas Bufälliges iſt und der Grlöfer, eben um den eitlen Stolz der Menden zu ben⸗ gen, ſich in einem elenden Stalle von gemeinen Eltern zur Welt dringen ‚Heß, freut es zich doch, wenn ih an meine wadern Borfahsen Denke, die rechtliche Zente und Aanfere Krieger waren. -

Auch freut es mid, ‚in Spanier gu fen; und das Ge⸗ fübd, fo ich ſchon als Kind hegte, wenn ih die Karte Eu- topens betrachtete, mo dieſer Welttbeil als cine Jungfrau dargeſtellt iſt hege ich noch immer als Gteis. Denn wahr⸗- baftig, das Yand kann man wohl das Haupt nennen, das ſelbſtſtandig für fih, nur durd den ſtarken Raden der Pp⸗ senden zu dem Nüdgrate des übrigen Körpers gefügt ift,

Den Cvrillo de Valaro. 167

wo fi Berge, Thäler, Flüſſe und Wälder, wie auf dem menſchlichen Haupte Knochen, Fleiſch, Adern und lodiges Haar wunderfhön zu einem Ganzen verbinden, und wo ſich Nömer, Weſtgothen, Chriften und Mohren mie Gedanfen und Meinungen im menfhlihen Gebirn lange befämpft, befiegt und abenteuerlich gekreuzt haben. Kann nun auch das ſchone Frankreid für den ſchwellenden Bufen der Jungs frau gelten, wo Leichtſinn und Liebesluſt reizend ihr Spiel treiben, it Italien der geiftlie, und England der weltliche Arın diefer Minerva, Deutſchland der Leib, wo alles ver- daut wird, und woraus die Nabrungsfäfte zu den übrigen Gliedern gehen; und fann man die weniger gefannten und gebildeten Länder ihre Schleppe nennen, fo it und bleibt Hispania doch das Haupt! Und Iammerfhade, dag ſich Portugal, welches mit dem Geſichte zum Weltmeere Hin» aus fhaute, ſich eigenfinnig vom Haupte getrennt, wodurch es feine Lebendigkeit verloren bat, und eine blohe Maske geworden iſt.

Freilich Teidet von allen Theilen des Körpers der Kopf oft am meiften von Ziebern und Nervenzufällen, und ſo ere gab es fid) denn aud, daß id) das Licht erbliden mußte im Jahre Chrifti 1498, chen, als mein Vaterland an Innern Zuckungen außerordentlich litt. Denn wenn auch der katho⸗ liſche Glaube nie ſiegreicher glänzte, als kurz vor der glüd- lichen Schlacht, worin die Mauren überwunden wurden, und ihr Neid in Spanien ein Ende nahm; wenn aud zur feldigen Zeit Hundert und fiebenzigtaufend caſtiliſche Iuden- familien nach Portugal, Mauritanien und Navarra flohen, fo lägt es ſich auf der andern Seite nicht läugnen, daß die ſpaniſchen Provinzen dadurch unendlich gefhwädt wurden, und gar zu viel von ihrer alten Kraft und Blüthe einbüg-

168 Lebensbeſchreibung des

ten. Und wie man fagt, daß der Löwe, feiner Natur nadı ein edles Thier, wenn feine fharfe Zunge erft Blut gelckt, plöglid) graufam wird, fo dag er mitunter felbft feinen freundlichen Wärter zerreißt, dem er ſonſt gehorfamte, fo geſchah es auch Hier; denn die Heilige Inquifition fing auf einmal an, von wahnfinnigem Blutdurft ergriffen, von dem Hentersgeifte des abſcheulichen Torquemadas befeelt, wie cin grimmiges Thier zu wäthen. Freilich farb dies Ungeheuer in meinem Geburtsjahte, feine Nachfolger Deza und Cis- neros waren aber um fein Haar befler; und in wenigen Jahren hatte Spanien viele taufend feiner Säne und Toͤch- ter unſchuldig hingerichtet, wie Saturnns in feiner Wuth die eigenen Kinder verfhlang.

Die erfte merkwürdige Begebenheit, die auf mid als Bleiner Knabe von acht Jahren außerordentlihen Eindrud machte, war folgende: Ich hatte meine Eltern früh verlo- ren; nur ein Bruder, zehn Jahre äfter als ich, Ichte noch. Unfer Vater Hatte ung aber ein großes Vermögen hinter» Taffen, und wir wurden in einem ſchoͤnen, großen, einſamen Valaſte in Baladolid, unferer Vaterftadt, auferzogen. Mit unferm Hofmeifter beſuchten wir oft die alte Domtirche, wo das marmorne Grabmal unfers feligen Vaters ftand, und mo feine fchr ähnliche Büfte, -über dem Sarkophage, zwi⸗ ſchen Trophäen und Attributen feines Standes und Ran ges thronte. Oft, wenn ich das Bild fo anſchaute, rief ich in kindlicher Unbefangenheit: Bater, komm zurüd! und wünſchte ihn felber zu fehen.

Eines Tages, als wir fo ftanden, famen einige Fami- liaren der Inquifition mit ihren Trabanten. Ein gewiſſer Don Petro de Tramaſſo, der, wie ih nachher hörte, der Todfeind meines feligen Vaters gewefen, und jeht ein bes

Ton Eyrilio de Balaro. 169

rüdjtigter Fanatiker geworden war, näberte fi uns, und meinen Wunſch hörend, den Bater felher zu fehen, ſprach er: Nun, Kind, den Wunſch kann ih Dir gemähren. Darauf fielen die Leute über das ſchoͤne marmorne Dent- mal her, und vernichteten es ſchnell mit ihren Hämmern uud Brecheiſen. Der Dedel wurde vom Sarge aufgcho- ben, die einbalfamirte Leiche meines Vaters herauegenom- men, und aller Pracht entblöt auf eine ſchlechte Hölzerne Bahre geworfen. Haft Du ihm jetzt gefehen, Kind? frug der graufame Familiar, und während ic heftig weinend den Leichnam meines Vaters halb mit Grauen, halb mit tindlicher Neigung betrachtete, warfen fie ein großes Stück Sadleinewand über ihn und trugen ihn zur Kirche hinaus.

Einige Tage darauf hörten wir die große Glocke im alten Dome ſchauerlich zu einer Auto da fe läuten; der Bug ging aber unferm Haufe vorbei; da fahen wir denn, wie es in jener Zeit oft geſchah, die zum Scheiterhaufen verdammten Ketzer in fafranfarbigen Bußtleidern (san be- nito) mit der fhigigen Müpe (corasa), mit Flammen und Zeufeln bemalt, zum Tode wandeln. Auch ein ſchwarzer, mit Feuer und Höllenfragen bemalter Sarg” erſchien im furdtbaren Zuge. Das waren die Meberrefte unferes Ba-

+ ters, der als Keher ſechs Jahre nad feinem Tode verur- theilt. aud) den Flammen übergeben wurde.

Mein Bruder, der weit älter mar als ic, batte im⸗ mer, feiner Jugend ohnerachtet, einen fehr ftoifhen Charak- ter gezeigt. Sein Herz mar nicht wei, fein Temperament etwas duͤſter⸗ melancholiſch, und fo verfploß er den Schmerz ſchweigend in feinem Innern, ohne die Erleihterung der Tränen und der Mittgeilung zu fühlen. Den Tag nad der Hinrichtung fagte er zu mir: Mein lieber Eyrillo, man

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bat unfern Vater nad) feinem Tode aus Rache und aus tolleg Schwärmerei beihimpft; wenn wir aber nicht felbn | lebendig fein Scicfal theilen wollen, dürfen wir fein Wort | gegen Andere äußern. Auch auf uns fält die Strafe. Un fere Güter behalten wir Freilich; die Ehre iR uns aber ge- raubtz unfer alter Name ift jept eine falle Münze ohne Klang; wir können fein Amt erhalten, Feine Ehrenſtelle bes tleiden. So wollen wir uns denn allein den Wiſſenſchaften ergeben, wie wir angefangen haben; allein in unfern Häu- fern wollen wir wohnen, und die Dienfhen ihren wilden Gang gehen laſſen. Bleibe Du bier im Palafte zurüd mit Deinem braven Lehrer Francesco Perez, der Dich nicht vers laſſen wird. Ich ziehe mit meinem einzigen Freunde (bier ſtrich er den Rüden eines überaus fhönen Jagdhundes, der ihm überall folgte) auf unfer Meines Jagdſchloß im Walde hinaus. Da wil id mid, halb Eremit, halb Jäger, dem fillen Kummer weihen. Vieleicht ſchleift die Zeit die Scharte aus, und das Gemüth wird wieder rubig.

Ich blieb alfo bei meinem guten Francesco de Perez im Palaſte, der im großen Stile gebaut war, mit weiten | Vorhallen und breiten marmornen Treppen; in den leeren. | Niſchen hatten vorber [höne Statuen von hohem Werthe geſtanden; allein auch diefer griechiſchen Göpenbilder hatte . fi) die heilige Inguifition bemädtigt. Die Gemäder wa» ren beinahe alle Leer. Die Mobilien im Haufe waren feit unferer Eltern Tode, theils verkauft, teils geſtoblen, weil kein ordentliches Aufſehen da war. Nur die Konſoltiſche mit vergoldeten Zügen und fhönen bunten Steinplatten fanden noch da. Auch bewunderte ich oft die großen, in der Wand eingemauerten Spiegel, die dod alle etwas gelitten hatten. Mein Lehrer verſtand ſich wohl gut auf

Don Eyrillo de Valaro. m

Spraden und Wiſſenſchaften, auf weltliche Dinge wur wer ig; und die Haushälterin, wenn fie ung ein ſpaͤrliches Eſ⸗ fen zubereitet Hatte, meinte ihre Pflicht gethan zu baben, und fie den alten Palaſt ſich felber Hüten.

Bas auf mein kindliches Gemüth den tiefſten Eindrud machte, war eine große gewoͤlbte Halle uon ſchwarzgrauem Marmor, im Erdoeſchohe, die gegen den kühlen, ſchattigen Nafenplap im Garten binaus dag, wo zur Rechten eine Duelle aus einem Meinen Felſen durch Blumen reichlich floßz. ‚Hier brachten mein Hofweifter und ich die heißeſten Som⸗ mertage mit Leſen zu, in der ſchonen friſchen Kühle und der größten Ginfamfeit. Und wie fonderbar! Iſt es Dir, kieber Lefer auf nicht mitunter fo gegangen, daß Du einen Zuftand zweimal zu erleben glaubteſt? Co ſchien mir der Aufenthait in der ſchwarzgrauen Marmorhalle zu Ballado- lid ein Vorbild meines jegigen Stiliebens in diefer Infel- boͤhle zu fein. Denn auch hier iR es Iuftig, kühl und ger räumig; auch bier bringe ich meine meifte Zeit mit Leſen zu. Auch diefe Höhle liegt nach einem ſchönen Nafenplape binaus; und was das fonderbarfte iſt, aud hier ſprudelt eine Duelle echter Hand aus den Steinen und wäſſert weine Blumen.

In den großen Gemaͤchern wandelte ib oft, obſchon fie wůſt und leer waren. Nur ein Bild fand ich in einem Kabinette noch, das ih fehr liebte. Es ſtellte eine fhöne rau dar, ein Kleines Kind an ihren Bufen drüdend. Das Geficpt der guten Fran betrachtete mid) fo liebevoll, obſchon Feuchtigteit die Fatben etwas verdorben hatie; umd der Heine Knabe au ihrer Bruſt Läcelte mid Immer fo fehel- miſch an, als ob er fagen wolle, kennſt Du mid denn nicht? Nach vielen vergeblichen Bitten und unerfüllten Verhei -

172 Lebensbeſchreibung des

tungen bewog ich endlich meinen alten, fteifen Lehrer, ſich mit mir eines Tages die Treppen hinauf zu bemühen. Er

verſtand ſich gar nicht auf Bilder und dergleichen: als er aber das Gemälde Tange betrachtet Hatte, ſprach .er: Ih müßte mic) fehr*irren, oder das ift ein Bild Deiner feligen Mutter; was das Kind aber bedeuten foll, weiß ich nicht; vermuthlich ftellt es Deinen ältern Bruder vor, wie er Mein war. Dir gleicht es ja nicht. Nun bolte id die Haushäls terin, die mid) gleich verfiherte, das Kind folle Niemand anders als mich bedeuten, und daß ich gerade fo ausgefehen babe, als ich nur erft zwei Jahre alt geweſen.

Bie lieb mir das Bild von diefem Tage an wurde, begreift ein Jeder, der eine Mutter verloren hat; ich ging täglich, da hinauf, und dort verrichtete ih mein Morgenge» bet, wenn die Sonne heiter in's Kabinet herein ſtrahlte. Eines Tages wollte ih auch mein Abendgebet daſelbſt ver- richten; es war ziemlich ſpät, und der Mond ſchien durch die langen, großen Fenſter der Gemäder. Als ih in's Kar binet treten wollte, wozu die Thür halb offen ftand, ſchien es mir, als entdede id) eine weiße Geftalt, vor dem Bilde mit gefaltenen Händen ftehend und es fehr aufmerffam be» trachtend. Als die Geftalt meine knarrenden Fußtritte hörte, tehrte fie das Gefiht gegen die Thür, und id glaubte das Antlitz meines feligen Vaters, weiß wie die Alabafterbäfte auf feinem Sarkophage zu feben. Ih entfloh mit einem Geſchrei. Es Half nichts, dag mich mein Lehrer verfiherte, es fei nur meine eigene, aufgeregte Einbildungskraft gewe⸗ fen. Ich wagte nie mehr, die den Hallen im Mondſcheine allein zu betreten. Im Morgenroth, wenn die Vöglein draus sen in den Bäumen ſchlugen, beſuchte ich fie aber immer noch getroft,

Don Cyrillo de Balaro. 173

Der gute Francesco Perez fhlug mir eines Tages vor, mit ihm nad) einer Meinen Straße der Stadt hinzugeben, um einen alten Freund von ihm zu beſuchen, der jeßt da _ wohne. den er mir aber noch nicht nennen wollte. Er fagte mir, es fei ein fehr gereifter Mann, der noch vor Kurzem in weit glüdlicheren Umftänden gelebt habe, und mir viele unterhaltende Geſchichten erzählen Lönne, wenn er nur wolle. Ich folgte ihm gern, und wir traten in ein ziemlich ſchlech-⸗ tes Zimmer binein mit geweißten Wänden, wo eine große roſtige, eiferne Kette am Nagel hing, wie in einem Gefänge niſſe. Ein ältliher Mann mit einem fonneverbrannten, aber febr bedeutenden Geſichte faß in einem wunderlichen Lehnftuble von geflochtenen Weidenruthen. In Käfigen bin. gen mehrere fchöne, bunte Vögel, dergleichen ih noch nie sefehen Hatte, und einen hübſchen, Meinen, bunten Teppid) von Baft hatte er unter den Fügen. Sonft war das Stu- bengeräth aͤrmlich und ſparſam, und der Mann ftüpte ftie nen Arın auf einen ungemalten Fichtentifc, worauf ein klei⸗ ner Erdglobus fand. Er faß in Gedanken vertieft, ftarrte den Globus an und drehete ihn fpielend mit dem Finger herum.

Als wir hinein traten, erhob der Fremde fein großes, braunee, feelenvolles Auge, das etwas gefehen au haben ſchien. was fein anderes Huge fo gefchen hatte, und läͤchelte freundlich.

Willkommen, Freund Perez ſprach er mit ſchwacher Stimme, hier fige ich mit meiner kleinen, neuentdedten Erde, der id) ein Janusgeſicht verſchafft babe, fo daß fie künftig au beiden Seiten hinausfhauen kaun. Barum bemüht ſich doch der Menſch fo viel, Erde zu finden? Braut er doch aulegt nicht mehr, als ein yaar Schaufeln voll, um die müs

174 Le bensbeſchreibung des

müden Gebeine zu bederen. er iM Ber buͤbſche Meine Knabe da? \

Mei Lehrer fagte ws ihm, und ſprach zu mir: Knie mieder, mein- Mid, und lag: Dir vom dirfem unfterblichen Manne den’ Segen geben. Er beider auch unſchaldig, hat auch die Armfeligkeit, den. Neid und die Verfolgung der Menſchen erfahren. Du flehſt bier den großen Admiral Chriſtoph &ofen, oder wie er in feiner ttalieniſchen Mutterſprache eigentlich beigt: Ehr iſtophoro Columbo.

Gutes Kind, ſprach Columbo, feine Hand auf weine Stirn legend, faſſe Muth! Du biſt in den glücklichen Jah⸗ ren aller ſchönen Möglichkeiten. Schaue nicht zurück auf die träßfelige Vergangenheit, fondern nur vorwärts in die rofige Zutunft. Ware ich noch jung; mie Du, bei Gott, ich wollte nicht tranern, noch nicht die Segel eimziehen; ich würde meine fühne Flagge wieder wehen laſſen und in die offene See ſtechen. Und doch, verſetzte er nach einer klei⸗ nen Weile mas wollte ich eigentlich entdeden? Men⸗ ſchen und Menſchenwohnumgen? Die kenne ich ſchon gar zu gut. .

Seine Haushälterin kam herein und fagte ihm etwas leiſe in's Ohr. Als fie wieder binansgegangen war, kehrte er fi zum Freunde und fagte: Ich ſchaͤme mid; faſt mein lieber Sranceseo, doch Noth Kriht Eifen, könnt Ihr mir auf acht Tage fünf Piafter Leihen? Es ſcheint freilich lächer⸗ lich, dag der Vlcefönig von Indien, der feiner ſpaniſchen Majeftät die Schattammer mit Gold fülte; um fünf Pia fter bitten fol. Meine Kaffe ift aber Teer, ich habe dem Könige alles: gegeben, meine Meine Venſivn ift noch midyt angefonmmen, und man fagt ja: während‘ das Gras wädft, flirdt die Anh. Am kaſtinauiſchen und aragoniſchen Hufe,

Don Eyrillo de Balaro, 175

wißt Nor, geht alles fehr langſam. Konnte es acht Jahre dauern, bevor id die drei Bote befam, womit ich die neue Belt enfdedte, wie lange wird es dann nicht dauern, ehe da die Penfion mir angewieſen wird, Befonders wenn mein Freund Don Juan Rodrigo de Fonfeca fie mir auszahlen

Mein Hofmeifter brach in Berwünfdungen über die Unvankbarkeit der Regierung aus, Columbo bat ihn aber, rubig zu fen. Ih bin ſchon über ſolche Eitriteit bin- aus, ſprach er, denn ich fühle, dag ich Bald eine weit grd» dere Reife zu thun habe, nach einer wichtigern terra inco- gnita als Indien ift. Ich will dem Könige Fernando keine Sorwürfe. machen; feine Heine. Seele kann nichts Großes ſchaͤtzen. denn er ahnete nie, mas Größe war, und in feinem meidifchen Herzen wurzelte nur Giferfucht gegen alles Aus- gegeidmete.. Als die Königin Iſabella ftard, fiel meine Iepte Stüge; fie ſchatzte das Berdienft, und war eine feltne Frau, ihren einzigen Fehler, eine gar zu bobe: Meinung von den Fähigkeiten ihres Gemahls, würde man ihr im Privatftande als eine Tugend angerechnet haben. Auch vergebe ih gern allen meinen Feinden. Wäre ich ſelbſt nicht ehrgeizig ge⸗ weſen, fo hätte ich als Ausländer, als Fremder, nicht den ſpaniſchen Nationalftolz gegen mich gereist. Barum. wollte ich Vicekönig fein? Bar der ſchlichte, genueſiſche Schifer Chriſtoph Columbo, der die neue Welt auf feinem gebrech⸗ lichen Fahrzeuge entdete, der ſich erft durch ale Hoflaba⸗ len; dann dur alle Scheeren und Sandbänfe arbeitete, ohne zu ſcheitern, nicht mehr wert, als ein weitindifcer Vicekönig, wozu man jeden Höfling, jeden Schwachtopf ma- hen Tann, der immer höher fleigt, je tiefer er ſich büdt? Darum vergebe ich auch dem armfeligen Bovadila, der mid)

176 Lebensbeſchreibung des

mit diefer eifernen Kette ale Verbrecher nach Eurepa brin- gen Tieß; und weiß Gott, die Kette hängt nicht da an der Band aus Race, um ihn vor der Welt anzuflagen, fon« dern als ein memento mori aller weltlichen Eitelkeit, und fo fol fie mir auch in’s Grab folgen.

Ich befuchte von diefem Augenblicke an alle Tage den großen Columbo, der Vergnügen daran zu finden ſchien mir, feinem. Jungen viele feiner Sata und Begebenheiten au erzählen, und.fo hörte ich denn aud, daß er einmal nahe daran geweſen, wie ic jet, auf der Infel Jamaika Ein fiedier zu werden, ganz von aller gefitteten Menſchengeſell⸗ ſchaft getrennt.

* Seine Gefundpeit litt tägfih mehr, und er neigte fih augenſcheinlich zum Grabe. Eines Abends, als ih ihn ber ſuchte, war er fehr aufgeräumt, er hatte ein Lied gedichtet. Das Fenſter ftand offen, die Luft war fo dunkelblau wie das Meer, und leichte Wolken, von der heruntergehenden Sonne mit Gold verbrämt, ſchwebten fern am Horizonte als Infeln. Lies mir einmal dies Schwanenlied laut vor, mein Sobn, ſprach er, indem er beide Hände über den Erdglobus, der vor ihm auf dem Tiſche ftand, faltete und mit feuchten Augen in die fernen Wolken hinaus fchante. Ich las: "

Bald iſt Ach nun vollbracht. Bald die Reife wird beginnen, Um das unentderfte Sand, Schnellen Laufes, dort au finden.

Das ein Jeder flo entdect, Ohne Nachricht Doch au bringen⸗

Don Cyrillo de Balaro.

Denn kein Eifer ehrt turid, IN ex felig nur von binnen.

Kein gefchnittnes ‚Hola, fein Baum Bird hierhergefpült vom Himmel; Keinen Leichnam findet Du

Bon verflorbnem Engelötinde.

aues if Geheimnis Dir;

Nur durch Glauben, Freud’ und Piche, Nur durch Hoffnung fegelt Du

Dort auf Deines Todes Schife.

Spanne dann die Segel auf Anverjagt, mein frommer Schiffer! Seele, durch das Meihermeer

Wirt in kurzer Zeit Du ſchwimmen

80 fein Bei die Tiefe mißt, Sqeiterſt Du auf feinem Kiffe, Und die Engelsflügelein Werden jum Paflate dienen.

eo verlaffe denn getroft Die Atoren, die nur irdiſch; 80 die Wolle roienroth, Da ift Deine Wettungsinfel.

Eich Du den San Ealvador? Deinen Heiland wirſt Du finden. Wo nicht Gitelfeit Dich treibt, Wird Die Beine Freude ſchwinden.

Keplenf. Schriften. XVII.

17

178 Lebensbefhreibung des

Ich Hatte das Lied nad) Verlangen mit lauter, deut- Hiper Etimme vorgelefen, und warf jept meine Yugen von dem Papiere bin auf den Verfaffer, um ihm für die Fromme Dichtung zu danfen. Da faß der große Columbo todt, mit den gefalteten Händen über dem Erdglobus, und feine ge brodenen Augen ftarrten hinaus nach den Wolfeninfeln; die Abendfonne laͤchelte beiter auf feine roſtige Kette, und fünftehalb Piafter Tagen nod auf dem Tiſche.

Ih babe ſchon erzäglt. dag mein Bruder ſich zwiſchen feinen Büchern und der Jagd theilend, einfam im Walde hauſete, wobei er die Sonderbarkeit zeigte, feines Bedienten Hüffleiftung haben zu wollen. Zweimal wöhentlid lieg er ſich die nöthigen Lebensmittel in einem Korbe hinaustragen und in die Vorhalle des Meinen Jadſchloſſes hinſehen. Und fo lebte er denn als ein wahrer Eremit mit dem Hunde, der fein einziger Freund und PVertrauter war. Denn er hatte, feit dem ſchaͤndlichen Spiele, das man mit unfere Vaters Leihe getrieben, einen wahren Haß gegen die Men- ſchen gefaßt. Ale Vorftellungen des biedern Francesco Per res halfen zu nichts, und mie ein hitiger Jünbling bald mit feiner Theorie fertig ift, fo geſchah es denn aud bier. Selbſt der ehrliche Perez verlor die Freundſchaft meines un» vernünftigen Bruders, weil er feinen Spipfindigfriten und Liehlingstdeen widerfprad), und beweifen mollte, dag noch Edrlichteit und Liebe unter den Menſchen feien. Nein, rief der aufgebrachte Dionyfio, der Menſch ift ein falfches Thier, nur von Eigenliebe, Wolluſt, Graufamteit, Kälte, Trägbeit, Neid und Unbarmperzigfeit zuſammen gefeht. Nur unter den Tpieren iſt noch Treue zu finden. Der Hund ift

"Don Gprillo de Balaro. 179

treu. Der liebt mid ehrlich; er will nichtz von mir, als die nothmendigfte Bedingung feines Lebens; er fhüpt mic, wachſam und muthig, und verläßt mid) nicht in der Noth. Mit den ehrlichen braunen Augen blidt er mir, ohne Falſch tief in die Seele. Nur Fidelio fol mein Lebensgefährte fein, und fterb’ ich einmal, fo bin ic gewiß, er wird auch vor Gram auf meinem Grabe fterben.

So fehrte er mit dem Hunde in den Wald zuräd; auf dem Rüden hatte er feine Flinte hängen, an der Seite fein Baldorn, welchem er im Weggehen die lieblichſten Töne entlodte, die feinen Gemüthezuftand mir wenig verrietben, denn er war auf diefem ſchwierigen Inftrumente ein ziem⸗ licher Birtuofe,

So verftriden meine Kinderjahre. Ich befuchte meinen Bruder ein Paarmal jährlid auf dem Jagdſchloſſe, und lebte ſelbſt mit meinem lieben Lehrer Fernando Perez in ſtiller Nude,

Als Züngling ging ich öfter in die Kirche, als gewöhn- li. Soll ich meine Iugendfünde befennen? Nicht fo fehr aus Gottesfurdt, als um die fhöne Muſit zu hören, und eine nody-fhönere Srauengeftalt zu fehen, die während der Meſſe alle Augenblide ihre Junoaugen auf mic richtete. Bir fahen uns oft da, und die Blide wurden immer ſchmach · tender und zärtlicher. Ich wagte feinen Schritt meiter zu thun. Sie hatte aber mehr Muth, als ih. Einmal im Beggeben drüdte fie meine Hand zaͤrtlich im Gedränge, und der Drud zudte mir duch Mark und Bein. Den- noch wagte id es nicht, ihr zu folgen, noch kannte ich fie bei Namen, id fürchtete mich, Iemanden zu fragen, damit nicht das Beben meiner Stimme und meine Geſichtsfarbe mein Geheimniß verrathen möchten.

12°

180 Lehensbefchreibung des

Ber fMilderb meine Angſt, als id meine Schöne in den folgenden Tagen nicht mehr in der Kirche fand? Troſt⸗ los ſtrich ich durd die Straßen, um fie vieleicht zu finden. Ad), dachte ich, dag iſt eine ſchöne Reiſende gewefen, fie ift jet nad) fernen Gegenden gezogen, und Du fiebft fie nim- mermehr.

So mit mir felber redend, ging ich vor einem großen Palaſte vorbei, wo Tranergardinen in den Fenſtern hingen. Eine Gardine ward von einer ſchneeweißen Hand wegge⸗ sogen, und wie ein Eugelslopf binter einer Wolle erſchien meiner Geliebten rofiges Geſicht, welches der Trauerflor noch reigender machte.

Kaum fehe ich fie, fo ſtürze ich, ohme mid au bedenken. die Treppe hinauf. Sie begegnet mir in einer großen Bor« balle, wir fliegen einander in die Arme, unfere Lippen be⸗ gegnen fi. Kaum aber habe ich den erften fügen Schaum der Liebe gefchlürft, fo bittet fie mic) ängitfic, gleich wieder weg zu geben, damit mid Niemand fehe. Die Sitte Hispelt fie, erlaubt mir noch nicht, Dich bier bei mir zu fer ben. Mein alter, kraͤnklicher Mann ift vorgeftern geftorben, da drinnen ſteht feine Leiche noch. Gile, damit Dir weder Bediente noch Verwandte auf der Treppe begegnen. Ih kenne Die, Cyrillo liebe Di! Nur Du, fhöner Täugling, follt mein Herz defigen, mein Gatte werden. Entferne Dich aber heute ſchnell wieder, damit Did Niemand treffe.

Ich taumelte fort und mußte nicht recht, ob dies ein Traum fei oder nicht. Erſt als ich die lange Straße zu Ende gekommen war, wagte ich, einen Laftträger zu fragen, wer dort im Trauerhaufe wohne. Das ift die fhöne Donna Eleonora de Sylva, antwertete er, die heute ihren alten Mann begräht, den fie todt geärgert bat, und wenn ihre

Don Eyrillo de Balars. 181

Feueraugen nicht Tügen, fo wird fie wohl bald einen fri« fen, jungen Gatten nieder nehmen, wenn das Trauerjahr nur erft verfloffen if.

Gütiger Himmel, dachte ich junger Thor in meiner eine

. fältigen Ungeduld: ein ganzes Jahr mußt Du noch warten.

Ih eifte nach Haufe, mo mir mein alter Lehrer mit einem fo ernften Geſichte begegnete, dag ich ihm fein Wort zu für gen wagte. Einen Vertranten brauchte ih aber. Ich bes ſchloß alfo, meinem Bruder wicder einen Beſuch zu machen. Sonft wenn ih bei ihm war, fodte die Unterredung alle Augenblide, weil wir einander nichts zu fagen hatten. Jetzt war mir das Herz vol. Ich eilte froh hinaus, und hatte gerade einen Lühlen Abend dazu. gewählt, da der Mond ſcien und die Naqtigallen meine verliebten Tränmereien in fügen Liedern ausdrüdten. 5

Als ich mich dem Iagdhaufe näherte, fah ih meinen Bruder tieffinnig im offenen Feuſter fipen und den Mond betrachten. Kaum fah er mid), fo forang er auf und rief mit düfterer Freude: Nun, fo timmft Du doch endlih, Cy⸗ rillol Sehnſuͤchtig Habe ih auf Dich jeden lichten Mond⸗ ſcheinabend gewartet, und die Stunden des Monats an der Abnahme and Zunahme der wanfelmüthigen Luna gezählt. Böreft Du jept nicht gekommen, fo hätte ih Dir einen Brief ſchreiden müffen, den vermuthlich ein Anderer gefun⸗ den, und ſich fo Deines rehtmäßigen Vermögens bemächtigt hätte, Hier, lieber Bruder, find die Juwelen, das Einzige, was wir noch gerettet haben.

Er warf mir ein verfiegeftes Pärchen hinunter In Mehr men Hut, drauf ſprach er: Und jept, mein Cyrillo, muß ich von Dir Abſchied nehmen, um den Scaiten unferer Glen in jene unfihtbaren Reihe zu folgen.

182 Lebensbeſchreibung des

34 rief: Um Gotteswillen, mein Dionyfio, was fol diefe erſchregliche Nede? Du fterben, in Deiner Jugend vol Kraft und Stärke? Dionyfio, bit Du wahnfinnig gewor- den? Schon etwas, antwortete er fürchterlich und zaudre ich länger, werde ich e8 immer mehr. Mein Mund wird austrodnen, meine Zunge wird mir rauh zum Munde aut bängen, wie bei einem nad) Waller Ichzenden Hunde; meine Stimme wird heiſer und abgebroden, wie das Bellen des Hundes.

Gott im Himmel, Dionyfio, rief ic, bit Du vergifter worden? Wer hat das gethan? Mein einziger Freund! rief er, laut und höhniſch ladyend; bei dem nur noch Treue au finden war, der mir ohne Falſch, mit ehrlichen Augen. tief in die Seele fab; mein Fidelio, der Gefährte meines 2ebene! Mein Hund, die verdammte Beftie, die die Wafler- ſcheu befommen hatte, lohnte mir fo, als id ihn liebkoſte und über die Niederträcptigkeit der Menfhen meine gewöhn- liche Spottrede hielt Imanzig Tage find es her. No

« fhleiht das Gift heimlich in den Adern herum, wie ein

Bandit in den dunfeln Zimmern, ehe er den Mordſtreich gethan. Alein keine Rettung ift da, und fo will ih denn meinem bämifhen Feinde zuvortommen! Kein Chriſt, fein Menſch kann mir diefen Selbftmord zur Sünde anrechnen. Ich babe vor mir felber gebeichtet, id) habe vor dem Krus zifir im Walde gefniet, und nun will ih einem beflern Da- fein fed entgegen geben. Lebe wohl, Eyrilo! Mit die- fen Worten ergriff er die Jagdflinte, ftedte fih den Lauf in den Mund, drüdte den Hahn mit dem Fuße ab, ein Schuß fiel, und mein unglücklicher Bruder ſtürzte mit zerſchmetter- tem Gehirn zurüd.

Ich weiß nit, wie lange ich verfteinert fand, ohne

Don Eyrilto de Valaro. 183

mid vor Schreden bewegen zu können. Zur Befinnung kam ich erft wieder, als mid) einige Bauern ergriffen und frugen: Bas haft Du in der Hand? Das find die Ius welen, antwortete ih mit gedämpfter. Stimme, und ſtarrte fie an. Greift ihn, rief der Eine, da ift der Mörder, er bat ihm die Juwelen geſtohlen. Cie padten mich an und ſchleppten mich fort. Es half nichts, dag ich zu wie derholten Malen rief: Ich bin fein Bruder! Menſchen. mäthet doch nicht, wie der Hund. Bift Du fein Bruder, antworteten fie, fo ift Deine Sünde noch viel größer, dann haft Du ärger ale ein Hund gewüthet. Mit diefen Wors ten fleppten fie mich fort und warfen mic in ein clendes Gefängnig.

‚Hier blieb ich aber nicht lange. Meine Ausfage, duß mein Bruder in Hundswuth ſich felbſt getödtet habe, wurde von den unterſuchenden Aerzten beftätigt. Als Brudermör- der konnte ich alfo nicht geftraft werden. Man hatte aber die Juwelen gefegen, und einigen Samiliaren der Inquifition gelüftete danach. Eines Morgens, als ich in Freiheit ge fegt au werden hoffte, holten fie mid nur heraus, um mic) in ein noch ärgeres Gefängnig zu werfen. Sobald ich hier antam, verzweifelte id an meiner Rettung. An eine or- dentliche Rechtsbflege war in diefer Höle nicht zu denken. Der Gefangene mußte ſich ſelber anklagen, heimliche Kläger murden gehört und geglaubt, ohne mit dem Beſchuldigten eonfrontirt zu werden. Ich wußte noch gar nicht, was id gethan hatte. Endlich frug mid ein frommer Pater, ob ich nicht behauptet babe, daß einige der heiligen Märtyrer, ſchwaͤrmeriſch aus Eitelkeit den Tod gefucht, und ihre Pei⸗ niger mit Scheltworten aufgehcht hätten, damit fie ſelbſt feliger im Paradiefe glänzen, und ihre Henker tiefer in der

184 Lebensbeſchreibung des

Holle brennen möchten? Diefe Anklage verfehte mid in die größte Angſt, denm obſchon id; meinen Eid darauf ab» legen konnte, daß ich midy folder freveihaften Worte gegen die Heiligen nie bedient habe, fo bonnte ich doch nicht Läug- nen, daß id einen ähnlichen Gedanken gehegt, und dag mir der Zweifel entfhlüpft war, ob wohl eine foldhe Luft, ein ſolches Hafen nach einem ſchmerzlichen Tode, wo er nicht eben nothwendig fei, Bott angenehm fein könne?

Id) bereitete mid) nun zu meinem Tode, den ih uns vermeidlich glaubte, und als, bei dunkler Nacht zwei Mas ten in Mänteln zu mir hereintraten, um mid abzuholen, ermuthigte ich mid, um nad) dem Blutgeräfte zu wandeln. Es wunderte mich ſehr, daß die Hinrichtung dei Naht ge» fhäge, denn fonft pflegte man folde Blutſchauſpiele beim bellen Tage unter dem Läuten der Domglode in gros fen Projeffionen dem Volke zu geben. Die zwei Mas- ken Liegen mic in einen Wagen fleigen und fuhren im vol« ten Lauf nad Simanca, einer kleinen Stadt am Duero. ‚Hier brachten fie mich auf ein Fahrzeug mit einer Beinen Kajüte und verliegen mid.

Bas ſchildert mein Entzäden, als ih mid plöplih von den fönen Armen meiner geliebten Donna Gleonera de Sylva umfhlungen fühlte? So habe ih Dich doch ge⸗ rettet, mein Inniggeliedter! rief fie. Hier’ find Deine Dia- manten, (fie reichte mir ein Padet,) und bier find die mei nigen (fie zeigte mir ein aͤhnliches). Bir flichen nad) Por ya und von da nad) Ferrara, wo ic maͤchtige Befhäger abe.

In Liſſabon bielten wir uns nur kutz auf. Als wir ein Paar Juwelen verkauft hatten, mietheten wir ung ein Schiff, um damit nad) Venedig zu gehen. Ich bätte mich

J

Don Cyrillo de Valaro. 185

‚gern gleich mit. meiner ſchoͤnen Eleonora trauen laffen, menn es die Sitte nit verboten hätte, weil nod fo kurze Zeit vom ihrem Bitiwenftande verfloffen war. Die barbariſche Einrichtung, rief fie, ein ganzes Jahr feiner fhönften Ju⸗ gendblätge dem Andenken eines grämlichen Alten zu opfern, den man im Leben nie geliebt hat, fol ung aber nicht lange binden, wenn wir erſt in Ferrara find. Ic babe ſchon der Herzogin von Ferrara, Lucrelia Borgia, einer Freundin mei» wer feligen Mutter, gefärieben. Sie wird bald vom Papſte Leo einen Brief haben, worin wir gegen die Nachſtellungen der Inquifition Schuß finden, und Erlaubniß befommen, uns glei zu heirathen. Solden Meinen Dienſt wird er einer italienifhen Herzogin, und der Tochter feines Vorgän« gers nicht abſchlagen.

Die Tochter ſeines Vorgängers? rief ich erſtaunt, und ſchlug die Hände zuſammen in meiner Unſchuld, id dadıte, die Pabſte dürften ſich nicht verheirathen? Meine fhöne Braut betrachtete mid ſpöttiſch, mit einem Boblgefallen, womit erfahrene Frauenzimmer oft ganz unerfabrene Jüng« linge anfehen, die in fie verliebt find ſtrich mir mit der feidenen Hand über das Gefiht und ſprach: Du biſt ein Neuling in allem, mein Cyrillo! Weißt Du denn nicht, dag man aud) natürliche Kinder befommen Tann? Aber das iſt ja eine große Sünde! rief ich treuherzig. Für An- dere, ja, antwortete fie ſchlau ablenfend; wer wagt aber den heiligen Vater mit der dreifahen Krone zu richten? Wie hieß denn ihr Vater? frug id. Alerander der Sechſte. Aber das foll ja ein Ungeheuer von einem Papfte gewefen fein. Stil, Eyrille! rief Eleonora, ge möhne Did daran, mein Freund, künftig Deine unüberleg⸗ ten Gefühle beſer in Deinem Bufen zu verbergen. Ein

186 Lebensbeſchreibung des

ſolches Wert konnte uns in Ferrara unglüclich machen. Alcrander war nicht gut, das iſt gewiß, er bat mande Mordthaten auf feinem Gewiſſen, lebte gar zu rudhles; zuletzt fiel er auch in feine eigene Schlinge und trank aus Verſehen den Giftbecher, den er für Andere bereitet batte. Bas Lann aber die unfhuldige Lucretia dafür? Unſqhul · dig? rief id; und fie foll im frevelhaften Verhältniſſe au ihrem eigenen Vater geftanden haben. So fprict der Leumund, erwiederte Eleonora; der edle Herzog Alphons bat fie zur, Gemahlin genommen; das bindet allen loſen Gerüchten den Mund; und fagt nicht felbft der große Ariofto:

Lucretia Borg a, die mit jedet Stunde

Stetd neue Schönheit, neue Tugend zahlt;

Und wächft an Ruf und Gluͤck, fo wie Die Pflanze Im lockern Erdreich wächft beim Sonnenglanze *).

IA lichte meine Eleonota fo fehr, und war in der neueften Weltgeſchichte fo wenig zu Haufe, dag ic) ihr gerne glaubte, Hätte fie auch die Lucretia Borgia zu einer Lucretia Collatina gemacht. Wie konnte idy auch anders, als ein fo hönes Weib lichen, das mein Leben gerettet hatte, und mid) mit ihrer Gegenliebe beglüdte? Der graufame Fami- Kar Hatte ſich ſterblich in fie verlicht; fle hatte verforoden,

Nach der Gries ſchen Meberfegung. Im Driginale heißt es: Lucretia Borgia, di cui d’ora in ora La beltä, la virtü, la fama onesta

Che giovin pianta in morbido terreno.

Don Eyrillo de Balaro. 187

ihm feinen Wunſch zu verfagen, wenn er mic) reiten könnte. Verblendet von Liebe zu ihr, hatte er ihr meine Juwelen

und den Schlüſſel zum Gefängniſſe gegeben, nachdem er die

Unterbedienten im entſcheidenden Augenblide entfernt hatte. Das fie ſelbſt auch entfliehen wollte, Konnte er nicht abnen. So hatte fie ihren großen Palaft, ihren guten Ruf im Stich gelaſſen, um mir zu folgen.

In Ferrara wurden wir von der herzoglichen Familie gut empfangen. Der Herzog war ein edler, freundlicher Herr, etwas ſtill und verſchloſſen, er Tiebte aber die Künfte und Wiſſenſchaften, und es machte ihm Vergnügen, feine ledigen Stunden mit Erzarbeiten und Mexallgießerei zur zubringen. Seine Gemahlin Lucretia war eine biendende Schoͤnheit geweſen, und nod, durd die Künfte der Toilette, fehr Hübfb. Sie empfing meine Elconora mit mütterliher Güte, fie ſchloſſen ſich oft mit einander ein, und hayten ſich vieles zu erzählen und zu vertrauen. Wir erwarteten indeg alle Tage das Breve vom Papſte. Ein hübſches Haus follte uns getauft werden; unfere Juwelen ſicherten uns ein Ber-

mögen, wovon wir anftändig leben konnten. So ging alles "

vortrefflich. Ich befümmerte mic um nichts, lichte meine ſchone Braut, ward von ihr, wenn au nicht fo innig, doch heftiger geliebt, und fo hing der Himmel vol Geigen. Zum Hofmanne war id) nicht geboren, das merkte ich gleich; ich Hebte die Einfamteit, und konnte nur ſprechen, wenn ich felbander mit einem Freunde war. Diefen Freund fand id) da, wo id es am wenigſten erwartet hatte. Der berühmte Dichter Arioſt war mir ein folder. .

Ich hatte mir ihn, nad den Belhreibungen meiner Eleonora, und nad den vielen rein aus zu fagen efelhaften Schmeicheleien, die er im rafenden Rolande an

188 Lebensbefhreidung des

den Kardinal Hippolit verfbwendet hatte, als einen geſchmei⸗ digen Höfling vorgeftellt, den id) nie würde leiden können. Es war mir alfo ein faurer Gang, als id auf das aus druckliche Verlangen meiner Braut ihm meine Aufwartung machen mußte. Er hatte ſich neuerlich ein Häuschen mit einem Garten in der Strage Mirafole gekauft, der Kirche St. Bencdetto gegenüber, Ic wunderte mid, daß ein Mann, der in feinem Orlando fo prächtige Palaͤſte geſchil⸗ dert habe, ein fo ſchlichtes Haus bewohne. Als ih aber die Inſchrift Über der Thüͤre las:

Klein iſrs, doch mir gerecht, auf Riemand's Koſten, Doch auch nicht Wermlich, für eigenes Geld, mard mir dad eigene Haus*).

fing meine Zucht an, etwas nachzulaſſen. IC klingelte, und dachte daran, wie id den grogen Manne ein wohl gedrechſeltes Kompliment machen follte. Der Here war aber nicht zu Haufe, und ich mußte in den Garten geben, wo id alles ſehr miedlic, fand; die Fruchtbaume und Pflanzen im ſchönſten Wachsthume, die Gänge mit Baumrinde bededt, die Blumen an gemalte Stöde gebunden. Kein Unkraut ließ ſich ſehen. Ein alter Mann war zugegen, der einige Pflanzen wäfferte, gegen diefen äußerte id; meine Zufrieden. beit, daß der Hausherr ein fo guter Gärtner fei.

Gärtner? wiederholte der Alte etwas ſpoͤttiſch, aber augleich gutherzig. Ja, wenn der alte Antonio nicht wäre, fo würde das Alles bald ein anderes Ausfehen bekommen.

*) Parva, sed apta mihi, sed nulli obnoxia, sed non Sordida, parta meo «ed tamen aere domina, °

od

Don Eyrilfo de Balaro. 18

Der gute Meffer Ludovico glaubt, es fei fo leicht, Blumen» beete umgulegen und Bäume zu pflanzen, als Verſe zu ma» en. Er ändert beftändig, und läßt fein Ding über drei Monale lang an feinem Orte. Wenn er Pflirfifchlerne oder andere Saamen geſtedt hat, fo fiebt er fo oft nad, ob fie teimen, bis er zulegt den Keim zerbroden bat, Und da er die Kräuter nicht kennt, pflegt er, ſtatt ihrer, mit großer Sorgfalt das nahe daran wuchernde Unkraut fo lange, bis er endlich, feinen Irrthum entdedt. So hatte er neulich Kapern gefäet und ging alle Tage hin, fie zu befchen, am Ende fand fi, daß das Aufgegangens Hollunder war; von den erwarteten Kapern war aber nichts zum Vorſcheine ge» Fommen, Diefe Nachricht ergößte mic) fehr und flößte mir „was vielleicht Viele wundern wird eine größere Achtung gegen den Beſitzer ein. Arioft dadıte ic, muß dod ein wah⸗ rer Dichter fein, weil er fi fo wenig um dje Defonomie des Einzelnen befümmert, und ſich fo fehr über die Blüthe der Bollendung freut, daß er darüber das Werden und die Zubereitung vergift. IH war ſelbſt in der Art: fein Menſch konnte ſich mehr über Blumen, Pflanzen und Bäume freuen, als id), wenn fie blühend daſtanden. Wie fie aber gepflegt werden follten, und wie fie alle biegen, mußte ich nit. Die Namen, dadıte ich, ind willtürliche Benennun- nen. Die Pflanzen und Bäume haben lange geblüht, ehe die Menſchen ihnen folde Namen gaben.

Es tam mir ein geiſtlich gefleideter Herr entgegen, von hoben, anſehnlichen Wuchſe. mit einer ausdrudsvollen Phys fiognomie. Das war Arioſt. Gr hatte eine breite, ge wolbte Stirn, ſchwarzes, Fraufes Haar und als er die Müge wor mir abnahm, entdedte ich cine Fleine Glate. eine

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Augenbraunen ragten hochgewolbt und fein Über tieffiegende ſchwarze, Heiterbiidende Augen. Er hatte eine Adlernafe, ſchmale Lippen, fhöne Zähne, hagre Wangen. Die Gefihte- farbe war gelbbraͤunlich und ein dünner Bart bededte fein Kinn. Er ging langfamen Schrittes und grüße mich freund» lid; als er hörte, wer ich fei, rief er: Ah, der junge Spa- nier, der ſchon fo viele Abenteuer ausgeftanden hat, der Bräutigam der fhönen Donna Eleonora! Ihr müßt heute mit mir ſpeiſen. Wenn ich nicht irre, iſt es eben Zeit, au Tiſche zu gehen.

Es ſchmeichelte mir nit wenig, gleich von dem großen Dichter zu Tiſche geladen zu werden. Er führte mi in ein fühles Speifegimmer, wo nur für Zwei gededt war, und ich mußte ihm während der Mahlzeit meine ganze Ges ſchichte erzählen, von meinen Eltern, dem äden Palaſte Golombos und meines Bruders Tod, meine Gefangenfhaft und meine Befreiung.

Er hörte mir mit großer Aufmerffamteit zu und weinte oft über mein Schickſal, aber immer fort mit großem Appetit und vergaß beinahe, etwas auf meinen Teller zu legen, um das ich mic aber nicht kümmerte, denn es freute mid mehr, den Dichter Arioft mit meinen Erzählungen zu unterhalten, als zu effen Als aber beim Ende der Mahl zeit fein Bruder Gabriel in das Zimmer trat und alle Kno⸗ hen des verehrten Geflügels auf feinem Teller fand, rief er: Nun bat er wieder in der Diftraction alles allein aufe gegeffen. Arioft madıte viele Entfhuldigungen, als er den Bock wahrnahm, den er geſchoſſen hatte, und die Köchin mußte mir gleich einen Eierkuchen mit Confituren bereiten, So ift er immer, rief der Bruder, nicht aus Gefraͤtig⸗ feit, fondern in der verfluchten Zerftreuung. IA bitte

Don Eprillo de Valaro.“ 11

um Verzeihung antwortete ih, Euer Bruder ift gar nit zerſtreut gewefen, er bat mir fehr aufmerkſam zugehört, und mir fein Mitleid während des Erzählens reichlich ger zeit. Nun; fo ift es aus lauter Aufmerffamteit geſche- ben, verfeßte der Bruder. Er ift gefund, ſeht Ihr, und fbeifl nur einmal des Tages; dann fann man ihm auch vor⸗ fegen, was man will, er ift es auf. Erinnerſt Du Dich noch, Zodovico, ald Dir der Freund Alberto Pio eine Krähe oder Eule vorfehte, die Du verzehrteft, in der Meinung, es fei ein Rebhuhn? Wie Du früh Morgens von Carpi in Pantoffeln ausgingeft, fo in Gedanken verloren, dag Du den halten Weg nady Ferrara hinter Dir Hatteft, che Du den Fehler entdedteft, und darauf, um nicht zuräd zu gehen, acht gute Meilen nad Ferrara in Pantoffeln gingeft.

Der Dichter lächelte, ich merkte aber doc, dad ihm der Spaß nicht behagte. Gabriels Scherz mar von der Laune des alten Gärtners fehr verfhieden. Iener hatte in des Herrn Abwefenbeit gebrummt, vielleicht aus Ungeduld, weil er ihm etwas verdorben hatte. Hier fpielte mehr die Eitel- keit, die die Größe des Bruders durch Traveftiren verkleis nern wollte, damit die Brüderſchaft nicht gehoben werde.

Der Dichter bat mich, ihn öfter zu beſuchen, was ich gern that, und fo gelang es mir, Kald feine Freundſchaft au gewinnen. Bir Dieter, ſprach er einmal, müſſen uns zu den jungen Leuten halten, in denen nod Saft und Kraft ift. Es geht den Aelteren wie den Spargeln und den Erbfen, fie verhärten ſich mit der Zeit, und find. zuletzt gar nicht mehr zu genießen. Ih babe mid) in Euch ganz geirrt. Meſſer Lodovico, ſprach ih. Ich meinte, Ihr würet ein Weltmann, ein Polititer, fein und geſchmeidig

1% Lebensbefhreibung des

wie ein Damenhandihub, und nun finde id einem treu, berzigen Priefter, der Mill für ſich im feiner Klauſe lebt. Nun, mit dem Prieſterthume, antwortete er, iſt es nicht weit ber; freilich leide ich mid als Priefter, und geniege durd die Borforge des Kardinals Hippolit einige Pfründen, die beſſer wären, wenn id) mic) die höhere Weihe zu neh men häfte entſchliegen fönnen. Weil ih aber die Freiheit liebe, und das Recht, mid zu verheirathen, nicht aufgeben wollte, ift es nie geſchehen. Ihr feid ja aber doc nicht ver« heirathet, fagte ih. Nun, fo habe id wenigftens Erlaub⸗ nig, es zu thun, wenn ich will, und das ift die Hauptfache. Barum babt Ihr es denn nicht gethan? Beil ih fürdtete, es Tönne mir einmal aud) ein folder Becher ge« reiht werden, wie Rolanden vom Burgherrn im drei und vierzigften Gefange. Ihr wißt ja wohl? Dreiundvier- sig, antwortete ich ftotternd, id) habe nur mit dem größten Vergnügen die erften zwanzig Gefünge gelefen, aber da kommt nichts darin vom Beder vor. Meine Braut bat mir ein Eremplar Eures Orlando geſchenkt in Spanien in meiner Einſamkeit war es mir nod nicht zur Hand ges kommen, und auf der fünellen Reife Nun, was braucht Ihr mir dafür Rechenſchaft abzulegen, rief Arioft, keine menſchliche Macht kann Euch dazu zwingen, meinen tafenden Roland zu leſen. Aber eine göttliche, ſprach id, die Macht des Gefanges ſelber; wenn, wie gefagt, nicht "die Zerftrenungen Ihr fürchtet vieleicht, rief der Dichter lachend, den Faden der Geſchichte zu verlieren? Aber feht, mein junger Freund, deshalb habe ih chen den Plan fo loder und loſe angelegt, daß eigentlich gar fein rechter Fa⸗ den darin ift, und dag man überall anfangen kann. Wenig tens geht der Faden nur in die Ereuz und quer, wie der

Don EhHrillo. de Balaro. 193

Zwirn der Ariadne im Labprinth. Luſtige, verliebte, felt- fame Abenteuer, nur durch Blumenketten zufammen gefloch« ten. Dadurd habe ich aber den Beitgefhmad getroffen. Gewißz, rief ih, das Gerät fagt, Euer Gedicht habe ſo ſeht dem Volksgeſchmade zugefagt, dag es fogar in die ita- Tienifchen Räuberhoͤhlen gedrungen fei. Allein zwei Räthfel werdet Ihr mir erklären und löfen. Wie war es möglich, dag der Kardinal Hippolit, der Euer großer Gönner: und Freund war, als er den Roland gelefen hatte, fagen fonnte: Aber, mein lieber Meifter Ludwig, wie haft Du dod alle die Narrenspoffen zufammenreimen tönnen? Uud wie mar es möglid, daß ein folder Mäcen der ſchönen Künfte fei- nem natürlihen Bruder aus Eiferſucht die Augen ausreigen Laffen konnte? Die Antwort liegt in Eurer Trage fel- ber: Wäre Hippolits Herz weich und offen genug für die Dichtkunſt gewefen, fo hätte er feine ſolche Graufamteit be⸗- ‚sehen Eünnen. Wie folte aber der mit einem armen Poeten glimpflic verfahren, der feinen eigenen Bruder fo behan- deite. Und doc, ſprach ic, habt Ihr mit ihm fehr lange gelebt, und ihn in Eurem Gedichte entfeplih gerühmt. Gar zu viel, antwortete Arioft und flug die großen Augen nieder, die auf einige Augenblice ihre Heiterkeit verloren. Jeder Menſch hat feinen Wurm Die Italiener und die Dichter übertreiben gern ihre Lobeserhebungen, und ic ge- böre beiden Nationen an. Hippolit hat mid, viele Jabre bindurch unterügt und gelohnt; immer etwas farg zwar, ich lebte aber doch bei ihm und teilte alle die Bergnügun- gen des Hofes. Iene Miſſethat war viele Jahre ein Ge⸗ beimnig. Jugend und Eiferſucht haben oft ein heftiges Herz zum augenblidlihen Frevel verleitet, das fih nachher gebeffert. Hippolit betrug ſich in fpätern Jahren mit Anftand Dehlenſ. Scheiften. XVII 13

1% Lebensbeſchreibung des

und Grazie. Er -war fein fhöner Geift, liebte mich als Geſellſchafter, nicht als Dichter. Die Dichtkunſt betrachtete er- als etwas Untergeordnetes zum blohen Vergnügen. Jetzt habt Ihr es alfo weit beffer, Mefler Lodovico, ſprach ic, beim ruhigen, heitern Alphonſo, der große Künftler und Dichter über alles ehrt umd licht. Aber fagt mir dad, un- ter uns, wie hat Alphonſo die Lucretia Borgia zur Frau nehmen fönnen? Alphonfo ift und bleibt edel, antwortete Arioft. Als der graufame Cäfar Borgia in Italien mü- thete, hätte dieſer giftige Drache ſich auch gegen Ferrara gekehrt, wenn nicht Lucretia im hoͤchſten Grade ihrer felt- nen Schönheit eine heftige Liebe für Alphonſo gefagt hätte. Durch diefe Heitath hat er fein Leben gerettet, und von ſei⸗ ner ftillen, männlichen Größe bezwungen, bat fi auch Lu⸗ cretia gebeſſert. So ift denn alles jegt gut und vor« trefflich, rief ich. Der Herzog ift glüdlih, Ihr feid glüd- lich. und ich werde auch bald glüdlid fein. Ich nenne mic glücklich, ſprach Arioft, weil ih gefund bin, ih muß mich aber immer noch ziemlich tnapp durchſchlagen, und habe eine große Familie zu unterhalten. Alles waͤre noch recht ſchon wenn man uns unfer Erbgut Bagnolo liege. Allein weitläufige Prozeffe, erft mit den Minoriten und dann mit der berzoglihen Kammer, verbittern mir manche ſchöne Tage des Lebens. Befonders jest, da Alphonfo Trotto, ein ver- unglüdter Poet, herzoglicher Factor und Gurator des Fis- tus, mein Feind if. Er ift wie tol, fobald die Nede von mir iſt. Sonft in feinen Geſchaͤften war er vorher ein ganz ordentlicher Mann; er hat aber jet die fire Idee, alles in der Poeſie beffer, oder wenigftens eben fo gut, als ih. ma- hen au wollen. Schreibe ih eine Komödie, fo macht er auch eine, dichte ich einen rafenden Roland, fo macht er

Don Eyrillo de Balaro. 195

einen vernünftigen dito. Man lacht ihn aus, und ih würde” auch laden, wenn der verdammte Kerl nicht durch Zufall

in ein Berbältnig gekommen wäre, wo er mir fhaden kann,

und mo id von ihm abhänge. Gin Wort des Herzogs

Tönnte den ganzen Streit endigen, id harre aber vergeblich

auf das Wort. Ein Jahr vergeht nad dem andern, ic)

werde jedesmal ein Jahr älter, die Haare fallen mir immer

mehr aus, und die Glatze wird immer größer.

Dann muß man fie mit Lorbeeren bededen! ſprach die ſchone Alelandra Strogzi, des Dichters Freundin, (und, wie mehrere meinten, feine heimliche Gemahlin) die chen’ aus dem Garten bereintrat und ihm einen friſchen, breiten Kranz um die Schläfe drüdte. Nun feht Ihr noch aus, wie ein vierundzwanzigjähriger Züngling. Ach, liebe Frau, fagte ich, gäbe Gott, dag wir vierundzwanzigjährige Jünglinge fo ausfähen. Damit nahm id) Abſchied, um die Lieben- den nicht zu flören, und um meiner eigenen Liebe et sehen.

Es vergingen faum drei Wochen, fo machte mid die She zum gluͤcklichſten Menſchen. Die Herzogin machte ſelbſt unfere Hochzeit auf einem feinen Luſtſchloſſe.

Eines Abends Tuftwandelte id) mit meiner jungen Frau, um die Nachtigallen zu hören: Das füge Getön lockte ung ümmer tiefer in den Wald hinein. Eleonore war eine au« Berordentlidye Liebhaberin von Nachtigallen, und es liegen fi) Heute Abend vier auf einmal hören, die einander ganz _ ordentlich) ablöften, und ftärker als gewoöͤhnlich ſchlugen. Zus legt waren wir ihnen ganz nahe und fürcteten, die kleinen,

- furdtfamen Sänger mit unferm Geräuſch zu efüreem und

1% Lebensbeſchreibung des

megzufceuden. Cie liegen ſich aber gar nicht irre machen und frillerten immer befler und beffer. Wie erſchraten wir aber nicht, als wir die Augen aufſchlugen, und ftatt Heiner, grauer Vögel, vier Kerle in den Bäumen fahen, mit Schnurt- bärten, in rothen Jädchen, ‘und mit Slinten in den Hän- den, womit fie auf ung zielten. Meine Frau fiel in Ohne macht. Mehrere Näuber fprangen aus dem Gebäfd,. ber maͤchtigteu ſich ihrer und zogen mit ihr fort, während die Nachtigallen mit fürdterlihen Bapftimmen mir befahlen, feinen Echritt weiter zu thun, fie mürden mid, fonft gleich auf der Stelle todtſchießen. IA war unbewaffnet, und eis ner gegen fo viele, was konnte ich anders thun, als gehorchen.

Als die Andern weit genug mit der Armen fort wa · ren, gaben mir die Räuber ein Zeichen, dag ich aud gehen könne. Ich gehorchte, und als ich einige Schritte gethan, hörte ich ein fernes Pferdegetrappel, woran ich dann wahr nahm, daß fih das Raubgeſindel mit der fhönen Beute weit genug wegbrgeben hatte, um nicht eingeholt zu werden.

An boͤchſter Verzweifelung und in Thränen gebader, begegnete ich dem Dichter Arioft, der meine Erzählung ziem- lid) gelaffen und mit einer Art von Zerſtteutheit hörte; als ich ihm aber eine Schilderung von den koloſſalen Nach- tigallen machte, brach er in ein lautes Gelähter aus. Sein.Spaß brachte mi in Zorn gegen ihn, ic) fhalt ihn ein kaltes Herz, einen egoiſtiſchen Menſchen, der, in feinem eigenen, eitlen Träumercien verfunfen, für das Scidfal fei- nes Nächten fein Gefühl übrig habe. Darauf wollte ich ihn verlaffen. Er griff mid beim Aermel und fragte, wo ich Hin wolle? Zum Herzoge, rief id. Er ift nicht zu Haufe, antmortete er mir. Zur Herzogin, zur Freun⸗

Don Cyrillo de Valaro. 197

din meiner Geliebten. Bleibt bei mir, ſprach er, das ift deffer. Die Herzogin würde gar zu viel weinen. Ich weine freilich nicht mit ud, babe vieleicht mehr als billig gelacht; Ihr Habt mich aber beleidigt, garflig ausgeſcholten und ich fordere Satisfaction. Bern! rief ic, und 303 gleich vom Leder. Das Leben hat für mic keinen Werth mehr, Ich hin glei) fertig. Ich nicht, erwiederte er fehr ru- Big; ich muß erft einen Degen holen, denn wir geiſtlichen Leute gehen, wie Ihr miflet, unbewaffnet einher. Auch brauchte ich mid) eigentlich als Weltgeiftliher nicht mit Euch zu ſchla⸗ gen; wenn ich es thue. fo geſchieht es blos aus Freundſchaft. um Euch damit ein Vergnügen zu machen. Sein forte gefepter Scherz erhitterte mich nicht mehr, aus feiner beitern Ironie dämmerte vielmehr ein geheimer Tron für mid), den ich begierig zu willen verlangte.

Darauf erzählte er mir, wie fih in der Garfagnana, einer dem Herzoge zugehörigen Provinz, zwiſchen Modena, " Lucca und Maffa, von hohen Gebtrgen durchſchnitten, meb- rere Näuberbanden gebildet hätten, als ſich das Land unter der Gewalt des Papftes befand. Mord. Gewalt, Lift und Raub gehörten, als der abfheulihe Cäfar Borgia wüthete, zur Tagesordnung. Im der legten Zeit hatte fih aber ein Haufen VBagabunden aus guten Häufern, die ſelbſt alles verloren haben, verbunden, blos um bedeutende Beute meg« zuſchnabben und gegen ein gutes Löfegeld wieder auszulie- fern, weldes aber zu beftimmter Zeit prompt bezahlt wer- den müſſe, wenn die Räuber nicht aus Race die Gefange- nen hinrichten follten, worauf fie einen grägligen Eidſchwur gethan hätten.

Bas mir Arioß ſagte, defätigte ih noch den ſelbigen

198 Lebensbeſchreibung des

Abend, als mir ein Zettel folgenden Inhalts, mit Bleifift gefchrieben, zum Fenſter bereingewvorfen wurde:

„Benn Den Cyrilo de Valaro binnen Monatefrift feine und feiner Frau Juwelen in den hohlen Baum im Walde hinlegt, wo er die Nachtigallen mit Scnurrbärten ſchlagen hörte, befümmt er gleich feine Frau Eleonora ge⸗ fund und unbefhädigt wieder, mo nicht, wird er ihren Leid- nam mit einem Dolde in der Bruft unter dem Baume finden.“

Ach rief ich entzädt, als Arioft eben zu mir hereintrat, ich bekomme fie wieder! Die Bagabunden mollen nur arm⸗ felige Edelſteine haben, auf den herrlicften, Ichendigen Ju⸗ wel, den fie ſchon befigen, verſtehen fie fid nicht, willen fie keinen Preis zu feßen. Keinen Preis? wiederholte der Dichter der nun den Zettel gelefen hatte, nun beim Badus, mic) dünkt, der Preis iſt bod) genug. Und wovon wollt Ihr mit Eurer unfhägharen Frau fünftig Ieben, wenn Euer “Vermögen dahin it? Der Herzog wird mir, durch Ber- mittelung der Herzogin, einen Heinen Poften geben, ant- wortete id, wovon wir leben Finnen. Baut nit darauf, antwortete der Dichter; der Herzog bat aud nice viel feloR die Landeskinder, Die ausgezeichnetſten Leute, die er liebt und fhäpt, und die tägli um ihn find, befommen wenig. Mir, zum Beifpiel, hat man neulich ein Stipendium zu zahlen aufgehört, welches ich ſchon während des Krieges fehr unordentlich befam, weil fein Geld in der Kaffe ift.— Es fing mir an, heiß um die Obren zu werden; Ariofto verfegte aber ernft: Ich will Euch nicht entmuthigen, Cy⸗ rillo, aber auch nicht mit unzeitigen Hoffnungen zu früh be» rubigen. Ich mit Euch ſchlicht hin meinen Plan mittheilen:

Don Eyrillo de Valaro. 40

Ihr nehmt die Juwelen mit Euch, ich verfaffe ein klei⸗ nes Gedicht, fo begeben wir ung beide nach der Garfagnana, und beſuchen iu der Nacht die Räuberhöhle, wohin uns die Wachen der Vagabunden bringen werden, wenn wir ung als Leute anmelden, die den Domenico Morotto zu ſprechen wünſchen. Vielleicht trau ich zu viel auf ihre Grofmutb; fo viel weiß ich aber, daß noch oft ein Funken von Große muth da nod) in der Aſche glimmt, wo Gerechtigkeit und Billigkeit (don lange verlofhen find.

Ihr Habt mir felbft erzählt, dag mein Name in Italien fogar bei den Näubern etwas gelte. Iept wollen wir die Probe machen! Sollte ich mit einer langen Nafe davon sehen, fo habe ich Euch dody meinen guten Willen gezeigt, und wenn Ihr den Näubern die Jumelen bringt, bekommt Ihr allenfalls gewiß Eure Frau wieder.

Edelmũthiger Mann, rief id), das ift zu viel; fie were den ſich Eurer eigenen Perfon bemädtigen, um ganz Italien in Gontribution zu fegen. Das thun fie nicht, wenn id) freiwillig komme, ſprach Arioft. Wie die Beduinen der ara biſchen Wüſte, werden fie die Gaſtfreiheit nicht verlegen, und dem Manne fein Leides thun, der ſich zuverſichtlich ihrer Schwelle naht, .

3% danfte Gott, der mir diefen trefilihen Mann zum Freunde gegeben, nahm unf®n ganzen Schaß und reifte mit Arioft nady der Garfagnana, wo wir Nachts eintrafen und

uns gleich in die wilde Gebirgsgegend binauswagten. Wir riefen jeßt, als wir nach des Dichters Meinung in der Näbe der Räuberhöhfe waren, fo oft Domenico Morotto, bis ung feine Borpoften ergriffen und ung mit verbundenen Augen in die Höhle führten.

208 Lebensbefhreibung des

Nie vergeffe ich den Augenblid, als wir in der Zelfen- "halle ftanden und uns die Binde von den Augen geriffen wurde, x Erſt wo mir hineintraten, in einer Art von Borzim- mer, lief ein Waldbäclein leiſe fäufelnd durch die Kluft, mährend der Mond droben durch eine Rige feinen langen, blagblauen Strahl ſchräge durch die Dämmerung warf. Drinnen rundete fi ein großer Raum, mie ein Tempel, von rothhrennenden Fadeln zum Theil erleuchtet. Die Bände waren präctig mit töſtliden Sachen, Waffen, Klei⸗ dern von Sammet und Eeide, Boldgefhmeiden und Silber⸗ sefhirren ausftaffirt. Mitten im Zimmer fand cin mar⸗ morner Tiſch, und um diefe Tafelrunde fagen die Räuber ſchoͤn gruppirt, ohne daß fie es mußten, denn fie hatten ſich in verſchiedenen Stellungen nadylägig hingeworfen, um ihren Anführer Domenico Morotto zu hören, der ihnen laut aus einem großen Bude vorlae, Die Räuber waren alle fehr aufmerffam, und fein Bild von Garavaggio Fünnte beffer fein. Schöne, ſchlaue laͤchelnde, wolläftige, zum Theil wilde Geſichter, glatt und jugendlich, mit Meinen Schnurrbärten, theils mit Zederhüten, teils mit bloßen Krausföpfen, halb im bellften Licht, halb in den dunkelſten Schatten phanta» ſtiſch geftellt. Zur Seite dom Häuptlinge Morotto, deifen wohlgeftalteter Körper dem Bildhauer zum Modelle eines Kriegsgottes trefflic hätte Dielen können, faß meine Eleo- nora de Sylva ganz gelaffen, als idealifhe Bäuerin ge⸗ Mleidet, ein lichtrothes Netz über die blonden Haare, die wei, gen Arme und Hände im vortheilhafteften Lichte, bei einer Handarbeit, wie Penelope bei den Freiern in Ulyſſes Ab⸗ weſenhelt. Sie hörte dem Moretto zu mit zufricdener Aufmertfamteit, und ſchien mit Ihrer Arbeit fehr befhäftige,

Don Eyrillo de Balaro. a1

mäbrend ihre Augen doc oft, mie in Gedanken vertieft, auf den vollendeten Umriſſen feines Körpers ruheten. Wenn er mitunter aufblidte und fie anfab, midte fie ihm lü- hend zu.

Bas fol die arme Frau thun, dachte ih. Sie it wobl genöthigt, gute Miene zu machen, und mit Jädelndem Gefichte in den fauern Apfel zu beißen.

Als wir näher kamen, hörte ich deutlich, dag aus dem ‚rafenden Roland von Arioſto vorgelefen wurde. Cs war im zwölften Gefange, wo Noland vor Paris ſich ganz al- fein mit den wilden Saracenen fohlägt.

Ha, Bravo! Arioſto, Braviſſimo! tönte cs von allen Seiten her. Ein göttliger Kerl! Ein wahrer Port, ſprach Einer; er ſchildert Euch die Männer chen fo tapfer und kühn, als die Weiber verlicht und reizend! Er hat aud) ſelbſt das Pulver gerohen, fagte ein Zweiter, den Vene tianern ein Schiff auf dem Po genommen. Ich wünſchte ihn zu ſehen, rief ein Dritter. Moͤchte ihm gern einen Gefallen tun, wollte ihm meine beſten Piftolen geben, rief ein Bierter. Hier ift er, forad der Fünfte, der ung meldete; er toͤmmt mit dem Gatten der ſchönen Eleonora, um fie loszufaufen.

Die Räuber fprangen alle von ihren Sitzen auf, als ob cine Geiftererfheinung fie in Erftaunen fege. Diefen Augenblic benutzte der Dichter, und mid bei der Hand nehmend, trat er hervor und ſprach laut und vernehmlich

«folgende Worte:

202

Lebensbefgreibung des

Ihr Männer, die Ihr mit zu fühnem Etreben Die Heldenzeit zurück zu rufen denkt,

Nur Ubenteuer achtend, nicht Dad Leben,

Durch Site’ und durch Befeg Euch zu befchänft; Freiwillig hab’ ich mich hieher begeben,

Nach wilden Wäldern meinen Gchritt gelenft. Auf Cure Großmuth darf ich ruhig bauen

And hoffend Euch in die Geſichter (hauen.

Denn wenn auch gar au fühn, gar gu verwegen, Ihr mandı Berpältni freventlich verlegt,

Habt Ior Doch nimmer Euren Heldendegen

Je gegen ded Anſchuid gen Bruft gewept.

An Mord und Blut it es Guch nicht gelegen, In Graufamteit Ihr keine Ehre ſebt.

Die meinen hier aus edlem Blut entfproffen, Gläsritter ſind s und tapfre Kriegägenoflen.

Richt wie ein Tumpiges Geſindel fchleihen Sich Eure Banden furchtſam durch die Nacht; I} dent: Ihr nehmt es auf bald mit den Beichen,

> Denn in der Höhle feh" ich große Pracht.

‚Hier daͤmmerts nicht, hier riecht es nicht nach Beiden; Ihr Habt den Iuft'gen Wruderbund gemacht.

Goldtetten feh" ich, ſilberue Piftolen,

Und Diamanten auf den Terzerolen.

Bie junge Adler fchirmen ihre Beute Im hohen Met, in breiter Eichen Laut, . Seh” ich nur lauter junge, feifche Leute Im Felſen Reli ſich lagernd um den Raub.

Don Eyrillo de Valaro. 203

Ihr Hört des Dichters Sied zuerſt nicht heute, Seid nicht für den Gefang der Mufe taub. Vernehmt denn, was fie bittet! Darf fie's wagen, Und werdet Ihr Die Witt’ ihr wohl verfagen?

Ihr Hab in dem Orlando gern gelefen,

Wie ih Meder, Angelita gelicht;

‚Bier in der Höhle ſeufzt ein ähnlich Weſen . Das durch Gefangenschaft Ihr ſehr betrübt.

Cie hat ſich den Geliebten auseriefen,

Der für die Braut fein Gold, fein Mes giebt; Doc wer fol dann bie fchöne Blume pflegen?

Auf nadtem Stein verweltt fie, ohne Regen:

Er Reht Hier mit dem Echap, ich mit dem Borte, Die dreifte Bette Hab’ ich fühn gemagt: Vertrauend, fprach ich, wandl’ ich nach dem Orte, Und bringe fle zurück noch eh’ es tagt.

3% wage mich nicht nach dem Drachendorie,

Der giftig auf dem Gold fich felber plagt.

Richt alle Räuber fpotten aller Pflichten:

Sie fchägen noch das Beben und das Dichten.

Sie laſen Arioſtos Abentener

Vom ſchoͤnen Mädchen, nackt am Pfahl gebunden; Doch mit dem Kraken, mit Dem Ungeheuer, Gefühllos haben fie fich nicht verbunden.

Auch ſelbſt Das Leben Fauft man oft zu theuer!

Bas ift der fchöne Leib, wenn er geſchunden?

©o ſchentt dem Mann denn feine Gattin wieder, Damit besahlt Ihr reichlich meine Lieder.

204 Lebensbefhreibung des

Ine wünfchtet oft, den Dichter ſetſt zu fehen, Wodlan, Ihr alle gleich ihn kennen follt; Den Meiofto feht Ihr vor Euch ichen,

Es freut ihm, Daß Ihr feinem Liede hold! Son er von dannen wieder fröhlich gehen, So ‚gebt dem Mann die Gattin, nehmt kein Gold, And zeigt, Daß wahr in Euch der Dichter (chaute, Der feloR Hei Mäubern noch auf Broßmuth baute! =

Brandy’ ich hinzuzufügen, welche Wirkung diefes Lied, im glücklichſten Augenblide recitirt, auf die phantaſtiſchen, eitlen Gemütber machte? Ein allgemeiner Beifall ertönte noch lauter, als vorher. Alle drängten fih Hinzu, um den geliebten Dichter zu fehen, um feine Hand zu drüden. Ich betam gleich meine Frau zurück die nicht fo vergnügt (bien, als ich es geglaubt hatte, ohnerachtet fie zu wiederholten Malen mir die Freude verfiherte.

Damit der Eidſchwur der Räuber, keinen Gefangenen ohne Löfegeld heraus zu geben, nicht gebrochen werde, mußte id) dem Domenico Morotto die Edelfteine geben, der fie aber gleich wieder mit ritterlichem Anftande meiner Frau ſchenkte, mit der Verfiherung, es freue ihn fehr, bei dieſem Zufalle den großen Arioft kennen zu Iernen, und iym einen Dienft zu ergeigen.

. Drauf lieg er köſtlichen Wein und kalte Pafteten brin- gen. Nach geendeter Mahlzeit entlich uns der Häuptling ſehr höflich. Wir wurden wieder mit zugebundenen Augen von zwei Waͤchtern weggeführt, die uns auf der Heerſtraße

Don Eyrillo de Balaro. 205

verließen, wo wir mit einer Geſellſchaft junger, lachender Menſchen zufammen trafen.“

Bir erſchraten anfangs etwas und fürdteten, dag wir aus der Scylla in die Charybdis gefallen fein möchten, denn diefe Leute fahen wahrhaftig eben fo verdächtig aus, als die, welche wir eben verlaflen Hatten, ja nod) ärger.

Kaum aber hörte Arioft fie ſprechen und fah ihnen recht in die Gefichter, fo kannte er fie alle gleich, ſchlug erftaunt die Hände zufammen und rief: Träum’ ich? Oder find alle edlen Jünglinge aus Ferara jeht Bagabunden gemorden? Das verfteht ſich antwortete Pietro Benbo, der aͤlteſte von ihnen, der einen prächtigen Palaft in der Etadt befag. Bas thut man nicht den Mufen zu Gefallen, und um ein fdhönes Lied von Italiens größtem Dichter zu bekommen.

Wir begriffen noch nicht, was er damit fagen wollte. Als Arioft aber feinen Bruder Gabriel mit im Gefolge ent- dedtte, begriff er wohl, dag man einen Schwant vorhatte, erzählte ihnen fein Abenteuer und den Erfolg davon, und bat, ihn jept aud in ihr Gebeimnig einzuweihen

Ihr feid zu einem zweiten Triumphe gekommen, götte licher Mann! rief Pietro Bembe. Denn wie eben Euer großes Verdienft felbft von Raubern gewürdigt ward, fo ſollt Ihr jegt Zeuge von der Beſchämung, der Anmagung und der eitlen Thorbeit fein.

Jetzt erfuhren wir, daß die ganze Masterade dem Fat- tor Alphonfo Trotto zu Ehren angeftellt war. Diefer mun« derliche Menſch hatte kaum ausfpienirt, daß Ariofto zu den Räubern in der Garfagnana gehen wollte, um fie in einem

206 Lebenshefhreibung des

Gedichte um die Freilaffung der ſchönen Eleonora ohne Li- fegeld zu bitten, als er beſchloß, dem Dichter zuvorzutom⸗ men, und es felbf zu thun. (Einige Freunde, denen er feir nen Vorfag mittheilte, erſchralen. In folder Verlegenheit wendeten fie ſich an andere ihrer Zreunde, die aber nicht die feinen waren, und fo wurde denn diefe Komödie veran- ſtaltet. Borftellungen, das wußte man voraus, würden beim Trotto nichts helfen, denn einem vernünftigen Grunde hatte er immer hundert Spipfindigkeiten entgegen zu fellen. Wenn fie aber fein Leben retteten, meinten fie, hätten fie auch die Erlaubnig, fi mit feiner Narrheit etwas zu Gute zu thun.

Die jungen Leute verfleideten fih alfo als Räuber. Die alte Haushälterin des Alphonfo Trotto ward mit in’e Geheimuig hineingezogen. Diefe Zanthippe, die ihr einziges Vergnügen darein ſehte, mit ihrem Hausberrn zu zanken, that gern, mas man von ihr verlangte. Sie lich ſich gern dazu überreden, die fhöne Eleonora vorzuftellen, und ging verfpleiert mit, um den Knoten der Kataftrophe zu rechter Zeit mit dem Barbiermefler ihrer Zunge zu durchſchneiden.

Es däuerte nicht lange, fo fahen wir Alphonſo Trotto, von zwei Bedienten gefolgt, an deren gefährlichen Arms und Kopfbewegungen wir deutlich merkten, daß fie ihm noch von dem gefaͤhrlichen Schritte abriethen. Er ließ fie aber zurück geben, und fehr emfig und unerfhroden madelte der magere, dünnbeinige Faktor ung entgegen, mit einem Del- zeige in der Hand, und die Beinen, nihtsfagenden Augen weit aufgefperrt, um uns Ehrfurdt einzuflögen. Er hatte ſelbſt eine blanke Trompete an der Seite hängen, worein er alle Augenblide ſtieß, um fih als Friedensherold anzu: Fündigen. Als cr uns auf Schußweite nahe gefommen, ver»

Don Eyrillo de Balaro. 207

Iangte er Gehör. Die wurde ihm ſogleich zugeftanden, morauf er aus der Rodtafche ein Panier, aus der Hofenta- ſche eine Brille zog. Darauf räufperte er ſich, und las, ftotternd und oft die Worte wiederholend, folgende Etanzen:

Ihr Sünder, die Ihr wohl verdient ju hangen,

3a, ſelbſt zu radebrechen nicht zu gut!

Freiwitig bin ich heut hinausgegangen,

Ihe Seht, es mangelt Zeotto'n nicht an Muth.

Zwar ſteyt mach Euch mir Hera nicht, noch Verlangen, Bielleicht vergießt Ihr noch mein edles Blut.

Doch, Seutchen, nein! das werdet Ihr wohl laſen. Mit geoßen Heren if ed nicht gut au ſpaden

Ihe Habt begangen viele Miflethaten,

Und werdet deshalb auf der Folter fchroigen,

Denn wollet Ihr die Frevel nicht verrathen,

Bleibt das Beheimniß in der Kehl' Euch figen,

So willen wir, verhärtete Krabaten,

Den Bauch mit dem Geheimniß aufjurigen.

Dann werden wir julept den Trot wohl ſchwächen. x Doch jeto wi ich von was Anderm fprechen!

Mlfo: Ihr Habt dem Mann die Frau geſtohlen. Schamt Euch, gebt ihm die Gattin gleich zurück. Ich tomme felber her, fie abzuholen,

So liefert fie heraus im Augenblick.

Es brennen unter'n Füßen mir Die Sohlen,

Ich aittee vor der Zrefflichen @eichie.

I Hoffe doch, Ihr Habt ihr nichts entwendet, nd bin deöhalb gerichtlich ausgefender.

Lehensbefhreibung des

I will Such Hac and der Moral beweifen,

Ihr Habt fein Secht, des Maubed zu genießen, . Denn Jeder hämmern muß fein eignes Gifen, Und Jeder mit der eignen Zlinte (chießen.

Gin Dieb nur jeigt fich fecch in fremden Kreifen. Und pflüct die Blumen, die für Andre fpriehen. Bas wolt Ihr? Seid Ihe wide Infulaner?

Seid Ihr Tuneſen? Ccid Ihr Maroccaner?

Ein Neimihmid Hat ſich thorich unternommen,

Mit Werfen, falfchen Reden Guch zu fchmeicheln ; Doc) ich bin als Juriſt Heransgetommen,

Und wi ald Hund Euch nicht wie Hunde freicheln. Zwar fühl ich mich im Walde fehe beflommen,

o grimm’ge Thiere leben nur von Gicheln.

Zu Zauben fprech ich hier, nicht zu Juriſten!

And lieber Bott im Himmel kaum au Chriſten.

Wenn Ihr mich fenntet, tenntet meine Gabe, Und meine Renntniß und Gelehrfamteit: Ich ſprach lateiniſch ſchon ald Kleiner Anabe, Und von dem Griechiſchen war gar nicht weit, In Nebenflunden ich gedichtet Habe,

Doch machte ſich mein Genius nicht breit,

3% konnte wohl auch einen Roland machen Noch jebo fprechen wir von andern Sachen.

Gebt Ihr zurůck die Frau mir, ohne Schande, Und Habt Ipr feeventlich ihr nichts geihan, &o reit’ ich Euch drei Brüder aus der Bande, Die ſonſt zum legten Mal die Sonne fahn.

Don Cyrillo de Balaro. 209

7 Geht friedlich dann mit ihnen aus dem Lande, Ihr dürft Euch nimmer unfrer Bränge nah. "Den Venetianern Fonnt Ihr frei begegnen! Da raubt nur und der Himmel wird Euch fegnen!

Als Alphonſo Trotto fertig war, rief Pietro Bembo mit verftellter Stimme: Beim Jupiter, ein gar ſchönes Lied! Beſſere Stanzen Lönnte ſelbſt Arioft an feinem Ambofe nicht ſchmieden. Das follte ich meinen, ſprach Alphonſo ſtolz. In meinen Stanzen findet Ihr nichts von Schmei- “helei, nichts von Schwärmerei, nichts von phantaſtiſchen Bildern. Id ſpreche zu der Vernunft, und damit Baſta.

Und dann diefe Humanität, diefe Vaterlandsliebe, rief Giambattifta, die es mit unfern Nachbarn, den Venetia- nern, fo gut meint, Und der fiomme, gottesfürdtige Wunſch zum Schluß, rief Pietro Bembo, hat mir vorzüg- lich gefallen. Wahrbaftig, ich fehe nicht ein, daß uns ete was anders zu thun übrig bleibt, als ihm die Schöne aus- auliefern. Ich habe einen andern Vorſchlag, rief Ga— briel Arioft mit roher Bapftimme: Ich finde in diefen er- bärmlihen Reimen nichts als den unverfhämteften Düntel, und meine vielmehr, dag wir dem Schurken den Bauch aufe rigen follen, wie er zu thun uns gedrohet hat, und ihn dann an einen der nächften Bäume aufhängen. Sollte das das Beffere fein? frug Pietro Bembo bedenflih. Im es ift wohl möglich. Man kann eine Sade von verfhie- denen Geſichtspunkten anfehen, und meint die Mebrheit, daß er billigerweife bangen foll, fo will ich nicht fo unbeſcheiden fein, einer ganzen werthen Geſellſchaft zu mberforeden,

Schlenf. Schriften. XVIIL.

210 Lebensbefhreibung des

Iept entftand ein Etreit, zu dem Alphonſo Trotto ſchwerlich ein ruhiger Zuhörer fein konnte, obſchon er ſich mit mehr Faſſung dabei benahm, als wir es von ihm er- wartet hatten. Einige wollten ihn hängen und ihm den Bau) aufrigen, Andere wollten ihn mit Lorbeeren frönen und die Schöne ausliefern. Man fing (hen an, den Kranz zu flehten, und an dem Strid eine Schleife zu machen. Endlich firgte die freundliche Partei, und die alte Haus— hälterin, die wie eine Hyäne auf den Raub hinter dem Schleier lauerte, wurde ihm als Donna Eleonora zugeführt, worauf wir fie beide verliegen, uns aber nur fo weit ent fernten, dag wir hinter den Büfhen das Schelten und Ban» ten der beiden Hausgenoffen hören konnten, als er die Wahrheit entdedte. Alpbonfo war fehr aufgebracht, aber die alte Kanthippe noch mehr. Hab’ id mein Tag fo etwas geſehen, rief fie, der alte Geck läuft hinaus, ſich von Räur bern ſchlachten zu laſſen, um junge Frauenzimmer von zwei⸗ deutigem Rufe im Walde zu befreien. Habt Ihr nicht mid ohne allen Riſiko ſchon zu Haufe? Bin ih Euch etwa zu alt jegt? In alten Tagen war ich Euch jung genug. Sage mir nur, ‚fage mir nur, meine Siebe, befie Nebekta, ftammelte der Faktor vol Wuth, wer die Unmenfchen wa⸗ ren, die mid fo verhößnt haben, dann wil id Dir Deine ganze infame, niederträdtige Treufofigkeit von Herzen ver- zeiben. Lauter Freunde, Fauter Beſchüher, Pbllofophen und weltweife Sofrateffe waren es, tief fie, die Euch Har- letin eine Lehre geben wollten. Lauter Wohlthäter, die Euer nicptsrwürdiges Leben gerettet! Glaubt Ihr, daß wirkliche Räuber ſolche Schimpfworte ungeahndet gehört. hätten, ohne Euch lebendig in fiedendem Del zu kochen? Dantt Ihr Gott und der heiligen Jungfrau, dag Alee fe gut abge

Don Eyrillo de Balaro. a1

laufen ift. Jetzt feid Ihr freilich zum Gelächter der gan- zen Stadt geworden; aber das waret Ihr ja ſchon vorher; Ihr habt alfo nichts eingebüßt, fondern vielmehr gewonnen. Verdammter Arioft, ſchnaubte Alphonſo, verdammter Verſemacher, das iſt wieder einer von Deinen Streichen. Mehr hörten wir nicht; denn die Alte, die fi) an ihn wie ein Blutigel gehängt hatte, zog ihn fort und verſchwand mit ihm hinter den Bäumen.

Ich war jet wieder im Berg meiner ſchönen Frau, und würde mid) vollkommen glülid) gefühlt haben, wenn ich nicht eine gewiſſe Traurigkeit bei ihr entdect hätte, die ich nicht begreifen fonnte. Denn während wir noch mit taufend Echwierigkeiten zu ftreiten hatten, mar fie heiter und aufgeräumt, und jet, da wir zum Ziele gelangt, war fie mißvergnügt. Ich fürdtete, dag id, efmas von ihrer Liebe verloren Habe; vorher hatte fie mid) immer fo entzudt angefehen; jet mufterte fie mid) mit einem gejwungenen, freundlichen Lächeln, und ſchien innerlich Vergleihungen an- zuftellen. Ich blickte fie zärtlich an, ihre Kälte betrübte mi, und die Thränen traten mir in die Augen. Sie trod- nete mir die Wangen mit ihrem Schnupftuche, und den Blic rubig auf mid beftend, fagte fie, vornehm bedauernd mit einem mitleidigen Lächeln: Hm! die Fleinen Augen! Vorher waren ihr meine Augen groß genug geweſen Ih fühlte mich beletdigt und ging auf mein Zimmer, in der Hoffnung, fie mürde nahtommen un. die Beleidigung wie- der gut machen. Sie kam aber nicht, fondern blieb auf ihrem Zimmer. Ich ſchlief die ganze Nacht nicht, und weil

14°

212 Lebensbeſchreibung des

ich fie nody heftig liebte, eilte ich beim frühen Hahnenge ſchre hinein, um Alles wieder gut zu machen.

Beder fie nod ihr Kammermaͤdchen fand ih da, fon- dern einen Brief von ihrer Hand an mid, auf dem Tiſche liegend, der mir Alles erklärte. Der Brief lautete wie folgt:

Mein lieber Eyrilfo!

Es tyut mir herzlich Teid, dag ih Dich betrüben muß, Du haft Dir aber von mir eine zu hohe Idee gemacht; denn in Deiner einfamen, kühlen Marmorhalle bei dem al- ten Francisco Perez haft Du nur in Büchern gelefen, und weder die Welt noch die Menfhen kennen gelernt. So glaubteſt Du denn auch, als Du mic) in der Kirche Enieen fahft, eine heilige Gäcilia, oder Gott weiß was zu entde- den, deren Gefühle auf den Bogen der Melodien zum Hims mel hinauf fhwebten, während id doch hödftens nur eine ſchͤne (und zwar feine bügende) Magdalene war. Den Zodtenfopf, womit die Maler immer die Magdalena ab» fonterfeien, hatte ich fretlich ale Nächte bei mir liegen; denn meine harten Eltern vermählten mid in früher Ju⸗ gend mit einem ſchwachen, graͤmlichen Greife.

. Daß ich mid) in Dich ſterblich verlichte, weißt Du recht gut. Dante Du aber der heiligen Jungfrau dafür, Cyrillo daß ich nicht fo platonifd) wie Du in den höheren Regio⸗ nen ſchwaͤrmte, fonft märe Deine Aſche ſchon längft in der Luft zerftäubt. Denn der graufame Familiar, der die Welt beffer als Du kannte, ließ fi nit mit leeren Verſprechun - gen abfpeifen, und wäre Deine Gelichte eine Heilige geme- fen, fo märeft Du auf dem Auto da fe lebendig verbrannt worden. Ich habe Dir Leben und Vermögen gerettet, ich

Don Eyrilto de Balaro. 213

babe Dir in einem fremden Lande Deine Ritterehre, die Du ſchon durd Deinen. Vater verloren, wieder verſchafft, ich habe Dir Sicherheit und Schuß gegen die Nachſtellun⸗ gen der Inquifition verſchafft. IA babe mid) Dir zärtlih hingegeben. Bas willft Du mehr von mir? Daß ih Dir treu ergeben verbleibe? Das kann ich nicht! Das ift ganz gegen meine Natur. Soll ih heucheln? Soll ich vor Dir lügen und Did heimlich wie meinen Alten bintergehen? Das will ich nit; das verdient Du nicht von mir, daß ich Did) beleidige. Der Alte verdiente es.

Ich liebe jept den ſchönen, berrlihen Domenico Mo- rotto, und werde von ihm eben fo heiß geliebt. IA folge ihm auf feinen Abenteuern, feinen Streifzjügen Dies Ler ben bebagt mir ſehr, es iſt romantiſch, es verfeßt mid) fo ganz bin in die poetiſche Welt unferes großen Dichters. Grüge ihn vielmals, den herrlichen Arioft, und fage ihm, daß Domenico und ich feinen rafenden Roland zufammen leſen. Allein Du darfft nicht ein folder rafender Roland werden, mein Cyrillo, und Did wie ein wildes Thier ge» berden, wenn Du etwa die Namen Domenico und Eleo⸗ nora, wie er weiland Angelifa und Meder, in der Baum- rinde eingefcpnitten und an den Felfenwänden gerigt finden folteft. Doc das hat keine Noth. Du biſt ein frommee, weiches, gelaffenes Kind; ein wenig weinen wirft Du und Did) dann hübſch zufrieden geben.

Glaube mir, Eyrilo, wir Zwei waren für einander nicht geſchaffen. Ih muß einen Mann baben, der mir auch imponiren fann, und in Domenico Morotto habe ic mei nen Meifter gefunden. Er it fhön und feurig wie ein Türke, ich glaube, er konnte mic aus Liebe prügeln, und

214 Lebensbeihreibung des

id glaube, ih würde es ihm aus Liebe nicht Abel nehmen. Uebrigens weißt Du, daß er gar nicht graufam ift, und ich boffe noch auf ihn und die ganze Bande einen wohlthuenden Einfluß ‚zu üben, und fie alle gefitteteter und artiger zu machen.

So lebe denn wohl, mein guter Cyrillo!

„SBergeblich fuchft Du nun ſeit Diefem Tage Der Schönen Epur, die nichts Die fenntlüh macht."

Deine Juwelen habe id) Dir alle hinterlaffen, and die drei größten meiner eigenen wirft Du nod dabei finden, die ich bitte, als ein Andenken von mir zu behalten. Soll- teft Du aber einmal in Geldverlegenheit fein, fo verkaufe fie nur gleich, ohme BVedenklichteit. Ich unterſchreibe mid jeßt mie immer -

Deine bis in den Tod treue Freundin Eleonora de Sylna.

Diefe plögliche Veränderung meines Zuftandes madıte einen fonderbaren Eindrud auf mi. Lieben konnte ic) fic nicht mehr, Erbitterung gegen fie konnte id) aber auch nicht fühlen; ſelbſt in ihrer Verworfenheit zeigte fie noch ein tindiſch natves, aufrichtiges Nalurell. Sie hatte mir wirt⸗ lid) Leben, Vermögen, Ehre und Sicherheit wiedergeſchenkt. Sie hatte mic) auf kurze Zeit höchſt glüdtid gemadt. Iept, ihrem unglüdfeligen Hange folgend, flog fie wie ein Abend» Schmetterling ſelbſt in’s Licht. Wie konnte ic fle haſſen? Bedauern fonnte ich fie, Mitleid konnte id mit ihr haben.

Don Cyrillo de Balaro. 215

Allein ich fühlte mein Herz von diefem Angenblide wie mit einer Krufte überzogen, die mid) ftumpf ſowohl gegen alle angenehme, als fhrvermüthige Empfindungen machte.

Mitten in diefem wogenden Weltmeere voll tobender Leidenfhaften und tragifher Begebenheiten winkte mir das ſtille Kloſter, wie ein Zelfen in der See mit einer ruhigen Hätte und erquidendem Kräutergärtlein: Die fühlen Kreuz gänge der Bencdictiner, die friedlich und brüderlich zufam- men lebten, ihre Tage zwiſchen Andacht und einem harım- Iofen Gefyäfte theilend, Iuden mic ein. Und bald ging ich auch im fangen Kleide geſchoren einher, nachdem ich der heiligen Jungfrau und dem Jeſuskindlein in der filbernen Kapelle erft zzwei goldene Kronen auf die Häupter geſetzt hatte, worin meine irdifhen Diamanten als Thautropfen und Tränen der Wehmuth und der Sehnfucht glänzten.

Als ich zwei Jahre Moͤnch geweſen, wollte unfer Abt einen Boten nah Mailand fhiden, um ein Gefhäft mit einem dafigen Präfaten abzumachen. Weil ih mir nun gern einmal eine tüchtige Bewegung machen wollte (ielleicht auch unberußt aus Luft, die Welt cin wenig wieder zu fe- ben) erbat ih mir von ihm die Erlaubnig, diefe Pilger- ſchaft machen zu dürfen.

So ſchritt ih mit dem Stabe in der Hand und den Bündel auf dem Rüden gemächlich fort, kam zum Präla- ten, richtete mein Gelhäft aus und begab mich wieder auf den Nüdweg. Die Tage waren heiß, die Abende kühl, und weil ich mid) vor Räubern nicht fürchtete, (denn ih hatte nichts, was ihre Habſucht reizen konnte) durchzog ich unbe» kümmert die Heerſtraße bei Lodi mit den meilenweiten Wie

216 Lehenshefhreibung des

fen und Beidenheden, wo die Straßenräuber in der großen Einöde ungehindert ihren Unfug treiben können, obſchon fein Wald in der Nähe if.

Eines Abende nad) Sonnenuntergang, als ich fo in Gedanken vertieft gehe, höre ich in meiner Nähe eine Na» tigal laut ſchlagen. Die Erinnerung des merkwürdigen Abends, als mir Eleonora entriffen wurde, erwachte plöß- lich in meiner Seele; ich ſchlug die Augen auf und wun- derte mich Beinahe, als ich feine Räuber in den Bäumen fab, fondern nur den kleinen, grauen Sänger, der von Meie nem Geräufge erfredt, flatternd die Hece verließ und wei⸗ ter hinflog, um feinen Gefang fortzufegen.

Ich folgte ihm, weil eben mein Weg dahin ging. Kaum ſtehe ich vor einigen Kleinen Hügeln gerade am Wege, fo entdede id, dort einen Körber auf dem Rade und etwas weiter zur Linken einen Kopf auf einer. Stange, deflen lan« ges blondes Haar weit bin in die Nachtluft flatterte, fo dag man dadurd mitunter die Sterne fehen konnte, befons ders die Venus, die im Herunfergehen ganz außerordentlich ſchon glänzte. Als ic dem Todtenfopfe gerade gegenüber fand, Fonnte ich nicht umbin, ihn genau zu befragten. Da ſchaute mid) Eleonora de Sylvas ſchönes Geſicht lilienweiß an, aber mit dem wehmüthig⸗entſetzlichen Todeslaͤcheln, das man immer auf den blauen Lippen der Enthaupteten finder.

Ich ſtürzte zur Erde. Ein mitleidiger vorbeigehender Bauer half mir auf und brachte mic in feine Hütte. Bon ihm erfuhr ib), dag der Näuberhäuptling Domenico Mo- rotto geftern hier mehrerer Mordthaten wegen gerädert wor⸗ den. Seine Frau oder Konfubine habe man geköpft, und

Don Cyrillo de Balaro. 27

“viele Leute wären geftern hinaus gegangen, um den Kopf auf dem Pfahle zu fehen, weil er fo ſchoͤn fei, und der herr liche, reihe Haarwuchs fo weit Hin in die Luft flattere.

Das war meine Ichte- Wanderung in Europa! In fünf Jahren fam ich nicht aus dem Bezirke des einfamen Klo⸗ ſters. Allein da war mir aud das Herz wieder ganz tur big und heiter geworden. Ich lebte mit meinen Ordens» brüdern im freundſchaftlichſten Verkehr; nad) der Eitelfeit und den Genüffen der Welt verlangte mid gar nit. Bor Frauenzimmern hatte ich, feit jener fürchterlichen Begeben- beit, ordentlich einen paniſchen Schreden bekommen, und es mar mir in ihrer Nähe gar nicht wohl, Mit meinem Zus ſtande mar ich alfo nicht, im mindeften unzufrieden, und mas Viele unglüclich machte, machte mic fo glüͤcklich, als id) es in dieſer Welt noch werden konnte.

Das Einzige, wonad ih mic) fehnte, war eine größere, erhabenere Natur. Der Kloftergarten war mir zu Hein, id) beneidete-die Eremiten der Vorzeit, die in großen Wäls dern leben konnten, und bekam felbit Luft, ein folder zu werden.

Diefer Wunſch gewann alle Tage in meinem Herzen Herzen größere Gewalt, und die Kloftermauern engten mid) immer mehr ein. Wie groß war alfo meine Freude, als der Abt eines Tages zu uns ins Nefectorium trat und er⸗ zählte: der Papſt habe ein Manifeft ausgehen laſſen, es fei unternehmenden, frommen Mönden, die einen Beruf dazu in fi fühlten, unverwehrt, nah Indien zu gehen, um in den neuentbedten Landen, Meriko und Peru, Klö- ſter zu bauen, die wilden Heiden zu befehren und das Evan- gelium zu predigen.

218 Lebensbeſchreibung des

Kaum hörte ih diefes, fo fühlte ih einen Muth in mir erwachen, den ich mir ſelbſt nicht zugetraut hätte, und ich fegte alle Räder in Bewegung. um Borfteher einer fol- hen Gefeufhaft zu werden. Ich beſuchte nod einmal den Dieter Arioft, der nad jener Begebenpeit Statthalter in Sarfagnana geworden; ich befuchte den Herzog und feine mir fonft widrige Gemahlin Lucretia. Arioſt that wieder alles für mic, was er konnte.

Bald hatte ih durch den Einfluß meiner Freunde meinen Wunfd erreicht, und der Papſt hatte mid durch ein Breve zum Prior über die Mönche eingefept, die mit mir nach den merifanifhen Wäldern feegeln wollten. In Livorno ſchifften wir uns ein. Die Neife ging erft glüd« lich. Die Unerfabrenheit des Schiffers brachte uns aber auf einen irrigen Weg; der Sturm zerfhlug das Schiff an diefem Zelfen, wo id allein mit acht Brüdern gerettet wurde.

Wie wir ung nun bier viele Jahre hindurch aufgehalten baben, ung in Diefem treflihen Sandſteinhügel Zellen aus⸗ geböhlt und unfer voriges frommes Leben frei und un— beſchränkt im fhönften Paradiefe fortgefeßt, mit Gebet und Dantliedern, nad) katholiſchem Nitus und ftrenger Obfer- vanz unferes Ordens; mie ‚id diefe treuen Gefährten nach und nad alle begraben habe. bis ic bier als hundert- jähriger Greis auf diefer Infel ganz allein fipe, das, licher Freund, Avirft Du in meinen Tagebüchern genau aufge» zeichnet finden, die auch hier im fteinernen Stuhle liegen, nebſt vielen Bemerfungen und Entdelungen, die Dir fehr nüglic fein werden, wenn Du Dich andy vielleiht viele Jadre allein auf der Imfel, ohne menſchliche Geſellſchaft. aufhalten ſollteſt.

Don Eyrillo de Balaro. 139

So will id) denn jeßt von Dir Abfchied nehmen, und Dir von Herzen wünſchen, dag, wenn Du aud) vorher unglüdlic warft, wie id es gemefen bin, der, himmliſche Bater Did eben fo glüdtih, als mih auf meine alten + Tage machen wolle; durch die Bermittelung feines Sohnes Jeſu Chriſti, des heiligen Geiſtes. der heiligen Iungfrau und aller übrigen gebenedeiten Heiligen; wozu ich vornehm- lich St. Hubertus, meinen und aller Waldhrüder Schutz- Natren, anrufe. Amen.

Ende des dritten Theile. J

Inhalt des dritten Theile.

¶. Der ittmele ed 2. Der Zweit ee Par: a u Br Bu u Zu =) 4 unglueceeee er Be 7 es 5 Dad ee 6 Dee Sauna » re 7. Die Ausſteuet Pa a EB BE BE Ze Ze s. Aopenhage ee. 0464 9% Der Maler⸗— „ei. .. . .. e 40. Der Anterichmid in feiner Gloric rer: Mm 1 Die männlihe Brut» rennen 42. Mbfchied von Kopendagen « ee

13. 1 2. 1. 17. "8.

Macbeth und die Serriuber «+ + Echifbruch und Rettung + * « « Troglodntenleben 9 0 ee Neue Entdedungen «7 0 es Die Ill or een Der Greis in der Gölle © ° > Sebensbefchreibung des Don Gurillo de Balaro

Adam Oehlenfchläger's Be rt ee

Zum zweiten ale gefammelt, vermehrt und verbeffert.

Achtzehntes Bändden. .

Breslau, im Verlage bei Joſef Mar und Komp.

1839.

Adam Oehlenfchläger's -Erzäblende Dichtungen.

Viertes Bänden.

Die Infeln im Süntmeere Bierter Theil

Breslam, im Berlage bei Iofef Mar und Komp.

1839

Die

Snfeln im Südmeere

Ein Moman.

Vierter Zeil.

1.

Unterirdifher Gang und Sternwarte

In der Verlaſſenſchaft des Don Cyrillo fanden wir bei- nahe alles, was uns in unferm jegigen Zuſtande dienen tonnte; und was mehr war, als Gold, Silber, Juwelen und Perlen, (melde Schäge wir nit brauden konnten) wir fanden bei ihm italieniſche, ſpaniſche und lateiniſche Bür her. Viele Schriften lagen in Bündeln zufammen ges ſchnürt. vermuthlich von Schiffbrüchen gerettet, und von den frommen Brüdern noch ungelefen. In eine trodene Berg rige war Vieles hinein geftopft, woran man noch deutlich die Spuren des Seewaſſers fah; es waren lauter engliſche Sachen, ungebunden, meiftens alte Zeitungsblätter, melde aber doch Goncordien große Zreude machten, weil fie fie gleihfam in ihr Vaterland zurüd verfegten.

Ban Leuven hatte noch größere Ausbeute ale Eoncors dia und id gemacht. In den Tagebüchern des Alten fand er aufgeſchrieben, wie man leicht, wenn der Flug im Som. mer feiht wäre, einen Damm machen Fönnte, und durch

10 Unterirdifher Gang und Sternwarte.

den aufgetrodneten Felſenſchlund gemaͤchlich hinunter nad dem Etrande geben. Diefe Arbeit, wozu id und Lemelie ibm behülflich waren, brachten wir bald zu Stande, denn mir fanden das alte fteinerne Bollwerk noch unbeſchädigt, und brauchten nur eine hölzerne Schleuße zu machen, fo fonnten wir den Flug in feinem Laufe hemmen.

Nachdem wir ein Paar fette Fichtenfpäne als Fackeln angezündet hatten, traten wir Männer die Wanderung an; das will fagen, van Leuven und id; denn Lemelie wollte wieder nicht in's Loch hinunter, fendern mie ein ſcheues Pferd blieb er indeſſen droben auf der Weide.

Beld ein Entzüden, als wir, auf dem feinen trode- nem Sande gemädlid) binuntergehend, nad kurzer Zrift aus dem dunfeln Gange beraustraten, und das unendliche lichte Meer mit feinen Tuftigen Bogen vor’ uns ſahen, wäh rend das Geſchrei der Seevögel uns bewilllommte und einlud, in den alten Hallen® unferes erften Aufenthaltes auszuruben. Eine Reife, die fonft ein Paar Tage dauerte, und die man mur mit bödfter Anſtrengung und Lebensgefahr machen konnte, wurde auf diefe Weiſe leicht in einer Stunde gemacht.

Den Tag darauf brachten wir Concordia und Minga hinunter, und da bäffen wir denn gern Lemelie entbehrt, er wollte aber durdaus mit gehen. Concordia freute fi) wie ein Kind, und meinte, als fie alle die gelichten Gegenftände wieder ſah, befonders als fie die Scherben ci» ner Schaale entdedte, woraus id ihr während des Fiebers zu trinken gegeben. Zemelie war aud über diefe Einrich⸗ tung ſehr froh. Jetzt, meinte er, Lünnten wir doch hoffen, von einem vorbeifegelnden Schiffe gefehen und gerettet zu werden. Droben auf dem Zelfen würden wir nur vergeb-

Unterirdifger Bang und Sternwarte 11

lich mit den Schnupftüchern gewint haben. Er meinte, wir müßten auf Alles vorbereitet fein, und fobald wir wier der droben wären, wollte er die gefundenen Schaͤtze gewiſ⸗ fenhaft theilen, damit jeder das Seinige bekäme; denn was uns jetzt unnüß ſchiene, könne und, wenn ein Schiff ſich fehen Liege, von größter Wichtigkeit werden. Eigentlich meinte er follten wir drei Männer, die den Schaf ge⸗ funden hatten, allein teilen; er beftebe aber darauf, dag die fhöne Concordia aud ihren Antheil bekäme, Bon der ſchwarzen Minga als einer Leibeigenen könne natürliher- meife die Rede nit fein. Minga ſah ihn böhnifd an und fagte: In Mingas Vaterland findet man Gold wie Sand, Minga hat gelernt, Gold wie Sand zu verachten.

Ban Leuven hatte aus den Tagebühern Don Epril- 108 noch eine für ihn höchſt angenehme Entdeckung gemacht. Es war ihm nämlicy zu einer Warte hoch auf dem Felſen Anmeifung gegeben. Die eine ſchmale Treppe, die da hinauf führte, fand ſich bald; wir gelangten leicht zu der Bergzinne, und hier entdedten wir ein vierediges Zimmer⸗ hen im Zelfen gehauen, mit Fenſterlochern nach allen vier Beltfeiten.

Nun balf ic meinem Freunde diefen aſtronomiſchen Thurm zu Stande bringen. Unter der Sternwarte fand ſich noch ein Felſenſtübchen, mo der Obfervator, wenn er wollte, ſchlafen konnte. Um den Thurm herum ging ein ſchmaler Gang mit einer niedrigen Bruftwehre. Hier hatte man die fhönfte Ausſicht, mußte ſich aber wohl hüten, nicht in den Abgrund hinunter zu fallen.

Bir hewunderten die Arbeit, woran ein Duzend Men⸗ ſchen vielleicht ein halbes Jahrhundert täglich fi ermüdet hatten. Wie glüdlid bin id, dag ih meine Fernröhre

12 Unterirdifher Bang und Sternwarte.

gerettet babe, rief der gute van Leuven, mas nüßten mir fonft alle diefe ſchönen Zubereitungen?. Es würde mir wie dem unfterblihen Galilei gehen, der in feinen alten Tagen blind wurde. D

Ich drachte manche Stunde mit meinem Freunde dro- | ben auf der Sternwarte zu, und obſchon es mir nie inden | Sinn kam, Aftronomie zu fudiren, freute es mid) doc, das Bunderbare jener Welten, das fi dem bewaffneten Auge tund giebt, zu betrachten.

Wenn man das alle& betrachtet, Albert, fagte van Zeus ven, mit feiner lieblichen, wehmüthigen Stimme, was wird dann aus der Meinen Erde, aus unferm enbemerifhen Men» ſchenleben? |

Wenn ich der Aftronomie einer Urfahe wegen abbold fein follte, ermiederte ih, fo wäre es eben, weil fie mit fammt ihrer Erhabenheit gar zu viele, fonft fehr verftän dige Menſchen verwöhnt bat. Denn es gebt Euch Are nomen wie armen Leuten, die Furze Zeit in großer vornehe mer Geſellſchaft leben; wenn fie wieder nad) Haufe zuräd- kehren, ſchaͤmen fie fidy ihrer Armuth, und wollen ihre al» | ten Verwandten kaum wieder kennen. Und wenn die Belt verachtung eben aus der Weltbewuuderung entftchey follte, fo halte ich es mit Tycho Brabe, mit Iofua und der Bie bel, gegen Copernicus und Galilei. Ja Homers ehernes Himmelegewölbe und feine Götter auf den Berggipfeln wä⸗ ren mir fogar dann lieber. Der fhöne Wahn muß der erbabenen Bahrbeit weichen, ſprach van Leuven.

Nur Eitelfeit und Cigenliebe hindern den Menſchen. fi) der großen Idce des Unendlichen ganz hinzugeben.

Und wo will er denn Bin, mein lieber Karl Franz? frug id. Er kann doch nicht ÜheraN fein. An einem Orte

Unterirdifher Gang und Sternwarte 13

muß er doch weilen; denn er ift nicht Gott, nicht die Al- macht felber; und auch nad dem Tode, im feligeren Zur ſtande, wird er ſchwerlich die Allwiſſenheit, die Algegen- märtigteit mit feinem Schoͤpfer theilen. Die Tugend wird nicht nad Ellen, Meilen und Gradabtheilungen gemellen. Wenn eine Made Vernunft hätte, frei Handeln könnte und gut handelte, ih würde fie mehr bewundern und lichen, als eine Sirinskugel ohne Geift und Herz.

Das ift wahr, ſprach der edle Holländer, das lehrt uns ſchon die Religion. Allein aud darin ſtimmt die Re⸗ ligion mit der Aftronomie überein, daß fie den Menſchen zu erbabenen Gedanken ftimmt, ihn das Irdiſche verachten lehrt, um ſich nach dem Himuliſchen zu fehnen.

Eine tiefe, himmliſche, wehmüthige Sehnfuht, ante mortete id), iR von Gott in jede fühlende Bruft niederge⸗ Iegt, um ung in Unglüd, Krankheit und Widerwaͤrtigkeiten zu tröften und zu ftärfen; nicht aber, um uns in guten Stunten zu ſchwaͤchen und zu flören. Und warum, lieber Karl Franz, ftarrt Dein treuee Auge oft fo ſehnſuchtsvoll in's Blaue hinein, da Du doch ſchon einen Himmel hier © auf Erden Haft?

Ach das it gewiß! rief der gute Mann, Du baft Recht, Albert, und id) fhäme mic meiner fonderbaren Me- lancholie. Ich bin aber einmal ein melancholiſcher Menſch. Zwar fühle ih mid in dem Beſitze meiner Concordia und Deiner Freundſchaft fehr glücklich; es follte mir auch mei- netwegen nicht grauen, Zeitlebens auf diefer Infel zu blei- ben. Aber Deinetwegen, Albert! denn Du haft eine Concordia. Und dann ängftiget der böfe Lemelie meine Seele. Er umſchleicht uns, wie die Schlange im Para- diefe, und wird cher nicht ruhen Er ſchwieg.

14 Unterirdifher Gang und Sternwarte.

Bir werden ihn ſchon zaͤhmen erwiederte ich luſtig ihm die Giftzähne aus dem Munde brechen, und dann mit diefer Brillenſchlange im Bufen ſpielen.

Es gelang mir, den Freund etwas zu erheitern; «6 freute ihm, daß ic doch in Wittenberg die Sterne ein wer nig kennen gelernt hatte. Er ließ mich durd feinen Tubus fehen, und zeigte mir die ſüdlichen Sternbilder.

Wie er aber einmal mit dem Fernrohr im Firma mente umher flanfirte, rief er plöplich verwundert: Bei Gott, da it ein Komet! Id fhaute aud hinein, und entdedte wirklich in der Ferne ein ſolch mattes Nebellicht mit langem bleihen Schweife, das als unerwarteter, ger heimnißvoller Gaft ſich der Übrigen wohlbekannten luſtigen Geſellſchaft nahte.

Ich konnte die Erſcheinung nicht ohne Grauen wahr⸗ nehmen, der Volkoglaube, die alten Vorurtheile forderten in meiner Ginbildungekraft ihre Rechte wieder. Ban Leu ven blieb ganz kalt dabei; es freute ihn aber fehr den fel- tenen Stern zu fehen.

Vieleicht, fagte ih, halb im Scherze, wird diefer ge- rade auf unfern Erdball ftogen, und ihn in den Abgrund fürzen. Barum nicht gar? rief van Leuven lachend. Glaubſt Du auch nicht, daß ein folder Komet über die Erde Ungläd und Zwietracht bringe? Ic glaube es nicht, antwortete id; ganz unmöglid wäre es aber doch aud) nit. Brauden wir don, was das betrifft, zum craf- fen Aberglauben unfere Zuflucht nicht zu nehmen. Daß ein fehr großer naher Himmelstörper auf unfere Atmofbbäre Einflug haben Tann, leidet feinen Zweifel. Wie viel wirkt (don der Heine Mond mit Ebbe und Flut. Die Luft wirft auf die Körper der Menſchen, und ihre Körper auf

Der Komet. 15

" ipren Geift. Wohl möglich, dag eine folde VBerfiimmung

im Grogen wie im Kleinen mitunter ftatt finden Fönne.

Die Phantafie, ſprach mein Freund nad einigem Schweigen, erfhöpft ſich in Hypotbefen, wo der Verſtand nicht Länger binteicht. Du wollteſt mid, erheitern, Albert, mir das Ungeheure lieblich machen, und jept erfheint Dir ein unſchuldiges Himmelslicht ſelbſt als ein Ungeheuer.

Der Komet.

Unfer Aftronom hatte jept alle Naͤchte auf der Etern« warte volauf zu thun mit Berechnungen und Wahrneh⸗ mungen. Concordia lichte nicht diefes Nachtwachen, denn er war von einer zarten Konftitution, ſah blaß aus und befand ſich nicht immer wohl. Ihr Betragen gegen ihn mar aber immer wie das der Jochter zum Vater. Sie widerſprach ihm nie, weil fie eine unbedingte Hochachtnng für feine Gefinnungen und Meinungen begte; und gegen das, was ihn vergnügen konnte, wagte fie feine Silbe ein- ' zumenden, aus Furcht feine Freude zu flören.

Als der Komet feine Größe erreicht hatte, erregte er in uns ein fhauderhaftes Bewundern, wenn er fo fhräg am Himmel über unfere Heine Inſel feine blaßleuchtende Ruthe ſtrecte. Doch machten Die Umgebungen von Bald und Hügeln den Anblic drunten weniger fürdterlih. Als ung aber van Leuven einlud, ihn auf dem Felſen zu beſuchen

16 Der Komet.

> und wir droben das Nebelbild in füͤrchterlicher Einfamteit am Firmamente faben, da fanden uns die Haare zu Berge. Denä_als ein trübes mattes vicht im dunteln Grabgewölbe der Ewigkeit hing er nadhlißig da, als ob er von dem Nagel berunterfallen wollte, während die andern Sterne in den Hintergrund zurüdtraten, um den Eindrud des fel- tenen Gaftes nit zu flören. Und drunten faufte das bieierne Meer ein Sterbelied, oder einen Choral, als ch alle die feit der Sündflut Ertrunkenen fi bören Liegen, und ihre bleihen Häupter aus der Nacht emportaudten, um die Todeskerze am Himmel zu feben.

Eine traummandelnde Lady Macbeth im Großen fagte Concordia. Minga war au mit, und fab durch den Tubus; fie warf ihn aber erſchrocken aus der Hand, hielt fid die Hände vor die Augen und rief: Hu, hu! gräß lid. Den Kopf der Enthaupteten! Das Haupt der Donna Eleonora, von der Stange gefprungen, hoc in der Luft ſchwebend todfenblag ſchon etwas verfault die lichtgelben Haare im Binde flatternd. Don Cyrillo Hatte recht! Man kann die Sterne dadurd ganz deutlich, fehen.

Nun, Ihr tollen phantaifhen Menſchen ſprach van Leuven, aͤngſtlich nad) feinem Fernrohre greifend, (fi) aber berußigend, als er es noch ganz fand), jeßt habt Ihr über meinen Kometen genug gefabelt und geträumt, Laßt mich jeßt mit meinen Berechnungen allein. Willſt Du denn heute Nacht wieder nicht zu Bette geben, mein Lie⸗ ber? frug Goncordia. Drunten im Felſenſtübchen werde ich recht ordentlich ausruhen, ſobald es tagt, fagte er.

Diefe bedeutungsvollen Worte waren die Iepten, fo wir aus jeinem Munde hörten. Ach! es ahnete ung gar nichts. Us id mit Goncordien nad) Haufe ging, (denn Minga

Der Komet. 17

war vorausgelaufen) ſprachen wir nur von ihm, und fie konnte nicht aufhören, feinen liebenswürdigen Charakter zu rühmen. Ihr glaubt nicht, Albert, ſprach fie, welche Ger malt diefer herrlihe Mann über mein Herz gewann, glei das erfte Dial, als er meinen Bater in Handelsgefhäften beſuchte. Man fagt, Shatkeſpeare Habe beinahe alle menſch⸗ lichen Charaktere gezeichnet, allein dieſen nicht. Und das war wohl aud) imöglid; denn was dramatiſch auftreten fol, muß fi produciren; muß Gigenheiten zeigen; und mein Karl Franz, obſchon ein Mann, der ſich überall Ads tung, oft Ehrfurcht erwarb, zeichnet ſich dod vornehmlich in den qriſtlichen Tugenden aus, welche dod die edelften, obſchon fie negativ find. Die meiften ausgezeichneten Den« ſchen find lieber grogmüthig als gerecht, theilen Lieber einen Genug mit andern, als fie ſich ihretwillen etwas verfagen, ſprechen beffer als fie hören, denken felbft leichter, als fie Anderer Gedanken in ſich aufnehmen. So nicht er! Wenn er mit einem Freunde, mit feiner Frau ſpricht, ift er ganz Ohr, ganz Aufmerkfamfeit, ganz Gedähtnig. Die feinſten Züge entgeben feinem Zartgefühle nicht. Alles konnte er für einen Freund aufopfern, denn der größten Anftrengung, dem unangenehmften Gefhäfte konnte er ſich unterziehen, um ihm eine Freude zu machen, einen Dienft zu leiſten. Ihr meint, er fei nicht poetiſch genug, und ich geftehe, fein Geift und feine Bildungsweife haben durch ganz andre Bee ſchäftigungen eine entgegengefegte Richtung befommen. Er lieſt nicht ſelbſt viel in dichteriſchen Werfen, weil ihm feine Wiſſenſchaften die meifte Zeit nahmen. Allein von zweiter Hand weiß er doch alles. Und was fagt Ihr dazuz unfere meifte Unterhaltung beftcht darin, daß ich ihm Dichterwerke vorerzäble, die ich gelefen habe? Gewiß verlieren fie durch Schlenf. Schriften XVII. 2

18 Der Komet.

meinen Mund vieles von ihrer Lebendigkeit und Friſche; allein das erfeßt die Liebe, die er zu mir trägt: und ich fühle deshalb tief: es iſt meine höchſte Pflicht, diefem hei» ligen Menſchen von ganzem Herzen ergeben zu fein.

So redend hatte fie ihren Arm leiſe aus dem meinigen gezogen, und legte die ſchoͤne Hand, die ich kaum leiſe zu drüden gewagt hatte, auf ihr Herz. Ih fab zur Erde, eine Thräne der Unmuth entquoll meinem Auge, weil fie ſich fo raſch von mir zurüdgezogen batte, als ob fie mir dadurch einen Verweis geben wollte. Gewiß rief ih Euer Ehegatte it edel und gut; ich Liebe ihn, und will ibm fein Iota feines Verdienftes rauben, das Euch mit Recht entzüdt. Allein, was die Entfagung, die Aufopfe- rung betrifft ich glaube Euch, daß er eines Freundes wegen Verzicht auf vieles thun könnte; das wäre für feinen rubigen fanften Charakter gewiß nicht ſchwer. Allein das braucht er nicht! Er ift ruhig im Befiße des böchſten Erdenglüds. Denkt Euch aber eine Seele voll Feuer, ein Herz ‚voll Liche, ein Gemüth voll Drang ſich mitzuteilen, einen Geift, der nad Sympathie ſchmachtet, umd der doch darben, doc entfagen, doch ſchweigen muß, und es gern thut, weil es Pflicht, weil es Tugend und Freund⸗ ſchaft gebeut! Bei'm ewigen Gotte, ein folhes Weſen verdient auch nicht, mit Härte und Mißtrauen behandelt zu werden.

O, mein lieber, guter Albert, rief fie betrübt, hab’ id) Eud beleidigt? Seid Ihr mir böfe geworden? Ihr sieht Euren Arm aus dem meinigen, fagte id weinend; bab” ich diefe Kälte, diefe Yengftlihkeit, diefen fummen Vorwurf verdient? Nein, bei Gott nitl rief fie, und reichte mir die Hand, die ich mit Küſſen bededte. Ewige

Der Komet. 19

FZreundſchaft! reine unfhuldige Freundſchaft bis in den Tod! riefen wir. Ic drüdte fie an meine Bruft, meine Lippen brannten auf die ihrigen. Da ſtieß fie mich wild eriroden zurüd. Um Gotteswillen, rief fie vol Ent fegen das Ungeheuer! Seht Ihr nicht das Ungeheuer, das uns belanſcht? Der Mond hat ſich in ein drohendes Geſpenſt verwandelt,

Ib fah binauf durch die Baumzweige, der Komet fand eben dicht beim Monde. Sie hatten fih begegnet, waren wie in einander gefhmolzen, und der lange Komes tenſchweif ſtrecte fi wunderbar hinaus vom untern Horne der Mondſichel. Aufgeſchreckt und verfiimmt trennten

wir ung.

Lemelie war in diefen Tagen frank geweſen, und hüs tete das Bett. Eine große Aengftlihkeit und Unruhe mar⸗ terten ihn: er fonnte den Kometen nicht ausftehen, nannte ihn cin Teufelsgefiht, und blieb in feiner Zelle, wo ibm Minga das Eflen brachte, welches er doc gierig genug ver» ſchlang

Den Morgen darauf, als Concordia und ich uns beim Früpftüd zufammen fanden, erftaunten wir über Minga; denn fie mar ganz verflört. Die Haare hingen ihr unor⸗ dentlih um die Schultern, fie war ganz afdıgran im Ge⸗ fiht. und wollte fein Wort ſprechen. Wenn wir fie anre- deten, fhüttelte fie verzweifelt den Kopf, und zeigte nach Lemelies Höhle. Iſt er todt? fragte ih. Sie ſchau⸗ derte zurüd, fab mid mit flarren Augen an, und nidte dabei ganz leife.

Ich eilte in Lemelies Zimmer. Gr lag im Bette eis⸗ falt, und zitterte unter der Dede. Die matten Augen brannten im Fieber, ich hörte ihn einige Gebete undeutlich

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20 Der Komet.

berfagen, er verfuchte vergeblich die Hände zu falten; Schaum ftand ihm vor dem Munde. Der Parorismus mußte lange gedauert haben, denn wie ich hineintrat, er» bolte er fid etwas, kehrte die Augen ſchüchtern nad mit, reichte mir die eisfalte Hand und fagte: Ad, Fieber Albert, feid Ihr da? Ich babe cine ſchrecliche Nacht gehabt, bin wieder am Rande des Abgrundes geweſen. Reicht mir et⸗ was Palmenfaft! Als er getrunken hatte, frug er un rubig: Wo ift die gute Minga? Sie hat die ganze Nacht bei mir gewacht, die treue Seele. Ich fürchte, mein Wahn⸗ finn hat fie angefteft, denn fie will fein Wort mehr fpre« ben. Ich habe fie mit meinen wilten Reden vielleicht vers -rüdt gemacht; denn Ihr wißt, wenn ich frank bin, ſpreche ich immer vom Teufel und von der Hölle. Beil fie nun ſchwarz ift, habe ich fie vielleicht für den leibhaftigen Sa- tan angefehen, und bin ihr etwas unfanft an den Hals gefahren. Es Hat aber, hoffe ic, keine Noth. Der Adams» apfel, der uns Sündern allen in der Kehle ftedt, ift ihr nur ein wenig gefhwolln. Wie befindet ſich die liebe Concordia und der gute van Leuven? Werde ih nicht die Ehre haben, diefen edlen Gönner bald bei mir zu fchen? Ban Leuven, ſprach ich, iſt heute Nat nit nach Haufe gelommen, er fhläft auf der Sternwarte. Adi, das ift wahr! verfepte Lemelie, drunten im Felſenſtübchen. Sein Geift wandelt Über den Sternen, er mag mit ums Erdenwürmern nichts zu thun haben. Es träumte mir beute Nacht, dag ich ihm ein Fernrohr gab, wodurch er die Sterne und den Kometen noch befler feben konnte. Scheint die Beftie noch? Es ift lihter Tag, Herr Les melie, fagte id); der Komet ift im Eonnenlihte verſchwun den. Nun, das ift gut, ſeufzte der Kranke; die Sonne

Der Komet. 21

darf auch ſolchen Gräuel nicht anfehen. Ich will ihn auch nicht feben; ich boffe, er wird ung nicht öfter beſuchen.

Bir erwarteten alle Yugenblide, daß van Leuven nad) Haufe kommen würde, er am aber niht. Es ward Mittag, er kam nit. Jetzt fingen wir an unruhig zu werden. Ich lief nad der Klivpe und Concordia wollte durdaus mitgehen. Ihre Unruhe nahm mit jedem Schritte zu, und fie fuchte ſich ſelbſt mit allen möglichen Wahrfdein« lichteiten zu tröften.

Er bat da fo lange gefeffen, fagte fie, bis ihn aulegt die Müdigkeit überwältigte, dann hat er fih nachher ver- ſchlafen. Nicht wahr? Und dann mochte er in der Mits tagebige nicht nad) Haufe gehen. Nicht wahr, lieber Als bert? So ift es gewiß! feufzte ich.

Bir naheten uns der Eleinen Felſentrepbe. Hört Ihr nicht, wie mein Herz Mopft? fragte fie, mid wild an« blidend, mid däucht. man kann es Elopfen hören. Ihr mügt mir Eure Hand reihen, font falle ih. Sie eilte fo ſchnell, dag mir felber. bang ward, fie möchte hinunter ftürzen; id bat fie, nicht fo fehr zu eilen. Ach, Ihr habt Recht klagte fie; laßt uns ein wenig warten, auf dier ſem fteinernen Sig ausruhen; fo haben wir dod einige Aus genblide die Hoffnung noch, wenn aud das Aergfte einger troffen fein ſollte. Man fagt, Gewißheit fei beffer als Un» gewißheit, das ift nicht immer wahr; denn Sie hielt inne, und ſprach, ängftli die Hand auf's Herz legend: Ich möchte fo gern ein wenig Waſſer trinken.

Ich will Euch glei etwas holen, rief ih. Nicht doc, fprad fie wieder unruhig; immer munter hinauf! Karl Zranz! Mein lieber Karl Franz! Bit Du droben,

22 Der Komet.

fo antworte mir mit einem einzigen, theuren, unbezahlba⸗ ren Borte, damit id Dir ſchnell entgegen eilel

Cine Todesftile bertſchte, fie Rürzte hinauf, lief an dem fleinen Schlafzimmer vorbei, und trat in die Stern» warte. Da ifi er, rief fie freudig! Er ift nod bier; wir haben uns ohne Urſache geängftig. Hier? frug ich Meinlaut, ich fehe Niemanden. Sein Hut, jaudyzte fie, bängt’am Nagel. Und da liegen noch die Papiere, vol Zahlen, und Berehnungen. und Bogen und Kometen. Ad, feht nur, er hat „Concordia am Rande feines Manuferipts geſchrieben, und einen Eleinen Blumenkranz darum gezeich- net. Er denkt dod immer an mid, ſelbſt unter den ernſt⸗ bafteften Beſchaͤftigungen, und „Albert Julius“ ſteht auch da. Und meit entfernt, tief im Winkel drunten, hat er ganz Mein mit vorher Dinte „Lemelie” gefchrieben. Jetzt binunter in’s Schlafſtübchen, den lieben Siebenſchläfer zu weden.

Eie eilte hinunter aber die Lagerftätte fand leer; kein Menſch fhien da heute Nadıt gerubt zu haben. Er muß aufs Bollwerk. Hinausgegangen fein, rief fie fri⸗ ſche Luft zu ſchöpfen da hat man eine freiere Ausſicht über die Gegend, da werden mir ihn bald entdecken. Vol ſchlimmer Ahnung folgte id nad, und dachte nur Da» tan, Goncordien vom Hinunterfallen zu retten. Es that Noth! Sie ſtarrte hinunter, taumelte am Nande des Ab» orunds, flieg ein lautes Geſchrei aus, und wäre id ihr nicht zu, Hülfe gefprungen, fo wäre fie fier in die Tiefe binunter geſturzt.

Sie lag in meinen Armen, einer Todten aͤhnlich; ich trug fie in’s Meine Schlafzimmer, legte fie auf's Bett, eilte mieder binauf, fhaute in die Tiefe unter mir, und war

Begräbnig nud Geburtstagsfeier. 3 ſelbſt nahe daran, in den Abgrund zu ftärzen; denn ich ent

dedte den Beihnam meines theuren Freundes drunfen, n fin merlid) auf dem Zelfen zerſchmettert.

8. Begräbnig und Geburtstagsfeier.

Ich kann Euch unferen ungeheuren Schmerz nicht des ſchreiben. Concordia und ic) liefen durch den unterirdifhen Gang nad) dem Strande zu und fanden den, todteu Körper unferes feligen Freundes auf dem Sande, von feinem un⸗ ſchuldigen Blute gefärbt. Das. Haupt war zerfhmettert er konnte feinen fhmerzlihen Tod gelitten haben. Das Fernrohr hielt er noch feſt in der kalten Hand; und wunderbar genug. von den zerbrechlichen Gläfern war feins zerbrochen. Ich befige den Tubus noch, und habe oft das durch nachher nad) dem Himmel gefhaut, wohin mein ed⸗ fer Freund vorausgegangen, und id ihm bald folgen werde,

Ich ließ Concordia bei dem Leichname aurüd, während ih Minga holte. Lemelie war kränker als je, und das Fieber fcyättelte ihn fo gewaltig, daß ich ihm das Unglück nicht gleich fagen mochte, um feinen Zuſtand nit noch är- ger zu machen.

Minga erſchrak nicht, als ich ihr die Trauerkunde brachte, aber fie meinte fehr, und ſchüttelte den Kopf. Sie konnte noch nicht ſprechen, nur einen heiſern Ton von ſich geben, und ihr Hals war fehr geſchwollen. Sie hatte ſelbſt

24 Begräbnig und Geburtstagsfeier.

Blutegel daran gehängt, und heilfame Blätter gekocht, wos mit fie ſich gurgelte. Werden wir auch noch diefe treue Seele verlieren? dachte ich im Hingehen; bat der Böfewict fie auch noch erdroffelt? Ach jet kann uns fein Unglüd mehr unerwartet kommen; das Ungeheuerfte ift geſchehen. Drunten fanden wir das treue Weib über den Leiche nam bingeftredt. Ich babe mic) gefaßt, ſprach fie fanft meinend. Der frifhe Seewind hat die wilde Wuth meiner Verzweiflung über die Wellen d'nweggeſpült, fie fol die fer lige Todtenftille meines Geliebten nicht unterbrechen. Meine Seufzer werden ihn nur wie Heine traurige Elfen umfäs Gen. Ale Chriſt Hat er gelebt, als Chriſt iR er geftorben. Als er geftern von mir Abſchied nahm, um wieder auf die Sternwarte zu gehen, börte ic ibn im Weggehen noch fo freundlich rührend diefe Worte des Morgenliedes fingen:

Rimmft du mich Go:t in deine Hände,

So muß gewiß mein Lebensende

Den Meinen auch zum Troft gedeih'n;

Es mag gleich ſchnell und Mäglic fein. u

- Das war fein Schwanenlicd! Eine Prophezeiung ſei⸗ nes Cchidfals. Ad) feht, Albert wie der Trauring noch fo heil und golden auf feinem blutigen Finger glänzt! Das bedeutet, er ift mir freu bie in den Ted geblieben. Ia, ich weiß c6, er war ganz, ganz mein. Kein phantaſtiſcher Gedanfe, kein fremder Neiz, kein fhwärmerifhes Gefühl tonnte fein Herz nur einen Augenblick von feiner Concordia abmendig maden. Und darum verdient aud nicht mein Ring, den ich feinem kalten Singer entziche, ihm in's Grad zu folgen, nicht, daß ich ihn neben den feinigen ſtecke. Er fol an meinem linken Zeigefinger fiken, mid an fire

Begräbnig und Geburtstagsfeier. . 25

Treue erinnern, und mir immer ein ftiller Vorwurf fein, Und doch Gott weiß, er war mir unendlich lieb; ich babe nie aufgehört, ihn zu lieben, und ich werde von dies fem Augenblide feine frohe Stunde mehr haben. Allein, " mein lieber Karl Franz, ich will mich zwingen zwingen aus Pflicht. Der Sqhmerz foll dies Herz nicht brechen, denn. ich befige von Dir ein Iehendiges Pfand unter dem biutenden Herzen, das ich fhonen muß. Du follt mir in Deinem Kinde wieder Ichen. Ich werde Deine treuen edlen Züge im Geſichte des kleinen Geſchöpfes wieder entdeden, werde ihm taͤglich von feinem feligen Vater erzählen, drr jegt im Himmel ift, wo die Sonne fheint und die Sterne glänzen, wonach fein irdifhesAuge immer fo ſehnſuchtsvoll ſchaute. Ad, mein gelichter Freund! warum foltet Du doch nie die Baterfreude genießen, der Du fo ganz zum Bater geſchaffen wareft?

Eine reihe Thränenflut badete das fhöne Geſicht der Leidenden. Sie küßte ihrem todten Gatten den Mund und die Hand, drauf richtete fie ſich wieder auf und forad: Meine Freunde! beftattet jegt den Leidinam zur Exde, ich will ihn nicht öfter fehen. So verließ fie den Todten mit langfamen Schritten, in ihr Gewand gehüllt. Am

Eingange des unterirdifhen Ganges kehrte fie fih noch ein» -

mal um, warf dem Leichnam einen Kuß zu, richtete die Augen gen Himmel, und verſchwand im Dunkeln.

34) faß lange auf dem Zelfenblode und ftarrte meinen feligen Freund an, während Minga ihm das Gefiht und die Hände wufh, und vom Duellenrande Blumen holte, damit den Leichnam zu fhmüden. Cie ſprach kein Wort, weine aber oft, Rüßte ihm alle Augenblide die Hand, und ſah hinauf nad den Bolten.

% Begräbnig und Geburtstagsfeier.

Minga, fagte id), wir wollen ihn nicht begraben, Sieh mal alle die Zodtengrüfte im Felſen, die ihre offenen Schlünde gegen das Meer hinausfehren. In einer ſolchen Höhle wollen wir unfern feligen Freund beiſehen, und den Eingang gegen Vögel und Eeethiere vermauern.

Minga drüdte treuherzig meine Hand, und wir bradje ten den Tag damit zu, das Grab zu verferfigen. Eben als mir das Iehte Loch der Mauer zuſchließen wollten, ſtieg der Mond aus dem Meere, und fhien durch die Höhle, heiter und freundlid auf den Leichnam, und auf den Hoff nungsanfer draußen in den Wellen, gerade dem Eingange des Grabgewolbes gegenüber. Ich übte die Verrichtungen des Predigers aus. Id) fang das Grablied: „Iefus meine Zuverſicht,“ warf etwas frifhe, fhmwarze Erde über ihn, die ich von der Infel mitgenommen hatte, (denn hier unten mar nichts als Sand) und ſprach: „Menſch, aus Erde bift Du entftanden, zur Erde folft Du werden! Aus der Erde ſollſt Du wieder auferfichen.” Wozu die gute Minge mit beiferer Kehle, aber. doch vernehmlic ihr Amen beis Rimmtg.

Als Concordia nad; Haufe gefommen war, wohin fie in ifrem Schmerz, gegen Gewohnheit, allein opne Minga ging, weil fie Lemelie im Bette krank liegend glaubte, fand fie ihn ganz heiter außer der Höhle ſihen, feine Pfeife ran. end. Als er ihren Kummer ſah, fagte er: Tröftet Euch, liebe Fraul wir mäffen alle erben, früher oder ſpäter. Bolten wir Über das Unglück des Andern immer trauern, wie tönnten wir dann im Leben eine vergnägte Stunde ges niegen? Denn es begegnet alle Tage fo etwas, und es ver⸗ geht fein Augenblid, wo nicht ein Menſch ftirbt oder zur Erde beftattet wird. Alle Augenblide werden aber auch

Begräbnig und Geburtstagsfeier. 27

wieder Menfchen geboren, getauft und verheirathet, und fo mag das Eine das Andere aufmägen. Der Wille vermag Vieles, fagen ja die Philofophen, und deshalb babe ich mid aud) jegt aller trübfeligen Gedanken entfhlagen, und will nicht länger krant fein. Ich raue mein Pfeifen, trinke mein Bläschen, und befinde wich wieder beſſer. Co mird es auch Euch geben, menn die Leidenſchaft ausgetobt bat.

Contordia märdigte ihn feiner Antwort, und ging nad) der Eommerlaube, wo wir fie allein trafen. Ich batte an der treuen Schwarzen gemerkt, dag fie fehr uns ruhig nad) ihrer Herrin hinaufeilte, fobald fie hörte, Con⸗ cordia fei allen nach Haufe gegangen.

Lemelie merkte wobl, dag wir ihn verabſcheuten und geſellte ſich in einigen Tagen nicht zu ung. Minga konnte noch nicht ſprechen, doch fing die Geſchwulſt allmäplig an nachzulaſſen, fo da feine Gefahr länger dabei war; wenn vieleicht auch ihre Stimme noch lange daran leiden konnte.

Vierzehn Tage nach dem Tode van Leuvens hatte Le⸗ melie Gelegenbeit- geſucht, Goncordien allein zu ſprechen; fie wollte ihn aber nur in Mingas Gegenwart hören, und da hatte er ihr geradezu einen Heiraths⸗ Vorſchlag gemacht. Sie Hätte nur zwiſchen Zweien zu wählen fagte er; weil jept er und Herr Albert die einzigen Männer auf der Infel wären; und da zweifle cr denn nicht, daß fie ihn, einen Offizier vom älteften franzoͤſiſchen Adel, einem gewe⸗ fenen Komödianten, Schuhputzer und verlaufenen Schul tnaben vorziehen würde. So viel will id Euch nur noch fagen, Madame, verfeßte er, fpannt nicht den Bogen gar zu hoch, er könnte zerfpringen. Zu einem Zweikampfe mit mir hat der elende Menſch keinen Muth; es giebt aber

2 Begraͤbniß und Geburtstagsfeier.

aud andere Mittel, eines beſchwerlichen Kerls los zu wer⸗ den. Bolt Ihr ihm mohl, fo fagt ihm für's Erfte kein Wort von dem Vorgefallenen; und feid Ihr mit meiner Ungeduld unzufrieden, fo bedenft, dag Ihr allein daran Schuld feid, und daß es in Eurer Macht ftcht, mid zum gefhmeidigften, freundlichſten Menfchen zu machen.

Die arme Concordia wußte nicht, was fie antworten follte, feine Drohungen gegen mid) hatten fie im höchſten Grade erſchreckt. Sie bat ihn um Gotteswillen, ruhig und vernünftig zu fein, und ihren Zuſtand zu bedenken. Ih gebe Euch noch drei Tage Friſt, fprad er. Euer Kind will ih als das meinige annehmen. Aber meine Frau müßt Ihr werden.” Ich will nicht länger warten, habe ſchon zu lange gewartet. Der gute Albert ift ja fhon Kür fter geweſen, fo mag er den Predigerdienft gelernt Haben. Er kann uns nah den Formeln Eurer eigenen Kirche trauen, damit Ihr Euch feine Skrupel machen follt. Das iſt mir alles eins, wenn ich Euch nur befiße.

Damit ging er. Concordia vertraute mic Alles, als wir uns allein fahen. Wir waren im der größten Angft! Dem Lafter ftehen taufend Mittel zu Gebote, wo die Tu- gend oft fein einziges weiß. Minga dagegen war in der letzten Zeit gegen ihre Gewohnheit ruhig und heiter gewor⸗ den. Sie fing auch an, etwas zu ſprechen, und fagte: Lapt mid nur machen, und fürdtet Euch nicht. Lemelie bat mir gefagt: daß morgen fein Geburtstag fi. Ihr mügt mit ihm effen, feine Gefundheit trinken, und ihn wies der verfößnen. Alles wird noch gut werden, wir wollen ihn ſchon zur Ruhe bringen. Aber nur keine hinterliftis gen Mittel, gute Ming, riefen ih und Concordia zur glei. Alles offen, ehrlich und gerade zu, antwortete

Begräbnig und Geburtstagsfeier, 3

die Schwarze. Kein Gift im Eſſen noch im Weine, wir genießen ja alles gemeinfhaftlih.

Bir liegen fie machen, und fie bereitete eine gute Mablzeit, wozu fie Zemelie einlud. Als er mit ung in das große Gewölbe trat, fahen wir einen Blumenkranz um feinen Namenszug, eben an dem Drte, wo der eiferne Schiffsleuchter des Don Epyrillo- gehangen hatte; und da mo fein erftarrter Leichnam geſeſſen, war für Lemelie ge- det. Er fand fid dabei gefhmeichelt, weil er wähnte, Concordia habe es getban; als er aber hörte, die Aufmerk- famteit rühre von Minga ber, äußerte er finfter: Das hätte ich begreifen follen; das ſchwarze Thier weiß nicht einmal Difteln von Blumen zu unterfheiden, fie hat mir einen Kranz von lauter Unkraut zufammen geflochten.

Hübſche Farben! rief Minga heifer; blau und gelb und roth und grün. So brauden wir’s an den Küften Senegals, wenn wir unferm Könige eine Ehre erweiſen malen Sept Euch, erquit Euch, mein Herr und Ge

ieter!

Die Unterredung bei Tiſche ſtotte im Anfange alle Augenblide. Als aber Lemelie tüchtig getrunfen hatte, ward er munter. Der Komet, fagte er, verfämindet jetzt alle Abende mehr und mehr, fo fol aud) die Verlegen⸗ beit und das Migvergnügen unter uns verfhwinden. Din» ga! reiche mir dod das Meſſer, damit ic) die fhöne Mes Tone unter ung vertheile.

Minga brachte das Mefler, als er ſich aber zurück auf dem Stuhle bog, und den Arm ausſtreckte, um das Mefs fer zu empfangen, ftieß ihm die Schwarze den ſchneidenden Stahl in die Bruft, fo daß fein Blut den Tiſch befpräzte, und er nad) einigem Wanken vom Stuple herunter fiel.

30 Begräbnig und Geburtstagsfeier.

Als Minga den Boͤſewicht verwundet hatte, rief fie: 34 fomme wieder, wenn er geftorben it! und lief in den Bald hinaus. Lemelie mar toͤdtlich vermundet, ftarb aber erſt zwei Tage darauf in großen Schmerzen. Bir ver banden ihn fo gut als mir konnten, und brachten ibn zu

. Bette. Er litt gewaltig, mitunter auch von Gewiſſensbiſ⸗ fen, die er aber.mit Palmenfaft und feiner elenden Philo⸗ ſobhle zu betäuben ſuchte. Bor feiner Mörderin war ihm noch immer bang, und cs berubigte ihn etwas, als er börte, fle fei wweggegangen.

Bir bedauerten ihn, und baten ihn, nod während es Seit war, feine Seele reuig an Gott zu wenden. Er big aber die Zähne zufammen, der Schaum ftand ihm wieder vor dem Munde und er rief: Macht mir mit dummen Geſchwaͤt meinen Zuftand nicht noch ärger. Bir ſchwie⸗ gen, Concordia ging hinaus, und er verfehte fanfter: Herr Albert, reiht mir doch das gefpriebene Heft da aus der Schublade. Ih ann nicht länger leben, und fterben kann ich auch nod nicht. Vieles fhmerzt mid; am meiften Euer einfältiges Mitleid, Eure närrifhe Einbildung von meiner außerordentlichen Boeheit. Ihr feid noch Kinder, junge, unerfabrne Menſchen, die die Welt nicht fennen, und bier auf diefer Infel werdet Ihr ſchwerlich Gelegenheit finden, Eure Kenntniffe zu erweitern. Leſet meine Geſchichtel Ich bin auch Schriftftellee geworden, und habe mir in der fcß- ten Seit, wie Don Cyrillo, damit die Langeweile vertrie- ben, meine Begebenheiten aufzuzeichnen. Ihk werdet fehen, mie id) es getrieben, haben es Viele getrieben, und die meiften meiner Zeitgenoffen waren ärger als ih. Gebt in Eure Zelle und leſetl Laßt mic allein beim Palmenfafte. Eine Pfeife fann ic) auch wohl nod rauhen, wie ein ar⸗

Lemelies Lebensgeſchichte. 3

mer türkifher Eau, der lebendig gefpiegt ift, und dem das Eifen noch nicht die edleren Theile verwundet. Wenn Ihr fertig feid, kommt zurück! IH will Euch den Reſt er⸗ zählen. Denn ic fühle, id kann nicht fterben, ehe ih vor Euch gebeichtet habe, obſchon Ihr Ketzer feid, die mich nicht abfolviren können. Macht nur, dag ich die Schwarze nicht wieder fehe, dann hat «6 keine Noth.

Ich nahm das Heft, ging zu Concordia in unfere ge⸗ meinfhaftlihe Höhle, und las mit ihr die Bekenntniſſe, die ich Euch bier mittheile.

4. Lemelie's Lebensgeſchichte.

Id bin zu Paris im Jahre 1590 geboren, chen in der Hrogen Hungersnoth, als die Pfaffen durch Prozeffionen die Zeit vertrieben, und Predigten: wer vor Hunger ftürbe, ftürbe den Martyrtod. 30,000 Menſchen maren fhon vor Hunger hingeſchmachtet, und Heinrid der Bierte konnte doch noch nicht Paris einnehmen. Ih ftamme aus der alten Samilie "*""*, meine Eltern waren aber blut- arm, und bewohnten ein Meines Haus in der rue de la ferroniere; denn fie gehörten zur Partei der Guifen, und hatten, ale Heinrich der Dritte den Herzog von Guife duich adıt Edelleute erdolchen lich, kaum das Lehen geret- tet. Iept lebeen fie ſtill und ängftlid unter dem angenom menen Namen Lemelie, trieben ein bürgerliches Gewerbe,

32 Lemelies Lebensgeſchichte.

und verdienten ihr Brot damit, lakirte Papparbeiten zu machen, welches Handwerk mein Vater in beffern Tagen 6108 zum Vergnügen gelernt hatte.

Ich börte in meiner Kindheit nichts, als von Mord und Vergiftung. Meine Eltern waren eifrige Katholiken, baten die Hugenotten auf's Blut, und ſprachen von der Bartholomaͤusnacht, von dem Morde des Admirals Coligny und von der Vergiftung des Prinzen Eonde, mit der größ- ten Entzüdung. Die Königin Katharina de Medicis, ein Weib von allen Zaftern zufammengefept, ward uns als ein Mufter aller Frauen gepriefen. Man ſprach von dem lie, benswürdigen Zuge Karls des Neunten, dag er felbft durchs Fenſter, auf feine Unterthanen ſchoß, und „Zödtet! Tödtet!“ tief. Heinrich der Dritte war aber meinen Eltern von Herzen verhaßt, weil er den Herzog ermordet hatte; und ihre Freude war groß, als der gottesfürdtige Moͤnch Ia- tob Element fi) als Supplitant zu ihm hineinwagte, und ihn auf dem Nachtſtuhle, wo er, von Hofleuten umringt, Audienz gab, ermürgte. J

Bas baif aber die Bartholomäusnacht, wenn man einen Keper, wie Heinrid den Bierten, auf den Thron feßte? Sobald er König werden konnte, ſchwur er feinen Glauben ab. Konnte man aber auf diefen neugebadenen Glauben bauen? Tapferkeit konnte man ihm freilich nicht abſprechen, und fein Suly war ein recht guter Rechenmei⸗ fer; auc gefiel dem gemeinen Volke ſehr feine Aeugerung, dag, wenn ihn Gott leben laſſe, fole jeder Bauer im Kür nigreiche, wenigſtens alle Sonntage fein Huhn im Topfe baben. Man kannte ihn aber übrigens recht gut; er war ein wäthender Spieler, und der Unzudt fo ergeben, wie Einer; auch ſah er oft nicht viel anf die Mittel, die ihn

Lemelies Lebensgeſchichte. 33

zum Zwede führten. Er pflegte fid darüber ſpaßhaft fo auszudrüden: Ich vergolde die Böfen alle Tage, damit das Blei ihrer Bosheit nit fihtbar werde.

Weil er num nicht alles Blei vergolden konnte, blieb immer ſichtbares Blei genug übrig, und man dachte nur daran, wie eine unſichtbare bleierne Kugel ihn treffen, oder wie man ein unfihtbares Eifen gegen ihn wehen könne,

Erſt verfuchte der Jeſuitenſchuler, Johann Chatel, ihm einen Streidy zu verfeßen, that es aber fo ſchlecht, dag er ihm nur ein Paar Zähne in den Mund binein ftieß; wo⸗ durch er Niemand als die ſchöne Gabriele beträbte, wenn fie der König küffen wollte. Es follte aber beffer tommen! Die ungeheuren Todesmartern des armen Chatel erbitter- ten die Herzen nod mebr, und bald fand ſich in unferer Nachbarſchaft ein Mann, der die Sache verftand.

Natürliherweife mollte fi) fein vernünftiger Menſch zu folder Aufopferung hergeben. Denn mas ginge ihn das Heil Frankreichs an, wenn er felbft lebendig gerädert werden follte? Glüdlihyermeife giebt es aber immer der gutherzigen Narren genug, mit deren Pfoten man die heir Ben Kaftanien aus der Aſche berausziehen Tann, ohne ſich felbſt die Finger zu verbrennen. Ein folder Schwärmer lebte in unferm Quartiere, id) Iernte ihn durd einen Zu⸗ fall fennen

Ich machte ohngefähr achtzehn Jahre alt fein, als ich eines Abends ziemlich ſpät im Garten der Zuillerien ſpa⸗ zierte, wo mir ein huͤbſches Mädchen ein Stelldichein gege- ben hatte,

Als ich fo herumging, und vergeblih in der Nähe eines Teiches wartete, hörte ic), bei der verabredeten Hede,

Oedlenſ. Eqhriften XVIIL, 3

34 Lemelies Lebensgeſchigte.

lögtih Jemand in's Vaſſer fallen. Ich fürhtete, daß es mein Maͤdchen wäre; das Baffın war nicht tief, und it Mürzte mid ohne Bedenken ins Bafler, um meinen Gold» RI wieder zu fangen. Statt des Goldfiſches hatte ich aber eine garfige Kröte zu packen bekommen. Es war ein biglier alter Menſch, bla, hager mit einem großen Maule, ſchwarzen Zäpnen, und matten Kleinen ſchiefen Aus gen, die er aber fehr andägtig gen Himmel kehrte. Er füpte mir die Hand zu wiederholten Malen, und dankte “vielmals, dag id) ihm gerettet habe; nicht, weil er das Le ben fo fehr liebe, fondern, weil er glaube zu großen Zwel- Ben der Welt geboren zu fein, welche nod nicht in Erfül⸗ lung gegangen.

Ih Hatte keine Zeit, diesmal länger mit ihm zu ſpre⸗ dien. fondern eilte, trodne Kleider anzuziehen, und mein Mädchen zu finden. Den Abend darauf traf ic aber dies fen Menſchen wieder tm Garten, und madıte feine nähere Bekanntſchaft. Ein fonderbarerer Kauz ift mir nit vor- getommen. Er hieß Franz Ravaillac, ein gewefener Ordensbruder, und aus einer armen Patrizier- Familie. Er trug ein bärenes Hemd auf dem biogen Leibe, lebte meiſt nur von Brot und Wurzeln, geißelte fih oft, und ging nur aus, wenn es regnete und blies, um die Todten- grüfte zu beſuchen. Als id ihn frug, warum er das thue? antwortete er: um das Fleiſch zu tödten, und den Verſu⸗ dungen zu widerftehen. Der heilige Hilarion habe fi) des⸗ wegen felbft mit Zäuften geſchlagen; Evagrius ftand bei Binterzett naft in einem Brunnen, bis er vor Kälte er» ftarrte. Das hatte er aud im Garten thun wollen, ale ihm ein reizendes Maͤdchen begegnet Avermuthlid) meine Liebſte). Weil er aber das Gleichgewicht verkor, und ums

Lemeltes Eebensgerdißte. 3

Ken märe er gerotß ertrunten, wenn Ach ihn nicht gerettet e.

Ein Bild, das in der Vorhalle eins Kloſters King, und einen lebendig gefhundenen Mäetyeer darſtellte, war ihm die liebfte Augenweide. Stumdenlang konnte er mit größter Wollur fo ftehen, und die blutigen entblögten Mus⸗ kein der Leidenden heiraten, nebſt den Henkersknechten die theils die Haut abzogen, theils ruhig wit dem Meſſer im Munde ftanden, wie Meßger, die einen Ochſen ſchlach⸗ ten. Bas das füß, mas dag bonigſüß fein muß feufzte er fo für die gute Sache zu fterben. Sein Blut duftete wie Nofen, die Meſſerſtiche ſchmecen ihm wie Am⸗ broſial und mas des tollen Geredes weiter war. B

Vir lachten oft über ihn, ich und meine Geliebte, das Kammermädden der fhönen Maranife de Verneuil, einer geweſenen Maitreffe des Könige. Diefe Ehre durfte fir leider nicht lange genießen; er verlich fie, nad) feiner Leichte finnigen Art, um andern Liehfhaften nachzugehen. Oft hörten wir die arme Verlaſſene in ihrem Gemade meinen und rufen: Lebt denn kein Chriſtenmenſch, der diefem ln treuen feinen Lohn geben will?

Zu der Zeit ereignete ſich noch etwas, Pas mir einen perſonlichen Haß gegen ven König einflögte, Mein Vater debte, wie gefagt, von latirten Papparbeiten, aud konnte

“er von Drangeſchalen niedlige Biskuitſchachteln machen Was er nit zu Haufe verkaufte, verkaufte ich für ihn auf dem Miorkte, wo id einen Laden und ziemlich viele Kunden unter den hübſchen Mädchen hatte, weil ich gut ausſah und ihnen allerlei Luftiges Zeug vorſchwatzen konnte.

Eines Tages kam ein teiher Bauer, und wollte mir eine Schachtel abtaufen. Man fagt: Wenn der Narr zu

3 Lemelies Lebensgeſchichte.

Markte kömmt, gewinnt der Krämer Geld. Ich merkte wohl, der Kerl verftehe ſich nicht auf fo etwas, und ver⸗ langte daher zehn Mal fo viel, als das Ding wohl werth fein mochte. Beil nun aber der Laffirnis recht rein und bell Über dem bunten Bilde glänzte. das Adam und Eva im Paradieſe vorftellte, fo ließ ih es der Bauer gefallen, und gab das Geld ber. Kaum hatte ic) es in die Taſche geftedt, fo kam ein anderer Papparbeiter, und wollte ihm ein aͤhnliches Stüd weit wohlfeiler verkaufen. Der Bauer verlangte fein Geld zurüd, id) wollte es ihm aber nicht ge- ben, und eben in diefem Augenblide ging der König vor- bei, denn er hatte es ſich zur Pflicht gemacht, auf den Märkten herum zu geben, um zu fehen, ob auch die Bür- ger ihr Fleifh und Brot zu billigen Preifen befämen, und ob das Hubn bald aus dem Ei gekrochen fein würde. das der Bauer ae Sonntage im Zopfe haben follte,

Der König wollte willen, worüber der Streit entftan- den wäre, man fagte cs ihm. Gieb ihm das Geld gleich zurück, Bube! rief der König, entrüftet mit veraͤchtlichem Bid. Diefe Beratung trieb mir das Blut in die Wan- gen, und ich ſprach: Eire! ih bin fein Bube, ih bin cin armer Edelmann, den das Unglüd nöthigt, ein hüͤrgerliches Gewerbe zu treiben. Du beſchimpfſt ſowohl Adel als Bürgerfhaft mit diefen Worten, erwiederte der König. Das Unglüd nöthigt feinen Dazu, VBetrügereien zu begehen. Glaubſt Du etwa, weil Du viedeiht zu den Hefen des Adels gehört haft, daß Du ungeftraft den guten Maren bürgerlichen Trank mit Deinem Unflate verunreinigen darfft? Id) antwortete in der Berlegenheit etwas unzufammen- bängendes Zeug. Der König fehrte fih aber lachend von mir und fagte: Der Burſche ſcheint entſchlich einfältig zw

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Lemelies Lebensgeſchichte. 3

fein; id glaube, er hat es mehr aus Dummheit als aus Bospeit gethan. Wir wollen ibm diesmal durch die Finger fehen. Damit ging er. Ich blieb befhämt zuräd, und mein Handel mar ruinirt, denn von diefem Tage an, wollte Niemand mehr etwas von mir kaufen.

Ich vertraute meiner Geliebten noch felbigen Abend mein Ungläd. Die Marguife fam zu uns hinein, und bee Magte ſich auf ihre Weife. Sie hatte Beſuch bei ſich von einem fehr vornehmen Herrn. Gr hatte feinen Bedienten weggeſchickt, und frug jetzt freundlich, ob ih wohl fo gut fein wollte, ihn nach Haufe zu broleiten; denn es war zu der Zeit unfiher, allein fpät des Abends auf den Straßen zu gehen. Ich hatte nichts zu verlieren, und es freute mic, dem großen Herrn einen Gefallen zu thun. Ich mußte ihm durd viele Gemächer auf fein Zimmer folgen, obſchon es fehr fpät war. Hier ſprach er fehr Leutfelig, allein mit fo ſchwacher Stimme, daß id es faum hören konnte: Lieber Zemelie! Ihr thut Unrecht daran, den guten König fo fehr au haſſen, denn er ift wirklich ein herzenslieber Menſch, und würde fi) als Privatperfon, als tabferer Soldat, als an⸗ genehmer Gefelfhafter vorzüglich) gut ausnehmen. Leider iſt er aber zum König gar nicht geſchaffen, und das ift ein großes Unglüd, dem je eher je lieber vorgebeugt werden muß. Sein Tod ift ein nothwendiges Uebel, zum Heil des Ganzen; und da darf denn ein wahrer Patriot ſich von Tiebensmwürdigen Schwaͤchen und Bedenklihfeiten irre machen laſſen. Border konnte man freilich mehrere Strupel begen, als er noch Ketzer war, jeßt aber hat es mit feiner Selig- feit feine Noth; und wenn man ein gutes Mittel müßte das kein Auffehen machte, wodurd man ihn leicht und ſchnell in die Ewigkeit verfeßen könnte, Id gebe Euch

38 Bemelies Lebensgeſchichte.

mein Ehrenwort darauf, ein folder Watriet, der diefen aligemeinen Wunſch erfüllte, Könnte auf die böchfte Dant barkeit der meiften Bergen Frankreichs Rechnung machen? und eine Geldſumme, die ihn Zeitlebens zum reichen Manne machte, würde ihm gewiß zugefihert werden.

Ich fah dem grogen Herrn ſchelmiſch in die Yugen, und antwortete nafeweis: Ihe wagt viel, Monfeigneur, mir einen ſolchen Vorſchlag zu than.

Gar nichts, lieber Lemelie, antwortete er ganz ruhig, Euer Leben iſt in meiner Hand, ih babe meine Spione überali; aus der Schule zu ſchwatzen und Euch in's gewiſſe Berderben zu frürzen waͤre tineriei. Ich fage es nur sam Scherz, gnädigre Here, verfeßte ih. Ihr begreift wohl, dag es mir eben fo viel um des Königs Untergang zu thun ift, als Euch. Wenn man, wie gefagt, nur ein Mittel wüßte. Nun, es giebt doch eigentlich der Mittel genug, bemerkte er. Nacht, Duntelyeit, ein gut geſchliffe ner Dolch, Lönnen Vieles ausrichten. Der Tag Tank aber Vieles entdeden, fagte id, und in's warme Bad, das man dem Jakob Element und dem Johann Chatel geheizt, bat man viel Senf und Salz gemiſcht; ich jweifle, daß fobald wieder Jemand darnach gelüftet,

In diefem Augendlide ging mir aber ein Licht auf, und id} rief froßlodend: Und doch, gnädiger Herr. Ihr wohnt ja dem botanifhen Garten fehr nahe, wo die ſchöne Palme fteht? Könnt Ihr mic einen Palmenzweig verfihafe fen (elbſt Habe ich aud ein reines weißes Hemd), fo Pe den Wunſch zu beiderfeitigem Vergnügen durch⸗ zuſegen.

Der große Heer glaubte erſt, dag ich wieder ſpate; als id ihm aber alles erklart hatte, fand er den Einfal

Lemelies Lebenegeſchichte. 39

vortrefflih. Er verſchaffte wir heimlich den Palmengweig: id) z0g ein weißes Hemd über die Kleider, fepte mir eine lange blonde Peruce auf's Haupt, und weil ih von Kine desbeinen wie cine Kape klettern konnte, (bis in frütere Jabre, mo ich an Schwindel leide) fo ſchlich ich mid aufs Dach und foazierte über ein Poar Nachbarhäuſer. bie ih an Novaillacs Dachſtube kam. Hier brach id) einige Zu⸗ gelſteine 106, kroch in’s Zimmer hinein, und verbarg mid) im Bintel, .

Er kam fürg darauf zu Haufe, machte mir mit Pater nofter- beten die Zeit ziemlich lang, und legte ſich endlich aufs elende Bett, nachdem er einige Heiligenbilder eifrig gekügt hatte. Ehen wie er das Licht auslöfhen weilte, er- ſchien ich mit dem Palmenzmeige in der Hand, und rief: Granz Ravaillac! Er ſchien eine ſolche Erſcheinung bei nahe erwartet zu haben; denn fie wunderte ihm gar nicht. Er richtete ſich auf die Kniee auf, faltete die Hände, und fagte andächtig: Sprich, Herr! Dein Diener hört. Fram Navaillac, verfepte ich ruhig und gebieterifih: Du folk Heinrich den Vierten, König von Frankreich, erſchlagen; dadurch geſchieht unfer Wie im Himmel, wie auf Erden. Er ſchloß die Augen andächtig zu; neigte fh mehrmals zur Erde und feufzte: Wohl, Here, ih gehorche. Sithel ich bin Dein geringer Knecht. nur ein armfeliges Werkzeug deſſen Du Dich zu der Ausführung diefer großen Entwürfe bedienft. Ic blies fein Licht aus, Metterte noieder zum Dache hinaus, fehte die Ziegelfteine wieder vor das Loch, und gelangte glüdlih in meine Wohnung zurüd, ohne ent- dedt zu werden, und ohne den Hals zu brechen.

So geſchah denn jene That, melde die ganze Welt tennt.

40 Lemelies Lebensgeſchichte.

Als des Königs Kutſche eines Tages in unfere Straße tam, mo id) mit meinem Kameraden la Maffon am Ten ſter fand, war der Weg von Fuhrleuten und Kärrnern fo verftopft, dag ftill gehalten werden mußte. Die Bediente ſprangen alle Herunter, einige gingen über den Kirchhof, andre liefen voraus, um Pla zu machen; fo daß der Kd- mig ganz ohne Bedeckung gelaffen war. Die ſechs rüd- wärts figenden Herren faben ſich nad den Pferden um.

In diefem Augenblide entdedten la Maſſon und ik unfern guten Freund Navaillac, der fih ganz leife umd eilig herſchlich, und durd die Menge zum Wagen bin ar- beitete

Sieh einmal den Ravaillac, ſprach la Maſſon zu mir, er ift bei Gott aud heute aus dem Nefte gefrohen, um die Umtriebe der eiteln Welt zu feben Man merkt es ihm an, dag er Furzfichtig iſt, weil er fi) dem Wagen fo fehr nahet. Ich fürchte aber, feine Nafeweisheit wird ihm übel befommen. Mein Seel, rief er wieder, der Kerl ift ganz toll, er fteigt aufs Wagenrad hinauf, und büdt fid in den Bagen zum König hinein, als ob er ihn küffen wollte,

Kaum hatte la Maſſon das gefagt, fo hören wir den König rufen: Gott! id bin verwundet! Er ftürzte zu» rück in feinem Blute, und Navaillac, der ſich leiht im Ge⸗ tümmel hätte wegfcleihen können, wenn er das Mefler nur weggeworfen häfte, ftand ſtarr und ruhig, mie eine

- Bildfäule; mit dem blutigen Eifen in der Hand, und er⸗ wartete den Lohn feiner That.

Diefen befam er denn nun aud fo derb und tüchtig, wie es nur der Graufamfeit möglid war, folden zu er« finden. \

uUebrigens hätte Ravaillac ſeht leicht aus dem Gefäng-

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Lemelies Lebensgeſchichte. 41

niſſe entſchlüpfen können, das man oft für ihn offen ſtehen lieg. Die Marquife de Verneuil, die mit vielen Großen des Reichs in Verbindung fand, und der es wehe that, daß der arme Teufel fo zu fagen unfhuldig ftürbe, weil er nur ein blindes Werkzeug ihrer Rache geweſen, ſchickte mid) zu ihm in's Gefängnig, um ihm geradezu zu fagen: er fönne leicht. entfliehen. Wäre ih im blogen Hemde mit einer blonden Perüde, und mit dem Palmenzweige in der dand erſchienen, fo Hätte er ohne Zweifel auch gehorcht. Das ging aber niht an, und fo richtete id nichts aus Er ſchůttelte den Kopf, zeigte mir ein altes Bilderbud voll Hinrichtungeu der Märtyrer, und fagte: Sie werden mid nicht mit Martern tödten können! Mit dem’ Schwerte- můſ⸗ fen fie mir das Haupt abfhlagen. Dann wird fih der Himmel äffnen, und der Engel mit dem Palmenzweige wird wieder herunter kommen, mid in Abrahams Schooß hinauf zu tragen.

Ich fagte: Ravaillac, Haft Du Dich doch nicht vieleicht geirrt? Sollte der Engel, den Du zu fehen glaubteft, nicht etwa eine bloße Einbildung oder ein verkleideter Spitzbube geweſen fein?

Gehe hinweg von mir, Du freulender, gottlofer Menſch! rief er wüthend. Ich Habe noch ein Meſſer bier, das mir ein guter Freund heimlich zugeftedt hat. ‚Einen Selöftmord will id) nicht begehen ſprichſt Du aber noch ein ſolches Bort, fo foll es Dir übel geben.

Ich lief aus dem Gefängniffe, ſchlug die Thür Hinter mir zu, und dadıte: Laß den Narren es fo gut haben, als er felber will.

Den Tag nad) feiner Hinrichtung ſchlich ih mic zu meinem vornehmen Gönner, Er empfing mid augeror-

. 42 Lemelies Kebensgefhichte.

dentlich guädig, zahlte mir das Drittel der verſprochenen Summe aus, und verfiherte, dag id den Neft Übermorgen befommen fellte. Drauf Iud er mid ein, mit ihm zu früb⸗ itüden, ſchenkte mir eigenhändig ein Glas fügen Weines ein, der ganz Löftfich fein folte, und frug: ob mir nicht ein Stück Kuchen gefällig wäre? In dieſem Augenblid ward er binausgerufen. Sein kleiner Hund lief umher in der Stube, wedelte mich an, und wollte aud Kuchen bar ben. Ich. gab ihm ein Stüd. Kaum hatte aber der Hund den Kuchen verfhludt, fo beulte er, verdrehete die Augen, lief ein Paar Mal ſchwindlich umber, fiel in Konoulfionen auf den Boden, und war maufetodt.

Mein edler Gönner kam zurüd, und ſtutzte vers muthlich, weil er mich noch lebend fand. Ich deklagte das Unglüd feines Hundes, und verficherte, ich fei am deſſen Tod unfhuldig, weil id nicht gemußt habe, dag der Kuchen vergiftet fei. Drauf bemerkte ih: Ich begreife fehr gut, gnädiger Herr! dag Ihr einen Menſchen los zu werden fucht, dem Ihr ein übereiftes Verſprechen getfan, und der in ein wichtiges Geheimniß eingeweiht iſt. Was aber das Geld betrifft, fo bin id mit der Summe zufrieden, die ich ſchon bekommen habe; und, nicht aus der Schule zu ſchwatzen, dazu zwingt mich ja meine eigene Rettung. Euer Gnaden können mir aber aud) nicht verdenken, daß ich nicht gern ermordet fein wid Soll ich vernichtet werden, fo made id Lärm, gebe uns Beide an, und nebme Euch mit. Das Zenfter ift geöffnet, und ich brauche nur hinaus au ſchreien. Wollt Ihr aber auf Euer Kruzifiz ſchwören mir ferner fein Leides zu thun, fo verfprede id binnen drei Tagen aus Paris, und binnen acht Tagen außer den Grenzen Frautreichs zu fein.

Fortſeßung von Lemelies Lebensgeſchichte. 43

Mein Gönner war äußert Ieutfelig, umarmte mid und verſicherte, dem Kuchen fehle feines Willens gar nichtes der Hund müfle anderswo efmad Ungelundes genoflen ha« ben. Er feiftete mir gleich auf das Kruzifir feines Nacht⸗ uiſches den verlangten Gid, entlieg mid mit vielen Liebko⸗ ſungen mir zur Treppe hinunterfolgend, und- bemerkte nur mit einem feinen Nahdrude und liebenewärdigem Lächeln, «6 würde mir fehr zuträglich fein, je eher, je lieber Fraukreich zu verlaſſen und auf Reifen zu gehen, wodurch fi) ein junger Menſch außerordentlich bilde.

5.

Fortfetzung von Lemelies Lebensgeſchichte.

J

Ich reiſte jetzt nad) Italien, wo id) recht gut hätte le den können, hätte ich nicht die Weiber ünd den Pharao⸗ tiſch zu fehr geliebt.

Ein junges, ſchönes Mädchen in Florenz, mit einem Goldſchmiede, Namens Andrea Druzzi verfproden, wußte ich in der Abweſenheit des Bräutigams in's Garn zu lok⸗ sen. Er mar nad) Frantreich gereift. Die Trennung mugte ich fhlau zu benugen, die Folgen davon wurden Immer fihtbarer; die Zeit ihrer Entbindung nahete ſich Ste ließ mir durd) eine alte Fran das neugeborne Kind bringen, und bitten, väterlih dafür Sorge zu tragen. Bas folte ih mit dem Wurme mahen? Ich konnte mich taum ſelbſt ernähren, Ich wickelte es in meinen Mantel,

44 Fortſetzung von Lemelies Lebensgeſchichte.

und ging ſpät Abends längs den Ufern des Arno ſpazieren bis id) an einen abgelegenen, von Bäumen und Hecken vers borgenen Ort fam. Hier wollte ich die Schachtel mit dem Meinen Mofes in's Schilf hinunter feßen, damit ihn eine mitleidige Prinzeffin wieder finde, umd zum großen Manne erziehe; als id eine Stimme hörte, die mir hohl zurief: Laß das fein, Kindermörder!

Eine ſchwarze Geftalt ftand vor mir im, Mantel ge hält. Ic) erfannte aber bald in ihr den Ugolino Gaspa⸗ ri, einen Luftigen Gefellen, deſſen Bekanntſchaft ich In Siena gemacht, und der, Schulden halber, nicht nad Florenz zu kommen wagte, obſchon ich doch gefehen, daß er in der letzteren Zeit viel Geld im Spiel gewonnen Hatte. Id ging mit ihm, behielt das Kind unter dem Mantel, und frug: Bie bit Du hinter mein Geheimnig gefommen?

Das, und weit mehr, weiß id, ſprach er däfter, und erzählte mir Saden, worüber ich erftaunen mußte, weil kein Menſch außer Antonia und ic das fo willen fonnte, es müßte denn ihr Bräutigam Andrea Druzzi, in Fran reich, fein. Drauf fiedte Ugolino Gaspari die Hand in die Taſche, nahm eine Handvoll Dutaten heraus und frug: Moͤchteſt Du es auch fo gut haben? Gern gleichl war meine Antwort. Fürchteſt Du Dich vor dem Teufel? Nicht fonderlih. Glaubſt Du, dag er Gewalt über die Menſchen übe? Wer eigentlih die Gewalt übt, er miederte id), ift ſchwer zu fagen. Faſt follte man meinen, das Meifte, das in der Melt gefchieht, rühre mehr von ihm, als von feinem fogenannten Gontrapart. Bift Du aud der Meinung, daß ein Vogel in der Hand beffer ſei als zehn in der Luft? Das bin ih. Möchteſt Du wohl auf eine künftige, wahrſcheinlich nur eingebildete Se»

Fortſehung von Lemelies Lebensgeſchichte. 45

ligkeit Verzicht thun, wenn Du es hier im Leben gut und immer vollauf haben könntet? Sehr gern! ſprach ich, doch nicht ohne ein beimliches Grauen.

Bir waren indeß in eine tiefe, dunkle Grotte gekom⸗ men, mo der Mond gefpenftermägig hineinfhien, und mo eine Duelle mit feltfamem Säufeln aus der Tiefe riefelte, als ob fie Geiſtergeſchichten der Unterwelt erzählen wolle.

Ich habe mid) ſchon dem Teufel ergeben, ſprach Ugos Kino Gaepari düfter, und Haft Du Muth, kannſt Du «6 jegt auch thun. Hier if ein Pergament aus Menfchenhaut zubereitet, da eine rothe Hahnenfeder, Du mußt aber Dein eigenes Blut zur Dinte bergeben. Id will mir die Haut aufrigen, ſprach ih. Nicht doc, rief er, Dein Blut fliegt ja ſchon in dem Kinde. Tödte es auf jenem ſchwar⸗ zen Eteine dort. Ic fhauderte zurück. Narr! ver» fegte er, meint Du, weil das Waffer weicher ift als der Stein, daß diefe Todesart ſchmerzlicher, oder der Mord unverzeihlicher fei? Du haft mic) ſelbſt vor dem Kin« dermorde gewarnt, forad id zaghaft. It es denn abe gemacht, Narr, daß Du der Bater diefes Kindes bift? frug er höhniſch lachend, und erzählte mir Geſchichten, von denen ich deutlich abnehmen konnte, daß er mit Antonia im vertraulichften Werhältniffe geftanden, während fie mid) mit verftellter Liebe Hinterging.

Diefe Entdedung erbitterte mich fo fehr, daß ich das Kind nahm, und gegen die Felſenwand ſchleuderte. Eich, da haben wir rothe Dinte volauf, ſprach er ruhig: tunfte die Feder in das Blut und reihte mir fie. Das Aergfte war geſchehen. Ich bedachte mic nicht lange, mein

Gehirn brannte, und in den gräßlichften Ausdrüden ergab -

ich mic dem Teufel ewig mit Leib und Seele.

46 Fortſehung von Lemelies Lebensgeſchichte.

Den Brief mußte ih auf offenem Felde unter dem Sochgerichte, mit dem abgebleihten Schädel eines Dinge richteten in die Erde graben, während der Grhängte am Galgen im Winde baumelnd mir mit den Füßen an den Kopf ſtieß. Ugolino folgte mir darauf wieder auf die Herr frage, hier drüdte er mir krampfhaft die Hand, und ſprach: Lebe wohl, Lemelic! ich habe mid) gerächt. Ic) bin der ber trogene Bräutigam Antoniens, Andrea Druzzi, der, nah Eiena zurüdtommend, Deine Niederträchtigkeit entdedte. Das Kind gehörte wirklich Dir, Mädchenfdänder und Kin» dermörder! Erſt wollte ich Dich morden. Allein diefe Rache dien mir beſſer. Jetzt gehört Du dem Teufel mit Leib und Seele. Er kehrte mir den Rüden, und verſcwand in der Nacht, ich habe ihn feitdem nie wieder gefeben.

Id war in dem feltfamften Gemüthezuftande. Ich ſchauderte vor dem Kindermord, den ic) begangen hatte obſchon ich mit dem Vorſatze binausgegangen war, ibm zu begeben. Andrea Drazzi hatte mid zum Beſten gehabt, und fo war ja aud die ganze Teufelsverſchreibung nichtig und windig. Indeß ängftigte fie mich doch immer noch und id dachte nur daran, wie ih das Pergament, das im Galgenhügel vergraben war, wieder bekommen follte, che es der Teufel nehme.

Es koſtete mid große Ueberwindung, in dunkler Nacht wieder über das einfame Feld hinaus nad) der Schädel ftätte zu geben. Das Pergament hatte ib unter dem Gal gen, mitten im Dreiet, wo die Araunenwurzeln wachſen vergraben. I konnte beim Sternenfhimmer ten Gchan- genen in der Ferne bin und her ſchweben fehen. - Es ſchien mir cin ſchwarzer Engel zu fein, der den Schatz bewachte. Lange ftand ich unfglüffig, und wagte nit, hinzugeben,

. Sortfegung von Lemelies Lebensgeſchichte. 47

Endlich (höpfte ih Muth, und Hatte mic wieder dem Gal- gen auf einige Schritte genäbert, als der Gchangene plötz⸗ lich herunter fiel, (der mürbe Strick mag eben zerrifien fein) und mit feinem Körper den Drt bededte, wo ich mein Pergament vergraben hatte. Den Todten meg zu wäl- sen, um die Verſchreibung wieder zu befommen, war mir unmöglıh. In diefem Augenblide hörte id) alle Hunde des entfernten Dorfes gräglih Heulen, und drei Naben flogen ſchreiend dem Hochgerichte vorbei Ein paniſcher Schreden mich, die Haare ſtanden mir zu Berge und ich entfloh.

Nach Florenz fam ic) nicht wieder. Ich hatte da nichts zu fuchen, ih wollte Antonia nicht wieder fehen, und fürd« tete, Andrea Druzzi werde mir da, wenn id mid fehen fiege, einen noch ärgeren Streich fpielen. Id pilgerte nach Pifa, mo id nur mit einem einzigen Goldlüde in der Ta ſche aukam.

Id ging ins Spielhaus. Ich hatte nur das eine Goldſtũc zu verlieren, und doch fürchtete ich beinabe zu ger winnen. Ich fehte das Goldſtück auf eine Karte, und ge wann. IA) ſpielte gluͤcklich; als ih wegging, Hatte ich die Zaſche voll Gold. Hat der Teufel das gethan, dadıte id), fo bat er es gut gemacht. Mir mar wieder luſtig zu Wuthe; id) ap und trank tüchtig, und fühlte mid, von der Melandyolie befreit.

In Livorno machte ich die Bekanntfhaft eines Freibeu⸗ ters, ging mit ihm auf die See, er Ichrte mid die Navi⸗ gation und wir machten große Beute. Viele Graufamtei- sen begingen wir, die von diefem Geſchäfte unzertrennlich find, und wogegen die sollen Streiche, die id) vorher ge- mat, wahre Keinigleiten waren. "

Plotzlich begegnete une einmal eine Fregatte. Bir

48 $ortfepung von Lemelies Lebensgeſchichte.

Aufrührer wurden ergriffen und auf die Fregatte gebradt, mo man mit uns furzen Prozeß machte, denn wir murden alle gehangen.

Ich auch? Verſteht ſich, ich auch. Die ganze Galgen leiter der Todesangſt mußte ich erklettern, und beichten mit dem Strick um den Hals. Als ich aber fo, mie Neinede Fuchs, auf der Himmelsleiter fand, dachte ih: Sollte der Teufel Dir doch diesmal nicht mieder davon helfen? In der Verfäpreibung hatte ich den Fehler begangen, mir feine beftimmte Xebenszeit zu bedingen. Dielen Schler, dachte ic, madıte er ſich jeßt zu Nuge. Bei ihm findeft du feine Hülfe mehr. Weil er nun alfo nicht mebr helfen wollte, tehrte ich mein Gemüth zu Gott, weinte fehr, zeigte aufs richt ge Neue, und wurde von einem katholiſchen Geiftlihen abfolvirt, Das hat mid, wahrſcheinlich gerettet, Denn weil ich dieemal gar zu fromm aus der Welt gegangen märe, bat der Böfe wohl gefürchtet, mid) zu verlieren. Er rettete mid nur, damit id mieder fündigen follte. Kaum mar ich auf dem Bugfpriet in die offene Eee hinausge bängt, fo zerriß der Strid mit mir wie mit dem Gehäng- ten auf dem Felde. Ich fiel in’s Meer, und das Schiff fegelte fort.

Ein mitleidiger Matrofe hat mir ein Ruder zugewor fen. Darauf ſchwamm ih fo lang umber, bis ein fremdes Saiff vorbei kam, das einen andern Weg nahm, und fang- fam gegen den Wind lavirte. Ih war nur darauf be- dacht, mir den Strid vom Halfe zu haften, welches mir viele Mühe machte, fo daß ich beinahe unter der Arbeit er» trunten wäre. Ich konnte aber unmöglig, mit diefem Dr» densbande um den Hals, das fremde Schiff befteigen; denn- mas würden die Leute wohl von mir gedacht habın?

Fortſehung won Lemelies Lebenogeſchichte. 49

Endlid gelang es mir, und ic kam als verwngläßter fran- söhfer Seemann, der über Bard gefallen war, nad Hapıe de Grace

Ich hatte wieder nicht mehr als eine einzige Goldmünze, die der mitleidige fremde Kapitain mir beim Abſchied ge geben. Es mar ein italienifger Dulaten und fo Tann die Phantafle mit einem fpielen es ſchien mir der» ſelbe zu fein, den ich in Piſa gehabt,” ale ich fo viel im Spiele gewann.

Ic) ging wieder in’s Spielhaus. Ein Mulatte in ro» ther Offiziersuniform ſpielte unglüdtih. Ich hörte, es fei der Sohn eines reihen weſtindiſchen Pflanzers, der in Eu- ropa des feligen Vaters Geld vertrödelte. Ich ſpielte mit ihm, und gemann mehrere Abende nad einander fehr große Summen. Immer lächelte er dabei fo hämiſch, daß ich beinabe toll darüber wurde; denn dies verfluchte Hohnge- laͤchter kam mir wieder ganz fatanifh vor, und ich konnte mid) des Gedantens nicht entſchlagen, daß der Teufel in eigener Perfon mit mir Pharao fpice.

Ich gewann fo viel, daß ich mid) bald wieder efablir ven konnte; id) rüftete ein Schiff aus, machte einige Fahr⸗ ten wie andere ehrliche Schiffer, und Rand mid gut dabei. Einige Handelsverbindungen brachten mid nad Kopenha- gen, wo id des Herrn van Leuven Bekanntſchaft machte. Hier war aber der Teufel wieder los, und es abnete mir gleich etwas Schlimmes, als ich die ſchwarze Negerin fah, die mir die fhöne Frau aufs Schiff hinaus bradte. Denn ein ſchwarzes Menfhengefiht erſchrett mid immer in Eu⸗ ropa unter den Weißen; und id) glaube aud gang gewiß

Oehlenſ. Schriften. XVIII. 4

50 Fortſetzung von Lemelies Lebensgeſchichte.

Beiter halte der Elende nicht geſchrieben. Geht bin- ein, lieber Albert, rief Concordia, und laßt ihn Euch den Reſt erzählen, che er ſtirbt.

Ich wollte fie nit bitten, mitzugehen, denn es ahnete mir, dag ich etwas Graͤßliches zu hören bekommen würde, das ich Concordien verbergen mußte.

Id ging allein und fand ihn bei feiner Pfeife, ruhiger als ich vermutet hatte. Der Palmenfaft ift mir jet zu ſtart, ſprach er; bringt mir ein Glas kuͤhles Waffer, dann will ich weiter erzählen, denn Ihr follt alles willen. Ich that, was er verlangte, und er fprad:

Der Palmenfaft ekelt mid an. Dies fhlehte Getränk hat mid) immer berauſcht, ohne mid zu erheitern, in fol» hen Augenbliden that ih, was ic) vieleicht fonft nicht ge» than hätte. So tödtete ich den Meinen Beautiful, und id, muß gefichen, dieſer Mord und der Mord meines Kindes haben die unangenchmften Erinnerungen in mir binterlaf fen. Denn die Erwachſenen, fo ich hinrichtete, Hatten mich alle vorher mehr oder weniger beleidigt; das neugeborne Kind und der Beine Hund hatten mir aber nichts gethan. Darum geftalteten fid) eben auch oft diefe zwei Miffethaten dor meiner Phantafie; und in der Nacht, wenn ich zu viel Palmenfaft getrunken, babe ich oft das blutige Kind auf dem Gerippe des Hundes über die Ehene binreiten fehen, beide wie Johanniewürmer leuchtend

Doch nit blos der Palmenfaft, au Concordia hat mid zu der Sünde verführt. Concordia Lügner! fiel ich ihm in’s Wort, die tugendhaftefte der Frauen, in deren Seele kein fÄmwarzer Fleck it! Was half cs mir, vers ſehte der Boͤſewicht, daß ihre Seele tugendhaft war, wenn ihr Körper immer meine Begierde erregte? Es ging mir

Fortſehung von Lemelies Lebensgefhichte. 51

mie König David in der Bibel, als er Bathſeba geſehen hatte. Urias mußte Reißaus nehmen.

Graufamer! rief ic, fo haft Du ihn dod) ermordet?

Als der düftre Komet am Himmel erfdien verfehte Lemelie war es mir, als folte das ein Zeichen der Höle bedeuten. Es war mir aber viel darum zu thun, dag Eoncordia gegen’ mid, feinen Verdacht fhönfe Ich ftellte mich alfo krank an, und fei cs nun, dag mid der Vorfag ängftigte, genug, ich zitterte mie ein frierender Hund un» ter der Decke; und wäre felbft ein Arzt auf der Infel ger iwefen, er hätte mich für einen Kranfen anfehen müffen.

In jener verhängnigvollen Nacht ſchlich ih mid aus

. dem Bette, zog mid) ſchnell an, und eilte nad der Stern

warte hinauf. Der Aitronom faß bei feinen Berechnungen Als er mic fah, erblagte er und griff nach feinem Hirſch⸗ fänger. Ic, löfte meinen Degen von der Seite, reichte ibm diefen, und ſprach demüthig: Mein Herr! tödtet mic, gleich auf der Etelle, oder laßt Euren böfen Verdacht gegen mich fahren! Denn was nügt mir ein Leben auf diefer mens ſchenleeren Infel ohne Fteundſcaft? Ban Leuven reichte mir drauf freundlich die Hand, und frug, was id fo ſpaͤt bei ihm wolle? Darf id) aud nicht einmal den Komet durd Euren Tubus fehen? fragte ih. Eure Frau und Herr Albert haben mic zum Beſten gehabt, weil ich mich vor diefem Sternbilde fürdtetes ich war aber krank. Icgt befinte id) mich beſſer, und ich dachte wohl, daß Ihr noch nicht zu Bette wäret.

Als ich ihm auf diefe Weiſe beruhigt hatte, mar er ſehr dienftfertig, pußte die Gläfer des Tubus, und lieg mid hineinfhauen. Die Haare ftanden mir zu Berge, als ich das bimmliſche Ungeheuer durch das Ber: fab, wo⸗

32 Jortſehaung von Zemelies Lebenszeſchichte.

durch ſich alles vergrößerte und deutlicher wurde. Die runde Dunſttugel mit dem langen Schweife ſchien mir ein Furien geſicht mit aufgelöften Haaren zu fein. Es kam mir To vor, als ob das Fernrohr von meinen Augen bis zu ih⸗ rem Munde hinaufreihte, ale ob fie mir badard, wir durch ein Sprachrohr, fage: Tödte ihn jeht, den Verhaß. ten und genieße des fügen Lohnes.

Ich zitterte, und legte den Tubus ans der Hand, ans Furt, van Leuven Habe diefe Worte auch gehört. Er merkte meine Gemüthsbenegung, und Re ſchien ihm nicht du befremden, weil die Nachterſcheinung, auch ganz natier- lich gmemmen, für ungewohnte Augen etwas Schredliches on ſich hat.

Ich ließ ihn jept fein-Etedenpferd reiten, und mir et- was von der Aftronomie vortragen. Was er fagte, verftand ich gleich, weil ih Matpematit gelernt Habe. Das freute ihn. Mit Euch, rief er, kann man dod über ſolche Dinge ein vernünftiges Wort ſprechen. Der gute Albert und meine Concordia Hphantaßren immer poetiſch. Ueberbaupt, Herr Lemelie, verfegte er ernft, feid Ihr ein Mann von vielen Fähigkeiten, wenn nur cr ſchwieg.

I verftehe Euch, antwortete id; menn nur das Herz beſſer wäre. Ich ſchwoͤre Guc zu, Ihr font künftig mit mir zufrieden fein. Ih babe eine Kamaͤleonenatur, febt Ihr, die immer von den nächften Umgebungen ihre Farbe leiht. Schlechte Gefeifhaft Hatte mic verdorben, mit Guch guten, tubigen Menfhen will id) künftig auf dieſer aller« liebſten Infel ein tugendhaftes Leben führen.

Nun war der ebrliche Holländer vollends mit mir ver- grägt, zumal als id, wie ein wißhegieriges Kind, mit ge falteten Händen vor ibm Rand, und ihm cine moralifche

Fortſehung von Lemelies Sebensuefhiäse. 53

Vorleſung halten ließ. Zum Adſchied drüdte er Ink die Hand und fagte: Ich bege jetzt von Euch die befte Hoff nung. Ah, rief ih. als mir auf den Altan herausger femmen waren, laßt mich doch nod) einmal durd's Fern. rohr fehen. Er reichte wir es. Das Gefpenfterkild war jeßt röther, zorniger geworden, in feinem Gefihte glaubte ich Trampfhafte Zulungen wahrzunehmen. Es ſchüttelte

- das Haar wie eine ungeheure Mäpne, und drunten ſchäum ·

ten die Bogen des Meeres, vol Ungeduld, ihr Opfer zu verſchlingen.

Der Komet hat fein Geſicht verzogen, rief id; es ber west fich etwas drin. Phantafirt Ihr nun auch, Leme⸗ hie, rief van Leuven lachend;z es wird eine Beine Wolte fein, die eben vorbei ſchwebt. Er nahm den Tubus, und fhaute hinauf; id ſtieß ihn mit aller Gewalt in den Nüden. und er ftürzte über das niedrige Bollwerk in den Yogrand hinunter.

Daun verließ ich den Fels, und nahm meine Flinte wit, die ich drunten hatte ſteben Laffen, um van Leuven nit zu erſchrecken. Obngefahr eine Viertelftunde von diefer Höhle entdedte ih etwas Schwarzes, das in's Ge büſch hineinſchlüpfte. Ich zielte mit der Flinte in den Buſch binein, als eine Stimme rief: Drüde nicht los! Ich bins. Welcher IH? frug id; komm heraus oder ich ſchieße. Die ſchwarze Minga trat hervor. Was machſt Du fo foät bier? frug ich. Das frag’ ih Euch, ant- wortete fie fed. Ihr feid fleberkrank, und kauft doch in die Nachtluft hinaus? Ich wollte Euch zu trinten geben, da fand ich das Neft leer und den Vogel ausgeflogen. Du ſchleichſt mir auf den Ferſen nad, um meine Wege ausäu« ſpahen, Unverſchaͤmte? rief ih. Weißt Du, wo ih gewe

54 Fortſetzung von Lemelies Sebensgeſchichte.

fen bin? Auf der Sternwarte: da habt Ihr in die Höhe und in die Tiefe gefehen. Verfluchte! rief ich, fie am Halfe greifend und zu Boden werfend, Du mußt auch fterben, Du Haft den Mord gefehen. Tödtet Ihr mid, ſprach fie, fo verliert Ihr eine unentbehrliche Dienerin. Ber fol Euch fünftig aufwarten, Beuer fhlagen, Wafler holen und kochen, die Höhle ehren, Eure Leinewand wa - fen, Concordia bei ihrer Niederfunft helfen? Stirbt fie in Bogen, mas nügt Euch dann der Mord?

Ih fühlte, fie hatte Recht, und dag ic) fie nicht ent behren konnte. Ih mußte, daß fie bigott und abergläu- biſch ift, ich ließ fie einen gräglihen Eid auf das feine Kruzifix fhmören, das fie am Halfe trug, mid) mit kinem Borte, mit feinem Zeichen jemals zu verrathen. Sie ſchwur, und konnte faum ſprechen, denn ic hatte fie ziemlich uns ſanft an die Kehle gefaßt.

Eie Hat ehrlich Wort gehalten. Geſchwatzt aus der Schule hat fie nicht. An meinem Geburtstage hat fie mei⸗ nen Namen mit Diftelblumen umkraͤnzt und mir das Meſ⸗ fer in die Bruft geflogen. Das war nicht gegen den Eid. Der Teufel ift wißig, ich verftehe fhon alles. Die Stunde ift gefommen. Ich muß binunter. Der Schwarze hat mit mir fein Spiel zu Ende getrieben. Hütet Euch vor ihm in der haͤßlichen, fo wie in der fhönen Frauengeftalt! Das iſt der feibbafte Teufel felber. Ic kenne ihn. Er madıt immer den Poffenreiger im Nachfpiele, wenn die Tragödie zu Ende if. Bald kommt er als ein alter weißbärtiger Mann, mit dem Pferdefuge ehrbar unter dem langen Rode verftet, und erbittet fid die Gefälligfeit, mit einem allein zu forehen. Steht man dann alein mit ihm im einfamen Sclafzimmerlein, fo hält er einem das Pergament vor die

Ah que l’amour est chosejolie. 55

Nafe, und verlangt prompte Bezahlung. Dann greift er uns beim Genid, zerfhmettert den Gehirnkaften gegen den Senfterpfoften, verfhmindet mit der verdammten Seele, und die Stube ftinft vol Schwefel und Teufelsdred. Bald kommt er als Negerin. Id riehe ſchon den Schwefel- dampf. Ih ſchwanke über dem Abgrund. Drunten ftehen die Folterbänfe bereit. D Web! O Web! Ih kann nicht beten! Albert Julius! Concordia! zu-Hütfel au Hülfel

Ah que l’amour est chose jolie,

In Rillem Kummer verfloflen die erften Monate nad) diefen tragiſchen Begebenheiten. Die Trauer über den fee- Ligen Gatten, die Sorge für ipre baldige Niederkunft, ließ Goncordia an nichts anders denken, und ihr Zuftand hatte fie fo verändert, daß man das fhöne reizende Weib in ihr kaum wieder erkannte. Dadurch, und durd) die vorherger enden gräßlihen Erfdütterungen, kühlte ſich meine Leiden« ſchaft für fie ganz ab.

Als aber die Stunde ihrer Entbindung heranrüdte, er- wachte wieder ganz die alte Freundſchaft in mir. Ich flocht von Weiden eine Wiege, half der Schwarzen das Kinder- zeug nähen; und während Minga der Woͤchnerin in der Noth beiftand, lag id) draugen knieend im Grafe, und bes tete für fie mit großer Inbrunft. Es dauerte nicht lange, fo bradte Minga ein gefundes, kraͤftiges Kindlein in Win⸗

56 kh que l’amoar est chose jelie.

dein aus der Höhle beraus Jett Maren wir wieder vier Freunde anf der Iufel; jeht war alles Zur! Die vorige Vetlegendeit war ganz verſchwunden. Ich beſuchte Sencor- dien als Bruder, ale Arzt, als Handınerfer, ats Geitn⸗ der; am den vorigen heimlichen Liebhaber wurde gar miht mehr gedacht. Sie gedachte aber au ihres Kunmmers mie mehr. Seit dem fie das liebe And Hatte, ſchlen fie der Bat, der Hoffnung mieder anzugehören.

Ih war von Herzen froh, als ic) einmal wieder den Brediger machen konnte. in fhönes antites Gefäg von braunem Porbhyr, das wir in der Höhle gefunden, und worin die Mönche vermutlich ihr Weihwaſſer gehabt, diente mir zum Tauffteine. Ich gab dem kleinen Mädchen, ohne Goncordien zu fragen, den Namen Carolina Sranzista, wobei die gute Mutter fo gerührt wurde, daß es mir um fie bange ward. Sie faßte ſich aber bald.

NRachher fuchte ich fie anf jede mögliche Weile zu er- beitern. Einige Kißen waren in den Tagen aus einemge- ſtrandeten Schiffe auf die Kiſte geworfen wurden, worin ich Kleider volauf fand, befenders vide Pazenlioreem, welche ſich wabrſcheinlich ein oſtindiſcher Nabob oder weft indifcper Bicetönig für feine Dienerihaft hatte machen laſ⸗ fen. Nun batte ich eben vier Affen in der Sommerlaube eine Seit lang abgerichtet, damit fie Goncordien, nad) ihrer Genefung, als Meine Bedienten aufmarten möchten. Dielen vaßte ich mit Mingas Hülfe die Kleider an, die ihnen fehr gut fanden, aachdem fie ein wenig kleiner gemadt waren; und mie munderte ſich die liebe Frau, als ic) fie endlich zu einem Schmaufe in der Laube einlud, und fie von vier präntig gefleideten Pagen, mit Treffenhäten und galonirten Nöden aufgermartet wurde?

Ah que l’amonp est chose jelie. 57

Diefe Arten waren uns fehr nirplich, fie tonnten Waſ⸗ fer Hoten, Holz ſpalten und die Zimmer kehren. Einmal . aber jagte einer diefer loſen Dienkboten der guten Mutter einen großen Schrecken ein. Sie war bei der Wiege einge⸗ ſclafen, als fie erwachte, fand fie das Kind nicht mehr da. Sie ffürzte mir mit einem Angftgefchrei entgegen, und rief: Bo ift mein Kind? Mir träumte vom Lemelie, dag er aus der Gruft gefiegen, mein Kind ermorden wollte. Ich warf die Augen verzweifelt umher, amd mußte weder aus noch ein, als id, giüclicherweiſe glei einen Affen droben im Heubaufen, zärtlich mit dem Kinde in den Armen figen ſah. Kaum merkte er, daß wir ihm auf der Spur waren, fo. nahm er das Kind, rutfhte damit hinunter, und warf es wieder in die Wiege. Ich erſchratz das Kind hatte aber gar feinen Schaden genommen, und der Dieb entwiſchte leid in den Bald binein,

Von dem Tage an mußten wir mehr Achtung geben.

Sp verflofen zwei Jahre. Eobald Concordia das Kind von der Bruſt entwöhnt hatte, blühete fie wieder wie eine Jungfrau, nur war fie etwas ftärfer geworden, was fie aber noch reijender machte.

Jetzt fing id wieder am verlegen und zerſtreut zu wer« den. Ich fühlte wieder, dag meine Freumdin ein fchönes Weib fei. Einen Morgen ermachte id in Thraͤnen geba- det. Johanna Klein war mir im Traume erſchienen, hatte ſich mit ihrem kindlich⸗ roſigen Geſichte über mich gebüdt und gefragt: Leictfinwiger Albert! fo bald kannft Du Deine arme Johanna vergeflen?

Allein in einer folgenden Nacht offendarte ſie ſich wie⸗ der, und obſchon das Geſicht nichts von feiner Schönheit verleren, fondern vielmehr gewonnen hatte, ſah fie dom

58 Ah que l’amoar est chose Jolie.

nicht mehr wie ein Menfch aus. Sie hatte Flügelein an den Schultern, war halb durchſichtig. und glich einem über irdiſchen Weſen. Sie hielt Goncordien bei der Hand, welche fie mir zuführte, leutfelig ſprechend: Was irdiſch iſt, gebört dem Irdiſchen, was felig it, dem Himmel, Liebt Euch! dort werden wir uns Ale Sieben. Liebt Euch! dort wer⸗ den wir uns Alle lieben, wiederholte eine weiße Geftalt in der Ferne, und ich erkannte deutlich den feligen Franz van Leuven auf dem Hügel im Morgenroth, ohne Blut und Bunden.

Ic erwachte fehr frob; als ih die Augen aufſchlug blictte mir noch ein blühendes Engelsbild in’s Geſicht, Tür chelnd über mic bingehogen. Es mar die Meine drittehalb⸗ jährige Garolina, meine vertrautefte Freundin, und, wenn ich nicht zu weit ging, tägliche Begleiterin. Ich drädte das Kind ans Herz, und fühlte mid von ihren Liebtofungen entzüdt.

Mit der Mutter wagte id) aber Erin zärtlihes Wort,

zu reden.

Ein Gedanke, der mich Hefonders peinigte, war: Wenn fie Dich vieleicht auch jegt ein Bischen lieb hat, wie fann das dir ſchmeicheln, hier auf einer unbewohnten Infel, wo fein anderer Mann da ift, als du?

Ich hatte einen fhönen Raſenplatz entdedt, droben am Felſen, mo man nicht fo hoch binauf zu feigen brauchte, um eine freie Ausfiht Über das Meer zu haben. Hier war eine eine Vertiefung in den Zelfen, von Sträudern ums tingt, wo man in Schuß vor Sonne, Wind und Negen, fipen konnte. Das war jept mein liebfter Aufenthalt. Hier ſaß id) mit der einzigen Erbſchaft Lemelies, die mir lieb mar feiner Laute. IA hatte mic ſelbſt gelehrt, Weiſen

Ab que l’amour est chose jolie, 59

darauf zu klimpern, und ſang dazu, was mir einfiel, wenn ich allein war. Concordia ſpielte die Laute ganz vorzüg- lich, fie hatte verfproden, mir naͤchſtens Unterricht zu ge» ben. Ich zifterte aber dafür. Schon wenn id) ihre lieb⸗ line Etimme hörte, die himmliſchen Blide der Augen fah, wenn fi der herrlich gebildete Arm und die Hände über die Saiten bewegten, zudte es mir durd alle Nerven, wie follte es aber erft werden, wenn fie meine Singer mit den übrigen anfaßte? Nein, mit dem Feuer muß man nicht ſpielen, dachte ih. Es munderte mich, daß mic die kluge Frau in eine ſolche Verſuchung führen wollte, und ich Dachte: Sollte fie did doch nicht vielleicht auch lieben? Nein, fagte ich dann wieder: das ift nur ihre gewöhnliche Outherzigkeit.

Carolinchen ward mir alle Tage lieber. Wie ein nied- licher Lofer Vogel, der einige Worte plaudern fann, flate terte fie immer um mich her, küßte mid und fah mic mit Mugen Augen an. Die Mutter fprad nur immer deutſch mit ihr, denn in den letzten zwei Jahren hatte fie, im Um⸗ gange mit mir, volfommen gut Deutſch gelernt. Als ih mid) darüber munderte, fagte fie: Man fol die erften Ler Densjahre der Kinder nicht in Unterrictsftunden verwan⸗ dein, blos um das Gedaͤchtniß zu fhärfen. Das Gedaͤcht⸗ niß ift bei den Kindern fo ftart genung Das Gemüth ift aber eine fo zarte Blume, der Charakter ein fo feiner Keim, dag beide gleich eine gewiſſe Richtung nehmen müſſen, um nicht flach und fhief zu werden. Das Gigenthümlihe will gleih ausgebildet fein, der Sinn für das Heimathlige; das Närtt Treue, Gefühl, Character, Liebe. Und das ift weit mehr, als ob ein Feines Kind zwei, drei Sprachen ſchwatzen fünn, che es zu denfen gelernt, und ſchon im fünften Jabre nicht weiß, welcher Nation es eigentlich angehöre.

60 Ah que l'am our est chose jolia,

Ich gebe End völlig Recht, liche Concordia, erwit⸗ derte ih nur wundert es mid. daß Ihr gegen Eure eis gene Theorie handelt, indem Ihr dem Kinde Deutſch und nicht Engliſch lebrt. Sie errikhete ein wenig, flug die Augen wieder, faßte ſich aber gleich, ſab mich ruhig am, und ſprach: Wir find jetzt eine kleine Nation aus vier Men ſchen beftehend auf diefer Infel. Ihr feid der Mann, ein Deutſcher, und die Weider mällen fih nah den Männern richten. Mein Cart Franz mar ein Niederländer, deutſchen Stamms; vwir-Engländer waren vormals Sachſen. Das Schicſal bat uns Bier bier von der übrigen Weit gefrennt, fo Dürfen verſchiedene Sprachen uns nicht voch mehr von einander trennen. Wenn Carolinchen fieben, acht Jahre alt geworden iſt, umd Ihr, Hieber Albert, auch Eugliſch wie Deutſch ſprecht, wollen wir Engliſch mit ihr ſpre den.

Ich küßte der ſchönen Fran ehrerbietig die Hand; fie verließ mic, und id dachte: Sollte das dad, nicht Liebe fein? Thor! rief ih dann, fie hat dir ja den Grund deutlich auseinander gefept, hat dir heiter und klar in’s Auge geblidt das thut Liebe nicht.

Einſt, als ich droben anf dem Felfenzafen mit Karo» linden allein faß, und in einem Buche las, tief die Kleine: Bater! Bater! (denn fo nannte fie mich immer) Ein großer Bogel mit weißen Flügeln ſchwimmt draußen. Ich ſchlug die Augen auf und entdedte fern ein Schiff un ter vollen Segeln. Ohne mic zu bedenken, ob man mic aud) bören und fehen konnte, ſchrie und lärmte ich fo Laut als ich es vermochte, und winkte mit dem Taſchentuche. Bald aber war der große Dreimafter wieder aus dem Ge⸗ fichtstraiſe verſchwunden.

Ich kann nicht ſagen, daß ich darüber betrüht wurde,

Ah gue l’amour est chose jolie. 6

obſchon ich mic, beträgt fhellte, als ich mit Concordien darüber ſprach. Es freate fie, dag uns das Schiff nicht entdedt hatte. Wer weiß fagte fie mas das wieder für ruchloſe Menſchen waren. Bielleicht noch ein Lemelie. Ein Vogel in der Hand, lieber Albert, iſt beſſer, als zehn in der Luft. Ja, dachte ich, wer nur den Bogel in der Hand hätte! ich würde nit na allen möglihen Bögeln in der Luft fragen,

Den Tag darauf, als ich wieder auf dem Zelfen mit Garolinden ſaß, die ich auf einem von mir felbftigefhnit- tenen Fibelbrette Buchſtaben kennen lehrte, fiel es mir ein⸗ mal ein, wieder den Poeten zw malen. Ic) fieß das Kind im Grafe fpielen, und als id, meine Neime fertig hatte, fang ich fie folgendermaßen zur Laute:

Ach haͤtt ich nur Fein Schiff erblickt Bon diefen fchroffen Telſenhusein; Das Echicfal hat es bergefchidt, um meine Cchnfucht zu beflügehn.

Sou meine Zugendfraft vergeh'n, Mich feine Freude mehr beglüden? Son überal ich Blumen feh'n, und keine füße Mofe pflüden.

Die Tulpe gtüpt, das ſchneue Thier

In Hödlen findet feinen Gatten,

Der Schmetterling, des Frühlings Zier, Gefreut fich auf den Siumenmatten.

Der Fiſch im Bach, hoc dat im Baum Ber Bovrel feine Braut gefmmden;

62 Ah que l’amour est chose jolie.

Mir iR dab Beben mar ein Traum, Doc ift nicht Birftichteit verfenunden.

ls Adam ging fo ganz allein, Da war nicht Goa noch am Beben; @ie wandelt hier im nahen Hain, Und doch ift fie mir nicht gegeben.

Ic liebe fie und fag’ es nicht,

Gin Heilgee Eidfchwur Heipt mich ſchweigen. Der Liche tiefverborg'nes Licht.

Darf feine kühne Flamme zeigen.

So bleib in Deiner ſtillen Ruh,

I ſuche ſolche nicht zu Nören,

Wein einy'ged Bey und Wodl did Du, Auein ich will der Sehnſucht wehren,

Richt ganı geraubt if mie die Luft: Ich liebe Dich in Deinem Kinde. Drüct’ ich den Engel an die Brut, Das, weiß ich, iſt doch feine Sünde.

Als ich das Lied gefungen, hörte ich ein leiſes Ge⸗ raͤuſch im Gefträuh hinter mir. Mein Herz fagte mir, daß Eoncordia, die gekommen war, das Kind abzuholen, ger lauft babe; ich wagte aber feine Unterfuhungen anzuftel- len, und that, als ob ich nichts gemerkt hätte, Eine Bier telftunde darauf Fam die fhöne Frau, ganz roth im Ger fit, mit dem Schnupftuche vor dem Munde, und gab vor, daß fie an Sahnfhmerzen leide. Weil ih nun mußte, dag

Ah que l’amour est chose jolie. 63

feine von diefen fhönen Perlen durchbohtt war, und- fie fonft nie an Zahnſchmerzen litt, konnte ic) diefen plötlichen Rheumatismus nicht recht begreifen, ließ es aber dahin ger fiellt fein. Sie ging mit dem Kinde, um es zu Bett zw bringen.

Es giebt keine Liebe ohne Seldftquälerei, und fo konnte ich mic des Gedantens nicht entfhlagen: Sie liebt did nur jet, weil fein anderer da ift; das Mitleid hat ſich in ein färferes Gefühl verwandelt; das ift aber nicht wahre Liebe.

Eines Tages begab ich mid) durd den unterirdiſchen Felſengang nad) dem Strande hinunter, ohne zu willen, mas ich da wollte. Unverſehens harte ih mich in die Fels fenböhfe gefeßt, wo Goncordia in den erfien Tagen nach dem Scyifbrude ihre Wohnung hatte. Iept fiel cs mir ein, wie Lemelie einſt darüber gefpottet habe, dag fie an ihrem Geburtstage, als fie mic verloren waͤhnte, Verſe über mid) gedichtet, und wieder entzwei geriffen habe. Auch van Leuven hatte mir ein ähnliches erzählt. Ih unterfuchte die Höhle, und fand, daß ein großer Block mit glatter Fläche da einen natürlichen Tiſch bildete. Zwiſchen dieſem Block und der Zelfenwand war ein tiefer, fhmaler Rig. Da wird fie vieleicht Das zerriffene Papier hinunter gewor⸗ fen haben! dachte id. Ih ſah binunter; der Riß war aber fo tief und dunfel, dag ic nidyts entdeden konnte. Ach das Geheimnig ift in den Abgrund gefallen! feufzte ih, gab aber noch die Hoffnung nicht auf, fondern eilte auf die In⸗ fel hinauf, und holte Feuerzeug und ein Stück Wachelicht. Drunten wieder fhlug ic Feuer, zündete das Licht an, und da fah ich deutlich kieine Papierftüde unbeſchädigt auf dem trodenen Boden liegen. Die Kluft war indeß zu eng und tief, um einen Arm durchzuſtecen. Dafür mußte ih auch

64 Ah que l'amour est chose jolie.

Rath. Ich Fichte ein wenig Badıs an meinen Stab, und fo langte ih gemaͤchlich alle Papierfragmente herauf. Jetzt ging «6 drauf los, Die Stüde auf dem fleinernen Tiſch in Ordnung zu bringen Endlich wer die Sammlung vell- fändig; die fhöne Mofait paßte ganz in einander, und denft Euch mein Entjüten, als ih folgendes Lied engliſch leſen konnte, das ih Euch Wer in der Ueberfegung mir teile:

Er it wicht mehr! Ich ſehe Ihn mic!

Bas edle, trexe Mngefiht!

Er weilt mit und nicht Freud und Same. Zerborſten iR das beſte Herz.

Er ſtieg hinanf dem ſchmalen Steig, Der fühst zu Gottes Oimmelreich. Ein Engel feine Seele nahm, Deshalb er micht herunter kam.

Jegt, Aibert, Ief‘ ich mit Dir nicht Des edlen Ahnherrn fhön Gedicht. Mh Wie daſt Du tief gefühlt! Der Tod Hat Med weggefpült.

Nein, auſer Ufer war nicht todt, In Mondfärein, Morgen + Abendroth⸗ Denn wareft Du nur heiter nah, Damm war auch gleich die Freude da.

3 Fed" ih aoa. mit Locken Erand,” Ir ſad ſo tec und xehlih and.

Ah que l’amour est chose jolie. 65

Schön war er auch und tugendhaft, 4 Drum has der Tod. ihn meggeraf.

Ich liebt’ ihn ſehr und ſaat es nicht. Barum denn nicht? Die Liebe fpricht! Mein Garl hat ihn ja auch geliebt, Und if, wie ich, fo tief betrübt.

Me! Du Holder Jängling fein! Mir ala ein Engel füß.erfheim, In meiner legten Todesfund”, Dann werd ich wieder erft gefund!

Jetzt war mein Entzüden unendlich, und ic zweifelte nicht daß fie mich liebe. Das Näthfel mußte fih bald lö— fen. Doc wollte ih mich nicht übereilen.

Ich beſuchte alfo Concordien heute wie gemöhnlid, tu⸗ big und beſcheiden, fprad nur von Hausfachen, und fragte erſt beim Weggehen, ob fie mir nit bald, nad Berfpre- den, Unterricht auf. der Zaute geben wolle? Ich habe nur auf Euren wiederholten Wunfd gewartet, lieber Als dert! antwortete fie; es ſchien mir, als ob Ihr in der letz⸗ ten Zeit feine ſonderliche Luſt dazu hätten. Ihr habt Euch ja ſelbſt ſpielen gelehrt; es geht fehr gut, Ihr könnt aus dem Stegreife friſch weg alle Melodien fpielen, die Ihr ein Paar mal gehört habt. Ach antwortete ih, das it doch alles nichts, wenn man die Singer nicht recht zu brau⸗ Sen verſteht. Die Applicatur if fehr nothmendig, und wenn Ihr nur ein wenig helfen wolltet Die Noten fenne ich fon, weil id die Orgel frielen kann. Von Herzen gern, ſprach fie morgen wollen wir gleich enfeigen. _

Sehlenf, Schriften. XVIIL.

6 Ab quo l’amonr est chase jelie..

Da droben auf dem Nafenplape im Felſenſchatten ift es fo fhön, verfegte ih. Ich weiß, es iſt Euer Lieblinge ort, fagte Goncordia; gut, id) will Eud da Morgen früh eine Unterrichteftunde geben.

Kaum war die Sonne aus dem Meere in ihrem Pur- pur geftiegen, fo faß ih ſchon mit der Laute da. Lemelie . batte uns aud) einige Noten binterlaffen, da war ein eis nes Lied, das er oft gefielt und gefungen, und das mir in feinem Munde widtig geflungen; jept aber behagte mir - das unfduldige Volkslied fehr, das au einer fhönen Mer lodie gefegt, leicht zu fielen mar. Der Refrain lautete alfe:

Ah que l’amour est chose jolie! Avec l'amour

Toute la vie

Passe comme un jour!

Ich hatte mid nit lange feld geübt, fo hörte ih Concordia kommen. Das Herz Mopfte mir laut im Bufen, und das Saitenfpiel fiel mir aus den Händen in’s Gras. Db fie allein fommt? dachte ih. Hat fie das Kind mit, fo hebt fie mih nit. Sie fam allein.

34 babe mein Carolinchen heute bei Minga drunten

gelaflen, fagte fie; denn das füge Kind würde ung nur ſtö— ren; nicht weil es unartig ift, fondern weil man es fo lieb haben muß, wenn man es fieht, dag man an gar nichts anders denken kann. Das ift-fehr vernünftig, liche Gon« cordia! Sie war in ein großes Tuch eingehült, und ich fonnte noch nicht fehen, ob fie kurze oder lange Aermel träge. Traͤgt fie ange Aermel, fo liebt fie mich nicht. Cie

Ah que l’amaur ent chose jolie. 02

ſchlug das Tuch zurück. Ich fat ein Paar der befannten dänifhen Handſchuhe fih wie feine Häute um die (hönften Schlangen fhmiegen. Der angenehme Geruch des Leders verbreitete ſich und feine Hofe Hätte mir füger geduftet.— Ir fpielt ja da ſchon nad) Noten. fagte fie; und fingt von der Liebe glaub? ih! Franzoͤſiſch! Das iR recht ehrlich. Statt von Liebe zu veden, follten die Männer im⸗ mer Franzöfifk fingen. Das ift em recht Herzlihhes Hei- nes Lied, Concordia! Lemelie hat es freilich ehemals pro⸗ fanirt, dadurch verliert es aber nichts von feinem Werthe, das Schlechte kann das. Gute nicht entehren. Spieit mir doc) einmal die Melodie vor, nad Enrer eigenen Art, Als bert! ih will Eud) nachher corrigtren. Mit der erften Seile, fagte ich, geht es reif gut: Ah que lamour est chose jolie, mit den andern drei Zeilen müßt Ihr mir aber helfen, wenn etwas daraus werden fol. Sie zog die Handſchuhe ab, nahm die Laute, und ein überfeliges Gefühl durchſtromte mich, als ich das f&öne, junge Weib fo ſihen ſah, und ihre liebliche Stimme hörte. Sie wollte luſtig und guter Dinge fein, es gelang ihr aber ſchlecht, ihre Stimme zitterte, und fie kam aus dem Takte.

Ih Habe mic erfältet, ſprach fie, und bin Heute nicht ‚bei Stimme, Kommt! id will Eu den Fingerfag lebren, For ſollt fingen. Gut, antwortete ih, nahm die Laute, fielte und fang: Ah que l’amour est chose jolie!

Schön, ſprach fie; nur weiter!

Avee Pamour verfeßte ih. Nein, nein, fiel fie mir in's Wort. das muß ganz anders gemacht fein Sie ging mir jegt gerade auf den Leib, faßte meine Zinger mit den beiden ·ſchoͤnen Händen und feßte fie zurecht auf die Saiten. Ihr Geſicht war dem meinigen ganz nabe, ihr

5

68 Ah que l’amonr est chose jolie,

Athena beihaute meine Wange. Da war es um mid ge ſchehen; ich drüdte meine-heißen Lippen in den Schnee’ ih ver Hände. Goncordia! liebe, füge Concordia! Die Laute ‚fiel wieder in’s Gras, ich zog fie an mid. Sie tes trachtete mich mit einem unendlichen Liebesblid, ich drüdte meinen Mund auf den ihrigen. Gin herrliher Geſangvo⸗ gel war von den Klängen der Laute zu uns binauf auf den Zelfen gelodt, und während wir nur ſchweigen und Lüffen onnten, fang er für uns:

Ah que ’amour eat chose jolie! Ayec lamour

Toute la vie

Passe comme un jonr.

Von diefem Tage an war ich glädlih, wie Adam im Patadieſe, als er feine Eva gefunden. Was fage ih? Wie Adam? D weit glüdliher, denn die Schlange war ſelbſt aus Eden verjagt, und hatte uns niht daraus verdrängt. In füger idylliſcher Ruhe babe ic) Hier. als Patriarch, mein langes Leben genoffen. Auch glüdliher als Abraham bin ih; denn meine Concordia war mir Sara und Hagar zu glei, und kein neidiſcher Feind beleidigte mid. Auch war ih) glüdlicer als Jatob; denn Gott Hat midy, wie ihn, mit vielen Kindern gefegnet, allein meine Kinder waren alle fromm, und feines von ihnen hätte feinen Bruder verkauft. Auch babe ich noch als hundertjähriger Greis mein ſchar⸗ fes Geſicht, deſſen Ad Iſaak nicht rühmen fonnte. Mein Gedägtnig hat auch nur wenig von feiner Kraft verloren; kein Zug alter Zeit it daraus verfhmunden; obſchon das muß ich gefteben. ich mic, bei weitem nicht fo gut er«

Ah que l’amour est chose jolie. 6

innere, was in den letzten zwei Dritteln meines Lebens ges ſchehen it. Das kömmt wohl aber auch daher, weil ſich in diefen Jahren nicht viel Abenteuerliches zugetragen hat. Und fo will id) denn jept fliegen, und wie der felige Trauts mann in der Zräuleinsfapelle eine Ballade vorlas, um mid) für fein Gefühl zu ſtimmen, will ih meinen Sohn Eder- bard Euch ein Lied vorlefen laflen, das ih am Tage meie ner Hochzeit dichtete, (wo ic) ſelbſt Hodhzeitebitter, Predi⸗ ger, Küfter und Bräutigam war) und daraus mögt Ihr mein damaliges Gefühl abnehmen.

Der Greis reichte Eberharden ein altes Blatt, und der Züngling las: "

Aned verwandelt;

Todt nicht und traurig; Es lebt und es handelt. Wo ich bejaubert die Augen hinwende,

Aoſen und Lieben, ber Frtude fein Ende.

Mite Bafalten,

Treffliche Pfeiler der ſtärtſten Gewalten. @pielen bemooft mit den ſchaumenden Wellen.

Wollen auch gern ſich der Liebe gefelen.

Schwimmende Fifhe * Zaumeln ich neciſch und ſchneu in der Friſche Grerlich gefteidet, wie fllserne Puppen,

Kommen zur Hochzeit mit blintenden Schuppen.

Scevögel ſchreien

Oumnen der Siebe, den tändelnden Haien, Selbſt Leviathan und Behemot fpielen. Kälte des Meeres kann Liede nicht fühlen.

70

Ah que l’amour est chose julie,

Mdier dort oben

MRüften im Forſte die Zierlichteit loben, Sinken aus Bolten in Dämmernde Reſter Blätter und Blumen umfchlingen fich feiter.

Nofen im Zanıe,

Tanje des Windes, ſich (hlingen zum Kranic, Kranı; um bie Blüpende Freundin zu fhmäcen, Kranz; um den fröhlichflen Mann ju beglücen.

Erhnſucht nicht länger . Ettahlet dee Mond, macıt den Bufen nicht enger; Schalfpeit nur lächelt in feinem @efichte,

e qaltheit nur tönet in meinem Gedichte,

Grendig und bei,

Bald als ein Sicht in der Gachteitätapene, Bird er die (hüchterne Schonheit entſchleiern. Wenn wir die füßen Bigilien feiern,

Dann Deine Wöthe,

Yurpurner Morgen, erwecket die Fote. Gingende Vögel im Walde dann wagen, Nacht, dein @eheimniß der Sonne zu fagen.

Sprung in der Geſchichte. a

7. Eprung in der Geſchichte.

Hier hören die Erzählungen des Alwaters auf. Und fe foringen wir jeßt 76 Jahre über, und befinden uns mit , ten im Kreife der Felſenburgiſchen Zuhörer, zwei Jahre nah Eberhards Ankunft auf der Infel; denn fo lange mögen wohl die Mittheilungen des Greifes gedauert haben, welche der Juͤngling nachher aufgefäprieben, zufemmengezogen, aus gefüllt, vieleiht auch bie und da ein wenig aufgefrifcht bat, mo ihm die Farbe zu blaß ſchien.

Radıdem ſich Albert alfo ſelbſt mit der, ſchönen Con cordia getraut hatte, lebte er glüclih mit ihr, und zeugte im Laufe der Jahre mit ihr vice Söhne und Töchter. Als diefe erwachſen waren, ward es den guten Aeltern um ihre Kinder Hang, wie fie auch verheiratet werden follten. Es ſchien aber, als ob die Borfehung beſchloſſen hatte, die vor- ber unbewohnte Infel, bald moͤglichſt zu beuölfern; denn immer zur rechten Seit geſchah ein glädliher Schiffbruch an der Küfte, fo daß die Kinder Alberts bald Bräufigame bald Bräute fanden; wie fie es brauchten. Ginmal weite es dod auf diefe Beife nicht recht gelingen; und auf einem Heinen gedrechlichen Fahrzeuge wagten ſich einige junge Fel⸗ ſenburger nach St. Helena. Hier teilten die Zelfenburger einigen Jünglingen und Mädchen ihr Geheimnig mit, und überredeten fie mitzufahren, die Gtüdfeligkeit der Infel mit ühmen zu theilen. Nachher verheiratheten fih die Familien,

72 Sprung in der Geſchichte.

unter einander, und als Wolfgang auf die Infel kam, fand er ſchon felbige aum Theil bewohnt und bebaut.

Die Höhlen des ehrlichen Alberts fülten fih aber nah den vielen Schiffbrüchen (auch fpanifhe Silberflotten waren da geſcheitert) immer mit Echäßen, und er fehnte ſich da- nach ein Schiff auezuräften, das ihm einige europäifde Ger rätbfpaften. Bücher, Waffen, Kleider, befonders aber einen Prediger und mehrere gute Künftler bringen könnte. Auch wunſchte er fehr, vor feinem Ende, einen Blutsverwandten aus Europa bei fih zu fehen, dem er einen Theil feines Scyages zuwenden könnte.

Wolfgang, dem er feinen Wunſch mittheilte, war gleich bereit, wieder nach Europa zu gehen, um dem Altvater als les zu verfhaffen. Einige Felſenburger brachten ihn glück- lich nach St. Helena, und verliegen ihn wieder, ohne geſe⸗ ben zu werden, denn es war dieſem Infelvolke von größter Bicptigkeit, inter ihren Bafaltmauern von der übrigen Belt unentdedt zu bleiben. Der Altvater hatte Wolfgang große Kleinode mitgegeben, die er leicht verwahren konnte. Er kam glüdlid nad Europa, rüftete in Amſterdam ein Schiff aus, und erfundigte fid nach des Greiſes Verwand⸗ ten. Er hörte bald, dag ein Kaufmann Julius in Bre⸗ men wohne, der eben fallirt hatte, ſchrieb an ihn, umd ſchikte ihm Geld, ohne ihm noch das Geheimnig zu ent⸗ deden. Er bekam den wunderlihen Brief zurüd, den wir im erfien Theile gelefen haben, diefer Brief war nicht dazu geeignet, Herrn Wolfgang große Gedanken von dem Geiſte des Herrn Martin Iulius einzuflögen. Diefer Mann würde ſchwerlich die Erwartungen des poetiſchen Greifes auf der Infel im Südmeere erfüllt haben. Wolfgang ſchrieb alfo feinem Sohne in Leipzig, von dem er ſich größere Hoffnun⸗

Sprung in der Geſchichte. 73

gen machte, und wir haben gefehen, daß er ſich in diefen Hoffnungen nicht betrogen fand.

Der Altvater liebte Eherharden ganz außerordentlich, und diefer ihn. Albert glaubte ſich ſelbſt als Jüngling zu fehen, wenn er Eberharden anfah, und Eberhard hatte keir nen beißeren Wunſch, als dereinft ſolch ein Greis zu wer« den. Während der Alte feine Geſchichte erzählte, bezog Eberhard alles darin auf ſich, ſich felber fragend: Würdeſt du aud To gehandelt haben? Und meiftens mußte. er mit Ja antworten. Als nun der Alte in feiner Erzählung zur fbönen Tabulefträmerin gekommen war, ſputete ih Eder bard, ihm aud hierin ähnlih zu werden; denn unter den Zuhörerinnen haften feine Augen fon die reizende Cor⸗ dula gefunden, die, wenn aud nur vierzehn Jahr alt ſchon völlig ausgewachſen war; und unter der Erzählung begegneten ſich ihre Augen mehr als gewöhnlich.

Er begleitete fie diefen Abend nad Haufe, und als fie am Eingange von des Vaters Garten fanden, dadıten fle wahrſcheinlich: Sollte nicht ein dunkler Gattengang eben fo brauchbar fein, als cin dunkler Gang in der Ritterburg des alten Knaufdegens? Sollte der Mond am Himmel nicht noch beſſer, als eine düftere Lampe fein? So fielen fie einander in die Arme, und weil keine alte Burgvögtin

aus der Enarrenden Thüre heraus Fam, mögen die Zaͤrtlich⸗ keiten Eberharde und Cordulas wohl länger als Albertse und Johannas gedauert haben. Kein Mädchen hatte ſchö⸗ nere Züge, einen reichlichern Haarwuchs, eine weißere Haut, als die ſchlanke, leichte Cordula; die mit ihrer Jugendheir terfeit einen gewiflen tiefen gefühlvollen Ernft verband, der Eberharden entzückte. Wie alle Eingeborne, ſprach fie ſehr gut Deutſch und Engliſch. Ihre Unkenntniß von der Ührie

274 Sprung in der Geſchichte.

gen Belt gab ihr nur einen Neiz mehr. Auch freute es Eherharden, aus des Greifes eigenem Munde zu hören, daß Cordula ihrer Stammutter Gancordia außerordentlich ähn- lich fei. nur daß fie lichtes Haar hätte.

Auch Wolfgang hatte für fih eine ſchöne Sophia ge- funden. Und auch Magifter Schmelzer trat, als proteftan- tiſcher Prediger, in Luthers Fußtapfen, und hatte ſich eine blühende Catharina von Bora auserkoren. Nur Liberg und Lademann dachten an feine Liebe. Vermutblich hatten fle den Kopf zu voll von ihren Kunftwerfen, um das Herz mit zaͤrtlichen Gedanken zu fülen. Die Kirhe war beinahe fer⸗ tig, die große Orgel auch trefflich gelungen.

Iept, mad; zwei Jahren, fand die Kirche fertig da und die fhöne Glocke von Felſenburgiſchem Metall gegoſ⸗ fen, mozu-der Altvater viel Silber aus feine Schatzkam mer gegeben batte, Ind zum erften Male mit hellem Ger läute die Einwohner der Infel zum Gottesdienfte ein. Was das für ein Gefühl für den ehrwürdigen Greis war, als er. die Gloce zum erften Male läuten, die Orgel fpielen börte. Es wurde an diefem Tage ein Kind getauft und ein Paar Eheleute getraut. Der Altvater wollte auch ei» nen alten Mann, der eben geftorben war, begraben iaflen; damit dadurch die drei merkwürdigen Augenblide des Men. ſchenlebens bezeichnet würden: Das Lepte ließ er ſich aber von den jungen Zeuten wieder ausreden, die nicht mollten, daß etwas Trauriges dem heiten Gindrud Röre. Mein

Gott, Kinder, iſt das denn traurig? fragte der gottesfürch ,

tige Greis; glaubt Ihr, daß ic meinen nahe bevorſiehen - den Tod fürte? Davon wollte Niemand etwas hören; und um ben Alten von dem erhabenen Gefühle wieder herah

Die glüdlihen und unglüdtihen Liebhaber. zu ſtimmen, Tieß ſich Lißberg dazu beivegen, den Abend nach

dem Kirchenfefte, feine und Lademanns unglüdlihe Liebes seibichten zu erzählen.

> 8 Die glällihen und unglädlien Liebhaber. -

36) bin fagte Lipberg als Kind in Wien erzo- gen, in Nürnberg aber geboren, wo mein Bater, ein Pas trizier von Geburt, meine bürgerliche Mutter geheirathet batte. Nad meiner eltern Tode, nahm mid ein DBer- wandter meiner Mutter ih Wien zu ſich; er wollte mic) er«

leben und für mi) forgen, wenn ich meinen verjährten Adelsbrief verbrennen, zur katholiſchen Religion übergehen und ein bürgerliches Gefhäft treiben wolle. Zum erften und letzten bequemte ich mich gleih; meinen evangeliſch⸗ lu⸗ theriſchen Glauben wollte id) aber niht abfhiwören. Der. Vetter, der ein vorzügliger Inſtrumentenmacher war, hatte anf feinen Reifen aud etwas Toleranz gelernt, gab nach. und ließ mich Mathematik und Latein lehren.

As id zwanzig Jahre alt war, farb mein Better, und ih mußte auf allerlei Weiſe felbft mein Brod verdie⸗ ven. Da war ein Edelmann in der Steiermark, der ftir nen Kindern in der Zeichenkunſt gern Unterricht geben laſ⸗ fen wollte, id übernahm das Geſchäft, weil es mir gefiel, im Sommer auf dem Lande fein zu köͤnnen. Da waren mehre Kinder verfhiedenen Alters; das ältefte, ein erwach-

N

*6 Die gluͤklichen und

ſenes Mädchen, nicht eigentlich hubſch, aber in der Blü⸗ thenzeit, wo man jedes Mädchen huͤbſch findet. Sie war fon eine auegelernte Kokette, fo weit es fi mit der Ehrbarkeit vertrug. Wenn ich fie im Zeichnen unterrichtete, wußte fie immer die weißen Hände und Arme fo zu bewe⸗ gen, und mic fo au berühren, dag es mir durch Mark und Bein fuhr. Ich lief in den Wald hinaus, fing an mit dem Baͤchlein poetiſch zu ſprechen, mit den Böglein zu fingen und in die Baumrinde zu ſchneiden. Sprechen konnte ich aber nicht, wenn id bei ihr allein war. Sie war dann immer ganz gelaffen. Sobald id einen Schritt vorwärts thun wolte, 309 fie ſich ſtolz und kalt zurück, wenn id) böfe darüber wurde ‚und mid zurüdziehen wollte, war fle wies der zuvorfummend; und fo ſplelte fie ein ganzes Jahr mit mir, wie die Rage mit der Maus,. che fie felbige verſchlingt. Endlid) wollte ih doc) etwas wagen. Daß ih aus ei⸗ ner Vatrizier- Familie, ſtamme, wußte fie fon, und ſchien an meiner Ebenbürtigfeit keinen Zweifel zu hegen.

Zu meinem Unglüde oder beſſer gefagt zu mel nem Glüde, ward aber eben in der Zeit ein Offizier bei uns einquartirt. Kaum hatte fie ihn zum erfien Male ger feben, fo war fie bis zum Sterben verliebt, und brauchte alle Künfte gegen ihn, die fie fonft auf mid, verſchwendet hatte. Mein Stolz erwachte, Zorn und Verachtung gegen ihr Benehmen vertilgten ganz meine Liebe, und id hatte Kälte genug, ihm rubig Gerechtigkeit widerfahren zu laſſen; denn es war wirklih ein fhöner Menſch, nur etwas ein- fältig, und ganz unwiffend. Mid dagegen hatten die hose haften Blattern fo zugerichtet, daß, wenn ih mid in dem

‚Spiegel ſah, id ſelbſt geſtehen mußte: ein foldes Geſicht fei nicht dazu geeignet, jungen Mäddyen Liebe einzuflögen.

unglüdligen Liebhaber. om

Indeß war +8 ja doch geſchehen. Das verdanfte ih aber - wohl nur der Einfameit auf dem Lande, weil fein Andes rer da war. Denn die Kofetterie war meiner Schönen aur Gewohnheit geworden; und man verficerte, daß wenn ich nicht zu Haufe fei, kokettire fie mit dem alten ſechzig⸗ säbrigen Verwalter.

Ich packte jept Bleiftift, Belinpapier, Farbenlade und Pinfel zufammen, und ärgerte midy darüber, daß ich felbft ein armer Einfalts-Pinfel geweſen. Ich reifte andersmo« bin, die Liebe war verdunftet. id) trieb wieder Mathema- tie, und ftatt Blumen, zeichnete ich Grundriffe, und Pro⸗ file maͤchtiger Gebäude.

Den folgenden Sommer, als ih eine Heine Reife machte, kam ich auf dem Wege in ein Wirthshaus, wo ein aroßer Auflauf von Menſchen war. Ein junger Offizier, ein unglüdliyer Liebhaber, hatte ſich ſelbſt eine Kugel durch den Kopf geſcoſſen, weil feine Gelichte ihm untreu gewvor« den. Ic) lich mir den Leichnam zeigen, und fhauderte zu⸗ rüd, als ich einen gluclichen Nebenbuhler, todt und blu tig auf dem Tiſche unter dem Leihentuh endete. Sie

- batte alfo aud) ihr Spiel mit ihm getrieben, er war aber

ein ſchlechterer Phitofoph als ich, und hatte fid) in der Bir derwärtigteit nicht zu benehmen gewußt. Id, bedauerte den armen Zeufel, konnte aber mit einem Menſchen nicht viel Mitleid Haben, der einfältig genug war, ſich einer ſolchen Dame wegen zu tödten.

Zwei Jahre nad diefem Ereignifle kam ich "wieder auf der Reife, in cin Städtchen fpät Abende, mo in einem

„Haufe viel Lärm binter den geſchloſſenen Benfterladen zu

bören war. Es mar ein Mann, der feine Frau abprüs gelte. Ich frug nad) den Namen und hörte zu meinem

rs Die glüädlihen und

Srflannen, daß es wieder mein Sränlein war, die ſich end» lich mit einem Manne verheirathet hatte, der fie mit liebte. Um ihn zu gewimen, hatte fie ihm genommen, was wohl ſonſt ſchwerlich geſchehen wäre. Cr batte fie des Geldes wegen gebeirathet, und nun prügelte. er fie, weil fie mit andern Männern ſchon that, welches er nicht leiden konnte. Das ift die Nemefis, dachte ih, ging dem Haufe vorbei, und wollte fie nicht ſehen.

Sie Hatte aber meine Antunft entdedt, fürieb mir ei⸗ nen artigen Brief und bat mich. alter Freundſchaft einges dent, in der Abweſenheit ihres Mannes einen Augenblick au ihr zu Bommen, und ihr cinen guten Rath zu geben. 36 ſchlug die Bitte ab. Den Sonntag darauf ging id in die Kirche. Sie faß in einem Stuhle, war huͤbſcher ale vorber; bafte rothe Baden befommen, und mar etwas ſtaͤr⸗ ter geworden. Sie grüßte mic freundlich, ich machte ihr eine kalte Berbeugung. Als der Prediger die Kanzel be⸗ flieg, ging das alte Spiel wieder los, mit dem Hinftarren der Augen. Ich wußte, was das zu bedeuten halte, konnte aber dod die Augen von ihr nidt wegkehren. Bon der predigt hörte ich fein Wort. Als ih nach Haufe Fam, lag wieder eine Einladungstarte auf dem Tifh. Der Mann mar auf einige Tage verreit. Ich wollte wieder Nein far gen, fand aber bei reiferer Ucberlegung, daß es gar zu grob fei. Ich kam. Eie empfing mih, wie einen alten Bertrauten. IA wollte ihr eine Strafpredigt halten. Ihr. Biß, ihre Heiterkeit, ihr freundliches Laͤheln band mir aber die Zunge. Ich tröftete fie, fo gut als ich Eonnte. Beim Abſchiede bat fie mid, bald wieder zu tommen. Ic vers ſprach es, feßte mich aber Morgens früh auf den Poſtwa⸗

unglädlihen Liebhaber. 70 sen, und fahr ab. Ich habe fie ſeitdem nicht wieder ges for

m.

Kurz darauf lernte id Lademann kennen, Er fell Euch aber ſelbſt feine Jugendgeſchichte erzählen, damit Ihr ihn doch einmal ſprechen hört. Denn ih verfihere Euch, er Bann ſprechen und denfen, wie ein anderer Menſch, wenn er nur die verfluchte Blödigkeit bezwingt, womit er behaf- tet it

Ich fühle felbft, ſprach Yademann, dag diefe Blödig- feit eine fehr ſchlinme Gewohnheit ift, die mir mande Freude raubt; beute will ich mid aber‘ überwinden, und meine Jugendgefcichte erzählen, weil zum Theil darin die Urſache meiner fhücternen Blödigfeit zu finden ift.

Mein Bater war ein armer Dorfipielmann, der mit der Geige, Schalmei und befonders dem Hachrette fein Brot fümmerlid verdiente. Auf meine Erziehung hatte er nichts zu verwenden, fobald id; groß genug dazu war, mußte ich ihm zu den Hochzeiten, Kindtaufen und auf den Zanzboden folgen, und ihm die Sadpfeife blafen helfen. Ein Kind will gern früh ſchlafen gehen, ich mußte aber ganze Nächte da figen und geigen, während die tofen Men - ſchen fid) in ewigen Kreifen herumdreheten, und mir oft wie Kobolde der Nacht vorkamen. Hatten wir auf folhe Beife die Nähte zugebracht, fo mußte ih meinen armen berauſchten Bater nach unferer jämmerlihen Wohnung ber gleiten. Er war dann gemeiniglid) aufgebracht, und Hrüs gelte mid oft um gar nichts: dann erft konnte ih armes Kind in's faule Bett Frieden, das mid gegen die Kälte nur wenig fhüpte.

Wenn mein Bater in diefem Zuftande war, (und das war er leider oft), magte ich fein Wort zu ſprechen, ich

I

Die glücklichen und

ſchwieg, ‘um feine Schläge au bekommen, und fo babe ih mir von Kindesbein das Schweigen angemöhnt. In um ferer Nähe wohnte ein Schulmeifter, er erbarmte ſich mei- ner, und gab mir im Lefen und Schreiben Unterricht, auf verehrte er mir das neue Teſtament; und da fand ich mei⸗ nen vollen Zroft; denn wenn ic) darüber befräbt war, dag ich in dem faulen Bette liegen mußte, dachte ich daran, mie der Meine Jeſus nur in ciner Krippe im Stalle auf Stroh geſchlafen, und da ſchlief ich getroft ein. Id glaubte auch immer, daß wenn ih nur fieißig und fromm wäre, fo würden die geflägelten Engelein mic) fhügen und überall unfihtbar begleiten.

Einmal wäre es mir dod beinahe fehr (hlimm ger sangen, und meinem armen unglädlicen Vater noch ſchlim⸗ mer. Er war darüber entrüftet, dag ich zum Schulmeifter ging, und weil ich nit mehr bei Trintgelagen die Zoten⸗ lieder fingen wollte, die man mir vorlegte. Als wir eines Abends fo allein fagen, und er ganz berauſcht war, ſchentkte er mir ein großes Glas Branntwein ein, und wollte, .dag ich es ausleeren follte. Ich rief ängftlih: Bater ich kann nicht! Es ift Gift für mid, willſt Du Dein armes Kind vergiften? Hund! rief er raſend, wagft Du mir zu wir derſprechen? Und one ſich zu bedenken, ſchlug er mich mit dem Etod auf den Kopf, fo dag id betäubt zur Erde fiel. Glüdtihyerweife kam ich. wieder zur Beſinnung; er war in der größten Angſt gewefen, und der Rauſch war ibm, als ich fiel, gleich vergangen. Ad, wie war ich froh, als ich wieder zurüd in's Leben kehrte. Ich Tügte feine Hand vielmals und rief weinend: Gottlob, lieber Bater, daß Du fein Mörder bift, dag Du Deinen Heinen Gottlieb nicht getödtet haft; fonft wärdeft Du ja auf dem

“ib vor dem noch nie gehört hatte; ich hin ein Böfewiht, .

unglüdligen Lichhaber. 81

Dochgerichte haben ſterben müſſen; mich wärden die klei⸗ wen Herzengelein in Abrahams Schooß hinauf getragen baben

Gottlieb, ſprach der arne Mann, in einem Tone, den

und verdiene den Vaternamen nit. Komm, armes Kind, ich will Dich vor dem grimmigen Thiere meiner feldft in Sicherheit bringen.

Drauf brachte er mid) in die Stadf zu meinem Obeim, einem armen wunderlichen Leinweber, der verſprach, für mid) zu forgen. Mein Bater war von dem Zage an ein anderer Menſch; das Zrinfen konnte er freilich nicht laſſen. und foielen und geigen mußte er auch, allein er wallte nie mehr in Zorn auf, . fondern weinte ftill vor fih bin, wenn er in diefem unglüdlichen Zuftande war, und fagte: Ich babe mein Kind ermordet; den armen unfhuldigen Gott- lieb, der mir nie etwas. zu Leide gethan. Id babe ihm etwas im Kopfe entzwei gefhlagen; wenn er es auch jept nicht fpürt, es wird doch mit der Zeit ſchlimme Folgen ha- ben, und er wird nicht alt werden. So grämte er ih ab, und ftarb zulept.

Mein Obeim gab mid, bei einem Tiſchler in die Lehre. Ein glückliches Greigniß ſetzte mich in Stand dazu, nicht bios felbft mehr auf meine Erziehung zu verwenden, fon« dern meinen armen Oheim zu unterftügen. Wunderbar genug war diefe Begebenheit. Ich las gern alles, was ich in die Hände bekommen konnte, und fo hatte ih auch die Geſchichte des heiligen Bonifacius gelefen, wie er das Chriſtenthum zuerft in Norddeutihland predigte. Einmal ſchien es mir, als Ründe er vor meinem Bette, und fagte:

36 mag Did feiden, Gottliebl Die Heiden re ich zum Oehlenſ. Schriften. XVIII.

82 Die glüdlihen und

Chriſtenthum bekehrt, für Dich will ich auch forgen, daß Du eine chriſtliche Erziehung befömmft. und die ſchöne Mufit, die zum Gotteedienfte fo nothiwendig ift, gründlich lerneſt.

Es waren fon drei Jahre ſeit dieſem Traume ver floffen, und ih war, wie gefagt, bei dem Tiſchler in der Lehre, als mein Meifter mic eines Tages in das Haus eines berüchtigten Geizhalſes fhidte, der, wie Harpagon in der Komödie, ein junges Mädchen beirathen wollte, und deshalb darauf bedacht war, fein baufälliges Haus zu res pariren, um die junge Braut darin würdig zu empfangen. Da mußte ich in einem Saale das Täfelmerk abreigen, dar mit der Saal aufs neue mit Nußbaumholz hübſch ausge täfelt werde. Hier fand cin ſchlecht gefhnigtes wurmſtichi⸗ ges Bild von einem Heiligen; denn die Stadt war katho— üſch ich war aber lutheriſch. Der Hausherr hatte mir ber fohlen, mit feinem Schutzbeiligen glimpflich zu verfahren, weil’er auf ſchwachen Beinen ftehe. Ich war in dem gro- gen alten Zimmer allein, und folte nun das alles Kerun« terbrechen.

Ich war ziemlich in meiner Arbeit fortgerüdt; da aber der Rüden des wurmſtichigen Schugheiligen an die Band genagelt war, wo id das Holz herunter Heben follte, fo ging er mir unter den Händen entzwei, und ſchüͤttelte plotz⸗ lich aus feinem ausgebölten Leibe eine Menge Goldſtücke über meinen Kopf. Ic fammelte fie forgfältig in meiner Müge, und bradfe dem reihen Wirthe 632 Kremniger Dufaten mit den Worten: Geht mal, Herr! Iept merke ' ich doch, daß die verftorbenen Heiligen den nachlebenden Menſchen einige Woblthaten erzeigen können. Statt mir aber zu danken oder cin gutes Trinkgeld zu geben, ſprach

unglüdlihen Liebhaber. 83

er: Bartet, mein Sohn, ih muß doch meiner jungen Braut diefen Fund zeigen; Tief drauf zur Obrigkeit und "lieg mic als einen Dieb und Heiligenläfterer verhaften. Ohne weiteres wurde ich in ein ſchwarzes Loch geworfen, und Gott weiß, wie lange id) da Hätte ſihen müflen, wenn nicht mein väterliher Freund, Herr Lipberg, der eben den Tag auf dem Rathshauſe den Nathsherren einen Plan zur Ausbefferung einiger Gebäude vorzulegen batte, mir au Hälfe gefommen wäre.

Als er hörte, der Geizhals behaupte, «6 wären 1000 Dulaten im Heiligenbauche gewefen, weil fein Bater auf dem Eterbebette einige geheimmigvole Worte gefprocen, deren Sinn er jegt erft begriffe; fo ließ Lißzberg den Heilie gen wieder zufammen leimen. Als das geſchehen war, mur« den die 632 Dufaten in die große Sparbüchſe geworfen, durch eine Meine Nige oben am Scheitel; und da ergab es fi, dag der leere Raum ganz gefüllt war. Jetzt murde die Summe in drei Theile getheilt. Das erfte Drittel bes kam der Schutzheilige, wie billig, weil er fo lange in ge⸗ faͤhrlichen KAriegeszeiten den Schap in feinem Leibe verwahrt batte. Das zweite Drittel bekam der Hausberr, und id, als Finder das legte. Das darf id aber nicht vergeflen, daß dies Bild den heiligen Bonifazius vorftellen follte, und alfo hatte er wirklich, fein Verſprechen an mir erfüht.

Durd die Vermittelung Herrn Litzbergs kam ih nach⸗ ber zwei Jahre in's Haus des großen Kapellmeifters Seba- ſtian Bad in Köthen. Er lehtte mid das Pedal gut .fbielen, und gab mir im Kontrapunft gründlichen Un- terricht.

Herr Litzberg verſprach, mich gelegentlich gut anzuſtel⸗ len; jetzt ſchlug er mir vor, erſt mit ihm eine Reiſe zu

-

& Die'glädtinen und unglätlihen

maden, um alte Orgeln in den vielen altın Etädten zu verbeffern; dadurd konnten wir viel Geld verdienen, und zugleich die Welt eim wenig fennen lernen. Ich war fehr mit diefem Vorſchlag zufrieden, und der Himmel kat mid durd meinen theuern Sreund glüdlid gemacht. Unſer Ruf als gute Mechaniker verbreitete fi; wir befamen eine Eine ladung nad) der andern, zuleßt eine vom Herrn Wolfgang, nad) Amfterdam zu kommen, und mit ihm nah Oftindien au gehen, wo wir reihe Leute werden follten. Auf diefem Bege Iernten wir Herrn Eberhard Julius und Madame Hanna Helfraft kennen; und was weiter geſchehen ift, wiſ⸗ fen Sie Alle.

Hier ſchwieg Zademann, und Lißberg rief lachend nach einer Meinen Paufe, die aus getäufgter Erwartung ent» fand: Nun, meine Herren und Damen, war das nicht eine ſchoͤne Geſchichte? vom wurmſtichigen Heiligm? Da figen nun die Heben Mädchen, und die guten Mütter, has ben auf eine unterhaltende Liebesgeſchichte die Ohren und den Mund gefbigt, und mäflen mit abgedrofhenen Anekdo- ten vorlich nehmen. Nein, Freund. das geht nicht. Wollt Ihr nicht beichten, fo muß ich e6 thun. Ich fhiele freilich aud darin eine Rolle fo gut wie er; ich babe mich aber ſchon preisgegeben; an mir, glaubt er, iſt nichts zu verder⸗ ben. Boblan, id) erzähle; aber. beim heiligen Bonifa- alus, Lademann, ich fhone Eud nicht. Ich nehme Euch mit im Fallen; und es wird mir beſſer gelingen, als dem toßen Kerl, der ſich mit Kaifer Karl dem Fünften vom Ahurm herab ſtürzen wollte, um dadurd einen ewigen Na- men zu befommen.

Liebhaber. Fortfegung. 8

Dir glüdliden und unglüdliden Liebhaber. Sortfegung.

Bir reiften alfo ab, wie ſchon erwähnt worden ift, um alte Orgeln in alten, deutſchen Städten zu verbeflern. So kamen wir denn einmal zu einem Nonnenflofter, wo die Orgel auch nicht recht Mlingen wollte, die große Ubr wollte nicht gehen, undrobendrein hatte der Bliß einge: ſchlagen, und eine Ede des Altars zertrümmert. Da war nun alfo vieles auszubellern. Die Aebtiffin war ftrenges fie betrachtete die Iepten Unglüdsfälle ald Strafe des Him-

> meis, weil ein Paar ihrer Nonnen heimliche Liebſchaften

gehabt, Die armen Kinder waren vor Shreden in eine Krankpeit gefallen, geftorben und auf dem Kirchhofe ber graben. Da fehe man die Gerechtigkeit des Himmels! Seitdem war im Klofter eine noch firengere Zucht einge» führt, und die Mannsperfonen, die nothwendig dahin kom⸗ men mußten, wurden der firengften Duarantaine unterwor« - fen, damit ſich die Liebespen nicht wieder in Die Seen und Herzen der Nonnen einſqleiche.

Lange ftand der Altar verfallen, die Uhr ging wicht, die Orgel brummte ärger als die Aebtiffin, blos weil die . fer noch fein Baumeifter, Uhrmacher sder Orgelbauer wor Augen gelommen, der nicht gefährlich ausfehe. Kaum aber hatte ſie mich und Lademann erblidt, fo geflelen wir ihr, und fie fand uns beide zu den Arbeiten bequem und gut, Bas mid, betrifft, fo begreife ih, dag mein derbes Weſen

86 Die glüdlihen und unglüdlihen

und viele Vockennarben ihr eben fo viele Beweiſe meiner Unfdädlicpfeit waren. Lademann war aber ein hübſches junges Blut mit glattem Milchbartgeſicht; Freilich hatte er ſich in der Kindheit ein wenig verblafen; er war aber fromm wie ein Zamm und fanft wie ein Engel, mas chen die Beiber fo gern haben. Die Aebtiffin aber, die eine große Menfhen« urd befonders Männerkermerin zu fein ſchien, hat ihm vermuthrih gleich die erftaunliche Blodigkeit abgemerkt, die nichts Kühnes auf eigne Hand wagte. Kurz wir befamen die Arbeit auf die Bedingung, Feine Gefellen sder Lehrjungen mitzunehmen. Obſchon nur wenig dabei zu verdienen war, gingen wir dod den Kontrakt ein, weil das einfame Arbeiten in einem Nonnenklofter für uns etwas Abentenerliches Hatte. Und nad) des feligen Seiferts Abeo· rie ſuchen ja alle Menſchen Abenteuer.

In den erſten Tagen geſchah doch nicht viel Atenteuer⸗ liches, denn die Kirche ſtand ganz leer. Als wir aber eines Abends ziemlich fpät über den Kirchhof gingen, ſahen wir zwei junge Leute weinend auf Gräbern liegen, ſich mit. wei⸗ dem Tüchern die Thränen eifrig von den Wangen trodnend, und fehr Eläglihe Geberden und Armbewegungen gegen den Hinmel anftellend, als wollten fie die Geifter der Ders ſtorbenen wieder herunter mahnen. Ich redete den Ael · tefien an, der mir der Vernünftigfte zu fein ſchien, und er anttoortete, nachdem er ſich von feinem Schreden, von uns entdedt zu (ein, erholt hatte: Ad, lieber Herr, verrathet uns nicht. Mit Lebensgefahr find wir über die hohe Klo» Rermauer geflettert, blos um das fraurige Vergnügen zu baben, auf den Gräbern unferer feligen Geliebten zu wei nen. Wenn Ihr je geliebt habt, (mie es denn wohl

nicht anders möglich ift), fo mißt Ihr, was das fagen

Liedpaber: Fortfegung. 87

will, fein geliebtes Leben in der Schönheitshläthe zu ver- lieren. Ich bitte Euch, verraihet ung nit an die Aebtiſ⸗ fin, die eine hartherzige, kalte, alte Iungfer ift, daß fie uns gemiß ſelbſt diefen armfeligen Troſt rauben würde, wenn fie es wüßte, daß zmei Zünglinge, bei Nacht allein, die Gräber ihrer verftorbenen Nonnen beſuchen.

Da' war nun, natürliherweife, nichts zu verrathen. Es that uns um die armen Jungen leid, und mir fuchten ale die Gemeinplaͤße auf, die wir auswendig mußten, um fie zu tröften.

. Einen wahren Dienft könnt Ihr uns erzeigen, wenn Ihr wollt, ſprach einer der Betrübten. Und welchen? Die Schweſtern unferer feligen Geliebten leben noh als Nonnen im Klofter, wo Ihr arbeitet. Die eine ift Orgel- foielerin, die andere erfte Sängerin, und meil fie ſich beide auf Orgeln und Inftrumente fehr gut verftehen, fo wird die Aebtiffin, die ſelbſt nicht Kapengefhrei von Nadıtigal« lengeſang unterfepeiden Tann, genöthigt fein, dieſe zwei Nonnen zu Euch Hinauf zu ſchiden, um die Arbeit zu un« terſuchen. Thut uns dann den Gefallen, und gebt einer der Nonnen heimlich diefen Brief! Wir wiflen, dag fie von ihren feligen Schweſtern abgeſchnittene Haarlocken befiken; und, wenn Ihr geliebt habt, fo wißt Ihr, welcher Schat eine ſolche abgefhnittene Haarlode einem unglädligen Lieb» baber ift. Das ift alles,. was wir von Euch begehren.

Bir konnten ihnen diefen Beinen Dienft nicht abſchla⸗ gen, und verfpraden, der Orgelſpielerin das Billet heim üch zuzuſtellen. Schon den Tag darauf kamen zwei junge Nonnen zu uns uf die Orgel hinauf, von einer alten be» gleitet, die ſich gleich auf eine Bank niederlieg, eine Brille auf die Nafe fepte, und in einem Bude, das fie verftedt

88 " Die glüdlihen und unglädlihen

in der Taſche gehabt, zu leſen anfing, wäßeend die Jungen mit uns Orgelpfeifen und Regifter unterfuchten. Cie bat- tem ihre Schleier abgelegt, ihre Kapuzen zurückgeſchlagen und warten von außerordentliher Schönheit. Ih gab der erften den Brief, den ge hurtig in den Bufen ftedte. Die armen Unglädlihen, feufzte fe und Thränen füllten

. ihre ſchoͤnen Augen, fie lieben noch unfere verftorbene Schwer fern, nach Iahres Friſt, fo treu und zärtlih. Sünde wäre es. ihnen diefe unſchuldige Bitte abzuſchlagen. Morgen ſollt Ihr die Haarloden befommen, meine Herrn!

Jetzt fing die Orgelſpielerin mit den ſchneeweihen. wohl gebildeten Händen auf den fhwarzen Tangenten herum zu flanfiren, während die andere mit Harer Stimme eine Arie fang, wobei die volle Bruft in ihrer ganzen Pracht aufe ſchwoll. Lademann war im dritten Himmel; er glaubte die Beilige Gäcilia bei der Orgel zu feben; und weil die Sän- gerin wie eine Nachtigall trillerte, und das Kirchengewoͤlbe mit ihrem herrlichen Sopran erfüllte, wurde es mir auch ziemlich eng um’ Herz Kaum merkten "die fhönen Ron- nen die Wirkung ihrer Kunft und ihrer Anmuth, ſo fingen fie an, die Batterien ihrer Augen auf uns ſpielen au laſ⸗ fen, fo daß mir uns ganz befiegt, auf Gnade und Ungnade ergeben mußten. Sie wären gern länger geblieben, und wir hätten ihnen gern bis Morgen zugehört, ohne zu eſſen und zu trinken. Die alte Nonne mahnte fie aber, wieder weg au geben, und die Aelteſte kehrte fi zu uns, und ſprach lachelnd: Ja, meine lieben Herrn! da ift noch wiel am diefem Juſtrumente zu machen, ehe es fertig wird, umd gut Hingt. Das Prinzipal ift ganz verfäumt. Die Flöte

muß lieblicher tönen. Die Mirtur ſchreit noch adfhenlich, weil Ale wicht in Harmonie gebracht ift. Mit dem Pedale

Liebhaber. Fortſehung. m.

werden wir ſchon leichter fertig werden. Dabei trat fie mir leife auf den Fuß, ſah mid, mit verliebten Blicken an, und verſchwand mit der Freundin.

Als wir zwei glüdlihen Liebhaber allein in der Kirche maren, fiel mir Lademann um den Hals, und ich lieg mir zum erſten Male feine zaͤrtlichen Narrentheidungen gefallen.

Den Tag darauf hatten wir wieder einen Befud von unferen Echönen. Die Alte nahm ibren vorigen Pag ein, und fing an, da im Bude zu leſen, wo fie geftern aufge» hört hatte. Es ſchien fein geiſtliches Bud zu fein, denn fie lachte oft verſchmißt und fhüstelte den Kopf, und bee nutte fo auf ihre Weiſe aud) die Abweſenheit der Aeb tiſſin. Die Sängerin wollte mir jeht etwas Unrichtiges am Bentil zeigen, mährend Lademanns Schöne ihm ein Adagio vorfpielte; fie ging mit mir hinter die Orgel, Da gab fie mir in ein Papier eingewidelt die Haarloden der verftorbenen Schweftern, für die beiden Unglüclichen, und fagte mit himmliſcher Stimme: Lieber Ligbergl . Guter Mann, rettet mid, und weine Freundin. Laßt ung enifliee ben. Alles ward in ter Schnelle verabredet. Wir gingen wieder zu den andern zuräd. Die heilige Cäcilia faß bei

der Orgel, fbielte aber nicht. Die Alte war, mit dem Buche in der Hand, eingefhlafen.

Jetzt machten wir eine ordentlihe Abrede. Die Kite chenſchluͤſſel hatte uns die Aebtiffin nie vertraut, wir muß tem uns von einer alten Pförtnerin hinein und Hinausfchlie- gen Laffen. Die Nonnen Hatten ſich aber einen Abdrud in Bas verſchafft, den fie mir gab. Ich verſprach ſelbſt einen Schlüfſel danad zu fhmieden. und die Racht unferer Flucht wurde beftimmt.

Auf dem Kirchdofe trafen wir wieder die umglädlihen

oo Die glüdlihen und unglädlihen °

iebhaber auf den Gräbern. Wenn man ſelbſt glädtic, it. will man gern feinen traurigen Mitmenſchen ihr Schicſal erleihtern. Diesmal hatten wir doch etwas mehr als Ne densarten zu bringen. Ich reichte ihnen die Haarloden, und kaum ſaden fie diefe, fo waren fie außer ſich vor Freude. Wir teilten ihnen unfer Gcheimnig mit, in der Hoffnung, daß fie uns beiftehen follten. Denn um fein Auffehen zu machen, mußten wir den ganzen Tag wie gewöhnlich in der Kirche arbeiten, und wer folte indep Poftpferde und Kleider zu der Vermummung ſchaffen? Allein die dankba- ren Iänglinge verſprachen, alles für uns zu feiften. Ja fie wollten ung fogar eine Etrede Weges auf der Reiſe fol- gen, um mit ihren lieben Schwaͤgerinnen, wie fie fie nann- ten, von den feligen Schweftern zu ſprechen; und um noch eınige Reliquien, ale Bänder, Btumen u. f. w. zu be⸗ fommen.

Die zwei jungen Nonnen defamen Mannskleider, und fo kamen wir glüclich aus dem Kiofter heraus; der Wagen bielt nit weit entfernt. Die zwei unglüdtihen Liebhaber waren auch fhon da, und umarmten die Schweltern ihrer Gelichten zärtlich, was ihnen kein Menſch verdenten konnte, und fo fuhren wir ab.

Als wir Über die Grenze in Sicherheit gekommen, nah men wir in einem guten Wirthshaufe unfer "Abendmahl ein. Lademann und ic, hätten gern eine zaͤrtlichere Unter» baltung gebflogen, die Höflichkeit erforderte aber, die zwei Unglücklichen mit zur Tafel zu laden. Hier mar die game Seit.nur die Nede von den zwei verftorbenen Schweitern,

Nun wänfhten Lademann und ih aud) die Haarlocen der verftorbenen Schweſtern zu fehen, fie hatten mit den Haaren unferer Schönen große Aehnlichteit.

Liebhaber. Fortfegung j 9

Unfere Schönen waren aber von der vorhergehenden Angf, entdedt zu werden, und von der Reife fehr erihönft, umd der Ruhe bedürftig, Bir andern, außer Lademann und feine Schöne, waren aud) fihläfrig, und fo gingen wir alle zu Bett, um Morgen früh die Reife in aller Eile forte zuſetzen.

Ich erwachte ziemlich fyät, Lademann ſchlief noch, weil er die halbe Nacht mit fügen Echmärmereien zugebradt batte; ih rief- den Keliner, beftellte vier Poftpferde und Srüpftäd für ſechs Verfonen. Ganz wohl, ſprach er, laͤ⸗ Gelte aber dabei. Barum lacht er? Die Herrihaften baben zu befehlen, und für uns ift es ja immer ein Vor⸗ theil, wenn vieles verlangt wird; es wundert mid aber, dag der Herr vier Pferde und ſechs Portionen Frühſtüc— für zwei Perfonen beftellt. Lieber Freund, erwiederte ich, wir find ſechs in allem; wißt Ihr nicht, dag ſechs Gaͤſte geſtern angefommen find? Das weiß ic) fehr wohl, ale lein die vier find ja ſchon heute um drei Uhr wieder abge» fahren. Sind fie fort? rief jet Lademann, der fih im Bette aufrichtete und die Augen rieb. Ad), das ift wahr, verfepte der Kellner, da Liegt ja ein Brief auf vem Zifc, den haben die Herrn wahrſcheinlich noch nicht geleſen. Er reichte mir den Brief und ging feines Weges. Der Brief lautete alfo:

„Die unglücklichen Liebhaber meinen nicht mehr troft- 106 auf den Gräbern, fie haben ihre Freundinnen wieder gefunden, die fie drei Jahre treu geliebt; die armen Mäder wen find nicht mehr hinter den Kloſtermauern lebendig bes graben. Herr Ligberg und Herr Lademann werden uns diefe Meine Lit gütigft verzeihen. Zum Andenken und zum Dante für Ihre gütige Hülfe bitten wir Sie, beiliegende

2 Die glädlihen und unglüclichen

Brillantringe nicht zu verſchmaͤhen. Auch diefe Haarlocen nicht, die Sie ſeit geſtern tennen, und die von feinen Leichen, , fondern von unfern eigenen Häubtern geſchnitten find. 2er ben Sie recht wohl, liebe Herrn! Der Himntel ſchenke Ih nen Geliebte, die Eie jo treu und aufrichtig lieben, als wir unfere Liebhaber.“ -

Zwei Brillantringe von ziemlihem Werthe lagen in Papier gewidelt bei den Haarloden. Der verzweifelnde Kademann ergrüf die blonde Lode, die feiner Schönen ans gehörte, wollte aber die Ninge zum Fenſter hinauswerfen. Nicht doch, ſprach ich, ‚der id) nad) meiner Art gleich wies der geheilt war. Bir find ein wenig am Rarrenfeile herr umgeführt worden. haben es aber verdient. Warum wutz⸗ ten mir nicht beſſer, Täufhung von Wirklichkeit zu untere ſcheiden? Hätten die Nonnen uns diefen Streich .gefpickt, um uns zum Beften zu baben, bei Gott! ich wollte nicht ruhen. bevor ich fie aufgeſucht und mid gerät hätte. Sie thaten es aber aus Noth, aus Liebe zu den Andern, weil fie fürdteten, uns fonft nicht in ihr Intereffe zu ziehen, was .mobl auch ſchwerlich gelungen wäre. Freilich haben Re uns zu einem Klofterraube verführt, und fo it es denn billig, dag mir "dafür bügen. Die Orgel Klingt jept recht ſchon, der Altar fteht edel gebaut, die Uhr geht wieder, wir haben feinen Heller dafür bekommen. Das mag det Aebtiſſin ein Erfag für ihre entflohenen Nonnen fein. Und diefe Ringe mögen uns ein Erfaß fein, dag wir der Schde nen wegen unfern Lohn aufgegeben.

Lademann ſchwieg und ſuchte die Ginfamfeit. Ich mertte wohl, daß er oft heimlich weine. Seine mufitafie ſchen Bhantafien wurden immer f&höner und berzergreifen. der. So athmete er in wohlklingenden Weiſen feine Sehn⸗

Liebhaber. Fortletzung Kö)

ſucht und feine Wehmuth aus; id ließ meinen Zom an Steinen und Balten aus, deren rohe Klumpen ich in ſchöne Formen zwang. Nachher haben wir ganz der Kunft ger lebt, bis wir unfere lieben Freunde, Herrn Wolfgang und ‚Herrn Eberhard Julius, kennen lernten.

Als Lademann nad Litzbergs Erzählung allein mit Eberhard nach Haufe ging, und fie durch den Wald kamen, mo der Mond. fhien, fing er herzlich an zu weinen, und drüdte Eberhards Hand feſt an feine Bruft. Großer Gott, rief Eberhard, lichen Sie denn immer noch die Or⸗ ganiftin, mein Freund? Ach ich weiß nicht, antwortete Lademann, id) Habe lange nicht an fie gedadıt. Als ih krank war, fah ic) fie oft im Traume wieder, und jeht ſtellt ſich ihr Bild nach Herrn Litzbergs Erzählung meiner Seele lebendig dar. Cie follten fie nur bei der Drgel gefehen haben, lieber Julius! Und mie fie ſpielte, und das herr» liche zurüd gekehrte blühende Geſicht, und die fhönen Fin- ger auf den fhmwarzen Tangenten! Und dann gab fie mir _ einen fügen, fügen Kug. den id nie vergeffe, denn er brannte mir tief in die Seele hinein. Das war alles wie ein Traum, und ich fühlte wohl, eine ſolche Freude follte

. I nicht wehr im Lehen genießen. Und doc, hoffte ih fo gewiß, fie folle meine Gelichte für mein ganzes Leben wer» den. Mit Herrn Litßberg war es anders er ift fo fhöte tiſch nicht zart genug, und dann ift er aud) fo Hoden» narbig; aber, allein ich will mich tröften. Er ſchwieg.

Sherbard betrachtete ihm mit einem mitleidigen Lä- Gen, und fagte: Ich begreife nicht, wie ein edler Mann eine Unwürdige noch lichen kann.

9% Die glädlihen und unglüdligen

Ach fagte Lademann, fo ſeh ich denn wohl. dag ich Ihnen mein Geheimnig beiten muß, damit Sie mid) nicht verachten mögen.

Hier nahm er eine Meine ſilberne Kapſel hervor, die er auf der Bruft an einer goldenen Kette trug. Herr Liße berg, ſprach er, glaubt, ic verwahre nur hierin die Lode und den Ring: da ift aber noch ein Meiner Brief, den mır der Kellner heimlich zuftedte, als Herr Litzberg den ſchon betannten befommen hatte. Leſen Eie dieſen. Eberhard öffnete den Zettel und las:

Tbeurer Lademann! Beklagen Sie mid und verge- ben Sie mir! Im Kloſter feufzend, mo ich von harten Aeltern gezwungen das Gelübde thun mußte, Ternte id, vor drei Jahren her, meinen Bräutigam fennen, einen braven jungen Mann von Geift und Bildung. Er liebte mic; es freute mid, von ihm geliebt zu werden; ih nahm dies dankbare Gefühl für’ Liebe, gab ihm mein Jawort, und ſchwur ihm meine Treue. Diefen freiwilligen Eid darf id) nicht brechen. IA lernte Sie zu fpät kennen! Ich bänge von meiner thätigeren Schweſter ab, mie Sie von Ihrem Freunde Ligberg, und wir müffen, wie zwei abge» tiffene Blumen, dem Etrome folgen. Leben Sie wohl, holder Freund! In den Tönen wollen wir ewig zufammen teben, und in den unfihtbaren Harmonien werden ſich un« fere Herzen täglich vereinigen.

Cãcilia.“

Ach fie hietßz Cäcikia, rief Lademann dem fein Freund Eberhard jegt meinend um den Hals fiel, und um Verzei⸗ bung bat. Da if ein (hönes Bid von Raphael oder Guido Neni, wo die heilige Caͤcilia mit Roſen bekrängt bei der

Liebhaber. Fortfehung. % Drgel Apt und nach der Seite (haut. Ehen fo betrachtete fie mi! Nur hatte fie feine Roſen um’s Haupt, und für mich blüht in diefem Leben feine Roſe mehr. 10. r Klein» Felfenburg.

Der Altvater wollte einmal mit den europäifden Freun · den, auf einem Meinen Fahrzeuge, das in tiefer Felſenkluft. von Geftein und Gefträud) verborgen lag, eine Fahrt nach Klein⸗ Felſenburg machen. Ib muß nod vor meinem Tode ein wenig von der übrigen Belt fehen, fagte er. Die Luftfahrt nach der Meinen Klippeninfel wurde alfo une ternommen, und des Altvaters Cohn, Albert Julius der Zweite, mußte fo lange im Nathe der Alten des Greiſes Platz einnehmen. Albert Julius der Zweite, des Altvaters dritter Sohn, (die beiden erften waren ſchon geftorben), war ein Mann von 70 Jahren, recht gefund und rüftig, aber nicht von vorzügliden Geiftesträften. Das jugendliche Gemüth feines Vaters mangelte ihm ganz, umd gegen ihn ſah der Alte in blühenden Augenbliden wie ein junger Menſch aus. Der alte Herr Sohn war, ohneradtet er nie in Europa gemwefen, und immer in der einfachen Natur ges lebt hatte, etwas pedantiſch, und Eberhard entdedte zu feinem Staunen eine auffallende Aehnlichteit zwifchen ihm und feinem eigenen Bater, Martin Julius, Vieles erin« nerte ihn aud an die felige Muh Urſula. an Harn Sa⸗ muel Plürs und an Vetter Anton.

% Klein« Felfenpurg.

Die Juſel Alein-Fehfendurg war nicht wie die große, ein Blumenforb von Zelfen. Sie befand meit aus ſchrof- fen unfruchtbaren Bergen. Einige ſchöne Thäler Aredien Ad freilich durch die Bergketten, und ein Paar Duzend Familien hätten hier trefflich Icben fünnen. Weil aber das meifte von Groß-Selfenburg noch unbewohnt war, fo fand diefe kleinere Infel einfam und verlaffen. Es war auch nod ein Grund da, warum Niemand da wohnen durfte.

Klein» Zelfenburg war den Seefahrern nicht unbekannt; "denn die Thäler und Wälder ftredten fih gerade bis zum Strande hinunter. Oftmals ankerte da ein Schiff, um frie ſches Waſſer zu holen. Hier hätte man alfo die Verbor. genheit aufgeben müflen.

Die Luftfahrt wurde nit ohne Furcht und Sorgfalt unternommen. Man hatte erft durch Zernröbre von den hoͤchſten Berggipfeln die Fläche des Meeres ausgeſpaͤht. Ale bert Julius der Zweite hatte feinem Vater mit vielen Grüne den die Reife abgerathen. Er gewinne nichts dabei, hatte er gefagt, denn frühſtücken könne man überall; dagegen feße er die ganze Infel und fein eigenes Leben dabei im Gefahr. Mein lieber Sohn, antwortete der Altvater, wenn id immer fo vorſichtig und vernünftig geweſen wäre, wie Du es von mir verlangft, fo märe die Infel nie ente dedt, nie bevälfert und Du nie geboren worden. Ganz als Gefangener mag ich nicht, ſelbſt im weiten Kreife, le⸗ ben; fo wäre ic lieber noch Küfter beim feligen Trautmann seblieben. denn bei ihm konnte id doc herum laufen, mo id) wohte. Mit der Entdecung hat «6 feine Notb; wie werden die Außerfte Vorſicht brauden. Ein großes Schi ficbt man. im weiter Faͤue. ehe es unſern kleinen Nachen entdeden kann.

Klein Felfenburg, 97

Der vernünftige Sohn wollte ſich von ſolchen poeti⸗ ſchen Gleichniſſen nicht überzeugen laſſen; man fichtete indeg die Anker, machte eine ſehr angenehme Fahrt, und früh ftädte in einer großen Hüfte, von engliſchen Seeleuten dort in der Gefhmindigfeit aus rohen Stämmen des Waldes erbaut.

Eberhard und Cordula fagen dem lieben Altvater zur Seite, Becher guten Weines kreiſten herum, der Scherz blüpete auf den gefprädigen Lippen, und der Altvater brauchte fein ganzes Anfehen, um die Laune Lipbergs und - Bolfgangs im Zaum zu halten, die fi immer über den väterlichen vorfihtigen Herrn Sohn, Albert Julius den Zweiten, hermachen wollte,

Aber plöglich wurde die Froͤblichkeit durch eine Hiobs⸗ voſt geftört; ein junger Felſenburger, der auf dem hohen Berge Wache gehalten hatte, trat ganz bla herein, und meldete: ein großes Schiff nahe fi mit vollen Segeln der Inſel.

Alle ſchwiegen einen Augenblick, und ſahen einander beftürgt an. Da bat der bejahrte Sohn doch Recht und der jugendliche Greis Unrecht gehabt, fagte der Altvater.

Hat nichts zu fagen, rief Wolfgang, als er mit dem Fernrohr das Schiff betrachtet hatte; wir können in Große Zelfenburg fein, bevor wir ihnen in den Geſichtskreis kommen.

Nun fhiffte man ſich ſchleunig ein, und ſchon mar als les fertig und das Anker gelichtet, als das Ruder brach!

" Diefer Unfall fegte alle in die größte Unrube, und es warde in aller Eile Rath gehalten, was zu thun wäre? An Begfegeln war jet nit mehr zu u und bald

Oaiesf. Eatriften. XVIIL,

% Klein» Felfenburg. sin das Schiff den Nachen bier im kleinen Hafen ent

in, rief der Altvater, deflen noch jugendliche Kraft in diefem Augenblicke wieder hoch aufflammte, das darf nicht fein; dann wird das Gebeimnig meiner Infel entdedt, eine fremde Macht bemächtiget ſich ihrer, fremde Sitten werden eingeführt, ſchlechte habſuchtige Menſchen unterdrüt- ten und verderben meine Kinder; ihre Schäge werden wege geſchleppt, und fie ſelbſt zu Sklaven der despotiihen Will- für eines tüdifhen Statthaltere gemacht. Bohrt das Fahrzeug in Grund, Kinder, id befehle es Euch, Kraft meiner Herrſchaft. Bir wollen uns in den Felſenklüften verbergen, und fönnen nachher die Hütten ausbeflern und bewohnen, bis einmal Kapitän Horn von Europa mwicder« kehrt. Trifft er uns nicht auf Groß-Selfenburg, fo wird er uns bier fuhen. Vielleicht bauen fie mittlerweile ſelbſt drü- ben ein Boot und holen uns ab; denn, leider haben wir nicht Werkzeuge mitgebracht, fonft Fönnten wir es felber thun. Bir andern, lieber Großvater, rief Eberhard, tönnten uns das allenfalls gefalen laſſen; allein Sie in Ihren Jahren! Soll ein hunvdertjähriger Greis wieder von vorne anfangen? Ach es geht nicht mehr fo leicht mit dem Klettern wie zu Zeiten van Leuvens und Lemelies. Ei, mein liebes Kind, rief der Alte. ic bin der Bergluft ge« wohnt; ic) kann noch recht gut in einer Zelfenhöhfe fhla- fen. Und ftärbe ih auch? Was ift es denn mehr? Ein Jahr früher oder ſpaͤter bald müßte es doc) fein. Dann mird noch das leßte Kapitel meines Lebens poetiſch: ich ferbe als ein berumfireifender Abenteurer, mie ih ange- fangen babe. Du Eherhard, folte mir meine eigene Iur gend, die kleine Cordula die Jugend meiner Concordia zu⸗

Klein» Felfenburg. {u

rüd mabnen. Unfere europäjfchen Freunde, die im Beſit fo vieler fhönen Sertigkeiten find, werden uns das Lehen erträglid machen, und fo verſchwindet ein halbes Jahr leicht.

Ale bewunderten den Muth, die unerſchütterliche Hei- terlkeit und Entſchloſſenhrit des Greifes; es konnte fie aber nicht tröften, denn fie ſahen voraus, daß diefe Lebensart bald den Alten, aufreiben würde. ,

Bäprend fie nun fo! fhmeigend und Meinmüthig da Randen, fam Kapitän Wolfgang mit dem Zernrohre wie der vom Fels zurüd, und rief luſtig: Hurrah! Aengſtiget Euch nicht, lieben Freunde! Wir brauchen unfer Fadrzeug nicht in Grund zu bohren; fein Wageftüd bedroht des theu⸗ ren Altvaters eben. Ich habe die Flagge des fernen Schif⸗ fes deutlich erfannt. Dreifach weht fie: blau, gelb und roth, mit den Hauptfarben des Negenbogens, der Abrede mit Ferdinand Horn gemäß, wenn er nach der Infel wie- der käme. Es it unfer eignes Schi, weit früher von Eu- ropa zurüd gekehrt, als wir es erwarten konnten.

Diefe Bauberworte verwandelten gleid die ängftliche Stimmung wieder in Freude und Entzüden. Wolfgang batte nämlich mit Herrn Horn abgeredet, daß er das naͤchſte Dal nicht bei Groß-, fondern bei Klein-Zelfenburg ankern foßlte, und da die mifgebrachte Mannfhaft und Saden ausſchiffen, damit das Geheimniß der großen Infel nicht in Gefahr ſchwebe, entdedt zu werden, menn gar zu viele Menſchen Kenntnig davon hätten.

Diele Vorfiht machte aber auch jeht, dag ſich das Stift nicht gleich der kleinen Infel näherte, als man das Boot im Hafen entdedte. Die Felſenburgiſche Flagge ward gleih mit einer hollaͤndiſchen umgetauſcht, und Kapitän Horn lavirte auf dem Meere, ohne fih der Sin nahen,

10 Rein« Felfenburg.

weil er meinte, dag, wo ein Boot war, müffe auch ein Schiff in der Nähe fein, und vom Walde verborgen, vor Anker liegen.

Das war nun vet ein fhlimmer Umfayd. Auf dem Boote wagten fie fid nicht dem Schiffe zu nahen; es märe ja möglich), dag man auf fie feuern Fönne, weil man Ber- rath fürdtete. Glüclicherweiſe hatte Lißberg Nateten mite genommen. Ihm, der fi mit allen mechaniſchen Künften abgab, machte es in der letztern Seit Vergnügen, Schießz⸗ pulver und Feuerwert zu maden. Cr batte etmas mitge- nommen, theils um die @efelfhaft damit in der Dimme · zung zu erluftigen, theils um den Groß-Felfenburgern ein Zeichen zu geben, wenn die Luftfahrer etwa diefe Nacht ausbleiben follten; damit man fi) drüben nicht Angftigen möge.

Nun konnte alfo aud Wolfgang feinem Freunde Horn das verabredete Zeichen geben; und kaum fliegen auf ein« mal drei Raketen vom Strande Binauf, ſo murden fie vom awei aͤhnlichen auf dem Schiffe begrüßt. Die Schaluppe mahte ſich kurz darauf der Infel; Horn fand felhnt mit dem Spradirohre am Ruder, und kaum konnte er gehört werben, fo rief er: Lebt Alwater noch! Er lebt! ant wortete ihm Wolfgang durd das feinige, das er, wie ein alter Birtuofe fein geliebtes Waldhorn, mitgebracht hatte, obſchon er es nicht mehr zu fpielen dachte

Als fi die beiden Kapitäne derzlidh begrüßt hatten, bradıte Wolfgang Herrn Horn zum Altvater in die Hütte. Wie gern hätte der Alte das Schiff beftiegen, um noch einmal in feinem Lehen in einer Kajüte zu fhlafen; das ging aber nicht, des Geheimnifles, auch des Hinauf- und Hinunter- ſteigens sorgen. Herr Horn erfreute den Altvater mit der

.

Klein- Felfensurg. 101

Nachricht. dag er diesmal Herrn Martin Julius mitbringe, der aber noch feine Toilette madye, um vor dem Negenten fandesmäpig zu erſcheinen. Albert und Eberhard faben einander an bei diefen Worten und lachelten gutmütbig.

Kurz darauf flieg der neu angekommene eurobäiſche Bluts- Verwandte an’s Land, in feifen Gallakleidern, mie einer großen gebuderten Perüde, einem Degen an der Seite und Chapcau bas unter dem Arm. Altvater wollte ihn umar- men, flug aber die Hände über Herrn Martins Rüden aufammen, fo tief büdte er fid) vor feinem Ahnherrn, den er: Eure fürftlihe Durchlaucht nannte.

Altvater hatte alle Mühe, ihn von diefer unterthäs ‚nigen Förmlichkeit abzubringen. Ih bin nur ein falihter, alter Dann, mein Sohn, fprad er, und werde bald dabin gehen, wo fein Unterfhied des Ranges mehr it. Was darf man denn Euer Ehrwürden nennen, frug . Herr Martin; wenn nicht Hobelt, Durchlaucht, doch wenig ftens Excellenz? Ich heiße Albert Julius, mein Sohn, ſprach der Alte, und da fteht Dein Eberhard. Ein na- türliches Gefügl bemeifterte ſich bei diefem Anblick Heren Martins, fo daß er für einen Augenblick den Pedanten zur Seite fepte und feinen Sohn herzlich) umarmte.

Habt Ihr die Uhr mitgebracht, frug der Alte gleich Ich babe gehört, gnädiger Herr Erzvater, Sie wuͤnſch⸗ ten, ich möchte eine Upr aus Europa mitbringen, und hier iſt fie Gr reichte ihm eine foftbare goldene Upr mit Brillanten. Lieber Gott, mein Sopn, da habt Ihr mid migverftanden, id) meinte die alte, ſilberne Uhr meines Ba- ters, meines Bruders, Eures Grogvaters. Die habe ich auch mit, magte aber nicht gleich Euer Ehrwürden bei der

erften Audienz mit einer ſoichen Kleinigkeit beſchwerlich zu

102 Verſchiedener Gefümad.

fallen. Wo iſt fie, lieber Sopn, Habt Ihr fle in der Ta- ſche bei Euch? Herr Martin reichte dem Greife die Uhr; Albert fab fie lange an, befühlte fie, kehrte ſie nach allen Seiten, öffnete fie, machte fie wieder zu, drüdte fie an feine Lippen, und rief, indem eine große Thraͤne ihm über die rothe Wange in den filbernen Bart Hinunter rollte: Ih kenne fie wieder!

"Herr Martin Julius fab feinen Sohn verwundert an, und konnte nicht begreifen, wie man eine alte f&hlichte fil- berne Uhr einer vergoldeten mit Brilanten vorziehen könne

11. Verſchiedener Gefhmad.

Kapitän Horn hatte viele fhöne Sachen mitgebracht; befonders Gemälde, theils flamändifhe, für die Gemächer auf Albertsburg, tbeils ein Paar italieniſche Meifterftüde, für die Kirche. Da waren au gut gemalte Portraits der zwei unfterblihen Stammväter der Selfenburger, Luthers und Shatefpeares, welche im Wohnzimmer des Altvaters Über dem Kanapee aufgehängt wurden, und den Alten über- raſchten, als er eines Morgens aus dem Schlafjimmer in die Stube trat. Noch war ein vorzügliher Maler mitge- kommen, befonders um den Alten zu malen, damit man doch ein gutes,. ähnliches Bild von ihm habe, ehe er ftärbe.

Biele andere nuͤhliche Sachen, welche die Felſenburger nicht ſelbſt fo gut machen konnten, wurden von den euro⸗

Verſchiedener Geſchnac. 103

väifchen Sreunden unter die Landleute verteilt. Eberhard hatte felbft die Mühe übernommen, den jungen Maͤdchen niedliche, in London genähete Schuhe zu ſchenken. Sie mußten alle an einem Tage zur beftimmten Stunde kom⸗ men, um die Schuhe bei ihm in der großen Sommerlaube anzupaffen. Allein machte das nit die Meine Cordula eiferfühtig? Im mindeften nigtl denn, wie fie auf der Infel das fhönfte Mädchen mar, fo hatte fie auch den ſchonſten Fuß, wovon ſich Eberhard bei der Gelegenheit völlig überzeugte

Auch viele deutſche Bibeln und Gefangbüher waren angetommen, und wurden vom Herrn Magiſter Schmelzer unter die Hausväter vertheilt. Als aber Eberhard einige Kiſten auffhlug, worin eingebundene Eremplare von Sha- tefpeares Werken waren, um diefe aud zu verteilen, fing der gewöhnliche Zank an, zwiſchen Ligberg und Eberhard, oder eigentlich das Gedanken», Gefühle und Meinungswech

ſelſpiel. worin ihre Gefeligkeit und Unterhaltung beftand.

In den erften Tagen nad) ihrer Ankunft wurden meh

* rere Meine ländliche Feſte nach Felſenburgiſcher Art veran-

ftaltet, um Herrn Martin ein Vergnügen zu machen. Er ſtellte ſich auch aus Höflichkeit, als ob er fehr damit zu⸗ frieden wäre; im Grunde langweilte es ihn aber ſehr, und weil er immer ein Stündden vor dem Schlafengehen, wäh- rend des Auskleidens mit feinem Sohne Eberhard allein ſprach, fo mußte der gute Jüngling aud) immer herhalten. Das muß id geßchen fhnaubte Herr Martin, id babe mic) fehr geirrt. Ich meinte Hier ein Meines Rd nigreich, wenigſtens ein Fürftenthum zu finden, ein hübſches Hauptftädten wenigftens mit einer ſchnurgeraden Straße, mit einem großen Palafte- Als naher Blutsverwandter

% Die glüdlihen und unglädligen

Ach fagte Lademann, fo feh ich denn mohl, dag ih Ionen mein Geheimniß beihten muß, damit Sie mid nicht verachten mögen.

Hier nahm er eine Heine filderne Kapſel bervor, die er auf der Bruſt an einer goldenen Kette trug. Herr Litz⸗ berg, fhra er, glaubt, ih verwahre nur hierin die Lode und den Ring; da ift aber noch ein Meiner Brief, den mır der Kellner heimlich, zuftedte, als Herr Lipberg den ſchon befannten befommen hatte. Leſen Eie diefen. Eberhard öffnete den Zettel und las: .

„Zheurer Lademann! Beklagen Sie mid und verger ben Sie mir! Im Kloſter feufzend, mo id von harten Aeltern gezwungen das Gelübde thun mußte, lernte ich, vor drei Jahren her, meinen Bräutigam kennen, einen braven jungen Mann von Geift und Bildung. Er liebte mid; es freute mid, von ibm geliebt zu werden; id nahm dies dantbare Gefühl für’ Liebe, gab ihm mein Iamort, und ſchwur ihm meine Treue. Diefen freiwilligen Eid darf ich nicht brechen. Ich lernte Sie zu fpät kennen! Ich bänge von meiner thätigeren Schwefter ab, wie Sie von Ihrem Freunde Ligberg, und mir müſſen, mie zwei abge⸗ riſſene Blumen, dem Strome folgen. Leben Sie wohl, holder Freund! In den Tönen wollen wir ewig zuſammen leben, und in den unfihtbaren Harmonien werden ſich un« fere Herzen taͤglich vereinigen.

j Cãcilia.“

Ad) fie hieß Cäcitia, rief Lademann dem fein Freund Eberhard jept weinend um den Hals fiel, und um Verzei⸗ hung bat. Da ift ein fhönes Bild von Raphael oder Guido Reni, wo die, heilige Caͤcilia mit Nofen bekrängt bei der

Liebhaber. Fortſetzung. % Drgel gt und nach der Seite fhaut. Eben fo betrachtete fie mi! Nur hatte fie keine Roſen um’s Haupt, und für mic) blüht in diefem Leben feine Roſe mehr. 10. Klein Felfenburg.

Der Altvater wollte einmal mit den europäifhen Freun- den, auf einem Meinen Fahrzeuge, das in tiefer Felſenkluft. von Geftein und Gefträud verborgen lag, eine Fahrt nach Klein Zelfenburg machen. Ih muß noch vor meinem Tode ein wenig von der übrigen Welt fehen, fagte er. Die Luftfahrt nad) der Meinen Klippeninfel wurde alfo un⸗ ternommen, und des Altvaters Cohn, Albert Julius der Zweite, mußte fo lange im Nathe der Alten des Greiſes P lag einnehmen. Albert Iulius der Zweite. des Altvaters dritter Sohn, (die beiden erften waren fhon geftorhem, mar ein Mann von 70 Jahren, recht gefund und räftig, aber nicht von vorzüglicen Geiftesfräften. Das jugendliche Gemüth feines Vaters mangelte ihm ganz, und gegen ihn fah der Alte in blühenden Augenbliden wie ein junger Menſch aus. Der alte Herr Sohn war, ohnerachtet er nie in Europa gewefen, und immer in der einfachen Natur ges lebt hatte, etwas pedantiſch, und Eberhard entdedte zu feinem Staunen eine auffallende Aehnlichteit zwiſchen ihm und feinem eigenen Bater, Martin Julius. Bieles erin« werte ihn auch am die felige Muh Urſula. an Herrn Sa- muel Plürs und an Better Anton. .

% Klein» Felfenburg.

Die Juſel Klein · Felſenburg war nicht wie die große, ein Blumenkorb von Felſen. Sie beſtand meiſt aus ſchrof⸗ fen unfruchtbaren Bergen. Einige ſchoͤne Thälcr ſtreckten Ai freilich dutch die Bergketten, und ein Paar Duzend Familien hätten bier treflich leben Können. Weil aber das meifte von Groß-Zelfendurg noch unbewohnt war, fo fand diefe Kleinere Infel einfam und verlaflen. Es war auch nod ein Grund da, warum Niemand da wohnen durfte. Klein» Zelfenburg war den Seefahrern nicht unbekannt; denn die Thaͤler und-Mälder ftredten ſich gerade bis zum Strande hinunter. Oftmals ankerte da ein Schiff, um frie ſches Waſſer zu holen. Hier hätte man alfo die Verbor⸗ genheit aufgeben müſſen.

Die Luſtfahrt wurde nicht ohne Furcht und Sorgfalt unternommen. Man hatte erſt durch Fernröhre von den hoͤchſten Berggipfeln die Fläche des Meeres ausgefpäht. Al bert Julius der Zweite hatte feinem Bater mit vielen Grän« den die Neife abgerathen. Er gewinne nichts dabei, hatte er gefagt, denn fräbftäden könne man Überall; dagegen feße er die ganze Infel und fein eigenes Leben dabei im Gefahr. Mein lieber Sohn, antwortete der Altvater, wenn id immer fo vorfihtig und vernünftig geweſen wäre, wie Du es von mir verlangft, fo wäre die Infel nie ente dedt, mie bevälfert und Du nie geboren worden. Ganz als Gefangener mag ic) nicht, felbft im weiten Kreife, ler ben; fo wäre ich lieber noch Küfter beim feligen Trautmann sehlieben, denn bei ihm konnte id doc herum laufen, mo ich wollte. Dit der Gntdedung hat es feine Noth; wir werden die äußerfte Vorfiht brauden. Ein großes Schiff fiebt' man. im weiter Fäne, che es unfern kleincn Nachen entdeden kann.

Klein Felfendburg 97

Der vernünftige Sopn wollte ſich von folden portie fen Gleichniſſen nicht überzeugen laffen; man lichtete indet die Anker, machte eine ſehr angenehme Fahrt, und frübs fädte in einer großen Hätte, von englifhen Seeleuten dort in der Gefhmwindigkeit aus rohen Stämmen des Waldes erbaut.

Eberhard und Cordula fagen dem lieben Altvater zur Seite, Becher guten Weines freiften herum, der Scherz blühete auf den geſpraͤchigen Lippen, und der Altvater brauchte fein ganzes Anfeben, um die Laune Lipbergs und - Bolfgangs im Zaum zu halten, die fih immer über den väterlichen vorſichtigen Herrn Sohn, Albert Julius den Zweiten, hermachen wollte.

Aber plötzlich wurde die Froͤhlichkeit durch eine Hiobs⸗ voſt geftört; ein junger Felſenburger, der auf dem hohen Berge Bade gehalten hatte, trat ganz blaß herein, und meldete: ein großes Schiff nahe ſich mit vollen Segeln der Infel.

Alle ſchwiegen einen Augenblid, und fahen einander beftürgt an. Da bat der bejahrte Sohn dod Recht und der jugendliche Greis Unrecht gehabt, fagte der Altvater.

Hat nichts zu fagen, rief Wolfgang, als er mit dem Fernrobt das Schiff betrachtet hatte; wir können in Große Zelfenburg fein, bevor mir ihnen in den Geſichtskreis tommen.

Nun ſchiffte man ſich ſchleunig ein, und ſchon war als les fertig und das Anker gelichtet, als das Ruder brach! Diefer Unfall fepte alle in die größte Unruhe, und es wurde in aller Eile Rath gehalten, mas zu thun wäre? An Besfegein war jeßt nit mehr zu U und bald

Oasenf. Extriften. XVLIL,

% Klein» Felfenburg.

würde das Schiff den Nachen bier im Meinen Hafen ent- deden. j .

Nein, rief der Altwater, deſſen noch jugendliche Kraft in diefem Augenblicke wieder hoch aufflammte, das darf nicht fein; dann wird das Geheimnig meiner Infel entdedt, eine fremde Macht bemächtiget ſich ihrer, fremde Sitten werden eingeführt, ſchlechte habſüchtige Menſchen unterdrüt- ten und verderben meine Kinder; ihre Schäge werden wege geſchleppt, und fie felbft zu Sklaven der despotifchen Wil. für eines tüciſchen Statthalters gemacht. Bohtt das Fahrzeug in Grund, Kinder, ich befehle es Euch, Kraft meiner Herrſchaft. Bir wollen uns in den Felſenklüften

. verbergen, und können nachber die Hütten ausbeflern und bewohnen, bis einmal Kapitän Horn von Europa mwieder« kehrt. Trifft er ung nicht auf Groß-Selfenburg, fo wird er uns bier ſuchen. Vielleicht bauen fie mittlerweile ſelbſt drü- ben ein Boot und holen uns ab; denn leider haben wir nicht Wertzeuge mitgebracht, fonft Fönnten wir es felber thun. Bir andern, lieber Großvater, rief Eberhard, könnten uns das allenfalls gefallen laſſen; allein Sie in Ihren Jahren! Soll ein Hundertjähriger Greis wieder vom vorne anfangen? Ach es gebt nicht mehr fo leicht mit dem Klettern wie zu Zeiten van Leuvens und Lemeliee. Ei, mein liebes Kind, rief der Alte. ic bin der Bergluft ge- wohnt; ich kann noch recht gut in einer Selfenhöhle fhla- fen. Und Mürbe ih auch? Was it es denn mehr? Ein Jahr früher oder fpäter bald müßte es doch fein. Dann wird noch das lehßte Kapitel meines Lebens poetiſch: ich ſterbe als ein berumftreifender Abenteurer, wie ih ange» fangen babe. Du Eberhard, ſollteſt mir meine eigene Iu- gend, die Meine Cordula die Jugend meiner Concordia zu

Klein» Felfenburg. 9

ru mahnen. Unfere euronäifchen Freunde, die im Berg fo vieler fdhönen Zertigkeiten find, werden uns das Lehen ertraͤglich machen, und fo verſchwindet ein halbes Jahr leicht.

Alle bewunderten den Muth, die unerfhütterlihe Hei» terfeit und Entſchloſſenheit des Greifes; es Konnte fie aber nicht tröften, denn fie faben voraus, dag dieſe Lebensart bald den Alten aufreiben würde. .

Bäprend fie nun fo’ ſchweigend und Meinmüthig da Manden, fam Kapitän Wolfgang mit dem Fernrohre wies der vom Fels zurüd, und rief luftig: Hurrah! Aengftiget Sud nit, lieben Freunde! Bir brauden unfer Fahrzeug nicht in Grund zu bohren; Fein Wageftüd bedroht des theu⸗ ren Altvaters Lehen. Ic babe die Flagge des fernen Schife fes deutlich ertannt. Dreifah weht fie: blau, gelb und rotb, mit den Hauptfarben des Negenbogens, der Abrede mit Ferdinand Horn gemäß, wenn er nad) der Infel wie- der fäme. Es it unfer eignes Schiff, weit früher von Eu- ropa zuräd gekehtt, als wir es erwarten konnten.

Diefe Zauberworte verwandelten gleich die ängftlihe Stimmung wieder in Freude und Entzüden. Wolfgang batte naͤmlich mit Herrn Horn abgeredet, daß er das naͤchſte Mal nicht bei Große, fondern bei Alein-Zelfenburg anfern folte, und da die mitgebrahte Mannfhaft und Sachen ausſchiffen, damit das Geheimniß der grogen Infel nicht in Gefahr ſchwebe, emtdert zu werden, wenn gar zu viele Menſchen Kenntnig davon hätten.

Diefe Vorſicht machte aber auch jept, dag fih das Shift nicht gleich der Meinen Infel näherte, als man das Boot im Hafen entdedte. Die Felfenburgifhe Zlagge ward gleich mit einer boländifden umgetaufht, und Kapitän Horn lavirte auf dem Meere, ohne ſich der Sure, nahen,

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10° Rein Felfenburg.

weil er meinte, dag, wo cin Boot war, müfle aud ein Schiff in der Nähe fein, und vom Walde verborgen, vor Anfer liegen.

Das war nun reiht ein fhlimmer Umfaud. Auf dem Boote wagten fie ſich nicht dem Schiffe zu nahen; es wäre ja möglich, dag man auf fie feuern fönne, weil man Ber- rath fürdtete. Gluͤclicherweiſe hatte Lißberg Raketen mite genommen. Ihm, der ſich mit allen mechaniſchen Künften abgab, machte es in der letztern Seit Vergnügen, Schieße puboer umd Feuerwert zu machen. Gr hatte etmas mitge⸗ nommen, tbeils um die Geſellſchaft damit in der Dimme " zung zu erluftigen, thels um den Großz⸗ Felſenburgern ein Zeichen zu geben, wenn die Luftfahrer etwa diefe Nacht . ausbleiben follten; damit man fi drüben nicht ängftigen "möge.

Nun tonnte alfo auch Wolfgang feinem Freunde Horn das verabredete Zeichen geben; und kaum fliegen auf eine mal drei Rafeten vom Strande hinauf, fo wurden fie von zwei Ähnlichen auf dem Schiffe begrüßt. Die Schaluppe nabte fi furz darauf der Infel;- Horn ftand felhft mit dem Spradirohre am Nuder, und kaum konnte er gehärt werden, fo rief er: Lebt Alwater noh! Er lebt! ank wortete ihm Wolfgang durch das feinige, das er, wie ein alter Virtuoſe fein geliebtes Waldhorn, mitgebracht hatte, obſchon er es nicht mehr zu fpielen Date.

Als ſich die beiden Kapitäne derzlich begrüßt hatten, brachte Wolfgang Herrn Horn zum Wltvater in die Hütte. Wie gern Hätte der Alte das Schiff beftiegen, um noch einmaf in feinem Lehen in einer Kajüte zu ſchlafen; das ging aber nicht, des Gebeimnifles, aud des Hinauf- und Hinunter fteigens wegen. Herr Horn erfreuete den Alwater mıs der

.

Klein- Felfendurg. 101

Nachricht, dag er diesmal Herrn Martin Julius mitbringe, der aber noch feine Toilette made, um vor dem Negenten fandesmäpig zu. erfheinen. Albert und Eberhard faben einander an bei diefen Worten und laͤchelten gutmüthig.

Kurz darauf flieg der neu angefommene europäifhe Blut» Verwandte an’s Land, in fteifen Gallakleidern, mit einer großen gepuderten Peräde, einem Degen an der Seite und Chabeau bas unter dem Arın. Altvater wollte ihn umar- men, flug aber die Hände über Herrn Martins Rüden zuſammen, fo tief büdte er fi, vor feinem Ahnherrn, den er: Eure fürflihe Durchlaucht nannte.

Altvater hatte alle Mühe, ihn von diefer unterthäs

‚nigen Förmlichkeit abzubringen. Ih bin nur ein

ſchlichter, alter Mann, mein Sohn, ſprach er, und werde bald dahin geben, wo fein Unterſchied des Ranges mebr it. Was darf man denn Euer Ehrwürden nennen, frug . Herr Martin; wenn nicht Hohelt, Durchlaucht, doch wenige ftens Ercellenz? Ich beige Albert Julius, mein Sohn, ſprach der Alte, und da ſteht Dein Eberhard. Ein na türliches Gefühl bemeifterte ſich bei diefem Anblick Herm Martins, fo daß er für einen Augenblid den Pedanten zur Seite fepte und feinen Sohn herzlich umarmte.

Habt Ihr die Uhr mitgebracht, frug der Alte gleich. Ich babe gehört, gnädiger Herr Erzuater, Sie wuͤnſch⸗ ten, ich möchte eine Uhr aus Europa mitbringen, und bier iſt fie. Er reichte ihm eine koſtbare goldene Uhr mit Brillanten. Lieber Gott, mein Sopn, da habt Ihr mid migverftanden, id) meinte die alte, füberne Uhr meines Va⸗ ters, meines Bruders, Eures Großvaters. Die habe ih auch mit, wagte aber nicht gleich Euer Ehrwürden bei der

erſten Audienz mit einer ſolchen Kleinigkeit beſchwerlich zu

102 Verſchiedener Gefümad.

fallen. Bo ift fie, lieber Sohn, Habt Ihr fie in der Ta- ſche bei Euch? Herr Martin reichte dem Greiſe die Uhr; Albert fab fie lange an, befühlte fie, kehrte fie mac allen Seiten, öffnete fie, machte fie wieder zu, drüdte fie an feine Lippen, und rief, indem eine große Thraͤne ihm über die rothe Wange in den filbernen Bart hinunter rollte: Ih tenne fie wieder!

"Herr Martin Julius fab feinen Sogn verwundert an, und konnte nicht begreifen, wie man eine alte ſchlichte fil- berne Uhr einer vergofdeten mit Brillanten vorziehen könne

11. Verſchiedener Geſchmack

Kapitän Horn hatte viele fhöne Sachen mitgebracht; befonders Gemälde, theils flamändifhe, für die Gemaͤcher auf Athertsburg, tbeils ein Paar italieniihe Meifterftüde, für die Kire. Da waren au gut gemalte Portraits der zwei unfterblichen Stammväter der Selfenburger, Luthers und Shatefpeares, melde im Wohmimmer des Altvaters Über dem Kanapee aufgehängt wurden, und den Alten über- raſchten, als er eines Morgens aus dem Schlafjimmer in die Stube trat. Noch war ein vorzügliher Maler mitge⸗ fommen, befonders um den Alten zu malen, damit man doch ein gutes, ähnliches Bild von ihm habe, che er ftürbe.

Viele andere nuͤßliche Sachen, welche die Felfenburger nicht ſelbſt fo gut machen konnten, wurden von den euro⸗

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Verſchiedener Geſchmac. 108

päifyen Freunden unter die Landleute verteilt. Ederhard batte felbft die Mühe übernommen, den jungen Mädchen niedliche, in London genähete Schuhe zu ſchenken. Sie mußten alle an einem Tage zur beftimmten Stunde kom⸗ men, um die Schuhe bei ihm in der großen Sommerlaube anzupaffen. Allein machte das nit die Eleine Cordula eiferfühtig? Im mindeften nicht! denn, wie fie auf der Infel das (hönfte Mädchen war, fo hatte fie aud den fhönften Zug, wovon ſich Eberhard bei der Gelegenheit völlig überzeugte Auch viele deutſche Bibeln und Gefangbücher waren angefommen, und wurden vom Herrn Magifter Schmelzer unter die Hausväter verteilt. Als aber Eberhard einige Kitten auffhlug, worin eingebundene Eremplare von Sha- keſpeares Werken waren, um dieſe aud zu vertheilen, fing der gewoöbnliche Zant an, zwiſchen Lißberg und Eberhard, oder eigentlich das Gedanken», Befühl- und Meinungswech⸗ ſelſpiel, worin ihre Gefelligkeit und Unterhaltung beftand. In den erften Tagen nad) ihrer Ankunft wurden mehr * rere Meine Ländliche Feſte nach Felſenburgiſcher Art veran- ftaltet, um Herrn Martin ein Vergnügen zu maden. Er fiellte fih auch aus Höflichkeit, als ob er fehr damit zur frieden wäre; im Grunde langweilte es ihm aber fehr, und weil er immer ein Stündden vor dem Schlafengehen, wäh- rend des Yuskleidens mit feinem Sohne Eberhard allein fora, fo mußte der gute Jüngling aud immer herhalten. Das muß ich gefichen ſchnaubte Herr Martin, ih babe mid) fehr geirrt. Ich meinte Hier ein Meines Rö- nigreich, wenigftens.ein Fürftentpum zu finden, cin bübſches Hauptftädthen wenigftens mit einer fhnurgeraden Straße, mit einem großen Palafte- Als naher Blutsverwandter

104 Berſchiedener Gefhmal.

des Dberhaupts hatte ich auf eine ausgezeichnete Ehrerdie- tung gerechnet, dag die Soldaten vor mir präfentiren, we⸗ nigfiens ſchultern foltten, wenn id) vorbei ginge. Allein bier find ja gar feine Soldaten. Jeder Kleine deutſche Fuͤrſt bat doch wenigſtens ihrer zwanzig, oder dreigig Stüd. Auch batte ich auf einige Ordensbänder, wenigftens einch Kam⸗ merherrnfcplüffel den. Mund gefpit. Das find aber lauter Früchte, die in diefem berben Klima nicht reifen. Jeder Bauerndengel, dem id) begegne, drüdt mir die Hand, fo dag mir die Finger weh thun, duzt mid, und nennt mid Vetter und Freund. Aber das ift er ja aud, lieber Ba» ter! Vergeſſen Sie denn, daß alle Einwohner hier, wenige ausgenommen, von Albert Julius abftammen? Bir ftam- men alle ab von Adam und Eva, mein Sobn! das madıt aber nichts. Verſchiedenbeit muß fein, und aud Standes verſchiedenheit. Und wie die Menfchen hier gekleidet ‚gehen! Altdeutſch! mit Jädhen und Kragen, und ungepuderten Haaren, fo daß einem das wenige Haar unter der Perüde darüber zu Berge Reht. So war die Mode, als Altva- ter vor hundert Jahren hierher kam; feine Kinder kleideten ſich wie er, die Enkel thun ee ebenfalle. Und aufrichtig lieber Vater, ich finde, diefe Mode weit fhöner, als die heutige in Europa! I haſſe Peruͤden, Puder, dreiedige Treſſenhüte, Haarbeutel und fteife Rocſchoͤße aufs Blut. Beiß wohl, Gherhard! das fömmt daher, weil Du noch in den unreifen Jahren bift, und Dein Gefchmad nicht ges börig gebildet it. Wenn Du älter wirft, wenn Dir die Haare grau werden, und Du eine Glape bekömmit, wirft Du fon die Finger nad) der Perüde, nah Puder und Vomade Ieden, dann ift’s aber zu fpät. Ales bier. if wild und verworren! Keine ordentliche Gärten in Winkel,

Berſchiedener Geſchhmac. 105

Quadrate, Rhombuſſe und Nhomboiden eingetheilt; man glaubt noch im Walde, unter dem lieben Vieh zu wan deln. Er verſteht es wohl nicht beſſer, der arme Greis! folte ſich aber von Eugen Leuten, die ein beſſeres Einfe- ben ‚in dergleihen Dingen haben, belehren laffen. Sein Sohn, Herr Albert Julius der weite, ſcheint mir weit mehr Verftand und pratktiſchen Sinn zu befiken. Eberhard mußte läheln und frug: Lieber Bater! ha- ben Sie denn in Europa wirklich fo viel Gutes. verlaffen, daß Sie fi) darnach fehnen können? Ob ich viel Gutes verlafien habe, mein Sohn? Weißt Du denn nicht, dag ih mich in Leipzig ganz prachtig etablirt Hatte, ein großes Haus neu gefauft und fhön meublirt mit Kronleuchtern und Fuße tepppihen? Gin Graf konnte nicht beffer wohnen. Beißt Du nit, daß mir. acht Bedienten in prächtigen Livreen täge lich aufwarteten? Daß ich zwei Mal woͤchentlich ein großes Diner gab, wobei Deine Gönner und Iugendlehrer, Herr Profeſſor Schwefellies und Here Kaufmann Nierenftein auch zugegen waren, nebſt vielen andern Donoratioren? Nierenftein und Schwefelties, find meine Bufenfreunde ge- worden; umd mo finde ic folhe Männer wieder? Mit Herrn Litzberg und Wolfgang läßt ſich ja fein vernünftiges Wort reden, fie railliren immer, und find fogar mitunter nafeweis und unverfhämt. Den guten Schmelzer kenne ich fhon; das ift ein lieber Menfch. er fiht aber über feinen Büchern, tauft Kinder, ſchreibt Predigten, mag nicht L’hom- bre fielen, und hat es auch nie ordentlich gelernt. Alſo Nierenftein und Scwefelties, das find gegenwärtig die Lichter in Leipzig, lieber Vater? Wahre Biederleute, mein Sohn! Der eine giebt eben fo große Diners wie ih; der Profeffor hat freilich die Mittel dazu nicht; Aber dann

106 Verſchiedener Geſchmack

fpeit er wieder fo gutherzig, mit einem ſolchen Appetit . und böfliher Dankharkiit, dag man ihm durchaus gut fein muß. Und dann ift er auch erflaunlic gelehrt. Nicht wahr, Du verdankft ihm Deine ganze Bildung? Gewiß, licher Bater. Und bei dem andern bin ic) alle Boden zu Tiſche geladen; nicht wahr? Ja wohl! Das hat er wir ſelbſt erzählt, und das hat mid als Vater gefreut; denn Du weißt wohl, Eberhard, dag id, Did, aller Deiner Sonder- barfeiten ohnerachtrt, herzlich liebe. Das weiß ih, mein Vater, ſprach Eberhard, und fügte ihm die Hand: Haben die Herren Nierenftein und Schwefellies Ihnen aber nicht auch erzaͤhlt. wie ih einmal an der Pleiſſe ihr Lehen vet- tete? -Sie haben mir gefagt, dag Du ihnen einmal in jugendlichen Ucbermuthe mit einem herunter geriſſenen Baume leicht die Schädel häzteft einfhlagen Lünnen, als ihre Pferde ein wenig ſcheu wurden; allein diefen Jugend» ſtreich haben fle Dir Beide von Herzen vergeben. Nun, das iſt (hön, ſprach Eberhard. Es iſt aber fpät, lieber” Vater! Sie find jetzt zu Bette gegangen, und ich will, mit ‚Ihrer gütigen Erlaubnig, daſſelbe thun.

12.

Albert Julius zum leptenmal.

Der Maler hatte ein ſchones, ähnliches Bild vom Alt vater ‚gemacht. Der ſilberne Greis fa im Lehnſtuhle in feinem Sömmer; durchs große offene Fenſter konnte man die

Aldert Julius zum letzten mal. 107

füdfiche Vegetation der.Infel und die fernen Felſen fehen. Der Alte legte feine gerunzelte Hand auf das Faftanien- braune Haupt eines fdhönen Knabens, der vor ihm Mniete. Hiemit wolte der Maler den Segen andeuten, den der _ Stammvater feinen Enkeln gab. Das Bild in Lehensgröße wurde den Bruftbildern Luthers und Shakeſpeares gegen»

-über in der Wohnſtube aufgehängt; erſt aber einige Tage

oͤffentlich zur Schau ausgeftellt. Ad, wenn Ihr mir nur auch meine Concordia malen Lönntet, fagte der Altvater. Aber wißt Ihr was? Malet die kleine Cordula; die gleicht ihrer Stammmutter ſehr, nur dag fie blond If. Herr‘ Martin, der zugegen war, meinte, man Lünne ja ſchlecht⸗ weg Cordula ſchwarzes Haar geben; aber davon wollte we⸗ der Altvater, noch Eberhard, uoch der Maler etwaͤs wil- fen; und Litzberg rief: Da haben wir wieder ein Unglück des eigenen Haartragens; hätten nun, Concordia und Cor⸗ dula hübſch gepuderte Perüden getragen, fo wären wir der Sorge 108, und die Aehnlichteit waͤre auf ein Haar ger troffen. . Nach der Iepten Luftfahrt uach Klein» Felfenburg war der Altvater etwas unpag, und er: beſchloß von jept an eine andre Lebensweiſe bei fidy einzuführen. Er gab keine Gaſt⸗ mahle mehr, ging fräh zu Bett, nahm nicht Beſuche an, und beſuchte Niemanden. Dazu hatte ihm befonders eine Freundin überredet, die jet täglich um ihn war, die ihn pflegte und hegte, feinem Haufe vorftand, und ohne deren Einroilligung er nichts mehr that, was feine Gefundpeit anging. Diefe Freundin war Hanna Helltraft, deren Ge⸗ nie zur Hausbälterin und Pflegerin er bald entdedte, und nad) Berdienft würdigte. Noch behielt er in feinem geräu- migen Haufe drei ſchoͤne, geiſtreiche Knaben und Mädchen,

108 Albert Iulius zum leptenmal.

die er im Lefen und Schreiben felbft unterrichtete, die zu Mittag mit ihm ſpeiſten, und die im Kreife um ihn täglich Morgen und Abend mit gefalteten Händen beten mußten, um Danklicder fangen. Mitunter agen auch, ftatt ührer, Eberbard und Cordula, oder Schmelzer und Wolfgang, oder Litzberg und Lademann beim Alten.

Sein Sohn Albert Julius der Zweite machte jet ein großes Haus, kam aber alle Morgen pünktlich um zchn Uhr, feines Vaters Hand zu küſſen, und zu hören, wie er geſchlafen habe? Dies that der fiebzigiährige Mann ganz kindlich, wie er es von Jugend auf gewohnt war, und der Anblid hatte etwas wunderbar Nührendes, Bei Albert dem Zweiten war Martin Julius einquartirt. Sie ſchienen für einander geboren zu fein. Herr Martin hielt dem als ten Felſenburger täglich) Vorlefungen über euroväiſche Sit» ten und Einridtungen, und fie fanden im ‚Gemüthe des Zubörers freundliche Aufnahme.

Noch ein anderer Fremder, von dem wir nicht gefbro« hen haben, der mit Kapitain Horn das letzte Mal auf die Infel kam, hatte in Robert Hulter, Gordulas Vater, einen Freund gefunden, und wohnte hei ifm. Es war ein ger wefener Ingenieur» Offizier, Herr von Birting, der dem wadern Wolfgang damit beifen follte, die Tortification der Infel nach beſten Kräften zu vollenden, damit keine fremde Macht fie je erobern könne. Das fing er denn auch gleich ſehr gefjidt an, denn cs war ein Mann von Talenten.

In feinem Aeußern hatte er aber viel Unangenehmes, Ab- ftogendes. Er war lang und Hager, fein ſchmales Geſicht ſah ernft und migvergnügt aus; nie Fam ein Lächeln da, rauf Wenn man mit ihm ſprach, mußte man feine Be vebfamfeit bewundern; es war aber gar nichts Gemäthli-

Albert Julius zum leptenmal. | 109

es an ihm; auch merkte man, des Zwanges ohnerachtet. den er ſich anthat, daß er fehr ahnenftolz war. Er war aus einer altın deutſchen Familie; unglädtider Umftände megen hatte er fein Rittergut verfaufen müflen, und nur die Noth hatte ihn dazu gezwungen, Kapitain Horn nad Zelfenburg zu begleiten. Alle die Freunde ſahen bald, dag

- er fein Mann für fie war; fie hatten bei feinem Anblide

das Gefühl, als ob ſich, allen guten Duarantaine-Anftal- ten ohnerachtet, eine anftedende Seelenſeuche auf die Infel eingeſchlichen habe. Nun. war es aber zu ſpaͤt, etwas da⸗ gegen zu wirken, Der gute Eberhard hatte befonders Ur: ſache ihn nicht zu Teiden, denn faum wohnte Herr von Bir⸗ ting bei Robert Hulter, fo verliebte er fi in feine Toch⸗ ter. Als cr nun börte, daß Robert von Carolina Ftan esta, der Tochter Soncordiens und van Lrunens, ftamme, die mit einem fhiffbrädyigen Iünglinge von adeliher Ge⸗ burt verheirathet gewwefen, machte er Robert Hultern aufs merffam darauf, daß fein ganzer Stamm von adelihem Gebfüte auf der Infel_der Vornehmſte fei, dem es nicht zieme, einem bürgerlihen Nebenzweige in Anfehen und Hürde nachzuſtehen. Diefe Infpirationen geſchahen freis lich noch ‚ganz heimlich; "hatten aber auf den ehrgeizigen, düftern, befchränkten Robert großen Einflug; es that ihm jest leid, daß er feine Tochter Eberharden verſprochen habe, und Eberhard konnte nicht begreifen, woher die Kälte jetzt gegen ihn käme, tröftete fih aber damit, dag ihn die treue Cordula immer zärtliher und feuriger liebe.

Eberhard betrieb nun die Hochzeit, weil aber Altvater- immer kraͤnklicher wurde (als Kapitain Horn wegreifte, hatte er ſich auch beim Abſchiede etwas erfältet); fo hatte Robert Hulter Anlap genug, die Bermäblung aufzufgieben, und

110 Albert Iulins zum Ieptenmal.

Eherhard war auch jeht zu beforgt, um an fein eigenes Glůck zu denten.

Es wurde mit dem Greife alle Tage bedenklicher: der Arzt Cramer wollte ihm Medicamente geben, er ſprach aber: Mein Sohn! für den Tod waͤchſt kein Kraut! Ich lebe fhon ein Paar Jahre in das zweite Seculum hinein, das mag die Zeit nicht leiden; fie läßt fi von den Men« ſchen nicht fo auf die Finger feben, und ihre Kunft abler- nen. Das alte geizige Weib will mir fein Lebensöl mehr in meine Lampe giegen. darum frodnet mir die Haut, die. Glieder werden fteif, die Augen dumm und das Obr hört nicht länger fharf, wie zuvor. Allein ich habe mich ſchon lange auf diefen Augenblick vorbereitet, und mo ich bingehe, wartet ein großer Haufen Freunde meiner.

Man wollte ibm die Todesgedanken verſcheuchen, er ließ fid) aber nicht irre machen, und verfepte! Diesmal, lieben Kinder, läßt fih Freund Hain durch ſchöne Worte nicht wegweifen, er bat ſchon ein paarmal mit der Senfe angeflopft, hat fid aber von- den Thränen meiner Kinder rüßren laſſen, und ift wieder fortgegangen.

Die ganze Infel trauerte, und alle waren fehr beforgt, als Altvater nod "einmal in die Kirhe wollte, denn fie fürchteten, er werde fi) da noch mehr erfälten und gar zu gerührt werden. Ic fterbe noch nicht, ſagte der reis, einige Tage habe ih noch zu leben; vergönnt mir diefe kurze Friſt nad Luft zu genießen. Das Meine zarte Kind wird ja in die Kirche gebracht, wenn das Leben hier auf Erden anfangen foll; warum darf das alte Kind fid nicht auch im Gotteshaufe zum künftigen Leben vorbereiten?

Wolfgang und Eberhard baten M. Schmelzer die Pre» digt ja nicht zu rührend zu machen. Fürchtet nichts,

Albert Julius zum legtenmal. 111

Freunde! ſprach der trefflihe Mann; eine ſelige Flamme brauche ich nicht da. anzufachen, wo fie ſchon klar in Liebe rennt. Ich will nicht mit dem Finger nach dem Himmel binauf zeigen, wohin ſchon die alten Augen ununterbrochen binaufftarren; id mil fie wieder eine Weile auf die Erde berunterloden. Es trifft ſich eben fo fhön, daß mir näc« ftens das Evangelium vom Sämanne haben; Ihr wer- det ſchon mit mir zufrieden fein.

Lademann war ganz in Schmelzers Idee eingegangen; er, der auf feiner ſchönen Orgel phantafirend das Herz ſtimmen fonnte, wie er wollte, präludirte heute ſtil erhaben in tiefen. heitern feften Tönen, und brauchte das Pedal wunderſchon, als ob er damit das ehrwürdige Greifesalter, die tiefe kräftige Gottesfurcht des Altvaters andeuten wolle.

"Mitunter drüdten einige hohe Töne Sehnſucht und Ver⸗

langen nach der Ewigkeit aus; dann tönte wicder.der herr⸗ liche Bag geduldig und beruhigend in großen Harmonien, und die fonderbarften Diſſonanzen Löften fid leicht auf, in Klarheit und Zufriedenheit. Schmelzer hielt eine treflihe Predigt über den Tert: Etliches fiel auf ein gut Land, und trug Frucht Dunderrfältig, etliches ſechszigfältig, etliches dreigi ig. Denn wer da hat, dem wird gegeben, daß er. die Fülle babe; mer aber nicht hat, dem wird genommen, das er hat.” Diefes Nichthaben und Haben, womit Chriſtus nur einen kräftigen Willen zum Guten, ein fromm empfäng« lich liebevolles Gemäth gemeint hat, wandte Schmelzer ohne Schmeichelei auf den Altvater an, dem ein blühendes, glüd« liches Geſchlecht, naͤchſt Bolt im Himmel, alles verdantte. Ale Hände falteten fi, alle feuchten Augen richteten ſich binauf nad dem Greife, der in feinem Stuhle verfhämt

112 Albert Julins zum Ieptenmal.

und beſcheiden ſaß, die Augen niederflug, und fanft laͤ⸗ chelnd mitunter feife den Kopf ſchüttelte Schmelzer wußte recht wohl, daß diefe Wendung nicht nad) des Alten Ger ſchinack fe, der in die Kirche gefommen war, feine Seele zu Gott zu erheben, nicht üm Dankſagungen zu hören; er mußte, daß es den Alten fogar ein wenig verdriegen würde; aber auf diefe Mißbilligung, diefe kleine Verftimmung hatte der Prediger chen gerechnet, weil er dadurch hoffte, den ſchwachen Alten von einer gar zu angreifenden Begeifterung zu zerſtreuen. Es half aber nicht viel; denn nad geendig- tem Gottesdienft lieg Altvater zu Schmelzer hinunterſchicen: er wunſchte das heilige Abendmahl nod vor dem Altar zu empfangen, die Chorfnaben möchten das Lied: „Icfus meine Zuverſichtl“ fingen. Raum war das gemeldet, fo erfdien der Greis fon drunten in der Kirche, von Eberhard und Wolfgang geleitet. Er ging mit rubigen feſten Schritten durch die Kirche, man merkte ihm feine Schwachteit an, nur einige fanfte Thfänen liefen ihm Aber die abgebleihten Wangen, als er das Satrament zum lettenmale genoß. Als die Anaben das Lied anftimmten, woran die Ermad- fenen vor Schluchzen nicht theilnehmen konnten, fang Ale bert Julius laut mit, und fein fhöner Bag, der neue Kräfte gewonnen zu haben fdien, tönte herrlich, und freu- dig vereint mit den zorten hoben Kinderftimmen.

An der Kirhenthür blich er ftehen, ließ feine Entel vorbeigeben, drüfte allen die Hand, und ließ ſich von vie len die Hand küfen. Drauf ward er in feinem Tragſeſſel nad) Haufe gebracht, und bereitete fid auf feinen Tod vor. Nur Hanna Helkraft, Eberhard, Lademann und die Chor- knaben blichen im Haufe bei ihm. Zu Lademann fagte er: Mein Sohn, Ihr habt mir fon auf Diefer Infel viel

Albert Julius zum Teptenmal, 113

Nutzen geftiftet, allein ich habe doch noch eine Bitte an Eu, daß Ihr mir nämlid mein Nuhefämmerlein oder meinen Sarg fo eilig als möglic) verfertigen möget; denn ich habe nicht lange Zeit mehr bier zu bleiben, fondern Gott wird mid) nächftens zu ſich rufen, ich möchte aber gern vorher mein Ruhekämmerlein fehen.

Der ehrliche Lademann fing bitterli an zu weinen, fügte dem Altvater die Hand, und fagte: er hoffe noch viele Jahre von diefer Arbeit verſchont zu bleiben; allein der Alte fagte: Mein Sohn, day viele Reden kömmt mir ſauer! Er- füllt meinen Willen fo eilig, als möglich, und gebt mir Eure Hand drauf.

Dan willfahrete. ihm jet in allem, und bald ftand der Earg fertig da, ganz ſchlicht und einfady gebeigt, von Fichtenholz, nad) des Altvaters Verlangen: „Vier Dielen und zwei Brethen.“ Lademann wollte einen Sarg von Mahagony mit fübernen Handhaben gemacht haben, allen der Alte ſprach: Meine edlen Vorgänger Don Cyrillo de Valaro und Herr Earl Franz van Leuven wurden nur in ein grobes Segeltuch eingewidelt! Als meine Concordia ftarb, habe ih und meine Söhne ihr einen ſchlichten Sarg von Dielen aus dem Walde gejimmert; ih will es nicht beffer haben,

Die Heine Handorgel war nad) Albertsburg gebradt

> worden, die fpielte Lademann jept fleißig und die Chorfna-

ben fangen vor dem Sterbenden, und draußen im Haine fanden viele Felſenburger, Qäter, Mütter, Iünglinge, Mädden und Kinder, und weinten, wenn fie die ſchönen Töne dur die offenftehenden Zenfter hörten. Denn .der

Sterbende, der die friſche Luft immer geliebt hute, wollte Dedlenſ· Sarifien. XVIIL.

‚114 Aldert Jalius zum legtenmal.

auch jetzt nicht, daß man im fdönen warmen Better feine Fenſter verſchließe.

Jetzt lag er und träumte vor ſich bin, und wenn er erwachte, erzählte er den Umherſtehenden den Traum; der oft ein ſchöner Zurüdblid auf fein buntes abenteuerlihes Leben war. Erft fand Freund Hain da mit der Hippe und zeigte ihm das ausgeronnene Stundenglas.; Albert fang:

mut bin ich zwar, doc münfcht' ich gern Gin wenig noch zu leben.

Der Tod antwortete:

Und lebteſt hundert Jahr Du noch, Zu früh kaͤm ich DIE immer doch, Drum fei mir gleich ergeben;

Dann erſchien Alberts Bater an der Hand des heili⸗ ‚gen gefteinigten Stephanus, er befühlte das Eifen der To— desfenfe, und ſprach: Die Schneide ift (darf! es ſchmerzt nicht, mein Cohn! Ih habe das Eifen in früheren Jah⸗ ten als Du, gefoftet. Nun hörte Albert einen fhönen Ges fang, es waren die Geifter feiner Mutter und feines Bru⸗ ders. Der Bruder zeigte ihm die Uhr und rief: die Zeit in vorüber. Die Mutter Hob die Bibel gegen den Him mel auf und rief: Dort winkt die Ewigkeit. Dann ſchnurrte ein Rocken dem Träumenden nahe in’s Ohr; das bei ſaß die alte Parze Lacheſis, fie war bald über ihrer. Arbeit eingefdlafen, und Alberts Lebensfaden zerriß ihr unter den Händen; fie glich der Muhme Urfula, und ſprach leiſe: Ich Grabe ſchlaͤft ſich's gut und ungekört.— Run

Albert Iulius zum letztenmal. 115

kam eine Meine Höllenfrage im Scharlachrocke und langer Kuotenperüde, die Hörner flachen ihr närrifd aus dem Tou- dee heraus, fie wollte den Sterbenden flören und ärgern. Albert‘ erkannte fehr gut den Salvator Veildenblau; als die Grablieder wieder ertönten, verſchwand der Kobold. Pöplih hörte er den Anal einer Kanone, und durch die Kanone fuhr Seiferts Geift, und verſchwand in die Bol- fen, felbft eine dichtere Wolfe, von der beruntergehenden Sonne ſchön gefärbt. Dann flieg der Mond kalt empor und beleuchtete die Flußwellen. Trautmanns Kopf tauchte empor mit naffen Haaren und gebrochenen Augen, aber der Abendwind fänfelte im Schilfe: Gott hat ihm vergeben, Du wirft ihn wieder fehen. Jetzt ſchwirrte ein ſchoöner Che⸗ rubtopf mit ſchneeweigen Schwingen an den Nofenwangen zum Fenſter herein, blidte felig-lächelnd auf ihn; und flog mieder hinaus. Ad Iohanna, liche Johanna, feufzte Ale bert, und erwachte, ſchlief aber glei wieder. Hanna Hell kraft tro@nete ihm den Todesſchweiß von der Stirn. Dank, Sara! treue Sara! feufzte der Träumende. Lader mann wollte ihn erheitern und fpielte wieder auf der Hand» orgel. Da, ſprach der Sterbende, höre ih Paul Flem⸗ mings Harfe, er- fingt jetzt die Ode auf die Auferftehung, die Unſterblichleit. Nachher ſchien es Alberten, als 06 der Himmel ganz dunfel würde. Ein lichter Kreis breitete fi) darauf aus, von einem runden Regenbogen wie von einem Rahmen eingefaßt, und darin fand cine Rieſenge⸗ ftalt im gelben Lederwamms, behelmt, wie ein Ritter. Es mar Guſtav Molf. Einen ähnlichen Lihtkreis entdedte Albert grade gegenüber auf dem ſchwarzen Firmamente, mit zwei Riefengeftalten. Es waren die Ahnberren der Fel⸗ fenburger, Luther und Shakeſpeare die Hand in Hand brüs ! ng:

116 Albert Julius zum Ichtenmal.

derlich fanden und einander freudig anfahen. Nun ertön- ten ſtarke Hammerfchläge; cine lichte Werkſtatt öffnete ſich im Dunteln, und unter der Anmeifung des wadern Map Hanfen, der wie ein gutherziger Cyclop ausfah, wurde der große Hoffnungsanfer von Eifen gefhmiedet. Der treffliche Schmid war nit berauſcht, -fondern nur brgeiftert ‘von dem Zranfe der ewigen Lebensquelle. Da fuhr Albert auf dem Schiffe des Glaubens fort, und Columbus ftand ſelbſt am Steuerruder. Nach kurzer Fahrt erreichten fie bald den Fels der Gnade. Hier wartete Carl Franz van Leuven

auf dem Strande und reichte Alberten fein Fernroßr. Der

Sterbende fhaute hinein, und entdecte Jeſus Chriftus dro⸗ den auf der hoͤchſten Kippe, mit ſtrablendem Haupte. Ehriftus wminkte ihm durch den Todesſchlund zu geben, um das Paradies zu befteigen. Vor die Schlucht aber trat der Teufel in Lemelies Geſtalt, fletſchte mit den Zähnen, und wollte ihm den Durdgang fperren. Da kam Concordia, wie ein ſchdner Engel, vom Himmel herunter geflogen. Bei ihrem Anblick heute der Böfe, flog durch die Luft, wie ein brennender Komet, ftürzte ſich ins Meer und erloſch. Eoncordia, meine Eoncordia! reihe mir Deine Hand, das mit ih mit Dir hinaufſteige, und eingebe in die Laube der ewigen Liche!

Das waren die legten Worte des Greifes, mit einem leichten Seufzer entfloh feine unfterblihe Seele dem Kür der, und Hanna Hellfraft drüdte ihm die Augen zu.

Die Bortugiefen. 117

13. Die Portugiefen.

Ein halbes Jahr mar nach des Altvaters Tode ver» gangen: und Vieies hatte ſich ſchon auf der Infel verän- dert. Albert Julius der Zweite war Altvater geworden, und obſchon diefer Ehrenname nichts weiter bedeuten wolte, als daß er im Rathe den Borfig und zwei Stimmen hatte, fo fing er doch feine Macht nah und nad willfärlih an zu erweitern, welches ihm nicht ſchwer wurde, weil das Infelvolt bis jegt nicht nach Geſetzen. fendern nur nad) Vernunft und Billigfeit als eine große Familie regiert wor« den war. Als Haupt der Familie hatte alfo der Altvater, weil keine andere Einrihtung da war, nad) Herfommen die ausübende Gewalt. Deswegen bildeten fih nun zwei Bar teien auf der Infel, und an der Spige der zweiten ſtan⸗ den Robert Hulter, und der Ingenieur von Birting, den ſich der Altvater zum bitterften Feinde gemacht hatte, weil er ihn nicht in den Rath der Alten aufgenommen. Der Re⸗ gent fagte aber, wie billig, es ginge nicht an, alle Augen- biide antommende Fremdlinge den Landestindern vorzu⸗ sieben. . J

Der Stamm Robert Hulters fing nun an, alle Tage mehr auf feinen Adel zu pochen, und äußerte laut, daß es ſich für ihn nicht zieme, ſich von andern beherrſchen au laſ⸗ fen. Sp lange der wahre Altvater lebte, habe man es, aus Achtung gegen ihn, hingehen laſſen; jetzt ſei er aber todt, und dem Sohne, der weder des Vaters Kopf noch

\ J

118 Die Portugiefen.

Verdienſte hätte, fei man feinen Gehorfam ſchuldig. Es

gab in den Verfammlungen heftige Streitigkeiten, woran Eberhard auch Tpeil nahm, und es wäre ſchon zum Bruce - zwiſchen ihm und Robert Hultern gefommen, bätte nicht vöglid) ein neues, von Niemanden erwartetes Abenteuer, die Gemüther für kurze Zeit verföpnt und vereinigt.

Ehe man fid) etwas vermutbete, faben die Wadıen ei nes Tages von ihren Zelfen drei große Schiffe fih drehen und wenden, als ob fie gefonnen wären, die Straße nach

Dfüindien zu ſuchen. Die Felſenburger, die es nicht rath⸗ fam hielten, ihnen mit Höflicfeiten entgegen zu kommen, bielten ſich maufeftill hinter ihren Felſen.

Am dritten Tage thaten die Schiffe drei Kanonenſchüſſe. und als man fie nicht beantwortete, ward eim portugiefis ſcher Offizier mit weißer Flagge in der Hand, nebft einem Trompeter, an’s Land gefcht.

Bolfgang und von Birting, von allen Einwohnern ein« ſtimmig zu Gommandanten und Gouverneuren der Infel er⸗ nanat, bieten es nicht rathfam, die Schleufe fallen zu laſ⸗ fen und den Fluß zu herren, um den Parlementär durch den ausgetrodneten Gang auf die Infel hinauf zu bringen. Ein junger, kühner Felfenburger bot ſich freiwillig dazu an, den beſchwerlichen Weg hinunter und wieder hinauf: zu klet⸗ tern, den Albert Iulius vor 80 Jahren ber gemacht hatte. Wolfgang fand es aber nicht nöthig. Bon einer fhroffen, ins Meer binaushängenden Zelfenede Fonnte man leicht ei- nen Bindfaden mit einem Steine hinunterlaffen, und hät ten die Herrn Portugiefen ihnen etwas zu fagen, fo konn⸗ tenzfie ja einen Brief an den Faden binden.

Ein Trompeter der Infel antwortete alfo von oben dem vortugieſiſchen Trompeter drunten; der Bindfaden mit dem

Die Portugiefen. 119

Eteine wurde herunter gelaflen, der Parlamentär fegelte aber unverrichteter Sache wieder zuräd; weil er vermuth- lich keine Ordre Hatte, ſich auf ſolche Weife mit den Fel⸗ fenburgern einzulaffen. > Der Admiral der Eleinen Flotte fand ſich fehr dabei beleidigt, daß ein armfeliges Inſelvolk es mage, feinen Par⸗ tementär fo hoͤhniſch zu behandeln, ließ die Anfer wieder - lichten, und umfegelte die Infel ein Paar mal, um eine Deffnung zu finden, wodurd) er hinein kommen könnte. Zu feinem Erftaunen entdedte er aber, daß diefe Infel, ob» ſchon weit größer im Umfange, eben fo wohl befeftigt war, als Gibraltar in Europa. Er mußte alfo in den ſauern Apfel beigen, und feinen hochtrabenden Brief an den ſchlech- ten Bindfaden neben dem Kiefelftein binden.”

Der Inhalt des Briefes war: Seine portugiefifhe Ma- jetät habe erfahren, daß ſich eine Meine Colonie auf der fogenannten Infel Felſenburg angefiedelt habe. Beil der König nun feinen Staat in feinem Staate dulden könne umd ihm von Rechtewegen alle Infeln in diefen Gewäflern gehören, fo verlange er, die Felſenburger follten fih un⸗ terthänig unterwerfen, ihn als ihren König erkennen, ihm Treue fhwören, und Don Iuan de Silves, den Admiral der Flotte, als feinen Statthalter anerkennen. Alsdann molle man das Privateigenthum fhonen, und die Felſen⸗ burger könnten ibr gensöhntiches idvlliſches Beben ungeftört fortfeßen. Wo nicht, würde die Infel bombardirt und mit Gewalt genommen werden, und dann habe man nur ſich ſelber die fhlimmen Folgen zuzuſchreiben.

Die Felfenburger antworteten: Sie begten vor Seiner Majenät dem Könige von Portugal die tiefſte Ehrfurcht, umd ſchaͤmten fih, als ein armes, Meines Infelvolt einem

120 Die Portugiefen.

fo grogmachtigen Monarchen zu widerſprechen. Hier triebe ſie aber die Roth dazu, ſolches zu thun. Mit ihrer klei⸗ nen, unbedeutenden Inſel ſei Ihro Majeftät wenig gedient; mit ihrer Unabbängigfeit würden fie aber Alles verlieren, wenn Menfhen von einer fremden Religion, von fremden Sitten und einer fremden Sprache fie beherrſchten. Als freie Leute und als Lutheraner nad) der Augsburgifchen Eonfeffion wollten fie eben und fterben:

Als Don Iuan de Silves dieſe Nachricht bekam, fing er gleich an, die Infel zu bombardiren. Aber die Felfen- burger lachten nur darüber, denn von allen feinen Bomben fielen nur drei auf die Infel, ohne weitern Schaden zu thun, als die Erde ein wenig aufzuwühlen. Im Ratte hatte man erft beſchloſſen, feinen Schuß wieder zu thun. Es wäre ja ganz Überfläfftg, fagte man; und wenn die

Yortugiefen erft al ihr Schießpulver und ihre Bomben un --

nüg verbraucht hätten, würden fie ſich ſchon genäthigt fer ben, unverrichteter Sacht nad) Haufe zu gehen. Wolfgang aber war der Meinung, man folle fie wieder bombardiren, um ihnen Achtung vor der Feſtung Felſenburg einzuflögen, damit fie nicht fo bald wieder fämen. And von Birting frug, was man mit Kanonen und Ammunition auf der Infel fole, wenn man fie nicht brauchen wolle? Man Rinne nicht, ſprach er, von tapfern Eoldaten verlangen, daß fie mit den Händen im Schooße fihen, und ſich unge ſtraft verhöhnen laſſen follten So befamen fie denn Erlaubnig; wieder zu ſchieten, und faum war diefe gegeben, fo warf von Birting von feie ner Baftion, (dem aftronomifhen Thurme van Leuvens), zwei Bomben fo glücklich, daß fie gerade in die Pulverton» nen der zwei größten Schiffe fielen, und folde mit entfeg-

Die Portugiefen. _ m.

lihem Knall in die Luft forennten. Der Befehlshaber des dritten Schiffes, von paniſchem Echreden ergriffen, ließ gleich die Anker lichten, ſtach in die meite Eee, und der Krieg batte ein Ende.

Hierüber freuten fi nun die Felfenburger außeror- dentlich Siegesfeſte wurden angerichtet, Eiegeslieder von vielen Jünglingen (nur nicht von Eberhard) gedichtet, alle un« bedeutende Variationen des wohlbefannten Themas. Bon Bir

‚ting wurde darin ein Leonidas, ein Hermann genannt, der ihnen Selbftftändigfeit und Freiheit gerettet habe, er wurde mit Zorbern befränzt und unmaͤßig geehrt. Die Vernünf- tigen und Erfahrneren fhwiegen, konnten aber diefen fal⸗ ſchen Enthufiasmus in ihren Herzen nit billigen; denn was hatte ron Birting eigentlich gethan? Nichts weiter, als

ein Paar mal glüdlih, als guter Ehüge, ins Schwarze

getroffen. Das dritte Schiff war geflüchtet; konnte bald

die Nachricht nach Portugal bringen, und der mächtige aufe

gebrachte König würde gewiß dann alles aufbieten, um ſich zu rächen. Dann wäre man nicht weiter als vorher. Doc daran dachte die Jugend nit. In ihrer Geſchichte war diefer Sieg der glänzendfte, weil er der einzige war. Bon Bir- fing, vorher ſtolz und hochfahrend, wurde es jet noch mehr; fein düfteres Weſen fuchte ſich weniger zu verbergen, dab ſchmeichelte er der männlichen Jugend, und affectirte in ihe tem Kreife ein erſtaunlich populäres Weſen. Alle feine Re den gingen darauf les, dem jungen Volke zu bemeifen, nur in der Tapferkeit beftehe das wahre Verdienſt, und dag alle bürgerlihen Einrichtungen im Zrieden eigentlich nur die Menſchen erfchlaiiten und verdärben. So ftand der Infel jest eine meit größere Gefabr bevor, eine Fehde in.

1m Die Portugiefen.

nerbalb der Zelfen, mo feine Bafaltpfeiler Länger Frie⸗ den und Eintracht gebieten fonnten.

Daß Eberhard den von Birting, der ihm noch oben drein feine Braut rauben wollte, haßte, war -natürlih. Er glaubte einen zweiten. Lemelie in ihm zu ſehen. Lemelie, fagte er zu Wolfgang, hat auch einft einen glüdlihen Schuß gethan, und rettete dadurch wirklich die Stammältern die ſes Geſchlechts; allein mas bat von Birfing gerettet? Er wird noch auf der Infel Aufruhr malen, und ſich der Al- leinherrſchaft bemeiftern. Bei Gott! rief Wolfgang, das foll er nicht, fo Lange dies Herz fhlägt. Eberhard drüdte feine Hand, und fagte mehmüthig: IA pflege auch ſonſt nicht den Kopf hängen zu laſſen, allein jetzt liebe ich, liebe unglädlih. Der Dummdreifte hat auch das Herz des Ba- ters meiner Cordula erobert. Der Alte wird fein Wort brechen, wird die Taube dem Geier vermäblen. Das ſoll er nicht, rief Wolfgang. Ich traue ihn ihr nicht an, ſprach M. Echmelzer mehr als gewöhnlich eifrig; und Litzberg, der aud) zugegen und Tehr übler Laune war, rief: Das kümmt alles von dem Shafefpearlefen. Icpt bilden ſich die Parteien, und werden ſich bald, wie die weiße und rothe Roſe, aufreiben. Den Hamlet, der unter der Laſt feines Schicſals feufzt, haben wir fon, und Richard der Dritte wird auch nicht mangeln,

Innere Unruhen, 13

14.

Innere Unruhen.

Es mangelte nicht viel daran, fo mar der Meine Bür- gerfrieg im irdischen Paradieſe ſchon ausgebrochen. Bon Bir ting hatte den ganzen Stamm Robert Hulters auf feiner Seite. Wolfgang und Eberhard Ienkten die zweite größere Hälfte, Der kindiſche Altvater war unwirkſam. Litzberg ärgerte fi, der Krieg war feine Sade nit. Lademann. der im Anfange ſchöne Melodien zu den ſchlechten Kriegs» liedern gefeßt hatte, grämte ſich jeßt, weil alles eine fo ſchiefe Richtung nahm. Hanna Heilkraft wohnte wieder bei Eberhard. Sie hatte einen guftn Einfall, der, fo einfach

- er war, doch wichtigen Nutzen bringen konnte. Sie bat

Eherbarden, dem Altvater zu rathen, je eher je lieber bei Nacht die großen Schaͤße aus den Kellern megbringen zu laſſen, und in unbekannte Felſenhöhlen zu verwahren.

Die Parteien entzweiten fi immer mehr, und es war

um fo gefährlicher, weil alle Etreitfähige während des

Bombardements Flinten und Degen befommen hatten, wo⸗ mit fie jegt noch bewaffnet einher gingen. Des Altvaters, freundlicher Bitte: die Waffen miederzulegen und nad Als bertsburg zu bringen, wollte die Gegenpartei nicht gehor- ſamen, und alfo mußten auch die Andern Waffen tragen. Hiezu fam, dag von Birting immer noch die Baftion von feinen, Anhängern beſetzen ließ, und von da aus konnte man Albertsburg bomdardiren.

Eberhard war untröftlih, Nobert Hufter hatte ganz

124 Innere Unruben.

mit ihm gebrodden, die Verlobung feiner Toter mit ihm aufgehoben, und fle, ohnerachtet ihrer Verzweiflung und Weigerung, dem von Birting zur Braut beftimmt. So war denn alles aufs Höhfte gefvannt. Wolfgang befeftigte Albertsburg fo gut, als es fid in der Eile tun ließ. Er hatte aud eine Baftion auf den hohen Felſen, und da mar immer noch ein Zufluchtsort für den Altvater, wenn es zum Aeugerften kommen folte.

Wobrſcheinlich wäre aud die Fehde ausgebrohen, wenn , nicht ein Tag dazwifhen gekommen, den beide Parthien fämmtlicy verehrten und erft vorübergehen laſſen wollten: es war des feligen Alberts Geburtstag. Freilich konnte das Feſt unter diefen Berhältnifen nicht ordentlich gefeiert wer⸗ den! Das fromme Glodengeläute, Lademanns Orgel, Ma sifter Echmelzers ſchoͤne Predigt, vermochten nit, die Ein mohner in der Kirhe bruderlich zu verfammeln. Allein eine große Stile hertſchte; ſelbſt auf den Stirnen der teogigften Jünglinge ſchwebte eine dunfle Wolke, das Herz Mlopfte ihnen ſchwerer, umd, die Inrubeftifter ausgenom« men, litten fie alle vom böfen Gewiſſen. So gingen fie alle fill und in ſich gekehrt zu Bette, und wagten kaum daran zu denen, was vielleicht Morgen geſchehen werde.

B Kaum lagen fie im-erften Schlummer, fo wurden fie wieder von einem entſetlichen Getöfe erweckt. Der Sturm heulte üser die Infel, als wolle er die Bafaltpfeiler ums blafen; der Regen goß unaufgörlih herunter. Ploͤtlich börten Sturm und Negen auf, und die Luft war drüdend ſchwul. Die Eufen heulten im Balde, die Hunde wim- merten in den Höfen. Ale Halbſchlafenden richteten ſich ängftlid auf, und griffen nad) den Bettpfoften. Ein flar- tes Erdbeben Tieß ſich vernehmen, fo, daß Stühle und Ti-

Innere Unruhen. 1%

fee in den Zimmern umfielen, und viele Fenſterſcheiben zer⸗ forangen. Plotzlich ertönte ein ungeheurer Knall, und die Felſenburger glaubten, in die ewige Nadıt, in die uner- meßliche Tiefe des Meeres zu verfinken.

In größter Angft erwarteten fie alle Augenblide neue Gröftöge, allein die Natur ward wieder ganz ruhig. Die Luft war nicht Sänger ſchwül, die Morgenkälte dagegen fo . empfindlich, daß fie fih unter den Bettdecken nicht warın balten konnten. Kaum glaubten fie ihren eigenen Augen, als die Morgenröthe wieder lieblih und warm durchs Fen⸗ fter hereinſchien, und die Vögel draußen im Haine fangen.

Iept eilte alles hinaus, was Beine hatte. In den klei⸗ nen Höfen und Gärten fanden fie nichts zerftört, als fie aber ihre Augen auf die Felſen richteten, entdedten fie, zu ihrem größten Entfeßen, dag ein großer Fels, (eben die Sternwarte, von Birting’s gefähtliche Baftion) in's Meer

hinaus geftärzt war, und eine große Deffnung hinterlaffen,

modurd man das weite Meer fehen konnte. Der unterir diſche Flußweg war geſperrt worden; bei der Schleufe hatte fi) ein Meiner See gebildet, und das Waſſer fuchte jetzt durch unzählige Spalten einen Weg in's Meer hinaus.

So war denn, fonderbar genug in der Nacht, nad dem Geburtstage des feligen Altvaters, die äußere Selbftftändigfeit der Infel aufgehoben, um eine innere, weit gefährlihere Spaltung zu verhüten, welches auch geſchah. Dem kaum fab ſich das Beine Infelvolt der Wiltür und . dem Ueberfalle fremder Mächte bloßgeftellt, fo war an kei⸗ nen Swiefpalt mehr zu denfen. Es war, als ob der Hod« muth mit dem hochragenden Felſen ins Meer geftärzt fei, als ob der Orkan alle fade Citelteit von der Infelflähe weggeblafen hatte. So wohlthuend Fönnen mitunter wů⸗

126 Innere Unruhen.

tbende Elemente auf die Menſchenſeelen wirken, wo mora⸗ lifche Spannkraft ihre Stärke verloren bat, Niemand, ſelbſt der Vorurtheilsfreiefte, konnte fih des Gedankens ent. ſchlagen, daß der felige Geift Alberts hier nod nad feinem Tode väterlih und mohlthätig gewirkt Hätte. Durch eine derbe Züchtigung hatte er feine Kinder von dem Frevel ge- rettet. Und wie Adam und Eva aus dem Paradiefe ver» wiefen wurden, weil fie Gottes Gebot nicht gehorfamten, fo geſchah es bier wieder. Die Sünde zog die Strafe nach fidy. die Felſenburger waren nicht länger in ihrem Eden freie Herren der Natur, denen alles zu Gebote fand! Bald würden fi fremde Herrſcher eindrängen, und in dem Schweige ihres Angefihts mußten fie dann, mie andere Menſchen, ihr Brot verdienen.

Sogar von Birting ſchien ſich verändert zu haben, er ging nachdenklich umher, und war befcheidener geworden. Robert, Gordulas Vater, war nicht länger gegen Eberhard aufgebracht. Die Liebenden Tonnten ſich mitunter mieder fehen und ſprechen, obſchon immer nur in.des Vaters Ger genwart. Von den vorigen Streitigkeiten war die Rede gar nicht mehr, und der Aitvater ſchien durch diefe gewal⸗ tigen Vorfälle nachgiebiger und fanfter geworden zu fein. Zu feiner größten Freude hörte Eberhard kurz darauf, dag von Birting feinen Vorſatz, Cordula zu beirathen, aufgege- ben habe. Ich will nit mehr den unglüdticy feufgenden Schäfer ſpielen, hatte er gefagt, will aud auf diefer klei⸗ nen Juſel feine Feindſchaft anrichten. Ih Habe die Fel- fendurger ein Mal gerettet, und werde es zum zweiten Male thun. Ich weiß, die Machthaber bier verwahren große Schaͤte an heimlichen Dertern. Giebt man mir fo viel, dag id mein verpfändetes Niktergut wieder Laufen -

Innere.Unruden. 127

kann, fo gehe ich für die Sehfenburger nad) England oder Holland, wie fie es wollen, und verlange Schug und Beir fand. Denn ohne Schup eines europäifhen Staates kann ſich diefe Handvoll Leute bier nicht länger balten, und zehn Mal defler iſt es doch, den freien proteftantiihen Englän- dern oder Niederländern einverleibt zu werden, als unter dem eifernen Zepter eines katholiſchen Defpoten zu ſeufzen.

Das nannten alle gut und vernünftig geſprochen; von Birting ſchien cin ganz anderer Menſch geworden zu fein. Ohne Eiferfucht ſah er Eberhard und Cordula zufammen, und 309 fogar oft den Vater mit Aid fort, damit die Lies benden ein wenig allein fein konnten. B

Nun geſchah es chen in den Tagen, daß ein dänifdes Schif, das im lepten Sturme feinen Unter verloren hatte, dei Kleinfelſenburg den Hafen ſuchen mußte; denn Groß⸗ felfenburg hatte befanntlic feinen.

Mag Hanfens gewaltiger Anfer lag noch troden in einer Feiſentluft aufbewahrt; von den Zelfenburgern in den erften Jahren mit unfäglier Diühe als ein Heiligthum da» hin gebracht. Den Noft hatte man abgefeilt, und das Eis fen drauf mit einem guten Firniffe überzogen, um es fer- ner gegen die Luft zu bewahren. Nach einigen Berathe . flagungen fand man, dag man den Nothleidenden diefe Hülfe nicht verfagen könne, wenn auch der Anker für die Einwohner etwas fehr Ehrwürdiges ‘und beinahe Heiliges batte, weil fie ihn, wie der felige Alwater weiland, als ein Zeichen ihrer Hoffnung betrachteten, das fie nicht gern verlieren wollten. Litzberg wußte aber diefes Gefühl zu ber außen, indem er vorfdlug, von Birting auf demfelden Schiffe nad Europa zu fenden, um ihre Beidäfte bald moͤglichſt

abzumachen; und wenn er den Anker mit hätte, meinte

188 Innere Unruben.

Lihberg, dann würde die Hoffnung nicht trügen. Man Rönne ja immer den Anker einmal wieder befommen. Es freute die Dänen fehr, mitten im Südmeere einen Kopens bagener Anter wieder zu finden, und fie waren willig, den Major mit nad) Europa zu nehmen. Bon Birting hatte auch gar nichts dagegen, ſchnell abzufahren, wollte aber erft Gordulas und Eberhards Hochzeitsfeier abwarten, da» mit die Liebenden feben folten, wie ganz der Iehte Hauch von Groll aus feinem Herzen verfümunden fei. Im Rathe ward freilih die Frage aufgeworfen, ob es nicht vorſichti⸗ ger wäre, noch Iemanden mit dem Major von Birting nad) Holland zu fhiden? Man hatte nämlich Holland ge⸗ mählt; von den Holländern konnte man hoffen, als Brüder behandelt zu werden; die Engländer waren ftolzer, machten großen Unterfhied zwifhen Engländern und Ausländern, und nicht alle ihre Bundesverwandte Tonnten ſich rühmen, die Freiheiten Altenglands.zu geniegen. Es war aber Nies mand, der Luft hatte, mitzugehen; die jungen Ehemänner wollten ihre. Weiber nicht verlaffen, und Ligberg hatte ſei⸗ nen Biderwillen gegen das Meer nur auf kurze Zeit bes ſchwichtigt. Man lieg alfo von Birting allein reifen, und gab ihm bedeutende Summen mit, ie aber den Schatz nur um ein, geringes verfleinerten) um die Koften zu ber ftreiten, die Gemüther zu gewinnen, und um fi) ſelbſt in Europa Randesmäßig zu etabliren.

Der Hodyzeitstag war befimmt, die fhßne Cordula hatte mit ihren Freundinnen in den Tagen vorher vollauf mit ihren Brautkleidern zu thun, und Eberhard ſah fie nur wenig. Den Abend vor der Hochzeit ging von Birting zum Altvater, und fagte: es ginge ihm wie dem. feligen Albert weiland, bei der Hochzeit van Leuvens und Goncer»

Armer Eberhard. . 129

„diene. Die alte Liebe made wieder auf, und es wäre ihm unmöglid), dabei zugegen zu fein. Er wolle in aller Stille ohne Abſchied fh auf das Schiff hinaus begeben, das Mar zum Abfegeln da liege; Altvater möchte ihm nur einen Pag mitgeben, damit er feine Sachen an Bord brin« gen laffen fönnte, und der Schiffskapitaͤn fehe, daß er mit Urlaub der Regierung wegreife. Altvater, der fehr froh war, den ibm mwidrigen Mann los zu werden, gab ibm gleidy den Paß, und ſo ſchiffte er ſich heimlich iu aller Eile ein; der Anker wurde gelichtet, und das Schiff fegelte feir nes Weges.

18.

Armer Eberbard!

Wie ſchildern wir Eherhards Verzweiflung, als_ er am Tage feiner beftimmten Hochzeit früh MorgencDie ſchone Braut beſuchen wollte, und man ibm mit der Zrauer- kunde entgegen am: Robert Hulter fei mit fammt feiner Zoßter von der Infel verfhmwunden. Ein Schleier dedte das Geheimnig. Wahrſcheinlich war Robert mit von Birting nad) Europa, gegangen. Allein, wie hatte ſich die Tochter dazu bequemen können, ohne Lärm zu machen? Und wie hätte der wackre dänifhe Kapitän ſolches erlauben können? Der Arzt, Herr Gramer, glaubte aber auf die rehte Spur gefommen zu fein.” Bor einiger Zeit hatte, Robert

Oehlenſ. Schriften. XVIII. 9

130 . Armer Eberhard.

Hulter einen Schlaftrumf von ihm verlangt, einem Patien- ten in feinem Haufe zu geben, der feinen Arm fo ſchlimm gebrochen hatte, dag man eine Amputation fürdtete. Durch die Geſchiclichteit Cramers ward der Mann wieder herge⸗ ftellt; der Schlaftrunk blieb aber bei Robert Hulter ſtehen; und nun fand man das Glas leer in einem Fenſter. Wahr- ſcheinlich hatte man alfo der armen Cordula den Schlaf-" trunk gegeben, und mit dem Paſſe des Altvaters verfchen, fie ſchlafend in einer der großen Kiften auf's Schiff hinaus gebracht.

Was war jetzt die ganze ſchoͤne Inſel für Eberhard, ohne Cordula! Ein odes Gefängnigl Wie oft erfülte er die Haine und Wälder mit feinen Klagen, wo fonft glüd- liche Liebe ihm heiter und froh gefehen. Die Blumen ſchie- nen ihm jeßt ein bloßes Unkraut zu fein, eitle Pracht, wo⸗ mit ſich die Natur, wie ein altes Weib, vergeblich aus- putzte, um feine Neigung zu gewinnen. Die Düellen wa⸗ ren ihm langweilige Schwägerinnen, die immer daſſelbe afberne Zeug wieder plauderten. Das fhöne Woltkenſpiel Abends und Morgens deuchte ihm nur cine beigende Ca» tingaauf die Nichtigkeit des Menfhenglüds zu fein. Nur in Aot ſchlechtem Wetter war er zufrieden; und der Sturm vermochte dod oft nicht feine brennenden Wangen zu küh⸗ ten, die im Sonnenſcheine wieder ganz blaß ausfaben; der Bind konnte ihm nicht die Thränen von den Wangen trod- nen, denn er weinte fie eben fo ſchnell wieder.

Alle Menſchen Hatten ein inniges Mitleid mit dem ar- men Eberhard. Hanna Heilkraft kounte ihn nicht berubi- sen, Litzberg nicht zerftreuen, Wolfgang nicht erheitern, Schmelzer nit tröften. Nur mit Lademann ging er um,

Armer Eberhard. 131

der mußte ihm fchöne Melodien zu feinen ſchwermüthigen Liedern ſetzen.

Das Haus, wo Nubert Hulter, oder richtiger die Stube, wo Cordula gewohnt hatte, war jetzt Eherhards Aufenthalt. Sein Bett ftand, wo das ihrige geftanden. In den Zenfterfheiben fand er feinen Namen von ihrer Hand eingeſchnitten. Einiger ihrer Kleidungsflüde batte er ſich bemeiftert. Cine Haarlode verwahrte er in dem alten Shrant, mit den Reliquien, die er von Albert Julius ge erbt hatte. Einige Briefe des holden Mädchens, worin fie ihm ihre Liebe verfiherte, hatte er auch; des Paares Schuhe nicht zu vergeflen, welches er ihr felbft in der Som- merlaube angepaßt hatte, und die jept noch ſchoͤner waren, weil fi) die reizenden Formen ihrer Füge darin abgedrädt hatten,

Litzberg konnte die „Anmännliteit" Eberhards wie er es nannte nicht leiden, Wolfgang dagegen, der jept glüklic, mit feiner Sophia lebte, hielt es mit Eberharden und rief ſcherzend: Lieber Ligberg! follte id) etwas „uns männlich" Heigen, fo würde ich lieber einem grämlihen Ha- peftolz, als einem ſchwärmeriſchen Zünglinge, diefen Namen geben. Glaubt mir! wäre Eberhard fein Mann, fo würde er gewiß über den Verluſt der fhönen Cordula nicht fo beftig weinen.

Kapitän Horns unerwartete Wiederkunft tröftete den gebeugten Jüngling etwas. Er hatte erft nad) drei Jah⸗ ren wieder fommen follen; zufälligerweife hatte er aber auf den azorifhen Inſeln von der portugiefifhen Grpedition Nachricht erhalten, und eilte jept fhleunig nad der ber drängten Infel zurüd, die er nicht wieder gefannt hätte, fo

*

132 Armer Eherhard.

fehr hatte ſich ihr Ausiehen verändert, wenn ihm nicht Kleinfelfenburg als Leitfaden gedient ‚hätte.

Kaum lag das Schiff da, fo fühlte ſich Eberhard als ein ganz andrer Menſch. Wehmuth, Trauer und Berzweife- lung entflohen aus feinem Herzen; Hoffnung und Muth kehrten wieder zurüd, Die gewaltige Begebenheit hatte ihn plotz⸗ lich zum Manne gereift. Bas ift mein Schmerz? rief er. Sie lebt noch, athmet noch für mic, liebt mid. Nie

- wird man fle dazu zwingen, den Böfewicht zu beirathen. Wäre fie todt, hätte das Zieber fie vor einigen Monaten hinweggerafft dann ftünde ich verzweifelungenol und händeringend an ihrer Gruft. Oder, wäre id) an diefe Klippe gefeflelt! Allein das Schiff liegt fegelfertig da. Wie ein mächtiger Hippogryph, wie meine Wünſche ftarkbeflügelt, wird es mich fehnell nad) Europa bringen. Doc) erft, liebe Vettern und Verwandte! werde ih eure Sache in Holland betreiben. Denn cs leidet feinen Zweifel, der Böfewicht bat ſich gegen Euch eben fo falfdy als gegen mid benom⸗ men. Er kümmert fi) wenig um Eure Wohlfahrt, und mit Eurem Golde bereichert, eilt er nur, feine eignen nieder» träditigen Wünfche zu befriedigen. Doc, ic werde ihn entdeden, ich werde ihn treffen, und er foll feinen Lohn von meiner Hand bekommen.

Und fo folgen wir denn ſchnell unferm Freunde nad) Europa, feine Braut ſuchend.

‚Here Martin folgte feinem Sohne nach Europa. Nadı- dem er da feine Beredtſamkeit vergeblich erſchöpft hatte, Eberharden von dem tollen Vorſatze abzubringen, mit Les bensgefahr ein Mädchen wieder zu gewinnen, während doch taufend andere da wären, die er ganz bequem heirathen Pönnte, trennten fie ſich

Armer Eherbard. 133

Im Holand richtete Eberhard, als treuer Felſenbur⸗ ger, alles aus. Die Generalftaaten waren von dem Sid fale der-Infel nicht ganz unterrichtet; von Birting hatte ihnen geſchrieben: einige deutfche Familien auf einer Kleinen Inſel, unweit von St. Helena, würden von den Portugie⸗ fen bedrohet, und wünſchten von den Generalftaaten in Schuß genommen zu werden. Das war alles, und damit glaubte der Major wahrſcheinlich die grogen Reihtbümer verdient zu haben, die er nad) Europa mitbrachte.

Eberhard wendete ſich ſchnell und wirkſam an die Aus toritäten. Es freuete die Regierung, dag eine Infel im Südmeere, von Bedeutung, ſich an Holland fliegen wolle. Schutz und Beiſtand wurde ihr verſprochen; eine Meine Flotte folte fonleih abfegeln, um der Inſel beizuftchen. Die Felfenburger follten ihr Eigenthum, ihren Rath, ihren Altvater behalten, nur jährlich eine mäßige Abgabe ent richten, um die nothwendigen Koften zu beftreiten. Auch eine Feſtung folte auf Selfenburg angelegt werden, mo Pi Kommandant eine bolandiſche Beſahung befehligen ſollte

16.

Das Haus im Balde.

Es war ein fhöner Sommerabend, als ein junger * hollandiſcher Offizier auf feinem prächtigen Schimmel in

134 Das Haus im Walde.

Deutſchland durd einen Bald ritt. Sein Bedienter hatte im näcften Städtchen das Fieber bekommen; Ungedufd, und Furcht entdect zu werden, erlaubten aber nicht dem reifenden Kriegemann zu warten, bis der Bediente genefe. Er wußte, daß er hödftens noch vier Meilen zu des reis chen Gutsbeſttzers ſchͤnem Landfige hätte. Um ſich aber in der felfigen Gegend nicht zu verirren, hatte er einen Bauer» Jungen mitgenommen, der ihm eine Strede Weges auf ir _ nem Meinen Kiepper folgte,

Iept find wir beim Holzförfter, rief der Junge, da halten fie auch Wirthehaus, da könnt Ihr übernahten. Der Mann ift nicht zu Hauſe, die Frau ſiht aber da au» sen vor der Thüre und fpinnt; fie mag die jungen, reichen Dffiztere gut leiden. Damit zog der Burſch ſchelmiſch feine Müpe ab, und ritt zuräd, denn der Holländer hatte ihm ein gutes Trinkgeld gegeben.

Der Offizter fab vor ſich Hin, und enfdedte ein recht ſchones Häuschen; das heißt, maleriſch ſchön, eben weil es In der Birflihfeit fo fehr verfallen war. Denn ein neu gebautes Haus nimmt fi in einem Gemälde nur ſchlecht aus. Hier aber wuchs Gras auf dem Dache, fo dag gern eine Kuh da hätte weiden können. Der graue Kalk war an vielen Stellen von der Wand gefallen, und es zeigten ſich die dunkelrothen Mauerfteine. Ein wunder» licher Taubenſchlag, von geflöhtenen Beiden, mit Lehm beſtrichen, ſtand auf dem Date. Daraus flogen die Tau« ben, kreisten hoch in der Luft über dem Walde, und ihre weißen Flügel glänzten bald hell in der untergehenden Sonne, bald wurden fie vom Schatten verdunfelt. Im Teiche daneben ſchnatterten Enten und Gänfe. Der alte Hofbund, der wie eln abgeſchliffener Koffer ausfah, bellte

Das Haus im Walde. 135

verdrieglih in feinem noch verfalineren Haufe. Ein danc- ben ftehender Zaun, faul und ſchwarz, war Halb herunter sefallen, mit Zatten wieder zufammengefhlagen, und durch die vielen Locher fah man in einen Garten hinein voll ver- dorrter Fruchtbäume, nur einige Kohlſtrünke fanden noch grün da. Die übergroßen Johannis- und Stahelbeer- Sträuge hatten lange aufgehört Früchte, ja fogar Blätter zu tragen, und trugen jeßt nur gewafchene Strümpfe und Hemden. Das Einzige nicht Berfallene in der nächften Um- gebung (denn rund umher blühete der Wald lieblich war die Wirthin felber, cin junges, rothbackiges Weib mit feuerrotpen Haaren und vielen Sommerfleden, aber fehr meiger Haut. Mit dem Noden faß fie draußen auf der Bank, und fpann, indem fie ein Boltslied dazu fang.

Obſchon der Kopf des jungen Kriegers voll ernfter Gedanken war, fand er doc die Holzförfterin hübſch, und den Kontraft ihrer Iugendbläthe zu der verfallenen Umge⸗ bung allerliebſt.

Sie fam ihm doflich entgegen, entfhuldigte, daß ibr Mann in der. Stadt, und der Hausknecht im Felde fei, fie wolle ihm aber ſchon vom Pferde helfen und das Thier in den Stall führen, .

Im Herunterfteigen kam er ihrer Wange mit feinem Munde ziemlich nabe, und als chen ihr Halstuc herunter fiel, grub er die Nafe in ihren Bufen, opne fi doch im windeſten zu Roßen, obſchon der Widerſtand ſtark genug war. - Der Nitter ließ ſich von nichts anfechten, fondern trat ernft gravitaͤtiſch in die Stube binein und frug: ob er ein Abendeſſen und cin Nachtlager haben könne? Und das mag zum ftärkiten Beweiſe dienen, daß feine Seele mit

136 Das Hans im Balde.

weit wichtigern Sachen befhäftigt war, fonft wäre er ges wiß nicht gegen die Reize der Holzförfterin fo kalt geblie⸗ ben. Dies ſchien fie ſelbſt zu fühlen; denn als fie noch einige mißlungene Verſuche gemacht hatte, den Gefühllofen zu gewinnen, was ihn nur fälter und beinahe unhöflich) machte, änderte fie plöplich den Ton, ging mürrifh zur Stube hinaus, und murmelte zwiſchen den Zähnen: Ieht mögen fie meinetwegen mit ihm thun, was fie wollen.

Der junge Offizier ſuchte fie wieder mit freundlichen Borten zu befänftigen, und es gelang ihm zum Theil. Das töte & töte wurde aber geftört, denn vier wohl ges tleidete Bediente, nebft einem jungen Reitburſchen, traten in's gemeinfhaftliche Zimmer, wo zwei lange Tiſche mit Bänten ftanden, und mo im Hintergrunde das Küchenfeuer angenehm die dunkle Halle erleuchtete, während ein Meines Mädden an dem Spiege den Schöpfenbraten drehete, wo⸗ von fid) jeder Gaſt bald ein autes Stüd wünfchte.

Der Offizier hatte fi an den Heinen Tiſch gefeßt: die Bedienten nahmen den größern ein, nachdem fie ihn ehrerbietig gegrüßt hatten. Wenn er es nicht merkte, ware fen fie verftohlene Blide auf ihn. Erſt ſprachen fie leife unter fi), als aber der Wein die Zungen gelöft, ſchienen fie des vornehmen Herrn Gegenwart zu vergeffen, ſprachen lauter,-Tachten und tranten. Der Ritter vernahm aus ih tem Gefpräche, daß fie dem reihen Gutsbeſther dienten, und daß er übermorgen feine Braut beirathen wolle Allein fie fol ſich ja ſehr gefträubt und gemeint haben, fagte die Wirthin. Hohl der Henfer die Weiber, ant- wortete Veit, um Vergebung, Frau Holsförfterin, mit Euch gilt es immer eine Ausnahme; aber ih meine die Andern. Das ift ein leihtfinnig Bolt, Die Gegenwart

- Das Haus im Walde. 137

iſt ihnen alles! Ein entfernter Liebhaber. und ein todter, das gilt ihnen eins,

Der fremde Offizier füchte feine Gemüthsbemegung bei diefen Worten beſtmoͤglichſt zu verbergen. Der Heine Reit dube faß im Winkel, und fah den Fremden unvermandt an. Der junge hatte etwas Auffaflendes in feinem Ge fichte; der Fremde folte ihn kennen, mußte aber nicht wo⸗ ber? Auf diefer Reife hatte er ihn gewiß nicht vorher ges fehen, und der Knabe fhien zu jung, um ein alter Bes tannter zu fein.

Die Bedienten ſprachen wieder heimlich unter fid. Der Fremde ftand auf und wollte zu Bette gehen. Der Neithube pußte ihm das Lit. und raunte ihm heimlich in’s Dhr: Thun Sie fhön mit der Wirthin, wenn Sie auf dem Simmer allein mit ihr find, das wird Ihnen Geliebte und Leben retten. Ich will fie au rechter Zeit wieder her⸗ unter rufen.

Der Fremde wußte nicht, was er zu diefen Worten denken follte. Das ehrliche Geſicht des Knaben, dem fonft die Verſchmißtheit aus den Augen blipte, ermwedte in ihm das Gefühl der Ueberzeugung, eine ſolche Lift fei bier noth⸗ wendig. Als die Wirthin mit ihm nad einem entlegenen Zimmer im Erdgefhoße gegangen war, das Lit auf den Diſch geſetzt hatte, und binging, um au fehen, ob das Bett gut gemacht fei, ſchlich er ſich Hinter fe, umfagte ihren Leib mit feinem Arm, und bat fie mit bebender Stimme: Schöne Frau, gebt mir einen Kuß. Die Holzförfterin ſchien verwundert, fie fühlte ſich auf eine angenehme Beife überraſcht, kehrte ihm laͤchelnd das Geſicht zu und ſprach: Ei, Ste loſer Vogel! wie haben Sie doch in Anderer Ge⸗ genwart fo ehrhar thun Lönnen? Damit faßte fie ihn in

138 Das Haus im Balde.

die Arme und fügte ihn Herzlih. Dem armen Holländer ward dabei ganz elend zu Muthe; er fühlte fi ganz im der Verfaſſung des feligen Joſepyhs mit der Fran Potie phars. ja noch Ärger, weil er ſelbſt das Spiel begonnen hatte. Glücklicherweiſe rief der Reitbube zur Thür hinein: Frau Holzförfterin, feid fo gut, und kommt herunter, die Säfte wollen mehr Bein haben. Ei, zum Henker, kün- nen fie denn nicht einen Yugenblid warten, rief die Frau

verdrießlich, und folgte dem Anaben, der nicht weggeben wollte, nachdem fie dem Fremden zärtlich eine gute Nacht gewünſcht hatte. IA komme wieder,, ſprach der Bube leiſe im Weggehen.

‚Der Fremde legte ſich augekleidet auf's Bett, mit den Piſtolen und den gezogenen Säbel vor fi. Bin ih in einer Mörderhöhle? dachte er. Haben ſich die -Banditen wie Lataien verkleidet? Wollen fie mic) ermorden? Allein die Wirthin, den Buben habe ih auf meiner Seite. Ih kann noch gerettet werden. So nah am Biele, werde id nicht in die Grube fallen. Fallen werde id vieleicht übermorgen! aber hier nicht.

So ſuchte er ſich ſelbſt Troſt einzuſprechen; es erhei⸗ terte ihm aber nicht, eine Falthüre im Fußboden zu ent- deden. Noch obendrein batte er das Ungläd, fein Licht auszulöfden, als er es pußen wollte. Freilich ſchien der Mond del genug durch's Fenſter hinein, umd das tröftete ihn etwas. So lag er ziemlich lange; er-war fehr müde von der Reife, mitunter war er nahe daran, einzufälafen ; die Furt vor Ueberfall ſcheuchte aber den Schlaf von fei- nen Augen wieder weg. So halb wahend, halb ſchlafend, wurde er von einer feltfamen Erſcheinung hoͤchſt erfhättert. Er glaubte die Falthäre im Fuhboden geöffnet zu feben-

Das Haus im Walde. 139

und das Gefpenft des längft gebenkten Dbadias Skient ftiege herauf, im befannten weißen Kittel, mit der rothen Bandſchleife an der Bruft, und einer Laterne in der Hand.

Der entfeßte Fremde griff unwillkührlich nach feinen Viſtolen, und zielte auf die Erſcheinung, die ängſtlich bat: Um Gottes Willen, Herr Eberhard Julius, drüden ie nicht 106! Ich bin der Reitbube, Ihr Freund und Befreier. 34 komme, eine alte Schuld abzutragen! Cie haben ſich gegen meine Mutter, gegen meinen armen Vater fo menſch⸗ lich gezeigt, haben ihr Geld in der Noth, ihm erit dag Le- ‚ben gerettet, nachher ein chriſtliches Begräbniß gegeben, als fe ihm nicht mehr retten Tonnten. Die Borfehung erlaubt mir nun, Sie wieder zu reiten, und vieleicht zu Ihrer fhö- nen Braut, Fräulein Cordula, zu verhelfen.

Du bin? frug Eberhard verwundert. Der Heine Heinrich Schlenk, vier Jahre Älter geworden, der auf dem Schoße feiner Mutter lag, am Grabe feines Vaters, als Sie am Kirchhof vorbei fuhren. Und hier! Kennen Sie nicht den Kittel meines feligen Vaters und diefe rothe Schleife, die er fi aus Ihrem Uhrbande gemacht?

Jeßt begriff Eberhard das Wunder. Der Knabe er- zählte ihm, wie ihn der Zufall in des Major von Birtings Dienfte gebracht; wie er gleich, als er den Namen Eber- , Bard Julius nennen hörte, beſchloſſen habe, feiner Eltern Bohltpäter, wo möglid), zu retten. Deshalb hatte er ſich in das Vertrauen des Majors vor Birting eingeſchlichen der ihm gut leiden mochte, weil er ein raſcher, ſchlauer Burſche war, der ihm zu Vielem behälftih fein konnte. Die fine Cordula, erzählte Heinrich, ſei noch Eherharden getreu und bold, und weine oft in der Stille. lebermor- gen wolle man fie zwingen, dem Verhaßten ihre Hand zu

10 Das Haus im Walde.

geben. Da hatte aber von Birting Eherhards Ankunft ausgefpähet, und vier feiner. Leute hinaus gefhidt, ihn bei der Nacht zu fangen, und in’s Gefängnig zu werfen, bis die Hochzeit vorüber, fei. Heinrich habe ſich aber ausgehes ten, mit zugeben. Die vier Bedienten. die gar nicht glaubten, dag Eberhard Verdacht ſchöpfe, eben weil fie ſich den Anſtrich gaben, als ob fie gar nichts zu verheime lichen fuchten, hatten ſich zur Ruhe gelegt, weil fie noch immer, bis zur Mitternacht, Bagen auf der Heerfiraße zu begegnen fürchteten, wodurch ihr Raub entdedt werden tonnte. Um drei Uhr Morgens, wenn alles im. tiefften Schlafe läge, wollten fie aber auffiehen, Eberhard im Bette greifen, Inebein und wegführen. Diefe Friſt müfle er nun benügen. Sein Pferd hatte Heinrich beimlich ges fattelt,_ er konne durch's Benfter- binausfteigen, und zu Heinrichs Mutter reiten, die in einer kleinen Felfenpütte, zwei Meilen von bier entfernt wohne. Heinrich müfle au» rüd bleiben, um feinen Verdacht zu erregen. Das Ganze müſſe ausfehen, als ob Eberhard aus freien Stüden ſelbſt die Flucht ergriffen habe, Nachher wolle Heinrih Eber- bard bei feiner Mutter aufſuchen, und ihm in Allem dienen.

Das Hochzeltsfeſt. 1a

17. Das Hodzeitsfeft.

Es mar wieder ein fhöner Abend. tie Zuft lan und heiter. Die Gänge des großen Gartens waren wie ein Sefellfpaftssimmer fauber gekehrt, und die Heden glatt ber, ſchnitten; alles falbe Herbftlaub war aus dem Garten ge bracht. Der Gärtner hatte zu der Hochzeitsfeier forgfäftig feine Spätblumen gepflegt, und neben den Aftern, Ranun⸗ teln und Nefeden, blüheten noch häufig Leufoien und Gold» lad. Hinter den Treibhausfenftern fanden Nofentöpfe in Nahen. Die vielen Springbrunnen, welche der vorige Ber figer nad) franzoöſiſcher Art hatte einrichten laſſen, ſprangen alle mit ftarten Strahlen. Dies thaten fle täglich; denn der Harz mit feinen Bergauellen in der Nähe, verforgte die Rohren mit reihliher Flut. Ueberall hörte man ein lieb⸗ lies Gefumme aus den Brüften der Dreaden, aus den Münden der Delphine, aus den umgemwälzten Krügen alter Fiußgätter. Das Schloß war ſchön erleuchtet. Die Ein- wohner der Gegend ftreiften im Garten herum, liebende Daarc gingen Arm in Arm, und verftohlene Liebe wußte fi) auch zu finden. Aller Augen fahen binauf zu dem Transparent im großen-Fenfter über der Hauptthüre, wo bunte Wappenfhilder den Namen Hans von Birting und Cordula von Hulter in der Abenddämmerung loderten. Die Mondfihel ftand am Himmel, hell genug, um ein angenehmes Licht zu gewähren, mo die Fadeln des

142 Das Hochzeitsfeſt.

Schloſſes nicht hinreichten, fhmah genug, um das Fcuer- wert nicht zu lören, welches der Herr Major feiner Braut zu Ehren. und dem Volke zum Vergnügen, neh der Trauung abbrennen laſſen wollte. Vielmehr würde das ſtille Himmelsliht in feiner ungeftörten Ruhe einen ſchönen Gegenfag zum hoch auflodernden rothen Erdenfeuer machen, das fih Über den Mond zu erheben wähnte, indem es in feiner Nichtigkeit verſchwand.

Der einzige Menſch, der allein ging, war Eberhard. In den weiten blauen Mantel gehüllt, den Degen an der Seite, erwartete er ungedäldig in einem entlegenen, dun⸗ kein Zarusgange feinen Feind, den ihm Heinrih Schlenk berunterfiden wollte. Eberhard flug im Mondfcheine feinen Mantel zurück und Heß das bleiche Nachtlicht die goldnen Epauletten und das hüͤbſche Degenband beſcheinen. So mar es mir doch zumNußen, fagte er, daß id) mid) von den Generalſtaaten gleih zum Kapitän der Felſenbur⸗ giſchen Garnifon ernennen ließ; obfhon die Uniform. mich nicht vor den Späheraugen meines Gegners ſchüßte, wie ich gehofft hatte. Hier fol fie mir aber wirklich nügen. Mit dem bürgerlichen Studenten flüge ſich vermuthlich fo wenig Herr von Birting ale Herr von Sod. Kein Iederner Knopf darf aber heute die Bruft eines Boſewichts beſchir⸗ men, bei dem nicht Treue und Chrlihteit zu finden iſt. Das Gefep kann mic hier nicht ſchützen. Nur mit dem Degen fann id) mein armes Diädchen retten, oder ich will ſelbſt Rerben. Gegen diefen Smeifampf‘ würden weder Guftav Adolph noch Albert Iulins etwas einzumenden haben.

So mit ſich felber ſprechend ſah er eine lange fhmarze Gehalt, durch den dunfeln Zarusgang auf fih los kommen. Es war der Prediger im Ornate, mit weißgepuderter Per

Das Hohzeitsfen. \ 183

rüde, das Baret mit einem Schnupftuche unter dem Arm, und ein Gebetbuch in der Hand.

Eberhard, der gleid) begriff, wohin der Prediger wollte, grüßte ihn höflich, trat ihm aber in den Weg. und bat ihn einen Augenblick zu verweilen. Nicht möglich, lieber Herr, antwortete der Paftor; ich babe fhon das Brautpaar eine halbe Stunde auf mid warten laſſen, weil ih die üble Gewohnheit habe, mic immer erft im Ichten Augen» blide anzuziehen Da habe ich ein Loch in meinen linken feidenen Strumpf geriffen, und während meine Frau das wieder ausbefferte, ift mir die Zeit verlaufen. Der Bräus tigam iſt ungeduldig, und könnte cs mir leicht übel neh» men, wenn ich ihn zu lange warten ließe; id) darf meinen Patron und Gönner nicht vor den Kopf ftoßen.

Sehnt ſich denn die Braut eben fo ſehr? fragte Eher bard ihn mit durchbohrendem Blide, und mit der Hand noch zurüdhaltend. Sie feinen etwas von den Famir lien⸗Verhaͤltniſſen zu fennen, ſprach der Pfarrer; wenn dem fo ift, fo willen Sie wohl auch, daß ſich die Braut nad dem Tode ihres erften Liebhabers geträftet hat; und obſchon fie den Major von Birting nicht eigentlich liebt, gehorfamt fie doch ihrem Vater, und reicht diefem Chrenmanne heute ihre Hand, weil er ohne fie nicht leben ann. Alfo ift der vorige Liebhaber todt? fragte Eberhard; da fagen Sie mir etwas ganz Neues. Freilich bin id, wie Sie fagen, in Die Familien» Verhältniffe eingeweiht, aber das wußte ich noch nicht. Mein Goft,-rief der Prediger erfhroden, Sie faſſen mid fo wild und ungerüm an. Es Sollte doch wohl feine Nichtigkeit haben? Sie fehen mir felhft aus, wie wie das Gefpenft des vorigen Liebhabers? Ia, bei Gott, das glaube ih gern, Gram, Schnfuht und Er-

14 Das Hohzeitsfer.

bitterung haben meine Lebensgeifter ziemlich angegriffen; doch fühle ich noch Kraft genug, mich an einem Böfewicht zu rächen.

So will ih in Gottes Namen wieder nad Haufe ger ben, fo ift für mid) nichts hier zu thun fagte der Dre» diger bang. Thun Cie das, ehrmärdiger Herr; und danken Sie Gott, dag Sie mid, noch zu rechter Zeit auf diefem Dunkeln entlegenen Wege trafen, ehe Cie, binters Licht geführt, ein heiliges Sakrament mißbrauchten. um

- einem lafterhaften Menſchen beizuftehen, und um ein armes

unſchuldiges Mäddyen in Verzweifelung zu fürzen. Das find Harte Worte ſprach der Prediger können Sie beweiſen, was Sie fagen? Da kümmt der Herr Major von Birting. So entfernen Sie ſich ſchnell, Herr Pa ftor, und laſſen Cie mic mit diefem Heren allein. Das will ih, fagte der Prediger furchtſam, kehrte Eberbarden den Rüden und eilte wieder nah Haufe.

Mein Neitbube fagt mir, ein guter Freund wünſche mic) in einer angelegenen Sache vor der Trauung noch zu forehen, ſagte von Birting, Eberharden höflich) grügend; ich habe Sie nicht warten laſſen wollen, mein Herr; ob⸗ fon, ich geftehe, der Augenblick ift mir nicht der gele- genfte. Der allergeiegenfte antworfete Eherbard, ohne den Gruß zu erwiedern, ein Augenblid fpäter, wäre zu frät geweſen. Furchteſt Du Dich auch vor Geſpenſtern von Birting? Ha, rief der Major, den Degen ziehend, ich kenne diefe Stimme. Eberhard ftand ſchon zum Kam- pfe bereit: Lügner, Betrüger und Mädcenräuber, ſprach er, vertheidige Did! “Einer von uns muß ſterben. So ſtirb denn Du. Elender! rief der Ritter, und ging in äu- Herfter Erbitterung auf ihn los Allein Eberhard von der

Das Leienbegängniß. 185

Befonnenheit und Stärke begeiftert,. die edle Seelen in wid. tigen Augenblicken nie verläßt, durchbohrte die Bruft feines Feindes, der zu Boden fiel, ohne einen Laut von fih zu ‚geben.

Pfeilſchnell eilte Eberhard zum Garten hinaus, ſchwang AG auf fein Pferd, das an einen Baum gebunden ftand, und ritt in_die Gebirge. Die Hütte, wo Heinrichs Mutter mobnte, fand er nicht, wurde aber von einer Köhlerfamilie gutherzig aufgenommen, die ihn gern zw verbergen ver⸗ ſprach, als fie hörten, er fei ein fremder Offizier, der im notbgedrungenen Duell feinen Gegner erſtochen Habe.

18. Das Leienbegängnig.

Lange konnte Eberhard fi fo nicht ruhig halten. Vierzehn Tage nach jenem merkwürdigen Abend begab er fich, als Köhler verkleidet, auf den Weg, um, mo möglich, feinen treuen Heinrich Schlent, oder wenigſtens die Hütte feiner Mutter zu finden. Die Hütte fand er endlich, erfuhr aber leider, dag die Mutter mit ihrem Sohne aus dem Lande geflüchtet ſei, weil man gegen fie, wegen des Mor- des des Major von Birting, Verdacht geſchöpfe habe. Ob⸗ ſchon Eberhard hörte, daß man eifrig dem Mörder nach⸗ ſuche, trieb ihn die Liebe doch dazu, ſich in der Verkleidung mit Ruß im Gefihte in den Schloßgarten ſpaͤt Abende wieder hineinzumagen, um, wo möglid, von Cordula Nach⸗ richt zu bekommen. Er fand an dem Orte, wo er von

Oedlenſ. Schriften. XVII, 10

146 Das Leihenbegängnig.

Birting erſtochen Hatte, ohne Gewiſſensbiſſe fühlte er doch ein heimliches Grauen, und ging weiter. Das Schloß fand in der Nacht dunkelſchwarz da, wie ein. großer Sarg; die Springbrunnen brauften noch immer fort, fie ſchienen ihm aber lauter Trauerlieder zu fummen. Der dunkle Himmel mar von Eternen Überfäet. Plöglih fab Eberhard mieder Badelfyein und hörte Muft. Die Fackeln bewegten ſich laugſam, und ein Trauerlied ward gelungen. Gr eilte in

> den dunfeln Tarusgang hinein. Das war eben der Bea zum Kirchhofe. Er trat ins Gebüſch, fein Herz klopfte laut. Ber fann das fein, dachte er, Birting muß ja ſchon begraben fein. Vieleicht haben fie ihn einbalfamirt, und feiern jegt feine Erequien.

Am verhaͤngnißvollen Drte ſehten die Leichentraͤger den Sarg nieder, um ein wenig augzuruhen. Eberhard ent dedte einen Iungfernfranz von weißen Nofen und Mprten auf dem Sarge; Gordulas Bater ging ihm am nähften. Bei näherer Anſchauung fand der Jüngling, dag der Sarg für eine Mannesteihe zu Bein ſei. In diefem Augenblide (Gien es ihm, als breitete ſich ein dider Dampf von den Fackeln aus, der ihn ſchwindlich made, und er ſank bes wußtlos dahin.

Als er ſich von feiner Ohnmacht erbolte, war es Mor- gendämmerung und er lag in der Hecke. Er lief na dem Kirchbofe: auf dem frifhen Grabe rubete der Iungfern« franz. Ein Zodtengräber hatte auf dem Kirchbofe noch et« mas zu thun. Ben habt Ihr dort begraben? fragte Eberhard. Das fhöne Fräulein Cordula von Hulter, war die Antwort. Darf id bier einen Augenblick ver» meilen? fragte Eberhard wieder, mit fterbender Stimme. O ja! ſchlagt nur die Pforte binter Euch au, menn Ihr

Das Leihenbegängniß. 7

weggeht, damit mir die Schulbuben nicht gleich die Blu- men vom Grabe wieder wegftehlen. IA will die Blus” men hüten, ſeufzte Eberhard, und der Todtengräber ging.

Eine Stunde lag er troftlos wimmernd auf dem Grabe; dann fand ihm der Todtengräber wieder zur Seite. So weint fein Köhler, ſprach er; fo weint ein verkleideter Liebhaber. Allein Ir dauert mid. Hütet Euchl man hat Euch hier eine Fallgrude gemacht. Man wird Euch ergrei⸗ fen, ins Gefängnig werfen und kurzen Prozeß mit Euch machen. Ihr habt den Major ermordet. Es find Zeu—⸗ gen da; mahre oder falſche. Eure Behauptungen werden nicht geachtet, und auf dem Blutgerüfte müßt Ihr Euer Le- - ben verlieren; denn des Getödteten Familie ift groß und mächtig in diefer Gegend. Flieht, während es nod Zeit iſt.

- Den Tod Eurer Gelichten könnt Ihr überall beweinen.

Nur der Screden vor dem Hochgerichte, worauf die Raͤcher feines Feindes ihn leicht bringen konnten, vermochte Eberharden vom Grabe feiner Cordula zu verſcheuchen. Er verließ die Gegend, wuſch ſich den Ruß, aber nicht die Bläffe vom Geſichte, legte ein fauberes ſchlichtes dunkeles Kleid an, und irrte ohne Ziel umher. Mitunter verſuchte er in Gedichten feinen Schmerz auszuſprechen, weil er kei nen Freundes ·Buſen hatte, worein er ihn ausfchätten konnte. Nach einigen graͤßlichen Wochen verwandelte ſich feine Ver⸗ aweifelung in mildere Wehmuth, und in diefer elegiſchen Stimmung machte er folgendes Lied:

Adam hatte fich verfündigt, aus dem Paradied getrieben, Doc noch fern in der Berbannung konnt' er feine Eva lieben; 80 er auch auf Grden weilte, wo ihn hin die Strafe wich, Fand er, in Des Arm der Siebe, wieder gleich ein Paradies.

10°

148 Das Leihendegängniß.

Doch, dies Hera, dab bitter bintet, mad hat ed Dean dort ver- brachen? Barum ha, erdürnter Wichter! Du bas firenge Wort geſprochen? Gern geh‘ ıch in Die Verbannung, wäre nur die Eva da, ber, mit dem Paradiefe (cmwand auch meine Gorduln.

Richt im Schweiß des Ungefichtes win ich in der Erde wählen, Cine Gruft mur will ich machen; die fol meine Flamme kühlen. Kleine Blumen will ich pflanzen auf den Hügel, blau und heil, Schön find fe, wie meine Freundin, und verwelten auch fo ſchnell.

Jedt, 0 Mond! jept erft verfleh' ich Beine bleiche Schufuchte- . wonne, Deine falte Rachterfchelnung wechſelt mit der Sreudenfonne. Barum fecut fi doch die iebe, wenn du dämmerft Durch den Pain?, Deine beſte Uugenmeide ift der weiße Leichenſtein.

Wirkt und ſtrebt nur fort, ihr Männer! doch ihr folt mich nicht „bedauern, Vaſcht nach Gold und GEhrenfränzen! ich will an dem Grabe trauern. Eine Freud’ if mir geblieben: Durch die dunkle Nacht der Zeit Binkt mir meine füge Siebe, ald ein Stern der Ewigkeit.

: 19. Eberhard auf der Wartburg.

Wenn uns eine liebe Menſchenſcele verlägt, um nad jenen unſichtbaren Reichen zu gehen, ‚findet das betrubte

Eberbard auf der Wartburg. 149

‚Herz in der erften Scämerzenszeit feinen Troſt darin, eine ‚Weile am Grabe des.theuern Staubes zu verweilen. Es iſt und, als liege der Echag da verborgen, als müßten wir ibn bewachen, als genieße der liebe Freund oder die Freun« din eines fanften Schlummers, und werde bald aufmachen, unfere Seufzer und Kummerworte hören, und wieder aufs ſtehen, um uns zu tröften. Wenn aber nichts daraus wird, wenn wir ung vergeblid) matt geweint, den geliebten Nas men vergebens gerufen haben, ohne Antwort zu bekommen, dann entdeden wir erft mit Staunen, dag zwiſchen Schlaf und Tod ein gewaltiger Unterſchied ift, dann feben wir den Irrtyum ein, daß wir bei einer Handvoll Staubes verweilt baben, woraus der Beift längft entflohen ift, der die ges liebte Form längft verlaffen bat. Dann verlaſſen wir auch das Grad, und entweder fehren wir beruhigt zum Leben, zur Thaͤtigkeit zuräd, oder in füge Schwärmereien verfun- ten, ſuchen wir uns zu zerfireuen. Dunn wird une ehen das Fremde lich, und befommt etwas Heimathliches, weil der geliebte Gegenftand die Seimath verlaſſen, und in die Fremde gegangen iſt.

Bar es Zufall, oder Liebe zum ſeligen Altvaer Ar bert, mit der Leidenfhaft für Cordula innig vereint, die unfern Eberhard kurz nad jenem Unglüd nad) der Bart- burg brachte? Gern verweilte er hier einige Tage, ging den fteinernen hohlweg hinauf, wo Albert und Eherharde Stammvater Rudolf fo oft zufammen gegangen waren; ſetzte ſich auf den fleinernen Blo®, wie fe, und ſchaute in die Gegend hinaus. Der verfteinerte Mönd und die Nonne ſtanden nod da. und neigten ſich gegen einander. Eberhard konnte auch ftundenlang droben in Luthers Zimmer verweis em. Das war ihm ein gar zu lieber Aufenthalt. Der

150 Eberhard auf der-Barthurg.

alte Tiſch von Eichenholz ſtand nod da, wo Luther, wo Albert und Rudolf fo oft gegelen. Das herrliche Bild bing an der Band, fo frifd und fräftig, als ob es geftern gemalt fei. Im tiefen Gefühl verfunfen, fand cr eines Tages vor dem Bilde, als es plöglih vom Nagel herum⸗ ter fiel, und an der gefhiwärzten Wand, wo das Bild ge bangen hatte, las er auf dem Kalk geſchrieben: Eber⸗ bard! Deine Cordula lebt und liebt Dil. -

Die heftigſte Freude entzüte ihn bei diefen Worten; allein plöglihe Angft überfiel ihm mieder, meil er nicht mußte, wann dies gefhrieben fei. Er kehrte fi zu dem alten Burgvogte, der immer zugegen war, und dem er für fein Iäftiges Dabelfein bezahlen mußte. Eberhard verlangte mit Ungeftüm zu wiflen, wann ein ſchoͤnes, ſchlankes, Deuts fees Mädchen mit etwas fremder Ausfprade, mit griechi⸗ ſcher Nafe, großen, blauen Augen und blonden Haaren da orsofen? Der ale Mann Mar ader nur mit Dem Bude beſchaͤftigt, das glüdlichermeife feinen Schaden gelitten hatte. Er war fehr böfe, und fagte: Das Lömmt daher, wenn fo viele Fremde Grlaubnig bekommen, bier zu verweilen und au wirthſchaften. Ich wollte, daß ich die Mamfell zu pat⸗ fen Eriegen könnte, die ſich unterftanden hat, das Bild von der Band zu heben, um Buchſtaben dahinter zu fragen. Dadurch iſt der Nagel Iofe geworden. Und ich ſehe nun, das Bild wäre entzwwei gegangen? Ganz Deutſchiand könnte es nicht bezahlen: und ich alter Mann wäre um mein Brod gekommen. .

Eberhard flarrte, von den verſchiedenſten Gefühlen Durhdrungen, zum Fenſter binaus, da entdedte er in einer alten, grünen Senfterfiheibe wieder mit einem Diamantringe ganz Hein gefhrieben: Eberhard, Deine Gordula Iebt.

- Sherhard auf der Wartburg. 151

Alter, rief er, und faßte des Greifes Hand, um Gottes Willen fage mir, ich will Dein Glüd machen ich will Dir taufend Thaler geben, wann, wann ift fle bier gewefen?

Mein lieber Herr, ſprach der Alte etwas freundlicher, ih merke wohl an allem, dag Sie ein glädlicher oder unglüdlicher Liebhaber find; denn dergleichen Leute vflegen ſich immer fo zu betragen, und große Worte, Eidfhmwüre und Geldfummen im Munde zu führen. Ein Studiofus aus Jena bat mir aber verfiert, Juniter, wie der Here Gott im Griechiſchen heißt, höre ſolche Berforehungen der Liebenden nicht, und fo mag es wohl mit den Geldverfpree ungen diefelbe Bewandnig haben. Sie fehen mir nicht darnad) aus, viele taufend Thaler weggeben zu fönnen, Und was follte ich alter Mann mit einer folhen Summe. Benn ich's wüßte, wollte id es Ihnen herzlich gern grafis Tagen. I bin ohnedem ſchon gewohnt, mil, jungen verlieh» ten Leuten umzugehen, denn fie ſprechen gern hier oben bei mir ein, und leben von der Ausfiht, den alten Harnifden, und den Erinnerungen der Vorzeit, während ſich die Ane dern, Unverliebten drunten in den Wirtbehäufern etwas au Gute tyun. Ich kann Ihnen aber nicht dienen. Alles, was von fünfzig Jahren her geſchehen ift, das Fann ich Ihnen baarfiein erzählen; ob aber ein Mädchen mit einer hübfhen Naſe bier vorgeftern oder vor einem halben Jahre gewefen iſt, das weiß ich nicht. . Hier in Sachſen find viele dübſche Madchen mit blauen Augen und blonden Haaren. Ich fehe aber nicht mehr darnach; denn was würde das mir altem Manne in meinen Jahren mebr helfen, nad) den hübſchen

Dirnen zu fielen?

Bas wollt Ihr für die Scheibe? fragte Eberhard .

152 Eberhard auf der Bartdurg.

. Belpe Scheide? Die Mleine, grüne, mit Blei eingefaßte Eenferfcjeibe dar Sie gehört der Burg, mein Herr, fie fißt da vom Luthers Zeiten ber, die darf ic Ihnen nicht verfaufen. Hier in diefem Zimmer ift Alles heilig. Sr gar den Fleck da, mo der felige Doftor im billigen Zorne mit dem Dintenfale nach dem Teufel (hmiß, bewahren wir als ein Heiligehum und friſchen ihm alle Jahre wieder adf, damit die ſchwarze Farbe nicht gar zu fehr verbleiche. Ich gebe Euch zwei Golöttüde für diefe Scheibe.

Haben Sie das Geld Hei ih? Da! Bie wollen Sie

aber die Scheibe heraus kriegen, ohne das Fenſter zu zer- brechen? Wir müflen den Glafer von Eiſenach kommen laſſen; und das gebt nit. Dann ſchwaßt der Lenmund, ich alter Mann verkaufe die Feufterfbeiben der Burg an fremde Neifende, und wie foll ich dann meine Unſchuld be⸗ meifen? Ic babe felbft einen Diamantring, Alter! ich will das Stüd herausfhneiden. Das gebt! Dann kann id) fagen, der Sturm babe die Fenſterſcheibe entzwei gebla- fen, und fo bewahre id alter Mann meinen- guten Ruf unbeſcholten.

Eberhard ſchnitt bebend das kleine Stück Glas heraus. Drunten bei der Burguogtin ſuchte er mehr au erfabren, denn der Eindifhe Greis konnte ihm gar nichts ſagen. Wie betrübt ward aber Eberhard. als die Burgvogtin ſich febr genau erihnerte, vor einem halben Jahre her, eben ein fol- ches Maͤdchen hier geſehen zu haben, wie Eberhard Cor⸗ dula befcrieb. Die Beſchreibung des Vaters paßte ganz auf Robert Hufter, auch von Birting war mit geivefen.

ad, wie fonnte das auch anders fein, rief der Un⸗

gtüdlige, als er wieder allein war. Sie ift ja todt und - begraben! Wobin- hat mic meine gereizte Phantafie verirrt?

Die Spielleute. 153

Er ließ das Glasſtüc in Silber einfaflen, mit Bril- -Ianten, und trug es in einer Kapfel von-Goldbled un einer goldenen Kette hangend, bei ſich als feinen beften Schap.

Ah Du füge, liebe Cordula, rief er, wie drüdt ſich noch in diefen lehten Zeilen Deine ſchüchterne Maͤdchenſcheu aus, im Kampf mit Deiner feurigen Liebe. „Eberhard, Deine Cordula lebt und liebt Did." Das wagte fie nur der Berborgenbeit anzuvertrauen. Dies Geheimnig mußte der Schatten des feligen Luthers vor profanen Augen ber wahren. Allein es follte doch nicht ganz verborgen bleiben. Vielleicht kommt er doc einmal ber, dachte fie, wird die Worte Iefen, und ſich darüber freuen. Dann ſchrieb fie mit

. ‚dem Ringe, den ich ihr gegeben habe, ganz Hein: Eber⸗ hard, Deine Cordula lebt; wagte aber nit, „und liebt Dich" hinzu zu feßen. Es liegt ja aber fhon in „Dei« ner Cordula!“

20.

Die Spielleute

In wehmüthigen Schwärmercien ftreifte er jept umber als Spielmann mit einer Laute; und es zerftreute ihn, mit unter bei Hochzeiten, Kindtaufen, Bällen und Mahlzeiten für die Leute zu ſpielen und fingen. J Da Eberhard reich war, fo ſehte er ſich nicht der Ges fabr aus, von dummem Hochmuthe beleidigt zu werden, Ale merkten wohl, daß es ihm nicht um Geld zu thnn war.

154 "Die Spiellente.

So war er, ohne es ſelbſt zu willen, .in die Gegend von Leipzig hingerathen, wo fein Vater jegt wohnte, und er wünſchte den Alten einmal wieder zu fehen. Mit ipm ſprechen, dazu hatte Eberhard aber feine Luft, weil er mußte, daß eine vernünftige, herzliche Unterredung mit Herm Martin unmöglich war.

Im Birthehaufe, unmeit der Stadt, traf er auf einen Haufen berumziehender muficirender Bergleute, in ſchwarzen Kitteln, mit Iedernen Schurzfellen um die Lenden. Diefe Menſchen gefielen ihm, fie fpielten gut, und was er ber fonders leiden mochte aud im Marfhe brauchten fie Bapgeigen und Bioline, nicht nur Blasinftrumente. Die blogen Blasinftrumente, fagte Eberhard, gehören dem Krieg an, nicht dem Srieden. Der fanfte Eindrud der Mufit entiteht erſt, wenn ſich Hörner, Oboen, Klarinetten und Fagotten mit Saitenfpiel und Geigen freundlich vereinigen.

Die Bergleute waren ganz feiner Meinung, er tral titte fe im Wirthsbauſe, und fie mußten ihm zum Dante das alte Lied vom großen Bergbau der Welt vorfingen, welches fo anfängt:

„Ruf! richtet Augen, Heri und Ein Zu jenen blauen Bergen din, Da Gott, der Breghere, thronet -

Eberhard freuete fih fehr diefes Liedes. Das war eben fo herrlich in alten Tagen fagte er daß die Handwerke fi durch Gottesfurcht zur Kunft aufſchwangen. Es Hat mich immer gerührt, daß ein ganzes Menſchenge ſchlet. aus Liebe zur Arbeit, aus Treue am Geſchaͤft übe rer Wäter, auf das bimmlifhe Licht der Sonne Verzicht

Die Spiellente, 155

thuend, in den traurigen Tiefen der Erde wohnen, und mit abgebleihten Wangen und gelben Antligen nur Sonn- tags friſche Luft Ihöpfen. mag, wenn das Glodengeläute zur Kirche ruft. Red arbeiten fie fh drunten dem frähen Tode entgegen, wo die Unvermäftitäleit der Erze und Steine einen tragiſchen Gegenfag zu ihrem kränklichen Da» binmwelten macht. Fürwahr, id kann ein ſolches Leben wer der bewundern noch beneiden; poetii und rährend ift es aber, wie jede freiwillige Aufopferung für Andre rührend iſt. Ibt feht mir aber fo frifh und gefund aus, Lieben Leute! auf Eud hat die ſchlechte Luft der Gruben feinen ſchaͤdlichen Einfluß gehabt.

Der Borfteher antwortete Lähelnd: Das kommt daher, Heber Herr, weil wir nie in den Gruben gewefen find. Bie denn? Seid Ihr feine Bergkute? Bir find Spiel- leute, die ſich oft hei den Bergleuten im Harze aufgehalten - baden, ihre Lieder und ihren Vortrag gelernt, und jetzt ziehen wir herum und fingen Berg» und Thallieder, wie es ſich trifft, im diefen Kleidern, weil es ung mehr Vorteil bringt, als wenn wir wie alltägliche Mufltanten daher kä⸗ men. Es geht den meiften Zuhörern, wie Ihnen, mein gur ter Freund! Sie werden über uns gerührt, und wollen un, fern Zuftand erleihtern. Und wir können es nöthig haben, denn mir find alle arme Teufel, wie die Bergleute, Das ſteht uns aber nicht auf der Stirne geſchtieben; fobald wir aber das Schurzfell binten anlegen, maden wir die Leute weich um's Herz. So bekommen wir immer neue Kunden, and jeßt find wir zum Beifpiel nad) Leipzig binbeftellt, um bei dem reihen Baron, Herrn von Lönenmähne, in-großer Abendgeſellſchaft zu fingen und zu geigen.

Eherhard, der erſt ein wenig böfe auf den Spielmann

156 Die Spielleute.

werden wollte, weil er ihn binters Licht geführt Hatte, und nun obendrein ſpottete, ließ bei diefer Nachricht feinen Uns willen fahren. Diefe Gelegenheit ſchien ihm die allerbefte, um Herrn Martin wieder zu fehen, ohne von ihm erfannt zu werden. Es leidet feinen Biweifel, dachte er, daß mein Vater, der in Leipzig ein großes Haus macht, und alle Vornehme der Gegend einladet; aud zu dieſet Abendgeſel⸗ ſchaft des Herrn von Lömenmäßne eingeladen iſt.

Nun ferad er wieder heiter zu den Spielleuten dae ift ganz klug von Eud, und id fönnte wohl felbit Luſt bekommen. als verkleideter Bergmann mitzugeben, und Euch mit meiner Laute beizufteben. Nicht des Geldes wer gen; denn ich bin nicht arm, wie Ihr ſchon bemerkt Habt; allein, id bin ein wunderlicher Kauz. und möchte gern ein» mal um Spaß, incognito, die ganze Maskerade mitmas den. Das kann gern geihehen, mein Lieber Herr, ſprach der Spielmann; wir führen immer ein Paar Bergmannse traten noch mit, um, wenn es Noth thut, ankommende Gehälfen damit au verfehen. So will ih aud heute Adend Bergmann, fein, rief Eberhard aus, beim reihen Baron von Löwenmähne fpielen, ja vielleicht gar ein Lied fingen. Ei, das ift fhön, antwortete der Spielmann; das wird unfer Conceit noch angenehmer machen.

In Leipzig kamen fie zu einem großen Palafte, der ſehr ausgebaut-und verändert fein mußte, denn Eberhard Tannte das Gebäude gar nicht wieder. Der Thorweg ftand offen, von zwei großen Laternen erhellt. Es fehlte nicht viel, daß die foftbaren Teppiche der Treppe aufs Steinpflafter hin- ausreihten. Ein Schweizer ftand da in Livree, mit Treſ⸗ fenhut, und auf feinem fpanifhen Rohre glänzte ein großer filderner Knopf. Die Bergleute mußten erſt forgfältig ihre

Die Spielleute. 157

Füge abwilhen, che fie Erfaubnig befamen, den Teppich” zu betreten. Dann ftiegen fie hinauf, wo ein feiner Wohle geruch von Raudmerk und Hyazinthen ihnen begegnete. Im Vorzimmer mußten fie ih mit ihren Inftrumenten in Reis ben ftellen, und bier hatte Eberhard Gelegenheit, alle vor» beigehenden Herrſchaften in Augenſchein zu nehmen. indem fie ſich in den, von Wachskerzen fhön erbeuchteten, gefhmad- vol decorirten Saal hinein begaben.

Es mar eine Männergefellihaft, und Eberhard kannte Niemanden. Es war der ganze Adel der Gegend. Eine gewiſſe vornehme herablaſſende Miene ruhete auf den mei- ften Gefihtern. Einige alte Herren in grünen Iagdröden mit birſchledernen Hofen und in Stiefeln fahen rauh und gutherzig genug aus. Der Schweizer hatte ſich niht un- - terftanden, ihre großen Hunde wegujagen, fle liefen auch mit hinein, und beſchmutzten einigen Stußern die feidenen Strümpfe. Die Befudelten wagten nicht lauf zu Klagen, nur wurde bie und‘ da etwas zwiſchen den Zähnen, von

ungehobelten Zandjunfern gemurmelt.

I werde meinen Vater in diefer Geſellſchaft nicht zu feben bekommen, dachte Eberhard, als chen die Erſcheinung aweier wohlbefannter Masten ihm wieder Hoffnung gab. Bir nennen fie Masten, denn ihre Garicaturgefihter ſahen wirtli fo aus, als ob es Männer mit Larven feien, Die auf die Redoute gehen wollten. Es waren der Profeſſor Schwefelties und der Kaufmann Rierenftein ; der Erfte dop- velt fo mager, der Leßtere doppelt fo fett, als fie Eber- bard vor Jahren gefehen hatte. Schwefelties fah mahrhaf- tig jeßt ganz fo aus, wie ein Stück gelber Schwefel; und Rierenſtein follte billig jeßt Nierenftük heigen, denn große Fettmaſſen hingen ihm glänzend und blübend ume feifte

158 Die Spiellente.

Geſicht und hatten beinahe alle menſchliche Züge daraus verwifcht.

Dies komiſche Paar hielt ſich fer an, und lehnte ſich zu einander, um beim Hineintreten aus Berlegenheit und Blodigkeit nicht umzufallen. Rechts und lines machten fie baͤueriſche Komplimente, die wicht fonderlih erwiedert wur- den, und fliegen ſic dabei bald mit den Beinen, weil fie einander in der Noth nicht verlaffen wollten; wobei ſich denn die jungen Laffen des lauten Ladens kaum enthalten Eonnten, und das Kichern fein Ende hatte.

Bas follen diefe Bürger in unſerm Gercle? hörte Eber- bard einen nicht weit Entfernten einen Andern fragen. Vergeſſen Sie denn, mon cher, antwortete der Gefragte, dag unfer Wirth ſelbſt ein bourgeois gentilkomme ift? Aus der gepuderten Lömenmähne feiner Perüde fleden die bürgerlihen Eſelsobren noch weit Heraus; er mag fo vor- nehm thun, wie er will. Es ift ja billig, daß Monsieur Jourdain auch feinen Maitre de Philosophie habe; und diefen Poften befleidet Profeſſor Schwefelties. Uebrigens iſt diefer Mann fchr fubwiß und beſcheiden, und manquirt nie, Leuten von Stande die fhuldige Ehrfurcht zu zollen. Er ift ein fehr guter Poet, und erſtaunlich gelehrt. Auch der franzöfifhe duldet ja mitunter Dichter und Gelehrte bei fih, in feinen parties ſines. Wenn er etwas getrun⸗ len hat, macht er auch zugleich den Hofnarren. Alfo mag er immer tafelfäbig fein,- befonders in einer Dännergefehs ſchaft, wo fogar Hunden der Zutritt erfaubt if. Mit dem Kaufmanne hat es eine andre Bewandniß: er ift außergr- dentlich reich); die Meiften von.uns ſtehen in feinem Schuld»

buche, und Sie willen: Dorante muß dem Jourdain immer

die Cour machen, um noch mehr Geld zu bekommen.

Die Spiellente. 159

In diefem Augenblide kam der Wirth den Redenden febr Teutfelig entgegen. Aber wie erfhrat Eberhard, als er in dem Wirthe feinen eigenen Vater Herrn Martin Ju⸗ lius entdedte; der, während der Sohn umberftreifte, eine

- verlorene Braut beweinend, ſich bier einen großen Palaft

gelauft Hatte, und fi baronifiren laſſen.

Alſo bin ich obendrein,. damit mein Unglüd volltoms men werde, ein für Geld neugebadener Baron von Löwen» mäbne geworden? dachte der arme Juͤngling, kratzte ſich weinerlich hinterm Ohr, und verkroch fi, damit ihn fein Bater nicht entdede. Diefer war aber viel zu fehr mit ſei⸗ nen vornehmen Gäften beihäftigt, als daß er auf einen armen Spielmann Achtung häfte geben Sollen. Es dauerte nicht Lange, fo ging die Geſellſchaft zu Tiſch. Die Spiel- leute mußten ſich auf eine Gallerie begeben, und von diefer Anhoöhe konnte nun- Eberhard die ganze Tiſchgenoſſenſchaft überfjauen, und feine Betrachtungen anftellen. Oben an fagen die alten Jagdherren; um fie herum liefen die Hunde und die Bedienten. Der Baron von Löwenmäßne war ein trefflicher Birth, bewegte ſich wie ein Planet um die Sonne feiner Gefelfhaft, und wußte jedem Gafte etwas Verbind⸗ liches zu fagen, welches doch vermuthlich meiftens darauf binauslief, daß er ihnen aärtlihe Vorwürfe machte, weil fie nicht genug tranten. Die Meiften zeigten aber mit dem Finger auf die Bouteillen, um mit der Ebbe der Flaſche ihre Unſchuld zu beweifen, worauf der Herr Baron mit vergnägtem Kopfniden weiter ging. Unten am Tiſche fagen die Plebejer Nierenftein und Schwefellies wie tri- buni plebis an der Thuͤrſchwelle im Senate. -Diefe Bier batten aber kein Veto, und würden es vermuthlich auch

160 - Die Spielleute.

nicht gebraucht Haben, denn fie bejahten alles Gefagte und Gerufene, mit großen Verbeugungen.

Ohnerachtet feines tiefen Kummers und feiner Unzu- feiedenheit, mußte Eberhard doc Über die zwei großen Pup- ven Herzlich lachen, die ihm auch in diefer Stellung fehr aracteriftifc vorkamen, obſchon er nur ihre Kehrfeite fab, mo ſchon Ieder feinen Haarbeutel bekommen hatte.

Erſt, während noch die Flaſchen fo ziemlich gefüllt da ftanden, ging alles fehr fteif und gravitätif) zu. Ein Lied des Herrn Profeſſor Schwefellies wurde von einem fchelmir ſchen jungen Laufer auf flbernem Teller herumpräfentirt. Das Lied wurde fehr Tangfam patheliſch, faſt mie ein Trauerlied, gefungen, und enthielt ein Lob des Adels, als Stüge des Throns, und als Repräfentant der edleren Menfchheit. Nachher wurden die Lieder immer Iuftiger, wie mehr getrunken wurde; und Baus, der vom Haufe aus ein Liberafer it, obſchon ein Prinz vom Geblüt, öͤff nete die Herzen immer mehr; die Steifbeit und das Bors nehmthun verſchwand; fie fühlten ;jeßt, dag fie alle Zecher waren, die eben gut betrunken werden fonnten, und Pro- feſſor Schwefelties fing jegt an als mipigfter Kopf in der Geſellſchaft, zu glänzen und eine gtoße Rolle zu fbielen. Er wurde dazu aufgefordert, Impromtus zu maden; und ſchon fah Eberhard ihn einen Teller über'm Licht ſchwaͤr- zen, und eine Gabel als Griffel greifen, als plößli die lange Manſchette des Profeffors zu brennen anfing, weil er etwas unverfihtig mit dem gefährlihen Elemente um« ging, als er, wie Prometheus, den göttlichen Funken vom Himmel herunter holen wollte. Der Nachbar des Dichters, ein junger Offizier, griff nad) eine? Waſſerkarafe und fing an, das Feuer zu löfchen, und den armen Poeten mit kal⸗

Die ‚Spielleute.

161

tem Bafler zu begtegen. Hieräber erſcholl ein unmägiges Gelächter, das den Dichter verflimmte; mit dem irdiſchen Teuer war aud feine poetiſche Flamme selöfdt,, und er

konnte nichts mehr machen.

Nun mußten die Bergleute ſpielen und. nam. Die Reihe kam aud an Eberhard, und unmutgig wie er war,

wagte er folgendes Lied:

Städtich, wer ih am dem Tiſch

Unter fröhlichen Befehlen Heiter, feet und jmgenbfeifch Sabet an den Srdendqurilen. Bein im Blafe,

Salz im Epape,

Wohlgemuß im vollen Mafe!

Teintt, Ipe Brüder! trinkt und Mlingt, Denkt nicht am der 2idern Kammer,

Wo die vole Mebe winkt

Biegt fir Euch in füßen Sclammer.

Laßt vhantaſten Rimmer vaften, Mit Beträbmiß fich betaften.

Gar zu gemlich ſcheint Dee Mond,

Bir erwählen und die Scune; So in Echatien Baus thront

Eprudeit unfee befie Wonne. Bicheöjunder . Bird jegunder

Aingefachet durch Burgunder.

Dehlenſ. Schriften. XVIIL

162

Die Spieltgutt.

Aber feufaen woh'n wir nicht, 2aflen und nicht unteriochen. Hält ex nicht, maß ex verfpricht, © wird Mord Pfeik jerbrochen. Hat die Braune Ihre Saune,

So verlaffen wir Die Braune.

M die Blonde ſtolj und hart, BR Ge nicht den Ruß verſtatten? Das ift nicht in unfcer Met, Sehnfuct fol und nicht ermatten. Nichts von henten!

Freude ſchenken Andre bald, die beffer denten.

Irdiſch aur iſt dieſe Welt, Was is Geiſtes⸗ Herzenagrobe? - Alte Sappen, aues Geld,

Die bededen unſre Blote. Feisendlatter,

Ehrenretter,

ac) des Cherude Donnerwetter.

Belet und auch der Gebenddaum, Son er nicht mehr lang begläden, IN das Leben mar ein Traum,

Seid! ein Traum kaun auch entiüden.

Laßt und Inden, Bis wir wachen Ernſter einft in Charons Radıen.

Die Spielleute. 163

Die Gäfte, die fhon viel getrunken hatten, und nicht fonderlid auf die Worte Achtung gaben, merkten nicht die Ironie dee Liedes, nahmen alles für baare Münze, und den Inhalt für die gewöhnliche Philoſophie der Trinklieder. Als Eherhard gefungen hatte, ftand er auf und mollte feines Weges gehen. Drunten im Thorwege aber, bat ihn der Schweizer in’s @erfte Stodwert hinauf zu geben, in des jungen Läuferd‘ Zimmer, der ihm gern zu ſprechen münfchte, und ihm etwas Angenehmes zu fagen habe. Bir haben fon diefen jungen Menſchen ermähnt, den Eberhard zu kennen glaubte; weil ihm aber die Laufer- müße fo tief ins Geſicht gedrückt war, und er ihm meiſtens den Rüden getehrt hatte, mußte er nicht, wo er ihn hin- bringen follte. J

Er ging hinauf, wo ihn der Schweizer hingewieſen hatte, und befand ſich auf einem langen ſchmalen Gange, von einer einzigen Laterne ſchwach erleuchtet. Kaum war er da, fo fiel ihm das Abenteuer des Altvaters und der ſchönen Tabuletkrämerin ein. Der Gang fah ebenfo aus; die Laterne brannte eben fo trübe, wie es der felige Albert befchrieben hatte. Gott im Himmel, dadıte Eberhard, wenn meine Cordula jept noch lebte, mir mit Sylphentrit- ten entgegen ſchwebte, und mic an den Bufen drüdte, Er blieb einige Augenblide bei der Lampe eben, und horchte auf, ob Niemand käme? Ach, nein! Einfam fand cr auf dem dunfeln Gange. Iept trat er in das ihm angewiefene Zimmer, und fuhr, als er die Thüre öffnete, erfhroden zurüd; denn das bleiche Melpomenengefiht des Vollmondes, fand gerade vor dem Zenfter, und blidte ihn kalt an, mie damals, als er in’s öde Zimmer trat, und die Leiche des gebängten Dbadias Schlenk auf dem Tiſche

11°

164 Die Spiellente.

entdecktte. Diefer fhaurige Eindrud ward aber bald von angenehmeren vertrieben. Es mar ein fhöner Herbftabend, obſchon mitten im November. Bom hohen Edfenfter hatte Eberdard freie Ausſicht Über die Gegend. Die Pleiſſe lag mie ein heller Eilderfpiegel im Mondfceine da, und das fböne Nofenthal, mo er fo viele herrlihe Jugendftunden genoffen hatte, breitete ſich daneben, ein ſchwarzer Schat · ten. Auch das Meine rothe Dad, wo Hanna Hellfraft ger mohnt hatte, fonnte er feben: und der Kirdthurm, mo er die Lieder: „Iefus, meine Zuverſicht.“ und: „Wie ſchön leucht· uns der Morgenftern,“ in wichtigen Stunden des Lebens, Hatte blafen hören, ſtand wie ein Rieſe da im Mondfcheine, zeigte mit dem blinkenden Zeiger auf Zwoölfe, und eben wie Eberhard hereintrat. tönten die tiefen Schläge des mohlklingenden Erzes über die Gegend.

Jeht öffnete ſich bie Thür, und er fuhr wieder zufam» men; allein das Gefpenft war nicht fuͤrchterlicher als die Umgebung. Der junge Läufer ftand Lähelnd da. Das Mondlicht beleuchtete feine prächtige Federmüge, feine Treſ⸗ fen an ber Jade, und den großen Gilberteller, worauf er Frůchte, Backwert, eine Flaſche Bein und zwei Gläfer harte. Kaum fah er Eberhard, fo fang er:

Biebedzunder Wird jegunder Angefüchet durch Burgunder.

Kommt, lieber Spielmann! Ihr follt aud etwas Gu- tes genießen, und nicht der Einzige fein, der mit frodenem Munde davon geht. IA danke Euch, licher Läufer, ich bin aber meder hungrig noch durſtig. Bacwerk und

Die Spielleute, 165

Früchte genießt man nicht, um-den Hunger zu ftillen, ſon⸗ dern zur Luſt. Ir feht fo traurig aus; vielleicht hat der Viond Euch melancholiſch gemant! Das ift ein wunderlis Wer Kauz, diefer Mond: er kann die Leute luftig und traue rig maden, wie er wil. Jetzt fdeint er Eud wie ein Todtenkopf: ich wette, es koſtei mich nur ein Wort, fo lär welt er Euch ſchelmiſch in's Auge, wie ein allerliebſtes Maͤdchengeſicht. Das würde wohl ſchwer halten, lieber Freund, diefen Zauber hervorzubringen. Nicht im min- deften, mein Herr; denn der Mond it aud ein Laufer, wie ich, und gute Kameraden, migt Ihr, halten zufammen und thun einander gern etwas zu Dienften. Verſprecht Ihr mir, ein Glas Burgunder zu trinfen, wenn ic mein Verſprechen halte? Gern! antwortete Eberhard in der höͤchſten Span- mung. Mein Gott, wer feid Ihr? Heinrich Schlenk! biſt Du 16? Ja, Du bift, ich kenne Did) jept Nun, mein lieber Herr Baron von Lömenmähne, fo trinken Cie denn aud) gleich dies Glas Burgunder auf die Gefundpeit Ihrer Cordula, die noch lebt und Sie treu liebht. Heinrich! willſt Du mid) in meiner Noth verfpotten? Willſt Du mid) toll machen? Bei Gott, das hat der Mann nicht an mir verdient, der erft meines unglüdlihen Vaters Leben rettete, und ihm nachher ehrlich begrub, als er ihn nicht mehr retten konnte. Das Raͤthſel ift mit wenigen Worten gelöft. Robert Huiter hatte es ſich nun einmal in feinen vieredigen Kopf gefept, daß Cie feine Tochter nicht heira- then follten. Um ſich zu rähen, als Eie Ihren Nebenbup- ler im Zweikampfe erftodhen hatten, ſpielte er Ihnen diefen verwänfhten Streich. Ein Kammermädden der fhönen Cordula war eben in den Tagen fo gefällig, mit Tode abs zugeben; dieſe ließ er begraben, als ob es feine eigene Toch⸗

166 Die Spiellente.

ter wäre, weil er wohl denken konnte, daß Sie heimlich in - der Gegend Iauerten, und daß diefe Kunde Sie in Ber- zweiflung flürzen würde. Die Verwandten dee Herrn von Birting gingen gern in diefen Plan ein, weil man hoffte, Sie nad) dem Grabe hinzulocken, und da gefangen zu neh⸗ men. Robert Hulter ift heimlich mit feiner Tochter nah London gereift. Ich habe Innen leider feine Nachricht von allem dieſen geben können, weil ic felber fliehen mußte, als man anfing, Verdacht gegen mich zu ſchöpfen. Bo Sie waren, mußte ih nicht. Da hörte ih, Ihr Vater wohne bier, und ic) ging in feine Dienfte, weil ich vermus thete, dag Sie-dodh früh oder fpät einmal bier eintreffen märden. So hängt alles zufammen. Die (höne Cordula lebt. Und liebt mid, rief Eberhard. Ad, jeht verfteh' ic) das Seien auf der Wartburg. Nun, fo trinken Sie jegt aud des Mondes und der fhönen Cordula Gefund- beit, rief Heinrich, ihm das Glas reichend, wie Sie ver- forogen haben. Eberhard Ieerte das Glas entzüdt. In diefem Augenblide fingen die Mufltanten drunten im Saale an ein Siegeslied zu blafen; ein fhönes Feuerwerk, das Baron Lömenmähne, feinen Gäften zu Ehren, veranftaltet batte, fing an zu fnallen, und hohe Raketen, mit römifchen Litern, bildeten einen Triumphbogen über dem Mond.

Der Maulbeerbaum. - 167

21.

Der Maulbeerbaum.

Der Binter war mit feinem Schnee und Eiſe fehr ſchnell auf den fhönen Herbſt gefolgt, und ſchnitt Eberhard auf dem feften Lande ganz von feiner Cordula ab. Er mußte feine Reife nach London einige Monate ausfehen. Aber kaum ſchmolz das Eis, faum keimten die Märzviolen durchs junge Gras wieder hervor, und trillerte die Lerche fo finden wir ihn in Etratford fpät Abends, bei einem jun» gen Tiſchler, wo er ein immer gemiethet hat.

Mit Beafſteat und Ale hat er ſchon feinen Hunger und Durft gefillt, Die hübſche, junge Frau bat gute Naht gefagt, und ift in's Schlafzimmer gegangen, wo das nied⸗ liche Kind in der Wiege liegt. Der junge Tiſchler John Brown fann mit feinen Lobeserbebungen über die fhöne Mit Cordula Hulter nicht fertig werden, und Eberhard muntert ihn immer auf, mehr zu erzählen.

Sie ift mein Nettungsengel, rief der Tifhler, Bor einem halben Jahre war ic) in größter Noth nd jetzt ver- danfe ich der fhönen Mig, dag ic ein mohlhabender Mann bin, und fogar ein nettes Stübhen für einen Fremden übrig habe. Jung mie ih war, dachte ih nicht an die Zukunft, nahm meine gute Harriet zur Frau, und fie ſchenkte mir einen herrlichen, gefunden Knaben. Ein niedertraͤchti⸗ ner Menſch, mein heimlicher Nebenbubler und Feind, hatte mir 50 Pfund geliehen, blos um mid in feine Gewalt zu betommen. Er wollte fein Geld wieder haben.) ich konnte

168 Der Maulbeerdaum.

ihm nichts geben. Mit einem Writ fieri facias verfehen, ging er zum Sherif, und ließ bei mir Erecution vollftreden. Ich hätte meine Thüre zuſchließen können, denn bier zu Lande wagt feloft die Obrigkeit nicht, mit Gewalt die Thür eines Bürgers aufzubrechen, dann hätte id mich aber ſelbſt mit Frau und Kind in einen Hungerthurm verſchloſſen. Ih Heß den Gläubiger machen. Als fie Alles genommen hats ten, mas zu nehmen mar, ging Mafter Piety im die Kücye hinaus, wo meine Frau im irdenen Topfe Grütze kochte. Er nahm den Topf vom Feuerheerd, brachte ihn in die Stube, und ihn auf den Tiſch ftellend, befahl er dem Schreiber, den Grügtopf mit auf die Lifte der Übris gen Saden zu fepen. Drauf ging er zu der Wiege, wo mein Eleiner Tom mit den runden Aermiein über dem Kif fen ſchlummerte. Er nahm das Kind lieblofend aus der Wiege, ftreihelte es, umd ſprach: Du Heiner Schelm ſchlafſt wohl chen fo gut auf Stroh, wie auf Flaumen? nahm drauf eine Handvoll Stroh aus der Wiege, legte fol« bes in der Stubenece zurecht, warf das Kind darauf, und ließ den Schreiber Wiege und Kiffen gleihfals in die Lite einf&reiben.

Das war mehr als id dulden konnte, und meine Frau mußte mid zurachalten, damit ih mid an dem Unmen ſchen nicht vergriff.

Jetzt waren wir wieder allein; in der nadten Stube, meine Frau mit dem armen Burm im Scooge, um ihr

mit ihren Kleidern vor der Kälte zu ſchüßen. Bas ift jegt für ums zu tbun, rief ih, nachden ih eine Zeitlang düfter über mein Sciefal gebrätet hatte. Tod und Ber- nichtung drohen uns Unglädlihen allen. Noch nicht! ſprach Harriet heiter. Alles haben fie uns doch nicht ge

Der Maulberrbaum. 169

raubt. Siehft Du nicht die hübſche grüne Fenftergardine, wie fie uns Hoffnung zuminkt, während die Frühlingeſonne durch ihre Franzen ſcheint? IC ſchlug die Augen auf, und fah nur den großen Maulbeerbaum, der, wie gewoͤhr⸗ lich, mit feinem Blätterbange über das Fenſter hinſchattete. Verzage nicht, güter John, verfeßte Harriet; läßt der liebe Gott einen fo herrlichen Baum für einen kleinen Burm wachen, deffen Leib er mit der köſtlichſten Seide fhmädt, folte er uns, feine Menſchen, nicht nähren und Heiden? Dies Haus war, wie Du weißt, in alten Ta- gen die Wohnung des trefflihen Shake peares Diefen Maulbeerbaum fol er mit eigener Hand gepflanzt haben, In London denft die große Welt nicht viel mehr an ihren guten Dichter, alles fol jegt franzöffe; fein; aber das Volt

kiebt noch feinen Shakeſpeare. Es thut mir leid um den fhönen Maulbeerbaum; allein er muß fallen, damit wir ſtehen bleiben. Du folft allerhand’ Shnigwert, Schnupfta« batsdofen, Threbühfen, Schreibzeuge, Tabaksftopfer, u. f. w. daraus verfertigen: wir fepen in die Zeitungen, daß ein armer Tiſchler, um ſich mit Weib und Kind von Hungers⸗ noth zu reiten, aus Shakefpeares Maulbeerbaum niedliche Sachen zum Verkauf verfertigt habe; vielleicht maht ung ein Gelehrter ein Meines Gedicht darauf, und unfer Glüd iſt gemacht.

Dieſer Vorſchlag war fo herrlich, als wenn er vom Himmel gekommen wäre; ich fiel meiner Harriet um den. Hals, und ging gleich binaus, um den Maulbeerbaum zu fällen. Allein, als ich mit dem Belle da ſtand, war es mir unmoglich. Es war mir, als ob id einem Menſchen ims Fleiſch hineinhauen und ihn vermunden, als ob ih, um mic) zu retten, einen Mord begehen follte. Man

170 \ Der Maulbeerbaum.

bat ja alte Fabeln, wie Menſchen in den älteſten Zeiten zu Bäumen verwandelt find; und in den Kindermären kommt auch viel von Druidenbäumen vor, worin freundliche Geis fter haufen. Es ſchien mir, als ob Shatefprares. Geift in diefem Maulbeerbaum wohne. Nein, ich fann es nit! beute wenigftens nicht. Wir wollen diefen Borfab beſchla⸗ fen. Vieleicht ſcheint die Sonne nicht morgen! Wenn der Himmel grau ift, will id es thun. Die Sonne darf den Baum nicht fallen ſehen; auch Mond und Sterne nicht. Benn es regnet und ftürmt, will ic den Maulbeerbaum fällen. Aber dann wird das Holz zur Arbeit zu naß tief Harriet; und da ift feine Zeit zum Zaudern; wenn der Meine Tom erwacht, will er Brei Haben, und Mafter Piew bat den Topf vom Feuerheerd genommen. Heute, liebe Harriet, erwiederte id, werden chriſtlihe Nachbarn uns beiftehen; morgen will ic in Gottes Namen den Baum fällen.

Ich erwachte den kommenden Morgen ziemlich ſpät. weil id febr ſpaͤt eingefhlafen war; Frau und Kind fühlie- fen nod neben mir, auf dem Stroh. Die Sonne ſchien wieder heiter zum Fenſter herein, allein ich dachte: Sei dem alfo. Shafefpeares Geift wohnt nicht in diefem einzelnen Maulbeerbaume, fondern im ganzen großen Fruchtgarten feiner herrlichen Werke; und die werde id nit mit mei- nem Beile fällen. I hatte kürzlich Harriet feinen Som. mernachtstraum vorgelefen; es kommen fo niedlihe Elfen darin vor, und ih dachte: Der gute William ift gewiß auch ein großer Kinderfreund gewefen;; fonft könnte er un. möglich den Beinen Senffamen, Bobnenblüte, Motte und Spinnweb, fo allerliehft gefhjildert haben. Er wird es mir

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Der Maulbeerbaum. ‚m

nicht übel nehmen, dag ich mid, meines Toms wegen, an feinem Baum vergreife.

Bie ich fo ehe, und ſchüchternen Blides den Baum anfebe, der heut zum Ieptenmal feinen angenehmen grünen Schatten ins Zimmer werfen foll, deſſen fhöne Blüte ich mit meinem tüdifen Eiſen vernichten will; Lömmt es mir wahrhaftig vor, als ſtecke Titania, die Königin der Elfen, felbft ihr liebliches blondgelodtes Gefiht mit den Roſen⸗ wangen durd) die Zweige des Baumes, zum Fenſter herein; menigftens fehe ich ein außerordenrlich ſchönes Mädden- veſicht.

Als fie mic, fieht, ‚grüßt fie freundlich nickend mit dem Kopfe, und fragt beſcheiden: Wohnt nicht der Tiſchlermei fter John Brown bier?

Ich Taufe gleich hinaus, und finde die ſchöne Miß Cor- dula Hulter mit ihrer Zofe bei dem Poſtwagen. Mit wenigen Worten erzäbft fie mir, daß fie vorigen Sommer mit ihrem Vater von Dftindien gekommen fei, ib dieſen Binter in London aufgehalten habe, dag der alte Herr, an die leichte Luft der Südfeeinfeln gewöhnt, am Sieinkoblen- dampf von London geftorben ſei; und daß fle, ihrer eige- nen Gefundeit wegen, um das Schicſal des Vaters nicht zu theilen, aufs Land binausgejogen, zugleich aber auch münfde, mitunter aud einige Wochen in Stratford zu woh⸗ nen, weil fie von William Chatefpeare abſtamme. Cie wiſſe, daß id fein vormaliges Haus bewohne, und das wolle fie nun gern von mir wieder miethen, ich möchte den Preis fo hoch feßen als ich wollte. Kaum habe id) ihr meine Noth geklagt, fo reiht fie mir einen Beutel voll Gold, und id bin auf einmal ein wohlhabender Mann.

Seitdem ift die fhöne Miß in meine vorige Wohnung

172 Der Maulbeerbaum.

eingegogen, und id babe mir Diefe wieder gemiethet, treibe mein Handwerk ohne Sorge, und bin ein glüdliher Menſch. Die fhöne Mig iſt jept eine Freundin meiner rau, und mag meinen kleinen Tom aud) fehr gut Teiden. Sie ift von der ganzen Gegend. geliebt. Junge Landmädchen kommen wöchentlich zu ihr, da müflen fle mit ihr in einer großen Spinnftube arbeiten, und Maͤrchen erzählen, und alte Lie der fingen. Sie bat ſchon mandes junge Paar verheira- tet und ausgefteuert, denn fie ſcheint ſeht reich zu fein. Noch Morgen wird fie die Hochzeit eines duͤbſchen Mäd- chens ausrichten; und da fönnen Sie die Miß Cordula in der Kirche feben, einer gewiſſen Eenemonie heiwohnend, die nie vergeflen wird: das Brautpaar muß nämlich das ſtei⸗ nerne Bild ihres Stammvaters, Wiliam Shalefpeares, in der Kirche mit Blumen kränzen.

Bird fie denn ſelbſt nicht beirathen, und ift die fhöne Mig nicht verſprochen? fragte Eherhard. Damit kann ich ‚nicht dienen, ſprach der Tiſchler abbrechend. Jetzt wi ich noch ein Licht holen, und Ihnen zu Bette leuchten, weil Ihr Bedienter heute Nacht im Wirthshauſe ſchläft. Auch einen Stiefelknecht will ih bringen.

John Browr ſchlich ſich leiſe in's Schlafiimmer. Kaum war Eberhard in der Etube allein, wo das woblgetroffene Bildniß feiner Cordula an der Wand ding. fo trieb ih feine Liche dazu, auf einen Stuhl zu fleigen, und den Mund an die (höngemalten Lippen zu drüden, die feinen Kuß nicht erwiederten.

John Brown fam gleich zurüd mit dem Stiefeltnecht. und munderte fih über die Maßen, feinen Gaft auf dem Stuhle im eifrigen töte & tete mit dem Bilde zu finden.

Das Blumenmädden und der Mind. 173

Eberhard, der die Zurückunft des Wirthes nicht fo bald vermuthet hatte, wäre vor Schaam beinahe vom Stuble gefallen. Adein der junge Tiſchler fprad ihm Muth ein. Schamen Sie fih nicht, mein Herr, rief er; ih weiß auch, was Liebe it. Habe ich doch die Vantoffeln und Handſchuhe meiner Harriet in den Feiertagen gefüt, wenn ich fie nicht feloft hatte. Ih merfe wohl an allen,. der heimliche Liebhaber iſt angekommen, und ich habe die Ehre, ‚Herrn Eherhard Julius in meinem Haufe aufzuwarten. An Ihrer Ausſprache hörte ich gleih, dag Sie ein Deutſcher find. Es wundert mid, wie ich nicht früher Verdacht ger ſchopft babe.

22. Das Blumenmädhen und der Mönd.-

Eberhard konnte beinahe die ganze Nacht‘ nicht fchla-

fer, und daran war Jchn Brown allein Schuld, denn wa⸗-

rum erlaubte er dem ſchwaͤrmeriſchen Liebhaber, Cordulas

» Bild aus der Wohnftube mit ins Schlafzimmer zu neh-

men? Eberhard hoffte von feiner Geliebten zu träumen. Allein hier verrechnete er fih! Man träumt felten von dem, wovon die Seele beim Schlafengehen voll ift; und fo batte denn der gute Eberhard nur mit lauter Erbſen zu tbun, die er aus einem Scheffel in den andern zaͤhlen mußte, wobei fi) die Zahl zulept fo ungeheuer vermehrte, dag er-die Summe nicht länger behalten konnte und ibm

174 Das Blumenmädden und der Mönd.

die Haare vor Angſt zu Berge fanden, weil Todesftrafe darauf gefegt war, wenn das Facit nicht richtig würde

Bon diefer Noth befreitete ion John Brown, der ihn erwedte.

Das Frühftüd wartete auf ihn, und er eilte ſich an« zuziehen, denn um zehn Uhr follte die Hochzeit vor ſich ge ben. Mufifanten feßten ſich fon in Bewegung, und fingen an zu blafen. In Broceffion ging das junge Braut⸗ paar zur Kirche, von Cordula und mehreren [hönen Jung⸗ frauen gefolgt. Eberhard hatte ſich in einen Wintel ge⸗ drüdt, dem Bruftbilde Shakefheares gegenüber. Man bes

2 hauptete, dies Bild folle fehr äͤhnlich fein, nad einem Ab⸗ guſſe nach der Natur. Hände und Gefiht waren fehr fleiſch⸗ farb, die Augen hellbraun, Haar und Bart blond; das Wamms fdarlahfarbig, mit einem leichten ſchwarzen Um« wurf, der obere Theil des Kiffens grün, der untere far» moifin, die Franzen goldig.

Allein Eberhard hatte nur Augen für Cordula. Eie war höher und vielleicht ein wenig magerer geworden, ſchien ihm aber jegt noch reigender zu-fein. Denn Würde hatte ſich mit der Jugendlichkeit verbunden, und das Kindliche, das vorher mitunter an das Kindiſche gränzte, war zurüd- gedrängt, ohne.verftwunden zu fein. Das weile, ernfte, etwas blafe, regelmäßig onale Geſicht, würde ihn an die Antike erinnert haben, wären die Augen nicht fo gefühlvoll geweſen.

Bor dem Bruſtbilde des Dichters hielt die Reihe Nil;

Körbe vol Narciffen, Hyacinthen, Nofen und Immergrün,

die aus Treibhäufern geholt waren, weil der Falte Früg- ling noch nicht in freier Natur ſolche fpendete, wurden vor das Bild bingeftellt; und während ein ſchönes Lied leiſe

"Das Blumenmädhen und der Mind. 175

vierftimmig gefungen wurde; befränzten die Mädchen Sha- tefpeares Bild, wobei Cordula die eifrigfte war, umd ihren Liebhaber Gelegenheit gab, die holde Geftalt in den an- muthigften Stellungen zu fehen, wenn fie bald Hände und Arme mit Purpurhlumen und-grünen Blättern in die Höhe reichte, um folde auf die Nägel zu hängen, bald das herr- liche Profil zu dem Bilde erhob, um zu fehen, wie der Schmuck ſich ausnehme; bald den ſchlanken Leib zurüd bog, und fi, büdte, um mehr Blumen aus dem Korbe zu neh» men. In den Ohren hatte fie Shafefpeares Ohrringe, eine Erbſchaft ihrer Stammutter Concordia.

Des begeifterten Eberhards Thränen floſſen unaufhörs lich, theils aus füger Liebeswonne des Wiederfehens, theils waren es Wehmuthsthränen beiliger Ahnung dem verftor- benen Dichter geweiht.

Bald umringte ein großer, dider, bunter Blumenkranz die Büfte; der Zug begab fih zum Traualtare hin, und Eberhard eilte jet fort, um aud bei diefer „Gelegenheit thätig zu fein. Er hatte alles mit John Brown und fei- ner Frau, die mit im Gefolge waren, abgeredet. Sobald das Paar eingefegnet wäre, fagten fie, würde Cordula ſchnell voran nad Haufe eilen, um die nötbigen Anftalten zum Empfange der jungen Eheleute zu machen, die heute bei ihr zu Mittag fpeifen follten. John Brown und feine Frau wollten fie daun durd ein altes‘ gothiſches Gebäude, ein ehemaliges Kiofter, führen, wo man durch einen langen gemwölbten Bang einen Lürzern Weg nad) Gordulas Woh- nung machen Lönnte, Hier folte ihr Eberhard dann in fei- ner Vermummung begegnen.

‘Schon kam die ſchoͤne Miß mit ihren Zreunden den langen Kioftergang eilig herauf, als fie auf einmal vermun“

176 Das Blumenmädchen und der Mönch.

dert Me Mand, und rief: Mein Gott! Harcket, Acht Du | aut den alten Monch dort, in brauner Kutte, mit einem Strick um den Leib, mit dem Blumentorbe in der Hand, der uns enfgegentömmt? Gr fieht ja leibhaftig aus, wie der Zrater Lorenzo in Romeo und Julia. Träume in oder wach’ ih? 'Iopn Brown Hat die junge Big, fih

nicht zu entfeßen, und. mar näher zu treien, das Näthfel werde ſich Bald löfen. Eberhard ging ihr, Tangfamen Schrittes entgegen. Bei einem Fenſter, wo die Geſchichte Nebeftas dei der Quelle mit bunten Farben ins Glas ger brannt war, und wo eben die Sonne herein fhien, und ein warmes Farbenlicht in den fühlen Gang warf, begeg- neten fie Sch. Der Möndy reichte ihr feinen Korb vol | frifher Veilchen und ſprach ·

Die derche fingt, der feifche Morgen lacht Der frühe Wärı Hat feinen Eemnd gebracht. In jungen Gräfern Nand das Seilchen blau, Und zittert eben, blaß in Morgenthau. Lorenzo, den die Blumen ſtets entzückt, Zrägt fie in feinem Korb hier abgepflädt. Im Kioftergarten ſtedt er, veicht ſie dar Dem deſten MRäbien, wie nicht eine war. Die fhönen Rinder Hat er aenn geliebt, Und Zutiens Serickjal dat ihn Gef betrübt. Doch Heute fpielt mit Wlumengift er wicht, Wie in des Stammdsren trefichen Gedicht ; - Mein Betten iſt unfchuldig, bläulich votß, Im feinem Reiche lauert micht dee Tod; Die Hoffnung duftet freudig aur deraus, Und frifche Siebe Rärkt den Blamenſtraud.

Ende gut, alles gut. 177

Richt Eiſengitter heut, nicht Marmorfarg Dad Glaͤck des Lebens meuchlerifch verbarg. Geſund und offen weit die Kirche glänat. Die Liebe feat, der Dichter if befränt; Durchs alte Rlofgigpnfter, bunt und lang, Echeint Sonne, tönt der Bögelein Gefang; Und wieder felig, feinem GBlüde nah,

Küßt Momeo feine füge Julia.

Oben auf den Veilchen lag das in Diamanten gefaßte grüne Glas, die Scherbe der Wartburg. mit den Worten: Eherhard, Deine Cordula Icht. Kaum hatte er zu ſpre⸗ hen angefangen, fo erkannte fie ihn, und der von Liebe glü⸗ bende Jüngling drüdte das vor Freude zitternde Mädchen an feine Bruſt.

23. "Ende gut, alles gut.

Sobald Eberhard feine Cordula Frau nannte, dachte er nur daran, nad Zelfenburg zurüdzutehren, weil die Schöne, ihrer blühenden Jugend odnerachtet, nicht gut das Clima in England vertragen konnte. Kapitain Horn hatte ihm vor feiner Abreife mit der hollaͤndiſchen Garnifon ges ſchrieben, dag er ihm ein gutes Schiff mit einem braven Eifer fenden würde, um ibn und feine Frau nad Fels fenburg zu bringen. "

Seplenf. Scheiften. xXVIII. 12

178 Ende gut, alles gut.

Sobald das Schiff auf der Themſe las, ſchifften ſich die jungen Eheleute ein, ihre Freunde auf der Infel im Südmeere nad) Verſprechen bald wieder zu fehen; und mir. eilen, eben fo fhne wie fie, dieſe Gefchichte zu endigen, die ohnedem fen der Leſer zu ag finden mag.

Ibre Reife war glüdlih, und fie litten beinahe nichts von Sturm und Gewitter. Schon waren fie in den ge⸗ wunſchten Gewaͤſſern, und hofften alle Tag? die Infel zw feben, als Eberbard zu feinem Schreden eine Entdedung machte, die ihn gleich, dazu trieb, ohne Zaudern die Scha⸗ Iuppe mit Bettlleidern, Lchensmitteln und andern Noth- wendigfeiten zu verfchen, und ſich mit feiner Cordula nebſt Henri Schlent in Gottes Namen von zwei theuer bezahle ten Ruderknechten nach der nächſten hoben Kippe rudern zu laffen, die fih in der Ferne zeigte, in der Hoffnung, dag diefe Steinmafle zu den Felfenburgifhen gehöre. Wenn fie aber au ganz fremd wäre, wollte Eberhard dod He ber auf Gerathewohl dahin Meuern, als auf dem Schiffe bleiben.

Bas konnte nun den zaͤrtlichen Ehemann dazu treiben, feine geliebte Cordula diefer Gefahr auszufegen? Denn der. Weg dahin war ziemlich lang, die See ging hoch und der Abend graute. Bar das Ehiff leck geworden? Mein. Bar eine Meuterei wieder zu befürchten? Auch nicht. Aber ein weit ärgeres Ungeheuer als der Scharbod und die Geefrantpeit hatte fi diesmal am Bord einge- ſchlichen. Eberhard entdedte nämlich, dag ein Matrofe an den Kinderblattern Trank Siege! Cordula hatte diefe abſcheuliche Krankheit noch wicht gehabt; die wohlthätige Entdetung, die jeht fo vielen Menſchen Leben und Geſund⸗

Ende gut, alles gut. 179

heit rettet, war noch gicht gemacht; und mir verſtehen alfo Ebethards Eile und Verwegenheit ſehr gut.

Der Weg dahin war nicht ohne Gefahr, allein die Nudertnechte, Eherhard und Heinrid) Tirengten fih an. Es war duukle Nat geworden, als fie in eine Bucht einlier fen, die tief in eine Felfengrotte führte. Der Mond ſchien nur fo ſchwach durch eine Nige, daß fie mit genauer Noth einen trodenen Fed zum Nachtlager auffinden konnten. Sie hüllten ſich in ihre Betten, und ermüdet von der Ans firengang und der Gemüthsbewegung ſchliefen fie gleich ein; denn Erfrifhungen hatten fie ſchon im Boote genoffen.

Eberhard erwachte früh, ſah Ab um im großgewolb⸗ ten unbefannten Raum, und glaubte noch zu träumen. Es ſchien ihm, als befände er fih in einem runden Tempel, wo zwölf toloſſale Statuen und Gruppen umher ftänden, von der Mergenfonne fhön erleuchtet. Sie waren ziemlich) gut gemacht. Das Steife und Bizarre einer darbariſchen Beit verband fi) charakteriſtiſch mit einem Anſtriche griechi⸗ ſcher Formfcöndeit, und Attribute, als Schwerter, Ham- mer, Spieße, Harfen, Blumen und ehren zeigten, dag diefe Bildfäufen mythiſche Allegorien vorftellen follten. Das Bett Eherhards und Gordulas, im füdlihen Theile des Tempels, dien ihm gerade unter einer folden weiblichen nadten Figur gemacht zw fein, der fhönften der ganzen Reihe. Cie faß in cinem Meinen zweirädrigen Wagen, mit Zigerkagen beipannt, und bielt eine Roſe in der Hand, als Mieder Hatte fie ein leichtes Federkleid, das dech weder Brut noch Schulter, fondern nur einen Meinen Theil des , Nüdens und des Leibes bedecte. Ihr zur Linken in We⸗ fien faß ein gemüthlicher bärtiger Mann, dur die Harfe

180, Ende gut, alles gut.

flug, ihm zur Seite ftand eine hübſche junge verſchämte Frau, mit nicdergefhlagenen Augen, und mit einer file bernen Schaale voll goldener Aepfel in der Hand, In Dften faß auf einem etwas erhöhten Sie ein fchr ver- ſchißter vierfrötiger Greis mit langem Barte; auf fei- nen reiten Schultern flatterten zwei Naben, die ihm et⸗ was in die Ohren zu raunen fhienen. Er hatte neun Nar- ben an der kablen Stirn, und einen langen Spieß in der Hand. Ihm zur Rechten fland eine Figur, die am fleißig« fen und mit der größten Liebe ausgearbeitet f&ien. Ein fräftiger Krieger, mit zornigem, vermegenem Geſichte?? In feiner Rechte, woran er einen Handſchuh trug. hatte er ei» nen großen Streithpammer, und um den Leib war ihm ein ſchones Mieder geſchnallt, font war er nadt; mur daß er einen Helm trug. Zwiſchen diefen vier Hauptfiguren waren immer zwei andre, die Eberhard nicht reiht erkennen konnte, denn der Traum verſchwand, und er fhlief wieder ruhig. Als er aber die Augen aufs neue aufſchlug, hatte er den» felbigen Traum, und hörte zu feinem größten Erftaunen folgenden Gefang, der ibm von der Gegend des Tempels zu kommen ſchien, wo der Gort mit der Harfe faß:

68 lieget fern von Norden eine weitberühmte Stadt, Auwo die fchönfte Kaiferin dem Wolf geboten hat. In Dänemark und Rormeg wol Muflegard genannt, Sonft als Gonflantinopel der ganien Welt befannt.

Die Stadt if voler Pracht, voler Kunft und Genuß, Die Männer gehn in Purpur, im hoͤchlten Meberfluß : Doch wol ein großed Kieinod befügen fe dort nicht.

An Ghrlicgfeit und Treu’ cd den Griechen febe gericht.

D

Ende gut, alles gut.

Gar meuchleeifch fle wüthen, in Yalaft und Haus,

Es gechen ſich Die Brüder die Augen immer aus.

Sie trauen fich nicht felber: von Norden kamen her

Die Heldenfchnar der Wäringer, Dei freuten fe fich ſede.

Denn Harald Haarderande, ein wunderfamer Held, In Borden hodhgepriefen, wie in der ganzen Belt,

Sin Königfohn von Drontheim. ihm folgten wir fo gern; Und wo die Schrotrter blintten, da waren wir ‘die Derr'n.

Doch Harald und Georgius vertrugen ſich nur fchlecht: Der Degen der Rormannen war dem Griechen nicht recht; Gr forte mit ihm theilen die Che’ und auch dad Gut:

Da ward dem Muftegarde gar fchlecht au Muth.

E trennten ſich Die Meten. Rachher es gefchah, Achtsig große Städte im heißen Afrika

Gewannen wir mit Beute; die Feinde lagen todt. Da färbten wir mit Blute die Schübesränder roth.

Doch einige der Degene die fegelten zur Stund

Auf langen goldnen Drachen, durch fhmalen Ridrvafund *) Da Hat dir harte Megie und hingeworlen fern;

Bir kannien feine Küfe, iulept auch feinen Stern.

Un biefen hohlen Felſen wir landeten zulebt

Da Haben in der Ginfamfeit wir feit und geſebi.

Was hatten in den Schluchten bie Schwerter mehr zu hun? Da brauchen wir Die Hämmer, dad Schwert fonnte ruhn.

*) Die Straße bei Gibraltar.

181

182 Ende gut. alles gut.

Gigil unfer Führer, er Aammt vom großen Schmid Baulandur dem viel Zrefflichen, er brachte Zangen mit; Die Zeit und in vertreiben, zu freuen unfer Gert, Bir Hämmerten die Götter aus heüblanfen Erz.

Wir Yalfen ihm gewallig; nach vieler Jahre Zeit Entftanden die zwölf Mien, in liter Herrlichkeit ; Recht wie die Marmorbäder im Gircud dort in Kom, Und die Hiefengötter von Eri im Hipyodrom.

Noch find wir feine Heiden; wir beten ie nicht an; Gedenten nur, mas fonft im der Borjeit fie gethan: Da fanden fie den Bütern mit ihrem Schnpe bei, Des danken wir noch Odin, noch Thor und noch Frei.

Sonft Haben wir befländig zu letter Lebenäfrifl, Imbrünftig angebetet den weißen Jeſus Chriſt.

Er ſchent· und nach der Heimat die bald’ge MWicderfedr. Alle wir @lenden, wir fehnen uns fo fehr.

Pod) follen wir verſchmachten. fol modern das Gebein

Der tremen Rorden ſohne auf fernem Fefenfein,

&o fage dieſes Denkmal dem Fremden, der ſich naht: „Bier haufen auch Rormannen, und da 6 war ihre Apat!“

Eherbard hatte fi während des Liedes völlig über zeugt, daß er nicht träume, fondern dag alles reine Birf- lichteit fei. Jeßt faunte er aber noch mehr, denn er glaubte deutlich, Lademanns fhöne Tenorftimme zu erkennen. Cor» dula mar indeß erwacht, und madte große Augen. Der Tempel war nun ganz erhellt, und droben in einem Gange,

Ende gut, alles gut. 183

der wie eine Gallerie den Tempel umgab, ſahen fie Schnüre in die Kreuz und Quer gezogen, worüber eine ziemlich cor« pulente Frau reine Waͤſche zum Trocknen aufbing.

Bei Gott, das iſt Hanna Heilkraft! rief Eberhard. Ia fürwabr, fagte Cordula, und Lademann hilft ihr bei der Arbeit. So find wir dod nad Felſenburg gekom⸗ men, meine Cordula! Aber, wie ift diefer Tempel bier entftanden? den wir vorher gar nicht kannten? Die Nor⸗ mannen fönnen doc in unferer Abweſenheit nicht bier ge» landet fein, und alle die Erzbilder gemacht haben.

Sieh, Hannal rief Lademann droben auf der Gal- lerie; fo wahr id) lebe, liegen nicht drei Menſchen auf Matragen, drunten im Tempel, und im Boote, am Pfahle gebunden, find zwei Matrofen. So haben fie denn auch noch diefen Winkel aufgeftöbert, fagte Hanna Hellkraft ver drießlich. Man kann ſich doch nirgends vor dem neugieri⸗ gen Menfhengefindel verbergen! Ueberalt wollen fie ihre Nafe haben. So wahr id Ihe, Hanna das find Eber- bard und Cordula. Ei warum nicht gar? Träumt Ihr nun wieder, Lademann? Nein, nein Hanna, er träumt nicht. rief Eberhard, und ſtrectte die Arme gegen fie aus; Cordula und Eberhard find wirtlich da,

Nun, feid Ihr endlich da! verfepte Hanna ganz gelaf- fen, und es klang beinahe wie ein Vorwurf: Warum feid Ihr nicht früher gelommen? Aber die Freude leuchtete ihr aus den Augen. Wartet nur, fo wollen wir gleid) au Euch hinunter kommen.

Nach einem herzlichen Gruße erzählte ihr Eberhard alles, was ihm in der Abweſenheit begegnet war, und fie wollte ihm auch gleich alles fagen; allein Lademann, in dem eine Künftierfeele lebte, konnte nicht zugeben, dag die ſchöne

184 Ende gut, alles gut.

Ueberraſchung auf ſolche Weiſe unpoetiſch geſchwächt werde, und gebot Stillſchweigen. So folgten die jungen Eheleute ihm und Hanna einen ziemlich langen Hohlweg, den Berg binunter, durch den grünen Wald, nad einer ſchönen, fruchtbaren Ebene, wo fie zwei allerliebſte Häufer mit Gaͤr⸗ ten und einigen hohen Bäumen vor fid) fahen.

Augen, vor der einen Hausthüre ſaß Wolfgang auf der Bank, und ſpielte mit einem fhönen Knaben auf dem Stpooge, der ifm mit den Meinen Händen immer den Bat- Fenbart zaufen wollte. Ihm gerade gegenüber. faß Litberg am Fiſche, und war mit der Zeichnung eines alten Runen» feines beſchaͤftigt, der vor ihm aufgefellt ftand.

Und jept, licher. Eberhard, ſprach Lademann ſchnell. als fie einige Bäume wieder verbargen, will ich mit weni⸗ gen Worten das Näthfel löfen, damit mir Herr Litzberg nicht nach Gewohnheit das Wort aus dem Munde reißt, fobald er uns ſieht. Und von ihm erfahren Sie doch in der erten halben Stunde nichts Gefeidtes; denn je neu- gteriger Sie werden, je mehr wird er Sie mit Nedereien und launenbaften Einfällen aufhalten.

Bir find nicht bier auf Groß» fondern auf Klein« Felſenburg. Als die Große Infel ihre Selbſtſtändigkeit verloren hatte, und die Gährung der Gemüther nicht auf bören wollte, mochten wir nicht länger da bleiben. Bolf- gang, Ligderg, Hanna Hellfraft und id, find nach diefen ſchoͤnen abgelegenen Thälern gezogen, wo mir wieder als

glüctihe Einfiedler leben, ohne an den Eitelfeiten und _

Streitigkeiten der Welt Teil zu nehmen. Magifter Shmel- zer mußte drüben bei den Einwohnern bleiben, um ihnen das Wort zu predigen; und fie Finnen cs nöthig haben. Diele der Landestinder werden vermuthlich mit ihrem Gelde

Ende gut, alles gut. 185

Wenn die Schäge find jegt alle vertheilt) nach Europa oder Nordamerita ziehen, fobald die Holländer Grop- Felſenburg in Befig nehmen,

Hier hat Herr Ligberg in Ihrer Abweſenheit zwei fehr gute Häufer gebaut! das eine für Herrn Wolfgang und feine Frau, das zweite für Sie, wenn Sie einmal glücklich wieder zurüdfehren follten. Lißberg wohnt bei Wolfgang. Hanna Helltraft und ih bewohnen ein Paar Stübchen in Ihrem Haufe, die (hönften Simmer ftehen aber immer be- teit, um, wenn cs fein foll, Eberhard und feine liebe Er dula zu empfangen.

Die Häufer waren fon gebaut, und wir hatten diefe Infel eine Weile bewohnt, ehe mir noch den nahen Tem- pel im hohlen Felſen entdedten. Weitläufige Gänge füh- ren dazu durch den Berg, von der Landfeite, und fein Stift naht fi der Küfte dort von der Serfeite, weil der Grund vol gefährlicher Scheeren it. Cie, licher Eber- hard, find ohne es zu wiffen auf ihrem Boote glüdlih, al- len diefen Gefahren vorbei, gleich ins Heiligthum bineinges fegelt. Und wir Andern können es einem alten Freunde von Ihnen danken, dag wir das Geheimnig auf dem Trod- nen fanden. Bie fo? fragte Eherhard, Erinnern Sie ſich nicht, dag Cie mir beim Abſchiede, als Sie nichts über den Verluſt Ihrer Cordula tröften konnte, Ihren Pudel, den treuen Sucverloren anvertrauten, bis Sie wieder fir men? Einem unglüdlihen Liebhaber muß man etwas zu gute Halten; cs war aber nicht Net von Ihnen, Fieber Eberhard! Denn das treue Thier war nahe daran, vor Sehnſucht zu fterben; und ich hatte ihm ſchon ein ſchlichtes Grabmal unter dem Baume zugedacht, wo der felige Al- bert Julius, der Sage nad), den Meinen Beautiful begrud.

186 Ende gut, alles gut.

Such verloren erholte ſich aber, nahm mit meiner ſchlechten Fürſorge vorlieb, ſchloß ſich an mich an, und ſchien beſſere Tage in der Zukunft zu hoffen. Er hat hier den Heiden- tempel, eben wie vormals die Guanchenhoöͤhle auf Teneriffa, enidegt.

Einige ſilberne Platten, die wir im ſteinernen Zimmer fanden, gaben Aufſchluß, daß bier mehrere Nordenhelden ſchon im eilften Jahrhundert gewohnt haben. Naher da« ben wir, drunten im Thale, ihre Runenſteine und Grab» mäler gefunden. Ein isländifher Matroſe, eigentlich ein verunglüdter Stüdent, der das Ichtemal als Kapitain Horn bier war, Erlaubnig befam, auf Groß-Zelfenburg jurädzus beiden, hat Herrn Lißberg trefflich geholfen, das alte Lied und die Sage, wie fle auf den Silberplatten geſchrieben ſtehen, zu überfeen. Nachher haben wir Ale dazu gebole fen, das Lied im deutfhe Reime zu bringen. Der Isländer hat mid eine alte nordiſche Melodie dazu gelehrt, umd ich finge es gern drunten im Tempel, wo der heidniſche Dich-⸗ tergott Bragi bei der Harfe figt, und feine Frau Idun, mit den Aepfeln der Unſterblichkeit bei ihm ſteht; weil das

Echo da fo ſchoͤn ift-

Allein, liebe Hanna, fragte Cordula neugierig, wie fömmft denn Du dazu, in diefem alten Heidentempel zu waſchen, und Zeug aufzuhängen?

Weil da eine warme Duelle fließt, antwortete Hanna, die mir die Arbeit fehr erleichtert. Der Ort ift auch bes quem als Obdach gegen Regen und Hitze, obſchon etwas fhaurig. Lademann geht aber immer mit; er ift jeßt mein Kind, und bei der Arbeit fpielt er mir meiſtens etwas vor auf der Harfe. Ich mag, während der Arbeit, wohl die alten Göpenbilder betrachten, die mid mit ihren Bär

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ten und Hämmern gar wunderbar anfehen. Ih muß da- bei am den Todtentanz in der Kirchhofhalle bei Leipzig den- ken, wo id) aud oft faß und ſpaun, während Eberhard bei mir war, und etwas erzählte. Ieht it Lademann mein Eberhard geworden, denn der andre bat ſich eine ſchöne Junge rau genommen, und kehrt ſich den Henker mehr an die alte Hanna Hellfraft.

Dui Hanna, mie fannft Du dod fo reden! rief Eher bard fie umarmend, licht man denn feine Mutter weniger, meil man ihr @ ſchoͤnes Schwiegertöchterchen zuführt?

Jetzt hatte fie Lipderg mit feinen Falkenaugen in der Gerne entdedt. Bei Gott, rief er, da kommen fie. Ber? fragte Wolfgang, das Kind hinunterfegend. Eber- bard und feine Braut. D mein Gott, Sopbie.., liebe Sophie, rief Wolfgang, komm' heraus! Sie find da, un fere langerfehnten Freunde,

Stille! gebot Litzberg laͤchelnd, wir wollen ihm einen Schabernack anthun. Bir wollen den guten Eberhard ein klein wenig foppen. Gleid wieder foppen! ſprach Wolfe gang, unzufrieden. Nur einen Augenblick, Herr Kapitain,, damit das Vergnügen nod größer werde. J

Wolfgang mußte das Kind wieder auf den Schooß nehmen, und den Kommenden den Rüden zu kehren, Lipe berg faß in feine Arbeit fo vertieft, dag Eberhard ſich ihm leiſe nähern und auf die Schulter Mopfen konnte. Lip- berg blidte auf, fab Eberhard an, und ohne eine Miene zu verändern, noch aufzuftchen, fagte er, ibn phlegmatiſch anftarrend und beim Uhrbande faffend: Ei, mein lieber Eberhard, da haben Sie ja ein neues Signet in Ihrem Uprbande bekommen! Eberhard ftaunte ihn an in diefem Augenblide fprang aber der Pudel, der feinen alten

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Herrn gerochen hatte, aus der Hausihüre ſchnell heraus auf den Tiſch, wälzte die Schaale mit Tuſch über Litzbergs

Zeichnungen, feßte die Pfoten auf die Schultern feines Herrn, und ledte ihm Hände und Stirn, während er in einsfort Kipberg mit dem Wedel ins Geſicht flug.

. Das fhadet Euch nicht! rief Wolfgang. Der Hund beſchamt Eud, er empfängt feinen alten Freund herzliger als Ihr. Bas kehr' ich mic am die Zeihnung. die kann ich wieder machen; rief Lißberg, ungeduldig Wolfgangs Umarmung abwartend, damit er feinen Men Neifegefähr- ten auch umbalfe. Gott fei Lob, ih habe ihn wieder! Wic- der Iemanden, mit dem ich ic alle Tage zanten und aus- gleichen kann. Hier gaben die langweiligen Menſchen mir im Disputiren immer Recht. Ich will aber nicht Recht ba- ben, und fie follen es aud nicht haben, denn kin Menſch bat ganz Recht, nod ganz Unrecht. Hätte das länger ge- "dauert, ih wäre crepiert wie eine Karauſche, die man aus dem Schlammteiche herausnimmt, und-in ein Glas Mares Bafler feßt.

Lieder, lieber Eberhard, rief Wolfgang, fehen Eie doch! Da ift noch ein Albert Iulius! Er gebt mit Fall- but im Slügelkteide, und id) habe ihm; eben ein Eteden« pferd geſchnitten. Sophie, komm’ doch heraus! Eberhard und Cordula find da. Eine fhöne Frau dffnete die Haus- thür und flog der unerwarteten Freundin in die Arme.

Heinrich Schlenk hatte ſich indeß Teife nachgeſchlichen und machte im Hintergrunde wit dem treuen Rudolph Wr rgangs Diener, Belanntihaft, den wir aus feiner Le⸗ bensbefcpreibung kennen.

Iept brachten die Klein» Zelfenburger die Neuantom- menden in ihr fhönes Haus, wo Eberhard in der Wohn

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ſtube Luthers, Shatkeſpeares und: Alberts Bilder an der Band hängend fand. Das gelbe plüſchene Canapre aus Leipzig, und das Bild feiner Mutter waren aud da. Im wohlbetannten Schrank lagen die Upr, die verblichene Styleife, nebft andern Reliquien.

Eberhard und Cordula fnieten vor dem Bilde des ehr⸗ würdigen Altvaters nieder: O mein licher guter Stamm« vater Albrecht Julius, rief er, Dein Enkel ift jest fo glüd- lich, mie Du es warft. Nach vielen Widermärtigteiten hat er feine Cordula, wie Du Deine Concordia, gewonnen. Ein unſchuldiges, freiss, idylliſches Lehen, das befte Zoos des Menſchen fängt wieder an. Möge Dein Geift, mit den Geiftern meiner Mutter, Luthers und Shafefpeares uns umfAweben! damit wir, wie Du, das Leben geniegen, mit Shatefpeares Auge in die Welt fehen, und mit Luthers Herz den Himmel ahnen.