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WIENER ERANOS

ZUR FÜNFZIGSTEN VERSAMMLUNG

DEUTSCHER PHILOLOGEN UND SCHULMÄNNER

IN GRAZ 1909

WIEN ALFRED HOLDER

1909.

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641272

Alle Rechte vorbehalten.

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Q2 Ea>' OMO<I>POSrNHI 6' OMOE0NEIHI T'ArAnHTOIS KAI nEPl KAAAIXTÜN SrMMAXIHI nOAEMOr.

iMiAi/r.

Seite

I. Th. Gomperz, Philodem und die aristotelische Poetik 1

II. H. V. Arnim, Pindars Päan für die Abderiten 8

III. S.M ekler, Zur Farce von Oxyrhynchos 20

IV. A. Kappe 1 mach er. Zu den Kretern des Euripides 26

V. A. R. V. Kleemann, Piaton und Prodikos 38

\1. M.Ni stier, Die Gedankenabfolge in der pseudoxenophontischen lli9'?;»'a«(>j'

Tcolneia und die UmsteUungsversuche 55,

VII. K. Mras, Lueian und die ..Neue Komödie" 77

VIII. K, Burkhard, Johannes von Damaskus' Auszüge aus Nemesius .... 89

IX. .T.Keil, Meter Hipta 102

X. R. Weißhäupl, Die Brunneninschrift von Lusoi . 104

XI. J. Weiß, Eine Brunneninschrift aus Adamklissi (Dobrudscha) 114

XII. P. Kret Schmer, Zur griechischen Wortkunde 118

XIII. A.Wilhelm, Parerga 125

XIV. W. Weinberge r, Die griechischen Handschriften des Prinzen Eugen von Savoyen 137

XV. R. Kauer, Textkritisches zu Terenz 145

XVI. A. Engelbrecht, Zu Catulls Passer 150

XVII. E. Kaiinka, Catulls LI. Gedicht und sein Sapphisches Vorbild .... 157

XVIII. K. Prinz, Zu Properz 1G4

XIX. H. Jurenka, Horatiana 175

XX. R, C. Kukula, Die sechzehnte Epode des Horaz 179

XXI. F. Ladek, Die römische Tragödie Ociavia und die Elektra des Sophokles 189

XXII. A. Scheindler, Eine noch unbenutzte Sallusthandschrift 200

XXIII. E.H auler, Zum Sendschreiben des Catulus und über die Consilia des Asinius PoUio 213

XXIV. J. Kromayer, Heirkte. (Mit 5 Abbild, u. 1 Karte) 225

XXV. J. Mesk, Der mauretanische Feldti^ug unter Antoninus Pius 246

a

VI

Seite

XXVI. E. Groag, Alexander in einer Inschrift des 3. Jahrhunderts n. Ch. . . . 251

XXVII. A. V. Premerstein, Die Dreiteilung der Provinz Dacia 256

XXVIII. L. "VVenger, Zu den neuen Oxyrhynchus Papyri 270

XXIX. St. Braßloff, Der Amtstitel der städtischen Quaestoren 277

XXX. .1. Scholz, Ein Beitrag zu den Münzen von Grimenothyrae-Phrygiae . . . 283

XXXI. L Radermacher, Der Knäuel Ariadnes 285

XXXII. E. Reise h. Zu den Friesen der delphischen Schatzhäuser. (Mit 1 Abbild.) . 293

XXXIII. P. BieükoAvski, De ephebi Attici capite Cracoviensi. (Cum 8 üg. et 1 tab.) 302

XXXIV. H.Sitte, Zur Niobide der Banca Commerciale 307

XXXV. E. Bormann, Aus Pompeji 309

Register 317

Erklärung der Titel vi gn et te ^4

Philodem und die aristotelische Poetik.

Von THEODOR GOMPERZ.

Die Wahrnehmung, daß in des Epikureers Philodem Werk „Über Gedichte" eine Polemik gegen einige Grundlehren der aristotelischen Poetik enthalten ist, habe ich einst in einem Bericht über die herkula- nischen Rollen (Zeitschr. für die österr. Gymnasien , 1865 , Heft 10, S. 719 f.) verzeichnet. War es die Schuld meiner allzu zaghaften An- deutungen oder des Mangels an breiterer Ausführung meiner Ergebnisse jedenfalls sind diese, so viel ich sehen kann, vollständig unbemerkt und unbeachtet geblieben. Ich glaube daher, auf die nicht aller Wich- tigkeit entbehrende Tatsache noch einmal in etwas größerer Ausführ- lichkeit zurückkommen zu sollen. Inwieweit der betriebsame epikureische Literat mit dieser Bestreitung aristotelischer Theorien auf eigenen Füßen stand, inmeweit er einer Schultradition gefolgt ist, das wird sich mit den uns zu Gebote stehenden Mitteln schwerlich entscheiden lassen ; daß aber seine polemischen Äußerungen auf Aristoteles gemünzt sind, das läßt sich, wie ich meine, mit voller Sicherheit erweisen, nicht minder, daß sie wirkliche Schwächen und Einseitigkeiten der aristo- telischen Kunsttheorie mit sicherer Hand aufdecken.

Es handelt sich um die Trümmer eines Bestandteils des obge- nannten Werkes, die Voll. Hercul. Collectio Altera II. Fol. 148 bis 158 nachgebildet sind. Das mir vorliegende Faksimile des Oxforder Apo- graphon dieses Papyrus, Nr. 207, enthält dieselben Blätter mit Ausnahme der Kol.II. Wie gewöhnlich ergänzen sich beide Abschriften, doch ist die Überlegenheit von 0 diesmal weniger offenkundig als in den meisten Fällen. Sogleich im Titelblatt kompensieren sich Vorzüge und Mängel der beiden Abschriften. Die in N erhaltenen Reste der Buch zahl (J mit einem

Wiener Eranos. 1

2

darüber geschriebenen ^, d. h. wohl: vierte Abteilung des ersten Buches) fehlen in 0, während in diesem die Zeilenzahl durch den erhaltenen Oberstrich des 77 vor J (d.h. 50) nach dem gleichmäßig erhaltenen . . . XX = 2000 deutlicher bestimmt wird. Die Anordnun«: und der Bestand der Blättchen weist Abweichungen auf, indem K II in 0 fehlt, NIY = OIL X V = 0 IV, X VI = OV, X YII = 0 VI, X VIII = 0 VII, X IX = 0 VIII und X X = 0 IX ist. Dieses scheint das letzte Blatt des Buches gewesen zu sein, da das stets am Schluß befindliche Titelblatt in 0 mit 10 bezeichnet ist. Da zwar jedesmal der Oberrand, in keinem einzigen Falle aber der Unterrand und wohl kaum jemals mehr als die Hälfte der Kolumne erhalten ist, so wäre es ein vergebliches Bemühen, den Fortgang der Erörterung ermitteln zu wollen.

Es war vor allem die nicht ohne eristische Beflissenheit durch- geführte Vergleich ung von Epos und Tragödie im Schlußkapitel der Poetik, die den Widerspruch des Epikureers herausgefordert hat. Ich hebe zunächst die entscheidende Stelle hervor und setze ihr die ent- sprechende aristotelische Äußerung gegenüber.

Kol. VI X = VO Mitte

12 ovdt 7tdv(r)a

13 iv T:i]i rqa(y)widiai (a) zal

14 iv i'/c(el)vijL^ ToivavTiov

15 d^ oi'x vTtaQyuv^ dXXä tä(f.i-

16 7caXiv df^wd-r^fd-f oaa neQi-

17 kaf.ißdveiv (fvaewg eqya

18 y>a(l) tv/rig yial d^ewv ymI tcuv

19 r)o(Sa)7tcov Ccüto(v) a

20 od övvad-^ fj rQaycüL(dlJa^

21 7th)p e(7z d)/dy(ov . . .

Aristot. Poet. c. 5 fin: a uiv yaQ tTtoTtOLia iyßi^ vTtaQxei tij tqcc- yoßdlcc^ a de avti]^ od Ttdvta iv r[] STtoTtoua und c. 26 (1462a, 14 f.) eTieira diön (1. ian d^ ijtel rä) Ttdvr^ i'xei oaa tieq i] iTCOTtoila (nämlich die Tragödie steht höher als das Epos, wenn gewisse, ihr im Vorangehenden vorgeworfene Fehler ihr nicht mit Xotwendig- keit anhaften und sie überdies die nachfolgenden Vorzüge besitzt).

Ich hcibe in diesem wie in den später mitzuteilenden Textes- stücken die Lesarten von X und 0 kombiniert, die Ergänzungen von Lücken und an einer Stelle auch die Berichtigung einer, wie ich annehmen muß, irrtümlichen Schreibung in runde Klammern ein- geschlossen. Mein a in Z. 13 nämlich beruht auf Konjektur, da nur X eine Lücke, 0 hingegen ein T mit darauffolgendem leeren, für einen Buchstaben ausreichenden Raum darbietet. Liegt hier nicht ein Fehler Hayters oder meines Kopisten (Cohen) vor, so stand im Papyrus wenig sinngemäß: ovdi Ttdvta | iv rf^i xqaycodiai %e xal iv iyMvrii. Buchstabenreste, die nur eine Deutung gestatten, habe ich

durch die entsprechenden unverstümmelten Buchstaben ersetzt. Hier ist die Entscheidung freilich nicht immer eine unbedingt sichere. Das zweifellos richtige TtavtodaTtdjv Z. 18/9 habe ich aus Resten gewonnen, die in N wie folgt aussehen: Tl^N \ . NO . . uiE^JSy in 0 hingegen:

n^N I . . NommiN.

Um zunächst den Zweifel zu beschwichtigen, ob hier in Wahr- heit die von mir vorausgesetzte Polemik vorliegt, will ich denselben Parallelismus zwischen dem Inhalt des unmittelbar vorangehenden Bruchstückes mit einem anderen Teil jener aristotelischen Erörterung nachweisen.

Kol.YX = IVO

13 ä'llä fiir^v zal tö) Xe-

14 yeiv xbv ri(Q)wiov o(TL)yov (dv-

15 %i Tcöv TQCcyr/.cüv i(x£0^'-) (o^'^-

16 y.)ei(a)9^aL yaQ ex 7zävT(o)v ^le-

17 rQco(i' T)t)p TQaya)td(la)v . . .

18 .... dL(8)xpevoiai ....

19 (oci)xoLS xrii xa-

20 Taöxe(v)r^L Ttaqä Tolg 87to(7toi-

21 olg zdv) Talg TQayv)(iöiaig

Aristoteles 1.1.1462 a 15 xal yäo tu) fievQci) e'^eoTi xqUiöS^cci

und c. 5, 1449b 10 TU) de Tb fisTQOv ärckovv e%£iv xal aTtayyeUav eivai^ TavTt] dtacpeQOvoLV

Mit der Bestreitung der These, daß die erzählende Darstellung für das Heldengedicht charakteristisch sei, indem hier nur ein Unter- schied des Grades obwalte man denke an die Botenberichte im antiken Trauerspiel und an die von Aristoteles (Poetik c. 24) so warm befürwortete dramatische Gestaltung auch des Epos damit beschäftigt sich der Oberteil der Kolumne, in deren ersten Zeilen ich leider nur einzelne Worte, wie uTioxQiTal .... (ä)Tceq avtög . . . (djuet- ßö/.ie(voL?) . . . 7t(Q)dTve(iv zu erkennen vermag. Dann folgt:

6 xdv (uTjO £7i(o7toii)a xdv Ta(lg

7 TQayioöiaig^ (ä)oTe ov tfig

8 /.dv TQaycoö(i)ag t6 te d-

9 7tayye(Xl)eiv dyy(e

10 loig (x)ai tv

11 Tolg älloig (e)v i'-

12 7te(aL) (.i()(vov d7tayy)kX-

13 Xuv dXX xal

14 daipiXtaceQov (d7z)ayyeX-

15 Xtiv. d'kkd (.irjv xrk.

1*

4

Zur Textgestaltung sei das Folgende bemerkt. Z. 6 führt das in beiden Kopien erhaltene ol auf zäv zolg tTteGi. aber das gleichfalls hier und dort erscheinende a vor zäv valg auf xdv ttil eTioTtoiia. Z. 9 widerspricht das i am Schluß der Zeile in 0 dem von uns ver- muteten äyye^.oig. Ebenso Z. 12 teX am Schluß der Zeile in 0 unserem vom Zusammenhang, wie es scheint, geforderten d7tayye?.keLV. Z, 13 folgt auf «/r in N OBIOIC . . PQK^I, in 0 OMOIC^ . . onK^I. Endlich habe ich Z. 14 f. o.Tcayykk'kEiv geschrieben, während N TOT ATTEA \ AEIN und 0 TO . TArrEyl \ ylElN darbietet. So zweifelhaft hier das Einzelne ist, der Widerspruch gegen die aristotelische Behauptung, die aTvayyeXia bilde ein das Epos von der Tragödie unterscheidendes Merkmal, liegt klar zutage; am deutlichsten spricht ()"aT//iAf(jr£^oj' dafür, daß nur das Vorhandensein eines quantitativen Unterschiedes behauptet wurde. Im übrigen verweise ich auf meine am angegebenen Orte mit- geteilten Restitutionsversuche zu den übrigen Kolumnen. Zur Polemik gegen die aristotelische These, daß die Tragödie sich auch des heroischen Versmaßes bediene, gehören fast sicherlich die Worte (Kol. VII N = VI 0, Z. 10) ycal h^af-dx^w y,(al \ TtavTL (.ie(TQ)cüt xQco(.iiv(7] 'Aa)td töv TovTOv Xoyov xal (7tQoo\eLkri(pvla (.leXoTCo'iav (£l-\'/A)tü)g av vof.ii'QoLto . . . (Ich hatte damals in genauerer Übereinstimmung mit den erhaltenen Zeichen, aber weniger sinngemäß und überdies mit einem schweren Hiat xatTOL eiXifjcpula geschrieben.) Gegen die auch dem modernen Leser so auffällige Vernachlässigung des schauspielerischen Elementes in der aristotelischen Poetik wenden sich wahrscheinlich die von mir dort mitgeteilten Stücke aus Kol. VIII und IX.

Ich kehre zum Ausgangspunkt dieser Erörterung zurück. Um das Verständnis nicht eher zu verwirren als zu fördern, habe ich den zerrütteten Oberteil der wichtigen Kol. VI N ==: V 0 vorerst zurück- behalten. Ich vermag sie nur in unsicherer und unvollkommener Weise zu restituieren; mögen andere darin erfolgreicher sein! Ich setze das Wenige hierher, was trotz des unvollständigen Zusammen- hanges wenigstens durch einige Schlagworte auf Sinn und Grehalt der Stelle ein wenngleich mattes Licht wirft.

1 ev)deyou(iv)aLg eb-

2 QLO )yx(T)aL TQay(wdia

3 ([Jö TToXv

4

5 (^^Os T^(d

6 f.i(x(XLöTa) ov ^(6-

7 vrj (TQayü))idla juerä T(fig

- 5

8 älX(rig 'ÄOLvJovrjrog (?)

9 7tQooS-)eTeov ti)v d-

10 7cayy(elia)v log ih6qi(ov

11 Ttjg (dywvOaTixfjg (?)^ dlX' d(v-

12 TiaTQ(ö)(pa)g oöds 7iäv(T)a xtL

Die Hauptsache ist diese. Philodem widerspricht der aristotelischen Behauptung: die Tragödie besitzt alles, was dem Epos eigen ist, und übertrifft es durch ein Mehr an Kunstmitteln ein Mehr, das in den „Würzen" der Darstellung, in dem von Musik begleiteten Gresang und im szenischen Apparat, außerdem aber auch in der Verwendung mannigfacher Versmaße bestehe ; könne doch der Tragödiendichter sogar das dem Epos eigene Versmaß, den Hexameter, verwenden. Die letzte dieser Aufstellungen, die ein äußerst selten begegnendes Vor- kommnis ungebührlich verallgemeinert, ist vom Epikureer, wie wir sahen, mit der ihm eigentümlichen Schärfe zurückgewiesen worden. In dem eingangs mitgeteilten Unterteil der jetzt besprochenen Kolumne aber spielt Philodem seinen Haupttrumpf aus. Es stehe gerade um- gekehrt, als Aristoteles behauptet. Der Stoff kreis des Epos sei ein umfassenderer als jener der Tragödie. Jenem stehe es frei, Natur- vorgänge und zufällige Geschehnisse, ferner aber auch das Tun der Götter und Handlungen der Tiere darzustellen. Damit trifft der Vertreter der epikureischen Ästhetik ein wirkliches Gebrechen nicht nur der aristotelischen, den Vorrang der Tragödie verfechtenden Beweisführung, sondern der Kunstlehre des Stagiriten selbst. Freilich ist dieses Gebrechen nur die Übertreibung einer Wahrheit. Menschliches Tun zu dem allerdings auch der von Aristoteles vernachlässigte Ausdruck menschlichen Empfindens, der Gegenstand der von ihm hintangesetzten Lyrik gehört bildet sicherlich das Großteil poetischer StofPe über- haupt. Die bloß deskriptive Poesie, die Tierfabel und die rein mythologischen Dichtungen treten daneben zurück und durften füglich an die zweite Stelle gerückt werden. Allein Aristoteles geht weiter. Er bezeichnet schon nahe am Anfang der Poetik „Handelnde" als das Objekt der Dichtung; und daß er dabei ausschließlich an handelnde Menschen denkt, das zeigt die anläßlich der Spaltung der verschiedenen Dichtungsarten daran geknüpfte Scheidung der Handelnden in edle und gemeine (vgl. Poetik c. 2 in. 1448a Iff. und c. 4, 1448b 24ff.). Gegen diese Einseitigkeit Einsprache erhoben zu haben, darf als ein wirkliches Verdienst des Epikureers gelten.

Zum Schluß noch eine Vermutung. Aus Kol. IV N = II 0 habe ich, was mir damals verständlich war, in meinem alten Aufsatz

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hervorgehoben. Doch möchte ich diesen Anlaß zu einem vielleicht nicht bedeutungslosen Nachtrag benützen. Die soeben erwähnte, gewiß anfechtbare aristotelische These, daß der Betrieb der Poesie sich nach der moralischen Sinnesart ihrer Pfleger gespalten habe, scheint dort gleichfalls von Philodem bestritten zu werden. Die Worte der Poetik lauten, wie folgt: ÖLeoTtdad^r^ di %aTa tcl oHela r^drj i) Ttolriaig' ol ^liv yaQ GE(.ivÖTeqoL rag xakäg e(.nf.iovvTO Ttgä^eig ymI rag twv tolovtwv^ ol de tvTeXeoTEQOi tag tmv q^avhov, wobei auf den Gegensatz zuerst zwischen Jamben- und Hymnendichtern, dann vornehmlich von Tragödien- und Komödiendichtern hingewiesen wird. Dazu stimmt es sehr wohl^ wenn hier der Jambendichter par excellence, Archilochos, und der vornehmste Komödiendichter miteinander verbunden erscheinen und einem Vertreter jener aristotelischen Ansicht, der behauptet hatte,

5 ävd-Q(ix)7t)iVÄo(T)iQag M(Q)y(i-

6 Ao[t]xov ('/.al) 34Qi(JTOff(d-

7 vjriv iLt£f.i(€c)!iifio^aL 7iQä'^ei(g' entgegnet wird:

8 wv (6) (.itv 34QyJ?^oy/())g ov-

9 d^ dv ^lef^ieififiG^ai ....

10 ... (()) ö^ 34(Q)iazorfid-

11 vrig (d)u(O^rix) ev Ttdvua^ ((pav-

12 X6(T£Qa) (?) YMT avihv llavoix)-

13 vog fiejULfiTj^ievov^ Tcghg

14 Ttoi (.iriv ercog elvai (.liire

15 TQ(xy(ßidia(v) ttjv ziouco-

16 diav 'jial T(o)vg idfußorg^ v-

17 TTSQ wv fj (CtjJzT^aig ('^v. S(fi-

18 Xov ovv zara

19 TU (G)e{.iv6TE(Q0v {.ief.i)i(.n]a-

20 d-)a(i (.i)ad^i]Tr)g (?)

21 (^o(p)oy.Xea ...

(Z.9/10 möchte man etwa liyoiTo oder öoy.oi einsetzen, doch wider- sprechen dem die erhaltenen Zeichen JIEC\TOI^ ... in 0, JIE\nE in N. Z. 11 habe ich öied^rf/ aus XIE in 0, A^ . . . in N gewonnen, Z. 20 entspricht mein Anfangsbuchstabe -^ einem T der Apographa.)

Geradezu entscheidend scheinen mir hier die in 0 erhaltenen Reste von öe(.iv6teqov. Auch der Einwand, daß bei Archilochos von i^d^riGig im aristotelischen Sinne (nämlich von einem Darstellen irgendwelcher Handlungen) überhaupt nicht die Rede sein könne, paßt aufs trefflichste in den von mir vermuteten Zusammenhang. Der Gegensatz des Rhy-

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parographen Pauson zu Aristophanes (und seinem lyrischen Schwung?) ist wohl verständlich, zumal die zwei Zeitgenossen in der Poetik als Vertreter des niedrigen Stiles erscheinen (c. 2). Nicht minder die Her- vorhebung des spezifischen, nicht bloß in den Objekten der Darstellung beschlossenen Unterschiedes zwischen den einander gegenübergestellten Dichtungsarten. Was wohl der Name des Sophokles am Schluß des Bruchstückes besagen soll? Vielleicht hat Philodem im folgenden vom Satyrspiel gehandelt und davon, daß dieselben Dichter, darunter auch der Musterdichter Sophokles (vgl. Arist. Poet. c. 3, 1448a 26), im hohen Stil der Tragödie und in dem der Komödie so nahe verwandten Satyr- spiel heimisch waren und dadurch vollends die Haltbarkeit der aristo- telischen These widerlegt haben. Ist das in N erhaltene (iJ.)ad^r(rrig richtig, so ward wohl auf eine Lehre Theophrasts angespielt, der für Philodem der „Jünger" des Stagiriten zar e^oxrjv ist (vgl. Zeitsch. f. öst. Gymn., 1865, Heft 11, S. 816).

Die oben erörterte Polemik Philodems gegen die aristotelische „Poetik" habe ich jetzt in wenige Sätze zusammengefaßt in „Griechische Denker" III, 328.

Piiidars Päari für die Abderiten.

H. V. ARNIM.

Unter den Päanen Pindars, die von B. P. Grenfell und A. S. Hunt 1908 im 5. Bande der „Oxyrhynchus Papyri" herausgegeben wurden und auch bereits in Otto Schroeders Pindari Carmina cum fragmentis selectis Teubn. bibl. 1908, p. 273 f. Aufnahme gefunden haben, erweckt neben dem sechsten (der durch seine Beziehung zum siebenten neme- ischen Gedicht interessiert) der zweite, den Abderiten gewidmete, durch seinen geschichtlichen Gehalt das größte Interesse. Es soll hier der Versuch gemacht werden, Lesung und Erklärung des Gedichtes durch ein paar Einzelbeobachtungen zu fördern.

Das aus drei Triaden bestehende Gedicht ist in der Weise verstümmelt , daß von der ersten Triade die zweite Hälfte der Strophe samt der ganzen Antistrophe verloren ist , von der dritten Triade ebenfalls der Schluß der Strophe samt der ganzen Antistrophe, während in der zweiten Triade von der Strophe sämtliche Zeilenan- fänge fehlen, aber durch Kombination der erhaltenen Zeilenenden mit den Marginalscholien der Gedankengang (wenn auch nicht der Wort- laut) rekonstruiert werden kann.

Die geschichtlichen Anspielungen des Gedichtes beziehen sich teils auf die zur Zeit der Vorfahren bei der Gründung von Abdera und später geschehenen Kämpfe, teils auf einen zur Abfassungszeit des Päans den Abderiten bevorstehenden schweren Kampf, für welchen die Hilfe des Heilgottes anzurufen und den Abderiten Mut und Hoff- nung einzusprechen Hauptzweck des Gedichtes ist.

In erster Linie richtet sich das Flehen des Chors an den in Abdera mit dem Kultbeinamen Derainos verehrten Apollon, der gleich im Anfang der ersten Strophe genannt wird. Ihm gilt das TtaiavLKÖv eTtiQQTjt^ia^ das am Schlüsse jeder Triade wiederkehrt. Die dritte Epode

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sclieint zu beweisen, daß der Dichter diesen Apollon mit dem pythischen Apollon von Delphoi gleichsetzte. Doch lassen die erhaltenen Worte •der ersten Strophe

Idovi tÖvöe law Ttaiäva diio^o) Jr^QaLvov 247i6X)M)va jtccQ x 24cpQo(^diTav deinem Zweifel Raum, daß der Päan zur Aufführung nicht in Delphoi, sondern in Abdera selbst, im Heiligtum des Apollon Derainos (vgl. Ttaq) bestimmt war. Neben Apollon , dem das Lied vorzüglich gilt , wird aber auch Abderos, der ^i]QO)g 'ATiarrjg von Abdera, als Sohn des Poseidon und der Quellnymphe Thronia angerufen ; und zwar beginnt und schließt der Päan mit der Anrufung des Abderos. Der Anfang des Gedichtes : NatSog Qooviag ^^ßdr^oe yaly.od^vjoa^ Ilooeiöävög ts tcol,

(^oe&yev ^IdovL rövde Xmo 7taiäva öuo^o) z/tJQan'ov ^Tto'kXLova tzuq t 2dcpQodLTav

beweist, da olO^ev als sichere Ergänzung der englischen Herausgeber anerkannt werden muß , daß Abderos nicht als Heilgott angerufen, sondern nur honoris causa mitgenannt wurde.

Vielfach begegnet in dem Päan die erste Person des Singularis. Diese muß m. E. überall, wo sie vorkommt, auf dieselbe Person, und zwar auf die durch den Bürgerchor dem Gotte gegenüber repräsentierte Bürgerschaft von Abdera bezogen werden. Da vaito Yers 24, t.ioL Yers 26, vEÖrroXig eiui Vers 28, ^/«ro5g e/iiäg Vers 29, /naQvauaL Vers 39 nur auf die Abderiten bezogen werden kann, muß duo^co Vers 4 und iuol Vers 102 ebenso gedeutet werden. Unmöglich kann man annehmen, daß an einzelnen Stellen der Dichter mit „ich" von sich redet. Der Bürgerchor von Abdera, der bei einer städtischen öffentlichen Festfeier die Schutz- göttin der Stadt um Beistand anruft, konnte von Pindar nicht, wie ein Chor bezahlter Berufssänger, als bloßes Sprachrohr benutzt werden. Er mußte im eigenen Namen reden, freilich nicht im Namen der ein- zelnen Choreuten , aus denen sich der Chor zusammensetzte , sondern im Namen der nöhg^ die er dem Gotte gegenüber vertritt.

Nach der großen Lücke, die nebst der zweiten Hälfte der ersten Strophe die ganze erste Antistrophe verschlungen hat, folgt vom An- fang der ersten Epode an eine gut erhaltene Partie : TLva (^rdvöey vaUo

Qqr^'i'/Äav y^^aiyav äf-i7teX6(^eo')0(xv xe v.al

ehiaoTrov urj f.ioi /ueyag I'qtvwv yM/noi e^OTtiow xqövog eiuvedog.

veoTto/Jg eluL /.iccTgög de (.lareQ ifiäg er(^acpyov etiTtav

7toXefil<i) Ttvql 7cXayelGav ' ei de xig dq^eojv (piXoLg

10

5 eyßQolGi rqaxhg vTcavnä^ei,

fAÖyßog fjGvyJav (fSQSL ymlqw VMtaßaivwv. Ir^'ie TtaidVf Irjie Tzaiav d^. f^irjTzoTS XeiTtoi.

Der Text ist vortrefflich erhalten und bedurfte nirgends einer Nachbesserung, außer in dem dritten der ausgeschriebenen Verse , wo ich statt des sinnlosen überlieferten ere%ov nicht mit den englischen Herausgebern , denen auch 0. Schröder folgt , htidiw , sondern STaq)ov geschrieben habe. „Ich bewohne diese thrakische Erde , die reich an Weinstöcken ist und trefflichen Feldfrüchten. 0 möchte mir unermüd- lich in Zukunft die gewaltige Zeit heranschreiten immerdar! Ich bin noch eine junge Stadt; aber meiner Mutter Mutter hab' ich dennoch (schon) mit staunendem Schrecken von feindlichem Feuer zerschmettert gesehen. Doch wenn einer schützend die Seinen den Feinden trotzig entgegengeht, das ist eine Mühsal, die zum Frieden führt, wenn sie rechtzeitig den Kampfplatz betritt."

Passend schließt sich an das Lob der Heimat, ihrer Weinstöcke und Fruchtfelder der innige Wunsch, sich diesen schönen Besitz auch für alle Zukunft erhalten zu sehen, dessen Äußerung hier um so be- greiflicher erscheint, weil wir aus dem weiteren Verlauf des Liedes wissen , daß Abdera damals gerade einem schweren Kampfe entgegen- sah. Die folgenden Worte, die, wie schon die englischen Herausgeber erkannt haben, auf die Zerstörung Athens durch Xerxes 480 zu be- ziehen sind (Teos die Mutter von Abdera, Athen die Mutter von Teos), hängen mit dem vorausgehenden Wunsche dadurch zusammen, daß die Zerstörung Athens , der um soviel größeren und mächtigeren Stadt, den Abderiten bei der bevorstehenden Kriegsgefahr Besorgnisse einflößen könnte. Das Schicksal, das Abdera, obgleich damals kaum siebzig Jahre alt (gegründet von den durch Harpagos' Zug gegen die Jonier um 545 vertriebenen Teiern), schon über das ihm verwandtschaftlich nahe- stehende, mächtige Athen hat hereinbrechen sehen, könnte auch Abdera selbst ereilen. Die Größe der Gefahr gibt der Dichter zu , aber nur um im folgenden um so entschiedener den Abderiten die Zuversicht einzuflößen, daß sie durch Eintracht im Innern und durch energische Abwehr der feindlichen Angriffe die Gefahr überwinden können.

Bevor wir die Frage stellen, auf welche Zeit diese Anspielungen für die Entstehung des Gedichtes führen, müssen wir über die Lesart handeln. Nach dem überlieferten Wortlaut :

f-iaTQog öi f-iareQ if-iäg svETiOv e/nTtav Ttoleiiiq) jcvQi TtXayeLGav würde sich Abdera rühmen, die Stadt Athen, die Mutter seiner Mutter,, als sie von den Persern eingeäschert war, neugeboren zu haben. Den

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Gelehrten, die sich bisher über diese Stelle geäußert haben, ist m.'E, mit vollem Recht, auch ganz abgesehen von allen sachlichen Bedenken, diese bildliche Wendung vom Standpunkte des poetischen Stils als absurd und unmöglich erschienen. Daß Abdera seine Großmutter ge- boren habe, ist eine so abgeschmackte Vorstellung, daß wir sie selbst als Witz Pindar nicht zutrauen können. (Vgl. Fraccaroli in seiner Anzeige der englischen Ausgabe Rivista di Filol. e d'Istr. class. XXXVII, 1). Noch größer aber sind die sachlichen Bedenken. Unmöglich können wir annehmen, daß Abdera bei dem 479 erfolgten Wiederaufbau des zerstörten Athen eine so erhebliche Hilfe geleistet habe , daß ihm Pindar, ohne sich und es lächerlich zu machen, die Rolle einer Mutter- stadt des wiedergeborenen Athen hätte zuschreiben können. Man kann weiter gehen und behaupten , daß eine Athen bei dieser Gelegenheit von Abdera geleistete Beihilfe auch nur der bescheidensten Art ganz unwahrscheinlich ist. Denn nach Herodot VIII, 120 stand Abdera noch nach Salamis treu zu den Persern , nahm den auf der Flucht befind- lichen Xerxes gastlich in seinen Mauern auf und erhielt von ihm als Gastgeschenk einen goldenen Ehrensäbel und eine vergoldete Tiara. Die Abderiten erzählten dem Herodot, bei ihnen habe Xerxes auf seiner Flucht zum erstenmal Station gemacht cog ev ädeirj hov. Daß schon gleich nach der Schlacht von Plataiai Abdera seine politische Stellung geändert und sich eng an Athen sollte angeschlossen haben , ist ganz unwahrscheinlich. Noch lange blieb in diesen Gegenden der persische Einfluß vorherrschend und wurde erst durch den thrakischen Feldzug Kimons 476/5 gebrochen. Nicht gleich bei der Gründung des delisch- attischen Seebundes sind wohl Abdera und die anderen thrakischen Städte dem Bunde beigetreten, sondern erst nach der Eroberung von Ei'on. Diese Erwägungen machen es ganz unwahrscheinlich, daß Ab- dera überhaupt bei der Wiedergeburt Athens Beihilfe leistete. Wenn wir also evexov wegen seiner Absurdität für verderbt halten , werden wir als Ersatz dafür nicht einen Ausdruck für „ich unterstützte" suchen (Fraccaroli sagt: bisognerebbe che invece di etevMv si potesse trovare un altro verbo del senso di soccorrere, risarcire), sondern mit den englischen Herausgebern einen Ausdruck, der besagt, daß Abdera die Zerstörung Athens „erlebt" hat. Wenn ich statt eTcidov lieber eiacpov schreiben möchte, so ist es nicht nur, um den überlieferten Schrift- zeichen etwas näher zu bleiben und die Verderbnis durch Lesefehler begreiflich zu machen , sondern auch weil Abdera m. E. nicht sagen kann, daß es die Einäscherung Athens mit eigenen Augen mitangesehen hat. Einige Abderiten mochten sich ja in dem Heere des Xerxes be- finden, hier aber muß ein Ausdruck stehen, der auf Abdera als Ttöhg

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paßi:. Den Aorist eracpov verwendet Pindar auch Pyth. IV, 95 = ,.ich erschrak'', wenn er von Pelias, der den Jason erblickt, sagt: idcpe ö^ auTixa TzaTtTrivag dQLyvojTOv TteöiXov SE^iveoit) fiövov djLKpl Tcodi . %Xe7tvcov de d^vfiq) detua 7rQ0GrjveTce usw. Mit öeliia wird hier zäcpe aufgenommen. Dadurch ist die Bedeutung „erschrecken"' gesichert. Den Objektsakkusativ TteöUov wird man hier von 7ta7CTrivaig abhängen lassen; daß aber auch zacpelv^ ced^rirchat einen Objekts akkusativ zu sich nehmen kann, zeigt Hom. Od. L, 168.

In welche Zeit führt uns nun diese Anspielung? Um welche Kämpfe Abderas kann es sich handeln ? Mir scheint die Art, wde Athen erwähnt wird, auf eine Zeit zu deuten , wo Abdera zw^ar schon Sym- pathien für Athen, die Befreierin der Jonier, empfand, aber noch nicht als Mitglied des delisch-attischen Seebundes unter dem Schutze Athens und dieses Bundes stand. Aus der Wendung (.icciQog Sa (.laveQ ijnäg fühlt man heraus, daß, als Pindar die Abderiten so singen ließ, Abdera sich nicht mehr als Untertanenstadt des Großkönigs fühlte, daß also die Schlacht von Plataiai sicher bereits geschlagen war. Man erblickte bereits in Athen die Vormacht des Jonertums und war stolz auf seine Abkunft von der Mutter stadt Joniens. Andrerseits war man doch, wie aus dem w^eiteren Verlauf des Gedichtes hervorgeht, für die Ver- teidigung der Stadt noch ganz auf die eigene Kraft angewiesen. Das führt auf die Jahre vor Kimons thrakischem Feldzug und der Eroberung von Eion , auf die Jahre 478 476 , die für die Griechenstädte der thrakischen Küste als Übergangsjahre anzusehen sind. Die Bedrohung der Stadt kann entweder von den umwohnenden Thrakern ausgegangen sein oder von den Persern in Eion und anderen Plätzen der thrakischen Küste. Es konnten auch die Perser mit den Thrakern gemeinsame Sache machen, wie es nach Plut. Kimon cp. 7 während der Belagerung von Eion tatsächlich geschah. Als Ursache für Kimons thrakischen Feldzug erwähnt Plutarch a. a. 0. ausdrücklich: Tti'v&avöjuevog IleQOcdv ävÖQag ivöö^ovg "Hwva yMiexorzag evo^Xelv Toig Tteql tov tÖtcov 6y,Elvov "Ellrioi. So unbestimmt dieser Ausdruck ist, zeigt er doch, daß die Perser sich keineswegs darauf beschränkten, Eion, Doriskos und andere feste Plätze Thrakiens besetzt zu halten, sondern noch immer eine Art von Herrschaft über die Griechenstädte Thrakiens aus- zuüben suchten , wodurch mit den Städten , w^elche national gesinnt waren und die Fremdherrschaft nicht mehr dulden wollten , Konflikte entstanden. In diese Zeit und in diesen Zusammenhang scheint mir unser Päan zu gehören. Wenn wir annehmen , daß es sich um einen Kampf gegen die Perser handelt, gewinnt die besprochene Anspielung

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auf Athen an Bedeutung. Es lag näher, den Kampf der x4.bderiten mit dem Athens in Parallele zu stellen, wenn es sich um denselben Feind, den Erbfeind der griechischen Nation handelte. Vorzüglich paßt zu dieser Annahme, daß nach den Schollen zur Strophe der zweiten Triade die Feinde über ein besonders gutes Reiterkorps verfügten. Auch die in der Epode der dritten Triade ausgesprochene Hoffnung der Abderiten, der jetzt bevorstehende Krieg werde der letzte sein und endgültig Glück und Frieden herbeiführen: 'Aal OTQaTÖP \7i7tox(iqf.iav evSyia TeXevTaiii) TtoXsixii) TtQoßißd^oLg paßt gut dazu. Es handelte sich eben um die Abschüttelung des letzten Restes der Perserherrschaft. Handelte es sich um Konflikte mit den Thrakern, so könnte ein definitiver Abschluß der Kämpfe nicht so be- stimmt in Aussicht genommen werden. Auch die Erwähnung innerer Zwistigkeiten der Bürgerschaft von Abdera in dem Scholion zur zweiten Antistrophe mrd verständlicher, wenn wir das Gedicht auf einen Kampf gegen die Perser beziehen. Wir werden annehmen dürfen, daß auch in Abdera , wie in so vielen anderen Städten, die konservative Adels- partei perserfreundlich, die demokratische Partei athenerfreundlich und national gesinnt war. Dann hatte der Dichter um so mehr Veranlassung, das Volk von Abdera zur Zurückstellung der inneren Zwistigkeiten und zu einmütigem Zusammenstehen in der Stunde der Gefahr durch sein Lied zu mahnen.

Es folgt nun die Strophe der zweiten Triade^ von der, wie schon bemerkt, nur die Versenden erhalten sind. Mit Hilfe der Marginal- scholien kann man ihren Gedankengang ungefähr so rekonstruieren : [„Stark ist zwar der Feind] , aber durch tapfere Gegenwehr wird ja die Mauer des Volkes erhöht gegen gewalttätigen Angriff (äh/M öe

Telxog dvÖQcov { T^at (^tvotI xa y.aQveqd}) , ich kämpfe mit

guter Zuversicht gegen die Feinde (iLidQvajuat f.idv (^O-aQaeojv (pqhay ödoig)^ das neptunische Geschlecht der Rosse bildet meine Stärke ((lo^vg To) UoGELÖdvLOv yevog (JiTtTtcov etiioiy). Denn den Gegnern in dem, was ihre Stärke ist , es zuvorzutun , das verspricht des Sieges Glanz (Schol. : voTjua toiovto ' iv oig yaQ diacpeQeiv öo'äovolv ol dvTiTtaXoL vMTä 7TA')XeLiov, TüvTa EY.TtovEiv dya^ccg vTcovi^erai vr/.rig elTtidag = riov yäo ävtouei'iov (^rd So/Jovray (peQEGd-ai (^vr/,rjg SfcoQevy ötXag).

Weiter scheint dann von dem Xeide eines Gottes die Rede zu sein (f.iavi€L , schol. = cp^ovel) , den Abdera nicht zu fürchten braucht. Der fehlende Anfang der zweiten Antistrophe enthielt, wie das ver- derbte Scholion zeigt, den Gedanken: „Möge nicht Übermut die Bürger unserer Stadt entzweien, möge Hader und Zwietracht lieber unter den

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Eeinden, die uns angreifen, ausbrechen (Xa<^> e^'^ vßQLOai zovg ev zij TtöXu \j=:'kaov affTcSv], GTaatd^owag di xal (^dtayTtoXirevovTag tcoXXoj f.iäXlov Tovg eTCYjlvdag eTtiTideod^aL)." Und nun folgt gut erhaltener zusammen- hängender Text:

Antistr. B Tb d'evßovkia te y.al alöol

eyy.eluevov aiel &dlXEi f.iaXay.alg evcUaig. /ML fxev ölSötw d-eog ' o S'ixO^Qcc vo7]Gaig rjÖTj (pd-ovog oYxerai riov TtdXat TCQod-avovvwv ' yorj d ävdqa xoy.evöiv (ptQetv ßccd-vdo^ov aioav '

Epod. B Tol GVV 7toktjU(l) 'if'1^fl(^CCjU€V0C /i^OVCT TtoXvÖcOQOV oXßoV

eyyMuiS^rj/MV, jciqav 34<^d-6cüy Uaiövcov

aix/itaräv (^Xaobg eXdoavTe)g t^aS^iag TQOCpov' äXXa (^d* äyoiaa

STteTceae /uolQa -zXdvTwv ^ eTtEiza ^eol ovveteXeaoav. 6 Si yaXüv tl Tcovrioaig eöayoQiaiGiv cpXeyei. XELvoig S' VTctQTaTov 9jXd^E cpeyyog

aVTa SvGflEVSWV MEXafXCpvXXoV TtQOTtcÜQOLd-EV.

h'JLE Ttaidv, ir/iE Tzaiäv de ^nqTtovE Xeltcol.

Str. r. äXXd VLV Ttoraini) g/eSöv fAoXövice (pvQGE ( gei pap J ßaiolg GVV evEEGLV

TioTi TcoXvv GCQavöv ' EV Öe fiTjvbg TtQioTOv TvyEv diiaq. ayyEXkE öe (foivL/MTCE^a Xoyov TvaQ&Evog Ev/LiEvrjg '^E/Mva t6v hd^eXovTa yEVEGd^at. (^v^vv 6* av yXü/.vfiaxdvwv ^— ' ^^^ ^^ (^MoiGävy

Nachdem er die Abderiten, die ja im Bürgerzwist lebten, zur ■EvßovXla und aldcog, denen der schönste Lohn Mdnke, ermahnt hat, schließt der Dichter mit den Worten xal juev diSovco ^Eog diesen Teil des Liedes ab, um sich einem neuen Thema, dem Lob der Vor- fahren zuzuwenden. Sie zu loben ist ganz unbedenklich. Denn der feindselige Neid verfolgt sie nicht mehr , die längst im Grabe ruhen. Auch ziemt es sich für den Menschen, seinen Eltern reichen Ruhmes geziemenden Teil darzubringen. Jene haben einst mit kriegerischer Hand dies gabenreiche Land erobert und sich in ihm einen Wohlstand gegründet, indem sie bis jenseits des Athos der speerbewaifneten Paioner Scharen forttrieben von ihrer hochheiligen Ernährerin, minderes zwar ließ dann das Schicksal über sie hereinbrechen. Als sie das aber auf sich genommen hatten, führten hernach die Götter ihr Unternehmen ^um Ziel.

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Ich habe in Text und Übersetzung der zweiten Epode eine von der englischen Ausgabe, der auch 0. Schröder unbedenklich folgt, ab- weichende Ergänzung zugrunde gelegt. Bei jenen Herausgebern lautet der Text:

Tol övv 7coXeu(o Y^Tr^öduevoi xd-ova TtoXvdayQOv^ oXßov ey'Kazed^ri'Aav TtsQav d(^yQUov)^ Ilaiovcov aly^fÄGTäv <(r£ ^tqvfxoviag ya)g ^a&eag TQOcpov, lind die Übersetzung lautet in der englischen Ausgabe: ;,They gained hy war a bountiful land and stored up wealth beyond the borders of Strymon, the hallowed nurse of wild Paeonian warriors/' Es soll also von Tteqav zunächst der Genetiv ^iQU/Liovlag yäq abhängen , zu diesem der Genetiv L^a^lag TQOcpov in Apposition stehen und dieser wieder durch den Genitivus objectivus Ilaiövwv alxuaväv näher bestimmt sein. Das nach aixiiaräv ergänzte re ist bei dieser Erklärung nicht berück- sichtigt. Wie soll man ferner die Ortsbestimmung „jenseits des stry- monischen Landes" verstehen? Zur Bezeichnung der Lage Abderas sind diese Worte vom Standpunkt der Abderiten, die den Päan singen, und der Vorfahren, die von Klazomenä herüberkamen , gleich unge- eignet. Ferner ist die Wortstellung dieser Erklärung nicht günstig. Wer die Worte unbefangen hörte, mußte verstehen: ;, jenseits der wilden Paionen und der Speerkämpfer des strymonischen Landes, der hochheiligen Ernährerin." Aber die Wildheit und kriegerische Tapfer- keit der Paionen, jenseits deren Gebietes sich die Gründer von Abdera ansiedelten, hätten doch nur dann zu ihrem Ruhme hervorgehoben werden können, wenn sie sich durch die Paioner und das strymonische Land hätten durchschlagen müssen, um zu der Stätte von Abdera zu gelangen. Das war aber nicht der Fall, weder bei den klazomenischen noch bei den teischen Colonisten. Nun lesen wir am Rande das Scho- lion: VTTeQ tov ''Jdd^co e'ußlri&avrEg oi ivocxovvzEg STtriXS^ov d^vvov^evoi Tovg mßalövrag %al hUr^oav. Dieses Scholion stimmt vortrefflich zu der Nachricht Herodots I, 168 tcöXlv 'Jdßdrioa, vtjv TtQozsQog rovrcov (seil, tiüv TriiCüv) KXa^ofisviog Tijui^aiog %Tioag ovx dTtcovriTo^ dl?J v/rö QQYi't-Awv ^§£?.ad^Elg TL^dg vvv VTtö Tri'iwv nov ev MßötJQoig cog fJQCog eyßi. Die Ein- geborenen (Thraker), die zunächst „über den Athos hinaus" von den Klazomeniern unter Timesios vertrieben worden waren, kehrten zurück, um sich gegen die Eindringlinge zur Wehre zu setzen, und schlugen .sie. In diesem Scholion enthält offenbar der Ausdruck ;,über den Athos hinaus" (vTceQ töv 'Jdd-co) eine dichterische Übertreibung, deren sich nicht ein nüchterner Interpret, sondern nur der Dichter selbst bedient haben kann. Da nun das überlieferte iti^av offenbar dem VTthq des Scholiasten entspricht und auf Jtkqav im Text ein mit A anlautendes Wort folgte,

Io- was liegt näher, als daß wir statt Tzkqctv d^yQuop} lieber Ttsoav 34{^%ü)y schreiben? Denn so lautet auch IL B 229 s^ ^d-oco 6* etzI tcövtov sßvj- GEvo der Genetiv dieses Bergnamens. In die Lücke nach UaLOvwv aix- jLiaräv müssen wir dann ein dem s/.ßalovreg des Scholiasten entspre- chendes Partizipium hineinbringen. So gelangte ich zu der vorge- schlagenen Ergänzung:

TtEQCcv 24(^d-(')(j)y IJaiovcov aix^aräv ^Xaovg eldaavieyg tad-iag rgocpov = , .bis jenseits des Athos der speerbewafFneten Paioner Scharen hinweg- treibend von der hochheiligen Ernährerin." Der bloße ablativische Genitiv bei iXavvco steht in demselben Sinne z. B. Eur. Med. 70 rovg- de Ttaidag yrig eläv KoQivd-iag. Daß das bisher von den Paionern be- wohnte Land als ihre ^ad^ea TQOcpög (ohne den Zusatz //j) bezeichnet wird , ist nicht viel kühner als Pyth. II, 1 Co ^voccxoGat dvögcov iTtTvwv TS OLÖaqoxaQuäv SaijuovicfL iQocpoi. Leicht wird aus dem voraus- gehenden yßöva TCoXvöcoQov der Ausdruck verstanden. Den Ausdruck Tteqav Jd&oo) fasse ich als eine poetische Hyperbel auf. Es ist gemeint^ daß die Paioner ihren Anspruch auf ihre früheren Wohnsitze end- gültig aufzugeben schienen und weit hinweg zogen, um sich andere zu suchen , jenseits des Strymon. Man darf dem Dichter hier nicht mit der Karte kommen. Auch finde ich keine Schwierigkeit darin, daß die von den Abderiten vertriebenen Thraker als IlaiovEg bezeichnet werden, während man sich die Päoner sonst viel weiter nordwestlich wohnend denkt und in der Nähe von Abdera andere thrakische Stämme lokalisiert findet. Es kann entweder ein von der Hauptmasse abge- splitterter Teil der Päoner wirklich hier gewohnt oder auch Pindar den Namen ethnographisch ungenau gebraucht haben.

Über die Mißerfolge, von denen die ersten Ansiedler in Abdera nach anfänglichen großen Erfolgen betroffen wurden, mit der euphe- mistischen Wendung: älla (^6* ayoLoa f.itvy IntTCEOE ^loioa schnell hin- weggleitend , eilt Pindar weiter zu den ruhmvollen und mit Hilfe der Götter erfolgreichen Kämpfen der Teier, unter denen er die uns bisher unbekannte Schlacht bei Melamphyllon verweilend hervorhebt. „Ihnen erschien der höchste, leuchtendste Ehrentag im Angesicht der Eeinde vor Melamphyllon. Freilich hat er sie, die nur über wenig Streitkräfte verfügten, ins Handgemenge mit dem nah zum Flusse herangerückten zahlreichen Heere gebracht. Aber es war ja des Monats erster Tag und gemeldet hatte purpurfüßig die freundliche Jungfrau Hekate eine Botschaft, die in Erfüllung gehen sollte."

Ich habe mit Fraccaroli a. a. 0. statt des überlieferten (pvqOELf das der Scholiast unsinnig mit ccttoxteveI erklärt, cßvQOE hergestellt.

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Der Versuch von Blaß, das Futurum durch die Annahme zu erklären,, daß hier der Wortlaut eines Orakels wiedergegeben werde, scheitert meines Erachtens daran, daß in einem zum Gesangsvortrag bestimmten Liede direkte Rede, die in die Erzählung eingeschaltet wird, um ver- standen zu werden, sei es durch Einführungsworte, sei es auf andere Weise als solche gekennzeichnet werden muß. Hier ist aber kein aus- reichendes Kennzeichen für den Hörer angebracht. Nur für den Leser könnte graphisch, durch Anführungsstrichelchen, die direkte Rede als solche kenntlich gemacht werden. Die Fortsetzung der Erzählung wird mit Ss koordinierend angeschlossen (ev öi fir^vög tiqmtov %vyßv a/naQ), also muß auch der vorausgehende Satz Erzählung sein. Überdies würde das Orakel für die Abderiten wenig rühmlich gewesen sein, wenn es gelautet hätte: ,.but they shall put him to confusion, when he has come near the river , matched with a small array against a great host" = er (d. h. der abderitische Heerbann) wird den Feind in Verwirrung bringen, wenn er nahe zum Flusse kommt mit geringen Streitkräften gegen ein großes Heer.*' Denn so würde die Übermacht auf Seiten der Abderiten gewesen sein und es wäre der ihnen verheißene Sieg über den soviel schwächeren Feind nicht sehr rühmlich gewesen. Auch würde die Anknüpfung dieser Verheißung mit dlXd an den vorausgehenden Satz: /.elvoig VTtiQtaxov ^Id^e cpeyyog unpassend gewesen sein : Sie erlebten den schönsten Ehren- tag vor Melamphyllon; aber, sagt das Orakel, sie werden vermöge ihrer Übermacht den schwachen Feind besiegen. Es scheint mir ganz sicher, daß die Abderiten eine feindliche Übermacht besiegt haben, die überdies durch ihre Aufstellung längs des Flußufers unangreifbar schien, daß also TcoTaiKn GyeSöv (.lolowa mit ttotl tcoLvv azQazov zu verbinden ist und sich das Hyperbaton aus dem Wunsche erklärt, den besonders wichtigen und für die Abderiten gefährlichen Umstand durch Stellung nahe dem Satzanfang hervorzuheben. Es muß dann vlv = eos erklärt (vgl. Nem. IV , 3) und auf die vorher erwähnten /.elvoi, die Vorfahren der Abderiten, bezogen werden. Subjekt zu (pvqae ist der am Schlüsse der vorausgehenden Epode erwähnte Tag (cpeyyog). Auch wir können den Tag als Urheber aller der Dinge ansehen und bezeichnen, die er gebracht hat. „Jenen erschien der höchste Ehrentag im Angesicht der Feinde vor Melamphyllon. Freilich führte er sie gegen den am Flußufer (scheinbar unangreifbar) aufgestellten und, mit nur geringen Streitkräften, gegen den an Zahl überlegenen Feind. Aber sie hatten doch günstige Verheißungen, die sich auch erfüllten." Wvqelv ist mit nqog konstruiert, wie Plat. Hipp. mai. 291 A l^ol oiSiv Ttgäyiiia (pvQead^ai yrqbg rbv äv&QO)- 710V. Es bezeichnet hier das Handgemeinwerden. Die vEO{.ir(via wird hier offenbar als ein Tag günstiger Vorbedeutung für die Abderiten genannt

Wiener Eranos. 2

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und unter der Jungfrau Hekate kann, im Anschluß an die Erwähnung der vEo^riviay nur die Mondgöttin verstanden werden. (DoLVLAOTteL^a scheint mir darauf hinzudeuten, daß die Röte des Mondes bei seinem Aufgang an diesem Tage als günstige Vorbedeutung aufgefaßt wurde. Mit Thv iS^ekovza yeraa-S-ac hat der Dichter für die Abderiten deutlich genug daran erinnert, daß der Tag der Vorbedeutung entsprechend ein siegreicher war und kann nun zu etwas anderem übergehen, d. h. zur Gegen- wartzurückkehren. Ich möchte daher, statt des von den englischen Heraus- gebern vorgeschlagenen und von Schröder unbedenklich übernommenen oijv lieber vvv ergänzen: (^vyOv d'at yXv'/,v/Liaxccva)v usw. Denn unter den yXv'/^vf-idyavoL kann ich nur die Musen verstehen. Auf sie paßt der Ausdruck einzig, da y)^v%vg im übertragenen Sinne von Pindar stets auf die Gaben der Poesie und der Musik angewendet wird. Wer ersinnt denn sonst und wirkt kunstreich etwas „Süßes" außer den Musen? Da nun eine Er- wähnung der Musen schwerlich mit ovv d'av an die vorausgehende Erzählung angeschlossen werden kann, möchte ich vvv d'av vorziehen, eine Verbindung , die ganz am Platze ist, wo die Gegenwart mit der Vergangenheit parallelisiert wird. So wie damals werden auch jetzt wieder die Musen Stoff zum Gesänge bekommen; oder: und auch jetzt wieder darum flehen wir mit dem von den Musen geschenkten Liede möge uns durch deine Hilfe, Apollon, der Sieg zuteil werden.

So ging der Dichter vielleicht zu Apollon über, dem ja der Päan hauptsächlich galt. Nach der großen Lücke, die hier folgt, in der die dritte Triade und das ganze Gedicht abschließenden Epode, steht der Dichter noch immer bei Apollon und schildert die Verehrung, die ihm in Delphi zuteil wird. Denn auch in den ersten erhaltenen Worten handelt es sich schon um Delphi und ohne Grund scheinen mir die englischen Herausgeber, denen O.Schröder folgt, den Pindos hinein- gebracht zu haben, der für die Lücke von 3 4 Buchstaben und für das Beiwort £voöj.iog zu groß ist. Ich erwarte statt dessen yßqov, vabv, ol/.ov (wie mein Schüler Kampas vermutete), kurz ein Wort, das den weihrauchduftigen Tempel in Delphi bezeichnet. Das Rufen des Gottes findet im Tempel selbst statt, der Reigentanz und Gesang der Mädchen- ohöre im Freien, in dem nach den Felswänden zu gelegenen Teile des heiligen Bezirkes (d^cpl JJaQvaooiaLQ TteT^aig viprjkatg).

Da ich, wie oben ausgeführt, in den wieder an Abderos gerichteten Schlußworten des Päans das euol mit den englischen Herausgebern auf Abdera, nicht mit 0. Schröder (B. Ph. W. 1908, pag. 164) und Fraccaroli auf den Dichter beziehen zu müssen glaube , bin ich genötigt , statt des Partizipiums XQalvwv einen Imperativ Aoristi zu ergänzen. Denn sonst würde die Bitte für den Sieg des Heeres, die naturgemäß die

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Hauptsache ist, durch das xal im folgenden Verse zur Nebensache gemacht. Ich möchte daher den Schluß so schreiben:

(^JdßSyrjge, /ml OT(^Qazbvy \7t7toxdQf.iav

(^evdyla Ttolef-ici) TeXevvaui) TtqoßißaQoig.

Irji'e Txaidv, itjie Tzaiäv di f.irj7ioTE Xelttoi. Die Ergänzung d^STcitov statt des de sytcov der englischen Heraus- geber stammt von meinem Schüler stud. phil. Drechsel. Der Chor verlangt als Dank für die salä e^tea, d. h. für sein schönes Lied von Abderos «inen Dank, der ihm Ruhm bringen würde. Worin dieser Dank bestehen soll, sagt der mit xal im etwas bescheideneren Optativ angeschlossene Satz: der Schutzheilige der Stadt soll bewirken, daß dieser Krieg gegen die Perser der letzte sei und die reisige Bürgerschaft zu dauerndem Glück und Frieden führe. Evölcc ist eine auch von Fraccaroli gebilligte sehr naheliegende Ergänzung; es ist Zieldativ, Ttolefui) dagegen Instru- mentalis. Der Scholiast, der zu eudla beischrieb: l'awg tt] vl-jct], verstand es nicht richtig. Das TelevTalci) bei Ttolef^Kpy das auch zu dem Inhalt des Wunsches gehört, zeigt, daß der Dichter an das auf den Krieg folgende friedliche Grlück denkt.

Zur Farce von Oxyrhynclios.

Von SIEGFRIED MEKLER.

Auf die Worte, mit denen der Orestes der „skurrilen Ipliigenie^^) am Schluß der zweiten Szene (S. 104 Cr., Y, 56 f.) das Erscheinen des Barbarenkönigs und seines Gefolges ankündigt, airol de oizoi leXov- l-ievoL fievä rcov Ttagayehovrai, folgt die zweimalige Bühnen- anweisung des Tympanismos und auf diese wieder eine Reihe zum

größeren Teil unsicherer Buchstaben, SeovT oaakk . . . Crusius

läßt die Wahl, diese letzteren als vox barbara oder als Bestandteil einer weiteren szenischen Note, etwa TV^Ttaviaf-iol (f iovtojv Ttqhg älXri'kovg^ anzusprechen; das zwischen den beiden f stehende ävaTceG dagegen deutet er, wenn auch zweifelnd, mit den englischen Herausgebern 2) als TVfiTtavLGubg ävaTtaiGTi'Aog. Der Zweifel scheint mir in Anbetracht der Art, wie überhaupt in dem Stück die Trommelzeichen auftreten, durchaus berechtigt. Mit Einrechnung von Z. 211, welche Variante sich mit der Doppelanweisung in Z. 39 nach Inhalt und Stellung an- näherungsweise deckt, weist die Farce 10 (11?) einfache neben 8 qualifizierten Tympanismoi auf, und zwar Z. 10 (gleichfalls nach otvoi TtaQayeivovTaL und unmittelbar, ehe das fremde Idiom einsetzt: also neue Szene), 39 (hinter aQjiuvd^l = 2^2 /uivet), 59 (?), 61, 65. 67, 68, 72, 75, 77, 80; t TtoXvg 69, t uolvg^ %QOvotg 92, dasselbe mit zaraffroAri 95 ; T 6 (nach Cr. fünffacher Schlag) 87 ; mit TtegSeTai 22, mit tvoqÖ)] 39, 93, 211.

So natürlich nun als Zeichen des neuen Auftritts das wieder- holte Signal erscheinen mag, so auffällig wiche gerade diese eine

1) Sudhaus, Hermes 41, 270, dazu Crusius S. 109 zu V. 226 (lies daselbst 1015) und Schroeder, Berl. phil. Wochenschr. 1903, 1448.

^) Oxyrhyneh. Pap. edd. Grenfell-Hunt, III, 54. Ebenso G. AYinter in der Leipziger Dissertation de mimis Oxvrh. 1906, S. 40.

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Stelle von allen übrigen ab, wenn der Ehythmus des Wirbels notiert wäre, der es nicht einmal dort ist, wo man es allenfalls erwarten könnte, vor und nach den Sotadeen des Tanzcouplets. Ist aber eine andere Deutung der drei fraglichen Silben, die jenes allem Anschein nach einheitliche Doppelzeichen einschließt, überhaupt möglich? Ich glaube wohl, doch bedarf es, um meiner abweichenden Erklärung den Boden zu bereiten, eines kleinen Umweges über ein paar überlieferungs- und literargeschichtliche Fragen.

So mancher Leser unseres Possenfragments wird es wunderlich gefunden haben, daß mit alleiniger Ausnahme der Heldin Charition alle diese Griechen, Barbaren und Halbbarbaren namenlos bleiben, auch Charit ions Bruder, der augenscheinliche Spiritus rector der Be- freiungsaktion. Daß ein König an der „Handlung" beteiligt ist, würden wir ohne das als Spitzmarke wiederkehrende Appellati vum nicht wissen. Die Anonymität des Sannio und der Bootsleute unterliegt allerdings keinen weiteren Bedenken; dagegen ist es seltsam genug, daß zu den sieben oder acht durch Ziffern unterschiedenen Personen auch Cha- rition zählt, die allemal mit A bezeichnet ist. Wer diese Umstände im Verein mit der Menge der Bühnenanweisungen , einschließlich der zwischen Z. 71 und 87 stark gehäuften Pausenzeichen, unbefangen erwägt, wird der von H. Reich ^) geäußerten Annahme, daß sich ein Liebhaber das Stück nach der Vorstellung aus dem Gedächtnis niederschrieb, schwerlich beipflichten. Viel mehr Wahrscheinlichkeit möchte seiner zweiten, auch von Horovitz^) geteilten Vermutung beizumessen sein, daß auf den Papyrusblättern von Oxyrhynchos nur der Rahmen für das Szenenbild vorliege, die Gußform, der erst die Kunst des Schauspielers Inhalt zu geben bestimmt war. Die abrupte Kürze der wenigen wirklichen Dialogstellen, die mehrfach auch da, wo durchwegs griechisch geredet wird, ans Epigrammatische grenzende Wortknappheit verbunden mit der erwähnten Reichhaltigkeit des Textes an TtaQETtLyQmpai aller Arten, läßt in der Tat an ein Theaterexemplar, ein Inspizientenbuch mit allem für die mise en scene nötigen Detail denken. Dafür spricht auch noch die Analogie der MoixevvQia, für die z. B. Sudhaus das gleiche postuliert. 3)

') Deutsche Lit.-Ztg. 1903, 2685.

^) Spuren griechischer Mimen im Orient, S, 11. Im A^orübergehen sei bemerkt, daß ebd. S. 61, Note 2 das syrische Menandros qömiqos be-Tais zu Recht bestehen muß und nicht in b-Atenas zu ändern war, wenn anders das von H. Etienne zu Korinth. 1, 15, 33 bei- geschrieben gefundene Scholion Mevavdgov tov xcof-uxov yvco^it] iv Oadia richtig auf die Thais bezogen wird, s. Fragm. 218 K.

«) a. 0. 264.

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Und nun frage ich, was das wohl für ein Publikum sein mochte, das an dem „mimischen Drama", wie Reich die Farce einmal nennt ^), Gefallen fand, und halte die beiden uns gemeinsam überlieferten Probe- stücke der mimischen Muse, die uns Gren felis und seines Mitarbeiters rinderglück und Arbeitseifer vor nun sechs Jahren geschenkt hat, gegeneinander. Ich denke, es könne kaum ernstlichen Zweifeln unter- liegen, welchem von beiden der höhere Wert und Belang zukommt. Wird auch die ästhetisch-literarische Bedeutung der „Ehebrecherin" von ihrer soziologisch-sittengeschichtlichen um ein beträchtliches überwogen, vermag auch das „sonderbare" Spezimen einer dekadenten Zeit den Ver- gleich mit Herondas' künstlerisch geschlossener Zrikövinog nach keiner Richtung zu bestehen, so geschähe doch dem Miniaturdrama sicherlich Unrecht, wollte man es als grobschlächtige Dutzendware, als gering- wertige Ausgeburt einer konventionellen Mache schonungslos verwerfen. Auf den ungenannten Verfasser des provinzialen Giftmischerdramolets mag füglich das von Henri Weil auf den Meister des Mimiambus ge- münzte Wort vom realiste Anwendung finden, qui ne recule devant aucune crudite de langage^); stellt doch auch er ein Bild von erschreckend unbefangener Wiedergabe der dovyywQTjTa (um mit Theophrast zu reden s) des Geschlechts- und Gesellschaftslebens, in dessen verhohlenste Winkel er mit unerhört dreister Fackel hineinleuchtet. Hier geht es noch um einige Grade krasser zu als bei Gastron und Bitinna, leidenschaftliche Ausbrüche und brutale Effekte brechen wie Sturzwellen über uns herein ; durch die skizzenhaft geführte Szenenreihe blickt dramatisch bewegtes Leben, und es fehlt nicht an tragischen Akzenten, wenn auch Madames ruchlose Pläne durch die Machenschaften des Gegenspielerkleeblatts vereitelt werden, derart daß die blutrünstige Geschichte am Ende ins Heitere umschlägt.

Dagegen das Recto des Papyrus, dessen Kehrseite die MoixevtQia trägt! Man mag dem Umstand, daß wir nichts als^ einen Canevas in Händen haben und das vielleicht beste, Gestus und Improvisation, ver- loren ist, noch so viel Gewicht beimessen, die Schnurre, an der sich im zweiten Jahrhundert unserer Ära die guten Oxyrhjnchiten faute de mieux erbaut haben, erfährt zu viel Ehre, wenn man mit Horovitz*) von einer literarisch nicht hoch stehenden Hypothese spricht. Besser

^) a. 0. 2681 , ebenso im Jahrb. d. deutschen Shakespeare-Gesellschaft, 40. Jahrg., S. 12 des Sep.-Abdr. (Der Mann mit dem Eselskopf.) -) Journ. d. sav. Nov. 1891, 18.

^) Diomedes, Leo in Kaibels Comic. Fragm. 61, 232. ') a. 0.

23

trifft Sudhaiis' „klägliche Farce" zu^); auch Körtes Urteil 2) sei an- geführt: um das, wie er mit nur zu gutem Grunde sagt, fade Gericht schmackhaft zu machen, würzt der zu seinem Heil namenlos bleibende „Dichter" die herzlich magere szenische Kost mit allerlei Zutaten, hüllt das Minimum von Handlung Befreiung einer, jungen Griechin aus der Gewalt eines unbekannt wo gebietenden Maharadscha durch ihren den Bedränger samt den Seinen trunken machenden Bruder in das geräuschvolle Brimborium einer Boulevardrevue mit Clown und Ama- zonencorps, Gesangsnummern, Trommelwirbel und TanzdivertissementSy bringt ein angebliches Indisch^) und zwischendurch ein kauderwelsches Barbarengriechisch zu Gehör und verwendet überdies in psychologischen Momenten einen Knalleifekt eigener Art, den der erwähnte, im übrigen von allem Witz verlassene Clown, ein Meister der sagen wir Bdeo- technik, zu apotropäischem Behuf produziert.*) Reich hat der Posse eine, von der wunderlichen Heiligen UoQÖt] abgesehen, nicht zu ver- kennende Anständigkeit nachgerühmt^), und wer den Maßstab der an unbemäntelter Nacktheit das möglichste leistenden MoiyßviQLa anlegt^ wird ihr das Prädikat der Dezenz nicht vorenthalten; doch hat Crusius nicht unterlassen, auf den redenden Namen des Flusses Wjletxog auf- merksam zu machen^), den wir vielleicht haplographisch als ipcoXöleixog zu verstehen haben (vgl. cunnilingus). Entsprechend purifiziert, als Ballett „Die Touristen in Malabar", würde die Farce zweifellos Figur machen ; daß sie mit Typen, Motiven und Requisiten arbeitet, die aus dem Hausrat der Romantik und der älteren szenischen Kunst erborgt sind, könnte ihrem Erfolg keinen Eintrag tun. Nur soviel möchte ich aus- gesprochen und zur Evidenz gebracht haben, daß ihr literarischer Gehalt gleich Null ist. Die Vorgänge pneumatische Doktrin und Moral des Buffo in der ersten Szene, folgerechte Praxis, dann Verabredung über den Berauschungsplan in der zweiten, dessen Gelingen in der dritten und letzten mögen für ein Puppenspiel gut genug sein, und höchstens als Libretto für ein solches lasse ich unseren Text

^) a. 0. 274. jVile et futile' nennt das Stück sein Schüler G. Knoke in der mir erst während des Drucks bekannt werdenden Kieler Dissertation de ,Charitio' mimo Oxyrhynchio, 1908.

2) Ehein. Mus. 60, 415. Vgl. Schubert, Das Buch, 79.

') Grierson bei Grenf.-Hunt S. 55, Hultzsch, Herrn. 39, 307 f., hiezu Nöldekes zurück- haltende Bemerkung bei Knoke 23 f.

*) Dergleichen Scherze im Karagöz, Eeich Mim. 665, Körte a. 0. Auch das Pariser Cabaret verschmäht die Darbietungen der Petomanen nicht, wie ich mich vor einem Jahr- zehnt oder länger gelesen zu haben erinnere.

5) D. L. Z. 2684.

«) Zu V. 27.

24

gelten, dessen Wirkung auf kindliche Gemüter vermutlich nicht gering war, wenn der König mit yoQßovoQliod-OQßa und ovaiieoaQEövf^npaQaöaqa per- orierte und B mit ^afwvva luag^a (.laqLd^oviia den Mjstagogen spielte, einen Text, dessen Harmlosigkeit ihr Höchstes leistet in dem Augen- blick, da der bis dahin anscheinend nur des Kanaresischen mächtige Gaicovar zu einem Quatrain mit unterlegtem Griechisch das Tanz- bein schwingt.

Ich kehre zum Ausgangspunkt dieser Betrachtungen zurück, zu der 7taQE7ZLyqa(frj^ die in dvaTreo enthalten sein muß. Ich ergänze es zu äva7tieG(.ia^). Die einzige von diesem Mechanismus handelnde Stelle, Pollux IV, 127, 132, ist bekanntlich so dürftig und zugleich so wenig klar gehalten, daß über dessen Anordnung im griechischen Theater keine Einigung hat erzielt werden können ; 2) soviel freilich ist fest- zuhalten, daß eine Vorrichtung zu dem Zweck (hg Ttova/ndv ävEkd^elv i) toiovtÖp TL TCQÖatoTtov uuscreu Versenkungen gleich- oder nahekommt. Ich erwarte nun den Einwurf, hier sei der Anlaß zu solchem Empor- tauchen aus der Tiefe nicht gegeben. Für mich, der ich an eine Mario- nettenbühne denke, ist er es: mochte sie nun für den Handbetrieb eingerichtet oder automatische Konstruktionen, wie sie Heron be- schreibt 2) , für die Bewegung der Figuren vorgesehen sein , immer bedurfte sie eines für die Zuschauer unsichtbaren Manipulationsraums, der aus klarliegenden Gründen unterhalb des Spielraums angeordnet zu werden pflegte und noch pflegt. Liest man bei Ernest Maindron*), welcher in ihrer Art hervorragenden Leistungen im 18. und 19. Jahr- hundert die Fantoches eines Mourguet und Josserand fähig waren, wie Pierre Rousset die Weiße Dame, Robert den Teufel, Romeo und Julie usw. zu humorvollen Parodien umgestaltete, aber dabei se gardait bien de suivre exactement les textes originaux, mais on retrouve souvent dans ses livrets, des lambeaux de phrases, parfois des scenes qui permettent de les reconnaitre'^), so wird man lebhaft an die am Schluß unserer Posse vernehmbaren Anklänge an das attische Intrigenstück

*) Lautlich nahe stehen die Schreibungen neTv f. meXv Z. 66 und Mcty. 162. Über aoj.-iäv ^^ (TuoTiäv handelt Warren im Album grat. für Herwerden, das ich leider nicht ein- sehen konnte, Die Alternativerklärung bei Knoke S. 4, avaTieg = dvä nsvie, lasse ich auf sich beruhen.

2) Schneider, Att. TheaterAV. 103, AVecklein, Phüol. XXXI, 442, Sommerbrodt, Scaen. 284, A. Müller, Bühnenalt. 149, Oehmichen, Bühnen w. 248, Reisch, Pauly-Wiss. 1, 2, 2061.

2) Prou, Les Theätres d'Automates en Grece, 99; Herons von Alexandria Druck- werke und Automatentheater, gr, u. dtsch. v. AV. Schmidt, I, 411.

^) Marionettes et Guignols, Paris o. J.

5) ebd. 237.

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erinnert. Nur sind hier Personen und fjS-OTtotia auf das Niveau eines Theaters für kleine und große Kinder herabgezogen, jene zu Inventar- nummern des Impresario degradiert, der vielleicht die Künste des gesticularius wie Thomas Holden i) praktizierte, diese nur mehr ein kümmerliches Dasein fristend in der Symbolik der Namengebung der Heldin und der „grotesken Unflätigkeit" 2) der lustig sein sollenden Person. Daß auch der fragliche akustische Effekt sich mit Hilfe hydraulischer Vorkehrungen unschwer erzielen ließ, steht für jeden, der die hierhergehörigen Abschnitte der heronischen Pneumatika gegen- wärtig hat^). außer Frage.

^) ebd. 191 schildert er sich: chantant, parlant, criant selon le besoin du moment n'ayant pas raeme le temps de respirer, changeant le timbre de ma voix selon le personnage presente au public, Avomit nicht Bauchrednerei gemeint sein muß.

'') Sudhaus, a. 0. 265.

") Zwitschern des ^ueXayy.ÖQVfpog 88, 300 Schm., xvi^ißäXiov xal rv^uTiävcov xriTvog 388 usw.

Zu den Kretern des Euripides.

Von ALFRED KAPPELMAGHER.

Daß Euripides ein Drama KqriTeg geschrieben hat, bezeugt der Scholiast zu Aristophanes ran. 1356 eovi de ex Kqtitcov EiQiTtiöov; über den Inhalt unterrichtet der Scholiast zu Yers 849 desselben Stückes. OL fj.ev eig ttjv tov ^Ixdgov luoptpöiav sv Tolg Kgr^ol Tif^axlSag Se Site Trjv ev Tolg Kqriol fil^iv IlaaKpdrig Ttqhg tov xavQOv.^) Die Rekonstruk- tion der verlorenen Tragödie des Euripides ist oft 2) versucht worden, die geringe Zahl der Fragmente 3) wurde durch die Einbeziehung bild- licher Darstellung*) erweitert; eine Kritik dieser Forschungsresultate erscheint jedoch durch die Auffindung eines neuen, größeren Bruch- stückes, das in den Berliner Klassikertexten V, 2, S. 73 veröffentlicht wurde, angezeigt.

I.

Ehe wir uns diesem neuen Bruchstücke und seiner Bedeutung für die Rekonstruktion des Stückes zuwenden, ist es nötig, die mytho- graphische Überlieferung zu prüfen, zumal sich zeigen wird, daß sie nicht ohne Bezug auf die Frage der Wiederherstellung des Stückes ist. Apoll, bibl. II, 1, 3 ff. erzählt: MoteQiwvog de arcaiöog ärtod-avovxog Mlvcog ßaOLXeveiv d^ekcov Kqi^Trig e/MXvero. (priGag de Tta^a &ed}v ttjv ßaatAelav eikri(pevai^ xdqiv tov niiarevd^^vaL ecpi]^ el' tl av ev^rjTaL, yeveG&ai.

^) Vgl. noch Job. Malalas p. 86, 10 Tie^l 6s zijg JTaaicpärjg i^e^sro ÖQäf-ia EiüQimörjg 6 noiTjTiqg.

2) Härtung, Eurip. restitutus I, 103 if.; Welcker, Griech. Trag. II, 801 f.; 0. Jahn, Archaeol. Beitr., 240ff".; G. Körte, Hist.-phil. Aufs. f. E. Curtius, p. 197, I rüievi delle ume etrusche II; Kuhnert, Suppl. Fleckeisens Jahrb. XY, 192; Wilamowitz, de Trag. Gr. fragm. S. 17; Eobert, Der Pasiphaesarkophag (14. Winkelmannprogramm) und dazu Antike Sarkophag-Eel. III, 26. R. Holland, Die Sage von Daedalos und Ikaros, Progr., Leipzig 1902, S. 7ft\

8) Vgl. Nauck III, 471, 472 und Wilamowitz a. a. 0. 17.

*) Jahn, Robert, Körte, Holland a. a. 0.

f

27

v.al UoGEidwvL d-viov r^v^aro ravQov dva(fav7]vai £X tcov ßvd-coVy vrcoaxöjxevog ytavad-voeiv zbv fpavevua. tov di nooeidcovog ravQOv dvivvog auTuj diaTcqeTcfj Tijv ßaOiXELav TcaqUaße, rbv de zavQov eig ßov'/,öha Tteuipag ed-voev tiEQOv. (■d-aXaGGO'/.Qarrjoag Se TiQcorog TcaOLov tcov vriaoiv oxedbv VTcriQ^ev). ÖQyiGd-elg Sa avru) Tlooeidiov ^ du ^irj y^ared^voe rbv xavQov, tovtov jusv l^riyQiiooey UaaLCfdijv di el&elv Eig S7tid-vfJ.lav avrov TtaqeGvxvaGev. fj ds BQaGd^eiGa tov ravqov Gvveqyov Xaußdvu z/aiöaXov^ dg fjv dQXirs/,Twv n:e(pevyiüg ZdLd-rivcov ertl (povip. ovvog ^vXlvriv ßovv ItcI tqoxcov VMta- Gy.evdGag ytal ravzr^v Xaßtov vmI v.oiXdvag iGwd-ev^ ixdeiQag te ßovv^ ttjv doQav 7ZEQiEQQaipe, %al d^Eig^ ev i^tieq elS^lgto 6 ravQog Xeijucovl ßaG-nEG-S-ai^ zrjv IlaGLCpdriv svEßißaGEv. iX&tov Se 6 zavQog chg d?^rid'ivfj ßol GvvfjXd^Ev. i) de 2dGteQL0v syevvriGE rbv y.lrid^evra MLVioravQov. olvog eIxe zavQov TiQÖGiOTCov^ Se Xotrih dvS^og. ISTiviog Se ev Zip XaßvQivd^ci) 'Aard zivag XQTjGf^ovg 'AazaxXEiGag avibv ecpvXaxzEv. fiv Se 6 XaßvQLV&og, ov JaiSaXog y.azEGXEvaGEv, oYnrjua yiccjUTzalg n:oXv7rX()y.oig TtXavcov zrjv e^oSov. NacK dieser Erzählung hat Minos durch seinen Betrug sich den Zorn des Poseidon zugezogen , die Folge war die unselige Leidenschaft der Königin, ferner hat Minos auf Grund von Orakelsprüchen, also unter Beihilfe von Priestern, eine Sühnung des Verbrechens der Königin vorgenommen, indem er den Minotaurus im Labyrinth einschloß.^) Der Bericht des Apollodor geht auf Pherekjdes zurück. 2)

Eine davon meines Erachtens wesentlich andere Version der Sage bietet Hygin fab. 40 = S. 69 Schm; Pasiphae^ Solls filia, uxor Mhiois, Sacra deae Veneri per aliquos annos non fecerat. oh id Venus amorem infandum Uli ohiecit, ut tauruni illum amaret. in hoc ^ Dae- dalus exul cum venisset, petiit ah eo auxilium. is ei vaccam ligneam fecit et verae vaccae corium induxit, in qua illa cum tauro, quem ipsa amabat^ concuhuit. ex quo compressu Minotaurum peperit capite huhulco parte inferiore humana. tunc Daedalus Minotauro lahtjrinthum inextri- cahili exitu fecity in quo est conclusus. Minos re cog^iita Daedalum in custodiam coniedt. at Pasiphae euni vinculis liheravit. Itaque Daedalus pennas sibi et Icaro filio suo fecit et accomodavit et inde avo- larunt. Icarus altius volans a sole cera cah facta decidit in mare, quod ex eo Icarium pelagus est appellatum. Daedalus pervolavit ad regem Cocalum in Siciliam. . . .

^) Wenn Zenob. IV, 92 zu Apoll, ep. Vat. II, 56 Wagner sagt: AaiSaXov yciQ avv 'IxaQcp Tcö Tcaidi xad-etQ^e MCvwg, öi' ötibq elQyäaazo /^vaog im tcp zfjg naaiq)ür]g egcori tm TiQog TOV ravQOv, so stammt dies nicht aus Apollodor; denn es paßt weder hier noch zur Theseussage, es ist vielmehr dieselbe Quelle, die Hygin ausschreibt, anzuerkennen; anders urteilt Wagner a. a. 0. p. 131.

2) Vgl. Wagner, a. a. 0., p. 128—130.

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Darnach ist Pasiphae dem Zorn der Venus verfallen, die Göttin treibt sie zur Liebe zum Stier, die Hilfe des Daedalus ist eine doppelte er verfertigt die Kuh und errichtet das Labyrinth, offenbar damit Minos die Frucht des sündigen Verhältnisses nicht zu sehen bekomme. Als aber Minos das Verbrechen doch erfährt, wird Daedalus gefangen gesetzt, nun befreit ihn Pasiphae, sie kann also von Minos nicht der Freiheit beraubt sein. Die Unterschiede gegenüber der Erzählung des Apollodor a. a. 0. sind klar.

Weitere Berichte der Mythographen lassen sich nun mit einer der beiden Erzählungen vereinen oder geben eine beide Versionen ver- einigende Darstellung. So kennt Diodor IV, 77 beide Erzählungen. Er erzählt von der Leidenschaft der Königin zum Stier, von der werk- tätigen Beihilfe des Daedalus, IV, 77, i) 1, dann 5 rbv ovv Jaidalov 7tvd-6f.ievov TfjV ä7t£L?.rjv tov MIvü) Sid tijv 7,auaay,eurjv rij^ ßoög (paai q)oßrii>evTa Trjv OQyrjv vov ßaailewg ey, zrjg KQ^iTrig iy,7tlevGai, övveq- yovoijg TTjg naoupdrig '/,al tcXoIov dovarig TtQog tov e/.Tzloui'. Minos hat also von der Mithilfe des Daedalos gehört, dem Strafe droht, er entgeht ihr mit Hilfe der Königin, die also noch nicht bestraft sein kann oder nicht der Freiheit beraubt wurde. Diese Erzählung deckt sich ^ wenn sie auch eine rationalistische Ausdeutung 2) gibt in einem wesentlichen Punkte, der Mithilfe der Königin bei der Flucht des Daedalus, mit Hygin. Mit dieser Erzählung des Diodor ist nun zu vergleichen, was der Scholiast im Ven. A zu Hom. II. II, 145 (=Kalli- machus Frg. 5 Sehn.) erzählt: . . . fuevä ti)v r^g UaOKfdr^g Ttqbg rbv ravQov fU^LV^) JaLdaXog eulaßovf^isvog rrjv Mlvcoog dqyt^v TcreQcocbg ovv iTiccQi^ T(p viel ecplQEVo. '/.avaTteaovcog öe. tov Tzaidbg elg^) to v7zo/,elf.iEvov 7tiKayog ^iKaQwv i-iETWvouda&rj. o ftevrot JaiöaXog StaTttdg elg Kdur/Mv zr^^ ^ixeliag /ml Tbv vlbv aviov ezöe/juievog eueivE Tcaqh Toig Kco/mIov

d-vyazQaGiv, laroQEl Oiloaveipavog /mI Kal/J/.iaxog h ^irloig.

Wenn Daedalus TtvEQcovbg entflieht, ist ihm jeder andere Weg versperrt, daher muß der König bereits von seiner Tat wissen; die Worte EvXa- ßov{.iEvog rrjv Mivcoog OQyrjv decken sich mit dem, was Diodor sagt <poßri9-evTa tyjv ooyrjv tov ßaatXkog, es liegt also bei Diodor und dem Scholiasten dieselbe Quelle vor und wir können ^) demnach den Bericht des Scholiasten durch den des Diodor ergänzen. Die Quelle des

*) IV, 77, 2 4 stammen aus Apoll, a. a. 0.

^) Im übrigen kommen die rationalistischen Ausdeutungen der Sage nicht in Betracht, da, wie sich ergeben wird, auch bei Eurip. die f^ti^tg mit dem Stier vorkam. ^) Vgl. die Worte des Timachides zu Aristoph. ran. 1356.

*) So nach 0. Fiebiger bei E. Dittrich, Suppl. zu Fleckeisens Jahrbücher 23, 187. 5) Vgl. Holland a. a. 0., S. 2.

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Scholiasten und somit Diodors an der angeführten Stelle ist Philo- steplianoS;^) der seinen Bericht den .Aivia seines Lehrers Kallimachus entnommen hat. Kallimachus hatte also die Mithilfe der Pasiphae bei der Flucht des Daedalus, wie Diodor zeigt, erwähnt, diese Flucht war eingetreten, als Minos von der Geburt des Minotaurus gehört hatte, doch bevor Daedalus vom König zur Verantwortung gezogen war; ferner mußte Pasiphae beim König durchgekommen sein, sonst wäre ihre Hilfeleistung bei Daedalus' Flucht unmöglich. Damit enthält nun die Sagen wendung, die Kallimachus gab, Motive, die sich bei Hygin a. a. 0. hnden, auch hat Hygin das aXcLov^ ferner erwähnt er die Flucht zu Kokalos. Doch bei Hygin ist die Sache trotz derselben Sagenelemente raffiniert verwickelter, indem Daedalus bereits vom König gefangen gesetzt ist und dann erst befreit wird. Es stellt also Hygins Quelle unter Benützung der von Kallimachus gegebenen Sagenwendung ein weiteres Ausgestalten der Erzählung dar. Hygins letzte Quelle ist, wie auch allgemein angenommen wird, ein Drama. Dieses benützte also, wenn Philostephanos Richtiges berichtet, die von Kallimachus in den ^ixia gegebene Version der Sage; es ist demnach ein Drama der hellenistischen Zeit.

II.

Betrachten wir nun die Fragmente, die wir vor der Publikation des Berliner Papyrusblattes sicher den Kretern des Euripides zuweisen konnten, so wird das Fragm. 472 N. durch Porphyr, de abst. IV, 19, direkt für unser Stück bezeugt. 2) Es treten die Mysten des idäischen Zeus auf, um Minos, „dem Sohn der Europa und des gewaltigen Zeus'' zu helfen. Der Chor bekennt sich in diesen der Parodos zugehörigen Versen zu einer asketischen Mystik. Der Minotaurus ist offenbar aufgefunden worden und der Chor steht dem König bei, die Freveltat zu sühnen, wozu die Worte des Apoll, a. 0. xar« Tivao, xQri(yf^iovg passen. Die endgültige Sühnung der Zeugung und Geburt des Minotaurus bildete gewiß den äußeren Rahmen des Stückes, in dem dann die asketische Mystik eine wichtige Rolle spielte. 3)

Daß auch das kleine Fragm. 471 N. i^H' w KQrireg^ "löyjg xixva^ zu dem der Scholiast bemerkt xovg KovQr^vag leyei' eon ds ez KQrjTcov EvQLuidov, auf die Kureten sich bezieht, hat nach Fritsche richtig Wilamowitz a. a. 0. p. 77, 1 betont.

^) über ihn und seinen Einfluß auf Apoll, spricht Wagner a. a. 0. 137 und sonst. 2) Über den Text handeln neuerdings Wilamowitz, Berl. Klassikertexte Y, 2, S. 77, 1 und Schmidt, W. f. cl. Ph. 1908, Heft XVI, XYII.

») Vgl. Eobert a. a. 0., p. 20if. und Wilamowitz, B. Kl. T. a. a. 0., p. 77/78.

30

Dadurcli aber ist klar, daß der folgende Vers des Aristophanes

(ran. 1357)

To. T()^a Xaßövieg hca^itvaTE

niclit aus Euripides stammt und die ganze Monodie der Frösche nichts mit den Kretern ihrem Inhalte nach zu tun hat. Somit fallen aber auch die Folgerungen, die Kuhnert^) und Holland 2) aus der Monodie des Aristophanes zogen: wir können hier weder das Klagelied des Minos noch das der Pasiphae bei der Flucht des Daedalus erkennen. Zu diesen zwei Fragmenten kommt nun das Berliner Bruch- stück, 2) das durch Form und Inhalt sich als echt euripideisch erweist und wegen seines Stoffes gewiß den Kretern angehört. Auf der Szene befinden sich der Chor, Minos mit einem Gefolge von Speerträgern, Pasi- phae und ihre Dienerin:

Chor ov yaQ Tiv äXXriv (frif^d ToXf^iiiaat rdde' ab de (^xa'KOvy sy, ym-äcov äva^ cpQÖvTLöov el TiaXvxpai. Pasiphae aQVOv/uevri fxev ov'Aer av Ttid^oiuL ge'

TtävTcos ytcQ y]Srj drilovy ojg eyßt tdöe. 5

iy(i<jy yäQ el {.lev dvdqi TZQOvßakov Ssfiag TOcf,ibv Xad^Qalav e^TtoXwf^ievr] Kij7Cqiv^ oQd-idg dv rjÖTj {.laQ^^yo^g ovoa ifpaivöuriv' vvi d\ ex ^eov yäq JtQoaßokijg ef^i7jvdfj.riv^ dXyco (.lev, iarl ö^ ovx e'Ko(yoyiov %avMv' 10 exei yaQ oudev einog' eig tl yäg ßoög ßlexpaoa eöi^yß-rjv d-viihv alGyiorrj vöotp; log EUTvqeTztjg fxev £P TieTtXoiOiV fjv Idelv, TzvQOTig ^^ XOLiTrig xal Ttaq öiu/^dtojv oelag olviOTtbv e^eXaf.L7tE tieq (^/.aiy vwv yevvv. 15

ov fi))v de{.iag y EVQ(^vd-f.i6v eart v^vj-icpiov.

TOUOVÖE XeATQC0(v E%VE'A ELQ^ TtEÖOOTLßri

Qlvöv '/.ad-eq\p^)(^aodv /he jud^yop f^ie^fp^ETai. (? Ergänzung)

0 a. a. 0. 196.

*) a. a. 0. 10.

^) Nebst dem Text haben Schubert und Wilamowitz auf Tafel IV und V im Licht- druck den Papyrus wiedergegeben. Die dadurch ermöglichte Nachvergleichung nahm Schmid a. a. 0. vor ; ich nehme seine Lesungen auf, soweit ich sie durch eine neuerliche Yergleichung ■des Lichtdruckes bestätigt finde.

*) So liest Schmid richtig, doch seine Ergänzung ist zweifelhaft; ^ä^Kpeiai hat kein entsprechendes Subjekt, denn von IVIinos, der Subjekt sein soll, ist noch nicht die Hede gewesen. Wilamowitz liest qlvov y.ad-eia(j] adna KvuQig äyßeyiai; aber KvTiQig ist üer ohne jedwede Begründung, offenbar aus Hygin, eingeführt.

31

«A^ ovde Ttaidiov XQ(r\v exarl- viv} Ttooiv^)

S^ead^ai- tL driTa rf] (^ö* ij^icayvouriv vöaqj; 20

daiuwv 0 Tovöe zäu e{ve7tlria£v Y.ay/Aov,

f.idXiGTa d^ ouTog^ oig eXS^ao^ avayvog) cov,

ravQov yaQ ovy, i'G(pa^{ev, cog naTriv^yaTO

eXd-ovva -d-riaeiv (fdo^a (^tco^vtLi) (ß-eyo).

iy, Tcovös TOi ff' V7trild-{e '/,dy7tetela(^aToy 25

SiXTjv noGuöoJv, ig d* sfi eö%ri\p(^ev Tcdd-ogy-

TiaTtELT avTelg v.dTCi(.iaQTVQrj O^eovg-)

avvbg rdö^ eQ^ccg xal '/.azaiGyvvag 8i.d.

yidycü fxev fj xevMVGa xovdtv aivla

eyiQvtpa Ttlriyrjv Sali^iovog d^ei]laTOV, 30

Gv d^ ^ evTiQETtri ydq yM/ciÖEi^aGd-aL '/.ald

rrig Gijg yvvaLxög, o) '/m'klgt dvögcov q)QOvcdv^

log ov (.ieS-e^wv TcäGi %riQVGGEig xdÖE.

GV TOi LI drcollvg^ Grj yäq fj ^^(^auyaQvia^

£Z Gov voGovf^iEV. Ttoög vdö eYte novtiav 35

yiTELVELV^) SoTiEl GOl, XTeIvE' ETriGtaGCCi ÖE TOi

(.aaicpov eqya Kai Gcpaydg dvÖQOXToroug'

EiT d)f.WGiTOv TTig 6^^^^ EQäg (fayElv

GaQXog^ TvdQEGTi^ f^i^ Xi^fjg S^oiVioj^iEvog.

eXEv&EQOi ydq xal ovdev r^diKTpiOTeg 40

Tf^g Gfjg tvMTi L,r^(.i(^iayg d^avovjUEd-a. Chor noXXolGi dfilov, <(ihg d-ErjlaTovy '/mkov

TÖd^ EGTiv oQyfi <^ut) llav ei^yjjg dva§. Minos aQ EGTÖf-iiOTai ^{ ) ßoai

XcoQEiTE Xoyxri <( oyvfievri 45

IdLuG&E Trjv 7Tavo(yQyov w)^ xakcog d-dvvj

Aal TTjv ^vvEQyov (^Tr^vÖE, dycojiidvcüv S^ SGCO

{äyoyvTEg auzäg EQ^^aT ig cpQazTy7]QL0v^^)

(^ihg (^lyriKET EiGiS^^wGiv 7]Xiov '/S)vy.Xov. Chor <(«)v«^ E7tiG%(Eg' (pqoyvTiidogy yäq d^iov 50

To Tigäyina' vrilrjg d ovTig Evßovlog ßqoTMV.

z{ ). <( ) (,ifj dvaßdX'kEGdal SiAiqv.

Die Worte der Königin Vers 4 zeigen, daß die Klärung über den Frevel und seinen Urheber soweit gediehen ist, daß die Schuld der

^) So Schmid, der xq sah, Wil. : äXX' oüös Tiaiöojv (pfvio^' eixog tjv) Tiöaiv. ^) Es beginnt die Rückseite des Papyrusblattes.

^) Wilamowitz vermutet einen Schreibfehler und liest qijitelp . . . qcttts. *) So ergänzt Schmid a. a. 0. richtig.

~ 32

Königin feststellt, es muß also schon der Minotaurus aufgefunden sein (das ist bereits vor dem Auftreten des Chores der Fall, vgl. oben), ferner bekannt geworden sein, wie er gezeugt Avurde. Auch daß eine Dienerin der Pasiphae geholfen und sie beraten hat man denke an die Amme im Hippolytos geht aus Vers 1 klar hervor. Wenn Pasiphae 29 ff. es besonders beklagt, daß Minos ihre Schande aller Welt preisgibt, so ist dies wieder eine Parallele zum Hippolytos; man vergleiche die schöne Analyse des Charakters der Phaedra bei Wilamowitz: „Was sie (Phaedra) fürchtet, ist nicht die Sünde; bewahre, sie meint ja, nichts dafür zu können, daß sie liebt; was sie fürchtet ist die Schande. Repräsentation war ihr Leben . . . .i)

Auch für das Verständnis des Aufbaues des Stückes ist das Fragment nicht ohne Wert. Wie steht es mit der Mitschuld des Daedalus? Daß er im Stücke eine Rolle spielte, geht aus der Monodie des Ikarus sicher hervor. Meines Erachtens weist aber auch der Ausdruck TteSooTißrjg qivog auf ein Kunstwerk hin; auch ist nach der Überlieferung der Mythographen die hölzerne, auf Rädern ruhende Kuh mit einer Rindshaut überzogen worden. Also ist doch kein Grund, die Mithilfe des Daedalus in Frage zu stellen, wie Wilamowitz es tut 2) ; daß der Ausdruck ungenau ist, ist freilich zuzugeben ; die Erklärung liegt wohl darin, daß die Mitschuld des Daedalus bisher noch nicht erwiesen ist; die Vorführung und Bestrafung des schuldigen Daedalus erfolgen später.

Wenn man ferner bisher wegen der verschiedenen Überlieferung der Mythographen über den Urheber 3) der Schuld der Pasiphae im Zweifel sein konnte, so zeigen die Verse 21 ff., daß Poseidon und nicht Aphrodite die unselige Leidenschaft in der Königin erregt hat; daß auch Vers 18 nicht von der KvftQig die Rede war, haben wir bereits in der Texteskonstitution zu diesem Verse gezeigt. So fällt aber auch wenigstens in diesem wesentlichen Punkte die Beziehung zu Hygin fab. 40 und es ergibt sich sicher, wie wir schon oben vermuteten, daß es einvon Euripides' Kretern verschiedenes Drama gab, das dieselbe Fabel behandelte. Pasiphae klärt hier den König auf, daß Poseidon an Minos Rache nimmt wegen des unterlassenen Opfers. Nun ist es unmöglich, daß Minos als gemeiner Betrüger gehandelt hat, aus bloßer Grewinnsucht, wie bei Apollodor a. a. 0., der nach Pherekydes die vor-

') Euripides Hipp. S. 48.

^) „Nun drückt sich aber Pasiphae über ihren Verkehr mit dem Stier so aus, daß die hölzerne Kuh kaum vorgekommen sein kann; oder darf man den Tteöoanßrjg Qivög (Vers 18) so deuten?"

^) Für Aphrodite traten Härtung, Jahn, Kürte a. a. 0. ein.

33

euripideische Sagenversion erzählt; Minos wäre sich sonst seiner Schuldbe- wußt. Diese Verse ergeben somit eine Bestätigung der Vermutung C.Roberts,!) daß Minos, der Sohn des idäischen Zeus, sich auch später zu dessen Religion, die im Stücke die Mysten vertreten, bekannt hat und deshalb aus religiösen Bedenken das blutige Stieropfer unterlassen hat. Daß nur diese Verse die Robertsche Hypothese stützen, wird sich noch zeigen.

Die Szene schließt damit, daß Minos den Befehl gibt, Pasiphae und ihre Dienerin ins Gefängnis zu führen. Es fragt sich nun, ob nicht ein Aufschub, ja eine Versöhnung eingetreten ist, wie Körte annahm -) und wie sie die Quelle Hygins wiegen der Teilnahme der Königin an der Flucht des Daedalus voraussetzt. Bedenken wir jedoch, daß die Königin rücksichtslos mit dem König abrechnet, daß sie vollkommen die Brücken abbricht, so werden wir die Möglichkeit einer Versöhnung bezweifeln. Auch ist das gewichtigste Argument für die Frei- sprechung der Königin bereits von ihr aufgezeigt worden, die Rache des Poseidon; und was sonst sich sagen ließ, brachte der Chor vor. An ein Dazwischentreten irgend einer Person, die hier eine Freilassung der Pasiphae erwirken könnte, ist demnach nicht zu denken; sie kann daher dem Daedalus bei seiner Flucht nicht geholfen haben und es fällt eine w^eitere Beziehung zu Hygins fab. 40.

Daß am Schlüsse des Stückes ein deus ex machina eine für Pasiphae günstige Wendung herbeiführte , ist nicht ohneweiters aus- geschlossen, doch auch dann konnte Pasiphae dem Daedalus nichts mehr nützen. Suchen wir nach gleichen Situationen bei Euripides, so gehört hieher Andromache 490 ff. Andromache und Molossos sind auf des Menelaus' Befehl gefesselt worden und sollen getötet werden, da er- scheint 531 plötzlich Peleus und führt eine glückliche Wendung für Andromache und ihr Kind herbei; doch dieser plötzliche Situations- wechsel ist in der Schuldlosigkeit der Andromache wohl begründet. Nicht überraschend, sondern wohl vorbereitet ist dagegen in der durch Oxyrhynchus papyri VI, 59 ff nunmehr z.T. bekannten Hypsipyle das Auftreten des Sehers Amphiaraos, der die schuldige Hypsipyle rettet, vgl. Fragm. 60 Vers. 10 24.

III.

Zur Rekonstruktion des Dramas sind endlich bildliche Darstel- lungen herangezogen worden. Aus der Menge der Denkmäler heben

') a. a. 0. 22.

-) Hist. phil. Untersuch, f. E. Curtius S. 207. Wiener Eranos.

34

sicli zwei Gruppen ab , erstens der sogenannte Pasiphaesarkophag ^) und zweitens die etruskischen Aschenurnen, die zuletzt Körte in Rilievi delle urne etrusche II, 1 auf Tafel 28,3 bis 29,6 publiziert hat.

Der Sarkophag stammt aus der ersten Hälfte des zweiten Jahr- hunderts n. Chr. 2j Daß die Vorderseite jetzt im Louvre die in der Kaiserzeit besonders im Ballett ^) viel behandelte Geschichte von der Verfertigung der hölzernen Kuh und das Einsteigen der Pasiphae darstellt, hat Robert bereits richtig erkannt, desgleichen, daß hier keineswegs eine direkte Benützung einer literarischen Quelle ange- nommen werden muß. Daß auch die Schmalseiten, von denen die eine *) sich jetzt gleichfalls im Louvre , die andere ^) in der Villa Borghese befindet, demselben Mythenkreis (also dem kretischen) angehören, ist, wie Robert darlegt, ebenfalls anzunehmen; denn Ausnahmen von dieser Regel sind selten und auch dann wohl motiviert. ^)

Auf der in der Villa Borghese befindlichen Schmalseite erblicken wir einen Tempel, der im Giebelfeld einen jugendlichen Triton zeigt; der Triton stößt ins Muschelhorn und trägt in der rechten Hand ein Ruder. Vor zwei Säulen stehen auf Sockeln zwei Eroten, der eine mit einer Fackel, der andere wohl^) mit dem Bogen, zwei Attribute, die seit der hellenistischen Zeit besonders beliebt^) sind. Vor dem Tempel steht adorierend ein greiser Mann mit der Königsbinde, hinter ihm eine Frau, Robert nennt sie ältlich, richtiger ist trauernd gleichfalls mit einem Diadem, ein Fruchtopfer in der Hand. Robert erkennt darin Minos, der vor dem Tempel des Poseidon in Gegenwart der Europe ein unblutiges Opfer darbringt. Es ist das Opfer, das der

^) Vgl. die Tafeln bei Robert , der auch die früheren Deutungs versuche behandelt.

') Robert a. a. 0. S. 18.

^) Vgl. Suet. Nero 12 Inter pyrricharum argumenta taurus Pasiphaam ligneo iuvencae simulacro abditam iniit, ut multi spectantium crediderant ; Icarus primo statim conatu iuxta cubiculum eins decidit ipsumque craore respersit, und Liban. vtt. oq-/. IY, 467 F Xeyoi Selv xai xexXeia&ai xolq VTtoxQiidig t6 ^kaxQOv , Iva fxrj t^aycoSog elgeX&ojv Ilaai- <pdrjv fjn^iiiaetai rijv i^oxsilaaav eig dlXöxoTOV eQOixa und in ap. Socr. III, 64 R o^i ÖQäxe zov Mivcü öecva Tiäa/ovra im Ttjg axr]vrjg xai zijv oixiav avrov dca zov zfjg Uaüicpär^g eQOjTog iv alayvvr^ ysyevi]fievt]v; ravra fdvzoi noXXovg äv dvd^Qwnovg eXad-ev, ei fii] jiavzaxoü zov Xöyov ai zQaycpdtat dieujieiQav. Daß die oxy^vrj des Libanius das Ballett ist, bemerkt "Wilamowitz a. a. 0. 79, 1.

*) Vgl. sg. Cod. Berol. (des Berliner Kupferstichkabinetts) fol. 28.

•^) Vgl. sg. Cod. Beiol. fol. 4. Über den Kodex, vgl. Robert, Antike Sarkophag-Rel., S. XI.

^) Ausnahmen bespricht C. Robert, a. a. 0. 19, 20.

"') „Das Attribut . . sieht bei Ferrari wie ein Tympanon oder wie ein Kranz aus, jetzt ist es als Palmzweig ergänzt, aber nach der Form des antiken Stückes und der Art, Avie es getragen Avird, möchte man lieber an einen Bogen denken" Robert a. a. 0. p. 20.

^) Vgl. Furtwängler in Roschers Lexikon s. v. Eros p. 1365. „Seine ständigen Attri- bute sind nunmehr der Bogen und die Fackel in Poesie und Kunst.''

35

König darbringt, um nicht den aus den Fluten aufgestiegenen Stier opfern zu müssen. Die zweite Schmalseite bringt drei Jünglinge, die aufmerksam nach rechts blicken. Ihre Aufmerksamkeit konzentriert sich auf den be- kränzten und mit Früchten bedeckten Altar vor ihnen ; der Altar stellt offenbar die Verbindung mit der anderen Schmalseite dar. In ihnen erblickt Robert die drei Söhne des Minos, die der neuen vom Yater angenommenen Religion feindlich gegenüberstehen.

Sicherlich ist Robert zuzugeben, daß wir hier Minos ein unblutiges Opfer darbringen sehen. Doch daß der Gott, dem das Opfer gilt , Posei- don ist, ergibt sich Robert bloß aus dem Giebelschmuck; der ist aber doch nicht für einen Poseidontempel ein zwingendes Charakteristikum, so z.B. befanden sich blasende Tritonen auf dem Giebel des Saturntempels in Rom, vgl. Macrob. Sat. 1, 8 : illud non omiserim Tritonas cum bucinis fasti- gio Saturni aedis superpositos. Ferner sind Tritonartige Wesen, die s. g. iyJ)-vo}i€vTauQOL (vgl. Tzetzes, Lykophr. 34), seit der hellenistischen Zeit der übliche Schmuck der Giebelfelder jedweder Tempel.^) Die Eroten erklärt Robert für eine dekorative Zugabe, natürlich gilt dasselbe zu- nächst auch für den Giebelschmuck. Eine Interpretation kann weder vom Giebelschmuck noch von den Eroten ausgehen; denn nur das Opfer ist klar zu erkennen. Der Schluß Roberts wäre ferner dann 2:wingend, wenn das Opfer für Poseidon überhaupt bezeugt wäre, und zwar dann als das einzige unblutige Opfer des Königs. Xun wissen wir aber von anderen unblutigen Opfern des Minos: Wilamowitz hat die bei Porphyr, de abst. IV, 19 für Sophokles' Polyidos 2) bezeugten Verse (=366N):*

rjv jLiev ytiQ oiög iiaXlog^ ^v S df,i7V6?MV OTtovdrj TB xal qä^ ev TEd-rjaavQiaiievri' Ivriv öe 7tay%dq7LELa ovf.ifiiyrjg olaig XiTcog TeXaiag xal xb Tvor/ulcoTavov ^ovd^rig jueXiaarig %riq67tXaoTov oQyavov

für Minos in Anspruch genommen. Näheres ist nicht bekannt; doch jedenfalls bringt hier Minos, falls die Vermutung von Wilamowitz richtig ist, daß Minos der Sprecher der zitierten Verse ist, ein un- blutiges Opfer dar. Nun wird aber noch ein unblutiges Opfer für Minos unzweifelhaft bezeugt: Apoll, bibl. III, 15, 7 erzählt, daß Minos den Charitinnen») auf Paros opferte und während des Opfers den Tod seines

^) Vgl. z. B. die Tafeln 34, 37, 40 in Schreiber, Hellenistische Reliefbilder.

2) De Trag. Gr. fr. S. 17. Über die Sage vgl. Hygin f. 13G und ApoU. bibl. in, 1, 2, femer den Artikel Glaukos in Roschers Lexikon.

') Den Charitinnen wurde überhaupt unblutig geopfert ; vgl. das Material in Pauly- Wissowa R. E. III, 2, 2158, wo auch die einzige scheinbare Ausnahme besprochen ist.

3===

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Sohnes Androgeos erfuhr: 31ivcog de dyyeld-evzog auru) tov ^avccTOv (seil, des Androgeos) S-vcov iv IldQO) ralg Xägtoi zbv iiev Gxecpavov uttö TYig y,E(paXrig egQLipe ymI top aulhv zorrfa/e 'Aal Tip' d^ioiav ouöiv fjTTov s-n^eTeleaev. oS-ev evi 'Aal öevQo x^^Q^S avkiov y,al örerfdvov iv ndQO) d-vovGL Talg XaQcGi. Diese Geschichte war ferner noch in der Kaiserzeit, aus der der Sarkophag stammt, wohl bekannt, denn Sueton Ti. 70 berichtet: Et quo primum die post excessum Augusti curiam intravit (seil. Ti.), quasi pietati simul ac religioni satis- facturus Minois exemplo ture quidem ac vino sine tibicine supplicavit, ut olim in morte filii. Daß wir nun diesen Vorgang auf den Schmalseiten dargestellt haben^ läßt sich damit stützen, daß bei dieser Deutung die ganze Darstellung auch in ihren Details erklärlich wird. Die Eroten passen nämlich zu einem Tempel der Charitinnen und sind nicht mehr bloß dekorativer Schmuck. Pausanius VI , 24 erzählt z. B. , daß das Bild des Eros in Elis auf demselben Bathron stand wie das Kultbild der Charitinnen. ^) Die Frau ist natürlich die mit Minos trauernde Pasiphae, die Mutter des Androgeos. Daß die zweite Schmalseite die Söhne dar- stellt, gilt auch für diese Deutung; ihre Zahl aber ergibt sich aus Apoll, bibl. III, 1, 2 Tlalöag /uiv eTezvcoae (mit Pasiphae) KaTQea^ Jei- %aXuova^ rXav/.ov^ ^divSQcoyecov. Androgeos ist tot, so bleiben eben drei Söhne und diese blicken erstaunt auf den Vater, der sich trotz der Todesnachricht in der Opferhandlung nicht stören läßt ; dazu paßt, daß sie, wie Eobert sagt, „befremdend und zögernd auf das Fruchtopfer blicken ..." Diod. IV, 60, dem Robert folgt, gibt, wie die Zahl der Töchter zeigt er kennt nur eine , nicht vier nicht die vollstän- dige Liste ; er führt mit Androgeos nur drei Söhne des Minos an.

Ist diese Deutung richtig, so fällt natürlich auch die Hypothese Roberts, daß Europe, die Mutter des Minos, als Ahnfrau im Stücke des Euripides eine ähnliche Rolle gespielt hat wie Kadmos in den Bakchen. ^)

Die zweite Gruppe bildlicher Darstellungen ist in mehreren Re- pliken erhalten ; als Vertreter sei hier die von Körte a. a. 0. Tafel XXIX, 3) 4 abgebildete xlschenurne aus Volterra (Museum n 435 L 0.55m) betrachtet. Die Kuh und das Kind mit dem Stierkopf weisen deut- lich auf die Pasiphaesage. Wir erkennen den König, der in der Linken ein Szepter führt, die erhobene Rechte droht den Gestalten vor ihm. Zu seinen Füßen kniet eine jugendliche Frauengestalt, die offenbar die

^) Ein gemeinsamer Kult scheint auch in Thespiai vorhanden gewesen zu sein CJGI 3207, vgl. noch Eurip. Bakch. 412, Aristoph. Av. 1320. 2) a. a. 0. p. 23. «) Hist. phil. Untersuch, f. E. Curtius, S. 201.

37 -

links Stehenden vor der Wut des Königs zu schützen sucht. Die eine dieser Frauen trägt schützend den Minotaur, die andere ist durch ein Halsband als höher stehend gekennzeichnet. Es ist Pasiphae mit ihrer Dienerin. Der Mann mit auf dem Rücken gebundenen Händen ist, wie seine Kleidung es ist die Tracht des Handwerkers und die Kuh zeigen , Daedalus. Hinter dem König steht ein Doryphoros , der ihn gleichfalls zu beruhigen sucht, dann eine Furie mit Fackel. Körte erblickt nun in der jugendlichen Frauengestalt eine Fürbitterin für Pasiphae; er meint, es sei Ariadne, und da an der dramatischen Grund- lage der Szene kein Zweifel ist , so nimmt er i) für Euripides' Kreter eine Szene an, in der „im Augenblicke der höchsten Gefahr sich Ariadne dem Vater zu Füßen wirft und durch flehende Bitte das Leben der Mutter und des kleinen Minotaurus rettet."

Die oben dargelegten Folgerungen aus dem Berliner Papyrus schließen das Dazwischentreten einer Fürbitterin bei Euripides aus; da- gegen ergänzt dieses Relief treff'lich die Darstellung Hygins; für das dem Hygin in letzter Quelle zugrunde liegende, natürlich von dem euripideischen Stücke beeinflußte Drama hellenistischer Zeit ergibt sich notwendig, daß Pasiphae vom König nicht verurteilt wird, sonst könnte sie dem Daedalus nicht beistehen. ^)

^) So auch rilievi delle ume etrusche S. 84.

2) A'ergil. Ecl. VI, 46-60 und Ovid Art. am. I, 289—326 bieten Klagelieder der Pas.; die Königin ist von furchtbarer Liebesglut nach dem Stier erfaßt und sucht eine Vereinigung mit ihm. Wie wir wissen, ist es Daedalus, der (auf Veranlassung der Amme bei Euripides ?) ihr die Befriedigung ihrer Leidenschaft endlich ermöglicht. Daß für die römischen Dichter Euripides die Quelle ist, ist unwahrscheinlich; denn bei ihm beginnt die Handlung sofort mit der Auffindung des Minotaurus, also war kein Platz für lange Klagen der liebeskranken Pas. ; auch ein Chorlied solchen Inhaltes im Munde der Mysten ist undenkbar. Dagegen kann ganz gut das Drama der hellenistischen Zeit, das überhaupt Pas. in den Vorder- grund stellte und, wie Hygin zeigt, nicht mit der Auffindung des Minotaurus begann, die Quelle für Vergil und Ovid sein.

Piaton und Prodikos,

Von AUGUST R. V. KLEEMANN.

Jedem, der auch nur einmal den platonischen Dialog „Protagoras^*" gelesen hat, wird die ebenso feine als unwiderstehliche Komik in der Zeichnung der drei großen Sophisten Protagoras, Hippias und Prodikos wie in der Schilderung des ganzen bildungsdurstigen Treibens im Hause des Kallias unvergeßlich sein. Der ängstliche Respekt, der z. B. den um Protagoras versammelten Chor begeisterter Jünger erfüllt, ist von Piaton aufs glänzendste karikiert. Wie die Jünger, die hinter Protagoras aufmerksam lauschend einherschreiten, im Augenblick, da dieser sich wendet, auseinanderstieben, um dem Geistesheros nicht im Wege zu stehn, und dann sich Avdeder hinter ihm zusammenschließen, bis er abermals das Gemach durchmessen hat, das ist hochergötzlich geschildert. Piaton war boshaft genug, die Erlebnisse des Sokrates im Hause des Kallias nach dem Vorbild von Odysseus' Hadesfahrt zu schildern.!) Das Haas des KalKas, welches nicht nur den großen Sophisten und ihren begeisterten Anhängern offenstand, sondern ver- mutlich auch manch unwürdigem Schmarotzer, der die gute Gelegen- heit zu nutzen wußte, ist dem alles aufnehmenden Hades gleichgesetzt. Auch der grimme Höllenhund Kerberos fehlt nicht: er erscheint in der Gestalt des mürrischen Türhüters, dem die Sophisten und das ganze Treiben im Hause seines Herrn ein Dorn im Auge sind (314 d ff.). Nur einen vermissen wir und darin zeigt sich Piatons Meisterschaft in der Satire: es ist Teiresias, von dem zwar Odysseus die gewünschte Auskunft erhielt, der aber im Hause des Kallias keine Repräsentanten zu finden vermochte. 2) Denn Protagoras, dem eigentlich diese Aufgabe

^) Wie schon Welcker , Prodikos von Keos , Vorgänger des Sokrates , Kleine Schriften II, 396, gezeigt hat.

^) Dieser Vergleich begegnet uns noch einmal im „Menon'' p. 100 a, wo der wahr- haft Avissende ein Teiresias unter den Schatten genannt wird.

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obgelegen hätte, tritt uns in der Rolle des Sisyphos, des vergebens sich Mühenden,^) entgegen, was ja auch durch den Verlauf seiner Unterredung mit Sokrates als vollauf berechtigt sich erweist. Hippias, stets bereit, jeder Frage Rede und Antwort zu stehen, ist Herakles gleichgesetzt, der den stets gespannten Bogen in Händen hält, indes die Toten mit lautem Geschrei ihn umdrängen. ^j Prodikos von Keos endlich erscheint als Tantalos'*), und zwar heißt es von ihm p. 315 c: „Kai (.dv öi) y.al Tdvvalov ye eloeldov'^y ähnlich wie an der zitierten Stelle der Odyssee vmI jurjv TdviaXov eloeldov vaX. Jedermann, meint nun Welcker*), setzte zu Piatons Worten in Gedanken die andere Hälfte des Verses hinzu ^,'AQaieQ äkye Eyovva^' y so daß also die Gleich- setzung von Tantalos und Prodikos auf den schmerzensreichen Zustand zurückzuführen wäre, in dem sich beide befanden. Indessen gedenkt Welcker noch der Möglichkeit, Prodikos könnte auch deshalb mit Tantalos verglichen sein, weil der kranke Mann am Tische des reichen Kallias Tantalusqualen'^ ausgestanden und überhaupt infolge seines leidenden Zustandes auf jeden Lebensgenuß habe verzichten müssen.^) Daß aber diese Auffassung des Vergleiches ;, Prodikos -Tantalos '^ aus- geschlossen ist, geht wohl schon daraus zur Genüge hervor, daß Piaton den Prodikos in der ausgeräumten Vorratskammer untergebracht sein läßt (s7tsöi]f.ieL yaq ä^a UgoörAog 6 KeTog^ rjv de iv ol'/.rjixaTi tlvl, ^> TCQO Tov fisv (hg TauLeiti) ey^rixo'^lTCTcovi/.og, vvv de VTtb tov rcXrjS'Ovg Tcov vMTaXvövTwv 6 Kalllag vmI tovto b/./,evd)Gag ^evoig YMrdXvoiv 7CETcoirf/.Ev p. 315d). Hätte Piaton beabsichtigt. Prodikos dadurch lächerlich zu machen, daß er ihn verlangend nach Speise und Trank bKcken ließ, deren ausgiebigen Genuß sein leidender Zustand ihm ver- wehrte, so hätte er vermutlich die Vorratskammer gefüllt gelassen. Und es wäre gewiß für einen Meister der Satire wie Piaton ein sehr dankbarer Vorwurf gewesen, den „weisen Prodikos '^ß) in verzweifeltem Kampf mit seiner Eß- und Trinklust darzustellen. Die leere Vor- ratskammer aber zeigt deutlich, daß Piaton den Vergleich „Prodikos- Tantalos^' nicht also verstanden wissen wollte. Warum er die Aus- räumung der Vorratskammer überhaupt erwähnt, liegt übrigens so ziemlich auf der Hand: Kallias, ganz anders geartet als sein spar-

^) Welcker a. a. 0., p. 397. 2) Odyss. XI, 601 if. ') Nach Odyss. XI, 582. *) A. a. 0., p. 396.

^) p. 416 meint Welcker übrigens , auch des Prodikos großer Eeichtum möge es Piaton nahe gelegt haben, ihn mit Tantalos zu vergleichen.

^) Ein geflügeltes Wort im Altertum lautete: „Weiser als Prodikos".

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samer Yater Hipponikos, konnte die Vorratskammer um so unbedenk- licher ausräumen, als er nicht zweifeln durfte, daß die große Schar der Sophisten und Sophistenjünger, unter denen sich gewiß so mancher berufsmäßige Schmarotzer befand, seine Vorräte ohnehin in kürzester Frist aufzehren würde. So paradox es zunächst auch klingen mag, Piaton spielt hier auf den Gegensatz der alten und der neuen Zeit an, verkörpert in Hipponikos und Kallias. Ein helles Licht auf diesen Gegensatz wirft noch das sophistenfeindliche Verhalten des Tür- hüters, der vermutlich schon unter Hipponikos seine Stellung bekleidete und darum mit der Wirtschaft seines neuen Herrn so gar nicht ein- verstanden ist.

Müssen wir also schon nach dem bisherigen es ablehnen, in der Gleichsetzung von Prodikos und Tantalos eine Anspielung auf die „Tantalusqualen" des Keers am Tische des reichen Kallias zu sehen, so dürfen wir doch noch das folgende gewichtige Moment nicht außer acht lassen : niemals hat Piaton die großen Sophisten, wie Protagoras, Prodikos, Gorgias, Hippias, in so possenhaften Zügen geschildert. Wenn er sie auch bis aufs Messer bekämpfte, er hat sie doch niemals persönlich angegriffen. ^j Dies ist am deutlichsten aus dem „Gorgias" zu ersehen, in welchem er - trotz der unverkennbar grimmigen Grundstimmung des Werkes doch scharf zwischen Gorgias und jenen Männern unterscheidet, die skrupellos die letzten unsittlichen Konsequenzen aus des Leontiners Lehre zogen. Er macht wohl Gorgias verantwortlich für jene Philosophie der Sittenlosigkeit, aber er erkennt gleichzeitig an, daß er für seine Person ein rechtschaffener Mann gewesen sei und die Konsequenzen seiner eigenen Lehre nicht gebilligt habe. Wie immer, greift er also in dem Sophisten den Denker an, aber seine Persönlichkeit läßt er völlig unangetastet. Nicht anders verfährt er mit Protagoras und Hippias, denen er stets nur die Un- zulänglichkeit ihrer Weisheit nachzuweisen sucht, deren Moralität er aber nicht im entferntesten in Zweifel zieht. Daß nun aber Piaton den Prodikos, den er ja, wie aus zahlreichen Stellen in seinen Schriften hervorgeht, zwar stets mit mehr oder minder unverhüllter Ironie, jedoch zum Unterschied von den übrigen Sophisten mit sichtlicher Sympathie behandelt hat, darum mit Tantalus vergleicht, weil er etwa sagen will, er leide ;, Tantalusqualen '^ wenn ihn sein kränklicher Zustand daran verhindere, sich den Freuden einer wohlbesetzten Tafel nach Herzenslust hinzugeben, ist undenkbar, schon darum, weil wir keinen Augenblick zweifeln könnten, daß Piaton ihn gar keines Blickes

1) Vgl. Th. Gomperz, Griech. Denker I, 336 ff. ; auch die von E. Horneffer, Piaton gegen Sokrates p. 50, mitgeteilte Äußerung v. Wilamowitz' über Piatons Verhältnis zu Gorgias.

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gewürdigt hätte, wenn er in ihm einen ganz gewöhnlichen Schmarotzer an den Tischen der Reichen gesehen hatte. Es ist also als gänzlich ausgeschlossen zu betrachten, daß Piaton solches mit dem Vergleich ,,Prodikos-Tantalos^^ ausdrücken wollte. Auch Welcker selbst meint ja, es sei bei dem Vergleich in erster Linie an den leidenden Zustand des Prodikos zu denken. Mir scheint indessen auch dies nicht das Richtige zu treffen. Wenn Welcker, wie oben erwähnt, der xlnsicht ist, daß jeder Leser bei den Worten y-al f^iiv örj xal Tävialöv ye eloeldov in Gedanken noch die Worte y.QazsQ äXye s/ovra hinzugesetzt habe, so könnte man auch umgekehrt den Standpunkt vertreten, gerade da- durch, daß Piaton die erwähnten drei Worte nicht zitiert habe, sei angedeutet, daß er auf den leidenden Zustand des Prodikos hier nicht den Hauptton lege.

Wir werden also nach einer andern Begründung jenes Vergleiches suchen müssen, um so mehr, wenn wir erwägen, in welcher Absicht Protagoras mit Sisyphos, Hippias mit Herakles gleichgesetzt ist. Es gilt, ihre geistige Beschaffenheit, ihre philosophischen Fähigkeiten zu •charakterisieren: vergeblich wie Sisyphos müht Protagoras sich um die Weisheit ; und schlagfertig gleich Herakles, dessen allzeit gespannter Bogen die Gegner bedroht, weiß Hippias jeder Frage Rede und Ant- wort zu stehen. Sollte da wirklich Prodikos nur deshalb mit Tantalos verglichen sein, weil er nicht essen und trinken darf oder weil er Schmerzen ■erdulden muß? Essoll ja nicht geleugnet werden, daß dies alles zur Tanta- losrolle des Prodikos ganz vortrefflich paßt, aber es sind nur leise mit- klingende Untertöne, das tertium comparationis dürfen wir darin nicht er- blicken. Denn Piaton wollte doch wohl wie bei Protagoras und Hippias so auch bei Prodikos vornehmlich die geistige Physiognomie kenn- zeichnen. Hätte er aber den Vergleich „Prodikps-Tantalos^^ so gemeint, wie Welcker ihn deutet, so hätte er ihm jede geistige Physiognomie überhaupt abgesprochen. Davon aber kann natürlich gar keine Rede sein. Vielmehr müssen wir es als gewiß annehmen, daß Piaton, als er Prodikos dem Tantalos gleichsetzte, des Keers Philosophieren charakterisieren wollte. Einen Fingerzeig zur Beantwortung der Frage, w^as Piaton mit jenem Vergleich andeuten wollte, erhalten wir nun, wenn wir die Natur der Schmerzen bedenken, die Tantalus im Hades erduldete. Tantalus leidet die schrecklichsten Qualen des Hungers und des Durstes, da sich ihm das Wasser und die Früchte, nach denen er greift, im Augenblick, da er sie schon erfaßt zu haben glaubt, entziehen. Es handelt sich hier also um ein erfolgloses Haschen, um ein Greifen nach Dingen, die den haschenden Händen im letzten Moment doch noch entgehen. Auf das geistige Gebiet über-

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tragen und auf Prodikos angewendet, würde dies besagen, Prodikos. habe stets vergeblich nach Erkenntnissen gehascht, so oft er sie auch gefunden zu haben glaubte, seien sie ihm gleichsam unter den Händen zerronnen. Ist diese Vermutung richtig, so muß sich die Bestätigung im ;,Protagoras" selbst finden; denn es ist nicht anzunehmen, daß- Piaton die Erklärung für den Vergleich Prodikos -Tantalos erst in einem späteren Werke zu geben beabsichtigte. Jedes Werk soll ja- für sich allein verständlich sein. Auch hat es Piaton mit den beiden anderen Vergleichen „Protagoras-Sisyphos" und „Hippias- Herakles" tatsächlich so gehalten. Die Erklärung des letzteren gibt er sofort an Ort und Stelle, die des ersteren im Laufe des Gesprächs, während dessen es sich herausstellt, daß Protagoras' Mühen vergeblich sind. Daher ist es nun an uns, die Rolle, die Prodikos im „Protagoras "'^ spielt, schärfer ins Auge zu fassen und darauf zu prüfen, ob sie wirk- lich eine „Tantalusrolle" ist. Prodikos tritt erst hervor, als das Gespräch zwischen Protagoras und Sokrates mit einem Mißklang zu enden droht (337 a ff. j, und gibt bei diesem Anlasse eine Probe seiner besonderen Kunstfertigkeit, seiner Synonymik. Damit findet er zwar den lauten Beifall der Zuhörer, die selbstverständlich jede Leistung der fremden Wundermänner beklatschen, in uns aber ruft seiiie Leistung- einen läppischen Eindruck hervor und es kann auch gar kein Zweifel sein, daß Piaton gar nichts anderes damit beabsichtigte. Was soll z. B. die alberne Unterscheidung von eödoxifuelv und eTtaLvelad^ai oder die von EvcpQaLveod-aL und fjöeod-aL? Jedenfalls ruht sich der Leser bei den Geistes- erzeugnissen des Prodikos von den Strapazen der vorausgegangenen Untersuchung gründlich aus; und wenn diese Stelle auch von Piaton als eine Art Ruhepunkt gedacht war, so ist dies doch alles eher denn ein Kompliment für die Weisheit des Prodikos. Die Fragen, die zwischen Protagoras und Sokrates schweben, auch nur einen Schritt ihrer Lösung zu nähern, erweist sich die Synonymik des Prodikos als völlig unver- mögend. Es ist wohl mehr als Zufall, daß die Spielereien des Prodikos in einem Zeitpunkt einsetzen , da Sokrates erst aus dem gemeinsamen Gegensatz der dcpqoGvvri die Identität der Begriffe aocpia und owcpQoovvri gefolgert hat. Sonst würde Prodikos über ihre Diversität wohl auch so manches zu faseln wissen. Wie gering Piaton im Protagoras über die Weisheit des Prodikos denkt, geht noch aus mehreren anderen Stellen deutlich hervor. Zunächst aus der Stelle 339 e, wo Sokrates, durch Protagoras' Frage bezüglich des Widerspruches im simonideischen Gedicht überrascht, sich an die Synonymik des Prodikos wendet, indessen, wie er selber eingesteht, nicht etwa, um sich wirklich Be- lehrung zu holen , sondern um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen (sTceiraj

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log ye n-gög oe eigfjoS^at rdlrj&ri, %va jlioi xqövog iyyivrjTai vf^ oytsxpet Ti leyoL b TtOLTirrig, rqeTto^ai Ttqbg xbv nqüör/jov %tI.)\ Sehr sonderbar berührt uns auch die weitere Stelle o41 c, wo Sokrates den Prodikos fragt, ob Simonides unter xalsTtöv nicht xazov verstanden habe, was dieser bejaht mit der Bemerkung, Simonides habe dem Pittakos vor- werfen wollen, er wisse als Lesbier die Worte nicht zu unterscheiden, während sich dann doch ganz im Gegenteil Simonides einer Vermengung der Worte schuldig gemacht hätte und durchaus nicht Pittakos ! Freilich sagt Sokrates, durch den energischen Widerspruch des Protagoras ver- anlaßt. Prodikos habe dies nicht ernst gemeint, dies ist aber nichts anderes als Höflichkeit (und Ironie zugleich), da er sogleich aus dem folgenden Vers

d-ebg av /uövog tovt eyoi ysQag

beweist, daß Simonides unter xaleTtöv unmöglich y.a/Mv verstanden haben könne, er demnach den Prodikos nicht allzusehr bloßstellen wollte. Den schlagendsten Beweis für Piatons abfällige Beurteilung der prodikeischen Synonymik aber liefert die Stelle 358 a, wo Sokrates, nachdem er die Frage nach der Einheit der Tugend noch abgesehen von der Stellung der Tapferkeit zur Gesamttugend einer gedeihlichen Lösung zugeführt hat, sich die Synonymik des Prodikos ausdrücklich verbittet, offenbar, da sie nur geeignet wäre, die bereits sicher gestellten Resultate neuerdings in Verwirrung zu bringen. In ihrer ganzen ünersprießlichkeit zeigt sie sich endlich noch 358 e, wo Prodikos wieder einmal zwischen diog und (päßag, zwischen Angst und Furcht unterscheidet, worauf Sokrates mit nicht mißzuverstehender Deutlichkeit erwidert: „ovdiv dl affSQSL " , und zwar durchaus mit Recht, da Prodikos den springenden Punkt, nämlich ob es möglich sei, dem Furcht einflößenden Gegenstand nachzu- gehen, wenn es einem freisteht, das zu verfolgen, was man nicht zu fürchten hat, gar nicht erfaßt hat. Man sieht also, den Prodikos hindert seine Synonymik wiederholt, der wahren Erkenntnis teilhaftig zu werden; er verschwendet Zeit, Mühe und Geist an völlig frucht- lose Spielereien, während die sokratische Begriffsethik Triumphe feiert. Tatsächlich erscheint neben der zielbewußten begrifflichen Untersuchung des Sokrates, wie sie sich insbesondere bei der Zurückführung auch der Tapferkeit auf das . Wissen glänzend bewährt,^) die Synonymik des Prodikos direkt als Karikatur. Und doch kann nicht geleugnet werden, daß die Synonymik als solche durchaus nicht ungeeignet wäre, die strittigen Probleme zu fördern , wie sie ja auch im „Laches" bei der Unterscheidung der Begriffe ^Qaovg und dvögelog 196 d ff. und schließlich

') 359 a ff.

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schon im Protagoras 350 b. fF. (bezeichnenderweise allerdings nicht durch Prodikos, sondern durch Protagoras) wirklich zur Geltung gelangt ist. Es liegt ihr eben ein völlig gesundes Prinzip zugrunde, das einer scharfen, logischen Definition und Distinktion. Dazu scheint vortrefflich zu passen, daß Sokrates sich sowohl im ,.Protagoras" 341a als auch im „Charmides" 163d und im „Menon" 96d als Schüler des Prodikos bezeichnet. Und mag dies auch bis zu einem gewissen und wahrscheinlich ziemlich hohen^) Grade ironisch gemeint sein, es beweist doch, daß Sokrates' BegriiFsethik von der Sj^nonymik des Prodikos beeinflußt war oder wenigstens sich mit ihr berührte. 2) Oder mit anderen Worten: Sokrates stimmte mit Prodikos darin überein, daß es notwendig sei, den Inhalt und Umfang der einzelnen Worte und Begrifl'e festzustellen, ehe an ein ersprießliches Philosophieren gedacht werden könne. Während aber Prodikos diese Kunstfertigkeit auf die Spitze trieb und sich in unfruchtbare^) Grübeleien verlor, war es Sokrates um nutzbringende Definitionen vor allem der ethischen Begriffe zu tun. Der charakte- ristische Unterschied, der Sokrates von den Sophisten trennt, machte sich eben auch hier geltend. Prodikos ist es, wie allen anderen Sophisten, nur darum zu tun, seinen Geist leuchten zu lassen, und darüber ver- liert er die Sache aus dem Auge, w^ahrend es Sokrates einzig und allein um die Sache zu tun war und ganz und gar nicht um seine Person.*) So gingen Prodikos und Sokrates wohl ein Stück Weges zusammen; dort aber, wo sie sich trennten, begann für Sokrates wie für Piaton erst die wahre Wissenschaft. Durch das Tor, das zur echten Wissenschaft und Erkenntnis zu führen schien, trat Prodikos nicht ein, er wählte statt dessen einen Seitenpfad, wohl einen recht steinigen und mühevollen, der aber nichtsdestoweniger nicht zum Ziele führte. Es war demnach in gewisser Hinsicht ganz wohl begründet, wenn ihn Welcker einen Vorläufer des Sokrates nannte. Aber er ist dies nicht so sehr aus den von Welcker p. 402 ff. angeführten Gründen (Sokrates habe mit besonderer Teilnahme bemerkt, was der keische Weise über die Tugend, die Erziehung der Jugend , das Heilsame des Landlebens (?),

^) Worüber noch im folgenden gesprochen werden soll.

2) Schon Welcker a. a. 0. p. 438 hat auf Xenophons Meni. III, 14, 2 u. 7; IV, 5, 12; IV, 6, 1 hingewiesen, woraus hervorgehe, daß Sokrates die Methode des Prodikos befolgte. Dies wurde von Joel, D. echten, d. xenophont. Sokrates I, 351, allerdings bestritten.

^) „unschuldige" sagt Hermann, Plat. Philos. I, 213.

*) Sehr schön hat Piaton dies im Gorgias 459a ausgedrückt: 'Ey(o 6s xlvov eifAl; xCiv r]bE(}ig f.iev av sXsy/&svrcov, sl jui] xi u?.f]'&eg Myco, rjöeoig d'äv sXey^dvxcov, sl' reg rt fj,i] dXrj'd'eg Isyoi, oüh urjÖEoxsQOv ftsvx' av iksyx'd'svxMV ^ sXey^ävxcov ftelCov yäg avxo dya&ov ijyovfiai, ö'acojieg f^ieT^ov äya&ov eaxiv adxov djiaXXayfjvat y.axov xov fisytaxov i] äXXov dTtaXXd^ai.

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die Geringschätzung der irdischen Güter und des Lebens selbst im Auf- blick zu einem himmlischen Dasein, über Gottheit und Götter in Reden oder in Gesprächen mit Jünglingen oder mit ihm selbst vortrugt); denn vor kurzem erst hat Robert Pöhlmann treffend gezeigt^), wie wenig wir eigentlich noch immer vom historischen Sokrates wissen und wie zahlreiche unsokratische Züge unser Sokratesbild auch heute noch aufweist. Daß aber Welcker unrecht hat, wenn er dem Prodikos eine Methode, von der Sprache auszugehen und den Begriff ethischer Ausdrücke zu bestimmen, zuschrieb^), hat Zeller mit Recht betont, der dem Prodikos den Ehrennamen eines Vorgängers des Sokrates geradezu abspricht, weil ,,von dem großen Prinzip der Selbsterkenntnis, dem Zu- rückgehen auf allgemeine Begriffe, der Lehre, daß die Tugend ein Wissen sei, bei ihm sich keine Spur finde*'*). Es ist jedenfalls kein Zweifel, daß die Wortkunde des Prodikos und seine Tugendlehre in einem inneren Zusammenhange nicht standen. Die Begriffsethik ist ja eben erst des Sokrates bahnbrechendes Verdienst! Auch Brandis-"^) hat mit Recht gefragt: „Ob aber Prodikos verdient, als Vorgänger des Sokrates bezeichnet zu werden? ob zu natürlichem sittlichen Sinn auch hinzukam eine bestimmte Erkenntnis dessen, was vor allem Not tat, um den sophistischen Trug von Grund aus zu zerstören?" In dieser Streitfrage aber scheint mir K. F. Hermann den Nagel auf den Kopf getroffen zu haben, wenn er Piaton. Philos. I, 230 erklärt, daß „Prodikos durch die Schärfe seiner Synonymik, wodurch er einen mächtigen Schritt zu einer gesunden Logik tat, noch bei weitem mehr den Ehrennamen einesVorgängers von Sokrates verdiene, als dieser ihm neuerdings (nämlich eben durch Welcker) um seiner übrigen Lehr- und Lebensweisheit willen erteilt worden sei"; und in einem Briefe an Welcker, welchen dieser a. a. 0. p. 538 f. zitiert, bezeichnet er Prodikos als den „Vorläufer der echtlogischen Begriffsbestimmung, in welche Aristoteles eben des Sokrates wissenschaftliche Bedeutung setzt". ^) Da aber demgegenüber Welcker p. 539 mit der gleichen Berechtigung erklärt, „daß dieses Ver- dienst zufällig scheine, da Prodikos damit einem anderen Bedürfnis

*) Vgl. auch p. 531 II. 535.

-) Sokratische Studien, Sitzungsberichte d. bayr. Akad. d. Wissensch. 1906, p. 49 ff.

") A. a. 0. p. 447.

*) Schon von AVelcker selbst zitiert im Zusatz zu seiner prodikeischen Abhandlung a. a. 0. p. 529.

^) Geschichte der griech.-röm. Philosophie I, p. 547.

^) Vgl. auch, was Hermann bei Welcker p. 536, Z. 5. v. u. und noch an anderen Stellen über Prodikos sagt.

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der Zeit, dem der Sprachkunde und Redekunst, des richtig und genau bestimmten Ausdrucks über alle Dinge des Lebens und der Erfahrung gründlich zu Hilfe zu kommen suchte", so wird uns Piatons eigentüm- liche und gleichsam schillernde Haltung dem Weisen von Keos gegen- über verständlich. Insoferne er durch seine Forderung nach Definitionen und genauer Unterscheidung der Worte ein Gesinnungsgenosse des Sokrates ist, gibt ihm Piaton vor allen anderen Sophisten von Puf unbedingt den Vorzug. Da es aber Prodikos nicht verstand, sich zu den Höhen der sokratischen Begriff*sethik emporzuschwingen, vielmehr Mühe, Zeit und Geist darauf verschwendete, seine vielverheißende Syno- nymik zu einer läppischen Spielerei ausarten zu lassen, behandelt ihn Piaton wiederum mit einer spöttischen Höflichkeit und mitleidigen Ironie, wie er sie z. B. Protagoras oder Gorgias gegenüber niemals an- gewendet hat. ,.ndvG(Kpog y.al d-elog'^ nennt er ihn im „Protagoras" 315 e, „0 ßelriOTog ÜQüöizog^^ lesen wir im Gastmahl 177 b. Es liegt jedenfalls in all diesen Urteilen eine merkwürdige, aber uns nun recht wohl verständliche Mischung von Hochachtung und Geringschätzung. Sehr richtig sagte schon Bayle^): Piaton parle de lui assez souvent et meme avec eloge, mais non pas sans se souvenir quelquefois deTironie". Und es läßt sich ja unter solchen Umständen auch tatsächlich nicht leugnen, daß Prodikos eine komische Figur war. All die Fülle, welche ihm eine richtig angewandte Synonymik zu bescheren vermöchte, vor Augen, weiß er doch trotz heißen Bemühens keine Erkenntnis zu gemnnen, die irgend welchen Wert oder Nutzen hätte. Und ich glaube, es ist nun klar genug geworden, was der Vergleich „Prodikos-Tantalos" besagen will: Piaton nennt den Prodikos darum Tantalos, weil er trotz der vielen Anstrengung und Mühe, die ihm seine Sj-iionymik und Wort- kunde bereitet, doch niemals die herrlichen Früchte der auf den gleichen Prinzipien fußenden sokratischen Begriffsethik zu fassen vermag. Dies scheint mir die geistige Physiognomie des Weisen von Keos weit treffender zu charakterisieren, als eine Anspielung auf seinen leidenden Zustand oder seinen großen Reichtum.

Je herrlichere Früchte aber die sokratische Begriff'sethik Piaton zu tragen schien, d. h. je mehr die Ideenlehre in des Dichterphilosophen Geiste erstarkte, desto mehr mußte natürlich die Geringschätzung des Prodikos über die einstige Achtung und Anerkennung für diesen Sophisten das Übergewicht erlangen. So tadelt Sokrates im ,Menon' 96 d den Unterricht des Prodikos, der ihn nicht gelehrt habe, daß es neben dem Wissen (sTCLGTrjuri) noch eine richtige Meinung (dXrid-rjg do^a) gebe, die

1) Bei AVelcker a. a. 0. p. 407, Aiim. 38.

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in der Praxis nicht Geringeres als das Wissen zu leisten vermöge, i) Noch viel schroffer aber ist die Ablehnung von Prodikos' Kunst im Euthydem und im Theätet, in den Gesprächen aus der späteren Zeit Piatons, da die Ideenlehre längst ihre volle Entfaltung gefunden hatte ; im Euthydem p. 277 e ff. erscheint die Wortkunde des Prodikos in sehr zweifelhaftem Licht: sie dient wohl den beiden eristischen Klopffechtern Euthydemos und Dionysodoros als Grundlage ihrer „Kunst" , den Gegner durch plumpe Fangschlüsse zu übertölpeln 2), sie ist aber, wie Sokrates ausdrücklich erklärt , durchaus nicht imstande , Einsicht in das Wesen der Dinge zu verleihen (ei Y.al TzolXd tk^ 5y y.al Tcdvra roiaira udd-otj f,iiv 7CQccyjuaTa ovöiv av (.läXXov eldeiri tvt] i'x^t 278 b), noch auch ein Streben nach Weisheit und Tugend zu erwecken (278 d); und im Theätet sagt Sokrates 151 b, er habe Prodikos viele Jünglinge abgegeben, die er nicht mit Ideen schwanger gefunden habe (ivloze di^ 10 OeahriTE , ot äv f,ioc fifj do^coal Ttcog syzvjuovEg eivai , yvovg ort ovöiv sf^ov Seovrac, Ttävv €Vf.i€vcdg TCQOiivcoiiaL ymI, ohv d-eco eiTceXv, Tcdvv \yLav(7ig tOTraLco otg av GvyyevouEvoi ovaivro' lov jcoXXovg juiv örj e^söar/.a noodi/jo -jiTk.). Sonderbarerweise faßt Welcker p. 400 dies als ein Lob des Prodikos, er sieht darin eine Auszeichnung , daß Sokrates die un- brauchbaren Schüler gerade dem Prodikos übergeben habe. Xach den Msherigen Erwägungen aber ist es klar, daß diese Stelle eine Miß- achtung der prodikeischen Weisheit enthält und zum Ausdruck bringen Avill, daß Prodikos mit seiner Wortkunde sich zur Höhe der Ideenlehre nicht zu erheben vermochte; die an jener Stelle des Theätet neben Prodikos noch erwähnten aocpol re %al d-eOTteaioi ävöqeg sind zweifellos die übrigen Sophisten, so daß Prodikos auch auf den ihm einstens vor •diesen eingeräumten Vorzug schließlich verzichten mußte.

Man könnte nun vielleicht die Frage aufwerfen, ob denn auch alles, was Piaton von Prodikos erwähnt, tatsächlich Avörtlich zu nehmen ist, ob nicht vielmehr in manchen Fällen und dies gilt insbesondere von den Schriften aus der späteren Zeit das über Prodikos Gesagte eigentlich auf einen anderen zielt, der nur die Maske des Prodikos trägt. Wir müssen dabei bedenken, um wieviel wahrscheinlicher es schon a priori ist, daß Piaton, was er von den großen Sophisten, den Zeit- genossen des Sokrates, sagt, in Wahrheit auf eigene Zeitgenossen

*) Welcker hat diese Stelle nicht richtig verstanden, wenn er p. 427 Sokrates auf ■Grund derselben als Schüler des Tugendlehrers Prodikos faßt. Die gleichzeitige Erwähnung ■des Gorgias besagt nichts, da Gorgias ja schon früher als Lehrer des Menon bezeichnet Avurde und es an der erwähnten SteUe nicht mehr als eine faQon de parier ist, wenn Sokrates auch des Lehrers seines Mitunterredners gedenkt. Meine Auffassung teilt auch Joel a.a. 0. II, 140.

2) A'gl. auch p. 288 a.

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gemünzt hat, da er erstens eine dringendere Notwendigkeit empfinden mußte, sich mit den letzteren auseinanderzusetzen, und zweitens keine Möglichkeit hatte ^j, die eigenen Gegner anders auftreten zu lassen, als in den Masken von Zeitgenossen seines Meisters Sokrates. in dessen Maske er selber seine eigenen Gedanken verkündete. So scheint in der Tat die Er- wägung gerechtfertigt, ob denn wirklich der platonische Prodikos auch immer der historische sei? Ob wir nicht befürchten müssen , von dem Keer ein falsches Bild zu bekommen, wenn wir ohne Bedenken alle Züge, die ihm Piaton zuschreibt, auf ihn übertragen? Man denke nur an den platonischen ,Theätet'! Die Lehre, die Piaton dort als protagoreisch vorträgt, hat man teils (z. B. Joel a. a. 0. II, 842) Antisthenes, teils (fast alle anderen Forscher) Aristipp zugeschrieben, jedenfalls in allen ihren Details und Konsequenzen dem Protagoras unbedingt abgesprochen. Wäre es nun nicht denkbar, daß es sich mit der Rolle, die Prodikos bei Piaton spielt, ähnlich verhält?

Ohne indessen dieses prinzipielle Bedenken zu mißachten, meine ich doch, daß hier eine Analogie nicht vorliegt. Abgesehen davon, daß die im „Theätet" mitgeteilte Lehre des Protagoras von Piaton ausdrücklich als eine Geheimlehre bezeichnet (152 d), also dem verständigen Leser recht nahe gelegt wird, sie nicht dem historischen Protagoras zuzuteilen, handelt es sich beim ,. Theätet" um eine detaillierte und ins einzelne gehende Theorie des Abderiten, in deren Darstellung Piaton sehr leicht erst von Späteren gezogene Konsequenzen hinein verweben konnte, während wir nirgends in seinen Schriften einer in gleicher Weise bis ins kleinste ausgeführten Darlegung einer prodikeischen Lehre begegnen. Aus- führlicher spricht Piaton von Prodikos ja nur im „Protagoras" und dort ist der Keer, was er ja wirklich war, als Synonymiker und Meister der Wortkunde geschildert, richtiger gesagt, karikiert. Daß die Schilderung Karikatur ist, kann ja kein Zweifel sein; niemandem wird es einfallen, alle Beispiele der prodikeischen Synonymik aus dem „Protagoras" auch wirklich mit peinlicher Genauigkeit dem historischen Prodikos zuzu- schreiben. Was aber Piaton sonst noch in seinen Schriften über Prodikos berichtet , ergänzt nur das Bild, welches uns schon der ,. Protagoras" bietet, und ist meistens ernster gemeint, als was im „Protagoras" über Prodikos steht. Wir haben sonach keinen Anlaß, Piatons Schilderung des Prodikos und seine Anspielungen auf den Keer anders als wörtlich zu nehmen; aber eine Möglichkeit besteht freilich noch. Wenn auch alles, was Piaton über Prodikos mitteilt, buchstäblich von diesem gilt, so wäre es doch gar wohl denkbar, daß so mancher Hieb, der gegen

^) Sehr richtig betont Joel a. a. 0. II, 140 u. 149 diesen Punkt.

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Prodikos geführt wird, zugleich noch einen andern treffen soll, der Piaton in den Bahnen des Prodikos zu wandeln schien. Ich habe oben dargelegt, was Sokrates von Prodikos unterschied, w^odurch der Athener den Keer übertraf. Wenn wir dies bedenken, so erscheint es zweifellos, daß für eine Identihkation mit Prodikos namentlich solche Denker aus dem Kreise der Sokratiker sich eigneten, welche dem w^esentlichen Verdienste des Sokrates, seiner Begriffsethik, nicht die gebührende An- erkennung entgegenbrachten, insonderheit deren Kind, die platonische Ideenlehre, nicht akzeptieren zu können glaubten. Ein solcher Denker aber war in erster Linie der überzeugte Nominalist Antisthenes. Nun ist gerade dieses Mannes Verbindung mit Prodikos schon durch das Gastmahl des Xenophon bezeugt. ^ ) Bereits Welcker hat darauf hinge- wiesen 2)^ daß Antisthenes in seinen Grundsätzen manche Beziehung zu Prodikos hatte und nach Diogenes Laertius VI 17 Schriften vom Sterben und vom Tod und Leben verfaßt hat (:n:€Qi tov aTcod-avelv, TteQi ?w^g /.al ^avdxov), Antisthenes hat aber auch fünf Bücher tteqI 7caideLag rj ovoudzcüv^) geschrieben und ferner ist uns ein Ausspruch des ersten Kynikers erhalten, der lautet: ccQxrj TtaiSevaecog fj twv ovoaaTcov STtiö'/.eipLg.^) Im platonischen „Euthydem'* 277 e aber heißt es von den antisthenischen Sophisten Euthydem und Dionysodor, daß sie der Methode des Prodikos folgen, der da sage: tiqmvov TteQi dvof^idtcov ogS-örriTog fuaS-elv del^). Zum Über- fluß ward im „Charmides" 163 d „des Kritias streng antisthenische Auf- fassung des dyad-ov = ol/xlov und des TtQdrreLv = tcolelv des dyad-ov auf die diaiQEGig ovo/udrojv des Prodikos zurückgeführt".®) Aus all dem folgert Joel'), wie mir scheint, durchaus mit Recht, daß hinter dem Onomatologen Prodikos bei Piaton stets der Onomatologe Antisthenes stecke. Richtig scheint mir auch die Behauptung Joels (II, 139 f.), Antisthenes habe in seinen Schriften Sokrates von Prodikos lernen lassen. Diesen Prodikosschüler Sokrates aber habe Piaton in seinen Schriften bestritten, einmal ernsthaft im „Laches" 186 c eine Stelle, auf die Joel p. 141 mit Nachdruck hinweist und zu wiederholten Malen ironisch an andern Stellen, an denen Sokrates sich auf seinen „Lehrer" Prodikos beruft und die sämtlich im Vorausgehenden erwähnt wurden. Wir haben oben gesehen, daß dieses Schülerverhältnis des Sokrates zu

') IV, 62.

2) A. a. 0. p. 510 u. 536.

') Diog. Laert. ibid.

*) Arrian. Epictet. Diss. I, 17.

5) Joel, a. a. 0. II, 140.

«) Joel ibid.

') Ibid.

Wiener Eranos.

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Prodikos von Platon stets mit der gleichen Ironie behandelt wurde wie der Meister Prodikos selbst. Hauptsächlich kommt hier ja der ,.Protagoras'' in Betracht und da glaube ich gezeigt zu haben, inwiefern auf Grund dieses Dialoges Prodikos als „Lehrer" des Sokrates verstanden werden konnte und welch klägliche Rolle dortselbst der berühmte Keer neben seinem „Schüler" spielt. Es scheint mir daher sehr wohl denkbar, daß Platon durch den „Protagoras" u. a. zeigen wollte, was an jenem von Antisthenes behaupteten Schülerverhältnis in Wirklichkeit war. Und wie Piatons Urteil über Prodikos desto geringschätziger werden mußte, je herrlichere Früchte ihm die sokratische Begriffsethik in der Ideen- lehre zu bescheren schien, so eignete sich Prodikos immer mehr als Maske für den hartgesottenen Nominalisten Antisthenes, der die Ideen- lehre unbedingt und mit derbem Spott zurückwies. So gelten jedenfalls die betreffenden Stellen in den späteren Werken, wie im „Kratylos", „Theätet", „Euthydem" , wohl hauptsächlich dem Antisthenes. Aber schon jene oben zitierte „Menon "-Stelle 96 d, wo Sokrates spottet, Prodikos habe ihn nicht darüber aufgeklärt, daß es neben der STtiGvrifxij noch eine dö^a oq^i] gebe , scheint mir ein Hieb auf Antisthenes zu sein, der zwar vier Bücher Ttegl döBrig xal smorrju^g geschrieben i), aber keinen tieferen Unterschied zwischen öö^a ogS-rj und eTtiOTriui] gemacht hat. 2) Zweifellos hat Joel ferner Recht, wenn er II, 143 A. 2 die „Theätet"-Stelle 151 b, an der Sokrates erklärt, er weise die Un- begabten an Prodikos xal äXloig oofpolg re y,al S^eGTrEGioig dvdQaoiVy gegen Antisthenes gerichtet sein läßt , der demnach von Platon jene Schüler zugewiesen erhielt, welche die Ideenlehre nicht zu fassen ver- mochten. Es ist Joel auch zuzustimmen , wenn er II, 141 A. 3 die homerische Einführung der drei Sophisten im „Protagoras" als spöttische Anspielung auf die homerische Traidela des Antisthenes auffaßt; des- gleichen, wenn er II, 487 Platon über die fiaXazla des Prodikos 3) spotten läßt, mit einem ironischen Seitenblick auf dessen kynischen Verehrer Antisthenes , dessen Idol kein anderer als Herakles war. Auch mag die Sympathie, die Platon trotz allem gegen Prodikos zeigt, teilweise dem Sokratiker Antisthenes gelten, ebenso wie die Ironie und der Spott über seine geistige Kurzsichtigkeit ; oder mit anderen Worten : nicht so sehr der historische Prodikos wird von Platon mit jener sonderbaren Mischung von Sympathie und Ironie behandelt, als Prodikos, der Held des Antisthenes.

1) Diog. Laert. VI, 17.

2) F. Dümmler, Akad. p. 197 «) Vgl. Protag. 315 d.

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Jene Entdeckung Joels , daß hinter dem Onomatologen Prodikos bei Piaton gewöhnlich der Onomatologe Antisthenes stecke , scheint mir aber auch das Verständnis der platonischen Dialoge „Laches" und „Charmides*' sehr bedeutend gefördert zu haben. Es hat schon manchen sonderbar berührt, daß Piaton in diesen beiden Dialogen durch den Mund des Sokrates Ansichten bekämpfte, die wir eigentlich als sokratisch be- zeichnen müssen. So wird z. B. im ,,Laches" jene Definition der Tapfer- keit, welche Sokrates im „Protagoras" 360 d als die Kenntnis des Furchtbaren und Nichtfurchtbaren erarbeitet hat, als unzulänglich zu- rückgewiesen, da sie den Unterschied zwischen der Gesamttugend ((XQeTi]) und der Einzeltugend der Tapferkeit (dvÖQela) aufhebe. ^) Es scheint mir besser, dies einzugestehen, als sich durch erkünstelte Deu- tungen über die Schwierigkeiten der Sache hinweghelfen zu wollen. Auch der neueste , von Heinrich Gomperz ^) unternommene Versuch, die Schwierigkeiten hinwegzudeuten, kann nicht als geglückt bezeichnet werden. Gomperz meint, die Definition des Nikias (welche mit der aus dem „Protagoras" übereinstimmt) werde im „Laches" nicht be- kämpft, sondern nur berichtigt. Der „Laches" habe durchaus ein posi- tives Resultat, und des Sokrates Schlußargument besage nur, wegen der Einheit des Tugend wissens sei die Tapferkeit besser denn als iTtLOxrjfxri künftiger Güter und Übel, vielmehr als eTCiarri^ri von Gütern und Übeln überhaupt (also als ägExr]) in ihrer Anwendung auf künf- tige Güter und Übel zu definieren. Damit scheint mir aber der Schwierig- keit durchaus nicht ausgewichen zu sein. Denn abgesehen davon, daß nicht einzusehen wäre, warum Piaton dies nicht einfach und deutlich sagt, 3) kann man doch nicht in der Anwendung des Wissens auf Künf- tiges das Charakteristische der Tapferkeit erblicken. Denn die Anwen- dung des Wissens auf Künftiges ist nichts anderes als die Betätigung der Tugend, d. h. jeder Tugend, nicht etwa bloß der Tapferkeit. Wenn ich gerecht handle, weil ich von der Überzeugung ausgehe, daß jede Übeltat ihre Strafe findet , bin ich da tapfer? Heinrich Gomperz scheint mir ebenso wie sein Vater, der den „Laches" (und den „Charmides")

*) Lach. p. 199 d.

2) Archiv f. Geschichte d. Philosophie XIX, 527.

') Man komme mir nicht mit der Fabel, Piaton habe ursprünglich die sokratische Methode befolgt, welche die Gespräche gewöhnlich mit dem Eingeständnis des Nichtwissens endete. Denn resultatlos , d. h, ohne daß die Hauptfrage eine entschiedene Beantwortung erführe, verlaufen meines Wissens nur der ,.Laches'' und der „Charmides", eben weil sie vorwiegend polemischen, d. i. negativen Charakters sind. In den anderen Schriften vermag eine aufmerksame und scharfsinnige Erklärung ohne Künstelei ein Ergebnis fest- zustellen.

4*

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dem „Protagoras*' vorausgehen läßt ^) , die Tragweite der Polemik im „Ladies" entschieden zu unterschätzen. Man darf auch nicht übersehen, daß die Bedenken gegen die Auffassung der Tapferkeit als des Wissens vom Furchtbaren und Nichtfurchtbaren sehr gegründet sind. Ist denn derjenige überhaupt tapfer zu nennen, der etwas Furchtbar-Erscheinen- des auf sich nimmt, weil er weiß, daß es in Wahrheit gar nicht furcht- bar ist? Wir mögen ihn weise, klug u. ä. nennen; aber tapfer? Und dieses Bedenken soll Piaton dann später, als er den „Protagoras" schrieb, ignoriert haben? Ich glaube kaum; auch sehe ich nicht, was, wenn wirklich zwischen dem ,.Protagoras*' und dem „Laches" in dieser Frage kein Widerspruch vorliegt, Piaton veranlaßt haben kann, die- selbe Frage zweimal im gleichen Sinne zu behandeln. Daß, wie Zeller 2) vermutet, der Satz von der Einheitlichkeit der Tugend als das Ergebnis des „Laches" anzusehen sei, ist auch nicht glaublich: denn es wäre doch sehr sonderbar, wenn die Definition der Tapferkeit gesucht und die Einheitlichkeit der Tugend, also etwas völlig Verschiedenes, gefunden würde; auch ist die Polemik gegen die Definition der dvögeia aus dem „Protagoras" viel zu nachdrücklich , als daß ihr weiter keine Beach- tung zukäme. Ich setze mich also ruhig dem Vorwurf der Oberflächlich- keit aus, den Bonitz ^) zunächst gegen Schaarschmidt geschleudert hat, weil dieser auf den Widerspruch zwischen dem „Laches" und dem letzten Teil des „Protagoras" hinwies. Es fällt mir freilich nicht ein, aus diesem Widerspruch mit Schaarschmidt die Unechtheit des „Laches'' folgern zu wollen; ebensowenig allerdings mit Ernst Horneffer*) darin eine von Piaton versuchte Widerlegung der sokratischen Tugend- wissenslehre (!) zu erblicken. Ich sehe vielmehr darin nur den Beweis, daß Piaton mit dem Problem, in welchem Verhältnis die Einzeltugen- den zur Gesamttugend stehen, anhaltend und schwer gerungen hat. Dieses Problem bestand für ihn noch nicht, da er den „Protagoras" schrieb; im „Charmides" und „Laches" ist es ihm in seiner ganzen Schärfe zum Bewußtsein gekommen, doch ringt er mit den Schwierig- keiten noch vergebens: er hält zwar an der Tugendwissenslehre fest darauf muß Horneffer gegenüber nachdrücklichst hingewiesen werden , aber die Form, die ihr von Sokrates gegeben wurde und die noch im „Protagoras" vorzuliegen scheint, befriedigt ihn nicht mehr; gelöst ist das Problem erst im „Gorgias", und zwar mit Hilfe der pythagoreischen Psychologie und der auf ihr fußenden Lehre von

^) Gr. Denker IT, 250; desgleichen H. Eaecler, Piatons philosophische Entwicklung.

'') Philos. der Griechen II *, p. 598* und 5991.

ä) Piaton. Studien 3, p. 219, A. 2.

*) Piaton gegen Sokrates, Leipzig 1904.

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der Dreiteilung der Seele , wie ich bereits in meinem Aufsatz „Das Problem des platonischen Symposion" ^) p. 12 kurz bemerkt und in einer im Archiv für Geschichte der Philosophie demnächst erscheinenden Abhandlung über den platonischen „Gorgias" ausführlich auseinander- gesetzt habe.

Wenn es nun immerhin befremden konnte, Piaton in den beiden Dialogen „Laches*' und ,.Charmides*' gegen Sokrates polemisieren zu sehen, so gebührt Joel das Verdienst, diese Bedenken entkräftet zu haben. Es gelang ihm zu zeigen , daß jene Partien , in denen Piaton den historischen Sokrates zu bekämpfen schien, in Wahrheit gegen Antisthenes gerichtet sind. Dies geht aus folgendem hervor: Sokrates sagt im „Laches*' 197 d , Mkias habe seine feine Unterscheidung der Begriffe S-gaoig und dvÖQeiog von Dämon, der seinerseits wieder sehr genau mit Prodikos, dem berühmten Sjnonymiker, bekannt sei. Diesen Dämon hat nun Sokrates dem Mkias als Lehrer seiner Kinder empfohlen (180 d). Gegen Schluß der Unterredung (200 a) spottet Laches darüber, daß die Weisheit des Dämon sie nicht zu dem er- sehnten Ziel, zu der Erkenntnis des Wesens der Tapferkeit geführt habe, wogegen Xikias den Dämon verteidigt und erklärt, er glaube, die Sache bereits hinlänglich aufgeklärt zu haben, doch werde er, falls noch Bedenken bestünden, mit der Hilfe Dämons und anderer seine Auffassung berichtigen (200 b). Die geheimnisvolle Rolle, die da der Musiker Dämon spielt, wird mit einem Schlage klar, wenn wir Tins vor Augen halten , daß Dämon Lach. 197 d in Verbindung mit Prodikos und dieser wieder von Xenophon Conv. IV, 62 in enge Be- ziehung mit Antisthenes gebracht wird, und wenn wir ferner bedenken, was Joel über den Onomatologen Prodikos bei Piaton sagt: die An- sicht, welche Xikias im „Laches" mit Zuhilfenahme der prodikeischen Synonymik verficht und die, obwohl sie im „Protagoras" als sokratisch auftritt, von Piaton bekämpft wird, gehört keinem anderen als Anti- sthenes; 2) und sollte dieser selbst mit der im Laches bekämpften An- sicht nur an der Meinung des historischen Sokrates festgehalten haben eine Annahme, die ja der „Protagoras" nahe legt , so konnte Piaton dem immerhin in der Person des Sokrates entgegentreten, da er eben als Fortbildner der sokratischen Lehre viel mehr im Geiste des Sokrates zu verfahren glaubte als Antisthenes, der der Lehre des Meisters wortwörtlich treu blieb. Darauf scheinen auch die Worte 201 a hinzuweisen, wo Sokrates verlangt, man müsse in der allgemeinen

*) Im Jahresbericht des k. k, Sophiengymnasiums zu Wien 1906. «) Joel, a. a. 0. II, 141, A. 4.

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Verlegenheit den besten Lehrer, SidaoKaXov (hg agiarov^ suchen. Sollte damit ein anderer gemeint sein, als Piaton selbst? i)

Das gleiche Licht wie über den „Laches" hat Joel auch über den „Charmides" gebreitet. Wie in jenem die ävÖQela, so wird in diesem die acücpQoavvrj erfolglos gesucht, da sich jene Definition, die wir als sokratisch ansprechen müssen, owg)QOGvvri = eavTov TtQdtteiv^ als un- zulänglich erweist. Auch hier hat Joel gezeigt, daß jene scheinbar sokratische Definition in Wahrheit dem Antisthenes gehört hat. 2) Die Rolle des Nikias im „Laches" spielt im „Charmides" Kritias. Er ver- tritt die antisthenische Auffassung des äyad-öv = ol^elov und des tzqüct- TEiv = /coielv des dyad-ov, ^) zeigt sich also als Synonymiker, wodurch sich Sokrates an Prodikos erinnert fühlt (163 d). Es wird also auch im „Charmides" nicht der historische Sokrates bekämpft, sondern der antisthenische. Natürlich bleibt auch hier die bereits bezüglich des „Laches" erwähnte Möglichkeit bestehen, daß die von Piaton bekämpfte antisthenische Ansicht zugleich die des historischen Sokrates gewesen ist; aber jedenfalls spricht schon vom psychologischen Standpunkt die größere Wahrscheinlichkeit dafür, daß Piatons Polemik mehr als dem toten Sokrates dem lebenden Antisthenes gilt. Für die Entwicklung der platonischen Philosophie ist es allerdings im Grunde ziemlich gleich- gültig, ob die Polemik sich mehr gegen den antisthenischen oder gegen den historischen Sokrates gerichtet hat.

^) DesAvegen wurde der „Laches" natürlich noch nicht die Akademiegründung vor- aussetzen.

*) A. a.O. II, 140.

8) Außer der eben zitierten Stelle vgl. noch I, 356, A. 1 u. II, 1134.

Die Geclankenabfolge Inder pseudoxenophontischen 'Ad-fivaim ^oXcTcia und die Umstellungsversuche.

Von M. NISTLER.

Von den vielen Problemen, welche die unter Xenoplions Namen überlieferte Schrift vom Staate der Athener brachte, war das meist- umstrittene die Frage, ob die von den Handschriften gegebene Reihen- folge der einzelnen Paragraphen auch der vom Autor getroffenen Anord- nung entspreche. Da bei der Untersuchung der Frage sich ergab, daß den Forderungen nach streng logischer Deduktion, die von den ein- zelnen Gelehrten an den Aufbau des Werkes gestellt wurden, nicht entsprochen sei, wenn die Überlieferung beibehalten werde , so suchte man diesem Mangel durch verschiedene Umstellungsversuche abzu- helfen. Erst Kaiinka (Prolegomena zur pseudoxenoph. J4ürivalwv Ttoh- xeia, Wien. Stud. XVIII, 1896, S. 27 ff.) hat diese Umstellungsversuche entschieden abgelehnt und den Wert der überlieferten Anordnung endgültig bewiesen.

Wenn ich trotzdem dieses Problem in breiter Ausführlichkeit wieder aufnehme, so hat mich dazu die Überzeugung bestimmt, daß Kalinkas Ansicht von der Richtigkeit der Überlieferung durch Klar- legung der Ideenassoziation zwischen den einzelnen Paragraphen und den einzelnen Kapiteln besser gestützt werden kann als durch seine Annahme, daß wir in dem Werkchen ein „lockeres Aggregat einzelner nebeneinander gestellter Argumente zu gewärtigen haben". Dazu kommt die Tatsache, daß ich an mehreren Stellen in der Einzelinterpretation zu einem anderen Resultate kam als Kaiinka, eine Stellungnahme aber deswegen für nötig hielt, weil zwischen der Ansicht Kalinkas, die er in den Prolegomena niederlegte , und der in der Editio durch die Texteskonstruktion zum Ausdruck gekommenen mehrfach Differenzen

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bestehen. Schließlich ergab sich mir eine völlig andere Auffassung der Stellung der einzelnen Kapitel zum Thema.

Die ältere Literatur, auf die zurückzugreifen ich wenig Anlaß hatte, habe ich hier nicht angeführt, weil sie Kaiinka in der Praefatio zu seiner Ausgabe p. 8 ff. vollständig gegeben hat. Nach Kalinkas Prolegomena erschienen 1907 von Gustav Hofmann „Beiträge zur Kritik und Erklärung der pseudoxenophon tischen Athen, polit." [= zweiter Teil des Programms des kgl. Maximilians-Gymnasiums (in München) für das Schuljahr 1906/07] , die sich mit der Interpretation einzelner Stellen befassen. ^)

Über die ersten 10 Paragraphen ist es leicht, sich zu einigen. Der Autor bringt als ersten Beleg für seine Behauptung cog el) diaac^^avTai TTjv Ttohreiav die Tatsache, daß in Athen der Demos und die Armen vor den Edlen und Reichen bevorzugt werden. Da jene es seien, welche dem Staate seine Macht verschaffen, so sei es nur billig, daß sie An- spruch hätten auf die Rechte eines Bürgers, damit Zutritt zu allen Ämtern, unbeschränkte Betätigungsfreiheit in Rat und Volksversamm- lung. Daß aber der Demos in Wirklichkeit nicht zu allen Ämtern Zutritt habe, sei keine Verletzung des Gleichheitsprinzipes , sondern nur ebenfalls ein Mittel, den demokratischen Staat in seiner Macht zu erhalten. Denn würde jeder auch jene Ämter bekleiden dürfen, zu denen eine gewisse Befähigung notwendig ist, so würde aus einem solchen Zustande bei ungeeigneter Besetzung der Stellen dem Staate bald der schwerste Nachteil erwachsen. Der Demos verlangt für sich nur jene Ämter, die ihm materiellen Nutzen bringen. Die Bevorzugung des Demos vor den Edlen zur Stärkung der Demokratie erfolgt aber nicht bloß in der Ämterfrage, sondern überhaupt in allen Stücken; 2) das tun die Athener mit Überlegung, denn der natürliche Gegensatz zwischen arm und reich, vornehm und gering verlangt in einer Demo- kratie zu deren Sicherung die durchgängige Bevorzugung des Demos.

In §§ 6 10 gibt dann der Verfasser in Form einer Widerlegung eines Einwurfes die Begründung, warum in einer Demokratie allge- meine Redefreiheit herrschen müsse.

Kaiinka (a. a; 0. 36) mißt den Worten von I, 2, eine zu große Bedeu- tung zu. Schon durch diesen Paragraphen würden wir darauf vorbereitet, daß wir statt einer wissenschaftlich gegliederten und abgerundeten

*) Der Vollständigkeit halber sei noch verwiesen auf den Bericht von E. Ullrich über Xenophon in dem Jahresber. d. philol. Vereins zu Berlin 1904, S. 63—224.

^) Kaiinka hat im Anschlüsse an Rettig überzeugend die Übersetzung von vcavTayov „in allen Stücken" als die an unserer Stelle einzig mögliche erwiesen.

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Studie ein lockeres Aggregat einzelner, nebeneinander gestellter Ar- gumente zu gewärtigen hätten. Insbesondere seien aber die Worte deshalb bedeutungsvoll, weil der damit eingeleitete Gredanke nicht ein- mal ein Argument der angekündigten Beweisführung sei, sondern eher eine auf den Anfang der Einleitung zurückgreifende Vorfrage er- ledige, nämlich die . ob denn überhaupt und warum die Bevorzugung der großen Masse vor dem Adel, wie sie im Wesen der athenischen Demokratie liege, berechtigt sei. Beide Behauptungen scheinen mir unberechtigt. Das von Kaiinka bemerkte Vorausempfinden der lockeren Aneinanderreihung der i^rgumente ist durch tvqcütov (.lev ovv absolut nicht gegeben, es könnte jede wissenschaftliche Untersuchung damit beginnen. Die Bevorzugung der großen Masse vor dem Adel ist gewiß ein Argument der angekündigten Beweisführung, der Gedankengang ist höchst einfach: die Behauptung, wg ed diaai^l^ovvai rrjv Ttohreiav ( = demokrat. Verfassung) wird trefflich gestützt durch den Satz : daher begünstigen sie auch die große Masse vor dem Adel. Also die Be- günstigung der großen Masse ist eine konsequente Folgerung aus dem demokratischen Prinzipe. Kalinkas Auffassung geht aus seiner an dieser Stelle gemachten Texteskonstruktion ^) hervor : on dixaUog avvoS-i y,al (^cpahoviaiy ol 7iev}jTeg xal 6 dfjfiog TtXeov ex^iv tcov yevvalcov '/mI tcov Ttkovoicov. d. h. nach Kalinkas eigenen Worten : „daß es auch wirklich den Anschein habe (nicht bloß eine grundlose Einbildung des attischen Demos ist) , daß in Athen mit Recht die Armen und überhaupt die Masse den Vorzug haben vor den Vornehmen und den Reichen.*'

Dem Autor kommt es ja gar nicht an auf die Konstatierung eines berechtigten oder unberechtigten Anscheines, sondern vielmehr auf die Konstatierung der Tatsache , und daß diese berechtigt ist als notwendige Folge des demokratischen Prinzips. Die einfachste Kon- jektur ist doch, das überlieferte ex^iv in s'xei zu ändern, das uns von M geboten wird. ^) Die anstößige Koordinierung der TtevTjTeg und des 6ri(.iog wird gedeckt durch I, 4, 2 (vml TtevTqGi y.ai drif.wTr/.o'ig) und II, 18, 6 (oXiyoi ÖS TLveg twv TievrJTcov xal driuoTLy.cdv). Vielleicht ging diese Koordinierung der Begriffe hervor aus dem Streben des Autors nach Deutlichkeit und Vollständigkeit; denn Tatsache ist, daß unter dri/nog die Tttvr^ieg nicht ganz subsumiert werden können, ebensowenig wie die "/evvaioL unter TtlovaioL. Bei der Annahme der Konjektur exet bekommt die Stelle erst ihre richtige Bedeutung : die Armen und der

*) Er hat sie aber in der ein Jahr später erschienenen Ausgabe wieder fallen gelassen. 2) Zu dem eklektischen Prinzipe sind wir durch das Wertverhältnis der codd. A, (B), C, M zueinander berechtigt.

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Demos genießen mit vollem Rechte ihre Begünstigungen, denn sie sind es, die dem Staate seine Macht, sein Leben erhalten.

Nach den freien Bürgern kommen naturgemäß die Sklaven und Metöken an die Reihe : I, 10 tcov dovXcov d^ av ^) y,al tcov f.iexoi'Kwv TtleiGTTi eartv Jdd-i^vriotv duokaaia. Der Gedankenfortschritt und Zusammen- hang ist hier zu fast allgemeiner Übereinstimmung klargestellt. Dagegen hat der in der Überlieferung folgende Abschnitt I, 13, welcher vor die Behandlung der Bundesgenossen eingeschoben ist, seit jeher große Schwierigkeiten gemacht. Sie liegen einerseits in der Erklärung des yv^vaCöuevoL und tyjv juovaiy,rjv STtirrjSevovTeg, nach deren Fixierung erst die Frage, ob das in der Überlieferung hier stehende Stück auch die ursprüngliche, ihm vom Autor gegebene Stelle inne hat, beantwortet werden kann, anderseits in der Gestaltung und Interpretation des partizipialen Beisatzes. Dazu kommt noch als erschwerend, daß über die im Text erwähnten Vorgänge uns die antiken Quellen im Stiche lassen. Ausnahmslos wurde versucht, die Klärung des ersten Satzes im § 13 losgelöst aus seiner Umgebung, manchmal noch mit Rücksicht auf das Vorangehende, aber immer ohne Berücksichtigung des Nach- folgenden zu geben. Da aber weder Text noch Inhalt gesichert sind nur soviel ist klar, daß es sich um eine der Ausübung musisch- gymnastischer Künste feindliche Aktion des athenischen Demos handelt halte ich einen derartigen Versuch für aussichtslos. Der darauf- folgende Satz aber ,Jv Talg x^Q^y'^^'-S bis ylyvcuvTar^ bezeichnet sich schon sprachlich als Gegensatz des ersten Satzes, und da hier Text 2) und Inhalt gesichert sind, muß hier die Untersuchung einsetzen und das erste Glied des Gegensatzes aus dem zweiten Glied rekon- struieren. Nun steht im 2. Satze nichts anderes, als daß der Demos seine feindselige Haltung nicht betätigt bei Choregien etc., da er sieht, daß er hier selbst herangezogen wird und materielle Vorteile davon hat. Es bleibt also für den Gegensatz : der athenische Demos be- tätigt seine feindliche Haltung dort, wo er nicht herangezogen wird und keine materiellen Vorteile davon hat, wo er einer Konkurrenz ausgesetzt ist. der er nicht die Spitze bieten kann. Diese Konkurrenten können aber weder die 3f^r?(7zrot und tcXovölol sein , denn der Autor gibt ja selbst an, daß (II, 10) die Reichen nicht in der Ausübung musisch- gymnastischer Künste gehindert werden, noch dem Hauptteile nach

^) Die aus dem av von Kirchhoff gezogenen Schlüsse auf das Vorhandensein einer Lücke vor § 6 sind als nichtig erwiesen von Eettig 246.

^) Daß es heißen muß xal yvfxvaaiaQXOvaiv oi nXovaioi xal xQirjQaQXOvatv, 6 6s öfjfiog etc. ist ganz klar; daß TQirjQaQxovaLv in A und M ausfallen konnte, ist leicht erklärlich.

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der Demos, denn damit wäre ja der in I, 13 ausgesprochene Gegen- satz zwischen Siiuog als dem verfügenden Teil und dem nicht zum dfjfxog gehörigen als von der Verfügung betroffenen Teil wieder aufgehoben. Die Konkurrenten müssen also Nichtathener sein (das ist Metöken und Sklaven), und zwar solche, die die Ausübung der angegebenen Künste als Profession betreiben. Die Auffassung der yvuvaLÖiievoL. als pro- fessionell Ausübender wird gestützt durch die Bedeutung der Parti- cipia praesentis und durch die Interpretation des partizipialen Bei- satzes, in welchem der Grund, resp. die Gründe für das Verhalten des Demos angegeben werden. Ich will zuerst den mit yvovg on einge- leiteten vornehmen. Überliefert ist sowohl öwarog (C) als dwazd (A, M). Wie oben bemerkt wurde, hat der Sfif^og den musisch-gymnastischen Künsten gegenüber ein anderes Verhalten bei den Choregien etc., weil er erkennt, daß er hier selbst herangezogen wird und materielle Vor- teile hat ; Konkurrenten aber gegenüber, welche die Künste professions- mäßig betreiben, geht der Demos feindlich vor. Der Grund dafür in den mit yvovg oti eingeleiteten Worten kann eben nur sein : weil der Sfiiuog erkennt, daß er diese Künste nicht professionsmäßig betreiben kann, nicht etwa wegen geistiger oder körperlicher Unfähigkeit, sondern einfach der gegebenen Verhältnisse wegen, meist natürlich, weil der größte Teil des Demos gezwungen ist, sich in der Zeit, da er derartige Übungen vornehmen sollte, sich seinen Lebensunterhalt zu verschaffen. Die Wenigen aber, die es sich gestatten könnten, die Kosten für die Erlernung auszugeben und auch genug Zeit und Muße zur Übung hätten, würden eben dadurch, daß es nur wenige, nicht aber alle sind, das demokratische Prinzip durchbrechen. Damit scheint mir die Lesart dvvarog gesichert zu sein. Kaiinka, der meint (a. a. 0. 39), daß eine so absprechende Selbstkritik des Volkes hier nicht enthalten sein könne, weil unmittelbar danach die aktive Beteiligung desselben Volkes an den choregischen und gymnasiarchischen Aufführungen betont wird, hat die Lesart Sward verteidigt. Er hat aber das övvaTog eben auf die Befähigung, nicht aber auf die durch die Umstände bedingte Unmöglichkeit, resp. Möglichkeit bezogen, i) Eine weitere Schwierigkeit bot der erste Partizipialsatz wegen des zaAoV. Durchwegs wurde hier '/,ak6v als „geziemend, schön'' aufgefaßt; man geriet damit aber in eine heikle Situation. Sollte diese Begründung ernst genommen werden, so mußte man annehmen, der Autor habe hier dem athenischen Demos ethische Gründe unterschoben, dies widerspricht aber dem Tenor und

*) Kaiinka hat übrigens in seiner Ausgabe die in den Prolegomena vertretene Lesart aufgegeben und övvaTÖg aufgenommen.

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Charakter der Schrift, in der ja alle Entscheidungen des Demos als rein materiellen Interessen entsprungen dargestellt werden. Man suchte sich daher zu helfen, indem man ein ov vor vo(.iilwv einschob. Das ist sicher verfehlt. Wollte man aber die Begründung als nicht ernst ge- meint, sondern als Ironie nehmen, so entstand wieder eine Schwierig- keit: es ließen sich die beiden Partizipien syntaktisch nicht recht miteinander vereinigen.

Ich glaube, man muß hier TiaXov nicht mit ,, geziemend", ,. schön", übersetzen, sondern mit der anderen Bedeutung, die vmIov ebenfalls hat, nämlich „nützlich, praktisch", ^j Die oben angegebenen Schwierig- keiten fallen dadurch weg und der Sinn der Stelle ist dann: Der Demos von Athen hat die Verbände ^) derjenigen, die in Athen musisch- gymnastische Künste professionsmäßig betrieben , aufgelöst , weil er glaubte, daß diese Art des .Kunstbetriebes für den Demos nicht nütz- lich sei, da er erkannt hat, daß er selbst zu derartigem Betriebe nicht die äußere Möglichkeit habe. Der Zusammenhang zwischen 10 12 und 13 ist also gesichert. Hofmann (a. a. 0. S. 14 ff.) schließt sich der von Lange vorgeschlagenen Emendation an, nämlich statt des überlieferten ov ein avTÖg einzusetzen, und verbindet damit die Erklärung des yvjuva- ^of^svovg, wie sie Kaiinka und Wilamowitz gegeben haben. Abgesehen davon, daß durch seine Annahme der Sinn der Stelle banal genug bleibt, widerspricht die Textesänderung dem von Hofmann sonst stets aufs eifrigste betonten Grundsatze des strengen Konservativismus.

Der Autor fährt nach den beiden Sätzen des § 13 fort: ev ze Tolg SiycaGTriQLOLg ov tov diytaiov avvolg fiällov ^leXei ^ tov amolg ovu- (pÖQov. Auch hier besteht ein enger Zusammenhang. Der Autor em- pfindet das Vorgehen der Athener als eine Ungerechtigkeit und er- klärt es zugleich als höchsten Egoismus, wenn der athenische Demos bei den Choregien nur Geld nehmen ^^dll, damit er bekomme, die B;eichen aber ärmer würden. Das sei zwar praktisch, aber nicht ge- recht. Doch man dürfe sich nicht wundern, selbst im Gerichtshofe siege dieses Streben nach materiellen Vorteilen über das allgemeine Rechtsbewußtsein.

') Für diese Bedeutung von xaköv haben wir auch aus der Zeit, in der die Schrift abge- faßt wurde, Beispiele: So Thuk. III, 94 Ar] uoad-ev}]g d' ävajrsidevai .... vtio Meaar]vuov wg xakov aviw cTTQauäg Tooamrjg ^vveiXsyfievtjg AhoiXoig ijiideo&at; Soph. Phil. 1155 vvv xaXov ävTL(povov xoQeaat atöfia; Soph. El. 384 Nvv ya.Q iv xaXco rpQovelv; Thuk. V, 59 äyX EV y.aXcp iSoy.ei f] ftdxf] eaead-ai, wozu der Scholiast bemerkt iTii av^cpeQOvxi. Xen. Hell. IV, 3, 5 vofiiaavTsg odx iv xaXco elvat TiQog rovg ÖTcXCiag iJtTio/iiaxeTv.

^) Das xttTaXveiv lovg yvf^vaCof^epovg setzt organisierte Verbände voraus.

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Mit § 14 beginnt ein neuer Abschnitt , den man Ttegl ovfAf-idywv überschreiben könnte. Der Autor bespricht in 14 und 15 die Stellung- nahme Athens zwischen den beiden großen politischen Parteien in den einzelnen Bundesstädten, den Demokraten und Aristokraten, und er- klärt die Parteinahme des athenischen Demos für die demokratischen Parteien in den Bundesstädten als ganz konsequent; denn im gegen- seitigen Falle dUyiGTOv ;f^oror ^ ccQxrj saxat xov örn-iov tov Md-rjvriGL. Für ebenso konsequent erklärt er auch die Unterdrückung und mate- rielle Schädigung der Aristokratie in den Bundesstädten, eine Konse- quenz, die auch gegen den etwaigen Einwand völlig geschützt werde, es müsse doch Athen daran gelegen sein, die Bündner möglichst steuer- kräftig zu erhalten.

Von § 16 an ist die Ausführung dem Verhältnis zwischen Athen und den Bundesstädten überhaupt gewidmet, es findet allerdings nur der Gerichtszwang seine Behandlung.

Punkt für Punkt, sprachlich deutlich gekennzeichnet (t^cqcotov uiv^ eira, Ttgbg öi rovjoLg , ^Qbg de Tovroig) werden die Vorteile, die der athenische Demos aus dieser Einrichtung zieht, aufgezählt. Das Volk erzielt durch den Gerichtszwang nach Athen viel größere Unterwürfigkeit jedes einzelnen Bundesgenossen gegenüber jedem Angehörigen des attischen Demos, während sonst nur denjenigen, die in amtlicher Stellung als Vertreter Athens zu den Bundesgenossen kommen . diese Ehrerbietung gezollt werde.

Die anschließenden Worte des § 19 ^Qog de rovroig Sid zrjv y,T7iöiv bis Kap. II gaben vorerst Anstoß zu Bedenken über den Zu- sammenhang und damit zugleich zu Texteskonjekturen. Man fand es auffällig, daß der Autor, der in den unmittelbar vorangehenden §§ 16 bis 18 von dem Gerichtszwange gesprochen, auf einmal ohne jeden Übergang die aus den überseeischen Besitzungen hervorgehenden Vor- teile erwähnt. Bezüglich des Inhaltes wurde schon von Eettig darauf aufmerksam gemacht, daß der Autor diese ZTijdftg ev rölg vTreQOQioig schon § 14 erwähne und dort gegen etwaige Kritik schütze. Bezüglich der sprachlichen Form der Anknüpfung hat zuerst Kaiinka darauf aufmerksam gemacht, daß diese unverkennbare Art der Aufzählung von 16 20 TiQtoTOv fiev, eira, Ttqhg de Tovroig, Ttqog de Tovroig , Ttobg de TovToig die Zusammengehörigkeit aller dieser Glieder sichere. Es ist allerdings nicht zu leugnen, daß I, 19 inhaltlich sich nicht direkt an die unmittelbar vorhergehende Erörterung über die Gerichtshoheit Athens anschließt; es ist aber leicht begreiflich, daß der Autor in freierer Bezugnahme auf das in Rede stehende Thema /reQl zcov aviuLid- /wv den Vorteil nautischer iVusbildung anreiht, der sich infolge des

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schon I, 15 beiläufig erwähnten Besitzes von Kleruchien und der Not- wendigkeit, wiederholt staatliche Funktionäre zu den Bundesgenossen zu entsenden (I, 18), von selbst als erfreuliche Nebenwirkung einstellte. Bei dieser Annahme ist also der Zusammenhang und zugleich die über- lieferte Lesart yaTjOiv gesichert. Die versuchte Textesänderung in yJS]aiv ist von Kaiinka als aus sachlichen Grründen unmöglich abgetan worden. Eine für die Komposition der Schrift wichtige Tatsache können wir erkennen in den §§ 16 18, an deren Reihenfolge aufeinander und innigen Zusammengehörigkeit noch von keiner Seite gerüttelt wurde und die daher sich am besten zur Demonstration eignen. Die Art der Aufzählung der Vorteile des Gerichtszwanges zeigt uns, daß der Ver- fasser die einzelnen Glieder der Darlegung einfach nebeneinander stellt, sowie sie sich ihm gerade bieten, ohne sich ihre logische Verknüpfung und Anordnung stets angelegen sein zu lassen. Diese Tatsache allein hätte genügen können, von der Forderung nach streng logischem Auf- bau der Schrift abzustehen, wodurch auch die meisten Umstellungs- versuche vermieden worden wären.

Es ist ganz begreiflich, daß dem Autor bei Behandlung der aus dem Verkehr mit den überseeischen Besitzungen sich ergebenden Aus- bildung und Tüchtigkeit zum Seedienst, bei dem Gedanken an die Vor- trefflichkeit der athenischen Marine (I, 19, 20) zugleich auch der Ge- danke an die Landmacht Athens, an das Hoplitenheer kommt; damit, daß dies die schwächste Seite der Athener zu sein scheint, ist es nun in der Tat so bestellt. Doch wenn sie auch gewissen Landmächten nicht gewachsen sind, ihren Bundesgenossen und darauf kommt es ihnen vor allem an sind sie gewachsen und w^erden noch durch einen günstigen Umstand unterstützt, daß nämlich die Bundesstädte durch ihre Lage entweder als Inselstädte oder Festlandsstädte ge- zwungen sind, sich den Athenern unterzuordnen. Der Zusammenhang ist völlig klar. Belots und Kalinkas Ansicht von der versuchten logischen Gliederung der Bündneruntertanen in ogol vriaicoTal elölv und OTtooai ev TJj rjTVEiQU) eiol TtoXeig und letztere meder in große und kleine ist ganz zutreffend. Wenn aber Kaiinka meint, daß in dem Auf- geben dieser logischen Gliederung im weiteren Verlaufe etwas von einer Sophistik darinliege, die. um den formellen Eindruck einer rein- lichen und scharfen Einteilung hervorzurufen, lieber die sachliche Treue opfere , so ist diese Ansicht nur eine Folge von seiner Anschauung über die Form des Werkes. Das Aufgeben der logischen Gliederung ist vielmehr der Ungeübtheit des Autors zuzuschreiben.

Die Erwägung, daß Athen seinen Bundesgenossen genugsam über- legen ist durch seine Seemacht, führen den Autor zu einem neuen

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Abschnitt, der von den Vorteilen einer Seemacht handelt, i) Die ein- zelnen Punkte reihen sich deutlich aneinander: 1. Leichtere Möglich- lichkeit, im feindlichen Gebiete zu landen. 2. Möglichkeit, auf längere Zeit und größere Strecken sich von der Heimat zu entfernen. 3. Mög- lichkeit, im Falle eines Mißwachses den Schaden durch die überseeischen Handelsverbindungen zu ersetzen. ^)

Es ist ganz begreiflich und psychologisch sehr gut erklärbar, daß mit dem Gedanken an die überseeische Einfuhr, welche die Gefahr eines Mißwachses in Attika aufheben kann, sich zugleich die Vor- stellung von anderen Einfuhrartikeln, von Luxus- und Genußartikeln, welche ebenfalls mit dem Getreide über See kamen, verband. Der Autor kann daher nicht umhin, sie anzuführen, und tut dies mit den entschuldigenden Worten el ds Sei xal o/niyiQOTSQcov uvrjad-rivaL Siä Tjyr (XQXrjv TtQCOTOv jitev TQimovg euwxuov e^iqvqov . . . eTteiTa g)a}vrjv näoav d^ovovieg e^eXi^awo tovto uev i/. r»]g tovto di ey. rfig. Daß der Autor damit die Aufeinanderfolge der Hauptpunkte unterbrochen hat, ist gewiß nicht zu leugnen, deswegen aber auf eine Lücke oder irgend einen Mangel in der überlieferten Anordnung der einzelnen Paragraphen schließen zu wollen, ist unstatthaft.

Die beiden nächsten Paragraphen II, 9 und 10 waren neben I, 13, IL 17 und dem Schlüsse der ganzen Schrift die meist umstrittenen Stellen, die mit Ausnahme von MüUer-Strübing , Rettig und Kaiinka von allen anderen Gelehrten als nicht an der gehörigen Stelle stehend bezeichnet und irgendwo andershin versetzt wurden. 3) Das Sonderbare an all den Umstellungsversuchen ist aber, daß sich diese zwei Paragraphen dann doch nicht hineinfügen wollten in den Zusammenhang, in den man sie brachte.

Was zunächst Inhalt und Tendenz der beiden Paragraphen an- langt, so hat Kaiinka mit Recht darauf aufmerksam gemacht, daß sie,

^) Bei Kaiinka vermisse ich sowohl II, 1 als auch hier die psychologische Erklärung für den Gedankenzusammenhang. Denn mit den Worten (a. a. 0. S. 44): „die folgende Dar- legung II. 4 ft". ... nimmt ihren Ausgangspunkt davon, daß eine Seemacht sich eben so gut und noch besser als eine Landmacht für ge^visse strategische Operationen zu Lande eigne", ist doch der Zusammenhang mit dem Vorangehenden gewiß nicht gegeben.

^) Es ist durchaus nicht notwendig, zwischen den Beispielen, welche zur Bekräftigung eines Behauptungssatzes (in unserem Falle: die Seemacht hat mehr Vorteile als die Land- macht) dienen, einen logischen Zusammenhang zu suchen. Der Autor gibt ja nicht alle Bei- spiele und zweitens gibt er sie so, vne sie ihm gerade zur Hand kommen, was sich in dem Abschnit II, 4—14 recht deutlich zeigt. Es ist daher Langes Ansicht (Leipz. Stud. V, 402), der zwischen 4, 5, 6 als Bindeglied die Hungersnot (in 4 und 5 erzeugt durch Ver- wüstungen, in 6 durch Mißwachs) annimmt, zu gekünstelt.

") So von Kirchhoft" zwischen I, 5 und I, 13, Schmidt zwischen I, 13 und II, 17, Helot zwischen I, 12 und I, 13, Lange zwischen I, 19 und 20.

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obwohl eingangs nur Sakrales zur Sprache kommt (d-voiag y,al Ugä ymI eoQräg y.al Te^evrj)^ doch im wesentlichen die öffentlichen Unterhaltungs- vorkehrungen und Erholungsanstalten zum Gegenstand haben, denen die sakralen Zwecke sozusagen zum Vorwand dienen. Dies geht schon hervor aus der Art, wie nach dem Verfasser das Volk jene Objekte und Zeremonien des Kultus auffaßt (S-velv xal evwyelGd-ai %al XaxaGd-ai lega ymI tvoIlv oixeZv Tiakrjv y,al f^eydlriv), und wird dann direkt aus- gesprochen in den Worten S^vouglv ovv d^uooia uiv r] TtoXig legeta noXXa. eorl di. ö dfifxog 6 eöwxovjtievog y,al dialayxdvMv le^ela. Über- dies kommt ja der Autor in weiterer Ausführung des 7C()hv olxelv ytalrjv y,al fieyd?^rjv am Schlüsse auf die Profanbauten der yvuvdoia, kovTQa und aTtodvTT^Qia zu sprechen.

Wie und wieweit haben aber diese beiden Paragraphen nach vorne eine Verbindung? Daß sie mit den Vorteilen einer Seemacht nichts zu tun haben, ist einleuchtend. Also bleiben nur mehr § 7 und § 8 zur Verknüpfung übrig. Wenn man nun bedenkt, daß der Autor in § 7 erzählt hat, daß die Athener vermöge ihrer Seeherrschaft sich alle Gattungen des Wohllebens ausfindig gemacht haben, ferner beachtet, daß diejenigen, welche die Genüsse kennen lernen, der athenische Demos sind, der zum größten Teil aus den Tievrjveg bestand, ist da die Frage nicht naheliegend, ja wie kann denn der athenische Demos, der meist Arme zu seinen Mitgliedern zählt, wie kann der, wenn er auch wirklich alle Gattungen des Wohllebens kennen lernt und ausfindig macht, sich auch den Genuß des Wohllebens verschaffen? x^Luf diesen Einwurf gibt der Autor die mit Si eingeleitete Entgegnung: bei den d-vGiac und iegd, koQTal und Tefj.ev7]^ bei dem olxelv ttöXlv ycaXrjv '/,at ILieydlriv^ da kann der Einzelne sich wohl nichts leisten, da muß eben der Staatssäckel herhalten.

Kalinkas Ansicht (a. a. 0. S. 45) von der Verbindung zwischen 9/10 und 7, daß nämlich in 9/10 in einer kleinen Digression dargestellt werde, wie die Masse der Athener sich auch zu Hause mit den alt- hergebrachten Einrichtungen ein angenehmes Dasein zu sichern ver- stehe, scheint mir nicht das Richtige zu treffen. Er konstruiert da einen Gegensatz zwischen Wohlleben in der Fremde mit neuen Einrichtungen und Wohlleben zu Hause mit den alten Einrich- tungen , einen Gegensatz , von dem in 9/10 keine Spur zu finden ist und von dem übrigens auch Kaiinka nur das zweite Glied zu finden wußte. Dagegen stimme ich Kaiinka und Rettig vollkommen bei. wenn sie auf die Zusammengehörigkeit von § 7 und § 9 schließen aus den in beiden Paragraphen gebrauchten Ausdrücken evcoxlcc evcoxelGd^ai, e^svQLG'/ico—TQÖTTog, indem sie diese Wiederkehr zurückführen auf die

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sprachpsychologische Erscheinung, daß markante Wörter, wenn sie einmal zur Verwendung gekommen sind, sich bald darauf wieder dem Sprecher oder Schreiber aufzudrängen pflegen.

Mit § 11 kehrt der Autor wieder zu dem durch §§ 7 10 unter- brochenen Thema von der Aufzählung der Vorteile einer Seemacht zurück und fügt einen neuen hinzu, daß nämlich eine Seemacht allein imstande sei, Reichtum zu erwerben, denn alle anderen Städte seien gezwungen, ihre Produkte in den Häfen der Seemacht in den Handel und zum Verkaufe zu bringen. Da die Aufmerksamkeit durch den Exkurs von 9/10 abgelenkt worden war, fügt der Autor den § 11 mit Si an: röv Se jckovrov udvoi oioi t elolv exeiv tcov '^EXkr^viov y.al tu)v ßaqßctQOJv. Die Schwierigkeiten, die man in dem Umstände fand, daß rcloiTov ohne nähere Bestimmung gesetzt und zu oloi Teialv das Sub- jekt nicht ausdrücklich erwähnt ist, haben bereits Rettig und Kaiinka behoben. Bezüglich der Aufnahme der Lesart ^QÖg (C) statt /velorj (A. B) hat Kaiinka so gewichtige Argumente vorgebracht, daß ein weiterer Zweifel nicht möglich ist. Ebenso hat Kaiinka den folgenden Satz (II, 12) richtig erklärt : Tcgbg Ss Tovtoig äXloae ayetv ovk idoov- oiv o'iTiveg dvTiTtaXoi fj^uv eIglv rj od %Qi]GovTai zfj d-aXccGoy]. Der Per- sonen- und Subjektswechsel ist gewiß störend, doch müssen wir uns stets vor Augen halten, daß wir es ja in dieser Schrift mit dem ältesten Produkte attischer Prosaliteratur zu tun haben. Erst durch Kalinkas Übersetzung und Interpretation wurde die Stelle verständlich und ent- sprechend eingereiht. Besprach der Autor in § 11 die Tatsache, daß die Städte freiwillig ihre Produkte nach Athen einführen, weil sie dieselben dort am besten absetzen können, so fügt er in § 12 eben den Fall an, was geschieht, wenn eine Stadt sich dem Einfluß Athens ent- ziehen und sich ein anderes Absatzgebiet suchen wollte. Der Sinn der Stelle ist: naturgemäß wird jede exportierende Stadt ihre Pro- dukte nach Athen als dem Vororte der größten Seemacht bringen; sollte sie ab^r aus Feindschaft gegen Athen ein anderes Absatzgebiet suchen wollen, so werden die Athener sie daran verhindern.

Hofmann (a. a. 0. S. 27) wendet sich gegen diese Auffassung und kehrt wieder zurück zur Ansicht Böckhs und Müller-Strübings, welche annehmen, daß in dem Relativsatze oirtveg ävTiTtaXot fjf.uv eIolv die Explikation zu äkloae, also die Bezeichnung des neu gewählten Ab- satzgebietes zu sehen sei. Nach ihnen lautet die Erklärung der Stelle : „Außerdem wird man nicht gestatten, diese Erzeugnisse anderswohin zu führen, zu denen, die unsere Gegner sind, oder man wird jenen den Gebrauch des Meeres nehmen, falls sie dorthin ausführen." Doch ist die von diesen Gelehrten durchgeführte Verbindung von alXooe und

Wiener Eranos. 5

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dem Relativsatze grammatiscli einfach unmöglich. Hofmann sieht dies ein, sucht sich aber zu helfen, indem er den Text nach seinem Sinn konstruiert und vor o'invEg ein Tzooq rovvovg einfügt, ein Aufgeben des Textes, das dem von ihm an mehreren Stellen immer als ungemein notwendig bezeichneten Konservativismus direkt widerspricht.

Für den ersten Moment scheint in II, 13 die Gedankenabfolge gestört und der Paragraph nicht an der ihm zugedachten Stelle zu sein. Während nämlich in §§ II. 4 6 von den militärischen Vorteilen der Seemacht gesprochen wird . in §§ 7 10 von den kulturellen und finanziellen, kehrt der Autor in II. 13 plötzlich wieder zurück zu militärischen Dingen, um dann in §^ 14 16 den strategischen Mangel in der Lage Athens zu besprechen.

Es ist klar, daß hier die Gedankenfolge etwas unregelmäßig und auffallend ist, doch läßt sich die plötzliche Umkehr in II, 13 psycho- logisch erklären und rechtfertigen. Nachdem nämlich der Autor in §§4^12 die Vorteile einer Seemacht dargelegt hat, soll er den stra- tegischen Mangel in der I^age Athens behandeln, ein Mangel, der Athen nicht die höchste Vollkommenheit einer Seemacht erreichen läßt. Bei dem Gedanken an diesen Mangel aber treten wieder mit voller Inten- sität die Argumente der §§ 4 6 (milit. Vorteile einer Seemacht) in sein Bewußtsein ein und verdrängen das in §§ 7 12 Behandelte. Mit dem Gedanken an die Nachteile der Lage Athens verbindet sich aber unmittelbar als natürlicher Gegensatz noch einmal der Gedanke an die militärischen Vorteile einer Seemacht, von denen die früher über- gangenen nachgetragen werden. Auch die sprachliche Form (eTc de TtQÖg TovToig). zeigt schon den Nachtrag an . der mit dem unmittelbar Vorhergehenden nicht in direktem Zusammenhange steht (vgl. 1 , 19).

In § 14 gibt der Autor endlich die Ausführung des einzigen, was der athenischen Seemacht zur Vollkommenheit fehlt. Kaiinka hat mit Recht darauf hingewiesen, daß die hier ausgesprochenen Gedanken sich .so nahe mit II, 13 berühren, daß diese inhaltliche Verwandtschaft eine nachdrückliche Bestätigung für die ursprüngliche Nachbarschaft beider Stellen bietet. Kalinkas (a. a. 0. S. 49) Auffassung aber von dem Satze vüv de ol yecoQyovvieg v.ai oi TcXovaiOi Md-r^va'nßv vTrlQyovvai vovg TtoXeuiovg fndklov, 6 Ss Sfijuog^ are ei eiötog ovi oidev tcov öcpcov sjutvqt]- aovoiv ovSi reuoiaiv , ddecog ^jj xal ovy VTteQxo/nevog duTOvg kann ich nicht beistimmen. Kaiinka paraphrasiert folgendermaßen : ,.Der Mangel einer insularen Lage ist dem Verfasser zufolge in doppelter Hinsicht nachteilig: erstens gewärtigen jetzt die Athener stets feindliche Ein- fälle und Verwüstungen, was allerdings weder den Großgrundbesitzern noch dem Stadtvolk sehr nahe geht, weil jene in diesem Falle lieber

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dem Feinde huldigen, dieser aber von der Verwüstung der Ländereien gar nicht betroffen wdrd." Ich glaube vielmehr, daß der Autor das gerade Gegenteil von dem sagt, was Kaiinka ihn sagen läßt. Nämlich eben dadurch, daß den yecoQyovpveg und Ttlovaioi die Einfälle so nahe gehen, sind sie eher geneigt, mit dem Feinde übereinzukommen, ihm nachzugeben das heißt das vTtiqyovrai Tovg TvolEuiovg, während das Stadtvolk . das ja nichts zu verlieren hat bei Verwüstungen des flachen Landes, sich nicht um den Feind kümmert.

Ebensowenig kann ich Kaiinka beistimmen in der Erklärung von II, 16, besonders aber der Worte ezegcov dyad^cov /nsi'^övcov GTeQt](Jovvai. Kaiinka gibt folgendermaßen den Inhalt wieder: ..deshalb bringen sie Hab und Gut unter Preisgebung des heimatlichen Bodens auf die Inseln, womit sie sich in das eine , für sie belanglose Übel freiwillig ergeben, einem größeren aber entgehen, nämlich dem Verrate und der offenen Empörung der Gegenpartei und weiterhin dem Sturze der demokratischen Verfassung.*'

Doch das Übersetzen von Hab und Gut auf die Inseln, das Preis- geben des heimatlichen Bodens geschieht ja nur in Kriegszeiten und zu dem Zwecke, sich in die Stadt zu flüchten und so mit dem Feinde sich in keine offene Schlacht einzulassen. Sie wäre aber unvermeidlich, wollte man nicht ruhig zusehen, wie die Feinde das Land verwüsten. Diese Feinde sind aber jene Feinde zu Lande, denen Athen sich nicht gewachsen fühlt. Daß also eine offene Feldschlacht mit einer Niederlage , vielleicht einer so entscheidenden enden würde , daß durch den Machtspruch der siegreichen Feinde auch die Ver- fassung verloren gehen könnte, mußte als sehr wahrscheinlich gelten. Ich verstehe unter den f-'reQa dyad-ä /nel^ova eine eventuelle Niederlage im offenen Felde mit allen daraus resultierenden Folgen, halte daher Kalinkas Erklärung für zu eng gefaßt. Überdies ist bei Kalinkas Definition nicht recht gut einzusehen, warum dann der Ver- rat und die Empörung der Gegenpartei erschwert sein soll, wenn Hab und Gut auf die Inseln gebracht und das flache Land verlassen ist.

Nachdem in 11, 4 16 die Vorteile einer Seemacht behandelt sind, beginnt der Autor mit II, IT eine Betrachtung, in der er dar- legt, wie sich der athenische Demos den Verpflichtungen gegenüber verhält, welche ihm Bundes vertrage und eidliche Abkommen auferlegen : hier sei ein demokratisch regierter Staat besser daran als eine Olig- archie. Die Verantwortlichkeit des Einzelnen bei Vertragsbrüchen sei geradezu Null, da er einfach sagen könne, er sei bei Abschluß des Vertrages nicht mit dabeigewesen , also auch nicht verpflichtet. Ein demokratisch regiertes Staatswesen lasse sich also nicht durch Ver-

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träge und eidliche Vereinbarungen in seiner Bewegungsfreiheit in der äußeren Politik hemmen. Die Behandlung dieser Frage war durch die Fälle der Wirklichkeit für den Autor in nächste Nähe gerückt. Daß er sie hier anschließt, ist vielleicht zu erklären durch die Ideenver- wandtschaft zwischen II, 14 16 und 17. Es wurden zwar in §§ 14 16 unmittelbar nur strategische Fragen erörtert; da diese aber immer mit Fragen der äußeren Politik zusammenhängen , konnte der Ver- fasser leicht veranlaßt werden § 17 hier anzuschließen. Im Anschlüsse daran macht nun der Autor noch einige Bemerkungen über die kin- dische Rechthaberei des athenischen Volkes, das bei Unglücksfällen die Schuld stets von sich abzuwälzen sucht, während bei günstigen Er- folgen jeder der Urheber, der geniale Förderer sein will. Dies fordert in der Tat zum Spott heraus , daher ist es begreiflich , daß der Ver- fasser jetzt auf die Empfindlichkeit der Athener gegenüber öffentlicher Verspottung gerät (II, 18) , deren Organ die Bühne der Komödie ist. Hier halten die Athener es so, daß sie eine öffentliche Verspottung der Demokratie nicht zugeben , aber zur Verspottung einzelner durch ihren Beifall aufmuntern , da sie wissen . daß darunter nur irgendwie hervorragende Männer zu leiden haben , ihresgleichen aber nur unter gewissen, vom Demos genehmigten Bedingungen. Ich schließe mich der zuerst von Römer (Abh. d. Bayer. Ak. d. Wiss. I. KL, XXII. Bd., III. Abt., 1904, p. 643) vertretenen Ansicht an, die dann von Faulmüller (Pro- gramm des Ludwigsgymn. in München 1906, p. 23 ff.) und Hofmann (a. a. 0. p. 37 ff.) verteidigt wurde , daß dfiJLiog an unserer Stelle die Bedeutung von öruLWUQaTia habe. Sprachlich liegt gegen diese Auf- fassung gar nichts vor, wie die von den genannten Verfassern gebrachten Belege zeigen; sachlich aber werden durch diese Annahme ohne jede Textesänderung alle Schwierigkeiten behoben, während bei der engeren Interpretation von örifxog als Volk in seiner Einheit es einfach un- möglich ist, die Angriffe des Aristophanes in seinen Komödien auf den Demos nicht als solche darzustellen. Wenn der Autor hier gerade den Ausdruck S^juog genommen hat , statt örjiLioxQaTia , so scheint mir mitgewirkt zu haben der beabsichtigte Gegensatz zwischen dem Verhalten gegenüber der Verspottung des Einzelnen und der (xesamt- heit als Vertreterin der Macht. Jeder Athener verspürte sofort bei dem Worte Sfjinog das Mitklingen von driiLioy.QaTia.

Den schon in ev eiSozeg on etc. entsprechend der partizipialen Form und Unterordnung ausgesprochenen Gedanken wiederholt der Verfasser in II, 19 in selbständiger Form: „ich sage also, daß der Demos zu Athen erkennt, wer von den Mitbürgern ein edler, wer ein gemeiner Mann ist; den gemeinen Mann aber, der ihm gesinnungs-

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verwandt und nützlicli ist, liebt er, den edlen aber haßt er." An den Grund dafür, den er im nächsten Satze gibt, schließt sich sofort ein Einwand: ivavviov ye tovtov enoL ovveg ihg äkriS-iog tov drj^ov tyjv cpvöiv od dri^OTi'/,oi eioLv, der nichts anderes heißen kann, als daß dennoch einige, die man in Wahrheit unter die Männer des Demos zählen muß, ihrer Geburt nach nicht dem Volke angehören, sondern der Klasse der xqtjgtoi.

Kaiinka hat zwischen II, 18 und 19 einen Zusammenhang kon- struiert, den ich nicht für richtig halte. Nach ihm ist die Angabe in II, 19, der Demos hasse den Edlen, liebe den Gemeinen, eine vom Autor gezogene Schlußfolgerung aus II, 18, daß nämlich der Demos die Verspottung einzelner gestatte, im Bewußtsein, daß die Verspotteten nicht zu ihm gehören. Kaiinka fühlt selbst, daß die von ihm gewollte Gedankenverbindung sich nur herstellen läßt mit grammatischen An- stößigkeiten. Abgesehen davon können wir doch unmöglich annehmen, daß der Autor erst das Verhalten des Demos gegenüber der Spottlust der Komödie kennen mußte, um die Behauptung von dem Hasse des Demos gegen die xQrjOTol aufzustellen.

In § 20 endlich wendet sich der Autor mit vollster Schärfe gegen jene, die, obwohl geborene xQ^OToi^ sich doch für ein demokratisch regiertes Gemeinwesen entscheiden.

Der Inhalt dieser beiden Paragraphen konnte erst in den Zu- sammenhang richtig eingereiht werden, nachdem Kaiinka die ent- sprechende Einzelinterpretation von lov tov dri(.iov^ dXrid^iog („durch seine politische Tätigkeit'') und tyjv cpvöLv („der Abstammung nach") gegeben hatte.

In III, 1 schließt der Autor sein Thema fast mit denselben Worten wie in I, 1. Die eingehende Besprechung dieser Stelle soll weiter unten folgen.

Ausführlich wird dann in III, 1 Mitte bis 9 über die umläng- liche Gerichtstätigkeit der Athener und die daraus sich ergebenden Mängel in der Verwaltung gesprochen. Daß der Inhalt mit dem voran- gehenden Teile der Abhandlung in keinem engeren Zusammenhange steht, wird weiter unten besprochen. Die Reihenfolge der einzelnen Paragraphen und der Gedankenfortschritt innerhalb dieses Abschnittes w^urden gegen die Angriffe von Kirchhoff, Faltin, Moritz Schmidt entschieden und mit Erfolg verteidigt von Rettig, Lange und Kaiinka.

Die beiden letzten Abschnitte des dritten Kapitels behandeln die äußere Politik der Athener bei Parteistreitigkeiten in anderen Staaten (in, 10, 11) und die Zahl und das Verhältnis der Atimen (III, 12, 13).

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Die Abschnitte von III, 1 Mitte bis III. 13 stehen weder unter- einander noch mit dem Vorangehenden in einem engeren Zusammen- hange. Ich habe diesen Umstand, ebenso den Inhalt in dem an- schließenden Teile der Untersuchung erörtert bei der Frage nach dem Verhältnisse der einzelnen Teile zum Thema, weil ja gerade die drei Abschnitte des letzten Kapitels in dieser Hinsicht den meisten Anstoß erregt haben und mit der Grund waren zu den verschiedenen Hypo- thesen, welche über die Anordnung der Schrift aufgestellt wurden.

Ich will daher bei einem Überblick über den Zusammenhang und Fortschritt der einzelnen Gedanken der Schrift hauptsächlich nur auf die beiden ersten Kapitel Rücksicht nehmen und da, glaube ich, hat sich ergeben, daß die Abfolge der einzelnen Paragraphen keinem An- stand unterliegt, vielmehr psychologisch gut erklärlich ist, so daß wir überall nocl» der Ideenassoziation nachgehen können. Die Schrift ist ein in sich abgeschlossenes Ganzes, dessen Mängel nicht der Un- fähigkeit des Autors oder schlechter ÜberKeferung zuzuschreiben sind, sondern der geringen Übung der Zeit, aus der sie als erstes Prosa- werk stammt, an das man keineswegs noch die Anforderung einer strengen Komposition und systematischen Deduktion stellen darf.

Nach der Untersuchung der einzelnen Paragraphen bezüglich ihres Zusammenhanges untereinander stellt sich die Frage ein, inwie- weit die einzelnen Paragraphen mit dem in I, 1 ausgesprochenen Thema in Beziehung stehen: eTrel Se xama edo^ev ovriog auvoig, ojg ev dtaöipCovTat rrjv TtokiTeiav '/,al xaXXa SLaTZQccTTOvTaL a doYMvaiv äfxaQTavEtv rolg älXoig "Ellriat , tovt ccTtodel^cj. Das nächste Problem ist nun, ob in diesen Worten eine Zweiteilung des Themas ausgesprochen ist oder nicht.

Vom grammatischen Standpunkte aus spricht nichts dafür, alles dagegen: es steht am Schlüsse der Sätze nicht ravva sondern tovto^ es sind ferner die beiden Glieder durch das einmalig gesetzte ev zu einer Einheit zusammengefaßt und nicht, wie man bei angenommener Zweiteilung erwarten sollte, das eu zweimal gesetzt, das zweitemal vor diarcQdTTovTai, oder bei einmaligem ev ein re-YMc verwendet.

Um nun die Frage auch vom inhaltlichen Standpunkte aus zu beant- worten, muß zuerst die Bedeutung des läXXa vorgenommen werden; aus der folgenden Darlegung ergibt sich, daß unter xakXa durchwegs Einrichtungen zu verstehen sind, welche sich als Folgen der demo- kratischen Verfassung ergeben und auf den Bestand der Demokratie mit größerer oder geringerer Stärke zurückwirken.

Es empfiehlt sich also auch vom inhaltlichen Standpunkte nicht eine Zweiteilung in dem Sinne, daß beide Teilungsglieder gleichwertig

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sind, sondern nur insoferne, als Ursache nnd Wirkung berücksichtigt werden sollen. Daß aber der Autor beim Niederschreiben der Stelle die Anschauung und Empfindung gehabt hat, daß er in den Worten I, 1 eine logische Zweiteilung ausgesprochen habe, möchte ich glauben.

Verhält es sich aber mit der Dispositionsangabe so, wie ich gesagt habe, daß nämlich die Zweiteilung bloß Ursache und Folge enthält, so ist von vornherein zu erwarten, daß sie auch nicht scharf ..Glied für Glied" getrennt, eingehalten wird, sondern daß wir beide Belege oft miteinander verbunden sehen werden.

Die ersten neun Paragraphen können wir in der Hauptsache dem Xachweis (hg sc diaaw^ovrai vrjv noIiTeiav zuschreiben. § 10 können wir nur mit etwas Zwang noch zu vjg ev diaG<iß^ovTaL rrjv TtoXitelav in Beziehung bringen, während die weiteren Ausführungen in §§ 11 und 12 ohne Zweifel als Beleg für das ev diciTCQdtuea&aL rälla dienen. § 13 bringt wieder eine wenn auch gewaltsame Kombination der Liturgien mit dem demokratischen Prinzip : es sei ihr Zweck , die Gegen- partei finanziell zu schwächen, um dadurch die eigene Kraft zu heben. Mit voller Deutlichkeit tritt das Motiv, die Yolksherrschaft zu halten, wieder in der Politik gegenüber den Bundesgenossen, welche einen wesentlichen Teil des attischen Reiches bilden, hervor in §§ 14^16. (I, 14 yr/vibo'/.ovveq an. . . ., el . . . ioxvGovinv o'i tvXovgiol y,al xQ^^^t^oI tv Talg TcöleoLV, oXlyiGTOv xQO'^^ov fj aQyJ] eGuat rov 6/juov tov 31d-rjvrjGi; I, 15 . . . do'jisl f-iei^ov dyaiybv eivai . . . ixelvoug de ogov ^fjv /mI iQydCeG^-ac döivdvovg oviag STtißovleveLv.) I. 16 ist trotz der sprachlichen Ein- kleidung ebenfalls als Beleg für die Wahrung der Yolksherrschaft zu betrachten (ei de oiy.oi eiyov t'/MGTOi zag 6r/,ag, ace d%3-6^evoi Jld-rjvaloig TOVTOvg dv Gcpwv avciöv aTicbXXvGav o'iCLveg cpiloi (.idXiGva fjGav ^dl^^r^vaitov TW öi]Li(i)) und weist wieder zurück auf I. 14 (el de Igxvgovglv . . . ij dQyi) eGzaL tov ökjUov tov 2dd-i]vriGi). I, 17, welches die Vorteile auf- zählt, welche den verschiedenen Menschenklassen aus dem Gerichts- zwang der Bundesgenossen erwachsen, gehört dagegen zum ev öia- TtQdTTeG&ai, während I, 18 wieder ein Beitrag für das ev SiaGi^l^eGd-ai Tt)v TToltTelav ist. I, 19 und 20 betrachtet Kaiinka (a. a. 0. S. oO) als bloß durch natürliche Ideenassoziation entstandene Exkurse, die mit keinem der beiden Programmpunkte in ersichtlichem Zusammenhange stünden. Ich glaube aber, daß sie die in II, 15 als Beleg für die Erhaltung der Volksherrschaft angeführte Tatsache der Erwerbung von Besitz in bundesgenössischem Gebiete hier als einen Beleg bringen für das kluge Vorgehen des Demos. Diese Paragraphen zeigen besonders, wie schwer, ja unmöglich es dem Autor wurde, die von ihm an-

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genommene Zweiteilung wirklicli überall in der Anordnung der Belege durchzuführen.

Während also das erste Kapitel seinem Hauptteil nach die Vor- kehrungen zur Erhaltung der Herrschaft und des Ansehens der großen Men^e bespricht, me es der erste Punkt der Disposition in Aussicht gestellt hat, kann man in folgenden Partien, soweit sie die Macht und die Vorteile der Seeherrschaft betreffen, eine solche Beziehung nicht sofort erkennen.

Der Grundgedanke des zweiten Kapitels bis § 14 geht dahin, daß die Athener ihr Landheer nur in solcher Starke halten, daß sie damit den Bundesgenossen überlegen sind, während sie ihren Feinden gegen- über sich auf die Übermacht zur See stützen. Dieser Grrundgedanke scheint den zweiten Punkt der Disposition zu illustrieren (cog ev %al TakXa StaTTQccrvovtaL). Wenn nun aber der Autor bei dieser Gelegen- heit die Vorteile einer Seeherrschaft in verschiedensten Variationen vorbringt, so darf dies nicht wundernehmen, da ja dieser Gegenstand einem jeden Athener seinerzeit nahe lag und anderseits schon vom Themistokles an^ dem Begründer der athenischen Seeherrschaft, eine stetige Streitfrage bildete zwischen den großen Parteien der Demokratie und Aristokratie. Daß aber die besprochenen Paragraphen auch enge mit dem ersten Punkte der Disposition zusammenhängen, zeigt neben inhaltlichen Beziehungen, die sich leicht herausfinden lassen, auch eine Stelle im Texte selbst (II, 4), dort, wo die Rede davon ist, daß die Genüsse, die sich das Volk zu seinem Privat- vergnügen auf Staatskosten verschafft, mehr der Masse als den oberen Klassen zugute kommen. Die Schlußwendung Tcleito tovvwv aizoXavEi ö ox^og ^ Ol dliyoi y,al ol evöaliioveg weist über I, 4 (oi iiiv yäg TtevijTeg y,al Ol driuoiai '/,al ol yeiQOvg ev TCQctTxovTEg .... tyjv SrifMOXQaTiav av^ovGtv) zurück auf cog er öiaGcpl^owaL rrjv Ttohzeiav.

§§ 14 16 gehören eigentlich nicht mehr zu den Vorteilen der Seeherrschaft, bringen aber, durch innigsten Gedankenzusammenhang damit verknüpft, neue Belege für das cog ev diaTCQdzTovTat xäXXa. Die Schlußworte in II, 16 eTzeiörj ovv i^ ccQxrjg ov% erv^ov ol'/.rjGavieg vfiaov, vvv Tccde TtoiovOL' ttjv ^sv ovaiav Tolg vrjaoig TtaQazlS^evTat TciövevovTeg TTj aQxfj Tfj zaror d-dXaGoav^ rrjv dt 3ltTr/J]V yrjv TceQLoqcoGi Te^vo^tvr^v yiyvtoGAOvreg ovi el avurjv ileiJGOvGiv exiqwv äyad^wv jueL^övcov GTeqrjGovTaL weisen ebenfalls zurück auf wg ev diaG(p^ovTai rrjv Tzohreiav. Denn unter dem Verlust der ^eit^co äyad-ä ist jener Verlust zu verstehen, der sich als Folge einer schweren Niederlage einstellt und auch Vernichtung der Volksherrschaft bringen kann. - § 17, der den Vorteil der Demokratie behandelt, sich leicht über

^Verträge und Eide hinwegsetzen zu können, ist doch wohl ein Beleg

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für das ev Siaacit^ovrai ttjv TcoliTslav^), während der näcliste Paragraph mit dem zweiten Satze (og ev öiaTtQaTzovTaL raXXcc zu verbinden ist.

II, 20 kehrt über 19 A\ieder zurück zu dem schon in I, 4 be- sprochenen scharfen Gegensatz zwischen den TtovriQol und xq^otoI und dem im demokratischen Prinzipe begründeten Hasse und der Bedrückung, welchen die xQ'H^^ol von seiten der TtovriQol ausgesetzt sind. Beide Paragraphen stehen näher dem ev diaöwLOVTai als dem ev diaTtgccTTOvrai.

III, 1 schließt die ganze Abhandlung ab fast mit denselben Worten, wie sie in I, 1 stehen; es fehlen von I, 1 nur y,al Talka diangdTTOviai a do-Kovaiv a/^agräveiv zoig äXloig "Ellriöi tovt änoöet^co.

Daß der Autor hier fast dieselben Worte wie in I, 1 gebraucht, ferner den angegebenen Teil (vmI xakka . . . dLaTZQücTTovrai) ausläßt, hat zu den verschiedensten Annahmen Anlaß geboten.

Daß ein Ruhepunkt hier anzunehmen sei, ist allgemein anerkannt. Ob aber damit bloß ein Teil oder die ganze Abhandlung abgeschlossen sei, darüber konnte keine Einigung erzielt werden.

Wenn war bedenken, daß in der vorangehenden Erörterung Sätze vorkommen, welche bei der angenommenen Zweiteilung in I, 1 entweder nur mit ev SiaTtQccTTovraL xaXXa oder doch höchst wahrscheinlich am besten damit verbunden werden müssen, so kann unmöglich ein weiterer Zweifel darüber bestehen, ob der Autor hiemit den Schluß für die ganze Schrift gesetzt oder nur für einen ersten Teil. Es bleibt aber noch immer die Frage offen, warum der Autor nicht auch die Worte ev öiaTtoaTTowaL etc. wieder angeführt hat, da doch in III, 1 eine deutliche Bezugnahme auf I, 1 zu konstatieren ist.

Nach einer genügenden Erklärung habe ich mich vergebens um- gesehen, auch bei jenen, die III, 1 als Schluß des ganzen Werkes betrachten. Denn Kalinkas Ansicht, es sei erklärlich, daß der Autor •bloß den die Erhaltung der Volksherrschaft berührenden Satz aus der Einleitung herübergenommen habe, weil der letzte der Belege gerade die Wahrung der Demokratie betreife, scheint mir dem Autor doch zu große Ungeschicklichkeit zuzumuten. Kaiinka gibt ja un- mittelbar vorher an, daß der Autor sehr breit und mit absichtlicher Liebe die Darstellung der Vorteile einer unbestrittenen Seeherrschaft ausgemalt habe, welche sich zunächst als Illustration des Satzes chg

*j Daß hier der Bestand der Demokratie für den Verfasser gar nicht in Frage komme, wie Kaiinka meint, muß ich bezweifeln ; denn unter den Verträgen, welche man am ersten brach , waren eben jene , welche durch ihre Erfüllung der Demokratie Schaden gebracht hätten. Was oben bei I, 13 von den Gerichtshöfen gesagt wurde, das hat auch hier wieder seine Gültigkeit: tov dtxaiov amöTg fmkXov f^isXei rj zov adzoTg av^cpÖQov.

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ev '/mI xälka öiaTCQccTTOvvai einführe. Da wäre es doch auffallend^ daß der Autor durch die kurzen Paragraphen II, 18 20 wieder ganz von diesem Gedanken des ev öiaTtQaTTead-at zäkla abgekommen sei und nur mehr an das ev öiaoc(j(^eGd-ai tyjv TtohTelav gedacht habe.

Bedenken wir aber, daß dem Autor während seiner Darstellung zum Bewußtsein gekommen sein muß, daß die in I, 1 ausgesprochene Zweiteilung eigentlich nicht zwei gleichwertige Glieder enthält, sondern sich vielmehr wie Ursache und Folge verhalten, daß mit der Setzung des ev diaotpteod^ai ttjv TcoXixeiav und der Beweisführung dafür implizite letztere auch mitgegeben werde für das ev diaTtQävTeod^ai tälla eine Tatsache, die sich sehr deutlich zeigt in II, 16 18 und nehmen wir dann noch den von Kaiinka betonten Umstand hinzu, daß der Autor mit einem Belege schloß, der unmittelbar die Wahrung der Demokratie betrifft, i) dann, glaube ich, können wir es erklärlich finden» daß der i^utor in dem Schlußsatz bloß den die Erhaltung der Yolks- herrschaft berührenden Satz aus der Einleitung her übergenommen hat.

Den größten Teil des dritten Kapitels bildet der Abschnitt § 1™ 9, in welchem ein sehr empfindlicher Mangel der öffentlichen Verwaltung in Athen, nämlich die Verschleppung aller Agenden, bloß- gelegt und gezeigt wird, daß er in tatsächlich gegebenen Verhältnissen seinen Grund habe; eine Milderung entweder durch Bestechung (III, 3) oder durch Verringerung der Anzahl der Richter bei einem Gerichtshofe (III, 7) sei nur in unzureichendem Maße möglich. Daß die Schlußworte in III, 8 tovto)v tolvvv ovvcov ov (prjiui olÖv t eivai ä)j.o)g exetv Tzgayiiara 31&/jvriGiv }) ügTteQ vvv exet TtXrjv rj /.arä uly.qüv tl oTöv re iiiv dcpeXelvy rb de nqoöd-elvai %iX. nur auf diesen Abschnitt sich beziehen, auf den Übelstand der unabsehbaren Verschleppungen aller Agenden, hat Lange bewiesen.

Der nächste Abschnitt III, 10 handelt über die äußere Politik Athens.

Der an den Athenern gerügte Brauch, sich bei auswärtigen Händeln in der Regel für die niedrige Bevölkerungsklasse zu ent- scheiden, wird auf bewußte Absicht zurückgeführt, da die ße/.riovg nicht dieselben Interessen wie die Demokraten verfolgen. Der Ge- dankengang ist folgender: Wenn sich die Athener für die ßelriovg entschieden, würden sie sich damit für Andersdenkende entscheiden» denn in jedem Staatswesen hält es nicht der brave Teil der Bevöl-

^) Ein Beleg, der übrigens mit dem vorangehenden Beleg für das ev öiajiQdTreadac läXXa gedanklich auf das innigste zusammenhängt und nur wiederum die Unmöglichkeit einer scharfen Trennung zeigt.

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kerung mit dem Demos, sondern der Pöbel, weil gleich und gleich zu- sammenhält. Im weiteren Verlaufe wird dann an drei aus etwa der- selben Zeit entnommenen Beispielen gezeigt, welche Folgen sich für die Athener ergaben, so oft sie ihr gewohntes und in der demokra- tischen Verfassung begründetes Prinzip aufgaben. Kaiinka (a. a. 0. S. o3) hat behauptet, daß dieser Abschnitt gleichfalls aus dem Rahmen der angekündigten Untersuchung herausfalle. Denn es werde hier im Gegensatz zu sämtlichen Erörterungen der zwei ersten Kapitel nicht mit dem UtiKtätsprinzipe, sondern mit der natürlichen Anziehungskraft der politischen Massen argumentiert. Diese Behauptung wird aber so- fort widerlegt durch den Hinweis auf die drei von dem Autor ange- führten Beispiele, welche ganz deutlich auf das Utilitätsprinzip Bezug nehmen. Daß Kaiinka den Abschnitt als aus dem Rahmen der ange- kündigten Darstellung herausfallend beweisen wollte, hat seinen Grund darin, daß er auf diese Weise dartun wollte, daß dieser Abschnitt seinen Platz mit vollem Rechte hinter III, 1 habe.

Ich glaube aber, daß auch bei der Annahme, daß der Ab- schnitt III. 10 mit dem zweiten Punkte von I, 1 (ojl: ev xal ÖLaTtQdv- Tovrai Tä?da) in Beziehung steht, es möglich ist, die Stellung von m, 10 an seinem jetzigen Platze als Nachtrag zu begründen. In dem ganzen großen Abschnitt von I, 2 II, 20 hat der Autor seine in I, 1 ausgesprochene Behauptung auf den 3 großen Gebieten (der Bürger, Sklaven und Metöken, Bundesgenossen) zu beweisen gesucht und dann in III. 1 die Untersuchung geschlossen. Er mußte aber auch zu der in III. 10 behandelten Frage bezüglich des Verhaltens der Athener in der rein äußeren Politik Stellung nehmen und konnte diesen Abschnitt nicht in der vorhergehenden Untersuchung unterbringen oder wollte es nicht, weshalb er ihn hier als Nachtrag gab.

Um die Stellung der letzten zwei Paragraphen zum Thema prä- zisieren zu können, hat Kaiinka die wichtigste Anregung gegeben, in- dem er die Bedeutung des ccQa untersuchte und zu dem sicheren Re- sultate kam, äga könne hier nicht konklusiv aufgefaßt werden, sondern müsse vielmehr zu cog bezogen und der ganze Satz cog oudelg ccqcc äÖLAwg }jTLf.uüTai Md-rjvriaiv dürfe nur als rhetorische Frage angesehen werden. Ich glaube Kalinkas Auffassung noch durch folgende Über- legung fester begründen zu können:

Wäre äga konklusiv zu fassen, das heißt, würde der Einwand lauten , es gebe in Athen keinen ungerechterweise mit Atimie Be- straften, so wäre doch die Aufgabe des Verfassers, diesen Einwurf zu widerlegen durch den Nachweis, daß es solche Menschen in nicht ge- ringer Zahl geben müsse. Ist aber der Satz tag ovöelg äga . . . ^d-rjvriöi

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rhetorische Frage, die in die Form des Aussagesatzes umgesetzt an- gibt, daß es in Athen viele gibt, die ungerechtfertigt mit Atimie be- legt wurden , dann muß der Autor beweisen , daß es in Athen aller- dings Leute gibt, welche ungerecht mit dieser Strafe heimgesucht wurden, daß es aber nur wenige sein können. Diesen Nachweis liefert nun der Verfasser, welcher mit dem Satze schließt, daß der athenischen Demokratie kein Umsturz drohe, ein Gedanke, der sehr wohl geeignet ist, den befriedigenden Abschluß der ganzen Abhandlung zu bilden. Daß diese Erörterung über die Atimen hinausgreife über den Kreis der geplanten Untersuchung, darin stimme ich Kaiinka bei.

Betrachten wir nun das Verhältnis der 8 Abschnitte des dritten Kapitels zu den vorangegangenen, so unterscheiden sich der erste und dritte dadurch, daß nicht mehr die Rede davon ist, chg ev Siaffüj^owaL TTjv TTokiTEiav 'A,al TalXa diaTTQavTovvat , .und daß sie daher streng ge- nommen außerhalb des Bereiches der Diskusion liegen. Dessen scheint sich auch der Verfasser bewußt gewesen zu sein.

Der zweite Abschnitt hat zwar eine engere Beziehung zum Thema, konnte aber schwer in den Kapiteln I und II ein Unterkommen finden.

Da aber die 3 Abschnitte doch wichtige Fragen enthielten, die wie in III, 1™— 9 und 12 und 13 allerdings in freierer, in § 10 und 11 in ganz naher Weise mit dem Hauptthema in Beziehung standen, so hat sie der Autor als Anhang aufgenommen und als Nachtrag hinter den Schluß der eigentlichen Abhandlung gestellt.

Lucian und die ^^Neue Komödie^*

Von KARL MRAS.

Verse von Komikern mit Angabe des Dichters werden bei Lucian selten zitiert; es ist gewiß sehr bemerkenswert, daß er aus dem ihm (wie die Anspielungen lehren) wohlbekannten Aristophanes (freilich finden sich direkte Hinweise bloß auf die Wolken und auf die Vögel) nicht einmal einen halben Vers anführt. In meiner Untersuchung will ich bloß die „Neue Komödie" berücksichtigen, wobei ich bemerke, daß ich unter diesem Namen die fxioTj und via verstehe. Alexis wird ein- mal (De lapsu 6) zitiert (frg. incert. 297 Kock), ein nur durch Lucian erhaltener Vers. In demselben Kapitel derselben Schrift werden zwei ebenfalls nur durch ihn bekannte Verse des Philemon (frg. incert. 163 K) angeführt , in den Amores K. 43 zehn (sonst nicht erhaltene) Verse des Menander (frg. incert. 535 K). Dies sind alle Zitate mit ausdrücklicher Angabe des Autors. Daß Lucian bestimmte Figuren des Menander und Antiphanes im Gedächtnis hatte, beweist Rhetor, praecept. 12, wo er von dem Rednerlehrer höhnisch bemerkt, er ahme durch den Liebreiz seiner Stimme die leibhaftige Thais der Komödie oder Malthake oder Glykera nach, i) Wegen der ausdrücklichen Be- merkung „die Thais der Komödie^' kann es sich nicht um die Per- sönlichkeit dieser bekannten Hetäre, sondern nur um ihre Rolle in einer Komödie handeln. Zwei Lustspiele dieses Namens sind uns bekannt, von denen bloß das von Menander verfaßte (das andere rührte von einem ziemlich unbedeutenden Dichter Hipparch her) in Betracht kommt. 2) Eine Mal^duri (ebenfalls die Figur einer Hetäre) schrieb

^) A^Tod^atSa trjv xojfuxtjv ?j Ma)3dxt]v rj FXvxs^av nvä f^tifi7]adfisvos reo TZQOorj' veT Tov (fd-E'/ftazog.

^) Es war auch bei den Römern beliebt, vgl. Propert. II, 6, 3 f. Turba Menandreae fuerat nee Thaidos olim | Tanta, in qua populus lusit Erichthonius und Ovid. Rem. 383 f. Quis feret Andromaches peragentem Thaida partes? | Peceat, in Andromache Thaida quis- quis agat.

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niemand außer Antiphanes. Und die dritte, Glykera? Wir kennen sie jetzt, es ist die Geliebte des Polemon in der vielbewunderten UeQixEL- QOfxivri des Menander. ^) Pseudolog. 4 beruft er einen von Menanders Prologen, den ^'Ekeyyog 2), worüber wir uns nicht mehr wundern dürfen, seitdem wir die 'Jdyvoia im Prolog der ITeQixELQ. finden. Fugitivi 19 macht er den Philosophen den Vorwurf, daß sie zwar die Schmeichelei, wie sie sagen, hassen , daß sie aber doch in dieser Hinsicht den Gna- thonides oder den Struthias zu übertreffen imstande sind. ^) ^Tgoud-iag hieß in Menanders Kola^ der Schmeichler und Parasit (vgl. frg. 293, 2 K und Plutarch, Mor. 57a), den Terenz unter dem Namen Gnatho in seinen Eunuchus übernahm. Außerdem führt Lucian mehrere Verse mit der Bezeichnung 6 /.M/nr/iog (cprjatv) an. Daß in jener Zeit der Komiker zar e^oyj]v Menander war . geradeso wie der" Tragiker xar e^oyrjv Euripides, ist bekannt. Es ist also von vornherein wahrschein- lich, daß unter diesen Versen viele jenem Autor angehören; in einem Falle können wir es beweisen, Jupp. trag. 53: oqd-cog ey,Eiv6 f.ioi ö vm^il- xbg eiQTixevaL öozel' ovöiv Ttenovd-ag deivov av (xrj TZQOGTtoifj (es ist das bekannte Menanderbruchstück 179K, das wahrscheinlich den ^EjtiTQe- Tvovreg zuzuweisen ist. *) Über die anonymen Verse brauche ich hier nicht zu sprechen , da P. Schulze ^) und Dr. J. G. Brambs ^) über sie bereits gehandelt haben. Merkwürdig ist die Erwähnung eines sonst ganz, unbekannten Komödiendichters, Lysimachus, der zwar aus Böotien stammte, aber der Sprache nach für einen echten x^ttiker gelten wollte und daher das Tav gegenüber dem öly^a überwiegen ließ. '^) Aber ander- seits darf man bei Lucian durchaus nicht eine solche Kenntnis der Komödie wie z. B. bei Athenaeus voraussetzen. Ich will hier auf eine interessante Tatsache hinweisen. In der nach unserem Geschmack recht frostigen aber doch echten Schrift IleQi Ttagaalrov behandelt Lucian in scherzhaft rhetorischer Weise das Thema, daß der Beruf des Para- siten eine Kunst sei (ovi Teyvi] f] TtaQaaiCLV.rj). Zum ;; Beweise" werden

^) V. 24 evjiQEJif] xai vsav.

2) IlaQaxXrjrsog f^^iuv tcov MevävÖQOV jiQoköycov slg 6 "Eleyxog.

^) KoXaneiav fiiasTv cpaai aoXaxeiag evexa tov Frad'ojviöf^v r] tov SvQOvd'iav vjtsq- ßaXsaß^ac dvväfisvoi.

^) Die Zeugnisse bei Kock C A P III, p. 52.

^) Quae ratio intercedat inter Lucianum et comicos Graecorum poetas (Berol. 1883) p. 10 sqq.

^) Über Zitate und Reminiszenzen bei Lucian und einigen späteren SchriftsteDern (Eichstätt 1888), S. 54.

') Judic. vocal. c. 7: das Sigma spricht: xatt]y6fit]7' ös jiaQa xoi^icoöuov rivi jioirjifj, Avaif^a/og ixaXsTro, Boiojviog /iisv (bg ecpalvexo t6 ysvog avsxa&ev , dno i-ieor^g dh d^iMV Xeyea^ai rfjg 'Axxixfjg ' JtaQa rovrco öt] zcp ^evco xtjv tov xav xovxov jxXeovs^i'av icptögaoa .

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Stellen aus Euripides (c. 4) und wiederholt aus Homer angeführt. Da- gegen fehlen einige höchst bezeichnende (durch Athenaeus und Stobaeus erhaltene) Komödienverse, denen ganz dasselbe Thema wie Lucian zu- grunde liegt. Der Komödiendichtcr Diodoros führt im 2. Fragment seiner „Erbtochter" Kock CAF II, p. 420 f, ^) das Parasitenwesen auf Zeus und Herakles zurück und bezeichnet es in den Eingangsversen ausdrücklich als Kunst: Vers 1 ff . ßovlof.iai del^at oacptog \ chg aeiivöv eaxL TovTo . . . ymI tcov ^ecüv evqriua, Thg S* alkag Teyvag j ovödg dscov '/MTeSei^ev x. r. l. Timokles im 8. Fragm. des (oder der?) Jqay.ovnov Kock II , 454 f. -) preist die unentbehrlichen Helfersdienste der Para- siten und ihr Ansehen (natürlich ironisch!). Nikolaos frg. incert. 1 K, III. 383 f. 3) nennt Tantalos den ersten Parasiten und hält einen Vor- trag über die Eigenschaften, welche die Elemente dieser Kunst bilden (Vers 30 aror/ela fiiv Tavr eötl Tr^g okrjg Texvrjg). Von all dem finden mr bei Lucian nicht nur kein Zitat, sondern auch nicht die geringste Gedankenähnlichkeit. Ihm waren also diese Komiker gänzlich unbekannt.

Wir haben somit in unserer Untersuchung von folgender Grund- lage auszugehen : Zitate von Versen der Komödie unter Angabe des Autors sind bei Lucian äußerst spärlich. Zahlreicher sind die ano- nymen Anführungen von Stellen ; übrigens stehen auch sie an Zahl hinter den Zitaten aus Euripides (von Homer gar nicht zu reden!) weit zurück. Wichtig ist die Beobachtung , daß Lucian die zitierten Stellen meist nicht nachschlug, sondern aus dem Gedächtnisse an- führte.-^) Auch gelegentliche Anspielungen (aber ja nicht Nachahmungen) lassen auf die Bekanntschaft mit mehreren Komödien schließen , so (ich sehe von der ;, Alten" Komödie ab) mit Antiphanes' MaXd-ayiri und Menanders Sdig^ Kola^ und neQiy.eiQOf.i£vri^ wozu nach Jupp. trag. 53 vielleicht auch die ^ETtiTQenovTeg kommen. Anderseits war er in der Komödie weit weniger als Athenäus bewandert.

Von dieser Grundlage aus wollen wir an die Untersuchung jener lucianischen Schrift herantreten , für die am meisten eine ausgiebige Benützung der Mittleren und Neuen Komödie behauptet wird. Es sind die Hetärengespräche.

Dial. mer. ], 1: Ein Soldat, der früher die Habrotonon zur Ge- liebten hatte, ist seiner neuen Maitresse Glykera untreu geworden. Wir werden an Menanders neQiy.eLQ0U£vii erinnert. Aber nur einen Augen- blick. Zwar stimmen die weiblichen Namen , auch der Soldat fehlt

1) Athen. YI, 239 b.

2) Athen. VI, 237 d.

3) Stobaeus Floril. 14, 7.

^) S. die Untersuchungen von Brambs a. a. 0., S. 37 iF.

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nicht; allein er ist bei Menander ein Korinther (Vers 10), bei Lucian ein Akarnane. Auch nimmt der Korinther die Habrotonon erst nach dem Zerwürfnis mit der Glykera die durchaus keine gewöhnliche Buhlerin ist in sein Haus. Im übrigen gibt Lucian ein Gespräch zwischen zwei Hetären, die über eine dritte losziehen. Hier hört natür- lich jede Ähnlichkeit auf. Eine andere Anspielung auf die neQty.£iQ0Li6vrj werden wir noch finden.

Dial. mer. 7, 4: Eine Mutter macht ihrer Tochter Musarion Vorwürfe, daß sie nur den Chaereas liebe. „Du mllst anständig sein. als ob du keine Hetäre, sondern eine Priesterin der Demeter (QeojLio- (fÖQOv) wärest!" i) Derartige Witze scheinen in der Komödie vorge- kommen zu sein; sie waren übrigens naheliegend genug. Die Lauten- schlägerin Habrotonon beklagt sich in Menanders ^ETttTQSTtovTEg über die Vernachlässigung durch Charisius (Vers 251 ff.): „Wenn es auf diesen ankäme, könnte ich jetzt den Korb der Göttin tragen," 2) sie meint offenbar, als Jungfrau (ytogri y.avriq)6qoQ) im Festzuge der Pana- thenäen. In demselben Kapitel tadelt die Mutter, daß der junge Mann der einzige sei, der keinen Ausweg finde, sich Geld zu beschaffen, der einzige, der nicht durch einen Sklaven einen Betrug ins Werk setze, nicht von der Mutter durch die Drohung, er werde als Soldat in die Fremde ziehen, es erpresse. Die verschlagenen Sklaven, die den jungen Herrn helfen und die alten prellen , sind aus Plautus und Terenz bekannt. Ins Ausland als Söldner zu gehen, war bei unzufriedenen jungen Leuten zur Zeit der Neuen Komödie beliebt. In Menanders ^a/ula will Moschion auf seinen Vater Demeas durch diese Drohung Eindruck machen : Vers 362 ff. el . . . jurj TOöavr -^v ifiTioSiüv^ . . . (XTtocpd^aQelg \ iy, Trjg Tcokecog av satcoöcov eig BdytTQa ttol \ ^ Kaglav öteTQißov alxj^id^cüv i'/,el. In Plautus' Trinummus (nach dem QriGavqog des Philemon) 596 ff. sieht der Sklave Stasimus des ruinierten Lesbonicus dieses Los voraus (ibit . . . latrocinatum aut in Asiam aut in Ciliciam ^j.

Im Heaut. des Terenz quält sich Menedem mit Gewissensbissen, daß er seinen Sohn Clinia(s) durch schlechte Behandlung dahin ge-

^) Reinheit war für das Fest der Demeter erforderlich ; so heißt es in dem wichtigen Scholion zu D. mer. II, 1, H.Rabe (Scholia in Lucian., Lips. 1906) S. 276, 3 ff . de oajievra rojv Ef.ißXr)d-evroiv d. h. der an den Thesmophorien in Erdschlünde geworfenen Ferkel ... dvatpsgovoiv m>xXrirQLai xaXovfievai yvvdiHEs xai^uQEvoaoai (d. i. ohne ge- schlechtlichen Verkehr) xqiüv iiue^cov, und zu unserer SteUe bemerkt der Scholiast R. a. a. 0. S. 279, 21 : r^g 0ea[xo(pÖQOv ai isgecai ijiagd^evevovro diä ßiov 'A'O'tjvrjaiv.

^) sjiel y' im lovrcp ro xfjg ■&eov (psQeiv \ xavovv sjuoiy' olov rs vvv ior'.

^) Mercator 851 ff. (der von Liebesleid gequälte Charinus will in die Fremde ziehen) gehört nicht hieher trotz Egomet mihi . . . agaso sum, armiger (852): denn der junge Mann will seine Geliebte in der Fremde suchen (858 ff.).

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bracht habe . in Asien Kriegsdienste zu nehmen (96 ff.) ; übrigens war auch der Vater in seiner Jugend Söldner gewesen (Vers 111 f.).

Dial. mer. 8, 1 : „Wer weder eifersüchtig ist" sagt Ampelis zu Chrysis „noch aufbraust noch seine Geliebte je geprügelt oder ihr die Haare gestutzt oder ihr die Kleider zerrissen hat, ist das noch ein Liebhaber?" Die Äußerungen des Zornes sind alle zu natürlich, als daß wir an ein Vorbild zu denken hätten bis auf TceQLs/.eiQEv. Daß ein Liebhaber sein Mädchen so grausam und dauernd bestrafte, war doch gewiß etwas Außergewöhnliches. Wir werden also nicht fehl- gehen, wenn ^\iv annehmen, daß sich Lucian an Menanders TleQiXEiQo- jusvri erinnerte; dieser Dichter hat übrigens auch eine ^PanLC^oiitvri ge- schrieben (Bruchstücke bei Kock CAF, III, p. 123 ff.), und weil es nun bei Lucian heißt eöqaTtLOs noxe lij TreQiexeiQev ^ könnte man vielleicht meinen, er habe an beide Komödien gedacht. Allein um das QaTtlKeiv zu erwähnen, braucht man keine Komödie im Sinne zu haben.

Dial. mer. 12, 3: Lysias wird von seinem Vater wegen seiner Liebschaft mit einer Hetäre im Hause eingesperrt. Ähnliches mochte ich im Alltagsleben nicht selten ereignen. Auch die Komödie nahm davon Notiz; in der 2af.iia Menanders passiert es dem jungen Moschion wegen seines Verhältnisses mit Plangon (Vers 20 31 , nach Roberts Rekonstruktion ) .

Dial. mer. 9, 5: der abgewiesene Soldat Polemon Athener, ^tei- Qievg Tlavdiovidog (pvlr^g (K. 4) , nicht Korinther wie in der UeQixei- QOuh'Ti, aber Chiliarch wie in dieser i) droht mit der Erstürmung des Hauses , in das sich seine einstige Freundin geflüchtet hat ; er kommandiert: „die Thraker sollen gewappnet kommen und mit ihrer Phalanx die Gasse absperren. An die Front das Hopliten- kontingent, an die beiden Flügel die Schleuderer und Bogenschützen, die übrigen rückwärts!" Ähnliche Szenen kamen in der Komödie vor. In Menanders UeQiy.eiQoinsvrj droht Sosias, der Sklave des Polemo, das Haus zu stürmen . in dem Glykera Aufnahme gefunden hat (Vers 273 bis 277): oi-Miov tovt auTty! i^atQiJGOjLiev \ otvXi^e töv jlwixÖv . . . ol Ttaldeg oi TzeXTagi s'xovreg ^)^ tvqIv Ttxvoai, \ diaqTcdaovxcii Ttdvxa. Am meisten Ähnlichkeit mit jener Stelle hat Terent. Eunuch. 773 782 (der Soldat Thraso ^) spricht) : Primum aedis expugnabo ... In medium

*) Luc. ebenda (zum Kommandanten über 5000 Mann avanciert) und Men. V. 178 11 d-eolg ix^Qcp jiTSQOcpÖQw xi^Xidgxcp.

2) So ist wohl mit Leo zu lesen (cod. UEÄTPAY).

^) Bei Menander, aus dessen Köla^ Terenz außer der Figur des Parasiten (s. oben) auch die des Soldaten entlehnte (vgl. Prolog 30—33), hieß nach frg. 293 K III, p. 83 der Bramarbas Bias.

Wiener Eranos. fi

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huc agmen cum vecti , Donax ; j Tu. Simalio, in sinistrum cornu ; tu, Syrisce, in dexterum, | Cedo alios . . . ego ero post principia ; inde Om- nibus Signum dabo. In Men. KöXa^, frg. Oxyrhynch. Pap. III, Vers 82 f. (vgl. Leo, Götting. Nachr. 1903, S. 674— 678) fürchtet ein Kuppler, der Soldat (Blas) werde, wenn er ihm das zweifach umworbene Mädchen nicht verkaufe, Gewalt gebrauchen: ueTaTtkiil'eS-' ereQovg {ouyozQa- Tuorag ... \ ovg TiaqacpvXaSeL' Traldeg , ey.TQißo<^Lf.iEd^ aV) , aber Ähn- liches droht ihm auch von Bias* Nebenbuhler ^ einem jungen Bürgers- sohn (CDettJ/or^; S. 685), Vers 91 95: vjveI^^ 6 yelTtüv äXt kav alöd-r^^ , ujLtov I TtQOöeiOLv, l^rj/.ovd-^ IvaiQovg JvaQccXaßtov . . . ßoiov d7tei?.iüv z. t. X. Lucian hat dieses Thema in einem anderen Dialog (15) variiert. Während nämlich im 9. Gespräch der Einbruch bloß angedroht wird, ist er im 15. wirklich erfolgt; die Musikantin Parthenis erzählt ihrer Freundin Kochlis voller Entsetzen , wie in das Haus einer Hetäre ein ätolischer Soldat mit acht handfesten Jünglingen eindrang und alles über den Haufen warf. Die Personen sind übrigens andere als in jenem Dialog.

Auch im 13. Gespräch behandelt Lucian das Thema Soldaten- liebe, aber wieder von einer andern Seite. Der Hauptmann Leontichos erschreckt seine Geliebte durch Erzählungen von seinen angeblichen Mord- und Heldentaten. Sein Diener Chenidas hilft ihm beim Erdichten, ja er reizt ihn dazu. Geradeso macht es in Plautus' Miles glor. (nach dem M.XaC,(J)v eines unbekannten Dichters) der Parasit mit dem Bra- marbas (Vers 25 60) ; der Inhalt der Lügen ist freilich hier und dort verschieden. Durch seine Schaudermären erregt Leontichus in der Hetäre Ekel und Abscheu. Dies war das Thema von Menanders Mioov- fiEvog (K. C A F. III, p. 97—101). Denn Libanius IV, 512, 1 Reisk. sagt: sxsi^g £>t r^? /.cjuiüölag TcaoaXaßiov, cbg uTteQoyxov tl vmI ooßaqbv y.al tzoXXtI] Tig äXaCovüa GTQaruoTTjg dvt'^Q ' eY ng vfAiov (paPTCcCeTai töv Mevdv- ÖQOu QQaacjvLöv^v, oidev^ o Xsyo) ; er spricht nun davon, daß der Mensch „an militärischer Unleidlichkeit krankte" (aTQatuortxrjv arjölav voGoüvra) und dadurch seiner Geliebten verhaßt wurde.

In dem erwähnten 15. Gespräch bemerkt K. 3 die Hetäre, nach- derti ihr die Parthenis ihr Mißgeschick erzählt hat: ^^Diese Genüsse kann man von diesen Soldatenliebschaften haben, Schläge und Prozesse." ^) So bedauert in der neQiy.£iQoiLi6vri (Vers 66 68) Doris . die Dienerin der mißhandelten Glykera, eine jede, die einen Soldaten zum Geliebten hat: dvGTvxrjg \ fjvig arQaTuorrjv sXaßev avöga' JTaQdvof.iOL \ ccTcavzeg, ovdiv rtiöcöv. Die Hetäre fährt bei Lucian fort: ».Wenn's zum Zahlen kommt.

^) TaDr' eoriv djco?,avaai zcbv otquikotihcov tovtcüv eQcbicov, Tihp/äg y.al öi'y.ag.

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dann sagen sie: ,Wart auf meinen Sold (ovvTa^ig) ^ bis ich meine Löhnimg bekomme, und ich werde dann alles tun!'" Diese Manier der Söldner und Prahlhänse beleuchtet auch ein ergötzliches Bruchstück aus einer Komödie (unbekannten Titels) des (DoLvi-Kiörig Frg. 4 K. (III, p. 334) : Eine Hetäre will ihren Beruf aufgeben ; sie legt einer Genossin (oder Dienerin?) ihr Mißgeschick dar (Yersöif.): „Gleich zu Anfang bekam ich einen Soldaten zum Freund ; ununterbrochen erzählte er von den Schlachten und zeigte dabei seine Wunden . zahlte aber nichts ; er be- hauptete, eine Pension (dayQedv) vom König zu beziehen, und das sagte er immer ; wegen dieser Pension, von der ich spreche , hatte mich der Schelm ein Jahr lang geschenkt (dcoQedv, d. i. gratis).'' Die Zeichnung des rohen und prahlerischen Söldnerführers ist für Lucians Verhältnis zur Komödie von Bedeutung. Denn während er alle anderen Figuren noch in seiner eigenen Zeit finden und von dort entlehnen konnte die Hetäre so gut wie ihre Liebhaber waren gewiß zu Lucians Zeit nicht anders als in der Epoche der Neuen Komödie ! fehlte einzig und allein der Bramarbas, seitdem römische Legionen die von Söldner- heeren gestützten Diadochenstaaten über den Haufen geworfen hatten. Somit konnte Lucian seine Kenntnis des Bramarbas nur aus literarischen Quellen , nicht aus eigener Anschauung schöpfen ; hier bot ihm die Komödie die beste Belehrung.

Wichtig sind die Namen der in den Hetärengesprächen auftreten- den Personen. Da die eingehende Behandlung dieser Frage zuviel Raum einnehmen würde es wären etliche 90 Namen zu besprechen so will ich mich hier ganz kurz fassen. Namen, wie sie uns aus Plautus und Terenz , aus den Bruchstücken der Komiker und jetzt auch aus Menander bekannt sind, fehlen nicht. Wir finden unter den Männern: MvvLcptov (Dial. mer. 7.3). Jr^umg (2, 2: ein „Alter" wie bei Menander [2a^ulaJ und Terenz [Eunuch und Adelphoe] !), KXeiviag (10: ein ,,adu- lescens'' wie bei Terenz He au t. und Andr. 86!), Accy^riq (7, 2), Mooxlcov (11, 3, Jüngling wie in Menanders UeQi/XiQ. und 2ajula) ^ ITcciLKpilog (2, Jüngling wie in Terenz' Andria und Hecyra), llole^cüv (s. oben!), (Davlag (4,4), (Dillvog (6,1), XaiQsag (7), XaQivog (A, ein „adulescens", wie in Plautus* Mercator und Pseudolus sowie in Terenz' Andria!), XaQ^idrig (2, 4 und 11). Aber die Figur des Jcoqlcdv (14, ein armer Ruderknecht) hat mit dem Kuppler Dorio im Phormio gar keine Ver- wandtschaft. Hingegen stoßen wir auf die durch die Komödie typisch gewordenen Sklavennamen Jqouwp (10, 2 und 12, 3, bei Plautus, Terenz und in den Komikerfragmenten) und UaQi^evcov (9, 1, es gilt dasselbe wie von JqolimvI)-^ den TißLog (9,5) kennen wir jetzt als TlßEiog aus Menanders Heros Vers 21.

6*

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Wie frei Lucian verfuhr, beweist er durch seine Verwendung des Namens Ggdacov (D. mer. 12, 1). In der Komödie ist es eine Bezeichnung des Bramarbas: Terenz, Eunuch i); ein Stück des Alexis hatte diesen Titel (Kock frg. 92. II, p. 326); ein Bramarbas QQaavlkov kam in Menanders gleichnamiger Komödie vor (K. III, p. 69 f.), ein Ogacjovidrig (ebenfalls miles gloriosus) im Mioovjuevog. Bei Lucian hingegen ist Ggdocüv ein Zechbruder des Lysias, also athenischer Jüngling. In der Tat kommt dieser Name in allen drei Bänden des CIA vor, war also gut attisch. Hätte sich Lucian an den Brauch der Komödie gehalten^ so hätte er den yleövTtxog (13) so nennen müssen.

Von diesen eben besprochenen Namen abgesehen, bleiben noch etwa dreißig übrig, die den typischen Personennamen der Komödie ferne stehen.

Unter den Fraueniiamen finden wir gleichfalls manche aus der Komödie bekannte; Hetären: MßQÖiovov (D. mer. 1, Men. ^^/rtir^. und neQL-aeiQ.^)), J4u7teUg (8, Plaut. Rud. Ampelisca, Mädchen des Kupplers Labrax), Bay,yig (4, Plaut. Bacch., Terent. Heaut., Hec, Adelph. II, 1), rivAeqa (1, Men. iZe^r/. [Maitresse] , Ter. Andr. [Glycerium, angebliche Schwester der Hetäre Chrysisj), Jelcplg (14, 4, Plaut. Mosteil. [Del- phium]), Qatg (1; 3, 2; Ter. Eun., auch sonst in der Komödie, so schrieb bekanntlich Men. eine Gatg)^ yteaiva (5, Plaut. Cure. [Türhüterin des Kupplers]), MeXiTza (4; Antiphanes, Titel einer Komödie [K. II, p. 73]), MvQTcilri (14; nicht in der Komödie, aber bei Herondas I, 89^) und II. 65 und 79 [Hetäre]), üavwxlg (9, Titel einiger Komödien [Fest oder Hetäre?]), ^Yf.ivlg (13, Titel eines Stückes des Men.*)), QiXaivlg (6, 1; Plaut. Asin. [Philaenium]) , WLlrj/uäTLOv (11, 2; Plaut. Most:), Olhwa (3, Men. FecoQyog [Vertraute, vielleicht Amme der Myrrhine]), Xgco/g (8, Terent. Andr. 69 ff. ; Antiphanes, TiteP); Men. -5"«^/« [Konkubine], Plaut. Pseud. 659 [alte Wirtin]); fraglichen Standes yieaßla (2, 3; Terent. Andr. [Hebamme] ) ; Dienerinnen der Hetären: JwQig (2,3; Men. IleQiiiELQ. [Dienerin der Grlyk.], Ter. Eun. [Dorias ancilla, aber im Kod. A IV, 3 Doris], Diphilus 56 K [Sklavin]), nv^idg (12, Terent. Eun., (DoLVixLörig frg. 4, 2 [die Person, mit der die Hetäre spricht; s. oben]); die Witwe eines athenischen Schmiedes hat D. mer. 6 den bezeichnenden Namen KQwßvXn] (von KQwßvAog)^ wie bei Men. frg. incert. 929 gleich- falls eine Mutter und frg. 402 {niövAOv) eine reiche Erbtochter heißt.

^) Allerdings hieß im Original der Soldat anders; s. oben.

^) Wenn ich nichts bemerke, sind ebenfalls Hetären gemeint.

^) Eine der Frauen aus dem Volke, bei denen die Kupplerin ihr Glück versucht.

^) K. III, p. 135ff'. ; es wird aber zweimal mit h Tcp"Yf4viSi zitiert.

5) K. II, p. 110.

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Auch unter den Frauennamen bleiben etliche dreißig ebenfalls die überwiegende Mehrzahl die wir bisher wenigstens aus der Komödie nicht belegen können; einige sind ihr überhaupt von vornherein abzusprechen, so Jeivo/^dxri (1, 2), Jri^iovaaoa (5), ^Egaal-KleLa (10, 3), Meyilla (5).

Als Attizist war Lucian ein guter Kenner des Wortschatzes der Komiker. Ich will also zum Schlüsse auf einige solche Ausdrücke ver- weisen, mit besonderer Berücksichtigung der neugefundenen Menander- stücke.

Dia], mer. 1, 1 nennt FAr/tf'^or den akarnanischen Soldaten £^7ra^f^og. Das war eine bei den Komikern beliebte Bezeichnung, wie Pollux und Plutarch bezeugen, ersterer VII, § 46: i^ ^^ (%^(^f-i^s) ^ccQ^fpiQ y^ccl Ttaqa- 7t()Q(pvQog lij cbg rj vsa y^wuojdia, euTtaQucpog, letzterer Quaest. conviv. 615 D ^evog Tig üotisq evTtdovcpog 1% /.co/iuijöiag^)] in der Tat lesen wir beim Komiker Nikostratos frg. 9, K. II, 222 (aus den BmJilelg) ipvy,vt]Qiov TJig evTvaQvcpov kejcToceoov (nach Athen., der diese Worte YI, 230 d zitiert, beziehen sie sich auf einen dXaC,v)v aTQaTuoTrjg).

Weniger besagt Dial. mer. 7, 2 die Erwähnung des Tagavtivldiov (eines in Tarent verfertigten Festgewandes). 2) Zwar können wir als Gewährsmänner für dieses Wort, abgesehen von Lucian (nebst seinem Nachahmer Alkiphron I, 36, 2) und den Lexikographen und Gramma- tikern, nur Komiker anführen, nämlich Nikostratos ^ ) und jetzt auch Men. Epitr. 302 (in der Form ra^avTivor, dem Grundwort zu zagavTividiov; es ist das Kleid, das die naiicpllr^ bei der Nachtfeier trägt);*) allein daß die feinen Kleider von Tarent allgemein bekannt und geschätzt waren, lehrt Luc. Rhet. praec. 15, wo das blumige weiße Gewand tarentinischer Fabrikation ebenso wie die attische Sandale und der sikyonische Schuh sal Ausstattung dem Zögling der Rhetorik empfohlen wird, und De calumnia 16, wo er erzählt, daß es dem Platoniker Demetrios am Hofe des Ptolemaeus Dionysos schlecht ergangen wäre , wenn er nicht , an- getan mit einem ragavTiviÖLov, am Dionysosfeste teilgenommen hätte.

*) Es ist interessant, daß sowohl Lucian als auch Plutarch dieses Vokabel in ihren Wortvorrat aufnahmen; das beweisen Stellen, wo beiden die Erinnerung an die Komödie fernelag: Luc. Somn. 16 (der Flügelwagen nach Fiat. Phaedr. p. 246 e) i\uoi söoxovv evjtaQvqpög reg enavrjxeiv und Plut. Aem. Paul. 33 veaviaxoi jceQtC(Of4aoiv sdiiaQvcpoig sataXfievoi (die Jünglinge, die im Triumphzug des Paulus die Rinder zum Festopfer führen) ; dagegen ist letzterer Moral. 547 e tavxa yaQ od Jigög azQaxioiTag /^ovov ovöe vEOJiXovxovg söJiaQvcpa xal ooßaoa öirjyrjuaTa JiEQdtvovxeg von dem unmittelbar vorangehenden Menanderfragment ine. 563 K (beginnt mit acpdxxei fte) beeinflußt.

^) Hesych. sub xaQUvxivov p. 1436 Schm. : ifidxiov yvvaixelov /.e:ix6v, XQOoaovg e/or £X xov evog ftSQOvg.

^) Suidas sub Ta^arxiviSiov p. 1008 Bekk. : ovxcog NixöaxQaxog.

*) xaQavxlva will Robert auch TleQix. 111 herstellen; doch ist die Lesung unsicher.

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Dial. mer. 5, 1: ÜQbg xrig novqoTQÖcpov. Der Ausdruck ist dichterisch und wird zunächst als Attribut verschiedener Göttinnen (Ft], Jriut]TriQ^ ^ET-arri, 'JäQTCfxig, KijrcQig [Venus], aber auch von Ländern) gebraucht; hier aber steht er als Substantivum (Aphrodite) wie beim Komiker Plato frg. 174, K. I, 648 (aus dem (Ddcov^)), Vers 7 f. TCQÜxa (A.iv i/nol yäq yiovQOTQÜcpo) TCQo&vExai \ nKa'Aovg svoQxris.

Der Atticismus '/,Ey,Trji.tivri ,,Herrin" (Men. Her. 37, Epitr. 380, TIeqix. 62, 68, 146. 306) war Lucian geläufig, denn er verwendete ihn einigemale im neunten Gespräch.

Dial. mer. 10, 3 gebraucht Lucian das bloß dichterische Wort zdlav in derselben abgeschwächten Bedeutung wie Menander. Denn Drosis, gekränkt, daß ihr der ungetreue Liebhaber in seinem Brief nicht einmal einen Gruß entbiete, meint mit aial zdlav nicht „ach, der Unglückliche!*' (unglücklich ist ja sie selber), sondern „ach, der arme Narr!''^) Genau so („du armer Narr*', manchmal „du Ver- blendeter") — beachte auch die Setzung der dritten Person trotz des Vokativs bei Menander (unendlich oft!): .2"«^. 95 (w zdXav bezieht sich auf das kleine Kind, „du armer Wurm!"), 103 („ich Törin!"), 212 („du Verblendeter!"); 'E7citq. 247 („der Narr!" [von Charisius], daher 249f. rdlag o'^rog; rdlav ist mit ot'x ea [Subj. Charisius] ver- bunden), 252 (wieder von Char. to räXav), 279, 359 (,,du Trottel, wes- halb scheine ich dir ein Verlangen nach Kindern zu haben?" erwidert die Hetäre dem etwas begriifstützigen Sklaven), 449 (me .2'«^/. 95; xlaviLWQi^eTai trotz des Vokativs), 451 („ich arme Närrin!"; so sagt Sophrone von sich selbst, denn die Habrotonon wird von ihr erst Vers 456 x^^Q^) (pi^i^ctiri bemerkt); neQi%eLq.?Al (wie Epitr. 451). In derselben Bedeutung wird auch dvofxoQog verwendet, 2a{,i. 98 („du [vorlaute] Törin"), 213 (nom., = w zälav 212; Demeas entgegnet val „dvGf^oQog^^) imd ^E7tLTQ.2Sl (al^ Svo/hoq\ „du abscheulicher Mensch" 3))^ sowie xaxodaLfiov, ITe^rKEiQ. 243 und 257. Wenn wir von den beiden letzten Versen, in denen wir uns über die sprechenden Personen noch nicht recht im klaren sind, absehen, so bedienen sich außer UeotxeiQ. 317 nur Frauen dieser Bezeichnung.*)

*) Dieses Stück, Olymp. 97, 1 (s. Kock a. a. 0., p. 646) aufgeführt, gehörte nach Zeit und Stoff der mittleren Komödie an.

'^) Es folgt ovös ro ;i^a<()£fr JiQOoeyQaxpe.

") So übersetzt es Prof. v. Arnim.

*) Natürlich kommt TaXag bei Menander auch in der Grundbedeutung (miser, misera) vor: 2"«/^. 241, 307, 337; 'Ethtq. ?,i2, 408. Unsicher ist UeQix.'^m. Sa^uia 84 hält es die Mitte zwischen den beiden Bedeutungen : „Ich leider unentbehrliches Hausmöbel (c5 räXaiv' syco) mußte einst den jungen Herrn ammen und jetzt soll ich auch seinen Kleinen betreuen ! " klagt die alte Amme.

87

Dial. mer. 12. 4: Lysias erzählt, wie er sich nachts ins Haus seiner Geliebten Joessa schlich und, in der Dunkelheit herumtastend, zu ihrem Bett gelangte. Joessa unterbricht ihn lebhaft (Lysias hatte behauptet, bei ihr einen Jüngling gefunden zu haben): TL egeXg . . äycovico yccQ (d. h. „ich bin voller Aufregung, Spannung"). Dieselbe Bedeutung hat dywnäv bei Men. Her. 2: xof>cov ri^ Jäe, (.lot do%tlg .csTTOTi'KsvaL j Ttaf-tfAtynd-egy elva . . dycoviäv.

Dial. mer. 15, 2: h.cpd^eiqov „troll dich hinaus!'' In dieser Be- deutung bei Menander drcocpd^eiQEöd'ai^) : ^a/ula 216 ärtoipd-EiQOV xctyv (der erzürnte Demeas weist seine Konkubine aus dem Haus) und 306 (Worte des Moschion; s. oben); daher elocpd^eiQeöd^ai „sich hineintrollen": IleQiXEiQ. 119 oi'Z £ioq)0^eQEiGd^e d-ärrov vf^ieig l^rcodiov und Sam. 313

^äZTOV El(J(pd^dQ)]i>i GV.

Dagegen heißt avog Dial. mer. 14, 1 „ausgesogen, arm'' (Dorion beklagt sich, von seiner Geliebten, ausgebeutet worden zu sein) wie auch Toxar. 16 (ebenfalls von einem durch seine Freundin ausgebeuteten Jüngling); aber bei Menander wird das Wort von geängstigten Menschen gebraucht: Epitr. 497 TtecpQL^ syto iuev, avog elfii ti^ öeei und ITeQrK. 237 (avog eif.1^ sagt Daos, voller Angst, weil er nichts ausgerichtet hat). 2)

Wenn ich nun aus meinen Ausführungen den Schluß ziehe , so verweise ich auf die Tatsache, daß Lucian die berühmtesten Stücke nicht bloß der älteren, sondern auch der neuen Komödie gekannt hat; anderseits waren freilich seine Kenntnisse auf diesem Gebiete der Literatur nicht so ausgebreitet wie die des Athenäus. Außer jenen Stellen, an denen er selber sich auf Komödien oder Figuren derselben beruft, kommen noch andere in Betracht, wo er Anregungen durch die Komödie erhalten hat. Hier konnten wir feststellen, daß der Ver- such , der oft gemacht wurde ^) , aus Lucian Anhaltspunkte für den Inhalt von Lustspielen oder gar ganze Verse zu gewinnen , verfehlt ist. Denn es handelt sich nur um Anregungen, nicht um Nachahmungen, und die Untersuchung kann daher kein anderes Ziel haben als jenes,

*) So auch bei Aristoph. : Wölk. 789 ovji ig xoqaxag djiocpdeQsl und Ritt. 892 (dasselbe); sxcpdeiQeadai: Fried. 72 ix(p&a^€ig ovx oJS'ötioi; ävacp^.: Vögel 916 dxaQ, c5 noirjxä, xaxa xi devo' uvefd-äQrjg ; 7iQoa(p&.: Eccles. 248 i)v Kecpakög aoi loiöogr^xai jxqoo- (pßaQFAg (falls er sich an dich anhängt). Wie man sieht, gehört diese Bedeutung so recht dem Sprachgebrauch der Komödie an,

2) Heißt es „steif wie ein dürrer Ast^ oder (was ich eher annehmen möchte) „blut- leer'*, weil dem Erschreckten das Blut bekanntlich aus dem Gesicht und aus den Gliedern weicht ?

^) So von Kock im Eh. Mus. 43 (1888) S. 29 ff; von den Hetärengesprächen ist .'^. 67 ff. die Rede.

den psychologischen Vorgang aufzudecken, der sich in Lucians Geiste abspielte, als er, durch Erinnerungen an die von ihm gekannten Lust- spiele angeregt , diese Apperzeptionsmassen mit neuen Phantasievor- stellungen verband. Von Pedanterie weit entfernt (manchmal mag man ihn sogar oberflächlich nennen), schlug er seine Autoren nicht einmal, wenn er sie zitierte, nach, geschweige denn, wenn er ihnen bloß Motive entlehnte. Mit der Sprache der Komiker war er, wie wir gesehen haben, so vertraut, daß er aus ihr seinen eigenen Wortschatz bereicherte. i) Das Wesen Lucians ist lange verkannt worden, obwohl die Kon- trolle an der Hand der erhaltenen Schriftsteller stets möglich gewesen v/äre. Erst P. J. Ledergerber hat in seiner vortrefflichen Dissertation „Lukian und die altattische Komödie*' (Einsiedeln 1905) bezüglich des Aristophanes gezeigt, daß bei Lucian zwar sehr viele Anklänge an jenen vorkommen, daß der Samosatener aber die vorgefundenen Motive durchaus frei und originell umgestaltet hat. Ich verweise auch auf Plato, dessen Technik er in vielen Dialogen zum Vorbild nimmt, ohne in ein Plagiat zu verfallen. Wir haben nun in den Hetärengesprächen dasselbe Verhalten Lucians gegenüber der Neuen Komödie gefunden. Er hätte übrigens, selbst wenn er wollte, die Stücke der berühmten Komiker, besonders des Menander , gar nicht ausplündern können , da sie zu seiner Zeit noch allgemein bekannt waren. Was also der mittel- alterliche Scholiast, Rabe a.a.O. p. 275, 1—5, zu den Hetärenge- sprächen bemerkt : ^loziov ibg avrai Ttäoai ai eralgat 7.8710) laodijv rat y,al Ttäoi f.iti' To7g xcoiLKijöiOTtoioigj udhata Sa MevdvÖQüj, u(p ov yial Ttäoa avcri rj v?.ij yiovaiavLu tlij 7tQ0'/.eLfj.tvii) evTrÖQYitai, diese Worte, sag' ich, sind nur mit der von uns vorgenommenen starken Einschränkung zu verstehen; bleibt uns doch der Scholiast den Nachweis durchaus schul- dig, indem er in seinem ganzen Kommentar zu den Hetärengesprächen kein einziges Mal einen Dichter der mittleren oder neuen Komödie zitiert. Lucian charakterisiert sich selbst so, wie ich ihn eben charak- terisiert habe ; denn nichts anderes besagen seine Worte im Bis accus. 34 : STtl näai (zu alledem) öe zrjv xwfi(i)diav auTcij (d. i. ntj diaXoyco) TtaQeCev^a und Prometh. es c. 5: eTteiSrj ovöi to £/ dvöiv xolv y,aX)do€OLv ovyxelo&ai, diahr/ov %al y.cx)/Liqjdlag^ ovös tovto drröyQii] elg evuoocpiav^ el f.tr^ /.al i) f^l^ig svaQf^övLog v.al z«rd ro övf.i(xerQOv yr/voiTO.

^) Auf die AnAvendung von attischen Wörtern kam es ihm besonders an: er erklärt sie (ovofidzMv xofjoiv röjv 'Aztixöjv) Advers. indoct. 26 als unerläßlich für die vollkommene Bildung.

Johannes von Damaskus' Auszüge aus Nemesius.

Von KARL BURKHARD.

Wie der Mönch Meletius im 9. Jahrhundert unter dem Titel Ttegl TYig Tov äv&QO)7tov YMTaGyiEvrig auszugsweise einen großen Teil der Xemesischen Schrift Ttegl cpvoewg ävd-qcojcov, die gewissenhaft ihre Ge- währsmänner nennt, meist wörtlich wiedergibt, seine Quelle aber ver- schweigt, so hat auch schon der Mönch und Priester Johannes Dama- scenus. etwa hundert Jahre früher, hauptsächlich im zweiten Buche seiner exS-eaig d/.QLßrjg Tf]g oQd-odiY^ov Tzlöceiog, welche den dritten Teil seines Sammelwerkes jcriyri yvcoaecog bildet, neben anderen Schriftstellern unseren Xemesius besonders reichlich benützt, ohne seinen Namen zu nennen, i) Kommt uns ein solches Verfahren recht befremdend vor, so ist doch der Umstand selbst, daß uns durch die Tätigkeit jener Männer i>:rößere Stücke aus Nemesius in alter Überlieferung erhalten sind, gewiß zu begrüßen.

Was wir durch eine Textvergleichung aus Meletius gewinnen können, hat Bender am angeführten Orte, S. 83 ff., gezeigt. (Vgl. meine Anzeige in der Zeitschr. f. d. österr. Gjmn. 1899, S. 59Iff.)^) An einer

*) Vgl. Matthäi in seiner Ausgabe des Nemesius (Hai. Magd, 1802) praef. 5, 13 und in der adnot. er it.; ferner Bender, Untersuchungen zu Nemesius von Emesa (Heidel- berger Doktordiss. , Leipz. 1898) S. 8: „Am schärfsten tritt der Undank, welcher in der schweigenden Benutzung liegt, hervor bei Johannes Damascenus, der einen großen Teil des zweiten Buches seines um die Mitte des 8. Jahrhunderts verfaßten Werkes ^de ßde or thodoxa" '^emesiun verdankt, und bei dem Mönche Meletius" und S. 82: „Das II. Buch v<m dessen [Joh. v. Damasc] Werk de ßde orthodoxa stellt eigentlich, besonders von Ka- pitel 26—36, in Kapitel 38 und 43 (resp. XII— XXII, XXIY, XXIX Migne, Fatrol. Graeca tom. 94, col. 917—941, 952, 958)'' die Zahlenangaben sind, wie man sich leicht über- zeugen kann, nicht ganz richtig „nur einen ungenauen Auszug aus Nemesius' Ttegl (pvaecog dv&oojn:ov dar. Bas zeigt schon ein Vergleich der Kapitelfolge, im allgemeinen ist sogar die Einteilung beil)ehalten.'' Darüber näheres weiter unten, S. 96.

') Dort ist S. 593, Anm. 1 dahin zu ergänzen, daß die Hs. von Patmos (IT), wie ich .*ieit<lom fM-mittelt habe, der Urschrift am nächsten steht und als Führerin zu gelten hat.

90

ähnlichen Untersuchung über Johannes' Auszüge gebricht es noch heute. Denn mag auch schon Matthäi „die von Johannes Damascenus ohne Namensnennung aus Nemesius entnommenen Stellen in den Varia e lectiones et animadversiones seiner Ausgabe ausgiebig notiert" haben (Bender S. 82), erschöpfend tat er es nicht, noch auch in zweckentsprechender Weise. Varianten sind selten ausgeschrieben, ge- wöhnlich wird nur ungenau auf eine längere Stelle, die einen Nemesius- Auszug enthält, verwiesen und so der Wert der an sich verdienstlichen Arbeit wesentlich verringert. Um diesen Übelständen abzuhelfen, genügt es aber nicht, sämtliche Parallelstellen einfach zusammenzustellen und die wichtigeren Abweichungen hervorzuheben, wir müssen auch beachten, wie die Vorlage benutzt wurde, um die Auszüge für die Nemesius- Kritik richtiger einschätzen und gelegentlich wieder ihren Wortlaut nach Nemesius sicherer verbessern zu können.

Von diesem Gesichtspunkte aus will die folgende Übersicht beurteilt sein. Die Nemesius-Stellen sind nach Matthäi gegeben. Bei den Stellen aus Johannes von Damaskus weist die erste , niedrigere Zahl oder Zahlengruppe (nach der Kapitelziffer) auf die Ausgabe von Lequien (Paris 1712), die zweite, höhere auf Migne (a. a. 0.) hin.

Nemesius

Kap. S. 1, 36, 6 (.og OiO(.ian

Johannes Damascenus Bemerkung

Kap. = 11, 12, 179 A, 924 B

/'Anfang des Satzes frei wiedergegeben , dann

38, 7—39, 2 yvcüQtuov _ bis divauiv

39, 4 7 Gvvd7tT€Tat

bis do7ta<6juevog 45, 5 8 vc7)v öcbiiaTi

179D. 925 CD

180 A,

180B, 928 A

wörtlich von aal xoTg (8) bis d-QETiTLy.riv (12), Rest freier durch Zu- sätze, Auslassungen, Um- stellungen, Wort- änderungen.

CVD

47, 11 13 hxL Eyvü)

48. 7 10 TOf-i^ %Evov- xai ycxQ

53 tf. cvD

64. 2 ÖLo 'Aoa/Liog =

3, 136. 4 6 TOTtog rcegie-

4, 145. 3—5 7täv—xi\utdv cvdII, 12, 179 B, 925 A

180 C, 928 B Anfang frei, von xai (7) wörtlich. 11, 177A, 913B Vgl. LXX, Gen. 3, 7.

12, 180B, 928A

4, 160A. 877 C

12, 180B, 928 A

I, 13, 149 A, 849 C Zusatz aMfiarixog.

91

Nemesius

Kap

5, 151. II Ib hon— ^TjQov = 157. 1 2 7CVQ e^aegov-

rai und 5 6 oßea^iv bis yLvETai cnj

157. 6—9 eoTiv—d-EQiid

6, 171. 8—10 Aufschrift

bis evegyotaa

11 112,2 (favraaia _

bis yivo/Lievov 1 73; 9 f. OQyava ytotUai co 174, 1 €OTL Tcevve oo

176, 7 f. dvvauLV }!>q- yavov

7, 182,11— 183,7aZ(T^crV£- _

Tai ^TjQOV

8, 189, 5—6 e-jcaatov _

bis y,ateoy,evaae 1 11 y,al yäg äv

190, 7 XOLVrj UiJfJÜV :=

190. 12—14 TcArjv bis _

TOIOVTIOV

192. 6—193, 8 To &eQ- _ (xbv dvTiXa^ßdveTai

9, 195, 10—13 ri^v-^av- _

Johannes Dam

Kap.

179C,

7, 168B, 8, 169 B.

r= 17, 183B,

CV)

196, 1 9 eovi 7toLÖ- TtiTag

10, 197, 14—198, 5 «xoj)

bis coTa

11, 199. 3 4 oocpQTiOLQ bis

ascenus Bemerkung 925 A Einige Freiheiten.

897 B

900 C Einige Freiheiten.

9 3 3 B Das folgende frei erweitert.

183B. 933B

183B, 18,1830,

183C.

183D,

184E,

184E, 184C, 184E,

184C, 185 A,

933 C 933 C

(Ende.)

933 C

(Anfang.)

933D 937 A

937 AB

936 C

937 B

Einige Freiheiten.

936D 937 A

937 B

184B, 936B

183E, 184 A,

936 A

936B

Zusatz xal vevQcov nach oatcüv (12).

Mehrere Auslassungen,

Zusatz ijyovv dgaiov

(193, 3).

Bis ögäv (11) freier. Zusätze : ijyovv alod-rj- Ttxii nach dvxiXrjmixri (2); r)v xaXoval rtveg odoaviay.ov n^ch imeQcpa (8), tlyovv aYad-rjatv n2iQ\x dvTikrjyjiv (5), yhaxQ^- rrjg nach XiTiagöttjg (8), Umstellungen, Abwei- chungen. Ausgelassen /.idXiara (3)

bis x^^^Q^S (4). Zusatz dvaTcef^movacov Toi'g dxf^ovg im tov lyxE(paXov nach gtvatv (3), vgl. Nem. 192, 4.

92

Ne

mesius

Kap.

12—200, 3Tcovhis dvowdia

12, 200, 5 Aufschrift

8—201, 9 Tov bis

Ende d. Abschnittes

13, 202, 2—10 Aufschrift bis XeyevaL

CO

CSD

12-208. 1 ra bis

VOTlTa

203, a— 4 oTi—fie^vi]-

4 T:fig exof.iEv 5 6 ^ evvoiag 12 13 dvdjLivriGig bis dvccxTriGig

14—15 Aiy6^7^ bis_

(XTtoßollj 204.3 b/6 TOVTOVOsD

6 8 fj TcveviLia =

14, 208, 2—3 Aufschrift =

5 7 ^rega ttqo

(fOQiytng

7—209, 6 fo-T^ bis _ j/

sxei

15, 213,5 löiaiQel Xoyovcsct

16, 215,12- 13 To llyETai =

14 216, 4 XeyeTai

bis XvTti]

CVD

185 AB, 937 C^

Johannes Damascenus Bemerkung

Kap.

Zusatz Ttecp&hxoiv vor, 184 A, 936 B ^^^ ylverai nach (fy) dvaojöta (200, 3).

19, 185 A, 937 B

Bis ÖQfiai 201 , 2 freier

(ausgelassen yevixüg f^iEv (1), hinzugesetzt a«^ TT^o^ r?;v Ttgä^iv xal al a(poQ^aC nach dem um- gestellten ai ÖQfiaL, ferner Tfj£ Ttgä^sojc, nach

djtocpvyai 2). Zusatz ijyovv aia&äve- zai (8) nach dviikaft- ßdvezai, Auslassung von d)g f^iev 'ÜQiysvrjg [lies 'AgiaTOT£X7]g\ (prjoiv (4) und c5? 8k nXdxcov (6, dafür ■// eingesetzt).

20, 185 C, 937 CD 940A

Mitte frei.

216, 5—6 Th—de

CVD

185D, 940A

185D, 940A

185D. 940A

185C. 940A

185D, 940 A

185D, 940A

185DE, 940AB

185E, 940B

21, 185E, 940B

185E, 940B

186 A. 940BC ^^^^^^^^T^^t/'^'"

12, 180C, 928B

22, 186B, 940C

186B, 940CD A-g«i----^;(i)b-

' Xoyog (2).

186 C, 940D

Ausgelassen xal Ttag- eyxQaviöa (7).

93

Nemesius

Joh

Kap.

annes Damascenus

Kap.

6—217, 8 ot-x aqa bis TcdÖ-og

218.

-8 ov Tzdd-og

17, 218. 17—219. 1

CSD

jLiev g)av/M 219, 5 7 TtQoadoAio

18, 220. 9—11 Aufsclirift_ bis ^h

13 22\.?>cni)iiaTL-

%al fidovdg 221, 7—9 al—aio^riOLv =

13—222,3 Tiovhh

eig

222, 3—11, ÖLadoz^v

CSD

bis fidovdg

11 15 rag xarof-

dovXoTjöag

19, 229, 8—12 Aufschrift _

bis '/M'Aotg

20, 231, 2—232, 1 Auf- _

scbrift— 7r£7c^a//^6Vf/^

21, 234, 2—235, 4 Auf- _

Schrift XoyiG^ov ~

186C-E,

940 D -941 B

Bemerkung

Zusätze: Ijyovv usyannch elvai (216, 8); 'ij l^dv ovv v7i6Xt]yjig tov xaXov TTjv kmd'Vf.nav xiveX' ij 8s TÖv xaxov vnoXrjipig zov ■&vf.i6v nach xaxov (12), ilyovv xoivov nach yevt- xöv (12); cpvaixi] ovaa nach xivrjoig (217, 8), äjxeTQog ovaa xal oi xaxa 9P?5o'fv(aus 217, 14) nach 7iaXi.iov£ und iazi^ xal o^x ivsQyeta (aus 218, 1) nach Tra^oj (217; 8) ; ausgelassen Srav bis (fvaiv (217, 3).

= 186E, 941 B = 12, 181 B, 929B

181B, 929B

13 181 C 929 B H^^^^"^ bi^ V'vzr}? (13)

^ ' "^ freier.

181C, 929BC

181 D, 929 C Zusatz xal &ecoQiav nach iTiLGzri^rjv (9).

1 ft 1 "n TT Anfang frei, von iiöovüv

^ ^^ 932A (14) wörtlich.

181E, 932AB 182A,

182AB, 932B

14, 182B, 932 B 15, 182C, 932 C

über die Reihenfolge der

Begriffsbestimmungen

siehe Seite 101!

[Darauf bis ans Ende 16, 182DE, 932D ) des Abschnittes (4-6) 183 A, 933 A ] freie, erweiterte Dar- l Stellung.

94

Nemesius

Kap.

22, 236, 4—7 toC— Ende des Abschnittes

Johannes Damascenus Bemerkung

Kap.

Ausgelassen (pvaixöv (6, ebenso 10 q)vaixai), Zu-

i2,i80DE,928D,:rjsz:r6";

dasselbe Wort 38, 12 hinzugesetzt.

23, 2'dQ, 10—11 T()u~d7to- _

'jiQlTl'Kl] '

26, 249, 4—250, 1 rdgbis

CVD

-. 8 1 1 T^g TtOielv CVD

29, 263, 10 Aufschrift =

264, 3—7 e7tel-Tli>ev- _ Tat

8 lA.TtQä^lgeaTLV

bis y.oXdZovvai 15 265, 1 ovv bis ipoyov

265, 1 5 '/Mi or<^£rag=

CVD

30, 265, 9 Tov EOTi =

12 14 OQog ßia- _ Gd^lvTog 14 dqxr^ alxia cvd

31, 271. 7 f. di a>omr bis

TtOLEiV

272,3 iorav avveßri

(lies ov(.ißfi) 5 6 tv d7ts'/,TELvev =

15 273. 1 Tavxa _ bis jÄOQia

32, 274. 10—12 Tov—yiv6- _

juevov

180E, 928 D

Ausgelassen cpvaixai (10, wie oben (pvaixöv qnq \ 6)» in^ übrigen Erwei- terungen durch das fol- gende.

181 A, 929 A

I Diese, 181 A (929 A)

180A, 925 D I wiederholte SteUe lehnt

928 A sich hier mehr an den

' Nemesius-Text an.

24, 191 B, 952 B

952 B Anfangsworte frei; Ö€i- ' Q^U A ;ci?^Jffera« od (5) über- gangen.

191BC, 953A

191 C, 953 A

191 C, 953 AB Eine beabsichtigte Ab- weichung.

191 D, 953 B Das folgende freier.

191 D, 953B

192 A. 192 A. 953 B

Anfangsworte frei.

192 A, 953 C 192 A. 953 C

(Anfang.) 192 A, 953 C Umstellung und Aus- lassung.

192B, 953D

Anfangswort frei. Nach fWQia freie Zusammen- fassung des folgenden.

192AB, 953C ^•"!"''': ü»-teUu.gen,

' \\ ortanderungen.

m

95

Nemesius

Kap.

CV2

275, 2 3 Sgi^ö/ned-a

bis Ttgä^ig 33, 277. 11—278, i5 za _

TcaiSia de

37, 299, 6—7 r))v—elvai csd

39, 311, 8—314, 16 Auf- _

Schrift TTQä^Lv

314, 10 ff. ^riöefiiägK

vgl. 325, 13 f.

40, 317. 6—318. 11 Ttdvia bis Tt^vai

41, 324, 2—3 Aufschrift

5 6 (pauev bis

aVTE^OVOLOV

Johannes Damascenus Kap.

192 B

,y^ö, ;>

■326. 1 Tov bis

avTe^ovoLOv

326, 2if. u. 324. 7 flP. cxd

42, 331, 4 Aufschrift =

43, 343. 9—10 TtQÖvoia bis _

IrziueleLa

11 344. 1 TtQÖvoLa

bis dvdyxri 344,1— 13xard— Ende des Abschnittes bald = bald CK)

44, 354. 2 eQ£i e^fig cv)

362, 7—364, 2 avyxwQsl _ bis uaQTvoojv

192C,

29, 197 C. 25, 192D

-193E. -957C 7, 166C, 893B

26, 194A-C. 957D 960B

27, 194 C. 960B

Bemerkung

Anfangsworte frei, zwei Zusätze.

Viele Auslassungen und Wortänderungen.

968 A

956 B Mehrere Zusätze, einige Wortänderungen.

953 C 956 A

Ausgelassen i(p' ^luiv elvai{^\l,l), xai—iöei- yßr]{\0-\\), ^5(317, 12) TiQoXaßovaiv (318, 1), Zusatz öfioicog xal Icp' olg oi) dei nach fiij yaiQsiv (8).

Die unmittelbar darauf-

folgenden Worte bis

194D,

960B

TQOTiriv (7) sind in Jo von Combeficius aus

Nemesius ergänzt. Zwei Wortänderungen mit Zusätzen ; näoa (12)

194E.

960 CD

bis ßovlevead-ai (14)

195 A,

übergangen. Schluß

nach TiQd^eoiv (326, 1)

frei verkürzt.

194D.

960 C

29, 196A,

964 A

196 A,

964 A

Nächster Satz frei zu- sammengezogen.

196 A,

964 A

Wörtliche Stellen 344,

1 2 xara d^eonge-

neaiaia, 4 6 dväyxii

196AB,964AB ^j, ,,,,

12, 177 C. 920 AB

^Ausgelassen c5^ etQtjtac

29,197A-C.965Ab"^ J," <2' ^""^ ""■

^ schließendem Zitat

l 363, 3.

96

Nemesius Johannes Damascenus Bemerkung

Kap. Kap.

364, 11 365. 2 on bis ^c^ar^ nail:>r^

. ^ ' CVD 196C, 964 BC Schlußworte Avörtlich.

e7rLjLie/£iTaL

366, 1 4 TMV—ädr/MCsD 196 C, 964 C Schlußsatz wörtlich.

Die allen Nemesius-Kapiteln (außer 2, 24, 25, 27, 28, 34—36 und 38) entnommenen Auszüge, von denen der Auszug 136, 4 6 dem ersten, alle anderen dem zweiten Buche angehören, halten je nach Bedürfnis des Verfassers bald die Reihenfolge seiner Vorlage ein, bald weichen sie von ihr ab.i) Wir können sie in zwei Gruppen einteilen. Die eine umfaßt Stellen, an denen Johannes von Damaskus mit dem Nemesius-Text ganz frei verfährt, indem er ihn, erweitert oder ver- kürzt, mehr dem Gedanken als der Form nach wiedergibt, die andere, viel umfangreichere Gruppe solche, die durchaus oder wenigstens zum größten Teile wörtlich, d. h. nur mit unbedeutenden, teils notwendigen, teils überflüssigen Änderungen aus Nemesius entlehnt sind. Wir haben die Stellen der ersten Gruppe durch cnd. die der zweiten durch ge- kennzeichnet. Wenn die im allgemeinen wörtlich gehaltenen Stellen irgendwo auffallendere Abweichungen aufweisen, die sich nur mit geringer Wahrscheinlichkeit durch die Verschiedenheit der Nemesius- Texte rechtfertigen lassen, sondern wohl größtenteils auf Johannes von Damaskus selbst zurückzuführen sind, ist dies in der „Bemerkung" angedeutet. Daß namentlich die zweite Gruppe für die Nemesius- Kritik in Betracht kommt, liegt auf der Hand.

Wir geben im folgenden bemerkenswertere Abweichungen vom Nemesius-Text nach Matthäis Ausgabe mit Berücksichtigung unserer Nemesius -Handschriften, -Übersetzungen und -Auszüge und heben die vermutlich richtigen Lesarten bei Johannes v. D. durch den Druck hervor. Verwendet wurden hiebei unter anderen folgende Abkürzungen : ^4//= Alfanus' lateinische Übersetzung, ^?i = Anastasius' Auszug, ^rm = Armenische Übersetzung, ^^ = Burgundios lateinische Über- setzung, Jo ^= Johannes Damascenus' Auszug, Ilel = Meletius' Auszug,

^) Dies läßt sich, abgesehen von einzelnen Sätzen, schon bei der Kapitelordnung beobachten. So entsprechen die Kapp. 13, 14, 15, 16 bei Johannes den Kapp. 18, 19, 20, 21 in den Nemesius-Ausgaben, während die Nemesius-Handschriften die Eeihenfolge 18, 19, 21, 20 bieten, die ich im Philo logus 1909, H. 3 als ursprünglich zu erweisen hoffe. Femer ist Kap. 17 = 6; 18 unter dem allgemeinen Titel tisqI aiad-riaeoig = 1 , 10, 11, 9, 8: 19—21 = 12—14 ; 22 mit geändertem Titel (neQi jiä&ovg xal iveQyeiag) = 16 ; 24 = 29—33 ; 25 = 39 ; 26 mit geändertem Titel (Tiegi twv yivofzsvcovJ AO; 27=41; 29=42—44. Ton den übrigen Kapiteln enthält nur das 12. unter dem Titel tibqI dv&QWTiov ansehnlichere Auszüge aus verschiedenen Nemesius-Kapiteln.

97 -

77 rr Handschrift von Patmos aus dem 10. Jahrhundert. Im übrigen vergleiche man Wiener Studien X 93—155, XI 143—152. 243—267 und XXVI 212 f.

36, 6 ibgj ojOTteQ, 38, 9 T^g tiov äXöywv Cqjcov {ÄETsyei Ccorig] 'Jl')(ov fehlt, auch bei PM. 11 f. rolg Se (pvTolg '/.axd re xavta -Aal tyjv S^QtTCTL/Jiv xal OTceQ/iiaTixrjv SvvajLiivJ nachd-QercTixi^vZns^tz ytal au^rjTLiitjv und nach OTiEQLi. Zusatz rjyovv yevvrjrixi^v. Ähnlich findet sich bei Jo 236, 6 rb av^TjVixbv '/mI vor vb d-geTcrr/MV . Vgl. Nem. 249, Vdiog fj d-QeTrzLytrj yial av^rjCLxrj zal G7t£Q/iiai;r/.i]. 39, 4 de fehlt. 45, 7 t/jv vor dvafpoQav fehlt. 47, 12 uTL yvjuvbg cov eyvo)] syvco oti yvfxvbg ^v Joy sciens quia nudus esset Alf (^v auch F Arm Bg, vgl. Wien. Stud. XXVI 214). 64, 2 dt ä] ötö wie SPD, ÖL (i An Arm, propterea Alf. 136, 5 Ttegiex^tJ TCEQiexeTai, 157, 6 ovvj yovv wie PD. 157, 8 u. 9 fehlt Ttqbg ttj yfj und %ai Ttqbg TU) TtcQi. 171, 8 tov fehlt wie in M. 9 f^ev olv fehlt.

172. 2 ueoeoLv] a a 51 fehlt mit der allgemeinen Überlieferung.

173, 9 cci TtQÖöd-LOi X. 6. xoillaij fj efLiTtQoa^iog /.oiXla r. i. (aber Plur. 199, 4), vgl. P al efxcrtQÖöS^iOi r. e. xotUaL. 183, 1 tcov xQ^ofiaTcov] tov %Q(x)(.iaTog und dem entsprechend 181, 1/2 Tt^ xQiouaTL für avTÖlg. 3 rrjv x^oqav] TOV tÖtvov. xb didoTr\iia] SidaTruua Tb fieTa^ij. 6 vSaTcoöeg eiTe yeßdeg sgtiv olov vyqbv rj ^tiqÖv] vöaTiodrig sotIv ^ yeiodiqg (vgl. fj yecodtg Mel) rjyovv vyqä fj ^^qd. 190. 7 sotl vor 7r«Wwi' gestellt. 12 13 JtXfjv TOiyßv] TzXrjv daxeov y.al vevQwv ovvimv te xal 'jiEQaTiov Aal TqiXMV ycal oivÖEGuiov (so!). 192, 8 TTig vor dcprig fehlt. 9 10 o^v Aal dinßlv Aal t6 fehlt. 11 ävcj xal 'AdTcoJ avco te 'Aal xdrco Jo, dvco ndTco P, vgl. Wien. Stud. XXX 57. 'Aal yäq 6 TOTtog to te jueyE-d-ogJ nal b TOTcog Aal Tb f.ieyEd-og, 193, 5 Sa nach f^ivrjf.irj beigefügt, 6 d/Aof über- gangen. — övolv] ovo wie M. 7 8 fAälXov dvTilafißdvETai] tovtcov 06 f-täXlov TTJg äcprig rj ogaaig dvTilaf.ißdv£Tai. 195, 14 TckiqoidawacJ TckifiOLaC(x)OL. 196. 2 Liällov] tzXeov. 4 5 drtayyiXXovTa f]yE(.iovLAÖv] aTcayyeXXovTa Tcp fjyE^uovr/jp tyjv yEvojuevrjv dvTiXrjipiv fjyovv al'a&rjGiv. 5 6 Twv Ö6 /t'jt/wv TzoLOTTiTEg] al ÖE AaXov^EvaL yEVGTixal TtoLOTrireg Tojv yvf.uov. 7 d^vTif]g dQLf.ivTr^g umgestellt. 8 nach /UTtaQOTrjg ist yXiGyQOTTig beigefügt. (Vgl. Nem. 192, 7 yXioyqov.) 9 10 AUTa TavTag XiyETai] TO öe vdog aTtotov Igtl 'Aavä TavTag Tag TcoiOTTizag. 198, 1 2 vmI TavTTß] avrrig. 2 Ta e^ EyxEfpdXov] zd eyAEcpdXov Lequien, falsch Toi iyAE(pdXov Migne. 198, 5 6 tcov auTd fehlt wie in Ann. Jedenfalls eine Glosse. 199, 4 tcov TtgoGS-lcov tov ey-AEcpdXov _ '/.olXuovJ tcov Ef.i7tQ0Gd^Lcjjv 'aolXuov tov eyAEcpdXov. Vgl. 173, 9. 12 öia- (pOQa eöcoSla te egtl 'Aal duGcoölaJ öiacpoga egtlv Evcoöia xal dvGcoSia Jo, iE fehlt auch in D. 200, 2 fj fehlt. 3 jurjdöXcog öuGcoölaJ inride '(>Xcog (vgl. f-iTjö' oXcxjg F, firjö^ oXcog P) TtEcp^EVTCxtv fj SvGCüSla ylvExai (^

Wiener Eranos. 7

98

auch n, rj AD). 201, 1 a^ vor GuyKaTad-eaeig wie //APD b Mel. 2 elöixiogj iSiKoig wie AD b. 3 ovtcov] votitiov wie A 5^; vgl. Wiener Stud. XXX 53 zu 132, 4. 4 7cqoaiQEVi/Mv] rb TtQoaLQETixov wie AFP 51. 203, 5 ävalrixpig] ävvllTjipLg. 204, 7 a/;x7f/}/ a^r^ wie M. 208, 2 3 Titel Ttegl rov hdiad-sTOv koyov %al tov TvqofpOQLAov] M, ähnlich Treql ivöiad^hov löyov ymI 7tQO(poQiy.ov Jo. Allgemein überliefert ist TüEQL Tof) evÖLad-hov '/ML 7tQO(pOQrAov löyov. 8 fehlt beidemal to. 10 Ttaq] iv. 209, 2 3 ou tovtov fehlt. 209. 3 y,al oi öiä Ttdd-og rj voGijiiiaJ ^ ol öid ri vÖGrjfia rj Ttdd-og (zu tl vöorj^a vgl. voa/j/^aTt M, vÖGrifza TL Ellebod.) b sv auch vor Talg wie M. 216, 3 Cf/K/j TtdS-og umgestellt. 216, 7 x«/ fehlt. 9 sötl dem OQog beigefügt. 14 yiath cpvaiv (D) fehlt wie in den übrigen Handschriften. 15 oi)v fehlt. 17 Töv Oio^avog ijutov Ttavvög] Tcaviög tov Gco/Liarog. tov ■d-vfiodj tov fehlt. 217, 2 ilsyoiuev eivat] llyeiai, wohl beabsichtigte Änderung. 3 ovav cpvoLv fehlt. 5 7 zcr^ Aatd tovtov ETtqov] Aaih TOVTOV /iiiv ovv tov Xöyov fj Ivegyeia jcdd^og MyeTat, OTav /nrj 7,aTd cpvöiv /uvriiai, ute «| mviov, eI'te i^ eteqov. 7 yovv] ovv Tovg fehlt. 218, 5 Ttdd-riJ Ttdd-ri eIgl. t6 auch vor fueyE^og gesetzt. 6 fehlt T(). 8 Ti) vor Ttdd^og beigefügt. 219, 5 ydqj ^iv ovv Jo, uev /TFD a % quidem Bg, fehlt in AP. 6 TzdXiv] 6fj.ouog de Ttdliv, vgl. das Wahrscheinliche TtdXiv de IT; /.al Ttdhv 51 = et iterum Alf^ et rursus Bg. f.iev (51 == quidem Bg) fehlt wie bei ilFAPD a M, Alf. ~ 220, 11 yiai vor iIw/l/ml beigesetzt wie in F. 221, 1 tog al] oGat wie P (dasselbe in P5r 220, 11); hier und 222, 1 und 2 fehlt bei Jo überall der Artikel, vor 7tX7iay,ovai (222, 2) auch in AF « 51. 9 eIglv (FM) fehlt hier wie in /ZAPD a 51, steht aber bei Jo Zeile 8: a\ fisv eiGiv dlrid-Eig^ al Si ipEvÖEig (Umstellung). ^14 dvayaalaL und cpvGLxal umgestellt. Umgekehrt 222, 6, vgl. 222, 1. 19 '/.al fehlt, ebenso 235, 2. 222, 2 y.al ij (pLlaqyvQia (D Mel) fehlt Avie in /ZFAP b. 222, 9 juetqov -/al tqotvov] tqÖtvov '/al f^ieTQov Stellung wie FA a 51 Alf Bg; '/al tÖtcov fehlt wie in 51, übrigens ist die ganze Stelle freier behandelt. 12 ff. für fj.y]TE, das letzte Glied ausgenommen, überall ^ii]dL Vo ßXdßrig hsQag umgestellt. /lietqlov TteQavwieJ)^, fÄETQiov TTEQa FD 2, jusTQOv Ttiqa /TAP. 14 fiaag egyiov umgestellt wie in F. 229, 10 egtl öi dxogj "Jdxog juiv ovv egtl wohl absichtliche Änderung, vgl. die ähnliche Abweichung 231 , 5 tOTC de o'/vog t.iev] oKvog fxev ovv egtl. 7 tovtegtiv] rjyovv, bei Jo beliebt, siehe „Be- merkung" S. 91 bis 93. 234, 5 eGTt d^ ote -/al ö d-v^uSg egtiv })QE'§Lg dvTi- TLf,itoQrjöeo)gJ tGTi de ote b -d-vfAog y.al OQE^lg egtlv dvTLTijLicoQriGEcog. 234, Sf. Eidrj de tov d-vf.iov (DM, S-vf-ir/ov die übrigen) Tqla' oQyri, ij '/al yiijTogJ eldr^ de tov d^v^iov TQia' oQyrj.^ fJTig '/aXelTai yolij '/al %6log

99

%al fATivig %a.l y,6Tog. Ähnlicli las von oQyj^ yjhog Bg: oQyi^i, fj xaXelTac XoXrj xal ;coAog y.al jurivig %ai xovog, 77 hat oQyi]^ fj ymI /oA^ yial yj)log Y.aXetTai' jurivig' 'KÖrog, die übrigen Handschriften zeigen größere Ab- weichungen. — 235, 1 yccgj de, TtaQadedoad-aL] TzagaSlSoad-aL auch P. 2=221, 19. 236, 5 re fehlt wie bei FAPD. 10 tovJ tov fiiv ovv Jo. TOV de PD. 249, 5 u. 11 Formen von g)VTix6g für (pvoiytög.

264, 4 xat aurö übergangen. 5 TtQa^etJ TrQd^ei tlvl wie IIAlfBg; Ser/^r^oerai ov absichtlich übergangen und der Rest des Zwischensatzes Tvolv mit dem folgenden Tivig ds in tcoXXoI öi nveg umgewandelt.

9 tTtatvog ^ ipoyog tTcevaiJ i-Tterai eTtaivog lij ipöyog (Umstellung).

10 al fX8v] al nev avzwv. 11 zort xiov] tcov de. 12 de übergangen.

265. 3 Toi) de ä'AOvoLov yvcouovegj xi^ öe aKovaui).^ dem freien Anfang 264, 15 entsprechend, von Jo geändert. 265, 9 tovJ tov de. eOTt nach jiiev gestellt. 272, 4 ti]p fehlt. GvveßriJ Gvaßfj Jo^ Gv/ußccv D. 274, 10 TOV dnovaiovj TOV ovv dyiovalov. 275, 3 avTcpJ eauvip wie PD. 278, 1 de fehlt nach oaa wie in A, steht aber vorher nach /.iriv^ siehe S. 101. 4 oi) ju^v de 7rQorjQv^^tvoig] ov (.irjv ytal TCQoaLQOv/uevoig Joy ov urjv TtQoaLQOVjLievoig 7751, ov firjv TtQorjQTjf^ievotg APM^ ov fiirjv ttqo- ELQr^uevotg D. 299, 6 7iQay,TtdvJ TCQayiTewv wie Mw 9Jl. 311, 7 f. TteQi

TOV aVZE^OVOLOV.^ 0 eöTL TOV eCp l)iUv] m TtEQi TOV e(p^ fllllv, TOVTeOTL TOV

avTE^ovoiov Joj TtEql TOV ecp fyuv, o egtl tov avTE^ovalov 77P, tteqI tov e(p ^iLilv, o EÖTL TtEQi TOV avTE^ovolov D 51 » tt 3? ^'^^ auch Bg; tceql tov avTE§ovolov F. 312, 4 tlJ Tiva. %al fehlt wie in 77F Alf Bg 51 m. 312. 5 TidvTCüvJ aTrdvTcov. 10 %al yäg avTi]J %al yäq /ml avtr] Jo, zal ydo avxi] 77FamD2. 813, 2 oItiwv ixövrwv drcoTEXovvTOJv] aiTuov—ixovacov—dTcoTElovatov; die Partizipien ohne Zweifel nach der Lesart ahudv^ die auch FPDSIm, (causarum) ^Z/" 5^ haben, absichtlich geändert. 3 y,al fehlt wie in 77FP b a Alf Bg. TacpQovJ Tacpov wie 77 PD Alf Bg. 4 d-ELg] d-Etg tov d-r]aavQ6v. 4 5 Ted-etxEv] eS-vf/.Ev wie FPDH, red^EY-Ev m^. Te^ELXEv m'^, richtig wohl xed-riXEv 11. 5 tovtovJ aXkov tovtov. ^ 7toorJQT(vro] TCQorjQOvvzo. 9 Teivr^g] Teyyr\g' ovTcog avToi (paoL. 10 yLvö/LiEva fehlt wie in 77FP ha. 314, 2 dll^ ovteJ ovde ydq Jo^ ov ydq las Bg. 7 avtoudv^)] Tip avToudvii) wie 7TFPD5tm. 8 ov^TtTCüLiaTa] Td ov(,i7CTib^aza toC avzojuaTOv Jo, GVjUTtzcojnaza 77FPD5I (Gij/xTtzüjfxa a a). 12 zat fehlt wie in 77F b aAlfBg. 13 TiuLWTaTov] TLjiiuüzazov Tiov. 317. 7 äv fehlt. 318, 2 evdExouEvöv egtlv wie 77 F m AlfBg (Umstellung). 4 '/.al zavzaj zavza tolvvv. 6 f^irj ytivElGd-aiJ 10 urj -KivElod-ai. 8 oig] ecp olg. y,ai f,irj yaiQEivJ /al (xi] xaiQELv öfiolcüg.^ -/al E(p olg ov dEi. 9—10 '/a/lag und dgETTjg vertauscht wie in Bg. 324. 2 IIeqI tov vor did yEyovauEv beigesetzt wie in PD. 325. 10 de] olv. 343, 10 i^ vor 1% beigefügt. 344. 5—6 dv.oXovd-ov

100

und TZQeTtov vertauscht. 354, 2 IqeI tiT) 'Äega/uEl xat rd t^figj egel zqi TtkaOTovQyqj' TL fue iTtolrjaag ovriog Jo^ SQel tw TtXdoavTc^ xi f.ie BTtXaoag ovTwg D^, £qeI (tö 7iXdof.ia für o Ttrjlög^ das dem eQsl bei Nemesius vorausgeht) tlo TtXdoavTi' xi ^e htoiriGag ovxwg NT. Rom. 9, 20, SQel allein ilFAPg.' 362, 8 dvadei^rjj del'^r]. 10 T7]g vor Soxovorig fehlt. 13 -aal fehlt wie in m. 13 ff. 'iva (xrj Iz tov oq^-ov ovveiöoTog vmI Trjg öod-Eiorig avc(^ öwd/uecog eig dla^oveiav ixTitarj (c)g stvI rof; IlauXov. So die allgemeine Überlieferung, nur für ev.Tieorj hat JT eiGTceorj^ D ifXTtsar^, Jo %va fxrj in tov ÖQS^or ovveidÖTog exTveorj fj xal ex T^g^ Sod-eiGrig avTcp dvvd^Etog te vmI xdqiTog Eig dka^ovEiav ijUTteGr] wg etvI JJavXov. 16 Elg] TtQog. 363, 5 h. yEVET^jgJ 1% yEvrjTTjg Jo, h. yEvrivrjg A w, €z yEvvr^Trig ilFPD. 364, 1 TtQOGÖoxwuevojvJ ^eXXövtwv wie iVPD. 13 oQ&OTaTa oxonifiGELEv (so fiir gxotcijgelv zu lesen)y oQd-oTaTa GxoTtrjGELEv dv Jo, 366, 1 2 dvE^ETaGTwg' xaküg de Tcdvza aTtodexEGd^ai] TidvTa dvE^ETdGTCog dTiodexEGd-ai Jo, vgl. avt^ETdonog öe TtdvTa dTtodeyjE- Gd^ai n^, wo gleichfalls xaAwc; fehlt.

Bei der Beurteilung dieser Varianten muß man sich vor Augen halten, daß sie nicht einer gewöhnlichen Abschrift eines librarius^ sondern einem x^uszuge eines gelehrten Theologen entnommen sind. Daher werden gar manche Abweichungen nicht auf Rechnung der ausgezogenen Nemesius-Vorlage und ihrer Verbesserung zu setzen, son- dern dem besonderen Geschmacke ihres Benutzers und dem Zwecke,, den er verfolgte, zuzuschreiben sein und deshalb in einer künftigen Nemesius-Ausgabe nicht berücksichtigt werden können. Aber sie werden wenigstens dazu beitragen, das von uns oben über die Tätigkeit des Damasceners entworfene Bild zu vervollständigen und in dieser Hin- sicht vielleicht nicht ganz unwillkommen sein. Übrigens bietet uns Johannes auch eine Reihe guter Lesarten, die er in seiner Nemesius- Vorlage vorgefunden haben wird. Einige von ihnen hat er uns allein erhalten, die überlegende Mehrzahl teilt er mit alten Nemesius-Hand- schriften , unter denen die Handschrift JT durch ihr Alter und ihre Güte den ersten Rang einnimmt. Mit dieser Handschrift stimmt er am häufigsten überein und erhöht dadurch noch ihren Wert.

Wie der Nemesius-Text nach dem Johannes-Auszug, so läßt sich auch umgekehrt dieser und vielleicht in größerem Umfange nach Nemesius verbessern. Manches ist von den Herausgebern schon geschehen, viel mehr bleibt noch zu tun übrig. Soll aber eine solche Arbeit von erheblichem Erfolge begleitet sein, dann muß zuvor der Johannes-Text auf sicherere handschrift- liche Grundlage gebracht werden. Dessen ungeachtet mögen zum Schlüsse schon heute einige A^erbesserungen hier ihren Platz finden, die der Nemesius- Text zu empfehlen scheint. Wir führen sie nach Migne und Matthäi an.

101

Migne Col. 849 C (Matth. S. 136, 5) ist für TveQiexETai wohl TxeQiexei zu schreiben. Man vgl. auch Plut. De plac. phil. I 884 A MQiGTorelrig eaxdTov tov TteQiixovTOQ ovvccTtTov toj TtsQiexoftevqj. 928 B (45, 7) t^v vor dvacpoQccv einzusetzen. D (236, 6) cpvGLTtüv für g)vvL'/,6v zu ergänzen. 29 B (219, 6) vermute ich für 6/uoiwg de Ttdliv entweder öf^oicog Si öder nach Xemesius ^tahv de. Ebenda (220, 14) ist die Wortstellung rot' Gio/.iaTog ymI Tr^g ifJvx^g wahrscheinlich, bald darauf ow/nazt Tcal Druckfehler für owf.iaTLy.ai. 932 B (222, 12 ff.) lies überall fnqre für Lii(]öe. (231, 5 ff.) ist die Reihenfolge der Satze (Begriffsbestimmungen) nach dem Nemesius-Texte , mit dem viele Jo- Handschriften überein- stimmen, herzustellen. 933 A (234, 7) Ivnovfie&a Druckfehler für d^v- uovued-a. B (171, 8) zu schreiben Tiegl <Toi5> (pawaorLnoiK, vgl. die Titel 937 B Tteol TOV SiavoriTiytov und C Ttegl tov jLivriuovEVTr/,ov. 933 C (173, 9) erwartet man für ^'Oqyavov de tov (pavTaaTixov fj iuTtQÖo&wg ytoilla tov ey/,e(fdXov auch nach 936B (199, 4) OQyava . . . al iftTtgoad^iOL ytotXiai T.e. 936 A (198, 1) '/mI TQaxvTrjTa nach XewTTiTd te im Druck aus- gefallen. — 937 AD (193, 1 u. 3) ij für el'ri und (2) Se für te zu lesen. B 195, 12—13) wohl oi;re ovte für ovöe ovSe zu lesen. C (201, 1) vermißt man yEvr/,idg f.iev nach eI(7l(v) ^ dem lÖTucdg (lies Eidr/,cdg) de gegenübergestellt. D (202, 5) ist für te xal voriGecog, das offenbar aus der folgenden Zeile hier eingedrungen ist, nur Tf^g zu schreiben. 940D (216. 3) Uijou vor ndd-ovg zu stellen. 941 B (218, 5 f.) der Artikel vor iiayeö-og ist vor xivriGig (6) zu stellen. 953 A (265, 2) aiQETOvg Druckfehler für aigeTdg. 956 A (278, 1) für ou fxrjv de /.al lies ov f-ir^v '/.al wie weiter unten; de Glosse zu iir\v oder wahrschein- licher aus dem folgenden (nach &'aa, wo es fehlt und zu ergänzen ist,) irrtümlich versetzt. 957 B (314, 1) ixqd^Eiov mit den Jo-Hand- schriften und Xemes. für Ttga^Ecog zu schreiben; ebenso 965 A (362, 11) /.aioQd-cüGrj mit einer Jo- Handschrift und Nemes. für ■/aroQd-iodjj. 957 B (314; 3) ist ov nach ovde {ovte Nemes.) als Druckfehler zu tilgen. (314, 13 u. 15) jraaa yäg ßovXr) TCQd^EOjg tvE^/a nach Tt^d^Ecog (13) und TcäGa yäo ßaulrj Tcgd^Ewg tvE/a ßovkevETai nach ßovlEVETai (15) Tvohl als Glossen oder Doppelschreibungen zu streichen.

Meter Hipta,

Ton JOSEF KEIL.

iTtTCav "Ki'AXrjaxo), Bdxxov TQOcpov, evdda /.ovqtiv (ivOTiTtoXov, TeXerfJGiv dyaX?,0f.itv7]v ^dßov äyvoi) vvy.TEQiOig TB yOQoloiv £QißQ£fihao ^Idy.xov. 'jilvd-L (.lev Evxo(.i£voVy x^ovItj juriTeg, ßaalleia, Eive ov y iv (DQvyirj xarex^Lq "iSrig ogog ayvhv ^ Tf.uoXog reQTtEL ge, xaXbv ^vöoIgl d-daai-ia' 6QXE0 TTQÖg TElsTag tEQip yj^d-ovoa TiQoaiÖTtt^.

Die in dem hier wiederholten orphischen Hymnus (XLIX, p. 84 Abel) angerufene mystische Amme des Dionysos, die sich an den Weihen des heiligen Sabos=Sabazios ergötzt und deren Beziehungen zu Lydien auch in dem Hymnus an Sabazios (XLYIII, p. 83 Abel v. 4) hervorgehoben werden, hat in der orphischen Literatur eine nicht unbedeutende Rolle gespielt. Proklos berichtet in seinem Kommentar zum Timaios (III, p. 171 F = p. 2o7 Abel, frgt. 207) von tveql ^'iTZTtag Xöyoi des Orpheus und teilt II, p. 124 = p. 236 Abel, frgt. 207 daraus einiges mit: "inTta^ die Seele des Alls (i] rov TcavTog it'vxt^J nimmt in der mit der Schlange umwundenen Futt erschwinge (XUvov), die sie auf ihren Kopf setzt, das Dionysoskind den weltdurchwaltenden Geist (EyyA)Of,uog vovg) auf. Wenn es richtig ist, was A. Dietrich nachzuweisen sich bemüht hat i), daß die orphischen Hymnen in wirklichen Kulten zum Vortrage ge- kommen sind, so dürfen wir solche für Hippa nach den deutlichen Angaben derselben am ehesten in Lydien oder Phrygien voraussetzen. Nun hat sich in Grjölde bei Kula, d. h. in dem Gebiete des maeonischen Stammes, dessen ethnische Zugehörigkeit zu den Phrygern oder Lydern noch nicht ausgemacht ist, eine Votivstele gefunden, deren im Mov- oeIov ytal ßLßho&t^xri Tijg EuayyEXr/,fig öxoXrig ev ^iivQvrj 1878/80, S. 169, «p~ T(.iß' veröffentlichte Inschrift lautet:

MyivqI "iTtza xal JleI a-

fßa^lo)

^) De hymnis Orphicis, Marpurgi Cattorum 1891.

t

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Es lag nahe, die hier im Vereine mit Zeus Sabazios genannte Meter Hipta mit der namensverwandten, an den Sabaziosweihen beteiligten orphischen Hippa in Verbindung zu bringen. F. A. Voigt, der es meines Wissens zuerst getan hat, half sich dabei mit der Annahme eines Fehlers bei der Aufzeichnung oder Abschrift der Inschrift. ^) Diese Annahme ist heute nicht mehr zulässig. Während einer 1908 im Auftrage der Direktion des österreichischen archäologischen Institutes durchgeführten Forschungsreise in Lydien haben A. v. Premerstein und ich nicht nur die richtige Lesung der Stele in Gjölde festgestellt, sondern auch in dem Dorfe Menje, das den Namen der alten Stadt Maionia bis auf den heutigen Tag bewahrt hat, eine zweite Weihung an Meter Hipta gefunden, welche in unserem Reiseberichte veröffentlicht werden wird- Der Xame der in Maeonien verehrten Göttin ist damit imzweifelhaft festgestellt; ist sie wirklich mit der orphischen Amme des Dionysos Hippa identisch, so muß eine Korruptel in unserer literarischen Über- lieferung vorliegen. Und dies ist in der Tat der Fall. Für die orphischen Hymnen kann ich es nicht untersuchen, weil wir eine x^usgabe der- selben mit ausführlicher Adnotatio critica bekanntlich nicht besitzen; dagegen zeigt die Überlieferung des Prokloskommentars zum Timaios, wie sie in der Ausgabe von E.Diehl (Bibliotheca Teubneriana) jetzt leicht zu- gänglich vorliegt, daß an den drei Stellen, wo dort Hippa genannt wird, die beste oder die besten Handschriften die Schreibung "ijtTa^ die schlechteren "iTtTta bieten. So haben II, p. 124 C (I, p. 407, 24 Diehl) die besten Handschriften M(arcianus) und P(arisinus) "iTtra, N(eapoli- tanus) "/TTTTof ; II, p. 124 D (I, p. 408, 7 Diehl) hat wenigstens die beste Handschrift M^'/n^ra, P und N "iTtia, an der dritten Stelle III, p. 171 C (III, p. 106, 1 Diehl) geben die in Betracht kommende Handschriften P u. Q "iTtva. Diehl hat trotz dieses Befundes der Überlieferung mit Rücksicht auf die orphischen Hymnen Hippa in seinen Text gesetzt. Ich zweifle nicht daran, daß nunmehr nach dem Zeugnis der beiden maeonischen Inschriften auch in den Hymnen "iTiia herzustellen ist. So erwächst aus ihrer Auffindung oder Verwertung ein doppelter Gewinn : für die Philologie , indem der Text zweier Autoren berichtigt w^rd , für die Religionswissenschaft, indem ein bisher nur in der orphischen Literatur vorkommendes göttliches Wesen als eine in ganz bestimmten klein- asiatischen Kulten verehrte Göttin nachgewiesen wird. Athen.

\) Roschers Lexikon der Mythologie I, 1085; vgl. W. Drexler, ebenda, II, 317, und III, 2866; In K. Bureschs Privatexemplar des MovasTov, das mir vorliegt, findet sich die- selbe Vermutung. .

Die Brunneniiischrift von Lusoi,

Von RUDOLF WEISSHÄUPL.

Nachdem Reichel und Wilhelm in ihrem Berichte über die österreichischen Ausgrabungen in Lusoi (Jahreshefte IV, 4fF.) das von Isigonos und Vitruv überlieferte und von Preger in seine Inscriptiones Graecae metricae unter Nr. 215 aufgenommene Brunnenepigramm von Lusoi zu erklären versucht hatten, unterzog es Robert in derselben Zeitschrift, VIII, 174 ff., neuerdings einer ausführlichen Besprechung. Seine weitgehenden Textesänderungen veranlassen mich, mit Gedanken an die Öffentlichkeit zu treten, die mir vor Jahren bei der Lektüre des erstgenannten Aufsatzes auftauchten.

Das Gedicht lautet folgendermaßen:

Myqoxa^ ovv Ttoif-ivaig f^iearjußQivbv Y^v ge ßaQVVTj

Sixpog dv eaxaTLag KleiTOQog eQyof^ievov, TT^g (.liv ccTtb Y.QTivrß ägiaac Tcöf-ia y,al Ttaqä Nvf^icpaig

vdfjLctai OTT^Gov Ttäv tI) obv aiTvöXiov 5 dkXä ab fii]T tTtl XovvQa ßdhjg %^ot, (^irj oe y.al avQTj

TtTfif-irivrj TSQTtvfig ewbg eövva jus&rjg' (pevye d^ ifi^v ^cTjyrjv f^iLöd^TceXoVy svO-a Mekdf^ircovg

Xovadftevog Xvaörig IIooiTidag dgrefisag Ttdvva YM&aQjiibv e'ytoipev dTtimQvcfov al yccQ aTt ^JdQyoug 10 ovQEa TQTixeirig rfkvd^ov Jlgxadlrjg

3. Tag V. 5. fii]at]xaiSvQf] V. 6. 7ii/vt](TVTvg V. 8. aQyaXer^g J., aQzefieiag \. 9. oxoxpevETiaxQvxpov V., dessen Gedicht hier schließt; ayaq J., al yctQ EUis und Heringa. Mehr, aber für unsere Zwecke Unwesentliches bei Preger.

Preger und seine Vorgänger meinten, das Epigramm besage im allgemeinen: Hirte, trinke aus der Quelle und tränke hier auch deine Herde; aber hüte dich vor einem Bade, fliehe die rebenfeindliche

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Quelle! So stand das Gedicht einerseits in schroffem G-egensatze zur sonstigen Überlieferung, derzufolge schon ein bloßer Trunk aus der Quelle gefährlich war, anderseits enthielt es in sich selbst einen unlös- baren Widerspruch: die Aufforderung, von dem Wasser zu trinken und den Rat. es zu fliehen. Die erste Schwierigkeit suchte Preger durch die Annahme aus dem Wege zu räumen. Isigonos und Vitruv hätten das Gedicht ihrer Quelle, die es noch nicht gekannt habe, sinnloser Weise hinzugefügt; den zweiten Widerspruch berücksichtigt er nicht. Gegen diese Erklärung Preger s wenden Reichel und Wilhelm •ein: „Diese Vorstellung geht deshalb irre, weil die Inschrift, an Ort und Stelle angebracht, jedenfalls in Übereinstimmung mit dem Glauben, der an der Quelle haftete, gedacht werden muß," und erklären das Epigramm folgendermaßen: Vers 1 4 beziehen sich auf eine '^Qrivij^ einen Laufbrunnen, Vers 5 10 hingegen auf eine ^^//J, eine natürliche Quelle; „ein Trunk aus der z^^i^i^ ist gestattet, . . . dagegen wird Waschung mit dem Wasser der Ttriyt] und ihre Benützung überhaupt verwehrt''. „Xeben der Höhle mit der Quelle muß eine Leitung anderswoher Wasser gebracht haben, an dem die Nachrede der Ver- Tinreinigung nicht haftete."

Robert erkennt den Unterschied von y.Qi]vri und Ttrjyri mit Recht an, bekämpft aber jene Auffassung im übrigen mit folgenden triftigen Gründen: 1. die y,Qt]vri spricht und bezeichnet in Vers 7 die ttt^/zJ als „ffirjv 7r^//}v'; sie kann also ihr Wasser nicht aus einer anderen Quelle heziehen. 2. Vers 5 f., das Verbot der Waschung, kann nur auf die früher erwähnte xo/Jj^r^, nicht auf die erst in Vers 7 angeführte Ttrjyi^ gehen. Er selbst hält die Überlieferung für sehr verderbt. Er schreibt in Vers 3 ovag f.iiv für t^^ f/eV; Vers 5flP. lauteten einst nach ihm etwa:

dllä ob utjv eiii Xovtqcc ßdlrjg xQol (.irjc dqvTriQa

/tr^Lirivrjg^ TeoTzvfig svxog eövva fied-rig' (peiye d^ sfirjv Ttijyrjv jULad/LiTzeÄor^ evd-a l\leXd(.i7tovg

Xovoa(.i8vag Xvaorig ngoiTLÖag dQTe}dag TtavTi y,ad-aQjiai) svLipev aTtOKQijcpo)^ ai gd t dn 'JdQyovg

ovQ€a TQTjyeLTjg rjXui^ov J4Q'/.adl7jg.

Das hieße mit den Worten Roberts: Durstiger Hirte, mach' Halt, trinke von der y,Qfjvrj und laß auch deine Herde Halt machen; miß- brauche aber das Wasser nicht zum Waschen und schone den Becher, da er das Gerät des lieblichen Trankes ist; fliehe hingegen meine rebenfeindliche 7rr^//J, wo Melampus die Proitiden, während sie sich gerade zufällig badeten, mit jedem geheimen Heilmittel vom Wahn-

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sinn frei wusch (oder: mit jedem geheimen Heilmittel des Wahnsinns freiwusch).

Es ist Roberts Verdienst, die Schwierigkeiten des Epigramms klar aufgezeigt zu haben. Seinen Rekonstruktionsversuch aber nennt er selber nur „einen Vorschlag oder richtiger eine Reihe von Vor- schlägen, die aber doch durch schärfere Formulierung einzelner Fragen das Problem fördern werden''. Und tatsächlich muß ja die Annahme einer so weitgehenden Textesverderbnis schon an und für sich nach- denklich stimmen und das um so mehr, als Isigonos und Vitruv fast überall die gleichen Lesearten bieten; scheint doch sogar die Haupt- variante APr^AEH^ und APFEMEIA^ in Vers 8 auf den gleichen Ursprung zurückzugehen. Es müßte demnach schon Isigonos oder aber seine und Vitruvs gemeinsame Quelle jene Korruptelen enthalten haben.

Was nun die Einzelheiten betrifft: Den Gegensatz zu uev in Vers 3 bildet dlXd in Vers 5 ; die beiden Glieder Vers 5 f. und Vers 7 ff. sind durch (-ii]re öe verbunden. Das ist alles recht ungeschickt, denn 1. der von Reichel und Wilhelm mit Recht geforderte und durch 'die Stellung des i^iev in Vers 3 vorbereitete Gegensatz von /.qt^vti und Ttr^yi^ wird durch die eingeschobenen Verse 5 f. vollständig verdunkelt; 2. der Platz des fuv zwischen r^g und aTtö ytQi^vr^g^ der, wie gesagt, jene Gegenüberstellung erwarten ließe, paßt schlecht zu der tatsächlichen Gegenüberstellung von ägvoai . . . ovrioov und //^T£ ßdkrjg . . . <peiye Se; 3. die Verbindung mit f^it^Te . . . de selber ist hier hart, weil das erste Glied, das Verbot der Waschung, auf die x^/jt^r^, das zweite aber, die Aufforderung zur Flucht, auf die yrr^/yj geht. Die Sache wäre sofort in Ordnung, wenn man Vers 5 f. striche; ich schlage das nicht vor, ich führe es nur an, um das Gesagte zu verdeutlichen. Durch die Konjektur aväg iuev wird bei der von Robert als möglich anerkannten Belassung von f^itjve . . Se nur der zweiten, bei Annahme des Schluß- vorschlages Roberts (f-iriTe . . f^n^ze) nur der zweiten und dritten Härte abgeholfen. Es ist nicht zu wundern, wenn Roberts sonst so klare Darstellung in diesem Punkte etwas Unbestimmtes bekommt. Er sagt S. 175: „daß in dieser Gegenüberstellung von Laufbrunnen /.Qrivrj und Quelle Ttr^yj^ die Pointe des Epigramms liegt .... haben Reichel und Wilhelm erkannt," schlägt dann ordg vor und fährt fort: „Also wird hier der Gegensatz zur 7criyri noch nicht erwähnt, wie man vielleicht erwartet hätte" . . . nun „ist die Stellung des f.i£v , dem das dXld der 5. Zeile entspricht, ganz in der Ordnung; denn es handelt sich zunächst noch nicht um den Gegensatz von XQrivri und ^r^y/J, sondern um den von Erlaubnis und Verbot". Besser entspräche, hielte ich überhaupt eine Änderung für angezeigt, die Heckersche Konjektur i^r) tvotI

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XovTQcc atL; denn dann würde das Epigramm besagen: Aus der XQi^vri trinke und tränke deine Herde, doch wasche dich nicht an ihr; die Ttrjyt] aber fliehe. Freilich bleibt auch hiebei ein irrationaler Rest.

Zu i'vrog in Vers 6 erwähnt Robert selber, daß es nur durch eine Archilochos-Stelle zu belegen sei. Nehmen wir an, es hätte einst wirklich hier gestanden: würde man nun nicht die Anordnung der ^Gedanken eigentümlich linden? 1. Schöpfe dir einen Trank, 2. Lass' deine Herde trinken, 3. Wasche dich nicht, 4. Beschädige nicht das Schöpfgefäß. Mit lovaaf^isvag (Vers 8) brächte das Epigramm etwas ganz Zufälliges, eine nebensächliche Bemerkung, es bezeichnete ,.die Situation, in der sich die Proitiden befanden, als Melampus seine Zeremonie mit ihnen vornahm" (S. 180). Und könnte das Wort über- haupt bedeuten: während des Bades? Zu ol /a^, der leichtesten Änderung, die bisher für das überlieferte ayag vorgeschlagen \^Tirde, bemerkt Robert, es sei hier weder die Kausalpartikel an ihrem Platze, noch sei es stilgerecht , daß eine so nebensächliche Bemerkung in einem Hauptsatze stehe. Das zweite ist richtig, nur ist, denke ich, mit Roberts erweiterndem Relativsatz wenig geholfen. FdQ könnte erklären, wie Melampus in Lusoi die Sühnung vornehmen konnte: die Proitiden waren nämlich von Argos nach Arkadien gekommen.

Zu all dem tritt aber eine inhaltliche Schwderigkeit, die auch Robert in seinen Schlußbemerkungen anerkennt. Er identifiziert nämlich ein in Lusoi aufgedecktes Brunnenhaus mit der XQrivri des Epigramms und fährt fort: ,.Es bezog also der Brunnen des Tempel- bezirkes sein Wasser aus dem verhängnisvollen Quell, und es war zu befürchten, daß sich der an diesem haftende Aberglaube auch auf jenen übertragen würde. Diesen Aberglauben im Keime zu ersticken, ist die Tendenz des Epigramms. Indem man die Schädlichkeit des Quellwassers uneingeschränkt zugibt, verlangt man auch für die in Form einer Einladung gekleidete Behauptung, daß das Wasser des Brunnens durchaus zu empfehlen sei, unbedingten Glauben, ohne daß man sich die Mühe nimmt zu erklären, durch welchen Prozeß das Wasser auf dem Wege von der Höhle zum Heiligtum seine magische Kraft verloren habe. Man rechnet eben auf gläubige Gemüter." Wir wissen nicht, wie weit die XQrivt] von der Ttriyt] entfernt war. Nach dem Gedichte, das von beiden Punkten spricht, möchte man auf ziem- liche Nähe schließen, möchte glauben, daß der griechische Leser von der XQrivri aus die ^riyrj^ vor der er gewarnt wird, wenigstens sehen konnte. Hiezu würde Vitruv stimmen, der das Epigramm die Stelle ist im folgenden ausgeschrieben in oder bei der Höhle, aus der das Wasser fließt, also in unmittelbarer Nähe der ttt^^/J eingegraben

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sein läßt. Freilich ist diese Angabe, wie Robert bemerkt, nicht un- bedingt vertrauenswürdig. Mag aber die Distanz auch größer sein, jener von ihm geforderte Glaube setzt recht naive Gemüter voraus.

Wenden wir uns nun zur Überlieferung.

Steph. Byz. s. V. J^^av/a berichtet: Evdo^og de der Knidier €v ^'xtT] yr^g TCeQioöou q)7jalv' eon XQrivrj zfig ^^aviag^ ^ rohg yevaauevovg xov vdarog Ttotel ^irjöi rrjv dojiirjv xov oYvov ävexeod-aiy elg f]v XeyovoL MeldfiTtoda, ots rag IlQOiTidag exäd-ai^ev, ei-ißaXelv xa äTtozad-dQi-iaTa. Vgl. Plinius n. h. XXXI, 16: Vinum taedio venire US, qui ex Clitorio lacu hiherint, alt Eiidoxus.

Athen. II, 43 f.: (DvXaQyog de (pr^öiv ev KIeItoql elvai XQi^ivriv^ dcp rjg Tovg Tiiowag ovx ävex^od-ai tijv tov oYvov oS^t^v.

Isigonos Nie. bei Westermann Paradoxogr. 186: ^Ev KleiTOQioig df. Trig ^Q'/MÖlag XQi^vrjv cpaalv elvai ^ d(p Jjg tovg Ttivovxag fiioelv xhv oivov, eTtixexccQdx^ai de eTt aiTrig eTilyQafiua roLÖvöe' MyQÖra atX.

Vitruv VIII, 3, 21: Arcadia vero civitas est non ignota Clitoriiy in cuius agris est spelunca profluens aqua, e qua qui biberint fiunt abstemii. Ad eum autem fontem epigramma est in lapide inscriptum hac sententia versibus Graecis, eam non esse idoneam ad lavandum sed etiam inimicam vitibus, quod apud eum fontem Melampus sacrificiis purgavisset rabiem Froeti filiarum restituissetque earum virginum mentes in pristinam sanctitatem. Epigramma autem est id, quod est subscriptum: MyQika xzl. bis Vers 9 d7töxQvq)ov.

Ovid Metam. XV. 321 ff.:

ClitoHo quicumqiie s'itim de fönte levarit,

vina fugit gaudetque meris abstemius undis,

seu vis est in aqua calido contraria vino,

sive, quod indigenae memorant, Amythaone natus,

Proetidas attonitas postquam per Carmen et herbas

eripuit furiiSy purgamina mentis in illas

mersit aquas odiumque meri permansit in undis.

Die inhaltlichen und, wie durch den Druck hervorgehoben ist, nicht selten auch wörtlichen Übereinstimmungen dieser Stellen erweisen zwischen ihnen ausgesprochene Quellenverwandtschaft. Engste Zu- sammengehörigkeit besteht zwischen Eudoxos und Phylarchos, zwischen Isigonos und Vitruv. Ovid weist starke Berührungspunkte mit Vitruv und Eudoxos auf. Der Hauptsache nach ist es also eine einzige primäre Quelle, auf die unsere Nachrichten zurückgehen; diese laß

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sich über Theophrast i), der ja auch bei Plinius XXXI, 13 f. erzählt: In Lusis Ärcadiae quodam fönte mures terrestres vivere et conservari (ähnlich Theopompos, vgl. Jahreshefte IV, 5), zurückverfolgen bis Eudoxos von Knidos, also tief ins vierte Jahrhundert hinein. Den stärksten Gegensatz hiezu bietet das Epigramm des Isigonos und des Vitruv, das ja direkt zum Trinken auffordert. Aus diesem ist aber nicht einmal die Inhaltsangabe geschöpft, die Vitruv von ihm gibt, man müßte denn annehmen ^ daß er einerseits dessen erste vier Verse vollständig vernachlässigt habe, anderseits seine Übereinstimmung mit Ovid, der das Epigramm nicht benützt, ein merkwürdiger Zufall sei.

Diesem Sachverhalt steht aber ein anderer entgegen: Zwischen dem Gedichte und der sonstigen Überlieferung herrschen auch sehr enge Beziehungen; letztere gibt zum Teil nichts als Entlehnungen oder direkte Übersetzungen des Epigramms. Das sehen wir schon bei Eudoxos und Phylarchos. Deren Worte z^/Jv^, fj . . . Ttotel /htjös rrjv ÖGfir^v Tol ol'vov ävexead-ai und }CQi]vriv^ äcp fjg Tovg Ttiovvag ovz ävexeod-ai ttjv tov ol'vov ddjiirjv scheinen, wie lange erkannt, eine Übertragung von Ep. Vers 5 f. firj oe zal avQirj Ttrjinrivrj TeqTtvrig eviög iovra l-ie^ijg zu sein. Die avQr^ xeQTCvrig f^dd-rig findet an den (.led-rig evtodeeg avQat des Nonnos, Dionys. XIV, 416, XVI, 111, wie ich gegen Robert S. 175 f. glaube, eine entsprechende Parallele; auch der metonymische Gebrauch des Wortes ined^vi bietet keine Schwierigkeit, wie denn auch Robert selber den Ausdruck in seiner Rekonstruktion mit „erfrischender Trunk'' übersetzt. Aber allerdings ist dabei evuog eövva ebenso un- verständlich ^^ie die Konjektur evrög lövia^ und jener Sinn der Phrase mit dem übrigen Gedichte vollständig unvereinbar.

Eudoxos 'AQrivri . . . eig i]v bis d7to'Aa3-äQ(.iaTa entspricht Ep. Vers 7 bis 9. In beiden Fällen die Sage von Melampus. Er entsühnt die Proitiden: ey.dd^aiQev sagt Eudoxos wie sacrißciis purgavisset rabiem Vitruv und ^J>er Carmen et herbas eripuit furiis Ovid. Im Epigramm lesen wir loidäf-ievog kvaor^g n^oiiidag dQveiieag^ wobei XvoGr^g recht hart von aQvefieag abhängt, kovodf-ievog singulär etwa in der Bedeutung gebraucht ist: er ließ sie für seine Zwecke ein Bad nehmen. Man wünschte lieber /.voä/nevog. Das ungeschickte koi^odfievog könnte seinen Ursprung späterer Sucht verdanken, unter allen Umständen auf den Namen yiovGoi anspielen zu wollen, der doch im Epigramm gar nicht erwähnt wird.

Nach der Reinigung wurden die aTioxa^dQ^iara nach alter Sitte ins Wasser versenkt: einßakelv dTtoxad-dQfiara Eudoxos, purgamina

^) Vgl. Rusch, De Posidonio Lucreti Cari auctore S. 23ff., dessen Ausfühningen sieh zum Teil auf Rose, Aristot. Pseudepigr. lOft'., 280 und Rohde, Acta soc. phil. Lips. I, 25 ff. gründen.

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mentis in illas mersit aquas Ovid. Dasselbe meint das Epigramm mit Vers 9: Tcdvra '/a&aQiubv e'/.o\pev aTtöxgvcpov; aber sxoipev ist unpassend und es etwa durch den Hinweis „auf das Sühnopfer, das Ferkel" zu erklären, ..mit dessen Blut die Proitiden auf einer de Witteschen Gemme benetzt werden" (Robert, S. 181; Wiener Vorlegeblätter, B IV, 4), bedenklich; denn dadurch käme ein der Überlieferung Ovids fremder Zug in das Gedicht. Am ehesten könnte man sich bei einer der vorgeschlagenen Konjekturen (eßaxpsv, e/.QvxpEv) beruhigen.

Des Isigonos ^iiaelv tov olvov mag auf Ep. Vers 7 LuaduTtelov zurückgehen. Vitruv übersetzt angeblich das ganze Epigramm, in Wirklichkeit aber nur Vers 5 ff., und auch, dabei übergeht er Vers 5 f. ^/?J oe bis f^ie&^]g und Vers 9. MioäiiTteXov ist durch inimicam vitibus gegeben, in Vers 8 las er äQie(.ieag und vielleicht Ivodiievog.

Und nun Ovid. Daß dieser „einer anderen Version folgt wie das Epigramm, lehren die Worte carmen et herbas^^ sagt Robert S. 181. Aber diese sind nur eine Ausmalung der sacrificia Vitruvs und ent- sprechen hiemit ebenso Ep. Vers 8, wie purgamina bis aquas Ep. Vers 9, odiumque bis undis Ep. Vers 7 Ttrjyrjv iiiödiiTteXov. Die Wirkung der Quelle beruht nach Ovid entweder auf den versenkten dno/Md^dQuaTa oder aber ,,vis est in aqua calido contraria vino'\ Diese dem calidum vinum entgegengesetzte vis ist doch nur die Kälte des Wassers, dessen kalter Hauch, die avQiy. ihr steht die reQTtvr) fied^ri gegenüber. Mit anderen Worten: Es scheint, als ob Ovid oder dessen Quelle auch die Elemente von Ep. Vers 5 f. jut^ oe %tX. in irgend einer Verbindung vorgelegen hätten. So paraphrasiert denn Jacobs, Animadv. in Anth. Graec. III, 1. 405 die Stelle: cave ne^ cum vini calorem visceribus conceperis ^ hac aqua laveris, ne te vel sola aura, inde afflans^ male afficiat/'' nur daß dieser Sinn für unser Epigramm nicht paßt (Robert S. 176).

Dasselbe Verhältnis der Gegensätzlichkeit und der Überein- stimmung nun, das zwischen dem Epigramm und den sonstigen Xach- richten über das heilige Wasser von Lusoi besteht, muß auch zwischen ihm und deren primärer Quelle herrschen: Eudoxos lag das Gedicht in einer Form vor, die sich der Fassung Isigonos -Vitruv enge anschloß, aber auch wieder von ihr wesentlich verschieden war. Es fehlte ihm vor allem der erste Teil des Isigonos-Epigrammes (Vers 1 4j. Das zeigt nicht nur sein Inhalt, sondern auch ein zeitliches Moment. In seiner jetzigen Gestalt gehört das Gedicht, wie von Preger aus- gesprochen, von Reichel -Wilhelm a. a. 0., S. 4 durch den Hinweis auf Vers 2 dv ea/avidg KlEiTOQog begründet worden ist, im günstigsten Falle erst dem Anfange des 2. Jahrhunderts an.

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Auf die Existenz eines solchen Gedichtes weist unser Epigramm selber hin. In Vers 1 4 ist in schlichter Form ein einfacher Gedanke ausgesprochen, der in einer größeren Anzahl verwandter Epigramme wiederkehrt. So dichtet die Arkadierin Anyte Anth. Pal. IX, 313:

"l^ev ccTtag V7tb y.aka Sd(pvag evd-akea cpvlka

lüQaiov T äqvoai vdf^iazog ddu 7t()(.ia^ o(f>Qa TOi dod-uaivovua Ttovoig ^egeog cplka yula

diiTvavatjgy Ttvoia TVTtroueva CecfVQOv.

Ganz ähnlich Nikias von Milet (ibid. 315):

'I^eu VTc aiyelooLGLv, ercel rAueg, svd-dd^ öölva,

'Aal Tzld^ daoov itov Ttlöaxog äf-ieTeqag usw.,

und. das erstere Gedicht nachahmend, Satyros A. P. X, 13. Die z^/jvr^ Hesychie mit ihrem Ttty.gbv vdfia ruft dem Wanderer zu: ^LyriGag dgiaat (IX, 37); die Salmakis: 'JdQvoai, ^eve, rrig 6^ am) Ttriyrig (IX, 38); die Kathare: M/J iie d-eoevg TtaQaueißeo' Slipav dXaXycov

äiiTiavoov Ttaq F.iiot '/,al •/M7rov fjöv^ij] (IX, 374). Die vier letztgenannten Gedichte gehören wahrscheinlich sämtlich dem Stephanos des Philippos an. Wiederum bei Anyte (IX. 314) bietet Hermes dem müden Wanderer einen schattigen Ruheplatz und reines, frisches Wasser an; sie ahmt ein unbekannter Dichter des philippischen Kranzes nach (X, 12). Wie der Hirte mit seiner Herde in Lusoi Ttaqä Nvug^aig vdqiäoi halten soll, so auch i^ristokles, Hermokreon, Damostratos und Timokles in Epigrammen der niele- agrischen Sammlung an die Mficpai scpvÖQidÖEg und die Nriiddeg^ IX, 326—329.

Entsprechen so Vers 1 4 unseres Epigrammes einer ganzen Menge von Gedichten und darunter auch arkadischen Stücken (Anyte) in einem Grade, daß sie geradezu auf ein ähnliches Muster zurück- gehen und für sich eine selbständige Quellinschrift darstellen könnten, so bietet auch Vers 5 dlld gv f^itJT tTtl lovTqä ßdljjgxQoL nichts irgend- wie Befremdliches. Den gleichen Gegensatz spricht Nikias A. P. IX, 330 aus :

Kqdvag evvdgov Ttagd vduaöi /ml Ttagd Nvf.i(paig eoTaoev ue ^iucovj Iläva tov alytTtödriv.

TEv de xdQLv; le^co toi' oaov Txod-eeig d7rb xqdvag ymI 7t le %al %oiXav xdlTtLv shov ägvoai,

7toGol de firj 7votI viTtTQa cpegeiv novGvdlhva Nvf.i(päv öiooa, TOV vßQLGThv elg iui öegyMuevog /.tL

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Das Baden und Waschen in '/.grivai nahe dem Heiligtum der Demeter verbietet eine Inschrift aus Keos, I. Gr. XII, 569. Umgekehrt sagt das auch bei Reichel -Wilhelm a. a. 0., S. 4 angeführte Epigramm Preger 12:

"Ydara ytgavdevTa ßXeTteig^ ^evE, tcov cctto

XovTQa ftiv dv&QWTtoig dßlaßri e'ffTLv i'xetv

riv de ßdXrjg y,oi?,rjg /.arä vrjSvog dyXaöv vScoq aAQa f-tovov doXiyov xEiXeog dipdfAEvog^

avTTi^iaQ TtQLGzfiQEg ETtl x^ovl öaiTÖg ddowEg TtiTtTovaiv yEvvwv ogcpavä ^evvEg töri.

Vgl. A. P. IX, 392 'JdSrikov

El' Tig dTvdy^aöd^aL /nev dzm, d-avaTOv ö^ ETtid-vf-iEL^ £^ 'legäg 7t6kE(x)g xpvxghv vdcoQ TCihco.

Ist aber bisher alles verständlich und reichlich belegbar, so tritt nun plötzlich mit Vers 5 f. fii^ ae ... jus^rjg ein Finalsatz ein, der an Klarheit alles zu wünschen übrig läßt, der höchstens verständlich wäre, wenn mit ihm das Epigramm schlösse. Denn dann könnte er bedeuten; Damit dich nicht schon ,.der kalte Hauch", oder aber ,.ein Lüftchen" schädige, wenn du im erquickenden Bade bist. Aber wie eigentümlich wäre auch da der Gebrauch des Wortes f^Ed-rj. Und nun folgt in Vers 7 die nach dem dXXd harte Anknüpfung mit de-, die Aufforderung: Fliehe meine rebenfeindliche Quelle, von der y.Qi]V7^ gesprochen, deren Wasser durchaus nicht rebenfeindlich ist; mythologische Gelehrtheit, die weder an und für sich, noch auch in der Form, in der sie auf- tritt — der Gleichklang lovad/nEvog Ivootig mit dem merkwürdigen XovaduEvog, das harte dgrEjueag mit seinem eigentümlich gestellten Objekt IvGGTig, das unerklärbare e'yioipEv zur Einfachheit von Vers 1 5 passen will; endlich in Vers 9 f., mit ai ydg oder ähnlichem angeknüpft, eine Erläuterung, die wie ein spätes Anhängsel aussieht, bei Vitruv auch mrklich fehlt.

Das Gedicht besteht also aus zwei verschiedenen Teilen, Vers 1—5 XQol und Vers 5 firj bis Schluß, die nur mit Mühe durch jui^te—öe zu einer Einheit zusammengeschweißt sind. Der erste Teil stellt eine wirkliche Inschrift dar, die ursprünglich auf irgend einem Brunnen im Grenzgebiet von Kleitor stand, möglicherweise, aber durchaus nicht notwendig, in Lusoi, sicher nicht an der heiligen Quelle. Gegen letzteres sprechen der Volksglaube, der gerade das Gegenteil vom Epigramm fordert; und die sonstige Überlieferung, die das Gedicht nicht kennt. Auffällig wäre auch, daß hier im Gegensatze zu ander- weitigem Brauche (Jahreshefte VIII, S. 12) direkt zum Tränken des

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Viehs an gottgeweihtem Wasser aufgefordert würde. Die Inschrift kann ebensogut erst dem zweiten Jahrhundert vor Christus angehören als auch in die Zeit der älteren meleagrischen Epigramme hinauf- reichen.

Den zweiten Teil des Epigrammes und das Isigonos-Gedicht als Ganzes kann man sich vielleicht in folgender Weise entstanden denken: Auf dem Stein in der heiligen Höhle war ein altes Epigramm ein- gegraben, das mit dem Volksglauben in Übereinstimmung stand. Es wurde von Eudoxos benützt und als Beweis für seine Überlieferung von der y,Qiivri angeführt, ohne beigeschrieben zu werden. Mit der Zeit war es schwer lesbar oder fast unleserlich geworden. Da wurde im zweiten Jahrhundert mit Benützung der spärlichen noch erkennbaren Reste und des aus literarischen Quellen bekannten Quellepigramms Vers 1—4, so gut es ging, ein neues Gedicht hergestellt. Anlaß zur Verknüpfung dieser beiden Bestandteile gab die geographische Angabe in Vers 1, die vielleicht erst jetzt auf Lusoi bezogen wurde. Zweck des Epigramms mag gewesen sein, in einer Epigramm- oder Paradoxen- sammlung zu prangen. Daß sein Sinn vollständig unklar ist, wird durch dessen Entstehung verständlich. Dieses Gedicht nun wurde von Isigonos und Vitruv für das eTtlyQaiiina gehalten, das sie in ihrer alten Quelle erwähnt fanden, und ohne Rücksicht auf die sonstige Überlieferung beigeschrieben. Es liegt uns demnach hier, wenn auch nicht derselbe, so doch ein ähnlicher Fall von Erweiterung vor, wie sie von Wilamowitz , Gott. Nachr. 1897, 306 und Wilhelm, Jahres- hefte II, 227 auch für andere Epigramme erwiesen ist.^)

^) Es möge hier eine Yermutuug W. v. Harteis Platz finden, die mir vor Jahnen mitgeteilt wurde, daß nämlich auch das sprachlich wie inhaltlich höchst eigentümliciie .Koroibos- Epigramm A. P. VII, 154 die Erneuerung einer alten halb verwischten Inschrift darstelle.

Wiener Eranos.

Eine Brunneninsclirift aus Adamklissi (Dobrudscha),

Von JAKOB WEISS.

Die Dobrudscha ist das Land zwischen der untersten Donau etwa von Rassova an und dem Schwarzen Meere von den Donaumündungen bis zur Batovabai. Der größere (südliche) Teil dieses Gebietes ist ein Plateau von 100 bis 200 m Meereshöhe, das zur Donau und dem Pontus meist steil abfällt. Die Oberfläche bildet eine Lößdecke, unter welcher die horizontalgelagerten Schichten der bulgarischen Kreidetafel liegen. Wie im Altertum ist auch heute dieses Land waldlos, da einerseits der Löß dem Wald abhold ist, andrerseits die höchstens 500 mm erreichende jährliche Niederschlagsmenge für sein Gedeihen zu gering ist. Größere rinnende Wässer fehlen, das Wasser sinkt in den Boden und kommt erst an den tiefen Stellen des Plateauabfalles in größerer Menge zum Vorschein. Daher ist die Bevölkerung fast ausschließlich auf den Gebrauch von Schachtbrunnen angewiesen, die oft auf dreißig und mehr Meter in die Tiefe getrieben werden müssen, bis der tief- liegende Grundwasserspiegel erreicht wird. Nur wenige Orte in den fast immer trockenen Tälern haben den Vorzug einer Quelle. Diese kurze Skizze^) der heutigen Wasserverhältnisse der Süddobrudscha soll das Milieu kennzeichnen, in welches die Inschrift gehört, deren Be- sprechung wir uns nun zuwenden.

Sie ist von Prof. Tocilescu in Bukarest der französischen Akademie im Jahre 1905 mitgeteilt worden und wurde ohne weiteren Kommentar

■') Genaueres über die physische Geographie des Landes in alter und neuer Zeit in meiner demnächst erscheinenden historischen Landeskunde der Dobrudscha. (Zur Kunde der Balkanhalbinsel. Reisen und Beobachtungen. Hgb. von C. Patsch.)

#►

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publiziert. ^) Herrn Prof. Tocilescu verdanke ich einen Abklatsch, nach dem ich die untenstehende Kopie mittels Pantograph hergestellt habe. Die Inschrift stammt aus dem römischen Municipium Tropaeum, unter- halb des Dorfes Adamklissi im Tal von Urluja gelegen, 18 A-m (Luft- linie) südlich von Rassova a. D. Auf der Plateaufläche, in die das Tal eingeschnitten ist, liegt die Ruine des großen Siegesdenkmales, welches Kaiser Traian nach dem endgültigen Siege über die Daker dem Mars ültor an jener Stelle geweiht hat, an der nach den glänzenden Untersuchungen von Cichorius'^) die Römer unter der Regierung Domitians eine vernichtende Niederlage durch jenen Feind erlitten hatten. Im Jahre 109 n. Chr. war das Denkmal nach der Weihinschrift*) vollendet und die nach dem Ausweis der in Tropaeum gefundenen Inschriften lateinische Gemeinde drunten im Tal, wo man dem Grundwasser näher war, wohl gleichzeitig konstituiert worden. Schon 115/116 n. Chr. setzen die Traianenses Tropaeenses dem Kaiser eine Ehreninschrift. *)

H PHBACI AICCHVI

nEPTHCEV

YAATOCHno AlCTPonPI

CILUNEYXfC XAPlN

Besonders auffällig ist zunächst, daß die Inschrift, eine offizielle Kundgebung der sonst lateinischen Gemeinde, in griechischer Sprache l)gefaßt ist. Ich gebe hier die Umschrift:

^'Hqti ßaai\kiaari v\716q Tf^g Ev\Qi]Oewg tov \ vdavog f) 7t6\hg Tqoti:€i\ olcüv evyT\g \ yccQiv.

In der zweiten Zeile ist nach dem v noch eine Hasta eingehauen. Der Steinmetz hat wohl den begonnenen Buchstaben 11 nicht aus-

') Comptes rendus de l'academie des insc. et belies lettres, 1905, 565. ") Die röm. Denkmäler in der Dobrudscha. Berlin (Weidmann) 1904. ') CIL III 12467. *) CIL III 12470; vgl. Arch. epigr. Mitt. XVII, 106 f.

8*

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geführt, da der Platz für die ganze Silbe tveq die Inschrift hat durchwegs Silbentrennung nicht gereicht hat. In der ersten Publikation der Inschrift ist in der vorletzten Zeile die Ligatur von rj und a über- sehen. Auffällig ist die ¥orm Hgri. Doch gibt es für den Übergang von or zu r^ auch sonst im späten Griechischen und im Neugriechischen Belege, i) TQOTiEiGLwv ist eine Mißbildung nach Tropaeensium.

Der Umstand, daß die Inschrift griechisch ist, läßt vermuten^ daß sie nicht den ersten Zeiten dieses als römisches Municipium gegründeten Gemeinwesens angehört, während der Inhalt gerade das Gegenteil zu verlangen scheint.

Die Stadt Tropaeum hat der ^'Hgr] ßaoiliaari (die griechische Übersetzung des lat. Juno Regina ^j eine Weihung gelobt für den Fall, daß die Suche nach Wasser von Erfolg begleitet wäre; der hat sich auch eingestellt und diese Weiheinschrift bildet die Erfüllung des Gelöbnisses. Das Suchen nach Wasser ist aber doch wohl eine Sorge, die nur eine entstehende Gemeinde drücken kann. Gerade in der Dobrudscha, wa Quellen und rinnendes Wasser auf Meilen hin fehlen, mußte jederzeit bei Anlage einer Siedlung zuerst das Hauptaugenmerk auf die Wasser- beschaffung gerichtet sein.

So kämen wir auf einen Widerspruch : Die Sache, um die es sich in der Inschrift handelt, gehört aus praktischen Gründen in die Ent- stehungszeit von Tropaeum, die Inschrift selbst aber infolge des offiziellen Gebrauches der griechischen Sprache nicht in diese, wofür auch die späten Buchstabenformen und die Dürftigkeit der Urkunde sprechen.

Aber dieser Widerspruch verschwindet, wenn wir eine andere Inschrift aus Tropaeum heranziehen, die aus der Zeit zwischen 315 und 317 n. Chr. stammt: CIL III, 13734.

Bomanaesecuritatislihertatisq(ue) vifidicibHs\d(ominis) n(ostris) Fl(avio) Val(erio) Constantino et Vfal. Licmiano] \ [Licinio] Piis Felicibiis aeternis Äug(ustis) I quorum virtute et Providentia edomitis uhique barbararum gen- tium populis \ ad confirmandam limitis tutelam etiam\Tropeen' sium civitas auspicato afiindamentis \ feliciter opere constructa est. Petr(onius) Annianm v(ir) cßarissimiis) et Jul(ius) Julianus v(ir) em(inen- tissimus) praef(ecti) praet(orio) numini eorum semper dicatissimi.

Wir erfahren, daß die Stadt Tropaeum im zweiten Jahrzehnt des vierten Jahrhunderts a fmidamentis, vom Grund auf, zur Verstärkung

^) Ygl. Hatzidakis, Einleitung i. d. neugriech. Grammatik, S. 86. Dieterich K., Untersuchungen zur Gesch. d. griech. Sprache. Byzant. Archiv I, 172 f.

^) Weihungen an diese Gottheit besonders in Verbindung mit Juppiter sind in der Dobrudscha zahlreich. CIL III 7488. 7533. 12465. 12487 usw. Möglicherweise befand sich am Brunnen eine zweite Inschrift für Juppiter.

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•der Grenzwehr neu gebaut wurde. Der Feind, der seit Anfang des dritten Jahrhunderts hier an der unteren Donau drohte und sie fast jährlich verheerend überschritt, waren die Goten i) und einem ihrer Züge muß, wohl am. Ende des dritten Jahrhunderts, '*) Tropaeum zum Opfer gefallen sein. Die Zerstörung der festen Stadt war vollständig, •da der Neubau „von Grund auf vorgenommen werden mußte. Die Goten hatten allem Anschein nach die Absicht, eine rasche Wieder- besiedlung des Platzes möglichst zu verhindern, und ein weiteres wirksames Mittel zur Erreichung dieser Absicht war in der Dobrudscha die Zuschüttung der Brunnen. Und als die Stadt wieder erstehen sollte, da werden die herbeigezogenen Kolonisten nach dem Wasser gesucht haben, das in der Tiefe versteckt war; denn das spärliche, oft ganz aussetzende Gerinne im Tal von Urluja kam nicht in Betracht. Als man den Brunnen gefunden und wieder benutzbar gemacht hatte, setzte man an seinem Rande die Weiheinschrift an Hera. Die neue Gemeinde hat die griechische Amtssprache eingeführt, welche sich in jener Zeit in der östlichen Reichshälfte allgemein ein- bürgerte. Daß sie Gelübde und Weihung an Hera richtet, ist in den ersten Jahrzehnten des 4. Jahrhunderts nicht auffällig, ja in der Zeit um 317 n. Chr. gerade zu erwarten, da der Herr des Ostens der Christenverfolger Licinius war. 3)

*) Über diese Einfälle vorzüglich L. Schmidt, Gesch. der deutschen Stämme bis zum Ausgang der Völkerwanderung. (In den Quellen u. Forschungen z. alten Gesch. u. Geogr. hrg. V. Sieglin, VII).

') Eine Inschrift aus Diokletianischer Zeit aus Tropaeum CIL III 12464.

') Ein inschriftlich erhaltener Erlaß des Licinius (er liegt mir in einer Abschrift vor, die ich Tocilescu verdanke) gebietet in dem LimeskasteU Salsovia (Norddobrudscha) und wahrscheinlich in allen anderen die Verehrung des Mithras.

Zur griechischen Wortkunde,

Von PAUL KRETSGHMER.

1. YJKINOO:^.

Das sogenannte Hemerologium Florentinum führt in dem Ver- zeichnis der kretischen Monatsnamen einen Monat Paßlvd-iog auf, der vom 24. Mai bis 23. Juni reichte.^) Dieser etwas rätselhafte Name hat seine Aufklärung erhalten durch das in Delos zu Tage gekommene Dekret der kretischen Gemeinden Lato und Olus, Bull. corr. hell. XXIX, 1905, S. 204f., in welchem (Z. 2) ein Monat von Lato Ba-Ktvd^Log genannt wird: die Herausgeber der Inschrift, Dürrbach und Jarde^ haben erkannt, daß PABINQI02 nur eine (paläographisch leicht be- greifliche) Entstellung von B^KINQIO^ ist. Daß aber letzteres für fa'Mv&Log steht und mit ^Ya/Jv^iog identisch ist, hat schon M. Nilsson (Griech. Feste 1392) ohne weiteres angenommen. Dabei ist daran zu erinnern, daß das lakonische Hj^akinthien-Fest, von dem ein Monat ^YaTiivd^iog seinen Namen habeil müßte, nach der Berechnung von Ungar, Busolt, Nilsson in die Zeit des attischen Monats Thargelion (11. Mai bis 11. Juni), also auch ungefähr in die des kretischen Monats Baxlvd^iog fiel.

Die Form f dytivd^og für ^Yd'/,iv&og, die sich uns so ergibt, ist nun einer Vermutung von J.H.Voss (Virg. Georg. S. 778 ff.) günstig, die bis jetzt eigentlich als etwas gewagt gelten mußte: er sah den lateinischen Pflanzennamen vaccmium für das äolisch ausgesprochene vdytLvd^og an. Die Identität der Pflanzen geht aus den Zeugnissen von Dioskorides 2) und dem Vergil-Kommentar des Pseudo-Philargyrius

^) Tgl. Ideler, Handb. d. Chron. I, 426.

^) IV, 62, rec. Vindob. vänivd-os , 'PcofAuToi ßäxxovf^, oi ds ovaxxiviovfA.

[ovXxivovjii HADi].

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(Georg. IV, 183 ed. Thilo i) hervor; und Voss beruft sich noch weiter darauf, daß Vergil Ekl. 10, 39 mit et nigrae violae sunt et vaccinia nigra den Theokrit-Vers 10, 28 ycal toYov y.eXav eorl nal ä yQaTtxh vdycivd^og übersetzt, und daß Plinius dieselbe Pflanze n. h. XVI, 18, 31 vaccinia nennt, die er XXI, 26, 97 unter hjacinthus versteht. Natür- lich von der äolischen Aussprache, die früher für jedes / verant- wortlich gemacht wurde, schweigen vdv besser, und ohne die Annahme einer volksetymologischen Anlehnung an vaccmus, wie sie schon 0. Keller, Lat. Volksetym. S. 59 aufgestellt hat, kommen wir auch nicht durch. Aber es ist klar, daß wohl ein *vacinthus an vaccmus leicht an- gelehnt werden konnte, aber weniger leicht ein hyacinthus.

So bleibt die Frage: wie verhält sich das mehrfach bezeugte ßd/,ivd-og lautlich zu dem gewöhnlichen ^Ydyitv-3-og^)? Danielsson (bei Nilsson, Griech. Feste 139) geht von der Form vamvO-og aus, die im Kretischen als einer psilotischen Mundart uakinthos ausgesprochen worden sei: daraus sei /aztj'^og entstanden, dadas vor Vokal stehende w- leicht „unsilbisch" (konsonantisch) werden konnte, wofür Danielsson auf G. Meyer. Gr. Gr.^ § 146 if. verweist. 3) Mir scheint diese Erklärung sehr bedenklich: für einen derartigen Übergang von anlautendem va- in fcc- gibt es in den griechischen Dialekten keine Parallele. Nach kret.TLTvfog (Gortyn GDI. 4976), TLTovfsoS^co z=: titevso^o) (Vaxos GDI. 5128) erwartet man eher eine Aussprache vfa-^ bei der das v durch den folgenden Übergangslaut / geschützt war. Was G. Meyer a. a. 0. 222 verzeichnet, sind Synizesen von v, wie sie sich aus der Metrik ergeben und von denen die wenigsten gesichert sind (vgl. Kühner-Blass I^ 228). Damit kann man einen dialektischen Wandel von va in fa^ noch dazu im Wortanlaut, nicht wohl stützen.

Der nächstliegende Weg, die Erscheinung zu erklären, ist doch wohl der, daß man sie mit den parallelen Fällen eines Nebeneinander von anlautendem v und / vergleicht. Auf einer Inschrift von Knosos in ionischem Alphabet GDI. 5072, die f (in e^aOTog, Y^axi) nicht mehr schreibt, steht zweimal veqyu)v (h 5, 8) für ßeqymv. Also in einer Zeit und einer Schrift, die den Buchstaben / aufgegeben hatte, wurde v zur Bezeichnung von u d. i. des konsonantischen u verwendet. Ebenso ist

*) qui enim graece ht/acinthus, latine vaccinium dicitur.

*) Die Vokalisierung von'Iaxvvd-- (in 'A^rdfuri, 'laxvvd-orgöfpojc Knidos GDI. 3502. 3512, 'Iaxv\'^oiQocpioig 3501) beruht auf derselben Umstellung von v t wie das späte Mirvh'jvr] für Mviu/]vrj , femer Tvgivdi = TiQvvd-i auf einer attischen rotfigurigen Amphora (Gr. Vaseninschr. 121, G. Meyer, Griech. Gr.» 154 f.).

^) Dieselbe Ansicht äußert jetzt J. Brause, Lautlehre der kret. Dialekte (Halle 1909) S. 12f., 38, 43. Er vermutet Ba[xLv&ioi auch auf der Inschrift von Malla GDI. 5101, 40.

120 ~

offenbar vQeiyaXsov {cod. vQeLydhov),dieQQO)y6gILesych, d.i.fQriyakeovzu beurteilen, und vielleicht auch l'cffföToA/j. TldcpLOL, wenn— fsGi,^)v€ordy.a' If^ariafAog^:: feordxa. Längst festgestellt ist, daß die alte Namensform der ionischen Gründung Elea, 'FfiA^,^) das einheimische Velia wieder- gibt. 3) Die lonier haben also gegenüber dem ihnen verloren gegangenen w;-Laut in Fremdwörtern ein doppeltes Verfahren geübt: sie haben ihn entweder ganz weggelassen (Elsa, ^EXri Strab. VI, 252) oder mit v wiedergegeben (*^Yek6a, YeAfi). Man vergleiche das analoge Verfahren in ^IvTa(peQV7]g^ alti^ers. Vi(n)da(h)farnah- and anderseits 'FaraaTTt^g ^ Vütäspa-, ^Yddqvrig^^Vidarna-j 'YQ7,avia z= Varkäna-^ wo v allerdings «;+ Vokal wiedergibt. Als v wie ü gesprochen wurde, hat man dann o wie für u auch für w verwendet. Daß sich so das merkwürdige ^'Oa^og hellenistischer Urkunden für das echtkretische fd^og erklärt, hat Schulze, Kuhns Zeitschr. 33, 395, bemerkt und Beispiele für 0 = lat. V (^OaXeQiog = Valerhis^ ^OdS/Lia)v=^ Vadimo u. a.) hinzugefügt.*) Später wird bekanntlich ov zu demselben Zweck verwendet (OödQQcov^ OvaksQiog usw.).

Nach diesen Parallelen ist es doch wohl das nächstliegende, fdKLvd-og neben '^Ydxiv^og als die primäre Form anzusehen, die in einem Dialekt, dem f schon verloren gegangen war^ also einem ionischen, durch '^YduLvd'og wiedergegeben wurde. Man wird gegen diese Er- klärung vielleicht einwenden, daß das v, wenn es Wiedergabe von f war, nicht vokalisch und nicht aspiriert sein durfte. Allein wir müssen uns eben den Ersatz des f durch v hier nicht als einen bloß graphischen, sondern als eine Lautsubstitution denken,^) d. h. / ^ kon- sonantisches u (wie engl, w) wurde durch vokalisches u ersetzt (vgl. franz. ouest, span. port. oeste aus engl, west) und entwickelte sich wie solches weiter, wurde also gleich jedem anlautenden v aspiriert.

^) 0. Hoffmann, Gr. Dial. I, 125, 196, 313, liest veart und erwägt Zusammensetzung von ij-eoTi mit einer Präposition v- = im.

«) Herodot I, 167. Strab. VI, 252. Steph. Byz. s. ^E'Xm (die Betonung 'YeXi] nach Schulze, Kuhns Zeitschr. 33, 396). Auf Münzen J^ eX(rjXE(üv) und 'YeXtjt soiv GDI. 5631.

3) Hartel, Hom. Stud.m, 36. Bechtel, Ion. Inschr. n. 172. Kühner -Blass I, 82. Schulze a. a. 0.

*) Auch daran sei erinnert, daß Herodot IV, 110 mit o^'o'^ = ävÖQU nach Müllenhoff, Deutsche Altert. III, 106, richtiger oiqo- ein skjthisches vlro- oder viro- und mit 016 ßaCog IV, 84 u. ö. ein persisches ^Vayabäzu (Müllenhoff a. a. 0.) mederzugeben scheint.

^) WennSchulze a. a. 0. in bezug auf "Oa^o ^, 'Oitv Xo g ,'OiXev g sagt, es sei das alles nur Sache der „Schreibung" oder künstliche Anpassung fremder Formen, so hat er wohl nicht bedacht, daß hom. dreisilbiges 'OiXevg ^^^ Ol'rvXog -^^ -^^ mit der ersten Alternative nicht vereinbar sind. Auch die Alexandriner haben "Oa^og, wie das von ihnen gekünstelte OXa^og lehrt, dreisilbig gesprochen, o also als Vokal, nicht als Zeichen für f aufgefaßt.

121

Wir können uns da nieder auf FffradTri^g Hi/staspes = i^ers. Vistäspa, ^YQxavia Hi/rcania=^Varkäna berufen. Ein gewichtigeres Bedenken könnte man aber aus dem hohen Alter der Form vanivd-og ableiten, die ja viel früher ols fdyttvd-og belegt ist, nämlich vdytiv&ov IL H348, ^ay,cv-9-iv(^ äv^ei Od. l 231 = tp 158, wo es sich überall um die Blume handelt. Der Ausweg, daß ursprünglich der Heros fd'/.Lvd-og und die Blume id-/,ivi>og geheißen hätte und beide Namen erst später zusammen- gefallen seien, wird durch lat. vaccinium verlegt, wenn dies in der Tat auf ein griech. fd%Lvd-og zurückgeht. Allein daß die Wiedergabe von f durch einen Vokal bis in die Periode des ionischen Epos hinaufreicht, wird durch einen Fall erwdesen, den Schulze (a. a. 0. 396, A. 2), Bethe (N. Jahrb. f. d. klass. Alt. 1904, S. 5f.) und Solmsen (K. Z. 42, 208, A. 2), eigentlich schon Cartius. Etym.^ 574, wohl mit Recht hierherziehen: "OiXevg ^Oikiddrig in der Ilias neben ^Ilevg bei Hesiod, Stesichoros, ^Iliddrig Zenodots Lesung iV203, ^IXiddag Pindar 01.9, 167, viXag ^iXidö rig auf einer rotfigurigen Amphora des British Museum, Journ. of Hell. Stud. XVIII, Taf. 15, etrusk. Vilatas auf der Wand des Francois- Grabes in Vulci, 1 1/ 1 O 5 auf einer praenestinischen Cista, Bethe a. a. 0.

Ein zweiter epischer Fall scheint der Ortsname OYrvlog im SchifFs- katalog B bSo Belwlog CIG. 1323, BUvXa Ptol. III, 16, 22, noch heute in dem Bergnamen BixovXo fortlebend: nur würden wir, nach ''OiXevg, viersilbiges 'O/ry^o ff bei Homer erwarten i); wir müssen wohl annehmen , daß diese Form in der Zeit des SchifFskataloges schon dreisilbig geworden war.

War /«'/tv^o ff die ursprüngliche Form des Namens, so sind natür- lich alle Etymologien hinfällig, die von "^Ydxcvd-og ausgehen, wie die Zusammenstellung mit lat. iuvencus , skr. yuvagäs „jugendlich", und wenn meine Ansicht zutrifft, daß der von Apollon verdrängte alte Lokalgott v(m Amyklai der vorgriechischen Urbevölkerung entstammt (Einleit. 404) , dann ist der Versuch einer etymologischen Deutung seines Namens überhaupt aussichtslos,

2. zdöTWQ.

Der griechische Name des Bibers, y.darcüQ, zuerst bei Herodot IV, 109 und Hippokrates I, 476 Kühn belegt, ist etymologisch noch nicht aufgeklärt.

^) Zwar ließe sich ^d' OhvXov df^cpBvi^ovxo leicht in xal 'OtxvXov afxcpevefAOvxo ändern, aber es wäre dann nicht einzusehen, warum sich nicht die richtige Überlieferung hätte halten sollen.

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Nach 0. Schrader, Reallexikon der indogerm. Altertumskunde 85, beruht '/,äöTtoQ auf einer Verwechslung mit skr. kastürJ ,.Moschustier". Veranlassung dazu habe die Ähnlichkeit des stark duftenden Biber- geils mit dem aromatischen Beutel des Moschustieres gegeben, von dessen Bekanntschaft bei den Alten freilich sonst keine Spuren vor- handen seien. Allein wenn der [Biber den Griechen mindestens seit dem V. Jahrhundert vor Chr. bekannt war, der Moschus dagegen zum erstenmal im IV. Jahrhundert nach Chr. von Hieronymus, und zwar als muscus genannt wird (das Moschustier wird über- haupt nicht erwähnt) , so sieht man nicht ein , wie der Biber vom Moschus seinen Namen erhalten konnte. Hat Schrader mit Absicht ignoriert oder nur übersehen, daß kastürl „Moschus" (denn das bedeutet das indische Wort) bereits im Petersburger Wörterbuch umgekehrt als das entlehnte griechische '/.aoTogeiov „Bibergeil" be- trachtet wirdi)?

Über die Identität des Namens des Tieres mit dem des Dioskuren pflegt man hinwegzugehen, und doch kann man sie nicht ohne weiteres für zufällig halten, wenn man sich erinnert, daß den Hellenen, wie ich in Kuhns Zeitschr. 33, 559 ff. gezeigt habe, die Übertragung von Personennamen auf Tiere so wenig als anderen Völkern fremd war : der Hahn ist mit den aus dem Epos bekannten Heroennamen J^Aezrw^ 3äXey.TQiiov (Od. d 10 , IL P 602) belegt worden . weil deren Grundbe- deutung „Kämpfer" zu der kampflustigen Natur des Vogels paßte. Der Affe wird nach seiner OL^örrig ^ifAiag = lat. simia genannt oder Tcar ev^riJLiiOjubv rijg dvzicpQcioecog KaVJag. Für den Esel ist die Be- zeichnung Msjiivwv überliefert. 2) In diesen Zusammenhang fügt sich KdoTOQ =: Biber gut ein , und es bleibt nur zu ermitteln , warum ge- rade dieser Heroenname auf das Tier übertragen wurde, d. h. das tertium comparationis zu finden. Ich kann da nur eine Vermutung geben.

Die Griechen haben den Biber, der in ihrem Lande nicht vorge- kommen zu sein scheint, nicht zum wenigsten wegen seines Drüsen- sekrets, des Bibergeils, /MGTOQetov, geschätzt, das im Altertum me noch heute als Medikament gegen Krämpfe u. a. verwendet \^Tirde. Schon die ersten Autoren, die den Biber erwähnen, Herodot und Hippo- krates, sprechen davon. Nach Herodot IV, 109 benutzten die Budinen (im südlichen Rußland) die Hoden des Tieres, die die Alten irrig für den Sitz des Bibergeils hielten, zur Heilung der Gebärmutter (ig vove-

^) Ebenso Uhlenbeck, Etym. Wo. d. altind. Sprache 50. Bei Leumann fehlt das Wort. ^) Lycaon für eine äthiopische Wolfsart (Plin., Mela) ist wohl eine gelehrte Benennung.

123

Qe((jv äxeoiv) , und dieselbe Verwendung kennen Hippokrates, Plinius und Galen (vgl. Wellmann in Pauly-Wissowas RE. unter Biber). Ander- seits sind die Dioskuren ihrer Xatur nach in erster Linie owvriQeg, Retter und Schützer der Bedrängten, und daß sie insbesondere auch den Frauen sich hilfreich erwiesen, hat man in neuerer Zeit aus mehreren Anzeichen geschlossen. So hat Fr. Marx (Athen. Mitt. X, 1885, S. 194) in einer Marmorgruppe aus Sparta die beiden Gestalten, die einer gebärenden Frau zur Seite stehen, auf die Dioskuren ge- deutet und weiter darauf hingewiesen, daß in Sparta wie in Argos das Heiligtum der Dioskuren in der Nähe des Tempels der Eileithyia lag, und daß nach Varro bei Gellius XI, 6 in älterer Zeit der Schwur bei den Dioskuren , später nur der bei Kastor (mecastor) den Frauen vorbehalten war. Bethe (Pauly-Wissowas RE. V, 1095) erinnert an eine Weihinschrift aus Akrai, in der die Geburtsgöttin Kalligenia, Kastor und Pollux (letzterer ergänzt) zusammen genannt werden. So darf man wohl wenigstens die Frage aufwerfen, ob in dieser Richtung das Motiv für die Bezeichnung des Tieres mit dem Namen des hilfreichen Heros zu suchen ist.

3. J ieazovQidriQ.

Die Erwähnung der Dioskuren mag uns hinüberleiten zu der Namensform zJLea%OQiddeo) einer thasischen Inschrift, die ich früher (bei E. Jacobs, Athen. Mitt. XXII, 1897, S. 126 f.) besprochen habe. Sie ist dadurch merkwürdig, daß sie für das Griechische einen Genitiv Sing, auf -65, Jtig^^Jiös bezeugt, der dem lateinischen auf -es, -is (alt- lat. Apolones) entspricht. Jieg : Jiög Jovis : Diovo(s) (CIL. XIV 2863). Nun ist aber die thasische Inschrift nur durch Cyriacus von Ancona überliefert, also ein etwas unsicheres Zeugnis , und ein zweites daher sehr erwünscht. Ein solches liefern die roTroff-Inschriften des Gym- nasiums von Priene , Inschr. v. Priene 313, 67: z/ieG'/.ovQidov neben sonstigem JcoGytovQidov.

Ein weiteres Zeugnis hat Schulze, Quaest. ep. 79, A. 2, erschlossen aus amorg. Jueivvoog GDI. 5349=^^if(xrt'(J0 5 neben thess. Jcövvvoogy lesb. Zovvvaog, hom. Jicovvoog (boi. JuovovGog) aus *Ji6Gvvaog. Für letztere Annahme, daß aus *z/wGvvGog hom., d. i. ion. JicovvGog^ nicht *Jiovvvaog entstanden ist, kann jetzt das auf einer lesbischen Inschrift in Delos zutage gekommene owa = lovi] (Bull. corr. hell. XXIX, 1905, S. 210 f., Z. 17, 21j geltend gemacht werden. Denn dieses aiol. ovvä macht im Verein mit skr. vasndm ;, Kaufpreis" wahrscheinlich, daß ion.

124

att. Covri, hom. wvog aus */o(Jva, ^föavog hervorgegangen sind; eine Grundform ^fcoavoL hätte wenigstens keinen Anhalt. ')

Also in den Götternamen *JieoxovQOL und *JLeavuaog scheint sich vereinzelt ein alter Genetiv auf -eg erhalten zu haben, der sonst über- all durch die Ablautsform mit o (-og) verdrängt ist.

^) Man wird vielleicht an ion. att. wfios „Schulter" erinnern, das Solmsen, K. Z. 29, 62, auf *cu jM ö o ^ neben "^öf^aog in aiol. snof^f^adiaigj skr. dmsa-, got. amsa, hii. umerus Mmhr.onse zurückgeführt hat. Allein es wird mir jetzt zweifelhaft, ob nicht auch w/nog auf das im Aiolischen und in allen verwandten Sprachen vorliegende ^'ömsos zurückgeht. Wir müssen dann eben annehmen, daß in jener älteren Periode, in die diese Ersatzdehnungen hinaufreichen, o auch im Ionischen nicht geschlossen, wie später, sondern noch offen war, wie in den meisten übrigen Dialekten, und daher zu w, nicht ov gedehnt wurde.

Parerga.

Von ADOLF WILHELM.

Zwei Stellen des von Th. Wiegand und U. v. Wilamowitz in den Berliner Sitzungsberichten 1904, 917 veröffentlichten Gesetzes aus Samos über die Beschaffung von Brotkorn aus öffentlichen Mitteln scheinen mir, wie ich in meinen Beiträgen zur griechischen Inschriftenkunde S. 315 andeutete, bisher nicht völlig richtig erklärt. Es heißt Z. 27 ff. :

di VTtEQoiQOv äqyvQLOv^ eä(.i f.iiv /tirj S6§rii rcot drp ucoL oiTcovetv , TriQEiTcoaav avrol {.dxQi otov f'cEQOt aTtoÖEi- yßüoiv BTcl Tov aiTOv ' elrev ÖLayQacpeTwaav syteivotg. häv 6e 30 dö^TiL OLTwveiv , dnoÖLayqacpeTCjaav rcaQaxQfifia tml 7.e- XeiQOTOvriuevwi oiTcovrj ' Izuvog Si äyoQa^iTO) rov al- Tov xhv ex Tfig 34vaielriSog xcoqag ov tqottov av vo/ulCr] XvöLTeXioraia xaTaaTTJaeLv r^t Ttölei^ iäii f.it] tio&ev äX'ko- &EV IvaiTEkioTEQOv (paLvritai zcül Srif^icjL gltcoveIv.

Der Satz Z. 31 f. wird folgendermaßen übersetzt : „Der erwählte Korn- käufer soll das Getreide aus der Landschaft von Anaia einkaufen, so wie er es der Stadt am billigsten einzurichten glaubt; es sei denn, Üaß der Demos es irgendwo andersher billiger bekommen zu können glaubt." Th. Thalheim ist in seiner Erläuterung des Gesetzes, Hermes XXXTX 604 ff., auf die Worte ov tqottov av vo/hi^t] IvoLTElearaTa xara- GTi^aeiv Tru tzoXel (nämlich xbv oItov) nicht eingegangen, ebensowenig H. Francott ein der kurzen Inhaltsangabe in den Melanges Nicole p. 151. Die Redensart begegnet noch an einer zweiten Stelle, Z. 47 ff. :

yivea^co Si, eäv öo^riL, y.al jLtiad-ioaig tov aQ- yvQlov TOV i'A TOV TOTLOVy Eccv TLVEg ßovXwvzai VTCO&ijUa-

126

50 xa öovreg ä^iöxQea y.al diEyyvriaavreg Tcqokaßelv xal kvoLTekeOTeqov -/.araorrioai rov attov.

„Es soll, wenn es gut scheint, auch eine Ausleihung des aus den Zinsen erwachsenden Geldes stattfinden, falls Leute gegen Stellung hin- reichender Hypothek und Bürgschaft das Geld vorwegnehmen und so das Getreide nutzbringender machen wollen" . S. 928 wird diese Bestimmung erläutert: ,.Da Zinsen gemeiniglich alle Monate bezahlt werden, die Ankäufe aber nur einmal im Jahre , lag das Geld monatelang brach ; daher wird den srcl rov öitov anheimgegeben, es zinstragend anzulegen, aber auf ihre eigene Gefahr." Auch Th. Thalheim sucht, Hermes XXXIX 608, in dieser Bestimmung nur, daß die Kornverwalter das Geld nach ihrem Gutdünken gegen die nötige Sicherheit in Unterpfand und Bürg- schaft ausleihen. Doch scheint mir durch ein solches Vorgehen wohl das Geld, nicht aber das Getreide nutzbringender gemacht, also der Zweck nicht erreicht zu werden, den kvGLTeAeaTEQov xaraOTTJoai xbv olrov nach Meinung des Übersetzers ausdrückt. Richtig hat zuerst J. Bartsch, Griechisches Bürgschaftsrecht S. 406 Anm. 1 eingewendet, daß das eäv Sabril auf den unmittelbar vorher genannten Demos geht und diese Bestimmung ein anderes Verfahren zur Wahl stellt. Er glaubt ferner, daß juloO-coais i^ov ccQyuQiov rov iy, rov ro'/iov „kaum auf ein Darlehen gehen kann : anstatt daß diese Beamten die Zinsen eintreiben, soll der staatliche Zinsanspruch auch wie andere Gefälle verpachtet werden und die Korn Verwalter diese Verpachtung vornehmen". Aber auch diese Auffassung der jLiiod-cooig tov äQ/vgiov tov £z xov toxov macht TtQoXaßelv xal XvoLTeXiovEQOv yaraGiriaai tov oItov nicht verständ- licher.

Eine befriedigende Lösung der bisher kaum erkannten Schwierig- keiten hat die Feststellung der Bedeutung des Ausdruckes '/Md^iOTavai TÖv gItov an den beiden Stellen: ov tqÖtvov av vofA.itrj XvoLTekeGraia yaraGTriGELv (nämlich rbv gItov) T/jt 7c6XEi und mv tlveq ßovkcovTaL TCQokaßElv nal /a'GlteIegteqov -/.axaGTr^GaL tov gItov zur Voraussetzung. An letzterer Stelle wird erklärt: „das Geld vorwegnehmen und so das Getreide nutzbringender machen", anersterer: „wie der Kornkäufer es am billigsten einzurichten glaubt." Doch ist ohne Zweifel auch in Z. 33 zu zaTaGTi^GEiv , wie ich andeutete, hinzuzudenken tov gXtov und xad-LGTavai töv gZtov an der einen Stelle wie an der anderen zu deuten: von dem Liefern des Getreides. Denselben Ausdruck glaube ich in dem Be- schlüsse aus Chorsiai IG VII 2383 nachweisen zu können, der von Ditten- berger für verschollen gehalten und nach unzureichender Abschrift ab- gedruckt, von mir im Nationalmuseum zu Athen wieder aufgefunden (s. Jahreshefte II 236, Anm. 43) und sodann von Alex. Gaheis, Wiener

127

Studien XXIV 279 f.. in vollständigerer Lesung veröffentlicht worden ist. Es heißt Z. 4ff.:

x/) OTtavoaiTiag yevofxevag tceqI 5 LUV x^oQav xj) täv noXitov Ttaaduyv aTtexpacpiO },ii-

V(x)V TCCV T(d GITW [d^OO]T[oX^v] TtQoixQSlOE TT] 7t6-

ki 7tovQ(dv xoipivüjg öia/.aTuos ytrj xaTeovaae . . . . To vfi 7ti)h xrl.

Die Lücke füllt [^raQ au]TÖ , wie sonst TtaQ* avTa, tzüq aözovg rovg xaiQOvg GDI 4568 Z. 5, Tcaga/griua. Und vMxkoxaöE kann nur den Sinn des Lieferns haben. Nicht anders in dem Gesetze aus Samos. Der gewählte Kornkäufer soll das Getreide aus der Landschaft von Anaia einkaufen auf die Weise, auf die er es der Stadt am billigsten liefern zu können glaubt, und die filaO^cüatg tov äoyuQiov rov sx, rod tÖ'/,ov soll es denen, die dieses Geld gegen Pfand und Bürgschaft übernehmen, ermöglichen TtQoXaßElv zort IvGireleGVEQov (als Adverbium) ytataGTrjaai töv oItov, das Getreide billiger zu beschaffen nicht es nutzbringender zu machen; es fiele auch schwer, zu sagen, w^ie das Getreide durch dieses Vorgehen nutzbringender werden soll. Und TtQoXaßElv ist nicht vom „Vorwegnehmen des Geldes", d. h. der einzelnen Raten der Zinsen, zu verstehen müßte dann nicht der inf. praes. TiQo'kaf.ißdvELv stehen? auch nicht mit Thalheim S. 609 zu TtQoxQriGai zu stellen, sondern absolut in dem Sinne zu fassen, den es auch im Neugriechischen ganz gewöhn- lich hat, von einem „Zuvorkommen". Worin besteht dieses Zuvorkommen? Das Gesetz bestimmt zunächst, daß die Ircl tov Gitov XExstQOTovrjfievoi ävÖQEg von dem Gelde, das ihnen die ^ieIeöcovoI als Ertrag der Zinsen des ausgeliehenen Kapitals übergeben, das Korn der Göttin, den ihr aus Anaia gelieferten Zwanzigsten, zu einem festen Preise einkaufen sollen. Falls der Demos den Überschuß, der, wie vorausgesetzt wird, nach diesem Kaufe bleibt, nicht für das nächste Jahr aufzuheben, sondern zum Ankauf weiteren Kornes zu verwenden beschließt, wird ein oiTcovrig bestellt, der, sei es aus dem Gebiete von Anaia, sei es anderswoher Getreide, natürlich zu den vorteilhaftesten Bedingungen, zu kaufen hat. Es ist aber auch gestattet, das Zinsenerträgnis: to aQyvQLov ex tov T()/.ou also nicht bloß den Überschuß : to vTtEQaiQov dqyvQLOv in anderer Weise für den Erwerb von Getreide zu verwenden, durch eine lUGO^coGig, indem die betreffende Summe gegen Stellung von Pfand und Bürgschaft an den vergeben wird, der für sie der Stadt Getreide, wie und wo immer eingekauft, unter den günstigsten Bedingungen zu liefern übernimmt. Ob der Überschuß, der nach dem Einkauf des Girog drtb Tf^g EixoGTfjg dTcofiETQOvjLiEvog TT^g ^valiov verbleibt, für das nächste

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Jahr aufbewahrt oder noch weiteres Korn anderswoher gekauft werden soll , hat der Demos im Artemision zu entscheiden (Z. 35 ff.) , „dem attischen Munichion entsprechend, also sobald der Ausfall der Ernte sich einigermaßen übersehen läßt, von dem einerseits das Zwanzigstel der Hera, anderseits der Preis des sonst zu beschaffenden Kornes abhängt", wie U. V. Wilamowitz erläuternd bemerkt. Indes können Getreidehändler, namentlich falls die Ernteaussichten für Anaia und andere nächste Gegenden ungünstig, in entfernteren Gebieten aber günstig sind, die Lage des Marktes beizeiten , bevor es in Anaia usw. zur Ernte kommt, ausnutzen (TtQoXaßelv), und dem Demos, der ihnen auf ihr An- gebot sein Geld zum Ankaufe leiht, für dieses mehr Getreide ver- schaffen, als er von der Hera zu dem ein für allemal festgesetzten Preise und aus Anaia oder sonstwoher durch seinen airtüvr^g zu erwerben erwarten kann. Die Göttin mag dann für ihr Zwanzigstel andere Käufer suchen. Für ihr Vorgehen, das eine sehr beträchtliche Gefahr in sich schließt, sind die erwählten Beamten selbstverständlich verantwortlich: TYjv de ÖLeyyvriaLv Ttoieiod^iaoav o\ ävdqes oi /eiQorovri&ivTeg S7tl tov gItov XLvövvtoL rioL havTwv.

n.

Es ist seltsam, daß Meisterhans-Schwyzer in ihrer Grammatik der attischen Inschriften ^ S. 207 den Genetiv bei vizäv in den Aus- drücken i) (pvXfj ävÖQCüv^ Tcaidojv, iTtTckov usf. evixa „beachtenswert'' finden und ihn als genetivus comparationis erklären. „Daneben auch, aber seltener oWe ivi/Aüv avöqag. Der Genetiv mochte passender erscheinen, weil es sich nur um Spiele , also mehr um ein Übertreffen als Über- wältigen handelt." Und auch K. Meister bemerkt, Indog. Forsch. XVIII 162: „Wie das Iviza TtalScoVj dvögiov in den attischen Staatsurkunden, die die Siege der Phylen in den öffentlichen Agonen verewigen, zu erklären ist, muß bei dem Mangel an alten Belegen dahingestellt bleiben." Die Erklärung ist einfach genug. In den Listen der Sieger an den städtischen Dionysien IG II 971 (Urk. dram. Auff. 18 ff; E. Reisch, Zeit- schrift f. d. österr. Gymn. 1907, 290), deren erster Teil lautet: fVl tov öelva äqxovTog \ fj Selva (pvlr^ Ttalöcov \ ö Selva exoqrjyei \ fj öelva (pvlr^ dvÖQMv I 6 öelva exoQtjyei, und in den sogenannten choregischen Inschriften ist zu Ttalöwv und dvÖQiov offenbar 70()w hinzuzudenken ; so sagt z. B. Lysias XXI 1 : vi'Arpag dvögiKiij x^Q^^i IGr II 1248: vL'Ar^oag xoQcot Ttalöcov,

Nicht anders erklärt sich die Fassung des zweiten Teiles jener Listen : y,cüf.iq)öajv ö öelva exoQriyei \ ö öelva eöiöaGxe und TQayc^öiov 6 öelva ixoQTjyeL \ ö öelva eöiöaoze; ich hatte nie gezweifelt, daß nach eTtl tov öelva äqxovTog und 'jicofAcpöwv vor dem Namen des Choregen ivi-na x^Q^S ^^

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hinzuzudenken sei; doch muß diese Ergänzung wohl nirgends ausge- sprochen worden sein , da sie E. Bethe, De scaenicorum certaminum victoribus p. 6. auf eine Mitteilung H. v. Arnims zurückführt, vgl. J. H. Lipsius , Leipziger Studien XIX 310M. Mit dieser Ausdrucks- weise durften Meisterhan s-Schwyzer die der Siegerverzeichnisse von den Theseien IG II 444 ff. t(7)v htLlmnov evavöqiq (nach o'ide evr/Mv rbv äycova tcov Oriadtov und den ersten Posten: Tovg öaXTct/accg und vovg XilQuxag) oder tcüv iTtTrewv euoTtUa nicht zusammenwerfen ; augenschein- lich handelt es sich da , wie z. B. IG II 446 Z. 63 rij ka/uTtdÖL 6z T(dv tviov icprißov zeigt, um partitive Genetive; in den Überschriften rij Xaf.i7rdöc tcov Ttaidwv usw. kann aber nov Ttaldcov auch einfach zu lau7cddi gehören, zumal in den von mir, Ath. Mitt. XXX 213 fP., ver- öftentlichten Listen nach meiner Ergänzung rel XaiiycdSt tiov ecpi^ßwv' i/, Tiov e(prjß<.ov steht. Wie ich schon Jahreshefte VII 108. 113 und neuerdings in meinen Beiträgen zur griechischen Inschriftenkunde S. 230 Anm. hervorhob, bedarf das dankenswerte und nützliche, aber sehr überschätzte Werk Meisterhans-Schwyzers einer durchgreifenden Erneuerung nicht nur hinsichtlich der Datierungen der Denkmäler und der aus ihnen für die Spracherscheinungen gewonnenen, meist zu scharfen Zeitbestimmungen, nicht nur wegen der unzureichenden Be- rücksichtigung des literarisch überlieferten Sprachgutes, nicht nur wegen der hie und da auffällig stumpfen Auffassung des Syntaktischen (s. Beiträge a. a. O.j, sondern auch hinsichtlich des inschriftlichen Mate- riales selbst, das nicht mit der erforderlichen Zuverlässigkeit ausge- beutet ist. So heißt es S. 156 ausdrücklich : „für 6, Cov, a, dg trifft man vereinzelt nie in Staatsdekreten to, rm\ rdg^ xd^ . Aber IG II 5, 314 (Sylloge 197) Z. 66 steht doch Iv zölg dycoui röig fj Tiohg TiO-riGip a.uf dem Steine, freilich nicht unter den Grammatica et Ortho- graphica der Indices.

IIL

In den Städtebildern des Herakleides, deren Bruchstücke FHG II 254 ff. und Geogr. gr. min. I 97 ff. abgedruckt sind (E. Fabricius^ Bonner Studien 58 ff. ; G. Kaibel, Strena Helbigiana 143 ff.), heißt es 7 von den Oropiern nach C.Müllers Ausgabe: ol tio'AXoI aurcov TQaxelg iv lalg buiXiaig xovg ouveTOug iTtavelo^ievoi. dQvovf.ievoL zovg BouoTovg 24i}T^valoL eiol BoitoToi. Die Handschrift hat eTtavel/Mjitevoi, unverständlich und bisher nicht verbessert. Denn S7taveh)f.ieioi hilft nicht. Schon weil

^) In meinen Beiträgen S. 44 sind Zeile 17 v. u. durch ein mir unerklärliches Ver- sehen die Citate in Unordnung geraten : es ist nach IG II 1281 b, 1282 b nicht 1283b, 1283c zu lesen, sondern 1285, 1285 b und in Zeile 11 v. u. nicht IG II 5, 1182 b, Spendern 1280 b.

Wiener Eranos. 9

130

der Aorist unmöglich ist, den auch Jacobs' Übersetzung: „asperi homines qui absurdis sermonibus cordatiores enecant" ebensowenig wie die Müllers: „cordatiores viros de medio tollunf berücksichtigt. Von einem Umbringen kann in dem Zusammenhange weder im eigentlichen noch im übertragenen Sinne die Rede sein. Was von den Oropiern gesagt wird, scheint mit der folgenden abschließenden Charakteristik in Beziehung zu stehen, deren Sinn nur sein kann, daß sie ,.Boioter'' sind, aber „Athener" sein möchten. Sicherlich ist statt Tovg ovverovg iTTaveXkofievoL zu lesen e7tayyelh')i.ievoi.

Allerdings vermag ich im Augenblicke die von mir angenommene Verbindung von eTcayyeklEad-ai mit einem Adiectiv und dem Artikel sonst nicht aufzuzeigen. Doch genügen, sie vollauf zu rechtfertigen, die in den Wörterbüchern nachgewiesenen Wendungen wie dQerrjv iTtayyeXXofxai schon bei Xenophon Mem. 1 2, 7, yvvai^lv i^iayyeXlo/nevaig ■d-eoasßeiav in dem ersten Briefe an Timotheos 2, 10, rovg oaycpQoovvriv ■eTTayyeXXouevovg yeqovvag bei Clem. Alex. Paed. III 80, 3 Stählin einerseits und der durchaus entsprechende Gebrauch von VTto/.QivEod^ai andrerseits, z. B. Polybios XV 26, 3 VTrenQLveio töv ov dvvdf.iEvov^ Makk. II 5, 25 Tov £iQrivL7,bv v/roK^i^elg ^ Euagr. h. e. IV p. 454, 31 töv aidovjuevov v7te^QLVET0\ neugriechisch sagt man z. B. 6%af.ie tbv ^ovtöv. Die aus- geschriebenen Stellen zeigen, daß IrcayyhXXEO^ai in solcher Verbindung, dem diskreten v7to%QiveG^ai gegenüber, das aufdringliche unaufgeforderte Bekennen, das zur Schau tragen von Vorzügen bedeutet, die man nicht besitzt.

Ungehobelt im Umgange spielen sich die meisten Oropier als intelligent und gediegen auf, verleugnen die Boioter, die sie sind, wollen nicht mit ihnen zu tun haben und Athener sein, sind aber doch nur „boiotische Athener" oder, wie wir auch sagen können, „athenische I Boioter" , aber nicht „Athenienses in Boeotia" , wie Müller übersetzt, was ein Lob w^äre , wie es der Schriftsteller dem habgierigen Ge- sindel sicherlich nicht zu erteilen beabsichtigt. Vielmehr ist in der Bezeichnung Jld^rivaloL Bouorol der engere Begriff mit dem weiteren ebenso verbunden wie in anderen entsprechenden Bezeichnungen der Herkunft , die meines Erachtens immer die Zugehörigkeit zu einem Koivöv bezeugen , sei es, daß die Angabe der weiteren Heimat vorher- geht, z. ^.3dyiaQv^v ^YTtojQsa IG II 2765 nach meiner Erklärung Attische Grabreliefs 1630 (für den Nominativ ohne -g vgl. F. Solmsen, Rhein. Mus. LIX 494 und meine Beiträge S. 195; iv 'YTztoQeaLg IG IV 1504 Z. 35) oder 24.%cLiog art "Jdqyovg IG II 966 (vgl. W. S. Ferguson, Klio VIII 350) A Z. 17, sei es, daß umgekehrt die Angabe der engeren Heimat vorangestellt ist, z. B. JdQyela drc Zdiauag in derselben Liste

- 131

IG II 966 A Z. 48 oder EvQcoTtaiog May,edtov Sylloge 917 Z. 3. Ob nun die Oropier ^d-rivaloL Boicovol oder Bouovol M&rjvalot sind : sie sind und bleiben „Boioter"".

Die Auffassung der Stelle wird scliließlich durch die Charakteristik l)estätigt, die der Verfasser der Städtebilder von den Athenern im Gregen- satz zu den Attikern gegeben hat (G. Kaibel, Strena Helbigiana 144): iiüv d* ivoixovvrcov iu f.tev avTcov 34vrr/,oi, ol d" ^if^r^valoi ' oi (ä^v 24uTrxol TtEQieqyoi zalg Xahalg^ \j7tovXoL ^ avy,o(pavrcodeLg^ Tca^aTr^Qr^Tal rcov ^ivcjv ßiiov ' Ol 6* JlO-rivaloi (.leyaJAnpvxot, ärthu Totg TQÖTioig , cpiXiag yvi]aiOL <pvXay.eg. Wie W. Dittenberger in der letzten größeren Untersuchung, die er uns geschenkt hat, der ausgezeichneten Abhandlung über Ethnika und Verwandtes, Hermes XLII 19, zeigte, bezeichnet dasEthnikon M^O-rivaloi die vollberechtigten Staatsbürger, das Ktetikon 34rTLy,ot die nichtbürger- lichen Klassen der attischen Bevölkerung, in der Elemente fremder oder unfreier Abkunft eine große Rolle spielten. Bemüht, aufdringlich sich auf die Intelligenz und Gediegenheit der altathenischen Bürger hinauszu- spielen, die der Verfasser der Städtebilder als ^eyaXöipvxoi und äTtXol xolg fQo/toig gerühmt hat, sind die meisten Oropier doch nur XQaxElg iv valg ouüiaLg, echte Boioter.

IV.

Der Friedensvertrag, der zmschen König Prusias und den Byzantiern im Jahre 220 v. Chr. geschlossen wurde, enthielt nach Polybios IV 52, 4 ff. unter anderen Bestimmungen die folgende:

drtodovvaL de IlQOvalav BuZavvioig zag re xdi^ag xal (pqovqia y.al Tovg Xaovg -Kai TtoXeuLzh acojiiara /Cfi^tg XvtQcov^ ^QÖg de rovroig TzXiua xa '/MV ccQxag XrifpO-evia zov TcoXejuov xal rtt ßsh] /.ara- h](fi>tvTa SV Toig SQVjiiaGiv^ S/^iolcog de y.al xa ^vXa xal xr)p liO-iav jtal xbv xsQauov xbv i/, xov 'Ieqov ;fo>o/of.

Wie B. Niese in seiner Geschichte der griechischen und make- donischen Staaten II 387 schreibt, sollten demnach „alle Gefangenen i)hne Lösegeld" zurückgegeben werden; über die Bedeutung von xovg Xaovg hat er sich nicht geäußert. Dagegen hat W. Dittenberger zur Inschrift aus Rosette OGI 90 p. 149 n. 48 Letronnes Bemerkung wiederholt, daß in dem Satze OTtwg b xe Xaög xal ol älXoL Ttdvxeg sv ecÜ^r^viai toaiv mit 6 Xaog „volgus Aegyptiorum" gemeint sei und der Plural ol Xaol in derselben Bedeutung auch in den Papyri und in der Poh^biosstelle begegne. Mit diesen Xaol ist in dem Vertrage augen- scheinlich die an die Scholle gefesselte leibeigene Bevölkerung des byzantinischen Gebietes gemeint, die also ebenso wie die thrakischen Mariandyner im Gebiete von Herakleia am Pontos für ihre griechischen Herren die Äcker bestellt und wie jene in Kriegszeiten vielleicht auch im

9*

132

Heere und auf der Flotte Verwendung gefunden hat. Die ßaaihxot Xaol, die in den Briefen Antiochos I an Meleagros, OGI 221 Z.46^ ferner in den Urkunden über den Verkauf von Domänen durch Antiochos Theos an Königin Laodike , OGI 225 Z. 4. 22. 34 und Th. Wiegand, Sechster vorläufiger Bericht über die Ausgrabungen in Milet und Didyma S. 35 ff., in dem Beschluß der Pergamener^ Inschriften von Pergamon I 249 (OGI 338) Z. 21, und bei Athen. XV 697 d erwähnt werden, sind neuerdings öfter besprochen worden (B. Haussoullier, Etu- des sur l'histoire de Milet et duDidymeion p. 105; J. Beloch, Gr. G. III 1, 310. 406; M. Rostowzew, Klio I 295). Ich finde aber in diesen Erörtungen den Vertrag der Byzantier und des Königs Prusias ebensowenig angeführt wie den Beschluß aus Zeleia, Ath. Mitt. IX 58 und GDI 5533 e, der einem Wohltäter der Stadt, Kleandros, dem Sohne des Parmenon, zu dem ihm überwiesenen Besitz auch lecbv avroL'Kov gibt: K/.EdvÖQcoL IJaQjue- vovTog evsQyhrii yevojuevioi (vgl. meine Beiträge S. 280) Tr^g uöXeißg dovvai i)liti'/,^Qiov daaeiTß, y.Xi]Qov iv rioi ^ceöicoL^ oixlrjv, yJjTtov^ xega^iov ä^cpoQecov exaTOv^ lecov avTor/.ov, ccTeleiav äyoQalcüv reXkov y,al TtQoeÖQiriv^ avTcoi y.al ly.yövoig, %al GTecpavov XQ^^^^^- Nach Gramer Anecd. I 265, beige- bracht von F. Bechtel, hat Hekataios den Herakles als lEihg des Eurystheus bezeichnet. yleCog avToi'Kog ist der Leibeigene samt dem Hause, vermutlich auf dem /.IriQog ev tiol Tceduot ansässig; ebenso gehen die Xaoi auf der Domäne bei Kyzikos 7cavoi'/.LOi obv Tolg ^vra^^otat*' avtöig Ttäaiv in den Besitz der Laodike über.

An 7roXe^ii-/.ä otü^iaxa nehme ich Anstoß. Ich glaube, TioXe^iAa acüf-iava kann weder die Combattanten,noch, wie etwa im Neugriechischen, militärische Corps bedeuten und erwarte den Nachweis, daß sich der Ausdruck in dem einen odei: dem anderen Sinne finde. Weder die Her- vorhebung der kriegerischen Eigenschaft, im Gegensatz zu elQrivrKÖg^ noch die der besonderen kriegerischen Eignung, gleich evTtöXe^og^ hat bei diesen gefangenen oihf-iaza Sinn. Sicherlich also ist, vermöge der Schreibung Tcolei%i'/,ä dem überlieferten 7voXeinr/.d besonders naheliegend,. Ta TtoXiTi'Aa oto^ara zu schreiben. Diese Bezeichnung für Personen bürgerlichen Standes ist der hellenistischen Sprache geläufig, vgl. z. B. IG XII 7, 386 (Dittenberger , Sylloge 225) Z. 25: {.ir^ös Siacpwvi^OEL ocdjiia jiiri&iv tzoIltlaÜv und früher in Z. 5 ff. älovaiov TtaQ^-evcov xe v.al ywar/Mv xal aXlcov GcojuaTcov Aal elev^sQcov y.al Sov/.cov, 16 aTroXvaat, rd T eler^s^a acüjnava /mI Tiva tcov i^elev^SQcov %al tcüv dov'Awv, IG II 968 Z. 54 €x TCOV 7to'jLltl/.c7)v^ und besonders Diodor XIX 106, 2: tiov /uev Ttohrixiov OTQaTuorcüv %tL Also hat Prusias den Byzantiern die gefangenen laol, die zu ihren yßQ^^ gehören, und die gefangenen Bürger ohne Lösegeld zurückgegeben, vgl. F. Bender, Beiträge zur Kenntnis des antiken

133

Völkerrechts, Bonn 1901, S. 23. Als ich. von^ Büttner- Wobsts Ausgabe auf die Hultschs zurückgrifF, sah ich, daß bereits Emperius, Opuscula p. 319 freilich ohne Begründung 7zoXiTiy.ä otüi.iaza vermutet hatte, außerdem an sich unwahrscheinlich Tohg dovXovg statt Tovg Aaovg-, mit Unrecht haben die Neueren die Verbesserung unberück- sichtigt gelassen. Auch daß Büttner- Wobst an der irrigen Schreibung ki^la statt li^ela festhielt, befremdet ; zu den von Edw. Mayser, Grammatik der griechischen Papyri S. 418 als Zeugnis für h^ela erwähnten In- schriften OGI 132 Z. 7, BGH XXVII 75 Z. 90 füge ich noch eine bisher übersehene Stelle: in dem Beschlüsse von Kyzikos für De- metrios, den Sohn des Oiniades, den F. W. Hasluck, Journ of hell. stud. XXIII 89, nach Lollings Abschrift, Ath. Mitt. IX 28 ff., mit Er- gänzungen und Erläuterungen herausgegeben hat, die sich mit den von mir einst für meine „Beiträge" vorbereiteten decken, ist in Z. 19 f. offenbar zu lesen: ävaTe^rivai öe ytal gttjItjv ['le]vxfi[g h-^-]elag ttqo rov yviivaoiov statt [/e]t'Xj)[i^ h^]eLav, weil es doch wohl äevkov oder tov XevKov /J^ov oder levKÖh^ov heißen würde und Lollings Abschrift denn auch ^TII^HN . . YKHZ . . E[A:2 bietet. Für die Entführung der ^vla und des '/.EQa(.iog mag jetzt an den Bericht des neuen Histo- rikers, Oxyr. Pap. V p. 175 col. XIII Z. 33 ff., erinnert werden: tyjv e^, T^^' ^üTi/.riQ 'AaTaöY.evrjv äve TiQÖaxcoQOL xatOLXovvreg aTtaaav {.ieveyMij.iöav (die Boioter) iog avvovg aTvö tlov ^vlwv ymI tov yieQu/nov rov rcov oIxlcov

aQ^df-lEVOL.

V.

In der sechsten Spalte des Index Stoicorum Herculanensis liest man von Zenon (H. v. Arnim, Stoicorum veterum fragmenta I p. 12, 32): . . . Toig ovyioig y.al Tobg 7j.eaaf.tovg Ttgäcog y.al TtQod-vtucog irpegev. Xach Comparetti steht im Papyrus: H E^ACMOYC: „vedesi la metä a destra di un II q prima di ^CMOYC un E". Bücheier schrieb fjXiaoiuovg und berief sich auf Diog, Laert. VII 1 : ExaiQe öe ovytoig xlcoQolg ymI filLO/Miaig. Aber mit Recht bemerkte H. v. Arnim, Sitzungsberichte der Wiener Akademie , phil. hist. Gl. GXLIII (1901), XIV 5, daß zu den fjhaoiLwl in diesem Sinne Ttgacog xal TtgoS-vi^cog ecpeQe nicht passe; „das Objekt muß etwas Unangenehmes bezeichnet haben, bei dem sonst die sanftmütige Geduld den Menschen im Stiche zu lassen pflegt". Er vermutet eHaOfxovg^ von „der im Altertum beliebten Art der Neckerei" zu verstehen, „die darin besteht, daß man den Geneckten mit irgend einem Gegenstand vergleicht". Ich glaube in demselben Sinne passender ein Wort allgemeinerer Bedeutung ergänzen und der Überlieferung ungleich näher kommen zu können: xohg [yX^eaofiovg. Die Schreibung [xl]eaGy.ovg statt xXevaafxovg zeigt

134

den in Inschriften und ^Papyri auch sonst bezeugten Schwund des zweiten Teiles des Diphthongs ev vor folgendem Vokal (s. Edw. Mayser, Grammatik der griechischen Papyri 114), und daß Comparetti den Rest des Anfangsbuchstabens des Wortes für die rechte Hälfte eines H nahm, wird sich daraus erklären, daß dieser Buchstabe in den Papyri nicht selten stark geschwungene Linien zeigt (F. G. Kenyon, The Palaeography of Greek Papyri p. 66).

Den Sinn der zweiten Spalte desselben Index (W. Crönert, Kolotes und Menedemos 30), hat H. v, Arnim a. a. 0. S. 2 treffend erkannt und für den ganzen Satz etwa folgenden Wortlaut vermutet: [zoig (.isv yaQ TtokXolg Toig ^cXovaiovg IvUne Soxelv evdai(.iovag eivaiy '/,aTadaLf.ioveGTä%ovg ovrag^ nad^aTieQ] 6 KaooavÖQerg M7toXl6do)QOQ , y,al Si'/mi(}v[q] VTtdqxEiVy. ddfKO)[T](XTOvg ov[Ta\g, y.a[0-d7T\tQ "AQTtaXog^ xcd cpi/.()[vg d-e]()(^iyg doeßeig V7cdQxov[tag üg 6] Mevicog atX. Statt (fiXo[vg v^]€o<<)g empfehle ich zur Prüfung am Originale (/f/[o^]6o<t')g. Comparetti hat Oü^lraiQJog ge- lesen, im Glauben, es folge '.AqTtakog durch Aal angereiht ein zweiter Name; es müßte also der von Comparetti als e gelesene Buchstabe vor der Lücke, auch nach H.V.Arnims Vorschlag, o sein und zwischen o und g ein v eingeschoben werden.

VI.

Eine Stelle der Liebesgeschichte von Metiochos und Parthenope (Reitzenstein , Hellenistische Wundererzählungen 167) lautet nach der Lesung von W. Krebs und den Zusätzen von G. Kaibel

und C.Robert, Hermes XXX 146 und 150:

[xal

(paoi\v (.ilv Toig tiov eQiovxwv xpvyalg eyyiyveo\d-aL

25 . . . . ] EQhv Ttveifia . vq oiov ^ r^v . . lod- [ol

TtEiqav] i]Srj toi; TtdO^ovg e}Xricp6T[eg\ . . . q . . . h/to [//fV yäq ov^mo fxrfie TceiQad^elriv tog .... [dArjO-](üg ös e- Qwg eGr]iv y.ivriJLta diavoiag V7t\h ^;QV(p7lg^^ yiyv6/iie[vov TiQcüTOv] zal VTTO owrid^ELag av^öf-ievov. Dazu gab U. Wilcken , Archiv für Papyrusforschung I 265, folgenden Nachtrag: „Z. 25 scheint hinter Trvev/iia zu stehen xal olov ^o . . tj . o. Bleibt mir unverständlich. Dagegen glaube ich das Folgende sicher erkannt zu haben:

'Y'Gd-[<iüY

Ipav ol\ rjdri tov Ttd-^-ovg eilTjcpoTeg nelqav. ^Eyco [S^ eTca]- [d-QV ? ov]7tco fiTjös TtELQad-eiriv zog .... ot. "Egcog [ydQ sGTi]v '/,Elvrif.ia diavoiag vtvo [7t\dd-(wg yivö[xEv\ov y.x'k. Hinter 'Egcog in Z. 27 braucht nichts zu fehlen."

135

Ich glaube, wie ich U. Wilcken bereits im September 1901 brief- lich mitteilte, lesen zu sollen:

[xal

(paGiv] uiv Tolg tcov eqojvtcov xpvyalg 8yyLyve\oO-aL 25 ffhiy^EQhv Tvveiua [^]vQ olov ü^eQuovriTa ' l'o&^ [v-

uelg] i]dri rov Tcd&ovg eikrifforeg JteiQav . J/w [d* e)jx-

ßov ov]7tco f.irjöe TteiQad^elriv rb [stz^ eu]oL

Als ich wenig später in Berlin Gelegenheit hatte, von Herrn Dr. W. Schubart, der übrigens ein zweites Bruchstück der Liebes- geschichte in dem Papyrus 9588 der Berliner Sammlung erkannt hat, freundlichst unterstützt, das Original einzusehen, haben sich diese Vermutungen lediglich bestätigt. In iyylyvea&ac ist das zum Schluß erhaltene e hoch gestellt und die Endung findet nur in gedrängter Schreibung oder mit einem Schnörkel abgetan Raum. Daß die Spuren nach [^]vQ auf d^eQuözr^Ta führen, hatten schon Kaibel und Bobert erkannt. Mit to erc iuol vereinigen sich die kenntlichen Beste vortrefflich. Zum Schlüsse sei bemerkt, daß mir in Z. 20 ff.

el'rj di^ av ycdxelvo rtavveXiog äTci^\avov^ sYttsq

ßQ6^]()g eJTiv 6 ^'Eotog^ TteoivoGTelv au[Tbv ^6vo]v tc[£qI tijv

ol7iov]u6vriv

statt 7t[£Ql Tijv oi-Kovlfievriv erforderUch scheint 7c[äoav Trjv oixov^e]vriv.

vn.

In Plaut US Captivi sagt der Parasit 85 ff.:

prolatis rebus parasiti venatici sumus: quando res redierunt, molossici odiosicique et multum incommodestici.

Ist schon bemerkt, daß der Vergleich des prolatis rebus hungernden Parasiten mit dem Jagdhund, des Parasiten quando res redierunt mit dem Molotter an den Ausspruch des Kynikers Diogenes anknüpft, den Diog. Laert. VI 55 und der Papyrus Rainer, von K. Wessely in der Festschrift für Th. Gomperz 67 ff. herausgegeben (AV. Crönert, Archiv für Papyrusforschung II 369 ff.), überliefern? Nach Diogenes lautet das Apophthegma: iocoriri^^eig^ TtoraTtög eiri xicov^ ecprj^ Tteivcov Liev Mehralog^ /o^ra(j;9-€tg Ss MoXoTTixog; in erweiterter, drei Fälle berücksichtigender Gestalt teilt es die Spruchsammlung des Papyrus mit:

iocüTtovrcov de tlvcov avibv

Tig eiri^ iyto xvcov. dXÄä TzodaTtög,

136

eiTcav. sycf), t(fri^ säu jusv Tzeivco, DlaQüJVi'/j'jg' oiav Ss /u}j^ 31iieli- ToioQ ' llvav de euTtkuja^tOj BIo- 'loTVi'/,()g.

Wie W. Crönert ausführt, ist „der leicht verständliche Gedanke : Wenn mich hungert, dann bin ich so lieb wie ein Schoßhündchen, mit vollem Magen aber bin ich ein grimmiger Molotterhund, hier ganz verändert; es sind drei Stufen unterschieden, indem zwischen die TtEivrj und die TtXrfif-wvr) noch eine mittlere tritt," und der hungernde Kyniker sich mit dem MaQMvr/A)si^)^ der ohne Hunger mit dem 34f.iehTaiog (^) , der gesättigte mit dem MokoTTixög vergleicht. Über den IlIaQovLxög hat sich Wessely nicht geäußert; dagegen hat W. Crönert, wie sich nun zeigt, mit Recht vermutet, daß statt 31aQCüny,ög, da maronische Hunde nicht bekannt sind, y/axcuvLXog zu lesen sei; denn der lakonische Hund ist, wie 0. Keller in seiner Abhandlung über Hunderassen im Altertum, Jahreshefte VIII 251, ausführt, als Jagd- hund berühmt; „man kann sagen, er ist der Jagdhund '/mt e^oxtjv vom König Lykurgos an bis in die späteste römische Kaiserzeit". Es leuchtet ein, wie sehr der Vergleich mit dem lakonischen Hund für den hungrigen Philosophen paßt, und bei Plautus vergleicht der hungernde Parasit sich denn geradezu mit dem venaticus. Den ZiueliTalog wollte Wessely, sehr gesucht, durch ein „schwer wiederzugebendes Wortspiel" erklären: „wenn mich der Hunger nicht treibt, bin ich ein Hündchen aus Sanssouci". Ich kann, wie Crönert, ^ueXivalog nur für einen Fehler des Schreibers statt Mehvalog halten.

Die griechischen Handschriften des Prinzen Eu^en von Savoven.

Von WILHELM WEINBERGER.

Außer den von Lambeck und (1690) von Nessel (dem Urheber der jetzigen Aufstellung) katalogisierten griechischen Handschriften besitzt die Wiener Hofbibliothek ein Supplementum graecum, das 120 Xummern umfaßt und mit wenigen Ausnahmen bei Kollar i) be- schrieben ist. Es sind Stücke mit den Ex-libris des Bischofs Fabri"^) und des Grafen Windhag 2) darunter, ferner Hss., die unter Karl YI. von neapolitanischen Klöstern 3) und von dem Venezianer Apo- stolo Zeno^), aus der Bibl. Hohendorfiana (im Jahre 1720) und gegen eine Leibrente von der Erbin des Prinzen Eugen, der Prinzessin Anna Viktoria von Savoyen, erworben wurden.

Die beiden zuletzt genannten Sammlungen sind berücksichtigt in dem handschriftlichen Index contentoi'um in Manuscriptis Codicibus ex Bihliotheca Principis Eugenii et Baronis Hohendorfii, auf den mich Herr Dr. Bick freundlichst aufmerksam gemacht hat. Der Index enthält zwar nur wenige von den griechischen Eugeniani, offenbar weil der Inhalt der meisten damals noch nicht erkannt war, hilft aber doch beim Nachweis der Zugehörigkeit zur Bibliotheca Eugeniana und bei der Berichtigung einiger Irrtümer, die in Kopitars gleichfalls hand- schriftlicher Konkordanz der Bibl. Eugeniana mit den gegenwärtigen Nummern unterlaufen sind.

*) A. F. Kollarii ad P. Lambecii Commentariomm de aug. bibl. Caes. Vind. libros VIII Supplementorum liber primus posthumus. Wien 1790. (Die 1. Aufl. der Commentarii erschien 1655—1679, die 2. von Kollar besorgte 1766-1782).

^) Vgl. meine Beiträge zur Handschriftenkunde. I. (Wiener Sitzungsber. CLIX, VI) S. 33, 62 A. 1, 67 A. 1, 69.

") Vgl. F. Mencik, Die Neapolitaner Hss. der Hofbibl., Mitteil. d. österr. Vereins f. Bibl. VIII, 183, 170. IX, 31.

138

14 Hss. tragen auf der Innenseite des Yorderdeckels und mit wenigen Ausnahmen i) auch auf einem an den Rücken geklebten weißen Zettel die charakteristische Bezeichnung MS N^ I (usw.). Mit Nr. 1 5 bezeichne ich eine Hs. , die auf dem Rücken einen unbeschriebenen weißen Zettel und auf der Innenseite des Deckels den Vermerk auf- weist: Codex hie extra 'numermn exhibet Phüosophiam hodiernam inter Graecos. Bei Nr. 1 6—1 8 spricht die Konkordanz , bei 1 8 überdies der Index für die Zugehörigkeit zur Eugeniana.

Die folgende Tabelle gibt Aufschluß über die verschiedenen Signa- turen der Codices; in der 2. Kolumne stehen die von Kopitar zugrunde gelegten, den Eugeniani anscheinend bei der Übernahme durch die^of- bibl. gegebenen Nummern '^) mit der Unterscheidung f(olio) und q(uarto). ^)

Eugen.

Auctarium II

Forlosia

Kollar

Geo-enwärt.

Signatur :

Suppl. graec.

I II

ni

IV

V

VI

VII

VIII

IX

X

XI

XII

XIII

XIV

15

16

17

18

lG5f.*)

166 f.

167 f.

63 q.

64 q.

65 q. ^)

66 q.

67 q^)

68 q.

69 q.

70 q.

71 q.

72 q.

- ')

73 q.

171 f. ^)

172 f. Iq.

IV

V XI IX XVI VII XIII VIII XII XV XVII

XIV

II III

VI

2

34 37

7 (aus 6) 22

12 (aus 10) 21

26 40 55 54 25

-')

53

10

11

15

29 46 70 71 31

34 125 68 40 61 53 36 43 62 30 32

2 31 29 85 80 70 72 79 87 90 86 82 89 100 78 34 22 52

*) Bei IV, einem fehr dünnen Bande, sieht man noch Spuren des aufgeklebten Zettels, tei X ist der Einbandrücken nicht erhalten.

'^) Spuren einer anderen Bezeichnung finden sich bei IV (H 83 : 38 al. 39), VI (H 90 ; 57 al. 58), VIII (EH 121: 42 al. 43), XIII (H 194; 22 al. 23 4«).

^) Beim Oktavformat sind die 'gegenwärtigen Signaturen von Kopitar nicht beige- setzt worden.

^) Daß Kopitar in der KoUar-Nummer irrte (39 statt 29) und so zu 165 f. 96 K(ollar) 39 setzte, wird durch den Index erwiesen.

^) Kopitar Aviederholte infolge eines nicht seltenen Versehens die eugenianischen Nummern 65 und 67; da uns der Index im Stiche läßt, bleibt es zweifelhaft, ob nicht 65

1B9

Nr. 18^ die einzige Pergamentliandschrift, wird von Kollar ins 13.^ von Gregory (Novum Testamentum graece reo. Tischendorf. Editio octava critica maior. III [1894] 458; vgl. H. von Soden, Die Schriften des Neuen Testaments. Berlin 1902 [d 253]) richtiger ins 12. Jahrh. gesetzt. Nach den bei Kollar abgedruckten Eintragungen war sie, als sie von Erasmus von Rotterdam benützt wurde, im Besitze des Klosters Corsendonck, das sie von Radulf oder Roland de Rivo aus Breda erhalten hatte. Im Jahre 1666 wurde sie bei der Verstei- gerung des Nachlasses des Finanzkommissärs van denWouwere von Frater Martinus Harney O.'P. erworben; auf der Innenseite des Deckels trägt sie den Vermerk: Bibliothecae Conventus Bruxel- lensis FF. Praedicatorum. Schwarzer Lederband; auf dem Rücken : K0VU3I TESTAM. GRAEC. MS.

Dieser Kodex ist also aus Belgien in den Besitz des Prinzen Eugen gelangt (der von 1716 1724 Greneralgouverneur der Nieder- lande war); die übrigen 17 Hss. stammen aus der Walachei. Es sind junge Papierhandschriften meist vulgärgriechischer Texte, i)

mit YIII und 67 mit VI zu identifizieren sei. Sowohl die gej^enwärtigen als die Kollar- Nummern 65 und 67 (jetzt 12 und 40) sind auch durch anderweitige Provenienz (Jesuiten- bibl.; Brassican, Windhag; Apostolo Zeno ; Hohendorf) ausgeschlossen.

Die Eintragungen in 65 (Kollar 33) f. 114 : Jo Giovanne S^^ maura Ci/prioto fo fede havere copiato ü p(rese)nte libro claW originale di Hieremia Patriarcha Constanti- nopolitano et sconirato diligentem(enle). In Borna ä di 2 de luglio 1583. Jo Giovanni santatnaura ho scritto e sottoscriito da mia propria mano. Nos Bibliothecae vaticanae Custodes fidcm facimus exemplar huius libri asservari in eadem Bibliotheca ad cuius rei ßdem nostra manu subscripsimus Bomae die 2a Jtdij 1583. Ego Federicus Banaldus Vaticanae BibJ. Custos. Ego Mariniis Banaldus eiusdem Bibliothecae Custos ergeben eine Berichtigung zu H. Omont, Le demier des copistes grecs en Italic Jean de Sainte Maure, Revue et. gr. I (1880) 177, der angibt, Johannes von Santamaura sei von 1585—1612 ständig in Rom gewesen.

^) Im Index steht fälschlich 170 f.

') In der Hs. ist vermerkt : Nullius pretii codex docto Forlosiae judicio scilicet und Forlosiae non recensitus.

(Die Anmerkungen 6 und 7 gehören zur vorigen Seite.)

^) I. Theophylakts Evangelien-Kommentar von loannes ComnenusMedicus im Auftrage Brankovans ins Vulgärgriech. übersetzt und diesem 1702 gemdmet. 11. Matthaios Blastares von Kunalis Kritopulos übersetzt (vgl. Krumbacher, Müllers Handbuch IX 2 S. 607; 1632). Hl, Platin ae Yitae summorum pontificum von Hieremias Kakabelas aus Kreta aus dem Lat. ins Vulgärgriech. übersetzt (17. Jahrh.). IV, Äthan asios von An- tiochien, Geschichte des Patriarchats von Antiochien (bis 1702) in vulgärgriech. Sprache, Brankovan gewidmet. V. Im 15. Jahrh. gefertigte Abschrift von 16: Johannes Kan ta- kuzen os' Schrift gegen die Mohammedaner (aus dem Jahre 1380) ; bei Krumbacher 106, 1 Avird nur 17: die vulgärgriech., Mai 1700 geschriebene Übersetzung des Meletios Zyrigos (öl iTiixayfjg xov ixXaf^nQoxdxov xai ■&eoa€ßeaTdxov avd-evxov ndarjg MGlöoßXaxiag hvqCov 'loiävvov Baaileiov ßoeßövöa] Anfang des 17. Jahrh.) erwähnt. VI, (bei Kollar nicht be-

140

Die Hss. TU, IX, XII, XIII und 17 haben auf der 1. Seite den Vermerk £Z tcov tov Kiovözaviivov Kavvai^ov'C.rivov, meines Erachtens nicht von derselben Hand (in XII wurde die verblaßte Eintragung mit dunklerer Tinte erneuert); sie waren also im Besitze des Truch- sessen (avolvr/.og) Konstantin Kantakuzen, der 1688 seinen älteren Bruder Serban II., Fürsten der Walachei, im Verein mit dem Sohne seiner Schwester Helene, Konstantin Bassarabas Brankovan, vergiftet zu haben scheint und selbst 1716 mit seinem Sohn Stephan, der seit 1712 Brankovans Nachfolger in der Fürstenwürde war, enthauptet wurde. 0

schrieben). Vulgärgriechische Übersetzung von Isokrates (ad Demonicum , ad Nicoclem, Nicocles seu Cyprii) mit Kommentar (91 Folia, 2\OXlQ0mm, Ende des 17. Jahrb., f. 10 Bild eines Schreibers). VII. Georgius Coressius, in apocal^'psim usw., 17. /18. Jahrb. Vi II. Joannes Comnenus Medicus, Leben des Joannes Kantakuzenos (im April 1G99 Konstantin Kantakuzen gewidmet) und die auf Befehl Brankovans im April 1698 (iv Tgiyo- ßvaicp) verfaßte vulgärgriech. Übersetzung des von Stanislaus Reinhard Axtelmeier (Augs- burg 1698) in deutscher Sprache herausgegebenen Moscoviticum prognosticum (f. 17) sind wahr- scheinlich (im Mai 1699) von der gleichen Hand geschrieben worden, von der auch der vul- gärgriech. (f. 113 beginnende) Dialog zwischen Rom und Tiber herrühren kann. Kollar hält diesen Dialog, in dem auch Christine von Schweden auftritt, für eine Übersetzung aus dem Italienischen. IX. A'ulgärgriech. Brankovan im Jahre 1700 gewidmete Übersetzung des Fürstenspiegels (Krumbacher 456) von Sebastos Trapezuntios Kyminites. X wird unten besprochen werden. XI, Kommentar zu Aristoteles de anima, nach Kollar wahrscheinlich von Caesar Cremoninus verfaßt und von Theophilos Korydalleus ins Griechische übersetzt (17. Jahrb.); die Hs. wird im Ann. de l'assoc. p. l'encour. d. et. gr. XV, 192 nicht erwähnt. XII besteht aus 2 Codices: a) Nixoläov Kegafieiog sxboaig avvTO(.iog tov d-eo)Qritixov fisQovg Tfjg iaxQixiig (1680) ; b) Zvvor^ng elaaycoyixcotsQa elg yeoiyQa(piav oi'yygacpeTaa dbiö (poivfjg tov aocpoitdxov xai Xoyioiräxov xvqiov Qeocp IXov tov KoQvöaXXecog. XIII. Schriften des [Euthymios Zygabenos], [Gennadios Scholarios], Thalassios, Hesychios Presbyteros, Diadochos, Niketas Steth atos, Elias (1646?). XIV. Hermologium (17. Jahrb.). 15. Theophilos Korydalleus (Caesar Cremoninus?), Kommentar zu Aristoteles negl (pvatxijg dxQodoEOig (1683). 'Avöocviy.ov TieQinazrjTixov negi Trd&cvg. 16 u. 17 s. V. Von Schreibern nennen sich : Alexander von Trikka (XII a), Gregor (olxovöf,iog ryg äyiwrdtrjg dQxtsmaxoTifjg Uoiycoiavfjg (II), Michael Byzantius (VIII f. llOv und 17), Stephanos von Chios (XIV); vgl. XIII f. 15 v (mit roter Tinte): MAPKOi:: ZOrPA^ÜS: ES APMENHON: 1646 (die Hs. macht einen älteren Eindruck).

*) Vgl. A. M. Del Chiaro, Istoria delle moderne rivoluzioni della Valachia. Florenz 1718 (nach S. 192 Tafel mit Brankovans Wappen), Demetrii Procopii i7iaQi{>^ir}aig TOtv . . XoyioivrQaix&v{Qon?:m^i^ menseJunio a.lVIDCCXX transmissaque Bucuresti in J. A. Fa- bricius, Bibl. Graeca XI (Hamburg 1808) 533 (Hamburg 1722, 784; Kantakuzen war des Griech., Lat. und des Italienischen mächtig), Demetrius Cantimir, Hist. de l'empire Othoman . . . traduite en Fran^'ais par M. de Joncquieres. Paris 1743, Demetrie Kantemir, Gesch. d. osmanischen Reiches, aus dem Engl, übersetzt, Hamburg 1745, Michel de Kogalnitchan, Hist. de la Dacie, des Valaques transdanubiens et de la Valachie. Berlin 1834 (S. 331, 352, 369), Michauds Biographie universelle, endlich, Avorauf mich Herr Skriptor Dr. H. Jarnik von der Landesbibliothek in Brunn aufmerksam machte, Enciclopedia Rom an a, hgg. von C. Diaconovich I (Hermannstadt 1898) 565, 700.

141

XIII muß Konstantin Kantakuzen von seinem Vater, dem gleichnamigen 1663 verstorbenen Ho fmarschall.fTroffreA^'izo^^, ererbt haben. Ob Pana- giotes, der diese Hs. dem Hofmarschall zum Geschenke machte, mit dem Panagiotes identisch ist, für den YIII im Jahre 1699 geschrieben Avurde, kann ich nicht entscheiden;!) jedenfalls haben YIII und 17 den gleichen Einband (rotbrauner Lederband mit radförmigem Silber- ornament in der Mitte bei YIII nur des Yorderdeckels) und rühren von demselben Schreiber her.

I^ lY^) und Y^) waren im Besitze Brankovans. Nr. 15 gehörte seinem Sohne Stephan *), der mit ihm 1712 in Konstantinopel enthauptet A\nirde. Xun haben I, lY und die Kantakuzen-Hss. YII, IX^ ferner III, XI und XIY^) ähnliche Einbände^), für die Mittelbilder aus

^) Auf dem 2. Vorsteckblatt von XIII steht : Tco jTSQKpaveaTdto^ xal evyeveaxdzco UQ'/iovTi (so) kvqLm KoiVOTavTLvo) TCO Kavza>iov^r)v(p reo ^leyäXq) noaTeXvlxoi /.ivt] f.io(rvvov XccQiv öoiQeXiat t6 jiaQov navayubrrjg, in VIII auf f. 110"' iyQacprj zo naQov dia xsiQog Mi/ar]X zov BvCavziov öiä XQV^'^^ ^^^ zif^iicozaTov xal loyicozäzov aQXOvzog f^ieydXov xafiuQag zfjg aMevzixijg wxvag (supremi salinarum ad principem pertinentium praefecti) üavaytdizov, iv ezsi a{oizr])Qiq) axc^v ftaico fit]vi iv BovKOVQeazicp.

'^) Zu beiden Seiten des (bei KoUar genau beschriebenen) Wappens (Rabe mit einem Kreuz im Schnabel; s. oben S. 140 A. 1) stehen die Buchstaben IBEAn\KBeHO, die Anfangsbuchstaben des Titels 'Io)ävvr]g KoivozavzTvog BaaaaQaßag BoeßövSag 'Elsco Oeov AvS-svzTjg xal '^Hysfiwv Ildarjg Oi)yyQoß).axiag.

") Auf dem 1. Vorsetzblatt: -\-7iQ6g zov vxprjXozazov xal ivSo^cozazov aQyov (so) ^eya (so) Xoyoß^szYjv zijg XaiATiQOzdztjg avd-evzeiag (so) syxQwßXaxCag (so) yiVQiov xv xcovazavz'^vov (so) idioQrj&eL zo TiaQov ßißXlov naQO. Z7\g ^ja^mv zansLvözrjzog. L aynrj (peßQOvaQto) xC -f 6 TiQCorjv A QvozQag rsvvdöiog (?; auf f. 1 ist nach den Worten ix ziLv zov infolge einer Korrektur oder Tilgung ÄQvazQag Fewaötov noch fraglicher). Brankovan war Groß- Logothet, als er 1688 zur Fürsten würde erhoben wurde.

^) F. 1 oben: Kai zöde TCQog xoXg aXXotg Qeoöcoqov zov ix TQajie^ovvzog^ im unteren Teile der Seite ZAvischen dem Texte und dann am Eande: ix ziov Zzecpdvov MuQ'xyxo ßdvov xal zoöe TiQog zoTg äXXoig icovrjf^ievov ^lexa zrjv davrjv zov ävodev (so) öeojiözov.

^) Scheint nach f. 65'' im Jahre 1691 dem Vladulas Grammaticus gehört zu haben.

^) I und III haben in der Mitte des Schlußdeckels Christus mit den Aposteln, in der des Vorderdeckels Christus am Kreuz [I(r]aovgJ N(aCaQt]v6g) B(aaiXevg) 7(ovöauov)], darunter Maria und Johannes (l überdies beiderseits in den vier Ecken die Evangelisten mit den Beischriften: Z lüAN, 2 MATSEH (so), Z MAPRO, 2 AuKA ; die Bilder der Evangelisten stehen auch in der Hs. am Beginn jedes Evangeliums). Bei YII stehen unter dem Kreuz beiderseits je zwei Gestalten mit den Beischriften M(rizr])P OfeoJY und lüAN (über dem Kreuz INBI nnd eine Zeile tiefer Ifr}oov)C X(Qiaz6jC; in der Mitte des Rückdeckels befindet sich ein Bild der Madonna. Ein solches ist auch dem Vorderdeckel von IT eingepreßt (MP &Y, IC XC; ein ähnliches Mittelstück bei K. Westendorp, Die künstlerischen Bucheinbände der Metzer Bibl. vom 14. bis zum 18. Jahrb., Jahrbuch d. Ges. f. lothring. Gesch. XIX [1907] 425 mit A. 3): der Rückdeckel zeigt ein Bild David.s

142 .

dem Kreise der biblischen Ikongroaphie M charakteristisch sind. Die wechselnden Beziehungen Kantakuzens zu Brankovan, dessen Spieß- geselle und Nebenbuhler, Minister und Gegner er nacheinander ge- wesen ist, bieten verschiedene Möglichkeiten der Erklärung, aber eben deshalb läßt sich keine besonders wahrscheinlich machen. Wenn KoUar zu IX bemerkt: pertinuit primo ad Brancovanum j deinde ad Constan- tinum Cantacuzenum , so hat er sich anscheinend von der Widmung bestimmen lassen, die sich aber eher auf das Werk als auf das Exem- plar bezieht. Ähnlich steht es mit Kollars auf dem 2. Teil von XII beruhender Hypothese, sämtliche 17 Hss. seien von Nikolaus Mauro- kordato an den Prinzen Eugen gelangt; übrigens starb Alexander Maurokordato , dem die Widmung gilt, vor Kantakuzen (1709) und Hss. konnten von ihm an Brankovan (mit dessen Tochter Ilinka einer seiner Söhne vermählt war) oder Kantakuzen gelangen. Die Möglichkeit, daß sowohl Brankovans als auch Kantakuzens Hss. in der fürstlichen Bibl. blieben und erst nach beider Tode einzelne neu gebunden wurden, ist nicht abzuweisen; auch die Eintragung in II ^j läßt daran denken, daß dieser Kodex an Serban 11. und von diesem entweder an seinen Bruder Konstantin oder an seinen Nachfolger in der Fürstenwürde, Brankovan, kam. 1716 wurde aber Nikolaus Maurokordato Fürst der Walachei. Hss. seiner Bibl. sind auch in Oxford und Paris zu finden. ^) Überdies wurde Maurokordato am 25. November 1716 von einem

(IIPÖAABIA). IX hat ein Christusbild (IC XC) vorne in Gold, auf dem Schlußdeckel in Silber, XI vorne eine an einem Altar kniende Figur, darüber einen aus Wolken segnenden Christus, XIV ein silbernes Kruzifix. Unter den Verzierungen des roten Lederbandes von VI ist in der Mitte beiderseits ein kleines Kreuz zu sehen. IVIit Ausnahme von X (dunkler Papiereinband) haben alle Hss. dunklen Lederband meist mit farbigem Schnitt (I hat grünen Schnitt mit goldenen Rosetten, III Goldschnitt mit Girlanden, V Goldschnitt, XI roten Schnitt mit goldenen Rosetten [zum Einbände wurde ein wallachischer Druck A^erwendet: auf der Innenseite der Deckel von 16 ist ein überklebter griechischer Druck, anscheinend des 16. Jahrh. zu bemerken]). XIII weist einen orientalischen (portefeuille artigen) Lederband auf. Die Einbände von VIII und 17 sind oben besprochen worden.

^) Vgl. auch Nr. 483, 484, 487, 506 des Katalogs der Ausstellung von Einbänden der k. k, Hofbibl. in Wien.

^) Auf der letzten Seite (vgl. Kollar): iyeiQOTOvrjd^^v iyco ö Ila^d-sviog 'ÄÖQiavov- 7ioXhr]g 6 XQvaoxevrrjrrjg (so) UQ/jeQevg Scort] QiovTiöXsfog . . . Sca avvÖQOftrjg xai dvri- Xrnpeoig tov navevyeveaiärov xal yQ7]aiuoiTäTOV äoxovrog xvqlov xvq SeQßävov Kavxay.ov- ^tjvov xal fxeydXov TiQtoxooTiad-iov Tfjg aii^svTslag OvyxQoß)Mxiag (im Jahre 1670). 'Ex Tcbv TOV 2 oiTi] QLOvTiöXeoig UaQ'd'evlov tov xQvaoxevTijTOV steht f. 1 und f. 201.

2) G. W. Kitchin, Cat. cod. mss. qui in bibl. Aedis Christi (Christ Church) adservantur, Oxford 1867: 26. Evang. 12. Jahrh. J5r Dona Maiiri Cordati Princijns Hungaro-Walachiae A. D. 1726. H. Omont, Missions archeol. fran^aises en Orient. Collection de documents inedits sur l'hist. de France 1. Ser. LXX (1902) 385, 683. (Die Hss. haben nach freund- lichen Mitteilungen von Poole und Omont nicht den oben charakterisierten Einband.)

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Untergebenen Eugens, dem Grenzkapitän Dettin, gefangen genommen vind samt seiner Familie nach Hermannstadt gebracht; die Auswechs- lung erfolgte im Frieden von Passaro witz (1718). i)

Daß die 17 Hss., mit denen wir uns beschäftigen, über Hermann- stadt gegangen seien, ist mir auch wegen X nicht unwahrscheinlich. Auf dem 1. Yorsteckblatt dieser Hs. steht (außer MS Xl! X): Magni Gregorü DecapoUtae Histona Vitae et Miraculorum. Item Officium in ejusdem Festo in Ecclesiis Graeco -Valachicis celehrari consuettim. Vixit ante mille annos. Corpus aiitem integrum et nunc ostenditur in Templo Monasterii Valachiae Ois-Älutanae de Bißtricza. Die Hs. beginnt mit dem vom Metropoliten Matthias von Myra verfaßten und zu Beginn des 17. Jahrh. geschriebenen Officium. Daran schließt sich ein Bericht des Matthias über die Abfassung dieses Werkes, wobei er auch er- wähnt, daß er seine Diözese verlassen und in der Walachei bei Serban (I. mit dem Beinamen Radula) freundliche Aufnahme gefunden habe. Mit f. 29 (Yitaf) beginnt ein anderer vielleicht etwas älterer Kodex. Die Eintragung, von der wir ausgegangen sind, rührt meines Erachtens von derselben Hand her, wie die im Yind. lat. 224: Codex hicce Ms. Catulli Tihnlli et Propertii . . Carmlna . . continens inssu Matthiae Corvini Regis Hungariae descriptus e Bibliotheca eiusdem Budens'i tempore Ex-Regis Jo- hannis de Zapolya in Transilvaniam delatus e Suppellectili subhastata Prin- cipis Michaelis Apafi [fl713 in Wien] Bihliothecae Serenissimi Ducis Eugenii de Sabaudia demisse adscriptus a Samuele Köleseri de Keres- Eer Consil. Guber. Transilv.; sie nimmt ja auch auf Siebenbürgen Bezug. Daß die Xumerierung (MS Xo. I usw.) von derselben Hand herrührt, halte ich nicht für unwahrscheinlich, wenn sich dies auch bei einer, ich möchte sagen, stilisierten Eintragung schwer entscheiden läßt.

Man könnte dann daran denken , daß Köleseri (der am 24. De- zember 1732 zu Hermannstadt starb, 2 Jahre nach Xikolaus Mauro- kordato, 4 Jahre vor dem Prinzen Eugen; s. J. Szinnyei, Magyar Irok VII Budapest 1900 .28f) nicht mehr dazu gekommen sei, die Hss. 15 17 mit Nummern zu versehen (daß 16 und 17 auf anderem Wege in Eugens Besitz gekommen seien, ist wohl nicht anzunehmen).

Vielleicht können die hier gesammelten Anhaltspunkte bei der Untersuchung über die Bibl. Eugeniana verwertet werden, die erst vor

^) A. Arneth, Prinz Eugen von Savoyen, II (AVien 1858) 411, 453.

2) Das Initium ist das gleiche ^vie bei der in den Paris, gr. 501, (1525, 1549) dem Ignatios zugeschriebenen. Daß auch die in dem mir unzugänglichen Werke von Theo- philos Joannu, M^rj/neia dyioXoyiy.ä, Venedig 1884, S. 129 (vgl. Krumbacher, S. 73, 6) veröffentlichte Vita mit denselben Worten beginnt, ergibt sich aus der Bibl. Hagiographica Graeca.

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Kurzem Boinet i) , als er zwei lateinisclie Eugeniani (2605 ii. 2624) besprach, die aus der Pariser Bibliothek Sainte-Genevieve stammen, mit Recht als wünschenswert bezeichnet hat.

Ob nun Eugen selbst auf die Erwerbung der griechischen Codices bedacht war oder ihm diese von Köleseri, Maurokordato oder einer wenigstens bisher nicht bekannten Person verehrt wurden, jedenfalls lassen sie bei Österreichs ruhmgekröntem Feldherrn Interesse nicht nur für lateinische und französische, sondern auch für griechische Hss. voraussetzen, ein achtungsvoller Gruß aus vergangenen Zeiten für die Philologen , die nun schon zum dritten Male ihre regelmäßig wieder- kehrenden Versammlungen in einer österreichischen Stadt abhalten.

') Revue des bibliotheques XVIII (1908) 142.

Textkritisches zu Terenz.

Von ROBERT KAUER.

Die Überlieferung des Terenz wird für vortrefflich gegenüber der des Plautus gehalten; im allgemeinen mit Recht, aber der Kenner weiß, daß es auch hier noch ungelöste Fragen gibt, die nicht so leicht zu beantworten sind, sie sind auch bis jetzt ungelöst. Denn wir wissen zwar, daß dem Bembinus die sogenannte Calliopius-Rezension gegen- übersteht, aber wir wissen nichts Bestimmtes über diesen Calliopius, weder was seine Zeit denn Joviales gibt nur ungefähr die spätere Grenze noch was seine Berechtigung als Veranstalter einer Rezen- sion betriflPt. Ob er metrisches Verständnis besaß, wie es nach Sydows und Schindlers Arbeiten als feststehend angenommen wurde, ist mit guten Gründen von Ramain in Frage gezogen worden ; von den Beispielen, die Sydow hiefür aufgezählt hat, bleibt nur eines zu Recht bestehen. Alle diese Arbeiten leiden aber darunter, daß sie nur ein eklektisches Verfahren einschlugen oder sich auf einen kleinen Teil der Komödien unseres Dichters beschränkten. Aber eine noch viel wichtigere Frage ist noch ungelöst: die unzweifelhafte Scheidung innerhalb der Callio- pius-Rezension 1) in eine y- und d- Klasse führte von selbst zum Aufwerfen der Prioritätsfrage. Da es hiebei nur eine Wahl zwischen zwei Ansichten gab, stehen sich auch natürlich noch beide Ansichten unversöhnlich gegenüber. Die Frage wird aber noch komplizierter, wenn man ergründen will, und man ist doch dazu genötigt, wie die in allen Handschriften gleichmäßig verdorbenen Stellen, zum Beispiel die bei Umpfenbach mit einer crux versehenen, zu erklären sind. Soll sich an diesen Stellen

^) Wobei als Kriterien für die Scheidung weder die Personenbezeichnung durch griechische Buchsta'jcn noch das Vorhandensein von Bildern, noch die Ordnung der Stücke, sondern die einzelron ^ bv:eichungen im Texte, vor allem die merkwürdigen Änderungen in der Wortfolge anr. .Sj'ioj sind.

Wiener ErJir.o». 10

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Calliopius keinen Rat gewußt haben, so daß er sie in der Verderbnis, in der sie auch in A erscheinen, übernahm, ohne daß sich sein angebliches metrisches Gefühl rührte? Bedenklicher wird es, wenn man sieht, daß z. B. Haut. 818 durch Einsetzung des im Lyoner Fragment ausradierten, aber noch lesbaren nunc geheilt wird (Wien. Stud. XXVIII, 127 fF.), wo also dieses Wort schon vor A getilgt worden sein muß, sich aber in dieser einen Handschrift erhalten hat.

Dadurch ergibt sich von selbst die Frage, ob es denn nicht Gesichtspunkte allgemeiner Art gibt, die aus den einzelnen Fällen abgeleitet, zu einer klareren Einsicht vordringen lassen, ohne daß man hiebei durch die Rücksicht auf die Handschriftenklasse und deren Beurteilung gebunden oder beinflußt zu sein braucht.

Auf einen dieser Gesichtspunkte will ich hier hinweisen und greife zu diesem Zwecke ein Beispiel heraus, das mir hiefür sehr instruktiv zu sein scheint, es ist Phorm. 73: Cepisti duram. GE. Mihi usus nenit, hoc scio.

Überliefert ist: usus (AC^PDi) venit (evenit AD^, derselbe Fehler Haut. 556 in A, 557 in D; Eindringen des zur Erklärung darüber ge- schriebenen cuenit) und usu (C [noch m^] tilgt s durch einen Punkt, FOi)p) venit und schließlich per usum (ELG. tisü uenit der Codex in Valenciennes (= v) ; per tisum ist als Glosse in CF über usu ge- schrieben) venit.

Hier spricht zunächst alles für usus venit; denn A und / und der als bester Vertreter der (J-Klasse geltende Victorianus geben usus. Für dieses haben sich auch bisher alle Herausgeber entschieden, Hauler sagt im Krit. Anh. z. d. Vers: „Dazu kommt, daß usu^ venit bei Terenz die übliche Wendung ist (z. B. Vers 505; vgl. auch P. Langen, Beitr. S. 163)", nur W. Hayley (Harv. Stud. XI, 159) tritt für usu venit ein, weil es siebenmal in Ciceros Reden und zum mindesten einmal bei Cäsar vorkommt. Man sieht auf den ersten Blick, daß beide Begründungen nicht ausreichen. Hayleys Argument kann für Terenz nichts ent- scheiden und Haulers Begründung läßt es sonderbar erscheinen, daß gerade an dieser Stelle der Sprachgebrauch des Terenz von einigen Abschreibern verletzt ^Aairde. Sachlich läßt sich die Entscheidung nicht geben (Bentley: utrumque more dicitur, sensu eodem). Hier gibt es aber m. E. ein Moment der Entscheidung, das bisher gar nicht beachtet worden ist, nämlich die Berücksichtigung der Glossen. 2)

^) 0 ist der Dunelmensis, p = Par. 10304, ein ausgezeichneter Vertreter der ^-Klasse. *) Ich habe schon zu wiederholten Malen betont, daß Schlees Sammlung unzureichend ist. Sein Ansatz des commentarius antiquior ist außerdem zu spät.

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Die Phrase usus venu erscheint bei Terenz noch Ad. 895, Phorm. 505, Haut. 553, 556 und 557, usu venu an keiner anderen Stelle. An allen diesen Stellen ist nur usus (venu) ohne Variante überliefert. An allen diesen Stellen (mit Ausnahme von Haut. 557, weil usus mit der Glosse im vorhergehenden Vers steht) wird usus ganz richtig durch opus (seil, est) glossiert (so auch Donat zu Phorm. 505: opus fuit auf necesse fuit)^ resp. durch necessitas vel opus in Dv zu Haut. 553. Dagegen lautet die Glosse nur an unserer Stelle _p6'r usum, w^as selbstverständlich nur dann einen Sinn hat, wenn im Texte usu steht.

Daraus folgt m. E. mit mathematischer Gewißheit, daß an unserer Stelle nur usu venW^) die primäre Lesart war, die einerseits durch das Einsetzen des sonst bei Terenz üblichen usus venu (so in AC^PD^) beseitigt, anderseits durch die Glosse verdrängt \^airde (so in ELGv), durch einen Zufall, der in paläographischen Dingen bekanntlich eine sehr große Rolle spielt, in pOF erhalten blieb. Wäre es erst einem Ab- schreiber eingefallen, die Phrase ustis venu bewußt durch usu venu zu ersetzen, so wäre es doch höchst sonderbar, daß er es nur hier getan hätte. Daß jedoch die nur hier vorkommende Phrase ^isu venu die Ab- schreiber reizte, die üblichere einzuführen, ist von vorneherein klar. Das Verdrängen des Textwortes durch die Glosse ist aber eigentlich mehr ein mechanischer Prozeß. Somit hat Hayley Recht, aber nicht mit seiner Begründung; er ^^rde zu der richtigen Ansicht durch die scharfe Interpretation geführt, und sieht man die Stelle genau an, so paßt für sie usu venu (Hayley: „I have found this out hy experience") besser als usus ve7iit (Hayley: „There has heen need, opportunity, occasion.")

Daraus ergibt sich, daß diese Glossenerklärung, und es ist dies ■die im sogenannten commentarius antiquior vorliegende, schon vor der Niederschrift des Bembinus geübt wurde, was übrigens für jeden klar ist, der es einmal versucht, einen großen Teil des Donat-Kommentars in Marginal- und Interlinearglossen aufzulösen, wie dies teilweise noch in P in der Andria zu sehen ist.

Von diesem Gesichtspunkt aus läßt sich nun an einer Anzahl von Stellen die Entscheidung fällen. Ein schlagendes Beispiel ist Haut. 846 : A: die qiddvis faciani^ rell.: cedo quid uis faciam; die ist im commen- tarius antiquior die stehende Glosse für cedo^ sie hat bereits in A an dieser Stelle das richtige cedo verdrängt. Oder Haut. 1066: A: satis placet, rell. perplacet; satis placet glossierte die für Terenz typische

*) Der Einwand, daß die Glosse per usum erst durch die willkürliche Änderung von usus zu usu entstand, ist nicht stichhältig, denn warum sollte dies nur an dieser einen Stelle geschehen sein und nicht auch an den anderen Stellen in der einen oder anderen Handschrift ?

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Zusammensetzung perplacet. Oder Haut. 321 : A: potes^ rell. potis est usw. (vgl. Wien. Stud. XXVI, Die sogenannten Neumen im Codex Victorianus, S. 222, Anm. 1, ebendaXXYIII, Handschriftliclies zu Terenz, S. 134, Anm. 2).

Daraus erwächst für uns die Pflicht, die Überlieferung des Terenz immer im Zusammenhang mit der Glosse zu prüfen, resp. in zweifel- haften Fällen die Frage stets zu stellen, ob nicht eine Auswechslung mit einem als Glosse anzusehenden Worte vorliegen kann. Eine Reihe von Stellen erfährt hiedurch eine Klärung. Nur ein schlagendes Beispiel, das eigentlich schon längst damit seine Lösung erfahren hat, führe ich hier an: Bei Umpfenbach finden wir Eun. 267 Set Parmenonem ante ostium Thaidis tristem video mit einer Crux versehen. Mit genialem Scharfblick hat schon Muretus meretricis für Thaidis vorgeschlagen und damit den Vers geheilt. Thaidis war von den Erklärern über meretricis geschrieben worden und hatte dann meretricis verdrängt. Wer aus einer der älteren Terenz-Handschriften einmal die Glossen alle abgeschrieben hat und gesehen hat, wie mit rührender Unermüdlichkeit stets die Namen über die gleichen Bezeichnungen darüber geschrieben werden, wird nicht im mindesten daran zweifeln. Hier war die Ver- drängung schon so früh erfolgt, daß sich in keiner Handschrift eine Spur erhalten hat. Derselbe Fall, nur klarer, liegt Andr. 685 vor: Tuom Pdmphilum: modo tu, anime mi, noli te macerare. So wird der Vers seit Bentley mit Umstellung des in den Handschriften überlieferten tu modo geschrieben, was dem Sprachgebrauche und Sinne entschieden entspräche. Wo steckt aber der Fehler? Aufschluß bringt uns v, in welchem pamphilum mit amicum glossiert ist. Wer die Art der alten Erklärer kennt, wird mir ohneweiters zugeben, daß es undenkbar ist, daß Pamphilus durch amicus glossiert wird, daß es jedoch selbstverständ- lich ist, daß über amicum als Erklärung Pamphilum geschrieben wird. Sobald wir aber amicum einsetzen, ist der Vers in Ordnung, ohne daß die Umstellung von tu modo nötig wäre.

Der den einzelnen Beiträgen dieser Festschrift zugemessene Raum verbietet mir, auf diesen Punkt weiter einzugehen, ich begnüge mich, auf diese mir wichtig erscheinende Frage hiemit bloß hingewiesen zu haben.

Auch auf einen zweiten Punkt, der mir von Bedeutung zu sein scheint, kann ich nur andeutungsweise hier eingehen. Ich habe in meinem Aufsatze : Die sogenannten Neumen im Codex Victorianus des Terenz (Wien. Stud., XXVI, S. 222 ff.), auf die Wichtigkeit der sogenannten Konstruktionshilfen i) für die Textkritik hingewiesen;.

^) Wie sehr diese Zeichen verkannt wurden, zeigt Tafel 49 in der Lateinischen Paläographie von Dr. Franz Steffens, wo sogar dieser sie noch für Neumen hält; erst in. den Ergänzungen und Berichtigungen, S. XL, hat er sie erkannt.

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damals standen mir nur die Zeichen in E zur Verfügung. Ein ein- gehendes Studium der Terenz-Handschriften in dieser Hinsicht hat nun ergeben, daß sich solche Konstruktionshilfen noch an 872 Stellen er- halten haben, und zwar in A 4mal (durch Joviales), in C 44mal, in P 125mal, in E 196mal, in F 8mal, in D 16mal, in G 13mal, in L 11 mal, in p 6 mal, in dem 1. Einsidlensis (rf) 19 mal, in dem 2. Ein- sidlensis {e) Imal, in v 17 mal, (in B 2mal?), in ^^) Imal.

An derselben Stelle haben diese Zeichen 2 Handschriften 47 mal, 3 Handschriften 12 mal, 4 Handschriften Imal, 5 Handschriften Imal. Schon diese Zahlen und Übereinstimmungen, anderseits der Zusammen- hang mit der häufig wiederkehrenden Bemerkung bei Donat: Ordo est: worauf er dieselbe Ordnung gibt, wie die in den Handschriften durch Zeichen hergestellte, z. B. Hec./ö81 (und E), zeigen, daß uns nur mehr spärliche Reste einer einst durchgehenden 2) Behandlung des Textes in dieser Weise erhalten sind. Ich behalte mir die ausführliche Behand- lung dieser Zeichen vor und bemerke hier nur, daß sie die Frage der Unterabteilungen der Calliopischen Rezension, die sich, soweit der Text in Frage kommt, namentlich durch die verschiedene Wortstellung unterscheiden, hauptsächlich zu einer paläographischen Frage machen.

^) Es ist dies das Pariser Fragment cod. Par.lat. 12244 (über das Kaiinka Wien. Stud. XVI, S. 78 ff. gehandelt hat), das zu dem in cod. Par. lat. 12322 erhaltenen Fragmente gehört. Der handschriftliche Katalog der Nationalbibliothek weist zwar jenes dem IX, dieses dem XI. Jahrhundert zu, sie sind aber Stücke derselben Handschrift, die im X. Jahrhundert geschrieben Avurde. Über die Einsiedler-Handschriften vgl. Wien. Stud. XXVIII, S. 115, Anm. 1.

^) Eine solche zeigt zum Beispiel noch der codex Viechtianus des Vergil, der sich derzeit in Melk befindet.

Zu Catulls Passer.

Von

AUGUST ENGELBRECHT.

Die wenigen Zeilen des einst in Rom so populären Sperlings- liedchens, das im catullianischen Liederbuch die Nummer -2 trägt, bereiten der Erklärung, wie männiglich bekannt, manche Schwierig- keiten und können heute weniger als je sich einer allgemein anerkannten Deutung erfreuen. Die mehr geistreiche als wahrscheinliche Auslegung, die Theodor Birt im Marburger Lektionskatalog für das Sommer- semester 1895 dem Gedichte zuteil werden ließ und die er im Jahre 1904 gelegentlich einer neuerlichen literarischen Behandlung i) in allem wesentlichen aufrecht hielt, scheint nicht viele Anhänger gefunden zu haben, ja der neueste Interpret der Muse Catulls, Gustav Friedrich 2), kümmert sich um Birts Ausführungen so gut wie gar nicht. Und doch hat Birt vollste Berücksichtigung auch von selten derjenigen verdient, die ihm nicht Gefolgschaft leisten können; denn er hat zuerst die Schwächen der bisherigen Auffassungen allseitig beleuchtet und unter schonendster Behandlung der Überlieferung seine neue Erklärung vor- getragen, die bekanntlich darauf hinausläuft, daß die Verse keine Apostrophe an den passer enthalten, sondern daß CatuU vom Sperling plaudert, mit dem sein Liebchen spielt, indem es dabei die scherzenden Worte spricht, die den Inhalt von V. 9 13 bilden. Birt zwingt uns also zu einer radikalen Umdeutung unserer bisherigen Ansicht vom Thema des Gedichtchens, während Friedrich im großen und ganzen mit der landläufigen Tradition auszukommen sucht, dabei aber manche Details unaufgeklärt läßt und einer zusammenhängenden Erklärung bzw. Paraphrase, die ihm manche Aporie zu stärkerem Bewußtsein gebracht hätte, aus dem Wege geht.

*) Philologus LXIII (N. F. 17), S. 426.

^) Catulli Veronensis liher (Sammlung wissenschaftlicher Kommentare zu griechischen und römischen Schriftstellern). Leipzig und Berlin (Teubner) 1908.

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Da die folgenden Zeilen das Verständnis des Gedichtes nicht unwesentlich fördern zu können glauben, sei es gestattet, zunächst darauf aufmerksam zu machen, daß der erste und letzte deutsche Kommentator Catulls ebenso wie Birt, so verschieden sie auch sonst in ihren Auffassungen sind, in gleicher Weise ihrer Ansicht Ausdruck verleihen, daß die stilistische Form des Gedichtes nicht einwandfrei, teils wenig gewandt, teils minder korrekt, wenn auch ver- ständlich sei. So meint A. Riese: „Der Satzbau des Gedichtes ist wenig gewandt, besonders v. 7 und 8, aber richtig und verständlich" und Friedrich schreibt S. 88: „V. 1 7 ist nur eine lang ausgesponnene Anrede und V. 8 schließt sich nicht völlig korrekt an. Das ist aber eine leichte Inkonzinnität, wie sie lebendiger Rede eigen ist." Auch Birt läßt sich das Geständnis entschlüpfen, i) aus dem er allerdings nicht die Konsequenzen zieht: yjatendum est hunc versiim 8 si quis pro spurio delcat, ?iihil propemodum esse quod desideremus ; concinnat enim minus sententias quam disrumpitJ' Wer würde aber -nicht gern gerade jenes Gedicht, das CatuU selbst wohl für besonders gelungen hielt, infolgedessen an die Spitze seiner Sammlung stellte die Widmungszeilen an Cornelius Nepos sind ja nur das Vorwort des Dichters und das dem ganzen Liederbuch seinen Namen gab (vgl. z. B. Martial IV. 14, 14), als ein in seiner Art omnibus numeris absolutum Carmen genießen? Ist nicht anzunehmen, daß dieses zierliche Vers- getändel auf dem Gebiete subjektiver Gefühlslyrik nach der Intention des Dichters für jeden Leser leicht verständlich sein sollte? Jene Erklärung wird daher vor allen anderen den Vorzug beanspruchen dürfen, die in der Lage ist, von der Annahme jeglicher stilistischer Inkorrektheit und Inkonzinnität abzusehen und das kleine Kunstwerk ohne jegliche Einschränkung als solches auf- zuzeigen.

Der Ausgangspunkt für Birts revolutionäre Umdeutung des Gedichtes war der Umstand, daß die drei letzten Verse, die nach der Überlieferung unserem Gedichte eignen, sich nicht so ohneweiters mit den vorausgehenden 10 Zeilen in inhaltlichen Zusammenhang bringen lassen, er aber keine Lücke annehmen wollte und die noch radikaleren Auskunftsmittel, jene drei Verse als Fragment eines verlorenen Gedichtes oder als irrtümlich hieher geratenen Schluß von 14 b, um von anderen Hypothesen zu schweigen, anzusehen, verschmähte. Nach Birt sind die Verse 1 10 für sich betrachtet zu inhaltsarm und bilden erst V. 11 13 die eigentliche Pointe des Ganzen; nach ihm bestehen

*) Marburger Lektionskatalog 1895, pag. X.

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auch diese 13 Verse aus einer einzigen Satzperiode einschließlich einer direkten Kede, eine für ein lyrisches Liedchen bedenkliche stilistische Langatmigkeit. Doch sehen wir uns die ersten zehn Verse an, ob sie wirklich für sich keinen abgeschlossenen und poetisch befriedigenden Gedanken geben. Ich setze zuerst ihren Text her:

Passer, deliciae meae puellae, quicum ludere, quem in sinu teuere , quoi primum digitum dare adpetenti et acris solet incitare morsus, 6 cum desiderio meo nltenti carum nescio quid lubet iocari, et solaclolum sui dolor is (credo, tum gravis acqulescet ardor) : ,

tecum ludere sicut ipsa possem 10 et tristis animi levare curas!

Birt bestreitet, daß V. 9 als Wunschsatz aufgefaßt werden könne, und es ist zuzugeben, daß die Grammatiken kein zweites Beispiel bieten, in dem der Optative Conjunctiv Lnperfecti (oder Plusquamperfecti) ohne beigefügtes utinam sich fände. Dementsprechend lehrt auch die Trivial- grammatik, daß ein erfüllbarer Wunsch im Lateinischen durch den Conjunctiv Praesentis oder Perfecti mit oder ohne utinam, ein unerfüllbarer Wunsch aber durch den Conjunctiv Imperfecti oder Plusquamperfecti stets in Verbindung mit utinam ausgedrückt werde. Man darf aber doch füglich sich wundern, warum in dem einen Falle utinam entbehr- lich, im anderen unentbehrlich sein sollte, wo doch in beiden Fällen die Wunschform durch den Konjunktiv und die Auffassung des Wunsches durch die Verschiedenartigkeit der Tempora bestimmt wird. Zum mindesten für die Umgangssprache dürfen wir ohne Bedenken annehmen, daß dort, wo die optativische Bedeutung eines Conjunctiv Imperfecti oder Plusquamperfecti mit der nötigen Deutlichkeit auch ohne utinam zutage trat, dieses ebenso wie beim Conjunctiv Praesentis (Perfecti) fehlen konnte. Wer einen literarischen Beleg hiefür wünscht, kann ihn aus einem Brief des hl. Hieronymus erhalten, demnach aus einem Dokument, das, wenn auch erst dem 4. christlichen Jahrhundert angehörig, doch für die Existenz des Gebrauches in der Umgangssprache beweis- kräftig ist. Es heißt also bei Hieron. epist. 50, 3 (S. 391, 9 der bald erscheinenden kritischen Ausgabe von I. Hilberg) : si errare nie arhitratus est.., dehuit vel arguere vel interrogare per litteras . . . imitatus saltim tuam fuisset verecundiam, qui ea loca, quae scandalum quibusdam faccre videbantur, excerpta de volumine per ordinem digessisti poscens, ut vel

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emendarmn vel exponer em, et non tantac me putasset dementiae, ut in uno aique eodem lihro et pro nuptiis et contra nuptias scriberem !

Wie demnach das Fehlen von utinam bei Catull für uns kein Hindernis sein kann, den Satz als Wunsch aufzufassen, sondern viel- mehr zur Markierung des weniger rigorosen Plaudertones dient, darf man auch an einer anderen Stelle nicht vergessen, daß Catull in seinen nugae sich den sermo familiaris erlauben konnte, wenn er wollte. In V. 7 ist nämlich einstimmig überliefert et solaciolum sui doloris, was auch eine Anzahl von Herausgebern beibehielt, aber mit dem vor- ausgehenden Satz verbinden zu müssen glaubte. Infolgedessen wurden dem Dichter Verbindungen wie ioeari nesclo quid carum et solaciolum sui dolor Is (carum und solaciolum als Objekte zu ioeari) oder ioeari luhet et solaciolum, sui doloris (der Infinitiv und solaciolum als Subjekte zu lubet; so Friedrich) zugemutet, während die weniger Kühnen et in in oder ut korrigierten: carum ioeari in (ut) solaciolum doloris^) Daß die richtige Auffassung der Stelle bisher verborgen blieb, hat der zu große Respekt vor den Hegeln der Normalgrammatik verschuldet: sui ist hier eben nicht das reflexive Possessivpronomen der dritten Person, sondern ist Stellvertreter von eius (seil, puellae), wodurch man in die Lage versetzt wird, solaciolum als Vokativ zu fassen und auf diese Weise die von so vielen vermißte Konzinnitat des Satzbaues zu ge- winnen, dessen Hauptgerippe folgendes ist:

passer, deliciae meae puellae et solaciolum sui doloris, tecum ludere sicut ipsa passem et tristis animi levare curas !

Der durch die dazwischenstehenden, gewissermaßen parenthetischen Zeilen zu noch größerer Deutlichkeit gelangende Gedanke dieser 4 Verse ist: „Vöglein, du Spielzeug meines Mädchens in heiteren Stunden und Tröster in ihrem Schmerz, könnte ich doch auch wie sie dich als Spielzeug und Tröster haben!"

Daß im Spätlateinischen suus für eius ganz gewöhnlich ist, braucht nicht durch Beispiele erhärtet werden; natürlich stammt der Gebrauch aus der Umgangssprache und deshalb dürfen wir uns nicht wundern, ihn hier bei Catull zu finden.

Aber nicht bloß die konzinnere Gestaltung des Gedichtes gewinnen wir durch unsere Auffassung, sondern auch das Deminutiv solaciolum

*) Die vielen anderen Verbesserungsvorschläge zu diesen und anderen Stellen des Gedichtes glaube ich unberücksichtigt lassen zu können.

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kommt erst so zu seiner eigentlichen Geltung. P. de Labriolle, der zuletzt am eingehendsten über den Gebrauch der Deminutiva bei CatuU gehandelt hat^) und sie auf ihre Existenzberechtigung prüft, weiß mit solaciolum nichts Rechtes anzufangen und erwähnt es nur so nebenbei (S. 285). Ganz anders steht die Sache, wenn wir nicht mehr genötigt sind, das Wort als Abstractum zu fassen, sondern es direkt als Concretum mit dem passer identifizieren können. Nicht des zierlichen Tones wegen, wie Riese will, steht das Deminutiv, sondern diQv passer ist der „kleine Tröster." 2)

Wir haben oben die bisher nicht besprochenen Verse als paren- thetisch bezeichnet; denn sie trennen die beiden Vokative von einander und dem dazugehörigen Verbum, indem die Verse 2 6 den Begriff deliciae dichterisch yeranschaulichen und V. 8 das sonst zu allgemeine solaciolum doloris determiniert. Die reizende Schilderung des Mädchens, das mit dem Vögelchen heiter tändelt, bietet in den Versen 2 5 dem Verständnis nicht die geringste Schwierigkeit und ein Maler könnte ihnen den Stoff zu einem herzigen Genrebildchen entnehmen; dagegen ist V. 6 noch nicht entsprechend erklärt. Daß iocari hier per iocum aliquid dicere heißt, hat Birt siegreich erwiesen^) und vergebens behauptet Friedrich, daß das Verbum nicht bloß „scherzhaft reden", sondern „Scherz treiben", also iocose aliquid agere bedeute, indem das iocari die V. 2—4 beschriebenen Handlungen zusammenfasse (was hieße aber dann nescio quid ?). Auch die weitere Konstatierung Birts, daß das Wort iocari dem humile dicendi genus angehört habe, werden wir uns dankbar zu eigen machen, da sie neben dem fehlenden utinam und dem unklassischen Gebrauch von suus einen weiteren Beleg für den volks- tümlichen Ton des Gedichtes bietet. Aber auch Birt hat das nescio quid unerklärt gelassen, und gerade hier liegt der Schlüssel zum richtigen Verständnis. Das Mädchen spricht scherzend, ich weiß nicht was^ Liebes: zu wem oder für wen spricht es und wem lieb? Da das poetische Gemälde nur das Mädchen und das Vögelchen berücksichtigt, ist es offenbar der Sperling, an den seine Herrin heitere Kose w orte verschwendet (carum iocatur), Koseworte, Gott weiß, welche (carum nescio quid). Jetzt erst haben wir die Situation in ihrer vollen Lebens- wahrheit: das Mädchen, das mit dem Sperling spielt, ihn auf ihrem

*) Revue de Philologie XXIX (1905) S. 279 ff.

^) Ob der Verfasser des Pentameters einer afrikanischen Grabinschrift (Renier, Inscr. Alg. 2017, CIL. Yin. 7472, Bücheier, Carm. epigr. 1288, 3) est autem vitae dulce solaciolum die Catullstelle gekannt und für die Deminutivbildung mehr Verständnis als für die Prosodie {solaciolum!) gehabt hat, weiß ich nicht.

') Marburger Lektionskatalog 1895, p. \T[I— VIII.

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Körper hernmhüpfen läßt und die Fingerspitze hinhält, um ihn zum Biß zu reizen, bleibt dabei nicht stumm, sondern gibt ihm Kosenamen und plaudert heiter mit dem befiederten Zimmergenossen. Wer hätte ähnliches nicht schon selbst getan?

Bei der Gestaltung (nicht Erklärung) des V. 8 bin ich in der Lage, Friedrich zu folgen, der tum für das überlieferte ut cum schreibt und den Fehler als in den Text eingedrungene Variante, die die ursprüngliche Lesart verdrängte, plausibel erklärt: ein über tum geschriebenes ui(=:uel) cum wurde als ut cum gelesen und in den Text ge- setzt. Dieses tum gibt jedenfalls den passendsten Sinn, wenn der Yers eine erklärende Parenthese zur vorausgehenden Zeile sein soll: der Sperling wird als kleiner Tröster in ihrem (des Mädchens) Schmerz apostrophiert und durch die Parenthese dieser Schmerz als durch die Liebe verursacht charakterisiert: „ich glaube, dann wdrd der drückende Liebesdrang sich beruhigen." Kaum nötig zu sagen, daß die Parenthese mit ihrem eingeschobenen credo zur sonstigen zwanglos sich gehen lassenden Diktion des Gredichtes trefPlich paßt.

Ich lasse nunmehr die Übersetzung folgen:

Spätzlein, herziges Spielzeug meiner Liebsten, Du, mit dem sie auf ihrem Schöße tändelt, Dem sie, pickt es darnach, des Fingers Spitze Neckend hinhält, zu scharfem Biß es reizend. Während meinem holdschönen Schatz es Spaß macht, Koseworte zu rufen, Grott weiß, welche; Kleiner Tröster du auch in ihren Schmerzen (Leichter wird dann ihr liebgequältes Herze): Könnt ich spielen mit dir doch wie sie selber Und mein armes gequältes Herz erleichtern!

Das ist der nicht allzu tragisch zu nehmende Stoßseufzer des liebeskranken Dichters, der niemand hat, der mit ihm seiner Liebe Lust und Leid teilen würde „geteilte Freud' ist doppelt' Freude, geteilter Schmerz ist halber Schmerz" (Tiedge) , während seine Geliebte an ihrem Lieblingsvögelchen in ihren heiteren Stunden ein stets zur Verfügung stehendes Objekt ihrer Freudenbezeugung und in den Stunden ungestillter Liebessehnsucht ein unschuldiges Beruhigungs- mittel ihrer Leidenschaft hat. Nicht mehr und nicht weniger besagen diese Verse: genug, um ihnen die Berechtigung ihrer selbständigen Existenz zu sichern. Ob aber das Gedichtchen ursprünglich nicht doch länger war, wie die in der Überlieferung noch folgenden 3 Verse, die

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einen der Mythologie entnommenen Vergleich enthalten, anzudeuten scheinen, wer möchte das sicher zu entscheiden wagen bei einem poeta doctus, der selbst der reizendsten Gefühlslyrik einen gelehrten Aufputz zu geben auch sonst kein Bedenken trug? Wenn die drei Verse unserem Gedichte je angehörten was ich übrigens trotzdem nicht für wahr- scheinlich halte , so klafft jetzt zwischen ihnen und V. 1 10 eine Gedankenlücke. Doch darüber weiter zu sprechen liegt außerhalb des Zieles dieser Zeilen, die nur zeigen wollten, wie die Erkenntnis, daß das Liedchen durchwegs den Ton der leichten und die grammatikalischen Regeln des Hochlatein verschmähenden Umgangssprache festhält, den Schlüssel zum richtigen Verständnis liefert.

1

Catulls LI. Gedicht und sein Sapphisches Vorbild,

Von ERNST KALINKA.

Mit eignem Herzblut hat Sappho das Gedichtchen geschrieben, das in glühenden Farben das Bild ihrer Leidenschaft malt (Lyrici Graeci ed. Bergh 2) : wenn sie das geliebte Mädchen auch nur flüchtig sieht, erstirbt ihr der Laut auf der Zunge; wie Feuer schießt es ihr durch die Adern, daß die Wangen erglühn, die Augen flimmern, die Ohren sausen, der Schweiß ihr auf die Stirne tritt; ihre Grlieder erschauern und Totenblässe überzieht dann ihr Antlitz; vgl. Piaton Phaidros XXXI, 251 AB. Dieses Übermaß von Liebe soll den Satz begründen to f^ioi /aar /.agSlav ev arijS-eaiv eTcroaaev^ denn unmittelbar auf ihn folgen die Worte tog yäq eiaidoj ßQoxscog cre, qcbvag ovdev et* u'A.u ktL Was ist mit to gemeint ? Man hat geantwortet : ^) das süße Geplauder und holdselige Lächeln der Geliebten (ädv cpwvevoag . . . ytat yelaioaq IfXEQoev). Doch das wäre ein übler Zusammenhang: ihr heitres Geplauder hat mir das Herz erschüttert oder gnomisch verstanden erschüttert mir jedesmal das Herz, weil schon ihr flüchtiger Anblick mich ganz außer Fassung bringt. Wenn wirklich das Reden und Lachen, das in der Tat nicht bloß ungeahnten Liebreiz auf weibliche Züge zu zaubern vermag, sondern auch als verheißungsvolles Geständnis herzlicher Xeigung gelten kann, dem bloßen Anblick derart gegenüber- gestellt würde, daß der Eindruck des einen mit dem des andern erklärt werden sollte, so müßte ganz selbstverständlich die Wirkung in jenem Falle als die weitaus tiefere und mächtigere gekennzeichnet

^) Z. B. Jurenka, Römische Lyriker, Kommentar S. 12; A. Wilbrandt, Sappha (Deutsche Rundschau, 1909, S. 44):

„Ja, dein Lachen, das mir im warmen Busen, Hör ich's kaum ertönen, das Herz erschüttert."

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sein. Das nehnien auch alle Vertreter dieser Ansicht an, aber es stimmt nicht zum Wortlaut ; mit viel mehr Recht könnte man behaupten, daß ETtvöaGEv kurz und matt klinge neben der überschwenglichen Schilderung der Gefühle, die der bloße Anblick des Mädchens auslöst. Es ist somit schlechterdings unvereinbar mit der Überlieferung, Sappho sagen zu lassen: „Weil schon ein flüchtiger Blick auf die Geliebte mich außer Fassung bringt, so bin ich vollends nicht imstande, ihr fröhliches Geplauder zu ertragen."

Überblickt man die ganze vorangehende Strophe

(paivETaL (.lOL XTJwg Tdog d-soiaiv ef^iftev covr^Q oarig evavvlog toi KdvEL ytal TtXaolov adv cpwvev-

oag VTcaxovei 'Aal yelalaag ijUEQoev^

so erübrigt nur noch die Beziehung von to auf den ganzen Relativ- satz: die Tatsache, daß jetzt ein Mann ihr gegenübersitzt und mit ihr traulich spricht und scherzt, das zerreißt der Dichterin das Herz; sie will den teuern Besitz mit niemandem teilen. Eifersucht also ist es, die Sappho mit ihrer Liebe rechtfertigt; und mag auch selbst ein Welcker (Kleine Schriften, II, 99*^) diese Erklärung zurückgewiesen haben, sie ist die einzig mögliche.^) Da demnach nicht ein starker Eindruck mit einem schwächeren verglichen werden soll, hat man kein Recht, verschiedene Stärke des Ausdrucks zu erwarten; und die Wortwahl der feinen Seelenkennerin kommt so erst zu ihrer vollen Geltung: die Eifersucht regt ihr das Herz auf, die Liebe dringt ihr in alle Sinne und Glieder.

Erst von dieser Grundlage aus kann man an die Deutung der Eingangsworte schreiten. Welcker, Kleine Schriften, II, 99*^ gibt folgende Erklärung: ,.Der Mann, der dir nahe sitzen und ruhig ver- w^ eilend deinem süßen Gespräch und Lachen zuhören kann, scheint mir wie ein Gott nicht bloß glücklich, wie Hör. Od. I, 1, PO, sondern auch eine stärkere Natur als ich Weib." Der Irrtum dieses Großen wirkt noch im jüngsten Kommentar nach; 2) und doch hatte schon Neue (Sapphonis Mytilenaeae fragmenta, 1827, S. 29f.) das befreiende

^) Heller, Philol. 1856, XI, 432, zutreffend: „potius i^rj)Mrvmag affectiones Sappho describat necesse est; quam enim oh rem aliter virum commemoraret sedentem ex adverso puellae?"

'') Catulli Veronensis Über erklärt von G.Friedrich, 1908, S. 237: „sie preist den glücklich er müsse ein Gott sein an Stärke , der es erträgt, ihrer Geliebten gegenüber zu sitzen, ihren ganzen Reiz auf sich wirken zu lassen, ihn in sich zu trinken ; sie selbst vermag das nicht". Wo steht das?

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Wort gesprochen: „Ät veteres poetae constanter deos aeque ac mortales amoris potentiae neganf pares esse ; ncque in verbis quidquam reperitur, quod ad toleranüam pertineat, 7iullum öuvaiai^ vtcoliIvu^ ir^Tj^ sed vocahula Xooq d-eolaiv altiorem quendam dignitatis et felicitatis gradum ostendunt, in quem ille csccndisse vldeatur." Die bloße Andeutung der Kraft , die in dem charakterisierenden Wesen des allgemeinen Pronomens oavig liegenkann (s.Kühner-Gerth, Grammatikll, 399"f.), hätte in einem Falle, wo sich alles gerade um die Fähigkeit oder Unfähigkeit, die Fülle weiblichen Liebreizes zu genießen, drehen würde, der Dichterin gewiß nicht genügt. Doch e^ bedarf dafür, daß die Worte laog &eoioiv himmlische Seligkeit ausdrücken (Belegstellen bei Baehrens), keines weitern Beweises mehr, nachdem der Sinn des Sätzchens t6 {uoi {.läv ■/MQÖlap h Gcr^d-eaiv htiöaa^v festgelegt ist. Damit ist zugleich der- Grundton des Liedes gefunden, das wehmütig ausklingt in den letzten erhaltenen Worten dlXä Ttäv TÖXuacov. Den Anstoß zur Eifersucht gibt die Vorstellung bräutlichen Glückes, das Mädchen und Mann zu innigem Schwätzen und Schäkern zusammenführt; unleugbar gewinnt das Gedicht wesentlich durch die Annahme eines tragischen Konfliktes der Liebesansprüche der bisherigen Freundin und des künftigen Gatten, und das Pronomen oaiig hindert keineswegs, unter %rivog eine bestimmte Persönlichkeit zu verstehen (Kühner-Gerth, II, 400). Die Anfangs- worte aber cpalvetal /not 'Afji'og l'aog d-eoiOLv efifiev cjvriQ sind nur eine Ankündigung jenes Hauptmotivs. In solchem Zusammenhang hat die Stärke des Mannes, die mit ruhiger Zuversicht die Pfeile des Liebes- gottes auf sich eindringen läßt, keinen Platz; ja eine Anspielung darauf würde in das zart abgestimmte Tongemälde hineingellen wie eine schneidende Dissonanz.

So allein vermag ich das entzückende Liedchen zu verstehen, und so verstehe ich das Gedicht CatuUs, das ihm nachgebildet ist.^) Auch hier ist natürlich mit par deo und seiner echt CatuUischen Steigerung videtur superare divos^) nicht göttliche Stärke, sondern göttliche Seligkeit gemeint, wie es jeder unbefangene Leser zunächst auffassen wird; auch hier ist das, was den Dichter erschüttert und ihm die Besinnung raubt, nicht das süße Lächeln, da dessen Eindruck nicht damit begründet sein kann, daß der erste Anblick einen viel tiefer aufwühlenden Eindruck hervorrief, sondern die Eifersucht quod

^) Vgl. übrigens Lucrez III, 152 ff. ubi vementi magis est commota metu mens .... videmus sudoresque ita palloremque existere toto corpore et infrinyi linguam vocemque ahoriri caligare oculos sonere auris succidere artus und Hei nzes Kommentar, der trotz der weitgehenden Übereinstimmung Abhängigkeit bestreitet.

2) Vahlen , Berliner Universitäts-Programm 1896 7, S. 15 = Opuscula academica II, 229.

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nie sedens adversus identidem te spectat et audit dulce ridentem, und zwar wohl gleichfalls Eifersucht auf einen einzelnen bestimmten Mann, weshalb denn auch misero (Z. 5) nicht einfach „leidenschaftlich verliebt" heißt, ^) sondern mit der ganzen Wucht seiner Grundbedeutung dasteht; auch hier wird die Eifersucht begründet mit jener rasenden Liebe, die beim ersten Anblick aufloderte, seine Zunge gelähmt, seine Sinne betäubt hat; und wie sehr Catull verzehrender Eifersucht unterworfen war, zeigen Gedichte wie 72 und 85.

Die Hauptfrage aber, die dieses Gedicht stellt, knüpft sich an die von Catull hinzugefügte Schlußstrophe:

Otium Catulle tibi molestum est, Otio exsultas nimiumque gestis, Otium et reges prius et heatas Perdidit urbcs.

Nach dem leidenschaftlichen Gefühlsausbruch, der den Schein der Originalität durch die namentliche Ansprache der Lesbia vortäuscht, klingt sie mit ihrer frostigen Rhetorik, die nicht bloß in der aufdring- lichen Anaphora, sondern auch in der Klimax '^) zur Geltung kommt, und mit der schulmäßigen Belehrung aus der Geschichte der Könige und Städte entsetzlich nüchtern. Man hat es längst gefühlt, daß hier eine unüberbrückbare Lücke klafft; in der Tat wäre es eine psycho- logische Ungeheuerlichkeit, wenn derselbe Mann, der eben noch in heißer Liebesbrunst die einzig Eine anschmachtete, nun plötzlich, um sich zur Selbstbesinnung zu mahnen, gerade solche Worte an sich richtete, die den Schwung und die Innigkeit der vorausgehenden Lügen straften. ^)

^) So Baehrens und Friedrich.

") molestum = ennuijant, du langweilst dich ; exsultas nimiumque c/estis = die Muße macht dich übermütig und begehrlich; sie ist auch im Großen eine verheerende Gewalt.

^) Goldbacher, Wiener Studien XXIX, 1907, 112: „sonderbar nimmt es sich denn doch aus, daß der Dichter in einem und demselben Gedichte, in dem er seine Geliebte in so zarter Weise seiner Liebe versichert, derselben zugleich erklärt, das, was ihn in diesen Seelenzustand gebracht habe, sei nichts anderes als Mangel an ernster Arbeit, nichts anderes als Müßiggang". Das Mißverhältnis wird nicht gebessert durch die haltlose Annahme Neues (Sapphonis Mytilenaeae fragmenta 1827, S. 35 f.) und Lachmanns (Epistola ad C. Fran- kium 1839 ^ Kleinere Schriften II, 79), daß Catull den Grundgedanken der Strophe von der Sappho herübergenommen habe, oder durch Drachmanns Einfall (Catulls Dichtung beleuchtet im Verhältnis zu der früheren griechischen und römischen Literatur 1887), daß vorher ein krankhafter Zustand geschildert sei, für den der sich beobachtende Dichter schließlich den Grund angebe (s. Magnus im Jahresbericht über die Portschritte der Altertumswissenschaft LXXXXVII, 1898, 203). Unempfindlich gegen den schrofTen Zusammenstoß der zwei unver- einbaren Stimmungen waren nur wenige, wie Westphal, Catulls Gedichte, 1867, 48f.^ Baehrens II, 259 f., \g\. EUis, A commentary on CaiuUus, 175.

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Damit, daß man einen spöttischen Ton hinzudenkt, ist der Anstoß nicht beseitigt. Es fehlt in der antiken Literatur und insbesondere bei Catull nicht an Stellen, wo der Dichter zu sich spricht i); aber die alten Dichter wußten es sehr lebenswahr darzustellen, wie man sich selbst aus dem Luftreich der Schwärmerei auf den rauhen Boden der Wirklichkeit zurückruft ^) ; nichts ist dazu weniger geeignet als rhetorische Phrase und hohles Pathos. Verschiedene Versuche sind an- gestellt worden, um jenen unerträglichen Widerspruch zu lösen. Man hat vermutet, daß die Schlußstrophe interpoliert, daß davor ein Über- gang ausgefallen, daß sie der karge Rest eines andern Gedichtes sei. ^) Die letzten Jahre haben drei neuartige Vorschläge gebracht. Goldbacher (Wiener Studien XXIX, 1907, llOflP.) hat scharf betont, daß die ersten drei Strophen Catulls, die nur eine Übersetzung des Gedichtes der Sappho sind, gar nicht seine eigenen Gefühle wiedergeben und daß er mit der vierten das Ganze als dichterische Spielerei kennzeichne. Dem- gemäß setzt er für otium die Bedeutung otium litteratum , otium studi- osum fest, „die Beschäftigung mit der Poesie, die Hingebung an den poetischen Flug", und gibt S. 114 f. die Erklärung: „Otium Catulle tibi molestum est^ d. h. wohin verlierst du dich, CatuUus? Die molestiae, von denen du sprichst, sind ja nicht deine molestiae, sie sind vielmehr ein Ausfluß deines otium ^ deiner Beschäftigung mit dem Gedichte der Sappho und der darin schaffenden dichterischen Phantasie, otio exsuUas nimiumque gestis: dichterische Phantasie ist es, die dieses Übermaß (nimium) von Liebesdrang und Leidenschaft in dir erzeugt; otium reges prius et heatas perdidit urbes : hat doch dichterische Phantasie Könige und Städte, die vormals glücklich waren, im Liebeswahn sich auf- reiben lassen ... Er spielt auf die Homerische Dichtung an, welche aus dem Raube der Helena durch Paris den trojanischen Krieg ent- brennen ließ." Dieser Ausweg ist nicht gangbar. Nicht einmal das griechische oxo^, geschweige otium ist in der übertragenen Bedeutung, die Goldbacher zugrunde legt, so geläufig, daß die römischen Leser hier auf sie verfallen Avären. Ich kenne überhaupt nur eine Stelle, wo das nackte otium ähnlich gebraucht wird: Ovids Trist. II, 223 f. lusibus ut possis advertere numen ineptis excutiasque oculis otia nostra tuis, und hier ist es der Zusammenhang, der die Bedeutung unzweifelhaft an die Hand gibt. Überdies läßt sich die von Goldbacher geforderte

^) S. z. B. Ellis, Ä commentary on CatuUus, p. XXIXf.

2) Vgl. Theokrit XI, 72, c5 KvxXcor/j KvxXmp na zag cpgevag ixnenöiaaai, Vergil Ed. II, 69, a Corydon Corydon quae te dementia cepit.

3) Umfassender Überblick über diese Vermutungen in der Ausgabe von Ellis. Wiener Eranos. H

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Bedeutung nur mit Gewalt in jener Strophe durchsetzen, besonders in den zwei Schlußversen , und was ist das für ein Zusammenhang: „die soeben dargestellte Liebesqual ist nur dichterische Spielerei, auf deren Rechnung auch der angebliche Liebesdrang zu setzen ist, und dichterische Phantasie hat schon Könige und Städte zugrunde gerichtet oder untergehen lassen;" soll derartige Bösartigkeit der dichterischen Phantasie etwa begründen, daß sie auch unechte Liebessehnsucht zu suggerieren vermag? Goldbacher hat das Rätsel nicht gelöst; aber mit Recht hat auch er mehrmals hervorgehoben, daß die letzte Strophe selbständig den vorangehenden gegenübertritt.

Der Wahrheit sehr nahe gekommen istBirt (Philol. LXIII, 1904, 446), der die letzte Strophe dem alter ego CatuUs, seinem Genius, in den Mund legt, dessen Eingreifen er auch in andern Gedichten ver- mutet. Aber Birt ist auf halbem Wege stehen geblieben; denn im Grunde ist der Genius nur die ins Göttliche erhobene Persönlichkeit selbst, ihr daL(.i6vLov ^ und für den Eindruck des Gedichtes macht es daher keinen wesentlichen Unterschied, ob diese Worte dem Catull selbst oder seinem Genius zugewiesen sind.

Der jüngste Erklärer Catulls, G. Friedrich, verlegt das rätsel- hafte „Postskriptum" in eine spätere Lebenszeit Catulls: „der Stand- ort, von dem die Leidenschaft zu Clodia angesehen wird, ist ein völlig anderer: es kann unmöglich von Anfang an dazu gehört haben. Unsere Strophe hat in dem lihellus, der dem Cornelius gewidmet war, aber der Clodia allein galt, gefehlt und ist in merkwürdiger Selbsterkenntnis erst hinzugefügt worden, als das Verhältnis eine schlimme Wendung nahm." Das Heilmittel ist nicht viel weniger gewaltsam als die längst abgetane Interpolationstheorie.

Nein! Birt hat recht, daß die Worte nicht dem Dichter selbst in den Mund zu legen sind, sondern jemand anderem, aber dieser Andere ist nicht sein besseres Ich, sein Genius, sondern Lesbia. Mit feiner Schmeichelei, wie sie nur gegenüber einer literarisch ge- bildeten Dame angebracht war, besingt der Dichter seine Göttin im Tone der lesbischen Dichterin und wählt vielleicht mit Rücksicht dar- auf den Namen Lesbia. i) Er bekennt ijir, wie tief der Gedanke, daß ein andrer mit ihr scherze und kose, ihn erregt, weil er vor Liebe seiner nicht mehr mächtig sei. Nicht bloß ein Liebesbekenntnis ist das , sondern zugleich eine Liebeswerbung ; aber spröde weist sie ihn zunächst mit überlegen kühlem Spotte ab: „Du suchst meine Liebe nur

^) So auch AVestphal, Catiüls Gedichte, 49: Baehrens stellte II, 27 die ansprechende Vermutung auf, daß Clodia für Sapphos Gedichte schwärmte.

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zum Zeitvertreib, weil die Muße dir schon lästig geworden ist und weil dich der Haber sticht; dazu bin ich mir zu gut (nimium gestis). Solcher Müßiggang hat sogar mächtige Könige und Städte zugrunde gerichtet. Fang lieber was Gescheites an ;" vgl. Ovid Remedia amo7^s 139 Otia si tollas , periere Cupidinis armes und 143 f. Tani Venus otia amat, qui finem quaeris amoris , (cedit anior rebus) res age , tutus eris, weitere Parallelstellen in den Kommentaren von Baehrens und Fried- rich. Von Königen 1) scheint mir hier in erster Linie Sardanapal in Betracht zu kommen, der gerade damals durch das Werk des Tima- genes (s. Justin I, 3) den literarisch angeregten Kreisen der griechisch- römischen Welt näher gerückt worden war.

Ich fürchte nicht, daß jemand den pedantischen Einwurf erheben könnte, es müßten die Namen Catulls und Lesbias vor Rede und Ge- genrede stehen; denn es genügte ein größerer Zwischenraum vor der letzten Strophe, um das Verhältnis klar zu machen. Aber meine Auf- fassung des Gedichtes tritt in Gegensatz zu der Behauptung Fried- richs (65), daß die Initiative in diesem Liebesverhältnis auf Lesbia zurückgehe; doch er nimmt seine Beweise nur aus Gedichten, die auf Erneuerung der Beziehungen gehen. Jetzt sehen wir es klar, sie hat sich ihm nicht an den Hals geworfen, sondern ließ sich erst in wieder- holtem Ansturm erobern ; 2) aus der ersten Abfertigung klang es ja allerdings wie eine Aufforderung durch, die Echtheit der Liebe erst zu erweisen, und das konnte dem jungen Feuergeist nicht schwer fallen.

Gerne möchte man wohl wissen, wie Lesbias erste Entgegnung tatsächlich gelautet hat; doch wer könnte sich unterfangen, der Dich- tung schimmernden Schleier so weit zu heben. Gleichwohl darf an der Wirklichkeit der Situation, die den Dichter inspiriert hat, nicht ge- zweifelt werden, wie ja selbst Tibulls Gedichten gegenüber jetzt die ängstliche Zurückhaltung, die bis vor kurzem Mode war und in jeder Einzelheit ein griechisches Vorbild witterte, einer gesunden Ausdeutung zu weichen beginnt.

^) Vgl. Eilis, A commentary on Catullus, 178.

^) Baehrens II, 27, zu optimistisch; ^feminam quoque in initio certe probam honestamque videmus per aliquod tetnpus officii erga maritum memorem(?) restitisse precibus cupidi amatoris."

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Zu Properz.

Von KARL PRINZ.

In meiner Anzeige von Rothsteins erklärender Properz- Ausgabe (Zeitschr. f. d. österr. Gymn. 1899, S. 308 316) war ich bemüht, ihren Yorzügen gerecht zu werden, ohne jedoch zu verschweigen, daß des Gelehrten Erklärung oft dem Dichter eine auffallende Gespreiztheit und Geschraubtheit der Sprache und Gedanken zumute. Diese Behauptung suchte ich durch eine kurze Besprechung mehrerer Stellen zu erhärten. Im nachstehenden sei es mir gestattet, drei Stellen heraus- zuheben und zum Teil dort bereits kurz Angedeutetes hier des weiteren auszuführen oder zu berichtigen. Das Ziel, das ich mir setzte, ist ein sehr bescheidenes: handelt es sich mir doch in allen drei Fällen bloß darum, älteren Erklärungen wieder zu ihrem Rechte zu verhelfen.

I, 8, 4.

Es ist eine alte Streitfrage, wie es scheint, ob man in diesem Yerse quolihet mit vento zu verbinden oder es davon zu trennen und als Adverbium zu ire zu ziehen habe. Denn schon Passeratius hatte geschwankt und sich dann doch für die letztere Auffassung entschieden. Burmann widersprach und erklärte, die Verbindung mit vento ent- spreche viel besser dem Sinne; ihm schloß sich unter den neueren Erklärern Herzberg an. Rothstein dagegen ist wieder zur Anschauung, des Passeratius zurückgekehrt und bemerkt in seinem Kommentare: „vento ire gehört zusammen (vgl. sequere Italiam ventisYirg. Aen. IV, 381) und quolihet ist Adverbium." Es dürfte also vielleicht doch nicht ganz, überflüssig sein, noch einmal zu prüfen, welche von beiden Auffassungen die richtige ist.

Zunächst soll nicht bestritten werden, daß die Verbindung vento- (ohne Attribut) ire in aliquem locum sprachlich möglich ist; freilich zu

*

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der von Rothstein angeführten Vergilstelle bemerkte schon Servius: „sane multi Italiam distinguunt, ut sequatur: Ventis pete regna per undas," wozu sie vielleicht durch die Erinnerung an eine andere Stelle ver- leitet wurden, wo sich diese Verbindung findet: Aen. II, 25 vento pe- frtsse Mycenas (ebenso Aen. II, 180 und Ov. met. XV, 643), so daß ihre Ansicht auch unter den jüngsten Vergil-Erklärern Anhänger gefunden hat. Aber wenn man sagen kann: nam modo Threicio Borea, modo ciirrimiis Euro (Ov. ars am. II, 431) oder vento accedere oras (Verg. Aen. I, 307; schon bei Enn. Ann. 387 V. cum procul aspiciunt hostes accedere ventis navibus velivolis) oder ventis in patriam properare (Cic. epist. XII, 25, 3), so ist gewiß gegen vento ire (in aliquem locum) nichts einzuwenden. Naturgemäß wird freilich in solchen Wendungen häufiger ein Attribut zu ventus hinzugefügt; man vergleiche beispielsweise: secundissimo vento cursum tenere (Cic. nat. deor. III, 83; Plane. 94), suo vento navigare (Ov. rem. 14), suo vento ire (Ov. trist. III, 5, 4), dubiis ventis venire (Claudian. XXII, 255), (venire) vento molesto (Cic. Att. V, 12, 1), (venire) saevo vento, non adverso (Cic. ibid.), flatu secundo ire (Ov. met. XIV, 226), mediis aquilonibus ire (Verg. Aen. IV, 310). Man sieht, der Sprach- gebrauch allein kann an unserer Stelle nicht entscheiden, welche von beiden Erklärungen vorzuziehen ist; zum Ziele kann uns vielmehr bloß die Erwägung führen, welche wohl dem Sinne mehr entspricht. Der Dichter hatte gefragt: „Bist du also wirklich wahnsinnig? Die Sorge um mich hält dich gar nicht?" Er fährt fort: ,.Ziehst du mir selbst das kalte Illyrien vor oder gilt dir jener Mann, wer immer er ist, bereits so viel, daß du ohne mich (d. h. wenn du mich nur los bist) mit dem Winde, gleichviel wohin, gehen willst?" Das wäre der Sinn der Stelle, wenn wir quoUbet als Adverbium fassen. Aber ich denke, so würde der im letzten Vers ausgesprochene Gedanke bloß den des zweiten wiederholen und überdies nach der bestimmten Angabe des Reiseziels, des unwirtlichen Illyriens, das unbestimmte quolibet keine Steigerung des Effekts, eher eine Abschwächung bringen. Auch nimmt sich das unbestimmte vento in diesem Zusammenhange doch etwas sonderbar aus. An einen vorschwebenden Gegensatz zu remis ist nicht zu denken, vielmehr könnte der Sinn meines Erachtens bloß sein: „gleichviel, wohin dich der Wind trägt"; aber das stimmte dann wieder nicht zu Vers 2, der uns ein bestimmtes Reiseziel angibt. Wie aber steht es, wenn wir vento quolibet verbinden? Nun ergibt sich sichtlich eine Steigerung: V„Nach dem unwirtlichen Illyrien willst du fort? So wenig gelte ich dir? Und jener Nebenbuhler steht bei dir schon in solcher Gunst, daß du bereit bist, wenn nur von mir befreit, bei jeglichem Winde, ob günstig oder widrig, die Reise zu machen?"

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Ich gestehe, daß mir die Gedanken so dem Ethos der Stelle viel angemessener zu laufen scheinen. An welchen Wind bei vento quolihet gedacht ist, ergibt sich aus diesen Versen von selbst und lehrt noch deutlicher der unmittelbar folgende: „Du bringst es über dich, tapfer das Brausen des wütenden Meeres (vesani ponti) zu hören? Du vermagst auf hartem Verdeck zu liegen?" und etwas später Vers 13: tales suhsidere ventos, das heißt „hosßatos hibernos", wie Lachmann richtig erklärte. Mit den Versen 5 8 scheint mir trefflich die Liebesleiden- schaft des Weibes zu dem neuen Galan charakterisiert zu werden, sie sei echt oder affektiert: „Das schwache, verwöhnte Geschöpfchen ist jetzt auf einmal abgehärtet genug, um auf den Dielen des Verdecks zu liegen und der Seekrankheit zu trotzen! Ist's möglich?" Wem fiele hier nicht die ausgezeichnete Schilderung jener liebestollen verwöhnten Römerin ein, die wir bei Juvenal VI, 88 ff. lesen:

„Sed quamquam in magnis opibus plumaque paterna et segmentatis donnisset parvula cimis, contempsit pelagus ; famani contempserat olim, ciiius apud molles minima est iactura cathedras. Tyrrhenos igitur fluctus lateque sonantem pertulit lonium constanti pectore, quamvis mutandum totiens esset mare. iusta pericli si ratio est et honesta, timent pavidoque gelantur pectore nee tremuUs possunt insisfere plantis : fortem animum praestant rebus quas turpiter audent. si iubeat coniunx, durum est conscendere navem, tunc sentina gravis, tunc sunimus vertitur aer : quae moechum sequitur, stomacho valet. illa maritum convomit, haec inter natitas et prandet et errat per puppern et duros gaudet tractare rudeyitis."

Welche Jahreszeit Properz für diese Fahrt voraussetzt, ergibt sich klar aus den folgenden Versen, in welchen vom Schnee die Rede ist, der Illyrien bedeckt, und von den tempora hibernae hrtimae; es ist also W^interszeit, zum mindesten steht der Winter vor der Tür. Wenn sich hieran gleich der Wunsch anschließt, es möge die Winterszeit doppelt lange dauern, so ist das nur verständlich, wenn man annimmt, der Dichter könne sich doch nicht denken, daß sich Cynthia wirklich in dieser Jahreszeit zu einer solchen Reise entschließen werde ; offenbar denkt er: Zeit gewonnen, alles gewonnen. So scheint sich mir alles wohl zusammenzuschließen, wenn wir uns zu der Auffassung Bur- manns bekennen. Ich möchte sie aber auch noch durch den Hinweis

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darauf stützen, daß aucli zwei andere Dichter in ähnlicher Situation den gleichen Gedanken betonen: „mir zu entfliehen, scheust du selbst das stürmische Wetter nicht?" Ich meine die Stelle in der Äneide (IV, 307 fF.), wo Dido klagt:

„Nee te noster amor nee te data dextera quondam nee moHtura tenet erudeli funere Dido? quin etiam hiberno moliris sidere elassem et mediis proper as aquilonibus ire per altum, crudelis? quid, si non arva aliena domosqiie ignotas peteres et Troia antiqua maneret, Troia per umlosum peteretur classibiis aeqiior?. mene fiigis?"

und Ovid, epist. YII. 39 fF., wo er Dido gleichfalls sagen läßt:

„. . . mare^ quäle indes agitari nunc quoque ventis: quo tarnen adversis fluctibus ire paras.

quo fugis? obstat hiempsf hiemis mihi gratia prosit, aspice, ut eversas concitet eurus aquas.

quod tibi malueram, sine me debere procellis : iustior est animo ventus et unda tuo."

Man beachte, wie auch hier die Verlassene vom Aufschub der Fahrt infolge der stürmischen Winterszeit für sich selbst eine günstige Wendung erhofft; noch deutlicher wird dies etwas später (Vers 51) mit den Worten ausgesprochen: tu quoque cum ventis utinam mutabilis esses !

IV, 3, 51 ff.

Arethusa bedauert es, daß die Römermädchen nicht in den Krieg mitziehen dürfen ; sie würde sonst gern ihren Gatten auf seinen Kriegs- zügen begleiten; es folgen die Verse:

46 Essern miUtiae sarcina fida tuae,

nee me tardarent Scythiae iuga, cum pater alias

astricto ^) in glaciem fiigore 7iectit aquas. omnis amor magnus, sed aperto in coniuge maior: 50 hanc venus, ut vivat, Ventilat ipsa facem.

nam mihi quo? Foenis tibi purpura fulgeat ostris

crystallusque meas ornet aquosa manus. omnia surda tacent, rarisque adsueta kalendis vix aperit clausos una puella lares,

^) Africus oder Affricus die Handschriften.

168 -•

55 GJaucidos et catulae vox est mihi grata querentis: illa tili partem vindicat una toro.

Hier haben den Erklärern besonders Vers 51 und 52 Schwierig- keiten gemacht. Liit Johann wunderte sich in seinen Commentationes Propertianae (Kiel 1869), was für ein sonderbarer Beweis doch damit für den vorausgehenden Gedanken: omnis amor magnus etc. erbracht werde. Er sagt (S. 37): ,,htmis aiitem sententiae quäle tandeni testimonium proferunt vv. 51 sq., quippe qiii '^nani particula incipiant? si prohamus^ ut decet, Neapoliiani in v. 52 scriptnram ^meas" (cfr. Jacohus ad h. v.) „cur mihi,^ itiquit Arethusa „ornamenta induam? non mea causa, sed ut tibi placeam oimare me soleo". haec tarnen eniintiatio ut praecedentis distichi normam conßrmet, tantum ahest, ut non possit no7i causam olim attuUsse, cur Arethusa absente marito se sordidis vestibus indutam quasi maerere questa sit. eius igitur generis aliquot versus ante v. 51 deperditi sunt, nisi ^nam* particula sano sensu prorsus carere existimanda est."'^) Seiner Anschauung schloß sich Baehrens in seiner Textausgabe an, indem er nach Vers 50 eine Lücke statuierte. Andere Herausgeber aber, wie Müller, Haupt-Vahlen, Rothstein, Schulze, verhalten sich dagegen ablehnend. Wie wird nun von ihnen nam mihi quo? erklärt?

Rothstein sagt (Ausg. II, S. 211), das begründende nam knüpfe nicht an die unmittelbar vorhergehende allgemeine Bemerkung an, sondern an den Wunsch, mit im Felde zu sein; das wäre trotz aller Mühe und Gefahren angenehmer als das einsame Leben im Hause, das eine rechtmäßig verheiratete Frau in der Abwesenheit ihres Mannes führen müsse. Die Worte mihi quo"^ faßt er als einen ver- kürzten Fragesatz auf, bei dem ein Verbum der Bewegung zu ergänzen sei, etwa fuger e licet, „wohin soll ich, was soll ich mit mir anfangen?"; das sei anders gemeint, aber sprachlich nicht verschieden von Fällen wie quo tu matutinus, ait, speculator amicae (II, 29 b, 31). Ferner faßt Roth stein die folgenden Konjunktive fulgeat und ornet konzessiv und verbindet damit als Nachsatz omnia surda tacent etc. „Vom Standpunkte der sehnsüchtig wartenden Gattin," erklärt er, „erscheinen diese Vor- bereitungen wie ein Mittel, das den Mann heranziehen soll, das aber seine Wirkung verfehlt" und „Alle diese Vorkehrungen werden für den heimkehrenden Gatten getroffen (tibi fulgeat), aber vergebens; alles bleibt still wie zuvor."

So richtig nun Rothstein erkannt hat. daß das begründende nam über die unmittelbar vorhergehende allgemeine Sentenz hinweg an

^) Auf Lütjohanns anderweitige Vorschläge von Yersumstellungen hier einzugehen, verleimt sich nicht.

169

Arethusas Wunsch, ihrem Manne doch ins Feld folgen zu können, angeknüpft werden muß wodurch sich die Bedenken Lütjohanns «riedigen , so unrichtig ist alles andere, was er zur Erklärung der Stelle vorgebracht hat. Ganz entschieden muß man vor allem die Erklärung von nam mihi 'quo? ablehnen. Arethusa hat gar keinen Anlaß zu einer Frage : quo mihi fugere licet ? Sie kann ruhig in ihrem Hause die Eückkehr ihres Gatten abwarten, nichts nötigt sie, an ein fugere zu denken. Daß vollends diese Wendung soviel bedeuten könne me: „was soll ich mit mir anfangen?" ist eine durch nichts bewiesene Behauptung. Aber auch der zweite Teil seiner Interpretation ist durchaus nicht einwandfrei. Wenn man bedenkt, daß Lycotas viele tausend Meilen weit von Rom entfernt vor Baktra weilt, so muten uns die Worte seiner Frau: „Ich mag mich für dich schmücken, wde ich will, es bleibt alles still, du kommst nicht", doch recht sonderbar an. Auch darf nicht übersehen werden, daß die Worte omnia siirda tacent ja doch noch eine Fortsetzung haben: rarisque adsueta kalendis vix aperit claiisos una puella lares, Glaucidos et catulae vox est mihi cara querentis: illa tut partem vindicat una toro. Kann das alles auch noch Nachsatz sein zu einem konzessiven Vordersatz: „Mag ich mich auch für dich schmücken?'' Mit einer solchen Interpretation würden wir dem Dichter eine große Geschmacklosigkeit zumuten, wozu uns nichts berechtigt, aber auch nichts zwingt.

Betrachten wir die Yerse 53 56 für sich! Mehrere Einzelzüge ergänzen hier das schon früher begonnene Gemälde des einsamen Lebens der armen, verlassenen, nach ihrem Gatten sich sehnenden Frau in der glücklichsten Weise. Sahen wir früher Arethusa an den Winter- abenden Wolle spinnen, Länderkunde studieren, umgeben bloß von ihrer Schwester und der alten Amme, so hören wir jetzt, wie still es in dem Hause ist, wie selbst die bescheidensten häuslichen Freuden, die der Larenkult sonst an den Kaienden, Nonen und Iden mit sich brachte, sich nun auf ein Minimum beschränken einmal im Monat öffnet eine einzige Sklavin den Larenschrein! Das ist alles! wie Arethusa selbst das Winseln ihres Hündleins Glaucis schon als Trost in dieser Öde empfindet; sie schließt: „die Glaucis ist's allein, die einen Teil des für dich bestimmten Platzes im Ehebett in Anspruch nimmt." Sehr bezeichnend für die in der ganzen Elegie herrschende Stimmung klingt auch hier wieder der gleiche Ton an, der schon früher (Vers 11) mit haecne maHta fides et pactae in gaudia^) noctes? und am vollsten in den Versen 29 32 angeschlagen worden war:

*) Diese Besserung Rothsteins (im Anschluß an Haupt und L. Müller) scheint ipir richtig; et parce avia noctes hat der Neapolitanus.

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Ät mihi cum noctes induxit vesper amaraSj

si qua relicta iacent, osculor arma tua. tum queror in toto non sidere pallia lecto,

lucis et auctorcs non dare Carmen aves.

Aus jedem Worte atmet es: „Dich, dich verlange ich! Ohne dich keine Ruhe und Rast, ohne dich keine Freude!" Wie kann sich in diesen Zusammenhang die vorhergehende Erwähnung der Pracht von Purpurkleidern und des Gefunkeis von Edelgestein an der Hand logisch allein einreihen? Doch nur so: „jetzt leuchtet kein Purpurkleid an meinem Leibe, funkelt kein Stein an meiner Hand." Warum? Klarlich doch nur, weil aller Schmuck für Arethusa wertlos ist, wenn er, für den allein sie sich schmückt, ferne weilt. Und dieser Sinn läßt sich unschwer den Versen abgewinnen ; man hat dies längst erkannt und der alten Erklärung soll hier wieder zu ihrem Recht verholfen werden.

Was Arethusa Vers 52 56 schildert, das ruhige Leben zu Hause während der Abwesenheit ihres Gatten, wird als wertlos, als bar aller Freuden hingestellt mit den Worten: 7iam mihi quo? „Denn was hab^ ich davon?", ti töv jaoi r^S^^^'^ wie es bei Homer (S 80) heißt. Eben hatte sie sich im Geiste wie Hippolyte in Kriegskleidung, den drückenden Helm auf dem zarten Haupte, alle Beschwerden des Krieges im eisigen Skythien an ihres Mannes Seite ertragen gesehen (Vers 43—48) ; o, vde leicht würde ihr dies! Wie wenig mirde sie die Purpurkleider, den Edelstein an ihrer Hand, das ruhige, stille Leben zu Hause vermissen, wenn sie ihn. den Ersehnten, nur T\ieder hätte! Hat dies ja doch alles keinen Wert für sie, wenn er ihr fehlt. Das ist der Gedankengang. Beabsichtigt war also etwa : 7iam quo mihi fulgere ptirpura, ornare m^nus crystalJo, cum tu^ unicus mei cultus auctor^ ahsis? Diese Bedeutung von quo mihi ? ist gesichert durch Beispiele i) wie Ov. ars am. I, 303 quo tibi, PasiphaCy pretiosas sumere vestes? amor. III, 8, 47 quo tibi turritis incin- gere moenibus urhes? quo tibi discordes addere in arma tnanus? Pont. I, 5, 67 quo mihi diversum fama contendere in orbem? Hör. sat. I^ 6, 24 quo tib% Tilliy sumere depositum clavum fierique trihuno? Ov. amor. III, 4, 41 q^uo tibi formo7isam, si non 7iisi casta placebat? 11, 19. 7 quo mihi for- tunam, quae nunqu am /allere curetf (Hör. epist. I, 5, 12 der gleiche Vers- anfang) III, 7, 49 quo mihi fortunae tantum? quo regna sine usu? Selbst in Prosa: Cic. epist. VII, 23. 2 Martis vero signum quo mihi, pacis auctori? Freilich erscheint hier überall dabei entweder ein Infinitiv

') Sie sind größtenteils gesammelt von Krüger, Gr. d. L. Spr. § 662 c (darnach Eliwald zu Ovid met. XIII, 103) ; die übrigen gibt Heinsius zu Ovid ars am. I, 308.

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oder ein Akkusativ; an unserer Stelle fehlt eine solche Ergänzung. Wir müssen also eine Ausnahme konstatieren, doch erklärt sie sich durch den Gegensatz mihi Vibi, Indem sich Arethusa der Gedanke: „schmücke ich mich ja doch für dich allein" aufdrängte, wurde der mit nam mihi quo begonnene' Satz nicht zu Ende geführt, sondern ihm der neue Gedanke in scharfer Antithese entgegengestellt: tibi purpiira fidgeat et crystallus manus meas ornetf

Diese Erklärung, die ich im einzelnen näher zu begründen suchte, ist, wie erwähnt, nicht neu, sondern schon in älteren Ausgaben versucht worden. Sie läßt sich auch noch durch den Hinweis auf zwei Parallelen stützen, die mir zu beweisen scheinen, daß der nach unserer Erklärung in den Versen 51 52 enthaltene Gedanke mit Vorliebe Frauen in den Mund gelegt wurde, die von ihrem Geliebten oder ihrem Manne getrennt sind oder werden. Die eine finde ich in dem Sappho-Briefe ob er Ovid zum Verfasser hat oder nicht, kann für uns hier gleichgültig sein ; dort schreibt die verlassene Dichterin (Vers 73 ff.) an ihren Geliebten:

„Ecce, iacent collo sparsi sine lege capilli^

nee premit artieulos lucida gamma meos.

veste tegor vili^ nullum est in crinihiis aurum^ non Arabum noster rore capillns ölet.

Olli colar infelix, aut cui placuisse laboremf nie mei cultiis unicus auctor abest.''

Da haben wir dieselbe Stimmung wie in unseren Properz-Versen und sehen, me der Dichter die gleichen Mittel verwendet, um sie zum Ausdrucke zu bringen. Ferner möchte ich auf Stat. Theb. IV, 200 ff. hinweisen; dort spricht Argia zu ihrem Gatten, der in den Krieg zieht, indem sie ihm ihren Schmuck, das berühmte Halsband der Harmonia, einhändigt, Worte, die ihr das gleiche Empfinden treuer, inniger Liebe zum Manne eingibt; die Stelle lautet:

lila libens .... ipsa sacros gremio Polynicis amati exuerat ciiltus haut maesta atque insuper addit: „non haec apta mihi nitidis ornatibtis" inquity „tempora, nee miserae placeant insignia formae te sine: sat dubiiim coetu solante timorem /allere et incultos aris adverrere crines. scilicet (infandumf), cum tu claudare minanti casside ferratusque sones^ ego divitis auriim Harmoniae dotale geramf"

172 IV, 5, 47 ff.

Die Kupplerin Acanthis stellt als Grundsatz in ihrem Hetären- katechismus auf:

Janitor ad dantes vigilet: si pulset inanis, Surdiis in ohductam somniet usque seram.

Der zweite Vers ist verschieden erklärt worden ; selbst Änderungen wurden versucht, doch ist die handschriftliche Überlieferung jetzt auch durch eine Wandinschrift in Pompeji (CIL lY, 1894) gesichert. Ich bespreche den jüngsten Erklärungsversuch Rothsteins (Ausgabe II, S. 239) zunächst. Nach ihm bedeutet der Vers, der Türhüter solle, wenn ein Armer klopfe, so tun, als ob er so fest schlafe, daß er das IQopfen nicht höre. Die Folge dieses Verhaltens werde durch in ohduc- tam seram bezeichnet. Und zwar gebe in mit dem Akkusativ den Zweck oder die Wirkung der Handlungen, etwa so, wie man dormiat in meam calamitatem sagen könne; nur werde der abstrakte Begriff hier durch ein Substantiv mit einem Partizip vertreten. Rothstein führt zur Stütze seiner Erklärung folgende Stellen an: 1) Prop. III, 9, 56 Äntonique graues in sua fata manus \ 2) III, 22, 38 curvatas in sua fata trabes; 3) IV, 5, 71 eanis in nostros nimis experreda dolores; 4) IV, 6, 13 Caesaris in nomen ducuntur carmina; 5) Hör. od. II, 3, 27 nos in aeternum exilium impositura cymhae; 6) Ov. am. I, 13, 46 commisit noctes in sua Vota duas; 7) met. VII, 738 in mea pugno vulnera; 8) fast. III, 482 in lacrimas cognite, Bacche^ meas; 9) Liv. XXVI, 16, 11 multitudo civium dissipata in nullam spem reditus.

Prüft man jedoch die angeführten Stellen und versucht, die gleiche Erklärung, die sie zulassen, auch auf unsere Stelle anzuwenden, so ergibt sich, daß dies unmöglich ist. Man kann die Beispiele in zwei Gruppen teilen; ^j zur ersten gehören 1, 4, 6, 7, deren Sinn ist: Die Grausamkeit der Hände des Antonius (1) hat seinen eigenen Tod zum Ziel, wie das Singen des Liedes (4) Cäsars Ruhm, die Vereinigung zweier Nächte, die Jupiter vornimmt (6), die Erfüllung seiner Wünsche; so strebt auch Cephalus (7) mit seinem Kampfe nach seinem eigenen Leide. Zur zweiten Gruppe gehören die Beispiele 2, 3, 8, 9; ihr Sinn ist: Das Biegen der Bäume, das Sinis beliebt (2), sollte seinen eigenen Tod zur Folge haben, wie das Wachen des Hundes (3) die Schmerzen des Dichters, die Bekanntschaft mit Bacchus (8) die Tränen, die Zer- streuung der Bürger Capuas (9) den Verlust jeder Hoffnung auf Rückkehr. Demnach könnte somniare in ohductam seram nur bedeuten, das Träumen des Türhüters habe zur Folge, daß der Riegel vorgeschoben wird (oder

^) Beispiel 5 möchte ich lieber nicht hieher ziehen.

173

bezwecke, daß er es werde) ; ich denke, das Widersinnige einer solchen Er- klärung liegt auf der Hand, selbst wenn man Rothsteins Ausflucht, der abstrakte BegriiF sei hier durch ein Substantiv mit einem Partizipium vertreten, gelten lassen wollte. Wir müssen eben annehmen, daß die Tür auch geschlossen ist, wenn ein Reicher kommt; nur daß dann der Türhüter wachen, das heißt, auf sein Klopfen hin den Riegel zurück- schieben und den Besucher einlassen soll; kommt aber ein armer Teufel, dann soll er ruhig weiter schlafen und den Riegel hübsch vor- geschoben lassen. Letzteres kann also nicht erst als eine Folge oder als Zweck seines Schlafens hingestellt werden. Anders liegt die Sache in dem von Rothstein vergleichsweise beigesetzten Beispiele: ianitor dormit in meam calamitafem; hier ist die Folge seines Schlafens wirklich mein Unglück.

Demnach wird man diese neueste Erklärung aufgeben und sich nach einer anderen umsehen müssen. A^on den schon vorgebrachten verdient meines Erachtens nur eine einzige wirklich Beachtung; es ist die Joh. Fr. Grronovs, der (Diatr. Stat. cap. 51, p. 336) die Stelle so verstanden hatte: „somniet inclinatus in seram^ iaceat acclinis serae ohductae ceu somniet.^' Ich hoffe diese Erklärung, für die sich u. a. auch Hertzberg (Ausg. II, 453) ausgesprochen hat, durch einige Parallelen stützen zu können.

WieCelsus (med. YII, 27, p. 314, 21 D.) sagt (aeger) collocari dehet . . . in ventrcm^ so an anderer Stelle (YII, 26, 5, p. 313, 37 D.) cubare in ventrem iucundius est (ebenso Y, 26, 10) oder II, 3, p. 32, 25 D. si (aeger) in latus aut dextrum aut sinistrum, ut ipsi visum est, cubat; daß auch der Poesie diese Ausdrucksweise nicht fremd ist, lehrt z. B. Juv. III, 280 cubat in fadem, mox deinde supimis (Nachahmung von Hom. IL XXIY 9 ällov STtl TcXevQccq '/MiaKel/Ltevog, älloze ö avte VTtnog^ älXoxe de TtQrjvrig) oder Ov. ars am. III, 788 (femina) iacct in dextrum semisupina latus. Nur gering wäre die Abweichung von diesem Sprach- gebrauch, wenn nach Analogie von cubare in dextram aurem gesagt würde: dormire in dextram aurem; und daß dies wohl möglich war, beweist Terent. Haut. 342 ademptum tibi tarn faxo omnem metum, in aurem utramvis otiose ut dormias und Plin. epist. lY, 29, 1 nihil est, quod in dextram aurem fiducia mei dormias. Wir wissen, daß man so sprich- wörtlich von Sorglosen zu sagen pflegte, und zwar in Nachbildung eines griechischen Sprichwortes icrt ducpÖTeQa (nämlich wta) '/.ad^evöeiv (Corp.paroem. Gr. I, p. 409, nr. 78; II, p. 415, nr. 72a; erhalten in einem Menander-Yers, Com. Gr. fr. coli. Meineke lY, 189 v. 1); wie gebräuchlich die Wendung gewesen sein muß, können wir aus Plaut. Pseud. 122 ff. ersehen, wo die scherzhafte Umbildung gewagt wird: de istac re in

174

octilum utrumvis conquiescito, worauf die Frage folgt: utriim? anne in atirem? und die Erwiderung: at hoc pervolgatumst minus. Diese Stellen scheinen mir zu beweisen, daß ianitor dorm'it in seram obductam eine dem Römer ganz leicht verständliche, gar nicht auffällige Ausdrucks- weise gewesen wäre; die Situation ist klar: der Türhüter sitzt hinter der verschlossenen Tür, wahrscheinlich auf einem Schemel, den Rücken ihr zugewandt; der Schlaf hat ihn übermannt, das Haupt ist nach rückwärts auf den vorgeschobenen Türbalken gesunken und so schläft er ruhig fort und träumt, trotz des Pochens draußen. Das einzig Auf- fallende unserer Stelle ist also, daß Properz statt dormire sonmiare gesagt hat; und wenn sich dafür auch, wie es scheint, kein zweiter Beleg beibringen läßt, so denke ich doch, daß die Wendung keine so gewagte war, daß der Dichter ein Mißverständnis seitens seiner Leser hätte befürchten müssen.

Horatiana.

Von HUGO JURENKA.

A. Zur Kritik. Carm. I, 23, 4 ff. nam seu mohilihus veris in- horruit \ adventus foliis . . . ,denii seis, daß in beweglichen Blättern erschauerte des Frühlings Nahn . . .' Es mag genug Leute geben, die solch blühenden Unsinn auch einem lateinischen Dichter zutrauen möchten. 1) Mit vollem Rechte hat ihn schon Bentley zurückgewiesen, denn man kann zwar sagen arhoi^ inhorrescit foliis oder folia arboris inhorrescunt , nimmer aber ver und schon gar nicht adventus veris in- horrescit foliis. Bentleys Konjektur . . . vepris inhorruit \ ad ventum foliis wurde allgemein gepriesen und von den meisten Horazkritikern in den Text gesetzt. Indes erscheint die Nominativform vepris durch die Appendix Probi p. 198, 16 K. ,vepres non vepris^ schwerlich zur Genüge beglaubigt. Vielleicht läßt sich aber die Heilung durch einen einzigen Schnitt, durch Tilgung eines einzigen Buchstabens herbeiführen:

nam seu mohilihus veris inhorruit adventu foliis ^ seu virides ruhum dimovere lacertae ....

Ein Vorwitziger, der nicht gleich daraufkam, daß das Subjekt von inhorruit aus dem folgenden ruhum zu ergänzen ist, schwärzte ein neues ein, indem er zu adventu ein s hinzufügte. Freilich kann ich meine Konjektur nicht entgültig aufstellen; es fehlt mir das, was das Wirksamste ist ad persuadendum, die Belegstellen für eine solche aTvö zotroO-Ergänzung. Ich muß sie schuldig bleiben und mich vorläufig mit einem deutschen Beispiel begnügen: Bedenk, auf ungetreuen

') Noch neuestens verteidigt von .T. W, Beck, Horazstudien pag. 22.

176

Wellen, | wie leicM kann sie der Sturm zerschellen, | schwimmt deiner Flotte zweifelnd Glück. i)

B. Zur Erklärung. A. Kornitzer hat in der Z. f. ö. G. 1906, 876 ff. und 1907, 865 ff. A. Kießlings neuartige Erklärung von carm. III, 5, 27 neque amissos colores lana refert medicata fuco an- gefochten und die bisher übliche mit aller Entschiedenheit ver- teidigt. Jedermann muß ihm recht geben. Es steht aber dieser Fall nicht vereinzelt da! im ganzen Buche herrscht das Streben vor, einfach -natürliche und erbgesessene Erklärungen aus dem Sattel zu heben und an ihre Stelle überraschende Neudeutungen zu setzen. Leider hat Richard Heinze auch in der 6. Auflage des Buches nicht die Zeit gefunden, den Kommentar in dieser Hinsicht einer gründlichen Revision zu unterziehen. Um daher den Leser vor Irrwegen zu be- wahren, will ich noch einige Fingerzeige geben, mit ganz kurzer Begründung und nur aus dem ersten Buche der Oden, um den mir gewährten Raum nicht zu überschreiten.

2, 17 ff. Iliae dum se nimium querenti \ iactat ultorem. Nimium soll nicht zu querenti gehören, sondern als Attribut zu ultorem. Vgl. aber 33, 1 ne doleas plus nimio und auch das deutsche Volkslied (Universal- Liederbuch, Reutlingen, Enßlin und Laiblin, S. 293): ...Mädchen, warum weinest du, weine nicht zu sehr. Die Stellen lehren, daß in nimium kein Tadel zu liegen braucht. 3, 9 Uli robur et aes triplex [ circa pectus erat. Nicht an Schild und Harnisch müße hier gedacht werden, sondern an das homerische öidijQELOv '^voq als Bezeichnung der Unempiindlichkeit. Man mag sich einreden lassen, daß zur Bezeichnung der Härte an Stelle von Eisen (oder Stahl: Bind. fr. 100, oder Stein: Tib. I, 1, 63) auch Erz und Holz treten könne und daß circa pectus nicht ,um die Brust', sondern ,in der Brust' bedeute: daß bei tri-plex an etwas anderes zu denken sei als an die od/.Eog TtTv^eg. wird kein Mensch glauben. 4, 5. iam Cytherea choros ducit Venus inminente luna. Möglicherweise richtig ist die Erklärung, daß Cytherea kein bloßes Beiwort ist, da die Verbindung des Namens mit einem geographischen Attribut nicht häufig oder überhaupt prosaisch sei (s. aber z. B. w 1 '^EQ/ufig . . . KvXlrjviog), sondern uns nach der Kult- stätte versetzt. Die beste Parallele hiefür ist Verg. Aen. III, 162 non haec tibi litora siiasit Delius (III, 73 ff.) aut Cretae iussit considere Apollo. Für notwendig erachte ich sie nicht. Sicherlich abzulehnen

^) Ein lateinisches Beispiel, das ich jedoch gleichfalls nur vorläufig geltend machen will, stellt mir A. K a p p e 1 m a c h e r zur Verfügung : Tac. ann. II 55 sed tan ta mansuetudine agehat, ut, cum orta tempestas raperet in ahrupta (sc. inimicum) possetgue interitus inimici ad casum referri, miserit triremes, quariim suhsidio discrimini eximeretur.

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ist aber die Deutung von inminente Luna. Wenn der Dichter das sagen wollte, was Kießling hineinlegt, so mußte er wenigstens e curni oder dgl. hinzufügen, wie eben Val. Flacc. VI, 681 tut: inminet e celsis audentius inproba muris virgo. Nichts anderes bedeutet inminente luna als GelrivT^q e7teyovGi]g, vgl. (Diod. III, 20, 1 ävcod-ev STteyorai^g Trergag vipY^Xiig und) Sappho frgm. Berol. 2, 4 cpäog (aeldvvag) d' eTtioyeL d^dXaooav Itc dXfiVQav locog xal . . . aQovQag. Ebensowenig wie hier luna ist 6, 9 pudor groß zu schreiben. Denn das folgende Miisa, dem zuliebe es geschehen soll, ist ja kein nomen proprium, sondern, wie sehr oft bei allen Dichtern, ein appellativum. Es bezeichnet nicht die leib- haftige Muse der Lyrik, sondern die Dichtkunst des Horaz, die nur des lyrischen Liedes mächtig ist. 12, 45 f. crescit occulto velut arbor aevo I fama Marcelli, Occulto aevo soll nicht ahl. qual.^ sondern abl. abs. oder noch besser dat. sein: ,es wächst für verborgene Zeiten (= für eine ferne Zukunft) der Ruhm des M. wie ein Baum'. Wenn Kieß- ling auf II, 2, 5 vivet extento Proculeius aevo hinweist, so ist zu ent- gegnen, daß hier der Ausdruck extento , ausgedehnt' eine Beziehung auf die Zukunft nötig macht (Plaut. Bacch. III, 3, 26 ibi siiam aetatem extendebanty non in latebrosis locis^ Liv. XXVII, 2, 6 ab hora tertia cum ad noctem pugnam extenderent^ Verg. Gr. II, 405, curas venientem in annum €xtendere)y was bei occulto ("= ignoto) nicht der Fall ist. Weiterhin kann aber der Baum an sich doch nicht als Sinnbild der Fortdauer in eine ferne Zukunft hingestellt sein, wohl aber ein sehr alter Baum als das unverwüstlichen Wachstums (crescit). Wenn ferner der Ruhm der Marzeller sich seit Clastidium herschreibt, d. i. seit 222 v. Chr., also rund zweihundert Jahre alt, vorhannibalisch ist, so kann ihn Horaz gewiß als sehr alt bezeichnen. An einen Gegensatz aber zwischen dem Alter des Geschlechtes der Julier und Marzeller ist an dieser Stelle überhaupt nicht zu denken. Endlich scheint Kießling selbst das Mißliche des unausgeglichenen ,wie ein Baum' gefühlt zu haben, denn er zitiert Bind. Nem. 8, 40 av^evac d' dgerä x^cogalg eegaaig chg ore devÖQiov aöoei. Hier aber ist der sprachliche Ausdruck vollkommen abgerundet: ,der Ruhm wächst durch das Siegeslied (das sagen die nächsten Worte ev [= durch] oofpolg dvdQÜv [— die Dichter] . . .) wie durch den Tau der Baum'. 28, 15 sed omnis una manet nox \ et calcanda semel via leti. Una nox sei nicht die alle einigende (una = eadem) Nacht, sondern die eine Nacht, der keine zweite folgt, die nox perpetua una dormienda CatuUs (5, 6). Bei dieser Erklärung wird aber der vom Dichter offenbar gewollte Gegensatz Vielheit (omnes)— Einheit preis- gegeben, weil dann una, wie das von Catull hinzugefügte perpetua lehrt, kein Numerale sondern ein Adjektiv wäre: ,alle bedräut die ewig-

Wiener Eranos. 12

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währende Nacht (des Todes)". Und diesen Gegensatz soll K. nicht gefühlt haben, er, der allerorten Gegensätze wittert, auch dort, wo sie sonst kaum jemand wahrnimmt, z. B. 1, 8 tollere honoribus und 9 si proprio condidif hör reo, 4, 9 caput impedire myrto und 10 terrae solutae, 7, 19 fulgentia signis castra und Tiburis umbra tut, 9, 11 cupressi orni, 22, 12 inermem und 13 militaris Daunias usw.? Übrigens ist hier die Erklärung vorgeschrieben durch Ovid Met. X, 32 omnia debentur vobis paulumque niorati \ serius aut citius sedem properamus ad unam. Endlich zeigt der Kießlingsche Kommentar eine Vorliebe dafür, bei Wörtern, deren ursprüngliche, aus den Etyma sich ergebende Bedeutung längst verblaßt ist, die Bedeutungskraft der Etyma geltend zu machen, so z.B. zu 12, 15 variis mundum temperat horis und 26, 6 apricos necte flores. Gleich zwei solche Erklärungen gibt K. zu dem kurzen 38. Gedicht. Persicos adparatus seien nicht prächtige Zurüstungen nach Perserart, sondern persische Zu- taten, worauf auch das V. 5 folgende ad-labores hinweise. Da fehlte also nur noch, daß für das einfache paratus hingewiesen würde auf Ovid Met. YIII, 683 veniam . . . nuUisque paratibus orant. V. 6 sedulus bedeute endlich nicht bloß , emsig, geschäftig', sondern bezeichne (se dolo^:^sine dolo) die hingebende Beflissenheit des Dieners.

Die sechzehnte Epode des Horaz.

Von R. G. KUKULA.

In einer trefflichen i^bhandlung hat Franz Skutsch (N. Jahrbuch, f. d. klass. Alt. 1909, S. 23ff.) das Problem der sechzehnten Epode des Horaz abermals zur Erörterung gestellt. Mit Recht hebt er hervor, daß das Gedicht, ,, gleich hervorragend durch seine formelle Vollendung wie durch Schwung und Männlichkeit, Abrundung und Klarheit", ganz besonders eine erschöpfende Interpretation verdiene. Wie weit wir gleichwohl von der Erfüllung dieses Wunsches noch immer entfernt zu sein scheinen, möchte ich ohne weitschweifige Polemik und ohne Rücksicht auf das strittige Verhältnis zur vierten Ekloge Vergils an dem Gedicht selbst darzulegen versuchen. Sein Text lautet:

I. Altera iam teritur bellis civilibus aetas,

suis et ipsa Roma viribus ruit: quam neque finitimi valuerunt perdere Marsi,

minacis aut Etrusca Porsenae manus, aemula nee virtus Capuae nee Spartacus acer 5

novisque rebus infidelis Allobrox nee fera caerulea domuit Germania pube

parentibusque abominatus Hannibal, impia perdemus devoti sanguinis aetas

ferisque rursus oceupabitur solum. 10

barbarus heu cineres insistet victor et Urbem

eques sonante verberabit ungula, quaeque carent ventis et solibus ossa Quirini

(nefas videre) dissipabit insolens.

n. Forte, quid expediat, communiter aut melior pars 15 malis carere quaeritis laboribus? nulla sit hac potior sententia: Phocaeorum

velut profugit exsecrata civitas agros atque laris patrios habitandaque fana

12*

180

apris reliquit et rapacibus lupis, 20

ire, pedes quocumque ferent, quocumque per undas

Notus vocabit aut protervus Africus. sie placet? an melius quis habet suadere? secunda

ratem oceupare quid moramur alite? sed i Urem US in haec: sinml imis saxa renarint 25

vadis levata, ne redire sit nefas, neu conversa domiim pigeat dare lintea, quando

Padus Matina laverit cacumina, in mare seu celsus procurrerit Appenninus

novaque monstra iunxerit libidine 30

mirus amor, luvet ut ticjris suhsidere cervis,

adulteretur et columba miluo, credula nee ravos iimeant armenta leones

ametque salsa levis hircus aequora. haec et quae poterunt reditus abscindere dulcis 35

eamus omnis exsecrata civitas aut pars indocili melior greg;e; moUis et exspes

inominata perprimat cubilia: vos quibus est virtus, muliebrem tollite luctum,

Etrusca praeter et volate litora. 40

III. Nos manet Oceanus circum vagus: arva beata

petamus, arva, divites et insulas, reddit ubi cererem teUus inarata quotannis

et imputata floret usque vinea, germinat et numquam fallentis termes olivae 45

suamque pulla ficus ornat arborem, mella cava manant ex ilice, montibus altis

levis crepante Ij-mpha desilit pede. iUie iniussae veniunt ad mulctra capellae

refertque tenta grex amicus ubera 50

nee vespertinus circumgemit ursus ovile

neque intumeseit alta viperis humus. pluraque feliees mirabimur: ut neque largis

aquosus Eurus arva radat imbribus, pinguia nee siceis urantur semina glaebis, 55

utrumque rege temperante caelitum. nulla nocent pecori contagia, nullius astri 61

gregem aestuosa torret impotentia. 62

non huc Argoo contendit remige pinus 57

neque impudica Colchis intulit pedem; non huc Sidonii torserunt cornua nautae,

laboriosa nee cohors TJlixei, 60

IV. luppiter illa piae secrevit litora genti, 63

ut inquinavit aere tempus aureum, aere, dehine ferro duravit saecula, quorum 65

piis secunda vate me datur fuga.

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Bevor ich auf die Frage nach Gattung und Zweck des Gedichtes eingehe, lohnt sich's ^yohl, ein altes Mißverständnis der Einzelerklärung unter die Lupe zu nehmen. Man verbindet nämlich, offenbar durch Vers 25 sed iiiremus in haec verleitet, in Vers 35 f. haec mit exsecrata und bezieht es unbedenklich auf die in Vers 25 ff. vorgesprochene Eidesformel. Daß dieser Auffassung sowohl die Stellung als auch der sonst bezeugte Gebrauch von exsecratus widersprechen, lehren Grammatik und Lexikon. Um so größere Vorsicht wäre gegenüber der Meinung am Platze gewesen, daß gerade in Vers 18 und in Vers 36 unserer Epode exsecratus beide Male anders gedeutet werden müsse, als in der übrigen Literatur, aus der uns das Wort in der Bedeutung TiavaQao&elg, verflucht^ durchaus geläufig, in der Bedeutung yMTaQaadfievog nur ganz vereinzelt wie bei Val. Max. III, 2, 20 belegt ist. Denn just die „gewöhnliche" Bedeutung paßt ja tadellos sowohl in Vers 18 auf die dort genannte Phocaeorum civitas als auch in Vers 36 auf das mit Phokaia verglichene Rom und stimmt im übrigen mit impius und devot us in Vers 9 trefflich zusammen. Aber ein schiefer und durch nichts begrün- deter Vergleich mit Herodot I, 165 eTtotriaavTO iaxvQag xarccQag toj v7to?.£L7tof.ievq) kcovTcov rov otoXov hat genügt, um für das horazische exsecrata Vers 18 die Version sich seihst verwünschend- und im Hand- umdrehen Vers 36 mit abermaligem Bedeutungswandel die Übersetzung unter Verwünschungen schwörend herzustellen. Daß dieses Kunststück bis heute allgemein gebilligt wird, berührt trotz aller Langmut, mit der wir Tradition und Autorität in unseren Kommentaren walteji und schalten zu lassen pflegen, doch einigermaßen seltsam. Denn wie reliquit Vers 20 nach dem Ohiekif ana, so verlangt das ihm koordinierte proßigit Vers 18 klärlicher Weise nach dem Objekt agros, und nicht anders, als perprimat Vers 38 und praetervolate Vers 40 ihre Akkusative cuhilia und litora fordern, begehrt auch das ihnen gleichgestellte eamus mit zwingender Deutlichkeit nach seinem Ziele, das offenbar in Vers 35 genannt ist: haec, i. e. salsa aequora et quae poterunt reditus abscindere dulcis (vgl. z. B. Liv. XXIV 34, 3 submissa quaedam et quae planis vallibus adire possent). Nicht auf den Eidschwur hätte man also haec Vers 35 beziehen sollen, sondern auf den Raum oder Weg, über den sich die in eamus ausgedrückte Bewegung erstreckt (Kühner, Ausf. Gramm. 11, S. 197), d.h. auf die unmittelbar vorher genannten salsa aequora: „Hinaus denn mit uns Unseligen auf die salzige Flut, die uns die süße Heimkehr wehren mag!" Diese Interpretation wird geboten durch den dargelegten Parallelismus der Satzglieder, gefestigt durch die offenliegenden Gegensätze salsa aequora (Vers 34) oo dulcis reditus (Vers 35) und haec (sc. aequora, Vers 35) od cuhilia (Vers 38), endlich

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empfohlen durch die in Sache und Ausdruck gegebene Übereinstimmung mit Verg. Aen. III, 190 sq.: hanc quoque deserimus sedem paucisque relictis vela damus vastumque cava trabe currimus aequor; vgl. ebendort I, 67; 524; III, 377; 385; V, 235; VI, 122; georg. III, 260; Ov. fast. IV, 289; trist. V, 7, 36; Lucan.V, 347; IX, 1057; auch Hom. e 100 rlg d^ ctv eKihv Toaaovde diaSgccfioi aX(.ivQÖv vScoq äoTte- Tov u. dgl. m.

Im Zusammenhange mit dem besprochenen Interpretationsfehler steht die in letzter Zeit wiederholt erörterte Frage nach der Tendenz: der XVI. Epode. Theodor Plüsz ist mit seinem originellen Versuche^ das lambenbuch des Horaz „im Lichte der eigenen und unserer Zeit" zu deuten, auf scharfe Ablehnung gestoßen. Trotzdem wäre es un- gerecht, den Dank, den wir seinem Buche schulden, etwa in den Ausspruch des älteren Plinius kleiden zu wollen: nuUum esse librum tam malum, ut non aliqua parte prosit. Denn so wenig man leugnen kann, daß Plüsz nicht selten mit phantastischer Überspannung an dem Register zweifelhafter Möglichkeiten gezogen hat: die Genugtuung, daß er dennoch in sehr wesentlichen Beziehungen dem richtigen Ver- ständnis der Epodendichtung gedient habe, kann ihm schwerlich vorenthalten werden. Seiner Anregung folgend, werden wir in bezug auf die XVI. Epode vor allen anderen literarhistorischen Rätseln folgende Fundamental frage untersuchen müssen:

Vernimmt man in den Worten des Dichters wirklich das „Flügel- rauschen seiner hoffnungsvollen Sehnsucht nach den seligen Gefilden im Westmeer", wie unsere Kommentare behaupten oder tönt aus ihnen vielmehr der bittere Groll des Horaz über hedonistische Utopien,, die damals weniger denn je am Platze waren? Ist die XVI. Epode in der Tat etwa ein Seitenstück zu der schwärmerischen Vision des euri- pideischen Hippolytos V. 732 ff. oder soll sie nur ein neutralisierendes Antidoton gegen die erschlaffenden Wirkungen jener religiösen Senti- mentalpoesie sein, die von den Hofpoeten der Epigonenzeit ausgebildet und zu populärer Klassizität erhoben worden ist? Ist das Gedicht ohne allen Zweifel ein inbrünstiger Appell des jugendlichen Dichters an die wTindertätige Gottheit oder ganz im Gegenteil ein wohl- verständlicher Weckruf an den kritischen Verstand der Römer, die ihre letzten Hoffnungen nicht auf Märchen und Wunder bauen sollen? Ist's dem Dichter ernst mit seinem Vorschlag Vers 21: ire, pedes quo- cumque ferent oder will er vielmehr wie der Athener bei Thukydides V, 103 nur warnen vor der „Verschwenderin" Elpis, von der sich die Mehrzahl der Menschen betrügen läßt? Klammert sich Horaz trotz der „verbitterten lambenstimmung" des Eingangs Vers 1 14 in der Tat

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mit unverwüstlichem Optimismus (Vers 63 66) an das volkstümliche elTtead-ai XQ^ Ttdvxa oder will er vielmehr mit drastischer Verspottung der evTtQüatOTTog 'EXyrlg moralisch -praktisch wirken und wie in der verwandten VII. Epode nur zur Besinnung und Umkehr auf den Boden der realen Wirklichkeit aufrufen?

Man hat gelegentlich auf den oratorischen Charakter der Epoden VII und XVI hingewiesen. Mit Recht. Denn beide Gedichte sind, ohne Zweifel nach archilochischem Vorbild (Friedrich Leo, Univ.-Progr. Göttingen 1900. p. 9), als Reden vor dem Volke gedacht. Dieser Charakter wird für Epode VII durch einen ganz auffälligen stilistischen und gedanklichen Parallelismus mit dem. Anfange der I. Catilinaria erhärtet und zeigt sich nicht minder deutlich in Situation und Gliederung der Epode XVI. Horaz hat die Versammlung einberufen und präsidiert ihr: nach seinem einleitenden Vortrag (exordium, relatio), Vers 1 14, schreitet er zur Umfrage (rogatio) Vers 15 f. (vgl. Vers 23 f.) und stellt, an der Fiktion einer parlamentarischen Behandlung des Gegenstandes festhaltend, seinen Initiativantrag: nuUa sit hac potior

sententia (Vers 17 40), auf den Vers 41 62 die Begründung (con-

firmatio) mit der ausführlichen Beschreibung (e'jiffQaGLg) des seligen Landes (vgl. das Lob Siziliens in der IL Verrine) und als Schluß (Vers 63 66) die nachdrucks volle per oratio folgen. Aber während in Epode VII der „grimmige" Charakter der Anklagerede und ihr praktischer, auf Besserung der überführten Menge zielender Zweck deutlich hervortritt, soll sich, wie man lehrt, in Epode XVI „der zornige Eiferer in einen begeisterten Seher verwandeln, aus der archilochischen Epode (Vers 1^14) eine regelrechte Elegie (Vers 15 66) werden" (Kießling-Heinze). Horaz, qui timuit mutare modos et carminis artem (ep. I, 19, 27), hat sich also nach dieser Lehrmeinung in Epode XVI im Widerspruche mit sich selbst und mit der Praxis des ganzen Altertums über die Autorität seines Vorbildes und die vor- geschriebenen Grenzen der literarischen Gattung kühn hinweggesetzt, indem er „in jugendlichem Feuer aus der verbitterten Stimmung des ergrimmten Patrioten heraus" ein merkwürdiges Mittelding zwischen lambus und Elegie geschaffen haben soll mentemqtie totam occtipari passus est heatae vitae hlanda imogine, quae quam apta/tierit iambico ge7ieri dubitamus (Leo a. 0.).

Wie wohlbegründet der leise Zweifel Leos an der Stichhältigkeit seiner eigenen Auffassung sei, läßt sich leider nur mehr an dem horazischen Gedichte selbst erkennen. Denn die erhaltenen Fragmente des Archilochos sind auch noch heute gänzlich unzureichend, um über Sonderinhalt und Sonderzweck jener Dichtungen, deren Echo wir aus

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Horaz vernehmen, einigermaßen ins Reine zu kommen. Ob z. B. die „Vorlage" der XVI. Epode auf den vermutlichen Ton des 51. Frag- ments bei Bergk FLG.:

"Ea ndqov '/mI ovxa /.elva -/.al ^aldaaiov ßlov oder des 53. gestimmt war:

Mri^ ö TavzüXov Xld-og ttjoS' l'TtfQ vt^aov XQ^judad-w^ läßt sich unmöglich entscheiden, bevor uns nicht neue, noch viel ausgiebigere Funde zu Hilfe kommen. Die Erkenntnis übrigens, daß selbst „wr)rtliche Entlehnungen mit vollkommener Veränderung des Sinnes, des Gedankenzusammenhangs Hand in Hand gehen können" (Skutsch a. 0. S. 34), sollte überhaupt in der Heranziehung und Ausnützung von griechischen Parallelstellen für die Interpretation römischer Dichter zu größerer Behutsamkeit als bisher veranlassen. Auf welche Irrwege man mit dieser unablässig „vergleichenden" Methode geraten kann, läßt uns zum Beispiel besonders deutlich Rothsteins Kommentar des Properz erfahren. Kein stärkeres Gewicht, als derlei Versuchen auch bei Horaz aus mehr oder weniger ähnlich lautenden „Belegstellen" immer wieder identische Gedankengänge zu erschließen, möchte ich der Plüszschen Deutung der epodischen Form beimessen, die allenfalls auf den daktylischen Hexameter den iambischen Trimeter folgen läßt. Erwägt man nämlich gleich an der XVI. Epode, daß sie ja nichts anderes als einen poetisch stilisierten koyog Ttqog xovg '^Pwfialovg darstellt, so rückt der Zweifel nahe, ob in solclier ausgesprochenen Deklamationspoesie für das Ohr des Römers die Kuppelung des fallenden Rhythmus mit dem steigenden viel mehr bedeutet haben könne, als bloße juifxriaig der Prosarede, die an einheitlichen Rhythmus nicht gebunden ist. Wesentlich weiter führt uns dagegen eine kritische Betrachtung des von Horaz gestellten Antrags Vers 21 f.:

ire, pedes quocumque ferent, quocumque Xotus vocabit aut protervus Africus, sowie eine Analyse jener „leuchtenden" Farben, mit denen er Vers 41 tf. das gelobte Land geschildert hat.

Für die Entdeckung, daß Horazens Vorschlag nicht etwa durch Hom. d 561 ff., Hes. op. 167 flP., Eur. Hippol. 732 ff.. Piatos Atlantis und andere Idealschilderungen der Griechen (vgl. den schönen Vortrag von A. Bertholet, Die Gefilde der Seligen, Tübingen 1903), sondern durch den bei Plutarch Sert. 8 (= Sali. hist. I, 61 f.) erwähnten Plan des Sertorius inspiriert worden sei, vermag ich mich nicht zu erwärmen. Denn des Sertorius selige Inseln, zu denen er von der spanischen Küste aus die Fahrt unternehmen wollte, lagen im Westen von Afrika: das Ziel der horazischen Fahrt liegt anderswo, in unbekannter und

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unbestimmter Ferne (pedes quocumque ferent), aber sicherlich nicht im Westmeer, sondern „irgendwo" (quocumque) in entgegengesetzter Richtung, vorbei an den Gestaden Etruriens (Vers 40), im Nordost oder im Norden, wohin der Südwind (Notus) oder der „wilde" Südwest (protervus Africus) die Auswanderer tragen mag. Welche noch so ent- fernte Spur des Ausdrucks weist hier auf ein bestimmtes Ziel und auf eine spezielle Beeinflussung des Horaz durch die Idee des Sertorius hin? Sertorius blickt unentwegt nach Westen, wo phönizische Händler längst die seligen Inseln entdeckt haben wollten: Horaz späht irrenden Blicks nach einem Land aus, dessen Schilderung ganz auf Nirgend- heim-^cpdvaL paßt. Und warum sollteHoraz erst durch Sertorius an jenen Glauben erinnert worden sein, der aus dem Osten importiert bei den Griechen und Römern von Hesiod und Plato herab bis Prokop von Caesarea seine klassische Ausbildung gefunden und seither in den Literaturen aller Völker ein wahres „Kompendium von Geschichte des menschlichen Heimwehs" geschaffen hat? Woher wollen wir die Be- rechtigung ableiten, aus den parallelen „Zeugnissen" bei Horaz und Plutarch mehr zu erschließen, als daß sich eben in der allgemeinen Drangsal des ersten vorchristlichen Jahrhunderts, an der Schwelle einer neuen Zeit, der törichte Optimismus der Massen immer mehr und mehr an jenen Aberglauben klammerte, durch ihn locken, trösten, betäuben, erschlaffen ließ? Nicht bloß Sertorius ward von ihm erfaßt: ein müdes Volk sehnt sich nach Ruhe und Frieden, und der Verarmten und Ver- elendeten viele fanden wohl Trost in dem Glauben an das prophezeite Land des Segens (Vers 63 66), an dessen geographischer Existenz sich ihr naiver Wirklichkeitssinn berauschte. Die regna Saturni und die civitas Dei, das „Reich Gottes" und die „seligen Inseln" sind von der Menge nie als etwas Innerliches verstanden, sondern stets in irdischen, politisch-eudämonistischen Hoffnungen materialisiert worden.

Daß dieser Optimismus, wie begreiflich, stark banausisch gefärbt war, zeigt sich auch an den Einzelheiten der horazischen Schilderung: daß aber Horaz jemals für solche Utopien „geschwärmt" oder sich in schwacher Stunde für sie „begeistert" hätte, sollte man zum mindesten nicht als selbstverständlich hinzustellen wagen. Denn w^as er sonst von der Landflucht dachte, hat er uns ep. I, 11, 27 fP. gesagt:

Caelum, non animum mutant, qüi trans mare currunt. strenua nos exercet inertia, navibus atque quadrigis petimus bene vivere: quod petis, hie est, est Ulubris, animus si te non deficit aequus. Wie sich Horaz die Rettung in Wahrheit vorstellte, sagen carm. I, 35, 37 ff.; II, 16, 18 ff.:

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quid terras alio calentes sole mutamus? patriae quis exsul se quoque fugit? Daß nicht diese „Fluclit", wie unsere Epode emphatisch vorschlägt (Vers 66, vgl. 18), sondern nur besonnene Kraft und opferfreudige Vater- landsliebe zur Wiedergeburt führen können, sagen in zahlreichen Varia- tionen die Römeroden und vor allem das berühmte Gegenstück der XVI. Epode, carm. 1, 14; denn die überraschende und im Zusammenhalt mit den eben zitierten Stellen doch recht sonderbare, nicht etwa an zer- mürbte Schwächlinge, sondern ausschließlich an diejenigen, ,.quibus est virtus"y gerichtete Aufforderung der Epode Vers 40: Etrusca praeter et volate litora, wird dort mit dem Zuruf:

fortiter occupa portum in ihr gerades Gegenteil verkehrt. Daß dieses Gegenteil: „Ans Vater- land, ans teure schließt euch an!", die wahre Meinung des Dichters sei, soll wohl auch seine Epode XVI dartun, in der seine Unzufriedenheit und das ddvvazov (s. Skutsch a. 0. S. 29 ff.; vgl. die wertvolle Material- sammlung von Theodor Birt, Elpides, Marburg 1881; Crusius, Unters, zu Herondas, S. 72 ff.; Rothstein zu Properz I, 15b, 29; Otto, Sprich- wörter d. Römer, Nr. 678) allenthalben so kräftig unterstrichen sind, daß kein gebildeter Stadtrömer jener Zeit über die forcierte Torheit des in Vers 21 f. gestellten „Antrags" in Zweifel geraten konnte. Wie vollends in Vers 63 ff. die an das „fromme Geschlecht" gerichtete Prophezeiung „glücklicher . . . Flucht" (secunda . . . fuga, man beachte auch die Stel- lung) zu verstehen sei, darüber mußte der Hörer aus exordium und conßrmaUo der Rede längst ins klare gekommen sein: nam urbana dissimulatio est, sagt Cicero de orat. II, 67 (269 ff.), cum toto genere orationis severe ludas, cum aliter sentias ac loquare; ... in hoc genere Fannius in annalibus suis Africanum hunc Aemilianum dicit fuisse egregium et Graeco eum verbo appellat eiQwva ; sed, uti ferunt, qui melius haec norunt, Socratem opinor in hac ironia dissi- mulantiaque longe lepore et humanitate omnibus praestitisse. Genus est perelegans et cum gravitate salsum cumque oratoriis dictionibus tum urbanis sermonibus accomodatum; et hercule omnia haec, quae a me de facetiis disputantur, non maiora forensium actionum quam omnium sermonum condimenta sunt. Indem sich also Horaz in der XVI. Epode zum ironischen Tcqö^axog jener utopischen Phantasien macht, folgt er einer Technik, von der die Rhetorik unter den Schlagwörtern elQwvela, aaQxaO(.wg^ dvricpQaOLq, TtaQOLjiila, fivxTTiQtafAÖg , illusio gehandelt und besonders auch Cicero mannigfaltigen Gebrauch gemacht hatte; Quintilian VIII, 6, 54 sq.

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(vgl. IX, 2, 44 sq.) hat uns darüber gesagt: aliqiiando diversa est orationi voluntas; nam . . . cum risu quodam contraria dicuntur iis, quae intellegi volunt, quemadmodum in Clodium integritas tua te purgavit, mihi crede, pudor eripuit, vita anteacta servavit. Daß sich die Schlußverse unserer Epode (63 66) im Ausdruck und im Gedanken wie eine richtige Parallelstelle mit dem hier von Quintilian gebrachten Beispiel aus der Clodiana decken, schließt m. E. den vorgebrachten Indizienbeweis und widerlegt endgültig die bis heute herrschende sentimental-seriöse Auslegung des Gedichtes.

Die XVI. Epode ist kein iambisch-elegischer Bastard von zweifel- haftem künstlerischen Wert, sondern von Anfang bis zum Ende eine ausgesprochen archilochische Invektive, ein durchaus realpolitisches Gedicht ohne jeglichen empfindsamen Beigeschmack, mit einem Wort ein loyog, der die Zeitgenossen des Dichters mit deren eigenen Ideen ad absurdum führen und seinen Zweck (veXog) geradeso wie die ver- wandte Epode YII nicht in tvqotqotvt]^ sondern in aTtoigoTti^ , nicht in einem aneifernden „Vorwärts!", sondern in einer nachdrucksvoll sar- kastischen Mahnung zur Umkehr auf den Boden der realen Wirklich- keit erfüllen soll. Aus dieser apotreptischen Tendenz des Gedichtes erklärt sich jetzt das vom Dichter gewählte Beispiel der Phokaeer, das durch die düsteren Farben, in die seine Schilderung (Vers 17 20) mit durchsichtiger Absicht getaucht wird, den Hörer keineswegs zur Nach- ahmung zu überreden , sondern nur mit Abscheu und Grauen zu er- füllen geeignet war. Nur um so zwingender ergibt sich mir daraus eine Gesamtauffassung des Gedichtes, der etwa folgende Inhaltsangabe ge- recht wird:

I. Vers 1 14: Roms Unglück sind die Römer (suis ipsa Roma viribus ruit, Vers 2).

IL Vers 15 40 : Aber statt euch aus dieser Erkenntnis heraus zur Selbstläuterung aufzuraffen (vgl. carm. III, 2, Iff.; 6, 1 ff.) , hofft ihr auf ein Wunder, das euch helfen soll, „der Not zu entrinnen" (carere laboribus, Vers 16): statt zu handeln, laßt ihr euch planlos (quocumque) von den Stürmen treiben (Vers 21 f.): die „Helden" unter euch stimmen für feige Flucht ins SchlarafPenland (Vers 39 f., vgl. 18 und 66).

III. Vers 41 62: Natürlich, denn dort ist's wundervoll: von Arbeit keine Rede (Vers 43 50), Gefahren ausgeschlossen (Vers 51 f.), Klima vortreflplich (Vers 53 56), besonders für die Viehzucht (Vers 61 f.), Ehe- bruch und Habgier und Mühsal kennt man in euerem Wunderlande nicht (Vers 57—60) ; vgl. epod. IL

IV. Vers 63—66: Gar kein Zweifel! luppiter hat justament euch „reinem Volke" (piae genti, Vers 63, vgl. Vers 9 impia aetas und

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V. 36 exsecrata civitas) jene Zufluchtsstätte vorbehalten : zieht hin, ihr Auserwählte, mit meinem priesterlichen Segen (vate me, Vers 66)!

"Was Horaz hier als Archilochus redivivus in moralisch-didaktischer Absicht verhöhnt, gehört in das Grebiet jener religio poetica. an der seit Scaevolas Zeiten der Unglaube nagte. Man werfe nicht ein, daß solche Verspottung schlecht zum Bild des Odendichters passe, der an eine göttliche Vorsehung und eine strafende Gerechtigkeit geglaubt hat. Denn ganz abgesehen davon, daß es sich hier nur um ein Hirngespinst des Aberglaubens, um eine superstitio prava et inmodica im Sinne von Plin. ad Trai. 96, 8 handelt, war ja auch Cicero in seinen Reden der Göttergläubige, in seinen Gesprächen der Skeptiker. Daß Horaz, je nach dem Charakter des literarischen gemts, an dem er schafft, hier den deoriim cultor, dort den superstitiomim contemptor hervorkehrt, ist nicht auffällig. Die Epode ist kein frommes Lied: wie alle lamben- dichtung ist sie aus des Lebens Not und Kampf erstanden; süße Visi- onen, empfindsame Trugbilder widerstreiten ihrer Form und ihren Zielen. Der vates, der carm. I, 2 mit dem Blick in eine bessere Zukunft zu Apoll und Venus, Mars und Mercurius betet, ist ein anderer als der TtQocprivrig^ der epod. VII und XVI, die wüste Gegenwart vor Augen, sein Volk aus frevelhaftem Wahnwitz oder stumpfsinnigen Träumen aufrütteln will. Vom Altar künstlicher Andacht mag Horaz durch diese Erkenntnis ohne Bedauern herabgestürzt werden (vgl. dagegen Reitzen- stein, Gott. gel. Anz. 1904, S. 947 ff.) : als Mensch und Dichter gelangt er dadurch in eine zwar neue, aber richtigere und darum auch wür- digere Beleuchtung. Er gewinnt. Denn die vermeintlichen „Mängel" seiner „Jugendlieder" erweisen sich allmählich als Mißverständnisse seiner Erklärer und als charakteristische Eigentümlichkeiten einer selbstän- digen literarischen Gattung, deren Erforschung und Ausdeutung zu unseren nächsten Aufgaben gehört. Das Endergebnis kann gewiß nicht zweifelhaft sein; denn auch Vergleiche von epod. 9 mit carm. I, 37, epod. 10 mit carm. I, 3, epod. 13 mit carm. I, 4; 7; 9, von epod. 15 mit carm. 11,8 (1,5) zeigen unmderleglich , daß die horazische Epode in ihrem Wesen schlechterdings nichts Gemeinsames mit der Ode und den anderen Spielarten sentimentaler Poesie aufzuweisen hat.

Die römische Tragödie Octavia und die Elektra des Sophokles.

Ton FRIEDRICH LADEK.

Ein oberfläcliliclier Vergleich der unter den Seneca -Tragödien überlieferten Octavia mit dem Taciteischen Berichte (Ann. XIY) über das Schicksal der unglücklichen Frau des Nero verleitete immer wieder zur Behauptung, der Dichter verdanke seine historischen Kenntnisse der Lektüre des Tacitus. Erst genauere Untersuchungen^) zeigten, daß dies nicht der Fall sei. Da nun jene falsche Annahme allein darüber hatte hinwegsehen lassen, daß die Überlieferung der Prätext a, die Wahl des Stoffes, die Sprache und Metrik, das Verhältnis des Stückes zu den übrigen Tragödien und zu den Prosaschriften Senecas, die Behandlung und Art der Erwähnung der historischen Tatsachen, endlich die Ge- schichte der römischen Tragödie auf das 1. Jahrhundert hinweisen, kann heute mit voller Bestimmtheit erklärt werden: Die Octavia ist vor Tacitus geschrieben.

„Vielleicht wird noch einmal"', sagte einst K. Meiser („Über hist. Dramen d. Rom.", München, 1887, S. 14 f.), „wenn feststeht, daß der Dichter der Octavia vor Tacitus geschrieben und sein Stück sich größerer Autorität als bisher erfreut, daraus eine neue Waffe gegen Tacitus

*) Fr. Ladek, de Oct.praet., diss. Vindob. 111(1891). G. Nordmeyer, sched.phil. H. Usener . . ohl., Bonn, 1891, S. 94 if. Derselbe, Jahrb. f. kl. Ph., XIX. Suppl. (1893), S. 257 ff. Der letzte Versuch, Tacitus als Quelle zu erweisen, unternommen von A. Cima, La trag. rom. 'Octavia' e gli 'Ännalf di Tacito, Pisa, 1904, mißlang; man vgl. Fr. Ladek, „Zur Frage üb. d. hist. QueU. d. Oct.", Zeitschr. f. d. ö. Gymn., 1905, S. 673 ff. Y. Ussani, Sul' Octavia, Riv. di fil., XXXIII, S.449f. C. Hosius, Berl. ph. Wochenschr., 1906, Nr. 30. Selbst A. Cima kann es nunmehr nicht für unmöglich halten, daß der Dichter zur Zeit Neros gelebt hat (s. Riv. di fil., XXXIV , 529 ff.). Während der Korrektur ging mir zu : J. Vürtheim, Octavia praetexta cum proleg., annotat. crit., not. exeg. ed. Lugd. Bat., 1909. Ohne die nötige Kenntnis neuerer Literatur wird hier wieder zu beweisen gesucht, daß das Stück nach Tacitus geschrieben sei. Doch die angeführten Gründe sind nichtig, wie ich in Nr. 24 u. 31 (1909) der Deutschen Literaturzeitung gezeigt habe. Die Ausgabe bedeutet überhaupt in keinem Punkte einen Fortschritt.

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gesclimiedet und eine Rettung Poppäas unternommen." Auf die Ver- schiedenheit der Charakteristik der Personen bei Tacitus und in der Tragödie ist seit jeher hingewiesen worden und man hat natürlich auch daraus geschlossen, daß der Dichter die Taciteische Darstellung nicht gekannt habe. Wenn aber auch heute die Priorität des Dramas feststeht, ja auch, wenn zugegeben wird, daß durch die Darstellung des Schiffbruches und Todes der Agrippina in der Prätexta spätere Darstellungen beeinflußt worden sein könnten, was ich in der Zeitschr. f. d. ö. Grymn., 1905, S. 673 ff. als möglich zu erweisen suchte, in der Charakteristik der einzelnen Personen werden wir beim Dichter nicht ohneweiters historische Treue voraussetzen dürfen. Denn, wie ich meine, läßt sich sogar zeigen, daß er einige Züge in der Zeichnung seiner Charaktere der Elektra des Sophokles verdankt.

Daß man Nero mit Orest verglich (s. Suet. Nero 39), war natürlich, auch der Vergleich Octaviens mit Elektra mußte sich aufdrängen. In dem Stücke läßt der Dichter die Octavia selbst an Elektra erinnern (57 ff.) und schon 0. Ribbeck bemerkte (Gesch. d. r. D., III., S. 86), zu den Klageanapästen am Anfange des Stückes und dem folgenden Wechselgesang habe offenbar der Eingang der Sophokleischen Elektra das Motiv hergegeben; es fänden sich sogar wörtliche Anklänge.

Der Dichter verdankt aber Sophokles weit mehr. Schon daß er Octavia zur Heldin einer fabula praetexta machte, läßt sich aus der Rücksicht auf das Sophokleische Stück wohl begreifen. Hier steht ja im Mittelpunkte „eine völlig passive Heldin, deretwegen alles, was geschieht, zu geschehen, alles, was gesagt wird, gesagt zu werden scheint" (G. Kaibel). Ein römischer Dichter, der sich nach Euripides gerichtet hätte, hätte denselben Stoff wohl in einer „Poppäa" im Sinne des Tacitus behandelt, wenn er der historischen Wahrheit zuliebe Octavia nicht hätte handelnd einführen wollen. Unser Dichter läßt alles für Octavia geschehen, zeigt uns, wie die Vorgänge auf sie wirken, vermeidet es jedoch, sie selbst irgendwie eingreifen zu lassen, obwohl er dies leicht hätte tun können. Seneca beschleunigt im Drama gegen seinen Willen (gerade durch sein Eintreten für Octavia) die Katastrophe, der Volksaufruhr führt den Untergang der Heldin herbei; doch Seneca wie das Volk handeln durchaus selbständig, Octavia wendet sich weder selbst noch durch die Amme an Seneca oder sonst jemanden um Hilfe. Vom Volke erwartet sie überhaupt keine Rettung, da sie dessen Ohn- macht gegenüber dem Kaiser kennt (V. 185), ja sie warnt es geradezu, für sie einzutreten (646 ff.), weil sie darin nur dessen Verderben sehen kann. Auch jede Anspielung auf die Hilfe einer einzelnen Person, wie

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des Seneca oder gar des Flottenpräfekten Anicetus, ist vermieden Octavia wurde ja tatsächlich eines verbrecherischen Einverständnisses mit Anicetus beschuldigt (Tac. Ann. XIV, 63) , obgleich der im Stücke auftretende Präfekt auch vor Nero für Octavia spricht (860 ff.). Allerdings, die Absicht des Dichters ist klar: auf den grausamen Wollüstling Nero allein soll alle Schuld fallen.

Und doch ist, man kann fast sagen entgegen dieser Absicht, die Heldin nicht ganz ohne Schuld, wodurch sie uns freilich nur sym- pathischer erscheint. Tacitus sagt von Octavia (Ann. XIII, 16): „quamvis rudibus annis dolorem, caritateni, omnes qffectus ahscondere didicerat'% -der Dichter läßt aber die Heldin auch gerade deswegen zugrunde gehen, weil sie äff. absc. non didicerat; stellt doch die Amme im Prolog (55 ff.) das scelus nefandum, das ihre Angst voraussieht, eben als Folge davon hin, daß mentis generosiis ardor (Octaviae) regt non potest (53 f.), irä coacta vermöge sie ihre Trauer nicht zu verbergen. Octavia hat sich zwar auch nach des Dichters Darstellung bemüht, sich zu beherrschen, sie sagt ja (65 f.), Furcht hindere sie, die Eltern zu betrauern, aber es gelingt ihr immer weniger (54), so daß auch Nero behaupten kann, sie habe ihm ihren Haß deutlich merken lassen (540 ff.). Vergebens sucht A. Cima neuerdings wieder (Riv. XXXIV, 544, A. 1) die Taciteischen Worte mit der Haltung der Heldin im Drama in Einklang zu bringen, indem er darauf hinweist er meint, das hätten andere nicht be- achtet — , daß Octavia sich doch nur vor ihrer Vertrauten in leiden- schaftlichen Worten ergehe, aber dem Chore gegenüber viel maßvoller und vorsichtiger ausdrücke. Der Dichter hat Octavia eben nur mit Amme und Chor sprechen lassen; doch erfahren wir aus dem Munde Octavias, der Amme und Neros, wie sie sich Nero und Poppäa gegen- über benahm. Natürlich ist Octavia vor dem Chore maßvoller; denn es wäre unwürdig für sie, sich in der Öffentlichkeit ebenso zu benehmen wie vor ihrer Vertrauten. Dann soll auch die Vorstellung erweckt werden, daß Octavia mit Willen die Volksbewegung, die sie für vergeblich hält, nicht veranlaßt; riete sie nicht zur Mäßigung, so triebe sie die Leute nutzlos ins Verderben. Doch weist Octavia vor dem Chore auf alle ihre Leiden hin (V. 652 graviora tuli) und gibt ihrer Freude Ausdruck, daß sie nicht mehr gezwungen sei, saevi coniiigis ora videre und invisos thalamos famulae (der jetzigen Kaiserin) intrare. Mag also der Dichter auch Octavia am Hochzeitstage Neros und Poppäas in ihr Schicksal ergeben erscheinen lassen, ihren Groll, ihren Haß läßt er sie nicht verbergen.

Und gerade die ira {oQyr]), diesen Mangel an Selbstbeherrschung, der nach der Darstellung des Dichters eine der Ursachen des Unter-

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ganges der Heldin ist, hat Octavia mit der Sophokleischen Elektra gemein^ einen Seelenzustand, der freilich aus der ähnlichen Lage der beiden leicht erklärlich ist. Nach langen Jahren des Leidens ist Elektra noch immer die mißachtete Sklavin des Mörders ihres Vaters, um ihrer Trauer willen von der eigenen Mutter beargwöhnt und gehaßt; Octavia ist nach dem Verluste ihrer Nächsten in der Gewalt des rohen Mörders ihres Bruders, seine Gattin zwar, aber gehaßt, beargwöhnt, einer Buhlerin nachgesetzt. Vergebens mahnt der Chor Elektren, sich zu beherrschen, erinnert sie daran, daß sie sich ihre Lage durch ihr Benehmen selbst geschaffen habe, und warnt sie, mit den Mächtigen zu streiten ; ebenso führt die Amme die gegenwärtige Lage Octaviens auf ihren Mangel an Selbstbeherrschung zurück, fürchtet von einer Fortsetzung dieses Benehmens das Ärgste, sucht sie, auf ihre Ohnmacht hinweisend, zu ruhigem Dulden, zu geliorsamem Nachgeben zu bewegen. Elektra wie Octavia weisen diese Ratschläge durch die Darstellung ihrer Leiden zurück. Ja, der römische Dichter ist in der Angleichung noch weiter gegangen. In der Verzweiflung will Elektra sterben, bald aber, als sie bei Chrysothemis Hilfe voraussetzt, faßt sie den Plan^ mit der Schwester Aigisthos zu töten, und schließlich will sie die Tat allein vollführen. Auch der Dichter der Prätexta läßt Octavia den Gedanken fassen, den Gatten mit eigener Hand zu töten. Er hat es allerdings psychologisch wohl begründet, daß er seine Heldin diesen für sie ungeheuerlichen Gedanken ernstlich aussprechen läßt. Schon in der zusammenfassenden Schilderung ihrer Leiden (100 ff.) deutet Octavia an, daß ihr dieser Gedanke gekommen sei: coniugi invisa, sagt sie (104 ff.), ac meae \ subiecta famulae (Poppaeae) luce non grata fruor^ \trepidante semper corde 7ion mortis metu, \ sed sceleris absit crimen a fatis meis. \ mori iuvabit; poena natu gravior nece est\ videre .... vultus tgra?ini .... Es folgt eine ausführlichere Darstellung ihres (im V. 104 f.) angedeuteten Verhältnisses zu Nero ( 124) und zu Poppäa ( 133). Scehis kann an dieser Stelle nur „Mord durch meine Hand", crimen nur „Schuld" bedeuten. Hier weist also Octavia den Mord- gedanken, der ihr im Zusammensein mit dem Verhaßten öfter aufge- stiegen sein muß, noch ab („Das Leben ist der Güter höchstes nicht, der Übel größtes aber ist die Schuld"), als ihr aber die Amme die series facinorum und besonders den Tod ihres geliebten Britanniens so lebhaft vor Augen führt, vergißt sie sich einen Moment und bricht in die Worte aus (174): exstinguat et me, ne manu nostra cadat. Die xlmme aber weist nur auf die Schwäche der weiblichen Natur hin (vgl.V. 870) mit den Worten (175): natura vires non dedit tantas tibi genau so, wie Chrysothemis die Elektra erinnert (997) : yvvrj (.liv ovo' ävrjQ ecpvg^ \ oS-eveig

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d'eXaaoov tcov imiTicov xeQi.^) Den späteren Worten der Chrysothemis (1009 ff.): cDX ca'Ttd^o). TtQiv Tvavotked-Qovg xh 7täv\ ^fiäg ToXiödai zßje^r^- ^ndaai yevog, j -/Mtdoxeg OQyrjv entsprechen die folgenden Worte der Amme (177 und 179 f.) : vince obsequendo potius immitem virum incolumis

0 Die Rücksicht auf 0. 175 hätte A. Cima vor seiner Erklärung des Y. 174 (Riv. XXXIV, 539 ff.) bewahren sollen. Er meint, hier sei auf das crimen reriim novarum (Tac. Ann. XIV, 62) hingewiesen, das sich von dem crimen adulterii (mit Anieet) nicht trennen lasse. Wozu eine derartige Interpretation führt, zeigt schon der Vergleich mit V. 107. Dort soll Octavia nach Cima sagen: „Ich fürchte nicht den Tod, sondern eine Schurkerei Neros (mit einer falschen Anklage wegen Ehebruches) fern sei diese Anklage", hier aber soll sie sagen : „Nero töte mich, sonst begehe ich einen Ehebruch mit Anieet, um mit dessen Hilfe den Gatten zu töten. '^ Derartiges halte ich für unvereinbar. Octavia erscheint in dem Stücke als vollkommen rein; sie leitet selbst all ihr Unglück vom Incest ihrer Mutter her (V. 260). Amme, Chor, Seneca weisen wiederholt auf ihre völlige Reinheit hin, Nero hat auf die die Sittsamkeit Octaviens rühmenden Worte Senecas kein Wort der Entgegnung V. 536 bezieht sich auf die Vaterschaft des Claudius und beschuldigt sie später im Monologe me vor dem Präfekten nur der Aufreizung des Volkes. Jede, auch die leiseste Anspielung auf die abscheuliche Anklage ist sonst in dem Stücke vermieden, selbst die Feinde der Heldin reden davon nichts. Und da soll der Dichter Octavia selbst davon haben reden lassen? Ebenso verkehrt ist es zu glauben, die Tötung Neros könne von Octavia nicht als scelus, sondern nur als Heldentat hingestellt werden. Nach der Art, wie der Dichter den Charakter der Heldin darstellt, muß ihr der Gattenmord als ein Ver- brechen erscheinen, vor dem sie zurückschaudert. Nur in höchster Erregung läßt sie darum der Dichter den Mordgedanken aussprechen. Der Gegensatz aber: „Ich fürchte nicht, daß er mich mordet, sondern daß ich ihn morde" ist nicht matter, sondern im Gegenteile viel schärfer als: „Ich fürchte nicht den Tod, sondern eine Schurkerei Neros". Nicht immer zeigt sich natürlich Octavia so entschlossen und mutvoll. Als sie am Hochzeitstage (Neros mit Poppäa) den Palast verläßt, ist sie doch froh, vielleicht von tristes poenae und leti metus frei zu sein (V. 659 f.) man vermißt den Hinweis auf diese Worte bei Cima , sie hat sich nun mit dem neuen Lose schon abgefunden; der Stimmungswechsel ist begreiflich. Cima behauptet merkwürdigerweise, scelus habe in der ganzen Szene eine Bedeutung wie 'scelleratezza (commessa da Nerone)', nicht 'uccisione'. Liest man die von ihm angeführten Verse (102,113,153,159,166,178), so findet man, daß der Singular scelus überall „Mord" (durch Nero oder Agrippina) bedeutet und der Plural diese Bedeutung einschließt. Nicht deswegen ist scelus im V, 107 nicht als „Mord an mir" zu verstehen, weil der Gegensatz dann keinen Sinn hätte „ich fürchte nicht den Tod an und für sich, sondern den Tod durch ein Verbrechen" gibt einen ganz guten Sinn , sondern weil Octavia fortfährt poena gravior nece, ein Argument, das Cima gar nicht erfaßt hat, obwohl ich (Zeitschr. f. d. ö. Gymn., 1905, S, 690) nece an die Spitze des Zitates stellte. Zu jener widersinnigen Erklärung d. V, 174 sieht sich Cima gedrängt, da er um jeden Preis die Verbindung von 0. 100 ff. und Tac. Ann. XIV, 63 aufrecht erhalten will, die andere längst aufgegeben haben. So begreiflich dieses Streben sein mag wenn er zugibt, daß keine Verbindung besteht, erklärt er selbst seine beiden Aufsätze für zwecklos , die Verbindung läßt sich eben nicht erhalten. Deut- lich wird das daraus, daß in V. 105 (meae subiecia famulae) von Poppäa gesprochen wird, während sich die Taciteischen Worte, die für die Octavia-Stelle maßgebend gewesen sein sollen (ancilla dominä validior), auf Acte beziehen. Daß famulae gleich Poppaeae ist, ergibt sich mit vollkommener Klarheit aus dem Präsens fruor (V, 105), zusammengehalten mit den Worten jyrima, qtusa est (Perfektum), possedit (Perfektum) im V. 193 f., wodurch Wiener J^ranos. 13

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üt sis ipsa, lahentem ut domum restituas. Dieser Mordplan wird

natürlich im Stücke nicht weiter berührt, es ist aber doch ganz be- greiflich, daß der Dichter auch die edle Tochter des Claudius derartiges denken läßt. Sie ist ist zwar wie Elektra ovre tl tov d-avelv 7tQ0(,iri&rjg t6 jWj) ßXeTtELv eTolf.ia (1078 f.), doch selbst sie hat eben Momente, in denen die ira stärker ist als die pietas, da gelten Elektras Worte: iv TOLOVTOLg ovre awcpQOvelv ovv euaeßelv TtaQeöiiV äXX ev rolg '/.anolg Tzollii ^OT dväyy.T^ /MTCLTTjSeveLv %ai^a (E. 307 ff.)-

Der Schatten Agrippinas erscheint in der Prätexta als pronuha Erinys der Hochzeit Neros mit Poppäa. Selbst in der Unterwelt kann die Mutter die Schandtaten des Sohnes an ihr nicht vergessen. Auch Claudius, sagt sie, verlange von ihr den Brudermörder und schon be- reite die rächende Erinys dem Ruchlosen den verdienten Tod. Nach der ins einzelne gehenden Beschreibung dieses Todes die nur nach Neros Ende geschrieben sein kann, was unbegreiflicher Weise wieder von A. Siegmund („Zur Texteskritik d. Tr. Oct.", Wien, 1907, S. 33 f.) verkannt wurde ruft sie auf einmal (632 ff.) : quo te furor provexit ... I et fata, nate, cedat ut tantis maus \ genetricis ira, quae tuo scelere occidtt? „Vor solchem Unglück schwindet auch der Groll der Mutter, die du gemordet hast." Sie wünscht, wilde Tiere hätten ihren Leib zerrissen, als sie mit dem Sohne schwanger ging, damit sie ihn jetzt in der Unterwelt als unschuldiges Kind in den Armen halten könne. Diese Worte Agrippinens hat man auffallend gefunden; Gercke meinte (Jahrb. Suppl. XXIL, S. 196), der Geist spreche vom Kummer, den Nero Eltern und Vorfahren dort unten bereite, kindlich einfach und rührend, nur nicht im Geiste Agrippinens. Doch bis V. 631 redet die Furie, erst dann bricht die Mutterliebe durch, ein trefflicher, echt menschlicher Zug. Anregung konnten die berühmten Worte bieten, in denen sich das elementar durchbrechende Muttergefühl Klytaimestras äußert (7 70 f.): Setvbv to tl^telv earlv ovdi yäq naxwg TtaGxovn (.uGog^ cjv venTj, TCQogylyveTai.

Mitbestimmend zur Einführung des Schattens welche an- deren Momente noch heranzuziehen w^ären, kann ich hier nicht ausführen war wohl die Vision des Chores in der Elektra, der auf die Nachricht vom Traume der Klytaimestra singt (488 ff.) : TJ^EL %al TtohüTtovg xal tzoXvx^lq ä ÖEcvolg XQVTtrofieva lö^oig xalxÖTtovg

Acte ausdrücklich als die abgelegte (jetzt maclitlose, selbst um ihr Leben besorgte) Geliebte ÜSTeros bezeichnet wird. Übrigens muß jedem Unvoreingenommenen aus der Partie 100—133 allein klar sein, daß im V. 104 f. Nero und Poppäa gemeint sind; die V. 108 133 sind eben die nähere Ausführung von 104 und 105. Auf Cimas sonstige, von mir noch nicht berücksichtigte Bemerkungen in seinen beiden Artikeln werde ich, soweit es nötig erscheint, anderswo zurückkommen.

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^Egivvg.^) Dike und Agamemnon, der gleich Agrippina (0.598) ovTtov di^vrjGveX (E. 481), sind es nach der Meinung des Chores, welche durch den Traum die Erinys der Verbrechen des Aigisthos und der Klytai- mestra ankündigen. Auch in der Pratexta wird auf die Erinys der Ver- brechen Neros durch den Traum Poppäas hingewiesen, nur tritt Agrip- pina selbst als diese auf und erscheint auch so ihrer neuen Schwieger- tochter im Traume als Zeichen des nahen Verderbens.

V. 712 ff. erzählt nämlich Poppäa auf die Frage der Amme, warum sie heute, am Tage nach ihrer Hochzeit, ganz verstört zur heimlichen Unterredung mit ihr aus dem Palaste stürze, sie habe im Traume der letzten Nacht römische Frauen jammernd ihre Poppäens Hochzeit feiern sehen , Agrippina sei als Furie dabeigewesen. Ihr habe sie folgen müssen und sei in den Tartaros gesunken. Dort habe sie sich auf ihrem Brautbette niedergelassen, hereingekommen sei aber ihr einstiger Gatte Crispinus mit ihrer beider Sohn, habe sie umarmt und mit langentbehrten Küssen überschüttet, als plötzlich Nero voll Angst hereingestürmt sei und sich das Schwert in die Kehle gestoßen habe. Durch diesen Traum soll die Erfüllung der Prophezeiung des Schattens als sicher hingestellt werden; man denkt: }]tol (MavTelat ßgoraiv ouTi eiolv SV ÖEivolg dveiQOig ovo* ev d-eocpavoig^ ei i^irj rode q)ccOfA,a ev 'AaxaöyriQEi (E. 498 ff.). Der Dichter hat aber nicht bloß das Traum- motiv, dessen sich ja schon Aischylos bedient hatte, aus Sophokles her übergenommen. Wie Klytaimestra durch die Angst hinausgetrieben wird, stürzt Poppäa heraus, und wie jene sich schließlich zum Gebete wendet, so Poppäa, als ihr die Amme gezeigt hat, daß der Traum auch «ine günstige Auslegung zulasse. Mit der Doppeldeutigkeit beruhigt sich auch Klytaimestra (E. 644). Agamemnon erscheint im Traume ^ur SevT£Qa b^iXia (418), nicht anders Crispinus, dessen Erscheinung allerdings nicht gerade als unbedingt nötig bezeichnet werden kann (zur Erkl. der Stelle vgl. Zeitschr. f. d. ö. G. 1905, S. 868, A. 1). Der Dichter wollte offenbar auf die Parallele Agamemnon Aigisthos Klytaimestra und Crispinus Nero Poppäa nicht verzichten, für Otho war da selbst- verständlich kein Platz. Endlich ist sogar das Gebet, das Poppäa sprechen will, im Wesen dasselbe wie das der Klytaimestra. Man vgl. 0. 756 ff. : deliihra et aras petere constitui sacras, caesis litare victhnis numen deum, iit expientur noctis et somni minae terrorque inhostes redeat meos. tu .... superos adora, maneat ut praesens status mit

^) Auch daß die uUrix Erinys (0. 619) als Abgesandte der Mutter erscheint, ist ■der griechischen Tragödie entsprechend. Aus dem Fluche der Mutter entstehen die Erinyen, 4x1 ^tjTQog ^yxoTOc xxn>eg (Aisch. Cho. 923, 1052). In den Eumeniden hetzt ja der Schatten Klytaimestrens (94 ff.) die Furien des Muttermordes auf den Sohn.

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E. 644 ff.: cc ftQogeldov vvy.tl Tf^de cfdo^ara diGGiov ovelqiov, Tavtä fioi^ Av^BL ava^^ d (-lev 7t£q)7ivev eod-Xd^ dhg TeXeocpoQa, ei ö'iyßQa^ Tolg exS-qolöiV £f.i7ta)uv fied^eg' /.al fii] //£ tiXoutov tov TcaQÖvxog El Tiveg doXoLGi ßovXevovoLv sxßalelv^ ^(f^^i ^^^ f^^£ /<' «fi^ ^cooav äßka- ßel ßlq) dofxovg Mt^elÖcov oy.ri7tTqd t df-icpSTtecv rdde %t'L Doch wird aus Sophokles allein die Haltung Poppäas in der Prätexta nicht zu erklären sein, da Josephus Flavius, der Poppaa persönlich gekannt hat, sie ja auch als -d-eoaeßrig (Ant. lud. XX 195) bezeichnet. In bezug auf Poppäa also ist die Hoffnung, die K. Meiser an der erwähnten Stelle aussprach, noch nicht aufzugeben.

Hinsichtlich der Komposition der Prätexta kann für den Ver- gleich nur der I.Akt in Betracht kommen. Von den V. 57 99 hebt Leo (Rhein. Mus. 1895, S. 513) hervor, daß wir hier das einzige Duett der 10 Seneca-Dramen haben. „Es ist offenbar," bemerkt er, „daß die Octavia nicht einzig von Seneca abhängig ist. " Das Vorbild ist eben die komma- tische Parodos der Elektra des Sophokles. Auffallend konnte es erscheinen, (s. Leo, Plaut. Forsch., S. 194), daß die Amme erst nach dem 1. Liede der Heldin „einen richtigen Prolog spricht". Ob aber der Dichter hier Senecas Phaedra nachahmt, „deren Prolog auch auf das 1. Lied des Hippolytus folgt, das noch nichts exponiert," ist zu bezweifeln. Daß der Prolog nach dem Anfang häufiger war, als wir sonst wissen, zeigt Leo selbst und man erkennt leicht, wie der Dichter dazukam, zuerst Octavia auftreten zu lassen. Sie sollte wie Elektra in aller Frühe, ihr Leid klagend, aus dem Hause treten, damit man den Eindruck erhalte, wenn alle noch schliefen, fände sie keine Ruhe. Das Gespräch des Orest und des Pädagogen, die aus der Fremde kommen, war nicht verwendbar, der römische Dichter setzt also erst bei V. 86 der Sophokleischen Elektra ein, nur das Motiv der im Hause klagenden Stimme (E. 77) hat er noch benutzt (72 ff.) Hätte er die Amme zuerst auftreten lassen, so wäre der gewünschte Eindruck verloren gegangen; hätte er Octavia nicht wieder abtreten lassen ^\de Elektra auf der Bühne bleibt , so hätte die Amme den Prolog nicht sprechen können, auch das Motiv der Klage im Palaste wäre unbenutzt geblieben. Sonst hat die Amme die PoUe des Chores, der erst am Schlüsse des 1. Liedes der Elektra einzieht. Doch erinnern die ersten Worte der Octavia an die Worte des Pädagogen (E. 17ff.); wie die aufgehende Sonne die Stimmen der Vögel und dann Elektrens Klage wieder erweckt, erweckt sie hier die Klage der Octavia.

In welcher Weise der Dichter der Prätexta den ersten Klage- gesang des Sophokleischen Stückes (86 ff.) verwendet hat, zeigt die Ver- gleichung von 0. 6 und E. 87 ff., 103 ff., 0. 8 und E. 107 das äg

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Tig äriÖLüv wird mit Älcyo7ias und Pandionias übertrieben (vgl. auch E. UT ff., 1077 f.) , 0. 10 und E. 94 f. (auch 132 f., 241 f.), 0. 16

(inaerens foedo sparsu cruore) und E. 101 f. (aiTicog oixTQcog te d-avovTog)^

0. 18 (o lux . .) und E. 80 (co cfdog . ,). Octavia empfindet aber nicht wie Elektra, „aus dem dumpfen Hause in die Morgenfrische heraus- tretend, zunächst die wohltätige Wirkung" (Kaibel) des Lichtes, ihr ist es, wie ja ihr Leiden, als hoffnungslos, größer ist, funesta, magis invisa tenehrls. Besonders bezeichnend jedoch scheint mir folgendes: Octavia weist (25 f.) mit rhetorischem Pathos auf die Weltherrschaft des Clau- dius hin, dem sich selbst die Britannen unterworfen hätten. Was sie damit meint, zeigen deutlicher im folgenden Prolog (38 ff.) die Worte der Amme, die ausführlicher über den Zug spricht und dessen Er- wähnung schließt : en qui Britannis imposuit iugum . . . interque gentes harharas tutus fuit . . . coniugis scelere occidit. Nicht anders sagt Elektra (95 f.) : (d^Qi^vio) 7caEeQ\ ov ^axa (.lev ßdqßaqav alav cpoiviog ''JäQTig ovx e^ev Loev^ (.itittiq d^riiu^x^o y,oivoleyj)g ^l'yiod^og . . . oyLLovGi xäga. „Ares hat ihn geschont, die eigene Frau hat ihn erschlagen" (nach Od. Ä 406), wie Kaibel bemerkt. Die von Grercke a. o. 0. ohnehin unter starkem Zweifel geäußerte Vermutung , die Kämpfe in Britannien könnten mit Rücksicht auf spätere Kämpfe hervorgehoben sein, ist demnach erledigt. Man vgl. weiter 0. 31 f. und E. 124 f., außerdem zu 0. 12 f. E. 1066 ff. und zu 0. 21 E. 597 f.

Im Prolog führt die Amme (36 f.) die Vernichtung des Claudischen Hauses auf den Angriff der aus verborgenem i) Hinterhalte (s. E.490) plötzlich hervorbrechenden Fortuna zurück und erinnert so an E. 1414 f. (fioLQa xaS^aiisQLa (fd^ivei); der Geschlechtsfluch, der „Tag für Tag auf dem Hause gelegen hat" (Kaibel), vernichtet auch Octavia (s. V. 898, 931 und bes. 962); zum Ausdruck vgl. E. 764 f. Das irä coacta in V. 46 f. (meieret infelix soror \ eademque coniunx nee graves luctus valet I ira coacta tegere. crudelis viri \ secreta refugit semper ... ist mit den Handschriften zu lesen) weist auf E. 222 f.: Seivotg (malis)^vayxdG^7iv, Seivolg^ od IdS-ei (.lÖQyd (vgl. E. 256 u. 369). Weiter vgl. man 0. 51 (75) mit E. 130, 0. 54 mit E. 217 ff., 235 f., 0. 55 mit E. 374 f.

Aus dem Duett kann man zusammenstellen 0. 57 und E. 376 ff., 0. 60 und E. 132 f.; 0. 62 und E. 14, 603, 811, 1156; 0. 63 und E. 12, 1132; 0.65 und E. 285f.; 0.68 und E. 809 f., 846, 949 ff.; 0.71 und

^) Immer noch wird an der Richtigkeit der Überlieferung des V. 36 gezweifelt; ich habe die handschriftliche Lesart subito (sub uno in einer Anzahl von Handschriften ist ein leicht begreiflicher Schreibfehler), latentis ecce Fortunae impetu schon in meiner Diss., p. 97f. verteidigt und jüngst gegen Siegmund (in der genannten Schrift) in d. deutsch. Literaturz. V. 29. Februar 1908, Sp. 550 f. Für die Richtigkeit des latentis genügt jetzt wohl der Hinweis auf Soph. El. 490: a deivoTg xQVTtxo^ieva Xöxois 'EQivvg.

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E. 677 (1140 fF.); 0. 72 und E. 78. Der Dichter läßt nicht (wie Sophokles von Elektra) nur ein paar Worte der Klage vernehmen, er steigert in seiner Weise; Octavia ist ja ebenso äväQid^fwg S-qt^vwv (E. 232), ihre Leiden sind aber auch wirklich älvTa (E. 230), wie die V. 77 f. besagen. Zu 0. 83 f. (255 f.) kann noch E. 174 f. verglichen werden.

Zwischen 0. 99'' und 100 fehlt der Gedanke : „Kann man denn in solch einer Lage Maß halten?" Das kommt in demselben Zusammenhange bei Sophokles auch wirklich zum Ausdruck. E. 213 fF.— 221 ff.— 236 ff. Zu 0. 105 kann man E. 393 stellen. Wie Elektra dem Vorwurf der Maß- losigkeit durch eine ausführliche Schilderung ihrer Leiden begegnet, ebenso Octavia. Und so findet sich natürlich 0. 100 ff. und E. 261 ff. manches Entsprechende (0. 104f. u. E. 261 ff., 0. 111 ff. u. E. 267, 270). Auch von dem, was Elektra nach dem Berichte von Orests Tod spricht, läßt sich einzelnes heranziehen; vgl. 0.105 und E. 814f., 0.108 und E. 821 f. Octavia ist eben wie Elektra rolg (povevoL avvxQocpog (E. 1190).

Die Bitte, die Octavia (134 ff.) ausspiricht (emergere umbris et fer auxilium nafae . . .), soll Chrysothemis am Grabe des Vaters tun (E.453f. yrid-Ev Ev^evri fifuv aQioybv avrbv eig ex^Qovg /nolelv), die Worte der Amme aber (0. 137 friistra parentis invocas manes) klingen an an die Worte des Chores (E. 137 f.): äl)^ ovtol tov y s^ 34iSa Xi/nvag TzaTsq dvoTciGeig, vgl. den ähnlichen Gedanken 0. 178 und E. 940. Was die Amme von Britanniens sagt (0. 168 sidus, columen domus), das sagt und hofft Orest von sich (E. 65 f. cxgtqov cog . . . xaTaotazTiv dof^cov)^ die Worte nunc levis tantum cinis (0. 169) erinnern an Elektra mit dem Aschenkruge. Vom Gespräch zwischen Octavia und der Amme kommen außer den oben besprochenen Stellen noch in Betracht: 0. 177 und E. 396; 0. 179 und E. 1009 f.; 0. 227 und E. 175 f., 209 f.; 0. 243 und E. 785 f.; 0. 245 und E. 824, 1063; 0. 256 und E. 919, 1065; 0. 257 f. und E. 513; 0. 260 und E. 493 f.

Daß der römische Dichter auch durch den Schluß des 1. Stasimon der Elektra (504 ff.), der das Verbrechen des Pelops behandelt, zur Erwähnung der Verbrechen im römischen Königshause und der des Nero gegen die Mutter in dem entsprechenden Chorliede (0. 273 ff.) angeregt wurde, ist w^ohl nicht ganz ausgeschlossen.

Im folgenden finden sich außer an den erwähnten Agrippina und Poppäa betreffenden Stellen erst wieder am Schlüsse, wo Octavia auf- tritt. Anklänge an Sophokles, vgl. 0. 911 mit E. 249, 307 f.; 0. 915 mit E. 146, 1077 (s. Aisch. Ag. 1140, der Gedanke von 0. 916 f. bei Aisch. Ag. 1144); 0. 981 mit E. 391.

An der Spitze des Liedes, in dem der Chor Octavia auf die Frauen ihres Hauses hinweist, stehen dieselben Gedanken, die der Chor in der

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El. 860 f. und 916 f. ausspricht (Ttäai dyaTolg fyv fiOQog und rolg avTolal tol ovx avTog del daiuövwv TtaQaoxaTEi ist zu vergleichen mit 0. 924 fF.: regitur fatis mortale geniis \ nee sibi quisquam spondere potest \ firmum et stabile). Der etwas sonderbare Trost in den Worten: quid saevior est Fortuna tibi? „die Schicksalsgöttin geht doch mit dir nicht grausamer um als mit andern" mit der folgenden Erinnerung an die ältere Agrippina. die Livia Drusi, ihre Tochter Julia, die Messalina und jüngere Agrippina findet seine Erklärung in den Worten des Chores der El. (153 fF.): ovroi ool f.iovva^ tcxvov, äxog icpdvrj ßgorcov^ TCQog 0 TL ov Tcov evSov el TieQiGod^ olg öf-iöd-ev ei ytal yova ^vvai(.iog. Möglicherweise hat eben die Erwähnung der Geschwister Elektrens unseren Dichter auf den Gedanken gebracht, Octavia das Los jener vorzuhalten. Das etwas Befremdende des Trostes wird so erklärlich. Die Anrufung der Unterweltsgötter, mit der Octavia zu Schiffe geht, steht in Elektrens Klagegesang V. 110 f.

Wir sehen also den Dichter, dessen Stück sich in Sprache und Kom- positionsweise von den Seneca-Dramen nicht wesentlich unterscheidet, in manchem auch von Sophokles abhängig; man wird aber nicht sagen können, daß er Motive seines Vorbildes in plumper Weise verwendet hat. Natürlich bin ich weit entfernt, behaupten zu wollen, daß der Dichter der Prätexta sämtKche Stellen, die ich herangezogen habe bewußt nachgeahmt hat; von Nachahmung im gewöhnlichen Sinne kann gleichwohl eher Sophokles als Seneca^) gegenüber gesprochen werden. Indem der Dichter im Drama selbst auf sein Vorbild hinweist, scheint er geradezu dessen Vergegenwärtigung von seinen Lesern zu verlangen.

Daß die Prätexta vor den mit ihr überlieferten Seneca-Dramen manches voraus hat, wird man 0. Ribbeck (Gesch. d. r. D. IIL, S. 88) wohl ohneweiters zugeben. Dieser Vorzug hat aber zum Teil seinen Grund auch in der geschickten Benutzung der Elektra des Sophokles.

^) über das Verhältnis der Prätexta zu den Seneca-Dramen vgl. man meine Diss., p. 49 ff. ; was meine Zusammenstellungen bedeuten (s. Zeitschr. f. d. ö. Gymn. 1905, S. 675), versteht A. Cima (Riv. XXXIV, S. 530 A.) immer noch nicht. Aus den Seneca-Dramen bringe ich ihm zu viel Stellen mit der Prätexta in Verbindung (natürlich habe ich da noch einiges übersehen, wie ich mir verschiedentlich anmerkte), aus Tacitus zu wenig; da ist freilich nicht zu helfen. Beziehungen zu Prosaschriften Senecas sind in meiner Diss. p. 76 ff. besprochen. Sonderbarerweise erwähnt W. Gemoll davon nichts in der Wochenschr, f. kl. Phil. 1906, Sp. 1088 ff., wo er meine letzte Arbeit und die Ussanis „bespricht", wenn man den Aus- druck gebrauchen darf. So hat es den Anschein, als ob mir entgangen wäre, daß die Prätexta „unter starker BenutzungSenecas" geschrieben ist. Gerade auf Grund meiner Zusammen- stellungen in jener Dissertation, auf die sich der von Gemoll angeführte Nordmeyer aus- drücklich beruft, kann dies heute jedem, der sich mit dem Stücke beschäftigt, bekannt sein. Auf die Aufstellungen Gemolls in seiner Besprechung der Arbeit Nordmeyers (Wochenschr. f. kl. Ph. 1893, Sp. 124 ff.) einzugehen, schien mir bisher nicht nötig; da er sie nun wiederholt hat (Wochenschr. 1906 a. a. 0.), werde ich gelegentlich auf sie zurückkommen.

Eine noch unbenutzte Sallusthandschrift.

Von AUGUST SCHEINDLER.

Vor Jahren wurde ich von Professor Dr. Petschenig in Graz auf eine ältere Sallusthandschrift aufmerksam gemacht ^ die sich im Benediktiner stifte St. Paul in Kärnten befindet. Erst im verflossenen Herbst kam ich dazu, sie einzusehen und vollständig zu vergleichen. Sie wurde mir hiezu auf meine Bitte mit größter Bereitmlligkeit nach Wien geschickt und ich erfülle eine angenehme Pflicht, wenn ich auch hier dem hochwürdigen Stiftsarchivar, Herrn Professor Dr. P. Sieg- fried Christian, für sein überaus freundliches Entgegenkommen meinen herzlichsten Dank ausspreche.

Die Handschrift trägt die Signatur: alt XXVII c, 126, neu: XXVI, 1, 21; sie ist ein Miszellanband aus Pergament in Kleinquart und enthält mehrere theologische Schriften (I. Variae admonitiones ; II. Contemplatio S. Bernardi abbatis de passione Domini, de dedicatione ecclesiae; III. De pulchritudinibus); dann folgen die beiden bella des Sallust. Nach dem bellum Catilinae enthält die Handschrift auf der unteren Hälfte der Rückseite des Blattes 147 und auf Blatt 148 ein Stück aus Boetius topica, das nachträglich, offenbar zur Füllung des leeren Raumes, eingetragen wurde.

Der Salkisttext ist sehr schön und gleichmäßig in Minuskeln, wahrscheinlich in der zweiten Hälfte des XII. Jahrhunderts auf 67 Blättern geschrieben. Sachverständige, die ich um ihr Urteil über das Alter der Handschrift befragt habe, schwankten anfangs zwischen dem XI. und XII. Jahrhundert ; doch entschieden sie sich, und zwar unabhängig voneinander, für das XII. Jahrhundert.

Zur Charakteristik der Schrift sei erwähnt, daß sich am Schluß meist das lange Zeichen für s findet; doch kommt auch das kleine s

i

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vor; ferner stets ufürv^); es finden sich auch viele Unterscheidungs- zeichen. Punkte zwischen den Wörtern etwas über der Zeile und fast desmal das Fragezeichen; die Präposition wird stets mit dem dazu- ehörigen Worten zusammengeschrieben; Initialen, zumeist in roter arbe, durchziehen die ganze Handschrift.

Die vollen Seiten enthalten eine ungleiche Zeilenzahl, sie schwankt zwischen 26 und 31, beträgt jedoch meistens, solange die gleichmäßige Schrift anhält, 28.

Auf^ fol. 1 steht in roter Kapitale die Überschrift: INCIPIT SALUSTI LIBRI CATILINAEII(!). Es folgt nun der Text bis c.5; am Ende von c. 4 steht gleichfalls in roter Kapitale: EXPLICIT PROLOGUS. Ebenso steht vor der Rede de^Cat. c. 20 : ÖR CATILINE ; c. 35. 1 vor dem Briefe Catilinas: ORAT CATILINE, ferner c. 51 vor der Rede Caesars: ORAT GAYCESARIS und c. 52 vor der Rede Catos: ORATIO MARCI PORCI C ATONIS. Nach dem Stück aus Boetius folgt der Beginn des bell. Jug. mit dem Vermerk : INCIPIT LIBER lUGURTHINUS. Auf fol. 157 Vorderseite findet sich nach c. 17, 2 eine Weltkarte^). Von pag. c. 56 1 venturum an wird die

^) Nur in wargunteius steht meist w statt v, und hie und da findet sich am Anfange Yfür v.

-) In einem Kreise mit dem Halbmesser von ungefähr 3 4 c/w sind in einem x\bstande von 1 cm zwei unterbrochene Halbkreise eingezeichnet ; in dem Zwischenraum stehen in gleichen Abständen 9 Buchstaben, und zw^ar von oben nach der Eichtung des Uhrzeigers a T ij) L g X O C 2" (?) e; die beiden Enden des oberen Halbkreises verbindet eine hori- zontale Zickzacklinie, eingetragen ist in diesen Raum nur Asia oben, zava? links in der Ecke, ihrl-m in der Mitte und ein Namen rechts, von dem nur P' ig leserlich ist. Der untere Halbkreis ist durch eine mit der oberen parallel gehende, von der Hälfte nach unten senkrecht abbiegenden Zickzacklinie dreifach geteilt; links steht im sonst leeren Zwischen- raum zwischen den beiden parallelen Zickzacklinien tyr'; in dem durch den Bogen des inneren Eo-eises, den linken Teil der unteren und die senkrecht zum inneren Kreise ab- biegenden Zickzacklinie eingeschlossenen Stück der Kreisfläche steht in der IVIitte: europa, in der rechten Ecke roma oben, in der rechten Ecke unten hispania; dann folgt ein Streifen zwischen beiden Erdteilen : mediterraneum mare, der unteren Ecke zunächst stehen die Namen calpe und cades: dann folgt das rechte Stück der Kreisfläche; das enthält die Namen: atlas, medi, darunter libies, getuli, ethiopes; rechts oben limens (?), darunter mulucha; unter der parallelen Zickzacklinie stehen die Namen: Cartago, ^rarabatmon, darunter numidia, afirica. Am linken Rande neben der Zeichnung stehen die Worte : tenet ambitus iste, am rechten DIVISÜS PER SE 3IUNDÜS; außerdem am rechten Rande noch in fünf Zeilen 4 Verse aus Lucan (Phars. IX, 411—14 (gegen Hosius weicht der Text ab: 412 at si celum ventosque sequeris und 413 neque enim) mit der Unterschrift Lucanus. Die Karte zeigt also Ähnlichkeit mit den übrigen SaUustkarten, namentlich mit der zweiten von Görlitz, 12. Jahrh. nach Wuttke, und der dritten von Leipzig, Stadtbibl. 13. Jahrh. nach Wuttke; vgl. Dr. Konrad MiUer, die ältesten Weltkarten, m. Heft, S. llOif. Eine ganz ähnliche, allerdings einfachere Karte mit Avenig Namen und ohne Einzeichnung der Meere findet sich in zwei Handschriften des Lucan; siehe zur Stelle die Ausgabe von Franc ken, n. p. 177.

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Schrift, die bisher sehr sauber, sorgfältig, deutlich und gleichmäßig war, flüchtiger, größer, ungleichmäßiger und weniger sorgfältig, doch dürfte sie immerhin noch von derselben Hand herrühren. Eine andere, jüngere Hand setzt aber zweifellos lug. c. 80, 1 von nichil an, ein; sie ist ersichtlich ungeübt, kopiert mühsam und unvollkommen die frühere, hält die Zeilen nicht ein und ändert häufig die Lage der Buch- staben, die größer und ungleicher werden; auch die Tinte ist blässer und die ganze Schrift undeutlicher. Der Text des bell. Jug. reicht bis c. 104, 3 und endet mit dem Worte benignitatem. Von ganz junger Hand steht am oberen Eande : in nomine domini nostri Jesu Christi. Am Rande sind von Jug. c. 17 an mehrere Bemerkungen nachgetragen, so zu c. 85 ÖRÖCMARIY. Mit c. 104, 3 bricht also die Hand- schrift mit dem Worte benignitatem ab; doch stehen die Worte qui bis benignitatem von derselben ganz jungen Hand in drei Zeilen am unteren Rand; die letzte regelrechte Zeile endigt mit Gn. octavio rufone.

Das letzte Fol. der Handschrift enthält meder einen Text theo- logischen Inhaltes.

Die Sallusthandschrift ist demnach unvollständig; sie war offen- bar einmal vollständig und sind die letzten Blätter vor dem Einbinden verloren gegangen. Von der Jugurthalücke enthält sie jetzt nur mehr einen kleinen Teil, nämlich von quinque c. 103, 2 bis c. 104, 3 beni- gnitatem.

Endlich sei erwähnt, daß die Handschrift zahlreiche Glossen interlinear und am Rande und einige längere Schollen enthält.

Die Stellung unserer Handschrift wdrd zunächst dadurch be- stimmt, daß in ihr Cat. 6, 2 die Worte ita bis facta erat, Jug. 21, 4 : de controversiis bis disceptare und 44, 5 die Worte muniebantur ea neque fehlen.

Was die Orthographie betrifft, so liegt sie sehr im argen; ich führe zur Charakterisierung der Handschrift nach dieser Richtung fol- gendes an: die Eigennamen sind durchaus mit kleinen Anfangsbuch- staben geschrieben, stets hat die Handschrift michi, nichil ; für ae und oe meist e, und zwar nicht nur im Aus- sondern auch im Inlaute; im Auslaute findet sich das Häkchen unter dem e. Als Beispiele führe ich an ^j : que Cat. 1, 1; querere 1, 3; grecia 2, 1; lace- demonii 2, 1; equabilius 3, 3; edifficaret 3, 7; estimo 3, 8; etas 3, 4; celum 48, 1; sepe 51, 6; cede 18, 4; cesar 49, 1; preterea 48, 4; edem 49, 4; ceteri 51, 2, dagegen athaenienses 2, 2; 8, 3; aliaena 51, 37.

') Ich beschränke mich der Kürze wegen in meinen Belegstellen auf das bell. Cat.

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^V Ebenso ist für oe zumeist einfaches e geschrieben : obedientia

^■Cat. 1, 2; immer cepi (st. coepi), menia 6, 2; penam 46, 2; 51, 8 usw.

^V Das anlautende h fehlt öfter in Formen von homo (Cat. 3, 7), in

aveto 35, 6, actenus 20, 5; dagegen findet sich wieder habunde 21, 1.

Nach u (für v) steht immer u, z. B. uultus, uultis, nouus, uulnus uulturcius, uulgus, uiuus; nur einmal equom Cat. 59, 1. Stets schreibt die Handschrift: adolescentulus , adolescens, adolescentia, formidolosus (nur Cat. 7, 5 formidulosus); für ti steht immer ci: diuicia (7,6), auaricia (3, 3 usw.) ; arcium (3, 4), uicia (3, 4) milicieque (5, 9), flagi- ciosissima (5, 9), iusticia, potencia (58, 11), spacio (55, 1), negociis (54, 4), pudicicie (52, 23), moUicia (52, 18), inerciam (52, 22), opulencia (52, 9), sentencia (51, 21), ocium (52, 5), licencia (51, 29), inicium (51, 33), attencius (52, 18), silencio (53, 6), leticia (31, 1 usw.), tri- sticia (31, 1), concione (43, 1), tercium (47, 2), sedicio (34, 2 usw.), precio (50, 1), inducias (51, 6), seuicia (51, 9) usw.

Umgekehrt steht auch für ci häufig ti: sotiis (6, 5 usw.) sotie- tatem (48, 7), tribunitia (38, 1), inditio (46, 4), fallatiis (11, 2), delitiis (31, 3), fidutiam (35, 1), conditio (20, 6), ditionem (20, 7) , suspitione (35, 3) ; einmal sogar amiticiam (14, 4) und inimiticias (49, 2).

Die assimilierten Formen sind die Regel, so notiere ich: immu- tatur (2, 5), immoderata (5, 5), imminutum (37, 9), immortales (51, 10), impelli (44, 1), impunitas (30, 6), imparatam (17, 1 usw.), impo- neret (43, 1), impurus (15, 4), impunitos (51, 5), comperata (51, 8), impendeat (28, 2), implores (52, 4), impudicus (14, 2) , imbuta (11, 3), corruptus (3, 4 usw.), arrexit (39, 3), assequeretur (5, 6 usw.), assistit (59, 3), assedit (31, 7), assenciebantur (51, 1), accitum (47, 1), acce- debat (11, 5), affluerent (36, 4), aff'erre (46, 6), aggressos (19, 5), appetens (5, 4), attriverat (16, 3), allatus (30, 1); sogar ammonuit (5, 9), annitente (19, 1) und approbo (51, 8); suppetebat (16, 2), ille- cebris (14, 4), illexerat (16, 1), coUegam (26, 3), collocatis (45, 2), collibuissent (51, 9), oppressos (40, 1); ja sogar Impromptu (7, 1) und impraesens (16, 2).

Dissimilation begegnet in beiden bella sehr selten: im Catilina nur: inbutus (13, 5), inprouiso (28, 1), inponatis (33, 5), inpellat (40, 1), inpunitatem (46, 2), inmissum (48, 8), obpugnatus (49, 2), inpiis (51, 15), adtendere (53, 2), obstinatis (36, 4).

Ebenso sind Reste alter Schreibart sehr spärlich erhalten ; in beiden bella nur folgende : Cat. 24, 2 faciundi ; 46, 2 perdunde ; 48, 5 leniunda ; 48, 6 faciundam; Jug. 13, 6 largiundo; 13, 8 ambiundo; 31, 22 faciundi; 35, 3 gerundi; 37, 3 capiunde; 37,4 potiundi; 54, 5 gerundum ; 63.2 capiundum; 63, 3 faciundi; 89, 6 potiundi; 93, 2 legunda; 97, 1 faciundi. Nirgends

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erscheint u für i im Superlativ, stets verto ; von vester und seinen Formen kommt nur die Abkürzung ur, ura usw. vor ; docli weisen schon Formen wie uultus und ähnliche den Gedanken an voster gänzlich ab. Außerdem hat die Handschrift noch senati (Cat. 51, 1), praesidi (49,4), consili (51, 37), pompei (19, 2), und darnach obnoxi (20, 7), insomnis (27, 2), dis (15, 4), saucis (60, 4), colonis (28, 4); nirgends aber die Endung des Plur. auf -is.

Trennung von Kompositionsteilen ist selten : ad eant (41, 5) trium uiros (55, 1), qui cumque (37, 10), medius fidius (35, 2) , ante capere (32, 1 ; 55, 1), quo usque (20, 9), enim uero (20, 10), post quam (21, 5), quam uis (23, 6), ante hac (25, 4), in erat (15, 5; 17, 2), cuius uis (17, 7), non dum (18, 8), dagegen priusquam (44, 3).

Die Vokale e und i sind hie und da vertauscht: liniri (23, 3), delectum (36, 3), inconsulti (42, 2), lapedeis (55, 5), uendicemus (20, 7), mauritaniam (21, 3), eines (31, 7), superiori (19, 6).

Einfache Buchstaben statt geminata notiere ich: ocultum (23, 4), oculte (26, 4), (gleich darauf richtig occulte 26, 5), ocupauere (46, 2), ocasionem (51, 6; 56, 4), operior (58, 4), cominus (60, 3), succurere (60 , 4) ; umgekehrt geminata statt des einfachen Buchstabens : peccora (1, 1), strennuum (51, 6, u. ö.j, edilFicant (20, 12 u. ö.) flam- minium (36, 1).

Der Text selbst zeigt in mehrfacher Richtung erhebliche Ab- weichungen.

Zumeist enthält er eine große Zahl von Zusätzen ; im b. Catilinae an 85 Stellen.

Der längste ist 9, 1 : nach auaritia erat: per na tu r am maxime iusticiam colebant, worauf dann folgt: ins bonum apud illos non legibus magis quam natura ualebat : derselbe Einschub, wie ihn g ^ (bei Dietsch). eine Handschrift aus dem XIII. Jahrhundert mit vielen Glossen, enthält; die Worte besagen nichts anderes als: ins bonumque . . . natura valebat, sind also zweifellos eine in den Text gedrungene Glosse.

Wichtiger ist, daß unsere Handschrift an 41 von diesen 85 Stellen allein den Zusatz aufweist. Die korrigierende, erläuternde Tendenz fast aller dieser Zusätze leuchtet ohneweiters ein : so ist 5, 2 ab ado- lescentia sua; 25, 2 liberis suis satis fortunata ; 46, 3 coniirmato animo suo das ohnehin selbstverständliche Possessiv ergänzt; an drei Stellen: 32, 1 que in hello usui forent; 51, 25 fortuna, cuius libido in gentibus moderatur; ib. 36 potest in alio tempore ist die Präposition unnötigerweise eingesetzt; dazu die Wiederholung der- selben 20, 3 perignauiam aut peruana ingenia (entgegen dem son-

m

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M

stigen Gebrauche des Sallust; vgl. Kunze Sallustiana III, 2, S. 188). Hieran reihe ich die Stellen, in denen die Konjunktion ergänzt ist: 2, 2 et lacedemonii; 9, 1 ius que; 16, 4 tuteque tranquilleque res; 20, 11 illos autem binas aut amplius domos continuare ; 31, 1 et X summa leticia atque lasciuia . . . inuasit; 51, 19 de timore uero superuacuum est; ib. 41 ego autem hanc causam . . . magnam puto; 52, 6 et non agitur; 54, 1 igitur his genus et aetas eloquentia prope equalia fuere; ib. 5 At catoni studium modestie et decoris; 55, 6 De cethego, statilio atque gabinio cepario . . . sumptum est. An zwei Stellen ist das Hilfszeitwort eingesetzt: 40, 2 percontatus est pauca . . . et; 52, 36 sumendum supplicium esse. An weiteren vier Stellen ent- stand die Einschiebung durch Wiederholung eines Wortes aus der nächsten Umgebung: 37, 5 postremo omnes quos flagitium aut facinus domo expulerat, omnes romam . . . confluxerant ; 51, 5 Sed post- quam de hello confecto de rodiis consultum est; 52, 35 si in me hercule si peccato locus esset; 58, 18 cum uos considero milites et uos facta ura estimo. An weitaus der größeren Zahl der Stellen ist aber eine erklärende Glosse ^) in den Text gedrungen : 20, 16 in dies mihi animus mens magis accenditur; 24, 1 Jgitur comitiis habitis consules declaran- tur marcus tullius cicero . . . 25, 5 prorsus multe facecie sales multusque lepos inerat; 51, 19 cum praesertim diligentia clarissimi uiri consulis ciceronis . . . ib. 38 imitari bonos quam inuidere bonis malebant; 52, 12 sint sane uri ciues quoniam . . .; 53, 6 quin utrius- que naturam et mores et animum . . . aperirem ; 58, 12 Quo audacius adgrediamini illos memores pristine virtutis; ib. 19 animus etas uirtus ura me hortantur praeterea necessitudo hortatur. Ebenso sind sicherlich auch folgende Einschübe zu beurteilen : 1 8, 5 Cum hoc ca- tilina et publius autronius und 28, 2 Quintus curius (Ergänzung des Praenomen); 25, 3 ut saepius peteret uiros quam ipsa peteretur, 31. 4 tametsi ipsi praesidia parabantur; 48, 2 incendium uero crudele rei p. immoderatum ... 61, 4 sed catilina uero . . . Wahrscheinlich auch noch 20, 13 At nobis domi inopia, foris grande alienum es. Es bleibt somit eine Stelle: 13, 2 Quibus profecto michi uidentur ludi- brio fuisse diuicie; hier liegt allerdings die Erinnerung an Cat. 2, 8 Quibus profecto contra naturam corpus uoluptati, anima oneri fuit und ähnliche Stellen nahe, die der Lesung unserer Handschrift eine ernstere Bedeutung verleihen.

Diesen Zusätzen stehen Auslassungen im Texte gegenüber, im b. Cat. an 53 Stellen , von denen sich 28 nur in unserer Handschrift

*) über die Glossen in der Handschrift siehe unten.

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finden. Von diesen sind auf den ersten Blick als zufällige Übersehen erkenntlich: 17, 7 fehlt ea vor tempestate, das allein natürlich sinn- los ist; 23, 6 consulatum nach et quasi pollui credebat; das folgende eum verliert dadurch sein Beziehungswort; 27, 2 neque vor insom- nia; 29, 3 nach earum rerum; 41, 5 ceteros ad eant. poUiceantur ; hier ist bene unentbehrlich; 47. 2 quem sepe prodigiis auruspices respondissent ; durch das Fehlen der Präposition ex wird der Satz sinnlos; 52, 18 tanto illis infirmior erit; animus ist unentbehrlich; ib. 27, si arma ceperint; illi kann nicht fehlen; ib. 29 prospera cedunt; omnia ist für den Sinn notwendig; ebenso steht die Sache 15, 3, wo das unentbehrliche fuisse nach causa fehlt; hier ist es dem Schreiber ergangen wie sonst öfter, z. B. 59, 1, wo animus nach periculo im Texte fehlt und erst am Rande nachgetragen ist.

Diesen offenbaren Übersehen zunächst stehen Stellen, an denen die- selbe Fehlerquelle wahrscheinlich ist: so fehlt que 6, 4 reges populi fini- timi; 52, 36 conuicti confessi und 15, 4 nam (st. namque). Ernstere Erwägung beanspruchen die Auslassungen in unserer Handschrift an folgenden Stellen: 6, 3 sed postquam res eorum acris moribus aucta (ciuibus fehlt 1); 11, 3 fehlt in finita vor insatiabilis ; 20, 7 Nam postquam res p. inpaucorum ius atque ditionem concessit. Das fehlende potentium nach paucorum wird nicht vermißt, da es eigentlich selbst- verständlich ist, 20, 13 At nobis domi inopia usw. Das fehlende est nach nobis scheint allerdings sehr hart; 24, 3 fehlt homines nach plurimos cuiusque generis. 32, 1 fehlt ex curia nach se; hier dürfte die Abkürzung exe., das nach se leicht ausfallen konnte, den Ausfall erklären; 37,. 4 Sed urbana plebs ea praeceps erat (ohne vero nach ea) , wodurch die Kraft des Ausdrucks verliert ; ebenso denke ich über 44, 6 ne cunctetur propius accedere, wo ipse vor propius durch- aus notwendig ist; dagegen vermißt man 50, 2 das selbstverständliche cum telis nach grege facto kaum; 51, 36 cui item exercitus sit st. in manu sit; ib. 39 eodem tempore st. eodem illo tempore; ib. fehlt sum- mum vor supplicium, 52, 33 ullis nach hominibus und 57, 5 sed vor postquam catilina; 6, 7 ist per licentiam nach putabant ausge- lassen; hier spricht die ratio sogar für unsere Handschrift.

Am auffälligsten vard jedoch die Handschrift durch zahlreiche Änderungen in der Stellung der Worte charakterisiert; in dieser Hinsicht übertrifft sie , soweit sich dies aus dem Apparat bei Dietsch konstatieren läßt, weitaus alle übrigen Sallusthandschriften.

^) Vgl. GrenfeU und Hunt, Oxyrh. Pap. VI, p. 196.

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So finden sich im bell. Cat. allein an 147 Stellen Umstellungen gegen- über der vulgata, davon 69 in unserer Handschrift allein.

Doch zeigen auch diese vielfach eine gewisse Regelmäßigkeit, die den Zufall ausschließen und die Absicht nicht verkennen lassen; so wird gern das Adjektiv vor das Substantiv gestellt: Cat. 11, 6 r(omano) p(opulo); 19, 3 ab hyspanis equitibus; 15, 1 cum nobili uirgine; 23, 3 cum nobili uirgene fuluia; 20, 13 alienum es; 33. 2 alieni eris; 20. 12 suas diuicias; 31, 9 meum incendium; die chiastische Wortstellung wird in die Parallele geändert: 15, 5 color eins exsanguis, oculi fedi; ib. citus modo, tardus modo; 20, 11 in extruendo mari et coequandis montibus; ib. 13 mala res, multo asperior spes; 58, 1 neque exignauo strenuum neque ex timido fortent. Das Verb wird ferner von der letzten Stelle gerückt: 18, 8 Signum dare sotiis; 20, 11 cui est uirile Ingenium; 30, 4 mos erat uendere; 34, 2 oriretur sedicio; 36, 3 praesidio sit urbi; 39, 3 animos arrexit eorum; 45, 1 rem aperit omnem; 51, 13 minima est licentia; ib. 24 neglexeris inmaiori; ib. 34 suos expleuit diui- ciis; 52, 32 huic obstat sceleri; ib. 36 sumendum supplicium esse; 58, 8 in dextris portare uestris.

Das Adverb wird zum Verb gerückt: 16, 4 largius usi suo; 29, 2 plerumque solet in atroci negotio; 51, 11 non est ita; 52, 12 quoniam se mores ita haben t. Der attributive Genetiv wird vor- angestellt: 17, 1 magna coniurationis praemia; 18, 6 cedis con- silium; 51, 8 pro eorum factis; dann wieder nachgestellt: 30, 3 decreta senatus; 36, 5 plerosque animos ciuium; 53, 3 uiolentiam fortunae. Vielfach wird die gewöhnliche Wortfolge hergestellt: 21, 1 postquam ea accepere homines; 25, 3 Sed ei semper omnia cari- ora; 37, 9 quorum parentes uictoria sylle; 52, 4 nichil reliqui uictis fit; 55, 3 Est locus incarcere.

An anderen Stellen wieder wird stärkere rhetorische Färbung gewonnen: 20, 3 uos fortes cognoui fidosque mihi; 20, 8 nobis re- pulsas reliquere, pericula, iudicia, egestatem; ib. 10 uerum enim uero uictoria prodeum atque hominum fidem nobis in manu est; 29, 2 decreuit senatus; ib. 3 Ea potestas per senatum maxima more romano magistratui permittitur; 32, 1 domum se proripuit; 45, 4, deinde a legatis ubi desertus est; 51, 17 uerum sententia eins non mihi crudelis; 52, 15 ubi ad defendendum minores opes sunt; ib. 35 intra menia alii atque in sinu urbis sunt hostes. Doch gibt es auch Stellen, an denen weder Zufall noch Absicht zu

I erkennen ist, so: 2, 6 Ita semper Imperium; 30, 39 metellus creticus inapuliam quintus martius rex fessulas; 31, 6 editit I

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vor und nach scriptum; 51, 12 aliis alia licentia; ib. 31 ciuitas oppressa seruitute; ib. 43 ipsos habendes permunicipia in uincu- lis; 52, 18 Si paulum uos modo; ib. 24 sed hec ego; 59, 5 exer- citum ceterum usw.

Aber schon hier will ich hervorheben, daß unsere Handschrift mit dem Vaticanus u. a. 35, 1 in magnis meis und 58, 11 pugnare pro potencia paurorum^) übereinstimmt.

Ich komme nun zu den eigentlichen Yarianten selbst, deren Zahl, wie schon aus dem bisher Gesagten zu vermuten, sehr groß ist. Im bell. Cat. erreicht sie nahezu 250; hievon sind gegen 90 unserer Handschrift allein eigen. Ich übergehe offenbare Schreibfehler, wie z. B. C. 3, 2 quamquam (st. quaquam), 3, 4 intanta (st. intertanta), 17, 5 occultioris (st. occultius), 26, 5 euenerat (st. euenerant), 28, 4 cupidum (st. cupidam), 32, 2 nomine (st. numero), 36, 1 signibus (st. insignibus), 36, 3 maturent, 39, 4 extorquet (st. extorqueret) , 40, 5 propinquum (st. propinqua), 51, 39 animaduertebat (st. animaduertebant), 52, 36 sunt (st. sint), 54, 6 innocencie (st. innocente), 57, 4 tum (st. tamen), 58, 11 via (st. vita), 59, 6 eo (st. ea) u. a., denn derartige Versehen finden sich ja in allen Handschriften; auch daß gelegentlich et und que vertauscht werden (z. B. 2, 8 vitam et mortem st. mortemque, 10, 5 magis et magis st. magisque, 35, 3 videbam et me st. meque) oder et und at wechseln (z. B. 35, 3 et alienis nominibus st. at alienis nominibus) ist kaum zu erwähnen. Erwähnenswert ist jedenfalls, daß die Handschrift 29, 1 ; 36, 1 ; 47, 2 allein ante statt antea bietet. Doch sind das immer- hin noch geringfügigere Dinge.

Von größerer Bedeutung, namentlich für die Beurteilung des Charak- ters der Handschrift, sind jedoch folgende Stellen : C. 34, 1 ut nüquam ab eo quis frustra auxilium petiuerit (st. ut nemo umquam ab eo) ; 40, 3 miseriis suis praeter mortem nonsperare remedium (st. miseriis suis remedi- um mortem exspectare), also derselbe Gedanke in ganz anderer Fassung ; 42, 1 paratis ut sibi uidebatur magnis copiis (st. ut videbantur); 6, 5 Post ubi pericula uirtute propulerant, sotiis atque amicis auxilia portare (st. portabant) magisque .... parabant; 36, 5 atque uti (st. ac ueluti); 51, 76 agitouerant (st. exagitauerant) ; 51, 26consti- tuatis (st. statuatis); 51, 19 tuta (st. tanta); 58, 17 tenetur (st. habetur); 60, 2 agitur (st. geritur).

An allen diesen Stellen liegt entweder eine andere Überlieferung vor oder die bewußte Änderung eines sprachkundigen Korrektors.

*) So aucli N(azarianus).

- 209

Als Produkt der korrigierenden Tätigkeit nun verät sich die Schreib- weise in unserer Handschrift an einer ganzen Reihe von Stellen dadurch, daß eine gewisse ratio erkenntlich ist; so: Cat. 11, 4 feda crudeliaque inciuibus (st. in ciues) facinora facere; 15, 3 uidetur causa facinoris (st. facinus) maturandi; 25, 3 omnia . . cariora quam decus atque pudicitia fuerunt (st. fuit); ebenso 39, 4 magna clades atque cala- mitas rem p. oppressissent (st. oppressisset) ; an diesen beiden Stellen scheint die Verbindung der Subjekte durch atque den Plural des Prädikates veranlaßt zu haben; 35, 3 et me mala (st. falsa) suspitione alienatum esse sentiebam; 42, 2 festinando, agendo (st. agitando); 42, 2 Sed ea diuisa oc modo dicebant (st. dicebantur); 45, 2 occulte pontem obsidebant (st. obsidunt); 51, 12 multis eas (sc. iniurias) grauius equo habent (st. habuere); 51, 40 Postquam res p. adolevit et multitudine civium factiones ualuere, circumueniebant innocentes (st. circumueniri) ; 52, 4 hoc nisi prouideris neaccidat, ubi eueniet (st. euenit) frustra iudicia implores; 52, 28 qui hanc re p. . . seruare (st. seruauere); 55, 5 laqueo galam frangere (st. fregere); 59, 1 in- struxit (st. instruit); 52, 33 si non (st. nisi) iterum patrie bellum fecit; 60, 2 ubi (st. unde) aferentariis proelium cömitti posset.

An jeder einzelnen dieser Stellen erscheint die abweichende Lesart unserer Handschrift als das Ergebnis grammatikaKscher, stilistischer oder lexikalischer Überlegung.

Aber diese kommentatorische Arbeit sehen wir in unserer Hand- schrift sogar noch mit eigenen Augen.

An einzelnen Stellen finden sich nämlich im Texte erklärende Glossen von derselben Hand über dem betreffenden Worte geschrieben, so :

s bonus ignauo

11, 2 sedille uera uia nititur huic quia . . .

luxuriari 11, 6 amare

exspectare 13, 3 operiri

hispanos 19, 4 barbaros

s catiline 41, 2 In altera parte

mortem 51, 20 eam

post mortem

Wiener Eranos. 14

210

ib. ultra

ideo

52,

11 Eo

i. inmunicipiis

15 minores opes sunt

sc. cesar

16 non tinnet

utile ee

ib. refert

ut testatus est cesar

19 fecisse

catoni

54,

2 huic

consul

55,

1 iubet. ipse

hortatur

58.

19 necessitudo

planum

59,

1 in locum equom

Daß wir es mit Glossen und nicht Varianten zu tun haben, beweist das ausdrückliche i. (id est) oder sc. (scilicet), namentlich aber die Stelle 56, 3, wo über sparos „tremel" also eine deutsche Glosse steht.

Wie solche Glossen zu Varianten wurden, wird deutlich aus folgenden Stellen: 4, 1 Jgitur ubi animus . . . requieuit et ubi (st. et mii) reliquani . . .; 26, 5 quas consulibus in martio parauerat (st. in campo fecerat); 51, 4 magis uolo (st. malo); ib. 11 neque cuiquam hominum (st. mortalium); 52, 1 interrogatus (st. rogatus); ib. 31 ille egregius iuuenis (st. adulescens).

Hier hat natürlich die erklärende Glosse das zu erklärende Wort im Texte verdrängt.

Diese erklärende Tätigkeit liegt uns in der Handschrift noch in umfänglichen Randnotizen vor, die von derselben Hand geschrieben sind; ich führe sie zur Charakteristik der Reihe nach an: Cat. 14, 2 steht im Texte pede, darüber ein Zeichen; am Rande mit demselben Zeichen: pene: membro uirili et idem dicitur penus oris substantiam domus signiiicat. Penus us nui promptuarium significat. pene adverbium. Pena ne nomen est. 15, 1 zu ueste: Vestam deam antiqui terram et ignem esse perhibebant quia terram ignem habere non dubium est et idem virginem putabant. quia ignis inuiolabile est elementum nichilque na sei potest ex eo. quippe qui omnia quae arripuerit consumit unde

211

ovidius: hec tu aliud uestam quam uiuam intellegi flammam^). Nataque de flamma corpora nulla uides. Propterea uirgines ei seruire dicuntur quia sicut e uirgine ita ex igne nichil nascitur. 20, 7 Vectigal est tributum iiscale et dicitur auehendo eo quod accipitur de vectis i. de portatis mercibus. 52, 12 Quia morte ,inala mortalium dissoluere per- bibuit ultraque nee gaudio nee eure locum esse. 55, 2 fP. Praetor a praeeundo di. i. praeceptor inde praetorium praeceptor (?). Patres nri hie et boc carcer dixerunt Pronomen in proprium positum et appella- tiuum infFertur ad utrumque sed sepius ad proprium ut in K Est locus in carcere. 56, 2 legio sex milibus armatorum legitur; pabet autem IX centurias, XXX manipulos, XII cotortes ducentas turmas. Centuria habet C milites manipulus ducentos. cohors quingentos. turma XXX equites continet. 61, 9 gaudium est exultatio. cordis et corporis, leticia tantum cordis.

Das sind offensichtlich Notizen aus einem Kommentar sachlichen, grammatischen und interpretierenden Inhaltes.

Was ich nun hier im einzelnen von der Überlieferung des bell. Cat. in unserer Handschrift vorgetragen habe, erhält seine volle Geltung durch den im ganzen gleichen Zustand der Textesüberlieferung des bell. Jugurthinum, auf den ich wegen Mangels an Zeit und Raum diesmal im einzelnen nicht eingehen kann.

Ziehen wir das Ergebnis, so muß es dahin lauten, daß unsere Handschrift einen stark korrigierten Text bietet und keineswegs zu den lauteren Quellen zählt, sondern mit großer Vorsicht befragt werden muß, aber immerhin befragt werden muß; denn sie ist ein eigenartiger Eepräsentant ihrer Klasse, ergänzt unsere Kenntnis der Geschichte des Textes, indem sie an nicht wenigen Stellen ein besonderes Stadium im Fortschritt der Verderbnis darstellt, gleichsam also ein Mittelglied bietet zwischen der ursprünglichen und der Fassung in anderen Hand- schriften, in denen sich die Verderbnis noch weiter fortgeschritten findet; endlich stimmt sie mit den besten Zeugen an vielen Stellen im Guten und Schlechten überein, ich meine mit dem Korrektor p im Parisinus Sorb. 500 und mit dem Vat. 3864, deren Bedeutung für die Sallustkritik ich selbst wohl längst geahnt, Edmund Hauler aber endgültig erwiesen hat; so verweise ich nur auf folgende Lesarten : c. 33, 1 patria (mit V); 51, 5 infida et aduersa (mit p in marg. und V); ib. 12 in obscuro uitam agunt (mit p in marg. u. V; 52, 18 paululum (mitV); ib. 24 accersunt (mit p in marg. und V allein); 54, 11 uobis (mit p V); ib. 21 cauete ne inulti (mit V).

1) fast. VI, 291 f. (natürlich ist inteUege zu lesen).

14*

212

Über das Verhältnis unserer Handschrift zu den übrigen der interpolierten Klasse läßt sich bei unserer überaus mangel- und lücken- haften Kenntnis der Überlieferung ein genauer Nachweis nicht einmal versuchen, geschweige denn erbringen; doch so viel glaube ich behaupten zu können, daß sie den Münchener Handschriften ziemlich nahe steht; vor allem stimmt sie mit dem Monacensis cod. lat. 4603 (Benedic- toburanus 103, 312 bei Dietsch I p. 11) an auffallend vielen Stellen allein überein.

Zum Schlüsse noch ein Wort über die Jugurthalücke. Die Über- lieferung unserer Handschrift von Jug. c. 103, 2 an ist nicht ohne Interesse; mit anderen bietet sie 103, 3 placeat; ib. ipsis permittit; 5 romanorum auaritie; ib. rati sunt; 7 beniuolentie ; ib. poUicitus; 104, 1 postquam; ib. fehlt et vor de aduentu; 2 in qui; ib. fit et ab consule; 3 Omnibus rebus; ib. rufone.

Neu sind folgende Varianten: 103, 4 deinde agetulis in itinere latronibus; ib. ille vor circumuenti; 5 ut (st. uti); ib. acurate (st. accurate); ib. fehlt ob vor munificenciam ; 104, 1 ipse vor intenderat; ib. rediit cirtam ; ib. lucium bestiam (st. L. Billienum) ; 2 feroces (st. ferocius) ; ib. humane res nach quae; 3 mauri fehlt; ebenso cum vor Cn. octavio; ib. adportabat (st. portauerat) ; ib. nach regem steht bochum.

Wir sehen also: in diesen wenigen Zeilen schon wandelt unsere Handschrift ihre eigenen Wege; man kann sich vorstellen, was die Kritik für Arbeit bekommen hätte, wenn die ganze Lücke in unserer Handschrift erhalten geblieben wäre.

Zum Sendschreiben des Catulus und über die Consilia des Asinius Pollio.

Von EDMUND HAULER.

I

Eine literargesciliciltlich wichtige Stelle ist uns in dem längeren Schreiben Frontos an L. Verus (auf S. 126 der Naberschen Ausgabe) erhalten. Fronto bespricht darin einen brieflichen Bericht, den Verus über seine Erfolge (oder, besser gesagt, über die seiner Generale, besonders des tüchtigen Statins Priscus) gegen die Parther offenbar aus dem Feldlager an den Senat gerichtet hatte. Dieses Schriftstück gibt Fronto Anlaß, literarische Vergleiche mit den Reden und Briefen bei Thucydides und bei Sallust sowie mit einem Schreiben des Catulus anzustellen. Aber der Text dieser Partie war bisher, besonders was den Anfang und den Schluß anlangt, schlecht und lückenhaft gelesen, wie der Wortlaut bei Naber zeigen kann:

Extant epistulae ver(his i)doneis (in) ser^ie}^) partim scribtae historiarum, vel a (singulis} compositae: ut illa Thucydidi nobilissima Niciae ducis epistula ex Sicilia missa : item apud G. Sallustium ad Arsacen regem Mithridatis auxilium implorantis litterae criminosae : et Cn. Fmnpei ad senatum de stipendio litterae graves : et Aderbalis apud Cirtam obsessi

invidiosae litterae ^) omnes postulabat: breves nee ullam rerum

gestarum expeditionem continentes. Inlatae ^) autefni, quoiniodo) scribsisti tu, extant Catuli litterae, quibus . . a sema . . dico . . historia tarnen . . scribenda, si ad senatum scriberetur . . sensi horum suorum si in turmam

1) Naber gibt nach Du Eieu als Überlieferung an : UCR . . | DONIS— SER— und fügt hinzu: Supplementa Maii non satisfaciunt. Dieser liest p. 129'': Extant epistulae [variae] (.ad fidemy partim scribtae historiarum, vel <arte> compositae.

') Im Palimpsest soll nach Du Rieu-Naber in dieser Lücke CIE . . stehen. Mai las litterae, <quibus> omnes [patres] postulabat.

^) Hiezu bemerkt Naber : Ita codex : Maius 'latae'. Cetera rix legi possimt, nee contulit amicus (Du RieuJ.

214

epistulae contulisset necessario . . expeditius et de . . quod [Paterculm] . . res inomatius scribsisse. Tuae litterae et eloquentes sunt ut oratoris, strenuae ut duciSy graves ut ad senatum, ut de re militari non redundantes.

Naber hat sich bei der Gestaltung des Anfangs an den Gedanken Niebuhrs angeschlossen, der ohne Kenntnis vom Umfange der Lücken folgende Fassung (S. 168) vorgeschlagen hatte: Extant epistulae (veteresy in historicorum lihris, partim ah ipsis ducibus scriptae , partim ab auctoribus historiarum vel interpolatae vel compositae. Die Unmöglich- keit beider Textierungen hat bereits H. Jordan in seinem Aufsatze: „Der Brief des Quintus Catulus D e consulatu suo" (Hermes YI 68 ff.) gut dargetan. Indem er den Anfang offen ließ, hielt er einen Satzschluß wie: partim scribtae historiarum vel a(nnaliumy, compositae für „sehr denk- bar". Schon W. Studemund, der die erste auf S. 417 des Ambrosianischen Palimpsestes stehende Spalte (bis postula\\bat , breves) verglich und darüber in der Epistula critica p. XXVII f. berichtete, konnte die Richtig- keit dieser Vermutung bestätigen. Er las nämlich: Extant epistulae

utraque \ lingua partim a (?) | ducibus conscribtae par\tim a scrihtorihus

histo\Harum vel annalium \ compositae. Ich kann nicht nur diese Lesung (ab- gesehen von den mir wahrscheinlichen orthographischen Varianten Ex- (sytant und conscriptae) bekräftigen, sondern auch seinen zweifelnd ge- machten Ergänzungsvorschlag partim ab ipsis \ ducibus^) als gesichert hinstellen.

Der unmittelbar folgende Text des Palimpsestes stimmt bis auf die Sigle C. (so eher als G.) Sallustium und apud Cirtam obsessi mit dem Mai- Naberschen Wortlaut überein ; nach Cirta aber findet sich noch vor der Lücke, die das o von (^o^bsessi samt einem Buchstaben verschlungen hat, sas mit einem Reste von 1 2). Es war Cirtas ast^u} geschrieben, worin der Plural die seit Traian inschriftlich gesicherten quattuor coloniae Cirtenses (vgl.G.Wilmanns C.J.L.VIII S.618) bezeichnet. Die Lücke des Naberschen Textes nach litteraehai aber Jordan unrichtig durch scilicet omnes ut res postulabat breves nee ullam rerum gestarum memoriam conti- nentes auszufüllen versucht. Dafür hat bereits Studemund richtig invidiosae litterae, verum omnes, uti res postulabat, breves entziffert. Ich füge hinzu, daß sich die Worte bei Mai-Naber: nee ullam rerum gestarum expeditionem conthientes hieran unmittelbar anschließen.

^) Unter die weniger sicheren Zeichen setze ich einen, unter die sehr unsicheren zwei Punkte ; Ergänzungen stelle ich zwischen Spitzklammern < >.

2) Studemund bemerkt darüber a. 0. weniger genau : Tres primae huius verhi (obsessi) litterae incertissimae sunt ; tertia utrum s an c fuerit, dici neqiiit. Ante hoc participium duae evanidae litterae extant , quae aut ,eo' aut ,eu' aut similes aliqiiae fuerunt. Das von obsessi ist mir ebenso wahrscheinlich wie das folgende s, dessen untere Hälfte ausgefallen ist.

215

Darin weist expeditio die seltene Bedeutung „Erläuterung, Ent- wicklung, ausführliche Darlegung" auf; nur entfernt ähnlich ist die Verwendung dieses Substantivs beim Auetor ad Her. IV 68: Habet paticis comprehensa hrevitas multarum verum expeditionem, da es hier wie a. 0. IV 40 als Xame einer rednerischen Figur „Abwicklung, Er- ledigung" heißt. Jener Sinn ergibt sich aber ungezwungen aus der nicht ungewöhnlichen Gebrauchsweise des- Zeitwortes expedire, z. B. Cic. Ep. ad Brut. I 15, 1: Quibus igitur litteris tarn accurate scriptis adsequi possum , subtilius ut explicem, quae gerantur quaeque sint in re publica^ quam tibi is exponet^ qui et optime omnia novit et elegantissime expedire et deferre ad te potest?; vgl. Sali. B. lug. 5,3; Tac. Hist. IV 48 u. a.

Die weiteren Zeilen hat Studemund nicht mehr gelesen, ebenso- wenig Du Bieu. Wegen der stärkeren Dunkelheit, tiefer gehenden Ab- schürfung und teilweisen Durchlöcherung des Pergaments bieten sie für den Entziffernden viel größere Schwierigkeiten als das Vorher- gehende; dazu ist gerade an den wichtigsten Stellen die Lesung durch Korrekturen der zweiten Hand noch mehr erschwert. Nur nach oft vriederholter Vergleichung ist mir, wie ich hoffe, ein nennenswerter Fortschritt gelungen. Doch möchte ich meine Angaben ausdrücklich nicht als für alle Einzelheiten völlig abschließend bezeichnen, da der rührige und gelehrte Bibliothekar der Ambrosiana Dr. A. Batti diese Seite inzwischen, wie ich erfahre, vorsichtig zu glätten und etwas zu lichten versucht hat. Immerhin wird das von mir schon jetzt Gebotene für Vermutungen eine geeignetere Grundlage, als sie bisher vorhanden war, darbieten und daher den Mitforschern nicht unwillkommen sein*

Was zunächst Jordans Wiederher stellungs versuche betrifft, so entfernen sie sich in diesen Zeilen ziemlich weit vom Wahren. Er liest nämlich auf S. 79 seiner Abhandlung: Latae autem, qtw{modo} scribsisti tu, extant Catuli litterae, quibus (de rebusy a se Ma(rioque gestis egit maley dice ; aber schon auf der nächsten Seite macht er ohne Bücksicht auf diese seine Gestaltung folgenden anderen Vorschlag: Latae autem quomodo tu , maUydicae (nimisque redmidantes :y^) historia tarnen scribenda (^fuit. Quody si ad senatum scribere (^GaytuKjis maluisset rationemque^ consiliorum suorum si in formam epistulae contulisset, necessario (^omnia^ expeditius et -fde ... quod paterculus (?) , . . res inornatius scribsisset. Richtig ist davon seine schöne Vermutung consiliorum für sensi horum, ferner scribsisset statt scribsisse und die schon von Niebuhr vorgeschlagene

^) Offenbar ein Druckversehen ist es, wenn eine Anfangsklammer sowohl nach male als auch nach dicae steht und hinter scribere ein Punkt gesetzt ist.

216

Verbesserung in formam epistulae für das bei Mai-Naber stehende sinn- lose in turmam epistulae. Ebenso hat bereits Niebuhr wie Jordan an der höchst auffallenden Erwähnung des Paterculus Anstoß genommen, ohne aber eine Besserung zu wagen. Sachlich widerlegt Jordan zudem richtig die von Mai, Niebuhr, Naber und selbst in neuester Zeit von R. Büttner (Porcius Licinus und der litter. Kreis des Q. Lutatius Catu- lus 1893, S. 178) geteilte Meinung, der hier erwähnte Brief stamme aus Sallusts Historien und sei dem jüngeren Catulus zuzuschreiben. Jeden Zweifel dürfte der von mir entzifferte Text beseitigen.

Ich lese statt inlatae autem, quo^modo} scribsisti tu, extant Catuli litterae, quibu^ . . a sema . . dico vielmehr : In hunc autem modum, \ quo

scribsisti tu, extant \ Catuli litterae, quib(us) res \ a se iacturis (Von m.^ über derZ.: atq(ue) damnis sane gestas, at) lauro fr über der Z. von m. 9 meren \ das histoirici exe^mplo \ exposuit; ve^rum) turgent \ elate (^pyrolata teneris prope \ {vyerbis. Besondere Schmerigkeiten machte die Ent- rätselung der auf res folgenden Wörter bis einschließlich exposuit, worüber ich das Wichtigste in der Anmerkung ^) beibringe, im übrigen auf meine vorbereitete Ausgabe verweise.

Erklärungsbedürftig scheint in diesen Worten nur die Wendung a se iacturis atq(ue) damnis sane gestas, at lauro merendas zu sein. Der Ausfall der gesperrt gedruckten Worte^ die, von der zweiten Hand über- schrieben, mir im wesentlichen wahrscheinlich sind, wird durch das Abirren des Schreibers von atque auf at leicht erklärlich. Die Verbindung von iactura atque damnum erscheint auch bei Cicero De leg. agr. I 21 flagi- tium huius iacturae atque damni ; darin steht iactura zutreffend von dem

^) Auf das mir sichere a se folgt ein w?-ähnliches Zeichen, das von zweiter Hand am ehesten in i a c verbessert erscheint. Das nächste Zeichen ist wohl t (nicht a), dann steht, obwohl durch eine Lücke im Pergament beschädigt, doch sehr wahrscheinlich u, auch die fol- genden Eeste weisen trotz der Durchlöcherung der Stelle am ehesten auf ris. Hier hat die verbessernde Hand eine Eeihe von Buchstaben überschrieben, die trotz der Schattenhaftigkeit mehrerer mir das oben Verzeichnete zu ergeben scheinen. Es folgt innerhalb der Zeile ein ziemlich wahrscheinliches l, dann ein sicheres a von zweiter, weiter u von erster Hand; darüber hat m.'^ schief r beigeschrieben. Der Eest dieser Zeile ist fast ganz sicher. Minder gilt dasselbe von der nächsten, in der nur das hist zumeist erkennbar ist, während weiter <rici exey durch eine Lücke ganz ausgefallen, von m nur schwache Reste, größere von ylo (oder ple) erhalten sind. Vom Verbum exposuit ist der Beginn undeutlich , für explicavit aber, an das ich auch dachte, außer einigen wenig fügsamen Überbleibseln der Raum etwas zu klein. Hier hatte aber, wie ein Häkchen der verbessernden Hand beweist, ein Satz geschlossen. Auf ve folgt eine Lücke, in der rum gut Platz findet. Nach elate (dessen letztes e vielleicht aus a verbessert ist) steht eher <p^rolata als allata ; der Anfangsbuchstabe der nächsten Zeile (ohne Zweifel v) ist vor erhis ausgefallen.

217

Opfer, das absichtlich gebracht wird, um dadurch größeres Unheil zu ver- hüten, während damnum auf die Einbuße, den Verlust an Geld und Geldeswert hinweist. Res lauro merendae aber ist eine knappe und prägnante, vielleicht aus Catulus' Schreiben selbst entlehnte Ver- bindung = Taten, für die der laurus (z=z Jaurea oder trimnphus) der ge- bührende Preis sein würde, also fast synonym mit res lauro donandae. Diese Bedeutung ergibt sich aus merere durch (guten) Kauf erwerben, (mit Vorteil) erkaufen, erstehen, wie Plautus Most. 281 sagt : anus dmni sunt uxores y quae vos dote meruerunt, wo vos von den viri dote meriti gebraucht ist; ebendarauf weist die Verwendung des Substan- tivs meritum als Preis, Lohn, Belohnung, so bei Apul. Met. VIII 28 quäle . . meritum reportaverit sowie in Donats Erklärung zu Terenz Phormio 305 (nihil suave meritum est) suave meritum enim suavem mercedem signißcat. Der attributive Gebrauch des Gerundivs entspricht dem aller- dings seltenen, aber schon in der Plautinischen Zeit üblichen (wie bei expetunduSy mirandus und pudendus); hier wird merendus durch die Ver- bindung mit dem vorhergehenden Participium Perfecti gestützt, zugleich durch den Gegensatz der Begriff der erst zu vollziehenden Tätigkeit hervorgehoben.

Fronto stellt zunächst mit In hunc . . modum die Komposition des Schreibens des Q, Lutatius Catulus auf gleiche Linie mit der des Kriegsberichtes seines früheren Zöglings Verus. Beide gaben also nach Art eines Geschichtschreibers eine ausführliche Darstellung der Kriegs- taten. Die Parallele in sachlicher Beziehung ist auch darin gelegen, daß Verus gleich Catulus anfangs eine schwere Schlappe erlitten hatte. Dieser hatte es nämlich nicht verhindern können, daß seine Legionen vor der über den Brenner heranbrandenden Flut der Cimbern und ihrer Bundesgenossen zurückwichen und, obwohl er selbst die Waffen- ehre zu retten gesucht , hatte er doch nach dem Versäumnis der Besetzung der Alpenpässe sich auf das rechte Poufer zurückziehen und alles Land nördlich davon den Feinden überlassen müssen. Auf diese für den Konsul Catulus verlustreichen Ereignisse des Jahres 102 bezog sich offenbar das Schreiben. Denn bei Cicero heißt es im Brutus § lo2 von demselben Schriftstücke: quae (incorrupta quaedam Latini sermonis integi'itas) perspici cum ex orationihus eius potestj tum fadllume ex eo libro, quetn de consulatu et de rebus gestis suis conscriptum molli et Xenopho7iteo genere sermonis misit ad A, Furtum poetam, fami- liärem suum. Die res gestae hatte man bisher auch und vor allem auf Catulus' Taten nach seinem Rückzuge, also auf sein Prokonsulat und die siegreiche Kooperation mit Marius im Jahre 101 beziehen zu müssen geglaubt, während sie, wie wir aus unserer Stelle ersehen,

218

ungezwungen auf die Ereignisse des Konsulatsjahres gehen. Cicero konnte aber schon aus stilistischen Gründen die leicht zu ergänzende und die Verbindung völlig erhellende Präpositionalbestimmung in consulatu oder a se consule nicht in die Wendung de rebus gestis suis einfügen. Sicher scheint es mir, daß nach der Fassung unserer Frontostelle die Ansicht H.O.Simons (Vita Q.Lutatii Q. f. CattiU in d. Festschrift zur dritten Säkularfeier des Gymnasiums zum Grauen Kloster, Weidmann 1874) abzulehnen ist, der S. 14 ff. des Separatabdruckes annimmt, die Denk- schrift sei unmittelbar nach der Unterdrückung des Aufstandes des Satur- ninus und Glaucia (100) verfaßt worden. Catulus habe damit die Römer möglichst bald über die Mißgunst und Böswilligkeit des Marius , der ihn fortwährend verfolgt habe, aufklären und ihnen seine und der Optimaten Politik empfehlen wollen ; diese Schrift habe Marius' Abgang nach Kleinasien wesentlich mitveranlaßt. Auch will er (S. 7) das bei Varro (1. L. V 150) stehende Zitat Lufatius (ohne irgendwelche nähere Angabe) mit einer Erklärung des Namens lacus Curtius in diese Schrift versetzen, da Catulus bei Gelegenheit der Schilderung seines Triumphes und der Taten des Jahres 100 die beste Gelegenheit gehabt habe, diese örtlichkeit zu nennen i). Aber die Abfassung des Schreibens durch

') M. Schanz, der übrigens auch die Abfassung der Broschüre bald nach 101 setzt, weist in der Rom. Lit.-Gesch. I 1^, S. 290 diese Stelle den Commune^ historiae des Catulus zu, die nach seiner Ansicht Göttermythen und Lokalsagen behandelten. Dieses Werk soll nach dem Titel xotval iaio^lai wissenschaftliche Untersuchungen nicht über ein Volk, sondern über mehrere Völker gemeinsam dargeboten haben. Über die zum Teil unglaub- lichen Mutmaßungen anderer über diesen Titel vgl. Schanz a. 0. S. 289. Ich kann aber meine Zweifel über den von ihm angenommenen Lösungsversuch nicht ganz unterdrücken. Die zwei Stellen, an denen das Werk wirklich angeführt wird: Prob, zu Verg. Georg. III 293 (App» Serv. p. 382 Hagen) : Apollo autem dicitur Musagetes, quia Musarum (dux) existimetiiry ut Lutatiiis in primo Cotnmunis historiae ait, qui deorum curam egerat (Haupt wohl richtig: quod earum chorum regat) und Schol. Dan. zu Verg. Aen. IX 707: Postumius de adventu Aeneae et Lutatius Communium historiarum: tioiam Euximi comitis Aeneae nutricem et ab eins nomine Boias vocatas dicunt sowie das wohl auch hieher gehörige dritte Zitat Schol. Vat. zu Verg. Georg. IV 563 : Lutatius libro IV. dicit Cumanos incolas a parenfibus digressos Parthenopen urbem constituisse usw. lassen sich wohl mit der Annahme vereinigen, daß Catulus in einer größeren Geschichtsdarstellung, die auch oder vor allem sein mit Marius gemeinsames Wirken und Ringen behandelte, seine und seiner Familie Biographie, mit gelehrten Notizen verbrämt, gegeben habe. Nahe verwandt scheint damit eine Vermutung A. Solaris {Riv. di fil. XXXIV 1906, S. 140), die ich nur aus Schanz (a. 0. S. 290, wo er sie 'verfehlt' nennt) kenne. Bei dem Preis seines Geschlechts und der Erwähnung des Furius konnte Catulus wohl auf Apollo Musagetes und auf Neapel, bei der Schilderung seiner Kämpfe gegen die Cimbern und deren König Boiorix auf die Etymologie der Boii und Boiae zu sprechen kommen. Man kann in der Verwertung von so wenigen , uns zufällig überlieferten Bruchstücken für die Deutung des Titels nicht vorsichtig genug sein. Auf ein historisches oder historisch-biographisches Werk weist wohl auch der Titel der Schrift des Timaeus und die Verwendung der Kotval iorogiat als Quellenwerke für die den Autoren vorangeschickten biogra])hischen Notizen (die sogenannten yh'?j) nach Dionys. Hai, Opusc. (Usener-Radermacher I 260): dväyy.rj d'Xacog jIQÖjtov, wg jiaQsXaßov ix rd)v y.oivoiv

219

Catulus ein Jahr nach dem Triumphe , zwei Jahre nach den iacturae atque damna ist nicht nur an und für sich unwahrscheinlich , sondern w^rd auch durch die Wendung res . . gestas . . lauro merendas ge- radezu ausgeschlossen. Veranlassung zu der wohl im Feldlager ver- faßten Schrift war die erwähnte große Schlappe, welche der ehr- geizige und von Marius und der Volkspartei angefeindete Mann mög- lichst bald in Rom aufklären wollte. Die Widmung an den Dichter A. Furius erfolgte aber offenbar in der Absicht, daß der künftige Herold seines Ruhmes die bösen Vorgänge sofort in günstigerem Lichte er- blicke und wohl auch außer den anderen Vertrauten weitere Kreise be- einflusse. Das Schreiben könnte mit dazu beigetragen haben, daß Marius, der nach dem Siege bei Äquae Sextiae nach Rom gerufen wurde und den Triumph bewilligt erhielt, auf diesen verzichtete und Catulus zu Hilfe eilte (Plut. Mar. 24).

Wollte man aber durchaus die Ereignisse des Prokonsulates mit einbeziehen, so wird doch jedenfalls zuzugeben sein, daß die Darstellung der Ereignisse darin nicht über den gemeinsamen Triumph nach dem Siege bei Vercellae (101) hinausgegangen sein kann. Denn alle bei Plutarch daraus (oder aus den Commtmes historiae ?) erwähnten Einzel- heiten, die dieser höchst wahrscheinlich aus Sullas Denkschrift über- nommen hat, fallen vor den Triumph; die letzte betrifft den Schiedsrichter- spruch der im Lager anwesenden Abgeordneten von Panormus über den Sieg (Plut. Mar. 27). Unmittelbar nach dem besonders für Catulus' Heer erfolg- reichen Schlachttage und noch vor der Bewilligung beider Triumphe, welche die Bürgerschaft anfangs Marius allein zuerkennen wollte (Plut. Mar. 27), ließe sich die Absendung des Schreibens allerdings auch denken. Aber die Stelle bei Fronto, der offenbar die Schrift gekannt und gelesen hat, ist in Verbindung mit den Worten Ciceros m. E. dieser Auslegung nicht günstig.

Wenn ferner H. Peter (Der Brief in der röm. Literatur, Abh. der philol.-hist. Cl. der k. Sachs. Ges. d. Wiss. 1903 , S. 243) behauptet, daß Q. Lutatius Catulus seine Memoiren griechisch geschrieben dem Dichter A. Furius geschickt habe, so ist hiefür schon der Umstand wenig günstig, daß dieser seine Taten in lateinischen Versen besingen sollte, und daß es an unserer Stelle heißt: In hunc autem modum, quo scripsisti

iaioQicöv, a (äg Handschr.) v.areXiTiov 'f]^lv ol rovg ßCovg xG)V ävbqGiv ovvxa^aiiBvoi , jigoeiTieiv (s. V. Wilamowitz Hermes XII 341 u. Leo. Die griech.-röm. Biogr. S. 20 f.). Die Überschrift Communes historiae oder Communis historia könnte hienach gewählt sein, vielleicht zugleich als kurzer Ausdruck im Sinne von Historiae(a) rerum communium oder verum commu- niter (jestarum , \^\. Historia August a , sacra und Cic. Phil. 15 haec omnia communiter cum collega, alio porro propria Dolabellae; Mur. 11 ut rebus communiter gestis paene simul cum patre triumpharet.

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tu, da Vems natürlich lateinisch an den Senat berichtet hatte. Wider- legt aber wird diese Meinung durch die schon angeführte Cicerostelle Brut. 132, die klar das Gegenteil besagt: inconupta quaedam Latini sermonis integritas , quae perspici cum ex orationibus eius jpotest, tum facillume ex eo lihro, quem de consulatu et de rebus gestis suis conscriptum molli et Xenopho7iteo gener e sermonis misit ad A. Furium poetam, familiärem suum. Dies hatte übrigens Peter früher Histor. Rom. rell. I, p. CCLXXIII selbst richtig angegeben.

Es ist eine nicht gleich sicher zu beantwortende Frage, ob dieser zur Buchform gediehene Brief des Catulus nur für den Dichter A. Furius zum Zwecke der Verherrlichung seiner Taten bestimmt war oder ob das Schreiben mit Jordan (S. 78) als politische Broschüre auf- zufassen und mit dem ausführlichen Briefe Ciceros an Pompeius (pro Sulla 67: epistulam meam . ., quam ego ad Cn. Pompeium de meis rebus gestis et de summa re publica misi und Schol. Bob. in Cic. or. pro Plane. 85) auf gleiche Stufe zu stellen ist. Dies leugnet H. Peter (Fleck eisens N. Jahrb. CXV 751 f.), indem er die Verschiedenheit der Adressaten, von denen dieser eine politische Größe ^ jener ein Dichter gewesen, betont und alle Folgerungen^ soweit sie sich „von den klaren und bestimmten Worten Ciceros entfernen", ablehnt. Aber gerade der Umstand, daß das Schreiben Eingang in die Literatur und das Lob Ciceros auch in formeller Hinsicht fand, scheint dafür zu sprechen, daß es von Anfang an nicht bloß als Materialsammlung für Furius' Dichtung ge- dacht war und daß die Widmung nicht als ein wesentliches Moment anzusehen ist. Der wahre Adressat war wohl das größere römische Publikum. Freilich, ob die Schrift aus einer Art Rechenschaftsbe- richt an den Senat erwachsen ist, scheint auch mir zweifelhaft, da die folgende Wendung Frontos si ad senatum, scriberetur , etiam caute gegen eine solche Annahme spricht.

Für den Charakter dieser Schrift des Catulus gewinnen wir ferner aus unserer Stelle das Ergebnis, daß sie mit gehörigem Selbstbewußt- sein (vgl. besonders elate prolatd) verfaßt war. Der hochgestimmte Ton des Aristokraten stand aber nach Fronto mit den tenera prope verba des Textes nicht im Einklang. Diese Wendung ist ohne Zweifel mit dem Ausdruck molle et Xenophonteum genus sermonis bei Cicero synonym. Der freundlichere Ton bei diesem erklärt sich aber unschwer aus der Sympathie des Redners für den fein gebildeten Senator.

Die nächsten Worte lauten nach meiner Lesung so: Historia tamen \ potius^) splendide fjer \ scribenda; si ad senatum \ scriberctur, etiam

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caute. Damit erklärt Fronto eine glänzende, d. h. geschmückte Darstellung

für die Geschichtschreibiing als wünschenswert in Übereinstimmung mit den vorherrschenden Anschauungen der Alten; ebenso z. B. Quint. X 1, ol: Historia est enim proxima poetis et quodam modo Carmen solutum et verhis remotioribus et liberioribus figuris narrandi taedium evitat. Dazu empfiehlt Fronto Behutsamkeit in der Fassung von Berichten an den Senat. Vielleicht ist damit ein versteckter Tadel gegen Verus' Be- richt ausgesprochen, obwohl dieser am Schluß unserer Stelle als nach allen Richtungen vollendet hingestellt wird.

Wichtiger ist das sich unmittelbar Anschließende, das ich so lese : Pollio 2) As(ini)us iubilatus ^) \ consiliorum suorum , si ein \ formam

epistulae con\tulisset, necessario bre\vius et expeditius et de(n)\sius , si quod

interdum \ respondit inornatius \ scribsisset melius. \ Tuae litterae et eloquen-\

tes sunt ut oratoris , stre\\nuae^) ut ducis, graves \ ut ad senatum , ut de re I militari non redunda(n)\tes.

Der Name Pollio ist mir also sehr wahrscheinlich. In dem fol- genden Asinius stammt der sichere Anfangsbuchstabe von der Hand des Korrektors , der auch die Schlußsilbe us aus os verbessert zu haben scheint; die Buchstaben ini sind bis auf kleine Reste ausgefallen. Die Ursprünglichkeit dieser beiden Namen im Frontotexte, die in der gleichen Aufeinanderfolge Pollio Asinius auch sonst begegnen (Plin. N. H. XXXVI 33; Sen.Contr.IV praef. 2 , p.225M.; Sen. Ep. 100, 7 ; Suet. Caes. 56; Plut. Caes. 46, 2), halte ich im ganzen für höchst glaublich.

Mit den unfeinen Äußerungen^) der (7on5^Z^a Pollios, die nach Fron- tos Ansicht besser in Briefform abgefaßt worden wären, ist m. E. eine eigene Schrift von der wir bisher nichts wußten, gemeint. Der Name ist, wie ich glaube, nach der ebenso betitelten Ciceros (De -consiliis suis oder Über consiliorum suorum) gewählt. Diese mit Theopompischer Schärfe abge- faßte, erst nach Ciceros Tod veröffentlichte Schrift bezog sich auf Politik, wie aus Cassius Dio XXXIX 10, 2 hervorgeht: Bißliov jusvtoltl aTtoQQriTov ovve&rjTie %al eTteyQaipev avTi[) cog xal Tteql zcov havTov ßovlevfidTcov a/ro-

^) Statt potius ist weniger wahrscheinlich potens.

^) Po und das zweite l hat m.^ korrigiert.

'*) Das Wort ist von l ab wohl schon von m.^ verbessert: statt tus (s von m.^ hin- zugefügt) stand früher vielleicht ta. Über der Zeile lese ich cur (eher r als l) io(^se), von w.^ wohl zur Hervorhebung der seltenen Form gesetzt. Von derselben Hand ist um im folgenden Consiliorum nachgetragen.

■*) Hier beginnt S. 408 des Ambrosianischen Teiles.

^) Iubilatus ist, soweit ich sehen kann, eine bisher nur als Glosse bezeugte Form (= öXoXvyfiös, üQavyrj dyQoUoiv) für iubilum (Marc Aurel bei Fronto S. 68 , 21 N.) oder iuhilatio (Apul. Met. VIII 17).

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koyiGfxov Tiva e'xovuL. Ihr Titel ist wohl genau bei Boethius De inst, mus, I 1:3/. Tullius in eo Uhro, quem De consiliis suis composuit, etwas freier bei Asconius p. 74 (K.-Sch., 83 Clark): in expositione consiliorum suorum (ebenso bei Augustin c. lul. Pelag. V 5, 23) und bei Charisius Gr. L. 1 146, 31 : in ratione consiliorum suorum zitiert. Darin wird Cicero seine politischen Vorschläge, Wünsche, Ziele oder sein Programm behandelt habend). Wir werden danach auch von Pollio, der im Bürgerkrieg und nach der Ermor- dung Caesars am liebsten neutral geblieben wäre, und, solange es ging, zu- wartete und vermittelte (vgl. Cicero ad fam. X 31 33), ebenso zuerst im perusinischen Kriege NeutraKtät beobachtete (ebenda 41 und Appian B. C. V 33), später aber sich ganz von den politischen Kämpfen zurück- zog, annehmen, daß er seine von beiden gegnerischen Parteien ungern gesehene und angefeindete Haltung literarisch rechtfertigte und sein politisches Glaubensbekenntnis offen darlegte. Auf das Vorhanden- sein einer solchen Broschüre scheint übrigens auch das keiner seiner uns bisher bekannten Schriften sicher zuweisbare Zitat bei Charisius Gr. L. 180, 2 f. hinzuweisen : Asinius contra maledicta Äntonii : Volitantque urbe tota catilli. Selbst wenn die Stelle auf eine Rede sich bezöge, wie Grobe in dem eingehenden Artikel in Pauly-Wissowas R.-Enc. IV. Halbband, Sp. 1594 meint, wäre doch deren Aufnahme in unsere Schrift nicht ausgeschlossen, da der politisch wie literarisch unabhängige und frei- mütige Mann sich gegen Antonius' Invektiven, dem er nicht mehr hatte folgen wollen, auf jede mögliche Weise, also mündlich wie schriftlich, verteidigt haben wird 2). Die in dem alten Vaticanus 3864 (s. IX X) auf die Reden und Briefe Sallusts folgende anonyme Schrift Ad Caesarem senem De re publica hat aber inhaltlich und sprachlich mit der PoUio- nischen m. E. nichts gemein 3).

*) Da die ConsiUa mit Ciceros ävsadota (Att. II 6, 2) oder uvsyiöoTov (XIV 17, 6) wahrscheinlich zusammenfallen (vgl. Ed. Schwartz, Hermes XXXII 558 f., Schanz Rom. Lit.-G. I 2^, S. 389) und zu seinen Zeiten als Geheimschrift gehütet wurden, könnte die auffällige Stelle bei Lyd. De mag. I 30 xovacha ßovksvfxaxa xal f^vartTiä axefifiara Xsyezai Tiag' ixeivoic, djco rov ^xördege', olovsi xov xgvjixeiv damit in Zusammenhang gebracht werden.

^) Vielleicht könnte auch das bei demselben Grammatiker (Charis. I 134, 3) uns aufbewahrte und von Grobe (a. 0. Sp. 1599) zweifelnd in einen Brief versetzte Bruchstück: Insequenti\ Asinius Pollio ad Caesarem I.: Insequenti die zu den ConsiUa gehört haben. Man hätte sich dann diese Schrift aus mehreren Abschnitten zusammengesetzt zu denken. Die einzelnen Teile, zu verschiedenen Zeiten entstanden {interdum unseres Fronto- satzes ist wohl neben si quod, das stellen weises Vorkommen des respondere inomatius bezeichnet, so zu deuten), dürften später vereinigt worden sein; die Grundidee des Ver- fassers, die Verteidigung seiner neutralen Haltung und seines republikanischen Ideals, 'svurden sie wohl auch innerlich zusammenhalten.

") Es sind darin eine Suasorie, die den Sieg Caesai*s zur Voraussetzung hat (4, 8), und ein Brief vereinigt, den R. Pöhlmann „Zur Geschichte der antiken Publicistik" (Sitzungsber.

I

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Unwahrscheinlicli dünkt mich die Ansicht, daß die Consüia Teile der Historien oder Reden Pollios bezeichnen sollten. Der ganze Zusammen- hang der Frontostelle weist auf ein Schriftstück, das nicht eigentliche Ge- schichtsdarstellung war, sondern nur Geschichtliches behandelte und sich in Briefform kürzer, flotter und gedrängter hätte gestalten lassen. Die Wendung: si quod interdum respondit tnornatius bestätigt unsere Vermutung, daß der Verfasser darin auf Angriffe zu antworten hatte. Das Urteil über die Sprache der Schrift stimmt nicht nur mit dem, was wir über den Stil Pollios aus den Briefen bei Cicero entnehmen können, überein, sondern auch mit dem ihm fast , durchaus zuge- schriebenen Mangel an Ebenmäßigkeit und Glätte, vgl. Sen. Epist. 100, 7: Pollionis Asiyiii salebrosa et exsiliens et, uhi minime exspectes, relictura (compositio). luhilatus und inornatius zeigen zugleich, daß die Sprache von der seiner blumenreichen Deklamierübungen (Sen. Contr. IV praef. 3) ver-

d. Münchener Akad, d. Wiss. 1904, S. 3 if.) als durch den Staatsstreich des Konsuls C. Clau- dius Marcellus veranlaßt ansieht, „der sich anfangs Dezember 50 auf eigene Faust mit Pompeius dahin verständigte, daß derselbe den Oberbefehl über die Truppen in Italien und zugleich das Mandat übernahm, dieselben durch Aushebungen in Italien zu verstärken". Diesem Briefe legt Pöhlmann wegen der Anspielungen auf die Zeitgeschichte und der darin entwickelten Ideen höheren Wert bei, als es bisher der Fall war, und er glaubt (S. 71), daß dieser Teil „vielleicht doch ein echtes Erzeugnis der publicistischen Literatur der Übergangs- epoche von der Republik zur Kaiserzeit" sei, femer, daß vielleicht auch die im Hinblick auf den Brief geschriebene Suasorie von demselben Verfasser herrühren könnte. Weniger behutsam urteilt soeben M. Schanz (Rom. Lit.-Gesch. I 2^, S. 183 ff.), der beide „Pamphlete" Sallust selbst zuschreiben will. Dagegen spricht m. E. namentlich die Erwägung, daß dieser seinem im J. 50 fünfzig] ährigen, dazu nur etwa um vierzehn Jahre älteren Gönner nicht in dieser Form (ad senem) Ratschläge wirtschaftlicher und staatsrechtlicher Art hätte geben können. Die übrigen, hauptsächlich von H. Jordan (De suasoriis ad Caesarem senem de re publica inscriptis commentatio, Berlin 1868) gegen die Echtheit vorgebrachten sachlichen und sprachlichen Bedenken sind m. E. durch Pöhlmanns Kritik noch keineswegs völlig entkräftet. Die aus Sallusts Schriften erborgten, oft unzutreffenden Wendungen und der noch altertümlichere Anstrich der Sprache soll dessen „ersten Versuch darstellen, sich einen künstlichen Stil zu bilden". Da aber Schanz auch die Invectiva Sallustii in Ciceronem, deren Situation ins Jahr 54 fällt, von Sallust, und zwar wohl in demselben Jahre verfaßt sein läßt, ihre Sprache aber nicht die Sallusts ist, so muß er annehmen, daß der Schriftsteller in kuraer Zeit seinen Stil dreimal gewechselt habe , da ja der seiner Monographien weder mit dem der Invektive noch dem der Suasorie sowie des Briefes übereinstimmt. Darauf, daß auch die Übungs- arbeiten der Invektiven und Suasorien bestimmten Personen und Situationen galten, hat F. Scholl, Rh. Mus. LVII 160 bei verwandter Gelegenheit mit Recht hingewiesen. Läßt sich übrigens die Charakteristik Catos II 9, 3 ingenium versutum, loquax,callidum mit der Sallusts Cat. 54, 6 esse quam videri honus malebat vereinigen? oder gar II 4, 2, wo Pöhlmann unrichtig geändert hat? Auch die Überlief eiung im alten Vatic. hinter Sallusts Reden und Briefen, aber ohne dessen Namen und nach einem freigelassenen kleinen Zwischenraum spricht nicht für Sallustischen Ursprung (vgl. meine Bemerkung in den AViener Studien XVII, 129). Einem Jüng- ling von 26 Jahren, der Mitglied des jungrömischen Dichterkreises gewesen war, wie Asinius PoUio, könnte man noch eher ein solches Schriftstück zutrauen. Auch wird ihm starker Archais.- mus von Quintilian X 1, 113 und Tacitus Dial. 21 (Asinius . . . videtur mihi infer Menenios et Appios studuisse) zugeschrieben. Aber man erwartet von einer so selbständigen Persönlichkeit anderes und besseres. Dazu zeigte nach der Frontostelle die Schrift PoUios nicht die Briefform.

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schieden war; er hatte danach in den ConsiUa seinen schriftstellerischen Charakter nicht verleugnet, den Tacitus im Dial. 21 durus et siccus nennt. Jenes Substantiv bringt endlich das Selbstgefühl und die Ungebunden- heit Pollios glücklich zum Ausdruck.

Vielleicht ist es nicht überflüssig, den Text, wie ich ihn entziffert und wiederhergestellt zu haben glaube, im Zusammenhang zu wieder- holen, ohne auf die Einzelheiten der Überlieferung nochmals einzugehen :

Ex{sytant epistulae utraque lingua partim ab ipsis ducibus conscriptae, partim a scribtoribus historiarum vel annalium compositae^ ut illa Thucy- didi nobilissima Niciae ducis epistula ex Sicilia missa, item apud C. Sallustium ad Armeen regem Mithridatis auxilium inplorantis litterae criminosae et Cn. Pompei ad senatum de stipendio litterae graves et Ad(}i)erbalis apud Cirtas ast(u o^bsessi invidiosae litterae, verum omneSy utires postula\\bat, breves nee ullam rerum gestarum expeditionem continentes. In hunc autem modum, quo scrihsisti tu, extant Catuli litterae, quibus res a se iacturis atque damnis gestas, at lauro merendas histo<^rici exe^mplo exposu- it; ve^rum} turgent elate (^p^rolata teneris prope (v^erbis. Historia tamen potius splendide perscribenda ; si ad senatum scriberetur, etiam caute. Pollio Äsinius iubilatus Consiliorum suorum, si in formam epistulae contulisset, necessario brevius et expeditius et densius, si quod interdum respondit inorna- tius, scribsisset melius. Tuae litterae et eloquentes sunt ut oratoris, stre\\nuae ut ducis, graves ut ad senatum, ut de re militari non redundantes.

Der vielbespöttelten, aber aus der Zeitströmung unschwer erklär- lichen Vorliebe Frontos für die ältere Literatur verdanken wir somit auch die Erhaltung näherer Nachrichten über das zu Ciceros Zeit fast schon verschollene Schreiben des Catulus und über Pollios ConsiUa, von denen uns sonst jede Kunde fehlt.

Wiener Eranos.

Masstat l!

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Verlag von Alfred Holder, k. u. k. Hof- und Uni>

Kromajer. Heirkte, Karte

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Verlag von Alfred Holder, k. u. k. Hof- und Universitätsbnchhändler, Wien. Druck von Gottlieb Gistel & Cie., Wien,

Heirkte.

Von

JOHANNES KROMAYER.

(Mit 1 Karte.)

Der Monte Pellegrino bei Palermo gehört unstreitig zu den land- schaftlich und historisch interessantesten Punkten des an landschaft- lichen Schönheiten und geschichtlichen Erinnerungen so überreichen

Abbild. 1.

Telegrafo Prozessionsstraße (Scala)

Aioi.t.- 1.1. _ Palermo aus geseluMi.

sizilianischen Eilandes : Als gewaltig imponierende kahle Felsmasse mit vielfach fast senkrecht abstürzenden Wänden steigt der Berg aus der umgebenden Ebene auf, vollständig isoliert von den anderen Ge- birgen des Landes und von der Seeseite her kenntlich als weithin sichtbare Landmarke, die dem Schiffer schon von ferne kundtut, daß €r sich seinem Reiseziele zu nähern im Begriffe ist.

Wiener Eranos.

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226

Historisch betrachtet beruht das Interesse an diesem bedeutsamen^ Punkte in erster Linie auf den Vorgängen des ersten Punischen Krieges, da es nach bisher allgemein herrschender Ansicht dieser Berg gewesen ist, welchen sich Hamilkar Parkas, der genialste kartha- gische Kondottiere dieses Kampfes, als Operationsbasis erwählt hatte, um von hier aus Sizilien gegen Roms Übermacht zu halten und die Römer in ihrem eigenen Gebiete zu beunruhigen. Heirkte i), so nennt Polybios den Berg, auf welchem Hamilkar sich festgesetzt hatte und von wo aus er drei Jahre lang^j trotz der sinkenden Kräfte Karthagos den Krieg mit aggressiver Tätigkeit und wachsendem Erfolg geführt hat.

Es war bei der Wichtigkeit dieser Stätte für die Geschichte der Punischen Kriege ganz natürlich, daß eine Expedition, welche zur Er- forschung der Schlachtfelder des zweiten Punischen Krieges ausgesandt war, auch den Besuch dieses Punktes mit in ihr Programm einschloß, und so benutzten wir , der Herr Hauptmann Veith und ich, den Auf- enthalt in Sizilien vor unserer Überfahrt nach Afrika dazu , diesen Berg zu besteigen und näher zu untersuchen.

Wir fühlten uns dazu um so mehr angeregt, als manches in den historischen Berichten, die wir besonders dem Polybios verdanken, und in seinen ausführlichen Beschreibungen der Örtlichkeiten nicht gut zu dem Bilde zu passen schien , welches man nach den Karten von der Stätte des Monte Pellegrino zu erwarten hatte. (S. d. Karte.)

Wir brachen in der Frühe zu Fuß von Palermo auf, erstiegen auf der sogenannten Skala, der Prozessionsstraße zur heiligen Posalia, von Süden her die Höhe und erklommen den höchsten Gipfel des ganzen Berges, auf dem der Telegraph steht. Dann ging es teils am Rande des Plateaus, teils mitten hindurch bis zu dessen nördlichstem Punkte 404, von wo wir versuchten, unter großen Schwierigkeiten und Klettereien ohne Weg in nördlicher Richtung abzusteigen. Das stellte sich indessen als ganz unmöglich heraus, und wir wollten schon wieder umkehren , als es dem Hauptmann Veith , der infolge seiner vielfachen Wanderungen im Karste für solche Felsformationen ein sehr geübtes Auge hat, zum Schlüsse noch gelang, an der Nordwestseite des Grates einen allerdings sehr unbequemen Abstieg zu entdecken, die sogenannte Pertica^j.

^) Der Berg heißt genau genommen niclit Heirkte, sondern dieser Name kommt einem Kastell zu, welches in der Nähe des Berges lag. So wird das Wort sowohl von Diodor gebraucht, der es zwv 'Eq^czmv to öyvgcojua und Eqxti^v cpqovQiov nennt (XXII 10, 4 und XXIII 20), als auch von Polybios (1 56, 3), nach welchem Hamilkar xov stzI zijg ElQHifjg Xeyofievov rÖTiov besetzte. Ich folge indessen der eingebürgerten Gewohnheit, den Berg selber so zu nennen. Über die wahrscheinliche Lage des Kastells siehe unten pag. 244.

2) Pol. 156, 11.

») Der Name bei Schubring S. 26 und ReveUi S. 23, s. d. folg. A.

227

(S. Abbild. 2.) Es ist ein schmaler, sehr steiler, nur für einen Einzelnen passierbarer, zum Teil mit Stufen in den Fels gehauener Pfad. Die Be- trachtung der Ostseite des Berges von unten her und die Besichtigung des Hafens Mondello bildeten den Schluß dieses Tagemarsches.

Das Resultat unserer Untersuchung war, daß dieser Berg un- möglich der Heirkte des Polybios sein kann, da eine ganze Anzahl von militärischen Unmöglichkeiten und topographischen Widersprüchen mit der Beschreibung des Polybios diese Grleichsetzung unhaltbar macht. Bisher allerdings ist, soviel ich sehe, an der Identität beider Örtlich- keiten nie gezweifelt worden, sondern seit Fazello (1558) haben alle Darsteller des ersten Punischen Krieges und auch alle Topographen Palermos und seiner Umgebung diese Gleichsetzung angenommen, ohne sich jedoch über ihre Möglichkeit nähere Rechenschaft zu geben, i)

Abbild. 2

Nördlicher Auslaufgrat des Monte Pellegrino, von Norden gesehen (mit Pertica).

^) Eine Aufzählung der Vertreter dieser Ansicht ist zugleich eine Aufzählung der Literatur über die Frage überhaupt. Ich gebe die einzelnen Werke hier mit vollem Titel, um später kurz darauf verweisen zu können: Fazello Tomm. : de rebus Siculis decades duae, 1558 bei Graevius, thesaurus antiqu. Italiae tom. X 4 a p. 427 E. Cluver Phil. 1619 : Sicilia antiqua, 11 3, bei Graevius, tom. X 1, wonach ich zitiere. Inveges 1649 bei Graevius, tom. XIV S. 16. Amico, 1757: Lexicon topograph. Siculum. 3 Bde. (neu bearb. v. Gioach, di Marzo 1858, 2 Bde.), tom. 11244 f. Swinbume 1783: Travels into te two Sicilies. Deutsch v. Forster, 1785. II 210. Smyth W. H. 1824: Memoir of Sicily and his islands. Hudemann 1842: Progr. Schleswig. Hamilkars Kampf usw. Dennis 1864 : Handbook for travellars. Amari : Storia dei Musulmani. 1318. II 443. Schubring 1870: Die bist. Topographie v. Panormus, Progr. Lübeck. S. 24 ff. Holm: Geschichte Siziliens 1870—1898. Italienisch von Dal Lago u. Graziadei. Eevelli : Monte Pellegrino in Zeitschr. Sicula Juli Okt. 1906. Gaetano Columba

15*

228

Die imponierende Gestalt des Berges, der die Ebene zu beherrschen scheint und Palermo aus nächster Nähe bedroht, die steilen, unersteig- lichen Felswände, von denen er begrenzt ist, das ebene Plateau auf der Oberfläche, das sich für eine Armee als Lagerplatz vorzüglich eignet, alles das mußte dem Laien die Vorstellung erwecken, daß es sich hier um eine Position ersten Ranges handle, die den für Hamilkar erforder- lichen Bedingungen und der von Polybios geschilderten Natur des Berges vortrefflich entspreche.

So hat man die Schwierigkeiten , die dabei vorliegen, meist ganz übersehen oder sich leicht über sie hinwegzusetzen gesucht.

Nur Adolf Holm geht in seiner Geschichte Siziliens Bd. III, S. 29 auf eine derselben näher ein, ohne sie jedoch in ihrer vollen Bedeutung zu erfassen und ohne die nötigen Konsequenzen daraus zu ziehen. Er sagt nach Erzählung der Besetzung des Berges durch Hamilkar und seiner dreijährigen Kämpfe gegen die Römer hierselbst: „Übrigens ist doch manches wunderbar bei dieser Geschichte. Es ist besonders seltsam, daß die Römer, wenn sie nun einmal die Heirkte selbst nicht nehmen konnten, den Hafen derselben nicht nahmen. Denn man kann nicht eigentlich sagen, daß die Bucht von Mondello vom Monte Pellegrino, der gerade dort recht niedrig ist, beherrscht werde. Oder sollten wir annehmen, daß der Hafen mehr nach Palermo zu, unter dem Gipfel des Pellegrino lag, wo es ja auch kleine Buchten gibt?''i)

Hier ist also die ganz richtige Erkenntnis vorhanden , daß der nördlich vom Pellegrino gelegene Hafen von Mondello, der gewöhnlich für Hamilkars Schiffsstation angesehen wird, für diesen Zweck nicht geeignet sei. (S. Abbild. 3.) Aber diese Erkenntnis hat Holm auf den unmöglichen Ausweg verfallen lassen, diese Schiffs- und Flottenstation, die allein seinen Verkehr mit der See aufrecht erhielt und der Ankerplatz der bedeutenden Kriegs- und Verproviantierungsflotten für seine Armee war.

bei Mirabello: Monografia storica dei porti dell' antichitä nel Italia insolare, Roma 1906. S. 272 ff. Ebenso die Historiker Niebuhr r. G. III 719 (1832), Mommsen, Ihne . Meltzer 11 341 usw. Nur Mannert S. 388 erklärt den Heirkte für den Berg Baido am Kap S. Tito, was niclit möglich ist, weil der Berg nach Pol. I 56, 3 u, 11 im Gebiete von Panormus, und zwar nicht allzufern von der Stadt selbst gelegen haben muß. Dei Grund, den Holm I 344 gegen Mannert anführt, daß die Römer ihr Lager Hamilkar gegenüber 5 Stadien vor der Stadt gehabt hätten, ist allerdings nicht stichhältig. S. unten S.233.

^) Diese Ansicht ist von Holm in der italienischen Übersetzung seiner Geschichte Siziliens zwar wieder aufgegeben, scheint aber von Amari festgehalten zu werden, der I 319 A den früheren Namen von Vergine ]\[aria, der „Barca" lautete, mit Hamilkar Barkas in Be- ziehung bringen möchte. Nach anderen hieß Barca der ganze Küstenstrich von Palermo bis zum Pellegrino hin. Amari, Bibliotheca arabo-sicula I 120. Inveges p. 358 f. La Lumia, Palermo e il suo passato, Palermo 1875, p. 10.

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an den Ostfuß des Pelle^rino zu verlegen. Ein Blick auf die Karte genügt aber, um zu erkennen, daß die Küste an dem felsigen Absturz des Pellegrino fast geradlinig verläuft und die winzigen Biegungen bei S. Antimo, Vergine Maria und Arenella vielleicht gut als Landungs- plätze einzelner Fischerbarken sind, aber niemals als dauernde Station für eine größere Flotte dienen konnten, die an dieser ganzen felsigen Steilküste vielmehr schutzlos den Stürmen von Nord, Ost und Süd preisgegeben wäre. Auch das beliebte Auskunftsmittel, für frühere Zeiten eine andere Geländegestaltung anzunehmen , „weil das Ufer dieser Gregend wie

Abbild. 3. Montagna del Gallo Bucht von Mondello

Ansiaufgrat des Pellegrino

Hafen von Mondello und nördlicher Auslaufgrat des Monte Pellegrino, von Süden gesehen.

Holm meint (S. 354) sich sehr geändert haben kann durch Hebung des Landes'' verfängt hier nicht. Ein Blick auf die Karte belehrt uns nämKch, daß die Höhenlinien an der ganzen Ostseite des Pellegrino alle ebenso geradlinig verlaufen, wie heute die Küste. Wenn das Wasser selbst bis zur» Höhe des Plateaus stiege, ein Hafen käme hier doch nie zustande. Auch hätte die Flotte hier unten mit dem Heere oben auf dem Pellegrino absolut keine Verbindung gehabt. Die Felsen fallen an der ganzen Ostseite fast senkrecht ab, und Herr Themistokles Sona hat von dieser Seite her vergeblich den Berg zu ersteigen versucht.^) Es

1) ßeveUi, S. 24.

230

muß also dabei bleiben, daß der einzige Hafen, der beim Monte Pelle- grino in Betracht kommen könnte, der Hafen von Mondello wäre, i)

Hier hat nun aber Holm ganz richtig gesehen, daß derselbe gar nicht im Schutze des Pellegrino liegt, sondern nach der Ebene zu ganz offen ist , weil der Berg mit seinen Ausläufern kaum an das südliche Ende heranreicht. Daß der Pellegrino hier nicht mehr so hoch ist, tut allerdings nichts zur Sache, desto mehr aber, daß er zu steil ist und deshalb keine Verbindung mit dem Hafen hat.

Denn die eben erwähnte Pertica, die wir heruntergegangen sind, kommt nicht in Betracht, da sie zu weit landeinwärts den Fuß des Berges erreicht, wegen ihrer Steilheit und Enge nur einzelnen Fußgängern Platz gewährt und daher überhaupt nicht als militärisch brauchbare Verbindung angesehen werden kann.

Auch sonst ist eine solche hier nicht vorhanden.

Allerdings soll auch noch an der Ostseite des Grates bei AUauro ein Pfad auf den Berg hinaufführen. Wir haben ihn nicht gefunden, und auf der italienischen Generalstabskarte ist er nicht verzeichnet; auch wußten die Eingeborenen, die wir an Ort und Stelle befragt haben, nichts davon. Trotzdem will ich nicht in Abrede stellen, daß hier irgend- wo ein Ziegenpfad, ähnlich wie die Pertica, in irgend einem Felsspalt oder über eine Schutthalde hinaufführen mag. Denn es wird von Italienern, die den Berg untersucht zu haben scheinen, behauptet. 2) Aber eine

^) Columba bei llkßrabello hat allerdings noch einen anderen Ausweg versucht. Er meint S. 280, daß die Ankerplätze Hamilkars bei Acquasanta und südlich davon bei Lazaretto, Consolazione und Santa Lucia, also bis in den heutigen Hafen von Palermo hinein gelegen hätten. "Wäre das richtig, so hätte Polybios weder von einem Hafen sprechen können , noch davon , daß Hamilkars Lager oben auf dem Berge gewesen sei. Denn ein Hafen ist diese über 2 km lange, mehrfach gewundene Küstenlinie überhaupt nicht, noch hätte sie bei ihrer unmittelbaren Nähe von Palermo gedeckt werden können durch eine Stellung des Heeres auf dem Pellegrino.

'^) Ich fasse hier gleich zusammen, was ich in der Literatur über die Zugänge zum Pellegrino überhaupt gefunden habe: Fazello S. 186 B und Cluver 113, S. 341 D sprechen nur von dem Südaufgange , der sog. Scala , von Palermo aus. Amico kennt zwei , nämlich außer dem genannten noch den von Westen her von dem Lustschlosse La Favorita durch das valle del porco : aditus alter sagt er II 245 circa occasum per vallem porci, ut appellant, aperitur, sed nee equis valentibus fit pervius. Einen dritten gangbaren Pfad leugnet er ausdrücklich: a mari denique citra vitae periculum tertium tentare audet nullus. Ähnlich äußert siöh Amari I 318: il Pellegrino ha una salita aspra ma praticabile in faccia di Palermo, un altra piu malagevole assai verso libeccio (also durch das valle del porco), poi due o tre sentieri arrisicatissimi. Ton drei Zugängen sprechen Inveges S. 358 f., der als dritten den Pfad supra Addaumm nennt, und Schubring, der S. 26 sagt: „der dritte vom Meere her , genannt AUauro, kommt von Norden, vom Hafen Mondello ; hier war es, wo Hamilkar auf Maultieren den . . . Proviant heraufbringen ließ, da an Wagen ja nicht zu denken ist." Inveges und Schubring schreiben von dem Gedanken aus, die Identität von

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militärische Kommunikation ist ein solcher Pfad natürlich so wenig wie die Pertica.

Ziehen wir nun aus dieser Sachlage die militärischen Konsequenzen, so sehen wir , daß die ganze Pellegrinoposition dadurch zu einer Un- möglichkeit wird.

Schon die Besitznahme des Berges mit einer Armee von 15.000 bis 20.000 Mann denn so hoch müssen wir nach allem, was wdr davon wissen , Hamilkars Armee mindestens schätzen i) macht die größte Schwierigkeit, da Palermo in den Händen der Römer war und die Be- setzung auf der Scala allein erfolgen konnte. 2)

Aber nehmen wir an, es wäre wirklich gelungen, und Hamilkar hätte seine Truppen hinaufgebracht, wie wollte er dann seine Verbindung mit dem Meere, auf die alles ankam, aufrecht erhalten und seine Flotten- station schützen, wenn dieselbe plötzlich von den Römern angegriffen wurde.

Ein Nachtmarsch von 7 8 km konnte die Römer von Palermo aus durch die Ebene unbemerkt dahin führen, und Hamilkar war dann gar nicht in der Lage, auf einer so schwierigen und nur von einzelnen Leuten passierbaren Verbindung seiner Station unten schnell genug Hilfe zu bringen.

Wollte Hamilkar diese Gefahr vermeiden, so mußte er einen sehr beträchtlichen Teil seiner Armee zum Schutze unten lassen. Die Rhede von Mondello ist jetzt etwa 2 km lang. Alte Karten und Nachrichten aus dem Mittelalter lassen aber keinen Zweifel darüber, daß der Hafen früher sehr viel tiefer ins Land eingedrungen ist. Noch heute ist das

Heirkte und Pellegrino beweisen zu wollen. Schubring nennt dann auch noch die Pertica. Die vier Pfade erwähnt auch Eevelli und nennt Pertica und Addauro sogar verhältnismäßig leichte Aufstiege nämlich vom Standpunkte des Alpinisten aus was nicht bestritten werden soll.

*) Das ergibt sich aus den allgemeinen Verhältnissen und den Schilderungen der Kämpfe am Heirkte und Eryx (Pol. 157, 6 : ai dvväjueig d/utporsQcov ^oav iq)d/LidXoL), wenn auch hier nirgends eine bestimmte Zahl genannt Avird. Die Söldner, welche sich nach Be- endigung des Krieges empörten und vor Karthago zogen, waren allein über 20.000 Mann stark (Pol. I 67, 13). Das waren noch nicht einmal alle. Denn ein Teil hatte bei Hamilkar ausgehalten (Pol. I 75, 2). Andrerseits kann man aber diese Zahl wieder nicht im ganzen Umfange für die Armee am Heirkte in Anschlag bringen, weil ja zur Zeit der Heirktekämpfe zugleich noch anderswo Besatzungen lagen, besonders in Drepana und Lilybaeon. An gallischen Söldnern hatte die Armee allein 3000 Mann (Pol. II 7, 7; vgl. auch I 77, 4.). Sie bestand aber außerdem noch aus Iberern, Ligurem, Balearen, nicht wenigen griechischen Mischlingen (f^c^sXh]veg) und größtenteils (to fteyiarov /^SQog) aus Libyern (Pol. I 67, 7).

0 Vgl. S. 230, A. 2. Hamilkar hatte natürlich auch Reiterei (Diod. XXIV 9, 1200 Reiter, erwähnt bei den Kämpfen am Eryx). Wie mag die hinaufgekommen sein und was sollte sie oben?

232

Gebiet um den Hafen künstlich durch Gräben entwässert, vor 200 Jahren waren hier noch Lagunen, i)

Wenn wir annehmen, daß die Küstenlinie im Altertum auch nur der heutigen Niveaulinie von 10 m entsprochen hat , so erhalten wir schon eine Ausdehnung von über 3 km für die Strand linie. ^j Diese mit Verschanzungen in verteidigungsfähigen Zustand zu setzen, würde eine Länge von etwa 4 km erfordert haben, d. h. die Verschanzung hätte den Umfang einer Stadt, wie Carthago Nova in Spanien gehabt. ^) Bei dem 3Iangel jedes natürlichen Schutzes hätte diese Linie bedeutender künst- licher Befestigungen und einer sehr starken Besatzung bedurft.

Dadurch wäre Hamilkars Armee in zwei Teile geteilt worden, die ohne Verbindung miteinander gewesen wären, die ungünstigste Auf- stellung, die man sich denken kann, während die Feinde durch die Ebene hin ihre ganze Macht ungehindert bald gegen Mondello, bald gegen den Pellegrino gebrauchen konnten. Es wäre kaum zu verstehen, daß Hamilkar sich eine so nachteilige Position ausgesucht und der Gegner diesen Vorteil in den drei Jahre lang dauernden Kämpfen gar nicht ausgenutzt hätte.

Man könnte bei einer solchen Verteilung der Kräfte auch eigent- lich nicht mehr davon reden, daß Hamilkar sein I^ager auf dem Berge gehabt hätte , da ja dann der Schwerpunkt der ganzen Kämpfe bei Mondello in der Ebene gelegen hätte.

Aber es kommen zu dieser ersten Schwierigkeit noch andere Be- denken von nicht geringerer Bedeutung hinzu.

Die Anhänger der Pellegrinotheorie , welche sich ernstlich mit der Lok alisierungs frage im einzelnen befaßt haben, haben sich natür-

^) Die alte und für die damalige Zeit vorzügliche Karte von Sizilien von Schmettau 1720 gibt hinter der jetzigen Strandlinie drei Lagunen, und im 12. Jahrhundert nennt der arabische Schriftsteller Ediisi den Hafen Marsa-t-tin, was nach Amari I 318, dem das Zitat ent- nommen ist, „porto fangoso" bedeutet. Amari meint, die Ebene beim Hafen sei im 8. Jahr- hundert mezzo tra pantono e lago gewesen und habe zu Hamilkars Zeit ausgereicht, dessen ganze Flotte zu fassen ; die Trockenlegung sei durch Hebung der Küste entstanden. Auch ein gewisser Johannes Yincentius in seinem AVerke Panormus restaurata, über den ich nichts Näheres finden kann, wird bei Inveges (1649) p. 358 zitiert und spricht von einem „lacus Mondelli, cuius aqua utebatur" (Hamilkar). Daß also hier früher eine weit tiefer einschneidende Bucht gewesen ist, die ebenso wie der Hafen von Palermo selber im Laufe der Zeiten ge- schwunden ist, soll nicht geleugnet werden. Aber die Schwierigkeit, welche uns beschäftigt, wird dadurch nicht berührt. Man kann über die allgemeine Frage der Hebung der Küste hier noch Philippson , Das Mittelmeergebiet, 1908 und Holm, Gesch. Sizil. I S. 331, ver- gleichen; Über Mondello speziell äußern sich auch noch Freeman, bist, of Sic. I 256. Schubring S. 6 u. a.

^) Soviel rechnet sogar schon Joh. A'incentius a. a. 0. : ambitus fere duorum miliarium.

'■) Polyb.X 11, 4.

233

lieh auch die Frage vorgelegt, wo denn eigentlich bei dieser Ansicht der Schauplatz der drei Jahre lang dauernden Kämpfe anzusetzen sei, in denen sich Hamilkars Heer und die ihm entgegenstehende konsu- larische Armee miteinander gemessen haben. Unzählige kleine und größere Kämpfe so berichtet uns ja Polybios (I 56 57) lieferten sich die beiden Armeen. Aber sie alle verliefen, ohne eine große Entscheidung zu bringen. Denn die beiden Lager waren nur 5 Stadien, d. h. 900 m voneinander entfernt, und wenn die eine Partei zu unterliegen drohte, zog sie sich in den Schutz ihres Lagers zurück, das bei beiden Teilen wegen der Steilheit des Geländes ganz unzugänglich war. i)

Die Beantwortung dieser Frage ist nun von den Vertretern der Pellegrinotheorie durchgehends dahin gegeben worden, daß man sich das römische Lager unmittelbar nördlich von dem alten Palermo zu denken habe, und zwar noch innerhab der heutigen Stadt, in der Gegend der via Amari und Stabile oder nach dem Lazaretto zu. Es müßte dann also in der völlig flachen Ebene zwischen der Stadt und dem Südfuße des Pellegrino der Schauplatz des dreijährigen von Polybios beschriebenen Positionskrieges gesucht werden. ^) Und in der Tat kann man bei Identifizierung des Pellegrino mit dem Heirkte des Polybios überhaupt nicht anders. Der einzige einigermaßen praktikable Ausgang, den der Pellegrino hat, ist ja eben die alte Scala auf der Südseite,

^) Pol. I 56, 11 : ^azä yrjv naQaaxqazojieöevadvTOiv adroj (dem Hamilkar) 'Pcoftaicov TTQo Tijs IlavoQftiTOjv 7iÖAE0)g Ev IG (o £ TcevTS OTttötoig TioXkovg xal TioixiXovg uyMvag aweairjuaro xaxa yfjv ayeöov iitl tgsTg eviavrovg. Folgt langer Vergleich mit zwei Faust- kämpfem. Dann 57, 6 : y.olaiv ye fxrjv öXogx^QV yevead-ai . . ov'i olöv r'rjv . al' ze yäo övvä/neig uLicpoxEQCOv Tjoav icpäfidXoi, ze xaza xovg yjxQaxag 6 ij,oicog äjiQO aixa ö la xr]v oyv qö- zr)z<x, ZE öidaz7]fia zatv oxQaxojzE8o)v ßgayv Tzavxslöjg. Die Angabe von 5 Stadien hat man auf die Entfernung des römischen Lagers von Panormus beziehen wollen (Cluver II, 3 p. 341, Holm I, 344 u. a.) Das hat, wenn es auch grammatisch möglich ist, im Zusammen- hang der Stelle gar keinen Sinn. Es kommt dem Polybios für seine militärische Schilderung darauf an anzugeben, wie nahe die beiden Gegner aneinander sind. Er greift diesen Umstand deshalb auch nachher noch einmal auf mit den Worten : z6 didoxrjfia xcöv axgaxoTzsdffiv ßgayv TzavxElcijg. Schon Schweighäuser und Meltzer , Gesch. d. Karth. , II, 343 haben die Stelle richtig verstanden. Den Ausdi'uck xaxä xovg yäoaxag ojuoiojg djroöaixa öid xt]v oyvoöztjxa auf künstliche Befestigung zu beziehen, geht nicht an, weil Polybios kurz vorher (156, 5) von der durch die dnoömxa x^rjfivä natürlichen Festigkeit des karthagischen Lagers gesprochen hat.

■^) Mirabello S. 280 : press' a poco su di una linea che dal Samuzzo (— Castella- mare) correrebbe verso ponente nello spacio tra l'attuale via Stabile e la via Emerico Amari. Inveges p, 858: planum illum agrum, qui urbi Panormitanae et monti Peregrino interjacet, ubi ipse (Hamilkar) castra metatus est . . . (Inveges verlegt auch Hamilkars Lager in die Ebene „ad radices M, Pergrini") .. castra Eomanorum tenuerunt ad locum , cui nomen alla Consolazione, seque extenderunt versus radices illas montis , qui hodie dicitur „la Castel- lana" (?); wohl gleich Castellamare.

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dort, wo jetzt die Prozessionsstraße hinaufführt. An anderen Stellen ist eine Berührung zwischen einer Armee oben und einer unten über- haupt nicht möglich.

Wo bleibt aber bei dieser Ansetzung die Entfernung von 900 Metern zwischen den beiden Lagern? Und wo bleibt das unzugängliche Gelände vor dem römischen? Für Hamilkar könnte man es ja allenfalls in dem Aufstieg zum Pellegrino erblicken, für die Römer aber ist es überhaupt nicht da. Wo bleibt ferner bei diesen Kämpfen in der ganz flachen Ebene die Möglichkeit für die täglichen gegenseitigen Hinterhalte und Gegenhinterhalte, Angriffe und Überfälle, von denen Polybios spricht? i) Das Terrain paßt einfach nicht zu dieser Beschreibung.

Oder sollte man gar annehmen, daß die Römer auf den Pellegrino hinaufgestiegen wären und dort eine von den Felsenkuppen besetzt gehabt hätten, die links von der Prozessionsstraße liegen, etwa den Punkt 344 oder die Teile unmittelbar nördlich davon?

Es hat bisher kein Vertreter der Pellegrinotheorie diese Annahme zu machen gewagt, und sie ist auch in der Tat unmöglich. Der Platz ist hier für ein konsularisches Lager oder auch nur für ein größeres Detachement zu klein und viel zu zerrissen.

Wenn wir nun nach diesen Erörterungen den Berg als militärische Position überhaupt noch einmal ins Auge fassen, so schwinden, je genauer wir ihn betrachten , die vorher aufgezählten Vorteile, die er zu gewähren schien, immer mehr zusammen. Seine imponierende Höhe, seine unersteiglichen Felsen machen ihn wohl uneinnehmbar und zu einer guten Position für ein kleines Häuflein von Soldaten, das sich gegen eine große Übermacht in starrer Defensive halten will und muß. Aber eine Armee von ansehnlicher Größe verurteilt gerade diese Un- zugänglichkeit zu völliger Untätigkeit. Wie der Gegner nicht hinauf, so kann sie nicht hinunter. Der einzige allenfalls für Truppenabteilungen praktikable Weg, den der Pellegrino besitzt, eben jene erwähnte Scala, erlaubt überhaupt keine überraschende Entwicklung größerer Kräfte, und daß er noch dazu von unten und aus der Stadt Palermo in seiner ganzen Länge einsehbar ist, läßt ihn noch weniger brauchbar erscheinen. 2) Ausfälle auf diesem Wege, Streifzüge ins Land sind fast ausgeschlossen. Man muß auf dem Hinwege und was noch schlimmer ist auf dem Rückwege mit Beute beschwert unmittelbar am römischen Lager

^) Pol. 157, 3: dv' sxdaztjv r^fisgav ejioiovvro xax' dXX/ßcov eveö gag, avx eviÖQag, emd-saeig, Jtgog ßoXäg ... 5; ovxe yo-Q xojv s^ laxogCag axgax?]'/?] /iidx oiv ovxe xcov F.>c ZGV xaiQOv y.al xfjg vjioxeiiisvrjg TieQiaxdascog sTiivor} udx oiv ovxe xcov elg Jia^dßa/.ov xal ßiaiov dvtjHovxcov xöliiav odösv :iaQelei(pd'r}.

2) Photographie 1, S. 225.

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vorbei , und wird das nicht ungestraft versuchen dürfen. Das einzige Ausgangsloch, das der Pellegrino besitzt, ist eben gar zu leicht zu verstopfen. Dazu ist die Verbindung mit dem Meere, wie wir sehen, nicht einmal gesichert. Hamilkar schwebte, wenn er sich hier festsetzte, jeden Augenblick in der Gefahr, von der See abgeschnitten zu werden und damit den einzigen Rückzug zu verlieren , den er hatte. Diese Stellung war eine Falle und ein Kerker. Hamilkars offensiver Geist, seine Initiative und lebhafte Tätigkeit wären hier fast völlig lahmgelegt gewesen.

Und wie steht es nun nach alledem mit der sonstigen Beschreibung, die Polybios von dem Heirkte gibt? Ist sie wirklich so speziell, daß sie nur auf den Pellegrino paßt, und paßt sie auf ihn wirklich in allen Punkten ?

Wir wollen das im einzelnen nachprüfen.

Eine Reihe von Merkmalen stimmt ja, wie ohne weiteres zuzugeben ist: die Höhe und isolierte Lage in der Ebene, die steilen Felswände nach Land und Meerseite hin, der Hügel, welcher sich wie eine Akropolis aus seiner oberen Fläche erhebt und einen guten Überblick über das Land gewährt 1). Aber das sind doch alles mehr allgemeine Eigenschaften, die der Pellegrino mit manchen anderen Bergen Siziliens gemein hat und also auch mit dem Heirkte des Polybios geteilt haben kann.

Sobald man dagegen ins spezielle geht, hört die Übereinstimmung auf, und darauf kommt es an.

Schon die Lagebestimmung überrascht. Der Heirkte liegt nach Polybios zwischen Palermo und dem Berge Eryx bei Trapani^). Das trifft für den Pellegrino genau genommen nicht zu. Der Eryx liegt westlich, der Pellegrino nördlich von Palermo. Nicht einmal die Straße von Palermo nach dem Eryx geht am Pellegrino vorbei.

Vom Heirkte heißt es dann weiter, daß der obere Umfang des Berges 100 Stadien, über 17 km, betrage. 3) Die Hauptvertreter

^) Pol. I 56, 4 : BOTL yao ÖQOg jisqItojliov i^aveazyxog sx xfjg jisQixeif^ievrjg x^^Qag elg vxpog Ixavöv . . 5 : :^€qi€xstcci, 6k XQtjfxvolg anooaixoig ex xe xov xaxa d-a/.axxav fisQOvg xal xov Tiaga trjv [xsaöyaiav 7iaQi]xovxog. 6 : exsi d'iv avxcp xai fiaoxov, dg ä^ua fxhv dxQOJiöXeoig df-ia ÖE axojiijg ev(pvovg Xafzßdvei xd^tv xaxa xfjg vTioxsi^uivijg ;if<üoa?.

■^) ib § 3 : xsTxai ^ikv "E^vxog xai UavÖQfiov fiexa^v jiQog d-aXdxxj]. Man hat an dieser Bestimmung auch schon deshalb Anstoß nehmen wollen, weil der Berg ja viel näher an Panormos als an dem Eryx liege. Ich glaube mit Büttner- Wobst (Klio Y 97) ohne Grund. Polybios orientiert griechische Leser über die Örtlichkeit nach solchen Punkten, die er bei ihnen als bekannt voraussetzen kann. Der Versuch von Inveges (p. 359), Polybios' Be- stimmung dadurch verständlicher zu machen, daß er den Namen Eryx auf das ganze Gebirge von Trapani bis zum Castellaccio ausdehnt, ist ebenso unnötig wie unberechtigt.

^) Ib. § 4 : xovxov ö't] jieQif-iEXQOg xfjg ävco aiEcpdvrjg od Xeitiec xcöv ixaxov axadicov.

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der Pellegrinotheorie, Holm und Schubring, geben selber zu, daß das auf ihren Berg nicht paßt. Holm (I 15) hält die Angabe für um ein Drittel zu groß. Schubring glaubt, ,.15, höchstens 16 km oder 84 Stadien" herausbringen zu können. In Wirklichkeit ist der obere Umfang des Berges bedeutend kleiner. Bei objektiver Messung hat das obere Plateau^ im weitesten Sinne gemessen, nur etwa 11 V2 km Umfang. 1)

Das Plateau des Heirkte hat nach Polybios weiter guten Weide- und Ackerboden.-) Weide ist auf dem Pellegrino vorhanden, Acker- boden heutzutage nicht, sondern Fels. An eine Abspülung in größerem Umfange ist bei der geringen Neigung der oberen Fläche und ihrer zum großen Teil muldenförmigen Gestalt wohl nicht zu denken 3), es müßte denn sein, daß wie beim Karste die Bora, so hier die Nordstürme das Erdreich fortgetragen hätten.

Der Heirkte des Polybios lag ferner günstig gegen die Winde von der See.*) Man hat das so interpretieren wollen, als ob er gegen die Seewinde offen gewesen sei, die gesunde und frische Luft gebracht hätten und Fieber nicht aufkommen ließen. ^) Und so hätte diese Eigen- schaft des Heirkte auf den Pellegrino gepaßt, der bekanntlich nach Norden zu vollkommen offen ist. Aber für eine Armee, die Sommer und Winter drei Jahre lang auf einem hohen Bergplateau an der Nordküste Siziliens kampiert, ist es offenbar viel wichtiger, gegen die im Sommer und noch mehr im Winter äußerst lästigen und heftigen Nordstürme geschützt zu sein. Ganz abgesehen davon, daß in Palermo überhaupt keine Malaria vorkommt. Die Worte des Polybios bedeuten also, daß das Bergplateau

^) An der ganzen Ostseite ist der Plateaurand deutlich ausgeprägt, so daß man nicht zweifeln kann, ebenso im nördlichen Teile der Westseite, wo er von Punkt 404 nach Punkt 475 geht. Von hier an könnte man schwanken. Ich habe am oberen Hange der Steilabstürze entlang gemessen, so daß Punkt 344 und 300 mit eingeschlossen sind.

^) Ib. § 4 : o üiSQiexö^ievog töjioq (das von den Felsabstürzen eingeschlossene Plateau) ei'ßoTog vjiUQX^i y-ai- yeco^yi^atuog,

^) Nur nördlich von der Grotte der heiligen Rosalie bei einem kleinen See ist eine Stelle, die vielleicht pflügbar ist. Sonst sind nur kärgliche Weiden und Fels vorhanden. Man vergleiche auch Amico II, 244 f. über den Zustand zu seiner Zeit im 18. Jahrb.: soli fertilitas sagt er tanta re vera non est, qualem historicus (Polybius) describit; frugum enim feraces quam vis radices sint, juga tamen lapidosa pascuis tan tum abundant uberrimis, sed magna ex parte sterilitate squallescunt. So auch Schubring S. 25. Übrigens war der Pellegrino nach Amari II, 443 noch im 15. Jahrh. bewaldet: Pellegrino fu terreno boschivo fino al secolo XV. Auch das stimmt nicht zu Polybios' Beschreibung, die von Wald ganz schweigt.

'*) Ib. § 4 : JiQog fisv zag jis/.ayiovg Jivoiäg ev(pviog ^iei/uevog.

^) So Schubring S. 25 u. Schweighäuser zur Stelle V, 291 , wo auch noch weitere Literatur.

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gegen Norden geschützt war und das paßt wiederum nicht auf den Pellegrino.i)

Der Heirkte des Polybios bedarf auf kurze Strecken der Be- festigungen zwischen den Felsabstürzen nach dem Meere und denen nach der Landseite zu. 2) Am Pellegrino sind solche überhaupt nicht nötig, weil die Felsen überall zu steil sind: Schubring sagt selber S. 25: j.Von diesen letzteren (Strecken) wüßte ich außer den Aufgängen in der Tat keine.*'

Der Heirkte beherrschte fernerhin einen guten Hafen mit reich- lichem Wasser. Der Pellegrino beherrscht den Hafen von Mondello nicht, und dieser hat wenigstens heutzutage kein Trinkwasser, sondern die Bewohner des Fleckens beziehen wie wir an Ort und Stelle erfuhren ihr Wasser durch Wasserleitung aus Palermo vom Scilato. ^)

*) Herr Geheimrat Th. Fischer in Marburg, der beste Kenner des Mittelmeerklimas, hatte die Güte, mir auf meine Anfrage folgendes mitzuteilen : „Bei der Stelle bei Poh'bios Ev(pv(ji)g xeifxevog Jigög zag neXayiovg Jivoiäg könnte man im ersten Augenblicke an die Malaria verhindernden Seewinde denken, die in dieser Eigenschaft im Mittelmeer eine große EoUe spielen. Aber bei Palermo gibt es keine Malaria und hat es erst recht im Altertume keine gegeben. Nach meiner Ansicht ist für diese Stelle nur eine Deutung möglich, und zAvar die, welche Sie geben. Es kann sich nur um Schutz gegen die Nord-Nordost- und Nord Westwinde handeln, deren Heftigkeit im Winter und im Sommer ich nur zu oft an der Nordküste Siziliens und Nordafrikas kennen gelernt habe. Nördliche Winde herrschen hier im Sommer vor und sind auch dann noch äußerst lästig, noch mehr freilich im AVinter. Die sommerlichen Winde um die Nordrichtung haben hier dieselben Ursachen, wie die Ihnen aus Griechenland bekannten Etesien, Meltemien, die in der Tat geradezu scheußlich werden können. So schlimm sind sie in Sizilien nicht." Man vergleiche dazu noch die Windtabellen für Palermo in Fischers Studien über das Klima der Mittelmeerländer, S. 61 (Petermann, Ergänzungsheft 58) und die hübsche Schilderung bei ^V. H. Smyth a. a. 0. S. 4. 7. 8 über Siziliens gelegentlich sehr ungemütliches Winterklima. Auch Philippson, Das Mttelmeergebiet, 1908, gibt S. 94 ff. 110, 115 einige hierher gehörige Bemerkungen.

'^) Pol. ib. § 5 : TU de /neta^v tovzcdv eaxlv oUyrig xal ßgaxeiag deö[.ieva y.aiaaxevrjg. ") Schubring sagt S. 26 im Anschlüsse an die Bemerkung des Polybios I 56, 7, daß der Hafen des Heirkte Trlrj^og vdaiog äcp^ovov habe, „in der Tat sind (bei Mondello) auch süße Quellen da, die das Austrocknen verhindern". Wir haben nur einen Entwässerungs- graben konstatiert, der in einer Entfernung von 50— 200 w hinter der Strandlinie läuft, aber nach den Angaben der Einwohner kein trinkbares Wasser enthält. Auch Joh. Vincentius bei Inveges, s. oben, S. 232, A. 1, weiß nichts von Quellen, sondern nur von einer Lagune, deren Wasser Hamilkar nach seiner Ansicht benutzt hat ; die Worte des Polybios bezieht er daher auf das tiefe Fahrwasser des Hafens: varias habet aquarum profunditates, quoniam alibi profundus est XXVIII alibi XXX alibi XL passuum. Eine ganz, unbedeutende kleine Quelle , die nur tropfenweise aus dem Fels hervorsickerte , fanden wir bei der Villa des Marchese Spartano etwa 600 m südlich vom Südende der Bucht von Mondello am Ostabstura des Pellegrino. Nach starkem Regen soll sie kräftiger fließen, und es kann natürlich auch nicht in Abrede gestellt werden, daß sie vielleicht in früheren Zeiten, wenn der Pellegrino bewaldet war, weit stärker gewesen sein mas:.

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Der Heirkte hat endlich drei schwierige Zugänge, zwei vom Lande und einen von der See.^) Der Pellegrino hat entweder zwei, die Skala von Palermo und den Weg durch das valle del porco , beide von der Landseite, oder aber vier, wenn man die Kletterpfade der Pertica und von Allauro mitrechnen will.

So ergibt sich also auch hier eine ganze Anzahl von Wider- sprüchen zwischen der Beschreibung des Polybios und dem tatsäch- lichen Befund auf dem Pellegrino. Bei dieser Sachlage bestehen für die Kritik zwei Möglichkeiten: sie kann sich erstens auf den heut- zutage vielfach beliebten Standpunkt stellen, der Bericht des Poly- bios leide an so vielen militärischen und topographischen Un Wahr- scheinlichkeiten und Verkehrtheiten, daß er überhaupt nicht zu brauchen sei; die Vorgänge hätten sich in Wirklichkeit ganz anders abspielen müssen. Oder sie kann sagen , der Bericht paßt nicht auf die Örtlichkeit, auf welche er bisher bezogen worden ist; suchen wir eine andere.

Den letzteren Weg einzuschlagen, zogen wir vor und begaben uns am nächsten Tage zu Wagen nach der Isola delle Femmine. (Vgl. die Karte.)

Dieser Platz liegt etwa 12 km in der Luftlinie nordwestlich von Palermo. Den dortigen Hafen und die ganze südlich davon ausgebreitete Berggruppe hatten wdr als möglichen Standort Hamilkars ins Auge gefaßt. Die Berggruppe erstreckt sich nach Süden bis zu dem tiefen Einschnitte, über den jetzt die Chaussee von Palermo nach Torretta und Carini führt, und ist somit von der übrigen Gebirgsmasse abgeschnitten. Sie fällt im Westen nach der Bucht von Carini, im Osten nach der Ebene von Palermo hin, zum Teil auch nach Süden mit steilen Felswänden ab, und steigt in ihrem höchsten Punkte, dem Monte Castellaccio, bis zu 959 m auf. Sie ist also , wie Polybios verlangt , ein OQog jrEQLxouov i^av£GTri'A,bg ey, Tijg 7t£Qr/,€Lf.ievYig x^^Q^S ^iS vipog iTiavov und TtEQieyeTai %QT^y.vdig ccTt^oGLTOLg ex xe tov Y,ava MlazTav /,ieQOvg xal zov Tzaqä Tijv /LiEOoyatav Ttaqrf/.ovxog. Die Südseite zwischen beiden, die nicht so schroff ist, bedarf künstlicher Nachhilfe und hierauf würden sich dann die Worte des Polybios beziehen: tu. Je f^ieva^v tovtcov Igtlv oXiyrß y.al (^gayeiag de6fj.eva v.aTaG'/xvfß. Der umfang der plateauartig welligen oberen Fläche beträgt oberhalb der schroffen Felsabstürze gemessen etwa 1 7 hm , entspricht also genau der von Polybios erfor-

^) Pol. ib. § 8 : TiQogödovg de tag ndaag eyet xQixxa? ovo ye geig, Svo ^itev cbio xfjg yjoQag, f^iCav ö'aTTO xfjg d^akdxxrjg.

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derten Größe ^) und hat in sich neben anderen Punkten in dem er- wähnten Castellaccio jenen Akropolishügel . den inaoTog^ dg äfja ^ev d'A,Q07r6Aecog a^ua Si oy.OTtTjg ev(pvovg kaußdveL tcc^lv VMzh Tr^g VTCoxeiuivrig XCüQag.

Zu gleicher Zeit beherrscht diese Bergmasse sowohl die Straße, welche von Palermo am Meere hin nach Carini und weiter nach dem Eryx und Trapani führt, als auch die südlichere über Torretta. Man kann also, da der antike Weg eine dieser Richtungen wahrscheinlich die am Meere hin genommen haben muß ^), von ihr mit ganz anderem Rechte als von dem abseitigen Pellegrino sagen, daß sie zwischen Palermo und Eryx gelegen habe.

Das war ungefähr, was man von der Karte ablesen konnte, und was unsere Hoffnung erregte, hier den Heirkte des Polybios gefunden zu haben.

Die Rekognoszierung an Ort und Stelle mußte zeigen, ob diese Hoffnung nicht trügerisch war. Von der vielfach gewundenen Küste aus, die wir zuerst betrachteten, geht eine Landzunge in nordwestlicher ■Richtung etwa 1 km weit ins Meer hinein. Vor ihr liegt in Entfernung von etwa Y2 ^*^^ die ebenfalls V2 ^^^^ lange Insel Isola delle Femmine, die auch dem Dorfe auf dem Festlande den Namen gegeben hat.

Eine solche Küstenbildung, ein Kap mit vorliegender Insel, war bei den Alten als Anker- und Hafenplatz sehr beliebt, weil sie Schutz gegen fast alle Winde gewährte, ^j Blies hier der Wind aus West oder Südwest, wie das an der Xordküste Siziliens vorwiegend im Winter der

^) Am deutlichsten ist hier die Grenze der oberen Bergfläche im Westen, wo un- mittelbar südöstlich vom Dorfe Isola delle Femine eine Felsenmauer 5 km weit in der Luft- linie mit mehrfachen Windungen fast direkt südlich läuft bis Casa Zurcate. Von hier geht sie 4 k7n Luftlinie in östlicher Eichtung wiederum mit mehrfachen Windungen über eine zweite Casa Zurcate nach Cuzzo Biddiemi. Von da zieht sie nördlich 2 km weit nach Cuzzo di Paola und läuft endlich 4 km Luftlinie in nordwestlicher Richtung zu ihren Ausgangspunkt zurück. Diese 15 km Luftlinien ergeben mit den Windungen gerade die erforderte Zahl von 17 18 km. Man vergleiche die Karte.

2) Die Tabula Peutingeriana gibt für die Straße Lilybaeum-Drepanum-Panormus die Station Hyccara, welche in der Ebene von Carini gelegen hat, mit 16 MiUien Entfernung von Panormus an. Das Itinerarium rechnet einmal 16, einmal 13 Millien (Wessel. 91 u, 97). Diese Entfernungen passen besser auf die Seestraße. Auch zu arabischer Zeit lief die Verbindung zwischen Cap Gallo und dem Heirkte an der See entlang. Schubring S. 5.

^) Vgl. Philippson a. a. 0. S. 68 : „Beliebt waren (im Altei*tuni) vor allem Stellen, wo eine Insel vor einem Kap lag und so einen Doppelhafen bildete". Über das Fahrwasser und die Küsten sagt W. H. Smyth in seinem ausgezeichneten, S. 227, Anm. 1 angeführten Werke Appendix III : There is a passage between Femina Island and the coast, throug which small boats may pass, and the other parts aie bold to. Die Angabe, daß hier eine der Schiffahrt gefährliche, unterseeische Klippe sei, erweist sich ihm bei näherer Untersuchung als irrig.

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Fall ist, so gewährte die Ost- und Nordostseite von Insel und Halbinsel Schutz. Kam er von der entgegengesetzten Seite, wie vorwiegend im Sommer, so bot das südliche und südwestliche Ufer Deckung. Auch die kleinen Buchten bei Sferracavallo und Punta di Barcarello konnten noch ausgenutzt werden. Auch im Mittelalter, wo die SchifFahrtsverhaltnisse ja denen des Altertums nahe standen, wird in den Portolanen Isola delle Femmine als Landeplatz erwähnt, während es von Mondello heißt, daß hier kein Ankerplatz sei. i) (S. Abbild. 4.)

Abbild. 4.

Montaprna del Gallo Sforrarnvallr

Fnß des TToirkte

Die Blicht bei Isola delle femmine, von Westen gesehen.

^) Uzzano, Verfasser eines Portolano vom Jahre 1440 (gedruckt bei Pagnini, della decinia et diverse altre gravezze di Firenze, Lissabon 1765 Bd. IV) sagt S. 264: 5 miglia lungi (vom Golf v. Castellamare) est una Isola. onde ä buone parago, ch'ä nome l'Isola del Fim. Portolano A foglio 30 und Gioeni foglio 25 geben für Isola einen „piccolo riparo", während es für Mondello in A 30 heißt : non gli e stanzia, in B : senza stanza. Nach Mra- bello S. 273 A. 2. Die den Sommer\\dnden aus Nord und Ost ausgesetzte und auch sonst keineswegs günstige Lage der Bucht von Mondello bestätigen auch andere Nachrichten. AV. H. Smyth sagt a. a. 0. in seiner sorgfältigen Segelan Weisung Appendix III : on sailing in (den Golf von Palermo von Westen her) a ship may proceed boldly towarts the anchorage, only observing to be guarded on passing the little sandy bay of Mondello, on account of the v i o 1 a n t and sqally gusts of wind, that rush between Mount PeUe- grino and Cape di GaUo, espacialh' in winter; it is therefore advisable on standing along the west side of the bay during a fresh breeze, to Station hands b}- the shuts and haulyards and be ready to keep large. ]\Ian vergleiche über diese Stoßwinde an Steilküsten des Mittel- meeres im allgemeinen auch Philippson a. a. 0. S. 98. Auf diese Erscheinung bezieht sich vielleicht auch die merkwürdige Äußerung von Inveges p. 358 : portus Gallus (Mondello) subjacet septentrionali montis (Perlgrino) lateri et infestatur a ventis occidentalibus (sie).

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Dazu kommt aber weiter, daß dieses lange und daher einer be- deutenden Anzahl von Schiffen Raum gebende Gestade von der Landseite her leicht zu verteidigen war. Den größten Teil deckte der von den Karthagern besetzte Heirkte selber. Nur in Südost und Südwest waren Zugänge. Der Zugang von Südost her führt über die tief zwischen dem Heirkte und dem Monte Gallo eingeschnittene Senke von Sferracavallo, die schnell und leicht zu sperren ist, weil die beiden Berge hier sofort mit unersteiglich steilen Felsen aufsteigen. So war der Hafen gegen jeden Angriff von Palermo her geschützt. Auf der anderen Seite zieht sich die schmale Küstenebene von Carini zwischen dem Meer und den Felswänden des Heirkte hin. Auch sie ist nur ^j^ km breit und daher leicht zu sperren. Wasser ist heutzutage allerdings in Isola so wenig zu finden wiq in Mondello. Der laufende Brunnen in Sferracavallo wird, wie man uns sagte, von dem nahen Xatale aus gespeist, und der laufende Brunnen in Isola selber erhält sein Wasser durch eine Leitung aus dem 3 hn entfernten Capaci. Aber am Ausgang des Tales, das einen starken Kilometer östlich von dem Dorfe Isola die Küste erreicht, fanden wir eine große Muhre, und es ist wohl sehr wahrscheinlich, daß dieses tief in die Berggruppe einschneidende Tal in früheren Zeiten, als das Gebirge noch bewaldet war, ständig Wasser geführt hat.

Wir stiegen an der Westseite dieses Tales dem Wege folgend aufwärts. Ein leidlich bequemer Pfad führte über zum Teil verkarstetes, zum Teil von spärlichen Matten bedecktes Gelände bergan, der Pfad, welcher die Kommunikation vom Heirkte zum Hafen gebildet haben mußte. Was ihn von den Pellegrino aufstiegen unterschied, war der aus- schlaggebende Umstand, daß er über ein Terrain hinführte, welches auch rechts und links vom Wege selbst überall begehbar ist und also Be- wegungen von größeren Truppenmassen gestattete, eine militärische Verbindung, \^ie sie zwischen Heer und Hafen durchaus erforderlich war.

Nachdem wir den Sattel zwischen Pizzo Immenso und Monte Monolfi überstiegen hatten, tat sich vor uns eine breite, flache, nach Osten hin geöffnete Talmulde auf, die besonders in ihrem unteren, dolinenartig geformten und geschützten Teile in der Nähe der Casa Isca eine üppige Vegetation trug. Wir durchquerten den oberen Teil der Talmulde, immer den Monte Castellaccio zur rechten, und gelangten über einen zweiten flachen Sattel zwischen dem Monte Castellaccio und dem Cuzzo S. R-occo auf die Südseite des Berges, eine langsam nach Süd und Südost sich senkende Matte, welche dann plötzlich mit einem steilen Rideauabsturze nach Süden zu in das kleine Tälchen abbrach, welches sich zwischen Cuzzo S. Croce und Cuzzo Gibelliforni in süd- östlicher Richtung zur Ebene hinabsenkt. Auch hier waren große Teile

Wiener Eranos.

- ^*2 - .^

der Fläche, besonders in der Nähe der Casa Trippatore, mit Korn und Opuntienkaktus gartenähnlich bepflanzt.

Von diesem flachen Südhange und schon von der Mitte des Berges ab südlich des Pizzo Immenso gilt also die Beschreibung des Polybios, daß der Berg gegen die kalten Nordstürme wohl gedeckt sei; hier sind auch die ausgedehnten Weiden und das anbaufähige Land vorhanden, welches das obere Plateau des Heirkte bedeckte. Hier an der zugleich von Natur schwächsten Stelle des Berges werden wir uns daher auch das Hauptlager des Hamilkar konzentriert denken müssen, nach Süden hin geschützt durch den oben erwähnten Rideauabsturz, der die Süd- grenze des Hauptlagers und der ganzen Befestigung des Berges über- haupt gebildet haben wird.

In der Tat bedarf diese Seite des Berges, um völlig unangreifbar zu sein, einiger Nachhilfe durch die Kunst, wie das ja Polybios aus- drücklich verlangt; besonders der westliche Teil am Südhange des Monte Castellaccio selber.

Daß die übrige Oberfläche des Berges nur, wo es nötig war, mit Posten und Detachements besetzt war, die für Beobachtung und besonders für ungestörte Verbindung mit dem Meere zu sorgen hatten, versteht sich von selber.

So stimmt die Polybianische Beschreibung Punkt für Punkt mit dem vorliegenden Gelände. Eine Schwierigkeit machen nur die drei Wege des Polybios, von denen einer von der See, zwei von der Landseite her auf den Berg hinaufgeführt haben sollen. Zwar der von der See- seite her ist, wie wir gesehen haben, bestimmt vorgezeichnet und durch- aus zweckentsprechend. Aber von der Landseite gibt es heutzutage eine ganz beträchtliche Anzahl, die von der Ost- und Südseite her die Gebirgs- gruppe erklimmen. Indessen erkennt man bald, daß diese scheinbar so zahlreichen Zugänge die Höhe doch nur an drei Punkten erreichen, weil sie sich nämlich zum größten Teile vor Beendigung des Aufstieges vereinigen. So laufen die Wege von Natale und Sferracavallo nordöstlich von Monte Monolfi zusammen und bilden hier den ersten Zugang; die Wege von Villa Bonocore, Colleggio Romano und Casa Ferrerri treffen sich bei Casa Isca, und endlich die Wege von Südost und Südwest erreichen alle in der unmittelbaren Nähe von Casa Trippatore die Hoch- fläche. So kommen in der Tat für den Zugang zum Plateau selber nur drei Eingänge in Betracht. Immerhin ist das einer mehr, als Polybios angibt. Aber man muß bedenken, daß es sich ja hier, wie wir schon beim Pellegrino betont haben, nicht um Jägerpfade, sondern um militärisch brauchbare Kommunikationen handelt, und diese Wege sind dazu wohl zum größeren Teile überhaupt nicht geeignet. Der Weg wenigstens,

243

den wir zum Abstiege wählten , durch das oben erwähnte Tal nach Südosten hin zum Cuzzo S. Rosalia, ist als solche überhaupt nicht zu bezeichnen. Es mag also sehr wohl sein, daß der eine der von Osten herkommenden Wege als unpraktikabel nicht mitgezählt ist, oder daß im Altertum, wo wir uns den Berg doch wohl noch zum großen Teile mit Urwald bedeckt denken müssen, hier überhaupt noch kein Zugang be- standen hat.

Südlich von jenem Rideauabsturz , den wir oben als Grenze von Hamilkars Befestigungen betrachtet haben , zieht sich nun ein breiter und flacher Talboden in westöstlicher Richtung hin in einer liänge von etwa 2V2 ^''^^ allmählich nach Osten zu sich senkend. Im Süden dieser

Abbild. 5. Hügel des Bömerlagers

K()iner];i"er von Nordwesten tresetieii.

Senkung erhebt sich das Gebirge noch einmal wieder zu einer flachen Doppelkuppe von etwa IV2 ^^* Länge und in einer Formation, die für ein Lager sehr passend ist. (S. Abbild. 5.)

Die Entfernung dieser Kuppe von dem Lager des Hamilkar beträgt genau 900 m, also den von Polybios für den Raum zwischen den beiden Lagern geforderten Platz. (S. S. 233, A. 1.)

Hier auf der Kuppe hätten wir demnach das römische Lager und nördlich von ihm in erster Linie den Schauplatz der dreijährigen Kämpfe zwischen Karthagern und Römern anzusetzen : er besteht in einem flachen Talboden, dessen Ränder nach Norden und Süden ansteigen zu den

16*

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Lagern der beiden Gegner. Von diesem Terrain also gilt die soeben besprochene Schilderung des Polybios, daß, so oft die Heere oder Teile von ihnen sich hier auch maßen, eine Entscheidung doch nicht erfolgen konnte , weil die unterliegende Partei sich sofort in den Schutz ihres Lagers zurückziehen konnte, das wegen seiner erhöhten Lage und auch von dem römischen wird das hier mit vollem Rechte gesagt für den Gegner unangreifbar war. (S. S. 233, A. 1.)

Jetzt erkennen wir auch, was die Erwähnung der Hinterhalte und Gegenhinterhalte und Überfälle während dieser langen Kampfe zu bedeuten hat. Denn hier in diesem coupierten und welligen Terrain war zu solchen Dingen Gelegenheit in Fülle gegeben.

Natürlich haben wir nicht anzunehmen, daß immer nur zwischen den Lagern selber gekämpft wurde.

Hamilkar war hier nicht zu so starrer Defensive verurteilt, wie er es auf dem Pellegrino gewesen wäre. Außer dem Ausgange nach Süd mit seinen verschiedenen Verzweigungen nach Ost und West hatte er noch den Ausgang über Casa Isca oder nach Natale in die Ebene von Palermo. Er hatte ferner von seinem Schiffslager aus nach Süd- osten hin die erwähnte Senke zwischen dem Heirkte und dem Monte del Gallo zu seiner Verfügung, die ihm Plünderungszüge in die reiche Ebene von Palermo gestattete i), und nach Südwesten hin konnte er von derselben Stelle aus ebenso leicht in die fruchtbare Ebene von Carini und Partinico vorstoßen. Ja, es war sogar möglich, auf diesem Wege von der Landseite her mit den einzigen Punkten, die Karthago damals in Sizilien noch hielt, mit Drepanum und Lilybaeum in Ver- bindung zu treten.

So sehen vdr, wie die ganzen, drei Jahre langen Kämpfe, die wir sonst kaum recht verstehen können , durch diese neue Lokalisierung

^) Möglicherweise hat hier das Kastell Heirkte (s. S. 226, A. 1) gelegen, welches schon Pyrrhos eroberte und das die Eömer im Jahre 252 mit angeblich 40.000 Mann und 1000 Eeitem vergeblich belagerten. (Diodor XXII 10, 4. XXIII 20.) Man übersetzt EIqxx'^ gewöhnlich mit „carcer'' (Schweighäuser z. Stelle u. a.). Da es ein ^qovqiov war, könnte das Wort hier aber wahrscheinlicher die Bedeutung „Sperrfort" haben. Auf dem Berge kann es nach dem Ausdruck des Polybios (I 56, 3.), daß Hamilkar den ml zfjg EiQHrfjg keyöfievov xöjiov besetzt habe, nicht gelegen haben, sondern am Fuße, und da würde die Lage an dem Passe von Sferra- cavaUo sehr gut passen, weil hier die Hauptstraße von Panormos nach Lilybaeum hindurch- führte (S. 239, A. 2). Dem entspräche dann auch die Bedeutung, die das Kastell im Kriege des Pyrrhos gehabt hat, und der Wert, den die Eömer seinem Besitze schon vor Hamilkars Auftreten beilegten. Wo man sich das Kastell denken soUte, Avenn der Pellegrino Hamilkars Lager gewesen wäre, ist nicht abzusehen. Einen isolierten und strategisch wertlosen Berg und noch dazu unten zu schützen, das hat doch keinen Sinn,

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einen ganz anderen Charakter erhalten, einen Charakter, der der ge- rühmten Aktivität und Beweglichkeit des großen Puniers und seinem Geiste der Initiative in viel besserer Weise gerecht wird, als es bei der alten Anschauung vom Schauplatze dieser Kämpfe am Pellegrino der Fall gewesen wäre.

Als wir nach getaner Arbeit an Ort und Stelle die Sachlage überlegten, hatten wir das lebhafte Gefühl, daß durch diese Lösung des Problems unsere Kenntnis der antiken Kriegsgeschichte um die lebendige Anschauung eines nicht unwichtigen kriegsgeschichtlichen Vorganges reicher geworden sei. Ich hoffe, daß es mir gelungen ist, dasselbe Gefühl auch in dem Leser dieser Zeilen erweckt zu haben.

Der mauretanische Feldzug* unter Antoninus Pius.

Von JOSEF MESK.

Die Kämpfe gegen die Mauren setzten unter Antoninus Pius er- folgreich ein, endeten aber erst viel später mit der endgültigen Unter- werfung des leicht beweglichen und schwer zu fassenden Reitervolkes. Der Feldzug unter dem ersten Antoninen wird mehrfach erwähnt; allein die Unbestimmtheit der Überlieferung erschwert ebensosehr die zeitliche Umgrenzung der Ereignisse wie den Einblick in ihren Verlauf.

Nachstehend unsere Quellen. Die vita Pii 5, 4 meldet kurz: jper legatos suos plurima hella gessit . . . Mauros ad imcem postu- landain coegit. Ausführlicher ist Pausanias VIII 43, 3 : ö de ^Avtio- vlvog . . . Ttoke^ov . . . aQ^avzag MavQOVQj ^ißvwv twv avTovofnwv Tr)v fi^yiörr(v juolQav, vofidöag te ovrag vmI ToactiSe e'xi öva^axwxeQOvg Tov ^iiv&L%ov ysvovg ool() jurj stiI d^a^cov^ stcI %7tTci.ov de avToi te xal ai yvvaiiiEg ^Xcjvto^ xovvovg ^ev äTzccGTjg iXavvcov Tijg xcogag ig ra EGyara rjväy'/,aOEv äva(pvyelv ^Lßvrjg, etzL te ^.AxXavTa ib oQog '/,al ig Tovg Ttqbg Ti^ ^AtIccvtl dvd-QcoTtovg. Nur beiläufig gedenkt des Geschehnisses der Rhetor Aristides (XXVI 70 Keil); doch ist der Zusammenhang, in dem er die Notiz bringt, nicht ohne Bedeutung: 7ti')XEuoi de ovo* et TtdfTtoTE iyevovTO in (zur Zeit des Pius) TtLOTEvovvaLy äX)^ iv aXXcog f,iv- S-cüv zd^EL TÖig TtoXXoig dycovovuaiy eI de ttov %al GCjurcXa/.ElEv in io^a- xiaigy oia Eiytög iv dQyfj fiEydXr^ v.ai diÄErqrjTii) Ttagavola Fetcov ^ övotv- xLcf ^ißvwv 5J '/.ay.odaLf.iovia tmv TtEQL rrjv iQvd-Qav d^dXazTav, dyad-olg TtaqovGL XQi^GaGd^ai (Afj öwauivcov , dzExvcog ügtteq juvd^ot Tayecog auTol TE Ttagr^Xd-ov vmI ol tzeqI avrcüv Xoyoi. Wichtig sind die Inschriften CIL III 5211 5215; wir erfahren aus ihnen, daß zur Zeit des Feld-

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zuges Hilfstruppen unter T. Varius Clemens aus Spanien nach Maure- tania Tingitana geschickt wurden: 5211 praef(ecto) auxiliariorum (5212 auxiliorum) tempore expeditionis in Tingitanam (5212, 5214, 5215 in Mauretaniam Tingitanam) ex Hispania misso- orum. Derselbe Clemens war nach Bekleidung dreier weiterer Ämter i. J. 152 oder 153 Prokurator von Mauretania Caesariensis (CIL VIII 2728). In Verbindung mit diesen Kämpfen bringt man i) in der Regel vermutungsweise den Umstand, daß i. J. 145 eine Vexillatio der legio VI Ferrata aus Syrien eine Militärstraße über den mons Aurasius in Numidien anlegte (CU^ VHI 10230 cf. 2490), ebenso die gleich- zeitige Anwesenheit einer Abteilung der in Bostra stationierten leg. III Cyrenaica (Henzen, Annal. 1860, p. 54, der auch das Distichon CIL VI 1208 auf diesen Feldzug bezieht). Endlich wies man ^) zur Kenn- zeichnung der Unsicherheit im numidisch-mauretanischen Grenzgebiete während der Jahre 147—149 darauf hin, daß nach CIL VIII 2728 um diese Zeit ein Militäringenieur, der dienstlich von Lambaesis nach dem mauretanischen Saldae reiste, unterwegs samt seiner Es- korte überfallen und ausgeplündert wurde und nur das nackte Leben rettete.

Auf Grund dieses Materials gelangt Cagnat ^) , der über diese Kämpfe ausführlicher handelt, zu folgender Darstellung. Der Feldzug habe vor 145 begonnen ; die Vexillatio der leg. VI Ferrata habe mög- licherweise einen Teil der in Lambaesis garnisonierenden, damals gegen die Mauren geschickten leg. III Augusta ersetzt. Varius Clemens habe die Aufgabe gehabt, dem Feinde mit den spanischen Truppen in die Flanke zu fallen; die beiden Truppenkörper in Mauretanien und Tin- gitanien hätten einander ergänzt und in die Hände gearbeitet. Den Erfolg dieser gemeinsamen Operation lehre Pausanias. Einen weiteren chronologischen Anhaltspunkt biete die Laufbahn des Varius Clemens. Zwischen seiner Entsendung nach Tingitanien und seiner Ernennung zum Prokurator von Mauretanien (152) sei er Präfekt einer Eeiterala und Prokurator von Cilicien und Lusitanien gewesen (CIL III 5211 if.); darnach falle die Sendung der Hilfstruppen aus Spanien nach Afrika unter der Voraussetzung, daß die drei Ämter unmittelbar aufeinander folgten, spätestens 148 und vielleicht 146 oder 147, wenn zwischen den einzelnen Ämtern eine Unterbrechung lag. Man könne demnach

^) SchiUer, Gesch. d. röm. Kaiserzeit, I, 2. Abt, S. 631 , Anm. 6. Cagnat, L'armee romaine d'Afrique (Paris 1892), S. 42. v. Rohden in Pauly-Wiss. n 2503. 2) Schiller a. a. 0. «) Cagnat a. a. 0. S. 42 f.

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(auch im Hinblick auf CIL YIII 2728) den Krieg gegen die Mauren unter Antoninus Pius zwischen 144 und 149 ansetzen. Schiller i) gibt keinen festumgrenzten Zeitansatz, scheint aber auch anzunehmen . daß die Kämpfe von 145 149 währten, v. Rohden -) läßt den Feldzug gegen die Mauren „um das Jahr 145" stattfinden. »)

Bei der Untersuchung empfiehlt es sich, zunächst die Stellen aus- zuscheiden , die auf den Kampf mit den Mauren nicht ausdrücklich Bezug nehmen; sie kommen erst in zweiter Linie in Betracht. Wenn Schiller (a. 0.) bemerkt, daß die verschiedenen Yexillationen zu be- weisen scheinen, daß in Afrika Unruhen häufig waren, so ist das zu- zugeben ; einen sicheren Schluß kann man aber beispielsweise in unserem Falle auf die Anwesenheit einer Abteilung der leg. YI Ferrata nicht bauen, da dieselbe ganz wohl auch einen anderen Grund gehabt haben kann. Auch der Überfall auf den Militäringenieur auf seiner Reise nach Saldae zeigt nicht mehr, als daß das Häuberunwesen an der numidisch- mauretanischen Grenze in Blüte stand. Der librator erzählt kurz und drastisch: profectus sum et inter vias latrones sum passus; nudus saucius evasi cum meis. Daß Räuber in Nordafrika etwas ganz Gewöhnliches waren, erhellt schon aus den griechischen Romanen oder aus Apuleius. Die Grundlage für die Erörterung bilden die In- schriften auf Yarius Clemens : sie bieten nebst der ausdrücklichen Er- wähnung des Zuges gegen die Mauren auch die Möglichkeit einer Datierung desselben. Fürs erste ist zu betonen, daß nicht von einem Kriege die Rede ist, sondern von einem Feldzuge. Die Inschrift 5211 besagt deutlich tempore expeditionis; hier ist allem Anschein nach kein langwieriger Krieg , sondern ein einzelner Feldzug gemeint. Wenn ferner Yarius Clemens 152 oder 153 Prokurator von Maure- tanien war, so läßt sich auch bei der Annahme, daß er die drei Ämter, die er nach dem mauretanischen Feldzug bis zur Erlangung dieser Stellung innehatte, nicht unmittelbar nacheinander bekleidete, doch nur schwer bis aufs Jahr 145 kommen, in dem die kombinierte Aktion der spanischen Truppen und der durch die syrische Yexillatio teilweise ersetzten leg. III Augusta stattgefunden haben soll. Allerdings könnte diese Legion vor dem Eintreff'en des Hilfskorps schon längere Zeit im Felde gestanden sein; aber die Annahme eines mehrjährigen Krieges

^) A. a. 0.

2) A. a. 0.

^) Die Argumentation Müllers, der (in Büdingers Untersuchungen z. röm. Kaiser- geseh. II 309) den Aufstand ins Jahr 139 setzt, wurde schon von Schiller und Cagnat a. a. 0. zurückgewiesen.

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ist eben nicht wahrscheinlich. Eine Stütze erhalt diese Auffassung auch durch die Aristidesstelle, bei der freilich der epideiktische Charakter der Rede in Betracht zu ziehen ist. Der Rhetor sagt von den Kämpfen (er spricht allerdings von ^rtoXejiwi) , die er erwähnt ; raxswg adrol ts TtaQTil&ov xtA. Xun mag ja xaxecog nicht allzusehr zu pressen sein; aber an langjährige Kriege A\^rd man auch nicht gern denken wollen. Wenn andrerseits Aristides von diesen Ereignissen wie von längst- vergangenen spricht, so liegt die Vermutung nahe, daß er sie in epi- deiktischer Perspektive schaut und gerade deshalb nennt, weil sie nicht gar so ferne lagen, daß er sie, me es im Sinne seiner Darstellung ge- wesen wäre, hätte übergehen dürfen. Da nun der Sieg über die Mauren in einem Atem mit zwei anderen Ereignissen genannt wird, so wäre es von Bedeutung, wenn sich beide oder doch eines davon sicher da- tieren ließe ; das ist leider nicht der Fall. Der Kampf mit den Geten oder Daciern wird von Schiller i) mit Bezug auf CIL III 1416 zwei- felnd ins Jahr 157 gesetzt; da Aristides seine Rede wahrscheinlich 156 2) hielt, läßt sich das Datum nicht halten , wenn man nicht nach- trägliche Einschaltung des Passus annehmen will. Der Aufstand am roten Meer wird von Rhoden '^) vom ägyptischen Krieg unter Antoninus getrennt, von Müller *j mit demselben identifiziert und nach Letronne 148 149 gesetzt. Jedenfalls dürften beide von dem Zeitpunkt, in dem die Rede gehalten wurde, nicht gar zu weit abzurücken sein ; sie waren wohl noch allen erinnerlich und mußten darum mit einem Worte be- rührt werden. Ein indirekter Beweis dafür liegt darin, daß Aristides von früheren Kriegen schweigt, so namentlich von dem wichtigen bri- tannischen (von 142 an).

Die Aristidesstelle und die Inschriften auf Varius Clemens stützen sich somit gegenseitig und scheinen mir zu ergeben, daß der Feldzug gegen die Mauren einerseits nicht von langer Dauer war, andrerseits gegen Ende der vierziger Jahre des 2. Jahrhunderts unternommen wurde. Unter Verwertung des feststehenden Datums in der Ämterlauf- bahn des Clemens (Prokurator von M. 152 oder 153) und unter der jetzt empfehlenswerteren Annahme, daß er die drei oben erwähnten Ämter unmittelbar nacheinander bekleidete, lassen sich als Zeit der Unternehmung mit Wahrscheinlichkeit die Jahre 148 oder 149 nennen, wobei ich voraussetze, daß der Feldzug etwa ein Jahr lang währte

*) A. a. 0. S. 631, Anm. 7.

0 W. Schmid, Rh. Mus. XL VIII (1893), S. 80 f.

3) A. a. 0. 2507.

^) A. a. 0. S. 314.

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oder doch nicht viel darüber. Über Verlauf und Erfolg desselben lehren die Quellen nur das Folgende: die Mauren begannen mit den Feind- seligkeiten, Hilfstriippen wurden aus Spanien nach Tingitana geschickt^ der Gegner wurde bis an die äußersten Grenzen Libyens und bis ans Atlasgebiet zurückgeworfen. Der Angriff der römischen Hauptmacht kam natürlich zunächst von Osten; aber die Entscheidung dürfte, nach der Richtung zu schließen, die der fliehende Feind nahm, mit Hilfe der spanischen Truppen in Tingitana gefallen sein. Der Sieg der Römer war ein vollständiger, seine Wirkung eine nachhaltige : erst ein Viertel- jahrhundert später wagten die Mauren einen neuen Einfall in römisches Gebiet.

1

Alexander in einer Inschrift des 3. Jahrhunderts n. Ch,

Von EDMUND GROAG.

In der Xähe des Ortes Blace bei Uesküb schrieb Noe Morien im Jahre 1872 die Inschrift eines Marmor steines ab, der damals in der Türschwelle einer Kirche verbaut war, seither aber verschollen ist. Der Text wurde nach Mortens Aufzeichnungen und einem Abklatsche in der Eph. epigr. II n. 493 =' Corpus III 8238, dann nach seinem Skizzenbuch in etwas abweichender Form von Premerstein und Vulic in den Jahresheften VI, 1903, Beibl. S. 38 publiziert:

Jovi et Juno|ni [e]t dracco|ni et dracce|na[e] ^) et Ale|xandro Ep[i|t]ynchanus2) s(ervus) | [F]uri Octavi^) | c(larissimi) v(iri) posu[it].

Die Inschrift erregte Interesse wegen der darin genannten Gott- heiten. Es war zuerst Mommsen (Eph. epigr. II, 493, wiederholt CIL); der den Alexander des obermösischen Denkmals mit dem Pseudo- propheten Alexander von Abonuteichos identifizierte, dessen Wirken Lucians Satire mit boshafter Übertreibung schildert.*) Mommsens Deutung hat allgemeinen Beifall gefunden, auch Cumont hält an ihr fest; ^) sie unterliegt jedoch gewissen Bedenken.

Während die draccena der mösi sehen Inschrift in dem von Alexander begründeten Kulte kaum unterzubringen ist,^) wird die

*) dracce|nae Eph. u. CIL.

2) Epi|tynchanus Eph. u. CIL.

3) Octavi[aiii], CIL; posuit Eph. u. CIL.

*) Vgl. Gruppe, Griech. Myth. u. Rel. Gesch. II, 1487.

^) Alexandre d' Abonotichos. Un Episode de l'hist. du paganisme. Mem. cour. publ. par r Acad.de Belg. XL, 1887, 7, 38; ebenso in Pauly-Wissowas RE V, 1635.

^) „dracaenae alibi mentio non fit", Mommsen Eph. u. CIL. Cumonts Erklärung (Mem. 25), daß es in Abonuteichos schon vor Alexander einen weiblichen? Schlangen- gott gegeben habe, dem der Prophet den seinen zugesellte, dürfte wohl nicht befriedigen.

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männliclie Schlange gemeinhin für Glykon erklärt, den Schlangen- gott, in dem sich nach Alexanders Verkündigung Asklepios mani- festierte. Wir besitzen in der Tat Votivgaben für diesen Gott^), aber er wird in ihnen mit dem ihm zukommenden Namen Glykon genannt. Es ist nicht zu verstehen, warum gerade Epitynchanus von dieser Übung abgesehen und den Namen des Gottes durch das farb- lose dracco ersetzt hätte.

Den Herrn des Epitynchanus, den die Inschrift nennt, hat man früher dem Furius Octavianus gleichgesetzt, einem mehrfach be- zeugten Zeitgenossen der Severischen Dynastie. 2) Ulpian schrieb von ihm in seinem Buche de officio praetoris tutelaris:^) Memini itaque

me suadfente] Alcimum libertum maternum Furi Octav[iani]

clarissimi viri p[raetorem in cura retinuisse], cum tutelam eius ad- ministrasset necessariusque ad [res gerendas videretur]. Wie nicht eben häufig, besitzen ^\dr für diese Juristenstelle einen epigraphischen Beleg in einer Bauinschrift aus Ulpianum*): Amphilochii^). | Fortunae aeter[n]ae domus Furianae | proc(uratores) ^j Furi Octaviani c(larissimi) v(iri) Furius A[l]cimus, Pon|tius Uranius pecunia Octavianin[a] faci- endum curaverunt. Eine dritte Inschrift, in der derselbe Mann schon als Consular und Pontifex genannt wird, ist stadtrömischer Provenienz (CIL VI 1423, vgl. p. 3141): Furiae L. f. Caeciliae matri piissimae Furius Octavianus co(n)s(ul) pontif(exj fil(ius).

Ulpians Schrift de officio praetoris tutelaris ist unter Caracalla (211 217) herausgegeben.^) Furius Octavianus ist demnach der Mann gleichen Namens, den das Album von Canusium im Jahre 223 unter den senatorischen Patronen registriert (CIL IX 338), und zwar ziemlich vorne in der Reihe, woraus zu schließen, daß er schon in konsularischem E-ange stand.

Da uns, wie gesagt, nur ein Senator Furius Octavianus bekannt ist, lag es nahe, den vir clarissimus der Inschrift von BlaÖe eben für diesen zu halten. Dem widersprechen v. Premerstein und Vulic.^) Ihr Hauptargument ist die chronologische Ansetzung der Votivgabe. Alexander von Abonuteichos mrkte zur Zeit des Kaisers Marc Aurel;

') CIL m 1021, 1022 ; vgl. Cumont Mem. 37 f., Drexler in Roschers Lexikon I, 1692. -) Vgl. Dessau, Prosop. imp. Rom, II,. 100 u. 403.

^) Frgm. Vat. ed. Mommsen 220. Die Ausfüllung der Lücken rührt von Mommsen her, das Cognomen Octav[ianus] hat schon Borghesi, Oeuvr. III, 121, ergänzt.

^) CIL in 8169 ; besser, nach einer Kopie Mortens, Jahresh. Beibl. VI, 1903, 28.

^) Das Signum des Octavianus.

^) procc. ist wahrscheinlicher als proc. C. Furi cet.

^) Jörs in Pauly-Wissowas RE V, 1453. 1508.

^) Jahresh. a. a. 0.

<

253

sein Tod erfolgte in den siebziger Jahren des zweiten Jahrhunderts i). Daher kann der Senator aus der gens Furia, dessen Sklave Epi- tynchanus war, nicht der um mindestens eine Generation jüngere Konsular Furius .Octavianus sein, sondern dessen Vater. Nachdem dieses Ergebnis gewonnen war, gelangten die beiden Gelehrten zu dem Schlüsse, daß die Kopie Mortens, die nur die Form Octavi enthält, den richtigen Namen gebe.

Dagegen läßt sich zunächst einwenden, daß der untere Teil des Steines anscheinend am Rande lädiert war und daher von Morten nicht vollständig kopiert werden konnte; in seinem Skizzenbuch fehlen Buchstaben vom Namen des Ep[it]ynchanus wie von posu[it]. Es wird daher auch bei [F]uri Octavi ein Ausfall am Schlüsse anzunehmen sein, wobei am ehesten die Ligatur ^^ in Betracht käme. Denn es ist mißlich, bloß auf Grund einer unvollständigen Abschrift einen sonst unbekannten Senator Furius Octavius zu proponieren, während uns Furius Octavianus mehrfach, und zwar gerade als Großgrundbesitzer in der Gegend, in der Epitynchanus den Votivstein setzte, bezeugt ist.

Endlich nötigt die Aufstellung der beiden Forscher zur Annahme, daß Furia Caecilia, die Mutter des Furius Octavianus, einen nahen Verwandten und Gutsnachbarn geheiratet habe. Der Name Furius Octavianus beweist jedoch keineswegs, daß der Vater dieses Mannes gleichfalls der gens Furia angehörte, sondern gibt nur die abgekürzte , im täglichen Leben gebrauchte Nomenklatur, in welcher, wie viele Beispiele aus der Kaiserzeit beweisen, nur das Gentile der Mutter, beziehungsweise des mütterlichen Großvaters geführt werden konnte 2) zumal wenn die Mutter, wie dies bei Furia Caecilia wohl der Fall war. den größeren Besitz in die Ehe mitgebracht hatte.

Nach alledem wird man ohne Bedenken in dem Herrn des Sklaven Epitynchanus den reichen Senator Furius Octavianus erkennen dürfen vorausgesetzt, daß sich für den in der Inschrift neben Göttern und halbgöttlichen Wesen genannten Alexander eine mögliche Deutung ergibt^). Dies ist in der Tat der Fall.

Dio Cassius (LXXIX 10, 1 3) berichtet unter den Vorzeichen, die in der Regierungszeit Elagabals die Nachfolge des Severus

^) Nach Cumont Mem. 52 um 171, nach Premerstein und Yuliö im J. 177.

2) Vgl. z. B. Hist. Aug. Marc. 1,9: Marcus Antoninus principio aevi sui nomen habuit Catili Severi, materni proavi, ferner die Namen des späteren Kaisers Antoninus Pius, der auf den Ziegeln nur Arrius Antoninus genannt wird, der Domitia Lucilla minor, der jüngeren Faustina, des Q. Sosius Priscus cos. 169, des Terentius Gentianus cos. 211 u.v.a.

^) Es braucht kaum gesagt zu werden, daß an Severus Alexander nicht gedacht werden kann. '

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Alexander verkündigten, auch eines, das sich „in Obermösien und Thrazien begeben habe": daljucov Tig, ^Ale^avÖQÖg xe ö MazeSiov ixelvog Eivai Xiy(x>v y.al xh eiSog aurov rrjv xe oy^evrjv ärraoav (peQcov^ wQ/urjO-rj xe i/C rmv TteQi rbv ^'Igtqov /w^/wv, o/;>t oiS^ o^cwg i-iielvrj sKcpaveig, xal ölo, TE TTjg Mvalag^) y,al xr^g OQaycrjg dLe^Tjld-E ßaxxevojv /uex dvÖQcov xexqa- y^oGLWv, S-vQGovg xe yial veßQidag sveaÄevaatnevcov, 'Aa/Jbv ovdev Sqcovxcov. w/uoX6yrixo Se Ttaqh Tzdvxcov xcov Iv xf] Qq^atj xoxe yevof^ievwv on xal 7,axaycüyal xal tTtixrjdeLa auTtp rcdvxa Sifjf^oala TzaQea'Aevdad-ri' '/.al ovöelg exoXjLiTjaev ovx^ dweiTtelv ol ovx^ dvxäQai^ ova d^yMv, ov oxqaxuo- xrig ovyc STtlxQOTtog oux ol xcov ed-vüv fjyovf-ievoL^ dXl^ ioOTceq iv TzofXTzfj XLVi (xed^ fj^eQav e/. TXQOQQtpEcog iyioinlad'ri jusxql xov BtXavvlov. svtev&ev yaQ i^avax^elg TZQoaeoxß /^£v xfj Xak-Kv^dovia yfj ^ e'/.el de örj vuxTÖg le^d TLva TTotrjöag '/,al Iltttcov S,vIlvov VMxaxcooag dcpavrjg syivexo. xavxa juiv €v xfj ]AoLq i'xi^ (hg eiTcov^ cov, tvqIv ymI öxiovv TteQi xbv BaooLavbv iv xfj "^PioiiTj yeviad-ai, i'^ad-ov.

Nichts nötigt uns, in diesen Bericht des zwar abergläubischen, aber wahrheitsliebenden und korrekten Dio Zweifel zu setzen. Viel- mehr liegt hier wohl einer jener in der Geschichte nicht allzu seltenen Fälle vor, daß sich ein ekstatischer Schwärmer für die Inkarnation einer früheren, mythisch gewordenen Persönlichkeit hält, deren Wieder- kehr erwartet wird, und daß er durch seinen Glauben an sich selbst auch die Massen mit fortreißt. Am wenigsten nimmt der Glaube an das Wiedererscheinen des Großen Alexander Wunder. Franz Kampers hat in seiner, auf ausgedehnter Literaturkenntnis beruhenden Schrift „Alexander der Große und die Idee des Weltimperiums in Prophetie und Sage "2) nachgewiesen, daß der uralte Glaube an die messianische Erscheinung des königlichen Gottesmannes sich im Orient an Alexanders Gestalt geheftet 3) und Jahrhunderte lang fascinierende Kraft bewahrt hat. Ist doch sogar noch Napoleon von den Beduinen für den wieder- erschienenen Iskender gehalten worden.*)

Ein neuerstandener Alexander, und zwar wie die Art des Auf- tretens beweist, ein Alexander als Hypostase des Dionysos^), wird der daifitov gewesen sein, der unter Elagabal, in einer politisch aufgeregten, religiös erhitzten Zeit, die wenige Jahre vorher den ins Absurde ge- steigerten Alexanderkult Caracallas erlebt hatte, auf mösischem und thrazischem Boden erschien. Sein plötzliches Entrücktwerden erklärt

^) 'AoCag Hs., Mvoiag schon Bekker, ebenso ßoissevain.

^) Studien u. Darst. aus d. Gebiete der Geschichte hg, v. Grauert I, 2/3. 1901. ^) Vgl. auch Schrader-Zimmern-Winckler, Keilinschr. u. das Alte Testament, 121 f., 380, Lehmann-Haupt, Klio III, 157, IV 111, 2. *) Kampers 42. ^) Vgl. Kornemann, Klio I, 58. 70; Kern in Pauly-Wissowas RE V, 1039 f.

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sich ohne Schwierigkeit. Die römischen Behörden, denen der Spuk unbequem zu werden begann, mögen für das geräuschlose Verschwinden Sorge getragen haben.

Die Gegend, in der „Alexander" sein Unwesen trieb, ist eben jene, in der die Inschrift des Epitynchanus gefunden wurde; in Ober- mösien lagen die großen Besitzungen der domus Furiana. Desgleichen fällt die Stiftung der Votivgabe in dieselbe Zeit, der das Auftreten des SaUaov angehört; im Jahre nach der Ermordung Elagabals (223) ist Furius Octavianus als Senator bezeugt. Es läßt sich auch begreifen, daß der Sklave, der für den abw^esenden Herrn in Scupi die Geschäfte führte, vor dem rätselhaften Alexander und seinem Gefolge Besorg- nisse hegte und ihn durch die Weihung eines Altars günstig zu stimmen suchte, in dem der Name des Gottkönigs i) neben olympischen Göttern und Wesen dämonischer Art genannt war.

Man könnte geneigt sein, diese letzteren gleichfalls mit Alexander dem Großen in Beziehung zu setzen. Juppiter und dracco bieten keine Schwierigkeit, da Juppiter als Zeus Ammon, dracco als die Schlange gedeutet werden könnte, in deren Gestalt der Gott Olympias beiwohnte^). Doch bezüglich der Juno ließe sich höchstens daran er- innern, daß Kampers in dem „Religionsgespräch am Hofe der Sassa- niden" Spuren einer Tradition erkennen will, derzufolge Hera oder eine dieser gleichgesetzte orientalische Göttin als Mutter Alexanders erscheint^). Endlich die weibliche Schlange ist in der Alexander- prophetie meines Wissens ebensowenig unterzubringen, wie im Kult des Asklepios Glykon. Ich möchte daher die Annahme vorziehen, daß die Zu- sammenstellung der Gottheiten in unserem Yotivstein des einheitlichen Charakters entbehrt und den vielen, in Inschriften der Kaiserzeit be- gegnenden Götterreihen *) an die Seite zu stellen ist, in denen die Auswahl entweder aus lokalen Rücksichten oder aus persönlichen Verhältnissen ab- geleitet werden muß. Demnach wird man in dracco und draccena am wahr- scheinlichsten Gestalten des mösischen Volksglaubens erblicken dürfen. &)

^) Daß sich der Kult Alexanders an gewissen Stätten bis in die nachantoninische Zeit er- hielt, zeigt Le Bas -Waddington 57 (Erythrae), vgi.Kaerst, Gesch. d. hellenist. Zeitalters II, 388.

2j Ausfeld, Der griech. Alexanderroman, 1907, 127. Drexler bei Röscher III, 837 f. Christensen N. Jb. f. d. kl. Alt. XII, 1909, 108. Mazedonische Provinzialmünzen aus der Zeit des Severus Alexander stellen Olympias und die Schlange dar (Dressel, Abh. d. Berl. Akad. 1906, S. 31 des Sep. Abdrucks).

») A.a.O. S 134.

^) Vgl. Wissowa, Eel. U.Kultus d. Römer, 77.

^) Vgl. Drexler in Roschers Lexikon I, 1692 f. Cumont bei Pauly- Wissowa V, 1634 f. An die Schlangen, die den Genius des Hausherren und die Juno der Hausfrau symbolisieren (Wissowa, Rel. u. Kult. 155), ist wohl nicht zu denken.

Die Dreiteilung der Provinz Dada.

Von ANTON V. PREMERSTEIN.

Xach der Eroberung durch Trajan wird uns zum erstenmal unter Hadrian in einem Militärdiplom vom J. 129 (unten S. 265, A. 3) eine Teilung Daciens in zwei Verwaltungsgebiete, Dacia superior und Dacia inferior, bezeugt i). An der Spitze des nördlichen Distrikts, der Dacia superior, welche in der Hauptsache das heutige Siebenbürgen umfaßte und die Hauptstadt der Provinz, Sarmizegetusa, sowie ihren bedeutendsten Waffenplatz, das Lager der legio XIII gemina zu Apulum, in sich schloß, stand der prätorische Legat von Dacia, der in den Militärdiplomen aus den J. 157 und 158 (unten S. 263 , A. 1) als Kommandierender der in Dacia superior liegenden Auxilien erscheint; dem Legaten war, wie anderwärts, ein kaiserlicher Prokurator als oberster Finanzbeamter beigegeben (unten S. 263, A. 1). Dagegen wurde Dacia inferior, welches annähernd mit der sog. kleinen Walachei zusammenfiel und nur mit Auxilien besetzt war, von einem präsidialen Prokurator geleitet, der uns in dem Diplom vom J. 129 und in mehreren Inschriften (unten S. 265, A. 28) als der Chef der Truppen von Dacia inferior entgegentritt. Über sein Verhältnis zum Legaten liegt keine ausdrückliche ÜberKeferung vor; indessen dürfte der Umstand, daß zum Titel des legatiis Äugusti pro praetore provinciae Daciae niemals der Beisatz superioris beschränkend hinzutritt, im Verein mit anderen Erwägungen zugunsten der A^nnahme sprechen, daß der Prokurator

^) Tgl. dazu und zum folgenden Marquardt, St.-Yerw. I^, 308 ft'. ; A. v. Domaszewski, Rhein. Mus. XL VIII (1893) 243 f.; Bonner Jahrb. CXVII (1908) 156; 164; J. Jung, Fasten der Provinz Dacien (Innsbruck 1894) S. VI ; S. 1 ; 40 f. ; C. G. Brandis in Pauly- Wissowas RE IV, 1970 f.; dazu Sp. 1972; 0. Hirschfeld, Verw.-Beamte - 377 mit A. 4; N. Feliciani in E. de Ruggieros Diz. epigr. II, 1443. S. auch H. Kiepert, Formae orbis antiqui XVII (dazu Text S. 3).

257

von Dacia inferior nicht vollkommen selbständig, sondern der Ober- aufsicht des Legaten unterworfen war, der somit als Statthalter der Gesamtprovinz zu gelten hat.

Das bereits erwähnte Militärdiplom vom 8. Juli 158 ist das späteste datierte Zeugnis für ein zweigeteiltes Dacien. In der Folgezeit trat eine einschneidende administrative Änderung ein, infolge deren die Provinz in drei nach den Hauptorten genannte Sprengel zerfiel; es waren dies Dacia Apulensis und Porolissensis, welche durch Teilung der bisherigen Dacia superior in einen südlichen und nördlichen Distrikt entstanden, sowie Dacia Malvensis, die bisherige Dacia inferior. Es ist bisher nicht gelungen, dieses wichtige Ereignis, welches die herrschende Meinung den ersten Regierungsjahren des Marcus zuweist (unten S. 261 mit A. 3) , mit Sicherheit zeitKch festzulegen und damit auch sein Verhältnis zu anderen um die nämliche Zeit getroffenen Maßregeln, der Verlegung einer zweiten Legion nach Dacien und der dadurch bedingten Rangerhöhung des Gesamtstatthalters, der seit Marcus ein Konsular war, ausreichend klarzustellen. Dies soll im folgenden ver- sucht werden durch erneute Betrachtung des seit B. Borghesi^ wiederholt behandelten Bruchstückes eines von Antoninus Pius erteilten Militärdiploms, welches auf dacischem Boden zu Damasna oberhalb Mehadia gefunden ist und in der Antikensammlung des Wiener Hof- museums aufbewahrt wird. Unter freundlicher Beihilfe des Beamten am Hofmuseum, Herrn Dr. Julius Banko, habe ich im September 1908 Mommsens Kopie des Fragments (CIL III p. 886 n. XLIV) und dessen Berichtigung einiger Lesarten (ebd. Suppl. p. 1990 n. LXX) am Original nachprüfen können und beinahe in allen Einzelheiten (zu Innenseite Z. 13 Anf. s. unten S. 260 u. 263) bestätigt gefunden, so daß ich als Grundlage für das folgende auf den Abdruck im Corpus und die dort (p. 886) gegebene Umschrift hinweisen kann. 2)

Um das Militärdiplom für die oben gestellte Frage zu verwerten, ist es vor allem nötig, seine Zeit zu bestimmen. Die Reste der Kaiser- titulatur auf der Innenseite Z. 1 4, verbunden mit dem Datum a(nte) d(iem) V k(alendas) Oct(ohres) (Außenseite Z. 7), zeigen sofort, daß das Diplom von Antoninus Pius (138 7. März 161) am 27. September eines der Jahre von 145 bis 160 erteilt wurde. Dagegen glückte es bisher nicht, die nach Z. 7. 8 damals im Amte befindlichen Suffektkonsuln {Sex. Calpurnio Ägricola Ti. Claudio luliano cos.) und damit das Diplom

^) Oeuvres III, 370 ff. Vgl. auch L. Eenier, Recueil de dipl. milit. 195 ff. n. 42. .2) S. auch das Faksimile bei J. Arneth, Zwölf röm. Militärdiplome Tf. XXII n. IX; Schriftprobe bei E. Hübner, Exempla scripturae epigr. p. 295 n. 845.

Wiener Eranos. 17

258

selbst einem bestimmten Jahre zuzuweisen i), was im folgenden unter- nommen werden soll. Vorausgeschickt sei noch, daß nach der damaligen Ordnung der Amtsfristen 2) das Konsulat des Agricola und lulianus mindestens die beiden Monate September und Oktober umfaßt haben muß.

Für Sex. Calpurnius Agricola 3) ergibt sich der gesuchte Termin ohne weiteres daraus, daß er dem Consul ord. des J. 159, M. Statins Priscus Licinius Italiens*), in der Legation Britanniens, welche dieser im J. 161/2 bekleidete , nachgefolgt ist. Die Vita Marci 8, 8 berichtet : et ad- versus Brittanos quidem Calpurnius Agricola missus est. Dies geschah, wie die Stellung der Notiz in dem trefflichen sachlich-historischen Exzerpt der Vita erkennen läßt, im J. 162, kurz vor oder gleichzeitig mit der Abreise des Verus nach dem Osten, also zu derselben Zeit, als M. Statins Priscus an Stelle des im J. 161 oder anfangs 162 im Partherkriege umgekommenen M. Sedatius Severianus ^) das Kommando in Kappadokien übernahm. Da Agricola demnach als Konsular rangjünger war als der Consul ord. des J. 159, kann sein eigenes Suffektkonsulat, welches nach dem Diplom noch unter Pius fällt, nur auf den Septem- ber und Oktober entweder des J. 159 oder 160 angesetzt werden. Dazu stimmt nun auch sein um das J. 168/9 zu datierendes Kommando über die drei Legionen am Unterlauf der Donau, welches aus der In- schrift CIL III S. 7505 (Dessau n. 2311) zu erschließen sein wird (unten S. 268 , A. 4) ; Agricola war in dieser Stellung der (unmittelbare ?) Nachfolger des M. Servilius Fabianus Maximus (Legat von Moesia in- ferior im J. 162), dessen Konsulat in den Juli 158 fällt.

Die so gewonnene Datierung wird bestätigt und ergänzt durch das, was über die Laufbahn des zweiten Konsuls, Ti. Claudius luli- anus, überliefert ist. Dabei stellt sich zunächst heraus, daß mehrere

1

^) Nur vermutungsweise hat B. Borghesi in seinen Fasten das J. 158 angenommen; vgl. L. Renier zu Oeuvres III, 379, 3; 472, 8.

'') Vgl. Mommsen, StR II'', 85 f.; B. Kubier in Pauly-Wissowas RE IV, 1128 f.

^) Über ihn E. Klebs, Prosopogr. I, p. 274 n. 196'; E. Groag in Pauly-Wissowas RE III, 1366 n. 18. Zur Legation Britanniens s. auch E, Napp, De rebus imp. M. Aurelio Antonino in Oriente gestis (Bonn 1879) 55 mit A. 5; W. Liebenam, Forschungen zur Verw.-Gesch. I, ICO, 2; 101.

^) Seine Laufbahn gibt die stadtrömische Ehreninschrift CIL VI 1523 (Dessau n. 1092). Dazu E. Napp, a. a. 0. p. 55 f. ; 116 n. 41 ; J. Jung, a. a. 0. S. 11 If. n. 15 ; Dessau- V. Rohden, Prosopogr. III, p. 269 n. 637. Zum Jlgianog vjiooxQärrjyog eines Exzerptes aus Cassius Dio, der mit ihm nicht identisch sein kann, vgl. U. Ph. Boissevain zu Dio III, p. 290; J.M.Heer, Philologus Suppl.-Bd. IX, 93; E.Ritterling, Rhein. Mus. LIX, 189, 4.

5) E. Ritterling, a. a. 0. S. 186 f. ; A. Stein in Pauly-Wissowas RE III, 1842 f. Eine unedierte Ehreninschrift des Mannes wird erwähnt BGH XXXIII (1909) 26 f.

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in der Prosopog-raphia imperii Romani i) getrennt angeführte Zeugnisse für senatorische Träger des Namens Claudius lulianus, wie übrigens schon seit langem vermutet wurde, mit Sicherheit auf eine und dieselbe Persönlichkeit zu beziehen sind. Ti. Claudius lulianus war demnach unter Antoninus Pius, wahrscheinlich nicht nach dem J. 146, Legat der legio XI Claudia in Untermoesien (CIL III Suppl. 7474), sodann als Kon- sular leg(atus) Aug(usti) pro prae(tore) von Germania inferior, als welcher er auf einer Inschrift aus Bonna (CIL XIII 8036; Dessau n. 2907) vom J. 160 und wohl auch noch unter Marcus und Verus in der Korre- spondenz des Fronto (ad amicos I 5. 18, vgl. p. 187, 7 N.) erscheint. Wegen der Inschrift von Bonna werden wir sein zugleich mit Agricola bekleidetes Suifektkonsulat wohl auf den September und Oktober 159, nicht 160, ansetzen müssen; denn sonst hätte Claudianus noch im Winter des J. 160 die Legation von üntergermanien antreten und die in CIL XIII 8036 erwähnten Steinbrucharbeiten durchführen lassen müssen, was wenig wahrscheinlich ist.

Das Diplom, welches wir nach dem Vorstehenden dem 27. Septem- ber 159 zuweisen dürfen, führte drei Alen (Innenseite Z. 5 if.) und zwölf Kohorten (ebd. Z. 7 ff.) namentlich an. Davon sind zwei Namen von Alen, sieben von Kohorten teils vollständig, teils soweit erhalten, daß sie mit Sicherheit ergänzt werden können. Nach dem von C. Cichorius gesammelten MateriaP), welches seither meines Wissens nicht wesent- lich vermehrt worden ist^), sind die meisten dieser Auxilien im zweiten Jahrhundert n. Chr. als Kastellbesatzungen in Dacien, und zwar durch- aus im äußersten Norden und Nordwesten der Provinz am dortigen Limes (so in Alsö-Ilosva, Sebesvaralja, Magyar Egregy) nachweisbar, also in jenem Distrikte, der nach der Dreiteilung der Provinz Dacia

1) I, p. 382 f. n. 718. 719. 726 ; E. Groag in Pauly-Wissowas RE III, 2726 f. n. 187. 188. 194. Vgl. auch J. lOein, Bonner Jahrb. LXXX (1885) 154 f. ; A. v. Domaszewskis Note zu CIL III Suppl. 7474.

'') In Pauly-WissoAvas EE I (Artikel „Ala") 1245 f. ; 1268 (zu Z. 7, avo Cichorius [et I Ttmgror(um) Fr]ont(oniana) ergänzt; anderer Meinung ist Jung, a. a. 0. S. 108); ebenda IV (Artikel „Cohors", hier nach der Folge des Diploms zitiert) 295 f. ; 286 (zuZ. 9: [I AeJ(ia)] gaesa(torum) (milliaria)\ 318; 263; 296 f. ; 299 f. ; 341.

^) Die cohors I Flavia Ulpia Hisjpanorum mill. {7a. 8) erscheint als ch(ors) I Hi- sp(anorum) (milliaria) auch auf der in Ostgalizien gefundenen bronzenen Votivhand (Österr. Jahreshefte VII [1904] Beibl. 149 ; dazu J. Zingerle, ebd. Sp. 155 f.). Dagegen möchte ich die Ziegel aus Magyar Egregy CIL III Suppl. 8074, 18 mit Cichorius (IV, 296 f.) und gegen E. Ritterling (Jahreshefte a. a. 0. Sp. 156, 22) auf die andere cohors I Hispatwrum des vorliegenden Diploms (Z. 10) beziehen. Der nachmalige Gardepräfekt T. Furius Victorinus ist nach seiner stadtromischen Ehreninschrift (Ch. Huelsen, Ausonia II "[1907] lOi.) prae- fe(ctus) it/ae Frontcnianae (vgl. Diplom Z. 1) gewes^en.

17:::

260

Porolissensis hieß ^). Von den angeführten Truppenkörpern gehören drei {cohors I Flavia ülpia Hispanorum mill. Z. 8 ; cohors I Hispanorum Z. 10; cohors II Hispanorum scutata Cy[renaica] Z. 11) erweislich zum alten Bestände der Okkupationstruppen Daciens, wo sie uns bereits auf Denkmälern aus den J. 108 110 begegnen. Unter den übrigen war die ala I Gallorum et Pannoniorum (catafractaria) (Z. 6) offenbar erst kürzlich aus Moesia inferior, wo sie noch ein Diplom vom J. 134 erwähnt, herangezogen worden; desgleichen die im J. 114 in Pannonia inferior stehende ala [I Tungrorum Fr] ont(oniana) (7a. 1) und die cohors 1 Augusta Nerv. (Z. 9), die jedenfalls mit der cohors 1 Augusta Nerviana velox des Heeres von Mauretania Caesarensis (Diplom vom J. 107) 2) identisch ist und wahrscheinlich mit den vexil(larii) Afri[c(ae)] et Mauretan(iae) Caes(arensis)^ welche das oberdacische Diplom von J. 158 (unten S. 263,

A. 1) nennt, nach der Provinz gekommen war. Auch die oben erwähnte cohors II Hisp. scutata Cyren. hatte früher (J. 108) zu Werschetz im Banat im Süden Daciens gestanden, bevor sie nach dem Norden (Sebes- varalja) verlegt wurde. Man gewinnt aus diesen Daten den Eindruck, daß um die Mitte des zweiten Jahrhunderts die Besatzungen gerade im Norden der Provinz durch neue Zuschübe verstärkt wurden.

Aus der Beobachtung, daß die in dem Diplom aufgezählten Auxi- lien im Norden und Nordwesten der Provinz Dacien stationiert waren^ ergibt sich nun auch die Antwort auf die Frage, welcher Provinz- name auf der Innenseite Z. 13 zu ergänzen ist. Erhalten sind von ihm nur die Peste EN. Mommsen (CIL III, p. 1990) bemerkt dazu allerdings: „ante EN, quod certum est, potest fuisse D" ; doch ver- mochte ich bei meiner Nachvergleichung keine irgendwie sicheren Spuren dieses letzteren Buchstaben wahrzunehmen.

Nach dem Vorgang des ersten Herausgebers, Gazzera, schlug

B. Borghesi^) als Ergänzung von Z. 12 f. vor: et sunt [in et

') Vgl. auch die Zusammenstellung der in Dacien stehenden Auxilia und ihrer Stationen bei J. Jung, a. a. 0. S. 104 if., der S. 134 if. ausführlich über die Kohortenlager im nördlichen Dacien handelt; dazu E. Sehmsdorf, Die Germanen in den Balkanländern (Leipzig 1899) 69 ff. ; N. Feliciani in E. de Euggieros Diz. epigr. II, 1450 f. Unbekannt sind bisher die dacischen Garnisonen der ala I Gallorum et Pannoniorum (Z. 6) und der Kohorten / Augusta Nerviana (Z. 9; s. unten) und / Ulpia Brittonum mill. (Z. 10; vgl. Außen- seite Z. 9).

2) Cichorius, a. a. 0. IV, 318.

^) Oeuvres III, 370 ff., bes. p. 373 ff. ; VIII, 201 ; X, 60 mit A. 5 ; vgl. auch zu CIL X 4860, 61. Dagegen W. Henzen, Annali dell' Inst. 1855, p. 31 Anm. ; derselbe zu Borghesi, Oeuvres III , 373, 1. 3; Heron de Villefosse zu Borghesi X, 60, 5; Paul Meyer, Hermes XXXII (1897) 225; W. Liebenam, Forschungen zur Verw.-Gesch. I, 137 f., 4. Borghesi selbst hat seine Ansicht später zugunsten der Henzenschen aufgegeben, Oeuvres VIII, 472; 483.

261

Cyrjen. siih Macrinio [Vmdice] und sah in Macrinius, welchen er mit dem im J. 172 als Praefectus praetorio gegen die Markomannen ge- fallenen M. Macrinius Yindex identifizierte, den damaligen Praefectus Aegypti, der in der Nachbarprovinz Kyrene Krieg zu führen hatte. Abgesehen von zwei noch unten zu erörternden Einwänden, wird diese Vermutung jetzt schon dadurch hinfällig, daß im Herbst des J. 159, in welchen unser Diplom gehört, nicht ein Macrinius, sondern höchst w^ahr scheinlich T. Furius Victorinus Präfekt von Ägypten gewesen ist^).

Im Gegensatze zu Borghesi hat W. Henzen 2) auf Grund der Erkenntnis, daß einige von den Truppenkörpern nach dem Diplom vom J. 157 in Dacien standen, mit Recht an diese Provinz gedacht; nur stimmt seine Ergänzung et sunt [in Dada Apnljen(si) oder Malvjen(si) nicht zu den anderweitig bekannten Garnisonsorten, welche vielmehr auf die Dacia Porolissensis hinweisen.

Henzens Annahme, nach welcher die Dreiteilung Daciens bereits unter Pius durchgeführt war, vermochte nicht durchzudringen, zumal ein neugefundenes Militärdiplom aus dem Ende dieser Regierung, vom 8. Juli 158, ein unumstößliches Zeugnis dafür bot, daß wenigstens damals die Einteilung in Dacia superior und inferior noch bestand. Man glaubte daher die neue Organisation, welche man im Cursus honorum des M. Claudius Fronto (s. unten S. 268, A. 4) zum erstenmal etwa für die J. 168/170 ausdrücklich bezeugt fand, in die Zeit des Marcus verlegen zu sollen und brachte sie in ursächliche und zeitliche Beziehung zu der sicher erst nach dem Partherkriege, also nicht vor J. 166, erfolgten Verlegung einer zweiten Legion, der V Macedonica, aus Troesmis (Moesia inferior) nach Dacien und der dadurch bedingten Rangerhöhung des dacischen Legaten. ^j

*) Vgl. L. Cantarelli, La serie dei prefetti d'Egitto I (Memorie dell' Accad. dei Lincei ser. 5, scienze morali XII, 1906), 95 f. n. 49 ; Ch. Huelsen, Ausonia II (1907) 73.

2) Annali dell' Inst. 1855, p. 31 f. , 2: vgl. auch oben S. 260, A. 3. Ihm stimmen außer Borghesi (oben S. 260, A. 3) bei L. Eenier, Recueil de dipl. mil. p. 195 ff. n. 42; Heron de Villefosse, a. a. 0. ; H. Dessau, Prosopogr. II, p. 313 n. 15. Auch C. Cichorius hat an den oben (S. 259, A. 2) angeführten Stellen der Artikel „Ala" und „Cohors" in Pauly- Wissowas RE das Diplom für Dacien verwertet. E. Keil, De Thracum auxiliis (Berlin 1885) 13 f. hält den hier genannten Macrinius für identisch mit dem M. Macrinius Avitus Catonius Vindex jproc(urator) prov(inciae) Daciae Malv(ensis) (CIL VI 1449 = Dessau n. 1107); dagegen J. Jung, a. a. 0. S. 11 zu n. 14; S. 42 zu n. 4. Avitus hat indessen Dacia Malvensis erst im germanisch-sarmatischen Kriege des Marcus (.T. 169 175) verwaltet; vgl. über ihn A. v. Domaszewski, Neue Heidelberger Jahrb. VI (1896) 128 ; Marcus-Säule, Text- band 114; E. Ritterling, Arch.-epigr. Mitt. XX (1897) 30 zu n. X; A. Stein in Pauly-Wissowas RE III, 1850 f.

^) Vgl. Marquardt, St.-Verw. I'^ 309 f.; Mommsen, CIL III, p. 160; A. v. Domaszewski, Rhein. Mus. XLVIII (1893) 244; Neue Heidelb. Jahrb. V (1895) 110 (vgl. S. 117 mit A.3);

262

Von dieser neueren Kombination ausgehend, verwarf J. Jung i) die Annahme, daß in Z. 13 einer der auf -en(sis) ausgehenden dacischen Distrikte genannt war. Wie er vermutet , könnte man nach Analogie des Militärdiploms vom 1. August löO^), demzufolge Auxilien aus Pannonia superior und inferior zum Maurenkriege nach Mauretania Caesarensis abkommandiert waren , an eine zeitweilige Abordnung von dacischen Hilfstruppen oder Teilen derselben ebendorthin denken, so daß zu er- gänzen wäre: et sunt [in Mauretania Caesar] en(si). Dieser Annahme, wie der früher angeführten Borghesi's, steht jedoch zunächst entgegen, daß eine derartige umfangreiche Abkommandierung, von welcher drei Alen und zwölf Kohorten betroffen gewesen wären, noch dazu aus einem und demselben enger begrenzten Gebiete des nördlichen Daciens und gerade im J. 159, wo dieser Teil der Provinz selbst von Feinden bedroht war (s. unten S. 264), sehr geringe Wahrscheinlichkeit hat. Geradezu das Umgekehrte ergibt sich aus dem Diplom vom 8. Juli 158 (s. unten S. 263, A. 1), wonach damals Vexillationen aus Afrika und Mauretania Caesarensis in Dacia superior standen (unten S. 264, A. 1). Dazu kommt aber noch ein formales Bedenken. Der Passus der Militär diplome et sunt in (illa provincia) suh (illo) gibt, soweit unser Material reicht, stets den Bereich der ständigen Garnison und dessen Höchstkomman- dierenden an. Dies gilt insbesondere auch von dem soeben er- wähnten, der gleichen Zeit angehörigen Diplom aus dem J. 150; der Umstand, daß die Angehörigen der darin genannten Truppenkörper nach einer anderen Provinz entsendet waren und nicht von ihrem ordentlichen Kommandanten entlassen wurden, kommt korrekterweise durch einen besonderen Beisatz zum Ausdruck: d[i]m[iss(is)] hfojnesta miss(ione) per Porcium Vetiis [tin] um proc(uratorcm) ^ cum essent in ex- pedition(e) Mauretanßae) Caesarens(is) ^). Eine ähnliche Formulierung

J. Jung, a. a. 0. 17 f. ; C. G. Brandis in Pauly-Wissowas RE IV, 1971 ; B. Filow, Die Legionen der Provinz Moesia, Klio, Beiheft VI (1906) 56 mit A. 5 (dazu S. 77 f.) ; N. Feliciani in E. de Ruggieros Diz. epigr. II, 1443 f. S. auch H. van de Weerd, Etüde historique sur trois legions rom. du Bas-Danube (Löwen 1907) 38 ff.; 87; 89.

*) In seinem für die römische Verwaltungsgeschichte wichtigen Buche : Fasten der Provinz Dacien 10 f. n. 14 ; vgl. auch S. 42 zu n. 4.

2) CIL III Suppl. p. 2213 n. C; dazu E. Bormann, Arch.-epigr. Mitt. XVI (1893) 229 ff.

^) Vgl. auch das Diplom Trajans vom J. 113 oder 114 (CIL III Suppl. p. 1975 n. XXXIX). Keine Instanz gegen die oben vorgetragene Deutung des Passus et sunt usw. bildet das Diplom CIL III Suppl. p. 1960 n. XIV (Dessau n. 1995) vom J. 82. Die hier im Anschluß an obergermanische Auxilien aufgeführten Truppenkörper, quae sunt in Moesia suh C. Vettu- leno Civica Ceriale , waren nämlich icht etwa bloß zeitweilig vom obergermanischen Exercitus detachiert, sondern übergingen dauernd in den moesischen Heeresverband; vgl. C. Cichorius in Pauly-Wissowas RE I, 1238; IV, 289 f. ; 302. Ihre entlassenen Angehörigen erscheinen hier offenbar nur deshalb zusammen mit Auxiliaren ihres früheren Exercitus,

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wäre, wenn wirklich eine Abordnung dacischer Auxilien nach auswärts vorläge, auch in unserem Diplom zu erwarten.

Xach alledem bleibt nichts anderes übrig, als in der Lücke Z. 13 Dacien, und zwar seinen nördlichen Distrikt als ständigen Garnisons- bereich, d. h. also, da der abgekürzte Provinzname auf en auslauten muß, die Porolissensis einzusetzen. Die mit Notwendigkeit sich ergebende Ergänzung von Z. 12 f. et sunt [in Dada Poroliss] en(si) sub Macrinio [Cognomen] füllt genau den zur Verfügung stehenden Raum; eine Yer- gleichung des Originals lehrt, daß das S vor dem erhaltenen EN zwar keine Spur zurücklassen hat, wohl aber nach der Beschaffenheit der schmalen leeren Stelle zu Anfang von Z. 13 durchaus möglich erscheint. Damit haben wir das früheste datierte Zeugnis für die Dreiteilung Daciens gewonnen.

Das Militärdiplom vom 8. Juli 158^) setzt, wie schon erwähnt, noch ein zweiteiliges Dacien voraus, indem es den Legaten Statins Priscus als Kommandierenden in Dacia superior nennt. Demnach ist die Neu- organisation der Provinz zwischen dem 8. Juli 158 und dem 27. September 159 offiziell ins Leben getreten. Damit entfällt jede Möglichkeit, diese Dreiteilung mit der erst nach dem Partherkriege erfolgten Verlegung einer zweiten Legion nach dem nördlichen Dacien und der damit verbundenen Rangerhöhung des Statthalters in unmittel- baren Zusammenhang zu bringen.

Die Abtrennung eines neuen Distriktes im Norden, der Dacia Porolissensis, hängt jedenfalls, wie schon oben (S. 260) angedeutet ^\Tirde, mit einer Verstärkung der Besatzungsarmee in diesem Gebiete zusammen, welche offenbar durch die Erfahrungen veranlaßt war , die man un- mittelbar zuvor unter der Statthalterschaft des Statins Priscus, etwa in den J. 157 und 158, in Kämpfen gegen die nördlich von der Provinz

weü sie sich vor ihrer Versetzung nach Moesien zugleich mit diesen bei kriegerischen Er- eignissen bewährt hatten , wofür eben die Bürgerrechts Verleihung durch Eintragung auf ehernen Tafeln die Belohnung ist (vgl. A. v. Domaszewski, Bonner Jahrb. CXVII [1908] 75, 2). ^) CIL III Suppl. p. 1989 n. LXVII (Dessau n. 2006): qui sunt . . . in Dacia super(iore) et sunt sub Statio Prisco leg(ato). Danach ist auch der Provinzname in dem Diplom vom 43. Dezember 157 (CIL III Suppl. p. 1989 n. LXVI) Z. 12 ergänzt. In die allerletzte Zeit des zweigeteilten Daciens fällt die Wirksamkeit des T. Desticius Severus als proc(urator) Aug(usti) jprov(inciae) Daciae superior(is), der darauf zunächst Prokurator Kappadokiens, dann Eaetiens wurde (CIL V, 8660 = Dessau n. 1364) und in letzterer SteUung für das J. 166 bezeugt ist; vgl. H. Dessau, Prosopogr. II, p. 8 n. 50; Jung, a. a. 0. S. 40f.n.3; 80 ; A. Stein in Pauly-Wissowas RE V, 254 n. 5 ; A. v. Domaszewski, Bonner Jahrb. CXVII (1908) 217. In die spätere Zeit des Pius gehört jedenfalls auch die Erwähnung der Kolonie Traiana Sarmizr-getusensium ex Dacia superiore in der Ehreninschrift des Zollpächters Julius Capito (CIL III 753 = Suppl. 7429; Dessau n. 1465), welcher in dieser Eigenschaft noch unter den dici fraires erscheint (CIL III 751 = Suppl. 7434; Dessau n. 1855).

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sitzenden sogenannten freien Daker gemacht hatte, i) Doch wurden in den nengebildeten Sprengel nur Auxilien gelegt. Die legio V Mace- donica, welche späterhin (seit etwa 166; s. unten S. 268) nach Dacia Porolissensis versetzt ^^nirde. stand in den J. 158 162, bis zu ihrem Auszug in den Partherkrieg, nachweislich unter dem Legaten von Moesia inferior in ihrem bisherigen Lager zu Troesmis^). An eine Veränderung ihrer Garnison war vorderhand mit Rücksicht auf die Lage im Orient, wo in den letzten Jahren des Pius beständig Kriegs- gefahr drohte ^) , kaum zu denken ; sicherlich war schon damals in Aussicht genommen, daß sie als die unter den Donaulegionen dem Kriegsschauplatz nächste im Bedarfsfalle sofort nach dem Osten auf- brechen sollte.*) So erklärt sich denn auch, daß der Norddistrikt Daciens

^) Kämpfe gegen die nicht unterworfenen Dakerstämme (über sie C. G. Brandis in Pauly-Wissowas RE IV, 1975) unter Antoninus Pius erwähnen ohne nähere Zeitbestimmung die Vita Pii 5, 4 : et Germanos et Dacos et midtas gentes . . . contudit jper praesides ac legatos ; Polyainos strateg. VI praef . (p. 277 ed. Woelfflin ^) : reziöv jieTixoixÖToyv ; Oracula Sibyll. XII 180 f. {f^eydXovg Adxag). Sie fallen zum Teil, wie es scheint, bereits in seine ersten Regierungsjahre; in der Rede sig ^Poi^irjv, welche der smymäische Sophist Aelius Aristides anläßlich seines römischen Aufenthaltes im ersten Krankheitsjahre», d. h. (nach den Darlegungen R. Eggers, Österr. Jahreshefte IX, Beibl. 71 if.) im .1.143, gehalten haben dürfte , spricht dieser von gelegentlichen Zusammenstößen an den äußersten Grenzen des Reiches, herbeigeführt u.a. dfisxQrjxco naqavoia Ferojv (or. XXVI §70, II p. 111, 9 ff. ed. B. Keil ; dazu Keils Zusatz p. 471). Sicher aber sind unter dem Legaten Statins Priscus Kriege an der Nordgrenze Daciens geführt worden; vgl. CIL III 1416 (angeführt von P. V. Rohden in Pauly-Wissowas RE II, 2507); CIL III 1061 (Dessau n. 4006, vom J. 158). Auf kriegerische Verwicklungen deutet auch die Anwesenheit der vexil(larn) Afn[c(ae)] et Mauret(aniae) Caes(arensis) , qui sunt cum Mauris gentilih(us) in Dada super(iore) nach dem Diplom vom 8. Juli 158 (oben S. 263, A. 1). Wenn A. v. Do- maszewskis (Bonner Jahrb. CXVII, 1908, S. 75, 2) Annahme zutrifft, daß die in den Militär- diplomen vorliegende Form der Bürgerrechtsverleihung an ausgediente Auxiliare durch Ein- tragung auf bronzene Tafeln eine Auszeichnung oh virtutem bedeutet und immer die Folge kriegerischer Ereignisse ist (vgl. oben S. 263, A. 20), so sind die drei dacischen Diplome aus den J. 157 159 für Angehörige von Tiuppen ausgestellt, die sich in den eben er- wähnten Kämpfen hervorgetan hatten.

^) CIL III 6169 (Troesmis) : [p]ro sal(ute) imp(eratorum) Ant(onini) et Verl Aug(ustorum), leg(ionis) VMac(edonicae), lalli Bassi leg(ati) Äug(usti) pr(a) pr(aetore), Marti Verl le[g(ati)] Äug(usti) P. Atl(ius) Quintianus Magni fil(ius) (centurio) leg(ionis) V M(acedonicae). M. lallius Bassus Fabius Valerianus war Legat von Moesia inferior im J. 161 und Anfang 162, wo er als Comes des Verus zum Partherkrieg berufen Avurde ; vgl. H. Dessau, Prosopogr. II, p. 150n. 2; A.Stein in Pauly-Wissowas RE III , 1844. S. auch H. van de Weerd, a. ä. 0. p. 39 ff.

^) Vita Marci 8, 6 : Parthicum bellum . . . paratum suh Pio ; CIL IX 2457 ; dazu A. Stein in Pauly-Wissowas RE III, 1840 f.

*) Zur Teilnahme der gesamten legio V Macedonica am Partherkriege s. A. Stein, a. a. 0. Sp. 1845 ; E. Ritterling, Rhein. Mus. LIX, 193 ff.

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nicht von dem späteren Hauptquartier der legio V Macedonica, Potaissa, sondern von dem vorgeschobenen Auxilienlager Porolissum im äußersten Norden, welches damals offenbar der Hauptwaffenplatz war, seinen Namen erhielt.

In Übereinstimmung damit, daß auch im dreigeteilten Dacien anfänglich nur eine Legion, die XIII gemina zu Apulum, vorhanden war, ist zunächst keine Rangerhöhung des Statthalters der Gesamt- provinz erfolgt. P. Furius Saturninus, der noch nach dem Regierungs- antritt des Marcus und Verus (7. März 161) hier als legatus Äugustorum pro praetore fungierte, hat die Provinz als Prätorier erhalten und wurde erst während seiner Legation zum Konsul designiert. ^j

Für die Dacia Porolissensis im besonderen ist während der ersten Jahre ihres Bestandes (bis etwa 166, s. unten S. 268), solange nur Auxilien dort lagen, die nämliche Form der Verwaltung durch einen präsidialen, aber dem Gesamtstatthalter untergeordneten Prokurator anzunehmen, welche uns in der gleichfalls nur von Nichtbürgertruppen besetzten Dacia inferior, nunmehr Dacia Malvensis, entgegentritt. 2) Ähnlich wie in dem Diplom für die dortigen Truppen vom J. 129 ^j, wird auch in der vorliegenden Urkunde unter den Worten suh Macrinio [Cognomen] nicht der Legat des gesamten Daciens, sondern dieser dem Ritterstande angehörige Unterstatthalter zu verstehen sein. Nichts steht der Vermutung im Wege, daß der hier Genannte identisch ist mit dem M. Macrinius Vindex, der etwa in den Jahren 168/9—172 als Kollege des M. Bassaeus Rufus Gardepräfekt war.*) Zu letzterem Datum würde, da um die Mitte des zweiten Jahrhunderts in den ritterlichen Karrieren der zeitliche Abstand von den untersten Offiziersstellen bis zur Garde-

1) Napp, a. a. 0. p. 73 f.; Jung, a. a. 0. S. 14 f. n. 16; Prosopogr. II, p. 101 f. n. 407. Die auf ihn bezügliche Inschrift CIL III 1412 = Suppl. 7902 jetzt auch bei Dessau n. 7155.

2) Vgl. A. V. Domaszewski, Rhein. Mus. XLVm (1893) 243 f. ; C. G. Brandis in Pauly- Wissowas RE IV, 1970 f. S. auch oben S. 256.

^) CIL III p. 876 n. XXXIII = Suppl. p. 1977 n. XL VI: sunt in Dada imferiore (so) suh Plautio Caesiano; letzterer ist wohl identisch mit dem gleichnamigen Prokurator von Noricum (CIL III 5177). Vgl. Jung, a. a. 0. S. 6 n. 5 ; Prosopogr. III, p. 45 n. 349. 350. Aus den J. 137 und 138 stammen mehrere Dedikationen von Truppenkörpern der Dacia inferior sub T. Fl(avio) Constanie 2>roc(uratore) AugCusti) , CIL III, Suppl. 12601 a und b (dazu 13793; 13794); 13795; vgl. Gr. G. Tocilescu, Arch.-epigr. Äütt. XVII (1894) 224 ff.

'*) Zu diesem Prosopogr. II, p. 313 f. n. 19; dazu A. v. Domaszewski, Neue Heidelb. Jahrb. V (1895) 117; 124, 5; VI (1896) 128; E.Ritterling, Arch.-epigr. Mitt. XX (1897) 30 zu n. X mit A. 71. Eine Gleichsetzung mit dem P. Macrinius Macer proc(urator) Augg. (CIL III 1310 = Suppl. 12563 aus Zalatna in Dacia Apulensis) hätte wenig Wahrscheinlichkeit.

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präfektur in der Regel etwa zwanzig Jahre betrug i), die zehn Jahre vorher bekleidete Prokuratur der Dacia Porolissensis, die dem Range nach wohl eine centenaria gewesen sein wird, sehr gut passen. Die Ergänzung von Z. 13 f. suh Macrinio [ Vindice proc(uratore) , qui]nq(iie) et vigint(i) stip(endis) usw. füllt gerade den verfügbaren Raum.

Eine Änderung in diesen Verwaltungsverhältnissen ist erst in den Anfängen des germanisch-sarmatischen Krieges unter Marcus ein- getreten. Bisher hat man wohl allgemein den M. Claudius Fronto (s. unten S. 268, A.4) für den ersten uns bekannten konsularischen Statt- halter der tres Daciae gehalten. Indessen läßt sich ein noch früherer Träger dieser Funktion nachweisen in der Person des L. Aemilius L. f. Cam. Carus^). Nach dem Zeugnis seiner stadtrömischen Ehren- inschrift CIL VI 1333 (Dessau n. 1077), welche vor seiner dacischen Legation gesetzt ist, war dieser in den xVnfängen seiner Laufbahn trih(unus) militum leg(ionis) Villi Hispanae gewesen, einer Truppe, die aller Wahrscheinlichkeit nach bereits unter Hadrian im britannischen Feldzuge des J. 119/120 untergegangen ist 2). Nach Eintritt in den Senat und nach erreichter Prätur wurde er Legat der untergermanischen Legion XXX ülpia victrix (dazu CIL XIII 8197), sodann nacheinander curafor viae Flaminiae, leg(atus) Äug(usti) i)r(o) pr(aetore) provinciae Ärahiac, als welcher er nach einem seit der zweiten Hälfte des ersten Jahrhunderts bei den prätorischen Legaten kaiserlicher Provinzen allgemein zu beobachtenden Brauche*) zum Konsul (suffectus) designiert ward. Als Konsular war er zuerst legatus Aug. pr(o) pr(aetore) censitor provinciae Lugdunensis, dann leg(atus) Äug(usti) pr(o) pr(aetore) provinciae Cappadociae.

Die schon von Borghesi^) vorgeschlagene Ansetzung der prä- torischen liCgation des Aemilius Carus in Arabia, aus welcher auch die von ihm errichtete Dedikation CIL III Suppl. 14149 ^ (Dessau n. 3013) stammt, unter Antoninus Pius wdrd jetzt durch eine Inschrift

^) Vgl. die Tabelle bei Ch. Hiielsen, Ausonia II (1907) 75 und dazu p. 74.

^) Über seine Ämterlaufbahn s. Jung, a. a. 0. S. 20 f. n. 22, wo die ältere Literatur zitiert wird; ebd. S. 101 n. 2; R. Heberdey, Arch.-epigr. Mitt. XIII (1890) 188, 3; E. Klebs, Prosopogr. I, p. 27 n. 219; P. v.Rohden in Pauly-AVissowas RE I, 548 f. n. 38; dazu E. Groag, ebd. Suppl. I, 17 n. 38.

^) E. Hübner zu CIL VII 241; Hermes XVI, 537; Mommsen, Rom. Gesch. V, 171, 2; P. Trommsdorff, Quaest. duae ad hist. legionum Rom. spectantes (Diss. Leipzig 1896) 86; R. Cagnat in Daremberg-Saglios Dict. des ant. III, 2, p. 1084 mit A. 52; AV. Weber, Lnters. zur Gesch. des Kaisers Hadrianus 110 f.

') E. Ritterling, Arch.-epigr. Mitt. XX, 12 f.

5) Oeuvres IV, 159.

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aus Gerasa^) gesichert. Als äußerster Terminus ante quem für sie und die Designation zum Konsulat muß das J. 162 gelten, in welchem P. lulius Geminius Marcianus Arabia verwaltete 2). Die konsularische Statthalterschaft von Cappadocia kann Aemilius Carus entweder als (unmittelbarer) Vorgänger des M. Sedatius Severianus lulius Rufinus, der die Provinz zu Ende der Regierung des Pius innehatte und im J. 161 oder Anfang 162 im Partherkriege umkam 3), versehen haben, oder, was mich freilich minder w^ahrscheinlich dünkt, als nächster Nachfolger des M. Statins Priscus Licinius Italiens (cos. ord. J. 159; in Kappadokien für 162/3 bezeugt; s. oben S. 258), so daß er in die Lücke ■^) zwischen diesem und dem im J. 166 zum Konsulat gelangten, als Legat von Cappadocia erst seit etwa 172 nachweisbaren^) P. Martins Verus eintreten würde.

Erst nach der Statthalterschaft Kappadokiens, welche die stadt- römische Inschrift als spätestes Amt aufführt, ist L. Aemilius Carus legatus Aug(usti) 111 Daciarum gewesen, als welcher er in drei von ihm selbst gesetzten Inschriften 0) erscheint. Diese Funktion liegt zwischen dem J. 161, in welchem Dacien noch einem prätorischen Legaten (P. Furius Saturninus; oben S. 265) unterstand, und dem J. 177; letzterer Termin ergibt sich daraus, daß Carus spätestens im J. 162 Consul suffectus war und die normale konsularische Ämterlauf- bahn damals nach längstens fünfzehn Jahren mit dem Termin für das Prokonsulat von Asia oder Africa abzuschließen pflegte. Da nun Carus spätestens im J. 162, dagegen M. Claudius Fronto erst gegen Ende des Partherkrieges, etwa J. 164/6, zum Konsulat gelangte, muß die Verwaltung der tres Daciae durch den ersteren unbedingt früher fallen "') als die Legation Frontos, der nach seiner stadtrömischen Ehren Inschrift (s. u.) zur Zeit des germanisch-sarmatischen Krieges als

^) Inscr, Graecae ad res Rom. pert, III, n. 1364; dazu die Anm. zu CIL III, Suppl. 14149 ^

'') CIL III, Suppl. 14177; dazu E. Ritterling, Rhein. Mus. LIX, 194. Vgl. Prosopogr. II, p. 194 f. n. 227.

3) E. Ritterling, a. a. 0. S. 186 f. S. oben S. 258, A. 5.

*) Vgl. A. Stein in Pauly-Wissowas RE III, 1843 ; E. Ritterling, a. a. 0. S. 193. Unrichtig Prosopogr. III, p. 270 zu n. 637.

^) Cassius Dio LXXI 14, 2; dazu Prosopogr. II, p. 351 zu n. 261 ; III, p. 325 n. 178.

«) CIL III 1153; 1415; Suppl. 7771 (= Dessau n. 4398).

^) Gegen ihre Ansetzung unter die Samtherrschaft des Marcus und Verus kann keinesfalls eingewendet werden, daß Aemilius Carus sich in seinen drei dacischen Inschriften (oben Anm. 6) als legatus Aug. , nicht Augg. bezeichnet; vgl. z. B. CIL III 6169 (oben S. 264, A. 2) und die Zusammenstellung bei E. Ritterling, Arch.-epigr. Mitt. XX (1897) 25, 61.

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Legat von Obermoesien im J. 168/9 zugleich in einem Teile Daciens, der Dacia Apnlensis, sodann in den Jahren 169 170 in den tres Daciae (zuletzt wieder in Verbindung mit Moesia superior) kommandiert hat. Die Voraussetzung für die Rangerhöhung der Legation Daciens war, wie allgemein zugestanden wird, die Verlegung einer zweiten Legion in diese Provinz. Die im J. 162 von Troesmis aus (s. oben S. 264) in den Partherkrieg ausgezogene legio V Macedonica kann kaum vor dem Friedensschluß im J. 166 nach dem Westen zurückgekehrt sein, wo sie dann sofort ihr neues Lager zu Potaissa in der Dacia Poro- lissensis bezogen haben wird^). Diese Maßregel war durch die damalige kritische Lage der Provinz gefordert, welche die Barbaren bereits im Frühsommer des J. 167 bedrohten 2). Fortan führte ein Konsular, als erster wohl L. Aemilius Carus in den Jahren 166/7, mit dem Sitze in Apulum das Kommando über Dacien und seine zwei Legionen, die XIII gemina und die V Macedonica. Ihm unterstanden der prätorische Legat der V Macedonica zu Potaissa, der vermutlich an Stelle des präsidialen Prokurators, welchen wir für die Jahre 158/9 166 annehmen mußten, die Verwaltung der Dacia Porolissensis übernahm, und der Prokurator von Dacia Malvensis, beide wohl mit den Befugnissen von Unterstatthaltern ausgestattet ^j, während die Prokuratoren der Apulensis und Porolissensis bloße Finanzbeamte waren. Auf die schon oben kurz berührten , ausnahmsweisen administrativen Maßnahmen , welche sich aus der stadtrömischen Ehreninschrift des M. Claudius Fronto*) für die Jahre 168 170 erschließen lassen und durch die Not des

^) Das früheste Zeuj^nis für ihre Anwesenheit in Dacien ist CIL III, Suppl. 7505 (Dessau n. 2311), errichtet von einem Veteranen der legio V Macedonica, der nach dem Partherkriege an der expeiUtio Gerntanica zuerst unter Calpurnius Agricola (wahrscheinlich J. 168/9; s. unten A. 4), dann unter M. Claudius Fronte (Legat der drei Dacien im J. 169 170; unten A. 4) teilgenommen hatte und im J. 170 von Frontos Nachfolger in Dacia entlassen wurde. Dazu A. v. Domaszewski , Ehein. Mus. XLVIII, 244, 3; Neue Heidelb. Jahrb. V, 109; B. Filow, a. a. 0. S. 74 ff.; E. Kornemann, Klio I, 131, 1; VII, 94, 3 ; H. van de Weerd, a. a. 0. p. 40 ff.

'^) Mommsen , CIL III, p. 161 ; 921 ; F. E. Conrad, Mark Aureis Markomanenkrieg (Programm des Gymn. in Neu-Euppin 1889; auch als Eostocker Diss. erschienen) 9 mit A. 2; 11 A. V. Domaszewski, Neue Heidelb. Jahrb. V, 113 mit A. 3.

''^) Nach A. V. Domaszewski, Westdeutsche Zeitschr. XIV, 110 f., 452 (vgl. Österr. •Jahreshefte IV, Beibl. 6 mit A. 8 ; Bonner Jahrb. CXVII (1908) 156 mit A. 4) hätte auch der Legat der legio XIII gemina als Unterstatthalter in der Apulensis fungiert.

^) CIL VI, 1377 (= 31640); Dessau n. 1098. Dazu Jung, a. a. 0. S. 18 f. n. 20; E. Klebs, Prosopogr. I, p. 373 f. n. 699; A. v. Domaszewski, Neue Heidelberger Jahrb. V (1895) 107 ff., besonders S.llO; 113; ferner Bonner Jahrb. CXVII (1908) 156 mit A. 7 ; E. Groag in Pauly-Wissov.'as EE III, 2722 n. 157. Abweichend von den bisherigen Ergänzungs- versuchen, welche von der Voraussetzung ausgehen, daß die bloß von Ligorio überlieferte

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germanisch-sarmatischen Krieges hervorgerufen waren, hier näher ein- zugehen, liegt kein Anlaß vor.

Inschrift in Z. 3 7 durch willkürliche Interpolationen entstellt ist, möchte ich diesen Passus der absteigend geordneten Ämterfolge in engem Anschluß an die Kopie folgender- maßen herstellen : leg. Aug. jpr. pr. provinciarum Daciarum et [Moesiae] super(ioris) simul (J. 170); leg. Aug. pr. pr. provincia[rum] Daciar(um) (J. 169/70); leg. Augg. pr. pr. Moesiae super(ioris) [et] Daciae Apulesis simul (J. 168/9); leg. Augg. pr. pr. provinciae Moesiae super(ioris) (J. 166—168); comiti divi Veri usw. Im J. 168/9, als Fronto Obermoesien und Dacia Apulensis unter seinem Kommando vereinigte, wird Dacia Malvensis und die wahrscheinlich aus der Porolissensis zeitweilig zurückgezogene legio V Macedonica, was hier nur angedeutet werden kann, zugleich mit Moesia inferior dem Calpur- nius Agricola (s. o.), der schon zuvor in Britannien (um J. 162) drei Legionen unter sich gehabt hatte, unterstellt gewesen sein, vgl. CIL III, Suppl. 7505 (Dessau n. 2311); die Uacia Porolissensis, deren Erwähnung zugleich mit der Apulensis man in Frontos Inschrift erwarten würde, fehlt vielleicht deswegen, weil sie damals von den Barbaren okkupiert war. In den J. 169 170 gebot Fronto in ganz Dacien, somit auch über die legio V Macedonica (CIL III, Suppl. 7505).

Zu den neuen Oxyrhynchus-Papyri,

Von LEOPOLD WENGER.

Der Oxyrhynchus-Band, der den klassischen Philologen als köst- lichste Gabe des Euripides Hypsipyle gebracht, der ihnen daneben den neuen Thukydides-Kommentar und noch 19 andere mehr oder weniger vollständige new classical texts beschert hat, ließ auch die Juristen nicht leer ausgehen. Freilich neben jener stolzen Hypsipyle stehen unsere Urkunden bescheiden zurück, aber der Rechtshistoriker setzt doch dankbarst die Steinchen zum Mosaikbilde des hellenistischen Rechts zusammen, dessen Umrisse jetzt schon allenthalben viel deutlicher hervortreten, seit immer mehr Hände an der Rekonstruktion arbeiten. Möge es mir heute, da die Stadt, der meine Lern- und ersten Lehr- jahre gehörten, gastlich in ihren Mauern Deutschlands und Österreichs Philologen vereint, gestattet sein, an einigen Papyri aus Oxyrhynchus VI zu zeigen, was der Jurist aus ihnen lernen kann. Der Raum ist zu klein für monographische Erörterung eines papyrologischen Problems der antiken Rechtsgeschichte, aber eine Nachlese zu bisher gewonnenen Ergebnissen mag wohl am Platze sein, und wenn einiges Neue dazu- kommt, so wird dessen Einreihung keine systematische Schwierigkeit bereiten.

Daß Frauen in Ägypten zur Vormundschaftsführung zugelassen wurden, habe ich schon gelegentlich erörtert. Für die Vormundschaft der Mutter sind die damals vorhandenen Belege in der Ztschr. d. Savigny-Stift. Roman. Abt. (Z. S. St.) XXVI, 449 ff. zusammengestellt. Da ist denn mancherlei hinzugekommen, was aber alles das dort Aus- geführte nur bestätigt hat. Auf BGU IV, 1070 (a» 218) und Lips. 9 (a^ 23^>), worin die Mutter als eTvaxoXovd'/jTQia auftritt, hat bereits Mitteis (Z. S. St. XXVIII, 387) verwiesen. Aber selten schön zeigt sich das Zusammenwirken von Vormund und Mutter im Kaufkontrakte

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Oxy. VI, 909 (a« 225). Da geben in direkter Stellvertretung der Kinder die Yerkaufserklärung ab: AvQrjkLog IIuoXUwv iTtLTQOTzog dcfri/J/,ajv xh.vMv ATtokkuiVLOv xoft }\ Twv ä(pr[Xiy.u)v j^rivriQ ymI iTca'Aokovd-i^T gia AvQvl^da Evöaii.iovlg XcoQig livglou XQr^uaTiCovGa zcrra 'PwiiiaUüv ed-iq T£iiv(ji)v ÖL-KaLO). Korrekt heißt es von den Vormündern weiter: ouokoyovfiev TtBTtQaxevai vfielv (sc. emptoribus) rag ovaag tmv dipr^lrMov dycdvd^ag, und so fort bis ytal iTtriQwxri^evreg w/uoloyT^aai-iev. Erst in der Subskription tritt die Mutter gegenüber dem Vormund zurück : Avqiq'kLog

IJTokXi\(.ov (.lET^ STtajiolov^^r^TQLag Tfi[g fir^zQÖg Bezeugten uns

zunächst keine römischen Namen das Institut der Muttervormundschaft auch fürs römische Bürgerrecht, so sind wir nunmehr auch dieses Zweifels (a. a. 0. XXVI, 455) durch die Aurelier und Aurelierinnen der neuen Papyri enthoben. Ganz entsprechend dem eben zitierten Falle ordnet im römischen (p. 248) Testamente Nr. 907 (a» 276) der Erblasser AvQTilLog '^EQj.ioyevrig die Vormundschaft über seine drei unmündigen Kinder, indem er einen eTziiQOTzog einsetzt (Z. 18: STtiTQOTtov de tzolio Tcdv dcpriXUcov fiov tsxvwv AvqtiXlov J7iij.riiQLov) und dann fortfährt (Z. 20 f.): eTray.oXovd-ovaiqg Ttäoi xdlg Tf] eTtiXQOTreta dLa(p6Q\ovoi xf^g 7tQoyeyQa(Ä(.dvrig f-iov ywaiyög ztA. Bemerkt sei noch, daß die Vormund- schaft über die Tochter mit der Ehe enden soll, die über die Söhne mit der ^Atz/or, dann auch, daß der Testator sich mit starkem Willen behördliche Einmischung in seine getroffenen Anordnungen verbietet: 'Aal ÖLa TOVTO [od ßo~\vlo/Liai aQ/ovra rj dvrdQyovxa ^ ereQOv Tiva Ttagewid^evat

havT[bv (Z. 21). Das Zusammenhandeln von Vormund und Mutter

ist die Regel. Aber wer heutige Verhältnisse in Ländern, wo, wie in Österreich, dasselbe System üblich ist, kennt, weiß auch, wie leicht sich dabei selbständiges Handeln der Mutter entwickeln kann, während die Gefahr ihrer Zurückdrängung viel geringer ist. So mag sich im Papyrusrecht vielfach wider- oder doch außergesetzlich die AUeinvormund- schaft der Mutter gebildet haben. Allein begegnet die ungetreue Vor- münderin des P. Nr. 898 (a» 123). Da klagt Didymos, der Sohn des Dionysios, gegen seine Mutter Matrina (Z. 6 f. o]vad (.lov e7T[iTQo\7tog)j daß sie die Vormundschaft zu eigener Bereicherung mißbrauchte und durch Erpressung Decharge {dTtoxrjv zfig eTtixQOTiTig Z. 23 f.) erlangen wolle, oioiisvrj e/, tovtwv dvvaai>aL excpvyelv a öuTiQa^ev (Z. 24 ff.). Didymos hat also nur seine Mutter zum ercizQOTcog. Wie kommt aber dann der junge Mann selbständig zur Klage? Am nächsten läge die Annahme, daß er eben mündig geworden und selbst die Rechenschaft von der Mutter in die Hand genommen. Aber es fiele bei dieser Annahme auf, daß er seine eigene Handlungsfähigkeit nicht betonte ; dann hat ihn auch die Mutter wenigstens noch faktisch in ihrer Gewalt, denn durch Alimenten-

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entziehung und allerhand andere Mittelchen versuchte sie ein Vorgehen des Sohnes gegen sie zu vereiteln. Vielleicht gibt den richtigen Schlüssel die Bemerkung des Klägers (Z. 26 if.) : xaiToi 0ilovUov rov OTQa(Triyov) i) TLad^ v7zof.ivrii.iaTLOf.iovg ytQelvavTog tteQov fiov eTtiTQOTtov 'AaraOTaS^rivaij ov TTLOTETJOVTOS ovte avvfj ovdi xrii fikiY^La fiov. Das sieht so aus, als ob Philonikos es nun für gut befunden habe, wegen zu großer Jugend dem Dionysios, dessen Mutter des Vertrauenspostens nicht würdig war, einen Vormund zu bestellen. Und es wäre dann vielleicht die Deutung zulässig, daß die Behörde auch nach erreichter Mündigkeit von Fall zu Fall für jugendKche Personen einen Vormund bestellen konnte. Der Vergleich mit der römischen Tutel und Kuratel liegt zu nahe. In unserem Falle wäre es dann etwa infolge einer Geschäftsstockung beim Wechsel in der Strategie Verwaltung nicht zur Kreierung dieser neuen Epitropie gekommen und so erklärte es sich, daß der junge Mann noch einmal selber mit der Klage auftrat. Denn ein zweiter eTTiTQOTcog scheint nie bestellt worden zu sein, und jetzt wenigstens hat der Petent an der Zulässigkeit seiner persönlichen Klage keinen Zweifel. Auch terminologische Bedenken würden gerade fürs griechische Papyrus- recht nicht schwer ins Gewicht fallen (vgl. den nächsten Papyrus). Neben der mütterlichen Vormundschaft wird auch die anderer Frauen im P. Nr. 888 aufs neue bestätigt. Zu den von mir im Aufsatze Curatrix (Z. S. St. XXVIII, 305 fP. und XXIX, 474) gesammelten Stellen, wo uns Schwester und Tante als Vormünderinnen begegneten, hat Mitteis noch auf die (fQOVTiaTQia tov vIcüvov im verstümmelten Londoner Texte, Lond. III, 1164 a, 6 (212 n. C.) hingewiesen (Z. S. St. XXVIII, 383). Oxy. VI, 888 (3./4. Jhd.) ist der Beginn einer Eingabe an den Exegetes erhalten, die von zwei Geschwistern, entweder Bruder und Schwester oder zwei Schwestern, als den Vormündern der Kinder ihrer verstorbenen Schwester ausgeht. Z. 11 f.: TvyJ)VTEg Trig %]ride fiov lag Tc5v d(priXh/.wv ddeXfpidcov fifiwVy tsxvcov TTjg fiET7iklaxv\iag das Weitere ist zerstört. Wissen wir darum auch nicht, welchen Zweck das Ein- schreiten der Vormünder verfolgte, so ist doch der Papyrus auch noch in anderer Hinsicht sehr bemerkenswert. Dem Eingabenfragmente vorgestellt ist nämlich die Abschrift eines Statthalteredikts vom J. 287, das der Präfekt Flavius Valerius Pompeianus über die Notwendigkeit der Vormundsbestellung erlassen hat. Über die Kompetenz zur Vor- mundsbestellung sei hier nur auf den jüngst erschienenen Aufsatz von

^) Oder aTQa(Tr}yrioavzos), je nachdem wir Philonikos als vorübergehend verhinderten oder bereits dauernd von seinem Posten geschiedenen" Strategen ansehen wollen, jedenfalls ist der königliche Schreiber Hermodoros, an den sich die Klage richtet, zur Zeit sein Ver- treter. Grenfell-Hunt p. 222, lin. 1 und 26.

HWi.

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Mitteis (Z. S. St. XXIX, 390 fF., 396) verwiesen. Ich will micli hier auf eine terminologisch interessante Beobachtung beschränken, die indes schon in gewohnt feiner Weise Grenfell-Hunt (p. 205 zu lin. 3) angedeutet haben. An dieser Stelle des mitgeteilten Edikts ist die römische Unterscheidung des tutor impuberis und curator puberis minoris zwar vorhanden, aber keineswegs scharf ausgeprägt. Es begegnet bereits der für das gemeine Recht so fruchtbare Gedanke, daß doch beide Institute Vormundschaft bedeuten: jenen oQcpavols, die keine yiridefwveg haben, sollen die kompetenten Behörden rovg %a^ riXixlav xrjSefwvag bestellen, denn schwere Schäden haben sich daraus ergeben diä t6 fir) Ttagelvai rolg OQcpavolg eTtiTQOTCovg tjtol -/.ovQaTOQag. Die synonyme An- wendung von ol xad^ fiXimav Tcridefiöveg^^zsTtlTQOTtot rjTOt xovQocTOQeg ist nicht besser wiederzugeben, als es die Engländer tun: 'tutores or curatores as the case may be'. Die theoretische Trennung und doch praktische Zusammengehörigkeit beider Institute könnte aber auch nicht besser ins Licht gerückt sein.

Im Vormundschaftsrecht muß auch der merkwürdige VTtoyQa- cpevg Aurelius Dionysios Erwähnung finden, der im Mietvertrage Nr. 911 (a^ 233 oder 265) dem schwachsichtigen (dad-evl rag oifiig) Mieter Aurelius Theogenes zur Seite steht. Zwar handelt Dionysios nicht als Stellvertreter, sondern Theogenes selbst i^ier v7toyQaq)6wg, aber der Papyrus bemerkt dazu tov ovvxcoQrj&svTog avTto e/. t[ijöv] v7tO(.ivri^dTa)v Tr^g OTQaTYiyiag. Ein solcher amtlich bestellter vTcoyqacpevg ist uns bisher noch nicht begegnet. Auch wird sonst der hlo^Q' mcoyqaipevg eines Schreib- unkundigen nicht schon im Texte genannt, sondern erst in der Sub- skription erwähnt, die hier leider nicht erhalten ist. Auch der vTtoyqacpEvg eines Schreibunkundigen bekleidet gewiß nicht minder einen Vertrauens- posten als der eines Schwachsichtigen ; es wäre auffällig, wenn dort private Bestellung genügte, hier aber amtliche Bestellung einträte. Ich möchte darum einen Schritt weiter gehen als die Herausgeber, die (p. 263) an eine Stellung zwischen der eines curator mente captus und eines gewöhnlichen Unterschreibers denken, und möchte hier im VTtoyQacpevg den curator eines infirmus sehen. Ich erinnere dazu an Dig. Just. III, 1, 4, wo es im Anschluß an die vorbesprochenen Fälle der Kuratel für den mutus, surdus, prodigus und adulescens allgemein heißt: item quibus propter infirmitatem curatorem praetor dare solet. Blinde bekommen allerdings nach Eeichsrecht keinen Kurator, da sie sich selbst einen Prokurator ernennen können (Paul. Sent. IV, 2, 9), aber nach der ent- gegengesetzten Anschauung deutscher Rechtsbücher ist im gemeinen Recht die Zulässigkeit der Bestellung eines Kurators oder doch Beistands und Ratgebers für gewisse Geschäfte auf Verlangen des Blinden ent-

Wiener Eranos. 18

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standen (vgl. RudorfF, Eecht der Vormundscliaft I, 143). Einen solchen Fall scheint das im Vormundschaftsrechte überhaupt selbständige Wege wandelnde Volksrecht hier ausgebildet zu haben. Im //era-Handeln kann ein Hinweis darauf gelegen sein, daß der Kurator nicht als direkter Stellvertreter, sondern mit dem Iniirmus zusammen handelt, aber aus- geschlossen ist direkte Vertretung durch diese Terminologie so wenig als etwa Fir. 81, wo ein sechsjähriges Kind (.lETtt TtaxQog handelt.

Der schon oben genannte Kaufvertrag Nr. 909 ist noch in anderer Hinsicht als für das Vormundschaftsrecht von Interesse. Er bietet zunächst ein hübsches Beispiel der Abnahmepflicht des Käufers. Kauf- objekt sind Akazienbäume. Die Käufer verpflichten sich nun, die Bäume auszuheben und bis längstens zu einem festgesetzten Termine, wenn sie wollen auch früher, fortzuschaff'en. Die Planierung des Bodens sollen dann beide Parteien gemeinsam vornehmen. Zwar ist hier die Abnahmepflicht ausdrücklich in den Kaufvertrag aufgenommen, aber wir dürfen in unserem Falle darin wohl ein naturale negotii sehen und an Pomponius Dig. Just. XIX, 1, 9 erinnern: Si is qui lapides ex fundo emerit, tollere eos nolit, ex vendito agi cum eo potest, ut eos toUat. Allgemeines naturale negotii war ja bekanntlich im römischen Kauf- recht die Abnahmepflicht des Käufers noch nicht, aber in Fällen wie Oxy. 909 oder der zitierten Digestenstelle galt wohl das schon als Ausnahme des Falls, was später zur Regel (BGB § 433) wurde.

Schwieriger ist die Erklärung der im Papyrus namhaft gemachten Verwendung des Kaufpreises. Da heißt es von den 1200 Drachmen nicht, daß sie den Verkäufern bar ausgezahlt oder etwa auf ihr Bank- konto eingetragen wurden, sondern (Z. 200".): ai TtQooexcoQr^av dg Guvcovrjv TtvQOv /w^/j(j[a]vro5 VTceQ fieTQrjf^drcjv zfig :n:QO'/,[£L]f.avrig äiiTcslov xqovwv Koi.iööo[v^ also wohl, daß das Geld zum Ankauf von Weizen verwendet wurde, der Gegenstand einer noch aus den Zeiten des Commodus schuldigen Abgabe des nunmehrigen Weinlandes war. Es sollte also mit dem Kaufpreise ein Naturalsteuerrückstand angeschaflt und beglichen werden. Da von Weingartenland in Geld, von Weizenäckern in natura gesteuert wurde (Wilcken, Ostraka 199), so müssen wir eine Kultur- änderung des früheren Weizenlandes in den jetzigen Weingarten an- nehmen, wozu auch das ä^iTcehxoi) y,Tj^f.iaTog veocpvvov der Urkunde gut paßt. Eine Adaeration der schon seit mindestens 32 Jahren (Commodus regiert bis 193, wir stehen im 4. Jahre des Alexander, also 225) rück- ständigen Steuer hat nicht stattgefunden. Die Beitreibung der Steuer ist aber auch nicht vergessen worden. Daß das Geld nicht in die Hände der Verkäufer gekommen, darf wohl daraus mit ziemlicher Sicherheit erschlossen werden, weil es sonst unverständlich wäre, warum die nach-

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trägliche Verwendung des Geldes zur Begleichung von Steuerrlick- ständen in den Kaufvertrag aufgenommen würde. Aber auch, die Eventualität, daß die Käufer auf Wunsch der Verkäufer für diese die Anschaffung der dem Staate geschuldeten Kornsteuern übernommen hätten, ist ganz unwahrscheinlich. Warum sollte sich der Verkäufer in so komplizierter Form seiner Verbindlichkeit entledigen wollen? Viel eher möchte ich die Vermutung äußern, daß die Steuerbehörde die Kaufsumme in Beschlag genommen habe und folglich dem Käufer als Drittschuldner die Zahlung an den Verkäufer untersagt und etwa Zahlung an die Kornhändler aufgetragen worden sei, die dann ihrerseits das Korn dem Staate lieferten. Über die Kompetenzen für diese Beschlagnahme und deren Durchführung will ich mangels irgend welcher Anhalts- punkte keine müßigen Kombinationen aufstellen, aber daß die Beschlag- nahme einer. Forderung zulässig war, die dann zu einem der vertrags- mäßigen Zession verwandten Ergebnis (ZPO § 835 f. BGB § 408 Abs. 2, vgl. Dernburg, Bürgerl. Recht II, 1, 373) führte, unterliegt um so weniger einem Zweifel, als der Zessionsgedanke dem Papyrusrechte keineswegs fremd war (Studi giuridici in onore di Carlo Fadda vol. IV, p. 79 ss.). Nr. 914 (a^ 486) enthält ein formloses Versprechen, rückständige Kaufpreisforderungen im Betrage von zwei Goldsolidi im zweitnächsten Monate begleichen zu woUen. Man wird es trotz des abschließenden y,al STteQcoTT^d^Etg couoloyriaa nicht als novatorische Stipulation, Um- wandlung des kausalen Verpflichtungsgeschäftes in eine abstrakte Obligation betrachten, sondern in Anbetracht der rein fioskelhaften Beifügung der sogenannten Stipulationsklausel das Versprechen als constitutum debiti proprii, und zwar ohne novatorische Wirkung behandeln dürfen. Alle Erfordernisse eines solchen Konstitutes sind vorhanden: das bereits bestehende Schuldverhältnis, Geld als Objekt des Versprechens und Verpflichtung zur Zahlung bis zu einem bestimmten Termine (vgl.- Girard-Mayr, Geschichte und System des röm. R. 653 7).

Auf den Eid, mit dem der Schuldner dem Bürgen Rückendeckung verspricht, Nr. 904 (5. Jhd.) (Z. 3: ovrog yaq hr/ov ivw^ikcog ^loi Se- Scüxcog) sei als auf ein Zeichen niedergehenden Kredits verwiesen und schwindender normaler Sicherheit der Erfüllung rechtlicher Verbind- lichkeiten. Der Eid soll da eine Garantie ersetzen, die bei gesunden Rechtszuständen das Versprechen als solches bietet.

Von mehr als gewöhnlichem Interesse ist das Dokument Kr. 903 (4. Jhd.), worin die Frau in langer und eindringlicher Klage alle Unbill aufzählt, die ihr von ihrem Manne geschehen und dieser war, wenn nur ein Teil des Erzählten wahr gewesen, wirklich kein angenehmer Eheherr. Alle Hausangehörigen leiden unter seiner

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Grewalttätigkeit. Neben Einschränkung der persönlichen Freiheit und Körperverletzung nehmen die Injurien einen breiten Raum in der Klage ein, die darin lagen, daß er der Frau die Schlüssel versteckte, daß er den Dienstboten mehr traute als ihr, daß er sie, als sie vom Kirchgang heimkam, hinaussperrte und sie mit der höhnischen Frage begrüßte: ölo. tL aTcriXd^aq eig rb ytvQiaKÖv^ was sie denn in der Kirche zu suchen habe? Schließlich hat er sie mit ehelicher Untreue bedroht. Er kündigt ihr einen nahen Termin an, bis zu welchem er sich eine TtohrLyir] nehmen werde. Die merkwürdige Bedeutung des Wortes, das hier im Sinne von tcoqvt] steht, haben die Herausgeber hervorgehoben (p, 241 zu lin. 37). Die Klage schließt mit den Worten: Gott ist mein Zeuge (ravza di olöev 6 d-(£Ögj). Die Frau erzählt, daß schon einmal ein Versöhnungsversuch gemacht worden war, und es ist für den Hechtshistoriker von besonderem Interesse, daß dieser Versuch ,,vor den Bischöfen und den Brüdern des Manns" stattgefunden hat und mit dem eidlichen Versprechen des Mannes zu künftigem besseren Betragen endete einem Versprechen allerdings, dessen Wirkung nicht lange vorhielt (Z. 15: xort wfxoGev eitl TtaQovali^ tmv STCiaytuTtcov xal zcov äSeX(p6)v avTov). Nicht sicher ist es darum zwar, aber doch sehr naheliegend, daß auch dieser Notschrei der Frau sich an ein geistliches Gericht wendet. Die Injurie ob des Kirchgangs und der angedrohte Bruch der ehelichen Treue müssen vor diesem in besonderem Maße wirken. Auf jeden Fall, auch wenn wir nur den Versöhnungs versuch vor dem bischöflichen Forum daß mehr als ein Bischof fVcDr sTttayiOTrojv) gegenwärtig ist, mag besonders bemerkt sein in Betracht ziehen^ ist dieses Dokument kirchlicher Ehegerichtsbarkeit von besonderem Werte. Einen anderen Fall bischöflicher Gerichtsbarkeit hat uns Lips. 43 (ebenfalls 4. Jhd.) kennen gelehrt. S. Mitteis zum Papyrus und meine Besprechung Gott. Gel. Anz. 1907, 309 f.

Es sind nur einige Miszellen, die ich anführte. Aber würden uns die Urkunden nicht jetzt in so verschwenderischem Maße in den Schoß geworfen, wir würden jedes einzelne Dokument mehr beachten und höher einschätzen als jetzt, da uns die Fülle verschwenderisch auch in der Verwertung macht. Aber wir müssen uns darum das undankbar scheinende Geschäft nicht verdrießen lassen, alle, auch die kleinsten Splitter zu sammeln und mit philologischer Akribie an- einander zu passen. Und zu solcher Detailarbeit geben die Tage neuen Mut, an denen alle Arbeiter beisammen stehen und die Blicke aufs große und fertige Werk der Zukunft gerichtet sind.

Der Amtstitel der städtischen Quaestoren.

Von STEPHAN BRASSLOFF.

Die städtischen Quästoren führen seit der Einsetzung der Provinzial- quästur den Amtstitel quaestor urbanus. Die Determination urhanus, die der ursprünglichen Amtsbezeichnung hinzugefügt wird, enthält einen Hinweis auf die rechtliche Verpflichtung dieses Magistrats, die Stadt während der Amtsdauer nicht zu verlassen, i) Inwiefern nun der Inschriftenstil die neuere Titulatur akzeptiert hat, ist bisher von den Epigraphikern nicht erwogen worden. Allgemein wird, wie die Ergän- zungen fragmentierter Inschriften zeigen 2) , angenommen, daß seit der Einsetzung von Provinzialquästoren die Amtsbezeichnungen quaestor und quaestor urbanus in allen Gattungen von Inschriften promiscue gebraucht wurden. Diese Annahme ist aber, wie im folgenden nach- gewiesen werden soll, grundfalsch. Es muß unterschieden werden zwischen Urkunden (Gesetzen) und Inschriften, welche den cursus honorum nicht enthalten, einerseits und Inschriften mit vollständiger Wiedergabe der Ämterlaufbahn anderseits.

I. In den Gesetzesurkunden begegnet der vollere Amtstitel nach- weislich schon im zweiten Jahrhundert v. Chr.; in der lex Bantia^ welche dieser Zeit zuzuweisen ist, wechseln die Bezeichnungen q(uaestor) und q(uaestor) urb(anus)^). Beispiele aus dem ersten vorchristlichen

^) Mommsen, Eöm. Staatsrecht, II, p. 535.

^) Vgl. z. B. die dem späteren Kaiser Nerva gesetzte Ehreninschrift CIL XI 5743, wo gewöhnlich [quaestor] urb (anus) ergänzt wird. Diese Lesung ist, wie ich anderwärts (Hermes XXXIX, p. 641) gezeigt habe, verfehlt, da Nerva als Patrizier quaestor principis gewesen sein muß. Es ist statt [quaestor] urb. vielmehr [praef] urb. zu ergänzen.

^) cap. 2 u. 3 (CIL I n. 197 = Bruns, fontes p. 48).

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Jahrhundert bieten die lex Cornelia de viginti quaestoribus^) und die sog. lex Julia iminicipalis^).

II. Es ist meines Erachtens auch nicht zu bestreiten, daß der Amts- titel quaestor urhanus schon im ersten Jahrhundert v. Chr. in Dedika- tionen, die den cursus honorum nicht enthalten, angewendet mrd. Ein Zeugnis dafür ist in einer Inschrift aus Tibur erhalten (CIL I 636): M. Acilio Canino \ q. urb. \ 7iegotiatores ex area Saturni \ . Die Dedikanten sind Kaufleute, welche ihre Buden auf dem zum aerarium Saturni gehörigen Grundstück aufgestellt haben; daß die Widmung gerade an den quaestor urbanus erfolgt, erklärt sich daraus, daß er der Ressort- beamie ist, welchem die Lokation der Verkaufsplätze obliegt. Diese Inschrift muß vor dem Jahre 28 v. Chr. gesetzt sein, weil damals den städtischen Quästoren die Kassaverwaltung entzogen ^oirde. Zu demselben zeitlichen Ansatz führt auch die Betrachtung des Schriftcharakters ^j.

IIL Ganz anders verhält es sich dagegen mit den Ehreninschriften, w^elche den vollen cursus honorum von Männern aus dem Senatoren- stande bieten. Hier wird in der Republik und in der Kaiserzeit bis auf Hadrian der städtische Quästor niemals als q(uaestor) urb(anus) , sondern immer nur einfach als q(uaestor) bezeichnet. Erst unter diesem Kaiser kommt die erwähnte Determination bei Wiedergabe der vollständigen Ämterlaufbahn auf. Daneben erhält sich die ältere Bezeichnung; neben q(uaestor) urb(anus) wird auch jetzt vielfach q(uaestor) ohne Distinktiv gebraucht. Den Beweis für diese Behauptung ergeben die nachfolgenden chronologischen Übersichten.*)

^) CIL I n 202 = Bruns 1. c. p. 91.

2) In dem Abschnitt über die Instandhaltung der Straßen CIL I 206 ; Z. 35 ; 46, 48. = Bruns 1. c. p. 104.)

^) In der Kaiserzeit gehören gewisse Lokationen allerdings zur Kompetenz der städtischen Quästoren. Eine Notiz über die Verdingung der Instandhaltung der Tempel durch die städtischen Quästoren weist darauf hin , daß die letzteren noch später in Verwaltungsgeschäften tätig waren; ob diese Befugnis den Quästoren einfach verblieben oder ihre Kompetenz später erweitert worden ist, ist nicht mit Sicherheit festzustellen. Übrigens kommt noch in Betracht, daß, wenn auch den städtischen Quästoren die Vorstandschaft des aerarium Saturni gleich bei Beginn des Prinzipates entzogen wurde, dieses Amt nicht zu einem rein titularen herab- gesunken ist. Im Jahre 11 v. Chr. ist den quaestores urbani die Aufbewahrung der senatus consulta, welche ihnen bis dahin gemeinsam mit den plebeischen Ädilen zustand, mit Ausschluß der letzteren übertragen worden. „Demnach muß" , wie Mommsen mit Eecht betont, „bei Einsetzung der neuen Vorsteher der Gemeindekasse derjenige Teil des Archivs, der sich nicht auf das Eechnungswesen der Gemeinde bezog, als selbständige Kompetenz den bis- herigen VerAvaltem des aerarium überlassen worden sein" (vgl. Eöm. Staatsrecht II, p. 427 n. 2 und p. 560) ; der Schriftcharakter der obigen Inschrift (vgl. Eitschel, prisc. lat. mon.) weist aber unbedingt auf die republikanische Periode als ihre Entstehungszeit hin.

^) Berücksichtigt sind nur die datierbaren Inschriften; über die Folgerung für die nicht datierbaren s. unten.

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A, Der Amtstitel quaestor findet sich in Ehreninschriften:

1. der Republik (Ende der Republik) : CIL VI 1460 ±= CIL XIV 2264; CIL X 6082;

2. der augusteischen Zeit: CU. I 640 = CIL VI 1323; CIL V 862; VI 1364b; add. 31705; IX 2845; X 3851, 3852, 5060;

3. der Zeit des Tiberius: CIL V 4348; VI 91; 1376; IX 5645; XIV 3598; 3602; Xotizie degli scavi 1896 p. 468;

4. der Zeit nach Tiberius: CIL V 2823;

5. der Zeit des Claudius: CIL VI 31661; CIL XI 1835;

6. der Zeit des Claudius oder seines Nachfolgers: CIL VI 1440;

7. der Zeit Neros: CIL V 531;

8. der Zeit vor Vespasian: CII^ VI 31706;

9. der Zeit Domitians : CIL XII 670;

10. der Zeit Trajans: CIL III 1463; X 6321; V 7153;

11. der Zeit Trajans oder seiner Vorgänger: CIL VI 1466;

12. der Zeit des Antoninus Pius: CIL VII 270 = 11451; VIII 7044; IX 2457;

13. der Zeit Marc Aureis: CIL XI 1433; XIV 4244; Ephem. epigr. IV 823 = CIL VI 31717;

14. der Zeit des Marc Aurel und L. Verus: Revue crit. 1893, p. 156;

15. der Zeit des Commodus: CIL VI 1343;

16. aus dem Ende des 2. oder Anfang des 3. Jahrhunderts : CIL 11 5506 ; in 52; add. p. 908;

17. dem Anfang des 3. Jahrhunderts: Cn. III 10471—73; XIV 3586;

18. der Zeit nach Aurelian: CIL X 1706.

B. Der Amtstitel quaestor urbanus ist aufgenommen in Inschriften :

1. der Zeit Hadrians: CIL III 10336: V 5813 (dazu XI 14); VI 1550 = XIV 155; VIII 6706; XII 4345; XIV 2925;

2. der Zeit Hadrians oder seiner Nachfolger: CIL II 4110;

3. der Zeit nach Hadrian: CIL III 1458;

4. der Zeit des Antoninus Pius: CIL VI 31746 ; XI 3364;

5. der Zeit nach Antoninus Pius: CIL X 4750;

6. der Zeit vor M. Aurel (Hadrian oder Antoninus Pius): CIL II 1929; in 1455 = 7972;

7. der Zeit M. Aureis: CIL III 1457;

8. derzeit des M. Aurel und L. Verus: CIL X 3722;

9. der Zeit M. Aureis oder seiner Nachfolger: CIL VI 1431; 1455 (dazu 1456); VHI 18907 (dazu 18908); IX 3667;

10. der Zeit Commodus: CIL VI 1450; VIII 2582; 2744; 2745;

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11. der Zeit Caracallas und Elagabals: CIL IX 2213;

12. der Zeit nach Caracalla : CIL XII 3163;

13. aus dem Ende des dritten Jahrhunderts: CIL YI 1338.

IV. Zweifel können über den bei den Elogien (mit cursus honorum) aus republikanischer Zeit resp. den Anfängen der Kaiserzeit herrschen- den Brauch bestehen. Die in ihnen Geehrten werden gewöhnlich in vollem Einklang mit der für die Ehreninschriften nachgewiesenen Regel einfach q(uaestor) genannt. Eine Ausnahme bildet das Elogium des Ahnherrn der gens Claudia^ Ap. Claudius Sahinus , des bekannten Volksfeindes aus der Zeit der ersten secessio plebis (CIL I, p. 281), welches uns inschriftlich im Codex Redianus f. 26 erhalten ist^). Hier wird der Geehrte , dessen cursus honorum angegeben wird , als q. urh. bezeichnet. Es ist nun gewiß nicht als ausgeschlossen zu betrachten, daß das Denkmal erst nachhadrianischer Zeit angehört; wissen wir doch, daß noch im dritten Jahrhundert das Praenomen Appius in der gens Claudia festgehalten wurde, das vom Namen des Ahnherrn abge- leitete Cognomen Sahinella bei den Angehörigen der claudischen Familie in Brauch war und auf die fiktive Abstammung von Appius Claudius großes Gewicht gelegt wurde 2). Darum wäre es ja immerhin möglich, daß in späterer Zeit ein Kaiser oder ein Privatmann in einem von ihm gestifteten Tempel oder in einem Privathause ein Elogium des Ahnherrn des claudischen Geschlechtes anbringen ließ. Aber es würde

^) Äp. Claudius \ q. urb. \ cos. cum P. \ Servilio Prisco. Das dem Stammvater der gens Claudia gesetzte Elogium enthält also lediglich die Angabe des cursus honorum; es entspricht ganz der Form, welche die Elogien in ihren Anfängen aufweisen, wo sie den im atrium des Hauses aufgestellten imagines beigesetzt wurden. Der Taten des Mannes, über welche die Historiker der Kaiserzeit so viel zu berichten wissen, wird hier kaum Erwähnung getan. Der Name besteht hier nur aus Pränomen und Gentilnamen, Die Filiation ist nicht angegeben, und zwar aus dem Grunde, weil Appius Claudius erst im Jahre 504 v. Chr. aus Eegillum nach Rom einwanderte und dort das Bürgerrecht erwarb, also einen Nichtbürger zum Vater hatte. Von den Ämtern, die er bekleidet hat, werden das Konsulat und die Quästur erwähnt; daß er das Konsulat im Jahre 495 v. Chr. gemeinsam mit P. Servilius Priscus bekleidete, stimmt mit den übrigen Nachrichten über ihn überein; dagegen wird sonst nirgends berichtet, daß er Quästor war. Durch diese Angabe, durch die das Elogium von der literarischen Überlieferung abweicht, ist uns keineswegs eine wirklich historische Nachricht gegeben. Die Quästur ist offenbar nur deswegen aufgenommen worden, weü der Verfasser einen cursus honorum nach den der alten Zeit entsprechenden Verhält- nissen geben wollte, damals aber neben Konsulat nur die Quästur als ordentliche Magistratur bestanden hat. Indes entspricht die Fassung der Inschrift nicht ganz den zur Zeit des Claudius geltenden Ämterbezeichnungen. Im dritten Jahrhundert d. St. gab es ja nur einen Quästor. Die Determination urbanus hatte erst Sinn, als später die Provinzialqästoren ein- gesetzt wurden. Das Elogium ist also von einem Halbgebildeten verfaßt worden, eine Tat- sache, die auch sonst in der Stilisierung anderer Denkmäler dieser Gattung zutage tritt. (Siehe die Erläuterung im C. I. L.

2) cf/Groagin Pauly-Wissowas RE III 2900 n. 438.

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auch gar nicht, wie besonders betont werden soll, gegen die von uns aufgestellte Regel verstoßen , wenn das Denkmal mit Sicherheit der augusteischen Periode zuzuweisen wäre. Die Elogien sind eben nicht in jeder Hinsicht den Ehreninschriften gleichzustellen, sondern nehmen eine Mittelstellung zwischen diesen und den literarisch-historischen Dokumenten ein; sie beziehen sich nämlich nicht auf die Gegenwart und jüngste Vergangenheit, sondern auf Personen der Vorzeit, und auch in ihrer einfachsten Form, wo sie lediglich die Ämterlaufbahn enthalten, unterscheiden sie sich stilistisch von den übrigen Inschriften, indem sie den Namen des Geehrten im Nominativ, nicht im Dativ angeben 1). Wenn ich nun auch, soweit der Amtstitel der städtischen Quästoren in Betracht kommt, der Ansicht bin, daß die Elogien sich nicht durchgehends der Regel der Ehreninschriften angeschlossen haben dürften, so geschieht es hauptsächlich mit Rücksicht auf meine Beob- achtungen über die Amtsbezeichnung des Stadtprätors in den römischen Inschriften.

Für den Stadtprätor besteht seit Errichtung des Amtes , ebenso wie für den städtischen Quästor, die Verpflichtung, die Stadt Rom während des Amtsjahres nicht zu verlassen; die Bindung an den Amtssitz kommt in dem Determinativ urbanus zum Ausdruck 2). Was nun die Verwendung dieses Beisatzes in den Inschriften anlangt, so muß auch hier ein Unterschied zwischen Urkunden und Ehreninschriften mit cursus honorum gemacht werden. Während er, soweit die Urkunden (Gesetze, Senatuskonsulte) in Betracht kommen, bereits in republikanischer Zeit begegnet 3), läJßt er sich in Ehreninschriften, welche einen cursus honorum enthalten, erst seit Hadrian nachweisen •^). Die Elogien folgen, wie die berühmte Inschrift vom Grabmal der Plautier ^) zeigt , dem Brauche der Urkunden.

Durch den hier konstatierten Gegensatz von Urkunde und Ehren- inschrift gewinnen wir ein neues Hilfsmittel für die (annähernde) chronologische Fixierung bisher undatierbarer Inschriften ^). Zu seiner

^) S. Hirschfeld in Philolog. XXXIV, p. 85ff; Peter, GeschichÜiche Literatur über die römische Kaiserzeit, I, p. 263. Premerstein in Pauly-Wissowas EE V 2440 ff.

'') Mommsen a. a. 0. II, p. 194 ff.

') sog. lex Jul. munic. Z. 8, 11; SC de Bacch. (ex 176 v. Chr.) CIL I 196 (= CIL X 104 = Bruns 1. c. p. 160), Z. 8. Ebenso in den Arvalakten.

1^) Vgl.z.B. CIL V4341; VI 313, 314a, 314c, 316, 317, 318, 319, 332, 760, 1408, 1409, 3146; 31740; VIII 7059; X 3723, 4950, 7581, 8291; XIV 3586; Kev. arch. 1898 p. 442 n. 111.

5) CIL XIV 3608. S. auch das elogium in Eev. arch. 1907 p. 351 n. 18.

«) CIL II 3661, 3838, 4120; VI 1361, 1463; Vm 5179; IX 973; XI 5670.

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Erklärung möchte ich noch auf eine bekannte Analogie in der Ver- wendung der Ehrenbezeichnung vir clarissimus hinweisen. Diese ist be- kanntlich unter den Kaisern M. Aurel und L. Verus dem Senator titular beigelegt worden und wird fortan von den Angehörigen sena- torischer Familien hinter dem Eigennamen in fester Abkürzung geführt. Während nun die Hervorhebung des Clarissimates in den eigentlichen Urkunden bereits im ersten Jahrhundert n. Chr. nachweisbar ist, hat sie sich in den Ehreninschriften erst in der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts eingebürgert^).

Der oben fixierte Zeitpunkt, in welchem der Beisatz urbanus zam Amtstitel des städtischen Quästors und Stadtprätors allgemeine An- wendung findet, fällt ungefähr mit jenem zusammen, in welchem der Beisatz candidatus (ohne Cacsaris) einen Teil des Amtstitels zu bilden beginnt 2) und auch sonst, wie z. B. bei den curatores ab actis, Änderungen in der Amtsbezeichnung eingeführt werden 3).

^) Mommsen, a. a. 0. III, p. 471.

2) Brassloff, Wiener Studien XXII, p. 149.

") Auch der Beisatz ,j>eregrinus' im Amtstitel des Fremdenprätors kommt, soweit ich sehe, in Inschriften mit cursus honorum erst in der zweiten Periode vor. (CIL II 1283 j 1371; Vm 270; XIV 2509.) Anders die Arvalakten.

Ein Beitrag zu den Münzen von Grimenothyrae-

Phrygiae.

Von JOSEF SCHOLZ.

Grimenothyrae war eine kleine Stadt zmschen Themenothyrae (Ushak) und Keramon Agora am oberen Sindrus bei Akmonea. Ptolemaeus erwähnt dieselbe im Text als Trimenothyrae. B. Y. Head hält noch dafür, daß sie auch Trajanopolis genannt wurde, doch F. Imhoof- Blumer hat nachgewiesen, daß es zwei verschiedene Städte waren (Fest- schrift für 0. Benndorf, S. 204), letztere vier Meilen südlich von ersterer. Die Münzung Grimenothyraes setzt spät ein, seit Domitian, und reicht bis Gordianus, es erscheinen autonome und kaiserliche Münzen, in der Regel mit rPIMENOQYPEÜ.N im Eeverse. Die autonomen Münzen haben an der Vorderseite öfter die Legende JHMOC, lEFA CYN- KAHTOC, selten lEPA BOY^II, letztere nur von J. N. Svoronos erwähnt in B. V. Head y^ hToqia tcov vofxiGfxaTtov" Tofi, B' S. 216, doch nicht beschrieben, und in meiner Sammlung. Von Magistraten kommen vor : ^PXQN undi rEAMM^TEY^, Magistratsnamen werden ver- zeichnet: Eni: A. TYAAl, M. TYAAI, A. TYAAIOY, A. TYAA.HE ACKAIiniAJ(OY)An., ACKAHniAJOYAnO, und ACKAHIIIA- JOYAJJOAA. Von Typen erscheinen: Men, Pallas, Hermes, Kybele, Zeus Laodikeos, Asklepios und Hygieia, Amazone reitend, und andere. Es wird nur Bronze geprägt. In der Numismatik tritt der Name spät auf, Eckhel kennt ihn noch nicht, Mionnet führt ihn schon an, dann folgt Waddington , das britische Museum , Imhoof-Blumer usw., doch ist die Zahl der beschriebenen Münzen sehr gering. Babelon, Inventaire sommaire de la coUection Waddington No 6047 6058, bringt 11 Stück, der Kat. des brit. Museums 12 Stück, die bis auf zwei die Stücke Waddingtons wiederholen, dann einzelne bei anderen, so F. Imhoof-Blumer „Kleinasiatische Münzen*', I, S. 232, ein neues Stück, das dann auch im Kat. des brit. Mus. S. 223, Nr. 10 erscheint.

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Ich bin nun in der Lage, aus meiner Sammlung vier Stücke bei- zutragen, \Yelche in den genannten Verzeichnissen nicht beschrieben sind. Sie sind einer größeren Arbeit entnommen , welche demnächst in der numismatischen Zeitschrift erscheinen soll.

1. Br. 20 mm, ö'OO ^, Av. E. oben: EIII-S-TYyl. Zeuskopf r., vor demselben Adler. Rev.R. oben: FPIMENO- eYPEQN, Pallas stehend r., in der E,. Lanze, die L. auf den Schild zu Füßen gestützt.

Die kürzeste Avers-Legende, bisher nicht angeführt.

2. Br. 26 mm. 10' 10 6^. Av.R. unten: lEEA BOYAH. Jugend- liches Brustbild r. Rev. R. unten: ^CEHO (litteris fugientibus), ^noC^PH^-TPIMENOQYPOY, Zeus mit bloßem Oberkörper sitzend 1., in der R. Patera, in der L. Stab.

Zu bemerken ist die Vorderseite ; auf der Rückseite, von der undeut- lichen ersten Hälfte der Legende abgesehen, die deutliche Bezeichnung X PIMENOQYP und die Endung: OY. Das T am Beginne und der Genetiv am Ende nicht bekannt.

3. Br. 19 mm. 3-50 g. Av. R. unten: . . . (^VTJ C^IC^P lOY .OYH . MAXIMOC, Brustbild mit Lorbeer und Panzer r. Rev. R. oben: EPIMENO- QYPE[0^ , Pallas stehend 1., in der R. Patera, in der L. Lanze. Maximus caesar? nicht erwähnt, barbarische Prägung.

4. Br. 33 mm. 17'50 g. Av. R. unten: AVTKAIM AVP ^NTQNEINO-C, Kopf mit Lorbeer r., Rev. R. unten : TP^IANO- nOAEITQN ... ME im Felde 1. NOQY, im Felde r. PECIN. Men stehend 1., in der R. Pinienzapfen, in der L.Lanze. Im Felde r.oben : Kopf 1.

Von Caracalla ist eine Münze nicht beschrieben. Zu bemerken ist die Legende des Reverses, welche die Namen beider Städte bringt, was also wohl die Verschiedenheit beider und damit die Ausführungen Imhoof-Blumers in der Festschrift für 0. Benndorf bestätigen dürfte.

Der Knäuel Ariadnes.

Von LUDWIG RADERMACHER.

Vinzenz Zingerle hat in Wolfs Zeitschrift für deutsche Mythologie und Sittenkunde, 2. Bd., S. 59 unter Nr. 16, folgende Tiroler Sage mit- geteilt: ,.Den Namen Salgfräulein hatten mehrere wilde Fräulein von ihrem Aufenthaltsorte. Sie wurden nämlich so genannt, weil sie in der „gross gond" auf der Salg, einem erhöhten Platze zwischen Gnaun und Alund, der teils mit Bäumen besetzt, teils öde ist, hausen. Diese Fräulein waren gar schön und führten ein heiteres, emsiges Leben. Sie konnten so schön singen, daß noch heutzutage das Sprichwort lebt: Du singst so schön wie ein Salgfräulein. Ein Bauer aus Gnaun hörte sie einmal singen und war von ihrem schönen Gesänge so berückt, daß er jeden Abend sich vom Hause wegstahl und dem Salg zuwanderte. Da faßte sein Weib Mißtrauen und wollte seinen Schlichen auf die Spur kommen. Deshalb schob sie ihm eines Abends einen Zwirnknäuel in die Jacken- tasche und behielt davon das Ende zurück. Dann folgte sie dem leitenden Faden und fand ihren Mann auf der Salg, wo sie ihm die bittersten Vorwürfe machte und den Fräulein fluchte. Seitdem ließen sich die Fräulein nicht mehr hören."

Es ist vielleicht der Mühe wert zu untersuchen, in welchem Ver- hältnis diese Erzählung zu der bekannten altgriechischen vom Knäuel der Ariadne steht, mit dessen Hilfe Theseus den Weg aus dem La- byrinth zurückfand, nachdem er den Minotaurus erschlagen hatte. Ohne weiteres springt in die Augen, daß beide Geschichten völlig voneinander verschieden sind bis auf den einen Punkt, daß ein Garnknäuel dazu dienen muß, einen Weg zu kennzeichnen. Trotzdem ist die Möglichkeit einer Reminiszenz nicht ausgeschlossen. Aber wenn dem auch so sein sollte, so erkennen wir doch schon jetzt, daß der Faden als Wegweiser innerhalb volkstümlicher Erzählung durchaus ein natürliches Element

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sein kann; sonst würde die Tiroler Sage ihn wohl verschmäht haben. Denn daß ihr noch andere Möglichkeiten zur Verfügung standen, werden wir gleich sehen. Es bedarf also unseres Erachtens keiner künstlichen Erklärung für die Ariadnelegende. Miß Jane Ellen Harrisoni) nämlich hat die Vermutung geäußert, der Knäuel sei ursprünglich eine dekorative Spirale auf Kunstdarstellungen gewesen. Sehr viel plausibler als dieser seltsame Einfall ist eine Bemerkung von Hermann Diels^). Er verweist auf deji Strick, mittelst dessen Tanzende nach antiken Nachrichten viel- fach die Verbindung des Reigens unterhalten haben, und weiter auf eine Überlieferung der Iliasscholien^) , wonach Theseus und seine Ge- nossen nach ihrem Entkommen aus dem Labyrinth das Abenteuer noch einmal in mimischem Tanz dargestellt haben sollen; ferner soll nach Plutarch*) ein Rundtanz auf Delos, der in seinen Verschlingungen die Labyrinthfahrt imitierte, von Theseus begründet worden sein. Wenn wir bestimmt wüßten, daß bei diesen Tänzen Stricke zur Verbindung der Reihe verwendet wurden, würde die Vermutung wohl manchen be- stechen; wir erfahren freilich durch ein uraltes Zeugnis^), daß wenigstens bei dem kretischen Tanz, „wie ihn einst zu Knosos Daidalos der lockigen Ariadne darbrachte*', die Aufführenden sich vielmehr bei den Händen hielten. In jedem Falle würde auch hier eine mißverständliche Über- tragung vorliegen, da der Strick^) für den Tänzer etwas anderes be- deutet als der Faden für den Heros, der aus dem Labyrinth zu ent- kommen trachtet. Von einem Strick bis zum Begriff des Knäuels ist erst recht ein weiter Weg. Wir wollen der Andeutung, die wir anfangs erhalten haben, weiter folgen und sehen, zu welchem Ziele sie uns führt. Ich hole dabei etwas weiter aus und verweise zunächst auf ein Märchen aus Malta bei Stumme, Maltesische Märchen, Nr. I; es trägt Züge, die uns wohl vertraut sind. Ein Holzhacker, der sehr arm ist, beschließt, sich seiner zehn Kinder zu entledigen, zumal eine große Hungersnot ausgebrochen war, und so kommt er mit seiner Frau überein, die Jungen in den Wald zu schaffen, damit sie dort verloren gingen. Aber der Jüngste, Kugelchen genannt, hatte bei der Verabredung ge-

*) Mythologj'^ and Monuments of ancient Athens CXXV.

'^) Bei Pallat, De fabula Aiiadnaea, S. 5.

^) PaUat a. 0. S. 4.

*) Vita Thesei 16.

'") llias 2 590 if.

^) Der technisclie Ausdruck ist QVfAÖg und lateinisch restis. Vgl. die Zeugnisse bei Pallat S. 5 f. Übrigens bedeutet QVfiög , wie mich Kollege Wilhelm belehrt, wahrscheinlich nicht Strick, . sondern ein Holz; s. Bull, de corr. hell. 1907, S. 55 und Crönert, Jahresh. des österr. Inst. XI (1908), Beiblatt S. 189.

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lauscht, begab sich früh' am Tage an das Gestade des Meeres, füllte seine Taschen mit kleinen Kieselsteinen und kehrte meder heim. Beim Wege durch den Wald laßt er einen Kiesel nach dem andern fallen und führt dann auf der so bezeichneten Straße die Brüder glücklich nach Hause zurück ; dort werden sie von den Eltern, denen der Arbeit- geber inzwischen eine größere Geldsumme als Lohn ausgezahlt hatte, mit Freuden empfangen. Als das Geld später ausgegeben war und die Not A^ieder kam, machen die Eltern einen zweiten Versuch, sich ihrer Kinder zu entledigen ; Kugelchen, der verhindert wird, sich Steinchen zu verschaffen, steckt Brot Stückchen ein und streut sie unterwegs aus, aber Vögel kommen und verzehren die Krümchen ; so wissen die Kinder den Rückweg nicht zu finden, irren im Walde umher und kommen zum Hause eines Zauberers und Menschenfressers. Ich brauche den Inhalt der Erzählung nicht weiter anzugeben ; es ist klar, daß wir eine nah verwandte Fassung unseres Märchens von Hansel und Gretel vor uns haben und uns im Fahrwasser des weitverbreiteten Däumlingmärchens befinden. Für unsere Zwecke kommt nur der erste i^bschnitt, der von der glücklichen Rettung der Kinder aus dem Walde handelt, in Betracht ; er weist Züge auf, die immerhin einen Vergleich mit der Theseuslegende gestatten. Es würde meines Erachtens nicht den Kern der Sache treffen, wollte man sich darauf versteifen, daß statt des Labyrinthes ein Wald, statt des Fadens eine durch Kieselsteine hergestellte Verbindung er- scheint; im Gegenteil halten wir diese Abweichungen für wichtig, weil sie die Unabhängigkeit der beiden Geschichten verbürgen. Eine Übereinstimmung aber besteht tatsächlich in der Idee, insofern als jemand sich frühzeitig eines Mittels versichert, um aus einer Gegend, in der er sich sonst verirren müßte, durch geschickte Bezeichnung des Weges \\"ieder zu entkommen. Auch ein Gegenstück zum Minotaurus fehlt zuletzt nicht, da ja in dem Walde, aus dem die 10 Jungen keinen Ausweg finden, ein Menschenfresser wohnt. Man wird freilich nicht vergessen dürfen, daß der Minosstier gegenüber einem „Menschenfresser" ebensosehr reale Persönlichkeit ist, wie Theseus gegenüber einem namen- losen Däumling. Immerhin^ läßt sich aus den bisher gemachten Fest- stellungen ein Schluß ziehen, so wäre es der, daß die Theseussage echte und charakteristische Züge volkstümlicher Erzählungskunst trägt. Die Zahl der Parallelen ist indessen noch nicht erschöpft. Ich will die mir bekannten zunächst vorlegen, indem ich die wichtigsten bis zum Schluß aufspare. Eine Sage bei Bartsch, Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg I, N. 344, berichtet von einem Räuber, der auf dem Kellerberge bei Wismar hauste. Er hatte viele Höhlen in diesem Berge, die alle miteinander in Verbindung standen und viele,

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so geschickt angelegte Ein- und Ausgänge hatten, daß der Räuber allen Verfolgungen stets glücklich entging. Eines Tages verschwindet ein Bauernmädchen aus der Gegend und schon sind einige Jahre ver- flossen, da taucht die Verlorene plötzlich zu Grevesmühlen auf dem Jahrmarkt wieder auf. Man bestürmt sie mit Fragen, endlich versteht sich das Mädchen, das geschworen hatte, sein Geschick keinem Menschen zu enthüllen, auf den Rat eines Verwandten dazu, dem Ofen zu er- zählen, der Räuber habe sie in dem Berge am Tressower See gefangen gehalten. Man gibt der Gefangenen Erbsen und heißt sie, dieselben auf ihrem Rückwege ausstreuen. Eine Anzahl Bewaifneter folgt der Spur und dringt so in den Berg ein. Wesentlich verschieden ist das Märchen vom Räuberbräutigam (Grimm, Nr. 40), von dem ich eine Variante verzeichne, die Schulenburg, Wendische Volkssagen, S.5, Anm. 1, mitteilt. Danach verlockt ein Räuberhauptmann Ragazki als Freier eine junge Gräfin in den Wald. Hingestreuten Erbsen folgend, gelangt sie durch eine Eiche in die Räuber wohnung, findet dort den Finger eines anderen Opfers und entkommt glücklich in das Schloß ihres Vaters. Es ist wichtig festzustellen ^ daß eine Gruppe von nächst verwandten Märchen das Motiv des Erbsenstreuens nicht kennt ^) ; ähnlich liegt die Sache in einem zweiten Falle, den ich zu behandeln habe. Von dem Zauberer Virgilius erzählt eine mittelalterliche Sage, wie er eine schöne Sultanstochter, um ihre Liebe zu genießen, nachts heimlich durch die Luft entführte, bis ihr Vater ihn durch eine List fing; dem Gericht entgeht er wiederum, indem er den König und seine Leute durch seine Zauberkunst bindet und über eine Luftbrücke mit der Prinzessin ent- flieht 2). Einen eigenartigen Reflex dieser Geschichte hat Simon Grünau in seiner Chronik verzeichnet (XVIII, bei Tettau und Temme, Die Volks- sagen Ostpreußens, Litthauens und Westpreußens Nr. 122, S. 127 fl".). Unter dem Regimente des neunundzwangzigsten Hochmeisters Heinrich Reuß von Plauen, so heißt es dort, lebte in einem Städtchen Preußens ein Schulmeister, welcher der schwarzen Kunst kundig war. Durch diese bewirkt er, daß des Bürgermeisters Tochter, für die er in Liebe entbrannt war, ihm von Geistern jede Nacht zugeführt wurde. Die Eltern, die das Verschwinden des Mägdleins bemerkten, verfallen zuletzt auf den Gedanken, der Tochter einen Knäuel mitzugeben; den läßt

*) Gesammelt und besprochen hat sie Cosquin , Contes populaires de Lorraine I, S. 180 ff.

2) Ich beziehe mich auf die Übertragung des englischen Volksbuches bei R. 0. Spazier, Altenglische Sagen und Märchen nach alten Volksbüchern, Braunschweig 1830, S. 124 ff. Vgl. dazu Comparetti, Virgilio nel medio evo, Bd. II, S. 164. S. 167 ff.

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sie bei ihrer Heimführiing an dem Orte zurück, an dem sie die Nacht zugebracht hat, und behält den Faden in der Hand. Der Vater folgt dann der bezeichneten Spur und läßt den Schulmeister verhaften. Auf dem Scheiterhaufen bittet dieser die Bürgermeisterstochter um ein Pfand der Vergebung. Sie reicht ihm, da sie gerade nichts anderes zur Hand hat, aus ihrem Täschchen einen seidenen Faden ; da wirft er ihn in die Luft, schwingt sich, indem er das Mädchen umfaßt, an ihm empor und verschwindet.

Hier findet sich wieder der Knäuel, der abgehaspelt zum Weg- weiser A\ird, und nachher noch einmal ein Seidenfaden in eigentümlicher Verwendung. Auch in diesem Falle möchte ich an der Meinung fest- halten, daß eine unmittelbare Beeinflussung durch die Ariadnelegende nicht als unm()glich gelten darf, und wichtiger als die Übereinstimmung des Motivs dünkt mir die nunmehr klar hervortretende Tatsache, daß der Gedanke, einen eingeschlagenen Weg listig zu bezeichnen, der Volks- erzählung an sich durchaus vertraut erscheint ; ob man sich dabei der Kieselsteine oder der Erbsen oder eines Knäuels bedient, steht erst in zweiter Linie. Wer aber vor allem Wert legt auf volle Übereinstimmung der Motive, sei noch auf eine wendische Erzählung (Schulenburg, Wen- dische Volkssagen, S. 20) hingewiesen. Da heißt es von einem Jäger, der das alte Schloß bei Lübbenau entdeckt hatte, lange habe er es nachher nicht wiederfinden können und gesucht, bis er es nach sieben Jahren wiederfand. „Und hatte einen Faden bei sich, zum Knaul gewickelt. Den Faden hat er an einer Stelle angebunden und abgewickelt und gezogen, bis er wieder an das Schloß kam. Dann sind mehrere Jäger und andere Leute mitgegangen und haben das Schloß aufgesucht." An Reminiszenz ist hier kaum noch zu denken. Jedenfalls lehren die bei- gebrachten Parallelen, wie ich meine, zur Genüge, daß wir einer künst- lichen Erklärung des Ariadnefadens nicht bedürfen, aber sie wecken auch den Verdacht, daß die Dichtung vom Entkommen des Theseus aus dem Labyrinth kein in diesem Falle ursprüngliches und originales Motiv verwendet. Könnte der Knäuel nicht in die Geschichte des Theseus ähnlich hineingebracht worden sein wie in die des Zauberers Virgilius? Aber vielleicht darf man noch einen Schritt weiter gehen, darf noch einmal auf unser Däumlingsmärchen verweisen und die Möglichkeit betonen, daß ein Märchen vom Däumlingstypus in die Theseussage verwebt ist. Mehr als eine Möglichkeit kann uns freilich die ver- gleichende Methode in dem vorliegenden Falle nicht zeigen. Entscheidend kann nur die Analyse der antiken Berichte über das Theseusabenteuer sein. Ehe ich dazu übergehe, möchte ich noch ein Wort über das Labyrinth sagen. Daß bei der Bildung dieses BegrifPs historische

Wiener Erano?. ^*^

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Erinnerungen wirksam waren i), wäre heute verkehrter als je zu leugnen, nachdem die Ausgrabungen auf Kreta die Überbleibsel jener uralten Paläste zutage gefördert haben, deren Weitläufigkeit in Erstaunen setzt. Es ist durchaus wahrscheinlich, daß diese Ruinen, in alter Zeit noch sichtbar, dem Beschauer die Annahme von Bauten nahegelegt haben, in deren Gängen man sich verirren mußte. Lehrreich für das Zustande- kommen der Vorstellung scheint mir eine Sage der heutigen Provinz Preußen zu sein. Die Erinnerung an die ausgedehnten Befestigungs- anlagen, mit denen einst die Ritter vom deutschen Orden ihre Burgen stark und wehrhaft machten, hat nämlich in der Gegend von Riesen- berg Anlaß gegeben, von einem Irrgarten zu erzählen, in dessen Gängen die Ordensritter einst allerhand Unwesen trieben und heute noch als Verdammte treiben müssen 2). Geben wir nun auch das historische Moment zu, so darf doch der Anteil der Phantasie nicht unterschätzt werden. Auch die antike Anschauung vom Labyrinth auf Kreta ist schwerlich ohne deren Mitwirkung 3) zustande gekommen; wir dürfen es mit um so größerer Zuversicht vermuten, weil die Sage verwandter Völker ähnliches kennt, ohne daß man dort einen anderen Hintergrund wahrnähme als den rein phantastischer Erfindung. So heißt es in der Legende Südtirols, daß der Teufel einen Garten mit unzähligen Wegen besitze*) ; ich möchte daneben ein litauisches Märchen stellen, in der Sammlung Leskiens und Brugmans Nr. 21. Ein Schloß liegt unter der Erde ; es ist verzaubert mitsamt seinem Besitzer, dem König Blaubart. Eine Prinzessin soll den Fluch lösen, indem sie drei Nächte in dem Schlosse zubringt und dort Besuch von einem Unhold empfängt, der sich ihr in Ketten naht, ihr Lager teilt und nachher mit klirrenden Ketten wieder verschwindet. In der dritten Nacht zündet das Mädchen ein Licht an, um zu sehen, wer der Besucher ist. Alsbald schrie alles im Schloß : Weh , die Unglückselige hat uns ins Unglück gebracht. Sie wartete bis es Tag würde, aber es wurde nicht Tag. In immer- währender Nacht wandelte sie in allen Zimmern umher und fand keinen Ausgang und bekam keinen Menschen zu Gesicht; so wandelte sie ein

^) Man hat damit operiert, daß das Labyrinth zuerst bei Diodor als Bauwerk bestimmt charakterisiert wird; ich fürchte, nach den Funden der letzten Jahre wird diese Tatsache wenig Eindruck machen ; auch findet sich meines Wissens bei keinem Früheren Gelegenheit zu einer ausführlichen Beschreibung. Über das Zeugnis des Philochoros siehe unten.

'^) Tettau und Temme, Die Volkssagen Ostpreußens, Litthauens und Westpreußens Nr. 221, S. 213. .

^) Man darf vielleicht sogar sagen : nicht ohne Mitwirkung von mythologischen Ele- menten; vgl. die Nachweise über die Vorstellung des Irrweges in antiken Eiten, die Diels bei Pallat a. 0. S. 3 if. gegeben hat.

*) Bacher, Zeitschrift des Vereins für Volkskunde 1901, S. 172.

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ganzes Jahr lang. In dieser Erztählung, die, nebenbei gesagt, eine interessante Parallele zu dem antiken Märchen von Amor und Psyche Kefert, ist das Umherirren in dem Schlosse ein rein phantastischer Vorgang. Ich möchte glauben, daß die antike Vorstellung vom Labyrinth dementsprechend nicht erst durch die kretischen Ruinen wachgerufen wurde, sondern daß sich Vorstellungen, die in der Phantasie schon vorhanden waren, hier mit WirkKchem verschmolzen haben.

Wenden wir uns nunmehr den antiken Berichten über das La- byrinthabenteuer zu, so ergibt sich ohne weiteres, daß die ÜberKeferung keine einheitliche und geschlossene ist. Sehr alte Sage (denn sie war schon auf dem Kypseloskasten ^) gemalt) berichtete , daß Ariadne dem Theseus beim Antritt seines Abenteuers einen Strahlenkranz reichte. Dazu kommt eine Nachricht des Suidas, wonach Minotaurus sich vor Theseus in einer Höhle verbargt). Die Angabe 3), daß die Greisein im Labyrinth verhungert seien, wird man hiemit schwerlich verbinden dürfen ; denn in diesem Falle scheint die Ausschaltung des Minotaurus durch die Absicht begründet, den Mythus zu historisieren ; aus demselben Grunde ist ja das Labyrinth bei Philo choros *) zu einem normalen Ge- fängnis geworden. Die Nachricht des Suidas muß als jung gelten, solange wir ihre Quelle nicht kennen, aber eine Erwägung drängt sich auf. Konnte der Strahlenkranz einem Verirrten entscheidenden Nutzen bringen? Man nehme die moderne Großstadt als Beispiel; wer nicht die Kunst der Orientierung versteht, wird als Fremdling auch am hellen Tage in heillose Bedrängnis geraten. So schließe ich : der Strahlen- kranz gehört ursprünglich zu der Höhle, der Knäuel zum Labyrinth. Daß dies ein unterirdisches Bauwerk war, scheint mir erst spätere Ausgestaltung: sie hätte rechtmäßig dazu führen müssen, dem Theseus sowohl einen Knäuel als auch den Strahlenkranz in die Hand ?u geben. Dann kann freilich auch kein Zweifel sein, wo wir die ältere Sage haben. Ist Ariadne eine alte Göttin, so sind der strahlende Kranz und die Bestreitung des Unholdes in der Höhle sogar ein Stück echter Mythos. Die Vorstellung vom Labyrinth auf Kreta hat dann, so ver- muten wir weiter, Veranlassung gegeben, Züge, wie sie uns ähnlich aus dem Däumlingmärchen vertraut sind, einzumischen : nachdem Minotaurus ins Labyrinth versetzt worden war. hat man Theseus den Knäuel

^) Pausanias V 19, 1. Siehe dazu die Zeu;2:nisse bei Gruppe Gr. Mythologie 603^. -) Suidas V. AlyaXov Jislayng. ") Plutarch vita Thesei 15. *) Plutarcli V. Thesei 1(5.

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gegeben, der ihm den Rückweg sicherte^). Danach wäre eine Frage, ob nicht auch die Geiseln, die der Held befreit, zum jüngeren Bestand der Sage gehören ; denn sie entsprechen scheinbar den vom Däumling geretteten Brüdern. Es ist schwer und ohne Rücksichtnahme auf die Vorgeschichte jedenfalls unmöglich, auf diese Frage eine einigermaßen befriedigende Antwort zu geben, aber daß in der Erzählung vom kretischen Abenteuer verschiedene Fäden durcheinander geschlungen sind, ergibt sich noch aus einer ganz allgemeinen Erwägung. Theseus löst in Kreta eine doppelte Aufgabe, indem er nicht allein die Geiseln befreit, sondern auch eine Braut gewinnt. Haben wir schon oben Er- zählungen von einfacherem Typus kennen gelernt, so ist noch weiter hervorzuheben, daß auch das Motiv der Brautfahrt für sich in Sage und Märchen einen überaus beliebten Vorwurf bildet.

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*) Hiezu stimmt; daß niemand vor Pherekydes diesen Zug berichtet hat, wie Eobert (Ber. der arehäol. Gesellschaft, Berlin, März 1889) feststellte. Schon er erklärte danach diese Sage für jünger.

Zu den Friesen der delphischen Schatzhäuser

Von EMIL REISGH.

1. Die Zweikampfdarstellung des „Ostfrieses*'.

Dem Ostfriese des sogenannten Knidier-Schatzhauses hatHomolle be- kanntlich zwei Plattenbruchstücke mit Darstellungen einer Götterver- sammlung (als linke Hälfte) und eine fast vollständig erhaltene, über 3 Meter lange Platte mit einer reich ausgeführten Zweikampfdarstellung (als rechte Hälfte) zugewiesen. R. Heberdey hat aber soeben in einer ergebnisreichen Untersuchung über das Schatzhaus der Knidier in Delphi (Athen. Mitteilungen XXXIV 1909) gezeigt^), daß die „Götterversamm- lung" von dem „Zweikampf" getrennt und dem Friese einer Langseite zugewiesen werden muß, während die Zweikampfdarstellung, die links (auf einem anschließenden Eckblocke) noch durch eine rechtshin stehende Figur vervollständigt war, den Fries einer Schmalseite desselben Ge- bäudes bildete. Diese Zweikampfdarstellung, die lange nur durch un- genügende Photographien und Zeichnungen bekannt war 2), jetzt aber in einer schönen farbigen Reproduktion nach di Fonsecas Aquarell vorliegt (Fouilles de Delphes IV T. XXL IL III), wird bisher nach Homolies Vorgang allgemein als Meveldov ^^LOTeia^ als eine Darstellung der im XVIL Buch der Ilias erzählten Ereignisse aufgefaßt. Ich glaube zeigen zu können, daß ihre Erklärung vielmehr in einem anderen Sagen- kreise zu suchen ist.

*) Durch die Freundlichkeit des Verfassers ist mir der Aufsatz schon im Aushänge- bogen Juli 1909 bekannt geworden.

'^) Vgl. Perrot-Chipiez, Histoire de l'art VIII, 371 f. Auf den photographischen Re- produktionen ist der auf dem Grunde unter den Pferden links aufgemalte Wagen nicht sichtbar; ein gleicher Wagen war einst auch rechts aufgemalt, wie zur Zeit der xVuf findung der Reliefs noch deutlich war; vgl. BuU. de corr. hell. XVIII (1894), S. 1^1 ; XXV (1901), S. 477. Die über den Pferderücken beiderseits sichtbaren Männer standen also auf dem Wagen.

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HomoUe ist bei seiner Deutung von den Resten der Namens- inschriften ausgegangen, die auf dem Reliefgrunde, zum Teil auch auf der unten vortretenden Leiste aufgemalt waren. Als er sich zum ersten- mal um ihre Entzifferung bemühte i), vermeinte er noch folgende Namen (in der Reihenfolge von rechts nach links) erkennen zu können: .... estor, Helisomenos und Xanthos (als Namen der Pferde), Automedon (?), ^XLlleog (auf dem Schilde des in zweiter Linie rechts kämpfenden Griechen), Menelaos, Hektor, Aineas, Kebriones (?). Durch die Inschrift Z±xLXliog glaubte HomoUe den Genossen des „Menelaos" als „Träger der Waifen des Achilleus", d.h. also als Patroklos gekennzeichnet, woraus er dann den weiteren Schluß zog, daß in dem Friese in Anlehnung an Ilias XVI der Kampf um die Leiche des Sarpedon dargestellt ge- wesen sei (Bull, de corr. hell. XIX 1895, S. 535). Homolle hat später freimütig einbekannt (Bull, de corr. hell. 1896,586 2), daß er bei den angestrengten Versuchen , verblaßte Buchstaben zu entdecken , durch eine Art „d'hallucination de la vue" getäuscht worden sei, und hat nach erneuter Prüfung der Reliefplatten anerkannt, daß eine Anzahl der vermeintlichen Beischriften, darunter auch jenes MxLXkeog^ tatsächlich nicht vorhanden sei. Wieviel er von den übrigen Lesungen (außer dem völlig deutlichen Namen des Aineas) noch aufrecht erhalten wissen wolle, hat er leider nicht genauer gesagt ; an der Lesung des Namens Menelaos hat er aber auch späterhin mit Bestimmtheit festgehalten und zugleich, wenn auch zweifelnd, als Namen des zweiten griechischen Kämpfers: „Meriones" entziffern zu können geglaubt (Bull. hell. 1896, 586). Daraus schien sich dann weiter zu ergeben, daß der Künstler des Frieses seinen Stoff aus dem XVII. Buche der Ilias genommen habe, der Gefallene also, um den der Kampf tobt, Patroklos oder Euphorbos sei. Während Homolle zuletzt der Deutung auf Euphorbos den Vorzug gab, glaubte kürzlich Poulsen (Bull, de corr. hell. 1908, S. 187) sich für Patroklos entscheiden zu sollen. Auf die Schwierigkeiten, die diese Deutungen bieten, wenn wir die Darstellung im einzelnen mit den Schilderungen der Ilias vergleichen, will ich nicht weiter eingehen. Wie gegen Euphorbos die Anwesenheit des Aineas, so spricht gegen Patroklos die Tatsache, daß der Gefallene im Friese noch seine volle Rüstung besitzt. Auch wäre es erstaunlich, wenn ein in seinen unmittel- baren Resultaten wenig bedeutsamer Kampf zum Gegenstand eines Friesbildes gemacht worden wäre, zumal in der sonstigen bildlichen Überlieferung Parallelen zu einer solchen Darstellung nicht vorhanden sind.

^) Comptes lendus de racademie dc^ inscriptions 1894, S. 357. Vgl. auch den Bericht Hartwigs, Berl. phil. Wochenschr. 1895, S. 573.

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In Wahrheit führen aber die Inschriften zu einer ganz anderen Deutung. Wir werden uns dabei freilich, da Homolle seiner ersten Lesungen selbst nicht sicher war, auf jene Inschriften beschränken müssen, die heute noch erkennbar sind oder wenigstens als bis vor kurzem noch lesbar durch einwandfreie Beobachter bezeugt sind. Ich habe im Spätherbst 1903 durch mehrere Tage unter verschiedenen Beleuchtungsverhältnissen mich bemüht, die Inschriften der delphischen Friese festzustellen und Sicheres, Unsicheres und Irriges in den bis- herigen Lesungen zu scheiden. Die Inschriften auf dem Reliefgrunde, die ursprünglich wohl mit roter Farbe aufgemalt waren, heben sich jetzt nur durch die hellere Tönung des Marmors von der Grundfläche ab. Wie schon mehrfach beklagt worden ist^), sind vermutlich an- läßlich der Herstellung der Aquarellkopien die meisten Buchstaben- spuren mit Bleistift nachgezogen worden, wodurch die Nachprüfung sehr erschwert ist ; aber wenn auch in einigen Fällen durch den Bleistift falsch gedeutete Spuren festgelegt worden sind, so daß die alte Schrift darunter nicht mehr erkennbar ist, so läßt sich doch bei den meisten Beischriften das ursprünglich Vorhandene noch mit Sicherheit ermitteln 2).

Auf dem Blocke nun, der uns hier beschäftigt, vermochte ich nur noch folgende Beischriften festzustellen ^j : links hinter dem Rücken des zweiten Kämpfers der linken Seite steht klar lesbar die rückläufige Inschrift S^JfM; rechts vor dem Vorkämpfer der Troer-Partei, etwas höher als sein Kopf, sind die Buchstaben ME deutlich. Beste zweier weiterer Buchstaben in verschmiertem Bruche undeutlich zu erkennen. Unter dem rechten Arm des zweiten Kriegers der rechten Seite ist noch die Buchstabenreihe NOJRM erkennbar, die, rückläufig geschrieben, ihren Anfang etwa bei dem Halse des Wagenlenkers genommen haben muß, also zweifellos zu ^vro/neSojv zu ergänzen ist. Unter dem gehobenen rechten Arm des rechts stehenden Mannes endlich vermochte ich noch die Buchstaben ^10 als Best eines rückläufig geschriebenen Namens zu lesen.*)

Ist durch die Namen von Aineas und Automedon gesichert, daß links die Troer, rechts die Griechen stehen, so hängt die genauere Inter-

*) Vgl. Pomtow, Berliner philol. Wochenschr. 1909, Delphika, S. 74 des Sonderabdruckes.

^) Gegenüber den Ausführungen von Lechat, Rev. des etudes anc. XI (1909) S. 3 ff., bemerke ich, daß auf dem „Nordfriese " der Krieger mit dem Kantharos-Helm neben Apollon und Artemis durch die Inschrift auf der Leiste als Dionysos sichergestellt ist.

^) Auf einen Versuch, die Formen der Buchstaben im Drucke wiederzugeben, muß ich hier verzichten. Ich kann hiefür jetzt auf die sorgfältige Wiedergabe der Zeichen auf dem Aquarelle di Fonsecas (Fouilles T. XXI f.) verweisen.

^) Von den Buchstabenresten auf der JMitte der unten vorspringenden Leiste konnte ich kein deutliches Bild gewinnen.

296

pretation der Darstellung von der Auffassung der Buchstabenspuren ab, die neben dem Haupte des troiscben Vorkämpfers erhalten sind. Homolle hat sie zu ,.Menelaos" ergänzt und auf den Vorkämpfer der Griechen bezogen. Aber die Beischriften sind auf den delphischen Friesen durchwegs so gesetzt, daß sie bei den Figuren, zu denen sie gehören, ihren Anfang nehmen : der erste Buchstabe erhält seinen Platz unmittelbar neben Kopf, Brust oder Rücken der zugehörigen Figur, und die folgenden Buchstaben schließen dann, je nachdem der Platz es erlaubt, nach rechts oder links (also rückläufig) oder nach unten hin an. Es erscheint also durch die gleichmäßige Gewohnheit des Fries- malers geradezu ausgeschlossen, daß die von dem Kopfe des troischen Vorkämpfers rechtshin ausgehende Beischrift sich auf den gegenüber- stehenden Kämpfer beziehe; vielmehr kann kein Zweifel sein, daß die Buchstaben ME zu dem links stehenden Vorkämpfer der Troer gehören. Dann ist aber die Ergänzung des Namens zvl Me^nvDv von selbst gegeben^). Der Gegner des Memnon auf griechischer Seite ist dann natürlich Achilleus, und damit findet zugleich die Anwesenheit des Wagenlenkers Automedon ihre beste Erklärung.

Soweit war ich gekommen, als mir vor etwa zwei Jahren Fonsecas farbige Aufnahme des Frieses (Fouilles IV T. XXI. 11. III) vor Augen kam, die in der Wiedergabe der Inschriften mit meinen Aufzeichnungen völlig übereinstimmte, in einem Punkte aber eine willkommene Ver- vollständigung bot. Hatte ich von dem Namen des rechtsstehenden Mannes, den man bisher als einen „Knappen"' angesehen hatte, nur mehr die Endbuchstaben ermittelt, die die Ergänzung NeövwQ erlaubten, aber nicht erwiesen, so ließ Fonsecas Zeichnung in schwachen, aber deutlichen Spuren die Beischrift S\Ö7^J<f erkennen. Da diese Lesung des Zeichners gewiß nicht durch eine vorgefaßte Meinung beeinflußt ist, mit Homolies Deutung ließe die Anwesenheit Nestors sich nur schwer vereinigen so wird man nicht bezweifeln dürfen, daß Fonseca, der die Reliefs früher als ich und unter günstigeren Lichtverhältnissen studieren konnte, richtig Gesehenes wiedergegeben hat'^). Dadurch, daß die Deutung des rechts stehenden „teilnehmenden Zuschauers" als „Nestor" gesichert ist, dem auf der anderen Seite vielleicht ein „Priamos"

^) Nacliträglich hat mir Pomtow, der im Herbste 1908 die Freundlichkeit hatte, auf meine Bitte hin die Inschrift nachzuprüfen, bestätigt, daß die auf ME folgenden Spuren die Homolle auf iVE" gedeutet hatte, unter Vergleich der sonst im Friese verwendeten Buch- stabenformen vielmehr auf die Lesung MN, also auf die Ergänzung MEMNON führen.

^) Ich bemerke noch, daß die Buchstabenspuren an dieser Stelle nicht durch Blei- stiftstriche entstellt sind. Homolle hatte im Jahre 1894 (Comptes rendus S. 357) . . . EZTOP gelesen, ohne eine Ergänzung des Namens zu geben.

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entsprach, erhält die oben vorgetragene Deutung des Reliefs nicht nur eine Bestätigung, sondern auch eine bedeutsame Ergänzung. Denn es kann jetzt keinem Zweifel mehr unterliegen, daß in dem Gefallenen zwischen Achilleus und Memnon der Sohn des Nestor, Antilochos, zu erkennen ist. Als Antilochos ist der Gefallene zwischen Achilleus und Memnon inschriftlich auch auf der gleich zu besprechenden Yasen- scherbe in Florenz (vgl. S. 298) und auf der schwarzfigurigen Vase bei Gerhard, A. V. B. III T. 205, 3 u. 4 bezeichneti).

Daß diese Deutung des delphischen Frieses bisher noch nicht ausgesprochen worden ist, mag darin seinen Grund haben, daß wir von den Vasenbildern her gewöhnt sind, bei dem Zweikampf von Achilleus und Memnon die göttlichen M^itter Eos und Thetis mitdargestellt zu sehen, wie dies auch für den Kypseloskasten bezeugt ist (Pausan.V 19, 1). Aber von der Naivität, mit der die Vasenmaler in ihrem Streben nach vielsagender Deutlichkeit die Göttinnen hart neben die menschlichen Kämpfer stellen, hat der mit sorgfältigerer Überlegung schaffende Künstler des Marmorfrieses sich ferngehalten; er hat dafür durch Hinzufügung von Kampfeshelfern, Gespannen und nächstbeteiligten Zuschauern die Situation des Kampfes seinen Wirklichkeitsvorstellungen entsprechend reicher ausgeführt. Daß er bei dieser Ausgestaltung der Szene durchaus in Übereinstimmung steht mit der sonstigen dichterischen und bildlichen Überlieferung des Memnonkampfes, läßt sich trotz der Dürftigkeit der erhaltenen Zeugnisse noch ausreichend zeigen.

Die überraschendste Parallele zu dem Friesrelief bietet die leider nur in Bruchstücken erhaltene chalkidische Amphora in Florenz n. 17842) , die jetzt bei Milani, Monumenti scelti del r. museo archeoL di Firenze (1905) T. I, 1 veröffentlicht ist (danach die Abbildung auf S. 298.) Hier stehen sich links Memnon , rechts Achilleus über der Leiche des Antilochos gegenüber, neben Memnon steht Eos, neben Achilleus Thetis ; alle Figuren sind durch Beischriften benannt. Rechts von Thetis sind noch Brust, Schulter und Arm eines Mannes sichtbar, auf den sich die Inschrift . . TOME^OV bezieht; sein Körper erscheint im Bildfeld höher hin aufgerückt, er war also reitend oder auf dem Wagen stehend dargestellt. Die Entscheidung bringt ein Detail der Zeichnung, dessen in den bisherigen Beschreibungen der Vase keine

^) Im Anschlüsse an diese Erklärung des „Zweikampfes" hatte ich früher geglaubt, daß inmitten der „Götter Versammlung", die nach Homolle ihren Platz links von dem „Zwei- kampf" hatte, die Seelenwägung (durch Hermes V) dargestellt gewesen sei. Nach Heberdeys Darlegungen muß aber nunmehr diese „Götterversammlung" einem anderen Friese und dem- nach auch einem anderen mythologischen Zusammenhange zugewiesen werden.

-) Vgl. Bull. d. Inst. 1870, p. 187 (Heydemann) ; Archaeol. Jahrb. I 89'''* (Studniczka).

298

Erwähnung geschehen ist. Wir sehen (knapp ober dem Rande des Bruch- stückes) den Körper der Thetis von einem horizontalen Kontur über- schnitten, der nach rechts sich weiter fortsetzte ; ich zweifle nicht, daß wir darin die obere Begrenzungslinie von Hinterleib und Schweif eines rechtshin stehenden Pferdes zu erkennen haben. Allem Anschein nach war also auf der Vase das Viergespann in ganz ähnlicher Verschiebung und Automedon in fast gleicher Haltung wie auf dem Relieffriese dar- gestellt; das Kompositionsschema des Vasenbildes weicht von dem des

Vasenscherbe in Florenz.

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«

Frieses nur insofern ab, als hier Eos und Thetis an Stelle der Kampfes- helfer erscheinen. So ist es gewiß auch mehr als zufällige Überein- stimmung, daß auch auf dem Vasenbilde Achilleus rechts steht und als Schildzeichen ein mächtiges Gorgoneion führt. Ja, man wird den Ver- such, in solcher Weise Achilleus zu charakterisieren, auch schon auf der bekannten melischen Vase (Conze, Melische Tongefäße T. III) erkennen dürfen, wo bei der Darstellung des Memnonkampfes der rechts- stehende Krieger mit dem Gorgoneionschilde ausgerüstet ist, und

L

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gleiches mag auch noch für die schwarzfigurige Vase München 328 gelten 1).

Als ein weiteres Zeugnis für die Rolle, die in der älteren Typik des Meinnonkampfes den Gespannen und ihren Lenkern zugewiesen war, kann noch der schwarzfigurige „Deinos" im Wiener Österreich. Museum (n. 235 Masner) angeführt werden, auf dessen Mündungsrande neben Memnon und Achilleus, Eos und Thetis beiderseits die Gespanne mitdargestellt sind. Daß aber auch die Figuren des Nestor und seines vorauszusetzenden Gegenstückes nicht erst eine eigenwillige Zutat des Reliefkünstlers sind, dafür scheint der Umstand zu sprechen, daß auch bei dem Memnonkampfe auf der schwarzfigurigen Vase des Museo Gregoriano II 28 (= A II 32, 1; Helbig-Reisch n^ 1195) rechts und links von Eos und Thetis noch je eine bärtige Gestalt mit lebhaft erhobenem Arme dargestellt ist, die ich nun nicht mehr als bloße Füll- figuren, sondern mit P. J. Meier, Rhein. Mus. XXXVII (1882), S. 352 als Nestor und Priamos(?) deuten möchte.

Die charakteristischen Züge dieser Komposition des Friesreliefs wurzeln also schon in einer älteren bildlichen Tradition, die ihrerseits gewiß bestimmt war durch die Erzählung des Epos, d. h. doch wohl der iiithiopis -). Daß Antilochos seinen Tod durch Memnon gefunden habe , als er seinen Vater Nestor aus schwerer Bedrängnis errettete, berichtet ausführlich Pindar Pyth. VI, 29 (vgl. Odyssee IV, 187), und bei demselben Dichter (Nem. VI, 50) wird bei der Erwähnung von Memnons Tod erzählt, wie Achilleus xaraßäg äcp ägiidtojv auf den Gegner eindringt. Und auch das Roßegespann des Memnon scheint im Epos besonders gefeiert worden zu sein, vgl. Aristoph. Ran. 963 und dazu Luckenbach, Jahrb. f. klass. Philol. Supplem. XI (1880), 616. Aus der gewiß nicht geringen Zahl von Helden, denen im Epos ein Anteil bei den Kämpfen gegen Memnon zugewiesen war, waren im delphischen Friese Aineas und ein Grieche hervorgehoben, dessen Name leider nicht mehr erhalten ist; vielleicht war hier, me in der figurenreichen Gruppe des Memnon- kampfes , die Lykios für Olympia gearbeitet hat (Paus. V 22 , 2),

1) Dagegen ist auf der rotligurigen Yase Tyskiewicz (Robert, Szenen der Ilias und Aethiopis, XV. Hallisches Winckelmannsprogr. 1891), die nicht mehr derselben Linie bild- licher Tradition angehört; wie die vorerwähnten Vasen, der rechtsstehende Krieger, der das Gorgoneion als Sehüdzeichen führt, als Memnon bezeichnet. Der Gefallene wird in der Bei- schrift Melanippos genannt.

■^) Wenn wirklich Pindar Nem. VI, 53 in einer Einzelheit auf die .,kleine Ilias'* zurückgeht (Schol. Nem. VI, 85 , vgl. 0. Schröder, Hermes 1885, 494), so dürfen wir doch annehmen, daß alle Hauptmomente der Eraählung durch die Aithiopis festgelegt worden sind.

300

Diomedes dem Aineas entgegengestellt i). Inwieweit freilich auch im Epos die Personen und Ereignisse so nahe aneinandergerückt waren, wie das Bild sie zeigt, das ist eine Frage, die ich hier nicht erörtern kann.

2. Der ..Lenkippidenranb" des „Südfrieses".

Der von Heberdey in der vorher erwähnten Studie unternommene Versuch, die von Homolle dem „Knidier-Schatzhause" zugewiesenen Skulpturen auf verschiedene Schatzhäuser aufzuteilen , scheint mir in den Hauptsachen überzeugend begründet. Mit seiner Rekonstruktion der dem „Südfries" zugerechneten Platten (Fouilles IV T. IX/X) vermag ich mich aber nicht einverstanden zu erklären. Mir ist immer die Meinung unhaltbar erschienen, daß die beiden Fragmente mit den „Frauenräubern'' (d. h. offenbar den Dioskuren) ich bezeichne das größere Bruchstück mit c, das kleinere mit d , das Stück mit dem Viergespann links vom Altar (a) und die Platte mit den Reitern und dem Gespann (b) zu einer Komposition zu vereinigen seien. Zunächst fällt auf, daß die Pferdeschweife auf c (Fouilles T. IX/X unten links) anders stilisiert sind, als auf a und b ; es fällt schwer, diesen Unterschied mit Heberdey S. 153^ bloß aus künstlerischer Lust an der Abwechslung oder aus verschiedenartiger „Haartracht" der Pferde zu erklären. Von ent- scheidender Bedeutung aber ist, daß sich die verschiedenen Bewegungs- momente, in denen die Gespanne auf o^ b, c dargestellt sind, nicht zu einem einheitlichen Vorgang von Flucht und Verfolgung zusammen- schließen lassen. Die Dioskuren sind, wie c zeigt, eben erst im Begriff, die geraubten Mädchen auf die ruhig stehenden Wagen zn heben. Dazu paßt es wenig, daß auf a schon einer der „Verfolger" den Wagen besteigt 2), auf b (T. IX/X oben rechts) die „verfolgenden" Reiter und Gespanne gar schon in lebhafter Bewegung dargestellt sind. Die „Ver- folgung" wäre also schon im Gang, bevor noch die „Verfolgten" ihre Fahrt begonnen hätten. Zudem macht die Gruppe der berittenen Knappen und des Viergespannes auf b mehr den Eindruck eines wohl- geordneten hippischen Zuges, als den einer hastigen Schar von Ver- folgern.

Alle diese Erwägungen scheinen zu dem Schlüsse zu drängen, daß die Stücke a b nicht mit der Darstellung der Dioskuren auf c d

^) Wie vorhin S. 294 erwähnt wurde, glaubte HomoUe (Bull, de corr. hell. 1896, S. 586) Buchstabenspuren neben dem zweiten griechischen Krieger auf den Namen „Meriones" was von „Diomedes" nicht weit abliegen würde deuten zu können. Ich habe keine Reste einer Beischrift mehr feststellen können.

^) Der Wagenbesteigende auf a kann nicht der zweite der Dioskuren sein, da seine Haltung unvereinbar ist mit dem „Frauenräuber" auf d, er kann aber auch nicht ein Wagen- lenker dieses Dioskuren sein, da, Avie c zeigt, die Dioskuren keine Lenker neben sich hatten.

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zusammengehören, sondern einem anderen Friese zuzuweisen sind. Ob diese Gruppen von Reitern und Wagen der Darstellung einer mythischen Handlung zuzurechnen sind, oder ob sie, wie ich lieber glauben möchte, zur Darstellung eines festlichen Aufzuges gehörten (so daß wir hier schon einen Vorläufer des Parthenonfrieses vor uns hätten), mag dahin- gestellt bleiben. Gewiß wird man aber auf Grund der stilistischen Gleich- artigkeit (vgl. Heberdey S. 153) diese Platten (a, h) dem.selben Bau, wie die Platten des sogenannten „Westfrieses", und zwar einer Lang- seite dieses Baues, zuweisen dürfen.

Für die Ergänzung des Dioskurenfrieses bieten leider die Fragmente c d keine ausreichenden Anhaltspunkte. Beachtet man aber , daß auf d der Frauenkopf rechts, auf c links von dem Dioskurenkopf angeordnet ist und daß die Köpfe der beiden Paare nach verschiedenen Richtungen gedreht scheinen, so wird man der Annahme zuneigen, daß die beiden Gruppen im Gegensinne komponiert und die beiden Gespanne nicht nach derselben Richtung bewegt, sondern auseinanderstrebend dargestellt waren. Das würde eine symmetrische Komposition ergeben, die für den Fries an der Schmalseite eines kleinen Gebäudes wohl passen würde. Die Frage aber, ob die uns erhaltenen Bruchstücke dieses Frieses mit der Nebenseite der „Götterversammlungs" -Platte, auf der ein Knappe mit Handpferd dargestellt ist, zusammengebracht werden können, also dem gleichen Bau, wie „Götter Versammlung", ,,Zweikampf" und „Giganto- machie" angehören, oder ob sie einem anderen Gebäude zuzuweisen sind, wage ich ohne nochmalige Prüfung der Reliefs nicht mit Ent- schiedenheit zu beantworten.

De ephebi Attici capite Gracoyiensi.

Scripsit

PETRUS BIENKOWSKI

(cum 1 tabula).

In museis provincialibus haud exigua artis statuariae monumenta, inprimis capita antiqua exstant, quae licet summam operis perfectionem non exhibeant, nullo modo tamen pro vilioribus exemplis accipi possunt. Quae opera, quamquam parum in vulgus nota sunt, nihilominus ad artem antiquam cognoscendam multum proficere in propatulo est. Itaque quam vim capita supra dicta habeant, quo tempore et quo genere efficta nee non quomodo cum praecipuis sculpendi scholis et rationibus conexa sint, diligenter harum rerum periti definiant atque demonstrent necesse est. Quae cum ita sint, ingenuarum artium studiosis ephebi Attici formosum capitis simulacrum paucis verbis proponere ac illustrare animum induxi.

Quod Caput in tabula adnexa (I a et b) duabus ex diversis partibus repraesentatum, nunc in Cracoviensi museo principum Czartoryski asser- vatum, a. 1884 Marianus Sokolowski Athenis apud negotiatorem quendam Sicyoni repertum esse existimantem acquisiviti). Factum est ex candido marmore, opinor, Pario, pusillis spissisque hie illic micantibus granis insigni. Est autem iusta mensura paulo minus, una cum collo 0*24 m. altum; facies ab extremo mento usque ad primos capillos 0'15 m. efficit, genarum vero ossa 0*12 m. intervallo distant. Quod caput pro fragmento statuae aut hermae, non anaglyphi accipiendum esse, facile ex collo undique tornato et dextri humeri frustulo conieceris. Atque faciem tantum crinesque, qui ipsam frontem quasi corolla cingunt, artifex Omnibus numeris effinxit, capillos autem in vertice aversaque parte semirotundae parvae calvae convolutos in transitu strictimque confor- mavit ipsasque auriculas a reliquo capite non seiunxit.

Jacturas quoque nonnullas fragmentum passum est, id quod ex adiecta imagine patet. Inprimis moneo musculum -sinistri supercilii

^) Conf. Stromata in honorem Casimiri Morawski (Cracoviae 1908), p. 49sfj[.

1?

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decussum quasi contritum fuisse, quam ob rem laevus oculus vim sane insolentem, quodammodo affectatam prae se ferat. x4.1iquot locis reliquiae fusci vel russei coloris deprehenduntur, ex quibus probabiliter conieceris singulas partes capillaturae pigmento distinctas fuisse.

Jam si reputaveris, quam moUi subtilique modo marmor sit tractatum , quot praeter ea res quasi casu fortuito minus accurate expressae restent, opus hoc non timidi cuiusdam imitatoris, sed veri sibique artis suae conscii artificis esse sine dubio statueris. Crines etiam partim duri, non plene perfecti, diligenter vero genae expolitae

Fig. 1.

et frontis luculenta formatio demonstrant monumentum primigenium auctori tribuendum esse, qui rationem fingendi naturamque materiae affatim cognitas habuerit. Umbrae deinde et luminis discrimina exquisita cum cura per faciem ac crines distributa aetatem indicant, qua ipsius formae venustate non sufficiente optica adhiberi coepta sunt adiumenta, ut animus efticacius commoveretur. Saeculum quartum etiam artificium prodit , quo caput eifictum est. Oculi enim eodem modo exprimuntur neque secus ad nasum collocantur atque in musei Britannici capite barbato (A. H. Smith, Catal. of sculpt. n. 1054, pl. XX, üg. 1), quod

304

cum prope Mausoleum Halicarnassi effossum esset , procul dubio orna- mento erat huic aediiicio circa a. 350 exstructo.

Quaerentibus autem^ ex quanam artis officina fragmentum Craco- viense provenerit, res ipsa optime absolvi poterit, si capita eandem speciem gerentia comparaveris. Simillimum, fere idem et par atque adeo melius conservatum huc spectat caput Musei Dorpatensis, cuius quidem accuratiorem notitiam non habeo, exemplum tamen eius ex imagine gypso expressa lucis ope factum hie ante oculos nunc primum ponere contigit (fig. 1). Haud alienum est alterum caput multum, quod

Fig. 2.

Fig. 3.

dolendum est, laesum, nunc in Museo Britannico collocatum (Catal. of sculpt. n. 1001, tab. III). Omnia lineamenta iuvenis; quem describimus, quasi incrassata facies Herculis in Museo Louvre exstans exhibet (S. Reinach, Tetes pl. 148, 149). Quae quamquam nonnulla signa Her- mae Praxitelii propria ostendit, indicia tamen vetustioris aetatis, for- tasse principia Cephisodoti maioris prae se fert. Minima vero similitudo inter Cracoviense fragmentum et illud Herculis Aequini caput inter- cedit, quod Reinachius Parisino proximum putat (v. Schneider, Archäol.- cpigraph. Mitteil. 1885, tab. I). At eadem signa praecipua caput athletae

305

continet, quod Romae in aedibus Caetani constitutum (Matz-Duhn n. 1673) aeque ac caput Musei „Barracco" dicti (Collection Barracco pl. LV) , ut ex adiuncta imagine phototypica nunc primum divulgata (flg. 2 et 3) elucet, ad exemplum graeci archetypi medii quarti saeculi a nescio quo romano opiiice languidius expressum esse persuasum habeo! Cranium quidem athletae formam longiorem, quadratam magis efficit^ crines eins prolixioribus cincinnis compositi et in genis prima lanugo apparet, sed ovata faciei species oblongior nee non forma frontis babi- tusque oculorum et labrorum epbebum Cracoviensem plene in memo- riam revocant. Hunc autem typum iuvenis prius ortum esse caput pan- cratiastae Musei Berolinensis (Beschreibung der Skulpturen Nr. 481) et prorsus par herma olim Gottingensis (Wieseler, Göttingische Antiken, 1858, Nr. la_,b) demonstrant. Quamquam vero B»olinense caput ex- politum exstat, coniciendo tamen facile definiri potest typum illum circa a. 400 ante Chr. in lucem prolatum esse. Medium autem quartum saeculum imagines designant, quae dicuntur Alcibiadis vel id quod Arndtio auctore veri est similius Macedonis Philippi II (cf. Strena Helbigiana p. 10—18).

Omnia adhuc enumerata capita mea quidem opinione artis Atticae aetatis Praxiteliae rationem referunt. Unicuique sciiicet enormem fron- tis et nasi figuram^ penitius oculos collocatos respicienti simulque habi- tum faciei et animum quietum dulci cogitationi intentum consideranti' ultro se Hermes et Hercules Praxitelis (ßeinach, Tetes pl. 270) otferre debent. Sicut enim in utriusque dei efFigie^ ita etiam in hoc capite in- ferior pars frontis longa directa ruga a cetera fronte secernitur et supra nasi dorsum maxime prominet, superior vero eiusdem frontis pars multum depressa et retracta in conspectum venit. Supra arcus super- ciliorum recessus cavi comparent, musculi autem temporum manifesto intumuerunt (cf. I^echat, Melanges Perrot, p. 207; Graef, Strena Hel- bigiana p. 109). Radix nasi ubique praeter modum lata et praeceps ad oculorum orbes fertur. Oculi (si collatione aliorum aestimemus) parum aperti, tamquam madidi; inferior palpebra quasi consulto imminuta. Nares tenerae et nonnihil, ut videtur, coartatae, os leniter reclusum quasi semihians. Quae attuli, signa sunt peculiaria artis Praxiteliae. Non me fugit vestigia artis a Scopa excultae Helbigium in capite Bar- racco (Collection B. p. 43) , S. Reinachium in supra laudato Herculis capite Parisino observasse. Verumtamen illi Scopae adamati magnifici oculi prorsus desunt et frustra quadratum mentum brevemque faciem cum validis maxillis quaesiveris. Quod enim capitum Barracco et Cae- tani proprium est cranium iusta forma paulo minus rotundatum, hoc haud sufficere credo, ut et illa capita et fragmentum Cracoviense ullo

Wiener Eranos. 20

306

vinculo cum operibus Scopae conecti probetur. Ne longius abeam, con- ferantur velim illa capita cum Scopae Meleagro aut cum eiusdem temporis stela sepulcrali Ilissea (Conze, Attische Grabreliefs tab. 211), cuius effigies manifeste Ingenium artemque Scopae redolent. Immo vero breves capillos supra frontem erectos parvisque cincinnis in calva re- cumbentes iuvenes Atticos saec. V et IV in deliciis habuisse Ludovicus Sybel docuit (Rom. Mitteil. VI, 241), idemque genus comae compo- nendae huius aetatis operibus Atticis divulgatum est. Itaque ut meam proferam opinionem omnia modo enumerata capita Craco- viensi non excepto conatus progressusque Atticae artis statuariae, quales medio IV saec. a. Chr. viguerunt, manifestos faciunt. Licet multa iis insint, quae a consuetudine Praxitelis minime abhorrent, non sunt tamen opera ex Praxitelis schola profecta neque ullam vim auctoritas huius artificis ad coniicienda habuit, sed quasi praecipuum funda- mentum summasque condiciones artis Atticae repraesentant, ex quibus demum nata est Praxitelis illa singularis indoles egregiumque Ingenium. Atque aegre ferendum nos omnibus destitui subsidiis , quibus horum monumentorum opifex vel opifices monstrari possint.

Quod tradunt caput Cracoviense Sicyone provenisse, quamquam pro certo affirmari nequit, coniectura tamen haec iis , quae supra de genere fingendi statuimus, non repugnat neque digna est, quae a prin- cipio reiciatur. Etenim, ut Hauser (Jahreshefte V, 216) recte animad- vertit, officinae statuariae adhuc arctissimis finibus civitatum circum- scriptae circa medium quartum saeculum singulae suam cuique pro- priam indolem exuunt sive abiciunt, atque inter se iuvant itaque per- manant; ut opera vere Atticum Ingenium spirantia fora templaque Peloponnesi et versa vice implere coeperint.

Zur Niobide der Banca Commerciale.

Von HEINRICH SITTE.

Als im Sommer 1906 dieses griechische Marmororiginal wohler- halten dem einstigen Boden der sallustianischen Grärten in Rom ent- stieg, als es dann rasch in Abbildungen überallhin verbreitet wurde, da staunten viele über die doch schon zu wiederholten Malen an Werken dieser Epoche der griechischen Kunst festgestellte Mischung von Nach- klängen des strengen Stiles mit freier ISTaturbeobachtung , viele auch über die für ein originales Werk der großen Rundplastik dieser Zeit weitgehende Entblößung, denn so starke oder völlige Entkleidung des weiblichen Körpers war bis dahin allerdings nur durch die Kleinkunst, Terrakotten und Spiegelstützen, durch die Vasenmalerei und das Relief nachweislich gewagt worden. Bald aber lenkten die schwankenden Urteile über das Kunstwerk in festere Bahnen: man erkannte seine Zusammengehörigkeit mit anderen früher an der gleichen Stelle ge- fundenen Statuen, man schloß^ daß sie Alle Reste einer kurz nach der Mitte des fünften Jahrhunderts v. Chr. geschaffenen Griebelgruppe seien. Von den vielen und teilweise wohl recht schwierigen Fragen , welche die Forschung angesichts dieser Gruppe von Skulpturen bedrängen, soll hier nur flüchtig jene berührt werden, welche die Entstehungs- zeit der neu hinzugekommenen Figur betrifft.

Della Seta datiert in seinem Aufsatze in der Ausonia II p. 8 die Niobide in das dritte Viertel des fünften Jahrhunderts; Furtwängler, der dem Werke seinen letzten Münchner Sitzungsbericht vom Juni 1907 widmete, zog die Grenzen enger auf das Jahrzehnt von 450 440. In beiden Arbeiten und auch in allen anderen Besprechungen der Niobide ist nun zur Begründung dieses frühen Ansatzes eine wichtige Stelle der Dichtung nicht mit verwertet worden, welche von einem der gr()ßteii Zeitgenossen des Schöpfers dieser Giebelgruppe stammt, von einem

308

Tragiker, der einer allerdings nicht völlig sicheren Kunde zufolge sich in seiner Jugend auch als Maler betätigt haben soll , von Euripides. Als ich zum erstenmal archäologisch geschult den Bericht des Talthy- bios vom Tode der Polyxena in seiner Hekabe las, da ergriff mich bei den Versen (557 ff.)

za/ret tod' elöri%ovoe Öeötcotlov eWog, Xaßovoa TteTzXovg äy,Qag STtiof-iidog eggr^^e Xayovog elg (.leaov 7t aQ df-Kpakov, (xaöTOvg T* t'dei^e OTtqva iP tog äyäXfxaTog xcckkiGTa, '/Mi YMi^eioa Tiqbg yaiav yövv ele^e ndvTtov rXriJUovtaTaTov köyov

dasselbe Staunen , das vielen der Anblick der neuen Niobide erregte, denn vor 423 war ja dieses Drama aufgeführt worden und ayalf^a be- deutet doch im fünften Jahrhundert schon hauptsächlich das Götter- bild im Gegensatz von dvdqiäg, also ein Werk der Rundplastik. Euri- pides konnte doch wohl diesen direkten Hinweis auf die Bildhauerei nur anwenden, wenn er tatsächlich solche dyäkf-iaTa oder wenigstens ein ähnliches bedeutendes Werk der Eundskulptur als seinen Zuhörern bekannt voraussetzen durfte; ich notierte mir die Stelle als kunstge- schichtlich von höchstem Interesse und wartete eigentlich seitdem auf das Bekanntwerden mit irgendeinem zu dieser Schilderung passenden Werke der zeitgenössischen Plastik, da mich Kinkels Heranziehung der Hippodameia des Phigaliafrieses in seinem „Euripides und die bildende Kunst" S. 44 als Relief nicht ganz befriedigen konnte.

Als nun die Niobide gefunden und der Kampf um ihre richtige Datierung geführt vnirde, da sollte doch auch die Stimme des größten damaligen Dichters lebendig miteingreifen; ich wollte dem Forscher^ der die glühendste Begeisterung für das neue Denkmal bezeugt hatte, die oben angeführten Verse in einem Briefe mitteilen; bevor ich ihn absenden konnte, traf aus Athen die Nachricht von dem Ableben Furt- wänglers ein ; damals schien es mir nicht recht, das einem eben Heim- gegangenen Bestimmte anderweitig zu veröffentlichen. So blieb die Stelle für diesen speziellen Fall weitere zwei Jahre unbeachtet und wendet sich erst jetzt als Festgruß an Alle , welchen es gegönnt ist, sich aufzuerbauen an der hohen Schönheit einer von euripideischer Tragik durchströmten Statue , sich aufzuerbauen an dem Bericht des Talthybios, der aus dem dunklen Hintergrunde schauerlichen Schweigens seine Gestalten in plastischer Klarheit hervortreten läßt.

Aus Pompeji,

Von E. BORMANN.

Im vorigen Winter ließ ich in der epigraphischen Abteilung unseres archäologiscli - epigraphisclien Seminars römische Munizipal- inschriften behandeln und mit Pompeji beginnen. Einzelne Vermutungen oder Bedenken gegenüber den gewöhnlichen Erklärungen, die uns, den Studierenden oder mir, sich dabei aufgedrängt hatten, gedachte ich auf meiner nächsten Frühjahrsreise nach Rom August Mau zur Prüfung vorzulegen. Aber das Geschick, das so plötzlich den aus- dauerndsten, vielseitigsten, besonnensten und erfolgreichsten Erforscher Pompejis der Wissenschaft des klassischen Altertums entrissen hat, versagte mir die Erfüllung dieses Wunsches. Indem ich daher bei dem jetzigen Anlasse die folgenden Bemerkungen ohne Maus Prüfung di'ucken lasse, habe ich doch überall an seine Ausführungen anzuknüpfen.

Ja in einem Punkte (1) hat er noch selbst mir das Erforderliche mitgeteilt, da es in dem nach seinem Tode ausgegebenen Supplement- bande zu CIL IV mit den Dipinti ui^d Graffiti von Pompeji enthalten ist.

1. In dem im Jahre 1902 in Pompeji aufgedeckten Teile des Hauses 4 in der Regio V, insula III hatte Paribeni ein Graffito so gelesen :

VIINIMVSHOCCVPIDIMVLTOMALO IRIICVIETVS und verstanden:

venimus hoc cupidi niulto malo i(n)requietus(?).

Franz Bücheier, der auch dadurch die vielen Zweige der Alter- tumswissenschaft zu einer Einheit verbinden half, daß er rasch neue epigraphische Funde für die Erforschung der Sprache und Metrik ver- wertete, hat diesen Vers am Schlüsse des Aufsatzes „Grammatica et

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epigraphica*' behandelt, mit dem er die neue Zeitschrift „Glotta" eröffnete, die auch Philologen und Sprachforscher auf dem Gebiete der klassischen Altertumskunde vereinigen will (I, 1909, S. 1 9). Er schrieb (S. 9), die Worte seien anders zu trennen:

venimus hoc cupidi: multo malo | ire cuietus und zu verstehen tzoIv ixäXXov ßovlofiaL. Und er schloß mit den Worten : „causam carminis si quaeris, ecce ego qui haec conscripsi, ad Glottam veni cupidus, iam malo ire quietus". Und in der Tat ist er kurz darauf zur ewigen Euhe hingegangen.

Bücheier hatte nicht bemerkt, daß derselbe Vers bereits in einem Graffito vorkommt, allerdings etwas verstümmelt und bisher nicht völlig richtig gelesen, aber auch um den Pentameter vermehrt, C. IV 1227, abgebildet Tafel XIII 6, danach ergänzt bei Bücheier selbst carmina Lat. epigr. 928, und daß der Hexameter sich auch im großen Theater findet, mit Kohle auf die weiße Tünche aufgeschrieben, aber im ersten Worte unvollständig, C. IV 2995, Tafel XLVIII 23.

Jetzt ist die Lesung aller drei Exemplare von Mau sichergestellt, im Supplementband p. 704 zu den Nummern 1227 und 2995 und p. 705 n. 6697. Danach lautet das Distichon:

venimus hoc cupidi, multo magis ire cupimus, ut liceat nostros visere, Roma, lares.

Nur hat der Schreiber des ganzen Distichons (IV 1227) hire statt ire geschrieben und danach aus Versehen das Wort cupimus ausgelassen.

Demnach stammt das Distichon von einem Dichter, der die Haupt- stadt Rom zur Heimat hatte, und wenigstens derjenige, der das ganze Distichon wiederholt hat, wird wohl auch aus Rom sein. Dagegen mag in dem neuen Graffito IV 6997 und in dem Dipinto IV 2995 der Pentameter weggelassen sein, weil die Heimat ihrer Schreiber oder ihres Schreibers nicht Rom war.

2. In der Festschrift zu Otto Hirschfelds sechzigstem Geburtstage (1903) hat der russische Gelehrte Krascheninikov die Wahlempfehlungen des M. Cerrinius Vatia durch die seribibi universi, dormientes universi und furunculi C, IV 581 M. Cerrunium | Vatiam aed(ilem) ovf. seri- bibi universi rogant. | Scr(ipsit) Florus cum Fructo ... | . . . .; 575: Vatiam aed(ilem) rogant | Macerio, dormientes universi cum | . . . . | ; 576 Vatiam aed(ilem) | furunculi rog(ant) in Verbindung gebracht niit einem zur Zeit der Parlamentswahlen 1893 an den Straßen von Rom angeschlagenen Plakat: Regina Coeli, cella No. 61. | Costanzo Chauvet | raccomanda agli elettori | Enrico Galluppi | suo intimo ed ottimo amico. Chauvet, der einflußreiche Begründer und Herausgeber

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der Zeitung ,.I1 popolo Romano" saß damals im Gefängnis regina coeK, wohl wegen ehrenrühriger Dinge, und das Plakat wurde von den Gegnern des Kandidaten Galluppi verbreitet, um diesem zu schaden. Krascheninikov nimmt an. daß die Empfehlungen zum Aedilen durch „sämtliche Spättrinker", „sämtliche Schläfer" und die „Spitzbuben" denselben Zweck hatten, wie jenes Plakat mit dem Namen Chauvets. Er hat damit auch bei Mau Glauben gefunden . C. IV Sp. 696 zu n. 575 und „Pompeji in Leben und Kunst", S.476i=5062: „Es lag nahe, die Form der Empfehlung auch als drastisches Kampfmittel gegen einen Kandidaten zu verwenden. Dies begegnete dem M. Cerrinius Yatia".

Es wäre ja sehr interessant, wenn solche Mittel, wie sie die leidenschaftlichen Parteikämpfe der modernen parlamentarisch regierten Großstaaten in den Hauptstädten gezeitigt haben, schon im Frieden des ersten Jahrhunderts der römischen Kaiserzeit in einer kleinen Munizipalstadt bei den Gemeindewahlen vorgekommen wären. Aber man muß doch sagen, daß dies äußerst unwahrscheinlich ist; wissen wir doch, daß es in jener Zeit in den Gemeinden Italiens eigentliche Wahlkämpfe kaum gegeben hat und es eher schwer fiel, Kandidaten für die Gemeindeämter zu finden, deren Bekleidung mit großen Ausgaben verbunden war. Ferner muß man sagen, daß zur Erlangung des voraus- gesetzten Zweckes das vorausgesetzte Mittel wenig wirksam gewesen wäre : Empfehlungen mit scherzhaften Namen, alle drei nur in einem Exemplar und an derselben Stelle. Gerade dieser Umstand gibt, glaube ich, die Er- klärung. Schon Zangemeister hat hervorgehoben, daß in dem Zimmer, einem Laden, an dessen Außenwand die Empfehlung der seribibi miiversi steht, an der linken Wand das Graffit C. IV 1679 sich befindet: Invicte castresi(s) ! habeas propiteos deos tuos tres, ite(m) et qui leges : Calos Edone (wohl : Heil Dir Hedone) Valeat, qui legerit.

Edone dicit: assibus hie bibitur; dipundium si dederis meliora bibes.

quattus si dederis, vina Falerna bib(es).

Und deshalb ist draußen, wie ich mich am vorigen Sonntag selbst überzeugt habe, unmittelbar neben der Empfehlung der seribibi von der Leitung der Grabungen die Aufschrift angebracht worden: „taberna Edones". Durchaus angemessen oder ebenso angemessen ist doch wohl die Folgerung von Zangemeister „In earundem aedium muro seribiborum programma (n. 581) extat, ut hoc illa factio conventiculo usa esse videatur". Hier verkehrten und ließen sich von der Schenkdame (H)edone Wein verschiedener Güte kredenzen diejenigen, die draußen sich scherzhaft die Spättrinker nennen und zu denen ein invictus

:-^i2

castre(n)sis, wohl ein besonders angesehener Kämpfer aus den nicht weit entfernten eastra (oder ludus) gladiatoria gehörte. Die beiden anderen Dipinti aber der dormientes und der furunculiy die ich nicht gesehen habe, befinden sich nach Zangemeisters Zeugnis in unmittelbarer ^ähe: auch in der via degli Augustali, das der dormientes n. 575 „inter 13 et 14, ostium a via Stabiana", der furunculi n. 576 „inter 12 et 13 ostium a via Stabiana", während das der seribibi n. 581 „inter 10 et 11 ostium a via Stabiana" ist. Die Folgerung ist wohl nicht zu kühn, daß mit den dormientes und furunculi in scherzhafter Weise dieselben Kumpane bezeichnet sind. Für die erstere Bezeichnung ist eine besondere Erklärung wohl nicht erforderlich. Die spat trinken, schlafen leicht ein und , wie ich am Sonntag mich überzeugt habe, führte in der Kneipe der Hedone nach den Spuren an der Wand eine Treppe in ein höheres Stockwerk, wo man also sich vom Rausche ausschlafen konnte. Für die Bezeichnung furunculi gestatte ich mir einen Einfall vorzubringen. Zur Zeit unserer Dipinti war wohl das gewöhnlichste Spiel, mit dem man sich in gedeckten Räumen die Zeit ver- trieb, das der latrunculi, so genannt, wie es scheint, nach den geringeren, etwa den Bauern unseres Schachspiels entsprechenden Figuren. Könnten nicht die Leute, die dort regelmäßig zusammenkamen und zum Wein mit den latrimculi spielten, insgesamt oder zum Teil scherzweise einen Namen erhalten oder sich selbst gegeben haben, der mit dem der Figuren des Spieles gleichbedeutend war?

3. In einer der von dem Bankier L. Caecilius Jucundus verwahrten Quittungen, die nach unserer Zeitrechnung am 8. Mai 60 n. Chr. aus- gestellt ist (C. IV S p. 392 f. n. CXLIV), ist in der Bezeichnung des Jahres mit den Namen der höchsten Gemeindebeamten von Pompeji zu den Namen der beiden duoviri iure dicundo der eines praefectus iure dicundo hinzugefügt worden, so (zweite Seite): N. Sande[lio] Messio Balbo P. Yedio Sirico | duomviris iure die. | Sex. Pompeio Proculo [p]raef. i. d. | V[III i]dus Maias.

In einer anderen Quittung aus demselben Amtsjahr von Pompeji, das vom 1. Juli 59 bis zum 30. Juni 60 lief, nämlich vom 10. Juli 59 (C. IV S p. 389—891 n. CXLIII) ist mit den Namen zweier anderer Duovirn datiert worden (Seite II:) Cn. Pompeio Grospho, Grospho | Pompeio Gaviano Ilvir. iur. die. | VI idus Julias. Dafür steht auf den Seiten V und VI: duobus Grosphis (Grospis VI) d. (v.) i. d. Es hatte also zwischen dem 10. Juli 59 und dem 8. Mai 60 ein Wechsel der Oberbeamten stattgefunden. Schon der erste Herausgeber Giulio de Petra und Fiorelli hatten dies einleuchtend richtig mit den Unruhen

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in Pompeji im Jahre 59 in Verbindung gebracht, die wir auch etwas durch die Denkmäler, hauptsächlich aber durch den Bericht von Tacitus ann. 14, 17 kennen:

Sub idem tempus levi initio atrox caedes orta inter colonos Nucerinos Pompeianosque ; gladiatorio spectaculo, quod Livineius Regulus, quem motum senatu rettuli. edebat. Quippe oppidana lascivia in vicem incessentes probra, dein saxa, postremo ferrum sumpsere, validiere Pompeianorum plebe. apud quos spectaculum edebatur. Ergo deportati sunt in urbem multi e Nucerinis trunco per vulnera corpore, ac plerique liberorum aut parentum mortes deflebant. Cuius rei iudi- cium princeps senatui, senatus consulibus permisit. Et rursus re ad patres relata, prohibiti publice in decem annos eiusmodi coetu Pom- peiani collegiaque, quae contra leges instituerant, dissoluta; Livineius et qui alii seditionem conciverant, exilio multati sunt.

Mommsen hatte in der Behandlung der neugefundenen Quittungen (Hermes 12, 1877, S. 88 ff., wiederholt: Gesammelte Schriften III, S. 221 f.) sich der Erklärung der italienischen Gelehrten angeschlossen, S. 125 = 259: „daß dieser Vorfall den Rücktritt der zur Zeit desselben in Pompeji fungierenden Duovirn herbeiführte, ist begreiflich". Aber daraus, daß in der Quittung vom 8. Mai 60 neben den neu eingetretenen Duovirn ein praefectus iure dicundo erscheint, hatte er in dem Abschnitt „Die Präfektur als munizipale Diktatur", S. 125 = 258 ff. abgeleitet, daß in gewissen Fällen „neben zwei Duovirn iure dicundo ein praefectus iure dicundo fungieren kann*' und daß man berechtigt sei, „zumal da der dritte Beamte ein gewesener Duovir ist, . . . hier eine ungleiche Kollegialität zu erkennen und den Praefectus von Pompeji und die beiden Duovirn von 59/60 gleichzustellen dem römischen Diktator und den zwei ihm zur Seite gestellten, zur Zeit machtlosen Konsuln. Daß auch die Diktatur wie alle ältesten Ordnungen der römischen Republik ein integrierender Bestandteil der von Rom aus geordneten Munizipal- verfassung gewesen ist, erfahren wir hier zum ersten Mal." Mommsens Aufstellungen scheinen allgemeine Billigung gefunden zu haben, auch bei Mau, Pompeji, S. 12: „Ein solcher (Präfekt) wurde auch ernannt, wenn einmal besondere Verhältnisse eine außerordentliche Behörde, eine Art Diktatur nötig machten." Indessen erklärt sich das Vorkommen des Praefectus auf die einfachste Weise, wie bei unseren Verhandlungen sogleich ein Teilnehmer, stud. Fritz Blumenthal, sah. Mommsen selbst erwähnt a. a. 0. (S. 125 = 259) die längst bekannte Verwendung des Präfekten, „wonach für den aus dem Amtsgebiet abwesenden Ober- beamten auf die Dauer der Abwesenheit ein praefectus eintritt". Das Stadtrecht von Salpensa bestimmt im Kapitel 25, daß, wenn auch der

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zweite Duovir iure dicundo die Stadt auf länger als einen Tag verläßt, er einen ans den über 35 Jahre alten Dekurionen genommenen Präfekten zurücklassen muß, und dieselbe Bestimmung bat sich teilweise mit den- selben Worten in dem im Jahre 1906 im Legionslager von Lauriacum ge- fundenen und von mir in den Jahresheften des österr. archäol. Institutes 9, 1906, S. 315 ff., veröffentlichten Bruchstücke eines Stadtrechtes aus der Zeit Caracallas, also des Anfanges des dritten Jahrhunderts n. Chr., gezeigt. Nach dem Berichte von Tacitus haben die Unruhen in Pompeji zu langwierigen Untersuchungen und Verhandlungen in Rom vor dem Kaiser , dem Senat , den Konsuln , dann wieder vor dem Senat und schließlich zu empfindlichen Strafen für die Gemeinde geführt. Es ist fast undenkbar, daß die beiden obersten Beamten nicht längere Zeit in Rom hätten sein müssen, und unterdessen mußte verfassungsmäßig in Pompeji selbst ein Präfekt eintreten. Daß aber die Duovirn durch ihre Abwesenheit nicht das Recht einbüßten, daß das Jahr mit ihrem Namen bezeichnet wurde, ist wohl selbstverständlich. So werden denn auch, wenn ein Duovir, der Kaiser oder ein Prinz das ganze Jahr hindurch abwesend ist und durch einen Präfekt vertreten wird, beide Duovirn und der Präfekt zusammen genannt; zur Bezeichnung des Jahres: C. X 904 aus dem Jahre 40/1 n.Chr. mit [C. Caesare] M. Epidio Flacco I quinq(uennaUbus) M. Holconio Macro j>raef(ecto) i(ure) d(icundo); sogar bei der Angabe einer Amtshandlung: C. X 901 aus dem Jahre 34 mit iussu [C. Caesaris] M. Vesoni Marcelli IIvir(um) i. d., M. Lucreti Epidi Flacci praefecti.

4. Die eben angeführten zwei Inschriften gehören zu der ziemlich viel Nummern aus der Zeit vor 729 der Stadt = 25 v. Chr. bis 40 n. Chr. umfassenden Gruppe pompejanischer Inschriften, die vielfach als Haupt- quelle für die Entwicklung des Kaiserkultus zu Anfang der Kaiser- zeit verwendet wird. Es sind Weihungen ex d(ecreto) d(ecurionum)^ auf Beschluß des Gemeinderats, und iussu zweier Beamtenkollegien, nämlich der beiden d(uo) v(iri) i(ure) dßcundo) und der gewöhnlich mit den Siglen d. v. v. a. s. (einmal, allerdings in einer Inschrift einer anderen Gruppe der Wahlempfehlung C. IV S 3684, steht dafür sacr.) p.p. (einmal proc.J bezeichneten. Nach den Darlegungen von Willems, dem sich Mau an- geschlossen hat, ist wohl zu lesen d(uo) v(iri) v(iis) a(edihus) sacr(is) p(ublicis) proc(urandis) und sind diese Beamten von den Aedilen nicht ver- schieden. Die Weihenden gehören wohl alle dem Stande der Sklaven oder der Freigelassenen an und ihre Normal- und zugleich höchste Zahl ist vier. In der späteren Zeit, sicher seit dem Jahre 752 der Stadt = 2 V. Chr. nennen die Weihenden sich gewöhnlich min.

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(ministri) Aug. (einmal C. X 892 Augusti). Aber die, so viel ich sehe, noch, nie bezweifelte Annahme, die Weihenden hätten früher ministri Mercuri Maiae und dann ministri Augusti geheißen, erscheint mir keineswegs sicher. Mommsen sagt allerdings in den Bemerkungen vor der Sammlung dieser Inschriften C. X 884 923: Ministri dicuntur nude in titulo omnium antiquissimo n. 884, deinde ministri Mercurii Maiae in tituKs a. 740 (n. 885 et 886) et anni incerti n. 887, item ministri Augusti Mercurii Maiae in titulo anni incerti n. 888, deinceps certe ab a. 752 ministri Augusti.

Aber die Angabe ist nicht völlig genau. Die größtenteils identischen zwei Inschriften des Jahres 740/14 C. X 885 . 886 lauten im ersten Teil: M. Sittius M. 1. Papia (so 885; 886 Serapa) Merc. Maiae sacrum ex d. d. Die Bezeichnung ministri fehlt also und das Merc. Maiae ist der Dativ der Gottheiten, denen die Weihung gilt. So steht denn auch in der im Jahre 1895 in der Nähe von Boscoreale gefundenen und von Sogliano Not. d. scavi 1895 p. 215 herausgegebenen, unten unvoll- ständigen Inschrift nach den Namen von drei ser(vi) und einem l(ihertus):

MERCMAIAE-SACR EX-D-DIVSSV

daher wird wohl in der links und unten abgebrochenen Inschrift X 887, die durch ihre Form auf ältere Zeit hinweist, in den nach den Namen dreier Sklaven stehenden Zeilen 4 und 5:

ri-merc-mai \acr-ivssv

zwar vielleicht zu Anfang [minisi\riy dann aber Merc{urio) Mai(ae) \s\acr(um) zu lesen sein

Also ist für ministri Mercurii Maiae kein einziger Beleg vor- handen. In C. X 888, die ich vorgestern sehen konnte, steht allerdings nach den vier ersten Zeilen mit den Namen zweier Sklaven und eines Messius Arrius luventus, wohl eines Freigelassenen, als Zeile 5

^■^^^AVG- MERC -MAI

und es wird zu Anfang MIN = [minßstri)] zu ergänzen sein. Aber die Formen der Buchstaben scheinen mir entschieden auf spätere Zeit als das Jahr 752 hinzuweisen, in welchem die Weihenden sich schon min. Aug. nennen. Ich möchte daher auch hier nur das [min.] AYG. als Bezeichnung der Weihenden ansehen und demnach Merc(urlo) Mai(ae) lesen.

Es ist ja auch aus demselben ersten Halbjahr, aus dem wir bisher die Weihung seitens zweier ministri hatten, C. X 892: Messius

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Arrius | Helenus | M. Devidius M. M. 1. | [FJaustus ung(uentarius), | min. Augusti | M. Numistrio Frontone | Q. Cotrio Q. f. d. v. i. d. | M. Servilio L. Aelio | Lamia cos., neuerdings die Weihung seitens eines dritten minister an eine bisher nicht mit Sicherheit zu benennende Gottheit zum Vorschein gekommen, Not. d. scavi 1890 p. 44 = Ephem. epigr. YIII p. 87 n. 316 (hier nach eigener Kopie und Durchreibung): I : AA.P.R.DD. I GRATYS CAESAE | L MINIST IVSSV | Q.COTßlDVI.D I C.ANNIMAEYLI | D ALFIDI HYPSAI | DY-YAS-PP I M-SERYILIO-L. AELIO | COS

Danach ist die Frage noch nicht beantwortet, welcher Körper- schaft diese anscheinend jährlich in der Yierzahl ernannten ministri zuzuweisen sind. Wir sehen nur, daß einzelne von ihnen im Jahre 740/14 und anscheinend in ein paar anderen Jahren dem Mercur und der Maja und einer im Jahre 3 n. Chr. der Gottheit oder den Gottheiten A A P R etwas geweiht haben, und daß sie mindestens vom Jahre 752/2 an sich min. Aug. nennen. Ob dies Aug(usti) zu lesen ist, ist vielleicht trotz des Zeugnisses von X 892 zweifelhaft. Die ministri stehen gewöhnlich den magistri zur Seite und wenigstens einmal hat sich in Pompeji ein mag. Aug. gefunden, in der Grabschrift C. X 1055 C. Novellius Natalis mag. Aug. Wie hier sicher mag(ister) Aug(ustalis) zu lesen ist, so käme für unsere Inschriften auch die Lesung mm(ister) Aug(ustalis) in Frage und das vereinzelte AYGYSTI in X 892 könnte ein Fehler sein, der vielleicht auf dem Steine selbst verbessert war.

Am glaublichsten erscheint mir bis jetzt, daß unsere Ministri einem Stadtteil Pompejis, etwa einem Pagus angehören, me nach dem Zeugnis der Denkmäler der pompejanische Pagus Augustus Felix suburbanus außer magistri auch jährlich wechselnde ministri^ und zwar ungefähr in derselben Zeit, nämlich im Jahre 747 der Stadt = 7 n. Chr., und gleichfalls in der Yierzahl erhielt; das beweist die Weihung dieses Jahres C. X 924 : Dama Pup(i) Agrippae, | Manlianus Lucreti, | Anteros Stai Rufi, I Princeps Mescini, | ministri pagi | Aug. Fei. sub[urb]an. | primi posie[run]t | Ti. Claudio Nerone iter(um) | Cn. Calpurnio Pisone cos. Es ist dasselbe Jahr 747/7, in welchem die Yici der Hauptstadt Rom einen aus jährlichen vier Magistri und vier Ministri bestehenden Yorstand erhielten, dessen Tätigkeit wie die der entsprechenden Organi- sation in Pompeji wesentlich mit dem Kaiserhaus in Yerbindung gebrachte Kulthandlungen betraf.

Rom, 2. September 1909.

REGISTER

(Die fetten Zahlen bezeichnen die Seiten.)

A. Autoren.

(* hinter einem Autornamen verweist auf den Sachindex.)

Anth. Pal. VII 154 113; Quellenepigramme

111 Antiphanes Malthake 77 Apollodor Bibl. II 1, 3 if. 26; IH 15, 7 35 Archilochus* Frg. 51 u. 53 B 184 Aristides Aelius XXVI 70 216 Aristophanes* Ran. 1357 30 Aristoteles* Poet. c. 5 fin. 2; 1462 a 15,

c. 5, 1449 b 10 u. a. 3 ff. Asinius Pollio Consilia 221 Bruchstücke

b. Charisius 227 Athenaeus II 43 ff. (Phylarchus) 108

Callimacbus Frg. 5 Sehn. 28 CatuU Passer 150; c. LI 157 Charisius Gr. L. I 80, 2 f. 222 Cicero Brutus 132, Erklärung 217; De consiliis suis 221; 'Ävexöoza 222

Die Cassius LXXIX 10, 1-3 253 Diodor IV 60 36; IV 77 28; XIX 106, 2

132 Diogenes La. VI 55 135

Eudoxusvon Knidus s. Steph. Byz. und Plinius

Euripides Andromache 490 ff. 33; Hekabe 557 ff. 308; Hypsipyle 33; Kreter 26

Fronto S. 126 Nab. Schreiben an L. Verus 213

Geogr. Gr. min. I 97 129

Heraklides Städtebilder 129

Herodot IV 110 120

Fragm. Histor. Graec. II 254 129

Homer IL II 145 Schol. Ven. A 28 ; II 585

121 Horaz Carm. II, 8 f. 178; I 2, 17 ff., 13,

9, I 4, 5 176; I 4, 9 f. 178; I 6, 9 177;

I 7, 19, I 9, 11, I 12, 15 178; I 12,

45 f. 177; I 22, 12 f. 178; I 28, 4 ff 175;

I 26, 6 178; I 28, 15 177; I 38 178;

m 5, 27 176; Epod. XVI 179 Hygin Fab. 40 27 Hymn. Orph. XLIX p. 84 Abel 102

Johannes v. Damaskus, Auszüge aus Ne-

mesius 89 Isigonus Nie. (Westermann Paradoxogr.

186) 108

Luc an Phars. IX 411—414 201 Lucian* Fugitivi 19 78; lupp. trag. 53

78 ; Dial. mer. 79 ff. ; ticqI jraQaauov 78 ;

Pseudolog. 4 78; Bhetor. praecept. 12 77

318

Q. Lutatius Catulus, Sendschreiben 213;

communes historiae 218 Lydus De mag. I 30 222

Menauder* Elench. 78; Epitrep. 78; 251ff. 80; 497 87; Kol. 81 f.; Mis. 82; Perik. 78 ff.; 111 85; Ehapiz. 81; Thais 77

Nemesius s. Johannes

„Octavia", die röm. Tragödie 189 Ovi d Am. I 289—326 37 ; Metam. XV 321 ff. 108, 110

Tansanias V 19, 1 291; VIII43,3 246 Phoinikides Frg. 4 K 83 Phylarchus s. Athenaeus Pin dar Päan für die Abderiten 8; Xem. VI

53 299; Pyth. IV 12 Pia ton* Charm. 51; Euthyd. 277 e ff. 47,

49; Gorg. 40, 53; Laches 51; Menon 96 d

4G, 50; Protag. 38; Theät. 151 b 47, 50 Plautus* Capt. 85 ff. 135 Plinius N. h. XXXI 16 (Eudoxus) 108 Plutarch* Thes. 15 291; Sert. 8 184; Moral.

547 e 85 Pollio s. Asinius Polybius IV 52, 4 131 Proclus Comm. z. Tim. II p. 124 C, D, III

p. 171 C 103 Properz 18,4164; IV 3, 51ff. 167;IV5,

47 ff, 172

Salin st unbenutzte Handschrift 200

Salin st pseud. Ad Caesarem senem De re pu- blica 222; Invectiva in Ciceronem 223

Sappha (Syr. Gr. 2 Bergk) 157

Seneca pseud. Oct. 36 197^; 46 f. 197; 104 ff. 192 ff: 924 ff. 199

Sophokles* Polyidos 366 N. 35

Steph. Byz. 'A^avia (Eudoxos) 108

Sueton Tib. 70 36

Suidas Alyatov nelayog 291

Tacitus* Ann. XIV Bericht über Octavia 189; XIV 17 313

Terenz* Andr. 685 148; Eun. 267 148; 737-782 81; Haut. 321 148; 846, 1066 147; Phorm. 73 146; Handschriften 149

Theophrast 7; über Lusoi 109

Ulpian Frgm. A^at. 220 252

Varro L. L. V 150 218

Vergil* Aen. IV 381 165; Georg. III 293, Prob, zu 218 ; Georg. IV 563, Schol. Vat. 218; Georg. VI 46—60 37; Hand- schriften 149

Vita Pii 5,4 246

Vitruv VIII 3, 21 108

„X e n 0 p h on" pseud. 'Adrjv. noXix. 55 Zenob. IV92 27

Pap yri : Berl. Samml. 9588 135; pap. Eainer, Festschr. f. Th. Gomperz 67 135; index stoiconim Herculanensis 133 ; Metiochos u.Parthenope 134; skurrile Iphigenie 20; Moicheutria 22 f. ; Pindars Päan f. d. Ab- deriten 8 ; Eechtsurkunden a. Oxyrh. 270

B. Inschriften.

I. Griechische. IG 11 5, 314; 444; 446 129; II 971 128

VII 2383 126 OGI 90 131 GD I 5349 123 I. V. Priene 313, 67 123 Prag er IGM 215 (aus Lusoi) 104 Ath. Mitth. IX 28 133; XXII 126 f. 123;

XXX 213 129 Bull. corr. hell. XXIX, 210 f. 123 Journ. of hell. stud. XXIII 89 133 Berl. Sitz ber. 1904, 917 125 C. E. de l'acad. des inscr. et beUes lettres

1905, 565 115 Mova. X. ßißX. T. evayy. ayoX. iv ZfivQVf]

1878/80 S. 169 dQ.tftß' (aus Gjölde, Mae-

onien) 102 Delphische Schatzhausfriese, In- schriften 295 Unveröffentlichte I. a. Menje (Maeonien)

103

II. Lateinische.

CIL I 636 278; I p. 281 280 III 4416 249; ni 5211-5215 246; III 6179 264; III 8169 252; III 8238 251; III 13734 116; III p. 886 n. XLIV 257 ; III p. 1960

319

n. XIV 2ß2: III p. 2213 202 n. C; III 7505 268 ; cf. III 7505 269 ; IV 575, 576, 581 310; IV 1227 310; IV 1679 311; IV 2995 (cf. IV S p. 704) 310: IV S 3687 316; IV S 6697 310; IV S n. CXLIII, CXLIV 312; VI 1208 247; VI 1333 266; VI 1377=31640268; VI 1423 252; VIII 2490, 2728, 10230 247; VIII 747 2154; X 885-888 315; X 892 316 XI 5743 277 Ephem. epigr. VIII p. 87 n. 316 316 Jahreshefte VI 1930 Beibl. S. 38 251 unveröffentlicht: Erlaß des Licinius, Do- bradscha 117

C. Sachliches.

Abdera Apollon Derainos 8; n. Athen 1.0; u. Päoner 16; u. Perser 8ö". 12; Abderos, fj^cog y.xLaxrjg v. Abdera 9

Abnahmepflicht d. Käufers 274

Achilleus a. Schatzhausfrij[^s in Delphi 296

Adamklissi Brunneninschrit't 114

L. Aemilius Carus, Legat v. Dacia 266, 268

äyoiviäv Bedeutung 87

Ägypten Krieg d. Antoninus Pius 249; Vormundschaft d. Mutter 270

Aineas a. Schatzhausfries in Delphi 295

Aithiopis 304

Alen d. Heeres v. Dacia 259

Alexander d. Gr. 254; v. Abonuteichos 251

„Alcibiades" -Köpfe 305; a. Halikarnaß in London 304

Allauro 230

Amor u. Psyche, Märchen 291

Anaia 125

dvameafia im griech. Theater 24

Antilochosa. Schatzhausfries in Delphi 297

Antiphanes Malthake 77

Antisthenes b. Piaton 49

Antoninus Pius Dakerkänipfe 264; maure- tanischer Feldzug 246

Apollon V. Delphi 18; Derainos v. Ab- dera 8

Apostel Einbandbild 141

Archilochos u. Aristophanes 6; u. Horaz 183, 187

Ariadne- Knäuel 285

Aristophanes u. Lucian 77

Aristoteles Kunstlehre 5

Asehenurne mit Pasiphae 36

A s i n i u s PoUio, neue politische Schrift 213,

Stil 224 Asklepios-Glykon 252 Athen Zerstörung durch Xerxes 10 ; 'Äd^rj-

vaTot M. 'Arnzoi 131; 'A&rjvdiot Boicoioi

129 Athletenköpfe, attische, in Eoni 305 avog Bedeutung 87 Aurasius mons 247 Aurelius Antoninus, Marcus, Germanisch-

sarmatischer Krieg 266 A u 1 0 m e d 0 n a. Schatzhausfries in Delphi 295

Bay-ivd-Log, favJvdiog, 'Yay.iv&cog 118 Ballett d. röni. Kaiserzeit 34 Bauernschaft, leibeigene, in Byzanz u,

Zeleia 131 Belgien, griech. Codex a. 139 Blace (Mösien), Inschrift 251 Blaubart Sage 290 Bostra 247

Brankovan Handschriften, Wappen 141 Brautfahrt Sagenmotiv 288, 292 Brunnen -Inschrift a. Adamklissi 114; a.

Lusoi 104 Byzanz Krieg mit Prusias 131; leibeigene

Bauernschaft 131

Sex. Calpurnius Agricola, cos. suff. 258,

268 f. Carini 238 Castellaccio 238 Chalkidische Vase in Florenz 297 Charitinnen, Opfer d. Minos an d. 36 X^e(vjaafiög 133 choregische Inschriften 128 XOQÖg ausgelassen 128 Chorsiai (Boeotien) 126 Christus Einbandbild 141 Cimbernkämpfe 217 Cirtae = quattuor coloniae Cirtenses

214 M. Claudius Fronto, Legat v. Dacia 266 f.;

Ti. lulianus, cos. sutl. 258; Ap. Sabinus

280 communes historiae (Communis historia)

d. Catulus 218

320

consilia Ciceros, Pollios 221 constitutum debiti proprii 275 cubare, dormire u. ä, mit in c. acc. 173 curator infirmi 273; puberis minoris 273 cursus bonorum 277

Dacia, Provinz, Zwei- u. Dreiteilung 256; Besatzungstruppen 259 if. ; Legaten, Pro- kuratoren 256, 265 f., 268; Römerkriege 249, 264

Daedalus u. Pasiphae 27

Däumlings-Märchen 287, 289, 291

David Einbandbild 141

Dedikationen, römische 278

Delphi Schatzhausfriese 293

Demeter-Priesterinnen in Athen 80

Aieivvaog, Atsa?<ovQi6t]g 123

Diogenes, Kyniker, Ausspruch 135

Diomedes im Memnonkampf 300

Dionysos a. Schatzhausfries in Delphi 295

Dioskuren das. 300

Dobrudscha Geographisches 114

draccena, dracco 251

Dramen, hellenistische 29, 32, 37

övofioQog Bedeutung 86

sa st. eva 133

Ehegerichtsbarkeit, kirchliche 276

Ehreninschriften m. cursus bonorum 278, 281

E i d des Schuldners gegenüber d. Bürgen 275

Einbände von Hss. m. bibl. Mittelbildem 141

EX(pd'EiQead-ai, ujio-, sig-, Bedeutung 87

Elegien 230

Eos a.Vase 298

ETiayysXXeo^ai Bedeutung u. Gebrauch 130

Ephebenköpfe, attische in Krakau 302, in Dorpat u. in London 304

kjiCxQonoi i'iTOi xovQäTogeg 273

Epos u. Tragödie 2

Erb senstreuen Märchenmotiv 288

Eros u. Charitinnen 36

Eryx 235

Ethnika z. Bezeichnung d. engeren u. wei- teren Heimat 130

Eugen von Savoyen, Prinz, griech. Hss.

d. Wr. Hofbibl. 137 vTiaQVfpog 85

I ..Europe" (Pasiphae) a. Sarkophag 34, 36 Evangelisten Einbandbild 141 expeditio Erläuterung 215

F Wiedergabe 118 Fabula Prätexta Octavia 189 Favorita 230 Frauen, Vormundschaft 270 A. Furius, Widmung v. Catulus' Sendschrei- ben an 219 f. Furius Octavianus 252 furunculi = latrunculi 312

Genetiv b. vixäv 128 Gerichtsbarkeit, kirchliche Ehe— 276 Gerundiv attributiv 217 Geten-Krieg 249 Getreideversorgung 125 Gjölde Inschrift 102 Glykon Schlan^ngott 252 Gorgoneion Schildzeichen Achills 2;)8 Goten Einfälle in die Dobrudscha 117 Grab Stele, attische 306 Grimenothyrae Münzen 283

Handschriften Sallusts200; d. Terenz u.

d. Vergil 149; d. griech. d. Prinzen

Eugen V. Savoyen d. Wiener Hofbibl. 137 ;

Einbände m. bibl. Mittelbildern 141 Hansel u. Gretel, Märchen 287 Heirkte 225, 235 Hekate ^otvtxöJieCa 18 Hera Baatltoar], .Weihnng 116 Herakleides Städtebilder 129 Heraklesköpfe im Louvre u. in Aequum

304 f. Hermannstadt, Hss. a. 143 Hippodameia im Phigaliafribs 308 Hipta (Hippa), Meter 102 1 Hunderassen 135 Hypsipyle d. Euripides 33

Ixd-voyievtavQoi in Tempelgiebel 35

in c. acc, Zweck o. Folge 172; bei cubare u. ä.

173 Inkarnation Alexanders 254 Inschriften, lateinische, Stilisierung 280 iocari Bedeutung 154

321

Johannes Einbandbild 141 Ionischer Dialekt, w-Laut 120 Jordan, H. über Catulus' Brief 214 Isola delle Femmine 238 Inno (Hera) u. Alexander d. Gr. 255 lubilatus, US = iubilum 221 luppiter u. Alexander d. G. 255

Kaiserkult 314

Kantakuzen Konstantin, Hss. des 140 Karte, Welt— in Sallusthandschrift 201^ xdoTO)Qy KäaxoiQ 121 xad'iaTO.vat xbv oItov 125 Kaufpreis f. Steuerrückstände beschlag- nahmt 274 Kaufrecht, römisches 274 xrjöe^öveg, ol aad-' tjXtHtav 273 xey.TTjfiivrj „Herrin" 86 Kephisodot d. Ä., Herakles 304 Kirchliche Ehegerichtsbarkeit 276 Knidier Schatzhaus in Delphi, Friese 293 Kohorten d. Heeres v. Dacia 259 Komödie, Neue, u. Lucian 77 Konjunktiv, Optativer, d. Impf. u. Plqupf.

ohne utinam 152 >covQOTQÖq)0£ Wortgebrauch 86 Kreter d. Euripides 26 Kypseloskasten Ariadne 291

Labyrinth 289

Lambaesis 247

Xaoi ßaaiXiyiOi, Xewg aihoixog 131 f.

lata (Neutr. plur.) substantiviert 221

latrunculi Spiel 312

Legaten v. Dacia, prätorische 256, 265,

268; consularische 266, 268 Legionen: Y Macedonica in Moesia inferior

264, nach Dacia verlegt 261, 268; VIII

Gemina in Dacia 265 Leukippiden-Raub im Schatzhausfries v.

Delphi 300 Licinius Erlaß 117 Xi&eia 133 Lucian u. d. Neue Komödie 77: u.

Flautus-Terenz, Personennamen 83 ; u.

Piaton 88 Lusoi Brunneninschrift 104 Q. Lutatius Catulus, Cimbemkämpfe 217;

Sendschreiben 213; Communes historiae

218

Wiener Eranos.

Lycaon äthiopischer Wolf 122 Lysimachus Koraödiendichter 78

Macrinius [Vindex?], Statthalter (Proku- rator?) v. Dacia Porolissensis 261, 265

Maeonien Inschriften 102

Malta Märchen 286

Maria Einbandbild 141

Mari US u. Catulus 218

Matthias v. Myra, Werke 143

Mauretanischer Feldzug d. Antoninus Pius 246

Maurokordato Nikolaus, Hss. d. 142

M e i s t e r h a n s-Schw3^zer, Grammatik d. att. Inschr. 128

Meklenburg Märchen 287

Melamphyllon Teierschlacht 16

Meletius u. Nemesius 89

Memnon in Schatzhausfries v. Delphi 296

Menander b. Lucian 77

Menschenfresser u. Minotaurus 287

mereri, meritum, sjTionym m. donari, donum (merces) 217

M i 1 i t ä r d i p 1 0 m e , dakische 257 ff. ; Formular 262, 264

ministri in Pompeji 314

Minos und Pasiphae 26; Opfer d. auf d. Pasiphae-Sarkophag 34

Minotaurus 26; u. Menschenfresser 287

Mithras Verehrung befohlen 117

Mondello 226

Mösien Volksglaube 251

Münzen v. Grimenothyrae 283

Munizipalinschriften a. Pompeji 309

Musen yXvxvfiäxcivoi 18

Namen b. Lucian u. in d. Komödie 83; Per- sonen- u. Tier 122 ; römische gebung 253, 280

naturale negotii 274

veofxrjvia günstige Vorbedeutung 17

Nestor im Schatzhausfries v. Delphi 296

vixäv c. gen. 128

Niobide d. Banca Commerciale 307

"Oa^og, ViTvXog, 'Odevg 120 Octavia fabula praetexta 189 'OiXevg, 'OiXidörjg : 'IXet'fg, IXiddrjg 1 21 OiTvXog , Behvlog 121 wfiog, ömsos 124

21

322

övva, divt'i, wvog 124

Oropos 129

Orden, Deutscher, Volkssage 290

otium Bedeutung: 161

Pankrati astenköpfe in Berlin und Güttingen 305

Panormus 226

Päoner u. Abderiten 16

Parasiten b. Lucian 78

naQ ai)iö 127

naQeniyQacpai 20

Paros Tempel d. Charitinnen 36

Pasiphae 26: Darstellungen 33

St. Paul (Kärnten), Sallusthandschrift 200

Pauson Rhyparograph 7

Pellegrino monte 225, 234

TT SQivo avelv rrjv olxovf.iEvr}v 135

Pompeji Municipalinschriften 309 ; ministri 316

praefectus iure dicundo neben duoviri iure dicundo 313

Perser in Thrakien 12

Pertica 226

Phigaliafries Hippodameia 308

Philodem, Epikureer 1

Philostephanos Quelle Diodors 29

(piXöd-eog 134

Phrygische Münzen 283

Piaton u. Prodikos 38; Vorbild d.

Lucian 88 Plautus u. Lucian 83 Plutarch u. Horaz 184 noXiri-aa öw/uara, nicht TroXe^uau 132 Pollio s. Asinius Prätoren, städtische, Amtstitel 281: pere-

grine 282 Praxitelische Köpfe 305 Preußen Volkssagen 288, 290 Priamos(?) im Schatzhausfries v. Delphi

296 ; a. schwfg. Vase 299 Prodi kos b. Piaton 38 Prokuratoren in Dacia, Finanzbeamte 256,

268; präsidiale 256, 265, 268 TiQoXafxßdveiv Bedeutung 127 Prusias Krieg m. Byzanz 131 Puppenspiel, griechisches 23

Uuaestoren, städtische, Amtstitel; 277 Kompetenz 278

Quellenepigramme 111 Quo mihi? 170

Ragazaki -Märchen 288 Räubersagen 287

Rom, sallustianische Gärten, Niobide 307 Rotes Meer, Aufstand am 249 QVfxög Bedeutung 286

Sabazios 102

Sage V. Ai-iadne-Knäuel u. ä. 285

S a 1 d a e Räuberunwesen 247

Salgfräulein Sage 285

Sallust-Handschrift, unbenutzte 200

S also via Inschrift 117

Samos Gesetz ü. Brotkorn-Beschaffung 125

Sardanapal 163

Sarkophag, Pasiphae 34

Satyrspiel 7

Scala des M. Pellegrino 226

Schildzeichen Achills 298

Schlangengötter 251

Seneca pseud. Octavia 189

Serban II. Handschrift 142

Sferracavallo 240

Sklaven in d. Komödie 80 Skopasische Köpfe (Meleager) 306 Sokrates u. Prodikos 42 ff', solaciolum Bedeutung 154 Soldatenliebe in d. Komödie 81 Söldner in d. Neuen Komödie 80 Sophokles Satyrspiel 7; Elektra und

(Senecas) Octavia 189 Steuereintreibung in Rom 274 süus statt eins 153

Tacitus und (Senecas) Octavia 189 zäXav Bedeutung 86 TaQavTtvidiov 85 Teier Schlacht b. Melamphyllon 16 Terenz Handschriften 149; Konstruktions- hilfen 148; u. Lucian 83 Theaterexemplare, griechische 21 Theseus u. Ariadne 285 Thetis a. Vase 298 Thrakien, d. Perser in 12 Tirol Sagen 285, 290

^2;\

ToTg st. oU 129

Torretta 238

Tragödie u. Epos 2

Trajanopolis 283 f.

Trapani 235

Tri tone in Tempelgiebel 34

Tropaeum, Municipium 115

tutor impuberis 273

Tympanismoi a. griech. Bühne 20

Urkunden (Gesetze), römische 277, 281 utinam fehlt b. coni. opt. impf. u. Plqpf. 152

vaccinium, växivd-og 118

T. Varius Clemens, Prokurator 247

Vase, chalkidische in Florenz n" 1784 297;

schwarzlig. im Mus. Gregor. II 28 299:

n m. Darstellung des Memnonkampfes

297 vento ire 1G5 Vergil Handschriftliches 149; Virgilius,

Zauberer 288

L. Verus, Schreiben Frontos an 213

vir clarissimus 281

Virgilius s. Vergil

Vladulas Grammaticus, Handschrift d.

141 Vormundschaft d. Mutter in Ägypten 270

Walach ai, Handschriften a. d. 139

Wappen Brankovans 141

Wendische Sagen 288 f.

AVien, Hofbibliothek, griech. Handschriften

des Prinzen Eugen v. Savoyen 137 Wortschatz b. Lucian u. d. Komikern 85

"^Y^äxivd-og, fäytivd-og 118

deoi, vsaiäna: feat, featäxa 120

vTioy Qa(pevg eines Schwachsichtigen 273

vjionQcveaß^ac Bedeutung u. Gebrauch 130

V QEiyaXsov, fgrjyaXsov 120

Zeleia, leibeigene Baueraschaft 132 Zenon, Stoiker 133

Druckfehler-Berichtigung.

S. 256, Z. 6 V. u.: (S. 2G5, A. 3 st. A. 28).

, 264, Anm. 1, Z. 3 v. u. : (vgl. oben S. 262, A. 3 st. 263, A. 20).

281, Anmerkungen: 4 st. 14.

283, Z. 12 V. o. : ^lazoQCa st. 'leiogia.

310, Z. 8 V. u. : Cen-inium st. Cerrunium.

- 311, Z. 6 V. u. : angemessen; aber st. angemessen oder.

. 314, Z. 15 V. u. : von 729 st. vor 729.

314, Z. 8 V. u. : Gruppe, der.

315, Z. 10 V. u. : Inventus st, luventus.

,. 316, Z. 1 V. o. : Decidius st. Devidius.

.. 318, Sp. 2: XpTKtphmi st. ..Xenophon".

21*

Die Heliogravüre des Titelblattes gibt eines der reizvollsten Werke römischer Klein- kunst wieder, das der Boden Camuntums spendete. Es ist ein bronzenes Köpfchen der Athena Parthenos, das bei Feldarbeiten auf der Burgbreite unweit des Pälffyschen Gartens im Frühlinge 1903 zutage kam. Nach seinem regelmäßig begrenzten Halsrande rührt es nicht von einer Statuette her, sondern war für sich gearbeitet und bestimmt in einen Hermenschaft aus Marmor, Holz oder Elfenbein eingelassen zu werden.

Dünn und rein im Gusse, sorgfältig geglättet und ziseliert und mit Silb3r maßvoll inkrustiert, hat das nur 007 hohe Köpfchen die Reize eines kleinen Kabinettstückes. Aus Silber sind die Rankenomamente des Stirnstulpes , die Augenbrauen und die Augen , doch löste sich ihr einstiger Belag aus seinen vertieften, scharfumrissenen Betten. Die fehlenden Helmbüsche waren gesondert gegossen und mit Hilfe von Zäpfchen in die Rücken der den Helm bekrönenden Tiere eingesetzt. Wie der mittlere die seitlichen Büsche an Größe über- ragt, so ist auch das für seine Aufnahme bestimmte Loch im Rücken der Sphinx nicht unbeträchtlich größer und tiefer als die Stiftlöcher im Rücken der Flügelpferde.

Gleichwie bei anderen Darstellungen der Athena Parthenos beschränkt sich das Gemeinsame der Camuntiner Bronze und des berühmten Tempelbildes auf diese drei Fabeltiere, den Trägem ebensovieler Helmbüsche. Aus der Fülle des übrigen Zierrates, den Phidias' Statue bot, hat der Bildner des Köpfchens mit Takt und feinem Bedacht gewählt, was für sein kleines Werk dienlich war und sich gehütet, es mit Details zu überladen. Auch folgt er in der Modellierung des Antlitzes nicht dem Stile des großen Meisters, obgleich er über dem mehr schmächtigen als vollen Gesichte mit der schlanken Nase, den mandelfcirmigen Augen, dem zarten Munde und dem kräftig runden Kinne einen Hauch herber altattischer Anmut zu breiten wußte. Man wird dem Bronzeköpfchen die Eigenart nicht bestreiten. Dim kommt ein selbständiger Kunstwert zu, für den wir Kopistentreue nicht eintauschen wollten.

Vgl. Robert v. Schneider Jahreshefte YII, 151, Taf. I, dessen Ausführungen die obige Beschreibung im Wortlaute entnommen ist.

Druck von GottUeb Gistel & Cie., Wien.

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V33

Wiener Eranos

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