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WOLFGANG UND JOHANN BOLYAI
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Aufzeichnung Johann Bolyais aus dem Jahre 1820
URKUNDEN
ZUK GESCHICHTE DER
NICHTEÜKLIDISCHEN GEOMETRIE
HERAUSGEGEBEN VON
FRIEDRICH ENGEL und PAUL STÄCKEL
II
WOLFGANG UND JOHANN BOLYAI
LEIPZIG UND BERLIN DRUCK UND VERLAG VON B. G.TEUBNER
1913
WOLFGANG UND JOHANN
BOLYAI
GEOMETRISCHE UNTERSUCHUNGEN
MIT UNTERSTÜTZUNG DER UNGARISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
HERAUSGEGKBEN VON
PAUL STÄCKEL
ERSTER TEIL LEBEN UND SCHRIFTEN DER BEIDEN BOLYAI
MIT DER NACHBILDUNG EINER AUFZEICHNUNG JOHANN BOLYAIS UND 26 FIGUREN IM TEXTE
LEIPZIG UND BERLIN DRUCK UND VERLAG VON B. G.TEUBNER
1913
ALLE RECHTE, EINSCHLIESSLICH DBS ÜBERSETZUNGSR::JCHTS, VORBEHALTEN.
DEM ANDENKEN DES BAUMEISTEES
FRANZ SCHMIDT
DES UNERMÜDLICHEN VORKÄMPFERS FÜR DIE SACHE DER BOLYAI
WIDMET DIESES WERK
DER VERFASSER
Vorwort
Von den beiden ersten Bänden der Urkunden zur Geschichte der nichteuklidischen Geometrie, die Engel und ich im Jahre 1897 ankün digten, ist der erste, N. I. Lobatschefskij betreffende Band bereits 1898 von Engel herausgegeben worden. Daß der zweite Band, der sich auf Wolfgang und Johann Bolyai bezieht, erst 15 Jahre später erscheint, hat seinen Grund hauptsächlich in den Schwierigkeiten, die sich bei der Bearbeitung herausstellten. Während nämlich Engel sich darauf be- schränken durfte, zwei im Druck vorliegende Abhandlungen Loba- tschefskijs aus dem Russischen zu übersetzen und auf Grund der ausführlichen Biographie von Janischefsku und der beim Lesen der Gesammelten geometrischen Werke gewonnenen Einsichten über Leben und Schriften des russischen Mathematikers zu berichten, wurde es für die beiden Bolyai notwendig, die wenigen gedruckt vorliegenden Urkunden durch Mitteilungen aus dem umfangreichen Xachlaß zu ergänzen imd durch eigene Nachforschungen in Siebenbüroen eine umfassende Dar- Stellung des Lebens und der Schriften der beiden ungarischen Mathe- matiker zu ermöglichen; dazu kam, daß die Übersetzung der Stücke aus dem Tentamen von Wolfgang Bolyai wegen der eigenartigen Ausdrucks- weise des Verfassers ungewöhnliche Mühe verursachte.
Bei den Vorarbeiten für dieses Buch und bei seiner Herausgabe bin ich von der Ungarischen Akademie der Wissenschaften wirksam unterstützt worden. Es liegt mir daran, dem gewesenen General-Sekretär der Akademie, Herrn Koloman von SziLY, hierfür meinen wärmsten Dank aus- zusprechen; nicht minder groß ist meine Dankesschuld gegen den Klassen - Sekretär, Prof. Julius König, der leider das Erscheinen des Werkes nicht mehr erlebt hat.
Infolge des freundlichen Entgegenkommens des ev.re f. Kollegium zu Maros-Vasärhely, dem Wolfgang Bolyai als Professor, Johann Bolyai als Schüler angehört hat, konnte ich während meines wiederholten Aufent- halts in Siebenbürgen (März 1898, August 1901, September 1909) den in der Bibliothek des KoHeo-iunis aufbewahrten handschriftlichen Nachlaß dieser beiden Männer einsehen und für mein Buch benutzen. Sehr wertvoll sind mir auch mündliche und schriftliche Mitteilungen von Wolfgangs letztem Schüler Josef Koncz gewesen, der später als Pro- fessor am Kollegium gelehrt hat; requiescat in pace.
P. Stäckel: Wolfgang und Johann Bolyai I. a**
X Vorwort
Wenn ich auch Johann Bolyais Appendix schon früher kennen und bewundern gelernt hatte, so bin ich doch erst durch den Baumeister Franz Schmidt, mit dem ich 1894 auf der Wiener Naturforscher- Versammlung zusammentraf, zu einer eingehenderen Beschäftigung mit den Schriften der beiden Boltai angeregt worden. Dem unvergeßlichen Andenken des unermüdlichen Vorkämpfers für die Sache der BoLYAi habe ieh dieses Werk gewidmet.
Die lebhafte Teilnahme und nie versagende Unterstützung von zwei Landsleuten der Bolyai hat mich während der langen Jahren der Vorbereitung begleitet und ist mir auch bei der langwierigen Druck- leo-unof treu geblieben: ich meine Herrn Prof Josef Kürschak in Budapest und Herrn Prof Ludwig Schlesinger in Gießen, der von 1897 bis 1911 an der Universität Klausenburg gewirkt hat. Ihnen an dieser Stelle meinen herzlichsten Dank öffentlich auszusprechen ist mir eine beson- dere Freude.
Herr Prof Ignaz Rados in Budapest hat sich der von der Unga- rischen Akademie der Wissenschaften veranstalteten ungarischen Ausgabe mit großer Sorgfalt angenommen; ich bin ihm nicht nur hierfür, son- dern auch für die freundliche Hilfe bei der Durchsicht der Probeabzüge zu Dank verbunden.
Noch gar manchem habe ich zu danken, für Auskünfte, für Mit- teilungen und Beiträge. An erster Stelle nenne ich Herrn Prof P. SzabÖ in Budapest, der mir die in seinem Besitz .befindlichen, wichtigen Ur- kunden bereitwillig zugänglich gemacht und deren Abdruck gestattet hat ; ich nenne weiter die Herren Prof M. Brendel in P'rankfurt a. M., Bibliotheksdirektor C. Brodmann in Karlsruhe i. B., Prof V. v. Dantscher in Graz, Prof. F. Engel in Gießen, Prof. J. Frischauf in Graz, Prof. C. Neümann in Heidelberg, Prof. M. Rethy in Budapest, Prof K. Roth in Schäßburg (Siebenbürgen), Prof. F. SCHUR in Straßburg, G. v. Terey, Direktor der Königlichen Gemäldegalerie in Budapest.
Der Verlagsbuchhandlung B. G. Teubner bin ich für die Bereit- willigkeit verpflichtet, mit der sie allen meinen Wünschen für die Ein- richtung und Ausstattung des Buches nachgekommen ist.
Heidelberg, im Juli 1913
Paul Stäckel
Inhalt des ersten Teiles
Seite I. Kapitel. Die Familie Bolyai; Wolfgang Bolyais Jugend
(1775—1796) 1—6
II. Kapitel. Wolfgang Bolyai in Deutschland; Freundschaft mit
Gauß (1796—1799) 7—11
III. Kapitel. Rückkehr in die Heimat; Klausenburg und Domäld
(1799 — 1804) 12—15
IV. Kapitel. Wolfgang Bolyai als Professor in Marcs- Väsärhely
(1804—1853) 16—26
V. Kapitel. Wolfgang Bolyai als Mathematiker
Erster Teil: Tentamen juventutem studiosam in ele-
menta matheseos introducendi 27—37
VI. Kapitel. Wolfgang Bolyai als Mathematiker
Zweiter Teil: Untersuchungen über die Grundlagen
der Geometrie 38 — 50
VIL Kapitel. Johann Bolyais Jugend (1802—1818) 51—60
VIII. Kapitel. Johann Bolyai auf der Ingenieur -Akademie (1818
-1823) 61-68
IX. Kapitel. Johann Bolyai im Militärdienst (1823 — 1833) . . , 69 — 74 X. Kapitel. Die Entdeckung der absoluten Geometrie durch Johann Bolyai
Erster Teil: Versuche das IX. Euklidische Axiom
zu beweisen (1820—1823) 75—84
XL Kapitel. Die Entdeckung der absoluten Geometrie durch Johann Bolyai
Zweiter Teil : ünbeweisbarkeit des XL Axioms ; der
Appendix (1823—1832) 85—97
XII. Kapitel. Johann Bolyai in Domäld 98 — 101
Xni. Kapitel. Weitere Untersuchungen Johann Bolyais zur abso- luten Geometrie 102 — 123
XIV. Kapitel. Wolfgang und Johann Bolyais Arbeiten über ima- ginäre Größen 124 — 133
XV. Kapitel. Johann Bolyai und N. I. Lobatschefskij
Erster Teil: Wie Johann die Geometrischen Unter- suchungen Lobatschefskijs kennen lernte . . 134 — 139 XVI. Kapitel. Johann Bolyai und N. I. Lobatschefskij
Zweiter Teil: Johann Bolyais Bemerkungen zu Nicolaus Lobatschefskijs Geometrischen Un- tersuchungen über die Theorie der Parallellinien 140 — 160
XVII. Kapitel. Wolfgang Bolyais letzte Jahre (1848—1856) . . . 161—170
XVIII. Kapitel. Johann Bolyai in Maros-Väsärhely (1846 — 1860); ma-
thematische Untersuchungen der Spätzeit 171 — 186
XIX. Kapitel. Die Allheillehre Johann Bolyais 187—193
XX. Kapitel. Schlußwort 194—202
Anmerkungen und Nachweisungen 203 — 272
Sach- und Namenverzeichnis 273 — 281
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Zur Aussprache des Ma2;y arischen
I. Vokale. 1. Die Vokale werden eingeteilt in kurze: a, e, i, o, ö, u, ü und lauge: ä, e, i, 6, ö, ü, ü. Außerdem kommt der Vokal j in Eigeuuamen vor. Die Akzente bedeuten Dehnung des Vokales.
■2. Das a lautet ähnlich wie der dumpfe Vokal im englischen fall. Das e wird otfen odex geschlossen ausgesprochen. Die Aussprache des e nähert sich, na- mentlich bei den Szeklern in Siebenbürgen, der des langen i; es gibt im Deutschen keinen ganz entsprechenden Laut. Die übrigen Vokale unterscheiden sich nicht wesentlich vom Deutsclien.
II. Konsonanten.
c und cz lauten wie das deutsche z, ch in Eigennamen, wie Mkn-tovicu, wird wie tsch gesprochen, CS lautet ebenfalls wie das deutsche tsch, gy wie dj,
ly entspricht dem französischen 1 mouille, etwa in billet, ny lautet wie das französische gne, etwa in Champagne,
s wird wie seh gesprochen, 8Z ist ein schai-fes s, ty wird wie tj gesprochen,
V ist das deutsche w,
z ist ein weiches s, z8 lautet wie g vor e und i im Französischen, etwa in genie.
III. Betonung. Der Ton liegt stets und ohne Ausnahme auf der zuerst ge- schriebenen Silbe des Wortes; die Akzente über den Vokalen haben mit der Be- tonung' nichts in tun.
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I. Kapitel
Die Familie Bolvai: Wolf^ang BoLVAis Jngend (1775— 1796 i
Die Geschichte der matheinatischen Forschung in Ungarn beginnt mit Wolfgang Bolyai. Wer die Eigenart dieses merkwürdigeu Mannes und seines nicht minder bemerkenswerten Sohnes Johann verstehen will, muß mit den politischen und sozialen Zuständen bekannt sein, unter denen diese Männer in dem südöstlichen Teile Ungarns lebten, der Sieben- hürgen. Transsilvania, Erdely (Waldland) genannt wird.
Die Jlagiiaren haben gegen das Ende des 9. Jahrhunderts begonnen, das ehemalige römische Dazien, das damals größtenteils unbewohnt war und nur in den fruchtbaren Flußtälern eine spärliche Anzahl slawischer Einwohner barg, in Besitz zu nehmen. Am Ende des 11. Jahrhunderts siedelten sich im südöstlichen Teile Siebenbürgens Magyaren in grö- ßeren Massen an: sie zogen aus dem Mutterlande nach der Gegend des Hargita- Gebirges, um dort die Grenzen zu bewachen und gegen die Einbrüche nomadischer Völker zu verteidigen. Diese Ansiedler, die von jeher gewisse Vorrechte genossen, wurden Szekler genannt. Nicht lange danach begann das Einwandern der Walachen (Rumänen) aus Gebieten des Balkans. Im 12. Jahrhimdert kamen zahlreiche deutsche Ansiedler hinzu, besonders vom Mittel- und Xiederrhein, die sogenannten Sachsen. Sie erhielten freien Grundbesitz aiif dem ..Königsboden" und Selbst- verwaltung. Teils wohnten sie gedrängt in Dörfern zusammen, teils gründeten sie Städte, die rasch aufblühten: manche Sachsen gerieten auch im Laufe der Zeit unter die Höriorkeit macrvarischer Grundbesitzer.
Gegen die Mitte des 16. Jahrhunderts trennte sich Siebenbürgen vom Mutterlande und wurde unter Schutzherrschaft des türkischen Sultans ein selbständiges Fürstentum. Dieser politischen Umwälzung folgte eine durch die Reformation hervorgerufene Umwälzung auf dem Gebiete der Religion. Die Walacheu blieben wohl der griechisch- orientalischen Kirche treu, und auch ein Teil der Magyaren hielt an dem alten römisch-katholischen Bekenntnis fest: die Mehrheit von diesen ist jedoch damals zur evangelisch -reformierten Kirche übergetreten. Da- gegen haben sich die Sachsen der evangelisch -lutherischen Konfession zugewandt. So wurden die Unterschiede in Rasse, Sprache und Sitten noch durch die V^erschiedenheit der Konfessionen verschärft.
P. Stäckel: Wolf gang and Johann Bolvai I 1
Zur Aussprache des Magyarisclien
1. Vokale. 1. Die Vokale werden eingeteilt in kurze: a, e, i, o, ö, u, ü und lange: ä, e, i, 6, 6, \\, ü. Außerdem kommt der Vokal y in Eigennamen vor. Die Akzente bedeuten Dehnung des Vokales.
2. Das a lautet ähnlich wie der dumpfe Vokal im englischen fall. Das e wird offen oder geschlossen ausgesprochen. Die Aussprache des e nähert sich, na- mentlich bei den Szeklern in Siebenbürgen, der des laugen i; es gibt im Deutschen keinen ganz entsprechenden Laut. Die übrigen Vokale unterscheiden sich nicht wesentlich vom Deutschen.
II. Konsonanten.
c und cz lauten wie das deutsche z, ch in Eigennamen, wie Mextovich, wird wie tsch gesprochen, CS lautet ebenfalls wie das deutsche tsch, gy wie dj,
ly entspricht dem französischen 1 mouille, etwa in billet, ny lautet wie das französische gne, etwa in Champagne,
s wird wie seh gesprochen, sz ist ein scharfes s, ty wird wie tj gesprochen,
V ist das deutsche w,
z ist ein weiches s, zs lautet wie g vor e und i im Französischen, etwa in genie.
III. Betonung. Der Ton liegt stets und ohne Ausnahme auf der zuerst ge- schriebenen Silbe des Wortes; die Akzente über den Vokalen haben mit der Be- tonung nichts zu tun.
I. Kapitel Die Familie Bolyai: Wolfgang Bolyais Jngend (1775—1796)
Die Geschichte der mathematischen Forschung in Ungarn beginnt mit Wolfgang Bolyai. Wer die Eigenart dieses merkwürdigen Mannes und seines nicht minder bemerkenswerten Sohnes Johann verstehen will, muß mit den politischen und sozialen Zuständen bekannt sein, unter denen diese Männer in dem südöstlichen Teile Ungarns lebten, der Sieben- bürgen, Transsilvania, EnMy (Waldland) genannt wird.
Die Magyaren haben gegen das Ende des 9. Jahrhunderts begonnen, das ehemalige römische Dazien, das damals größtenteils unbewohnt war und nur in den fruchtbaren Flußtälern eine spärliche Anzahl slawischer Einwohner barg, in Besitz zu nehmen. Am Ende des 11. Jahrhunderts siedelten sich im südöstlichen Teile Siebenbürgens Magyaren in grö- ßeren Massen an; sie zogen aus dem Mutterlande nach der Gegend des Hargita-Gebirgßs, um dort die Grenzen zu bewachen und gegen die Einbrüche nomadischer Völker zu verteidigen. Diese Ansiedler, die von jeher gewisse Vorrechte genossen, wurden Szekler genannt. Nicht lange danach begann das Einwandern der Walachen (Rumänen) aus Gebieten des Balkans. Im 12. Jahrhundert kamen zahlreiche deutsche Ansiedler hinzu, besonders vom Mittel- und Niederrhein, die sogenannten Sachsen. Sie erhielten freien Grundbesitz auf dem „Königsboden" und Selbst- verwaltung. Teils wohnten sie gedrängt in Dörfern zusammen, teils gründeten sie Städte, die rasch aufblühten; manche Sachsen gerieten auch im Laufe der Zeit unter die Hörigkeit magyarischer Grundbesitzer.
Gegen die Mitte des 16. Jahrhunderts trennte sich Siebenbürgen vom Mutterlande und wurde unter Schutzherrschaft des türkischen Sultans ein selbständiges Fürstentum. Dieser politischen Umwälzung folgte eine durch die Reformation hervorgerufene Umwälzung auf dem Gebiete der Religion. Die Walachen blieben wohl der griechisch- orientalischen Kirche treu, und auch ein Teil der Magyaren hielt an dem alten römisch-katholischen Bekenntnis fest; die Mehrheit von diesen ist jedoch damals zur evangelisch -reformierten Kirche übergetreten. Da- gegen haben sich die Sachsen der evangelisch -lutherischen Konfession zugewandt. So wurden die Unterschiede in Rasse, Sprache und Sitten noch durch die Verschiedenheit der Konfessionen verschärft.
P. Stäckel: Wolfgang und Johann Bolyai I 1
2 Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kapitel I
Am Ende des 17. Jahrhunderts hörte Siebenbürgen auf, ein natio- nales Fürstentum zu sein. Der Adel Siebenbürgens erkannte die Habs- burger als Herrscher an, wogegen diese die Unabhängigkeit der inneren Verwaltung Siebenbürgens zusicherten. Im Jahre 1765 wurde Sieben- bürsren von Maria Theresia zum Großfürstentum erhoben. Schwere Zeiten kamen, als Joseph II. die Hörigkeit aufhob; die Walachen em- pörten sich gegen ihre Herren, deren Schlösser sie niederbrannten (1784). Ähnliche Greuelszenen haben sich bei den Stürmen des Jahres 1848 wiederholt. Die Vereinigung Siebenbürgens mit dem Königreich Ungarn wurde 1848 ausgesprochen und 1868 yerwirklicht.
Drei Meilen nördlich von Hermannstadt (magyarisch Nagjszeben), der ehemaligen Hauptstadt Siebenbürgens, liegt der Flecken Bolya (deutsch Bell), der Stammsitz der altadligen Familie derer v. Bolya; das Wappen der Familie ist ein grüner Hügel auf blauem Felde, auf dem Hügel steht ein Pfau in den natürlichen Farben. Der Name Bolyai wird bereits in Urkunden aus dem 13. und 14. Jahrhundert erwähnt, und vom Anfang des 16. Jahrhunderts an ist die Reihe der Ahnen lückenlos festgestellt worden. Es waren angesehene Großgrundbesitzer, die sich auch als Kriegsleute, besonders in den Kämpfen gegen die Türken, bewährten; ein Johann (Jänos) Bolyai, der gegen das Ende des 16. Jahrhunderts lebte, hatte sogar die Auszeichnung, homo regius, Vertrauensmann des Königs von Ungarn, zu sein. Bald darauf geriet die Familie in VerfaU. und verlor den größten Teil ihres Grundbesitzes. Kaspar (Gäspär) Bolyai (1732 — 1804") besaß nur noch ein kleines, bei BeU gelegenes Gut. Er wird als ein naturliebender, fleißiger Landwirt und starker Charakter geschildert. „Mein Vater, ein ehrwürdiger Greis, ist den 17. Februar von seinem irdenen Kerker . . . frei geworden; seine immer starke, muntere Seele hat ihn auch in seinem Todesbette nicht verlassen ... er hat adieu genommen und gefragt im letzten Augen- blick: Wo ist der, wo ich nun hoffen soll? Gott! und ist eingeschlafen in die lange lange gute Nacht" (Wolfgang Bolyai an Gauss, 1. März 1804). Verheiratet war Kaspar mit Christine Vajna v. Päva, die ihm 1777, als Erbteil von ihrer Mutter, ein Gut bei Malldorf (Domäld) in der Nähe von Maros-Väsärhely zubrachte, „die Edelkurie von Domäld mit den zugehörigen Ackern, Wiesen, Weinbergen, dem Wirtshaus-Benefizium und sechs Leibeigenen." Der Ehe entstammten zwei Söhne, Wolfgang (Farkas), Professor am evangelisch -reformierten Kollegium zu Maros- Väsärhely (1775 — 1856) und Anton (Antal), Obernotar des Komitats Oberweißeuburg (1778 — 1845), ein fleißiger, verständiger, ehrenwerter Mann, der sich allgemeiner Achtung erfreut hat.
Wolfgang Bolyai wurde am 9. Februar 1775 zu BeU (Bolya) geboren.
I
Die Familie Bolyai. Wolfgang Bolyais Jugend (1775—1796) 3
Den ersten Unterricht erteilte ihin sein Vater, Aber schon im Sep- tember 1781 wurde der Knabe auf einen Wagen gesetzt und nach Nagy- enyed gebracht, wo er in dem evangelisch-reformierten Kollegium er- zogen werden sollte. Das KöflPerchen des Knaben hat Wolfgangs Sohn Gregor im Mai 1887 dem Kollegium zu Maros-Väsärheiy geschenkt, in dessen Bibliothek es als Reliquie aufbewahrt wird.
Die vier evangelisch-reformierten Kollegien von Siebenbürgen: Nagyenyed, Klausenburg (Kolozsvär), Maros-Väsärhely und Szekelyud- varhely waren Lehranstalten für die magyarische Jugend; in ihrem Lehrplane entsprachen sie ungefähr den deutschen „akademischen Gym- nasien" des 18. Jahrhunderts. Etwa mit dem 9. Lebensjahre traten die Schüler in die unterste Klasse der Grammatiker, in der sie ein Jahr zubrachten. Es folgten, in je einem Jahre, die syntaktische, deutsche, rhetorische, poetische Klasse. Den Abschluß bildete die zwei- jährige philosophische Klasse. Als „Studenten" blieben die jungen Leute noch zwei Jahre auf dem Kollegium; der Unterricht bekam jetzt einen akademischen Charakter und bildete den Übergang zur Universi- tät. Das Hauptgewicht wurde auf die alten Sprachen gelegt, und in den oberen Klassen war das Lateinische die Unterrichtssprache; daneben wurde aber auch Deutsch, Französisch und Geschichte getrieben. Daß der Religionsunterricht nicht vernachlässigt wurde, war auf dem der kirchlichen Behörde unterstellten Kollegium selbstverständlich. In der Mathematik beschränkte man sich auf die Erwerbung einer gewissen Fertigkeit im Rechnen und auf die gedächtnismäßige Aneignung der ersten Elemente der Arithmetik und Geometrie.
Wolfgang wurde in Nagyenyed zuerst von einem eigenen Lehrer, Johann Herepei, unterrichtet. Bald lenkte die ungewöhnliche Begabung des Knaben die Aufmerksamkeit auf ihn. „Sehr klein in die Schule geschickt", erzählt Wolfgang, „gelehrig, lebhaft und nicht spielsüchtig lernte ich alles im voraus; neunjährig machte ich selbst gelernet über Jedes lateinischen Vers, und zwar geschwind; aus Homer wußte ich 500 Verse auswendig, auch Hebräisch wußte ich mancherlei; stark im Kopfrechnen, zog ohne Fehler aus 14[ziffrigen] Zahlen Quadrat- und Kubikwurzeln und verlangte mehr [ziffrige] Zahlen; wußte aber selbst nicht, daß man einen Grund davon wissen müsse. Man zeigte mich als ein Wunder; aber ich war [zu] einfältig, um mir etwas einzubilden, webte nur wie ein Wurm." Wie so mancher hervorragende Mathe- matiker hat Wolfgang eine über das Durchschnittsmaß hinausgehende Begabung für Sprachen besessen; außer seiner magyarischen Mutter- sprache beherrschte er das Lateinische, Deutsche, Englische und Fran- zösische; das Rumänische sprach er wie ein geborener Walache.
1*
4 Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kapitel I
Leider haben die Lehrer einen so ungewöhnlichen Schüler nicht richtig zu behandeln gewußt. Statt den aufgeregten Geist zu beruhigen, stachelten sie ihn auf, stolz auf das Wunderkind, das sie den Besuchern des Kollegiums vorführten. Auch daß einer der Besucher, Graf Josef Teleki (1738 — 1796), die Professoren auf die Gefahren der allzu- frühen Entwicklung des Knaben hinwies, hatte keinen Erfolg. Regungen von „Eigensinn" wurden aufs grausamste bestraft; noch im späten Alter hat Wolfgang mit Unwillen von den Mißhandlungen erzählt, die er in Nagyenyed zu erdulden hatte. Ohne Zweifel haben diese Schädigungen lange Jahre nachgewirkt. Aus ihnen erklärt sich, allerdings nur zum Teil, die Unruhe und Unstetigkeit der späteren Lebensführung; denn es sind auch andere ungünstige Umstände hinzugekommen, zum Beispiel ein Anfall von Typhus, den Wolfgang in Nagyenyed durchzumachen hatte.
Ein großes Glück für den Knaben war es, daß er mit 12 Jahren dem etwas jüngeren Baron Simon Kemeny als Studiengenosse beigegeben wurde. Er kam dadurch in behagliche, sorgenlose Verhältnisse und ge- wann in dem feinsinnigen, feinfühlenden Genossen einen Freund, der ihm durchs ganze Leben Treue gehalten bat. Die beiden Knaben standen unter der Aufsicht von Adam Herepei, einem Bruder des erwähnten Johann ELerepei. Um 1790 wurde Adam Herepei als Professor der Theologie an das ev. ref. Kollegium zu Klausenburg berufen. Simon und Wolfgang folgten ihm dorthin; sie besuchten das Kollegium und wohnten bei dem Professor der Theologie Michael (Pap) Szathmari, dessen Persönlichkeit auf Wolfgang den größten Eindruck machte. Er hörte seine theologischen Vorlesungen, und damit eröffnete sich ihm eine neue, geheimnisvolle Welt, der er sich mit Begeisterung hingab; sein Eifer für die Mathematik erkaltete. „Das am meisten irreführende war Folgendes", berichtet Wolfgang, „ein mit mehreren Preismedaillen aus HoUand gezierter, mit dem Feuer von Mosis Dornbusch lehrender Professor der Theologie sagte mir oft, daß ich mich der Mathematik nur behutsam nähern soUe; denn ich würde, auch in der Religion solche handgreifliche Beweise verlangend, von Satanas in die Hölle verführt werden; das war genug, um mich abzuwenden." Den Vorschlag des Barons RadÄk, er woUe ihn auf seine Kosten die Ingenieur-Akademie in Wien besuchen lassen, lehnte er daher mit den Worten ab, daß er zeitlichem Glanz nicht sein ewiges Heil opfern dürfe.
Bald erwachte er jedoch aus dieser Schwärmerei. „Nach dem Examen ging ich oft zu dem großen Gamaliel, den Satanas verklagend der Einwürfe wegen, mit denen er mich verführen will; unberuhigt verzweifelte ich — und fühlte mich in der Hand des Teufels. Darauf wurde ich Atheist . . . und bald darauf fand meine Seele Ruhe in der
Wolfgang Bmf.yais Jugend (1775—1796) 5
reinen, von Menschen unverdorbenen Religion." Ein gewisser Mystizismus ist ihm freilich immer eigen geblieben; welchen Wert er auf diese Gedanken legte, beweist der Umstand, daß er ihnen in seinem großen mathematischen Werke, dem später zu besprechenden Tentamen, einen Platz eingeräumt hat.
Wie manche jnuge Leute von vielseitiger Begabung war Wolf- gang längere Zeit ungewiß, welches Ziel er sich setzen soUte. Sein un- ruhiger Geist trieb ihn von einem zum andern, und so ist er sein ganzes Leben hindurch geblieben, immer war er novarum rerum ctqndus. Sein Zeichenlehrer, der Talent in ihm fand, riet ihm, Maler zu werden; zwei von Wolfo;ano; ang^efertigte Olskizzen werden in der Bibliothek des Kollegiums zu Maros-Yc'isärhely aufbewahrt. Diesen Plan auszuführen hinderte ihn indessen ein Unglücksfall. Seine Augen wurden durch das Auffliegen von Schießpulver, das er sich selbst zubereitet hatte, so ge- schwächt, daß er auf einen Beruf verzichten mußte, der größere An- strengungen des Sehvermögens verlangte.
Um dieselbe Zeit begann man in Klausenburg, dem Mittelpunkt des magyarischen Geisteslebens in Siebenbürgen, in der nationalen Sprache Theater zu spielen, wohl angeregt durch das Beispiel von Ofen (Buda), wo im Jahre 1790 eine Liebhabertruppe, zum ersten Male in Ungarn, Stücke in magyarischer Sprache aufgeführt hatte. Wolfgang tat mit und fand so großen Gefallen am Theater, daß er ernstlich über- legte, ob er Schauspieler werden solle. Endlich bewog ihn Baron Simon Kemeny, als sein Begleiter nach Deutschland mitzugehen. Im 18. Jahr- hundert war es nämlich Sitte, daß die Söhne des siebenbürgischen Hochadels zu ihrer weiteren Ausbildung deutsche Universitäten be- suchten und ihnen ein älterer, talentvoller Mitschüler als Mentor bei- gegeben wurde.
Anfang 1796 machten sich die beiden Freunde auf den Weg. Aber schon in Zilah, einer Stadt zwischen Klausenburg und Großwardein (Nagy- Yärad) mußte Wolfgang zurückbleiben; Simon ist allein nach Jena weiter- gereist. „Als ich nach Zilah kam, wurde ich krank. Man gab mir ein Brechmittel. Abends bot mir eine gute alte Frau Trauben an. Ich, im System der Theologie sehr bewandert, fragte, ob die Trauben nicht schaden würden. Da die Frau versicherte, daß sie das Innere kräftigen würden, aß ich. Man gab mich auf. Ich blieb zwar am Leben, aber mit einer unheilbaren Magenschwäche."
So kam es, daß Wolfgang erst im Juli in W^ien eintraf, wo er sich einige Zeit aufhielt. Wenig hat gefehlt, das hier sein Leben eine ganz andere Richtung nahm. „Als er dort", erzählt sein Sohn Gregor, „die Artillerieschule besuchte und die schweigsamen, aber
Q Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kapitel I
an ihren Orten desto gewaltiger donnernden Kanonen und in ihren Zimmern die Akademiker mit der vor ihnen liegenden Höheren Mathe- matik von Vega erblickte, wurde seine leicht entzündliche Phantasie von der poetischen Seite der militärischen Laufbahn derart hingerissen, daß er keinen Schritt weiter tun und mit aller Gewalt Soldat werden wollte." Wolfgang selbst berichtet weiter: „An dem Tage, als ich meinen Eid leisten sollte, erhielt ich einen Brief von dem bereits in Jena ein- getroffenen Baron Simon Kemeny, der mich bat, wenn sein Wort je bei mir etwas gegolten habe, zu ihm zu kommen, um mit ihm über die Sache zu sprechen." Wolfgang folgte dieser Aufforderung. Der nun folgende dreijährige Aufenthalt in Deutschland ist von entscheidender Bedeutung für sein ganzes Leben geworden.
IL Kapitel
Wolfgaiig BoLYAi in Deutsclilaiid; Freundschaft mit (jAUSS (1796— 1 799)
Wolfgang BoLYAi hat sich in Jena, wo er erst im Juli 1796 ein- traf, an der Universität nicht einschreiben lassen; er ist jedoch mit dem Baron Simon Kemeny bis Ende September dort geblieben. „Zu jener Zeit war Fichte in Jena; Schiller las nicht, aber wir hatten das Grlück, ihn persönlich begrüßen zu können." Von Goethe hat er da- mals den Werther gelesen, der ihn sehr niederdrückte. Überhaupt be- gann er, sich mit der deutschen Literatur vertraut zu machen, soweit das seine noch immer schwachen Augen gestatteten. Dazu kam die Beschäftigung mit der Mathematik, die ihn bald ganz in Anspruch nahm.
„Auf meinen Spaziergängen an den Ufern der Saale begann ich mit meinen geringen, zerstreuten, dunkeln mathematischen Kennt- nissen den Weg, auf dem ich mich, älter geworden, noch befinde. Zwei Umstände führten mich dazu. Der eine war der ärztliche Rat wegen meiner Augen, derentwegen ich nicht viel zu lesen wagte und lange Zeit nur sinnend lernte, der andere die Unwissenheit, die zu meiner Führeriu die Natur machte. Ich war an diese Art des Lernens so gewöhnt, daß ich mich schwer zum Lesen entschloß; ... nachdem ich mich hineingefunden, entdeckte ich zu meinem nicht geringen Leid- wesen vieles, was ich bis dahin für mein Eigentum gehalten hatte." In ähnlichem Sinne berichtet sein Sohn Johann, wohl auf Grund von mündlichen Mitteilungen des Vaters. „Nun erst [in Jena] fing er an, sich auf Mathematik zu verlegen und die Gründe davon zu erforschen; suchte klare und allgemeine Begriffe, nebst anderen Grundlehren, von +, — , Multiplikation, Division, Potenz, . . . gerader Linie und hauptsäch- lich einen Beweis des XL Euklidischen Axioms. Und in der Tat fand er überall weit Besseres."
Ende September verließen Baron Simon Kemeny und Wolfgang BoLYAi Jena und begaben sich nach Göttingen, wo sie am 11. Oktober 1796 immatrikuliert wurden. Daß die 1737 gegründete Georgia Augusta sie anzog, war erklärlich genug, lehrten doch au ihr viele hervor- ragende Männer, deren Namen noch heute unvergessen sind; es möge genügen den Historiker Heeren (1760 — 1842), die Philologen Heyne (1729—1812) und Mitscherlich (1760—1854), den Naturforscher Blümenbach (1752 — 1840), den Physiker Lichtenberg (1744 — 1799),
8 Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kapitel II
den Mathematiker Kästner (1719 — 1800) zu nennen. Auch fanden sie dort viele Landsleute; als sie ankamen, waren es beinahe dreißig. Unter ihnen scheint besonders der Baron Daniel Zeyk Wolfgang nahegestanden zu haben; auch an einen siebenbürgischen Sachsen Simonis, der Theologie studierte, schloß er sich an. Aber auch zu deutschen Kreisen gewann der jungeXTngar Beziehungen. Kästner und Lichtenberg „konnten ihn gut leiden"; hier ist es freilich bei dem Respektsverhältnis geblieben. Dagegen hat sich der außerordentliche Professor der Astronomie Carl Felix Seyffer (1762 — 1822) seiner freundlich angenommen. Vielleicht trug dazu der Umstand bei, daß Seyffer sich ebenfalls mit den Grundlagen der Geometrie beschäftigte. Eigene Untersuchungen hat er nicht veröffentlicht, allein zwei Besprechungen von Versuchen das elfte Axiom zu beweisen, die 1801 in den Göttinger gelehrten An- zeigen erschienen, lassen erkennen, daß Seyffer die Schriften über diesen Gegenstand mit Verständnis gelesen und kritisch beurteilt hatte; ja er war zu der Einsicht gekommen, daß „es mehr als zweifelhaft scheine, ob es überhaupt möglich sei, das elfte Axiom zu beweisen, ohne ein neues Axiom zu Hilfe zu nehmen".
Bei Seyffer hat Wolfgang den Deutschen kennen gelernt, dem er am nächsten getreten ist und mit dem ihn eine echte Jünglings- freundschaft verbunden hat: Carl Friedrich Gauss. Geboren den 30. Ok- tober 1777 zu Braunschweig hatte auch Gauss sich als Knabe durch ungewöhnliche Begabung und besonders durch eine außerordentliche Leichtigkeit und Sicherheit im Kopfrechnen ausgezeichnet. Auf fein- sinnige Art vom Herzog Karl Wilhelm Ferdinand unterstüzt konnte er das Braunschweiger Collegnmi Carolinuni besuchen. Seit Oktober 1795 hielt er sich in Göttingen auf, weniger um zu studieren, denn der Acht- zehnjährige beherrschte die höhere Mathematik schon in ihrem ganzen Umfange, als um die eigenen Forschungen in der Freiheit des akade- mischen Lebens fortzusetzen. Schon im März 1796 hatten ihn seine arith- metischen Untersuchungen zu der folgenreichen Entdeckung der geometri- schen Konstruktion des regelmäßigen Siebzehnecks geführt, und er hatte nun den Entschluß gefaßt, sich ausschließlich der Mathematik zu widmen.
„Als er [Wolfgang] von Jena nach Göttingen kam", erzählt Johann Bolyai, „traf er mit Gauss zufällig bei dem Professor [Seyffer] zu- sammen und äußerte sich da freimütig und entschieden über die Leicht- fertigkeit der Behandlung der Mathematik; kurz darauf begegnete er Gauss am Walle beim Spazierengehen; sie näherten sich einander. Mein Vater sprach unter anderem von seinen Gedanken behufs Erklärung der geraden Linie und der etwaigen Wege zum Beweise des XL Axioms, und der schon damals zum Koloß in den höheren Regionen der Wissen-
Wolfgang BoT.YAi in Deutschland; Freundschaft mit Gavss (1796—1799) 9
Schaft, besonders der Zahlenlelire, emporgewachsene Gauss brach er- götzt, überrascht in die lakonischen Worte aus: »Sie sind ein Genie; Sie sind mein Freund!», worauf sogleich das Band der Brüderschaft erfolgte."
Über seinen Verkehr mit Gauss berichtet Wolfgang: „Er war sehr bescheiden und zeigte wenig; nicht drei Tage, wie mit Plato, jahre- lang konnte man mit ihm zusammen sein, ohne seine Größe zu er- kennen. Schade, daß ich dieses titellose, schweigsame Buch nicht auf- zumachen und zu lesen verstand. Ich wußte nicht, wie viel er weiß, und er hielt, nachdem er meine Art sah, viel von mir, ohne zu wissen, wie wenig ich bin. Uns verband die wahre (nicht oberflächliche) Leidenschaft für die Mathematik und unsere sittliche Übereinstimmung, so daß wir oft, miteinander wandernd, mit den eigenen Gedanken be- schäftigt stundenlang wortlos waren . . " „Er ruhte von seiner an- haltenden, stillen Arbeit meistens bei mir aus; sprach nie im voraus, selbst bei Fertigem schweigend; nur einmal sah ich an ihm eine mäßige Freude, wo er [mir] die kleine [Schiefer-] Tafel, auf welcher er das 17-Eck Disqu. Ar. p. 6(32 berechnet hat, zum Andenken gab." . . . „Wir gingen auch zweie zu Fuß zu seinen Eltern nach Braunschweig, wo mich, wie Gauss nicht in der Stube war, seine Mutter fragte, ob aus ihrem Sohne etwas werde? und auf meine Antwort <Der erste Mathe- matiker in Europa^y in Tränen zerfloß."
Während seiner Studienzeit in Göttingen hatte Gauss nur be- schränkten Umgang, aber es waren tüchtige Menschen, mit denen in Verkehr zu kommen für Wolfgang sicherlich ein großer Gewinn ge- wesen ist. Vor allem sind zwei Landsleute von Gauss zu nennen, die Braunschweiger Eschenburg (1778 — 1861) und Ide (1775 — 1806), dieser ein Mathematiker, jener ein Jurist, die Gauss schon vom Caro- linum her kannte. Dazu kamen der Jurist Eichhorn aus Wertheim (1779 — 1856) und der Mathematiker Brandes aus dem Hamburgischen (1777 — 1834). Auch in einige Familien ist Wolfgang durch Gauss eingeführt worden. „Ist Lina [Klindworth], die blonde, verheiratet? und die brünette Sophie MuRRAi, ihre Freundin'', fragt er in einem Briefe an Gauss vom 10. April 1816, und am 16. Januar 1832: „Line Klindworth, Sophie Murrai, sind sie glückliche Mütter? und sind aus Rosen Stöcke, an welchen Rosen blühen, geworden?"
Bezeichnend für die Art, wie Wolfgang von den Göttinger Freunden beurteilt wurde, ist eine SteUe aus einem Briefe Ides an Gauss vom 23. Mai 1799: „Wenn ich recht kalkuliere, so kommt unser Bolyai zu rechter Zeit [wieder in Göttingen] an, um noch etwas an den Ver- gnügungen des Schützenfestes teilnehmen zu können. (Sonnabends wird, wie mir sinnlich ist, der König mit klingendem Spiel und Glocken-
IQ Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kapitel II
geläute dreimal ums Haus geführt; nachgehends folgt eine Schwärmer- promenade.) Diesem wird er sicher beiwohnen, aber als Philosoph, der bei solchen Gelegenheiten Stoff findet, über die Torheiten der Menschen Betrachtungen anzustellen. Dies ist so seine Maxime, wie ich aus mehreren Fällen abstrahiert habe, er versäumt von dergleichen welt- lichen Angelegenheiten so leicht keine, nicht etwa, um mitzugenießen, sondern um seine Seelenruhe zu befestigen. Neulich war wieder Burschen- lärm, wobei wir zufällig Zuschauer wurden. Weil die AfiTäre sich bis spät in die Nacht hinzog, so ging ich um 10 Uhr zu Hause, konnte ihn aber nicht vermögen mitzugehen, nicht weil er Willens gewesen wäre, Taten auszuüben (denn wir hatten beide leere Hände), sondern um noch ferner über das Eitle des Aktus philosophieren zu können, welches er schon die ganze Zeit über, als ich bei ihm war, getan hatte." Nach vollendetem akademischen Triennium kehrte Gauss Ende September 1798 nach Braunschweig zurück. Beim Abschiede hatten die beiden Freunde gelobt, am letzten Tage eines jeden Monats ein „Fest der Freundschaft" zu feiern, indem jeder am Abend in Gedanken an den andern eine Pfeife Tabak rauchte. „Dein Brief", schreibt Gauss an Bolyai am 29. November 1798, „wurde mir gerade am Abend, den letzten vorigen Monats gebracht, als ich mich hingesetzt hatte, um den Feiertag unserer Freundschaft zu begehen; da sitze ich in meinem Lehnstuhl, setze Dir Deine Pfeife gestopft hin und träume Dich zu mir herüber mit Deinem schwarzen Jäckchen und Deinem schwarzen Casquet und unterhalte mich mit Dir von vergangenen Zeiten, und gerade dann wird mir in Deinem Briefe durch Deine Frage die Gewißheit gebracht, daß Du jetzt ebenso an mich denkst, daß mein Traum kein Traum ist, möchte ich sagen." Zum Schwünge hoher Begeisterung aber erhebt sich Wolfgangs feurige Seele: „Am Abend des letzten Augusti [1799] habe ich meinen Toback bei so angenehm traurigen Gedanken geraucht, bis selbst spät in der Mitternacht mich der Schlaf noch in Gedanken an Dich gefunden hat — ich dachte: wenn das Schicksal unsere Bahnen bis ans Ende fortlaufen gewährt — o dann, wenn einst das Alter in unseren Körpern seine Wappen aufstecket und, umwerfend die stolzen Säulen, auf welchen unsere Jugend, des vieljährigen Sieges ge- wohnt, den Elementen trotzte, die Ketten der Grazie, welche die Ge- stalt unserer blühenden Jugend erhielten, zerrissen und die Brücke zwischen uns und den Reizen der Sinnenwelt zerstöret hat, o dann soll unsere Freundschaft uns süße Früchte tragen — wenn wir am letzten Tage eines Oktobers, wo die Natur sich zu einem langwierigen Schlummer anschickt, unsere Pfeife rauchen, dann soU sie unseren tiefen Sinn von den unabsehbaren Höhlen des Todes und der Ewigkeit zurückrufen
Wolfgang BoLYAi in Deutschland; Freundschaft mit Gauss (1796—1799) H
und zu einer angenehmen Melancholie stimmen, welche uns durch Wiederholung des Vergangenen verjüngen wird."
Baron Simon Kemeny war schon im Juni 1798 nach Siebenbürgen zurückgekehrt. Wolfgang mußte jedoch zurückbleiben als „Pfand für Simon Kemeny, da die Ausgaben das gesandte Geld, ohne das wir es verschwendet hätten, überschritten. Da ich von Simon Kemeny ein Jahr lang kein Geld erhalten konnte, stand ich viel aus, aber niemals war ich so glücklich. Jene Zeit, auf die ich immer mit Freuden zurück- blicke, verging in freiwilligem Freundesopfer, im reinen Äther des Strebens nach Wahrheit, hoch über dem Morast körperlicher Genüsse. Meine edle Leidenschaft [für Mathematik] war während des ganzen Aufenthalts im Ausland (zwischen vielen Versuchungen) der Schutz- engel meines reinen Lebens. Mein damaliges Ich achte ich noch heute."
Im Mai 1799 kam endlich der Wechsel. Nach Bezahlungr aUer Schulden blieb jedoch so wenig übrig, daß Wolfgang sich entschließen mußte, die Heimreise nach Siebenbürgen zu Fuß anzutreten. Ehe er Deutschland verließ, wollte er indessen seinen Freund Gauss noch ein- mal sehen. Am 24. Mai trafen die beiden, wie sie es verabredet hatten, gegen Sonnenuntergang bei Clausthal im Harz zusammen; ihre Pfeifen hatten sie mitgebracht. Wolfgang erzählte dabei, wie es scheint nur in kurzer Andeutung, daß ihm jetzt der Beweis des elften Axioms ge- lungen sei; auf diese seine „Göttingische ParaUelentheorie" werden wir noch ausführlich zurückkommen. Am Morgen des 25. Mai begleitete Wolfgang seinen Freund bis zu einer Hügelspitze. „Da schieden wir mit einem sterbenden Abschiedshändedruck (fast wortlos), von einer und derselben Fahne ausgehend, mit dem Unterschied, daß er in den Tempel des Ruhms gelangte, ich aber fiel."
Am 5. Juni 1799 hat Wolfgang Göttiugen verlassen. „Ich machte mich zu Fuß auf den Weg. Der Professor der Astronomie, der mit Napoleon bei Austerlitz war und dann sein Ingenieur -Oberst wurde, [Seyffer] und andere begleiteten mich zu Fuß bis zum nächsten Dorfe. Beim Abschied weinte ich wie ein Kind; ich ging wider Willen zurück, aber endlich überwand ich mich. Vom letzten Hügel, von dem Göttingen noch sichtbar war, blickte ich noch einmal zurück, so lange, bis auf der Dämmerung des Abschieds für ewig das Daguerrotyp eingeprägt blieb."
Die Erinnerung an Göttingen hat Wolfgang durch sein ganzes Leben begleitet. In einem Briefe, den er kurz vor seinem Tode am 13. Juli 1856 an Sartorius von Waltershausen gerichtet hat, spricht er noch mit Rührung von den überirdischen Jahren, die Gauss und er dort vor dem Altare der einzigen Urania verbracht hätten.
ITI. Kapitel
Rückkehr in die Heimat: Klausenburg und Doniäld (1799—1804) j
Im Juni 1799 hatte Wolfgang Göttingen verlassen. Erst im Sep- ' tember ist er in der Heimat angelangt. Über die Erlebnisse auf seiner Reise hat er selbst und, auf Grund der Erzählungen des Vaters, sein Sohn Johann berichtet.
In neun Tagen kam er, größten Teils zu Fuß, nach Regensburg; er begann die Reise mit kleinen Märschen, die er täglich vergrößerte, indem er sich früher auf den Weg machte und später aufhörte. Noch am Tage seiner Ankunft in Regensburg bestieg er ein Schiff, das ihn donauabwärts nach Wien brachte. I
Unterwegs stieg er in Passau aus und hatte dort zwei Abenteuer, die leicht hätten schlecht enden können. Er trat in ein Kaffeehaus ein und rauchte seine Pfeife. Vielleicht war das Rauchen verboten, vielleicht erregte sein auffallendes Äußere und sein Benehmen das Miß- fallen der anwesenden Philister; er saß wie ein deutscher „Bursche" da, der sich um nichts in der Welt kümmert, mit dichtem, langem Haar, das bis auf die Schulter fiel, und glühenden, großen Augen. Zehn Per- sonen umringten ihn und wollten ihn hinauswerfen. Plötzlich sprang er in die Mitte des Saales und den gewundenen Knotenstock mit er- staunlicher Geschwindigkeit über dem Kopfe schwingend verkündete er sofortigen Tod dem, der seinen ungarischen, adligen Burschenleib an- zurühren wage. Durch sein mutiges Auftreten und seine Geistesgegen- wart jagte er die Angreifer so ins Bockshorn, daß einer nach dem andern sich vorsichtig zurückzog. Als er darauf beim Passieren eines Wacht- postens die Pfeife nicht aus dem Munde nahm, wie es damals Pflicht der Zivilpersonen war, wollte dieser sie ihm gewaltsam entreißen. Wolf- gang packte ihn mit großer Kühnheit an der Brust und warf ihn an die Wand; unbehelligt ging er von dannen.
Als er die Reise fortsetzte, weckte ihn aus seinem Grübeln der Lärm des Schiffsvolks. Man war unterhalb Grein bei dem damals be- rühmten und gefürchteten Strudel. Er woUte stehend die gefährliche Stelle betrachten. vVls aber die Schiffer dem müßigen Zuschauer zornige Blicke zuwarfen, kniete er nieder und sah nur verstohlen in die wir- belnde Flut. Auch an Romantik fehlte es nicht. Ein hübsches fünf-
Wolfgang BoLVAis Rückkehr in die Heimat (1799) 13
zehnjähriges Mädchen betrat das Schiff. Um sich einen Dienst zu suchen wollte sie nach Wien reisen, „für ihre unbefleckte Reinheit eine solche Flut des Schmutzes, der kein Fleckenreiniger gewachsen ist." Er wurde ihr Schutzengel. „Ich öffnete ihr den Himmel der Tugend und die Hölle der Sünde und wollte auf jede Weise die sich nach jedem Winde nei- gende Blume zu einer uneinnehmbaren Festung machen." In Wien an- gekommen — es war der 19. Juni — hielt er es für besser, sich von ihr zu trennen; „denn ich bedachte, daß auch der jungfräuliche Schnee durch das Lächeln der Sonne zum Morast wird und ich selbst zugrunde gehen würde, ohne sie zu retten."
Zwei Monate blieb er in Wien. Wie es scheint, war er unter lustige Gesellen geraten, die seine Gutmütigkeit ausbeuteten. Als es mit seinem Gelde zu Ende ging, verließen sie ihn, und mit einigen Gulden in der Tasche stand er plötzlich allein in der großen Stadt. Kurz entschlossen verdingte er sich auf das Schiff eines serbischen Kaufmanns und gelangte im August 1799, von morgens bis abends das Ruder schwingend, glücklich nach Pest.
Als ob ein böser Geist ihn verfolgte, geriet er dort nach kurzer Zeit wiederum in eine mißliche Lage. In einem Wirtshause, wo er einkehrte, wurde er gefragt, was er in der Hand habe. Es war ein Stilet. Er zeigte es. Als er es in die Scheide zurückstecken wollte, verletzte er sich am linken Knie. Die Wunde verschlimmerte sich. Verlassen, mit leerem Beutel lag er im „Roten Ochsen"; er konnte keine Arzneien be- kommen und war auf die Gnade kleinlicher, mißtrauischer Menschen augewiesen. Auf einen Brief nach der Heimat erhielt er durch einen unglücklichen Zufall keine Antwort. Anfangs vermochte er die Emp- findung seiner elenden Lage zu unterdrücken und sich durch seine Seelengröße über die körperlichen Schmerzen zu erheben, ja er hatte eine so gute Laune, daß die Gäste kamen, um sich von ihm unterhalten zu lassen. Schließlich packte ihn jedoch die Verzweiflung, und nun wandten sich die Menschen von ihm ab. „AUein gelassen erhob ich mich mit tränenden Augen aus der nackten Wirklichkeit mit unaus- sprechlichem Gefühl ins Unendliche, zur Quelle der bodenlosen Flut unzähliger Sonnen. Und in jener Stunde kam die Hilfe. Ich wurde ge- sund und gelangte auf dem von Baron Simon Kemeny geschickten Wagen nach Hause."
Die Weinlese feierte er in Bolya bei seinem Vater. „Als ich aber einsah, daß ich bei ihm (vor der Hand), der unendlichen Verschieden- heit unserer Denkungsart wegen, unmöglich meinem Plane gemäß leben könnte, nahm ich im KEMENYschen Hause [in Klausenburg] eine Hof- meisterstelle an, da sie mir gerade zu der Zeit angeboten wurde und
14 Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kapitel III
der Jüngling von vierzehn Jahren (mein Zögling) was außerordentliches versprach. . . . Da lebe ich nun ziemlich ruhig und unabhängig. Nach einiger Zeit denke ich nach Hause zu gehen" (Brief an Gauss vom 13. April 1800).
Was ihn nach Klausenburg zog, war hauptsächlich der Verkehr mit geistig angeregten Menschen, der ihm zum Bedürfnis geworden war. „Er hatte weder einen Plan, noch ein Ziel; ebenso wie in den Universitätsjahren kümmerte er sich nicht um die materielle Seite des Lebens. Sein lebhafter und unruhiger Gei.st suchte einen Kreis, in dem er sich aussprechen und frei herumflattern konnte; einen solchen konnte er damals in Siebenbürgen am ehesten in Klausenburg finden. Jedenfalls war er ein sehr beliebtes und gern gesehenes Mitglied dieses Kreises. . . . Diese jungen Männer finden wir später auf dem Lehr- stuhl des einen oder anderen Kollegiums oder in der Kirche als Seelen- hirten; wir begegnen den Namen von nicht wenigen unter ihnen in der Geschichte unserer vaterländischen Literatur und Wissenschaft" (Bedöhäzi).
Zu Wolfgangs Freunden zählte vor allem Paul BoDOR, Kontrolleur der siebenbürgischen delegata provincialis cassa. Bodor besaß ein leb- haftes Interesse für Literatur und Kunst; er hat sich um die Grün- dung des Klausenburger Nationaltheaters verdient gemacht. Wolfgang ist mit ihm später in brieflichem Verkehr geblieben.
Aber auch mit den Damen der ungarischen Aristokratie wußte er umzugehen und war bei ihnen bis ins hohe Alter beliebt. „Selbst eitle junge Männer geben zu", erzählt Johann Bolyai, „der alte Bolyai verstände es, sich auch unter Damen so zu bewegen, daß er oft einer Reihe unter ihnen den Hof mache und wie ein Schmetterling von einer zur anderen flattere, sie auf sein baldiges Wiederkommen warten lasse und mit den geistreichsten Bemerkungen entzücke, ihnen den Kopf ver- drehe, sie hinreiße und zugleich eine Schar hofierender junger Männer, die blasiert, fade und geistesarm gähnen, mit Leichtigkeit aus dem Sattel werfe . ." „Oft unterhielt er sich so lebhaft, daß er auf dem Heimweg in sich brummte: Ich hin Feuer lüid Flamme, und dann blitzten noch seine leuchtenden Augen" (KoNCz).
Im Fasching 1800 lernte er auf einem BaU ein junges Mädchen kennen, Susanua, die Tochter des Wundarztes Josef Benkö v. Arkos; die Mutter Juliane geb. Bachmann stammte aus einer sächsischen Familie. „Eine gegenseitige Sympathie entflammte meine damalige Phantasie, die auch auf eine leere Leinwand einen Cherub gemalt hätte, sodaß aUe meine Luftschlösser verbrannten. Das Herz eroberte den Königs- thron des Verstandes." Und an Gauss schreibt er den 13. April 1800:
Wolfgang BoLYAi in Klausenburg und Domäld (1799 — 1804) 15
„Es ist . . . ein ungrisches Mädchen von 18 Jahren, meines Standes; ich brauche Dir weiter nichts zu sagen, als daß ich und sie einander voll- kommen lieben. Es ist eben keine glänzende Schönheit, aber ungemein anziehend, sanft, von sehr feinem Geiste, spielt auch Fortepiano und singt aus Xoten sehr angenehm und hat in der Musik den besten Geschmack — ich habe sie schon sehr viel gebildet, ich wiU das Werk vollenden."
Am 28. September 1801 fand die Trauung statt; es war die erste Amtshandlung des eben erwählten jungen Geistlichen Alexius Desiderius Krizbai in der Klausenburger Kirche. Das junge Paar nahm seinen Aufenthalt in Domäld. „Drei Jahre war ich Landwirt auf meinem Gute [1801 — 1804]. Ich befaßte mich mit dem Regulieren des Baches, mit dem Wasserfall, Wald, Hütte, mit dem Okulieren, Pflanzen, und dies aUes führte mich zu der Jahre in Anspruch nehmenden Gärtner-Leiden- schaft."
Am 15. Dezember 1802 wurde ihm im Hause der Schwiegereltern zu Klausenburg in der Tivoligasse (seit 1903 Johann Bolyai-Gasse) ein Sohn geboren, der am 21. Dezember in der Taufe den Namen Johann erhielt. „Es ist (Gott sei Dank!) ein gesundes, sehr schönes Kind von feinen Zügen und schwarzen Haaren und Augbrauen und brennend dunkel- blauen Augen, die zuweilen wie zwei Juwelen spielen^' (Brief an Gauss vom 27. Febr. 1803). „Überaus glücklich flössen die ersten Jahre des jungen Johann auf dem väterlichen Gute Domäld dahin. Das oft durch häusliche Sorgen und unleidliche Verwandtschaftsverhältnisse getrübte Familienleben bewegte sich um den geliebten Sohn, wie um eine stets Licht und Frohsinn spendende Sonne" (Schlesingee). „Unser Sohn, ein herrlicher Knabe, ist ein weckender Strahl in die Nacht unserer Seele" (Brief an Gauss vom 1. März 1804).
„Die Zukunft rückt in schweren Wolken schweigend heran, deren Donnern erst dann in die Ohren krachen, wenn sie da sind", hatte Wolf- gang prophetischen Geistes in dem Briefe an Gauss vom 11. Sep- tember 1802 geschrieben. Nur zu bald zogen die Wolken herauf. Su- sanna war eine Frau von ungewöhnlicher Begabung, aber sie war krank. Der Keim der Hysterie lag wohl in der Familie, von der Mutter her; auch Susannas Brüder waren psychopathisch. „Es ist ein großes, ver- stimmendes Unglück, ein kränkliches Weib zu haben" (Brief an Gauss vom 16. September 1804). Wolfgang soUte dieses Unglück bis zur Neige auskosten. In den späteren schweren Jahren sind den beiden Gatten die Jahre von Domäld immer als die nur zu rasch dahin- gegangene Zeit des Glücks erschienen; dort hat Susanna auch ihre letzte Ruhestätte gefunden.
lY. Kapitel
Wolfgaug BoLYAl als Professor in Maros-Väsärhely (1804—1853)
Nachdem der Professor der Philosophie und Mathematik Vajda V. CsERNÄTON am 12. November 1803 gestorben war, beschloß der Lehr- körper des evangelisch-reformierten Kollegiums zu Maros-Vasarhely, diese beiden Fächer in Zukunft zu trennen und eine besondere Professur der Mathematik, Physik und Chemie einzurichten Dem Vorschlage des Kollegiums folgend berief die oberste Behörde des siebenbürgischen Kirchendistriktes durch Erlaß vom 22. Januar 1804 Wolfgang Bolyai in diese Stelle.
„Ein neuer Fall bei uns", schreibt er am 1. März 1804 aus Domäld an Gauss, „zwei von den ältesten Studenten sind zu mir herausgeschickt worden mit offizialischen Briefen. Lange habe ich mich besonnen. Geneigter war es nicht anzunehmen, da ich hinfüro meine Wirtschaft 80 ziemlich hätte eingerichtet und wäre von keinen so bestimmten Fesseln gedrückt als von den Sorgen, welche die Tage hervorbringen. Aber beschuldiget war ich als ein schlechter Bürger von vielen, und als ein Misanthrop. Endlich entschloß ich mich; es war auch meines Vaters WiUe, weil es seine Maxime war, Amt zu verwalten, und wohl wußte er, daß ich kein anderes je würde verw'alten."
Daß Wolfgang den Ruf annahm, war die letzte Freude seines Vaters, der bereits schwer erkrankt war und am 17. Februar 1804 entschlafen ist. „Nun sterbe ich ruhig", sagte er, „Wolfgang ist Professor in Maros- Väsärhely und Anton Vizenotär".
Im April 1804 ist Wolfgang nach seiner neuen Heimat übergesiedelt und hat am 4. Mai sein Amt angetreten, das er länger als 47 Jahre, bis zum Oktober 1851, verwaltet hat.
Maros - Väsarhely , zu Deutsch der Marktplatz am 3Iarosflusse, liegt in einer freundlichen, hügligen Gegend. Die Stadt bildet den Mittelpunkt des westlichen Gebietes der Szekler. Hauptgebäude sind ein befestigtes Schloß mit Kaserne, die evangelisch- reformierte Kirche, mehrere römisch-katholische Kirchen und ein Minoritenkloster, ferner das Palais der Grafen Teleki mit einer großen Bibliothek, die Graf Samuel Teleki begründet hatte; sie enthielt hauptsächlich juristische, aber auch wertvolle Werke mathematischen und physikalischen Inhalts.
Wolfgang BoLYAi als Professor in Maros-Väsärhely 17
Endlich ist das Kollegium zu nermen, ein stattliches Gebäude mit Klassen- zimmern und Wohnräumen für zahlreiche Schüler; im Jahre 17(3G zählte die Anstalt 784 Zöglinge. Das Kollegium war 1557 zu Sarospatak ge- gründet worden. Mit Stolz wird erzählt, daß der berühmte Pädagoge CoMEXius, von Georg Raköczi I. berufen, 1650 — 1652 an ihm gelehrt habe. Später wurde es nach Weißenburg (jetzt Karlsburg, magyarisch Gyulafehervar genannt), dann nach Bethlen verlegt und 1718 mit einer kleinereu, dort schon bestehenden Anstalt zu Maros-Väsarhely vereinigt.
Das Gehalt der Professoren war mäßig, 400 ungarische Gulden (im Werte von etwa 70 Pfennigen); eine Nebeneinahnie verschafften sie sich durch Xachhilfe-Unterricht. Dazu kam für W^olfgang Bolyai ein Hof mit Haus und großem Garten. Die Amtswohnung des Vorgängers war ein zerfallenes Holzgebäude gewesen. Schon 1803 hatte man beschlossen, daneben ein neues, besseres Haus zu bauen, aber erst 1806 wurde die einfache Wohnstätte fertig. Das alte Gebäude ist für die Zwecke des Kollegiums zu einer kleinen Buchdruckerwerkstätte eingerichtet worden; aus ihr ist Wolfgang Hauptwerk, das Tentamen, hervorgegangen.
Die Wohnung, die Wolfgang bis zu seinem Tode 1856 inne hatte, bestand aus drei Zimmern nebst Küche, Kammer und doppeltem Keller. Einen der Vorderräume benutzte er für sich, den Rest überließ er der Familie. An den braunen Wänden seines Zimmers hing ein Bild seines Freundes Gauss; dazu kam Shakespeare, „der Sohl der Natur", und Schiller, „der Enkel der Natur"] dann seine Geige. Hier stand auch sein „PaUadium": die schwarze Tafel. Hinter dem Haus war ein Garten, fast zwei Morgen groß, zum Teil Zier- und Küchengarten, zum Teil im Naturzustande. „Wie gern möchte ich Dich in meinem schon auf- gewachsenen und tragenden Garten au dem im dunklen Pappelwalde schlängelnden Bache bewirten samt Deiner ganzen Familie. . . Zehn und mehr Jahre lang war die Gärtnerei meine Passion, es hat mir viel Zeit weggenommen" (Brief an Gauss vom 10. April 1816). Die enge Gasse, an der das Grundstück lag, ist 1872 verbreitert worden. Seit 1884 heißt sie BoLYAi-Gasse. Das Haus hat 1909 einem Neubau Platz machen müssen, aber eine Tafel erinnert daran, wer hier zum Ruhme der Stadt und des Vaterlandes gelebt und gewirkt hat.
Das Amt bot Veranlassung genug, daß Wolfgang die Beschäftigung mit der Mathematik wieder aufnahm, die in Domäld in den Hintergrund getreten war. „An Büchern bin ich sehr arm'' äußert er sich am 1. März 1804 zu Gauss, „und ich muß notwendig solche haben, bei uns wäre man mit wenigen Büchern vor einen Ochsen gehalten .... scb-»*eibe mir einen Katalog der vortrefflichsten Bücher der Mathematik und Physik". Trotz seinen kleinen Einkünften, trotz der Schwierig-
P. Stack el: Wolfgang und Johann Bolyai I 2
18 Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kapitel IV
keiten, mit denen bei der Abgelegenheit seines Wohnorts die Beschaffung von Büchern verbunden war, hat Wolfgang doch allmählich eine ganz stattliche Sammlung mathematischer und physikalischer Bücher zu- sammengebracht; nach dem Verzeichnis, das er kurz vor seinem Tode, im August 1856, aufgestellt hat, besaß er Werke von Euklid, Kepler, ÄDmAN Metius, Newton, Johann Bernoulli, Euler, Lagrange, Gauss, die großen Lehrbücher von Littrow, Kästner, Karsten, La Croix, die Astronomie von Lalande, die Geschichte der Mathematik ^ von Montücla.
Sogleich nach Antritt des Amtes begann Wolfgang, sein System i der Mathematik auszuarbeiten. In langwieriger, oft unterbrochener Arbeit ist hieraus sein großes Lehrbuch der Mathematik, das Tentamen, hervor- gegangen: erst im Herbst 1829 war das Werk im wesentlichen ab- geschlossen. Als Probe seiner Untersuchungen über die Grundlagen der Arithmetik und Geometrie sandte er am 16. September 1804 an Gauss seine Göttingische ParaUelentheorie. Dieser antwortete am 25. November, daß ihm W^olfgangS Verfahren noch nicht Genüge leiste. Am 27. Dezember 1808 ließ Wolfgang eine Ergänzung folgen, die jedoch, wie er später selbst erkannte, auch nicht ausreichend war. Noch mehrere Jahre hat Wolfgang mit dem alten Rätsel der Parallentheorie gerungen. „Da ich aber mit meinen Versuchen, die Parallelen zu beweisen, nicht zufrieden war und nach langer Zeit, obgleich ich sie bis zur Grenze der Mög- lichkeit untersuchte, und auch dann keine Ruhe fand, schwand mein Feuer für die Mathematik, und ich warf mich auf die Poesie." 1
„Das Volk wird immer Mathematik hassen", klagt Wolfgang am 18. Dezember 1807 seinem Freunde Gauss, „wie ich herkam, es war beinahe niemand im Collegio, der mehr als die vier Species mechanisch wußte. Itzt sind viele, die in der Algebra, Kegelschnitten, angewandten Mathematik und Physik ziemliche Fortschritte getan haben, auch in die Differential- und Integralrechnung habe ich schon eingeweiht. — Du weißt, wie wenige auch draußen die Mathematik lieben". i
Von den drei Eigenschaften, die ein vortrefflicher Lehrer in sich vereinigen muß, besaß Wolfgang zwei, und zwar in hohem Grade: den Enthusiasmus für seine Wissenschaft und ein warmes Herz für die Jugend. Was ihm fehlte, war die Gabe, seine Gedanken in leichtver- ständlicher Form darzustellen. Wohl hat er durch die hinreißende Lebhaftigkeit seines Vortrags Eindruck zu machen verstanden und, wenn er von dichterischer Begeisterung getrieben, Gott als den Urquell der Wahrheit und der Liebe pries, die jungen Seelen mitgerissen. AUein es waren immer nur wenige Auserwählte, die seinen mathematischen Darlegungen folgen konnten, und die Mehrzahl hatte wenig Gewinn.
Wolfgang BotYAi als Lehrer; als Spracherneuerer 19
Als er einmal an der Tafel eine Aufgabe entwickelte und ihn trotz ge- spannter Aufmerksamkeit niemand verstehen konnte, wagte es sein zweiter Sohn Gregor, damals sein Schüler, zu sagen, sie könnten ihn wahrhaftig nicht verstehen und bäten ihn, es noch einmal zu erklären. „Als ob man ihn aus dem Sternenhimmel in den Kot der Erde gezerrt hätte, mit solcher Betroffenheit warf er seine blitzenden Blicke auf den Sohn und die übrigen Schüler, und indem er sagte, wie es denn möglich sei, daß ein vernünftiger und nüchtern denkender Mensch das nicht ver- stände, arbeitete er die Aufgabe noch einmal durch, aber seine Illusion war ganz dahin" (KoNCz).
An dieser Stelle muß auch der Bemühungen Wolfgangs gedacht werden, die damals noch wenig entwickelte mathematische Terminologie der magyarischen Sprache auszubilden. Sie stehen in unverkennbarem Zusammenhang mit den gleichzeitigen Bestrebungen der Neologen, an deren Spitze Franz Kazinczy (1759 — 1831) stand. „Je mehr mau in den letzten drei Dezennien des achtzehnten Jahrhunderts übersetzte, desto mehr fühlte man die Armut der Sprache, besonders an Ausdrücken für abstrakte Begriife. Ferner hatte die Verwilderung im 18. Jahrhundert eine Menge lateinischer und deutscher Vokabeln in den Sprachschatz gebracht, die die Eleganz beeinträchtigten. Es war nun die Aufgabe der Grammatiker und Schriftsteller, teils durch Neubildungen, teils durch Verkürzungen, teils durch neue Suffixe Wörter zu bilden, damit jede Gattung der Poesie und der Prosa, jedes wissenschaftliche Werk ins Magyarische übertragen werden könne. Wenn man das mit Bienenfleiß von Koloman Szily gesammelte Material, das Wörterhuch der Sprach- erneuerung (1902), durchblättert, so ist man von der FüUe der neu- gebildeten Wörter, zu den Kazinczy und seine Anhänger den Anstoß gaben, ganz erstaunt. . . . Daß die Neologen sehr oft zu weit gingen, daß sie den alten Wortschatz nicht genügend ausbeuteten und Worte schufen, die ganz unnötig waren, ist heute eine anerkannte Wahrheit" (I. Kont). „Die Sprachemeuerung oder die erneute Sprache hat durch den Gemeinsinn der Nation, durch die einhellige Teilnahme der höheren und niederen Gesellschaftskreise an der Sache der Sprache und durch die zunehmende Anzahl besserer Schriftsteller den endgiltigen Sieg er- rungen. Was dabei gut war, was mit dem nationalen Gemeinsinn in Übereinstimmung war, wurde baldigst allgemein und bereitwillig an- genommen. Durch den WiUen, mitunter durch die Willkür einzelner hervorgerufen, hat diese Bewegung, wenn sie sich auch manchmel re- volutionär gestaltete, ein wirkliches Bedürfnis befriedigt und Gediegenes geleistet; dies wurde durch die öffentliche Meinung gerechtfertigt. Die- sem nationalen WiUen entsprach auch die Akademie, die im Jahre 1830,
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20 Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kapitel IV
besonders um die Sprache auszubilden, ihre Tätigkeit begann" (Alexan- der Imee).
Mit Hunderten von neugebildeten Worten ist auf diese Art die magyarische Sprache dauernd bereichert worden. Wolfgang Bolyais Vorschläge für die mathematischen Fachausdrücke gehören zu den Neu- bildungen, die keine Aufnahme gefunden haben, aber sie sind doch einem gesunden patriotischen Gefühl entsprungen, und seine Tätigkeit auf diesem Gebiete bildet einen Zug in seinem Charakter, der nicht übergangen werden darf. „Wenn wir einerseits erröten" schreibt er im Tentamen, „daß wir in der Mathematik nicht gerade die Lehrer anderer Völker und daß nur wenige unter uns (halb und halb) deren Schüler sind, so machen ivir andererseits, damit wir einst auch ihre Lehrer sein können, wenigstens jetzt, solange es noch Zeit ist^ von dem gerade atis unserem Zurück- gehliebcnsein stammenden Beclit Gebrauch, das andere Völker schon ver- scherzt haben; indem diese schon vor langer Zeit die Wiegensprache der Mathematik übersetzt hatten, wurzelten sich viele Ausdrücke in die Jahrhunderte ein, die den Geist des Schülers von deren wissenschaft- lichen Sinn ablenken. Dies hat Einfluß auf die nationale Kultur." Wolfgang hat sich auch ausführlich über die Grundsätze ausgesprochen, nach denen er dieses Adamsrecht, den Dingen Namen zu geben, aus- geübt hatte; näher darauf einzugehen ist hier nicht möglich, da es eine genauere Bekanntschaft mit der magyarischen Sprache voraussetzen würde.
Wolfgang war ein reich begabter Mensch, ja es war vielleicht sein Verhängnis, daß er zu reich begabt war: anstatt auf einem Gebiete das Höchste zu leisten, hat er seine Tätigkeit zerstreut und zersplittert. Wenn man aber fragt, welche Fähigkeit bei ihm die erste Stelle ein- nimmt, so wird ohne Zweifel die Phantasie zu nennen sein. Alles was er schrieb gestaltete sich unwillkürlich zum Gedicht; fast jeder Brief, fast jede Seite seiner Bücher geben hiervon Zeugnis.
Als die Liebe zu Susanna Wolfgangs jugendliches Herz entflammte, hatte sich ihm der Born der Lieder geöffnet. „Es mögen . . . diese nie empfundene, intensive Gefühle eine Funke in meine Seele geworfen haben, die das poetische Feuer darin aufgewecket hat" (Brief an Gauss vom 13. April 1800). Freilich war die Glut der Liebe nur aUzu rasch erloschen. „Wie täuscht sich der Mensch, der im Hochsommer glaubt, daß es im Dezember immer so heiß sein werde; so geht es auch dem- jenigen, der aus Liebe heiratet." Aber auch die Leidenschaft für „seine wahre Freundin", die Mathematik, war erkaltet. „Li dieser Stimmung mußte ich in eine ideale Welt auswandern" (Brief an Sartorius von Waltershausen vom 13. Juli 1856).
Wolfgang BoLYAi als Dramendichter 21
Wie im ersten Kapitel erzählt wurde, hatte im Jahre 1790 eine Liebhabertruppe zu Ofen zum ersten Male in Ungarn Theaterstücke in magyarischer Sprache aufgeführt. Das Theater hielt sich nicht lange, aber das Eis war gebrochen, und das Bühnenwesen fing an, sich in Ungarn zu verbreiten. Diese Bewegung hatte, wie wir gesehen haben auch auf S>iebenbürgen übergegriffen, und in Klausenburg ist, nachdem der Landtag schon 1811 die Gründung beschlossen hatte, 1821 das erste stehende Nationaltheater eröffnet worden. Damit das Unternehmen würdig beginne, stifteten im Jahre 1814 mehrere siebenbürgische Mag- naten einen Preis von 1000 rheinischen Gulden für ein Drama, das bei der Eröffnung aufgeführt werden soUte. Die Preisausschreibung übernahm die Siebenbürgische Museumsgesellschaft; an der Spitze der Jury stand Gabriel Döbrentei. Bis zum September 1815 liefen zehn Dramen ein, darunter drei von Wolfgang BoLYAi. Da drei Verfasser baten, man möchte im Sinne der Bedingungen, die für die Bewerbung um den Preis festgesetzt waren, die Einreichungszeit verlängern, wartete man mit der Beurteilung, und so zog sich die ürteilsverkündigung fast zwei Jahre hin. Wolfgang konnte seine Ungeduld über die Verzögerung nicht be- meistern und ließ schließlich, ohne die Preisverteilung abzuwarten, die eingereichten drei Dramen drucken, denen er noch zwei neue hinzufügte. Sie erschienen 1817 zu Hermanustadt unter dem Titel Fünf Trauer- spiele, geschrieben von einem Patrioten. Der Name des Verfassers war nicht angegeben, vielmehr hatte Wolfgang, um die Leute irre zu führen, unter den 178 Subskribenten seinen eigenen Namen verzeichnet. Die Titel der Dramen sind:
1. Pavsanias oder das Opfer des Ehrgeizes,
2. Mohamed oder der Sieg des Ruhmes iiber die Liebe,
3. Simon Kemeny oder das Opfer der Vaterlandsliebe,
4. Der Sieg der Tugend über die Liebe,
5. Der Sieg der Liebe über die Tugend.
Die Verkündigung des Urteils erfolgte am 8. Juli 1817. Die Jury erklärte, daß sie den Preis keinem der eingereichten Stücke erteilen könne. Jedoch verdiene das Tran erspiel: Das Feuer des Aufstandes von Johann Tokody besondere Beachtung; über die Höhe des ihm zu er- teilenden Preises solle jedoch erst entschieden werden, wenn der Ver- fasser das Drama umgearbeitet habe. Dazu ist es nicht gekommen, und so blieb der Preis unverteilt.
Über Wolfgangs Stücke äußerten sich die Preisrichter folgender- maßen. „Den Charakter dieser Werke bildet die Größe der darin vor- kommenden, überraschenden Gedanken, die sanfte, warme Empfindung, die mit Kühnheit geparte, zerfließende Phantasie. Keinem der Mit-
22 Leben und Schriften der Leiden Bolyai. Kapitel IV
bewerber ist eine solche poetische Sprache eigen wie die seine. Nur schade, daß sie hier und da zu üppig, uugeläutert und nicht knapp genug ist. ... Er trug keine Sorge dafür, den dramatischen Knoten so zu schlingen, daß die Aufmerksamkeit des Lesers zu unruhiger Be- gierde hingerissen werde. Darum hat der Knoten keine Mitte, keine Lösung, und darum ist sein Werk überall glatt.''
Ganz unbeachtet ließen die Preisrichter das Trauerspiel Banus Bank von Josef Katona (1792 — 1830), das denselben Stoff behandelt wie GiiiLLPARZERS Ein treuer Diener seines Herrn (1830); es hat erst nach dem Tode des Dichters die verdiente Anerkennung gefunden und gilt noch heute als die beste und ursprünglichste magyarische Tragödie.
Wenn Wolfgangs Stücke auch nicht auf die Bühne kamen, so haben sie doch für die Geschichte des magyarischen Dramas eine gewisse Be- deutung gewonnen, denn für Karl KiSFALUDYs (1788 — 1830) bestes Trauerspiel Irene (1820) ist Wolfgangs Drama Mohamed der Aus- gangspunkt geworden. Irene ist eine schöne griechische Gefangene, die vom Sultan Mohamed geliebt wird. Um das Schicksal der Christen zu mildern, verzichtet sie auf ihren Verlobten und gibt sich dem Sultan hin. Seitdem sie ihn beherrscht, hören die Metzeleien auf. AUein die Anhänger der Kriegspartei wissen den Sultan zu überzeugen, daß die Griechin nicht aus Liebe, sondern nur aus Berechnung handle, und in seiner Wut ersticht er sie.
Im Jahre 1818 ließ Wolfgang ein neues Stück folgen: Der Pariser Prozeß, ein empfindsames Spiel in fünf Anflügen. Auch erschien von ihm in demselben Jahre ein Band Übersetzungen deutscher und eng- lischer Dichtungen; man findet hier zunächst ein didaktisches Gedicht, PoPEs Essay on man (1733), dann einzelne Gedichte von Milton, Thomson, Gray und Schiller. Bei der Übersetzung gestattete sich Wolfgang große Freiheiten; zum Beispiel hat er den Schluß von Schillers Besignafion verändert: „es war eine vorübergehende Sonnenfinsternis in seinem [Schillers] inneren Himmel'' (Brief an Sartorius von Waltershausen vom 13. Juli 1856).
Was Wolfgang sonst noch an poetischen Entwürfen aufgezeichnet hatte, verbrannte er um das Jahr 1836 zur Zeit der Cholera. „Armut, Mangel an Zeit und Ruhe, sowie unvorhergesehene Abhaltungen brachten mich in einer trüben Stunde dazu, mehrere neue Trauerspiele und ^noch andere Arbeiten (um das Jahr 1836) zu verbrennen; noch be- bewahre ich ihre Asche. Sie waren auch noch nicht ausgefeilt. Ich sah ein, daß ich sie verbrennen müßte, woUte ich dieser Geliebten wegen nicht zu viel Zeit verlieren, ohne meinem wahren Kameraden, der Mathematik, untreu zu werden. Ich bedachte ferner, daß ich leicht
Wolfgang BoLYAi ala Dramendichter 23
etwas anderes schreiben könnte, wenn es mir später die Zeit erlaube; denn damals stand ich so, daß ich bei der nötigen Freiheit und bei besserer äußerer Lage beinahe jeden Monat in Prosa ein solches Drama hätte schreiben können."
Hören wir noch, was BedÖhazi, Wolfgangs magyarischer Biograph, über ihn als Dichter sagt: „Der Hauptgesichtspunkt ist bei ihm ein vor- wiegend ethischer, er verfolgt den entschiedenen Zweck, den Leser nicht nur zu entzücken, sondern ihn vor allem zu belehren und zu bessern. Er selbst sagt im Vorwort des empfindsamen Spiels Der Pariser Prozeß, es enthalte auch dieses Drama «lange und äußerst lehrreiche Gespräche». Wer auch immer darin spricht, läßt die Stimme des Dichters durch- klingeu. Bei ihm scheint die dramatische Form mehr als Mittel dafür zu dienen, seine in Dialoge gekleideten, schönen, erhabenen Gedanken, seine packenden, schillernden Vergleiche, seine Bilder, seine sittliche Weltanschauung in seiner überaus üppigen Sprache mitteilen zu können. Diese Sprache vergleicht Sartoeius von Waltershausen nach den wenigen ihm vorliegenden Blättern [Briefen an Gauss und ihn selbst] mit der origrinellen Ausdrucksweise und dem Stil Jean Pauls. Ebenso sehen wir, daß Bolyai in der späteren Ausgabe der Elemente der Arith- metik [ÄritltnietiJca eleje, Maros-Väsärhely 1850], wo er zur Bezeichnung gewisser Operationen die astronomischen Zeichen der Venus, des Saturn und des Halbmonds benutzt, auch hier, wie überall, wo sich eine Ge- legenheit zu Vergleichen und Bildern ergibt, sofort aus dem Rahmen des Üblichen heraustritt. . . . Diese Ausdrucksweise war keine gesuchte; in dieser Form trug er vor, unterhielt er sich, schrieb er Briefe und dachte er. . . . Seine dichterische Sprache entzückte auch die Kritiker. Sie heben hervor, daß sie, wenn man nur die Größe der Gedanken berücksiehtifife, kein besseres Werk in der dramatischen Literatur Un- garns kannten. Der Reichtum an Gedanken und die schwungvollen Dia- loge waren es, die ihm ein Publikum schufen, und nach dem Zeugnis Samuel Brassais «liebten und bewunderten ihn die Leser in gleicher Weise >>. . . . Bolyais Trauerspiele, obwohl von zweifelhaftem litera- rischen, noch weniger von Bühnenwert, enthalten vieles, was die Äuße- rung eines Kritikers rechtfertigt, «die fünf Tragödien seien auch trotz dieser Mängel ungereihte orientalische Perlen» (Döbrentei)."
Als Kaiser Franz Josef bei einer Reise nach Siebenbürgen im Jahre 1852 nach Maros-Väsärhely kam, besuchte er am 31. Juli auch das KoUegium. Als Vertreter des Lehrkörpers begrüßte Wolfgang den Kaiser mit einer Ansprache und überreichte ihm als Huldigungsgruß, in schwarzen Sammt gebunden, eine Sammlung von lateinischen, deutschen und magya- rischen Gedichten, die er verfaßt hatte, den Schwanengesang des greisen
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Poeten, wie er selbst gesagt hat. ;,Die Professoren stellte Bolyai einzeln vor, sich selbst auslassend. Und wer sind Sie? fragte der Herrscher. Ich bin der Professor der Mathematik und Physik, antwortete Bolyai, indem er seinen Namen verschwieg" (Bedöhazi).
Auch der musikalischen Begabung Wolfgangs muß hier gedacht werden. Sein Sohn Gregor erzählte oft, daß in der Kindheit und Jugend- zeit die im Hause gehörte Zigeunermusik keinen Eindruck auf Wolf- gang gemacht habe. „Aber in Göttingen nach dem Besuch der ersten Oper wurde ihm die Musik und besonders die Violine so lieb, daß er am folgenden Tage zu einem Violinlehrer ging, um bei ihm Stunden zu nehmen. Der Lehrer wies darauf hin, daß er über die Zeit des Violinelernens hinaus sei, weil er sich die notwendige Geläufigkeit nie aneignen könne, und wollte ihn nicht als Schüler annehmen. Der Wunsch war aber in Wolfgang so heftig, daß er nicht nachließ und vom Lehrer forderte, er möge seine Pflicht erfüllen und den Lernbegierigen für sein Geld unterrichten. Als der Lehrer sich von dem begeisterten jungen Manne nicht losmachen konnte, gab er ihm endlich regel- mäßige Stunden. Seine Mühe war nicht erfolglos, denn sein Schüler 1 brachte es bald so weit, daß er Stücke, die keine übermäßige Schnellig- keit erforderten, mit starkem Takt und großer Genauigkeit spielen konnte. . . . Als junger Professor vertauschte er die Violine mit der geringere Gewandtheit erfordernden Bratsche, auf der er sich so sehr einübte, daß er im Orchester und in schweren Quartetten seine Stimme genau abspielte. Sein Sinn für Musik, sein Geschmack und sein Urteil waren so weit ausgebildet, daß — wie behauptet wird — bis in die höchsten Regionen der Musik keine terra incognita für ihn vorhanden war."
Gewiß, Wolfcfang war eine echte Künstlernatur. Aber in seinem umfassenden Geiste war noch Raum für Dinge, die an der entgegen- gesetzten Seite des Lebens liegen. Kaum war sein Eifer für das Drama erloschen, so wandte er sich einer sehr praktischen und sehr prosaischen Aufgabe zu. Eine von der österreichischen Regierung in Wien eingesetzte Kommission beschäftigte sich mit der Konstruktion sparsamer Ofen, ohne jedoch damit Erfolg zu haben. Dies erfuhr Wolfgang und machte sich sogleich mit dem ihm eigenen Eifer ans Werk. Nach langen, mühsamen Versuchen kam er wirklich ans Ziel. Der von ihm erfundene Bolyai-Ofen, der auf demselben Gedanken beruht wie die neueren Regenerationsöfen, ' ist in Siebenbürgen vielfach in Gebrauch gewesen. Daß Wolfgaiig Sinn für Aufgaben hatte, die in das Gebiet der Technik übergreifen, zeigt auch ein Brief an Gauss vom 11. September 1802; damals hatte er sich mit der Frage beschäftigt, wie er am besten Wasser aus einem Brunnen in den höher gelegenen Garten treiben könne. In den dreißiger Jahren
Wolfgang BoLYAi als Musiker, Techniker, Forstmann 25
erfand er, wie Josef KoNCZ berichtet, einen Wagen, den der Fahrer selbst in Bewegung setzen konnte, also eine Art von Draisine, den er aus Stücken einer alten Kalesche zusammensetzte. Auf einem Gestell, erst mit drei, später mit vier Rädern, stand ein Häuschen mit einer Tür an der Rückseite, „damit man, falls der Wagen durchgehen sollte, gefahr- los herausspriugen könne". Darin befand sich ein Tisch, ein Stuhl und sogar ein kleiner Herd mit Schornstein. Mit diesem Fahrzeug machte er Ausflüge in die Umgegend.
Immer aber trieb ihn sein ruheloser Geist zu neuen Dingen. Im Jahre 1820 war in Hermannstadt der Forstinspektor von Siebenbürgen, Athanasius v. Guilleaüme, gestorben. Nach seinem Tode wurde durch Gubernialreskript bewilligt, daß die Stelle in Zukunft durch einen ein- geborenen Siebenbürger besetzt werden solle. Sie war für die damalige Zeit recht einträglich; zu einem Gehalt von 1500 rheinischen Gulden in Silber kamen beträchtliche Nebeneinnahmen in bar und in natura. Daß Wolfgang bei seinen geringen Einkünften seine Lage gern verbessern wollte, ist erklärlich. AUein nur wenige wären im Stande gewesen wie er, um sich für die SteUe geeignet und würdig zu zeigen, in kurzer Frist vierzig Bücher über das Forstwesen dui'chzuarbeiten und auf Grund der erlangten Kenntnisse sogleich ein Werk über diesen Gegenstand zu verfassen, das erste magyarische in diesem Fache. Es ist freilich in seinem Pulte liegen geblieben, denn trotz der Vermittlung einflußreicher Per- sonen gelang es ihm nicht, die Stelle zu erhalten. Sie ist vielmehr im Jahre 1822 an Ignaz Rath verliehen worden, einem Manne, über den sonst nichts bekannt ist.
Wenn Wolfgang in den zwanziger Jahren sich der Mathematik wieder zugewandt hat, so verdanken wir das im Grunde seinem Sohne Johann, dessen mathematisches Genie zu dieser Zeit auf seiner höch- sten Höhe stand. Wolfgang vollendete ietzt sein schon erwähntes großes Lehrbuch, das Tentamen. Die Erlaubnis zum Druck wurde am 12. Oktober 1829 erteilt, allein die großen Schwierigkeiten, die sich dem Druck in der kleinen und mangelhaften Werkstätte des Kolle- giums entgegenstellten, sowie auch der Mangel an Geldmitteln, ver- zögerten das Erscheinen, sodaß der erste Teil erst 1832, der zweite erst 1834 herausgekommen ist.
Dem Tentamen war ein kleineres Werk über die Elemente der Arithmetik in magyarischer Sprache vorausgegangen (^Maros-Väsärhely 1830): eine zweite verbesserte Ausgabe ist 1843 erschienen. Diesem Buche folgte eine Bearbeitung des Tentamen in magyarischer Sprache, von der jedoch nur der erste Band fertig wurde (Maros-Väsärhely 1834). Ferner sind zu nennen zwei kleine Handbücher der elementaren
2l) Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kapitel IV
Arithmetik und Geometrie (Maros-Väsärhely 1850 und 1851). Den Abschluß bildet endlich ein kleines Buch in deutscher Sprache, der Kurze Grundriß eines Versuches (Maros-Väsärhely 1851), das man als eine Darstellung der Grundijedanken in den beiden Bänden des Ten- tarnen bezeichnen kann; es war gewissermaßen Wolfgangs mathematisches Testament.
Nur die Hauptpunkte in Wolfgangs langer, unermüdlicher Tätig- keit konnten im Vorhergehenden berührt werden. Das Gesagte wird jedoch genügen, um einen Begriff von seiner Eigenart zu geben. Wie er vor den Augen derer stand, die ihn noch persönlich gekannt hatten, schil- dert uns BedÖhÄzi: „W^enn uns unsere Phantasie ein Bild von Wolfgang entwirft, so sehen wir immer die mittelgroße, hagere und dabei etwas gebückte Gestalt eines alten Mannes mit freundlich lächelndem, läng- lichem, glatt rasiertem Gesicht und dem gescheitelten, bis auf die Schul- tern herabfließenden, langen Haar. Wir sehen um seine Lippen einen eigen- tümlichen Zug trüben, milden Kummers und in seinen leuchtenden Augen das volle, tiefe Feuer. Wir können uns vorstellen, wie er auf dem Ka- theder in seinem schwarzen, etwas abgeschabten Anzug erschien, in langschäftigen Stiefeln, den langen, blauen Mantel über seine Schultern geworfen und in der Hand den breiträndrigen Hut. Als ob wir sein Hüsteln und seine heisere Stimme hörten, die erst im Feuer des Vortrags erwärmt ihren vollen Klang wiedergewinnt. Dann sehen wir ihn wieder daheim, in seine Gedanken und Zahlen vertieft, im weißen FlaneUwams an dem Tisch sitzend, den grünen Schirm über den Augen, und hören das aufgeregte Kritzeln der Feder, unter der sich seine Buchstaben zu kaum lesbaren Zeilen gestalten, weil die Hand mit den Gedanken nicht um die Wette zu laufen vermag."
V. Kapitel
Wolfgaiig BOLYAI als Mathematiker
Erster Teil: Tentamen juventutem studiosam in elementa matheseos
introducendi
Wolfgaiig BoLYAis Wirksamkeit als mathematischer Schriftsteller ist eher noch geringer gewesen als die des Lehrers, Seine Bücher haben in der Heimat keine Anerkennung gefunden und sind im Auslande so gut wie unbekannt geblieben, und wenn ihm nach seinem Tode Ehren aller Art erwiesen worden sind, so werden doch seine mathematischen Schriften immer nur von wenigen gelesen und von noch wenigeren ge- würdigt werden. Wolfgang teilt dies Schicksal mit den meisten der MäDuer, die man als Vorläufer bezeichnen könnte, im Gegensatz zu den an äußeren Erfolgen reicheren Nachläufern, die das, was die großen Ent- decker gefunden haben, aufnehmen und der Menge zugänglich machen. Er hat erkannt, daß für die Mathematik eine neue Zeit heraufkomme, aber wie Moses hat er das tjelobte Land nur vom hohen Berere aus schauen und nicht betreten dürfen. Er hat die Unzulänglichkeit des Vorhandenen lebhaft gefühlt, aber die Mängel nicht deutlich aufzeigen und noch weniger sie beseitigen können. Er ist manchen wichtigen Fragen, mit denen die späteren Mathematiker sich beschäftigt haben, sehr nahe gekommen, aber er hat es nicht vermocht, diese zu ergreifen, festzuhalten und zu bewältigen.
Das Hauptwerk Wolfgangs ist das Tentamen juveniutem studiosam in elementa matheseos purae, elementaris, ac suhlimioris, metJiodo intuitiva evidentiaque huic propria, introducendi., das in zwei Teilen mit den Jahres- zahlen 1832 und 1833 zu Maros-Vasärhely erschienen ist, typis collegii reformatorum. Es ist schon erzählt worden, daß die Grundgedanken des Tentamens bis auf Wolfgangs Aufenthalt in Jena (1796) zurückgehen und die Übernahme der Professur in Maros-Väsärhely den Anstoß zur Ausführung „des Systems^' gegeben hat; aber erst nach langwieriger, oft unterbrochener Arbeit ist im Jahre 1829 ein vorläufiger Abschluß erreicht worden. „Die stürmischen Wellen des Lebens ließen das Genie nicht erschlaffen, drückten es nicht nieder, sondern stählten und stei- gerten im Gegenteil die Kraft des Professors, der beinahe mit den all- täglichen Bedürfnissen des Lebens zu kämpfen hatte und daheim am häuslichen Herde fortwährend gestört und geplagt war. Der Wind bläst die kleine Flamme aus, aber er entfacht die große" (KONCz).
28 Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kapitel V
Die Aufforderung zur Vorausbestellung ist vom 4. Mai 1829 datiert; sie verdient laier (in deutscher Übersetzung) Platz zu finden.
„Nachdem die Buchdruckerei unseres Kollegiums in Stand gesetzt wor- den ist, beabsichtige ich folgendes Werk mit den soeben angekommenen Typen, mit denen auch diese Aufforderung gedruckt ist, herauszugeben:
„Tentamen Systematis elementorum Matheseos purae (elementaris,
ac sublimiorisj demonstratae cum Appendici tripUci. In usum studii
proprii accommodatum.^'
„Der Grrund, warum ich dieses Werk hier herausgebe, ist der, daß es unter meiner eigenen Aufsicht gedruckt um so weniger Fehler habe."
„Mein Zweck ist, den Jünglingen ein solches Kompendium zu geben, wie ich es mir selbst gewünscht hätte, in dem
1. Die Axiome vorweg klar vorgetragen werden und dann alles, was zum Fortgang der Wissenschaft notwendig ist, streng bewiesen wird,
2. Die Begriffe, mit den einfachsten beginnend, so zusammen- gestellt werden, wie sie entstehen, bis zu jener Sphäre, die das Wesen der Sache erfordert.
3. Alles möglichst einfach, kurz und handgreiflich vorgetragen wird, und zwar so, daß die Schwierigkeit sowohl im Finden der reinen Wahrheit wie im Anwenden (auf Geometrie und Mechanik) da- durch erleichtert wird, daß einerseits der natürliche Weg zum Höheren (wie des calculus differentialis, integralis, variationmn) gefunden ist, an- dererseits das Schwierigere bei den niederen Gegenständen auch nicht mit Leichtfertigkeit übersprungen wird. Was zum Wesen des Systems gehört, ist alles gleichmäßig wichtig; es ist da nichts klein, nichts groß, alles hat gleiches Anrecht auf Beachtung.
4. Das Gebäude soll sich aus den untersten Fundamenten anschaulich emporheben, bis es in den Feuerkränzen des Himmels ins Bodenlose ver- schwindet, damit der Jüngling sehe, wie der Verstand, wann immer, wo immer und unter welchem Namen immer es geschehen sein möge [(immerhin] gehört es [ja] dem menschlichen Geschlecht an), bis zum Höchsten emporgestiegen ist und nicht blindlings erstaune."
„Meine Hoffnung ist, daß der Jüngling durch dieses [Werk], das ich unter günstigeren Umständen besser hätte hervorbringen können, mit Ersparnis von viel Zeit und Kraft in die niedere und höhere Mathematik gründlich eingeführt wird, sodaß er, einenteils, auch wenn er kein Mathematiker von Beruf wird, überall klare und bestimmte Vor- stellungen suchen, sich nicht mit der Oberflächs begnügen und gründ- lich urteilen wird, und daß er anderenteils auch imstande sein wird, von jenem äußeren Licht zurückzugeben, mit dem wir wie Halbmonde
Ankündigung des Tentamens (1829) 29
dämmernd hineinleuchten in diese vom Morgenrot noch weit entfernte Nacht.'^
„Der Anhang besteht aus Gegenständen, die zu lehren im Jahr- gange der angewandten Mathematik und Physik keine Zeit bleibt und die ich also in den Jahrgang der Mathematik verlegte. Es sind die Perspektive, die Gnomonik und die Chronologie; hier werden durch den genauen Nachweis gewisser, nicht sehr leichter Dinge leichte, ein- fache Regeln gegeben."
„Beispiele sind nur soviel vorhanden, als es zum Verständnis not- wendig ist; man kann sie überall bekommen. Auch so muß das Werk in zwei Bände gebunden werden. Die Zahl der Tafeln ist gi'oß. Auch mußten Zeichen bestellt und neue gegossen werden. Deswegen ist der Preis der Pränumeration 2 Rheinische Gulden 30 Kreuzer in Silber."
„Sobald genug Präuumeranten gesammelt sein werden, wird der Druck in Angriff genommen und fortgesetzt werden. Die Pränume- ranten werden ihre Exemplare von dem, der die Pränumeration sammelt, richtig erhalten.^'
„Wenn aber zu Ende des Schuljahres [Mitte Juli] nicht genug Geld gesammelt sein wird, so bekommt jeder Pränumerant sein Geld von dem zurück, dem er es gegeben hat."
.,Es tut mir leid, daß ich dieses Werk nicht magyarisch heraus- geben kann; teils darum, daß man gute, das Wesen der Sache wirklich ausdrückende Kunstausdrücke einführen könnte, die besser wären als die üblichen Ausdrücke der anderen Sprachen, teils darum, weil ich glaube, daß die Mathematik (die Tochter des Himmels) bei uns beliebter werden möchte, wenn sie in unserer Muttersprache vorgetragen würde. Jedoch habe ich dieses Werk schon vor langer Zeit lateinisch niedergeschrieben und habe jetzt keine Zeit, es zu übersetzen. Dieser meiner Pflicht gegen das Vaterland werde ich in anderer Weise Genüge tun."
Während der kurzen Zeit von Anfang Mai bis Mitte Juli 1829 gingen keine Pränumerationen ein; der Verkehr in Siebenbürgen war damals so langsam, daß die xlufforderung während dieser Frist die ent- fernteren Teile des Landes noch gar nicht erreicht hatte. Deshalb wurde die Pränumeration um ein Jahr verlängert. „Wenn es unmöglich sein wird", schreibt Wolfgang im Vorwort zu den 1830 veröffentlichten magyarisch geschriebenen Elementen der ArithtnetiJc, „meinen Vorsatz bis zum 1. Juli auszuführen, so werde ich aufhören, in die Wüste hinaus- zuschreieu, und mich beim Licht des auf Dazieus Hügel scheinenden Mondes in den allgemeinen Schlaf zurückbegeben. . . . Bis zum letzten Pulken der Hoffnung will ich nicht entsagen. Mit der kleinen Summe, die aus diesem Werke fließen könnte, wollte ich die Pränumerationen
30 Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kapitel V
ergänzen, damit ich durch den Bau des einen Hauses nicht das andere niederreiße."
Im Mai 1830 war die Zahl der Pränumeranteu noch sehr klein. „Ich würde das Lateinische Werk beginnen", klagt Wolfgang in einem Briefe vom 26. Mai 1830 an seinen Schüler Peter Bod in Wien, „aber die Kosten des ungarischen [Elemente der Ai-ithmetik] sind bloß zum sechsten Teil hereingejcommen, und für das lateinische [Werk] habe ich nur wenige Pränumeranteu. Bitte, sammeln Sie ein, was da ist, und vermehren Sie die Zahl der Pränumeranteu wenn möglich, damit das Werk dem schadenfrohen Schreien der Welt zum Trotz heraus- kommt."
Wie das Verzeichnis am Schluße des ersten Bandes zeigt, waren schließlich 127 Exemplare bestellt worden, größtenteils vom sieben- bürgischen Adel. „Ich woUte den zweiten Band magyarisch heraus- geben", äußert sich Wolfgang in einem magyarisch geschriebenen An- hange zum ersten Bande, „einerseits weil der erste Band inbegriffen den Schaden bei der Ärithmetika eleje alle Gelder verschlungen hat und ich also, um den zweiten herausgeben zu können, diesen verkürzen, ihn auf billigerem Papier und bloß in 300 Exemplaren statt in 500, wie den ersten, drucken lassen muß; auch 300 ist zu viel für uns. An- dererseits hoffte ich meinem Vaterlande auf diese Weise ein gemein- nütziges Buch zu bieten, zu dem dann auch der erste Band in magya- rischer Sprache gepaßt hätte; allein von meinen Pränumeranteu wünsch- ten mehrere, deren Rat ich nicht mißachten konnte, daß auch der zweite Band lateinisch sei, wenn es der erste ist."
„Das Publikum", schreibt BedÖhäzi, nahm Bolyai s Tentamen so auf wie seiner Zeit Klopstocks Messias. Viele sprachen davon, wenige kannten es. Man wußte, daß es das ffroße Werk eines g-roßen Mannes sei, ahnte jedoch nicht, worin diese Größe bestehe. Auch die Ungarische Gelehrte Gesellschaft [die spätere Akademie] wählte ihn nicht auf Grund dieses Werkes zum korrespondierenden Mitglied ihrer mathe- matischen Klasse. Die Wahl fand noch vor dem Erscheinen des Ten- tamens am 9. März 1832 statt, und es führten eher unmittelbare Er- fahrungen und Bekanntschaften einzelner Persönlichkeiten dazu, daß er als Gelehrter von großem Rufe in die Reihe der Akademiker auf- genommen wurde."
Vielleicht urteilt BedÖhazi noch zu günstig über die Aufnahme, die das Tentamen fand; denn Wolfgang schreibt darüber den 20. April 1835 an Gauss: „Hier schreit alles dawider, ausgenommen meine Schüler, die mit Zeitersparung glücklich fortkommen. . . . Kein Gedanke, daß jemand sonst [außer den Pränumeranteu] so was kaufe; selbst
Erscheinen des Tentameus; seine Aufnahme ,^1
memen Schülern (wenn sie arm sind) schenke oder leihe ich, nur daß sie lernen. So stehen wir noch. . . . Wenn der schlechte (obgleich genug große) Druck Deine Augen (Kleinodien des Tempels der Wahrheit) nicht angriffe und die darauf verwandte Zeit nicht ein Kirchenraub wäre, so würde ich es wagen, Dich um Dein Urteil zu bitten, obwohl ungeachtet aller Fehler (welche ich mit derselben Wahrheitsliebe dar- gestellt zu sehen wünschte) der natürliche Gang eines mit unglaublich wenigen Vorkenntnissen Forschenden etwas Aufmerksamkeit verdient während sonst selbst das Gute, was darinnen sein soll, von niemanden (außer meinem Sohn) gewürdigt wird." Und in dem Briefe an Gauss vom 3. Oktober 1836 heißt es: „Mathematik braucht hier niemand; nur wenige von meinen Schülern haben echten Sinn davon — ich benutze mein Werk zu Makulatur zum Verpacken u. d. gl. ... Ein Index, wie die Mathematik bei uns steht, ist, daß jetzt ein ungarisch herausgegebenes Werk von den Anfangsgründen der Arithmetik und Algebra [von Karl Nagy] von der Gelehrten Gesellschaft zweihundert Dukaten zum Lohne erhalten hat, obwohl das Werk keinen anderen Vei'dienst hat, als daß es in Wien schön und korrekt gedruckt worden ist; nicht die mindeste Originalität, kein Scharfsinn, nichts ins Reine gebracht, kein Strahl von Strenge, sehr wenig an Gehalt, es ist nicht nur mittelmäßig, sondern schlecht; ich wollte nicht, daß ein werdender Mathematiker daraus lerne; es ist auch kein gutes Kunstwort, alles sklavisch übersetzt. — Jedoch freue ich mich, weil es schon ein Betreten der ersten Stufe ist; ein Jahrhundert, und es wird (wenigstens kann) aus der ersten die tausendste werden. Ich habe hier nicht[sj mehr zu hoffen; ich stehe schon in den aufgehen- den Strahlen der Ewigkeit, an welchen diese wie in der Nacht leuch- tende Erde zu einem dunklen Punkte wird, und der Tautropfen Zeit verschwindet. — Es beruhigt mich, so wenig es auch sei, so viel getan zu haben, als ich in meinen Umständen konnte."
Eine um so größere Freude wird für Wolfgang die Anerkennung gewesen sein, die das Tentamen bei Gauss gefunden hat. „Für das Exemplar Deines mathematischen Werkes", schreibt dieser am 23. Ok- tober 183(), „danke ich bestens. Ich habe mit Vergnügen das redliche Bestreben bemerkt, überall Gründlichkeit und Selbständigkeit zu be- haupten. Leider ist nur im Publikum sehr wenig Sinn für solche Bestre- buno;en. Den meisten Menschen ist das Oberflächliche das Liebste; auch fürchte ich, daß bei Deinem Buche mancher durch die Forderung, sich erst mit manchen neuen Bezeichnungen bekannt zu machen, abgeschreckt werden wird." Daß Gauss dem Werke des Jugendfreundes Beachtung und Wertschätzung zuteil werden ließ, zeigt auch der Bericht eines Landsmannes von Wolfgang, Franz Mentovich, der am 1. September
32 Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kapitel V
1843 Gauss in Göttingen besucht hatte. Darin heißt es: „Als ich ihm mitgeteilt hatte, daß ich Siebenbürger sei, fragte er sogleich mit Interesse, ob ich über seinen siebeubürgischen guten Freund, Professor Bolyai, nicht neuere Nachrichten habe, als mein siebenbürgischer Lands- mann, Professor Szasz, der ihn einige Zeit vor mir besucht hatte. . . . Das mathematische Werk unseres Bolyai erblickte ich in der kleinen Bibliothek neben GAUSSens Arbeitstisch, wo allem Anschein nach nur von bevorzugteren Schriftstellern verfaßte und mehr als Handbücher ge- brauchte Werke standen. Aus jedem Worte des vortrefflichen Mannes war ersichtlich, daß er unseren Bolyai nicht nur als seinen Freund verehrt, sondern auch seine wissenschaftlichen Verdienste hochschätzt." Gauss hat auch seinen Schüler und Freund Geelixg, Professor an der Universität Marburg, auf das Tentamen hingewiesen, und Gerling ist mit Wolfgang in Briefwechsel getreten; leider scheinen die Briefe Wolf- gangs verloren gegangen zu sein.
Nachdem das Tentamen auf dem Büchermai-kte allmählich zu einer Seltenheit geworden war, beschloß die Ungarische Akademie eine neue, des Verfassers würdige Ausgabe zu veranstalten; der erste von Julius König und Moritz Rethy herausgegebene Band ist 1897, der zweite, von Josef Kürschak, Moritz Rethy und Bela v. Tötössy besorgte Band 1904 erschienen.
Dem ersten Bande des Tentamens ist auf einem besonderen Blatte ein Baum der Arithmetik und Geometrie beigegeben, in dem Wolfgang sein „System" in den Grundzügen dargestellt hat; man findet eine deutsche Übersetzung des Baumes auf S. 110 — 118 des zweiten Teiles dieses Buches. „Von den inneren und äußeren Vorstellungen"; so be- ginnt Wolfgang, „gelangt man auf dem Wege der Abstraktion zu den Urständen von jeglichem, was in der äußeren Welt vorhanden ist und und was in der äußeren und inneren Welt geschieht, zu Raum und Zeit, die wir teils gesondert, teils vereinigt betrachten. Wird nämlich von der äußeren Welt jeder Körper von dem Ort, den er einzunehmen scheint, weggenommen und fragt man, was übrig bleibt, oder was dar- über hinaus noch existiert, so entsteht die Anschauung des reinen Baumes, und wenn sich dasselbe an verschiedenen Orten oder Verschiedenes an demselben Orte befindet, oder wenn verschiedene Vorstellungen in dem- selben vorstellenden Wesen auftauchen, so entsteht die Anschauung der Zeit.^' Der Raum ist der Gegenstand der Geometrie, die auf die Form der Zeit zurückgeführte Größe der Gegenstand der Arithmetih, „sodaß die aus gemeinsamer Wurzel hervorgewachsenen Bruder-Bäume, indem der eine dem anderen Hilfe bringt, mit ihren Wipfeln zwischen den leuchtenden Bahnen der ewigen Ehe von Raum und Zeit in der unend-
Wolfgang BoiA-.vis Sj-stem der Mathematik ,^3
liehen Tiefe des Himmels zusammenfließen"; dieses Zusammenfließen aber vollzieht sich in der Mechanik.
Wenn Wolfgang mit diesen Auffassungen ganz auf dem Boden der KAXTischen Philosophie steht, die er während seines Aufenthaltes in Deutschland kenneu gelernt hatte, so folgt er dem Königsbero-er Philosophen auch darin, daß er auf die Architektonik des Atifbaus großen Wert legt. Nicht ohne eine gewisse Gewaltsamkeit sucht er zwischen Arithmetik und Geometrie einen Parallelismus herzustellen. Hierin liegt zugleich, daß er, im Gegensatz zu der weit bis ins 19. Jahr- hundert hinein üblichen Vermischung, jede dieser beiden Wissenschaften selbständig zu begründen sucht; freilich ist es ihm nicht gelungen, die Trennung folgerichtig durchzuführen. Sehr bezeichnend für sein Bestreben ist eine Äußerung, die sich in dem Bericht über GAUSSens ersten Be- weis für die Existenz der Wurzeln algebraischer Gleichungen findet. Nachdem er mit begeisterten Worten GAUSSens Dissertation als die „Erstlingsfrucht reichster Ernte" gelobt hat, fühlt er sich doch in seinem mathematischen Gewissen verpflichtet hinzuzufügen: „freilich geschieht [der Beweis] mit Hilfe der Geometrie; jedoch ist eine Wahr- heit mit einer anderen Wahrheit gleichen Geschlechtes." Auf demselben Standpunkt steht auch Wolfgangs Sohn Johann, jedenfalls unter dem Einfluß seines Vaters; mit Recht hat dieser gegen GAUSSens Theorie der imaginären Größen eingewendet, daß die darin verwendeten ßegrifle von rechts und linlis, von oben und unten nicht bestimmt genug seien und überhaupt in der Arithmetik die Berufung auf die Geometrie ver- mieden werden müsse.
Der selbständige Aufbau der Arithmetik findet seine Krönung in der neueren Lehre von den Irrationalzahlen. Wolfgang hat die hier vorlieo-enden Schwierigkeiten umgangen, indem er, gestützt auf Kant, die Zeit als den Träger der stetig veränderlichen Größe ansieht, die er scharf von der diskreten Zahl unterscheidet. Das Hereinziehen der Zeit, das sich auch bei anderen Mathematikern der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, z. B. bei Hamilton, findet, bildet einen bemerkens- werten Übergang von der geometrischen zur rein arithmetischen Be- gründung des Begriffs einer stetig veränderlichen Größe; eine eingehen- dere Untersuchung dieser Bestrebungen, die bis jetzt wenig beachtet worden sind, würde sich sicherlich lohnen.
Über die Untersuchungen Wolfgangs, die sich auf die Grundlagen der Geometrie beziehen, wird im nächsten Kapitel ausführlich berichtet werden. Hier möge es genügen, nur noch auf einige besonders wich- tige Stellen aus der Arithmetik einzugehen. Wer tiefer in die Gedanken- welt des Tentamens eindringen will, wird gut tun, zunächst den Kurgen
P. Stäckel: Wolf gang nnd Johann Bolj-ai I 3
34 Leben und Schriften der beiden Bulyai. Kapitel V
Grundriß vom Jahre 1851 vorzunehmen, in dem Wolfgang eine Über- sicht über den Inhalt seines Hauptwerkes gegeben hat; das jetzt selten gewordene Schriftchen ist im zweiten Teile dieses Buches, S. 119 — 179, vollständig abgedruckt worden.
Mit großer Sorgfalt hat Wolfgang die Lehre von den positiven und negativen rationalen Zahlen entwickelt, und hier genügt seine Darstellung im Wesentlichen den Forderungen an Strenge, die von der neueren Axiomatik gestellt werden. Um die negativen Zahlen zu ge- winnen, wird z. B. neben der ursprünglichen Einheit „+ 1" eine neue Einheit „ — 1" eingeführt. Durchdrungen von der Bedeutung dieses Ge- dankens hat Wolfgang im Gegensatz zu den Zeichen für das Hinzu- fügen und Wegnehmen „-f" und „— " für die positive und negative Einheit zwei besondere Zeichen „■^ 1" und „i — i 1" eingeführt. In der Tat liegt in der doppelten Bedeutung der Zeichen -f und — , die so- wohl Zeichen der Addition und Subtraktion als auch Zeichen bei posi- tiven und negativen Zahlen sind, eine wirkliche Schwierigkeit, die mau in neuerer Zeit nach dem Vorgang von Hankel vermeidet, indem für die Operationen des Addierens und Subtrahierens zunächst neue Zeichen, zum Beispiel r^ und yj, eingeführt werden. Hinterher wird dann ge- zeigt, daß es zulässig ist, an ihrer Stelle die Zeichen + und — zu ver- wenden; denn mögen die neuen Zeichen für die Begründung der Lehre von den negativen Zahlen ihren Nutzen haben, so empfiehlt sich doch, diese Fesseln bald wieder abzustreifen, damit die Darstellung nicht schwerfällig und allzubreit wird.
Auch bei den imaginären Größen suchte Wolfgang besseres als seine Vorgänger zu bringen. Wie sehr ihn gerade dieser Gegenstand beschäf- tigt hat, zeigt die Vorrede zum zweiten Bande des Tentamens, worin es heißt; „Als ich den reinen Imaginären allein nach meiner eigenen Über- zeugung einen Sinn zu geben trachtete, da fürchtete ich, mich dem Ge- lächter auszusetzen. Erst später wurden mir die längst (in den Götting- ischen Gelehrten Anzeigen) herausgegebenen Grundlinien der Imaginären des großen (über mein Lob weit erhabenen) Göttinger Mannes bekannt, zugleich mit seiner Klage über deren [sonstige] Behandlung. Dies ge- reicht mir zum großen Tröste, und ich brauche meine Lehre (die, so gut wie ich sie abfassen konnte, schon gedruckt war) nur solange meinen Schülern vorzutragen, bis jene Lehre [von G.\uss] erschienen sein wird. Wenn sie aber erschienen sein wird, so bin ich überzeugt, daß sie den anderen Werken ebenbürtig sein wird, die seinen sicheren, durchdringenden (und beinahe untrüglichen) Verstand durch den un- gekünstelten Stempel der Wahrheit verraten; ich aber werde zufrieden sein, wenigstens dasselbe mit einem so großen Geiste gewollt zu haben."
Die Grundlagen der Arithmetik bei Wolfgang Boiaai 35
Grundlegend für Wolfgangs Lehre von den imaginären Größen ist folgende Bemerkung. Er denkt sieh jede Größe mit einer Einheit be- haftet, deren Wahl noch frei steht, sodaß das Zeichen Va bei »eeio-- neter Wahl der Einheit stets etwas Reelles bedeutet. „Die Einheit wird [von den anderen Mathematikern] willkürlich als positiv an- genommen and ]/— 4 entbehrt nur wegen der auf dieser Annahme beruhenden Multiplikation der Realität. Wie wäre es, wenn die Einheit negativ gesetzt würde? Dann würden [bei der Multiplikation] die gleichen Vorzeichen offenbar — ergeben und die ungleichen Vorzeichen + . Es sei also erlaubt, die Größen, deren Realität auf der Multi- plikation mit der positiven Einheit beruht, real in hezug auf -f 1 (oder kurz real), die Größen aber, deren Realität auf der Multiplikation mit der negativen Einheit beruht, real in hezug auf — 1 (oder rein imaginär) zu nennen. (Die Quadratwurzel aus — a kann real sein, wenn a z. B. — 4 bedeutet.) Größen, die in bezug auf — 1 real sind, mögen durch einen darunter gesetzten Punkt bezeichnet werden; z. B. ]/— 4 = + 2, ]/4 = + 2- Werden reale Größen in bezug auf — 1 für sich addiert, und ebenso reale Größen in bezug auf + 1, und beide Summen mit- einander verbunden, so bleiben die Teile unvermischt, bilden aber doch eine Summe. Die so entstandene Größe heißt in (weiterem Sinne) imaginär."
Es ist begreiflich, daß Wolfgang bei der nun folgenden Erklärung der Multiplikation imaginärer Größen auf Schwierigkeiten stößt, und das gilt in noch höherem Grade bei der Division. Die hierauf bezüglichen Auseinandersetzungen sind recht dunkel und stellenweise nicht fehler- frei. Hervorzuheben ist jedoch, daß Wolfgang in seiner Lehre von den imaginären Größen dem Frinzip der Fermanenz, das man auf Peacock (1830) und Hankel (1867) zurückzuführen pflegt, schon sehr nahe gekommen ist; die Erklärung der Rechnungsregeln, sagt er, müsse so erfolgen, daß „die Operationen unter dem Segel der Allgemeinheit fortgesetzt werden können und die Allgemeinheit, soweit- es möglich ist, nicht verloren gehe."
Aus der naturgemäßen Weiterentwicklung der Gedanken Wolfgang ßoLTAis über die negativen und imaginären Größen ist Johann Bolyais Lehre von den imaginären Größen hervorgegangen, die einen wesent- lichen Fortschritt auf diesem Gebiete bedeutet; im XIV. Kapitel wird hierüber ausführlich berichtet werden.
Wenn auch der arithmetische Begriff der stetig veränderlichen Größe Wolfgang fremd geblieben ist, so hat er doch nach angestrengten Bemühungen den Begriff der Grenze mit einer Schärfe erfaßt, die weit über die Auffassung seiner Zeitgenossen hinausging.
36 Leben und Schriften der beiden Bolvai. Kapitel V
In den Vorhemerhingen zum TentameM (zweiter Teil dieses Buches, S. 32 — 34) werden zunächst unter A. einige Axiome und daraus flie- ßende Folgerungen zusammengestellt, ,,damit es nicht von Fall zu Fall wiederholt zu werden braucht."
Von den Axiomen seien etwa augeführt: Die Zeit ist eine stetige Größe. Jede endliche Zeit, die nicht gewesen ist, wird kommen, alle niemals. Was für einen teillosen Teil p der Zeit gilt, das ist ent- weder mit dem Ja oder mit dem Nein von A behaftet. Hieraus wird die Grundlage des apagogischen Beweises erschlossen. Wenn näm- lich durch eine Aussage A das Ja, durch eine Aussage B das Nein desselben C zur Zeit p gesetzt wird, und A gilt, so gilt B nicht, und wenn A nicht gilt, so gilt B.
Unter E. folgt dann die Erklärung des Begriffes der Grenze. „Wenn es feststeht, das an einem Punkte der stetigen Zeit T A vorhanden ist und daß es einmal zur Zeit t hinter T nicht vor- handen ist, so gibt es vom Anfange des ins Unendliche wachsenden T aus einen letzten Punkt p unter jenen Zeitpunkten, von denen die Aussage gilt, daß zwischen ihnen und dem Anfangszustand von T A immer vorhanden ist." Im Tentamen selbst heißt es weiter: „Nach p aber gibt es eine stetige, mit p anfangende Zeit, für deren jeden Punkt A nicht vorhanden ist", und hierfür wird eine lange Begründung ge- geben. In den Errata, die dem Tentamen in den Jahren 1834 — 1844 hinzugefügt worden sind und die mehr als 60 Seiten umfassen, hat Wolfgang diesen Fehler verbessert: „In j) ist aber ejitweder das letzte A", sagt er jetzt, „oder das erste Xicht-A, und ist in 2> Nicht-^, so wird nach p eine Zeit lang entweder immer A oder immer Nicht „4 sein, es sei denn, daß hinter ]) jeder Punkt p' so beschaffen ist, daß zwischen p und p' sowohl A als auch Nicht-^ vorkommt. Dies ist die Grund- lage der Grenze."
Man erkennt hieraus, daß Wolfgang sich allmählig den Begriff der oberen Schranke einer linearen Punktmenge erarbeitet hat, auf dem bekanntlich die strenge Durchführung der in der Analysis auftretenden Grenzprozesse beruht.
In dem Allgemeinen Grundriß der Arithmetik, dem ersten Abschnitt der Arithmetik, dessen erste 23 Paragraphen im zweiten Teile dieses Buches, S. 32 — 48 in deutscher Übersetzung wiedergegeben werden, finden sich Betrachtungen Wolfgangs, die man heute der llengenlehre zuweisen würde. Es sei gestattet, Wolfgangs Gedanken unter Benutzung der neueren Ausdrucksweise darzustellen, denn gerade, weil ihm eine solche Ausdrucks weise fehlt, sind seine Auseinandersetzungen nicht leicht zu vei'stehen. Wenn die vorgetragenen Sätze auch eine weiter-
Die Grundlagen der Arithmetik bei Wolfgang Boi.v.u 37
oehende Bedeutung besitzen, so mögen sie doch der Einfachheit halber nur für Punktmengeu ausgesprochen werden.
Es sei Ä eine ahgescJilossene Punktmeuge, j? ein echter Teil von ihr. Der Rest r möge durch Hinzunahme von Elementen der Menge Ä abgeschlossen werden, und es entstehe so die Menge /. Wenn r' mit Ä identisch ist, so heißt die Menge p ein imabtrennbarer Teil von A. Z. B. ist ein Punkt einer Strecke ein unabtrennbarer Teil der Strecke. Der Rest r kann bereits abgeschlossen, also mit r identisch sein; dann haben die Mengen p und r nichts gemeinsam. Haben aber p und r eine Menge s gemeinsam, so kann es eintreten, daß s ein unabtrenn- barer Teil von A ist. Dann und nur dann, wenn einer der beiden genannten Fälle stattfindet, heißt p ein Bestandteil von A.
Nunmehr wird man leicht die Sätze beweisen: Ein unabtrennbarer Teil i eines Teiles p ist unabtrennbar für das Ganze A. Ein Teil p des unabtrennbaren Teiles i ist unabtrennbar für das Ganze A. Ein Bestandteil p des Bestandteils P ist ein Bestandteil des Ganzen A. Es sei p ein Bestandteil von A, r', wie vorher, die aus dem Rest r ge- wonnene abgeschlossene Menge. Dann ist auch / ein Bestandteil von A.
Die wichtigste Anwendung finden die Begriffe des unabtrennbaren Teiles und des Bestandteils bei der Erklärung des Kontinuums, die in § 4 (Ö. 37 des zweiten Teiles dieses Buches) gegeben wird. Sie lautet: „Tritt uns bei der Untersuchung seiner Teile ein solches [abgeschlos- senes Ganze] A entgegen, daß jeder Bestandteil A' von A mit dem [abgeschlossen gemachten] B, das außer A' zu A gehört, etwas gemein hat, so heißt ein solches A Kontinuum." Die hier ausgesprochene For- derung bedeutet nichts anderes, als daß die Menge A nicht in getrennte Teile zerfallen soll; was Wolfgaug vorgeschwebt hat, läuft also hinaus auf die Erklärung des Kontinuums als einer zusammenhängenden, perfekten Menge, die G. CxVNTOR ai^f gestellt hat. Gewiß ist Wolfgang weit entfernt davon gewesen, die Begriffe: Punktmenge, abgeschlossen, perfekt scharf und klar aufzufassen, allein seine Darlegungen zeigen deutlich, daß ihm die hier vorliegenden Fragestellungen bewußt geworden sind.
Wer mit Liebe und Geduld in Wolfgang Bolyais Tentamen forscht, der wird sicherlich noch manche Vorspiele zu Untersuchungen ent- decken, die erst lange nach dem Tode seines Verfassers wirklich durch- geführt worden sind. Dem Werden und Wachsen mathematischer Ge- danken zu lauschen, wird freilich immer nur wenigen am Herzen liegen ; die Menge verlangt von einem Buche, daß es fertige Erkenntnisse in ge- brauchsfähiger Form überliefert, und so wird es dabei bleiben, daß das Werk des tiefen und ursprünglichen Denkers nur von wenigen gelesen und von noch wenigeren gewürdigt wird.
VI. Kapitel Wolfgang BOLYAI als Mathematiker
Zweiter Teil: Untersuchungen über die Grundlagen der Geometrie
Wenn sich schon bei der Arithmetik zeigte, daß Wolfgang Bolyais schöpferische Leistungen wesentlich den Grundlagen dieses Gebietes angehören, so gilt das in noch höherem Maße von der Geometrie. Wolfgang selbst hatte deutlich erkannt, wohin ihn seine Begabung weise. „Ja, wenn es gelänge''', schreibt er am 27. Dezember 1808 an Gauss, „schön wäre es, daß Du oben an den Spitzen der stolzen Türme arbeitest, ich grübele an ihren Gründen."
Der weitaus größte Teil der geometrischen Untersuchungen Wolf- gangs hat der Lehre von den Parallelen gegolten. Eine lebendige Schil- derung seiner „schauderhaften, riesigen Arbeiten" zum Beweise des XL Axioms, die ihm schließlich doch keine Befriedigung gewährten, findet sich in den Briefen, die er in den Jahren 1820 und 1821 an Johann gerichtet hat; da diese Briefe in engem Zusammenhang mit der Entdeckung der absoluten Geometrie durch Johann stehen, einer Entdeckung, die zeigte, daß Wolfgangs Ziel in der Tat unerreichbar war, so sollen sie erst im X. Kapitel mitgeteilt werden. Wolfgang hat sich jedoch keineswegs auf die Parallelentheorie beschränkt, sondern von Anfang an eine bessere, strengere Begründung der ganzen Geometrie im Auge gehabt. Es wird daher zweckmäßig sein, mit einem Bericht über den im Tentamen enthaltenen Allgemeinen Grundriß der Geometrie zu beginnen und dann erst auf die ParaUeJenfheorie einzugehen.
Das System der Geometrie gründet sich, nach Wolfgang Bolyai auf eine Reihe einfacher Tatsachen, die der unmittelbaren Anschauung entnommen sind. Ein System aber ist „ein in durchsichtiger Ordnung aufgebauter Inbeo-riff
1. strenger Definitionen, wobei man mit den einfachsten Begriffen anfängt und von den konstruierten zu neuen, zusammengesetzteren fort- schreitet, bis diejenigen [Begriö'e] hervorgehen, welche mindestens alles dasjenige, was dorthin [ins System] gehört, umfassen;
2. einfachster Axiome, unter denen sich keins aus den übrigen herleiten läßt, und der
3. mit ihrer Hilfe bewiesenen Urteile."
Wenn auch viel daran fehlt, daß Wolfgangs System den von ihm aufgestellten Forderungen entspräche, so ist doch die Klarheit be-
Die Grundlagen der Geometrie bei Wolfgang Boi,yai 39
merkenswert, mit der er den Begriff des Systems gefaßt hat; insbe- sondere ist das Tentamen wohl das erste Werk, in dem ganz allgemein von der gegenseitigen Unabhängigkeit der Axiome gesprochen wird, und dieser Gedanke war jedenfalls für WoKgangs Zeit ganz neu.
Bei der Feststellung jeuer einfachen Grundtatsachen, auf denen die Geometrie aufgebaut wird, erweist sich Wolfgang als ein Vorläufer von Überweg und Helmholtz, insofern er von der Existenz starrer Körper und deren Beweglichkeit im Räume ausgeht. Wenn aber Wolf- gang aujch nur ein Vorläufer war — denn er ist nicht bis zu der Helmholtz eigentümlichen, entscheidenden Wendung durchgedrungen, daß jede dreifach ausgedehnte Zahlenmannigfaltigkeit, die den ge- stellten Forderungen genügt, konstantes Krümmungsmaß besitzt — , so lohnt es sich doch, seine Gedanken kurz auseinanderzusetzen. Eine solche Darlegung wird zugleich das Lesen des oft nicht leicht verständlichen Allgemeinen Grundrißes der Geometrie erleichtern, der im zweiten Teile dieses Buches, S. 48 — 109 in deutscher Übersetzung wiedergegeben wird. Der Leser, der die klassische Abhandlung von Helmholtz kennt, möge selbst die beiden Entwicklungen miteinander vergleichen.
Der unmittelbaren Anschauung wird zunächst entnommen (§ 1), daß der Raum ein nach allen Seiten unendliches Kontinuum ist. Im Räume sind als wesentlich verschiedene Gebilde die einander gleichen Raum- punkte, die Linien, die Flächen und die Bestandteile des Raumes zu unterscheiden (§ 2). Nunmehr wird aus der Betrachtung der im Räume vorhandenen starren Körper der Begriff eines „Beweglichen"' geschaffen, d. h. eines geometrischen Gebildes, dem die Eigenschaft zukommt, sich ohne Änderung der Gestalt im Räume bewegen zu lassen (§ 3). Hier- aus ergibt sich der Begriff der Kongruenz; wenn nämlich „ein solches Bewegliches [starres Gebilde] gesetzt ist und es zu verschiedenen Zeiten mit A und B zusammenfallen kann, so zeigt die Anschauung, daß A kongruent mit B ist." Die weitere Entwicklung beruht auf der Be- wegung solcher starren Gebilde. „Die Geometrie wird lebendiger, leichter und anschaulicher, falls die genannte Bewegung zugelassen wird, und der griechische und der britannische Archimedes haben sie angewandt; und wenn ein Dreieck auf ein anderes gelegt wird, wie bei Euklid, so muß immer in dem genannten Sinne die Bewegung zugelassen werden.'' Nachdem in § 4 einige auf die Bewegung starrer Gebilde bezügliche Begriffe erklärt sind, folgt in § 5 die Unterscheidung von drei „primi- tiven Bewegungsarten-'. Die erste ist die freie Bewegung. Die zweite besteht in der Drehung um einen festen Punkt; sie führt zur Erklärung der Kugel, dem Grundgebilde in Wolfgangs System der Geometrie. Die dritte Bewegungsart ist die Drehung um zwei feste Punkte. Bei
40 Leben und Schriften der beiden Bolyai, Kapitel VI
einer solchen Bewegung beschreibt ein dritter Punkt im Allgemeinen eine Linie, von der axiomatisch angenommen wird, daß sie einfach, gleichförmig und in sich zurückkehrend sei. Diese „Erstgeborene der Kugel" ist der Ring'^ so nennt Wolfgang die Kreislinie. Es kann sich aber auch ereignen, daß der diütte Punkt bei der Drehung „einzig" bleibt. Die Gesamtheit der Punkte, denen für die beiden gegebenen festen Punkte diese Eigenschaft zukommt, bildet eine Gerade. Durch eine Verallgemeinerung wird endlich aus der Geraden die Ebene gewonnen. In § 14 versucht Wolfgang zu zeigen, daß den so erklärten geome- trischen Gebilde, dem Ringe, der Geraden und der Ebene, die Eigenschaften zukommen, die man den mit diesen Namen begabten geometrischen Ge- bilden gewöhnlich zuzuschreiben pflegt. Seine Auseinandersetzungen sind nicht nur recht verwickelt, sondern auch vielfach unklar und unstreng. Es wäre jedoch unbillig, an einen Mathematiker, der die ersten, tasten- den Versuche auf dem schwierigen Gebiete der Axiomatik machte, die Anforderungen zu stellen, die wir heute zu stellen gewöhnt sind. Auch eine zweite Entschuldigung kann man für Wolfgang geltend machen. Der Weg, den er einschlug, von der Kugel aus die Geometrie auf- zubauen, ist wiederholt im Laufe des 19. Jahrhunderts beschritten worden, ohne daß diese Bemühungen jedoch zu befriedigenden Ergeb- nissen geführt hätten. Dasselbe gilt auch von dem Gedanken, den Kreis als Ausgangspunkt zu nehmen, den Wolfgangs Sohn Johann, wie wir im XVIII. Kapitel sehen werden, durchzuführen unternommen hat, und so haben Hilbert, Pasch, Peaxo, Schur u. a. mit Postulaten für die Gerade, die Ebene und den Raum begonnen.
Auf Einzelheiten einzugehen, ist hier nicht möglich. Wer sich die Mühe nimmt, den Andeutungen nachzugehen, die Wolfgang dem Leser „zuzuwerfen" liebt, wird bei ihm die Keime zu manchen Gedanken finden, die in der neueren Geometrie wichtig geworden sind. Es möge genügen, als Beispiel hierfür Wolfgangs Sätze über endlich-gleiche Flächen anzuführen, die sich in einer Einschaltung zum Allgemeinen Grundriß der Arithmetik (§ 35, N"r. XIX) finden.
Endlich-gleich nennt Wolfgang zwei ebene Flächenstücke, die in eine endliche Anzahl gegenseitig kongruenter Teile zerlegt werden können; diese Teile soUen bei der Zusammensetzung des Ganzen immer positiv genommen werden. Im Sinne von Hilbert könnte man solche Flächenstücke als Zerlegung sgleicli bezeichnen. Wolfgang hat in aller Strenge gezeigt, daß zwei geradlinige Polygone von gleichem Flächen- inhalt immer endlich-gleich sind. Dagegen ist sein Beweis für die Be- hauptung, daß die nicht gemeinsamen Teile zweier sich teilweise deckenden kongruenten Flächen endlich-gleich sind, mit Recht beau-
Die Grundlagen der Geometrie bei Wolfgang Bolyai 41
standet worden; Rethy hat das Verdienst, die Lücke ausgefüllt und all- gemeiner die notwendigen und hinreichenden Bedingungen dafür aufgestellt zu haben, daß zwei ebene Flächen von gleichem Inhalt, deren Grenzlinien sich selbst nirgends schneiden und die in zwei verschiedenen Lagen eine endliche Anzahl von Schnittpunkten bieten, endlich-gleich sind.
Es bleibt übrig, von den Untersuchungen Wolfgang Bolyais zu berichten, die sich auf das XL Euklidische Axiom beziehen. Dieses Axiom oder besser die 5. Forderung besagt:
Wenn eine zicei Gerade schneidende Gerade mit ihnen innere, an der- selben Seife liegende Winkel bildet die [zusammen] Meiner sind als zicei Flechte, so schneiden sich die leiden [geschnittenen] Geraden bei unbegremter Verlängerung au[ der Seite, auf der diese WinJcel liegen.
„Durch Proklus wissen wir, daß [die 5. Forderung] eigentlich be- ständig angegriffen wurde, z. B. von PtolemIus, und zwar ist der Grund klar. Die Erfahrung der Männer der Praxis schuf die Geometrie, die Geometrie vertiefte die angewandte Mathematik, aber die Skrupel eines Euklid über die Bewegung wurden von den Ingenieuren und Astronomen nicht geteilt; von ihrem Standpunkt aus war die Forderung des Euklid imanschaulich, da die wirkliche Bewegung das Nichtschnei- den gar nicht und das Schneiden in praxi meistens auch nicht kon- statieren konnte. . . . EutvLID war weit schärfer. Er wollte, was Proklus ganz richtig bemerkt^ den Satz: In jedem Dreieck sind zivei Winkel zu- sammen kleiner als zivei Hechte umkehren. Der Beweis gelang ihm, aller Bemühungen ungeachtet, nicht, er erkannte, daß hier eine neue Forderung nötig sei, um der Tatsache, daß in unserem Räume zwei richtungsverschiedene Gerade sich nach unserer Anschauung schneiden, gerecht zu werden" (Max Simon).
Die Anstrengungen der Geometer gingen zunächst dahin, die 5. For- derung durch den Nachweis zu beseitigen, daß sie sich als logische Folge aus den übrigen Voraussetzungen Eutklids ergebe, also im Grunde überflüssig sei. Für die fast zweitausendjährige Geschichte dieser Be- mühungen muß auf die leicht zugänglichen Einzeldarstellungen ver- wiesen werden. Hier möge es genügen, darauf hinzuweisen, daß alle diese Beweisversuche entweder mit einem Fehlschluß behaftet waren oder an dem Mangel litten, daß, bewußt oder unbewußt, das Eukli- dische Axiom durch ein anderes, ihm gleichwertiges ersetzt war. Daß es dem Göttinger Astronomen Seyffer (1762 — 1822), mit dem Wolf- gang freundschaftlich verkehrt hatte, „mehr als zweifelhaft schien, ob es überhaupt möglich sei, das XL Axiom zu beweisen, ohne ein neues Axiom zu Hilfe zu nehmen'", ist schon im IL Kapitel erzählt worden. VieL leicht war Seyffer von Kästner beeinflußt, der, wie Schweikart er-
42 Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kapitel VI
wähnt, „an der Möglichkeit der Lösung verzweifelnd, mit unbegi-eif- licher Resignation, anstatt nach der wahren Demonstration zu forschen, ein blindes Annehmen öffentlich anriet." Auf demselben Standpunkt stand auch Klügel, der, durch KÄSTNf:R veranlaßt, 1763 als Doktor-Disser- tation zum ersten Male eine Geschichte der Parallelentheorie gegeben hat.
Als Wolfgang Bolyai in Göttingen studierte (1796 — 1799), hatte die Beschäftigung mit iien Grundlagen der Geometrie und besonders auch mit der Lehre von den Parallelen durch die tiefe und nachhaltige Wir- kung von Kaxts Kritik der reinen Vernunft (1781j eine neue Anregung und Belebung erfahren. Wolfgang „bestimmte sich zum Opfer der Par- allelen", aber gewarnt durch den Göttinger Skeptizismus ist er an sein Unternehmen mit größerer Vorsicht und Kritik gegangen als die meisten seiner Vorgänger. Mit Recht hat Johann bemerkt, daß sein Vater „sehr wohl und unter seinen A^orgängern am besten bekannt war mit den Schwierigkeiten des Gegenstandes und im Besitz von selbstgeschafienen, weit durchdringenden, besseren Lehren." AUein auch Wolfgang ist es nicht beschieden gewesen, das zweitausendjährige Rätsel zu lösen, er hat „Schiffbruch gelitten" und schließlich die Beschäftigung mit den Par- allelen als „das Unglück seines Lebens" angesehen; „es ist ein unheim- liches Schlachtfeld, worauf ich jeder Zeit geschlagen wurde; eine allem Streben des Forschergeistes trotzende, uneinnehmbare Felsenburg. In dieser Materie ist das ganze Leben nur eine brennende, ins Meer ge- tauchte Fackel. Es ist eine wahre Krankheit, eine Art von Narrheit, eine tyrannische Idee."
Als Gauss und Wolfgang Bolyai, dieser von Göttiugen, jener von Braunschweig kommend, am 24. Mai 1799 bei Clausthal im Harz von- einander Abschied nahmen, da hat Wolfgang, wie im IL Kapitel be- richtet wurde, dem Freunde, nur in kurzer Andeutung, erzählt, daß ihm der Beweis des XI. Axioms gelungen sei. „Es tut mir sehr leid", schreibt Gauss am 16. Dezember 1799, „daß ich unsere ehemalige größere Nähe nicht benutzt habe, um mehr von Deinen Arbeiten über die ersten Gründe der Geometrie zu erfahren; ich würde mir gewiß dadurch manche vergebliche Mühe erspart haben und ruhiger geworden sein, als jemand wie ich es sein kann, solange bei einem solchen Gegenstande noch so viel zu desiderieren ist. Ich selbst bin in meinen Arbeiten darüber weit vorgerückt (wiewohl mir meine anderen, ganz heterogenen Geschäfte wenig Zeit dazu lassen); allein der Weg, den ich eingeschlagen habe, führt nicht sowohl zu dem Ziele, das man wünscht und welches Du erreicht zu haben versicherst, als vielmehr dahin, die Wahrheit der Geometrie zweifelhaft zu machen. Zwar bin ich auf manches gekommen, was bei den meisten schon für einen
Wolfgang BoLYAis Untersuchungen zur Parallelentheorie 43
Beweis gelten würde, aber was in meinen Aug-en so g-ut wie nichts beweiset. Z. B. wenn mau beweisen könnte, daß ein geradliniges Dreieck möglich sei, dessen Inhalt größer wäre als eine jede gegebene Fläche, so bin ich imstande, die ganze Geometrie völlig streng zu beweisen. Die meisten würden nun wohl jenes als ein Axiom gelten lassen; ich nicht; es wäre ja wohl möglich, daß, so entfernt man auch die drei Eckpunkte des A im Räume voneinander annähme, doch der Inhalt immer unter (infro) einer gegebenen Größe wiire. Dergleichen Sätze habe ich mehrere, aber in keinem finde ich etwas Befriedigendes. Mach' doch ja Deine Arbeit bald bekannt; gewiß wirst Du dafür den Dank nicht zwar des großen Publikums (worunter auch mancher gehört, der für einen geschickten Mathematiker gehalten wird) einernten, denn ich überzeuge mich immer mehr, daß die Zahl wahrer Geometer äußerst gering ist und die meisten die Schwierigkeiten bei solchen Arbeiten weder be- urteilen noch selbst einmal sie verstehen können — aber gewiß den Dank aller derer, deren Urteil Dir allein wirklich schätzbar sein kann."
Die Äußerungen von Gauss zeigen, daß dieser damals, ähnlich wie vor ihm SaCCHeri (1733) und Lambeet (1766), angefangen hatte, die Folgerungen zu entwickeln, die sich aus der Annahme ergeben, Euklids 5. Forderungp sei nicht erfüllt. Wann Gauss Lamberts Theorie der Par- alleUinien kennen gelernt hat, die Johann III Bernoulli (1744 — 1807) aus dessen Nachlaß im Magazin für die reine und angewandte MatJie- matih vom Jahre 1786 veröffentlicht hatte, wissen wir nicht, wohl aber steht fest, daß Lambert, mittelbar oder unmittelbar, von Saccheris Schrift Kenntnis gehabt hatte. Dagegen haben Wolfgang Bolyai und ebenso dessen Sohn Johann niemals etwas von ihren Vorgängern Sac- CHERi und Lambert erfahren, wie denn überhaupt nur wenige der vielen Schriften zur Parallelentheorie in ihre Hand gekommen sind.
Wolfsang Bolyai ist in den folgenden Briefen an Gauss auf dessen Bemerkungen vom Dezember 1799 nicht eingegangen. Daß seine Über- zeugung, das XL Axiom lasse sich beweisen, dadurch nicht erschüttert TNorden war, daß er vielmehr fortfuhr, den in Göttingen begonnenen Beweisversuch auszuarbeiten, zeigt der Brief au Gauss vom 16. Sep- tember 1804. „In diesen Brief eingeschlossen schicke ich Dir meine Göttingische TJieorie der Parallelen. ... In etwa drei Jahren ist diese Theorie gelegen. Umstände hielten mich ab. Nun habe ich sie beim Lehren [am Kollegium zu Maros-Väsärhely] hervornehmen müssen, und es in einen engeren Raum gepreßt. Ich kann den Fehler nicht ent- decken, prüfe Du der Wahrheit getreu und schreibe mir sobald als nur möglich, schreibe Deine Einwendungen oder wenn ich mich schlecht oder etwa zu kurz ausgedrückt oder im Schreiben gefehlt hätte. . . .
44 Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kapitel VI
Hier ist kein Geschmack für so was, auch sonst überhaupt bin ich von den hiesigen Aftergelehrteu verdammt. Wenn Du dieses Werkchen da- vor wert hieltest (ich setze den Fall), so schicke es einer würdigen Akademie hin, daß es beurteilt werde (es soll gestempelt sein). Ich bin auch auf die schlechte Seite gefaßt, wiewohl ich nicht leugne, daß ich es noch nicht herausgegeben hätte, wenn ich, um ruhiger leben zu können zwischen ^meinen vielen Richtern, nicht um etwas äußere Ehre zu hazardieren gezwungen wäre. Du weißt, was Hamlet sagt «the spurns, that patient merit of th' unworthy takes'>. Adieu lieber Freund! und antworte mir sobald als möglich!"
Gauss hat in seiner Antwort vom 25. November 1804 den Kern des Beweisversuches und zugleich den Fehlschluß, den Wolfganff be- gangen hatte, in so vollendeter Klarheit dargestellt, daß wir nichts Besseres tun können, als die betreffende Stelle seines Briefes wieder- zugeben; den ganzen Beweis findet man im zweiten Teile dieses Buches, S. 1 — 15 in deutscher Übersetzung.
„Ich habe Deinen Aufsatz mit großem Interesse und Aufmerksam- keit durchgelesen und mich recht an dem echten, gründlichen Scharf- sinn ergötzt. Du willst aber nicht mein leeres Lob, das auch gewisser- maßen schon darum parteiisch erscheinen könnte, weil Dein Ideengang sehr viel mit dem meinigen Ahnliches hat, worauf ich ehemals die Lösung dieses Gordischen Knotens versuchte und vergebens bis jetzt versuchte. Du willst nur mein aufrichtiges unverhohlenes Urteil. Und dies ist, daß Dein Verfahren mir noch nicht Genüge leistet. Ich will versuchen, den Stein des Anstoßes, den ich darin noch finde (und der auch wieder zu derselben Gruppe von Klippen gehört, woran meine Versuche bis jetzt scheiterten) mit so vieler Klarheit, als mir möglich ist, ans Licht zu ziehen. Ich habe zwar noch immer die Hoffnung, daß jene Klippen einst, und noch vor meinem Ende, eine Durchfahrt erlauben werden Indeß habe ich jetzt so manche andere Beschäf- tigungen vor der Hand, daß ioh gegenwärtig daran nicht denken kann, und glaube mir, es soll mich herzlich freuen, wenn Du mir zuvor- kommst, und es Dir gelingt, alle Hindernisse zu übersteigen. Ich würde dann mit der innigsten Freude alles tun, um Dein Verdienst gelten zu machen und ins Licht zu stellen, so viel in meinen Kräften steht. Ich komme nun sogleich zur Sache."
„Bei allen übrigen Schlüssen finde ich gar nichts wesentliches ein- zuwenden: was mich nicht überzeugt hat, ist bloß das Räsonnement im XIII. Artikel. Du denkst Dir daselbst eine ins Unbestimmte fortgeführte Linie 77 . . . Icdcfg . . . [Fig. 1], die aus lauter geraden und gleichen Stücken besteht /cd, de, cf, fg etc. und wo die Winhel Icdc, dcf, cfg etc.
Wolfgang Bor.YAis Göttingische Parallelentheorie (1804)
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einander gleich sind, und willst beweisen, daß 11 über kurz und lang notwendig über Iq) hinaus gehen werde. Zu dieser Absicht lassest Du die gerade Linie ldoc = Q sich nach der Seite zu, wo 77 liegt, um Je herum- bewegen, so daß sie nach und nach von einer Seite des Polygon 77 zur folgenden kommt. Du zeigst vortrefflich, daß Q, so wie es stufen- weise durch d, c, f, g etc. geht, jedesmal näher an ktp kommt: gegen alles dieses läßt sich nichts einwenden; aber nun fährst Du fort: Des- halb läßt sich Q auf die vorgeschriebene Weise bcicegen, bis es nach lc(pcpoo gekommen ist etc. und diese Schlußfolge ist es, die mir nicht ein- leuchtet. Aus Deinem Räsonne- q) ment folgt meiner Einsicht nach noch gar nicht, daß der Winkel, um den Q, beim Durchlaufen einer Seite von 77 (nach oben herum), der kcp näher kommt, nicht etwa immer unbedeutender werde, so daß das Aggregat aller sukzes- siven Annäherungen, so oft sie auch wiederholt werden, dennoch immer noch nicht groß [genug] werden könnte, um Q in Icp zu bringen. Könntest Du beueisen, daß dhc = ckf=fkg etc., so wäre die Sache gleich aufs Keine. Aber dieser Satz ist zwar wahr, allein schwer- lich, ohne die Theorie der Parallelen vorauszusetzen, strenge zu beweisen." „Man könnte also immer noch besorgen, daß die Winkel dkc, ckf, fkg etc. sukzessive abnehmen. Geschähe dieses (bloß eiempli gratid) in einer geometrischen Progression, so daß ckf= ip X dkc, fkg=ijj^xdkc etc. (so daß i> kleiner als 1), so würde die Summe aller Annäherungen,
so viele Male man sie auch fortsetzte, doch immer kleiner als Xckf
bleiben, und diese Grenze könnte dann immer noch kleiner als der rechte Winkel dktp sein. Du hast mein aufrichtiges Urteil verlangt: ich habe es gegeben, und ich wiederhole nochmals die Versicherung, daß es mich innig freuen soll, wenn Du alle Schwierigkeiten überwindest." Im Briefwechsel folgt jetzt eine Pause. Erst am 18. Dezember 1807 antwortet Wolfgang. „Die Harmonie meines häuslichen Lebens wird nie [wieder] hergestellt; die Administration des Schulwesens nimmt auch sehr viel Zeit wea; und ermattet den Geist. . . . Viel habe ich also nicht tun können, doch manches, welches aber wie das, was eine Ameise vom Cimboraso wegholt, wenig bedeuten kann. Auch die Par-
i'ig. 1
46 Leben uad Schriften der beiden Bolyai. Kapitel VI
allelen habe ich nun vielleicht vollendet: ich schicke es jetzt nicht, damit dieser Brief nicht länger aufgeschoben werde, denn ich fühle meine Schuld schon drückend. — Damals, nachdem ich Dir schrieb, fiel mir bald ein, ich hätte mich deutlicher ausdrücken sollen; nach und nach wie ich es in einem andern Brief habe tun wollen, wurde ich selbst dunkel; zum voraus wußte ich, daß Du nicht zufrieden sein wirst, ob- wohl Du mir nicht direkt auf das geantwortet hast, wo ich einen son- derbaren Anstoß fand, daß {nämlich), tvenn das Infcrvall sirischen Ä und B nie so klein uerden kann, daß es nicht wieder über eine Konstante wachse, so kann A nie jenseits B geJien, vorausgesetzt, daß A unendlich sei. Ich will mich in diesen Stoff itzt gar nicht einmischen, damit mein Brief nicht aufgeschoben werde, ich hoffe, es bald ganz mitzuteilen. Es hatte mich, ehe ich Dir schrieb, das Bild eines unendlichen Flusses beruhigt, wo man diesseits einen Winkel führte. Nach dem habe ich noch etwas versucht, itzt habe ich mich seit ein[ig]er Zeit auch nicht damit beschäftigt, sodaß ich eben nicht gegenwärtig in der Sache bin."
Den angekündigten Nachtrag zur Göttingischen Parallelentheorie hat Wolfgang am 27. Dezember 1808 an GrAUSS gesandt; man findet ihn im zweiten Teile dieses Buches, S. 16 — 22 in deutscher Übersetzung wiedergegeben. „Nun so, wie ich es in der Weihnachts-Nacht, wie die Katholiken die Geburt des Retters in der mir nachbaren Kirche feierten, gedacht gestern niedergeschrieben, schicke [ich] es Dir hiermit ein- geschlossen. Morgen muß ich in mein Gut hinausreisen, habe keine Zeit nachzusehen, versäume ich es jetzt, es kann sein, vergeht ein Jahr, oder gar finde ich den Fehler und schicke es nicht, wie schon mit liun- derten geschehen, die ich, wie ich sie fand, vor echt angesehen; doch kam es mir nicht, diejenige[n] niederzuschreiben, vielleicht weil sie zu lange, zu schwer, zu künstlich waren, aber das gegenwärtige schrieb ich gleich ab; Du wirst mir, sobald wie Du kannst. Dein echtes Urteil schreiben. Gelingt es, so fasse ich Mut, meine ziemlich heranwachsen- den Grübeleien herauszugeben, sonst habe ich auch nicht Lust zur Geometrie, und sie würden auch in der Welt sonst nicht gelten."
Daß Gauss diesmal die Antwort schuldig blieb, war wohl der Grund, warum der Briefwechsel eine längere Unterbrechung erfuhr; erst im April 1816 hat Wolfgang wieder an Gauss geschrieben, freilich wiederum, ohne eine Antwort zu erhalten.
Das in den kursiv gedruckten Worten des Briefes vom 18, De- zember 1807 angedeutete Axiom: daß nämlich, wenn das Intervall zwischen A und B nie so klein werden kann, daß es nicht ivieder über eine Konstante ivachse, so kann A nie jenseits B gehen, findet sich als Axiom des Zwischenraums im Tentamen, und zwar im § 1(5 des All-
Wolfgang BoLYAis Untersuchungen zur Parallelentheorie 47
gemeinen Grundrisses der Geometrie (zweiter Teil dieses Buches, S. 94 — 109), in dem Wolfgang eine gedrängte Darstellung seiner lang- jährigen Untersuchungen über die Parallelentheorie gibt. Zugleich be- richtet er dort über die Raumlehre seines Sohnes Johann, der, wie wir sehen werden, im Appendix zum ersten Bande des Tentaniens gezeigt hat, daß man ohne Benutzung des Parallelenaxioms ein in sich folgerichtiges System der Geometrie aufbauen kann, daß also dieses Axiom sich nicht aus den übrigen Voraussetzungen Eiklids her- leiten läßt. Aber auch wenn man die Selbständigkeit der absoluten Geometrie Johann Bolyais anerkennt, ist die Frage von Bedeutung, ob, nach dem Ausdruck von Pfaff, das XL Axiom sich „simplifizieren", d. h. durch Forderungen ersetzen läßt, die der Anschauung näher liegen oder sich durch eine besonders einfache Fassung auszeichnen. Es sollen daher zum Schluß die dem XL Axiom gleichwertigen Axiome betrachtet werden, die Wolfgang in dem erwähnten § 16 des Allgemeinen Grund- risses der Geometrie und in dem Kurzen Grundriß eines Versuchs . . . vom Jahre 1851 aufgestellt hat.
Die Annahmen, aus denen sich das XL Axiom Euklids beweisen und daher die Euklidische Parallelentheorie begründen läßt, hat Wolf- gang im Allgemeinen Grundriß der Geometrie in vier Arten eingeteilt: Axiome der Ahnliclilieit , der Lage, der Größe und des Zwischenraums.
I. Axiome der Ähnlichleit. Schon Wallis hatte 1663 die 5. For- derung Euklids durch die andere ersetzt, daß sich zu jedem Dreieck ein ähnliches in beliebigem Maßstab zeichnen lasse, und dieser Vor- schlag ist später von Caenot, Laplace, Legendre u. a. wieder auf- genommen worden; Saccheri hat sogar gezeigt, daß es ausreicht, an- zunehmen, es gebe Ein Dreieck, zu dem Ein davon verschiedenes, mit denselben Winkeln gehört. Wolfgang hat dem Axiom der Ähnlichkeit die anschaulichere Form gegeben, daß „keine Kugel sich von irgend- einer anderen [Kugel] durch irgendeine Eigenschaft außer der Größe und dem Ort unterscheide." Mit Recht bemerkt Lobatschefskij (1835) zu dem Vorschlag von Wallis: „Zunächst erscheint eine solche An- nahme ebenso einfach wie notwendig; aber wenn wir zu erforschen suchen, welche Begriffe wir davon haben, woher sie ihren Ursprung nimmt, so sind wir orezwung-en, sie als ebenso willkürlich zu bezeichnen wie aUe anderen, auf die man bis jetzt verfallen ist."
IL Axiome der Lage. Wolfgang steUt drei solcher Axiome auf; das dritte ist recht umständlich, und es möge daher genügen, die beiden ersten anzuführen.
1. „Die Summe der inneren Winkel, die zwei auf derselben Seite derselben Ebene an eine Gerade angelegte Gerade bilden, kann, wenn
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diese Gerade irgendwie wächst, nicht stetig abnehmend kleiner als jede angebbare Größe werden, außer wenn die Geraden einander schneiden." 2. „Wird s (Fig. 2) nicht von y umfaßt, so wird auch z -\- v nicht von y -\- V umfaßt."
Das zweite Axiom hat Wolfgang für die einfachste der von ihm vorgeschlagenen Annahmen gehalten und daher seinen Schülern im Kollegium zu Maros-Väsärhely vorgetragen. Aus ihm ergibt sich das
XI. Euklidische Axiom durch folgende Über- legung. „Wenn nämlich u -]- v (Fig. 2) < 2R ist, und diese [Winkel u und t] beim Punkte 6 aneinander gelegt werden, so soll der Rest y heißen; aus irgendeinem Punkte f des Schen- kels des Winkels y werde die Gerade nach c gezogen, der Winkel, den Ic mit cb bildet, werde z genannt und in c oberhalb z der Win- kel V angelegt. Augenscheinlich wird y nicht p. 2 von z umfaßt, also wird auch (nach dem Axiom)
y + V nicht von z -\- v umfaßt. Folglich findet für die inneren Winkel u und v -}- z ein Schneiden statt, und das gilt um so mehr, wenn für v + z der kleinere Winkel v gesetzt wird."
Aus dem Vorhergehenden ergibt sich, daß das betrachtete Axiom auch in der Form ausgesprochen werden kann: „Wenn es feststände, daß, sobald die Geraden, die unter gewissen Winkeln u und v an die Endpunkte einer gewissen Geraden angelegt sind, einander schneiden, auch die Geraden, die unter den Winkeln u -\- z und v — z an die Endpunkte derselben Geraden angelegt sind, einander schneiden (näm- lich für dieselbe, beliebig verteilte Summe der inneren [Winkel]), so gilt das XI. Axiom."
III. Axiome der Größe. Es möge von den drei einander nahe ver- wandten Axiomen dieser Art nur das zweite angeführt werden:
„Kein A hat unzählige, voneinander vollständig getrennte Teile, deren jeder dem A absolut gleich ist."
Diese Behauptung ist für endliche Größen A selbstverständlich. Sie gewinnt für den Beweis des XL Axioms eine Bedeutung, indem sie auf unendliche Größen, nämlich ins Unendliche ausgedehnte Flächen- räume, angewandt wird. Das XL Axiom durch Vergleichung unend- licher Flächenräume zu beweisen, haben besonders Bertrand (1778) und Legendre (1833) versucht. „Beweisen dieser Art", sagt Lobat- SCHEFSKIJ (1835), „soUte eine Erklärung des Größenbegrifies vorher- gehen, den man in der Geometrie nur in Verbindung mit der Messung
Wolfgang BoLYAis Untersuchungen zur Parallelentheorie 49
verstehen kann, wenn man noch außerdem verabredet hat, durch welche Merkmale sich das Größere vom Kleineren unterscheidet. Z. B. wird ein Flächenraum, der von einer krummen Linie begrenzt ist, für größer erachtet, als ein Vieleck, das ganz im Innern enthalten ist, dagegen für kleiner, wenn umgekehrt der Flächenraum ganz in dem Vieleck eingeschlossen ist, selbst wenn noch kein Mittel zur Ausmessung dieser Flächen bekannt sein sollte. Handelt es sich aber um Flächenräume von unbegrenzter Ausdehnung, so muß man hier, wie ja überall in der Mathematik, unter dem Verhältnis zweier unendlich großer Zahlen die Grenze verstehen, in die dieses übergeht, sobald Zähler und Nenner des Bruches beständig wachsen. Außerdem muß man hier unter einer geometrischen Größe wenigstens eine solche verstehen, die man an- genähert bestimmen kann, indem man sie nach den Merkmalen der Un- gleichheit beurteilt. In dieser Beziehung erfüUt der BERTRANDsche Be- weis ebenso wie alle anderen bei Weitem nicht die Anforderungen, weil wir bei ihnen kein Verfahren zur Ausmessung von Flächenräumen sehen, dessen vollends zu geschweigen, daß die Flächenräume zuerst begrenzt werden und dann mit der Erweiterung ihrer Grenzen ins Un- endliche wachsen müssen."
IV. Axiome des Zwischenraums. Das einzige Axiom dieser Art lautet:
„Wenn die Öffnung zweier einfachen^ gleichförmigen, nach bei- den Seiten unendlichen Linien, die sich in einer Ebene schneiden, d. h. der Winkel am Schnittpunkt, vor dem Ende der Zeit t immer zu beiden Seiten größer bleibt, als ein beständiger Winkel derselben Linien, so kann in dem teillosen Zeitpunkt, der t abschließt, die eine [Linie] nicht die andere übersprungen haben."
Solange der Schnittpunkt der beiden Linien in einem endlichen Bereich verbleibt, wird gegen die Anwendung des Axioms nichts ein- zuwenden sein, aber wenn der Schnittpunkt ins Unendliche rückt — und gerade dieser Fall liegt bei Wolfgangs Beweisversuch vor — , so wird man mit Kummer sagen müssen: „Im Unendlichen ist alles möglich."
Im Kurzen Grundriß eines Versuches (1851) hat Wolfgang das XI. Axiom durch die Annahme ersetzt: „Könnten jede drei Piinkte, die nicht in einer Geraden sind, in eine Kugel fallen, so wäre das XI. Axiom bewiesen." (Zweiter Teil dieses Buches, S. 151).
Wolfgangs Annahme ist gleichbedeutend damit, daß drei nicht in einer Geraden gelegene Punkte stets einem Kreise angehören. Er trifft hierbei mit einem Schüler von Gauss, F. L. Wächter, zusammen, der 1817 ohne Benutzung des ParaUelenaxioms versucht hatte, den Lehrsatz herzuleiten, daß durch drei nicht in einer Geraden liegende Punkte der Ebene stets ein Kreis gelegt werden könne. Wenn auch dieser Beweis-
P. Stäckel: Wolf gang und Johann Bolyai I 4
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Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kap. VI
versuch gescheitert ist, so verdient doch das Verfahren, mittels dessen Wächter aus seinem Lehrsatz zum Parallelenaxiom crelangt war, mit- geteilt zu werden.
„Irgend eine gegebene, in den Punkten A und B [Fig. 3] begrenzte Gerade möge in C halbiert und durch den Punkt C eine zweite, auf der Geraden AB senkrechte Gerade CD gezogen werden. Aus den
Punkten A, B ziehe man in derselben Ebene mit AB und CD die Geraden AE und BF, die mit der gegebenen ^5 irgendeinen spitzen Winkel bilden. Von dem Punkte C fälle man auf J.JS und BF die Lote CG und CH, die diese in G und H schneiden. Man verlängere CG und CH bis J und K, so daß CJ = 2 CG, CK = 2GHmxrL Aldann läßt sich durch die drei Punkte C, J, K ein Kreis beschreiben, dessen Mittelpunkt, wie man aus der Zeichnung erkennt, auf der Geraden CD deren Schnittpunkt mit der Geraden AE oder BF bildet, den nachzuweisen wir beabsich- tigt hatten/*
Mit Recht hat Frischauf erklärt, daß von allen Axiomen, die zum Ersatz des Parallelenaxioms vorgeschlagen worden sind, die Vor- aussetzung, drei Punkte, die nicht in einer Geraden liegen, müßten stets auf einer Kugelfiäche liegen, am anschaulichsten ist.
Johann BoLTAi hat kurz vor Wolfgangs Tode, 1856, in der Vor- rede zu einer unvollendet gebliebenen Abhandlung über den Beweis des XI. Axioms über die Untersuchungen seines Vaters zur Parallelentheorie ein Urteil abgegeben, dem man noch heute im wesentlichen zustimmen kann. „Er hat die Sache weit und ohne Vergleich kräftiger [als seine Vorgänger] angegriffen, ja man kann beinahe sagen, alle möglichen Wege erschöpft, ohne jedoch selbst dadurch auch nur einen Schritt näher zum Ziele gekommen zu sein, indem, wie er selbst sehr richtig sagt, das Si paullmn a summo discessit, vergit ad imuni auch hier seine volle Anwendung findet. . . . Aber er täuscht sich, wenn er auf die Un- möglichkeit der Gleichheit der Stücke mit dem Ganzen hier bei oo selbst auch nur das geringste Gewicht legt und überhaupt an die Möglich- keit eines neuen oder anderen Axioms dafür denkt."
VII. Kapitel Johann BOLYAis Jagend (1802—1818)
Johaun Bolyai, zu Klausenburg am 15. Dezember 1802 geboren war zunächst auf dem väterlichen Gute zu Domäld herangewachsen. Im April 1804 zogen seine Eltern nach Marcs -Väsärhely; doch haben sie auch später oft auf der schönen Besitzung geweilt, besonders im Sommer und zur Zeit der Weinlese.
Schon früh begann der Verstand des Knaben zu erwachen, und es zeigten sich die Keime einer ungewöhnlichen mathematischen Be- gabung. „Kein alltägliches Kind" war es, dem Gedanken durch den Kopf gingen, wie dem kleinen Johann. „Als ich, mit ungefähr drei Jahren, äußern hörte, jedoch ohne nähere Erklärung, die Welt, worunter ich damals nur die Erde verstand, habe kein Ende, so dachte ich, die Erde als in die Tiefe gehend ins Unendliche gedacht, wenn sie auch ein Ende, das heißt einen Rand hätte, so müsse doch darüber hinaus wenigstens ein unendlicher Abgrund, das ist ein leerer Raum, sein, und hatte somit selbst mir schon einen Begriff vom Räume verschafft ge- habt." Und der Vater schreibt voll Stolz am 18. Dezember 1807 an Gauss: „Im Spiele hat er viele Gestirne am Himmel kennen gelernt und die gewöhnlichen geometrischen Gestalten u. d. gl. Er macht von seinen Begriffen auch schickliche Anwendungen, z. B. zeichnet er von selbst die Lage der Sterne in den Gestirnen mit Kreide aus. Einmal noch den vorigen Winter schnitt er eine Tartuffel und rief aus »Hü Vater, was ich fand, einen Tartuffel-Sinus eines Tartuffel-Bogens«, und so war es. Wieder als er auf dem Lande den Jupiter ei-blickte, sagte er, wie ist es, daß man den in der Stadt auch von da sieht, er muß weit sein. Wieder drei entlegene Orter, wo er gewesen, verlangte er, ich sollte es ihm mit einem Worte bezeichnen; ich wußte es nicht, nun fragte er, ob das eine mit dem andern in einer [geraden] Linie wäre, und so alle nach der Reihe; nun, sagte er, also ist es ein Triangel u. d. gl. viele. Er hat eine große Lust am Papierschneiden mit der Schere. Einmal schneidet er ein Triangel, es war rechtwinklig; nun, wiewohl ich ihm nichts von den Arten der Triangeln jemals sagte, sprach er, dies sei so ein Triangel wie ein halbes Rektangel."
Alles das lernte Johann im Spiele, weil der vorsichtige Vater dem wißbegierigen Kinde nur „Andeutungen zuwarf". Mit dem planmäßigen Unterricht hat Wolfgang sogar bis zum neunten Jahre gewartet.
Gewarnt durch die Erfahrungen in der eigenen Jugend und beein- flußt durch ROUSSEAUS Emile, den er genau kannte, hat Wolfgang der
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körperlichen Entwicklung des Knaben besondere Aufmerksamkeit zu- gewandt, „daß das Gleichgewiclit der Kräfte bleibe, daß sie brüderlich zusammenschreiten, keine Tyrann der übrigen werde'^ (Brief an Gauss vom 27. Februar 1803). „Seinen Körper übe ich vorzüglich, kann mit seiner kleinen Haue in der Erde gut arbeiten'' (Brief au Gauss vom 18. Dezember 1807 j. Auch später liebte Johann Gartenarbeiten, ergötzte sich an Ball- und Versteckspielen und zeichnete sich aus durch „affen- geschicktes Klettern, besonders nach Vogelnestern.'"
Als Johann ungefähr sechs Jahre alt war, eignete er sich fast un- bemerkt, auf einige Anweisungen hin, das Lesen an. Ein Jahr darauf begann er die deutsche Sprache zu lernen. Als er neun Jahre alt wurde, ließ ihn der Vater zu den Gymnasialstudien übergehen, und zwar erhielt er den Unterricht zunächst im väterlichen Hause. Die Hauslehrer wählte Wolfgang unter den besten Studenten. Der erste war Daniel Vajda; ihm folgte Josef V. Szilägyi. Die Leitung der mathematischen Ausbildung behielt Wolfgang sieh selbst vor. Johann erzählt: „...wonach ich bald die ersten sechs Bücher Euklids mir aneignete. Mehr tat dabei mein Vater nicht, als daß er besonders bei Erklärung des Punktes bemerkte, die Zeit habe ebenso teillose Teile wie der Raum; zum Beispiel sei das Ende von 8 und der Anfang von 9 Uhr ein derlei [solcher] [Punkt]. Später ließ er' mich den Anfang von Eulers Algebra bis einschließlich zu den kubischen und biquadratischeu Gleichungen studieren. Dann ging ich größtenteils Vegas Mathematik, Döttlers Physik durch." Der Knabe durchschaute mit dem Aufblitzen des Genies oft auf einmal den Beweis eines Lehrsatzes oder die Lösung einer Aufgabe; „wie der Teufel sprang er vor mich hin", erzählt der Vater, „und drängte, ich solle mit ihm weiter gehen." Im Alter von zwölfeinhalb Jahren hatte er bereits die Planimetrie, Stereometrie und Trigonometrie durchgearbeitet und aus der analytischen Geometrie die Kegelschnitte Ijeeudet.
Vom zwölften Jahre ab hat Johann den Klassenunterricht des ev. ref. Kollecriums zu Maros -Väsarhelv besucht. Daneben hörte er die Vorlesungen, die Wolfgang für die Studenten hielt. Dieser schreibt dar- über am 10. April 1816 an Gauss: .,Er weiß vom Vega (welcher mein Manual ist im Collegio) nicht nur die ersten zwei Bände überall, sondern ist auch im dritten und vierten Bande bewandert, liebt Diffe- rential- und Integral-Rechnunofen imd rechnet darin mit außerordentlicher Fertigkeit und Leichtigkeit . . . Jetzt endigt er bald meine physische und chemische Vorlesungen; einmal [22. Februar 1816] hat er auch hier- von mit meinen erwachsenen Schülern ein öffentliches, sehr löbliches Examen gegeben in lateinischer Sprache, teils wo ihn andere ad aper- turam fragten, teils bei Gelegenheit ließ ich ihn einige Beweise in der
Johann Bolyais Jugend (1802 — 1818) 53
Mechanik mit Integral-Rechnung führen, wie veränderliche Bewegung, Tautochronismus der Zykloide u. d. gl. Nichts mehr war zu wünschen- edle Einfalt, Klarheit, Schnelligkeit und Leichtigkeit waren auch für Fremde hinreißend, er hat einen schnell und riel fassenden Kopf und manchmal Blitze von Genie, die mehrere Reihen auf einmal mit einem Blicke findend durchsehen: er liebt reine tiefe Theorien und Astronomie."
Neben der Ausbilduncr in den Wissenschaften wurde die Pfleo-e der Künste nicht vernachlässigt; wußte doch Wolfgang, welche Quelle edler Freuden, welcher Trost in trüben Stunden sich hier dem Menschen erschließt. Die Violine bekam Johann bereits mit sieben Jahren in die Hand. Mit neun Jahren konnte er gut nach Noten spielen, mit zehn übernahm er bereits in klassischen Streichquartetten die erste Geige. „Im zehnten Jahre fand ich ihn komponierend", heißt es in Aufzeich- nungen Wolfgangs über die Jugend seines Sohnes, „ich sah abgeschrieben einige Adagios und Allegros. In allen diesen lag nicht nur ein Gedanke, sondern auch etwas tieferes Gefühl." Und K. SziLY berichtet: „Schon im zwölften Jahre war er ein so ausgezeichneter Violinspieler, daß er die schwersten Stücke vom Blatt spielen konnte. Damals gab man in Maros-Väsärhely eine Oper, vielleicht die erste. Bei der Vorstellung war auch der blinde Komponist zugegen. Die erste Geige spielte ein junger Sachse, die zweite Johann. Als eine Saite auf der Violine des ersten Geigers riß, tauschte man die Noten, und das Kind spielte prima vista die erste Geige, und zwar so, daß der Komponist, der bis dahin unzufrieden gewesen war, ausrief: i>Bravo, jetzt dominiert die Prime«."
Mit dem Zeichnen wurde angefangen, als Johann neuneinhalb Jahre alt war, dieser ließ es jedoch nach kurzer Zeit liegen; später hat er das Versäumte nachgeholt. Dagegen konnte er niemals ein Verständnis für die Dichtkunst gewinnen; „die poetische Sprache ist ein Unsinn", das war eine von ihm oft geäußerte Ansicht.
Nachdem Johann die letzte Schulklasse, die logische Klasse, beendet hatte, bestand er am 30. Juni 1817 das Bigorosiwi und wurde damit Student. Er war der beste seiner Klasse; in Mathematik und Physik übertraf er selbst die Studenten. Auch im Lateinischen war er weit fort- geschritten; seine lateinische Prüfungsarbeit, die uns noch erhalten ist, wurde sehr gelobt. Daß er die lateinische Sprache meisterlich zu hand- haben wußte, zeigen auch der Appendix (1830) und die Besponsio (1837).
Wie Wolfgang damals über seinen Sohn dachte, ersieht man aus einer Aufzeichnung vom 13. August 1817.
„Er hat große Neigung für das Studium der Wissenschaften, ins- besondere der Mathematik. In der Musik und zwar auf der Violine kann er auch ein Virtuos werden. Auch für Zeichnen hat er ein wenig
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Neiffung. Für die Poesie habe ich keine Neio^uncr an ihm bemerkt: möglich, daß sie sich später entwickeln werde. Die Si)racheii lernt er leicht. Dieses alles sind Gaben der Natur".
,,Er hat eine schöne Urteilskraft ebenso sowohl für Menschen wie für andere Dinge. Er ist nicht häßlich. Er ist launisch, sodaß er manch- mal selbst seinen Pflichten im Lernen nicht nachkommt; manchmal aber lernt er zu viel, Ttjn früh bis spät, auch auf Kosten seiner Gesund- heit. Das ist ein Fehler: ny]d£v ayav. Manchmal ist er hypochondrisch oder zu lustig, aus Gründen, die andere nicht einsehen können. Er sekiert gern andere, sodaß es sehr wenige gibt, mit denen er sich vertragen kann. Das ist Unreife. Manchmal ist er ungehorsam, hauptsächlich der Mutter creorenüber. Das ist ein Mang^el der Erziehung. Xichts desto- weniger kann er es crut machen, wenn er nur will."
„Er verläumdet niemals andere: wenn er von jemanden nichts Gutes zu sagen vermag, so spricht er nicht. Er ist kein Lügner. Er ist rechthaberisch, das ist aber mangelnde prudentia. Er ist barmherzig, auch wenn er nicht helfen kann. Er ist dankbar. Ist zornig, bis er die Beleidigung vergessen hat. Er verachtet niemanden wegen seiner Fehler. Er ist nicht zerstreut."'
„Man findet hier Fehler und gute Eigenschaften. Gott gebe, daß die Fehler in einioren Jahren sich in das Gegenteil verwandeln, die guten Eigenschaften aber erhalten bleiben."^
Schon im Jahre 1807 hatte Wolfgang, als er seinem Freimde Gauss von der ungewöhnlichen mathematischen Begabung des fünf- jährigen Johann berichtete, die Worte hinzugefügt: ..SoU[te] die Hoff- nung nicht täuschen, so soll er nach 15 Jahren zu Euch reisen und Dein Schüler sein: wenn ich gesund bin dazumal, begleite ich ihn zu Dir." Inzwischen hatten sich die Beziehungen zu dem Jugend- freunde gelockert. Wolfgangs Brief vom 27. Dezember 1808 war un- beantwortet geblieben. Vielleicht hatte Gauss zunächst gezögert zu schreiben, weil er Wolfgangs Versuch, den angeblichen Beweis für das elfte Axiom vom Jahre 1804 zu verbessern, für verfehlt hielt: dann war seine erste Frau gestorben, und es folgten die Wirren der Kriegs- Zeiten. Wolfgang tat dies Schweigen weh, aber er zweifelte nicht daran, daß die Gesinnung seines Freundes gegen ihn die gleiche geblieben sei „wie in dem blütenvollen Frühling der Jugend," und hielt an dem Gedanken fest, seinen Sohn zu Gauss zu bringen. Auch Johann, der schon damals in den Schriften von Gauss, die sein Vater besaß, gelesen hatte, teilte dessen tiefe Verehrung für den „mathematischen Koloss in Göttingen'' und wünschte nichts selmlicher, als sieb unter seiner Leitung der Mathematik zu widmen.
Johann Bor.v.vis Jugend (1802—1818) 55
Freilich war eine große Schwierigkeit zu überwinden. Wolfgang war nicht in der Lage, die Kosten für den beabsichtigten dreijährigen Aufenthalt in Göttingen zu bestreiten. Das bescheidene Einkommen, das er als Professor hatte, reichte kaum zur Bestreitung des Haushalts; über- dies wurde es in den schweren Zeiten nach den langen Kriegen nur unregelmäßig und in entwertetem Papiergeld gezahlt. Auch die Neben- einnahmen durch Privatunterricht, Landwirtschaft, Weinhandel flössen nur spärlich. Dazu kam, daß Wolfgang es nie verstanden hat, mit dem Gelde umzugehen, und, wie er selbst sagt, „ein schlechter Wirtschafter" war. Wenn nicht edle Gönner, besonders die Barone Kement und die Grafen Teleki, sich seiner angenommen hätten, so wäre er elend in Schulden untergegangen.
' Ein großes Glück war es daher, daß der Graf Adam Kendeffi,
wie Wolfgang im April 1816 an BoDOR schreibt, „die Gnade hatte, meinem Sohne für die Zeit, wann er zu Gauss reisen wird, seine Hilfe zu versprechen." Um außerdem die Unterstützung des kirchlichen Generalkonsistoriums zu erlangen, beschloß Wolfgang, den Sohn zu- nächst noch auf dem Kollegium in Maros-Väsärhely zu lassen, damit er ein Jahr nach dem Rigorosum die für das Studium im Ausland vor- geschriebenen öffentlichen Prüfungen an den drei Kollegien zu Klausen- burg, Nagyenyed und Maros-Väsärhelj ablegte.
Nunmehr schien die Zeit gekommen, Gauss von diesen Absichten in Kenntnis zu setzen. Dies geschah in dem Brief vom 10. April 1816, der bereits erwähnt wurde. Nachdem Wolfgang die mathematische Be- gabung seines Sohnes gerühmt hat, bittet er den Freund, diesen nach zwei Jahren zu ihm schicken zu dürfen. „Ich wollte ihn 3 Jahre lang bei Dir halten und, wenn es möglich wäre, ... in Deinem Hause, denn allein kann man einen 15jährigen Jüngling nicht dalassen und einen Hofmeister mitzuschicken übersteigt meine durch viele Prozesse ge- schwächten Kräfte. . . . Deiner Frau Gemahlin Unkosten würde ich, ver- steht sichs, schon entschädigen. — Wir würden alles anordnen, wenn ich mit ihm zu Dir hinaufginge. In Hinsicht auf diesen Plan berichte mich unverholen: 1° Hast Du nicht eine Tochter, welche damals gefährlich (reciproce) wäre; freilich muß die Jugend in diese Schlacht, und es ist nur ein kleiner Teil der Vernunft, wenn man nicht von der blinden Kugel getroffen als Krüppel aus den elyseischen Träumen wach wird . . . 2° Seid Ihr gesund, nicht arm, zufrieden, nicht mürrisch? besonders ist Deine Frau Gemahlin eine Ausnahme von ihrem Geschlechte? ist sie nicht veränderlicher als die Wetterhähne? und so wenig im Voraus zu berechnen wie die Barometerveränderungen . . . S'' AUe Umstände zu- sammengenommen kannst Du mir leichter mit einem Worte sagen, daß
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es nicht seiu kann; denn ich werde nie daran zweifeln, daß es nicht an Deinem Herzen fehlen wird.''
Mit Ungeduld sahen Vater und Sohn der Antwort entgegen, die die Entscheidung über Johanns Zukunft bringen sollte. Es vergingen Wo- chen und Monate, und der ersehnte Brief aus Göttingen kam nicht.
Man hat es, wie Bedöhäzi bemerkt, Gauss zum Vorwurf gemacht, daß er das Schreiben seines alten Freundes keiner Antwort gewürdigt habe. Es habe vielleicht darin seinen Grund gehabt, vermutet Be- DÖHAZi, daß 'Gauss mit der Einrichtung seiner neuen Sternwarte be- schäftigt war, die er im Herbst 1816 bezogen hat, vielleicht auch in familiären Gründen; Gauss hatte sich am 4. August 1810 wieder ver- heiratet, und es waren aus den beiden Ehen vier Kinder von 10 bis 2 Jahren in seinem Hause; das fünfte wurde erwartet, es war die am 19. Juni 1816 geborene jüngste Tochter Therese. „Schließlich", meint Bedöhäzi, „so heiß eine Freundschaft anfangs auch aufflammt, so kühlt sie in Ermangelung persönlicher Berührung nach so langer Zeit doch ab." Seitdem der Wortlaut des Briefes vom 10. April 1816 bekannt ist, den Bedöhäzi noch nicht benutzen konnte, kommt ein weiterer Grund hinzu. „Nicht das Stillschweigen von Gauss", äußert sich Schlesinger, „sondern vielmehr die schon über das Naive hinausgehende Art und Weise muß uns befremden, wie Wolfgang unter Hineinziehen von GAüSSens Familie das pro und contra seines Planes erörtert".
Wie Johann selbst das Verhalten von Gauss aufgefaßt hat, zeigt eine Aufzeichnung von ihm, die er bald nach dem Tode seines Vaters (November 1856) niedergeschrieben hat. „Zugleich bemerke ich eine Begebenheit, die sich noch in meiner Kindheit zutrug. Ich war von meinem Vater an Gauss empfohlen, er möchte mich, da ich besondere Anlage zur Mathematik zeigte, etwa zu sich nehmen, damit sich meine Fähigkeiten in seiner Nähe und Umgebung um so mehr entwickeln könnten, bei welcher Gelegenheit ihm mein Vater zugleich einen großen, schönen meerschaumenen Pfeifenkopf zum Geschenk schickte. Gauss je- doch, den Antrag wahrscheinlich weder annehmen noch ablehnen woUend, wobei Ersteres mich bei seiner Abneigung gegen ünterrichtserteilung gar nicht wundert, indem selbst meine Wenigkeit, besondere FäUe aus- genommen, ganz unendlichen Widerwillen dagegen hat, und Letzteres, nämlich die NichtwiUfahrung dem Ansuchen meines Vaters, ihr freund- schaftliches Verhältnis schwer oder doch genant machte, — kurz Gauss zog es vor, seit der Zeit die Antwort schuldig zu bleiben und fuhr so fort bis zum Frühjahr [6. März] 1832 zu schweigen, wo er dann . . . und erst sodann ein abermaliger Briefwechsel oder -verkehr zwischen den beiden Kolossen sich entspann . . . Wolfgang Bolyai ist dem Gauss voU-
Johann Bolyais Jugend (1802 — 1818) 57
kommen ebenbürtig. Alles in Allem kann kein Sterblicher vollkommen sein. Wolfgangs Arbeit ist nicht minder wichtig, und ich ziehe es vor, mehr unter der Leitung des Letzteren als unter Gauss gestanden zu sein, weil mir Gauss nie den reinen Geist für die Mathematik und noch we- niger für Philosophie einzuflößen, überhaupt zum liebsten und besten Teil meiner Selbstausbildung beizutragen im Stande gewesen wäre, als dies bei Wolfgang BoLYAi der Fall war, teils durch einzelne, wenn auch bis zur Herausgabe selbst seiner Werke 1829 nur selten und spärlich zugeflossene eigene und mehr durch meine eigenen, dadurch rege geworden Ideen".
Nachdem der Plan, Johann nach Göttingen zu bringen, gescheitert war, dachte Wolfgang daran, ihn, den „er zum Opfer der Mathematik bestimmt hatte", auf die Universität in Pest oder in Wien gehen zu lassen. Jedoch war an keiner dieser Hochschulen ein Mathematiker tätig, der ihm der rechte Mann für Johann zu sein schien; auch wollte er den Sohn nicht den Gefahren des freien akademischen Lebens aus- setzen. So entschied er sich schließlich dahin, Johann die militärische Laufbahn einschlagen zu lassen, zu der er selbst als Jüngling die größte Neigung gehabt hatte, und zwar sollte dieser auf die k. k. Ingenieur- Akademie in Wien kommen, die im In- und Auslande sich eines vor- trefflichen Rufes erfreute. Hierdurch eröffnete sich für Johann, so meinte Wolfgang, nicht nur die Hoffnung auf ein schönes Fortkommen, sondern auch die Möglichkeit, sich in der Mathematik weiter auszubilden, die im Lehrplan der Akademie an erster Stelle stand.
In den Aufzeichnungen aus dem Jahre 1856, aus denen soeben ein Stück mitgeteilt wurde, hat sich Johann bitter über diesen Ent- schluß seines Vaters beklagt. „Bei aller gebührenden Achtung der dor- tigen Erziehung [auf der Ingenieur-Akademie] wäre es doch bei einem solchen Talente, als er in mir entdeckte, für mich zweckmäßiger und wünschenswerter gewesen, mich bei sich zu Hause zu behalten und selbst für meine Erziehung zu sorgen, um mich der mathematischen Wissen- schaft, wozu ich seit jeher vorzügliche und unwiderstehliche Neigung hatte, desto mehr und konsequenter widmen zu können. Ich wenigstens, hätte ich das Glück zu einem solchen Sohne gehabt, hätte so einen nicht von mir entfernt." Neben dem Vorwurf lassen diese Worte ein rührendes Vertrauen des Sohnes zum Vater erkennen, dem er in der Tat viel zu verdanken hatte.
Über die Einrichtungen und den Lehrplan der Ingenieur-Akademie in Wien wird im nächsten Kapitel ausführlich berichtet werden. Hier sei nur bemerkt, daß sieben Jahreskurse vorhanden waren, die von unten nach oben als I. bis VII. Klasse bezeichnet wurden. Die Regel war, daß die Zöglinge mit dem elften bis zwölften Lebensjahre eintraten; es
58 Leben und Sehriften der beiden Bolyai. Kapitel YII
wurden jedocli auch ältere Knaben auf Grund einer Aufnahmeprüfung zugelassen, bei der es hauj)tsächlich auf den Nachweis der mathema- tischen Kenntnisse ankam.
Noch im Sommer 1817 begann Wolfgang seinen Sohn für die Aka- demie vorzubereiten, damit dieser im Herbst des Jahres in die V. Klasse eintreten könne. Das ging schnell von statten; denn in der Mathematik wußte Johann mehr, als in der IV. Klasse durchgenommen wurde. Es handelte sich hauptsächlich darum, daß er das mathematische Lehrbuch von Hauser durcharbeitete, das statt des Vega an der Akademie be- nutzt wurde, und sich im Gebrauch der deutschen Sprache übte, in der die Prüfung abzulegen war; am Kollegium zu Maros-Väsärhely wurde nämlich etwa bis 1842 in den oberen Klassen nur lateinisch gesprochen.
Die wahre Sorge war eine andere, nämlich wie die nicht unbeträcht- lichen Geldmittel zum Aufenthalt auf der Akademie beschafft werden sollten, und diese Sorge wurde noch dringender, als Wolfgang durch einen Bekannten in Wien erfuhr, daß die Akademie nur bis zur IV. Klasse neue Schüler aufnehme, weil man eine mindestens vierjährige Ausbil- dung zar Aneignung der militärischen Eigenschaften für unerläßlich hielt.
So kam es, daß Johann nach bestandenem Rigorosum das Maros- Väsarheljer Kollegium als Student der Philosophie weiter besuchte.
Daß ihn die doppelte Enttäuschung niederdrückte, wird man ver- stehen und mitfühlen. Bedenklich aber war es, daß schon jetzt Züge in seinem Charakter zum Vorschein kamen, die später für ihn ver- hängnisvoll wurden, vor allem eine Heftigkeit und Leidenschaftlichkeit, die sich gelegentlich in furchtbaren Wutausbrüchen Luft machte. Ohne Zweifel haben die häuslichen Verhältnisse dazu beigetragen. Er war das einzige Kind seiner Eltern; eine 1805 geborene Schwester ist vor 1807 gestorben. Die Mutter kränkelte; sie hing an dem Sohne mit ab- göttischer Liebe, gab allen seinen Launen nach und verhätschelte ihn. Aber auch der Vater scheint dem Sohne nicht gewachsen gewesen zu sein, der gerade damals einer festen Hand bedurft hätte.
„Die Vorlesungen besuchte Johann selten. Bei dem Herannahen der Winterprüfungen klagte der damalige Professor der Geschichte, Johann Antal, der spätere Bischof der Reformierten, seinem Vater, daß Johann sich immer nur mit dem Brettspiel befasse und die Vorlesungen nicht besuche . . . Der Vater nahm den nachlässigen Burschen vor und erteilte ihm einen Verweis, auf den dieser nicht achtete. Nachdem er die Vorlesungen ein-, zweimal durchgelesen hatte, ging er zur Prüfung. Er antwortete vorzüglich; aus welchem Gebiet und wie oft man ihn auch fragte, überall wußte er gut Bescheid."
„Auch im folgenden Semester setzte er das Brettspiel fort; sein
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Johann Boiaais Jugend (1802—1818) 59
Professor machte aber darüber keine Bemerkung und bei der Prüfuno- ging wieder alles ganz gut" (K. Szily).
Endlich gelang es Wolfgang, für seinen Sohn die Unterstützung des in Klausenburg lebenden Generalkurators des Kollegiums, Grafen Nicolaus Kemknt, zu gewinnen. Dieser übernahm es, für die vier Jahre die Gebühren an die Akademie zu zahlen. Das bedeutete nicht weni<r. Für die erste Ausrüstung waren 225 Gulden zu entrichten und dann jährlich 1000 Gulden; schon ein Jahr nach Johanns Aufnahme wurde übrigens der jährliche Betrag auf 880 Gulden herabgesetzt und hat sich während der weiteren drei Jahre nicht geändert.
Im August 1818 nahm Johann Abschied von der Heimat und den Eltern und reiste nach Wien; wie es scheint, hat ihn sein Gönner, Graf Nicolaus Kemeny, dorthin mitgenommen.
Schweren Herzens ließen Vater und Mutter den einzigen Sohn in die Ferne ziehen. „Er soll nicht zu Hause bleiben'^, sagte die Mutter, „aber wenn er geht, werde ich wahnsinnig". Wie innig sie an Johann hing, zeigen einige Zeilen an ihn, die sich erhalten haben: „Mein süßes Kind! Zu gar vielen Dingen haben wir nicht immer Lust, doch müssen wir uns daran gewöhnen, zu rechter Zeit zu tun, wozu wir gar keine Lust haben. . . . Der Frühling blüht mir, wenn ich Gutes von Dir höre; ewiger Winter senkt sich im andern Falle auf mich herab."
Jene Ahnung Susannas hat sich nur allzubald bewahrheitet. Schon im Juni 1819 schreibt Wolfgang an BoDOR: „Die Hysterie hat meine Frau ganz erdrückt; ich hätte die Keime dieses höllischen Gewächses von Hysterie schon in ihrer Mädchenzeit erkennen können, wenn ich in der Botanik der Ufer des Cocytus bewandert gewesen wäre; jetzt ist es für den Herbst horrende gewachsen, der Gärtner war gut (Du weißt, wer die Mater ist), Luft und Boden waren Armut und Schicksale. . . . Es ist nicht tötlich, aber schlimmer als der Tod, Szotyoki [der Arzt] fürchtet Wahnsinn."
Der Geist der unglücklichen Frau umnachtete sich immer mehr. Im August 1821 äußerte sie den Wunsch, das Paradies ihrer Jugend, Domäld, noch einmal wiederzusehen. „Mit großer Anstrengung habe ich sie hinaus und wieder zurück gebracht; bei aller Traurigkeit haben wir dort schöne Stunden verlebt: in einem Teile des Gartens beugen sich die Bäume unter der Last des Segens, in einem anderen Teile sind im Dickicht sich schlängelnde Wege, ein Bach, Wasserfälle von Fels zu Fels, als wäre man in einem Alpenwalde; bei einem Wasserfall eine Einsiedlerhütte mit Steintisch; dort aßen wir zu Mittag, zu dritt, in- dem wir nämlich Johanns Bildnis aufstellten; rings umher mit Johann gleichaltrige Birken, die ihre Wipfel zum Himmel erheben — und ein
60 Leben und Schriften der beiden Bolyai, Kapitel VII
kleines scliönes Mädchen badete unbekleidet beim Wasserfall; kleine, nocb unbetrogene Eval und wir nach dem Falle noch einmal im Paradies" (Brief an BoDOR vom 3. September 1821).
Bald darauf, am 19. September 1821, ist Susanna gestorben. „Wenn ich an ihre unzähligen, schönen Empfindungen, nacheinander hervor- strömenden schönen Reden, schönen heiligen Gesänge und an ihr schweres Leiden denke, jammern alle Schmerzenssaiten meiner Seele ihr nach. Du kannst es kaum glauben, ich selbst habe es kaum geglaubt, wie es mich schmerzt. . . . Heiter und mit ruhiger tapferer Seele ging sie dem Tode entgegen. . . . Ohne jeden Kampf wurde sie nur verklärt Ihrem Wunsche gemäß habe ich sie nach Domäld gebracht und an der Stelle beigesetzt, . die sie bezeichnet hatte ... in meinem Garten ist ein hoher Berg, und in dessen Mitte ein schöner Platz , . . Siegreich hat sie ihren Kampf gefochten und bekränzt ruht sie nun in den Armen der Mutter Erde — sie selbst eine (glückliche, unglückliche) Mutter, (in vieler Hinsicht) ein Selbstopfer für ihren Sohn, der es das Schicksal nicht gestattet hat,
ihr Kind, als es ihr Freude bereiten konnte, zu umarmen letzt habe
ich das Bild [Johanns] auf das Mädchenbildnis der Mutter getan, den Sohn in die Arme der Jungfrau; dies ist mein Altarbild, vor dem ich oft Tränen opfere" (Brief an Bodor vom 10. Oktober 1821).
Mit ergreifender Zärtlichkeit gibt Wolfgang dem Sohne Nachricht vom Tode der Mutter. Nach zwei Tränen, deren Spuren noch auf dem Blatte zu sehen sind, schreibt er: „Auch du vergieße hier Deine Träne, denn sie verdient es; laß sie mit den meinen jenseits des schönen Son- nenstrahles, in dem sie jetzt lächelt, zusammenfließen. Wenn Du sie aber liebst, so weine nur soviel, als sie es wünschen würde, damit sich die männliche Kraft nicht in Tränen auflöse und das Feuer Deiner Lauf- bahn nicht erlösche. ... Im Vergleich zu jenen Leiden, von denen sie nunmehr erlöst ist, hat sie wenig Freuden erfahren, und wer weiß, welche ihrer noch gewartet hätten. Sollte der Himmel mir einmal glückliche Stunden verleihen, so würde es mich schmerzen, sie nicht mit ihr teilen zu können; aber die Freude, die ich darüber empfinde, daß sie meine vielen Sorgen und Kümmernisse nun nicht miterleben muß, wiegt diesen meinen Schmerz auf. Du aber, wie immer es Dich schmerzt, daß Du ihre Dir gewidmete Liebe hier auf Erden verloren hast, be- denke, daß diese mir verblieben ist, und so bleibe auch Deine ihr ent- gegengebrachte Liebe mir '. . . ergib Dich in den Lauf der ewigen Ord- nung, widme der zur Ruhe gegangenen Asche Deiner Mutter einige Tränen und setze in männlicher Arbeit Deinen Lebenslauf fort, damit ich Dich bald so umarmen kann, daß ich allein nur das zu bedauern habe, daß Deine liebe Mutter nicht zugegen ist."
VIII. Kapitel Johann BOLYAi auf der Ingenieur- Akademie (1818—182)])
Die k. k. Ingenieur-Akademie in Wien diente hauptsächlich dazu, tüchtige Offiziere für die technischen Truppen zu erziehen; jedoch wurden nur die besten der Zöglinge dafür verwendet, der Rest kam zu den Linientruppen. Die Akademie kann das Verdienst für sich in An- spruch nehmen, daß eine stattliche Anzahl ruhmbedeckter Truppenführer, hochverdienter Generäle, heldenmütiger Offiziere und ausgezeichneter Kriegsbaumeister aus ihr hervorgegangen ist.
Auf den Vorschlag des Prinzen Eugen v. Savoten befahl Kaiser Karl VI. durch eine Resolution vom 24. Dezember 1717 die Errichtung „einer förmblichen lugenieur-Academia in der Kaiserlichen Haupt- und Residenz-Stadt Wien/^ Sie hat bis 1869 bestanden und ist dann in die k. u. k. technische Militär -Akademie zu Mödling bei Wien aufffe- gangen, gleichzeitig mit der Artillerie- Akademie.
In den Jahren von 1798 bis 1851 befand sich die Akademie im Gebäude der Savoyschen Ritter- Akademie Ob der Laimgrube; gegen- wärtig ist hier in der Stiftgasse das k. u. k. Kriegs- Archiv untergebracht. Sie umfaßte sieben Jahrgänge; außerdem gab es eine besondere Klasse für die Zögflino^e, die nach erfolgreichem Besuch der sieben Klassen zu Ingenieur-Korps-Kadetten befördert waren.
Gegenstände des Unterrichts waren: Mathematik, Deutsch, Latei- nisch, Französisch, Tschechisch, Schön- und Rechtschreiben, Korrespon- denz und Geschäftsakten, Weltgeschichte, Geographie. Dazu kamen als technische Fächer: Freihandzeichnen, Situationszeichnen, geome- trisches und perspektives Zeichnen, Befestigungs- und Bauzeichnen. Zur Ausbildung des Körpers dienten Fechten, Tanzen und Reiten. Außer- dem machten sämtliche Klassen unter dem Kommando der höchsten Klasse militärische Linienübungen, jedoch nur in den Sommermonaten; in den beiden obersten Klassen wurden die militärischen Waffengriffe eingeübt.
Beim Unterricht nahm die reine und angewandte Mathematik die erste SteUe ein. Lehrstoffe waren in der III. Klasse: Arithmetik und Algebra; in der IV. Klasse: einfache Geometrie, Stereometrie, Nivel- lierung und ebene Trigonometrie, Aufnahmen am Meßtisch, sphärische Trigonometrie; in der V. Klasse: Kegelschnitte, Lösung von Gleichungen höheren Grades, Elemente der Differential- und Integralrechnung, mathematische Geographie; in der VI. Klasse: Mechanik der festen und flüssigen Körper; in der VII. Klasse hörte der mathematische Unter- richt auf, an seine Stelle traten: allgemeine Grundsätze der Taktik,
62 Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kapitel VIII
Befestigungslehre, Angriff und Verteidigung befestigter Orte, unter- irdisclie Befestigung und unterirdischer Kampf, bürgerliche Baulehre, Wasser-, Weg- und F'estungsbaulehre.
Über das Lehrverfahren enthält der Administrations-Bericht des Direktors General Bourgeois vom 20. April 1803 Angaben, die von großer Einsicht und freier Auffassung zeugen. „Bei dem wissenschaft- lichen Unterricht hat mau die analytische Lehrart als diejenige, Avelche am meisten den Verstand öffnet und die Begriffe zusammen vei'binden lehrt, angenommen. Man bestrebt sich, dem Schüler einen deutlichen Begriff von den vorgetragenen Gegenständen durch bestimmte Er- klärungen zu geben, und lehret ihn, aus vorausgesetzten Sätzen und Wahrheiten richtige Schlußfolgen zu ziehen. Man sieht darauf, daß er in seinen Schlüssen keine Zwischensätze überspringe, und trachtet eben so sehr, ihm einen geometrischen Geist als die eigentliche Kennt- nis der Mathematik beizubringen, weil derjenige, der geometrisch schließt, auch in der Wissenschaft selbst nicht zurückbleibt. Aus dieser Ur- sache wird wenig oder nichts auswendig gelernt, sondern der Schüler wird angehalten, sich bei seinem Vortrage, so viel es tunlich, anderer Ausdrücke oder Figuren als in dem Lehrbuche zu bedienen, wodurch sich besser erkennen läßt, ob er den Gegenstand in seinem wahren Sinn und Umfang erfaßt habe. Dieser Lehrart wird nicht allein bei den mathe- matischen Wissenschaften, sondern auch bei dem ganzen übrigen Unter- richt gefolgt oder ihr, in so weit es die Gegenstände zulassen, genähert."
General Bourgeois war bis 1811 Direktor der Akademie gewesen, sein Nachfolger wurde Feldmarschall-Leutuant Graf Nobill Da der Lehrkörper im Jahre 1818, als Johann Bolyai auf die Akademie kam, zum großen Teil aus Männern bestand, die unter BOURGEOIS gedient hatten, so ist anzunehmen, daß damals dort noch derselbe vortreffliche Geist geherrscht hat als zur Zeit des Bourgeois.
Lehrer der Mathematik, der militärischen Gegenstände und des Situationszeichnens waren hervorragende Offiziere des Ingenieur-Korps; die Taktik wurde von einem kommandierten Offizier der Linientruppen gelehrt. Für die übrigen Fächer waren „bürgerliche" Lehrer angestellt.
Die Zöglinge trugen Uniformen und wohnten in der Anstalt; die Lehrstunden waren Morgens von TVg bis 11 ^g Uhr, Nachmittags von 2 bis 6 und von 7 bis 8 Uhr. „Um die Geisteskräfte nicht zu sehr zu ermüden, ist bei Einteilung des täglichen Unterrichts gesorgt worden, daß die abstrakten Gegenstände des Morgens gegeben werden und daß sie mit anderen, minder schweren wechseln. Der Nachmittag wird größten Teils zur Zeichnung und Wiederholung des morgigen Unter- rickts verwandt .... Von llYg bis 12, dann von 1 bis 2 und von
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Johann Bolvai auf der Ingenieur-Akademie (^lf<18— 1823) 63
6 bis 7 Uhr Abends sind die Erholungsstunden. Während diesen kann die Jugend alle ihr beliebigen Spiele, jene allein ausgenommen, wo- durch sie sieh beschädigen könnte, nach ihrer Willkür spielen. So oft es die Jahreszeit und die Witterung zulassen, bringt sie diese Zeit in der freien Luft im Garten zu .... Die Disziplin wird genau gehand- gabt; sie hat aber nichts knechtisches, und die Jugend wird über die Not- wendigkeit derselben belehret .... In all dem übrigen, was die Haus- vorschrift nicht befiehlt oder verbietet, und was nicht wider den Anstand oder die Sittlichkeit läuft, kann die Jugend machen, was sie will."
Für die Behandlung der Zöglinge war maßgebend, daß unter den Jünglingen kein anderer Unterschied gemacht werden dürfe, als der, der seinen Grund in besseren Stadienfortschritten und besserem sitt- lichen Betragen habe. Zur Ernennung zu Offizieren wurden dem k. k. Hof-Kriegsrat nur solche Zöglinge empfohlen, die es durch ihren Fleiß und ihr Verhalten verdient hatten, und es ist kaum vorgekommen, daß jemand sich später dieser Ehre als unwürdig erwiesen hätte.
Die Oberleitung der Akademie lag seit 1801 in den Händen des jüngeren Bruders des Kaisers Franz IL, des Erzherzogs Johann, eines hervorragenden Mannes, der seine Stellung keineswegs als Ehrenamt ansah, sondern sich der Akademiker mit väterlichem Herzen annahm; er hat die ihm unterstellten Anstalten, die Ingenieur- Akademie und die Kadetten-Akademie zu Wiener Neustadt, zu hoher Blüte gebracht.
Am 24. August 1818 wurde Johann in die IV. Klasse der Aka- demie aufgenommen. Mit großer Beruhigung nahm W^olfgang hiervon Kenntnis. „Mit Freude habe ich vernommen", schreibt er seinem Sohne, „daß Du bereits im neuen Garten angesetzt bist. Gebe Gott, Du mögest W^urzel fassen, mögest Dich in der Umpflanzung wie die Pflanzen veredeln, mögest hoch wachsen, von dieser niedrigen Erde gen Himmel, und einst von dort mit sanften Schritten und guten Früchten zurückkehren nach dem Lande, aus dem Du emporgewachsen bist."
Bei der Aufnahmeprüfung war Johann der sechste. Man darf vermuten, daß die Entscheidung, ob er nach Wien gehen könne, erst kurz zuvor gefallen war, sodaß er nicht Zeit gehabt hatte, die Lücken wieder auszufüllen, die das wenig glückliche Jahr 1817/lS verursacht hatte. In der folgenden V. Klasse war Johann der zweite. Deutsch konnte er so gut, daß ihm das Lernen in dieser Sprache keine Schwierigkeiten machte. Dagegen fehlte es ihm an Übung im Zeichnen, einem Fache, auf das an der Akademie wegen seiner Wichtigkeit für den künftigen Beruf der Zöglinge großer Wert gelegt wurde. Aber auch hierin machte er bald gute Fortschritte. „Mein Sohn hat mir zwei Faszikel mit Zeich-
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nungen geschickt; sie sind über Erwarten gut; Köpfe, Hände, Füße, ganze Körper, aber nur Konturen; zum Herbst verspricht er auch schraffierte und granierte zu schicken" (Wolfgang an BoDOR, 3. September 1819).
Größere Schwierigkeiten hatte es für Johann, sich an die militä- rische Zucht und Unterordnung zu gewöhnen. Der Vater kannte seinen Sohn sehr gut, als er ihn deshalb mit Nachdruck warnte: „Ich rate Dir nur, gegen andere sanft zu sein, sie zu schätzen, den Vorgesetzten zu gehorchen und diejenige Bescheidenheit, die den Gelehrten ebeuso ziert wie den Jüngling die Schamhaftigkeit, zu pflegen. Lerne die Leidenschaften beherrschen, damit das Licht der Klugheit wie die Sonne über die wolkentürmenden Stürme scheine." Einer der aufsicht- führenden Offiziere, der Pionier-Hauptmann Gideon Haläsz, dem er yom Grafen Kemeny empfohlen war, hat sich seiner angenommen und ihm über die Anfangsnöte hinweggeholfen.
Am Anfang des Jahres 1820 erlitt die stille Arbeit der Akademie eine schwere Störung. Schon zu Weihnachten 1819 war es zwischen der V. Klasse, der Johann damals angehörte, und der VI. Klasse zu er- bittertem Haß gekommen, die Schüler hatten sich aber in Folge des Eingreifens der VH. Klasse wieder versöhnt. Allein der wiederherge- stellte Frieden zeitigte keine günstigen Folgen, denn die jetzt ver- brüderten ehemaligen Gegner vollbrachten einen Gewaltstreich, der zu scharfem Einschreiten nötigte, indem sie am 20. Januar einen Sappeur- Uuteroffizier, der durch barsches Auftreten den GroU der gesamten Zöglinge erregi hatte, tätlich angriffen und mißhandelten. Der Direktor, Graf NoBiLi, der mit vollem Recht in der VH. Klasse die Aufwiegler vermutete, drohte den Zöglingen dieser Klasse, daß er keinen zur Er- langung einer Offiziers-Stelle empfehlen würde. Einer der Zöglinge stellte jetzt an den Inspektions-Hauptmann Haläsz die Forderung, daß der Direktor seine Drohung zurücknehme. Als dies Begehren abgelehnt wurde, verließen am 21. Januar die meisten Zöglinge der oberen Klassen in aufrührerischer Weise das Akademie-Gebäude, wobei es ihnen auch noch gelang, einen im Arrest befindlichen Kameraden gewaltsam zu befreien.
Diese bedauerlichen Vorfälle, die in der Geschichte der Akademie einzig dastehen, machten in Wien peinliches Aufsehen. Erzherzog Jo- hann verfuhr sofort mit der größten Umsicht und Tatkraft. Er wußte durch taktvolles Auftreten und durch die Macht seiner Persönlichkeit die Zöglinge zur Rückkehr in die Anstalt zu bewegen und die erregten Gemüter zu beruhigen; wo strenge Bestrafung nötig war, ließ er sie eintreten. Am 27. April wurde endlich eine Maßregel in Vollzug gesetzt, die längst beschlossen, aber absichtlich verzögert worden war: Graf NoBiLi erhielt den Abschied und wurde durch den Generalmajor Baron
Johann Bolyai auf der Ingenieur-Akademie (1818 — 1823; 65
Herzogenberg ersetzt. Der neue Direktor war ein Mann von eiserner Strenge. Er sorgte dafür, daß die Zöglinge weder bei Tag noch bei Nacht ohne Aufsicht blieben. Die Erlaubnis, Sonntags auszugehen und auswärts zu speisen, wurde eingeschränkt; jüngere Schüler durften nicht ohne Begleitung die Anstalt verlassen. Während der Ferien im Sep- tember 1820 wurde sogar kein Zögling nach Haus beurlaubt.
Johann scheint an dem „Aufruhr" im Januar 1820 nicht beteiligt gewesen zu sein. Hierfür spricht vor allem der Umstand, daß Wolfgang ihn in einem Briefe vom 4. April 1820 bittet, beim Erzherzog Johann zu seinen Gunsten einzutreten, nämlich bei diesem vorstellig zu werden, daß er Wolfgangs Bewerbung um die Stelle eines Forstinspektors in Hermannstadt unterstütze. Zugleich geht aus diesem Briefe hervor, daß sich schon vor dem April 1820 ein Vorfall abgespielt hatte, der für Jo- hann von Bedeutung wurde. Als Erzherzog Johann einmal die Akademie besichtigte, erzählt K. SziLY nach Aufzeichnungen Gregor Bolyais, kam er auch in Johanns Klasse. Johann arbeitete die ihm vom Lehrer ge- stellte Aufgabe schnell aus, ging dann zur nächsten über und fuhr so fort. Der Erzherzog, über das Genie des Jünglings erstaunt, unterbrach ihn und sagte zum Lehrer: »Die übrigen Schüler sollen diesem unter- geordnet werden, er weiß mehr als die ganze Klasse«. Zum Verständnis dieses Ausspruchs muß bemerkt werden, daß damals in der Mathematik eine eigenartige Einrichtung bestand: neben dem Klassenuntenricht gab es einen gegenseitigen Unterricht der Schüler, bei dem die befähigsten Akademiker „Korrepetitoren" waren.
„Kurz darauf" berichtet K. Szily, „kamen Magnaten aus Sieben- bürgen nach Wien zum Erzherzog. Dieser erzählte ihnen, welch' ein ge- nialer Zögling aus ihrer Heimat auf der Akademie sei, und fragte sie, ob sie seinen Vater kannten. Nicht bloß daß sie ihn kannten, sie seien mit ihm sogar gut befreundet. Sie erzählten, auch der Vater sei ein Genie. Der Erzherzog ließ dem Vater sagen, daß er an seinem Sohne große Freude habe und dieser, wenn er sich im übrigen gut betrage, auf eine große Laufbahn rechnen dürfe."
Die beiden folgenden Jahre waren Jahre ruhiger und fruchtbarer Arbeit. Johann war auch in der VI. und VH. Klasse der zweite. „Von meinem Sohne höre ich gute Nachrichten", meldet Wolfgang im März 1821 an Bodor, „er ist auch im Zeichnen gut, jetzt ist er hinein- gekommen; in der Musik ist nur einer etwas besser, und der nimmt bei Meiseler, dem ersten Geiger in Wien, per 5 rhein. Gulden die Stunde Unterricht; mein Sohn ist natürlich nicht in der Lage, Stunden zu nehmen, aber dieser eine, der etwas besser spielt als er, nimmt ihn Sonntags mit zu Meiseler, wo sie mit noch einem vierten die schönsten
P. Stäckel: Wolf gang und Johann Bolyai I 5
66 Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kapitel YIII
Quartette machen; das ist ihm eine gute Übung ohne Kosten. In bezug auf Studium und Talent distinguieren ihn der General und die übrigen Offiziere und Professoren; ich weiß es aus gewissen Daten."
Dieser Brief zeigt, daß Johann vom Vater knapp gehalten wurde. Wolfgang geriet um diese Zeit immer mehr in Schulden und konnte dem Sohn nur mit Mühe ab und zu 10 bis 20 Gulden als Taschengeld schicken; Johann hat wohl schon damals gelernt, mit wenig Haus zu halten, und das war gut für seine Zukunft. Ein schönes Zeichen für die Teilnahme, die er zu erwecken wußte, ist es, daß sein ehemaliger Hauslehrer Josef v. Szilagyi, der selbst arm war, ihm während zweier Jahre 40 Gulden schickte. Auch von anderer Seite erhielt Johann eine willkommene Unterstützung. Am 15. Juli 1821 berichtet Wolfgang an BoDOE: „Lengtel schreibt, daß Graf A. Kendeffy von seinem ungar- ländischen Pachteinkommen für meinen Sohn 250 rhein. Gulden zu ge- währen geruhte . . . Dieses Geld kommt sehr zur rechten Zeit, indem ich gerade vor zwei Stunden einen Brief von Johann erhalten habe, worin er sckreibt, daß alle aus seiner Klasse schon längst reiten, nur er allein nicht, was fatal ist; er hatte nämlich schon im Winter ge- schrieben, daß der General ihn habe rufen lassen, als die Reihe noch gar nicht an ihm war, und ihm gesagt habe, daß er es sehr gerne sähe, wenn Johann in die damalige Kavallerie -Vakanz ginge, seine Eltern möchten doch das kleine Opfer bringen, er schrieb auch damals, wieviel dieses kleine Opfer auf ein Jahr beträgt, es ist nicht einmal ganz so viel, wieviel Graf Kendeffy gewährt hat".
War die Ordnung der Anstalt auch streng, so hat es Johann doch nicht an Verkehr in der guten Gesellschaft gefehlt. Graf Nicolaus Ke- MENY sah ihn, wenn er in Wien war, bei sich, und auch bei anderen Bekannten seines Vaters, die sich als hohe Beamte in Wien aufhielten, wie Emerich Szent-Györgyi und Samuel Bodoki, machte er Besuch. Oft war er auch im Hause des Grafen Alexius Teleki, bei dem ein Lands- mann, von ihm, Karl Szasz, seit 1817 Hauslehrer war. Karl Szasz, ge- boren am 25. Januar 1798 zu Salzburg (Vizakna) bei Hermannstadt, hatte das Kollegium zu Nagyenyed besucht und darauf Jura studiert. Am Ende des Jahres 1820 ist er in die Heimat zurückgekehrt, weil er als Pro- fessor der Rechte nach Nagyenyed berufen wurde. Über Johanns Ver- kehr mit SzÄSZ wird im X. Kapitel genauer berichtet werden. Hier sei nur bemerkt, daß SzÄsz sich seit 1848 in Maros-Väsarhely aufgehalten hat; im Herbst 1851 wurde er der Nachfolger von Wolfgang Bolyai, ist aber noch vor diesem am 23. Oktober 1853 gestorben.
Unter den Lehrern hat dem jungen Bolyai der Hauptmann Johann Wolter v. Eckwehr am nächsten gestanden. Im Jahre 1789 zu König-
Johann Bolyai auf der Ingenieur-Akademie (1818 — 1823) 67
grätz in Böhmen geboren, hatte er die Ingenieur-Akademie besucht und war im Herbst 1818 als Lehrer an diese zurückgekehrt. Er erteilte im besonderen der IV. Klasse den Unterricht in Arithmetik und Geometrie. Von 1823 bis 1835 war Wolter in Arad bei der Geniedirektion be- schäftigt; dort ist Johann von 1826 bis 1830 als Leutnant sein Unter- gebener gewesen. Nachdem er als Festungsingenieur Vorzügliches geleistet hatte, ist Wolter 1857 als Feldmarschall eutnant zu Krakau gestorben.
Unter den älteren Lehrern schätzte Johann den Major Michael Lencker, der, 1778 zu Wien geboren, seit 1804 an der Akademie unterrichtete. Die von Lencker verfaßten Lehrbücher der höheren Geometrie und der mathematischen Geographie lassen erkennen, daß er ein klarer Kopf war. Johann war von Wolfgang auf Lencker hin- gewiesen worden: „Lencker benutze unter aUen Umständen, Du wirst es bereuen, wenn Du es versäumst".
Im September 1822 hatte Johann die VII. Klasse beendet. Von den 19 Zöglingen dieser Klasse wurden 7 zu Ingenieur-Korps-Kadetten befördert und blieben noch ein Jahr auf der Akademie, unter ihnen Johann als der zweite. Bei der Rangeinteilung, die jährlich zweimal in jeder Klasse stattfand, hatten die Zöglinge ein gewichtiges Wort mitzusprechen. Sie stellten in geheimer Abstimmung die Rangliste auf, allerdings mit Vorbehalt der Entscheidung durch die Lehrer und den Direktor; von den Vorgesetzten wurde jedoch der Beschluß der Klasse ernstlich berücksichtigt, denn die Kameraden urteilten fast immer un- parteiisch und sachverständig. Als im September 1822 die Rangordnung der VII. Klasse bestimmt wurde, hatten die Lehrer Johann an die erste Stelle gesetzt. Die Schüler gaben ihm aber nur die zweite. Der Di- rektor schloß sich den Schülern an, weil Johann zwar in der Befesti- gungslehre und der bürgerlichen Baukunst als erster gelten mußte, indessen Josef Czermak von der III. Klasse an beständig den ersten Platz in den übrigen wissenschaftlichen Fächern behauptet hatte. Czer- mak ist schon früh, 1828, als Oberleutnant gestorben. Johanns Zeug- nis ist wahrhaft glänzend; fast überall hat er die beste Note, nur in Geschichte, Französisch und Zeichnen ist das Ergebnis um einen Grad geringer.
Während der ganzen Zeit des Aufenthaltes auf der Akademie hat die väterliche Liebe, Fürsorge und Ängstlichkeit Johann begleitet. Die raschen Fortschritte und die glänzenden Erfolge des Sohnes waren in den schweren Jahren von 1818 bis 1823 der einzige Trost für Wolf- gaag; Johann war „die Kette, die ihn im Gefängnis des Lebens zurück- hielf' (Brief an BoDOR vom 2. April 1817). Zahlreich sind die guten
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68 Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kapitel VIII
Ratschläge, die er dem Sohne gibt. Zum Teil ist darüber schon berichtet worden; es möge genügen, einige bezeichnende Stellen hinzuzufügen. Er solle die Zeit gut ausnützen. „Ich glaube immer mehr, daß ein großer Mathematiker nur der werden kann, der mit vorzüglichem Geiste zu rechter Zeit, mit der rechten Art daran geht, . . . mit unermüdlicher, langer Übung eine Fertigkeit wie in der Sprache sich erwirbt." Als Johann in die VI. Klasse tritt, wiederholt er die Mahnung. „Die Jahre verfließen und hinterlassen nichts demjenigen, der nicht mit dem Fern- röhr der Klugheit in das Gebiet der Zukunft blickt und nur die gegen- ■ wärtigen Blumen pflückt — wehe dem, dem die vergangenen Zeiten bloß durch ihre Verwüstungen gezeigt werden — und glücklich der, der die Jahre zu benutzen weiß und wie der Baum jedes Jahr um eiueu Ring stärker wird." ■
Auch an Ratschlägen wegen der Lebensführung fehlt es nicht; hier ist Wolf gang oft recht breit und umständlich. Am meisten ist er besorgt um die Reinheit des Sohnes. „Fürchte den ersten Schritt, denn am Rande des Abgrunds ist ein grundloser Wirbel, wo es kein Still- stehen mehr gibt — bewahre Dich vor dem Schmutze, der nicht mehr abgewischt werden kann .... Nur der blüht auf an Körper und Seele, nur der reift zum Manne, nur der hat Kraft, WiUen und Beharrlichkeit, nur dessen Genie leuchtet klar und beständig, dessen Urquell in himm- lischer Reinheit verbleibt". Je näher der Austritt aus der Akademie heranrückt, um so häufiger und dringender erhebt sich seine Stimme. „Bewahre Deine Reinheit! Gib immerdar Acht, daß das im Himmel ent- zündete Feuer wie im Tempel der Vesta nicht erlösche — jeder Fun- ken irdischer Freuden, auf den Du verzichtest, wird wie ein glänzender Stern am Himmel Deines späteren Lebens leuchten." Und als ob er voraussähe, daß seine Warnungen vergeblich sein werden: „Ich bin um Dich am meisten wegen der Duelle und wegen der Weiber besorgt". Johann hat der Akademie viel zu verdanken gehabt. Vor allem Jahre eines regelmäßigen, ruhigen Lebens, in denen sich seine besten Fähigkeiten entwickeln konnten. Dann Ordnung und Pünktlichkeit, Tugenden, die seinem Vater fremd waren. Endlich eine gründliche ma- thematische Ausbildung, die ihm das Rüstzeug lieferte, dessen er für seine Untersuchungen über die Grundlagen der Geometrie bedurfte; mehr wäre hier weniger gewesen, es hätte ihn von der Aufgabe abgelenkt, zu deren Lösung er berufen war. Eins freilich hat auch eine so vortreffliche Anstalt, wie die Ingenieur -Akademie nicht vermocht, nämlich aus dem Mathematiker einen Offizier zu macheu, der ganz in den Pflichten seines Berufes aufging. Das hätte aber auch niemand vermocht; denn wer ge- bietet dem „tyrannischen Gedanken", der das Genie peinigt und beseligt ?
IX. Kapitel
Johann BOLYAI im Militärdienst (1823—1833)
Nur etwa zehn Jahre hat Johann Bolyai der österreichischen Armee als Ingenieuroffizier angehört. Daß seine glänzend begonnene militä- rische Laufbahn ein so rasches Ende genommen bat, lag in einer wahr- haft tragischen Verkettung von Umständen.
Am 1. September 1823 wurde Johann zum Unterleutnant bei der Fortifikationsdirektion in Temesvär ernannt; daß er auf diese Art wieder in die Nähe seiner Heimat kam, war gewiß ein Zeichen des Wohlwollens seiner Vorgesetzten. Am 17. September reiste er von Wien ab und traf am 30. September in seiner Garnison ein. Schon am 3. November schreibt er von hier aus seinem Vater, sein Vorsatz stehe fest, ein Werk über die Parallelen herauszugeben; er habe aus nichts eine neue Welt ge- schaffen. Über die Entdeckung der absoluten Geometrie durch Johann Bolyai wird in den beiden nächsten Kapiteln ausführlich berichtet werden. Es ist jedoch unumgänglich, schon in aller Kürze hier auf diese Seite seiner Tätigkeit einzugehen, die seinen Lebensgang wesentlich beeinflußt hat.
Die Muße, die ihm der Dienst ließ, hat Johann auch weiterhin dazu benutzt, um sich seinen geometrischen Untersuchungen zu widmen, und als er im Frühjahr 1825 seinen Vater in Maros-Väsarhely besuchte, konnte er ihm „den Entwurf der absoluten Raumlehre" vorlegen; es ist sehr wahrscheinlich, daß dieser Entwurf im wesentlichen mit den ersten 33 Paragraphen des 1831 gedruckten Appendix scientiam spatii absolute veram exhibens übereinstimmte. Im Laufe des Jahres 1825, spätestens Anfang 1826, hat Johann diesen Entwurf auch an seinen früheren Lehrer, den damaligen Hauptmann Wolter v. Eckwehr, damals in Arad, geschickt, mit dem er in Briefwechsel stand.
Über einen Besuch seines Sohnes berichtet Wolfgang am 22. Februar 1825 an BoDOR: „Mein Sohn ... ein großer, kräftiger, schöner Jüngling, die soldatische Tapferkeit mit der Schamhaftigkeit der Unschuld über- haucht — er ist kein Kartenspieler, trinkt weder Wein noch Branntwein noch Kaffee, raucht nicht und schnupft nicht, er rasiert sich auch noch nicht, hat nur einen Flaum — ein außerordentlicher Mathematiker, ein wahres Genie, exzellenter Violinspieler — liebt unter allen Berufen am meisten den militärischen; nur das Otium würde er noch vorziehen, um
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arbeiten zu können, hat aber auch neben dem Dienst schon sehr viel gearbeitet. Er läßt Dich grüßen."
Während dieses Zusammenseins im Februar und März 1825 ist es zu den ersten Zerwürfnissen zwischen Vater und Sohn gekommen. Johann fand für sein neues geometrisches System bei Wolfgang nicht die Anerkennung und das Verständnis, worauf er gerechnet hatte. Dazu kamen Familienangelegenheiten. Wolfgang hatte sich am 31. Dezember 1824 zum zAveiten Male verheiratet. Theresia Xagt, seine zweite Gattin, geboren den 11. Februar 1797, war die Tochter eines Eisenhändlers in Maros-Vasärhely. Sie hatte in Hermannstadt eine gute Erziehung ge- nosssen; auch sang sie schön und spielte die Harfe. Am 13. Mai 1826 hat sie Wolfgang einen Sohn Gregor geschenkt; ein später geborenes Töchterchen ist bald gestorben. Leider fing Theresia bald an zu kränkeln und ist schon am 2. April 1833 der Lungentuberkulose erlegen.
Wie es scheint, verlangte Johann bei seinem Besuch die Auszahlung des kleinen mütterlichen Erbteils. Wolfgang geriet hierdurch in große Verlegenheit, denn die Last seiner Schulden hatte sich durch seine Heirat noch vermehrt. Während Wolfgang in Geldangelegenheiten stets ein Kind geblieben ist, war Johann ein guter Rechner.
Diesmal kam es noch zu einer schnellen Versöhnung. „Mein Vulkan- Bohn ist sanfter geworden'', schreibt Wolfgang am 24. April an Bodor, „schon zweimal hat er aus Temesvär geschrieben".
Über Johann als Unterleutnant haben wir auch einen Bericht von anderer Seite. Der Vater des um die BoLYAi-Forschung verdienten Baumeisters Franz Schmidt in Pest, Anton Schmidt, war 1817—1860 Baumeister in Temesvär und hatte öfters Militärbauten herzustellen. Er erzählte in späteren Jahren von einem Genieoffizier, einem Sieben- bürger, mit dem er sich gefürchtet habe in Berührung zu kommen. Dieser habe, um die Stärke seines Armes und die Güte seiner Damaszener Klinge zu beweisen, seinen Besuchern gezeigt, wie er mit Einem Hiebe starke Nägel abschlug, die in den Türpfosten eingeschlagen waren. Das war Johann Bolyai.
Die Damaszener Klinge diente aber nicht nur dazu, Nägel abzuhauen. Johanns Heftigkeit und Leidenschaftlichkeit verwickelten ihn oft in Ehrenhändel, aus denen er, der auf der Akademie als bester Fechter ge- golten hatte, stets siegreich hervorging. Er soU in einer Garnison sich an einem Tage mit dreizehn Kavallerieoffizieren geschlagen und alle be- siegt haben; dabei hatte er nur die Bedingung gestellt, daß er sich nach je zwei Duellen durch das Spiel auf seiner geliebten Violine erholen dürfe.
Am 26. März 1826 wurde Johann nach Arad versetzt, wo er länger als vier Jahre, bis zum 2. September 1830, gestanden hat. Er traf hier
Johann Bolyai im Militärdienst (1823—1833) 71
mit Johann Wolter v. Eckwehr zusammen, der als Hauptmann sein immittelbarer Vorgesetzter wurde. Mit seineu dienstlichen Leistungen seheint man damals zufrieden gewesen zu sein, denn er wurde bereits am 8. September 1827 zum Oberleutnant befördert.
Wie die militärischen Akten zeigen, ist Johann, der sich bis dahin einer guten Gesundheit erfreut hatte, seit 182G wiederholt krank ge- wesen; vielleicht hat er sich schon in Arad oder auf Kommandos nach Groß wardein und Szegedin das Wechselfieber zugezogen, von dem er in einem Briefe aus dem Jahre 1841 spricht.
Seit dem Besuche im Februar und März 1825 bis zu seinem Aus- scheiden aus dem Heere im Juni 1833 ist Johann nicht wieder in Maros- Väsärhely gewesen. Am 2. September 1830 wurde er nach Lemberg versetzt. Ehe er Ungarn verließ, hat er jedoch seinen Vater noch ein- mal gesehen, und zwar war es ein „zufälliges Zusammentreffen"; wo es stattgefunden hat, wissen wir nicht. Es ist die Veranlassung geworden, daß Johann „das Wesen der Sache [seiner geometrischen Untersuchun- gen] in lateinischer Sprache verfaßte und Anfang 1831 seinem Vater übergab.'^ Diese lateinische Abhandlung ist der schon erwähnte Appen- dix scientiam spatii absolute veram exhihens, der dem ersten, 1832 er- schienenen Bande des Tentamen als Anhang beigegeben ist. Es wurden jedoch auch Sonderabzüge hergestellt, die im Juni 1831 fertig waren; für die Druckkosten hat Johann 104 Gulden 54 Kreuzer bezahlt.
Einer der Sonderabzüge wurde alsbald, am 20. Juni 1831, an Gauss gesandt. Bei der erwähnten Zusammenkunft waren nämlich Wolfgang und Johann wieder in Streit geraten, weil der Vater die Verdienste des Sohnes, nach dessen Meinung, nicht zu würdigen wußte. „Zur Einsicht gelangt", schreibt Johann, „daß hier mit Gründen nichts auszurichten sei, hoffte ich ihm nunmehr durch Autorität die gebührende Achtung für die Asymptoten einzuflößen. Ich nannte den einen (Gauss) be- merkend, daß dieser kolossale Geometer gewiß nicht nur leicht ver- stehen, sondern auch Beifall schenken und den wahren Wert davon anerkennen würde, und schlug vor, es diesem großen Manne zu senden. Darauf ereiferte sich der Herr Vater noch mehr; der Vorschlag gefiel ihm um so mehr, als er wähnte, durch die Autorität [von Gauss] gegen mich die quasi Waffe zu gewinnen."
Immer wenn die beiden Bolyai es mit Gauss zu tun hatten, waltete ein besonderer Unstern. Jener Sonderabdruck gelangte „wegen der fatalen Choleraumstände" nicht in dessen Hände. Ein zweiter Abdruck, den Wolfgang im Januar 1832 folgen ließ, wurde im Februar durch Josef V. Zeyk, einem Sohn des Barons Daniel v. Zeyk, der mit Gauss und Wolfgang in Göttingen studiert hatte, dem großen Geometer übergeben.
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Dieser schrieb am 14. Februar 1832 unter dem ersten Eindruck an seinen Schüler und Freund Gerling in Marburg:
„Noch bemerke ich, daß ich dieser Tage eine kleine Schrift aus Ungarn über die Nicht-Euklidische Geometrie erhalten habe, worin ich alle meine eigenen Ideen und Hesultate wiederfinde, mit großer Eleganz entwickelt, obwohl in einer für jemand, dem die Sache fremd ist, wegen der Konzentrierung etwas schwer zu folgenden Form. Der Verfasser ist ein sehr junger österreichscher Offizier, Sohn eines Jugendfreundes von mir, mit dem ich 1798 mich oft über die Sache unterhalten hatte, wiewohl damals meine Ideen noch viel weiter von der Ausbildung und Reife entfernt waren, die sie durch das eigene Nachdenken dieses jungen Mannes erhalten haben. Ich halte diesen jungen Geometer v. Bolyai für ein Genie erster Größe."
Gauss ließ in einem Briefe an Wolfgang vom 6. März 1832, über den im XI. Kapitel ausführlich berichtet werden wird, Johann seiner besonderen Hochachtung versichern. Eine Abschrift des Briefes schickte Wolfgang seinem Sohne nach Lemberg und fügte hinzu: „GAUSSens Antwort hinsichtlich Deines Werkes ist sehr schön und gereicht un- serem Vaterlande und unserer Nation zur Ehre. Ein guter Freund sagt, es wäre eine große Satisfaktion."
Ganz anders wirkte das Verhalten von Gauss auf Johann. Daß Gauss den Appendix keiner öffentlichen Anerkennung würdigte und die Priorität der Entdeckung für sich in Anspruch nahm, bildete für Johann eine Enttäuschung, die er niemals verwinden konnte. Dazu kam, daß auch sonst die Teilnahme ausblieb, deren sein feuriger Geist bedurfte; denn seine der Zeit vorauseilenden Gedanken blieben unverstanden, und auch die Veröffentlichung im Tentamen hatte keinen sichtbaren Erfolg.
Bedenkt man noch, daß Johanns Gesundheit seit 1826 erschüttert war, so ist es erklärlich, daß in ihm jetzt traurige Veränderungen vor- gingen. „Die Anerkennung, die ihm die Welt versagte," äußert sich Schlesinger, „ersetzt er durch eine fast krankhafte Selbstverherrlichung, als deren Folge sein bis dahin zwar leidenschaftliches, aber nach den Berichten solcher, die ihn persönlich gekannt haben, überaus liebens- würdiges Wesen, in ein reizbares und mißtrauisches umschlägt. Stolz und verschlossen meidet er die Gesellschaft der Kameraden, seine per- sönliche Tapferkeit artet in Händelsucht, seine ungeschminkte Wahr- heitsliebe in oft verletzende Schroffheit aus."
Am 14. März 1832 war Johann zum Hauptmann zweiter Klasse ernannt worden. Bald darauf wurde er nach Olmütz versetzt, wo er den Dienst am 5. Mai antrat. Von Olmütz aus richtete er am S.August 1832
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Johann Bolyai im Militärdienst (1823—1833) 73
eine Bittschrift an Erzherzog Johann, der die ersten 33 Paragraphen des Appendix in deutscher Fassung und ein Auszug aus GAUSSens Briefe vom 6. März 1832 beigelegt waren. Er wünsche sehnlichst, die in dienstfreien Stunden angestellten Untersuchungen aus dem Gebiete der Mathematik vollends auszuarbeiten. Dies sei jedoch nur bei ungeteilter Verwendung der Geisteskräfte möglich, besonders da er bei seinem durch anhaltende nervöse Übel geschwächten Zustande das Schlimmste für seine Gesundheit besorgen müsse. Er bitte daher, ihn auf drei Jahre aus dem eigentlichen laufenden Dienste zu entfernen, nach Hermannstadt in die heimatliche Luft zu versetzen und zugleich einen bei seinem Vater in Maros-Väsärhely zu verbringenden Urlaub von drei Monaten zu genehmigen.
Das Gesuch wurde abgelehnt. Damals sind wohl in Johanns Kon- duitenliste die Vermerke eingetragen worden: „Wurde im Jahre 1832 wegen eines Schriftchens vom Hofrat Ritter von Gauss, einem der größten Mathematiker, anerkannt. . . . Als Professor der höheren Mathematik ge- eignet.'' Was diese amtlichen Berichte weiter enthalten, zeigt, daß Johann sich zu dieser Zeit in einem bedauernswerten Zustand befand: „Wort- karg, reizbar, jähzornig, meidet den Umgang mit Offizieren, im Ingenieur- dienst ohne Eifer, leidenschaftlicher Schachspieler." „Wurde wegen Mangel an Diensteifer und wegen auffahrenden Benehmens im Jahre 1833 vörwarnt."
Die letzte Bemerkung steht wohl in Beziehung zu einem Zusam- menstoß Johanns mit preußischen Grenzwächtern. Auf der Rückkehr von einer Reise nach dem preußischen Schlesien hatte er in Schwarz- bach an der Weichsel übernachtet. Bei der Abfahrt am nächsten Morgen, dem 7. Juli 1832, kam es zu Streitigkeiten mit den Zollbeamten, weil Johann sich weigerte , einen an seinem Wagen angebrachten Kasten zu Öffnen. In Olmütz angekommen reichte er bei der vorgesetzten Be- hörde eine Beschwerde gegen die Grenzwächter ein, wurde jedoch durch die Fortifikations-Lokaldirektion veranlaßt, diese zurückzuziehen. ARein jetzt verklagte ihn der preußische Grenzkommissar Bischoff bei seinen Vorgesetzten. Johann wurde zur Äußerung aufgefordert und hat sich in einer noch erhaltenen, 7 Folioseiten langen Denkschrift vom 14. No- vember 1832 gegen die Anklage verwahrt; seine Darlegungen lassen erkennen, in wie hohem Grade er damals überreizt war. Die ärgerliche Angelegenheit kam nun zur Kenntnis der obersten Behörde in Wien, und die Folge war, daß Johann am 28. Mai 1833 durch Reskript des Armeeoberkommandos als halbinvalid vom 16. Juni ab in den Ruhe- stand versetzt wurde. Der Zusatz „mit Aussicht auf spätere Wieder- anstellung" zeigt, daß man ihn nur ungern gehen ließ; man wünschte,
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„daß er sich beruhige", und hoffte, seine Dienste später wieder in An- spruch zu nehmen; hierzu ist es freilich nicht gekommen.
Am 15. Juni 1833 ist Johann von Olmütz nach Maros-Vasärhely abgereist. Bei der Hermannstädter Kriegskasse waren ihm als jährliche Pension 280 Gulden angewiesen worden; später, jedoch erst nach 1849, ist dieses Ruhegehalt auf 400 Gulden, vom Jahre 1858 an auf 420 Gulden erhöht worden.
Johann war des Militärdienstes überdrüssig. Er fühlte sich berufen, eine „Reformation der Mathematik", ja, wie sein Gesuch an den Erz- herzog Johann bereits durchblicken läßt, eine Reformation des ganzen Menschengeschlechts herbeizuführen, und war fest entschlossen, alle Kräfte an die Erreichung dieser großen Ziele zu setzen. Gewiß war sein Streben edel und rein, allein er ging neuen Enttäuschungen und Mißerfolgen entgegen.
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X. Kapitel Die Entdeckung der absoluten Geometrie durch Johann BOLYAI
Erster Teil: Versuche das XI. Euklidische Axiom zu beweisen
(1820 — 1823) In Johann Bolyais Nachlaß finden sich umfangi'eiche Aufzeich- nungen, in denen er über die Entstehung seiner absoluten Geometrie berichtet. Ein Teil davon stammt aus der Zeit zwischen 1833 und 1835, ein anderer aus der Zeit zwischen 1851 und 1858. Da es sich nicht um druckfertige Ausarbeitungen, sondern um unvollendete Ent- würfe mit zahlreichen Lücken, Wiederholungen, Streichungen, Ein- schaltungen im Texte und auf einzelnen Zetteln handelt, so mußte auf einen vollständigen Abdruck verzichtet werden. Wohl aber ließ sich aus dem vorliegenden Stoff, in Verbindung mit einigen noch erhaltenen Briefen von Wolfgang an Johann und von Johann an Wolfgang, eine Geschichte der Entdeckung der absoluten Geometrie durch Johann BoLTAi zusammenzustellen, bei der im wesentlichen dieser selbst und sein Vater das Wort führen. Wie wichtig eine solche urkundliche Darstellung ist, liegt auf der Hand; ihr Wert ist um so größer, als es wohl nur wenige Fälle gibt, in denen der Entdecker einer grundlegen- den mathematischen Lehre selbst über deren Entstehung in so ein- gehender und zuverlässiger Weise berichtet hat, wie es hier der Fall ist. Die erste Anregung zur Beschäftigung mit der Parallelentheorie erhielt Johann durch seinen Vater, der ihn selbst in der Mathematik imterrichtete und ihn „auf die Unvollkommenheit der Theorie der Parallelen, der Geraden und anderer Grundlehren aufmerksam machte." In einem Briefe vom 4. April 1820, auf den noch wiederholt zurück- zukommen sein wird, hat Wolfgang seinem Sohne auf dessen Wunsch mitgeteilt, was er ihn über die Parallelen gelehrt hatte. „Hier hast du das wertlose Axiom, das ich für Kinder erdacht hatte; daraus kommt es leicht per se heraus. Da es nur aus Wenigem besteht, so sehreibe ich es auf Deinen Wunsch ab. Es ist: eadem internorum summa aliter partita. Ich schreibe es aus meinem Werke ab." In der Tat findet sich das Axiom und der Beweis, daß daraus das XI. Axiom folgt, im Tentamen und ist im zweiten Teile dieses Buches, S. 98, 99 wiedergegeben. Dagegen hat Wolfgang seine sonstigen im Tentamen dargelegten Ge-
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danken über einen möglichen Beweis des XL Axioms, wie Johann aus- drücklich versichert, vor ihm geheim gehalten und ihm auch später nur Bruchstücke davon mitgeteilt. Es ist nicht schwer zu erkennen, worauf Wolfgangs zwiespältiges Verhalten beruhte. Er wünschte durch- aus nicht, daß sein Sohn sich mit der Parallelentheorie beschäftigte, die ihm selbst „sein Leben verdorben hatte", konnte aber doch dem Drange nicht widerstehen, vor ihm darüber zu reden. Sein frühreifer Sohn hat ihn verstanden und die Worte treu im Herzen bewahrt. „Einst äußerte er, derjenige, der einen Beweis für das elfte Axiom fände, verdiente einen Diamanten so groß wie der Erdball. Ein anderes Mal: Dem dieses einst gelingen wird, setzt, Sterbliche, ihm ein ewiges Denkmal."
. Und so kam, was kommen mußte. Als Johann im Herbst 1818 Zögling der Ingenieur-Akademie in W^ien wurde, hatte er schon „durch die eigene Yortrefflichkeit und hohe W^ichtigkeit der Aufgabe gereizt" den Entschluß gefaßt, „es sei wie es will, hierin das Möglichste zu tun", und die ParaUelentheorie wurde bald zu seiner „Lieblingsbe- schäftigung".
„Zu einem möglichen Beweise des elften Axioms schlug ich zu- erst den Weg ein, zu beweisen, daß die mit einer Geraden gleich- laufende, das ist davon in einer Ebene überaU gleich weit abstehende Linie auch eine Gerade sei, und behufs dessen die Eigenschaften einer solchen Linie für den GegenfaU zu untersuchen"; wir wissen jetzt, daß schon Saccheri (1733) und Lambert (1766) denselben Weg betreten und auf ihm ein beträchtliches Stück zurückgelegt hatten. Im Be- sonderen suchte Johann zu zeigen, daß „eine regelmäßige Polygonal- linie, welche in aUen Brechungspunkten von einer Geraden gleir-h absteht", diese notwendig schneiden müsse, und traf so mit seinem Vater zusammen, der, wie wir gesehen haben, in seiner „Göttiugischen ParaUelentheorie" ebenfalls eine solche regelmäßige PolygonaUinie be- trachtet hatte.
Als Johann im Frühjahr 1820 dem Vater von seinem Versuche, das XI. Axiom zu beweisen, Mitteilung machte, war dieser aufs äußerste erschrocken und ermahnte den Sohn mit beweglichen W^orten, davon abzulassen.
„Du darfst die Parallelen auf jenem Wege nicht versuchen; ich kenne diesen Weg bis an sein Ende — auch ich habe diese bodenlose Nacht durchmessen, jedes Licht, jede Freude meines Lebens sind in ihr ausgelöscht worden — ich beschwöre Dich bei Gott! laß die Lehre von den Parallelen in Frieden — Du soUst davor denselben Abscheu haben, wie vor einem liederlichen Umgang, sie kann Dich um all' Deine Muße, um die Gesundheit, um Deine Ruhe und um Dein ganzes
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Johanns Versuche, das XI. Axiom zu beweisen (1820 — 1823) 77
Lebensglück bringen. — Diese grundlose Finsternis würde vielleicht tausend NEWTONsche Riesentürme verschlingen, es wird nie auf Erden hell werden, und das armselige Menschengeschlecht wird nie etwas vollkommen Reines haben, selbst die Geometrie nicht; es ist in meiner Seele eine tiefe und ewige Wunde; behüt' Dich Gott, daß diese sich [bei Dir] je so tief hineinnagen möchte. Diese raubt einem die Lust zur Geometrie, zum irdischen Leben; ich hatte mir vorgenommen, mich für die Wahrheit aufzuopfern; ich wäre bereit gewesen zum Märtyrer zu werden, damit ich nur die Geometrie von diesem Makel gereinigt dem menschlichen Geschlecht übergeben könnte. Schauderhafte, rie- sige Arbeiten habe ich vollbracht, habe bei weitem Besseres geleistet als bisher [geleistet wurde], aber keine vollkommene Befriedigung habe ich je gefunden; hier aber gilt es: si pauUuni a sumnio discessit, vergit ad imum. — Ich bin zurückgekehrt, als ich durchschaut habe, daß man den Boden dieser Nacht von der Erde aus nicht erreichen kann, ohne Trost, mich selbst und das ganze menschliche Geschlecht bedauernd. Lerne an meinem Beispiel; indem ich die Parallelen kennen wollte, blieb ich unwissend, diese haben mir all' die Blumen meines Lebens und meiner Zeit weggenommen. Hier steckt sogar die Wurzel aller meiner späteren Fehler, und es hat darauf aus den häuslichen Gewölken geregnet. — Wenn ich die Parallelen hätte entdecken können, so wäre ich ein Engel geworden, wenn es auch niemand gewußt hätte, daß ich sie gefunden habe."
„Glaube mir! und lerne jetzt, schreite vorwärts, merke Dir an, was Du nicht verstehst, wo Du Mängel findest und gehe dann weiter. . . . Ich werde Dir meine Versuche schicken: und dann wirst Du Dich noch jetzt näher davon überzeugen können, was ich euch mit Herrn Vajda ge- lehrt habe, welches ich für Kinder am leichtesten gefunden habe; wenn ich Zeit habe, werde ich es vielleicht jetzt abschreiben. Ich kann es Wort für Wort aus meinem Werke abschreiben; wenn das Axiom besteht, so kommt das Übrige per se heraus, dieses und auch die anderen. Aber keines von meinen Axiomen ist, in keiner meiner Demonstrationen, so wie es sein sollte. — Es ist unbegreiflich, daß diese unabwendbare Dunkelheit, diese ewige Sonnenfinsternis, dieser Makel in der Geometrie zugelassen wurde, diese ewige Wolke an der jungfräulichen Wahrheit."
„Versuche es nicht. Du wirst es nie zeigen, daß je mit den un- aufhörlichen Einbiegungen desselben Maßes die untere Gerade ge- schnitten werde, es steckt in dieser materia ein ewig in sich zurück- drehender circulus — ein Labyrinth, das einen immer hineinlockt — wer sich hineinbegibt, verarmt, wie ein Schatzgräber, und bleibt unwissend. Solltest Du auf was immer für ein absurdum geraten, alles ist umsonst.
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Du kannst es nicht als ein Axiom hinstellen; nehmen wir an: es könnte ein Dreieck und ein Polygon von beliebiger SeitensaJd konstruiert werden, wenn die Parallelentheorie nicht wahr ist, sodaß die Summe aller ihrer Winkel kleiner als omne dabile sei, und tausend derartige. Die recta wäre die einzige [Linie], die alle au ihr gezeichneten Senkrechten schneiden würde, es gäbe keine recta mehr, die alle diese schneiden Avürde, es wäre möglich, in den kleinsten Winkel den größten konvexen angulum mit seinen beiden unendlichen Schenkeln hineinzulegen."
„Könnte man für eine beliebige, was immer kleine summa duorum internorum zeigen, daß zwei rectae von den Endpunkten einer beliebig langen recta sich schneiden, nachher kann ich das übrige cu7n rigore [beweisen]; doch kann dergleichen nicht als Axiom angenommen wer- den. Jede Demonstration besteht aus vielen [Einzelheiten], manche
sind auch einzeln genommen lang; einmal werde ich [Dil-] alle mitteilen."
„Es gibt unter meinen Axiomen auch solche, die Dir im ersten Augenblick als richtig vorkommen würden, die es aber nicht sind, sie bilden keine durchaus einfache und hinreichend klare Grundlage für eine Wis- senschaft wie die Geometrie. Mit der Größe kommt man hier nicht weit, weil hier totuni est aequale parti. Exempli gratia u = u'
und kongruiert damit, wenn ich es darauf- lege; so wie es hier [gezeichnet] ist, bleibt der Zwischenraum 2 übrig. — Darum kann ich auch dieses demonstrieren: falls die Parallelen- theorie nicht wahr wäre, so nehme x bis zu 0 ab, ÄC (erstreckt in der Richtung nach C in infinitum) drehe sich um den Punkt A, bis sie
AB erreicht; und wenn- gleich x' fortwährend dem X gleich sei, so kann der ^. . ^ Punkt B für eine iede Stel-
lung von AC so weit ab- stehen, daß, während AC die AB erreicht, BD (erstreckt nach D in infinitum) nirgends AC schneidet; und so gilt hier: summa internorum fit omni dabili minor, decrescit ad 0. — Während AC nach AB an- kommt, so hat zwischen ihren Schenkeln das planum infinitum, dessen tj-ten Teil ausgenommen, Raum, und n ist eine Zahl, die omni dabili größer ist; wenn man was immer für eine kleine, aber bestimmte recta angeben könnte, sodaß die Geraden von ihren beiden Enden sich schnei- den würden, wenn nur die summa internorum um ein beliebig Kleines
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J
Johanns Versuche, das XL Axiom zu beweisen (1820 — 1823)
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kleiner als zwei Rechte sei, so hätte man gewonnenen Prozeß. Das alles ist noch nicht genug, und daß Du ja nicht versuchest, dies zu ergänzen, zu Ende zu führen, weiter zu gehen. Die Säulen des Herku- les stehen in diesen Gegenden, gehe nicht um einen einzigen Schritt weiter, sonst bist Du verloren."
Diese „sehr nachdrückliche und kräftige Mahnung, die vielleicht geeignet schiene, selbst dem Kühnsten den Mut für immer zu benehmen" hatte bei Johann keinen Erfolg, „indem dadurch", wie er schreibt, „weit entfernt davon abgeschreckt zu werden, mein Interesse dafür nur um so lebhafter wurde, und meine Begierde und Energie, nach Mög- lichkeit um jeden Preis durchzudringen, auf das heftigste wuchs." Die Betrachtung jener Polygonallinie gab er freilich auf, dafür gelangte er aber noch im Jahre 1820 auf den Weg, der ihn schließlich zum Auf- bau der absoluten Geometrie und zur Überzeugung von der Unbeweis- barkeit des XL Axioms geführt hat.
,Der Weg, den ich dabei einschlug".
schreibt Johann, „verdient
wohl um so mehr eine nähere Anzeige, als der Gegenstand nicht für wichtig genug angesehen werden kann und überdies daraus erhellet, daß dieses der einzige Zugang zu der zu bezwingenden Festung sei. Ich sah ein, daß vom geradlinigen Dreieck noch viel weniger als hin- sichtlich des elften Axioms irgend etwas mehr sich ergebe als Summe zweier Winkel < 2i2, ^ Seite ^ Winkel zugleich, Summe zweier Seiten > dritte, bemerkte aber dabei, daß bei einer unendlichen Verlängerung einer Seite, während eine andere Seite nebst dem von diesen beiden Seiten eingeschlossenen W inkel beständicp blei- ben, das Dreieck einer konkreten räumlichen Grenz- form zu strebe, worin denn doch wenigstens einmal mehrere nähere Relationen zwischen den vorhandenen 6 Stücken erkennbar sind. Denn es war gewiß, daß bam + abn nicht > 2jR sei; der dritte Winkel ist verschwunden, und ich ahnte sogleich, daß, wenn man (bei ac '-^ oo) um c mit ca durch a Kreislinien gehen läßt, der wahre Durchschnittspunkt dieser mit bn einen konkreten Grenzpunkt ö auf bn habe und daß (oberflächlich gesprochen) bö der Unterschied der beiden unendlichen Geraden am, bn oder streng ausgedrückt, die Grenze des Unterschiedes der beiden unendlich werdenden Seiten bc^ ac sei. Auch erkannte ich sogleich, daß, wenn der Strahl [ca] > — oo, die Kreislinie eine räumliche Grenzlinie habe oder, wenn man das Wort in etwas weiterer Bedeutung nimmt, das Dasein einer Kreislinie eines unendlichen Strahls, welche
Fig. 6
80 Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kapitel X
gleichsam einen ähnliclien Bezug zu den Kreislinien von endlichen Strahlen und den mit einer geraden Linie gleichlaufenden Linien hat, wie die Parabel zu den Ellipsen und Hyperbeln. Und dies war aller- dings schon Ehvas, ging mir auch nimmer verloren: ich fühlte lebhaft, daß ich auf dem richtigen Wege sei.'^
Für die Entstehung dieser wichtigen und fruchtbaren Gedanken ist der schon erwähnte freundschaftliche Verkehr Johanns mit Karl SzASZ von erheblicher Bedeutung gewesen. Bei ihren Gesprächen über die Parallelentheorie, die „während der Sonn- und Feier-, überhaupt Ausgehtage" stattfanden, hatte Szasz einmal „die sehr sinnreiche, echt geometrische und einer richtigen Entwicklung und DarsteUungsweise der . vom XI. Axiom unabhängigen Raumlehre zur Grundlage dienende Idee, daß, wenn die Gerade von einem Punkte b (Fig. 6, S. 79) durch einen Punkt c einer anderen Geraden am in der durch die beiden bestimmten Ebene um jenen Punkt b herumgedreht wird, dieselbe eine Zeit lang die andere Gerade am schneidend einmal, nach dem Ausdruck von Szasz, abspringe, in welcher Lage er sie [bn] die nächste Parallele oder Nicht- schneidende nannte". Johann nannte diese Gerade später asymptotische Parallele oder kurz Asymptote.
Ein anderes Mal stellte Szasz die Frage, „ob daraus, daß hn (Fig. 6, S. 79) die Asymptote von am ist, nicht folge, daß am = bn sei", was Johann „ihm allerdings sofort verneinte". „Denn wenn ab auf am senkrecht steht, und man immer auf ch von c aus cq = ca abträgt, so wird der Punkt q, indem bc um b in die Lage bn ge- dreht wird, schließlich in einen Punkt ö übergehen, der, sobald abn kein rechter Winkel ist, von b verschieden ausfällt."
Weiter berichtet Johann, daß die beiden Freunde „den engen Zu- sammenhang der Beschaffenheit dieser Kreislinie von unendlichem Halb- messer mit der Frage nach der Wahrheit des XL Axioms instinktiv ahnten und nicht daran zweifelten, daß sich das XI. Axiom wohl streng rechtfertigen ließe, sobald es anginge, die Geradheit der Kreislinie von unendlichem Radius darzutun", und daß sie sich „eine gi-oße Fertigkeit darin erwarben, die Unzulänglichkeit der diesfalls nicht genügenden Sätze zu erkennen." „Aber hierbei", so schließt Johann, „blieben wir auch vollends stehen."
Als Karl Szasz Ende 1820 oder Anfang 1821 Wien verließ, gaben sich Johann und er „das kindische und eigentlich sinnlose Versprechen, daß, wenn in Zukunft nach der Trennung einer von ihnen in der Sache, deren Untersuchung sie zusammen angefangen hatten, zum Ziele komme, sie das Verdienst teilen wollten." „Dies bezog sich", fügt Johann hinzu, „aber nur auf den Beweis des XL Axioms, denn nur danach strebten
Johanns Versuche, das XL Axiom zu beweisen (1820—1823) 81
wir und eine davon unabhängige Geometrie ist uns nicht im Traume eingefallen."
Wie schon berichtet wurde, hat sich SzÄsz vom Jahre 1848 bis zu seinem Tode am 23. Oktober 1853 in Maros-Väsarhely aufgehalten; vorher hatte er eine Reise nach Deutschland gemacht und ist dabei auch in Göttingen bei Gauss gewesen. Zu dieser Zeit hat er es versucht, auf Grund jenes Versprechens einen Anteil an den Entdeckungen von Johann an sich zu reißen. Hiervon handelt ein Brief Johanns an seinen Vater vom 20. Jannuar 1855.
„Karl SzASZ, warum hat er sich der Herausgabe des Deutschen [kurzen Grundrisses vom Jahre 1851] widersetzt? Vielleicht wegen der Parallele zwischen Lobatschefskij und Appendix? Aber ich sehe mich herausgefordert durch seine Behauptung: »Dies haben wir zu zweit schon lange herausgebracht«, auch nach seinem Tode das zu wieder- holen, was ich schon bei seinen Lebzeiten längst ausgesprochen habe: denn ich habe von ihm nichts gelernt; es ist zwar richtig, daß wir sprachen (eigentlich so, daß ich es zuerst gesagt habe), daß, wenn das XI. Axiom nicht wahr ist, so ist die Kreisgrenze oder, wenn es beliebt, der circulus rad. oo eine krumme gleichförmige Linie in piano, oder daß, wenn man deren Geradheit nachweisen könnte, das XL Axiom bewiesen wäre. Aber all' dies haben wir nicht weiter diskutiert oder miteinander in die Details genommen und bewiesen und sind darüber auch nicht weiter hinausgegangen. Das geht auch daraus hervor, daß, nachdem ich dann alles für mich ausgearbeitet hatte, ich (wie ich damals sogleich schrieb ), als er mit Prof. Tompa und einem Enyeder Studenten mich in Arad besuchte, ihm als durchaus neue Sachen mit großem Eifer und Enthusias- mus, eine ähnliche Aufnahme erwartend, die Residtate mitteilte, er jedoch vollständig unfähig war, deren Wert und Wirkung einzusehen; er be- kräftigte nur immer: das ist ja keine Formel, ja fürwahr keine Formel, als offenbares Zeichen dafür, daß wir alles dieses nicht zusammen gemacht haben. Ferner, als ich nacli dem Erscheinen des Appendix durch Enyed durchkam [Juni — Juli 1833, auf der Reise von Olmütz nach Maros-Väsärhely] und in Gegenwart von Dr. Varadi und Vajda (der also ein noch heute lebender Zeuge ist) SzÄsz fragte, als die Rede auf den Appendix kam, ob er ihn denn gelesen hätte'?, da antwortete er: Jawohl. Ich fragte: Ganz? Er antwortete: Jawohl, ganz; aber daß er auch nur den allerkleinsten Anteil daran gehabt hätte, davon war altissimum silentium, und dort wäre doch guter Platz gewesen, sein nunmehr niederträchtio- und hinterrücks gestohlenes Anteilsrecht zu erwähnen. Und wenn er während seines hiesigen Aufenthaltes sich zu mir erniedrigt hätte, so wäre ich bereit gewesen, ihm vollständige
P. Stäckel: Wolfgang und Johann Bolyai I 6
32 Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kapitel X
Aufklärung und Genugtuung zu geben, und ich weiß, daß der Weg der Gerechtigkeit dahin geht, offen zu verhandeln und beide Teile zu hören, nicht aber (ungehört) hinterrücks ein Autorrecht zu usurpieren. Als ob man darum, daß ich, setzen wir voraus, etwa mit G[auss] ein oder zweimal oder meinetwegen hundertmal gesprochen habe, behaupten könnte, wir haben die Disqu. Ärifhni. zusammen geschrieben. Und er hat auch bei G[auss] vergebens so etwas geplaudert, weil ein gescheiter Mensch derlei nicht glaubt . . ."
Kehren wir jedoch zum Jahre 1820 zurück. Als Johann dem Vater von seinen neuen Untersuchungen berichtete, verhielt sich Wolf- gang durchaus ablehnend. „Was die Kreislinie vom unendlichen Radius betrifft, die verwarf er gänzlich, indem er sagte, daß Euklid das Gesicht davon abwenden würde, und mir glauben machen wollte, daß jene einem Gauss und überhaupt jedem ganz gewiß anstößig vorkäme und ent- behrlich sei."
Wolfgang glaubte jetzt, seinen Sohn abermals vor den Gefahren der Parallelentheorie warnen zu müssen. „Ich gestehe, ich erwarte auch von dem Abspringen Deiner Geraden nichts. Es kommt mir vor, ich habe auch diese Gegenden betreten; ich bin bei allen Klippen dieses höllischen Toten Meeres vorbeigefahren und von überall kehrte ich mit zerschmettertem Mastbaum und zerfetzten Segeln zurück, und von da an datiere ich die Verderbnis meines Humors und meinen Fall. Unbesonnen setzte ich mein Leben und mein Glück hierauf — aut Caesar aut nihil. Wahrscheinlich hätte Newton selbst sein ganzes schätzbares Leben hiermit verschwendet. Ich betrachte dies als ein großes Unglück. Ich bedaure Dich. Ich sehe, mein unglückliches Leben wiederholt sich in Dir. Ich sehe Dich gleichsam zwischen gefahr- vollen Klippen, wo noch ein Jeder Schiffbruch erlitt, im finstern Sturm hin und her geschleudert. Es ist ein unheimliches Schlachtfeld, worauf ich jeder Zeit geschlagen wurde; efne allem Streben des Forschergeistes | trotzende, uneinnehmbare Felsenburg. In dieser Materie ist das ganze Leben nur eine brennende, ins Meer getauchte Fackel. Es ist eine wahre Krankheit, eine Art von Narrheit, eine tyrannische Idee. Es ist gleich wie des Zirkels Quadratur, das Suchen des Steins des Weisen, das Gold- machen, das Schatzgraben. Der Schatzgräber zerlumpt; je tiefer sein eigenes Grab wird, das er grub, um so mehr hofft er; es fehlt auch jederzeit nur mehr wenig, gleichwie bei einer unendlichen Reihe. AUes dieses — wie ich merke, auch die Parallelen bei besseren Köpfen — ist Krankheit. Bald zur Einsicht gelangend, daß Du hierin nichts getan habest, dürftest Du gleich mir für immer Deine Lust verlieren. Lerne an meinem Beispiel hierin und in Betreff anderer Dinge. Hättest Du
Johanns Versuche, das XI. Axiom zu beweisen (1820 — 1823) 83
es wirklicli herausgebraclit, so würde ich mich freilich mehr darüber freuen, als über eine Herrschaft. Da ich dieses aber schlechterdings nicht glaube, so fürchte ich, Du verlierst Dein Alles auf eine Lotterie von einer Million gesetzt."
Johanns Bericht über seine Untersuchungen im Jahre 1820 wird bestätigt durch eine aus dieser Zeit stammende Aufzeichnung, das älteste Zeugnis von Johanns Beschäftigung mit der absoluten Geometrie. Er war im Herbst in die VI. Klasse gekommen, in der die Mechanik durch- genommen wurde. In einem Heft, das Lösungen von Aufgaben aus der elementaren Mechanik enthält, finden sich nun vier Figuren, mit der Überschrift: Ä Farallelarum theoria; A ist wohl der magyarische Artikel. Die Figuren 1, 2, 4 der an der Spitze dieses Buches befindlichen Nach- bildung beziehen sich auf den Kreis von unendlichem Radius, die Figur 3 zeigt Dreiecke, bei denen die eine Seite Asymptote der beiden anderen ist.
Über die weiteren Fortschritte, die Johann während seines Aufent- halts auf der Ingenieiir-Akademie gemacht hat, lassen sich aus den vor- handenen Aufzeichnungen nur Einzelheiten entnehmen. Jedenfalls waren seine Bemühungen dahin gerichtet, das XL Axiom zu beweisen; als Mittel dazu sollten ihm ins Besondere die Beziehungen dienen, die bei Annahme der Unrichtigkeit dieses Axioms zwischen den 6 Stücken einen ebenen, geradlinigen Dreiecks bestehen. Jedoch ist er damals noch nicht durchgedrungen und hat nur gewisse vorbereitende Sätze auf- stellen können. Je weiter Johann bei seinen Untersuchungen gelangte, um so weniger Anerkennung fand er bei seinem Vater, der dem Ge- dankenflug des genialen Sohnes nicht zu folgen vermochte, aber ihm doch an Erfahrung übei-legen zu sein glaubte. Er sehe zwar aus einigen Sachen, schrieb Wolfgang damals dem Sohne, daß dieser tief eingedrungen sei und vielleicht gar auf den Grund seiner eigenen Tiefen, jedoch habe Johann erstens diesen Grund selbst noch nicht ganz erreicht und zweitens sei es vergebliche Mühe, wenn er es auch soweit bringen könne, weil es doch nicht ausreiche. „Setzte auch hinzu, daß ich die Parallelen, so wie wir es wünschten, nie finden werde. Auch als ich ihm ferner gar manche schöne und behufs Ergrüudung des Wesens des XL Axioms höchst wichtige und unerläßliche Dinge, wie zum Beispiel den § 23 des Appendix, ohne Beweise eröffnete, fuhr er um so mehr in gleichem Tone fort, fing er an, mich ganz und gar nicht zu verstehen, ja sogar Zweifel in meine Worte zu setzen. Ich aber, ohne daß er mir irgend einen seiner Beweise mitgeteilt hätte, erklärte ihm, daß ich Kraft des von mir eingeschlagenen Weges im Staude sei, mittels eines beliebigen seiner Axiome das XL Axiom dar- zutun. Er aber, statt den Wert davon zu erkennen und weit entfernt,
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84 Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kapitel X
davon die Lösung des Knotens zu erwarten, erwiderte vielmehr, er halte bis jetzt noch seine Beweise für die vorzüglichsten, und fuhr fort, meine Mitteilungen mit Geringschätzung zu behandeln und selbe kaum oberflächlich anzusehen."
Die Beschwerden Johanns gegen den Vater füllen noch mehrere Seiten. Immer heftiger werden seine Angriffe, immer mehr schwillt sein Zorn an. Plötzlich bricht er ab mit den Worten: „Höre auf, sei gut!". Seien wir auch gut, indem wir diese Ausbrüche wilder Leidenschaft der Vergessenheit übergeben.
Wie schon hervorgehoben wurde, waren in der Zeit von 1820 bis 1823 die Bemühungen Johanns darauf gerichtet, das XL Axiom zu beweisen. Einmal hat er auch geglaubt, das ersehnte Ziel erreicht zu haben. Getreu seinem Versprechen bat er den Vater, den vermeintlichen Beweis an SzÄsz zu senden. Wolf gang tat das, fügte jedoch die Be- merkung hinzu, daß sich darin ein Fehler befinde, „denn mit so vielen Geometern des Erdballs", schreibt Johann, „hatte ich das Schicksal, aus Übereilung eine Lücke zu übersehen und somit zu fallen .... Ungeachtet aber auch dieser Beweis in Betreff des damaligen Zieles verunglückt ist, so ist mir dadurch und überhaupt bei keinen noch so unübersteiglich scheinenden Hindernissen nicht im geringsten der Mut gesunken. Am meisten niederschlagend hätten wohl allerdings die diesfälligen Äuße- rungen meines Vaters sein können, der sehr wolil und unter seinen Vorgängern am besten bekannt war mit den Schwierigkeiten des Gegen- standes und im Besitz von selbstgeschaffenen, weit durchdringenden, besseren Lehren .... Mich auch mit Senecas: Suspice viros, etsi deci- derint, magna conantes, das heißt, berücksichtige Männer hohen Strebens auch in ihrem Falle, tröstend und neuen Mut schöpfend und mit um so mehr wachsender Begierde begann ich den Angriff von neuem, und so gelang es denn in der Tat nach einigen mit abwechselnden Wen- dungen fortgeführten Kämpfen und nach manchen teilweisen und wider- wärtigen Siegen und Terrain- Okkupierungen endlich, im Jahre 1823;i gänzlich durchzubrechen, dieses auf jede Weise uneinnehmbare Felsen- schloß zu erstürmen und vollends einzunehmen und somit eine neue,] bis dahin selbst dem Begriff nach noch nicht einmal geahnte Wissen- j Schaft, und zwar Raumlehre, zu begründen."
XL Kapitel Die Entdeckniig der absoluten Geometrie durch Johann BOLYAI
Z^weiter Teil: Unbeweisbarkeit des XI. Axioms; der Appendix
(1823 — 1832) „Das Wesentlichste meiner Arbeit über die Raumlehre", erzählt Johann Bolyai, „habe ich schon Ende des Jahres 1823 besessen, da ich im Winter, gerade um Mitternacht, durch das Wesen des § 29 des Appendix durchgedrungen bin, obwohl auf einem anderen Wege, der aber auch seine eigentümliche Schönheit hat". In diesem Paragraphen wird die Beziehung hergeleitet, die zwischen dem Lote ?/, das von einem Punkte auf eine Gerade gefällt ist, und dem Winkel u besteht, den die durch den Punkt gehende Asymptote zu der Geraden mit dem Lote bildet, eine Beziehung, die den Zugang zur absoluten Trigonometrie eröffnet und es ermöglicht, der euklidischen Geometrie das durch- geführte System einer vom XL Axiom unabhängigen Geometrie an die Seite zu stellen.
Erfüllt von Freude über den nach langer, harter Arbeit errungenen Erfolg schreibt Johann am 3. November 1823 aus Temesvär an Wolfgang:
„Lieber, guter Vater! Ich habe über meine neuen Entdeckungen so übennäßig viel zu schreiben, daß ich mir gerade jetzt nicht anders zu helfen weiß, als daß ich mich auf nichts einlasse und bloß einen Quartbogen schreibe". Es folgen Mitteilungen, die hier nicht in Betracht kommen, aber am Ende des Briefes kommt Johann auf die Hauptsache zurück. „Mein Vorsatz steht schon fest, daß ich, sobald ich es geordnet, abgeschlossen habe und eine Gelegenheit kommt, ein Werk über die Parallelen herausgeben werde; in diesem Augenblick ist es [noch] nicht herausgefunden, aber der Weg, den ich gegangen bin, verspricht fast gewiß die Erreichung des Zieles, wenn diese überhaupt möglich ist; ich habe es noch nicht, aber ich habe so erhabene Dinge herausgebracht, daß ich selbst erstaunt war und es ewig schade wäre, wenn sie verloren gingen; wenn Sie, mein teurer Vater, es sehen werden, so werden Sie es erkennen; jetzt kann ich nichts weiter sagen, nur so viel: daß ich aus Nichts eine neue, andere Welt geschaffen habe. AUes, was ich bisher geschickt habe, ist ein Kartenhaus im Vergleich zu einem Turme. Ich
36 Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kapitel XI
bin überzeugt, daß es mir nicht minder zur Ehre gereichen wird, als ob ich es entdeckt hätte."
Johanns damaligen Standpunkt hat Schlesinger treffend mit den Worten geschildert: „Er hatte aus der Annahme, daß das Parallelen- axiom nicht besteht, die Konsequenzen gezogen, diese bilden jene neue, andere Welt, von der er spricht, und er sucht nun in jenen Konse- quenzen einen Widerspruch, zweifelt aber selbst schon daran, daß sich ein solcher herausstellen würde". „Wann Johann den entscheidenden Schritt vollzogen", fügt Schlesinger hinzu, ,,d. h. wann er zu der Überzeugung gekommen ist, daß das geometrische System, welches vom Parallelenaxiom unabhängig ist, in sich keinen Widerspruch enthält, läßt sich mit Sicherheit nicht feststellen, nur so viel ist sicher, daß dies vor dem Frühjahr 1825 geschehen ist,"
Ehe wir jedoch auf diese entscheidende Wendung in Johanns Untersuchungen eingehen, muß darüber berichtet werden, wie sich Wolfgang zu der Entdeckung seines Sohnes stellte. Er äußerte zu- nächst den Wunsch, daß die Parallelen theorie seines Sohnes in sein Tentamen aufgenommen werde, an dem er schon seit 20 Jahren arbeitete und dessen Herausgabe er damals bald zu bewerkstelligen hoffte. „Er erteilte mir den Rat, daß, wenn es wirklich gelungen ist, sich mit der öffentlichen Bekanntmachung aus einem zweifachen Grunde zu beeilen sei, erstens weil die Ideen leicht in einen anderen übergehen, der es sodann herausgibt, zweitens aber liegt auch darin einige Wahrheit, daß manche Dinge gleichsam eine Epoche haben, wo sie dann an mehreren Orten aufgefunden werden, gleichwie im Frühjahr die Teilchen mehr- wärts ans Licht hervorkommen, und da alles wissenschaftliche Streben nur ein großer Krieg ist, worauf ich nicht weiß, wann der Frieden folgen wird, so muß man, wenn man es vermag siegen, indem hier dem ersten der Vorrang zukommt."
Wolfgangs Ahnung war richtig. Gauss hat bereits vor 1819 die nichteuklidische Trigonometrie besessen; wir werden auf seine Gedanken über die Grundlagen der Geometrie bald zurückkommen. Ferner ließ Taurinus 1826 seine Geometriae prima elementa drucken, die beweisen, daß er die nichteuklidische Trigonometrie kannte und zu handhaben verstand. Endlich ist Lobatschefskij wohl schon im Jahre 1826 im Besitze dieser Trigonometrie gewesen und hat 1829 in seiner Abhand- lung Über die Anfangsgründe der Geometrie sein System ausführlich entwickelt. Zu einer Vergleichung der Untersuchungen des russischen Forschers mit denen Johanns wird sich im XVI. Kapitel Gelegenheit finden, in dem kritische Bemerkungen Johanns über Lobatschefskijs Geometrische Untersuchungen (1840) wiedergegeben werden.
Erste Ausarbeitung der Raumlehre (1825) 87
In seiner Antwort auf den Brief vom 3. November 1823 konnte Wolfgang sich freilich nicht enthalten, den Sohn zur Vorsicht zu er- mahnen. Er erinnerte ihn daran, wie es Kästner ergangen sei. Dieser erzählt in den Anfangsgründen der Arithmetih und Geometrie, die Wolfgang besaß und wohl schon in Göttingen kennen gelernt hatte, er habe lange Zeit geglaubt, die Schwierigkeit, die sich bei der Lehre von den Paral- lelen finde, sei durch Hausens Elementa matheseos [1734] völlig gehoben, bis ihm der vormalige Prediger bei der französischen Gemeinde in Leipzig CoSTE diese Zufriedenheit benahm, indem er ihm anzeigte, daß Hausen einen Fehler gemacht habe. Endlich ließ Wolfgang es auch jetzt nicht an der Mahnung fehlen, sein einziger Sohn möge nicht wie er selbst ein vergebliches Opfer der Parallelen werden.
Als Johann im Februar 1825 seinen Vater in Maros-Vasärhely besuchte, brachte er eine Ausarbeitung der absoluten Baumlehre mit, die er diesem unterbreitete. Da er bei Wolfgang nicht Verständnis und Anerkennung fand, kam es zwischen Vater und Sohn zu einem Ver- würfnis, das, durch andere Streitigkeiten verschärft, den beiden, die sich im Grunde eng zusammengehörig fühlten, viele Jahre des Lebens verbittert hat. „Er suchte den Wert auf alle erdenkliche Weise zu schmälern und deklamierte mit aller Ereiferung, deren er fähig war, dagegen, wovon ich die Ursche in dem Unvermögen suchte, das Wesen der Sache zu penetrieren. So sagte er zum Beispiel nach meinen Expli- kationen mit Geringschätzung, die aber auf ihn zurückfiel, daß dieses nur die Ausarbeitung des antieuklid'schen Systems sei. Gesetzt auch, es wäre nur das gewesen, so wäre es ihm nicht als eine Geringfügig- keit vorgekommen, wenn sein Verstand es heller auf- gefaßt, sein Gemüt freier gewesen wäre. Auch be- hauptete er ganz verzweifelt, daß es nur zwei Systeme (denkbar siihjective successive) gebe, nämlich entweder das Euklidische oder, wenn dieses nicht ist, ein an- deres, worin die Größe des Parallelwinkels absolut bestimmt sei, und ließ sich diese Idee nicht aus dem Kopfe jagen und konnte es ungeachtet meiner auf das möglichst deutliche dargestellten Beweisgründe nicht einsehen, daß es doch unzählig viele hypothe- tische Systeme geben könne, zwischen welchen man das wahre auszuwählen nicht im Stande ist, indem man zum Beispiel bei ein und derselben Grundlinie " j,. .
ab [Fig. 7] und demselben inneren Winkel bam, bei bn III am [bn asymptotisch zu am] dem anderen inneren Winkel abn offenbar von Null an (ausschließlich) bis 2R — bam (einschließlich)
88 Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kapitel XI
jede beliebige Größe geben kann, wie es umständlicher in der [Raum-] Lehre selbst erklärt wird."
„Daß der Buchstabe e in den Ausdrücken häufig erscheint, über- raschte ihn, und er fragte nach der Durchlesung, ob derselbe notwendig vorkomme. Ich bejahte es, gab ihm aber auch zu verstehen, daß in
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derlei Ausdrücken wie zum Beispiel e' der Buchstabe e insofern nicht wesentlich ist, als man dafür auch jede andere Länge setzen kann, wenn man nur statt i auch die entsprechende Länge wählt, und darauf fiel seine Freude über das Paradieren des e als eine Spielerei, und versetzte darauf: Ja, ja! Es dringt sich in dieser Lehre e nicht notwendig auf. Demnach hatte er von der hohen Wichtigkeit der darin durch i be- zeichneten Länge keine entfernte Idee, hielt es nur für eine Willkür- lichkeit."
Schlesinger hat „das Wesen der Sache", das Wolfgang nicht zu erfassen vermochte und das in der Tat eine Einsicht darstellt, die erst am Ende des neunzehnten Jahrhunderts volle Würdigung ge- funden hat, folgendermaßen dargestellt.
„Die Geometrie ist eine aprioristische Wissenschaft, deren Aufgabe darin besteht, eine bestimmte Klasse von Erscheinungen der Raumwelt, wie sie sich uns durch die Anschauung darbieten, zu beschreiben. Das System der Geometrie, welches aus ganz abstrakten Begriffen aufzubauen ist, hat also als einzigen Prüfstein für seine Richtigkeit die Überein- stimmung seiner Ergebnisse mit der Anschauung. Diese Anschauung kann sich aber nur auf endliche Gebiete erstrecken, sie gibt also in Beziehung auf die im Euklidschen Po.stulate berührte Frage nur die Antwort, daß, sofern die beiden Geraden auf der dritten, sie schneiden- den gemessen, einen endlichen Abstand zeigen, sie stets auf der Seite zusammentreffen, wo die Summe der beiden inneren Winkel kleiner als zwei Rechte ist, soweit wir das durch die Anschauung zu prüfen ver- mögen, d. h. solange diese Winkelsumme einen gewissen Wert nicht überschreitet. Welches dieser Wert ist, läßt sich durch die Anschauung — also praMisch, wie Johann sagt — nicht entscheiden, nur eine untere Grenze kann für diesen Wert und damit für den Wert des BoLYAischen i angegeben werden. Fügen wir gleich hinzu, daß auch noch die Mög- lichkeit, daß die beiden Geraden auch auf der anderen Seite der schnei- denden Geraden zusammentreffen, offen bleibt, was auf die von Bolyai verworfene Annahme I. [Annahme eines endlichen Raumes], die einem imaginären Werte von i entspricht, hinauskommt."
„Das System der absoluten Geometrie enthält also eine willkürliche Konstante i; wählt man dieselbe im BoLYAischen Sinne positiv und
I
Das System der absoluten Geometrie 89
hinreichend groß im Verhältnis zu den der Anschauung zugänglichen Entfernungen oder im Sinne der erst später von Rikmann ausgebildeten Annahme I. imaginär und dem absoluten Betrage nach hinreichend groß, so erhält man ein geometrisches System, welches mit der Anschauung in voller Übereinstimmung ist. Daß man auch heute noch vielfach nur dasjenige System für anschaulich hält, welches einem unendlich großen Werte von i entspricht — das Euklidsche — , ist nur eine Folge der Gewohnheit und Erziehung . . . ."
„Die Frage, ob das Euklidsche Postulat wahr ist oder falsch, ist demnach im Sinne Bolyais eine völlig müßige, es ist weder wahr noch falsch, sondern zum Aufbau der Geometrie einfach überflüssio;. Das Euklidsche System, Z wie Bolyai es nennt, ist zur Beschreibung der Erscheinungen der Raumwelt ebenso geeignet wie irgend ein System S, wo i einen endlichen, wenn nur hinreichend großen Wert besitzt; das System 2J hat sich historisch wohl darum zuerst entwickelt, weil es in gewisser Hinsicht das einfachste ist. Dagegen aber ist das System S der absoluten Geometrie viel abwechselungsreicher und mannigfaltiger als das Euklidsche System 2J, es verhält sich zu diesem wie die Theorie der elliptischen Funktionen zu der der trigonometrischen, wie die Ellipse zum Kreis."
Wenn es auch, wie wir im IX. Kapitel sahen, nach dem Streit, den Wolfgang und Johann im Frühjahr 1825 wegen der Raumlehre gehabt hatten, bald zu einer Versöhnung gekommen war, so hielt der Frieden doch nicht lange an, denn die Gründe bestanden fort, die zu jenem Zwiespalt geführt hatten. Wolfgang hatte immer wieder Zweifel und Bedenken; es war gewiß gut gemeint, daß er mit den Ermahnungen nicht aufhörte, Johann solle seine Jugendkraft nicht an die Parallelen- theorie verschwenden, sondern sich anderen mathematischen Unter- suchungen zuwenden, bei denen er Großes leisten könne, allein Johann mußte die Sendung erfüllen, zu der er berufen war, und gehorchte der inneren Stimme.
Es möge genügen, aus den Briefen Wolfgangs an Johann, die den Jahren 1825 bis 1829 angehören, nur noch ein sehr bezeichnen- des Stück mitzuteilen:
„Wäre es mir damals' geglückt [die Parallelentheorie in Ordnung zu bringen], so wäre ich ein ganz anderer Mensch geworden, weder hätte ich zum zweiten Male geheiratet noch mich auf die Gärtnerei, auf die Dichtkunst noch auf die Hafnerei verlegt, meine verlorene Lust anderswo suchend; ich wäre moralisch besser geworden und wäre meinem Amte und meinem Haushalt anders vorgestanden. Ist man glücklich, so macht man andere leichter glücklich; was soll aus einer Quelle heraus-
90 Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kapitel XI
fließen, die selbst trocken ist? Verliere keine Stunde damit. Keinen Lohn bringt es, und es vergiftet das ganze Leben. Selbst durch das Jahrhunderte dauernde Kopfzerbrechen von hundert großen Geometern ist es schlechterdings unmöglich, ohne ein neues Axiom [das elfte] zu erweisen. Ich glaube doch alle erdenklichen Ideen diesfalls erschöpft zu haben. Hätte Gauss auch fernerhin seine Zeit mit Grübeleien über dem XL Axiom zugebracht, so wären seine Lehren von den Vielecken, seine Theoria motus corporiim coelestium und alle seine sonstigen Arbeiten nicht zum Vorschein gekommen, und er ganz zurückgeblieben. Ich kann es schriftlich nachweisen [durch den Brief vom 25. November 1804], daß er seinen Kopf über die Parallelen zerbrach. Er äußerte mündlich und schriftlich, daß er fruchtlos darüber nachgedacht habe. Meine Ideen gefielen ihm überhaupt gar sehr und Er machte mich darauf aufmerksam, welch' hochwichtige Sache die Materie der Parallelen sei, obschon er davon [von der Göttingischen ParaUelentheorie] doch keineswegs be- friedigt war. In den Elementen der Arithmetik und Geometrie war Gauss (übrigens viele Turm-Etagen über mir erhaben) damals weniger fest als ich durch mich selbst, aber ihm waren die höheren Rech- nungen bereits eine Spielerei, wo ich noch nicht einmal eine Idee davon hatte.''
Es ist bemerkenswert, daß Wolfgang hier den Beweis des XL Axioms als unmöglich bezeichnet; Johann hat uns überliefert, was er sich darunter gedacht hat. „Sein Beweis wider die Möglichkeit ist der, daß aUes dem XL Axiom Widersprechende sich im Unendlichen verbergen könne und daß, wo man zuerst von dem Gesetz des Schnittes (nämlich gerader Linien in einer Ebene) zu sprechen beginnt, dieses Gesetz beliebig angenommen durch das Vorvergangene nicht zerstört werden könne, da darin von dem Gesetze des Schnittes noch nichts enthalten ist, also daraus auch des Schnittes Gesetz nicht abgeleitet werden kann. Die Un- wahrheit des XL Axioms und was daraus folgt, vertrage sich mit allen sonstigen Sätzen der Geometrie. Wie nichtig und kraftlos dieses Rä- sonnement sei, bedarf wohl nicht erst eines Beweises. Mit gleichem Rechte ließe sich auch behaupten, es könne gar kein neuer Gegenstand zu klarer Erkenntnis kommen. Der wirkliche Beweis der Unmöglich- keit steckt wohl weit tiefer."
Johann verweist hier auf S. 490 des ersten Bandes des Tentamen (S. 97 des zweiten Teiles dieses Werkes). Über seinen eigenen Versuch, die Unmöglichkeit des Beweises des XL Axioms darzutuu, wird später berichtet werden.
Die Anerkennung, die ihm der Vater versagte, suchte Johann schließlich von andern zu erhalten. Schon im Jahre 1826 hatte er
Der Appendix wird au Gauss gesendet (1831) 91
seinem ehemaligen Lehrer Johann Wolter v. Eckwehr „einen schrift- lichen Aufsatz zugesandt, worin bereits der Grund zum Ganzen ge- legt wird und der sich wahrscheinlich noch in hochdessen Händen befindet"; alle Bemühungen, diesen Aufsatz wiederzufinden, sind leider vergeblich gewesen. Wie wir im IX. Kapitel gesehen haben, hat er später die Entscheidung von Gauss angerufen.
„Hochgeschätzter Gauss! Verzeihe, daß ich Dich in Deiner Riesen- bahn störe; halte eine kleine Pause und schenk' eine Minute der Freund- schaft", mit diesen Worten, denen man nachfühlt, daß sie dem Schreiber schwer geworden sind, hat Wolfgang Bolyai am 20. Juni 1831 nach fünfzehnjähriger Pause den Briefwechsel mit dem Jugendfreunde wieder eröffnet. Nachdem er kurz von seinen eigenen Schicksalen erzählt und über seinen Sohn Johann berichtet hat, fährt er fort: „Auf seine Bitte schicke ich dieses sein Werkchen zu Dir: habe die Güte, es mit Deinem scharfen, durchdringenden Auge zu beurteilen und Dein hohes Urteil ohne Schonung in Deiner Antwort, auf die ich sehnsuchtsvoll warte, zu schreiben." Auf dem Innern des Umschlages finden sich einige kurze Bemerkungen über den Inhalt des Appendix. „Dem Gauss gab ich eine kleine, klare Idee von Deiner Arbeit", schreibt Wolfgang am 17. Sep- tember 1831 an Johann, „damit er nicht im voraus sich grause vor der Materie; aber es fiel mir nicht einmal ein, daß er das Werkchen nicht mit dem Brief zugleich erhalte. Im Spätherbst werde ich mein Werk so- wohl Dir als dem Gauss schicken."
Der Brief Wolfgangs an Gauss war diesem durch Josef v. Zeyk zugestellt worden, das Werkchen aber nicht in seine Hände gelangt. „Dieses Werkeheu", schreibt Wolfgang am 16. Januar 1832 an Gauss, „hatte ich zu gleicher Zeit mit dem ersten Briefe abgeschickt und wußte lange nicht, wo es in den fatalen Cholera -Umständen hinge- kommen sei. Nun schicke ich es durch Post unter Recepisse zum H. Josef von Zeyk, mit der Bitte, daß er einen Weg ausfindig mache, mein Werk, sobald es herauskommt, Dir kostenfrei einzuhändigen. . . . Mein Sohn schreibt aus Lemberg, daß er nachdem manches vereinfacht und eleganter gemacht und die Unmöglichkeit, a priori zu bestimmen, ob das Axiom XI wahr sei oder nicht, bewiesen habe. Verzeihe mir dieser Ungelegenheit wegen — mein Sohn hält mehr von Deinem Ur- teile als von ganz Europa — und harret allein darauf. — Ich bitte Dich innigst, mich bald von Deinem Urteil zu berichten, welchem ge- mäß ich ihm nach Lemberg schreiben soU."
Wie die zweite Sendung von Gauss aufgenoiümen wurde, darüber haben wir einen Bericht des Übergebers, Josef v. Zeyk, der im März 1832 seinen Eltern folgendes schrieb:
92 Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kapitel XI
„Ich ersuche Sie, dem Wolfgang Bolyai zu sagen, daß, als ich im Lese verein von Gauss Abschied nahm und ihn fragte, ob er nicht etwas sagen ließe, er mir erwidert hat, daß er ihm vor nicht langer Zeit auf seinen Brief eine Antwort geschickt. Darauf haben wir uns ver- abschiedet. Er hat al3er nachher plötzlich seine Zeitung bei Seite gelegt, mich wieder aufgesucht und mich gefragt, ob ich seinen (d. h. des Wolfgang Bolyai Sohn) persönlich kenne. Als ich mit «Ja>> ant- wortete, sagte er: Der ist ein sehr ausgezeichneter Kopf, ja sehr ausgezeichnet; dann übergab er mir auch eine von seinen Arbeiten, welche ich dem Bolyai nach meiner Heimkehr übergeben werde. Ich weiß nicht, ob ich schon geschrieben habe, daß er, als ich ihm die Arbeit von Johann zuerst übergab und er den Titel las, lächelnd ein leises Hm, hm\ hören ließ, als ob er sagen wollte: magna petis, Phaeton. Aber wie ich aus seiner jetzigen Ausdrucks weise ersehe, hat er sie doch richtig gefunden."
Die Antwort, die Gauss am 6. März 1832 seinem „alten, unver- geßlichen Freund" zugehen ließ, ist für Johanns ganzes weiteres Leben so wichtig geworden, daß die auf diesen bezüglichen Stellen hier aus- führlich mitgeteilt werden müssen.
Nachdem Gauss den Empfang der beiden, ihm durch Herrn v. Zeyk zugestellten Briefe bestätigt hat, berichtet er über seine häuslichen Verhältnisse und fährt dann fort:
„Jetzt Einiges über die Arbeit Deines Sohnes. Wenn ich damit an- fange, daß ich solche nicht loben darf, so wirst Du wohl einen Augenblick stutzen: aber ich kann nicht anders; sie loben hieße mich selbst loben : denn der ganze Inhalt der Schrift, der Weg, den Dein Sohn eingeschlagen hat, und die Resultate, zu denen er geführt ist, kommen fast durchgehends mit meinen, zum Teile schon seit 30 — 35 Jahren angestellten Meditationen überein. In der Tat bin ich dadurch auf das Äußerste überrascht.''
„Mein Vorsatz war, von meiner eigenen Arbeit, von der übrigens bis jetzt wenig zu Papier gebracht war, bei meinen Lebzeiten gar nichts bekannt werden zu lassen. Die meisten Menschen haben gar nicht den rechten Sinn für das, worauf es dabei ankommt, und ich habe nur wenige Menschen gefunden, die das, was ich ihnen mitteilte^ mit besonderem Interesse aufnahmen. Um das zu können, muß man erst recht lebendig gefühlt haben, was eigentlich fehlt, und darüber sind die meisten Menschen ganz unklar. Dagegen war es meine Absicht, mit der Zeit alles so zu Papier zu bringen, daß es wenigstens mit mir der- einst nicht unterginge."
GAussens Brief vom 6. März 1832 93
„Sehr bin ich also überrascht, daß mir diese Bemühung nun erspart werden kann, und höchst erfreulich ist es mir, daß gerade der Sohn meines alten Freundes es ist, der mir auf eine so merkwürdige Art zuvorgekommen ist.''
„Sehr prägnant und abkürzend finde ich die Bezeichnungen: doch glaube ich, daß es gut sein wird, für manche Hauptbegriffe nicht bloß Zeichen oder Buchstaben, sondern bestimmte Namen festzusetzen, und ich habe bereits vor langer Zeit an Einige solcher Xamen gedacht. So lange man die Sache nur in unmittelbarer Anschauung durchdenkt, braucht man keine Namen oder Zeichen, die werden erst notier, wenn man sich mit andern verständigen will."
.,So könnte z. B. die Fläche, die Dein Sohn F nennt, eine Para- sphäre, die Linie L ein Paracykel genannt werden: es ist im Grunde Kugelfläche oder Kreislinie von unendlichem Radius. Hypercykel könnte der Complexus aller Punkte heißen, die von einer Greraden, mit der sie m einer Ebene liegen, gleiche Distanz haben; ebenso Hypersphäre. Doch das sind alles nur unbedeutende Nebensachen: die Hauptsache ist der Stoff, nicht die Form.''
„In manchen Teilen der Untersuchung habe ich etwas andere Wege eingeschlagen; als Specimen füge ich einen rein geometrischen Beweis (in den Hauptzügen) von dem Lehrsatze bei, daß die Differenz der Summe der Winkel eines Dreiecks von 180° dem Flächeninhalte des Dreiecks proportional ist." . . .
„Ich habe hier bloß die Grundzüge des Beweises angeben woUen, ohne alle Feile oder Politur, die ich ihm zu geben jetzt keine Zeit habe. Es steht Dil- frei, es Deinem Sohne mitzuteilen; jedenfalls bitte ich Dich, ihn herzlich von mir zu onrüßen und ihm meine besondere Hochachtung zu versichern. Fordere ihn aber doch zugleich auf, sich mit der Auf- gabe zu beschäftigen: Den Kubikinhalt des Tetraeders (von vier Ebenen begrenzten Raumes) zu bestimmen".
„Da der Flächeninhalt eines Dreiecks sich so einfach angeben läßt: so hätte man erwarten soUen, daß es auch für diesen Kubikinhalt einen eben so einfachen Ausdruck geben werde: aber diese Erwartung wird, wie es scheint, getäuscht."
„Um die Geometrie vom Anfang an ordentlich zu behandeln, ist es unerläßlich, die Möglichkeit eines Planums zu beweisen; die gewöhn- liche Definition enthält zu viel und impliziert eigentlich suhreptive schon ein Theorem. Man muß sich wundern, daß alle Schriftsteller von Euklid bis auf die neusten Zeiten so nachlässig dabei zu W^erk gegangen sind; allein diese Schwierigkeit ist von durchaus verschiedener Natur mit der
94 Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kapitel XI
Schwierigkeit zwischen 2J und S zu unterscheiden, und jene ist nicht gar schwer zu heben. Wahrscheinlich finde ich mich auch schon durch Dein Buch hierüber befriedigt."
„Gerade in der Unmöglichkeit, zwischen 2J und S a priori zu ent- scheiden, liegt der klarste Beweis, daß Kant Unrecht hatte zu behaupten, der Raum sei nur Form unserer Anschauung. Einen anderen ebenso starken Grund habe ich in einem kleinem Aufsatze angedeutet, der in den Göttingischen Gelehrten Anzeigen 1831 steht Stück 64, Pag. 625. Vielleicht wird es Dich nicht gereuen, wenn Du Dich bemühest. Dir diesen Band der G. G. A. zu verschaffen (was jeder Buchhändler in Wien oder Ofen leicht bewirken kann), da darin unter andern auch die Quin- tessenz meiner Ansicht von den imaginären Größen auf ein Paar Seiten dargelegt ist."
Was sich im Nachlaß von Gauss an Aufzeichnungen über die Grund- lagen der Geometrie gefunden hat, ist im Jahre 1900 im VIII. Bande der Werke zusammengestellt worden, wobei auch die bezüglichen Stellen aus seinem Briefwechsel mit Wolfgang Bolyai, Olbers, Gerling, Wächter, Taurinus, Schumacher, Bessel, Encke und Struve hin- zugefügt wurden. Wie im Falle der elliptischen Funktionen hat sich eine glänzende Bestätigung für die Richtigkeit der Behauptungen von Gauss ergeben, wenn es einer solchen Bestätigung überhaupt bedurft hätte. Einige der wichtigsten Stellen soUen hier angeführt, im übrigen aber auf den VIII. Band der Werke und die für den X. Band geplante wissenschaftliche Biographie von Gauss verwiesen werden.
Am 28. Juli 1797 hat Gauss in sein Tagebuch die Notiz eingetragen: Plani possibilitatem demonstravi; eine aus späterer Zeit, vielleicht sogar aus dem März 1832 stammende Aufzeichnung hierüber findet sich in einem Handbuche (Werke VIII, S. 194). Im Tagebuch folgt aus dem September 1799 die Bemerkung: In principiis Geometriae egregios pro- gressus fecimus; nach welcher Richtung diese Untersuchungen gingen,, zeigt der Brief an Bolyai vom 16. Dezember 1799, von dem schon im VI. Kapitel die Rede war. Es folgt dann eine Zeit, in der Gauss be- müht war, „einen Widerspruch, eine Inkonsequenz in der nichteukli- dischen Geometrie zu entdecken"; dabei hatte er diese Geometrie so weit ausgebildet, daß er „aUe Aufgaben vollständig auflösen konnte, sobald die Konstante = C gegeben wird'' (Brief an Gerlixg vom 16. März 1819, Werke VIII, S. 181). In dem Auftreten einer solchen Konstanten hatte er früher, nach einer Äußerung zu Schumacher aus dem Jahre 1808, eine Schwierigkeit gesehen (Werke VIII, S. 165). Wie ein Brief an Taurinus vom 8. November 1824 zeigt (Werke VIII, S. 187), ist er später zur Überzeugung von der Widerspruchslosigkeit der nichteukli-
ÜAussens Untersuchungen über die Grundlagen der Geometrie 95
dischen Geometrie gelangt. Er schreibt jetzt: „Die Annahme, daß die Summe der 3 Winkel [des Dreiecks] kleiner sei als 180", führt auf eine eigene, von der unsrigen (EuKLiDischen) ganz verschiedene Geo- metrie, die in sich selbst durchaus konsequent ist, und die ich für mich selbst ganz befriedigend ausgebildet habe, so daß ich jede Aufo-abe in derselben auflösen kann mit Ausnahme der Bestimmung einer Konstante, ;die sich a priori nicht ausmitteln läßt. Je größer man diese Konstante inimmt, desto mehr nähert man sich der Euklidischen Geometrie und ein unendlich großer Wert macht beide zusammenfallen. Die Sätze jener Geometrie erscheinen zum Teil paradox und dem Ungeübten ungereimt; bei genauerer ruhiger Überlegung findet man aber, daß sie an sich nichts Unmögliches enthalten."
Endlich heißt es in einem Briefe an Schumacher vom 17. Mai 1831 (Werke VIII, S. 213): „Von meinen eigenen Meditationen [über die Parallelen], die zum Teil schon gegen 40 Jahre alt sind, wovon ich aber nie etwas aufgeschrieben habe, . . . habe ich vor einigen Wochen doch einiges aufzuschreiben angefangen. Ich wünschte doch, daß es nicht mit mir unterginge^'; diese Aufzeichnungen (Werke VIII, S. 202 bis 209) lassen erkennen, daß ihm in der Tat Johann Bolyai „auf eine merkwürdige Art zuvorgekommen war".
Wolfgang ließ den Brief von Gauss durch seinen Schüler P. Szasz aus Ilenczfalva abschreiben und sandte die Abschrift an Johann nach Lem- berg; nach dem Poststempel hat sie dieser am 6. April 1832 erhalten. Später schenkte Wolfgang das Original dem Sohne, der ihm dafür eine von ihm selbst angefertigte Abschrift gab. Diese Abschrift kam 1856 an Sartorius v. Waltershausen, als Wolfgang die Briefe seines Jugendfreundes, „ausgenommen die bloß kommissioneil nichts Interes- santes enthalten", nach Göttingen sandte. Sie ist zuerst 1897 in den Göttinger Nachrichten abgedruckt worden. Das Original, das verloren gegangen zu sein schien, wurde 1905 von P. Szabö im Nachlaß seines Vaters S. Szabö aufgefunden, der 1858 bis 1868 Professor am ev. ref. Kollegium in Maros-Vasärhely gewesen war; gegenwärtig befindet es sich im Gauss- Archiv zu Göttingen.
Als Johann die Äußerungen von Gauss erfuhr, woUte er zuerst durchaus nicht glauben, daß dieser wirklich unabhängig von ihm und lange vor ihm ebenfalls zur nichteuklidischen Geometrie gelangt sei. Er berief sich dafür besonders auf die Worte aus Gausscus Briefe an Wolfgaug vom 25. November 1804: Icli habe zwar noch immer die Hoffnung, daß jene Klippen einst, und noch vor meinein Ende, eine Durchfahrt erlauben tverden, und kam sogar auf den häßlichen Verdacht, sein Vater habe die im Appendix niedergelegten Ideen an Gauss ver-
96 Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kapitel XI
raten, und dieser wolle ihn nun der Priorität berauben. Aber auch nach- dem er sich von der Grundlosigkeit dieser Unterstellung überzeugt hatte, war er mit dem Verhalten von Gauss ihm gegenüber keines- wegs einverstanden, er sah darin vielmehr ein schweres Unrecht, das er Zeit seines Lebens nicht vergessen konnte, und obgleich er von Gauss stets als dem „kolossalen Geometer", dem „größten jetzt leben- den Mathematiker" spricht, so war sein innerstes Gefühl doch ein tötlicher Haß.
In Johanns Aufzeichnungen finden sich ausführliche Äußerungen über das Verhalten von Gauss. Es möge hier nur die folgende Stelle mitgeteilt werden.
„Nach meiner und, wie ich fest überzeugt bin, jedes Unbefangenen Ansicht, erscheinen alle von Gauss angeführten Gründe, warum er von seinen eigenen diesfälligen Arbeiten bei seinen Lebzeiten gar nichts habe wollen bekannt machen, kraftlos und nichtig zu sein, indem es ja in der Wissenschaft, wie im wirklichen Leben selbst, sich stets gerade darum handelt, notwendige und gemeinnützige, aber noch unklare Dinge gehörig aufzuklären und den noch fehlenden oder vielmehr schlummern- den Sinn für Wahrheit und Recht zu wecken, gehörig zu stählen und zu fördern. Der Sinn für Mathematik überhaupt ist ja, zu sehr großem allgemeinen Schaden und Unheile, leider nur bei wenigen Menschen rege geworden; und aus einem solchen Grunde oder unter einem solchen Vorwande hätte Gauss konsequenter Weise wohl noch einen bedeuten- den Teil seiner vortrefflichen Arbeiten für sich behalten müssen. Und der Umstand, daß es leider selbst unter den Mathematikern, und noch dazu unter berühmten derlei, noch viele oberflächliche gibt, kann ja doch für keinen Vernünftigen einen Grund abgeben, demnach fortan nur Oberflächliches und Mittelmäßiges zu leisten und die Wissenschaft lethargisch in dem ererbten Zustande zu belassen. Ein derlei Ansinnen könnte nur geradewegs widernatürlich und ein reiner Unsinn genannt werden; und demnach kann es nur um so unangenehmer auffallen, wenn Gauss auf den Appendix wie auch auf das ganze Tentamen statt seine gerade, biedere, freimütige Anerkennung des hohen Wertes und Äuße- rung seiner hohen Freude und Teilnahme darüber auszusprechen und statt nach der Kunst zu trachten, der guten Sache gebührenden Ein- gang zu verschaffen, dem vielmehr auszuweichen sich bemühet und sich beeilt, in fromme Wünsche und Leidwesens-Äußeruugen über den Mangel an gehöriger Bildung sich zu ergießen. Darin besteht das Leben und Wirken und Verdienst wahrlich nicht!"
So viel Wahres und Beherzigenswertes in diesen Worten liegt, so wird man auch den Erwägungen Raum geben müssen, die Schlesinger
Johanns Urteil über das Verhalten von Gauss 97
austeilt, wenn er sagt: „Vielleicht hat Gauss doch das Richtige ge- troffen, als er schwieg, gleichsam als wollte er in den ruhigen Ent- wicklungsgang der Geschichte nicht eingreifen; vielleicht hat seine Zurückhaltung, die wir, die den Wegen seines großen Geistes nicht zu folgen vermögen, unfaßlich finden, Johann davor bewahrt, von den Böotern als Narr und Ketzer verschrieen zu werden und ihm wenisf- stens den Frieden der Einsamkeit gesichert, wenn er auch, wie die meisten großen Bahnbrecher, bei Lebzeiten nicht die Früchte reifen sehen konnte, die aus den von ihm gepflanzten Samenkörnern empor- wachsen sollten."
P. Stäckel: Wolfgang und Johann Bolyai I
XII. Kapitel
Johann BOLYAI in Doniäld (1834—1846)
Am 15. Juni 1833 war Johann Bolyai von Olmütz nach Maros- Väsärhely abgereist. Dort lebte er zunächst bei seinem Vater, dessen zweite Frau kurz vorher, am 2. April 1833, gestorben war; Wolfgang hatte seinen Sohn aus zweiter Ehe, den siebenjährigen Gregor, bei sich. Das Verhältnis zwischen Wolfgang und Johann war schlecht und wurde bald unerträglich. „Der härteste Schlag aber, woran mein Herz brach", klagt Wolfgang am 20. April 1835 seinem Freunde Gauss, „ist der beinahe unglaubliche Undank meines Sohnes, für den ich soviel (manchmal zu viel) tat; seit vielen (aber vorzüglich in den nächsten) Jahren bin ich sein Märtyrer — am Ende war ich gezwungen seit einem Jahre, ihn aus dem väterlichen Zirkel zu verbannen .... Bei allen seinen Talenten ist er ein entsetzlich aufbrausender und rachsüchtiger Soldat und wegen nur
geargtes Nichts anhaltend unversöhnlich, — also überall unverträglich
Doch ist es möglich, daß er nach der gewaltigen Gärung sich setzen wird, aber bis dann erliege ich unter dem Grame."
Der Grund, warum Johann das Haus Wolfgang verlassen mußte^ war, wie K. Szily erzählt, daß der Sohn sich schließlicb soweit vergaß^ daß er den Vater zum Zweikampf forderte. Sein Onkel Anton Bolyai brachte eine Versöhnung zustande; jedoch bestand Wolfgang darauf, daß Johann nicht mehr bei ihm wohne. Dieser lebte nun teils auf dem väter- lichen Gute in Domäld, teils, getrennt vom Vater, in der Stadt Maros-Väsär- hely. Vater und Sohn vermieden es, sich zu sehen. Sie blieben indessen in Verkehr miteinander durch einen eigenartigen Briefwechsel; die Mit- teilungen, die sie einander zugehen ließen, tragen nämlich weder Über- schrift noch Unterschrift. Sie beziehen sich hauptsächlich auf wissen- schaftliche, im Besonderen mathematische Fragen; daneben handelt es sich auch um Geldangelegenheiten und die Verwaltung des Gutes in Domäld.
Trotz den Hindernissen, die in dem Mangel an wissenschaftlichen Hilfsmitteln und wissenschaftlichem Verkehr lagen, trotz seiner Kränk- lichkeit, die durch Anfälle von Wechselfieber noch verschlimmert wurde, hat Johann in den vier Jahren von 1833 bis 1837 eifrig daran gear- beitet, seine Untersuchungen aus der absoluten Raumlehre zu vervoll-
Zwistigkeiten zwischen Johann und Wolfgang (1834) 99
ständigen, weiterzuführen und zu einem umfassenden Lehrbuch der Raumlehre zu vereinigen, für das der Appendix nur das Vorspiel ge- wesen sein sollte. Freilich hat der Erfolg den Anstrengungen nicht ent- sprochen.
., Johann versprach dem Yater fortwährend, große Dinge auszu- führen", schreibt Bedöhazi, „doch blieb es immer beim Versprechen. Er ai-beitete zwar viel, aber unbeständig, ließ das Angefangene im Stiche und arbeitete zugleich an mehreren Sachen. Sich Vorwürfe machend ge- steht er ein, daß er sich schäme, mit seinem Vater häufiger zusammen- zukommen, solange er nichts aufweisen könne. Gibt er aber einmal ein Lebenszeichen von sich, dann unterzieht er die eine oder die andere Meinung seines Vaters einer schonungslosen Kritik .... Wolfgang las Johanns Briefe vielleicht nicht mit der nötigen Aufmerksamkeit; »kaum durchgelesen warf er sie bei Seite und mißverstand auch die gediegen- sten Lehren«. Vielleicht berief er sich auch manchmal auf die »Au- torität« [Gauss], und als er in den späteren Arbeiten seines Sohnes kein systematisches und selbständiges Ganze fand, das eines Appendix würdig gewesen wäre, bedachte er nicht, daß dieses kleine Werk ein wesentliches Ergebnis eines Menschenlebens bedeutet und man eine derartige Arbeit nicht jeden Augenblick schaffen kann. Vielleicht war er gegenüber dem Gerede anderer Leute über seinen Sohn zu leicht- gläubig und vernahm er irgendein solches Geschwätz, das seine emp- findliche Seele bald berührte, so hielt er seines Sohnes Versprechen, >>er möge keine schlechte Meinung von ihm haben und nichts glauben, ohne sich überzeugt zu haben, er werde sehen, daß er [Johann] sich nicht umsonst gemüht habe«, bloß für eine leere Ausrede. Eines jedoch konnte Johann seinem Vater nicht absprechen, die Liebe .... Konnte Bitterkeit Wolfgangs Herz erfüllen, so hat sich doch darin der Haß niemals eingenistet. Und der Sohn? Es scheint, als ob auch sein Herz wahrer Reue und Zärtlichkeit fähig war. »Beim Verfassen meiner Lehre«, schreibt er in der Vorrede zu seiner Eaumlelire, »schwebt hauptsächlich er mir vor den Augen und vor der Seele. Ich frage mich immer dabei, ob dieses Werk ihn zufrieden stellen werde, das ich ihm als Zeichen meines Dankes zu widmen wünsche, womit ich wenigstens einiger- maßen sein Wohlwollen erlangen und ihm für das Ende unseres Lebens nach so viel Bitternis und Trauer einen Balsam bereiten könnte, der die Schmerzen stillt, das Gewölk zerteilt, den Himmel auf eine schöne und verjüngende Weise aufheitert und das gewesene große fatale Minus vernichtet und gut macht.«"
Johanns Tätigkeit an der Raumlehre wurde dadurch unterbrochen, daß sein Vater und er sich im Herbst 1837 an der Bewerbung um
"7*
100 Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kapitel XII
einen Preis der Fürstlich JABLONOWSKischen Gesellscliaft der Wissen- schaften in Leipzig beteiligten, der auf die Verbesserung der Lehre von der geometrischen Konstruktion der imaginären Größen gesetzt war. Von der Geschichte dieser Preisbewerbung wird das XIV. Kapitel handeln; hier sei nur bemerkt, daß weder Wolfgang noch Johann als Sieger hervorgingen.
Zu dem schmerzlichen Mißerfolg kam ein neuer Zwist Johanns mit seinem Vater, der durch die gleichzeitige Bewerbung um den Leipziger Preis veranlaßt war. Wie schwer die Mißstimmung Wolfgangs gegen seinen Sohn war, zeigt der Umstand, daß er am 17. April 1838 seinem Bruder Anton die Erledigung aller Angelegenheiten übertrug, die auf die Verwaltung des Gutes in Domäld Bezug hatten. Dorthin hatte Johann sich selbst verbannt; mehrere Jahre lang hat er Wolfgang nicht gesehen. Im Dezember 1842 schrieb dieser seinem Sohne einen Glück- wunsch zum Geburtstag: „Dem Körper Gesundheit und der Seele solches Feuer zur Wissenschaft, daß ich noch einen Appendix erlebe, das ist es, was ich Dir wünsche .... Der Integral-Kalkül hat ein un- begrenztes Feld, auch die Riesen zweier Jahrhunderte schritten [nur] langsam vorwärts; dort könnte man es mit junger Kraft versuchen." Er schlägt ihm vor, er möge seine Ansicht über das LAGRANGEsche Rest- glied der TAYLORschen Reihe äußern oder den einfachsten Beweis für die Darstellung der Primzahlen von der Form 4w + 1 als Summe zweier Quadrate erbringen sowie die Richtigkeit des folgenden Lehrsatzes zeigen: Wenn die Summe zweier Quadratzahlen durch eine andere Quadratzahl teilbar ist, so ist der Quotient entweder selbst eine Quadrat- zahl oder die Summe zweier Quadratzahlen. „Ich hatte das Problem nach einer Idee, die ich bei Euler fand, gelöst; es ist in den Peters- burger Akten." Daß Johann sich früher eifrig mit der höheren Arith- metik beschäftigt hatte, geht aus dem Briefe W^olfgangs an Gauss vom 20. Juni 1831 hervor; dort heißt es: „Deine Polygonen-Theorie war mein Sohn wiUens, deutsch den kleineren Köpfen etwas zugänglicher herauszugeben, weil es ihn ärgert, daß es nicht so bekannt ist, wie er es wünschte; allein ich sagte ihm, daß ich von jemanden (weiß nicht, von wem) vernommen habe, daß Du es besonders herausgegeben hast; welches ich auch zu sehen sehr wünsche."
Der Brief des Vaters veranlaßte Johann im Frühjahr 1843 nach Maros-Väsärhely zu kommen. Bald erneuerten sich jedoch die Streitig- keiten, und nach sechs Wochen kehrte er auf das Gut zurück, zurück zu dem unfruchtbaren, in körperlichen Genüssen aufgehenden Leben, in das er seit dem unglücklichen Jahre 1837 versunken war; die krank- hafte Reizbarkeit, die er von seiner hysterischen Mutter ererbt hatte, gewann jetzt die Oberhand und zerstörte ihm Leib und Seele.
Johann Bolyai in Domäld (1834 — 1846) 10 1
Im Jahre 1845 starb Anton Bolyai. In seinem Nachlaß fand Johann einen Tertraulichen Brief seines Vaters vom 19. März 1838, in dem dieser sich aufs bitterste über seinen Sohn beklagte. Obwohl seit- dem lange Jahre vergangen waren, geriet Johann in maßlosen Zorn, den er dem Vater gegenüber in schroffer Weise zum Ausdruck brachte. Dazu kam, daß Wolfgang nach dem Tode seines Bruders sich wieder um die Verwaltung des Gutes in Domald bekümmerte. Es zeigte sich, daß Johann schlecht gewirtschaftet hatte; die Besitzung war verwahrlost, ein Stück des schönen Waldes war niedergehauen und das Holz ver- kauft worden. Wolfgang entzog jetzt dem Sohne die Erlaubnis, in Domäld zu wohnen, und verpachtete das Gut.
Im Jahre 1846 ist Johann nach Maros-Väsärhely zurückgekehrt, wo er ein Haus baute, für sich und Rosalie von Orbän, die Mutter seiner Kinder Dionys (Denes), Julius (Gyula) und Amalie, mit der er seit dem August 1834 zusammenlebte. Er hatte eine Heirat beabsichtigt, war jedoch nicht in der Lage, die von der Militärbehörde geforderte Kaution aufzubringen; Wolfgang verweigerte die von ihm gewünschte Herausgabe seines väterlichen Erbteils und ließ sich auch durch Dro- hungen mit einem Prozeß nicht einschüchtern, teils weil er gegen die Heirat war, teils weil sein jüngerer Sohn Gregor dadurch benachteiligt worden wäre.
„Wenn er mit seiner Frau schlecht lebt, so liebt er doch die Kinder", hatte Wolfgang seinem Bruder Anton geschrieben. Seinem Sohne Dionys hat Johann den ersten Unterricht erteilt, in der Hoffiiung, daß sich seine mathematische Begabung auf ihn vererbt habe. Allein die Freuden und die Schmerzen, die Wolfgang an dem genialen Sohne erlebt hatte, sind diesem versagt geblieben. Dionys Bolyai ist ein tüchtiger, ehrenwerter Beamter geworden; er lebt als pensionierter Gerichtshof- Kanzleidirektor in Karlsburg (Gyulafeherviir). Der zweite Sohn Julius Bolyai war Hutmacher in Klausenburg; er hat 1902 durch Selbstmord geendet.
\ Xm. Kapitel
AVeitere Uiitersucliungen Johann BOLYAis zur absoluten Geometrie
In dem Grundriß der Geometrie, der deu Schluß des ersten Bandes des Tentamens bildet und erst im Laufe des Jahres 1832 gedruckt worden ist, sagt Wolfgang Bolyai: ,,AUe Systeme allgemein umfassend, die uns, wenn außer den übrigen Axiomen [abgesehen nämlich vom XL Eukli- dischen Axiom] kein weiteres gesetzt wird, subjektiv möglich sind, das heißt, von denen nur eines gilt, ohne daß wir jedoch entscheiden können, welches absolut wahr ist, hat der Verfasser des Appendix den Gregen- stand mit einzigartigem Scharfsinn angegriffen und eine für jeden Fall absolut wahre Geometrie aufgestellt; freilich hat er von der großen Masse nur das allernotwendigste in dem Appendix zu diesem Bande aus- einandergesetzt und vieles der Kürze wegen weggelassen, wie die all- gemeine Auflösung des Tetraeders und mehrere andere elegante Unter- suchungen." Daß Johann über das im Appendix Gegebene hinaus- gegangen war, berichtet Wolfgang auch in dem Briefe an Gauss vom 20. April 1835: „Am Ende des zweiten Bandes ist, nebst der Erleuchtung mancher im ersten gegebenen Begrifi'e, auch eine gewisse Einigkeit beider Trigonometrien, nach dem Gedanke[n] meines Sohnes. Gerne hätte ich die Auflösung des Tetraeders drucken lassen, welche mein Sohn noch ein Jahr vor der Herausgabe seines Appendix fand: aber die Formeln, die ich sah, waren zu verwickelt, und ich weiß sie nicht. Und über alles hätte ich den Beweis davon drucken lassen, daß es absolut unmöglich sei dem menschlichen Auge, es einzusehen, ob das XL Axiom wahr sei oder nicht: mein Sohn behauptet den evidenten Beweis davon zu haben."
Aus diesen Äußerungen geht hervor, daß Johann Bolyai sich in der Zeit von 1831 — 1835 mit der Beantwortung der folgenden drei Fragen beschäftigt hat:
1. In welchem Zusammenhange steht die absolute Trigonometrie mit der sphärischen Trigonometrie?
2. Welches Volumen hat in der absoluten Geometrie ein von vier Ebenen begrenztes Tlaumstück?
3. Läßt es sich entscheiden, welches der suhjeMiv möglichen Systeme der absoluten Geometrie in Wirldiclikeit gilt?
Absolute und sphärische Trigonometrie (1834) 103
Von den Niederschriften, die Johann hierüber in der Zeit zwischen 1830 und 1835 gemacht hat, haben sich leider nur wenige Blätter finden lassen. Eine wertvolle Ergänzung biklen daher die Aufzeichnungen Johanns aus den letzten Jahren seines Lebens (1851 — 1858). Über diese Aufzeichnungen wird in den Kapiteln XYI — XIX berichtet werden, es erscheint jedoch angebracht, hier die Stücke, die sich auf die drei an- gegebenen Fragen beziehen, vorwegzunehmen.
In den Nachträgen, die Wolfgang Bolyai dem zweiten, erst im Jahre 1834 erschienenen Bande des Tentomen hinzugefügt hat, findet sich auch ein von ihm selbst verfaßter Zusatz zum Appendix des ersten Bandes:
„Endlich sei es erlaubt, dem Tentamen etwas hinzuzufügen, was Eigentum des Verfassers des Appendix ist; der freilich verzeihen möge, wenn ich etwas nicht mit seinem Scharfsinn in Angriff genommen habe."
„Die Sache besteht kurz gesagt in Folgendem: die Formeln der sphärischen Trigonometrie, die in dem genannnten Appendix unabhängig vom XI. Euklidischen Axiom bewiesen werden, stimmen üherein mit den Formeln der ebenen Trigonometrie, wenn (auf eine so gleich zu nennende Art) die Seiten des sphärischen DreiecTcs als reell, die des geradlinigen aber als imaginär angesehen iverden; sodaß die Ebene in Beziehung auf die tri- gonometrischen Formeln als eine imaginäre Kugel betrachtet werden kann, wenn als reelle Kugel diejenige angenommen wird, in der sin R = 1 ist."
In Einklang hiermit stehen Aufzeichnungen Johanns, die noch aas der Zeit vor dem Erscheinen des zweiten Bandes des Tentamen stammen. Hierin berichtet dieser, daß er seinen Vater „nach vollendetem Drucke (des Appendix) schriftlich aus Lemberg darauf aufmerksam gemacht [habe], daß, wenn man sämtliche Seiten des geradlinigen Dreiecks, auf i als Ein- heit der Länge bezogen, als ebenso große imaginäre Größen ansieht, alle Relationen in geradlinigen Dreiecken denen in Kugeldreiecken voll- kommen analog seien, z. B. in einem rechtwinkligen Dreieck, worin a, h Katheten, c Hypotenuse ist, wenn das Dreieck sphärisch ist:
cos c = cos a • cos b, und also, wenn es geradlinig ist [mit -}- = ]/ — l]: cos -}- c = cos -\- a • cos -\- b.
Und so werden die beiden Trigonometrien höchst einfach in eine zu- sammengezogen. Und ich bedauere es doch, es nicht wenigstens an- gezeigt zu haben, da es jeder sogleich bemerken muß. Es war mir auch, seit ich diese Formeln zuerst fand, keineswegs entgangen, allein damals nur vorzüglich die Materie der Parallelen als Hauptsache im Auge haltend und die allgemeine Unvollkommenheit und Unbegreiflichkeit der Lehre
\Q4: Leben und Schriften der beiden Boltai. Kapitel XIII
von den imaginären Größen erwägend, konnte ich mich — ungeachtet des Versuches, diese Idee nicht fallen zu lassen, — nicht entschließen, eine so unvollkommene Lehre, als die imaginäre bis dahin war, aufzu- nehmen, und, da die damals durch die Umstände gebotene Kürze nicht erlaubte, sich darauf einzulassen, so beschloß ich, obschon sehr uugern, es auf eine andere Gelegenheit aufzusparen/^
Eine solche Gelegenheit bot sich im Jahre 1837, als Johann, durch eine von der Fürstlich JABLOXOWSKischen Gesellschaft zu Leipzig ge- stellte Preisaufgabe veranlaßt, seine „im Wesentlichen im Jahre 1831 ausgedachte" Theorie der imaginären Größen ausarbeitete. Über diese Preisbewerbung wird im XIV. Kapitel berichtet werden.
In § 9 dieser Responsio heißt es:
,Jn dem Anhange des ersten Bandes des Werkes mit dem Titel: Tentamen juventutem studiosam in elementa matheseos purae^ elemen- tar is ac suhlimioris, methodo intuitiva, evidentiaque Jiuic propria, intro- ducendi {das im Jahre 1832 zu Maros-V. erschienen ist] werden die Formeln der ebenen Trigonometrie für den Fall entwickelt, daß der Satz, den Euklid (nach dem Urteil aller scharfsinnigeren Geometer) mit Unrecht unter der Form des XL Axioms vorgebracht hat, falsch wäre (nachdem die Raumlehre unabhängig von dem genannten Axiom be- gründet worden ist). Aus diesen Formeln folgt nun leicht, daß die Gleichungen gelten
sin -\ — r = sin a • sm -f- -.- ,
, c . a . b
sm 4 — r = cos 4 — ■ • cos -4 — r ,
in denen a, h, c die Katheten und die Hypotenuse bezeichnen, a den der Kathete a gegenüberliegenden Winkel und endlich i eine gewisse ebendaselbst erklärte Strecke (die an und für sich bei der gegenwärtigen Annahme bestimmt ist). Aus diesen beiden Gleichungen fließen bereits sämtliche übrigen Formeln der ebenen Trigonometrie."
„Die Betrachtung dieser Gleichungen läßt aber erkennen, daß die ebenen rechtwinkligen Dreiecke und mithin die ganze Ebene und die von ihr gleichweit abstehenden Flächen (die ich, ebenfalls zu derselben Lehre gelangend, vor vielen Jahren hypersphärisch genannt habe) durch- aus auf ganz ähnliche Art wie die Kugelfläche bei der Rechnung be- handelt werden können, und zwar so, daß, wenn man jene Größe r, durch die die Seiten eines auf irgend einer überall gleichförmigen Fläche befindlichen rechtwinkligen Dreiecks zu dividieren sind, damit
c ah
cos — = cos - • cos r r r
Absolute und sphärische Trigonometrie (1837) 105
gesetzt werden darf, z. B. als Parameter dieser Fläche bezeichnet, die Parameter der sphärischen Flächen reell, die Parameter der von einer Ebene gleich weit abstehenden Flächen imaginär (d. h. ivirldich existie- rende, mit den Zeichen ^, >-^ hehaffete Größen) werden und daß der Parameter der Ebene i-e-i i (und ebenso *^ i) wird."
„Allein diese Tatsache läßt sich auch anders auffassen. Man könnte { nämlich, freilich weniger natürlich, passend, richtig, einfach, elegant] auch die Ebene als zu dem Parameter i gehörig ansehen und die gerad- linigen StrecKen, die in der Ebene an die Stelle der größten Kreise treten, als imaginäre Bogen in bezug auf den Parameter i betrachten; allein auf diese Art entsprechen (wie sich zeigen läßt) den Parametern, die Meiner als i sind, keine solchen gleichförmigen Flächen, deren Bogen, zu dem soeben erklärten Zwecke, für imaginär gehalten werden könnten."
Auf einem Zettel, der dem Entwürfe der Responsio beigelegt ist, findet sich eine ausführlichere Fassung des § 9, die, ebenfalls in deutscher Übersetzung, hier wiedergegeben werden soll.
„Es darf jedoch die folgende, sehr interessante Bemerkung um so weniger mit Stillschweigen übergangen werden, als sie höchst elegant ist,eine ausgezeichnete Anwendung der (sogenannten) imaginären Größen gibt, und es ermöglicht, die ganze vom XI. Axiom unabhängige Raum- lehre höchst einfach und bequem darzustellen. Die höchst wirkliche Wissenschaft der Wahrheit darf [nämlich] nicht durch die Betrach- tung nicht existierender Dinge befleckt werden. Welchen Sinn hat y — l-]/— 1, wenn Y — 1 keinen hat? Alles wird sonnenklar, wenn man sorgfältig beachtet, daß die einer Größe vorgesetzten Zeichen -\-, —, -^, -^ gar nichts anderes bedeuten, als die Art und Weise, tvie die absoluten Größen in der algebraischen Bechnung behandelt iverden sollen, nach einer Verabredung, die man zu treffen hat.
„Schreibt man der Kürze und Einfachheit wegen -\- für + j^ — 1,
^ für - y^^ sodaß i:i-i:i = -iundj:i-:pi = + i
wird, und wählt i, gemäß § III, als Einheit, so überzeugt man sich leicht durch Tergleichung mit den bekannten eleganten Formeln in § 31,1 [des Appendix], daß
1 : sin K = sin -\- c : sin -\- a
ist, oder, wenn man zu noch größerer Vereinfachung nicht die positiv, sondern die mit dem Zeichen -f" genommenen Seiten mit a, b, c be- zeichnet oder bloß c, a statt -\- c, -j- a schreibt:
1 : sin a = sin c : sin a,
106 Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kapitel XIII
und ebenso ergibt sich aus II:
cos a : sin ß = cos a, aus III:
cos c = cos a ■ cos h und cot a • cot ß = cos c, aus § 30:
tg ^' = -e- siü -f- y und -\- Q y = 2 Tt^ sin -\- y,
oder wenn man festsetzt, daß ein für alle Male bei jeder Rechnung jede Gerade in der Ebene mit dem Zeichen -\- genommen werden soll, wobei bloß y für -f- y und bloß O y für -\- O y (indem das ganze Zeichen O V eine Linie bezeichnet) geschrieben werden darf, ist einfach:
tg 5; = -6- sin y, O .V = 2 jr sin y ;
ferner folgt sogleich aus § 32,111:
r
- = cosg', s =j; • smg,
aus IV:
Qx = 2:c cos x — 2;r = — 27r sin vers x u. s. w."
„Die größte Ähnlichkeit oder vielmehr die vollständige Überein- stimmung der Ausdrücke für die Größen derselben Art auf der Kugel- fläche in Z! spring-t in die Augen. Denkt man sich eine Kugel des i-förmigen Halbmessers r = i= 1 (deren gerader Halbmesser nach § 30 gleich log nat (1. -\- |/2) ist), so ist ihre Oberfläche [und ihr] größter Kreis gleich denen der Kugel vom Halbmesser 1 in 2J, und alle vorher erhaltenen Ausdrücke stimmen vollständig überein mit den Ausdrücken für dieselben Größen auf dieser Fläche."
„Es läßt sich allgemein beweisen, daß, wenn in irgend einer über- all gleichmäßigen Fläche — eine solche kann, abgesehen von F, nur sphärisch, eben oder einer Ebene paraUel [äquidistant] sein — jede kürzeste Linie a (oder Schnittlinie mit einer durch eine Achse gehende Ebene), wenn die Fläche sphärisch ist, durch diejenige Zahl, die den entsprechenden Bogen in dem Winkel bei dem Mittelpunkte von a aus- drückt, wenn aber die Fläche eben oder einer Ebene parallel [äquidistant] ist, durch die Maßzahl des Stückes einer Geraden ausgedrückt wird, die in dem ersten Falle in derselben Ebene, sonst in der parallelen [äqui- distanten] Ebene p liegt, sodaß das Stück zwischen die Fußpunkte der Lote [von den Endpunkten von (i\ auf ^^ fäUt, und wenn in dem früheren Falle aUe Linien in derselben Fläche mit dem Zeichen +, in dem späteren aber mit dem Zeichen -f- genommen werden, so kann die Theorie aller dieser Flächen ganz allgemein von denselben Formeln umfaßt werden und €s können von ihnen allen ganz entsprechende Lehrsätze gelten. So darf man z. B., wenn die Formeln der sphärischen Trigonometrie bekannt sind,
Absolute und sphärische Trigonometrie (1837) 107
aus ihnen ohne jede weitere Untersuchung schließen, daß auch für geradlinige rechtwinklige Dreiecke die Formeln gelten:
cot o; = cot « • sin h, cot c = cot a • cos ß usw.,
und in gleicher Weise kann man umgekehrt aus allen Eigenschaften der Ebene, in dem angegebenen Sinne, sogleich auf Eigenschaften der Kugel schließen."
„Hier möge es genügen, nur einige besonders wichtige Eigen- schaften zu streifen, um zu zeigen, in welcher Weise diese Vhertragung zu geschehen hat und wie man mit ihrer Hilfe die Raumlehre, ohne zu wissen, ob das System E oder S wirklich existiere, aufs bequemste analytisch behandeln kann."
„Erstens möge bemerkt werden, daß der Kürze wegen (um die Schaffung eines neuen Wortes zu vermeiden) die Bezeichnungen Kugel (und Kreis) in einem erweiterten Sinne verstanden werden sollen, so- daß einer, jeden überall gleichförmigen Fläche (und Linie) dieser Name beigelegt werde. Im erweiterten Sinne oder analytisch heißt Strahl [Radius] jeder überall gleichförmigen Fläche oder gleichförmigen Linie in der Ebene eine algebraischen Größe, die augenscheinlich ganz und gar nicht der Euklidische Strahl ist, sondern die aus den soeben ge- fundenen Ausdrücken auf eine sogleich darzulegende Art hervorgeht, Strahl einer gleichförmigen Linie auf der Kugel aber ein Stück einer gleichförmigen, die Kugel in zwei kongruente Teile teilenden Linie, das die Krümmung mißt. Jeder Kreis hat unendlich viele Strahlen, während nur ein einziger oder gar kein Euklidischer Strahl vorhanden ist, ihr Ausdruck ist:
wo w eine ganz beliebige ganze Zahl bezeichnet, mit dem Zeichen -j- oder — . Auch ist
Oiy^'^nTt) = Oy,
wo das Zeichen -«- für die Ebene und die ihr parallelen Flächen zu nehmen ist, das Zeichen — aber für eine sich schließende Kugel gilt." Die Fortsetzung dieses Manuskriptes hat sich leider nicht finden lassen, als Ergänzung können jedoch einige Randbemerkungen dienen, welche Johann der im IX. Kapitel erwähnten, in deutscher Sprache ab- gefaßten Ausarbeitung der ersten 33 Paragraphen des Appendix beige- fügt hat, die er im August 1832 dem Erzherzog Johann überreichte. Yv'ie es scheint, hat Johann Bolyai diese Randbemerkungen im Jahre 1^37 niedergeschrieben.
108 Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kapitel XIII
Zu § 30 des Appendix wird bemerkt: ,,[Es ist]
i —i
O ^ = 4jti = -^ 4:risin -^ " = -»- 4;r/sin -\- ^ ."
Hierbei bedeutet, wie auch in der Schrift über die imaginären Größen vom Jahre 1837, abweichend von der üblichen Bezeichnung Al% den Umfang des Euklidischen Kreises vom Halbmesser 1.
„Auf einer Kugel, deren Strahl die senkrechte Ordinate (Höhe) eines der i gleichen paracyliischen Bogens ist, ist aber der O eines y gleichen cyMischen Strahles
A • ■ y = 4:71 ism~.
i
Auf einer zur Ebene parallelen Hypersphäre aber ist
O y = w O (-) (in Ebene) = -e-4;riw sin -^ ~= -«-4;rr sin -\- K,,
wenn ni = i' gesetzt wird (nämlich i' jene hypercyklische Länge ist, auf derselben Hypersphäre, deren T = e ist). Und ebenso wird auf einer Kugel, deren Strahl die senkrechte Ordinate eines paracyklischen Bogens = i' ist, allgemein
O y =^4711 smt,
t
woraus der Ausdruck auf einer Hypersphäre sogleich erhalten wird, sobald man nur sowohl dem Strahle als auch dem Kreise -\- (oder beiden -^) vorsetzt. Und um den Ausdruck auf der Parasphäre ab- zuleiten, darf man nur {i ^^^ oo) die Grenze nehmen von i' sin K , da diese gleich y ist, also auf diese Art den wahren Ausdruck von O y auf der Parasphäre wirklich darbietet. Es kann hierbei i' der Hauptstrahl der Kugel (von L, = oo) heißen und "f" i' jener der
Hypersphäre heißen . . ."
„Man kann auch eine allgemein auf alle (auch auf die sich nicht schließenden) gleichförmigen Linien auf beliebigen gleichförmigen Flächen anwendbare Definition von Strahl oder, wenn man will, Parameter auf derselben Fläche geben. Denn der gerade Strahl des senkrechten Ent- wurfes jener Linien auf der mit der Fläche parallelen Ebene ist vorher definiert, und ofi"enbar ist das Produkt der geraden Strahlen beider Linien der zu definierende Strahl der fraglichen Linie auf der Fläche."
Im Jahre 1851 hat Johann eine neue Darstellung dieser Ge- danken ausgearbeitet. Sie bildet einen Abschnitt einer Kritik der Geometrischen Untersuchungen von N. Lobatschefskij, über die in dem XV. und XVI. Kapitel berichtet werden wird. Bei Lobatschefsku er-
Absolute und sphärische Trigonometrie (1837) 109
scheint nämlich der Zusammenhang zwischen der sphärischen und der „imaginären" Geometrie lediglich als eine analytische Tatsache. Dieser formalistischen Auffassung gegenüber wollte Johann den höheren, geo- metrischen Gesichtspunkt zur Geltung bringen. In dieser Beziehuno- war er weit über Lobatschefskij hinausgegangen und hatte sich zu einer Höhe erhoben, die erst am Ende des neunzehnten Jahr- hunderts wieder erreicht worden ist. Er hatte gezeigt, daß es in jedem Systeme S mit einem bestimmten i Flächen gibt, die ohne Form- änderung nach jeder Richtung hin in sich verschiebbar (undique uni- formes) sind und zwar erstens Flächen, auf denen für einen beliebigen Radius die sphärische Trigonometrie gilt, zweitens solche, auf denen die Euklidische Geometrie der Ebene verwirklicht ist, und drittens solche, auf denen die absolute Geometrie der Ebene für beliebiges i gilt; andere überall gleichmäßige Flächen gibt es nicht. Mit Benutzung des von Gauss {Disguisitiones circa superficies curvas, 1828) eingeführten Begriffes des Krümmungsmaßes — der, wie es scheint, Johann unbekannt geblieben ist — läßt sich diese Tatsache so ausdrücken, daß es in jedem Systeme *S, jedoch nicht in Z", ohne Formänderung in sich verschiebbare Flächen gibt, deren Krümmuugsmaß irgend einen beliebigen, zwischen — oc und + oo liegenden konstanten Wert besitzt. Es möge noch aus- drücklich bemerkt werden, daß Johann den von Beltrami 1869 entdeckten Zusammenhang zwischen der absoluten Geometrie der Ebene für ein be- liebiges i und den Flächen von konstantem negativem Krümmungsmaße, die im Euklidischen Räume 2J liegen, nicht gekannt hat.
Wir kommen zu Johann Bolyais Untersuchungen über die Ku- bierung des Tetraeders, die mit dem Jahre 1831 beginnen. Die uns erhaltenen Aufzeichnungen über diesen Gegenstand stammen — mit einer Ausnahme — aus der Zeit um 1856. Ihre Entzifferung wurde da- durch erheblich erschwert, daß Johann sich einer großen Anzahl von Ab- kürzungen und neuen Bezeichnungen bedient, deren Bedeutung erst müh- sam ermittelt werden mußte. Da diese Neuerungen nicht nachahmenswert erscheinen, ist der Text in die übliche Formelsprache übertragen worden.
Johann hatte zwar seinem Vater versichert, daß er die allgemeine Auflösung des Tetraeders gefunden habe, in seinen Aufzeichnungen be- schränkt er sich jedoch auf eine besondere Art von Tetraedern, die ent- stehen, wenn in dem Eckpunkte c eines in b rechtwinkligen Dreiecks ahc auf dessen Ebene eine Senkrechte cö errichtet wird, ohne daß er angibt, wie man daraus die allgemeine Kubierung der Tetraeder ge- winnen könne. Es verdient bemerkt zu werden, daß Tetraeder dieser besonderen Art auch bei Lobatschefskij und Gauss auftreten.
110
Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kapitel XITI
Erste Methode
Zerlegung mittels Ebenen, die auf ab senkrecJit stehen
Auf einem halben Foliobogen, dessen Rückseite den Entwurf einer
militärischen Meldung, datiert Lemberg, den 5. Mai 1832, enthält, findet
sich folgende augenscheinlich aus derselben Zeit stammende Aufzeichnung:
„Aufgabe. Um in S den Inhalt des Tetraeders (von vier Ebenen
begrenzten Körpers) abcba = T zu bestimmen, sei zuerst [Fig. 8]
cb L (cba = R), abL(bc6 = R).
Das Stück ae von ab oder die Abszisse ae heiße x, die auf a: L te Or- dinate ef ^ und die auf
af L_te zweite Ordinate
„Bewegt sich Acfg längs ab so fort, daß stets cf L ab und in a b c c bleibt, so ist, wenn der Weg von e, dx heißt, der durch A ef g erzeugte Körper
K = -^ l dx ■ sin -}- y • z."
Die Herleitung die- ser Formel, die Johann auf einem besonderen Zettel verzeichnet hat, wird nachher mitgeteilt werden.
„Nun ist [aus den rechtwinkligen Dreiecken cfg und acf für t = l:]
cota a
(1)
(2)
(und aus (1)
dx =-^
sm -^ y
sm
X =
cot -f- y
cot -^2 cot b |
cot-^s' ß |
cot ^2/ |
cot-^y' |
Vcot* H^ z |
-«■\ |
also
X =
arc sm
aß
ycot*-f 5 — ««' a ß cot -^ zd-^e
sin^ -^ z (cot* -^
a*)]/l
cot* -f- z ß • d-\- z • cos -f- 0 • tg a
)/cot* -^ z — a*
\ cos*a ) y T \^ I gijjäft/ sin*
Volumen des Tetraeders (1832)
Aber [aus dem rechtwinkligen Dreikant a — bc6]
cot a = cot c • sin ?>, -r^ = cot c. ' sin 0 '
mithin
/cos^-fg \-| /cos'-fg \ cos*a / y cos^c
folglich [unter Benutzung von (1)]
\ß ■ ige ■ z ■ d -^ z • sin -\- z
111
K =
\ cos^a / Y
cos* -f- z
cos^'c
Läßt man ba tou b an '— > oo wachsen, so ist h, c > — ^ 0, also [cos 6,] cos c '■^^ \ und
also
r, , cos & sine c /, sine c\
ö • tg c = . , • ' — . da . V /-- " == tg a,
K
sin 6 cos c b V"" sin &
cos*-f-^
— 1
cos^'a
Auf einem beiliegenden Zettel, dessen Rückseite den Anfang eines zweiten Entwurfes derselben militärischen Meldung enthält, finden sich (neben anderen Notizen) die schon er- wähnten Andeutungen über die Herleitung der Formel für ^. Johann scheint Fol- gendes gemeint zu haben.
Auf der Geraden o.\> = « (Fig. 9} mösen in derselben Ebene die Geraden <xc = \>^ ^ v senkrecht stehen. Ferner sei dv\^ c ö II (ih{% 27 des Appendix). In den Punkten der Linie cb sollen Lote der Länge w auf auf der Ebene ab 6c errichtet werden. Im Besonderen sei ce = öf = w. Endlich mögen die Ebenen durch ace, böf, abcf gelegt werden. So entsteht ein durch vier Ebenen und ein Zylinderstück cöfe be- grenzter Körper, dessen Inhalt mit K be- zeichnet werde.
Jetzt möge v um dv wachsen, indem ac und bö um cc' =- bb' = dv verlängert werden. Errichtet man in c' und b' Lote c'q', ö'f, die die Ebene abef in c' und f schneiden, so ei fährt der Inhalt einen Zuwachs dK, der, bis auf unendlich kleine Größen zweiter Ordnung, gleich dem Inhalt des Körpers ist, der ent-
Fig. 9
112 Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kapitel XIII
steht; wenn auf der Grundfläche cbb'c' lauter Lote der Länge w er- richtet werden. Wenn aber auf der ebenen Grundfläche des Inhaltes p lauter Lote der Länge q errichtet werden, so entsteht ein Körper, für dessen Inhalt t7 in § 32, III des Appendix die leicht zu beweisende Formel:
angegeben ist; dabei hat man wie im Vorhergehenden i = 1 zu setzen Nun ist der Inhalt der Grundfläche cbb'c' gleich dem Produkt
dv ■ cb = dv ■ u cos -j- v, mithin
dK = -\- Idv • u cos -\- V ■ sin -f- 2w -\- \dv ■ iv ■ u cos -f- v.
Ferner erhält man aus dem rechtwinkligen Dreieck ace, wenn der Winkel ^ac mit a bezeichnet wird:
, , cot a a
cot 4- tv
sin -^v sin -f- V ' folglich
, sin -^v 1 a
Sin -f- w = -y^=i=^==: , cos -f- IV = —3=^=^= l/a^ 4" sin*-f- V ya'' -\- ain^ -^v
und
. ^ 2 a sin -4- v
sm -\-'2w= ~^~, — . g , , ' a^ -j- sin^ -f- V '
sodaß sich schließlich für dK der Ausdruck ergibt:
ji^ 1 ijKsin-^v 1 1^ L /si'i + ^\ aK = -^iu COS -f- vdv-i—, ^^^ ^ iwcos 4- vdva.rcts\ ^—
^ ' a' -|- sm^ -f- V ^ ' ° V a /
, 2 sin -f- V d (sin -^v) , , ^ . , n . /sin 4- v\ = — i ccM • v^-j — ^^i— ,— '^ — ~ — \u-d (sm + v) arctg -^ •
Hieraus findet man durch Integration nach v von 0 bis v:
K =\— \au log nat {er 4- sin^ -k- v) — \u • sin -f- v arctg — ^^
+ 1« / sin -\- vd arctg ( — ^ j = — g m sin 4" ^ arctg ( — ^ j ,
0
wofür man auch schreiben kann
K == -^ ^u sin -\- V • IV. Da der Inhalt der Grundfläche ahbc des Körpers K
= -»- w sin -\- V
ist, während iv = ct als seine Höhe angesprochen werden kann, so er- gibt sich der Satz: „Der Körper K ist {absolut) = dem halben Produkt aus der Grundfläche und der Höhe/'
Volumen des Tetraeders 113
Soweit Johann. Bedenkt man nunmehr, daß Gauss am 6. März 1832 au Wolfgang Bolyai über die Arbeit Johanns, den Appendix, geschrie- ben und jenen gebeten hatte, Johann aufzufordern, er möge sich mit der Aufgabe beschäftigen:
„den Kubikinhalt des Tetraeders (von vier Ebenen begrenzten
Raumes) zu berechnen", beachtet man ferner, daß Wolfgang eine Abschrift des Briefen an Jo- hann sandte, die dieser am 6. April 1832 erhalten hat, so erscheint es als sehr wahrscheinlich, daß die soeben mitgeteilten Aufzeichnungen Johanns auf Veranlassung des Briefes von Gauss niedergeschrieben worden sind, und damit stimmt auch vortrefflich das Datum des 5. Mai 1832.
Höchst merkwürdig ist, daß die Methode, deren sich Gauss zur Kubierung des Tetraeders bedient hatte, genau dieselbe ist tvie die von Johann. Das zeigt eine aus dem März 1832 stammende Notiz, die aus GAUSSens Nachlaß in den Werken (Bd. VIII, S. 228) abgedruckt ist; Gauss hat genau dasselbe Spezialtetraeder (das bei ihm nur 3142 statt abcb heißt), genau dieselbe Zerlegung durch Ebenen senkrecht zu ab (31).
In den späteren Aufzeichnungen Johanns finden sich noch Um- gestaltungen der Formel
z
fcos^-^s \-|/cos*-f-s COS" a / y C03-C
deren Zweck die Ausführung der Integration mittels elementarer Funk- tionen („in endiger Form") ist. Da die hierauf gerichteten Bemühungen der Natur der Sache nach vergeblich bleiben mußten, soll von ihrer Mitteilung abgesehen werden.
Zweite Methode Zerlegung mittels Ebenen, die durch ab oder cö gehen Auf dem bereits erwähnten Zettel, der der Aufzeichnung über die Kubierung des Tetraeders aus dem Mai 1832 beigelegt ist, findet sich auch noch folgende Bemerkung:
„Dreht sich A abc [Fig. 8, S. 110] um ab, so ist das Differential dK des durch dasselbe erzeugten rechten Kegels
= — 2%dx sin^ -\- t/."
Gemeint ist die Scheibe, die durch Rotation von ce'f'f um die Achse ab entsteht. Die angegebene Formel findet sich im Appendix § 32, VII; % soU hier wieder den Quadranten bedeuten.
P. Stäckel: Wolfgang und Johann Bolyai I ö
114
Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kapitel XIII
.Aber
X =
arc sm
d
1^
cot-f-i/ '
dx =
cot -4" 2/
/3 — ä cot 4- 2/
!/■
cot -f- ?/ |/cot* -4^ 2/ — ^^
also
AK^-^
cot*-f- y 2iißd -^ y ■ sin* -^ i/
2 :r • rf cos -^ y ■ sin -f- t/ "
cos -^ 1/1/ cos* "4" 2/ — ^* ^^^' "f" 2/
■i/V'
cos*-^ y cos* fe
„Setzt man, um den einfachsten und zugleich merkwürdigsten Fall
zu haben, 6 '-^ 0, so wird
T ^^ 2nd cos -f- V
(IK ' ,-~
cos -f- 1/
und
K=2n log nat cos -f t/ + (C = 0)
= 2% ■ Abszisse von y in L." „Wächst nun bei dem rechtwinkligen asymptotischen Tetraeder T a um da, so ist offenbar
(IT = — • 27t log cos -}- eg,
und [in dem rechtwinkligen Dreieck efg]
cot -f- eg = cot -{- y • cos a,
also
und
cos -f eg =
T = 'I / f^a log nat —
cot -\-y • cosa, "j/l -|- cot* -f" 2/ ■ cos* a
cot -\- y ■ cos fi
Fig. 10
-|- cot* -^ 2/ • co8*a In Aufzeichnungen, die ungefähr aus dem Jahre 1856 stammen, hat Johann diesen Gedanken weiter ausgeführt. Nachdem er die vorhin mitgeteilte erste Methode auseinandergesetzt hat, sagt er: „Den Inhalt des Tetraeders in >S' zu bestimmen, eröffnet sich noch ein schöner Weg, wenn man zuerst den rechten Kegel ausdrückt: was (unter den unendlich vielen möglichen) auf zwei einfachere Arten ge- schehen kann; nämlich einmal mit der Grundfläche parallele Schnitte; zweitens durch die Achse senkrechte Ebenen. Auf letztere Art ist [Fig. 10]:
cot e -, /ir IX da; • 2 7r • sin* -|- a;
sin* -i- X -\- cot^ e
cot -\- y =
d (Kegel)
sin -\- X ' Dann das Tetraeder durch die cö enthaltenden Ebenen geschnitten."
Daneben findet sich eine der hier als Figur 11 bezeichneten ähnliche Figur (jedoch ohne Bezeichnung der Punkte usw. durch Buchstaben). Der
Volumen des Tetraeders
115
von Johann angedeutete Zusammenhang mit dem geraden Kegel besteht darin, daß das Volumenelement clt'6 des Tetraeders auch als Element eines Kreiskegels mit der Achse cb angesehen werden kann, der durch Drehung des rechtwinkligen Dreiecks cbt erzeugt wird.
An einer anderer Stelle ist Johann auf diesen Gedanken zurück- gekommen. Dort heißt es:
„Ist ah [Fig. 11] senkrecht auf bc, cb senkrecht auf abc, & = bc, t in ba, g gleich dem Winkel bei, l = ci, m gleich dem Winkel cöt,
b
Fig. 11
« gleich dem Winkel cib, T [das Volumen des Tetraeders] abcb, so ist:
cot -f- l = cot -^ b • cos g,
cot m = cot -^ l • sin -^ c = cot -\- h ■ coag • sin -{- c,
cot n = cot -^ c • sin -f- Z =
cot -^ c
|/l-|-C0t* + &-C08*^
cos* -f-C • C08*-f- l
dT _
1
log
cot 4- b • 008 g
yi -\- cot* -f Z • sin* -4" c/ '" yi + cot* -f- & • cos* ^ 1 cos* -4" c ■ 6ot* -f- b • cos^g
^ (1 -|- cot* -4" b • cos*^) |/l -f- cot* -4" b ■ cos*gf-sin*4-c
cot -4" b ■ cos g
1-
) log — = y 003*^1 -sin* "4- c/ |/l
|/l -f cot* -i(- b ■ 003*5»- sin*-4-cy ° l/l + cot*^ & • cos* jr
Aber dieser Ausdruck ist noch viel verwickelter als der auf dem ersten
Wtge erhaltene, indem hier nicht nur zwei Quadratwurzeln, sondern
auch ein Logarithmus vorkommt/'
8*
116
Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kapitel XIII
Es ist ein eigentümliches Zusammentreffen, daß dieser Weg zur Berechnung des Tetraeders abcb genau derselbe ist, den Lobatschefskij in seiner Abhandlung Ueber die Anfangsgründe der Geometrie (1829) ein- geschlagen hatte. Lobatschefskij gibt auch den richtigen Ausdruck
J rp
für -^-; Johann hat bei der Ausrechnung ein Versehen gemacht.
Dritte Methode
Zerlegung mittels Hypersphären , die der Grundfläche ahc parallel sind Den beiden ersten Methoden hat Johann (in Aufzeichnungen un- gefähr aus dem Jahre 1856) zwei neue hinzugefügt, ohne sie freilich vollständig durchzuführen. Die dritte Methode besteht in der Zerlegung des Tetraeders abcb mittels Hypersphären, die zur Grundfläche parallel (äquidistant) sind.
„[Es sei] ab [Fig. 12] senkrecht auf hc, ahc auf cb, a = ab, h = 'bc, c -= cb, e in cb, x = cz. Die durch e [gelegte] mit abc parallele Hyper-
Fig. 12
Sphäre schneide das Tetraeder abcb in dem hypersphärischen Drei- eck feg. Ist a^bi senkrecht auf bc [und der Winkel q,b\:\^s\ so ist:
cot^ = cot -\- c ' ^\vl -\- h j
cot z cot -f- c • sin -^ &
sin 4- bl?
cot-4-a; cot-^-a; '
^cot -^ c • sin -f- feN
cl} = & -f- aresin (
cot -^x
Ist desgleichen ff senkrecht auf ac, d = ac [und der Winkel faf m], so ist
Volumen des Tetraeders WJ
cot u = cot -f- c ■ sin -|- d,
= cot ^ c • ]/l — cos^ 4- a ' cos^ -f- b,
• j^ * _ COtM _ cot 4" C • |/l — C0B*4-a- C08*-f-^
' cot -f- a; cot -f- a; '
«71 • /cot -f- c • l/l — cos- 4- a ■ coB* -f- ft'
er = a + arcsin I - — ^^ . , ^ X_
\ cot -f- X
Nun ist das Dreieck Ijcf [bekannt] aus clj, Winkel i}ci, ci, woraus auch die Winkel bei fj, f nach den Formeln für die allgemeinen Drei- ecke berechnet -werden können. Dann [läßt sich] dadurch [das hyper- sphärische] Dreieck gef berechnen, womit man das Differential des Tetra- eders [, nämlich] das zwischen den zwei parallelen Flächen [im Abstände x und X -j- dx] begrenzte Stück des Tetraeders abcb erhält, auf dessen Integration nunmehr alles ankommt."
Johann fügt hinzu, daß dieser Weg allerdings verdiene ausgeführt zu werden, daß jedoch allem Anschein nach die Formeln verwickelt ausfallen würden. J. Fkischauf hat im Jahre 1876 im seinen Ele- menten der absoluten Geometrie unabhängig von Johann Boltai, dessen Nachlaß damals noch der Durchsicht harrte, die dritte Methode ange- geben, ohne jedoch die Ausführung der Rechnungen mitzuteilen, weil ihm, wie Johann, die Formeln zu wenig einfach erschienen. Nachdem jedoch Stäckel im Jahre 1901 über Johanns Untersuchungen berichtet hatte, ist Frischauf auf die dritte Methode zurückgekommen und hat gezeigt, daß man mit ihrer Hilfe schließlich auf dieselbe Integralformel geführt wird, die bei der ersten Methode auftrat; dabei ergibt sich auch ein Beweis der Formel für das Körperelement K, die bei der ersten Methode benutzt wurde.
Vierte Methode Zurückfülirimg auf asymptotische Tetraeder
Den Gedanken zu einer vierten Methode, der vielleicht auch aus der Jugendperiode stammt, enthält die folgende kurze Notiz:
„Am einfachsten dürfte man wohl zum Ausdruck des Tetraeders gelangen, wenn man ah ]^ beb, Winkel beb gleich jR [Fig. 13, S. 118], bn, ap [|! c6 annimmt und den Inhalt von der dreikantigen endlosen Röhre sowohl der Grundfläche Aabc als jener Aabb sucht und letztere Röhre von der ersteren abzieht, indem der Unterschied hier offenbar abcb ist. Die Größe der Röhre auf dem Dreieck abb findet man einfachst 80 , . . aber endig wird es wohl ebensowenig sich ausdrücken lassen."
Asymptotische Tetraeder, wie die von Johann betrachteten, kommen auch bei Lobatschefskij vor, der eine sehr einfache, direkte Methode
118 Leben und Schritten der beiden Bolyai. Kapitel XIII
zu ihrer Berechnung angegeben hat. Um so wichtiger wäre es gewesen, wenn die Methode, die Johann zur direkten Berechnung asymptotischer Tetraeder anwenden wollte, sich in seinen Papieren hätte finden lassen; leider ist das nicht gelungen.
Es lohnt sich, einen Blick zurückzuwerfen und die Gesamtleistung Johann BoLYAis für die Aufgabe des Kubierung des Tetraeders ins Auge zu fassen. Er hat die Aufgabe auf verschiedene Arten angegriffen und seine Darlegungen zeigen, das er deren Eigenart vollständig durchschaut hatte. Es ist ihm jedoch nicht gelungen, die Formeln für den Inhalt des Tetraeders auf eine einfache, für die Berechnung geeignete Gestalt zu bringen, zum Teil aus dem Grunde, weil er in dem Wahn befangen war, die dabei auftretenden Integralformeln müßten sich durch geschlos- sene Ausdrücke darstellen lassen.
Auch auf diesem Gebiete sind Gauss und Lobatschefskij seine Nebenbuhler gewesen. Gauss hat nur zwei Formeln, ohne Beweis, auf- geschrieben; sie stimmen mit den von Johann gefundenen durchaus über- ein. Dagegen hat Lobatschefskij ausführliche Untersuchungen ange- stellt, durch die die analytische Darstellung der Integralformeln für das Tetraedervolumen erheblich gefördert worden ist, und man wird ihm in dieser Beziehung den Vorrang vor Johann geben müssen.
Während über die beiden ersten der zu Anfang dieses Kapitels aufgezählten Fragen umfangreiche Aufzeichnungen Johanns vorhanden sind, besitzen wir für die dritte Frage, ob es sich entscheiden läßt, welches der subjektiv möglichen Systeme der Geometrie in Wirklich- keit gelte, nur sehr wenige und unzureichende Äußerungen. Über die „praktische Entscheidung" durch Messungen hat Johann 1851 in den Bemerkungen zu N. Lobatschefskijs Geometrischen Unfersuchimgen ^ur Theorie der ParallelUnien vom Jahre 1840 gehandelt. Auf diese Untersuchungen wird im XVI. Kapitel ausführlich eingegangen werden;
Unbeweisbarkeit des XI. Axioms 119
hier sei nur bemerkt, daß er zu dem Ergebnis kommt, durch irdische Messungen könne nicht entschieden werden, ob 2J oder irgend ein S gelte; aber auch die astronomischen Beobachtungen hätten bis jetzt keinen Aufschluß über die Fra^e gegeben.
Neben eine solche Entscheidung a posteriori stellt Johann jedoch eine Entscheidung a priori, und gerade diese hat ihn, wenn nicht früher, schon im Jahre 1830 beschäftigt. Dies zeigen die Schlußworte des Appen- dix: „Es bliebe endlich übrig (um den Gegenstand völlig zu erschöpfen), den Beweis dafür zu geben, daß es unmöglich ist (ohne irgend eine An- nahme) zu entscheiden, ob Z oder irgend ein (und welches) S stattfindet; dies mag jedoch einer geeigneteren Gelegenheit vorbehalten bleiben".
Als Wolfgang, wie zu Anfang dieses Kapitels erwähnt wurde, am 20. April 1835 an Gauss schrieb, sein Sohn behaupte einen evidenten Beweis davon zu haben, „daß es absolut unmöglich sei dem mensch- lichen Auge, es einzusehen, ob das XI. Axiom wahr sei oder nicht", hatte er kurz zuvor am 15. April, aus Domäld einen Brief Johanns erhalten, in dem dieser seine Gedanken hierüber kurz dargelegt hatte, zu kurz, denn es läßt sich daraus nicht mit Sicherheit entnehmen, wo- rauf Johann eigentlich hinauswollte. Immerhin scheint es angebracht, den Brief abzudrucken.
„Da ich sehe, daß [Sie] in Bezug auf die impossihilitas noch nicht beruhigt sind (ich selbst pflege in bezug auf etwas weder eo ipso noch per se zu ruhen, solange ich darüber nicht beruhigt und befriedigt bin, und liebe es, der allerstrengste Richter darüber zu sein, wie auch jede Objektion und jeder Skrupel des Zensors mir gerade willkommen ist), Bo sende ich eine kleine Aufklärung. Die Sache ist per se so ungeheuer wichtig und würdig, und es darf, gerade weil sie so heikel ist, mit Recht nichts versäumt werden, um sie vöUig ins Reine zu bringen. Welcher Gewinn (sowohl für die Sache selbst als für das menschliche Geschlecht), wenn auch nur ein GAUSSisches Talent in künftigen Zeiten dadurch vor dem Versinken ins Bodenlose gerettet wird? Der leichteren Übersichtlichkeit und der Klarheit wegen dränge ich die Demonstration möglichst kurz zusammen und beleuchte sie dann mit einigen Anmer- kungen."
„1. Entweder gibt es ein (endliches) i {p-\-q}, oder nicht, und wenn in jener Gleichung, die den A des ebenen As durch die Seiten ausdrückt, aus der, wie bekannt, das übrige alles fließt und die ich der Kürze wegen mit 3t bezeichne, im zweiten Falle der limes jenes Winkels genommen wird, nach dem a [Fig. 14, S. 120] für / '^ oo tendiert: coitstat, daß die erwähnte Formel absolut wahr ist. Es ergeben sich also a, ß, y durch a, h, c und i."
J20 Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kapitel XIII
„2. Und es ist klar: daß (icli trage die Demonstration in direkter Form vor) aus der Untersuchung der Peripherie irgend eines und des- selben As durcli X per se niemals bestimmt werden kann, ob i existiert oder nicht; offenbar wäre nur dies nötig; denn wenn man auch wüßte, daß S besteht, so ist klar, daß a priori in Bezug auf i keine weitere Bestimmung gemacht werden kann als eine solche, die schon durch Zahlen definiert ist; und wenn wir ein vollkom- menes planum, eine vollkommene recta machen könnten und einen eben solchen circinus, dann könn- ten wir a posteriori (und in dieser Form auch nur so) i wenigstens approximativ determinieren; und wir könnten (so unmöglich es auch ist, ein voll- kommenes planum usw. zu machen) mit einer, in Rücksicht auf das vorgestreckte Ziel, für die Praxis durchaus genügenden Akkuration i konstruieren (wenn nur bekannt wäre, daß es vorhanden ist). Man kann also aus der Peripherie des planen As mit Hilfe von X, gerade weil X den A nicht anders als mit Hilfe von i ergibt, in Bezug auf i offenkundiger Weise niemals prorsus irgend etwas bestimmen. Diese conclusio wäre nicht richtig, wenn in X an die Stelle von i gesetzt würde p-\- q (wo p, q entweder beide reale oder beide imaginäre Längen bedeuten). Denn, wenn ich dann durch die 3 A die eine Seite a aus- drücke, so sieht man leicht, daß cos — -. — = wäre einer realen Quanti-
tat, was offenbar nur dann möglich ist, wenn — ^r^- ^^^^ quantitas pura, nicht mixta (auch ich nenne sie seit langer Zeit so), also entweder p oder q = 0 und auch i pura [wäre]. Dann würde sich also für i eine gewisse Bestimmung ergeben. Da ferner cos =cos(2i^jt ) pro quovis
n integre reali, so zeigt sich handgreiflich, daß, da /wo respeäive iisdem cc, ß, (y), c vom Ende von c aus usw. nur ein planes A möglich ist (weil
ac nicht mehrmals hc schneidet), notwendig 2wjr ein mixtum, und
daher (da 2n7r: real ist) p ein j)Mre imaginär ium wäre. Aus der obigen generalen Annahme, daß nämlich i=p-\-q sei, folgte also nur so- viel an Bestimmung, daß i real sei. (Die gegenwärtige Demonstration kann leicht auch apagogisch geführt werden.) Es wäre also nur noch [zu zeigen], daß man noch mehr wie dies in Bezug auf i nicht bestimmen kann."
Ungefähr aus derselben Zeit, vielleicht sogar etwas früher, ist der Anfang eines Entwurfes zu einem
„Beweis der Unmöglichkeit, das XL Euklidische Axiom zu heiveisen
oder umzustoßen."
Unbeweisbarkeit des XI. Axioms 121
„Lelirsatz. Ob (an und für sich in der Wirklichkeit), wenn bn|||am ist, bam + abn= oder <2Ii sei; ob für jede endliche Länge x das zugehörige X (§ 23 [des Appendix\) = oder > 1 sei; ob, wenn bnn in bam liegt, jede zwei Gerade amm, bnn, aus den Endpunkten einer dritten ab, in einer Ebene, innere Winkel bam, abn mit ah bildend, deren Summe < 2J2 ist, sich schneiden, oder auch dabei ein Nicht- schnitt statthaben könne, — kurz, ob die Euklidsche Raumlehre oder irgend ein antieuklidisches System in der Wirklichkeit bestehe, läßt sich durch keine logischen Schlüsse entscheiden. Nur so viel läßt sich bei bn|||am herausbringen, daß die Summe bam-}- abn nicht >2R, ferner jedes X nicht <1. Ob (im Sinne des § 20) i endlich oder unendlich sei, bleibt jedem Verstände, welchem es nicht unmittelbar klar ist, ein un- enthüUbares Geheimnis. Da jedoch eine solche axiomatische Anschauung keinem menschlichen Verstände einleuchtend ist und je sein kann, so bleibt es ewig ein Rätsel."
Ferner ist ein Briefumschlag mit Johanns Adresse vorhanden, auf dessen Innenseite dieser, der Briefumschläge oft zu Notizen verwendete, folgende Bemerkung eingetragen hat:
„Durch die Trigonometrie geht es also nicht: bei aller Anwendung derselben findet man nur Gereimtheiten im unbestimmten Systeme, nie erfolgt die Bestimmung des Systems daraus. Womit denn der Beweis der Unmöglichkeit i zu bestimmen, vollendet ist."
„Kann man sich bei diesem Umstände beruhigen? Gar sehr wohl! Und schön genug bleibt die Raumlehre doch. Es liegt eben in der Natur der Sache, daß dieses nicht durch logische Schlüsse, [sondern] nur durch unmittelbare Anschauung erkannt werden könne. Ja, selbst auch für Engel ist es unzugänglich, wenn sie es nicht unmittelbar erschauen. Es gibt nur ein Wesen, dessen Anschauung die ganze Natur offen steht: Gott, den Raummeister."
In dieselben Gedankenreihe gehört auch eine Aufzeichnung, die aus der Zeit zwischen 1850 und 1858 stammt:
„Man erhält bei der Analyse eines Systems [von Punkten] in der Ebene offenbar ganz dieselben Formeln wie auf der Kugel, und da nun auf der Kugel bei vollständiger Analyse stets Konsequenz gefunden werden muß, da die Kugeltrigonometrie absolut gilt: so ist klar, daß ebenso in der Ebene bei jeder Betrachtung von Punktsystemen ewig Konsequenz bestehen müsse. Daraus ist denn evident, daß aus S in einer Ebene nie [ein Wider- spruch hergeleitet werden kann]. Auch direkt kann man nicht zur Be- stimmung von i gelangen. Denn welchen Weg man auch immer in der Ebene befolgen mag, welchen Teil der Ebene immer betrachten, so kann man denselben sofort absolut vollständig ausdrücken, was oft das
122 Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kapitel XIII
Meiste ist, was mau bisher leisten kann, und es erfolgt keine Bestim- mung von i daraus. Aber i bleibt ja doch nicht völlig unbestimmt. Es läßt sich vielmehr zeigen, daß, uenn der Ausdruck des ebenen recht- winkligen Dreiecks so aussieht:
, b . . c sm -i — : sm 4 — ' — sm ac
für r '— ^ i, dann i weder ein gemischter Stand, noch 0, sondern ein glatter Stand sein müsse. Denn usw."
Unter einem glatten Stand versteht Johann eine reelle oder eine rein imaginäre Größe, unter einem gemischten Stand eine wesentlich komplexe Größe. Das Wort Stand sucht er durch die Bemerkung zu rechtfertigen, daß man ja vom Stande eines Thermometers spreche, der durch eine positive oder negative reelle Größe ausgedrückt werde; wenn man das Wort Skalar verdeutschen wollte, so wäre die Übersetzung durch Stand ernstlich in Betracht zu ziehen.
Wenn Johann hinzufügt: „Aber ob i endlich oder unendlich sei, bleibt bei Betrachtung in einer Ebene ewig unentschieden. Nun ist aber die Frage, ob nicht etwa Betrachtungen im Räume doch zur Rechtfertigung von 2J verhelfen könnten", so formuliert er damit einen Einwand, den er später gegen seinen alten Beweis erhoben hatte. „Bei der lateinischen Her- ausgabe der Grundzüge der neuen selbständigen Raumlehre hoffte der Ver- fasser noch die Unmöglichkeit usw. zeigen zu können. Bei näherer Unter- suchung zeigte es sich vielmehr, daß sowohl eine Möglichkeit da sei, für das Euklidsche System zu entscheiden, als auch eine des Unentschieden- bleibens, und daß man fsolange die Sache noch unentschieden ist) weder von einer Entscheidbarkeit noch von einer Unentscheidbarkeit a priori einen Beweis geben könne, sodaß ein weiterer Versuch zu entscheiden einem Schatzo-räber oliche . . . Das XI. Axiom ist entweder erweislich oder unerweislich. Eine Uuerweisbarkeit läßt sich durchaus nicht be- weisen, und auch ein Beweis davon könnte nur durch die Tat selbst, d. i. durch einen wirklichen Beweis, nachgewiesen werden."
Wann Johann dazu gelangt ist, die Unvollständigkeit seines Be- weisversuches zu erkennen, hat sich nicht mit Sicherheit feststellen lassen. Es scheint, daß ihm schon um 1837 Bedenken gekommen sind, denn in Randbemerkungen zu der deutschen Fassung des Appendix, die aus dieser Zeit stammen, äußert er sich so:
„Ob entschieden werden und die Raumlehre auch in dieser Hin- sicht vollendet werden könne, welches von beiden statthabe, ob i end- lich oder unendlich, ist bis jetzt unbekannt. Soviel ist gewiß, daß eine Entscheidung, wenn sie möglich ist, nur auf dem hier angedeuteten Wege errungen werden kann."
Unbeweisbaikeit des XI. Axioms 123
Dieser „angedeutetete Weg" aber besteht darin, daß die absolute Raumlehre vollständig durchgeführt und untersucht wird, ob sich dabei ein Widerspruch ergibt.
Johanns Versuche, zu beweisen, daß es sich nicht entscheiden lasse, ob Z: oder irgend eines der Systeme S gelte, münden also schließlich in der Frage aus, ob das System S mit unbestimmtem i konsistent im Simie der neueren Mathematiker, das heißt, in sich frei von Wider- sprüchen ist. Während nun Johann im Jahre 1825 von der Wider- spruchslosigkeit seiner neuen Geometrie voUständig überzeugt war und daran auch in den folgenden Jahren festgehalten hat, sind ihm, wie die mitgeteilten Bemerkungen zeigen, später Bedenken gekommen, ja er äußert sich sogar in den Aufzeichnungen, denen die vorher mit- geteilten Stücke entnommen sind, dahin, „insofern jedoch, wenn S logisch denkbar ist, auch 2J [es ist] (als besonderer Fall), nicht aber umgekehrt >S', so scheint 2J mehr für sich zu haben, obschon keines- wegs ausgemacht." Im Jahre 1856 hat Johann sogar geglaubt, durch räumliche Betrachtungen wirklich einen Widerspruch in S nachgewiesen und damit die absolute Gültigkeit des Parallelenaxioms dar- getan zu haben.
Es liegt eine ergreifende Tragik darin, daß Johann Bolyai in seinem Alter an der Einsicht irre geworden ist, die seinen unsterb- lichen Ruhm ausmacht, daß nämlich die von ihm begründete absolute Geometrie in sich widerspruchslos ist und es sich nicht entscheiden läßt, welches der subjektiv möglichen geometrischen Systeme der Be- schreibung der geometrischen Tatsachen zu Grunde zu legen ist. Diese Tragik wird dadurch noch erschütternder, daß der Einwand, den Johann machte, daß nämlich die Äquivalenz der absoluten Trigonometrie der Ebene mit der sphärischen Trigonometrie noch nicht die Widerspruchs- losigkeit der absoluten Geometrie im Baume sicherstelle, durchaus be- rechtigt war und seinem Scharfsinn Ehre machte. Jedoch gehören diese Betrachtungen einer späteren Zeit an als der, die wir jetzt zu schildern haben, und soUen daher auf das XVIII. Kapitel aufgespart werden.
XIV. Kapitel
Wolfg^ans: und Johann BOLYAis Arbeiten über imaginäre Größen
In dem Briefwechsel, den Wolfgang und Johann BoLYAi während der Jahre 1835 — 1837 unterhielten, spielt die Lehre von den imaginären Größen eine wichtige Rolle.
Über Wolfgangs Versuche, in dieses damals recht dunkle Gebiet der Mathematik Licht zu bringen, ist bereits im V. Kapitel berichtet worden, und daß die imaginären Größen für Johanns geometrische Untersuchungen Bedeutung gewonnen hatten, hat das vorhergehende Kapitel gezeigt. Es erscheint daher an und für sich durchaus glaub- würdig und wird auch durch Aufzeichnungen in seinem Nachlaß be- stätigt, wenn dieser behauptet, seine Gedanken über den Gegenstand seien im wesentlichen schon im Jahre 1831 ausgebildet worden.
Die Zwistigkeiten zwischen Vater und Sohn, zu denen es bei der Entdeckung der absoluten Geometrie durch Johann gekommen war, sind zum Teil dadurch veranlaßt worden, daß Wolfgang, wenn auch nicht eifersüchtig auf die Erfolge seines Sohnes, doch ängstlich auf die Er- haltung der väterlichen Autorität bedacht war. Es ist daher erklärlich, daß die Kritik, die Johann in seinen Briefen an den Alisführungen des Vaters über die imaginären Größen übte, diesen empfindlich berührte, um so mehr, als Johann seine Einwände in schonungsloser Schärfe vortrug. Dementsprechend fielen Wolfgangs Antworten aus. Johann war jedoch inzwischen älter geworden, er hatte seinen Wert erkannt, er fühlte sich auch, wie gelegentliche Äußerungen zeigen, als Hauptmann dem Professor gegenüber gleichberechtigt, und so wurde der Streit immer erbitterter.
In dem Hauptpunkt der sachlichen Meinungsverschiedenheiten war das Recht sicherlich auf Johanns Seite. Wolfgang hatte auf Grund ziemlich unklarer Betrachtungen über den Begriff der absoluten Multi- plikation und Division eine Erklärung der Proportion im Gebiete der komplexen Größen aufgestellt, aus der die Gleichung
1 : y - 1 = y^^ : 1
folgte. „Es kann nicht möglich sein", schreibt Johann, „daß Sie dies[en Fehler] nicht bemerken und durch die Exaktheit meiner Behauptung nicht überzeugt werden, denn die Sonne strahlt nicht so klar wie dieses;
Die Preisaufgabe der JABioNowsKischeii Gesellachaft (1837) 125
uud wenn Sie sich überzeugt haben, so überzeugen Sie sich auch davon (was Ihnen nicht zu kleinerem Ruhme gereicht als Ihre Lehren), daß Sie trotz allem schönen und meisterhaften Scharfsinn, trotz der echten Gründ- lichkeit und des Strebens nach Evidenz in dieser Sache — als Mensch uud, wie auch ich bisher nicht nur einmal, als Rechner — strauchelten und auf ganz unklarer Grundlage gebaut haben. Daß Sie einem so überaus wichtigen Gegenstande so lange befangen gegenüber standen, hat seinen Grund darin und kommt davon, daß Sie Ihre einmal liebgewonnene und angenommene, jedoch unzweckmäßige Grundidee, wonach Sie die Multiplikation zunächst für + 1, nachher für *— 1 zu Ende zu führen wünschten, durchaus nicht aufgeben wollten, und als Sie die Kollision wahrnahmen, waren sie bereit, lieber der Definition der Proportion Zwano- anzutun, als von Ihrer geliebten Grundidee abzulassen. Nun ist es un- möglich, daß Sie nicht selbst den Zusammenbruch ihrer Theorie ein- sähen. Eine Dunkelheit und einen Irrwahn, der so langte gewährt hat, zu beheben, bereitet mir und, wie ich hoffe, auch Ihnen Vergnügen und Wonne."
So standen die Dinge, als im Herbst 1837 ein KoUege von Wolf- gang am ev. ref. KoUegium zu Maros-Väsärhely, Professor Alexius Dösa, diesen auf eine Mitteilung in der Märznummer des Intelligenzblattes der Allgemeinen Literatur zeitung (Halle-Leipzig) aufmerksam machte. Dort wurde daran erinnert, daß die Zeit für die Einsendung der Arbeiten zur Bewerbung um die laufenden Preise der Fürstlich JABLOxowsKischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig mit dem Monat November ablaufe; gleichzeitig wurden die Preisaufgaben wiederholt. Die mathe- matische, von dem ordentlichen Professor der Mathematik an der Uni- versität Leipzig M. W. Drobisch (1802—1896) gestellt, lautete (in der dort gegebenen deutschen Übersetzung des ursprünglichen lateinischen Textes) folgendermaßen:
„Wie bekannt, sind die imaginären Größen gegenwärtig nicht nur in der Analysis, sondern auch in der analytischen Geometrie von häufigem Gebrauch. Gauss hat gezeigt, daß diese Größen, denen man gewöhnlich alle Realität abzusprechen pflegt, gleichwohl so wenig als die negativen Größen einer Versinnlichung entbehren. Außerdem haben andere Geo- meter, namentlich Buee, Moürey, Warrex, zu beweisen gesucht, daß, wenn man in geometrischen Untersuchungen auf imaginäre Größen kommt, sich diese auch immer konstruieren lassen. Da diese Lehre jedoch noch nicht allgemeine Anerkennung gefunden hat, so wirft die Gesellschaft die Frage auf:
ob die Lehre von der Konstruktion der imaginären Größen sich so begründen und ausbilden läßt, daß vermöge derselben
126 Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kapitel XIV
nach sicheren Regeln die Konstruktionen angegeben werden können, die überall, wo sich die Geometer der imaginären Größen bedienen, versteckt liegen mögen, oder, wenn dieses unmöglich, daß wenigstens die Bedingungen erhellen, unter denen jene Größen konstruierbar sind."
Hierdurch schien die Möglichkeit gegeben, daß unparteiische Richter den Streit zwischen Wolfgang und Johann schlichteten. Jener schrieb daher an Johann, setzte ihn von der Preisaufgabe in Kenntnis, erklärte, daß er sich um den Preis bewerben und sogleich an die Arbeit gehen werde, und forderte ihn auf, das Gleiche zu tun.
Johann verfaßte nun eine Abhandlung, die aus einem Bogen (acht Seiten Quartformat) bestand, und übergab sie seinem Vater. Es wurde ausgemacht, daß keiner von beiden die Arbeit des andern lesen solle; beide Abhandlungen sollten zusammen einem der Wiener Bekannten Wolfgangs übergeben werden, damit er sie von dort aus an den Sekretär der Leipziger Gesellschaft, Professor Kühn, gelangen ließe. Wolfgang und Johann hofften, Graf Teleki, der damals gerade nach Wien reisen wollte, würde die Papiere dorthin mitnehmen, sie erfuhren jedoch auf ihre Erkundigung, daß dieser Maros-Väsärhely bereits verlassen habe. Daher mußte die Post benutzt werden. Beim Einpacken konnte Wolfgang der Versuchung nicht widerstehen, seine Abhandlung dem Sohne zu zeigen. Dieser las sie und nahm mit einem plötzlichen Entschluß seine eigene Abhandlung wieder an sich, indem er sagte, er bedauere, sie ge- schrieben zu haben.
Was Johann zu diesem Bedauern veranlaßte, ist schwer zu ergründen. War es die unverkennbare Ähnlichkeit der Arbeiten und das Gefühl, wie viel er dabei seinem Vater verdankte? Oder war es umgekehrt die Ent- rüstung darüber, daß der Vater Gedanken von ihm benutzt hatte? War es die Empfindung, daß ein solcher öffentlicher Wettkampf zwischen Vater und Sohn unschön sei? Was aber auch der Grund gewesen sein mag, so wurde Johann bald anderen Sinnes. Nachdem er Wolfgang ver- lassen hatte, ging er zur Post und sandte seine Abhandlung nach Leipzig; seinem Vater machte er davon keine Mitteilung, vielleicht aus einem falschen Gefühl der Scham.
Wolfgang hatte seine Abhandlung zurückbehalten, weil er abwarten woUte, ob Johann seinen Entschluß änderen und sich doch an der Preis- bewerbung beteiligen würde. Schließlich kam ihm jedoch das Bedenken, ob er nicht bei längerem Zögern den Termin versäume, weil er unsicher war, was der Ausdruck: die Zeit der Einreichung endet mit dem Monat November bedeute, ob den Anfang oder das Ende des Monats. Er sagte daher seinem Sohne, daß er seine Abhandlung nunmehr
Die Preisaufgabe der JABLoxowsKischen Geeellschaft (1837) 127
absenden wolle, und fragte ihn, wie es mit der seinigen stehe. Johann antwortete darauf: „Ich schicke sie nun nicht.*'
Weil Wolfgang nicht sicher war, ob Alexius Katona in Wien, an den er seine Abhandlung geschickt hatte, diese nach Leipzig weiter- gegeben habe, wandte er sich an seinen Schüler Peter BoD, der sich in Wien aufhielt In einem Briefe an BoD vom November 1837 beklaoi er sich, wie häßlich Johann sich betragen habe: „Als ich neulich zur Post ging, sah ich dort eine Empfangsbestätigung, aps Leipzig mit der Unterschrift: Professor Kühn."
Der peinliche Vorfall, der, eine langjährige Entfremdung zwischen Vater und Sohn nach sich zog, hatte leider noch ein böses Nach- spiel. Am 19. März 1838 hatte Wolfgang an seinen Bruder Anton geschrieben und den Klagen über Johanns Verhalten freien Lauf gelassen. Was er über dessen Leben und Treiben berichtet, zeigt jedenfalls, daß Johann in Maros-Väsärhely in schlechtem Rufe stand. Es darf jedoch hier um so eher übergangen werden, als sich jetzt die Wahrheit von Klatsch und Zuträgereien nicht mehr sondern läßt. Wohl aber muß erwähnt werden, was Wolfgang über die gemeinsame Preisbewerbung erzählt. „Seine Abhandlung war schlecht, und obwohl sie rechtzeitig abgesandt wurde, konnte sie natürlich nicht gewinnen. Die meinige ist einen Tag nach dem Termin eingetroffen. Daß er sie nicht einschicke, war eine häßliche Lüge von ihm, und er bereut es auch, geschrieben zu haben, nachdem es so augenscheinlich heraus- gekommen ist, daß er sie geschickt habe."
Auf dem Briefe war vermerkt: „Verbrenne ihn!" Anton hatte das nicht getan, und nach seinem Tode im Jahre 1845 fiel der Brief in Johanns Hände. In fürchterlicher Wut wandte er sich mit folgenden Worten an Wolfgang:
„Als Beilage sende ich Ihnen einen Ihrer Briefe an Anton. Diesen hatte ich, da Sie sowohl in diesem als auch in den übrigen unzähligen [Briefen] meine Ehre zu kränken und zu untergraben trachteten, mit Wissen Gregors aufbewahrt, um mich zu verteidigen. Damit diese Ge- schmacklosigkeit ein Ende habe, führe ich diese Absicht teils auf diesem Briefumschlag, teils auf einzelnen Blättern aus."
„Daß ich, der ich, so lange ich in Maros-Väsärhely wohnte, mit den Menschen so wenig in Berührung kam, mich besudelt hätte, ist nicht wahr, und wie weit es für einen Vater passend ist, selbst für den Fall, daß es wahr sei, eine solche Gelegenheit zu ergreifen, um in Wonne dem lieben und geliebten Bruder solches zu schreiben, das zu beurteilen über- lasse ich Ihnen. . . ."
„Nun folgt für mich die moralisch allerschwerwiegendste Anklage:
128 Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kapitel XIV
ich hätte häßlich gelogen. Das Wort häßlich ist schon an und für sich unwürdig. . . . Ihrer Erziehung und Ihren Grundsätzen viel ver- dankend . . . bildete die unbegrenzte Wahrheitsliebe in Moral und Wis- senschaft den Hauptzug meines Charakters. . . ."
„Da ich meine Abhandlung in solcher Entrüstung von Ihnen trug, gab ich sie unmittelbar zur Post und bediente mich, nachdem dieses vorgefallen war und Sie mich fragten, ob ich sie abschicken wolle, in meiner Entrüstung einer kleinen Politik. Ich nahm nach dem englischen Rechte das Wort in buchstäblichem Sinne. Da ich dieses bei aller Klarheit als mit der Moral nicht vollständig übereinstimmend erachte, so mache ich davon nur in den allerseltensten Fällen Gebrauch. Abwägend und mit Nachdruck sagte ich: <Ich schicke sie nun nicht!*, was auch auf Wahrheit beruhte, da ich sie damals schon abgeschickt hatte. Quod erat demonstrandum!"
Der Sturm der Leidenschaft legte sich und Johann suchte den greisen Vater zu versöhnen, dem er doppelte Bitternis bereitet hatte. Er hoffe sehr, schreibt er, daß sie beide in demselben Maße, wie sie sich früher in vielem widersprochen hätten, betrogen, befangen von irgend- einem hinreißenden Ideal oder Prinzip, sich noch bei Lebzeiten einigen würden, nachdem ihnen alle Schleier von den Augen gefallen und die düsteren Irrgänge sich erleuchtet hätten. . . . Aller Mißmut solle aus- gesöhnt und ein neues Leben begonnen werden.
Wolfgang war zum Frieden bereit. Es vergingen einige r üb ige Jahre, bis zum Schluß ein neuer Zwist entflammte. Doch wir dürfen den späteren Kapiteln nicht vorgreifen und kehren zurück zur Bewer- bung um den Preis der Fürstlich jABLONOWSKischen Gesellschaft der Wissenschaften.
Das Urteil der Gesellschaft wurde im März 1838 verkündet. Es seien drei Abhandlungen eingereicht worden, die die vorgelegte mathe- matische Frage über die Konstruktion der imaginären Größen behan- delten, jedoch habe, zum lebhaften Bedauern der Gesellschaft, keine des Preises würdig geschienen.
„Denn die erste Arbeit, mit dem Motto: Sigillum veri simplex (das Einfache ist das Siegel des Wahren) leidet ziemlich stark an Dunkel- heit der Sprache, an undeutlicher Erklärung der Begriffe, an unnützer Aufhäufung ungebräuchlicher Zeichen und an dem Mangel einzuerntender Früchte, wofern man nicht etwa den Umstand als Ersatz für eine solche Frucht annehmen wiU, daß der Verfasser krumme Linien, deren Glei- chungen nur aus reellen Größen zusammengesetzt sind, mit schwarzer, solche aber, bei denen imaginäre Formeln auftreten, mit roter Farbe darzustellen empfiehlt."
Die Pieisaufgabe der JABLONowsKischen Gesellschaft (1837) 129
„Nicht viel lobenswerter erschien die andere Arbeit mit dem Motto: Frudus nonnisi maturi üecerpmdi (Nur reife Früchte darf man pflücken). Diese ist jener ersten in jeder Beziehung, namentlich auch insofern nicht unähnlich, als sie, wenn aucli nicht so arg, doch beinahe in dieselben Fehler verfällt, die wir bei der Beurteilung jener getadelt haben."
„Die Arbeit mit dem Motto : Auf dem Gebiete der Mathematik usw. zeichnet sich so aus, daß die Gesellschaft dem Herrn Verfasser die Hälfte des fraglichen Preises zuerkannte, wofern er es nicht vorzieht, seine Ab- handlung mit Berücksichtigung der im Programm der Gesellschaft an- gedeuteten Lücken und Mängel überarbeitet und vermehrt der Gesell- schaft vor dem Ende des Monats November 1838 zur Beurteilung wieder vorzulegen. Sie ersucht ihn deshalb, ihr seinen Entschluß schriftlich mitzuteilen."
Der Verfasser der dritten Arbeit war Franz Kerekes (1784 — 1850), damals Professor am ev. ref. Kollegium zu Debreczin. Seine Abhandlung, die in lateinischer Sprache geschrieben war, ist 1862 von Daniel Csänyi als Anhang zu einem nachgelassenen Werke von Kerekes: Über die wahren Grundprinzipien der höheren Mathematik herausgegeben worden. Beigegeben ist ein Brief von Kerekes an Kühn, vom 23. November 1838, worin jener mitteilt, daß er die obige Aufforderung der Gesell- schaft erst vor acht Tagen erhalten habe und daher den Termin nicht innehalten könne; er sei aber bereit, wenn ihm das erwähnte Programm gesandt werde, die Mängel auszubessern. Hierauf ist, wie Csanyi be- merkt, keine Antwort aus Leipzig gekommen.
Wolfgang BoLYAis Abhandlung mit dem Kennwort: Sigillum veri Simplex, die sich dieser später aus Leipzig zurückschicken ließ, hat sich in seinem Nachlaß gefunden; es fehlt nur das Schlußblatt. Was Wolfgang vorbringt, stimmt im Wesentlichen mit den betreffenden Ab- schnitten des Tentamens überein; eine Ausnahme bilden nur die Aus- führungen über den Logarithmus, die eine unverkennbare Ahnlich- keit mit der Auffassung haben, die Johann in § 8 der Responsio ent- wickelt. Ohne Zweifel bedeutete Wolfgangs Abhandlung einen Fort- schritt, und er befand sich auf dem Wege zu der neueren Lehre von den imaginären Großen. Jedoch hatte er seine Gedanken in so schwer verständlicher Form dargestellt, daß man es der Leipziger Gesellschaft nicht zum Vorwurf machen kann, wenn sie sich ablehnend verhielt. Dazu kam, daß Wolfgang auf das eigentliche Thema, die geometrische Konstruktion der imaginären Größen, nur ganz obenhin eingegangen war.
Johanns Abhandlung, die den Wahlspruch: Frudus nonnisi maturi deierpendi trug, hat sich ebenfalls im Nachlaß gefunden; sie wird im zweiten Teile dieses Buches (S. 221—233) in deutscher Übersetzung
P. Stäckel: Wolfgang und Johann Bolyai I "
230 Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kapitel XIV
wiedergegeben. Auch in dieser Arbeit bezieht sich nur der § 10 und ein Teil des § 11 auf die geometrische Konstruktion der imaginären Größen; die im § 8 gegebene, der Zeit vorauseilende Theorie des Loga- rithmus und der Potenz kann nicht als Ersatz dafür gelten, und die Ausführungen über die nichteuklidische Geometrie, über die bereits im vorhergehenden Kapitel berichtet worden ist, mußten, so wertvoU sie an und für sich sind, dem uneingeweihten Leser der damaligen Zeit völlig unverständlich sein.
Man wird daher der Gesellschaft aus dem ungünstigen Urteil über Johanns Abhandlung, das sie zu ihrem lebhaften Bedauern fäUen mußte, keinen Vorwurf machen können. Für Johaun war freilich der neue Mißerfolg eine überaus schmerzliche Enttäuschung, die seine schon ge- schwächte Kraft auf Jahre hinaus gebrochen hat.
„Schade, das dieser große Schatz in unwürdige Hände fiel," schreibt Johann in einer Aufzeichnung, die er der Abhandlung beigelegt hat. „Die Gesellschaft hat nach ihren Kräften ihre Pflicht und Schuldigkeit getan; nun ist die Reihe an mir, die Gesellschaft zu richten. Zu ver- teidigen ist da nichts, wo der Gegner weder etwas speziell kritisiert noch mit Grund für unwichtig oder von ihm unverstanden erklärt, sondern nur mit einem tötlichen Machtspruch allgemein das Ganze für nichtswürdig und unverständig erklärt. Ein so selten gehörtes Urteil ziemte nur für eine Arbeit, worin nichts Gutes und Verständliches ge- funden würde; allein von mir so etwas zu behaupten, der sich in noch schwierigeren, verborgeneren Dingen die Zufriedenheit und besondere Hochachtung eines Gauss (gegen den Koloss ihr nur Zwerge seid!) zu erlangen Gelegenheit hatte, ist in der Tat dreist, und ich kann mich nicht genug darüber wundern, wie sich die Gesellschaft unterstand — und nicht vielmehr die Notwendigkeit fühlte, wiederholt zu untersuchen, bevor sie es wagte, ein so entscheidendes Urteil zu fällen — denn dies gereicht ihr zur ewigen Schande."
Gewiß, Johanns Theorie der imaginären Größen war „ein großer Schatz", der allerdings erst ausgemünzt werden mußte, ehe er verwertet werden konnte, sie war ein bedeutsamer Schritt von dem Standpunkt, den Gauss eingenommen hatte, nach der Richtung der neueren Lehre von den komplexen Größen. Allein, was wir jetzt deutlich und klar vor Augen sehen, war für Johann noch in Dunst und Nebel gehüllt. Er hat in genialer Intuition die Lösung des Problems geahnt, allein er ist nicht imstande gewesen, eine durchgebildete, allgemein verständliche Darstellung zu geben.
Es erging ihm in dieser Beziehung wie seinem Vater, der, wie wir im V. und VI. Kapitel gesehen haben, an manchen Stellen des Tentamens
Johann Bolyais Theorie der imaf^^inären Orößen 131
i'ragestellungen der modernen Mathematik ganz nahe gekommen ist, ihne sie jedoch ergreifen und festhalten zu können.
Ebenso wie Wolfgang die beiden Zweige der Mathematik, Arith- Qetik und Geometrie, im Gegensatz zu der bis weit ins neunzehnte ahrhundert hinein üblichen Vermischung, jede für sich selbständig ufzubauen versucht hatte, macht auch Johann (in § 11) gegen die irATTSSsche Theorie der imaginären Größen das Bedenken geltend, daß lie dabei verwendeten Begriffe von linliS und recJifs, oben und Knien licht bestimmt genug seien, und daß überhaupt bei arithmetischen Betrachtungen die Einmischung geometrischer Begriffe vermieden ferden müsse.
Von besonderer Wichtigkeit für Johanns Untersuchungen ist aber lie Theorie der negativen Größen geworden, die Wolfgang im Tenfamen ngedeutet hatte. Johann ist es gelungen, den Gedanken seines Vaters ait einer Klarheit und Schärfe zum Ausdruck zu bringen, zu der dieser elbst sich niemals durchgerungen hatte. Es handelt sich um die grundlegende Erkenntnis, daß die negativen Größen erst dann einen sinn gewinnen, wenn man sich entschließt, den betrachteten Dingen wei „Determinationen" beizulegen, das heißt, wenn man neben der irsprünglichen Einheit ,,+ V eine neue Einheit „— 1'^ einführt. )urchdrungen von der Bedeutsamkeit seiner Auffassung hatte Wolf- ;ang außer den Zeichen des Hinzutuns und Wegnehmens „+" und — ^' für die positive und negative Einheit zwei besondere Zeichen hJh 1" und „1 — I 1" eingeführt. Für die Begründung der Lehre von ien negativen Größen mag dies seinen Nutzen haben, allein es empfiehlt ich, diese Fesseln bald wieder abzustreifen; sonst wird die Darstellung, werden die Formeln und Rechnungen unnötig lang und schwerfällig.
Aus der naturgemäßen Weiterentwicklung von Wolfgangs Theorie [er negativen Größen ist Johanns Theorie der imaginären Größen her- orgegangen; der Vater hat auch hier „dem Sohne vorangeleuchtet". Johann führt sogleich vier Einheiten ein: ^^ 1, ' — ^ 1, "-^ ^, '^ 1] die )eiden ersten nennt er reeU und entgegengesetzt, die beiden letzten maginär und entgegengesetzt und entwickelt nun sorgfältig und aus- Ührlich die Regeln, nach denen mit diesen vierteiligen Größen ge- echnet wird; wie er ausdrücklich darlegt, lassen sich diese Größen ,uch auf die reduzierte Form a + Y — 1 ■ & bringen, wo a und h posi- ive oder negative reeUe Größen bedeuten. Freilich hat er sich seine Aufgabe erheblich erschwert, indem ei-, ganz dem Gedankengange seines ^"aters folgend, neben den Zeichen für die Einheiten: i-p 1, »— i 1, ^ l, «-1 1 noch die entsprechenden Zeichen für die Operationen: +, — , -f-; ~^ iinführt. Das ist jedoch nur ein äußerlicher Mangel, der nicht hindern
132 Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kapitel XIV
kann, den wesentlichen Fortschritt anzuerkennen, den Johanns Theorie der imaginären Größen für die damalige Zeit bedeutete.
Dies gilt allerdings nur mit einer Einschränkung. In demselben Jahre, in dem Johann seine Abhandlung nach Leipzig sandte, ist Hamiltoks Theory of conjugate fundions or algebraic couples erschienen, die dieser bereits vier Jahre vorher der Akademie in Dublin vorgelegt hatte, und hierin war, wie schon der Titel andeutet, die Auifassung der gewöhn- lichen komplexen Zahlen als Paare reeller Größen in voller Klarheit ausgesprochen und durchgeführt worden. In weiteren Kreisen sind Hamiltons Gedanken erst durch die Vorrede zu seinen Leckires on quaternions (1853) bekannt geworden; die Arbeit vom Jahre 1837, die seiner Zeit keine Beachtung fand, wurde erst neuerdings durch Study ans Licht gezogen. Aus ihr möge hier die folgende Stelle wiedergegeben werden, die den Kern der Theorie Hamiltons enthält:
„In der Theorie von einzelnen Zahlen ist das Zeichen Y — 1 ab- surd und bedeutet eine unmögliche Wu2*zelausziehung oder lediglich eine imaginäre Zahl. Aber in der Theorie der Zahlenpaare hat das- selbe Zeichen einen Sinn und bedeutet eine mögliche Wurzelausziehung oder ein reelles Paar, nämlich den Hauptwert der Quadratwurzel des Paares (— 1, 0). In dieser Theorie also, jedoch nicht in jener, darf das Zeichen ]/— 1 mit vollem Rechte gebraucht werden, und wir dürfen, wenn wir es vorziehen, für jedes beliebige Paar (a^ a,) schreiben:
(«i> «2) = «1 + «2 y — 1 7
indem wir in dem Ausdruck a^ -\- a^y — 1 die Zeichen a^ und a^ als Symbole für die Hauptpaare (a^, 0), (a^, 0) auffassen und, in demselben Ausdruck, ]/ — 1 als Symbol für die zweite Einheit oder das zweite reine Paar (0, 1)."
Unzweifelhaft besitzt Hamiltons Abhandlung erhebliche Vorzüge vor der Johanns. Seine Darstellung ist bei weitem klarer, er sieht auch schon weiter, er weiß, daß man eine entsprechende Theorie für Größen mit mehr als zwei oder, wenn man die negativ genommenen Einheiten besonders zählen will, mit mehr als vier Einheiten aufstellen kann. Johann behauptet zwar, daß man genau seine vier Einheiten einführen müsse, nicht mehr und nicht weniger, allein er bleibt den Beweis dafür schuldig. In seinem Nachlaß hat sich allerdings ein Blatt gefunden, das beweist, daß er der Frage näher getreten war. Auf der Rückseite eines Zettels mit einer militärischen Meldung vom März 1830 versucht er nämlich bei einem System von sechs Einheiten die Multi- plikation zu erklären, und probiert, was herauskommt, wenn man das Produkt von je zwei Einheiten wieder gleich einer Einheit setzt. Er
Johann Bolyais Theorie der imaginären Größen 133
bemerkt dazu, wenn man ein solches System mit sechs Einheiten be- trachte, „so hörten die schönsten Schlußfolgen auf, obwohl es keine Ungereimtheit enthielte". Was damit gemeint ist, zeigt eine andere Eintragung: „Auch hätte alsdann die Quadratwurzel mehr als zwei Werte."
W^ährend ferner Johann die Regeln für die Multiplikation kom- plexer Größen ohne jede Begründung, sozusagen durch einen Macht- spruch einführt, gibt Ha.aiilton auf Grund des distributiven Gesetzes die allgemeinste Formel der Multiplikation; es empfehle sich jedoch, meint er, die darin auftretenden Konstanten so zu wählen, daß man auf die gewöhnlichen komplexen Zahlen komme. Zu Gunsten von Johann ist jedoch geltend zu machen, daß dieser sich vollkommen klar darüber war, daß die Regeln des Rechnens mit komplexen Größen erst definiert werden müssen und es hier, ebenso wie bei den negativen Zahlen, nicht ohne Weiteres erlaubt ist, die für die gewöhnlichen Zahlen geltenden Rechnungsregeln auf die neuen Zahlen zu übertragen. Diese richtige Erkenntnis zeigt sich besonders in dem Umstände, daß Johann gegen GAUSSens Deduktion, die ganzen komplexen Zahlen müßten durch die Punkte eines quadratischen Gitters in der Ebene dar- gestellt werden, mit Recht den Einwand erhebt, Gauss dehne hierbei den Begriff der Proportion, der zunächst nur für reelle Größen gelte, in unzulässiger Weise auf imaginäre Größen aus.
Wenn Johann auch nicht die Kraft besaß, seine Gedanken abzu- klären und auszugestalten, wenn es ihm leider auch nicht beschieden war, die vielversprechenden Früchte seiner Jugend reifen zu lassen, so sind seine Leistungen für die Lehre von den imaginären Größen doch des Verfassers des Appendix würdig und sichern ihm für immer einen Platz in der Geschichte dieser Theorie.
XV. Kapitel
Johann BOLYAI und N. I. Lobatschepskij
Erster Teil: Wie Johann die Geometrisclien Untersucliungen Lobatscliefskijs kennen lernte
Bekanntlich haben Lobatsche;fskijs Schriften über die nichteukli- dische Geometrie die verdiente Anerkennung erst gefunden, nachdem im Jahre 1863 im fünften Bande des Briefwechsels Gauss-Schümacher ein Brief GAUSSens vom 28. November 1846 veröffentlicht worden war, in dem der Princeps mathematicorum die Geometrischen Untersuchungen vom Jahre 1840 als das meisterhafte Werk eines echten Geometers be- zeichnet hatte. Es verdient jedoch bemerkt zu werden, daß schon im Jahre 1851 von anderer Seite auf Lobatschefskij hingewiesen worden war, freilich ohne Erfolg, nämlich von Wolfgang Bolyai, der in seinem Kwrzen Grundriß eines Versuches (zweiter Teil dieses Buches, S. 149 — 152) auf die Geometrischen Untersuchungen eingeht und ihre wunderbare Über- einstimmung mit dem 1832 veröffentlichten Appendix seines Sohnes Jo- hann hervorhebt; „beiden", sagt er, „ist, da keiner den anderen gesehen hat, dasselbe Original der Wahrheit nach Jahrtausenden erschienen."
Der Briefwechsel Gauss-Bolyai zeigt, daß Bolyai durch Gauss von jener Schrift Lobatschefskijs Kenntnis erhalten hatte. Am 18. Januar 1848 fragt Wolfgang bei seinem Jugendfreunde an, was der Titel des russischen mathematischen Werkes sei, welches viel Ähnlich- keit mit dem seinigen habe, und Gauss antwortet am 20. April 1848: „Die Arbeiten des russischen Geometers stehen größtenteils in den russischen Denkschriften der Universität Kasan. Ich vermute aber, daß Du leichter erhalten kannst die kleine treffliche Schrift: Geometrische Untersuchungen zur Theorie der Parallellinien von Nicolaus Lobatschewsky. Berlin 1840 in der Finckeschen Buchhandlung."
Hiermit ist jedoch nur ein Teil des Rätsels gelöst, es fragt sich noch, was Wolfgang veranlaßt hatte, sich bei Gauss nach dem russischen mathematischen Werke zu erkundigen. Einen Anhalt hierfür gibt ein Brief, den er am 10. September 1844 an seinen Sohn Johann in Domäld gerichtet hat und von dem ein schlecht erhaltenes Konzept in der Bibliothek des ev. ref. Kollegiums zu Maros - Väsärhely vorhanden ist. Wolfgang schreibt: „In der Zeitung (dem Unterhaltungsblatt) erschien
Franz MF;xTOvicn bei Gauss (1843) 135
Mentovichs Unterredung mit Gauss. Gauss habe die Arbeit eines (ungenannten) russischen Mathematikers, die er unter den Büchern in der Nähe des Tisches neben dem meinigen hatte, mit der Äußerung gezeigt, daß sie bis auf [unleserliche Worte] ähnlich ist dem Werke der BOLYAI, obwohl es keiner von dem anderen nehmen konnte."
Der Zeitungsartikel, von dem Wolfgang spricht, hat den Titel „Tagebuch-Fragmente'' und befindet sich in der am 30. August 1844 er- schienenen Nummer des Klausenburger Journals Nemzeti Tärsalkodd (Nationales Unterhaltungsblatt).
Franz Mentovich (1819 — 1879) hatte in Nagyenyed, Wien und Berlin Mathematik und Physik studiert. Auf der Heimreise kam er Ende August 1843 nach Göttingen, wo er Gauss besuchte. Später ist er in Nagykörös, seit 1856 als zweiter Nachfolger Wolfgang Bolyais in Maros- Väsärhely Professor der Mathematik und Physik gewesen. Die Auf- zeichnungen über seine Unterredung mit Gauss hatte er sogleich am 1. September 1843 in sein Tagebuch eingetragen, sie können daher auf Glaubwürdigkeit Anspruch machen.
Mentovich äußert sich nach einer längeren Einleitung folgender- maßen: „Als ich ihm (Gauss) mitgeteilt hatte, daß ich ein Sieben- bürger sei, fragte er sogleich mit Interesse, ob ich über seinen sieben- bürgischen Freund, Professor Bolyai, nicht neuere Nachrichten habe, als mein siebenbürgischer Landsmann, Professor SzÄsz, der ihn einige Zeit vor mir besucht hatte. Hierauf antwortete ich, daß ich ihm nur mit noch älteren Nachrichten dienen könne, indem ich bereits vor dritt- halb Jahren meine Heimat verlassen hätte. Und obwohl diese meine Antwort durchaus nicht zur Fortsetzung des Gespräches über den be- gonnenen Gegenstand geeignet war, wurde damit die Unterhaltung über unseren Bolyai bei weitem nicht abgebrochen; es war ersichtlich, daß Gauss an einem Lieblingsgegenstande festhielt, den man im Gespräche nicht leicht verläßt. 'Wie mag wohl mein Freund gleich mir grau und alt geworden sein! Es wäre mir fürwahr keine geringe Freude, wenn ich noch einmal mit ihm zusammentreffen köimte; denn im späteren Alter, wenn unsere guten Freunde und Bekannten allmählich wegsterben, hängen wir mit gesteigerter Innigkeit an unseren wenigen übriggeblie- benen Lieben'. So seufzte der Gelehrte, und es war eine kurze Zeit seinem cranzen Äußeren ein Nachsinnen über die gemeinsam verlebten Tage der Jugendzeit anzusehen. Bald wieder heiterer geworden, erhob er sich von seinem Sitze und zog ein noch ganz neu aussehendes Buch hervor, von dem er sagte, daß er es vor einiger Zeit von einem russi- sehen Mathematiker erhalten habe und daß es ihn darum interessiere, weil es in Betreff der darin enthaltenen Ideen genau mit den selb-
136 Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kapitel XV
ständigen mathematischen Ideen der Bolyai übereinstimme; gleichwohl sei er überzeugt, daß sie nicht das Geringste voneinander wissen und ihre Ideen austauschen konnten, weil die Gegenden, in denen sie wohnen, so weit voneinander gelegen smd. 'Diese Arbeit,' fuhr er fort, Verdient beachtet zu werden und für einen Ungarn muß sie wegen der wunderbaren Verwandtschaft der Ansichten doppelt interessant und leicht zugänglich sein, da sie in russischer Sprache geschrieben ist.' Aus dieser Äußerung ersieht man, daß auch Gauss, obwohl er einen ungarischen Freund hat, dennoch die sehr falsche Ansicht hegt, die übrigens bei den deutschen Gelehrten, die keine Philologen sind, allgemein verbreitet ist, die magyarische Sprache sei, wie die polnische, slowakische, böh- mische usw., ein verwandter Zweig des slavischeu Sprachstammes. , . ." „Das mathematische Werk unseres Bolyai erblickte ich in der kleinen Bibliothek neben GAUSSens Arbeitstisch, wo allem Anschein nach nur von bevorzugteren Schriftstellern verfaßte und mehr als Handbücher gebrauchte Werke standen. Aus jedem Worte dieses vortrefflichen Mannes war ersichtlich, daß er unseren Bolyai nicht nur als seinen Freund verehrt, sondern auch seine wissenschaftlichen Verdienste hoch- schätzt. Als ich Abschied nahm, trug er mir auf, in seinem Namen seinen alten Freund zu grüßen und ihm zu sagen, daß es ihn sehr freuen würde, wenn er über sein Befinden durch einen Brief von ihm selbst das Neueste und Sicherste erführe. Dies zu tun versprach ich." Wie ist es aber gekommen, wird man jetzt fragen, daß Wolfgang Bolyai sich erst mehr als drei Jahre später, im Januar 1848, bei Gauss nach dem Titel des russischen mathematischen Werkes erkundigt hat? Wahrscheinlich hat er es zunächst für überflüssig gehalten, sich ein Werk zu verschaffen, das in einer Sprache geschrieben war, die nicht nur ihm selbst, sondern wohl auch aUen, an die er sich wenden konnte, unverständlich war. Daß er darauf zurückgekommen ist, hat wohl Jo- hann veranlaßt. In Johanns Nachlaß befinden sich umfangreiche „Be- merkungen über Nicolaus Lobatschefskus Geometrische Untersuchungen zur TJieorie der ParaUelUnien", über deren Inhalt noch genauer zu be- richten sein wird. Am Schluß erzählt Johann, was ihn dazu veranlaßt habe, LoBATSCHEFSKiJs Werk zu kritisieren. „Gauss," sagt er, „hat zwar meine alte Arbeit wiederholt gelobt, wenn auch nur mit auswei- chenden Worten, wie unter anderem mit dem Ausdrucke seiner Über- raschung. Dennoch ist es nach der Äußerung eines ausgezeichneten Landsmannes, der Ihn später besuchte, geschehen, daß der bis dahin ruhige und an der Unterhaltung nur gleichgültig teilnehmende Koloß, als mein Landsmann anfing von den Parallelen zu sprechen, auf einmal mit erheitertem Gesicht und mit feuriger Begeisterung in das Lob von
Johanu erfährt von Lobatschefskijs Geom. Untersuchungen i;-37
LoBATSCHEFSKiJs Werk ausbrach als einer gediegenen und mit Seinen Ansichten übereinstimmenden Arbeit, hingegen Sich des Appendix mit Unrecht und zu seiner Schande garnicht erinnern wollte, obwohl Er doch früher seine Verwunderung über die sonderbare Übereinstimmung beider Werke ausgesprochen hatte. Nun habe ich aber bewiesen, daß LoBATSCHEFSKi.T, wenn er auch besonders von § 35 an, bei der Ableitung der antieuklidischen ebenen Trigonometrie, sich als ein wahrhaft orio-j- naler, klassischer Autor zeigt und auf den ersten Blick dem Ziele sehr nahe zu kommen scheint, dennoch sehr weit von dem Resultate des Ap- pendix und des Additamentums am Ende des zweiten Bandes des Ten- tamens entfernt war."
Den Namen des „ausgezeichneten Landsmanns'' mit Sicherheit fest- zustellen, ist leider nicht gelungen, wenn es auch nahe liegt zu ver- muten, daß es sich um Karl SzÄsz handelt. Wer es aber auch gewesen sein mag, so liegt sicherlich ein Mißverständnis vor, denn die Briefe von Gauss an Schumacher und Gerling aas den Jahren 1848 und 1849 zeigen, daß dieser nicht aufgehört hatte, herzlichen Anteil an allem zu nehmen, was seinen Jugendfreund betraf. Daß aber Johann, für den schon GAUSSens Brief vom 6. März 1832 eine große, niemals verwundene Enttäuschung gewesen war, sich durch die angebliche Äußerung von Gauss aufs heftigste gekränkt fühlte, ist in Anbetracht seines unglück- seligen, reizbaren und mißtrauischen Wesens nur zu begreiflich.
Gewaltige Stürme müssen damals Johanns leidenschaftliche Seele durchtobt haben. Daß der Appendix nicht die Anerkennung gefunden hatte, auf die er hoffte und zu hoffen berechtigt war, das war bitter; allein er hatte sich allmählich darein ergeben, vielleicht getröstet durch das Beispiel seines Vaters, dessen Tentamen dasselbe Schicksal hatte. Daß aber ein anderer die Entdeckung der nichteuklidischen Geometrie für sich in Anspruch nehmen und ihn so des Ruhmes berauben wollte, den er von der gerechteren Nachwelt erwartete, das war ein unerträg- licher Gedanke. Den Gipfel des ihm angetanen UnbiUs erblickte er jedoch in dem Verhalten von Gauss, der, wie er wähnte, sich nicht nur auf die Seite des Nebenbuhlers stellte, sondern sogar die spärliche Aner- kennung des Appendix wieder rückgängig machen wollte. Wie war das zu erklären? Nur dadurch, meint Johann, daß Gauss, erfüllt von Miß- gunst und Neid, ihm den Ruhm der Entdeckung der absoluten Geo- metrie nicht gönnte und, da er selbst „das Geschrei der Böoter scheute", den russischen Geometer vorschob, dem er Johanns Ideen heimlich mit- geteilt hatte. Sein überreiztes Hirn spinnt diese Gedanken immer weiter aus. Mit vieler Spitzfindigkeit sucht er zu beweisen, daß der Verfasser der Geometrische Untersuchungen den Appendix gekannt haben müsse
]^38 Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kapitel XV
und letzten Endes nur GaüSS selbst gewesen sein könne. Das schnöde Unrecht, das ihm zugefügt worden war, heischt Rache. Aber es soll eine edle Rache sein, würdig des Mannes, der bei all' seinem Streben und Trachten nur das „Allheil" der Menschheit im Auge hat. Er will sich aufraffen aus dem unfruchtbaren Leben, in das er seit Jahren ver- sunken war, und der Welt zeigen, was er zu leisten vermag. Große Werke will er schaffen, die sich denen des Kolosses in Göttingen eben- bürtig an die Seite stellen, und dann soll dieser erkennen, wie schwer er sich gegen den Sohn seines Jugendfreundes versündigt hat!
So beginnt denn mit dem 17. Oktober 1848, dem Tage, an dem Johann, wie er sich angemerkt hat, von seinem Vater die Geometrischen TJntersucJmngen von N. J. Lobatschefskij erhalten hat, ein neuer Ab- schnitt in seinem Leben, eine Zeit rastloser, fast fieberhafter Arbeit, die er unermüdlich fortführte, bis schließlich schwere Krankheit ihm die Feder aus der Hand nahm. Ein trauriges Schauspiel. Von dem Ehrgeiz beseelt, es einem Gauss gleich zu tun, wagt sich Johann an die schwierigsten und höchsten Probleme der Mathematik. Aber diese stoßen unbarmherzig die Verwegenen zurück, die zu ihrer Lösung nicht berufen sind, und Johann gehörte nicht mehr zu den Berufenen. Er hatte die ihm bestimmte Aufgabe erfüllt. Jetzt war seine Schaffenskraft gebrochen, und als er die Raumlehre und die Theorie der imaginären Größen wieder vornahm, vermochte er selbst auf diesen Gebieten die kernige Kürze und Ursprünglichkeit seiner alten Schriften nicht wieder zu erreichen; was er gab, war eine weitschweifige Ausspinnung früherer Gedanken, die es zu keinem Abschluß der geplanten Werke kommen ließ.
Die erste Arbeit, an die Johann ging, war eine ausführliche Kritik der Geometrischen Untersuchungen von N. J. Lobatschefskij. Während Johann sich für Aufzeichnungen mathematischen Inhalts sonst fast ausschließlich der deutschen oder lateinischen Sprache bediente, hat er hier seine Muttersprache gewählt, vielleicht, weil seine Äußerungen, wie er bemerkt, nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren. Es schien daher richtig, von einem vollständigen Abdruck der Bemerkungen über Nicolaus LoBATscEEFSKus Geometrische Untersuchungen zur TJieorie der Parallellinien abzusehen und aus den Abschnitten, die einen persönlichen Charakter tragen, nur das mitzuteilen, was geschichtlichen W^ert besitzt. Aber auch bei den mathematischen Abschnitten waren Kürzungen ge- boten, weil die Darstellung Johanns sehr breit und reich an Wieder- holungen ist. Die mitgeteilten Stücke sind durch kurze Berichte über die weggelassenen Stellen in der Weise verbunden worden, daß der Leser eine Vorstellung von dem Gedankengang des Ganzen erhält. Zugrunde ge- legt wurde dabei ein umfangreicher Entwurf, der sich durch saubere
Johanns Kritik der Geom. Untersuchungen Lobaxschefskijs 139
Schrift als Ausarbeitung verschiedener Vorarbeiten erweist, von denen ebenfalls Stücke im Nachlaß vorhanden sind. Dieser Entwurf stammt aus der Zeit um Neujahr 1851, denn es wird darin erwähnt, daß Wolf- gang BoLYAi, der am 9. Februar 1775 geboren war, fast 76 Jahre alt sei. Die Entzifferung der Aufzeichnungen, die J. Kürschäk zu verdanken ist, war eine mühsame Arbeit, weil Johann sich einer eigej]artigen Schrift bedient, nämlich einer der magyarischen Sprache angepaßten Abänderung des lateinischen Alphabets, die sein Vater erfunden hatte {Ärithmetica eleje Tiezdöhnek, Maros-Väsärhely 1830). Dazu kommt, daß er häufig ganz ungewöhnliche, von ihm oder seinem Vater erfundene Worte gebraucht; dies steht in Zusammenhang mit den Bestrebungen Johanns, auf Grund der magyarischen Sprache eine Weltsprache zu schaffen, auf die wir im XIX. Kapitel zurückkommen werden.
Es möge noch ausdrücklich darauf hingewiesen werden, daß zum Verständnis der Bemerkungen die Kenntnis des Appendix unerläßlich, die Bekanntschaft mit den Geometrischen Untersuchungen erwünscht ist. Endlich sei noch bemerkt, daß Lobatschefskij von Johann Boltais Appendix niemals etwas erfahren zu haben scheint: sonst würde er wohl in der 1856 erschienenen Fangeometrie auf das merkwürdige Zu- sammentreffen mit dem ungarischen Mathematiker hingewiesen haben.
XVI. Kapitel Johann BOLYAi nnd N. I. Lobatschefsku
Zweiter Teil: Johann Bolyais Bemerkungen zu Nieolaus Lobatschefs- kijs Geometrischen Untersuchungen über die Theorie der Parallel-
linien
„Wenn auch in diesem merkwürdigen Werke yielfach andere Wege eingeschlagen sind", so beginnt Johann seine Bemerlmngen über Nicolaus LoBATscHEFSKiJS GeometriscJie Untersuchungen zur Theorie der Parallel- linien, „so gleicht doch der Geist und das Resultat so sehr dem Appendix des im Jahre 1832 zu Maros-Yäsärhely erschienen Tenfamen matheseos, daß man es nicht ohne Verwunderung erblicken kann. War Gauss nach seiner Äußerung zuerst durch den Appendix und neuerdings durch das merkwürdige Zusammentreffen des magyarischen und moskowitischen Mathematikers auf das Äußerste überrascht: Fürwahr, ich bin es nicht minder/'
„Das Wesen der reinen Wahrheit kann zwar in Maros-Vasärhely wie in Kamschatka und auf dem Monde, kurz auf der ganzen W^elt^ nur ein und dasselbe sein; und was ein endliches, vernünftiges Wesen erfindet, das kann auch einem anderen zu erfinden nicht unmöglich sein. Auch pflegt für Geistesprodukte wie für Naturprodukte — je nach der Entwickelungsstufe der Menschheit — gewissermaßen ihre Zeit zu kommen; sodaß mitunter auf dem Festlande und in dem Meere derselbe Gegenstand zu gleicher Zeit untersucht wird und verwandte Ideen erwachen, wie das z. B. im Falle der Differential- und Integralrechnung geschehen ist. Endlich ist dieser Gegenstand an sich gar nicht besonders schwierig und verborgen. Wenn man jedoch bedenkt, wie wenige scharf denkende Mathematiker, selbst unter den besseren, Sinn dafür hatten, dieser Lücke gewahr zu werden und nach ihrer Ausfüllung zu streben, und daß seit EuKLiDES oder gar seit dem Dasein der Menschheit trotz vieler schönen, geistreichen Untersuchungen — unter denen, was Strenge, Klarheit und Tiefe betrifft, unstreitig die einschlägigen, unmittelbar dem Appendix vorausgehenden Untersuchungen des Tentamens den ersten Platz ver- dienen — in dieser Sache wenigstens öffentlich beinahe garnichts ge- schehen ist, und daß der übrigens tüchtige Ettixgshausen nicht ein- mal den Wert des fertigen Appendix begreifen konnte: dann kann man
Johanns Bemerkungen zu Lobatschefskijs Geom. Untersuchungen. § 16—25 141
es kaum für wahrscheinlich halten, daß zwei oder gar drei Leute, von- einander nichts wissend, fast zu derselben Zeit, wenn auch auf ver- schiedenen Wegen die Sache beinahe vollständig erledigt haben sollen."
„Nach diesen Überlegungen halte ich den Verdacht nicht für un- begründet — obwohl ich nur ungern diese nicht für die Öffentlichkeit bestimmte private Äußerung tue — das Littrow, als Ehrenmitglied der Kasaner Universität oder vielleicht gar ihr ehemaliger Professor Matheseos, mit Lobatschefskij in Verbindung sein konnte und ihm das Tentamen, das mein Vater an Ettingshausen in Wien gesandt hatte, überlieferte, und Lobatschefskij, der als unstreitig geistreicher Mann dessen Ziel und Wert erkannte, auch in anderer Weise das Ziel zu er- reichen suchte. Für noch wahrscheinlicher aber halte ich, daß der ohne- dem au Sehätzen so reiche Koloß Gauss es nicht ertragen konnte, daß ihm jemand auch in dieser Sache zuvorgekommen sei, und, da er dies durchaus nicht mehr verhindern konnte, das Werk selbst bearbeitet hat und es unter Lobatschefskijs Namen hat herausgeben lassen".
Nachdem Johann diese Annahme ausführlich begründet und GrAUSSens Verhalten ihm gegenüber verurteilt hat, bemerkt er, daß dem Appendix die Priorität zukomme, wenn nicht etwa Lobatschefskij schon 1829 in seiner Abhandlung im Kasanschen Boten dieselben Lehren vorgetragen habe. Freilich habe er selber schon im Jahre 1823 das Wesentliche der Sache gefunden, nämlich den Satz des § 29 des Appendix, und im Jahre 1826 seinem damaligen Vorgesetzten und früheren Lehrer an der Genieakademie, dem Geniehauptmann Wolter, einen Entwurf seiner Raumlehre vorgelegt. Von Einfluß auf die Entwickelung seiner Ideen sei auch sein Verkehr mit Karl SzäSZ während des Aufenthalts auf der Ingenieur-Akademie gewesen; viel verdanke er endlich dem Vater, der seinem Leben die ,,mit unerschütterlicher Treue eingehaltene Haupt- richtuug" gegeben habe.
Nach dieser ausführlichen Einleitung wendet sich Johann zu der Besprechung der Geometrischen Untersuchungen, indem er von § 16 an den Inhalt der weiteren Paragraphen teils wortgetreu, teils mit kleinen Änderungen wiedergibt und seine Bemerkungen daran knüpft.
Bei § 22 heißt es: „Es sei bemerkt, daß der Name Imaginäre Geometrie so wenig angemessen und zweckmäßig ist, wie jener der Imaginären Größen^ denn beide Geometrien sind gleich denkbar, und es bleibt ewig uuentscheidbar, welche von beiden eigentlich im Eealen oder objektiv besteht."
Hinter § 25, mit dem die Lehre von den ParaUellinien (die Johann Asymptoten nennt) abgeschlossen wird, setzt Johann auseinander, wie
142 Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kapitel XVI
er in seinem geplanten Vollständigen Systeme der BaumleJire diesen Gegenstand vorzutragen gedenke.
„Vorerst § 1 des Appendix in drei Teile getrennt, deren erster die Erklärung der Asymptoten enthält/'
„§ 1. Wenn bn|||am und c wo immer in ma angenommeil wird, so ist bn|||cm. Auf das Genaueste bewiesen.
Im § 2 kann dann folgen: Wenn bn am, und c wo immer in bn angenommen wird, so ist cn\\\am.
Oder aber dies:
Wenn bn|||aTn, und c, b in am liegen, cb = ch und ac ' — ^oo, so folgt hieraus acb • — ^ 0.
Dann:
§ 3. Wenn bn||lam, so ist auch arnJUbn."
Jobann will für diesen Satz den Beweis von LobatscheSFKIJ be- nützen und dann die bisherigen Resultate in den Satz § 6 des Appendix zusammen fassen. Dann könne folgen:
„Wenn bn|llam und cp\\\am, so ist bn||l cp [und cp[l|bn].
Oder es« wird vorausgeschickt:
Ist brijliam, und liegt c nicht in bam, so ist der Schnitt von mac und nbc\\\ zu am und mi bn.
Und dann erst folgt
I. Fall, wenn c nicht in bam liegt, II. Fall, wenn c darin liegt.
Dann:
§. Ist bn\\\'^am, c die Mitte von ab, und in bam cp L ab, so ist am[||cp||jbn.
Zu jedem, am gibt es immer ein bn, das\\\ =^ am ist.
Dies kurz in folgender Weise:
Ist cpLöe, in i>e cb = c^ und 6q |icp|l|er, so hat man offenbar öqll|=^er. • _
§. Js^ bn III am, nriapLmab, c in bamp, das heißt auf derselben Seite von bam ivie p, und bilden die Ebenen bcn und nba einen Raum- winkel cbna, der <R ist, so schneiden sich map und nbc."
Eine scharfe Kritik übt Johann an § 27 der Geometrischen Unter- suchungen. Wir geben zunächst seine Ausführungen wieder, werden ihnen aber einige Bemerkungen hinzufügen, da Johann über das Ziel hinausschießt und seine Behauptung, Lobatschefsku habe „einen groben Fehler begangen'^, nicht berechtigt ist.
„Am Anfange des § 27 vergleicht [Lobatschefsku] die Seiten des sphärischen Dreiecks mit ;r und sagt, sie seien < 7i. Daraus folgt, daß
Johanns Bemerkungen zu Lobatschkfskijs Geom. Untersuchungen. § 25 — 27 143
er unter ;r eine mit den Seiten gleichartige Größe versteht, also entweder eine Länge, oder aber ein bloßes Verhältnis, eine ahstraJcte Größe, um nicht zu sagen Zahl, da dieser Name auf die Irrationalen nicht anwendbar ist, ja sogar für Brüche unzweckmäßig erscheint, und am besten nur für ganse Größen benutzt wird. Daß er nun tt im letzteren Sinne, d. h. als bloßes Verhältnis, benutzt, das ist aus der Mitte der Seite 28 er- sichtlich, wo er von den dortigen sphärischen Dreiecken behauptet, sie seien zusammen gleich 7t. Er denkt also notwendigerweise an Verhält- nisse, denn Längen und Flächen können nur in diesem Sinne gleichartig sein. Ja! Aber sobald man eine konkrete Größe wie ein Verhältnis behandelt, so muß man für sie ein Hauptmaß bestimmen, durch das sie ausgemessen werden soll. Dann kann man freilich Flächen etwa mit Rauminhalten in der Rechnung vergleichen. Soll aber zum Beispiel der Flächeninhalt des Parallelogrammes auf F gleich dem Produkt der Seiten genommen werden können, so muß man zur Flächeneinheit jenes Quadrat nehmen, dessen Seite gleich der Längeneinheit ist. Da der Verfasser über dieses alles zu sprechen verabsäumt hat, so sieht man, daß er :i mit 2 R verwechselt und von beiden keinen klaren Begriff gibt. A^^s seiner Betrachtung folgt aber nur so viel: Versteht man- unter einem von zwei halben Hauptkreisen bestimmten zweizipfligen Winkel den kleineren der von beiden eingeschlossenen Kugelsektoren, so ist der Flächeninhalt des sphärischen Dreiecks gleich der Hälfte der um die Oberfläche der Halb- kugel verminderten Winkelsumme. Von Zahlen oder Verhältnissen ist hier keine Rede."
Johann meint aber, es sei „einfacher und einzig richtig" unter dem Winkel, der von zwei Geraden oder mehreren durch einen Punkt gehen- den Ebenen gebildet wird, den von diesen begrenzten Teil der Ebene oder des Raumes zu verstehen. „Dann kann bewiesen werden, daß auf der Kugel und in der Ebene, überhaupt auf jeder ringsum und in Bezug auf jeden ihrer Punkte gleichförmigen Fläche der Flächeninhalt des von drei Hauptlinien begrenzten Dreiecks gleich ist der Differenz z zwischen der Winkelsumme und 2R, multipliziert mit der zweiten Potenz des Radius jener gleichförmigen Fläche. Also ist auf der mit i- bogen- förmigem Radius von der Länge 1 beschriebenen Kugel der Flächen- inhalt des Dreiecks einfach gleich 2, und der Flächeninhalt des ebenen Dreiecks ist (da s negativ und der Radius gleich -^ i = ]/ — 1 ist) eben- falls gleich dem absoluten Werte von z."
„LoBATSCHEFSKiJ vergleicht die Winkel schon in § 16 mit tc, und da man unter Winkeln nur den zwischen den unendlichen Schenkeln beundlichen unendlichen Teil der Ebene oder aber ein bloßes Verhältnis verstehen kann, so ergibt sich daraus im Verein mit dem Übrigen, daß
144 Leben und Schriften der beiden Bolvai. Kapitel XVI
er unter Winkebi immer ein Verhältnis versteht. Und er kann dies, wenn er als Winkelhauptmaß jenen Winkel wählt, bei dem sich der um den Scheitelpunkt zwischen den Schenkeln beschriebene Kreisbogen zu dem Halbkreise mit gleichem Radius so verhält wie 1 zu dem unab- hängig Ton der Raumlehre bestimmten %. Wenn er dann aber behauptet, daß der in diesem Sinne vorhandene Kugel-Seltor oder zweizipflige Winkel gleich dem bei dem Scheitelpunkt befindlichen Ebenenwinkel, also die Oberfläche der Halbkugel gleich n sei, so ist die Behauptung teils un- begründet und unbestimmt, teils geradezu falsch. Der Winkel in dem genannten Sinne ist nämlich unabhängig vom Radius. Da aber der Sektor sich mit dem Radius ändert, so fehlt hier augenscheinlich etwas Wesentliches, nämlich die Angabe des Radius jener Kugel, von deren Sektor die Rede ist. Von diesem Radius läßt sich erst später zeigen, wie groß er zu nehmen ist, und daß es am einfachsten ist, ihn gleich der senkrechten Ordinate des mit i gleichen Z-Bogens zu nehmen. Dann kann man aber beweisen, daß nicht der ganze Sektor, sondern dessen Hälfte dem genannten Winkel gleich ist. Also hat Lobatschefskij hier einen groben Fehler begangen, es sei denn er habe, was mau kaum voraussetzen kann, als Kugelradius die senkrechte Ordinate des mit 2 i gleichen L-Bogens genommen." —
An einer späteren Stelle ist Johann — in Gestalt einer längeren Anmerkung — auf die Winkelmessung zurückgekommen. „Einen Winkel", sagt er, „kann man am direktesten dadurch bestimmen, daß man ihn — indem er an sich eine unendliche Größe ist — mit einem anderen Winkel in der Weise vergleicht, daß man ihre Scheitelpunkte zusammenfallen läßt. Auf diese Weise betrachtet man ihn als relative Größe und ver- gleicht ihn mit 4R; der Winkel R, gewöhnlich ein Rechter benamset, kann dann mit Recht Haupt-, Grund- oder Viertelwinkel genannt werden. Diese erste syntJietische Art ist die einfachste."
„Als zweite, aber verwickeitere und tiefere Einsicht benötigende Art bietet sich die folgende. Da F jedenfalls existiert und auf F der Kreisbogen zwischen den Schenkeln eines Winkels ein konstantes Ver- hältnis zu seinem Radius hat, so gebe man dieses Verhältnis an und bestimme daraus das Verhältnis des Winkels zu 4JR, da allein dieses eine klare Vorstellung von der Größe des Winkels gibt."
„In S ist natürlich auch das eine Bestimmung des Winkels, daß man sowohl die Länge des ebenen Kreisradius als auch die des zwischen den geraden Schenkeln enthaltenen Kreisbogens durch Zahlen angibt. Dies ist aber mit noch mehr Umständlichkeit verbunden, so- daß als einzige natürliche, einfache und praktische Art nur die erste bleibt."
Johanns Bemerkungen zu Lobatschefskijs Geom. Untersuchungen. § 27 145
Was würde Lobatschefskij auf diese Auseinandersetzungen er- widert haben? Versuchen wir, um die Pflicht der Gerechtigkeit zu er- füllen, seine Verteidigung zu führen! Allerdings habe er, das müsse er zugeben, in den Geometrischen Untersuchungen, die er möglichst kurz ge- stalten wollte, nicht ausdrücklich gesagt, was er unter n verstehe, allein aus S. 9 gehe doch deutlich hervor, daß bei ihm jr nur ein Zeichen für 2R sein solle. In § 27 aber handle es sich darum, zu zeigen, daß ein dreiseitiger Körperivinl;el gleich der halben Summe der Flächenwinkel weniger einem Rechten sei, und dafür bedürfe es keineswegs der An- gabe des Radius der Kugel; die Halbkugel bedeute hier weiter nichts als einen Ebenenwinkel von 2R. Das werde bestätigt durch die aus- führlichere Darstellung, die er bereits in der Abhandlung vom Jahre 1829 gegeben habe, dort heiße es:
„Die Größe eines Kreisbogens wird durch dessen Vergleichung mit dem Umfang bestimmt, von dem der Bogen ein Teil ist. Dieses Ver- hältnis hängt nicht von der Größe des Halbmessers ab, sondern von der gegenseitigen Lage der beiden Halbmesser, die durch die Enden des Bogens gehen. Um wiDkürlich zu lassen, welcher Bogen als Einheit benutzt wird, werden wir den Umfang mit 2% bezeichnen. Ein so dar- gestellter Bogen heißt geradliniger Winkel, oder Winkel der beiden Ge- raden, die durch die Enden des Bogens gehen und im Mittelpunkte des Kreises zusammentreffen. Ebenso werden wir mit 2;r auch die Kugel- fläche bezeichnen, wenn wir die Ausschnitte auf dieser im Vergleich mit ihr bestimmen. Wenn der Ausschnitt durch zwei Ebenen entsteht, die durch den Mittelpunkt gehen, so ist seine Größe ein Ebenenivinkd, bei anderen Ausschnitten ein Jcörperlicher Winhel. Ebenenwinkel und körperliche Winkel hängen nicht von dem Halbmesser der Kugelfläche ab, sondern von der gegenseitigen Lage der Ebenen, die von dem Mittel- punkte der Kugelfläche ausgehen."
In den Neuen Anfangsgründen (1836) sagt Lobatschefskij sogar: „Die Zahl 7t nimmt man zuweilen gleich 200 an, häufiger jedoch gleich 180, je nachdem man der neuen dekadischen Teilung oder der alten Sechzigteilung folgt. . . . Zuweilen versteht man unter :r eine Zahl, die man nur näherungsweise finden kann, und die sich nur sehr wenig von dem Bruche 355 : 113 unterscheidet."
Wenn man den ungewöhnlichen Gebrauch der Zahl :r tadeln will, so ist zu bemerken, daß auch der Appendix manche ungewöhnliche Be- zeichnung enthält und vielfach verlangt, daß der Leser zwischen den Zeilen liest, z. B. wenn in § 2Q ohne jede weitere Erklärung von dem Sinus der Seite eines sphärischen Dreiecks geredet wird.
P. Stäckel: Wolf gang und Johann Bolyai I 10
146
Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kapitel XVI
Zum Schlußsatze von § 32 bemerkt Johann:
„Die Bemerkung, F sei eine Kugel und L ein Kreis von unend- lichem Radius, ist in dem Sinne, daß Kugel und Kreis einen Mittelpunkt haben, falsch. Man kann aber den Begriff von Kugel und Kreis so verallgemeinern, daß darin nicht nur F und L, sondern auch die Hypersphä- ren und HypercyMen enthalten sind."
„Für F und L kann man dies sogar rein geometrisch ei'reichen, wenn man folgende Defini- tion aufstellt: hc (Fig. 15) liegt an ac, wenn alle Punkte von ac auf derselben Seite von bc lie- gen, ac jedoch von jeder Geraden hp, die durch b in A abc gezogen wird, in zwei Stücke zer- schnitten wird." Hier können, wie Johann bemerkt, ac und bc sowohl endliche als auch unendliche Strecken sein.
„Dagegen kann die Verallgemeinerung für die Hypersphären und Hypercyklen nur analytisch und zwar dadurch erfolgen, was auch für F und L gilt, daß man bei den überall gleichförmigen Flächen jene Länge den Radius nennt, mit der man die Seite der auf dieser Fläche gelegenen Drei- ecke zu dividieren hat, damit man auf sie die bekannten Formeln der sphärischen Trigonometrie mit dieser Abänderung anwenden kann."
„Den Namen Grenzdreiecke, den LoBATSCHEFSKiJ Dreiecken auf F gibt, möchte ich zweck- mäßiger dem asymptotischen ebe- nen [Dreieck] (Fig. 16) mit endlicher oder einseitig oder beiderseitig unendlicher Grundlinie beilegen."
rig. 15
Fig. IG
Von dem Beweise, der in § 33 für die Gleichung
gegeben wird, sagt Johann mit Recht, daß er „nicht so durchsichtig ist, wie er sein soUte"; auch Hoüel hat in seiner französichen Übersetzung der Geometrischen Untersuchungen hier eine erläuternde Anmerkung unter dem Texte für erforderlich gehalten, übrigens läßt die Herleitung, die LoBATSCHEFSKiJ im Jahre 1837 in § 117 der Neuen Anfangsgründe ge- geben hatte, an Klarheit nichts zu wünschen übrig, und nur das Streben
Johanns Bemerkungen zu Lobatschefskijs Geom. Untersuchungen. § 32 — 35 147
nach Kürze hat der Fassung des § o3 der Geometrischen Untersuchungen geschadet. Hieraus erklären sich auch verschiedene andere Mängel die- ses Werkchens, das ohne Zweifel, was die Kunst gedrängter und doch deutlicher Darstellung betrifft, hinter dem Appendix zurücksteht.
Johann hat gegen Lobatschefskijs Ausführungen noch weitere Ein- wendungen gemacht.
„Es ist bei Lobatschefskij ein schlechter Ausdruck, wenn er sagt: e (wie er das hiesige I bezeichnet) sei eine unbekannte Zahl, also nicht einmal Größe, die der einzigen Bedingung unterworfen sei, daß sie größer als Eins ist, und er reißt hastig und unvorbereitet, wenn auch nicht un- richtig, die Idee heran, es sei das einfachste, e gleich / zu setzen, so- daß alsdann
X = log [nat] X wird."
„Auch das ist eine unrichtige Behauptung NEWTONschen Ge- schmackes, daß s'= 0 für x = oo. Denn es liegt doch im Begriff des Unendlichen, also Endlosen, daß ein letzter EndzvLst&nd unmöglich ist. Vom Unmöglichen aber mehr zu sagen, als daß es unmöglich sei, das ist ein Mißbrauch des Wortes, und einen solchen Sprachgebrauch würde schon der vernünftige Ungebildete belächeln, um damit zu zeigen, daß er solche Rede nur für Spaß und Neckerei hält."
Den Ausdruck „unbekannt" hat Lobatschefskij in seiner Abhand- lung vom Jahre 1829 so erklärt: „weil es unbekannt ist, welche Linie bei der Messung der Geraden als Einheit genommen wird."'
Von besonderem Interesse sind Johanns Bemerkungen zu § 35, in dem Lobatschefskij zeigt, wie man, ohne das XL Axiom zu benutzen, zu den Formeln der sphärischen Trigonometrie gelangen kann.
„Wie im Appendix der § 29 gewiß einer der wesentlichsten Punkte ist, so beginnt hier Lobatschefskijs bedeutendste Originalität und seine wichtigste Abweichung vom Appendix. Und man muß zugeben, daß sein Werk, besonders von hier an, ein schöpferisches Genie verrät, und daß der Weg, den er befolgt, besonders von hier an, und das Ergebnis, zu dem er greführt wird, ihn ohne Zweifel leicht auf einmal zu den Mathe- matiken ersten Ranges erheben."
„Seine Hauptidee ist klassisch. Mit feinem Takte sucht und findet er am richtigen Ort, in einem wohlversteckten Winkel die Wahrheit, und wenn er auch an manchen Stellen langwierig-verwickelt sich ab- mv'ht und tatsächlich ziemlich weit zurückbleibt hinter der Vollkommen- heit, die erwünscht ist und die ich auch erreicht habe, so muß man
seine Arbeit doch als ein Meisterwerk anerkennen."
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148 Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kapitel XVI
„Er gehört zu den wenigen, die die Wichtigkeit dieses im tiefsten Dunkel verborgen gewesenen Gegenstandes bemerkt haben. Daß er be- strebt war, diesen ans Tageslicht zu bringen, und daß er sein Feld mit neuen Gesichtspunkten bereichert hat, gereicht ihm zu um so größerer Ehre; denn bei wichtigen, besonders aber bei verborgenen Gegenständen ist eine mehrseitige Beleuchtung immer wertvoll, wie auch eine poli- tische oder soziale Wahrheit durch mehrere Beweise und durch Kon- trolle gewinnt."
„Um nicht im Finsteren herumzutasten wird es gut sein, das Wesen des Zieles, wohin wir streben, zu bezeichnen. Es ist: die zur vollstän- digen Darlegung der sphärischen und der ebenen Trigonometrie nötigen Formeln aufzufinden, und zwar vorerst nur die einfachsten, aus denen die übrigen folgen."
„Es ist bekannt, daß mit Ausnahme einiger Fälle, in denen die trigonometrischen Aufgaben siveidentig lösbar sind, aus drei Elementen [Seiten oder Winkeln] sowolil das ebene wie auch das sphärische Dreieck vollkommen bestimmt ist, also ein rechtwinkliges Dreieck durch irgend zwei von dem ß[echten] verschiedene seiner Elemente."
„Demnach müssen stets 3 4-1 = 4 Elemente in jeder zur Lösung von Dreiecken dienenden Formel vorkommen. Es sind also viererlei Formeln zu allen solchen Aufgaben genügend, nämlich die Relationen:
1. zwischen drei Seiten und einem Winkel [ahcA],
2. zwischen zwei Seiten und den beiden Winkehi, die an einer dieser Seiten liegen [bcAB],
3. zwischen zwei Seiten und den gegenüberliegenden Winkeln [a&^.B],
4. zwischen einer Seite und drei Winkeln [aÄBC^."
„Die Verhältnisse zwischen den Elementen des Dreiecks lassen sich am einfachsten durch die trigonometrischen Funktionen und insofern nur auf einem Umwege darstellen. In den zweideutigen Fällen entsteht die Zweideutigkeit immer dadurch, daß aus der betreffenden Gleichung nur der Sinus des gesuchten Elements gefunden wird."
„Aber gehen wir weiter. Daß zwischen dem Bogenmaß und den Kreisfunktionen irgendeines Winkels keine allgemeine algehraische Rela- tion bestehen kann, das habe ich — soviel ich weiß und wie ich glaube als erster — mit voller Strenge an anderer Stelle bewiesen, wie auch folgende Lehren von ähnlicher Natur: wann man einen Kreis aus einem Quadrat und überhaupt Figuren auseinander zusammenlegen, also ihre Endlich-Gleichheit beweisen kann; daß man irrationale dritte und höhere Wurzeln nicht durch Quadratwurzeln ausdrücken, also nicht im strengen Sinne geometrisch konstruieren kann; die algebraische Radikallehre mit einer gründlichen Tlieorie der algebraischen Gleichungen, durch die voll-
Johanns Bemerkungen zu Lobatschefskijs Geom. Untersuchungen. § 35 149
kommene Ergänzung des scharfsinnigen zehnten Buches von Euklid. Eine solche Lehre ist auch der strenge Beweis, daß es unmöglich ist, über die Richtigkeit des XI. Axioms zu entscheiden. — Mit dem Ge- sagten will ich aber nicht behaupten, daß man nicht bei einigen besonderen Bögen, sagen wir bei dem Bogen ]/2, eine algebraische Relation mit dem Sinus finden könne; nicht einmal soviel behaupte ich, daß man % nicht algebraisch ausdrücken kann, da es ja nicht einmal entschieden ist, ob n rational ist oder nicht. Aber das behaupte ich, daß man die oben erwähnten vier trigonometrischen Gleichungen nicht durch algebraische Relationen ausdrücken kann."
Nachträglich hat Johann mit Bleistift hinzugesetzt; „Aber auch das ist fraglich. Adhuc sub iudice lis est." Man wird hiernach auch die vorhergehenden Behauptungen nur als Vermutungen zu betrachten haben.
„Untersuchen wir nun, bevor wir noch jene vier Gleichungen kennen, ihren Inhalt und wie weit etwa die eine in den anderen enthalten ist; dabei beschränken wir uns auf das sphärische Dreieck, da dessen Trigono- metrie in dem antieuklidischen Räume nicht nur mit der ebenen Trigono- metrie übereinstimmt, sondern sich daraus auch die i^-Trigonometrie er- gibt, indem man den Radius unendlich wachsen läßt."
„Aus der ersten Gleichung [also aus ahcÄ] ergibt sich durch Ver- tauschung von a und A mit b und B eine ähnliche Gleichung hacB oder ahcB. Vertauscht man hingegen a und A mit c und C, so ge- winnt man ahcC. Sehen wir nun, was aus zwei solchen Gleichungen folgt. Wenn wir aus ahcÄ und ahcB einmal a, ein andermal c elimi- nieren, so gewinnen wir eine Beziehung, das eine Mal zwischen bcÄB, das andere Mal zwischen ah AB. Diese müssen mit der zweiten bez. dritten Gleichung identisch sein, denn sonst könnte man noch eine Größe eliminieren und würde eine Gleichung zwischen drei Elementen erhalten, was unmöglich ist, da drei Elemente zwischen gewissen Grenzen beliebig gewählt werden können. Aus bcAB fließt die ähnliche Gleichung bcAC, und wenn wir aus diesen c oder b eliminieren, so erhalten wir die vierte Relation zwischen [bABC oder] cABC. Also enthält die erste Glei- chung auch die übrigen in sich,"
„Aus bcAB fließt — wie schon gesagt — cABC. Diese unter- scheidet sich von der ersten [abcC] nur dadurch, daß, wo in der einen große Buchstaben stehen, in der anderen kleine sind. Also fließen aus aABC, das heißt aus der vierten Gleichung, und folglich auch aus der zweiten, alle übrigen."
„Aus ab AB fließt acAC und bcBC, aber aus je zweien dieser drei [Gleichungen] kommt immer nur die dritte heraus. Man gewinnt also auf diese Weise nie etwas neues."
2^50 Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kapitel XVI
In verschiedenen Aufzeichnungen hat Johann versucht, aus dem Sinussatze ahAB die erste Gleichung, und damit alle zu erhalten, in- dem er das Dreieck durch eine Transversale in zwei Teildreiecke teilt und auf diese den Sinussatz anwendet; die wirkliche Durchführung der Rechnung zeigt aber, daß man dabei immer nur zu dem Sinussatze für das ursprüngliche Dreieck zurückgelangt.
Johann betrachtet nunmehr das rechtwinklige Dreieck, bei dem, wenn C der rechte Winkel ist, nur die 6 wesentlich verschiedenen Glei- chungen ahc, ahA, acA, acB, aAB, cAB (und die durch Vertauschung der Buchstaben daraus entstehenden ahB, hcB, hcA, hAB) auftreten und untersucht deren Abhängigkeit voneinander.
Nachdem er dann Lobatschefskijs Herleitung der Gleichungen zwischen den Seiten und Winkeln eines rechtwinkligen sphärischen Drei- ecks wiedergegeben hat, bemerkt er:
„So auf Kanten gehend und auf Spitzen stehend, bringt Loba- TSCHEFSKIJ sehr, sehr herrlich und edel, vorzüglich und trefflich, nach Art der geschicktesten und feinsten Künstler des Drahtseiltanzes, die Selbständigkeit der sphärischen Trigonometrie heraus."
„Aber dieser Teil der Sache kann auch ohne alle solche Vorberei- tungen auf folgendem Wege erledigt werden. Wenn der Radius der Kugel A-^ 0, dann sind auf der Kugel die Verhältnisse entweder dieselben als in 2 oder aber — um mich kurz auszudrücken — sie streben auf diese zu. Nun aber sind diese Verhältnisse bei jedem Radius unveränder- lich und von diesem unabhängig. Also [kann nur der erste Fall eintreten]."
„Auch der folgende Weg führt zum Ziele. Es ist E die Grenze von S, sodaß jede auf die Annahme von S gegründete Relation in ihrer Grenze für « '— oo auch in Z gilt. Da nun in 2J die bekannten Formeln der sphärischen Trigonometrie bestehen, so kann in S die sphärische Tricponometrie nur so beschaffen sein, daß sie entweder stets mit der in 2^ übereinstimmt oder aber wenigstens beim Grenzübergang zu den in 2^ giltigen Relationen führt. Da aber im sphärischen Dreieck alle Bestandteile Winkel sind, so gilt hier von den beiden Fällen der erste, d. h. jene Relation in S ist für jedes i konstant. Folglich kann \o\\ beiden Fällen nur der erste gelten.^'
In § 36 bestimmt Lobatschefskij die Funktion n{x) und findet die Gleichung
„wo e jede beliebige Zahl sein kann, die größer als die Einheit ist, weil n{x) = 0 für X = oo". Indem er glaubt, hier den schwachen Punkt in der Stellung seines Nebenbuhlers gefunden zu haben, führt Johann gegen
Johanns Bemerkungen zu Lobatschef.skus Geom. Untersuchungen. § 35—36 151
diese zwei Zeilen der Geometrischen Untersuchungen einen wuchtigen Au- griff. In der Tat läßt sich nicht leugnen, daß hier ein Mangel vorliegt, der freilich nicht so groß ist, wie Johann behauptet. Da seine Aus- einandersetzungen an Klarheit zu wünschen übrig lassen, indem gerade der Kernpunkt nicht mit ausdrücklichen Worten ans Licht gestellt wird so sei es gestattet, die betreffenden Aufzeichnungen Johanns zu imter- drücken und lieber den Sachverhalt in Kürze darzustellen.
In § 33 war gezeigt worden, daß für zwei Grenzbogen s und s' zwischen denselben Achsen, die den Abstand x haben, die Gleichung
s gilt, wo „e eine unbekannte Zahl und nur der Bedingung e > 1 unter- worfen ist." In § 36 beweist Lobatschefskij, daß der Ausdruck
(cot-i-7T(^))x
von X unabhängig, also eine Konstante ist; welchen Wert diese Kon- stante habe, bleibt dabei noch unentschieden. Gegen diesen Beweis, den Johann mit Recht „versteckt, schwer zu finden, großartig und glänzend" nennt, läßt sich nichts einwenden, allein es ist ein Mangel, daß Lobatschefskij jene Konstante wiederum mit e bezeichnet; denn wenn er auch ausdrücklich sagt, daß „e jede beliebige Zahl sein kann, die größer als die Einheit ist", so gilt dasselbe doch auch von der in § 33 auftretenden Zahl e. Daß der russische Geometer selbst ein Gefühl hierfür gehabt hat, zeigt seine 1855 erschienene Pangeometne-^ dort schreibt er nämlich zuerst {Oeuvres, t. II, S. 621):
s und alsdann (S. 633):
tg^77(a;) = 6"=^
und beweist später (S. 645), daß
E^e ist; allerdings findet er diese Gleichung gewissermaßen als Nebenergebnis von Rechnungen, die bei der Aufstellung der allgemeinen Gleichung der geraden Linie angestellt werden.
Ein Fehler würde bei Lobatschefskij nur dann vorliegen, wenn er ohne Beweis die Gleichheit der beiden Konstanten behauptet oder gleichzeitig die beiden Gleichungen
^ = e-^ tg|iT(Ä:) = e-
mit demselben Werte der Konstanten e, also etwa beide Male mit e als Basis der NEPERschen Logarithmen, angewandt hätte. Das ist jedoch,
152 Leben und Schriften der beiden Bolyai. KajDitel XVI
wie man sich leicht überzeugt, nicht der Fall, vielmehr tritt in § 36 allein die zweite Gleichung auf (S. 55 und implizite S. 60 — 61); dann aber ist es an und für sich gleichgültig, welchen Wert man der Kon- stanten e beilegt, und daher erlaubt, den für die Durchführung der Rechnungen bequemsten Wert zu nehmen.
Hierin liegt wohl auch der Grund, daß Lobatschefskij, dessen Endziel war, „weil der Umfang seiner Arbeiten vielleicht seine Landsleute gehindert habe, dem Gegenstande zu folgen, allein das Wesentliche seiner Untersuchungen darzulegen", die Frage nach der Beziehung zwischen den beiden in den §§ 33 und 36 auftretenden Konstanten nicht erörtert hat, ohwoJd ihm deren Gleichheit sehr ivohl bekannt ge- wesen ist; er brauchte diese eben nicht zur Ableitung der Gleichungen zwischen den Seiten und Winkeln eines Dreiecks, deren Aufstellung den Abschluß seiner Geometrischen JJntersuchimgen bilden sollte.
Daß Lobatschefskij jene Gleichheit sehr wohl gekannt hat, zeigt seine Abhandlung: Über die Anfangsgründe der Geometrie vom Jahre 1829. Dort leitet er nämlich zuerst die Gleichung für n{x) her und beweist erst später, daß alsdann s' : s = e~^ ist, „eine Gleichung, die man auch unmittelbar erhalten kann, indem man sich auf die Eigen- schaften der Grenzkreise stützt". Hiermit ist augenscheinlich die Her- leitung gemeint, die er 1836 in § 117 der Neuen Anfangsgründen gegeben und daraus 1840 in die Geometrischen Zinter suchungen herübergenommen hat. Hierdurch wird die Behauptung Johanns, daß der Verfasser dieses Werkes den Appendix gekannt haben müsse, in dem die Gleichheit der beiden Konstanten bewiesen wird, widerlegt, und damit fällt gleichzeitig die Folgerung, die er daraus zieht, daß nämlich „hier wahrscheinlich sowohl moralisch als auch wissenschaftlich nicht alles klar ist". Eben- sowenig ist es richtig, daß Lobatschefskij „zufällig" oder weil er „durch den Appendix irregeführt wurde", darauf gekommen sei, die beiden Konstanten einander gleich zu setzen. Es wird daher genügen, von Johanns Bemerkungen zu § 36 nur den Beweis für die Gleichheit der beiden Konstanten mitzuteilen.
Um den unvollendeten Beweis Lobatschefskijs zu ergänzen, „sei (Fig. 17) am Lab, bn|ijam, ferner in A bam, hip^ah, A abn = M, A pbn = z, ac = ah = c, cb L bp, und cb schneide bn in e. Dann ist:
1 _|_ tgi^ cotg l u = cotg {\B, — \z) = f~
= 1 + 2i^\s-\-iv,
wo w [sogar im Verhältnisse zu s] • — 0, wenn c ' — 0."
Idhanns Bemerkungen zu Lobatschefskijs Geom. Untersuchungen. § 36—37 153
„Andererseits ist dann [nach § 23 des Ap- m
jirndix]
ce ' d. h.
1 ^ ,^ 1 «
C ce ^^
Das Zeichen = bedeutet, daß die linke Seite der rechten für c • — ^ ü gleich wird.
„Es ist aber ce = cö — e6, und nach § 27 des Appendix:
£l . JL
a b ' sin u
1 ^ ' bö
1
und nach einer unabhängig von der fraglichen Gleichung beweisbaren andern werden sich in einem - — 0 seitigen A bcö und ebenso in jeder "^v 0 Figur, die Relationen zwischen den Elementen allmählich jenen in F oder 27 nähern. Also ist
be c
und man hat:
bc ctg z
cz
Daraus folgt, die Punkte des Beweises nur leicht berührend:
cö = -. - , be ^ CS, C
sin«
siuM 1 — 2 sin M
sin IC
CZ,
1 — z cos z
1-^2« +
Hieraus ist [wenn man tg|^I7(c) = (L setzt]:
\^ log nat C ^ hfl log nat C und damit
tg(|i7(c)) = C
in Wirklichkeit erkämpft, nicht nur im Traume oder in der Einbildung.'^
Auch an dem Schlußparagraphen der Geometrischen Untersuchungen, § 37, hat Johann verschiedene Ausstellungen zu machen. Er tadelt, daß
J54 Leben und Schriften der beiden Bolvai. Kapitel XVI
der Übergang von der imaginären zur gewöhnlichen Greometrie „leicht- sinnig und oberflächlich" gemacht werde, und vermißt die wichtigen Bemerkungen, daß „die Relationen der ebenen Trigonometrie von S nach denen in U hinstreben, wenn i '-^ oo", daß ferner „/S, da es, wenn man darin, für den Fall von £, i ' — <x> nimmt, H als Grenze in sich begreift, in diesem Sinne, obgleich es auf eine grundlose und willkürliche Voraussetzung aufgebaut worden ist, doch selbständig und unabhängig wahr ist", und daß endlich, wenn „man in S das "-^ 0- seifige Dreieck mit dem endlichen i^- Dreieck vergleicht, durch Grenzübergang aus der ebenen Trigonometrie auch jene von F er- halten werden kann." In der Tat ist es ein wichtiger Vorzug des Appendix, daß die Formeln der Trigonometrie die Konstante i ent- halten, sodaß man, in der modernen Ausdrucksweise, in der Lage ist, das Krümmungsmaß des Raumes abzuändern, während diese Formeln bei LoBATSCHEFSKiJ abgeleitet werden, indem von vornherein i = 1 ge- setzt wird.
Von größerer Bedeutung als diese Beanstandungen ist die Kritik des Ausspruches Lobatschefskus, daß die gewonnenen Fonneln der ebenen Trigonometrie «für sich selbst schon eine hinreichende Grund- lage gewähren, um die Voraussetzungen der imaginären Geometrie als möglich anzusehen». „Um dies behaupten zu können", bemerkt Johann, „dazu wäre ein strenger Beweis notwendig, den ich, um den Gegen- stand auch nach dieser Seite hin abzuschließen, zur Zerstreuung jedes Zweifels und jeder Unwahrheit, in echt mathematischem Geiste führen werde." Wenn Johann hiermit gemeint hat, aus der Widerspruchs- losigkeit der Formeln der ebenen Trigonometrie folge noch nicht, daß das XI. Axiom nicht etwa durch räumliche Konstruktionen bewiesen werden könne, so ist dieser Einwand ohne Zweifel berechtigt. In der Tat hat Johanns Nachlaß gezeigt, daß dieser hier über Lobatschefskij hinausgekommen ist, ohne daß ihm freilich die wirkliche Durchführung des „strengen Beweises" geglückt wäre.
Weiter erklärt Lobatschefskij, daß es demnach kein anderes Mittel gebe, um über die Genauigkeit zu urteilen, die den Berech- nungen der gewöhnlichen Geometrie zukomme, als die astronomischen Beobachtungen zu Hilfe zu nehmen; aus diesen folge aber, wie er in einer seiner Abhandlungen gezeigt habe, daß in Dreiecken, deren Seiten unseren Ausmessungen zugänglich sind, die Summe der drei Winkel noch nicht um den hundertsten Teil einer Sekunde von zwei Rechten verschieden ist. In Wirklichkeit folgt sogar, da bei Loba- tschefskij ein Rechenfehler vorliegt, daß die Abweichung weniger als den hunderttausendsten Teil einer Sekunde beträft.
Johanns Bemerkungen zu Lobatsciiefskijs Geom. Untersuchungen. § 37 155
Über die Frage der praMischen Entscheidung äußert sich Johann folgendermaßen: „Das Auge ist unser feinstes, edelstes und schärfstes Sinnesorgan. Jedoch würde der Beobachter, schon wegen der atmo- , sphärischen Strahlenbrechung, irren, wenn er nicht die Fehler durch I weitere Untersuchung zu berichtigen strebte. Denn seien auch unsere I zur Längen- und Winkelmessung dienenden Instrumente noch so starr, und mögen wir auch mit der größten Sorgfalt messen und von wie immer Großem zum Kleineren übergehen: so kann trotzdem niemand versichern, daß zwei von der Natur oder künstlich erzeugte Gegen- stände ihre gegenseitige Lage soweit beibehalten, daß wenigstens wir keine Veränderung daran feststellen können. Es kann nämlich ein Erd- beben sogar einen Granitfelsen von seiner Stelle wegrücken. Nur durch kontrollierende Messungen können wir uns über die ffenügende Genauigkeit beruhigen. Die Aberration des Lichtes wird nur für das Licht der Himmelskörper eintreten."
„Weil beim Übergänge vom Kleineren zum Größeren sich die beim Kleinen begangenen Fehler vergrößern, hingegen beim Übergange vom Größeren zum Kleineren die beim Größeren begangenen Fehler weniger bemerkbar werden, so nehmen wir ein möglichst großes, wenigstens ungefähr zugängliches (wobei dann noch eine Centrierung erforderlich sein wird) und vom gleichseitigen nicht sehr verschiedenes Dreieck, dessen Spitzen auf möglichst hohen Bergen mit weiter Aus- sicht liegen, und messen dessen 3 Winkel mit dem besten, freilich auch teuersten und kompliziertesten Apparate, mit dem Multiplikations- theodoliten oder gar mit dem Multiplikationskreise von Reichenbach." „Welches ist die größte Genauigkeit, die wir erhoifen können? Wir können angenährt die Erde als eine Kugel betrachten, deren Radius gleich 1000 geographische Meilen ist; der höchste Berg, der Dlivalagiri, ist etwa eine Meile. Von seinem Gipfel ist die Tangente an die Erdkugel
1/10012 _ 1000^ = y 2001 == 44,7 Meilen.
Also ist die größte Entfernung auf Erden, von deren einem Ende zum andern man sehen kann, höchstens etwa 45 Meilen; aber sie wird wegen der lokalen Hindernisse kaum mehr als 30 Meilen sein. Bei den katastralischen Messungen in Österreich war die größte Dreiecks- seite nur etwa 6Y2 Meilen. Auch darf man nicht vergessen, daß bei größerer Entfernung mehr Gelegenheit zu atmosphärischer Strahlen- brechung vorhanden ist; wenn man also durch große Entfernungen auch etwas gewinnt, so werden dadurch andererseits unberechenbare V*^rluste und Zweifel entstehen."
„Nunmehr setzen wir voraus, daß, wie bei der österreichischen
156 Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kapitel XVI
Landmessung, die Längen und Längenunterschiede der Meßruten bis auf Viooooo ^1^® Pariser Klafter bestimmt werden."
„Mit dem HERSCHELscben Fernrohr kann man die Teile des un- gefähr 51000 Meilen von der Erde entfernten Mondes so sehen, als wären sie nur 17 Meilen entfernt, d. h. mit SOÜOfacher Yergi-ößerung. Im Vergleich hierzu könnte das Roßhaar, das man mit bloßem Auge auf 10 Klafter sieht, noch auf 30000 Klafter, also 7 y, Meile gesehen werden. Da nun der Kreis mit einem solchen Durchmesser einen umfang von
f X 30000 X 100000 j) = f tausendmillionen p, also ungefähr zehntausendmiUionen p hat, wo
P = mm I^lafter, und da der Kreisumfang aus
360 X 60^ = 1 296000 Sekunden
besteht, so ist die erreichbare Genauigkeit ungefähr Yg Sekunde, und wenn statt 7 Yg Meilen 30 Meilen genommen werden, so wird die Ge- nauigkeit erst ^32 Sek. Aber nehmen wir an, daß man mit der Zeit durch noch schärfere Fernröhre Yioo ^^^- erreichen könne."
„Wenn wir aber auch die Winkel und damit die Winkelsumme möglichst genau abmessen und genau 2R bekommen, wer kann nun versichern, daß die atmosphärische Strahlenbrechung und der Einfluß anderer unberechenbarer Umstände keine auch für uns merklichen Fehler verursacht? Umgekehrt, wenn die Winkelsumme, sagen wir um 16 Minuten, weniger gefunden würde — ein Unterschied, den bei der Entfernung von 30 Meilen schon eine Deklination von 1 lüafter ver- ursachen kann — wer kann dann behaupten, daß ein solches, oder daß überhaupt irgend ein S richtig sei und nicht Z"? Ja es könnte sogar bei den Messungen das ganz naturwidrige Resultat herauskommen, daß die Summe > R."
„Mithin kann durch irdische Messungen nicht entschieden werden, ob E oder irgend ein S gilt."
Man könnte aber dazu den Unterschied benutzen, meint Johann, der in unseren Rechnungen eintritt, wenn wir den Ort der Himmels- körper zuerst unter der Voraussetzung berechnen, „daß die Winkel- summe des Dreiecks gleich 2R und die Massenanziehung immer in umgekehrtem Verhältnisse mit der Kugeloberfläche sei, deren Radius die Entfernung der beiden Körper ist'' und dann die Rechnung für „immer größere Abweichungen der Winkelsumme von 2R" wieder- holen. Wenn so, um die schönen Worte meines Vaters zu gebrauchen, die Zeit ihrem ewigen Verwandten, dem Räume, zu Hilfe kommt, so
Johanns Bemerkungen zu Lobatschefskijs Geom. Untersuchungen. § 37 l>')^
kann man sich beruhigen, daß man mit einer im ganzen Gebiete unserer praMisclien Untersuchungen ausreichenden Genauigkeit, aber freilich nie und nirgendwo mit theoretischer Genauigkeit, 2; annehmen darf. Also — denn nur auf diesem Wege konnte Lobatschefskij zum Ziele kommen — wenn man im größten irdischen Dreieck die Winkel- summe = 2R — ^l^ Sek. setzt und dann die bis dahin beobachtete Übereinstimmung der wirklichen und der berechneten Bewegung der Himmelskörper aufhört und der Widerspruch mit dem Unterschiede von 2R eine Weile wächst, so kann man daraus mit Recht schließen, daß in dem genannten Dreieck die Winkelsumme weniger als Y^^q Sek. von 2R verschieden ist. Wenigstens ist dies so lange berechtigt, bis die gewonnenen Ergebnisse nicht durch Verbesserung der optischen und Meß-Instrumente geändert werden."
Den Schluß der Geometrischen Untersuclmngen bildet die Bemerkung, daß „die Gleichungen der ebenen Trigonometrie in die Gleichungen für sphärische Dreiecke übergehen, wenn man statt der Seiten a, h, c setzt «]/— 1; &]/ — 1, cy — 1." Denn alsdann müsse man
sin77(a)durch , cos i7(a) durch]/— 1. tga, tg77(a) durch
cos«' - ^ ' o w o V / 1/-1 sin«
ersetzen und auf ähnliche Weise auch bei den Seiten h und c verfahren. Dies ins Reine zu bringen hat Lobatschefskij allerdings dem Scharf- sinn des Lesers überlassen, und insofern darf seine Darstellung als zu knapp bemängelt werden, allein einen Fehler, wie Johann meint, hat er damit nicht begangen.
Von erheblicherer Bedeutung ist es, wenn Johann sagt, daß Lo- batschefskij nur „wahrgenommen" habe, daß durch „Einsetzen" von
für sin n(d) die Formeln der ebenen Trigonometrie in die der
«08 a ^ ■' °
sphärischen übergehen, und daß ihm die „tiefere Einsicht und Durch- drincmncr zu mangeln scheine". In der Tat war Johann hier dem Wesen der Sache näher gekommen. Seine „tiefere Einsicht" hat er mit folgenden Worten ausgesprochen:
„Wie man für das sphärische Dreieck die Seiten durch jenen Z-Bogen teilen muß, dessen senkrechte Ordinate gleich dem geraden Radius jener Xugel ist, ebenso muß mau in der Ebene, um für diese ebensolche Formeln anwenden zu können, die Seitenlängen durch i]/ — 1 geteilt in die Glei- chungen einsetzen. Ist also der Kugelradius so groß, wie die Ordinate des i-Bogens, der gleich einer beliebig gewählten Einheit ist, so kann man mit den Seiten selbst rechnen. In diesem Sinne kann man sagen,
158 Leben und Schriften der beiden Bolyai, Kapitel XVI
die Ebene sei eiue Hypersphäre vom L-förmiyen Radius iY — 1 oder — was dasselbe sagt — vom geraden Radius
a = \7tiy — 1 -}- 2m%i,
wo m eine beliebige ganze Zahl bedeutet." Daß beide Ausdrucksweisen dasselbe besagen, „erhellt aus der in § 30 des Appendix enthaltenen und auch mit Hilfe der Integralrechnung beweisbaren Gleichung
z= i cotg u
tgM =
und der aus
folgenden Formel
„Da die imaginären i-förmigen und die imaginären geraden Radien bisher noch nirgends definiert waren, so kaim über die Bedeutung dieser Ausdrücke kein Zweifel bestehen."
Das Gesagte „kann man auch leicht auf die zur Ebene äquidistanten Hypersphären ausdehnen, und man gewinnt so eines der schönsten, wich- tigsten und interessantesten Resultate in der ganzen Geometrie und über- haupt im ganzen Bereiche unseres Denkens."
Die Einsicht, daß in der absoluten Ebene die Hypercykeln zu dem Systeme der Kreise, Grenzkreise und Geraden, im Räume die Hyper- sphären zu dem Systeme der Kugeln, Grenzkugeln und Ebenen gehören und daß die Geometrie auf den Hypersphären eines S für ein be- stimmtes i mit der absoluten Geometrie der Ebene für ein belie- biges i identisch ist, scheint Johann Boltai eigentümlich zu sein; bei LoBATSCHEFSKiJ findet sich nur ein einziges Mal die Linie der Punkte gleichen Abstandes von einer Geraden (Hypercykel) erwähnt (über die Anfangsgrunde 1829).
F. Engel hat im Jahre 1899, drei Jahre ehe die Bemerkungen Johann Bolyais zu N. I. Lobatschefskijs GeometriscJien Untersuchungen veröffentlicht worden waren, den Appendix mit den Schriften des rus- sischen Geometers verglichen. Die in russicher Sprache im Kasaner Boten 1829/30 abgedruckte Abhandlung Lobatschefskijs tjher die Anfangsgründe der Geometrie sichert diesem, wie Engel ausführt, die Priorität der Veröfi'eutlichung gegenüber Johann, dessen Appendix erst 1831 gedruckt und 1832 erschienen ist. „Dafür ist aber wieder zu berücksichtigen, daß J. Bolyais Appendix nur eine Anzahl Sätze vor-
Vergleichung zwischen Johann Boi.yai und X. I. LonvTsriiKKSKu 159
aussetzt, die Euklid unabhängig vom Parallelen axiom bewiesen hat, sonst aber eine wirklich vollständige Begründung der nichteuklidischen Geometi'ie enthält, die allerdings äußerst knapp gefaßt ist und deshalb vom rein geometrischen Standpunkte aus manches zu wünschen übrig läßt; während dagegen der von Lobatschefski.i veröfifentliehte Auszug aus der Exposition zwar Andeutungen darüber enthält, wie man vom Begriffe der Kugelfläche ausgehend die ganze Geometrie aufbauen kann, andererseits jedoch eine Reihe neuer, der nichteuklidischen Geometrie eigentümlicher Sätze ohne Beweise mitteilt. Hinwiederum darf man nicht übersehen, daß bei Lobatschefsku die neue Geometrie gleich in einer für Anwendungen unmittelbar brauchbaren Form erscheint: die zur Be- rechnung geometrischer Figuren nötigen Formeln sind systematisch ent- wickelt, und eine große Anzahl dahin gehöriger Aufgaben ist vollständig gelöst. J. BoLYAi gibt in dieser Beziehung nur das AUernotdürftigste: man sieht zwar, _daß er den Gegenstand vollständig behen-scht, aber man würde doch eine beträchtliche geistige Arbeit aufwenden müsse, wollte man auf Grund der Andeutungen des Appendix selbständig der- artige Aufgaben in Angriff nehmen.^'
ExGEL geht dann auf die Xeuen Anfangsgründe der Geometrie ein, diese umfangreiche Abhandlung, die in den Jahren 1835 — 1838 in den Kasaner Gelehrten Schriften erschienen ist. „Lobatschefsku hat hier eine vollständige, zusammenhängende Entwicklung und Darstellung der neuen Geometrie geliefert, eine Darstellung, an der auch vom rein geo- metrischen Standpunkte aus verhältnismäßig nicht sehr viel auszusetzen ist. Er war dabei sichtlich bestrebt, die Anfänge der Geometrie von jeder Beimischung der Analysis frei zu halten und die Geometrie rein synthetisch soweit zu entwickeln, bis man imstande ist, «jede Abhängig- keit durch Größen darzustellen und für jede Art geometrischer Größen Ausdrücke zu geben.» Das zeigt sich besonders darin, daß er, bewußt oder unbewußt, in den Neuen Anfangsgründen von der Stetigkeit nur sehr sparsamen Gebrauch macht und daß die Zahl der Stellen, wo er die Stetigkeit benutzt, während sie doch vermieden werden kann, äußerst gering ist. Dagegen hat J. Bolyai zwar auch angefangen, eine große und zusammenhängende Darstellung der Geometrie auszuarbeiten, aber was er niedergeschrieben hat, blieb in seinen Papieren vergraben und ist niemals erschienen." Wenn Exgel vennutet, „daß J. Bolyai bei seiner Darstellung nach ähnlichen Grundsätzen zu Werke gehen wollte, wie sie LOBATSCHEF.SKIJ tatsächlich verfolgt hat", so wird die im XVIII. Ka- pitel zu besprechende Baumlehre zeigen, daß .Johann bei der Durchführung seiner Grundgedanken, die allerdings manche Übereinstimmung mit Loba- tschefsku zeigen, zwar Stetigkeitsbetrachtungen zu vermeiden versucht
160 Leben und Schriften der beiden Boltai. Kapitel XVI
hat, aber dabei auf Hindernisse gestoßen ist, die er nicht überwinden konnte. Wie Engel mit Recht bemerkt, hatte Johann im Appendix „unter dem Zwange des Strebens nach äußerster Kürze und Knappheit einen nur allzu ausgiebigen Gebrauch von der Stetigkeit gemacht."
Es mögen uoch die Schlußworte Engels angeführt werden. „Um endlich die Vergleichung der beiden Begründer der nichteuklidischen Geometrie zum Abschluß zu bringen und Licht und Schatten in ge- rechter Weise zu verteilen, sei noch folgender Tatsache gedacht: In seinem Appendix geht J. Bolyai insbesondere auf die der nichteukli- dischen Geometrie eigentümlichen Konstruktionsaufgaben ein. Zum Bei- spiel gibt er sehr elegante Lösungen für die beiden Aufgaben: durch einen gegebenen Punkt die Parallelen einer gegebenen Geraden zu ziehen und die Gerade zu zeichnen, die auf dem einen Schenkel eines spitzen Winkels senkrecht steht und zu dem andern Schenkel parallel ist; auch zeigt er, daß im Falle der nichteuklidischen Geometrie eine geometrische Quadratur des Kreises möglich ist. In den Neuen Anfangsgründen Loba- TSCHEFSKiJs und in dessen übrigen Arbeiten werden Fragen dieser Art nirgends berührt, nur in der ersten Abhandlung über die Anfangsgründe gibt es Spuren, aus denen mit großer Wahrscheinlichkeit hervorgeht, daß auch er im Besitze von Konstruktionen war, die zur Lösung der beiden zuerst erwähnten Aufgaben dienen können."
XVII. Kapitel
Wolfgang BOLYAis letzte Jahre (1848—1856)
Nachdeiu Wolfgang Boltai seinem Jugendfreunde Gauss im Jahre 1835 die beiden Bände des Tentamen gesandt und von diesem eine freundliche Antwort erhalten hatte, war der Briefwechsel zwischen ihnen wieder ins Stocken geraten. Daß ihn Wolfgang am 18. Januar 1848 wiederaufnahm, hatte, wie im XV. Kapitel berichtet wurde, seinen Grujid hauptsächlich in dem Wunsche, etwas über den Titel des russischen mathematischen Werkes zu erfahren, das von Mentovich im Nationalen ünterlialtimgsblatt erwähnt worden war. Zugleich aber wollte er dem alten Freunde aus seinem dreiundsiebenzigsten Lebens- jahre einen letzten, wehmütigen Gruß senden. ,;Der Tag ist aus. Du hast Deinen würdigen Tage-Lohn erhalten-, der meinige ist nur innere Ruhe, ohne irgend eine Belohnung unter der Fahne der Wahrheit selbst, mit dem Schicksal kämpfend, treu geblieben zu sein; wenn ich nur nicht wegen einer Reihe der besten Jahre erröten müßte, wo mich das Nicht-Ergründen der Parallelen samt dazu kommenden tausend Widerwärtigkeiten beinahe verzagt und mutlos machten. Ach wäre doch nur nach einem so stürmischen Tage der Abend nicht so trüb! oder käme bald die Nacht! und nach dem Ausruhen ein schönerer Tag mit der reinen Quelle, um des Wissens ungestillten Durst zu löschen. [Uns] beiden ist der letzte Akt des irdischen Spieles; aber Dir klatscht die Ewigkeit, wenn der Vorhang fällt; ich bin zufrieden, wenn, nach- dem die treue Begleiterin unserer Schicksale, die Glocke, am Rande der Erde verhallt, selbst kein Stein mehr von mir spricht."
Der Ton, den Wolfgang angestimmt hatte, fand WiederhaU bei Gauss. „Wie eine Geisterstimme aus längst verklungener Zeit" antwortet er am 20. April 1848, habe ihn der Brief seines teueren, alten Freundes noch einmal in jene Zeit versetzt, zwischen der und dem jetzigen Augen- blick so viele, für sie beide so schwere Jahre lägen, „Es ist wahr, mein Leben ist mit vielem geschmückt gewesen, was die Welt für beneidens- wert hält. Aber glaube mir, lieber Bolyai, die herben Seiten des Lebens, wenigstens des meinigen, die sich wie der rote Faden dadurch ziehen und denen man im höheren Alter immer wehrloser gegenüber-
P. Stäckel: Wolfgang und Johann Bolyai I 11
1(52 Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kapitel XVII
steht, werden nicht zum hundertsten Teile aufgewogen von dem Er- freulichen/'
Auf die Vorgänge eingehend, die damals alle Gemüter bewegten, bemerkt Gauss weiter: „Das gewaltige politische und soziale Erdbeben,, welches in immer weiterer Verbreitung fast alle europäischen Zustände] umstürzt, hat bisher Dein Vaterland im engeren Sinne (ich meine Sieben-] bürgen) noch nicht berührt. Ich hege zwar das Vertrauen, daß am Ende erfreuliche Früchte daraus hervorgehen werden; aber die Über-i gangsperiode wird erst vielfache Bedrängnisse bringen und [quodl tarnen deus avortat) kann lange dauern. In unserm Alter ist es immer sehr zweifelhaft, ob wir das einst bevorstehende goldene Zeitalter] erleben."
Die Bedrängnisse, von denen Gauss gesprochen hatte, haben Wolf-I gangs Heimat bald aufs härteste getroffen. Im September „brach die Wut der Stürme" los. „Mord und Verwüstung war die Losung", klagt W^olfgang am 6. Februar 1853 in seinem letzten Briefe an Gauss. „Derl Adel ist vorzüglich zu Grunde gerichtet . , . Nachdem Joseph II. . . . [die] Leibeigenschaft aufgehoben, der Grundbesitz aber dem Besitzer blieb, jetzt, da der Adel auch den Besitz dem Bauern schenkte, anstatt des Dankes haben sie die Edelleute, wo es möglich war, grausam ermordet, ausgeplündert und alles zerstört. Auch mein kleines Landgut, welches ich auf meine letzten Tage schön eingerichtet hatte, haben sie so zerstört, daß ich es nie [mehr] ansehen mag . . . Mittlerweile finde ich mich auf der Erde gleichberechtigt mit meinen Wurm-KoUegen, deren jeder an seinem Gewebe arbeitet, bis ich bald im namenlosen Grabe mit dem Schicksale ausgesöhnt liegen werde. Sterne der ersten Größe bleiben am Himmels- gewölbe der Nacht, worunter auch mein Freund bleibt. So ein kleines Wurm -Werk vei-anlaßte die Genehmiguncr des unsere Schule besuchenden Kommissärs vom Ministerio des Kultus [in Wien]; ich schicke es nach der Versicherung des Postmeisters ganz frankiert. In der Arithmetik habe ich Newton zur Stütze gesetzt, in der Geometrie habe ich mit LoBATSCHEWSKY angefangen. Ich hatte nicht das Glück, Wege zu bahnen; aUes mit wenigen Ausnahmen war entgegen; nun überlasse ich mit ruhigem Gewissen den Pfad allem Unkraut, bis zu den Disteln des Grenzhügels aRes Irdischen."
Das „kleine Wurm -Werk" — Wolfgangs Vergleich zielt auf das Gespinnst einer Raupe — war der Kurze Grundriß eines Versuches, Maros-Väsärhelj 1851, der im zweiten Teile dieses Buches abgedruckt ist. Es war sein letztes Werk, zugleich ein Abschiedsgruß an das Kol- legium, aus dem er im Herbst 1851 ausgeschieden ist, nach fast 48-jähriger Lehrtätigkeit. Mit Belassung des voUen Gehaltes und der
"Wolfgang BoLYAis letzte Jahre (1848 — 1866) 163
Dienstwohnung wurde er unter dem Ausdruck der Anerkennung für seine langen und eifrigen Dienste in den Ruhestand versetzt.
Inzwischen war Gauss in lebhafter Sorge um den Freund ge- wesen und hatte versucht, Auskunft über dessen Schicksal zu erhalten. Am 3. März 1849 schreibt er an Gerling: „Über Bolyai habe ich auch eine Nachricht gehabt, die freilich noch etwas älter ist als die Ihrige, nämlich durch Mitteilung eines Briefes, den Schumacher von Kreil erhalten hat . . . Freilich sind die rechten Greuelszenen erst später ein- getreten und dauern wohl noch immer fort." In dem erwähnten Briefe, der im Februar 1849 abgesandt ist, erzählt Kreil, damals Direktor der Sternwarte in Prag, der im Sommer 1848 in Siebenbürgen meteorolo- gische und magnetische Beobachtungen angestellt hatte und vom 5. bis 8. August in Maros-Väsärhely gewesen war. Folgendes über seine dorti- gen Erlebnisse.
„In Maros-VäsärheJy, einem abgelegenen Städtchen in Siebenbürgen, im Szeklerlande, machte ich die Bekanntschaft des alten und würdigen Professors Bolyai, eines Schulfreundes des berühmten Gauss, von dem er, so wie von anderen Heroen sowohl der Wissenschaft als der Lite- ratur, viel zu erzählen wußte und manches interessante Angedenken vorwies (unter anderm eine Federzeichnung von Gauss, die den alten Kästner darstellt, wie er vor der Tafel steht und in der Summation zweier vierziffriger Zahlen eben einen Rechenfehler begeht, ein Unglück, das ihm sehr oft wiederfahren sein soll). Dieser Mann, der dort, wenn- gleich vermöglich, in einer zynischen Einfachheit und Abgeschiedenheit lebt, uns aber mit der größten Freundlichkeit aufnahm und an unseren Beobachtungen und schönen Instrumenten so großen Gefallen fand, daß er uns nicht mehr von sich lassen wollte, mußte an demselben Tage, als wir von ihm schieden, die bittersten Vorwürfe über seinen Umgang mit uns von seinen KoUegen hören . . . Wie wird es dem guten Bolyai in den Greueltagen, die über das arme Land hereinbrachen, ergangen sein! Ich denke fast täglich an ihn."
Während Wolfgang in Kreil den Vertreter der Urania ehrte und freudig die sich ihm selten bietende Gelegenheit benutzte, in seiner weltabgeschiedenen Heimat einen Boten westeuropäischer Kultur zu begrüßen, hatte man zu Maros-Väsärhely in dem Argwohn, mit dem zu jener Zeit alles, was aus Österreich kam, aufgenommen wurde, Kreil und seine Begleiter wohl als geheime Sendlinge der österreichischen Regierung angesehen. Dazu kam vielleicht, daß Wolfgang, wie BedÖhazi berichtet, sich die Erhaltung seiner Nation derart dachte, „daß sie es versuchen soUte, mit der Sprache eines fremden Kulturvolks im Strome der Zivilisation zu schwimmen." Auf eine Anfrage des siebenbürgischen
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164 Leben nnd Schriften der beiden Bolyai. Kapitel XVII
ev. ref. Oberkonsistoriums über die künftige Einrichtung der Schulen machte er nämlich im Jahre 1852 den Vorschlag, man solle statt des Lateinischen als amtliche Sprache das Deutsche einführen; auch solle man danach trachten, die drei Nationen Siebenbürgens so zu gruppieren, daß sie getrennte Gebiete bewohnten. Ähnlich äußert er sich in dem Briefe an Gauss vom 6. Februar 1853: ,.Man hat hier die seit Jahrhunderten schlafende National -Wut aufgeweckt, da man statt der lateinischen Sprache, welche Stephan, der erste König von Ungarn, zur allgemeinen festsetzte, auf eine die anderen Nationen aufregende Art das Magyarische einführen wollte. Die allgemeine Sprache soU von aUen Nationen eingewilligt und Schlüssel zum Tempel der Wissen- schaften sein; mit dem Lateinischen hat es nun in ganz Europa aufgehört, bei uns wäre die deutsche [Sprache als allgemeine zu empfehlen]; hätte Joseph IL noch 20 Jahre gelebt, so hätte sie bis Hamburg alles mit einer Farbe überzogen, und das Geschehene wäre nicht geworden."
Es läßt sich nicht leugnen, daß, wie BedÖhazi hervorgehoben hat, hier ein gewisser Widerspruch in Wolfgaugs Ansichten vorliegt. Er hatte, wie wir im V. Kapitel gesehen haben, sich eifrig bemüht, die magyarische Sprache den Bedürfnissen der mathematischen Ausdrucks- weise anzupassen, und nur mit Widerstreben sein Hauptwerk, das Ten- tamen, in lateinischer Sprache herausgegeben. Auch hatte er 1834 eine magyarische Bearbeitung des ersten Bandes des Tentamens ver- öffentlicht und dieser 1843, ja sogar noch 1850 kleinere mathematische Lehrbücher in seiner Muttersprache folgen lassen. Aber noch mehr, in seinem Lehrbuch der elementaren Arithmetik Az arithmetica eleje vom Jahre 1830 hatte er versucht zu zeigen, daß die magyarische Sprache zum Ausdruck mathematischer Begriffe besonders geeignet sei ; sein Sohn Johann hat, wie wir im XIX. Kapitel sehen werden, diesen Gedanken aufgenommen und verallgemeinert, indem er auf der Grundlage des Magya- rischen eine Weltsprache von idealer Vollkommenheit aufbauen wollte.
Die Erklärung des Widerspruches liegt wohl darin, daß Wolfgangs eifrige Bemühungen, dem Fortschritt der nationalen Wissenschaft und Kultur zu dienen, erfolglos geblieben waren; dazu kam die allgemeine Entmutigung, die nach der Niederwerfung der nationalen Bewegung Platz gegriffen hatte.
In dem wiederholt angeführten letzten Briefe Wolfgangs an Gauss vom 6. Februar 1853 hatte er dem Freunde „vom Grabesrande die Hand zum Abschied gereicht''. Aber er, der Altere, hat den Jüngeren überlebt.
Als Wolfgang in der Allgemeinen Zeitung die Nachricht las, Gauss sei am 23. Februar 1855 gestorben, blieb er lange Zeit „wie ein
Wolfgang BoLYAiB letzte Jahre (1848—1856) 165
träumender Nachtwandler. Bis mir der Gedanke der Möglichkeit einfiel, erstens auf das Grab meines alten Freundes eine zwar Eisblume aus meinem Winter, aber mit dem Herzen aus dem ehemaligen Frühling hinzusenden und zugleich zweitens einige ihn betreffende Züge mitzu- teilen" (Brief an Kreil, April 1855).
Die „Eisblume" waren sechs Hexameter in lateinischer Sprache, die sich etwa so wiedergeben lassen:
„Höchstes und tiefstes zugleich hat kaum ein andrer durchdrungen. Würdiges schuf er mit gleich scharfsinnigem Geiste in beiden, Suchte nicht äußeren Glanz, nachdem er den innern gefunden, Den auch des Todes Gewalt nicht zu verlöschen vermochte. Sich erfreuend in Gott, mit reinem Herzen wie Newton, Hat er sich diesem gesellt und weilt in himmlischen Fernen."
Kreil schickte Bolyais Brief an Sartorius von Waltershausen in Göttingen, der damals an seiner Schrift Gauss zum Gedächtnis ar- beitete. SARTORros wandte sich daraufhin an Bolyai und bat diesen, ihm die Briefe von Gauss zu übersenden. Wolfgang gewährte die Bitte, „zu seinem Todesopfer, daß alles nach Möglichkeit beisammen sei, was seine irdische Bahn, aus welcher er die himmlischen berechnete, bezeichnet; obwohl es ist, als wenn aus dem Zimmer des letzten Geliebten Sarg getragen würde." Am 13. Juli 1856 trennte er sich von den kostbaren Reliquien, bis auf einen kleinen Rest; er behielt die Briefe, „die bloß kom- missioneil nichts Interessantes enthalten". Außerdem fehlte der wichtige Brief GAUSSens vom 6. März 1832, den Wolfgang seinem Sohne Johann überlassen hatte; eine von diesem angefertigte Abschrift folgte am 26. August 1856 der ersten Sendung. Wie schon im XL Kapitel er- zählt wurde, haben sich die fehlenden Briefe, im ganzen fünf, im Jahre 1905 im Nachlaß von S. SzabÖ gefunden, dessen Sohn, Professor P. SzABÖ, sie dem GAUSS-Archiv in Göttingen geschenkt hat, damit, nach dem Wunsche Wolfgangs, dort alles vereinigt sei, was auf die Laufbahn des großen Geometers Bezug hat.
Sogleich nach dem Tode von Gauss hat Wolfgang seinen Abschied von der Erde drucken lassen, eine von ihm selbst verfaßte Todesanzeige, nachdem er bei so manchem andern diese Pflicht übernommen hatte. Sie ist zu lang, als daß sie hier wieder abgedruckt werden könnte, aber die Wünsche wegen seines Begräbnisses sind so eigenartig, daß sie wieder- gegeben werden soUen. „Geld habe ich nie gehabt, aber ich kann etwas hinterlassen, was ich nicht mehr besitze und was wertvoller ist als Geld: Wenn das bischen Staub (zwar spät, aber durch Leiden mit Zinsen vermehrt) der Erde zurückgegeben wird, hinterlasse ich einem
IQß Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kapitel XVII
jeden, der dazu zu erscheinen beabsichtigt, zwei Stunden, mit der herz- lichen Bitte, während dieser seinen häuslichen Geschäften nachzugehen; ich selbst werde ja sowieso dabei nicht zugegen sein. . . . Weder ein Priester noch irgend eine andere Feierlichkeit ist notwendig, nicht ein- mal eine Glocke. Nur die Schulglocke könnte läuten dem im neuen Schuljahre zum Schüler der höheren Schule gewordenen Professor. . . . Es werde auch kein Denkmal errichtet. Wenn aber jemand einen Apfel- baum vor der Behausung pflanzen wollte, der könnte von denen, die die Früchte pflücken werden, seinen Dank ernten. Dieser Apfelbaum erinnere an jene drei merkwürdigen Apfel, wie die durch den Apfel unserer Stammutter und den des Paris zum Trabanten der Hölle ge- wordene Erde durch den Apfel Newtons in die Gesellschaft der Sterne des Himmels erhoben wurde. Jedoch könnte auch das Pflanzen dieses Baumes unterbleiben. Es genügte vollständig die allgemeine Decke, die die Mutter Natur aus Himmel und Erde verbindenden Sonnen- strahlen webt, und die sie, durch täglich frisch herabfallende Tränen grün erhalten, über ihre schlummernden Kinder breitet."
Im Juni 1856 traf Wolfgang ein erster, im August ein zweiter Schlaganfall. Er verglich diese mit der im Gesetz vorgesehenen Ermah- nung (admonitio), der die Ankündigung (certificatio) folgte, um den dritten und letzten Schritt, die Vollstreckung (executio), vorzubereiten, und traf daher noch im August seine letzten Anordnungen. Zum Aus- druck seines Dankes vermachte er dem Kollegium zwei Medaillen, die zum Gedächtnis an Gauss geprägt waren, den größten Teil seiner Bücher, darunter die übrig gebliebenen Exemplare seiner Werke, und zwei auf zusammen 9445 Gulden lautende Schuldbriefe, die er von seinem Bruder Anton geerbt hatte. Der Zweck dieser Stiftung war die Förderuns; der Anstalt und insbesondere des mathematischen Unter- richts; die nach einem langen Rechtsstreit aus den Schuldbriefen er- löste Summe von 750 Gulden ist im Jahre 1874 als Beitrag zur Er- richtung eines neuen Lehrstuhls für Mathematik verwendet worden.
Daß Wolfgang seine Bücher teils dem Kollegium, teils der Teleki- schen Bibliothek in Maros-Väsärhely vermacht hatte, gab Veranlassung zu einem neuen, letzten Zwiespalt mit Johann, nachdem Vater und Sohn während der letzten Jahre in gutem Einvernehmen gelebt hatten. „Als er mir sein Vorhaben betreffs seiner Bücher erklärte", erzählt Johann, „erwiderte ich: «Wohlan, es steht Ihnen frei, ich kann nichts dawider haben», nur so viel bemerkte ich noch, daß ich das an seiner Stelle nicht getan hätte. Worauf ich ziemlich mißmutig und mit schmerz- lichem Gefühle «Lebe wohl» sagte und mich entfernte, mit dem Vor- satze, nicht eher wieder zurückzukommen, als bis er mich gerufen habe.
Wolfgang BoLYAis letzte Jahre (1848—1856) 167
Zu stolz und eigensinnig, um seinen einmal gefaßten Plan auf Anraten ganz aufzugeben, änderte er ihn doch darauf dahin um, daß er es zwar dabei bewenden ließ, . . .". Hier bricht die Aufzeichnung ab; da sich unter den Büchern, die aus Johanns Nachlaß an die Bibliothek des Kollegiums zu Maros-Väsärhely übergegangen sind, das Exemplar der Inaugural- dissertation von Gauss aus dem Jahre 1799 befindet, das dieser Wolf- gang zugesandt hatte, so scheint es, als ob ihm der Vater später zwar einige seiner Bücher geschenkt, im übrigen aber die Bestimmung darüber aufrecht erhalten hat.
Der Verlust der Bücher war für Johann gewiß schmerzlich, noch schmerzlicher aber wohl das durch die Testamentsbestimmung kund- gegebene Urteil über seine wissenschaftliche Tätigkeit. Trotzdem hat Johann diesmal den Mißmut überwunden und, wie die Briefe an seinen Bruder Gregor (Gergely) beweisen, in den Wochen der letzten Krank- heit täglich den „armen Alten" besucht.
Im November hatte diesen der dritte Schlaganfall getroffen. Über Wolfgangs letzte Tage besitzen wir Berichte von zwei Schülern des Kollegiums, die seine Pflege übernommen hatten.
Ludwig Rethy erzählt, daß er sich, als der alte Bolyai seiner nicht bedurfte, mit den Gedichten Aranys beschäftigte. Johann kam, trat auf ihn zu und fragte in höhnischem Ton: „Irgend ein neuer Dichter?" „Ganz recht", sagte Rethy, „kennen Sie ihn nicht, Herr Haupt- mann?" „Nein! Hat er vielleicht etwas geschrieben, was nicht schon hundertmal geschrieben wäre? Nun, sehen wir einmal nach!" Erschlug ein Gedicht auf, es war [die Ballade] Klärchen Zach [von Johann Arany], und begann mit geringschätziger Miene zu lesen:
«Weiße Rosen, rote Rosen, blondes Mädchen. . .» Plötzlich innehaltend machte er eine Bewegung, als ob er das Buch ins Feuer werfen wollte. „Das bestätigt ja meine Behauptung", sagte er, „auch dieser kennt nichts anderes, als Blumen und Mädchen. . . . Allen Kummer und Rückfall der Menschheit hat nur die Dichtkunst ver- schuldet. Auch dem Alten habe ichs oft gesagt, er soUe sie aufgeben. Aber er hat es nicht getan. Er hat sein Leben unnütz gelebt."
Der im Bett ruhig liegende Greis, so schließt Rethy seinen Bericht, hörte diese Kränkung bereits nicht mehr.
Am letzten Tage, dem 20. November, hatte Thomas Vass die Wache. Er hat 40 Jahre später, im Jahre 1896, die Eindrücke geschildert, die sich ihm damals eingeprägt hatten, und wenn auch vielleicht bei der Ausmalung der Einzelheiten die Phantasie nachgeholfen hat, so darf man doch annehmen, daß die beklemmende Stimmung, die über dem ganzen Bericht liegt, der Wirklichkeit entspricht.
168 Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kapitel XVII
„Ich war im Herbst des Jahres 1856 als heranwachsender Jüngling Schüler des Kollegiums, ein Studenten-Novicius, wie man einen solchen damals nannte."
„Wolfgang Bolyai, der hochberühmte Professor des Maros-Väsär- helyer Kollegiums, lag damals in seiner Professorenwohnung krank dar- nieder/'
„Diese Wohnung befand sich in unmittelbarer Nähe der Minoriten, in jener wenig bewohnten Gasse, wenn man den Nagyköz damals so nennen durfte, . . . die nachmals nach ihrem einstigen berühmten Ein- wohner BoLTAi-Gasse benannt wurde/'
„Die Wohnung, besonders der geräumige Hof, hat in letzter Zeit eine große Umänderung erlitten . . ."
„Zu jener Zeit stand rechts vom Eingang ein zerfallenes Gebäude . . . Daneben war der Holzschuppen nebst anderen Nebengebäuden. Im Hofe befanden sich einige alte Akazienbäume, unter einem davon ein Brunnen mit Wellenantrieb, der noch heute vorhanden ist, dann einige Fliederbüsche, von denen eine Gruppe unmittelbar vor dem Hause eine Laube bildete . . ."
„In einer schmalen, langen Stube dieses Hauses . . . lag der hoch- berühmte Wolfgang BoLTAi krank darnieder."
„Das Bett des Kranken befand sich gerade in der Mitte der Stube. Daneben stand ein unangestri ebener Stuhl, darauf Medizinflaschen. Von der Zimmerdecke hing ein steifes, dickes Seil herab mit einem an seinem unteren Ende befestigten Ringe, den der Kranke beinahe immer in der Hand hielt, damit er ihm zur Hilfe diente, wenn er sich im Bette be- wegen wollte."
„Dort, unter dem Hoffenster, befand sich auch der aus Fichten- brettern gezimmerte einfache, unangestrichene Sarg. Diesen ließ der alte Herr aus Vorsicht noch bei seinem Leben, vielleicht vor Jahren, durch irgendeinen Tischler, mit dem er gevatterschaftliche Beziehungen pflegte, anfertigen. Und da im Zimmer außer dem Stuhl kaum noch ein anderes Möbelstück vorhanden war, diente dieser Sarg dem zur Nachtwache bestellten Studenten als Ruhestätte."
„Im anstoßenden Zimmer stand auf einem Gestell eine große schwarze Tafel, welche mit mir unbekannten algebraischen Formeln voll- geschrieben war, die sich auf der Diele von einem Ende bis zum an- dern fortsetzten. — Dies mag wohl die letzte Rechnung des alten Herrn gewesen sein."
„Am 20. November 1856 war ich durch den Apparitor für die Tageszeit zur Wache bestellt. Es war der letzte Tag des großen
BOLYAl!"
Wolfgang BoLYAiB letzte Jahre (1848—1856) 169
„Der erste Schnee fiel frühmorgens und bedeckte die Erde mit einer dicken Schicht. Die Witterung hatte einen ganz winterlichen Charakter angenommen."
„Ich war allein im Krankenzimmer. Ich las einen Roman von JÖKAI. Mit dem Kranken hatte ich nichts zu tun. Medizinen nahm er keine mehr an. Es schien, als wäre er ohne Bewußtsein, als hätte sich; wie die Arzte zu sagen pflegen, die Agonie eingestellt."
„Da tauchte plötzlich ein Kopf auf, der vom Hofe durch das Fenster hereinguckte. Ich ging hinaus und sprach den Unbekannten an:"
— „Wen suchen Sie?"
— „Ich sehe nach, ob der Alte noch lebt, war seine kurze Antwort." „An der Stimme ließ sich eine eigentümliche Kühle fühlen." „Der Unbekannte, von einer durchaus gewöhnlichen untersetzten
Statur, hatte das Aussehen eines einfachen Bürgers. Eine unansehliche Gestalt, wie man ihr in der Stadt überall begegnet. Der Kopf mit einem abgegriffenen Hut bedeckt, die grauen, abgenützten Stiefelhosen, sein aus grobem Loden verfertigter Rock, sein ganzes Benehmen und Aussehen bestärkten noch mehr meine Annahme, daß der vor mir Ste- hende irgendein hiesiger Handwerker, möglicherweise ein Nachbar sei, der bei dem alten Herrn Zutritt hatte."
„Aber ich muß es gestehen, daß der anmaßende, affektiert kühle Ton, mit dem er die obigen Worte aussprach, mich kränkte und aus der Fassung brachte."
„Ich wollte ihn stehen lassen, aber der Unbekannte verstellte mir den Weg und setzte seine Rede fort:"
„Er kann schon sterben, er hat genug gelebt. Er war ein un- praktischer, schlechter Wirt, kein in diese Welt gehörender Mensch. Und wissen Sie, er hielt sich für einen großen Gelehrten, aber, aber was er wußte, nützte weder ihm, noch irgendeinem andern. Wenig Nutzen bot es der Menschheit. Und unterrichten, das konnte er gar nicht."
„Wer mag wohl dieser grobe Narr sein, dachte ich."
„Er bildete sich ein, ein Violinvirtuos, ein Paganini zu sein, fuhr er fort, aber, bei Gott, er hat nicht einmal das ABC dieser Kunst durch- laufen."
„Das ist doch eine Unverschämtheit! — dachte ich, hatte aber nicht den Mut es auszusprechen, denn das unbekannte, unansehliche kleine Männlein begann in meinen Augen zu wachsen. So viel fragte ich dennoch: Wer ist denn der Herr?"
„Ich bin Johann Bolyai, der Sohn dieses alten Mannes! pensio- nierter Geniehauptmann, setzte er hinzu."
„Auch der geringe Mut, den ich noch besaß, verließ mich auf diese
170 Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kapitel XVII
Worte. Ich hatte nämlich von älteren Studenten vieles über sonderbare, närrische, ja sogar gefähiiiche Taten gehört, die Johann Bolyai als Hauptmann überall, besonders aber in Wien, vollbracht haben sollte. Man sprach auch darüber, daß Vater und Sohn in einem beständigen wissenschaftlichen Wettstreit miteinander standen. Es ließ sich nicht entscheiden, welcher von ihnen der größere Mathematiker und welcher der größere Musiker sei. Außerdem war der Sohn ein berüchtigter Duellant, ein großer Degenführer, der in Wien nur so mit der Spitze seines Säbels die Ohren der Menschen herabholte. Nach dem Gerücht wurde er vielleicht pensioniert, um Wien von diesem gefährlichen Menschen zu befreien . . ."
^, — Nun mein junger Freund, kommen Sie, folgen Sie mir! machen wir einen Spaziergang durch den Garten — sagte er und setzte sich in Bewegung."
„Ich erschrak, es schauderte mich. Keiner 'ist da, von nirgends ist Hilfe zu erwarten! Ich entschuldigte mich, ich wäre zu dem Kran- ken bestellt, ich dürfe mich von da nicht entfernen usw. usw."
„Da braucht man Sie nicht mehr, junger Freund! Kommen Sie nur!''
„Ich wagte es nicht, mich weiter zu weigern, und wenngleich mit Unlust und zitternd ging ich, denn der Ton der Aufforderung war ein sehr entschlossener."
„Wir gingen hinunter in den Garten, dessen weit nach unten sich dehnenden, langen Spazierweg wir durchmaßen. Kein angenehmer Spazier- gang war es, im frischgefallenen, bis an die Knöchel reichenden Schnee, in dünnen Stiefeln, die mir Jung, der Kollegiumschuster, noch im Sep- tember für die warmen Herbsttage angefertigt hatte. Hier nahm nun Johann Bolyai nur so aus dem Kopfe das Tmtamen vor, zergliederte und zerriß mit schonungsloser Strenge dessen Sätze und sprach so son- derbare Dinge von der Unbekannten, worüber ich in meinem ganzen Leben nichts gehört habe."
„Ich kam in eine lächerliche und peinliche Lage. Ich hörte den Vortrag mit großer Ehrfurcht an. Ich staunte entsetzlich und nickte mit dem Kopfe. Ich bestrebte mich, mir das Ansehen zu geben, als verstände ich wenigstens etwas von dem Gesagten. Keineswegs verstand ich auch nur etwas davon! Mein ganzes arithmetisches Wissen be- schränkte sich damals und auch später auf einen unermeßlich engen Raum. Ich sah es, ich fühlte es, daß auch er über meine schreckliche Unwissenheit staunte, aber trotzdem sprach er nur weiter."
„Dann ging er über zu der Übersetzung des Mocnih von Karl Szi-SZ, was er auch mit einer harten Kritik einleitete. Viele Fehler, viele Irrtümer enthalte sie! Ich erinnerte mich, daß er seine Kritik
Wolfgang BoLYAis letzte Jahre (1848 — 1856) 171
cliimit schloß, es sei schade gewesen, das Karl SzÄsz sich an diese Sache gemacht habe."
„Ich hatte von Karl SzÄsz, dessen literarische Tätigkeit ich auch kannte, eine ganz andere Meinung. Ich schwieg aber; um die Welt wagte ich nicht zu sprechen. Und um den jetzt schon ganz in Feuer geratenen Menschen los zu werden, nickte ich auch dazu mit dem Kopfe."
„Glücklich gelangten wir zurück aus dem Garten. Mein Schuhwerk war ganz durchnäßt. Es fröstelte mich, obgleich der Schweiß auf meiner Stirne perlte, die ich fortwährend trocknete."
„Eigentümlich war dieses Frösteln, ein solches, wie ich bisher keines fühlte!"
„Vielleicht bemerkte dies auch Bolyai, oder es tat ihm die mit mir verbrachte Zeit leid. Genug, er grüßte kurz."
„Nun mein lieber junger Freund, Gott segne Sie! und damit ent- fernte er sich."
„Ich kann es sagen, daß diese Bekanntschaft und diese Begegnung mich ergriffen haben. Den Eindruck, den das Erscheinen und das Wesen dieses eigentümlichen Menschen auf mich machten, kann ich nie vergessen.''
„Dies ist die Geschichte von meiner Bekanntschaft und meiner ersten und letzten Begegnung mit Johann Bolyai."
„Jetzt gehe ich täglich an seinem Grabe vorüber, das sich im oberen Teile des Friedhofes, einige Schritte rechts vom Wege, der nach oben führt, befindet. Und wenn ich den rauhen, grauen, kalten Stein erblicke, mit dem die Mathematisch-physikalische Gesellschaft seine Ruhestätte bezeichnete, so fällt mir immer diese Begegnung ein und jene kalte Stimme, die mich beinahe außer Fassung brachte."
„Nachmittags um fünf Uhr löste mich Dionys Szasz von der Wache ab, der für die Nacht dazu bestellt wurde. Punkt elf Uhr nachts verließ die unsterbliche Seele Wolfgang Bolyais ihre jämmer- liche Staubhülle."
„Während seiner letzten Augenblicke stand mit Dionys Szasz Josef KoNCZ an seinem Bette, und dieser [Koncz] drückte ihm die Augen zu."
„Dann am Morgen ertönten die zwei kleinen Glocken über dem Heim der Musen. Wenn man mit diesen beiden Glocken zugleich läutet, so bedeutet es, daß das Kollegium einen Toten hat.'*'
„Und seitdem diese ehrwürdigen grauen Mauern stehen, hat wahr- lich das Kollegium nie einen größeren Toten gehabt."
„Und trotzdem durften im Sinne des Testamentes nur die kleinen Glöckchen ertönen."
172 Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kap. XYU
„Daraus aber erfuhr zugleich jeder, wer der Tote sei. . . ."
Im folgenden Frühjahr erfüllte ein ehemaliger Schüler Wolfgangs, Ludwig DiCSÖ, dessen letzten Wunsch: er pflanzte beim Grabe einen Apfelbaum; dieses Zeichen der Dankbarkeit und Liebe hat 23 Jahre hindurch allein Wolfo-anofs letzte Ruhestätte bezeichnet.
Bald nach dem Tode des Yaters, noch im Jahre 1856, hat Johann eine Lebensbeschreibung Wolfgangs aufgesetzt. Mit den Ursprüngen des Geschlechts derer v. Bolya beginnend, berichtet er über Wolfgangs Jugend, den Aufenthalt in Göttingen, die Freundschaft mit Gauss und entwirft dann sogleich ein Bild der ganzen Persönlichkeit. Gewiß fehlen darin manche Züge, die man ungern vermißt, allein, wenn man die Schlußsumme von Wolfgangs Wirksamkeit ziehen will, so wird man sagen müssen, daß das Urteil des Sohnes der Wahrheit nahe kommt.
„Seit Kindesbeinen war mein Vater entsetzlich halsstarrig, wollte in allem von dem Bestehenden abweichen; [wenigstens] in Wissenschaften; in Gewohnheiten nicht, denn dazu war er zu ängstlich. Die Neuerungs- sucht plagte ihn. Kurz, er war ein Hauptsonderling und hätte sich gern ein diktatorisches Ansehen in der Welt gegeben, wenn er, zu seinem großen Ärgernis, nicht frühzeitig wahrgenommen hätte, daß seine An- sichten, worunter in der Tat gar viele neue, vortreffliche waren, keinen Eingang zu finden das Glück hatten. Denn sonderbar: bei aU' seinem in seiner Art einzigen, echten Sinn für mathematische Klarheit und Gründlichkeit und seiner Uberredungsgabe glückte es ihm, mit gar wenig Ausnahmen, nicht, seinen Ideen, ungeachtet seiner langen, bei- läufig ein halbes Jahrhundert gewährt habenden Professurjahren nebst beinahe zahllosen Privatstunden, ja halbe Tage Unterrichtserteilung, Eingang zu verschaffen oder selbe auch nur einigermaßen ins Licht treten lassen, sodaß er in dieser Hinsicht für die Gegenwart beinahe ohne Spur dagewesen ist. Jedoch muß ich gerechter Weise mich selbst ausnehmen, der ich seine Winke, die hauptsächlich in Aufmerksam- machen auf die Unvollkommenheit der Wissenschaft und der Welt be- standen, zu benützen vermochte; denn da er seine Ideen selbst vor mir, bis zur Herausgabe seines Werkes im Jahre 1832, sehr geheim hielt, so sah ich mich veranlaßt, ja unwiderstehlich hingewiesen, durch eigene Kräfte zu bewirken, was ich vermochte, und so entstand anfangs meine Raumlehre samt meiner ganz neuen und bis zur Stunde einzigen, rich- tigen Erklärungsart der Ebene und der Geraden, wie auch den übrigen, zum Teil im Jahre 1832 auch im Tentamen erschienenen Lehren."
XVin. Kapitel
Johann BOLYAI in Maros-Vasärhely (1846—1860); mathematische Untersnchungen der Spätzeit
Im XV. Kapitel haben wir gesehen, wie das schicksalsschwere Jahr 1848 auch für Johann einen neuen Lebensabschnitt herbeiführte. Er war wieder, wie Wolfgang den 13. Juli 1<^56 an Sartorius von Walters- hausen schreibt, „im Schwünge der Arbeit". Auch seine häuslichen Verhältnisse suchte er jetzt zu ordnen. Überdies drängte die Sorge für die Zukunft der Kinder zu einer Entscheidung. Seinen Sohn Dionys, geboren im Oktober 1837, hatte er auf das k. k. Knaben-Erziehungs- Institut zu Hermannstadt gebracht, jedoch im Mai 1847 aus Mangel an GeldmitteLa wieder herausnehmen müssen: damit dieser dort auf Staatskosten erzogen würde, wäre die Genehmigung der Militärbehörde zu einer nachträglichen Eheschließung erforderlich gewesen. Im März 1848 hatte sich Wolfgang nach langem Widerstände bereit erklärt, sein Gut in Domäld gerichtlich schätzen zu lassen, damit die zur Heirat Johanns notwendige Kaution durch das künftige Erbteil er- gänzt werde. Dann waren die Stürme der Jahre 1848 und 1849 da- zwischen gekommen. Über das Weitere wissen wir nur, daß Johanns Eingabe an die Militärbehörde abschlägig beschieden wurde, und er nunmehr im November 1852 einen Vertrag mit Rosalie v. Orban schloß, wonach er dieser das ihm g-ehörende Haus Nr. 1004 in Maros- Väsärhely schenkte und außerdem eine Abfindung zahlte, wogegen Rosalie in die Trennung willigte und Unterhalt und Erziehung der Kinder, Dionys und Amalie, übernahm; der zweite Sohn Julius, dessen Echtheit Johann anzweifelte, wird in dem Vertrage nicht erwähnt. Rosalie hat das Haus im Jahre 1856 verkauft und scheint darauf Maros- Väsärhely verlassen zu haben.
Johann wohnte während der letzten drei Jahre seines Lebens, 1857 — 1860, in einem kleinen Hause der Kalvarienstraße, ganz am Ende der Stadt, dicht bei den Friedhöfen. Die Wirtschaft führte ihm seit 1852 eine Walachin, Juliana SzÖTS, die ihn bis an sein Ende ge- pflegt hat. Es wurde immer einsamer um ihn. Als im November 1856 sem Vater starb, hatte er den letzten Menschen verloren, mit dem ihn engere Bande verknüpften.
\14: Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kapitel XVIII
Nur wer einige Zeit in Siebenbürgen gelebt und Land und Leute kennen gelernt hat, vermag sich eine Vorstellung von der furchtbaren Vereinsamung zu bilden, die Johann seit der Rückkehr in die Heimat umfing; es war in der Tat, wie er einmal sagt, „ein Begräbnis". Noch vierzig Jahre nach seinem Tode konnte man es merken, welcher Haß, welche Verachtung in Maros-Väsärhely auf dem Namen Johann Bolyai ruhte. In Wolfgang Bolyai ehrte man den berühmten Professor, den Verfasser des Tentamens] er war der Stolz des Kollegiums und der Stadt. Aber Johann? Wegen seiner Unver- träglichkeit und Duellwut aus dem Heere entfernt, hatte er ein wüstes Leben geführt und war, von den Menschen gemieden, in Dürftigkeit gestorben. Er sollte ein Schriftchen über einen unverständlichen Gegen- stand geschrieben haben, das sogar von dem großen Mathematiker Gauss gelobt worden war, aber wahrscheinlich waren das Gedanken, die von seinem Vater herrührten, der das Schriftchen als Anhang zu seinem Tentamen veröffentlicht hatte. Bezeichnend für den Ruf, in dem Johann stand, ist die Tatsache, daß sein Jugendfreund Karl SzÄsz, als er sich von 1849 bis 1853 in Maros-Vasarhely aufhielt, Johann nicht aufgesucht hat, wohl nicht aufzusuchen gewagt hat, weil er sich sonst in ein schlechtes Licht gesetzt hätte.
Wenn Johann nur einen einzigen Menschen gehabt hätte, der ihn verstand, der auf seine Gedanken einging, der nach gleichen Zielen strebte! Man wird meinen, Wolfgang sei dies gewesen. Gewiß waren Vater und Sohn bemüht, zu vergeben und zu vergessen, was in den vergangenen Jahren geschehen war. Wie anders klingen jetzt die Briefe als in der Domälder Zeit. „Lieber Sohn", schreibt Wolfgang im Jahre 1853, „da ich neulich sah, wie weit Du die Schrift hältst, schicke ich Dir ein Augenglas auf Probe. Behalte es, wenn es gut ist. In der [Biblio-] Theka Telekis kann man das kaum zu er- tragende, freudlose Leben sanft verträumen, wenn sich nur dem inneren Auge ein äußeres öffnet. In der Mecanique Celeste des Laplace, die Gauss ein opus perfectissinium nennt, und vielen ähnlichen Werken liegt die Quelle tausendjährigen Entzückens." Und auch Johann spricht in den Aufzeichnungen aus dieser Zeit vom Vater mit Hochachtung und VerehruDg, er stellt den Verfasser „des nicht hoch genug zu schätzen- den Tentamens" dem Euklid gleich, er erkennt mit innigem Danke an, wieviel er diesem seinem Lehrmeister schuldet. Freilich scheint es, als ob Vater und Sohn persönliche Berührung, wenn auch nicht vermieden, so doch eingeschränkt haben, in der vielleicht unbewußten Befürchtung, daß es leicht zu neuen Streitigkeiten kommen könnte. Dazu kam, daß Wolfgang, als Johann nach Maros-Väsärhely zurück-
Johann Bolyai in Maros-Väsärhely (1846—1860) 175
kehrte, das siebzigste Lebensjahr überschritten hatte und die Bürden des Alters zu fühlen begann, daß aber auch Johann leidend war und oft durch Krankheit ans Zimmer gefesselt wurde.
In den Briefen an den Vater klagt Johann über einen bösen Aus- schlag, der ihn Tag und Nacht quäle, und dieser, der gern quack- salberte, gab ihm wohlgemeinte Ratschläge. Hiermit hängen wohl auch die Brunnenkuren zusammen, die Johann während der Sommer- monate in siebenbürgischen Badeorten durchzumachen pflegte. Seit dem Jahre 1857 ging es mit seiner Gesundheit rasch bergab. Wie er seinem Bruder Gregor (Gergely) meldet, wurde er im August 1857 von einem so heftigen Hexenschuß heimgesucht, daß er fürchtete, für sein Leben ein Krüppel zu bleiben, und wenn ihn auch ein Militär- arzt rettete, so war er doch im November noch so schwach, daß ihn die Füße kaum tragen konnten. Im Winter desselben Jahres fing sein rechter Fuß vom Knöchel an zu schmerzen und anzuschwellen, sodaß er Wassersucht befürchtete. In seinem letzten Briefe an Gregor vom 6. November 1859 klagt er, daß ihn seit 15 Monaten ein „tücki- sches und schmerzhaftes Leiden" befallen habe. Er ist davon nicht wieder genesen. Am 27. Januar 1860 hat ein sanfter Tod seinem langen Leiden ein Ende gemacht. Zwei Tage später hat man dem Hauptmann in Pension auf dem Friedhofe der ev. ref. Gemeinde zu Maros-Väsärhely die letzten Ehren erwiesen und seine irdischen Reste einem namenlosen Grabe übergeben.
Der umfangreiche handschriftliche Nachlaß Johann BOLYAis wurde, den Bestimmungen gemäß, der Militärbehörde ausgefolgt und kam, nachdem festgestellt worden war, daß er keine militärischen Geheim- nisse enthielt, dem Wunsche Johanns entsprechend an die Bibliothek des Kollegiums zu Maros-Väsärhely; dort wird er in einer großen Kiste aufbewahrt. Nur ein sehr kleiner Teil der Aufzeichnungen stammt aus der Zeit vor 1848, ja man kann sagen vor 1838, denn die Zwischen- zeit kommt kaum in Betracht. Aber in den Jahren von 1848 bis 1858 hat Johann mit fieberhaftem Eifer geschafft. Oft mag ihm die Violine, die er noch immer mit Meisterschaft spielte, über trübe Stunden hinweggeholfen haben; allein sie regte seine Leidenschaften auf. Seine wahre Freundin war und blieb die Mathematik. Aus der Mathematik ist auch die Allheillehre hervorgegangen, die während der letzten Lebensjahre seine Gedanken ganz in Anspruch nahm.
In diesem Kapitel soll über die mathematischen Aufzeichnungen aus der Spätzeit, im folgenden über die Aufzeichnungen zur Allheil- lehre berichtet werden. Von den Bemerkungen zu N. I. Lobatschefskijs
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Geometrischen Untersuchungen wird hier abgesehen, da sie bereits im XV. Kapitel ausführlich dargestellt worden sind. Es wird sich empfeh- len^ dem Bericht einige Ausführungen allgemeiner Art vorauszuschicken.
So vortrefflich der mathematische Unterricht gewesen war, den Johann Bolyai auf der Ingenieur-Akademie in Wien genossen hatte, so war er doch, wie es den Zwecken der Anstalt entsprach, nicht über die Elemente der höheren Mathematik ausgedehnt worden. Daß Johann auf diese Art gerade diejenige mathematische Ausbildung er- hielt, die für die Entdeckung der absoluten Geometrie die günstigste war, ist schon im VIII. Kapitel • hervorgehoben worden. Es ist er- klärlich, daß Johann während der Jahre 1822 bis 1833 die kargen Muße- stunden, die ihm der militärische Dienst ließ, der großen Aufgabe widmete, zu deren Lösung er sich berufen fühlte, der Ausbildung der absoluten Geometrie. Als er dann in den Ruhestand versetzt wurde, hätte es ihm nicht an Zeit gefehlt, seine mathematische Bildung durch die Beschäftigung mit den Klassikern zu vervollständigen und sich so das Rüstzeug zu verschaffen, dessen er zu weiteren Forschungen be- durft hätte. Daß er es unterließ, hatte seinen Grund in inneren und äußeren Hemmungen.
Auf die Vereinsamung Johanns ist schon hingewiesen worden. Zu dem Mangel an wissenschaftlichem Verkehr, der die Eigentätigkeit er- gänzt und regelt, kam der Mangel an wissenschaftlichen Hilfsmitteln, be- sonders während der bösen Jahre in Domäld. Diese Hindernisse hätten sich vielleicht überwinden lassen, wenn Johann mit frischem Mute und entschlossenem Willen ans Werk gegangen wäre. Aber seit dem April 1832, seitdem ihm Gauss die Priorität genommen und für seine Entdeckung nicht mehr als ein kühles Wohlwollen gehabt hatte, war etwas in ihm zerbrochen. Mag man auch den Standpunkt von Gauss subjektiv für berechtigt halten, so war doch die W^irkung seines Briefes von den schlimmsten Folgen für Johann, denn dieser befand sich schon seit mehreren Jahren in einem Zustande nervöser Überreizung, er hatte auf den „Göttinger Koloß" seine ganze Hoffnung gesetzt und vermochte jetzt der starken Enttäuschung keinen Widerstand entgegen- zusetzen. Dann kam 1837 bei der Bewerbung um den Leipziger Preis der zweite Schlag, der ihn völlig zu Boden warf.
Als Johann elf Jahre später sich wieder aufraffte, in wilder Wut über das neue Unrecht, das ihm, wie er wähnte, derselbe Gauss ange- tan hatte, da war es zu spät. Von brennendem Ehrgeiz getrieben, es dem Verhaßten gleich zu tun, ja ihn zu übertreffen, verließ er das Gebiet der Raumlehre, in der Überzeugung, daß ihm, dem Bezwinger der Parallelentheorie, auch auf anderen Gebieten der Mathematik ahn-
Johanns math. Untersuchungen aus der Spätzeit (1848 — 1868) 177
liehe Erfolge beschieden sein müßten. Leider hat er fast immer schon in der Stellung der Aufgaben fehlgegriffen, so arg fehlgegriffen, daß er sich schon hierdurch den Weg zum Erfolge versperrte. Er wollte zum Beispiel beweisen, daß sich jede algebraische Gleichung algebraisch lösen lasse, daß jede elementare Funktion durch elementare Funktionen integriert werden könne; er wollte endliche Ausdrücke aufstellen, mittels derea sich alle reellen und komplexen Primzahlen darstellen ließen, und ein Verfahren entwickeln, das zur Lösung aller zahlentheoretischer Gleichungen und Systeme solcher Gleichungen führte, und dergleichen mehr. Seine Entwürfe füUen viele Bogen. Sie beginnen mit langen, pomphaften Ankündigungen von großen Entdeckungen; sobald mau weiter liest, findet man jedoch nur langwierige Erörterungen, die sich immer mehr verwickeln und verwirren und kein festes Ziel erkennen lassen, wenn auch ab und zu ein Funken des Geistes aufblitzt, der das Meisterwerk des Appendix geschaffen hatte. Wohl denen, die einem AchiUes oder Siegfried gleich unsterblichen Ruhm erwerben und in der Blüte der Jugend dahinsinken; wehe aber denen, die ein grau- sames Schicksal dazu verurteilt, nach Vollendung der großen Tat ruhmlos und unfruchtbar dahinzuleben, während sie andere, glück- lichere von Sieg zu Sieg schreiten sehen.
Schon im X. Kapitel wurde bemerkt, daß es sich bei den Auf- zeichnungen Johanns aus den dreißiger Jahren nicht um druckfertige Ausarbeituncren, sondern um unvollendete Entwürfe mit zahlreichen Lücken, Wiederholungen, Streichungen, Einschaltungen im Texte und auf einzelnen Zetteln handelt. In noch höherem Maße gilt dies für die Zeit zwischen 1848 und 1858, allerdings mit zwei Ausnahmen. Die erste sind die Bemerkungen über Nikolaus Lobatschefskijs Geome- trische Untersuchungen zur Theorie der ParallelUnien, von denen die wichtigsten Stellen im XVI. Kapitel wiedergegeben worden sind, die zweite ist die Raumlehre, von der eine sauber geschriebene, augen- scheinlich für den Druck bestimmte Ausarbeitung im Nachlaß vor- handen ist; es war daher möglich, diese Handschrift im zweiten Teile dieses Werkes, S. 237—267 wortgetreu abzudrucken. Um so schlimmer steht es mit dem Reste. Hier bedient sich Johann zahlreicher unge- bräuchlicher mathematischer Zeichen, deren Bedeutung oft nur mühsam ermittelt werden konnte; zum Teil rühren sie von Wolfgang her, der im Tentamen, ganz besonders aber in dem Werke Az arithmetica eleje (1830) seiner Neuerungssucht freien Lauf gelassen hatte, zum Teil hat sie Johann selbst erfunden, der schon im Appendix eine bedenk- liche Neigung nach dieser Seite zeigt. Dazu kommt eine weitere
P. Stäckel: Wolfgang und Johann Bolyai I 1"
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befremdliche Eigentümlichkeit, die sich bei Johann in der Spätzeit entwickelt hatte, daß nämlich den meisten Worten zwei, drei, ja bis zu- einem Dutzend sinnverwandte Worte hinzugefügt werden; eine Er- klärung hierfür wird im nächsten Kapitel gegeben werden. Die Lösung der Aufgabe, aus solchen Aufzeichnungen einen Text herzustellen, der die beiden Forderungen erfüllt: den Sinn der Vorlage getreu wieder- zugeben und sich bequem lesen zu lassen, war nicht leicht; in manchen Fällen mag sie nicht gelungen sein, aber es mußte doch der Versuch dazu gemacht werden. Proben von Textstücken in der ursprünglichen Form findet man in den Belegen, die hinter der Lebensbeschreibung zusammengestellt sind; sie werden es erklärlich machen, daß von einer wörtlichen Wiedergabe abgesehen wurde.
In seiner Allheillehre, auf die wir im nächsten Kapitel ein- gehen werden, hat Johann alles das zusammenfassend darstellen wollen, wovon wir ein sicheres Wissen besitzen. Den Hauptteil sollte die Mathematik bilden. Den Plan zu einer solchen enzyklopädischen Darstellung der Mathematik hatte Johann schon früh gefaßt. „Als ich ihm [dem Vater] eröffnete", erzählt Johann und bezieht sich dabei auf einen Brief, den er als Leutnant an Wolfgang geschrieben hatte, „daß ich die Absicht hätte, die ganze Mathematik von Anfang bis zu den erreichbaren äußersten Regionen in möglichster Klarheit und Voll- kommenheit darzustellen [da antwortete er:] »Ich wünsche Glück! Ein heiliger Gedanke! Dies kann eine Frucht werden, welche die Zeit schon lange in ihrem Mutterleibe trägt, und es ist eines Menschen Leben wert. Du wirst viele Zeit verbringen, nur selbst in den elementaren Teilen, ich weiß es von mir selbst, obgleich Du ganz anders ausgerüstet bist.«" Diese Äußerungen werden bestätigt durch einen Entwurf zu Titel und Vorwort eines Werkes JReformation der Elemente der Ilathematik, der in der Zeit zwischen März 1832 und Juni 1833 abgefaßt ist, weil Johann sich darin als Capitain-Lieutenant im k. k. österreichischen Genie- Corps bezeichnet. Das Werk sollte aus zwei Teilen bestehen. „Der erste Teil zerfällt seinem Wesen nach von selbst in vier scharf von einander abgesonderte Hauptteile: die Zahlen-Lehre, die Zeit-Lehre, die Liaum- Lehre, die Beivegungs-Lehre." Von dem zweiten Teil wird gesagt, daß er „auf die Form der Wissenschaft reflektiert und somit die Logik, Metaphysik, den Geist und die Kritik davon behandelt und besonders die Notwendigkeit und Einzigkeit der gewählten Form des ersten Teiles zeigt."
In den späteren Entwürfen ist die Einteilung eine etwas andere. Den Anfang sollte die „Lehren-Lehre" bilden, „bei der die Art der Mathematik nicht in Betracht kommt". Gemeint ist eine Darlegung des
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logischen Inhalts der mathematischen Untersuchungen; Ausführungen hierüber haben sich im Nachlaß nicht vorgefunden.
Es folgt die „Gruppen-Lehre'^ Unter einer Gruppe versteht Johann eine endliche Menge von Dingen, bei der nur die Ordnungsverhältnisse betrachtet werden; der neuere Begriff der Gruppe ist ihm fremd, es handelt sich also im Wesentlichen um Kombinatorik. Hierüber sind nur wenige und unbedeutende Aufzeichnungen vorhanden.
Der nächste Abschnitt betrifft die „Zahlen-Lehre". Unter Zahl ver- steht Johann stets eine ganze Zahl, die positiv oder negativ sein darf, sodaß also die höhere Arithmetik gemeint ist. Schon als Jüngling hatte sich Johann eingehend mit den Disgiiisitiones arithmeticae von Gauss beschäftigt. „Deine Polygonen-Theorie", schreibt Wolfgang am 20. Juni 1831 an Gauss, „war mein Sohn willens, deutsch den kleineren Köpfen etwas zugänglicher herauszugeben, weil es ihn ärgert, daß sie nicht so bekannt ist, wie er es wünschte: allein ich sagte ihm, daß ich von jemandem (weiß nicht, von wem) vernommen habe, daß Du es besonders herausgegeben hast; welches ich auch zu sehen wünsche." In den dreißiger Jahren war Johann, wie im X. Kapitel berichtet wurde, von Wolfgang zu zahlentheoretischen Untersuchungen angeregt worden. Auch in der Spätzeit hat er sich mit der Zahlenlehre beschäftigt, aber der Erfolg war nur gering, und es verlohnt sich nicht, auf seine Aufzeichnungen genauer einzugehen.
Dem VorsransT seines Vaters folgend suchte Johann die in dem Begriff einer stetig veränderlichen Größe liegenden Schwierigkeiten da- durch zu überwinden oder besser zu umgehen, daß er zur Darstellung solcher Größen das Fließen der Zeit benutzte. Daher wird der Zahlen- Lehre eine „Zeit-Lehre" zugeordnet, in der die Algebra und die Ana- lysis Platz finden. Hierher gehört auch die Lehre von den imaginären Größen, die Johann in der Besponsio vom Jahre 1837 in eigenartiger Auffassung dargestellt hatte. Was sich in den Aufzeichnungen der Spät- zeit auf die Zeit-Lehre bezieht, ist im Wesentlichen bereits in dieser Besponsio vorgebildet. Johann hat auch eine erweiterte und verbesserte Darstellung seiner Lehre von den imaginären Größen geben wollen, die er an Bedeutung der absoluten Geometrie gleich stellt. Was er bringt, sind jedoch nur weitschweifige Ausspinnungen von Gedanken, die er früher knapp, oft allzu knapp dargestellt hatte; sachlich Neues ist darin kaum zu finden. Wie es mit seinen umfangreichen Untersu- chungen zur Lehre von den algebraischen Gleichungen steht, ist bereits gesagt worden.
Wir kommen zur „Raum-Lehre", dem Gebiet, auf das Johann bis in die letzten Jahre seines Lebens hinein die meiste Zeit und Mühe
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verwandt hat. Wenn sicii auch nicht leugnen läßt, daß die Erfolge den Anstrengungen nicht entsprachen, ja daß Johann auf Irrwege geriet und zeitweise die Folgerichtigkeit der absoluten Geometrie in Zweifel zog, so bieten seine Aufzeichnungen doch so viel Bemerkenswertes, daß, wenn Johanns Leistungen die richtige Würdigung finden sollen, ein Bericht darüber notwendig ist.
Ehe wir dazu übergehen, möge noch darauf hingewiesen werden, daß den Schluß der Mathematik die „Bewegungs-Lehre" bilden sollte. Auch hier beabsichtigte Johann, wohl durch die TJieoria motus corporum coelestium von Gauss angespornt, als Reformator aufzutreten, und ver- sprach, eine vollkommene Lehre von den Bewegungen der Planeten und der Monde zu geben; wie er sich die Durchführung im Einzelnen dachte, darüber gibt der Nachlaß keinen Aufschluß.
Im Jahre 1833 verabschiedet und in die Heimat zurückgekehrt hatte Johann die ihm zu teil gewordene Muße dazu benützt, den Appendix, der nur einen Teil der Ergebnisse seiner Untersuchungen enthielt, zu einer Raumlehre auszugestalten; das zeigen verschiedene Entwürfe und besonders ein umfangreiches Vorwort mr Raum-Lehre aus der Zeit um 1834, das in den Kapiteln X und XI wiederholt erwähnt worden ist, weil Johann darin eingehend darlegt, wie er zur Entdeckung der absoluten Geometrie gelangt sei. Dann kommt eine lange Pause. Erst um das Jahr 1850 hat Johann die Arbeit au der Raumlelire wiederauf- genommen.
Daß er das Werk nicht vollendete, hatte seinen Grund schon in den Schwiei'igkeiten, die sich der Veröffentlichung entgegenstellten. Den Druck auf eigene Kosten zu bewerkstelligen, ging über die Kräfte eines auf ein bescheidenes Ruhegehalt angewiesenen ehemaligen Hauptmanns. Sich nach Deutschland, au Gauss zu wenden, das verboten ihm die trüben Erfahi'ungen, die er im Jahre 1832 gemacht hatte. So geriet er auf den Gedanken, hochgestellte Personen seines Vaterlandes an- zugehen. Verschiedene Entwürfe zu Eingaben um Unterstützung seines Unternehmens haben sich im Nachlaß vorgefunden. Ob sie wirklich abgesandt worden sind, ist zweifelhaft; Erfolg haben sie jedenfalls nicht gehabt.
Aber auch unter günstigeren Verhältnissen wäre die Raumlehre wohl ein Bruchstück geblieben. Johanns schöpferische Kraft war erlahmt; im wesentlichen ist er über die Gedanken aus den dreißiger Jahren nicht hinausgekommen. Geblieben war ihm indessen die Schärfe der Kritik, und in hellen Stunden hat er die schwachen Stellen im Aufbau seiner Raumlehre zu erkennen vermocht. Er hat sie erkannt, hat
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aber nicht mehr die Kraft besessen, die Lücken auszufüllen und das Werk zu Ende zu führen. Allein auch diese Kritik war eine erheb- liche Leistung; hat Johann doch, wie noch genauer dargelegt werden wird, eine Einsicht vorausgenommen, deren Wichtigkeit erst ein Men- schenalter später offenbar geworden ist.
Es scheint, als ob Johann der eigentlichen Raumlehre, die er nach dem Muster der Elemente Euklids darstellen wollte, erläuternde Be- merkungen beizugeben beabsichtigt hat; wenigstens sind der Handschrift der drei ersten Teile der Raumlehre auf einzelnen Zetteln verschiedene Bruchstücke solcher Bemerkungen beigelegt. Von besonderer Bedeu- tung sind die Bemerkungen, in denen Johann allgemeine Betrachtungen über die Gestalt der Kurven und Flächen anstellt.
Die Linien werden eingeteilt in einfache und hnotige. „Eine einfache Linie ist nur jeder solcher Verein von Punkten, worin von dessen jedem Punkte zu jedem anderen Punkte desselben entweder nur ein von einem materiellen Punkte durchlaufbarer Weg da ist oder stets nur zweierlei Wege vorhanden sind." Dann gilt der Lehrsatz: „Jedes Stück einer einfachen Linie ist auch eine einfache Linie, von einer knotigen aber nur dann wieder eine einfache Linie, wenn entweder kein Knoten darein fäUt oder an keinem darein fallenden Knoten mehr als zwei Wege vor- handen sind".
„Eine einfache JßläcJte^', fährt Johann fort, „heiße nur jeder Punkt- verein, worin aus jedem Punkte V fortlaufende Linien 21, B, (£, . . ; (wenn man will, nur denselben Punkt V gemeinsam habend j da sind, wobei einem jeden Punkte Ä einer jeden dieser Linien ein, aber auch nur ein Punkt der übrigen Linien und umgekehrt entspricht, und wo alle zu einem Punkte Ä von 71 gehörigen Punkte JB, C, . . . eine ein- fache Linie bilden und ein Anfangsstück jeder Linie von V in den In- begriff 2t * 3 * £ . . . f äUt."
Nunmehr stellt sich Johann die Aufgabe, die verschiedenen Arten der einfachen Flächen aufzuzählen. Er unterscheidet zunächst volle und durchlöcherte Flächen. Aus den durchlöcherten Flächen gewinnt er neue Arten voller, einfacher Flächen. „Man kann aus einer beliebigen einfachen Fläche eine beliebige Anzahl Löcher herausheben, daselbst Röhren aufsetzen und diese paarweise zusammenführen. So ist allge- meinst die einfache Fläche beschaffen". — Johanns Behauptung beruht allerdings nur auf einer Lituition, denn daneben ist bemerkt: „Einen Beweis untersuchen!"
Li diesem Zusammenhange ist es auch bemerkenswert, daß Johann sich mit der EuLERschen Relation zwischen den Anzahlen der Ecken, Kanten und Seitenflächen eines Vielflachs beschäftigt und nach dem Be
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reiche ihrer Gültigkeit gefragt hat. „Der EuLEEsche herrliche Satz", sagt er, „von der Anzahl der Seitenflächen, Kanten und Spitzen eines jeden Polyeders ist zwar schon lange, jedoch, wie es scheint, nicht in gehöriger Allgemeinheit bewiesen, da nicht jederlei Polyeder-Relation durch sukzessive Stutzung von Pyramiden entsteht. Also neu angreifen!" An einer anderen Stelle behauptet er, daß er „den Beweis der EuLERschen Relation auch für ringförmige Polyeder und Ebenen-Räume mit Höh- lungen" gefunden habe. Was Johann damit gemeint hat, ist nicht ganz klar, und es muß dahingestellt bleiben, ob er in der Tat gewußt hat, in welcher Weise die EuLERsche Relation für Vielflache von beliebigem Zusammenhang abzuändern ist, damit ihr allgemeine Gültigkeit zukommt.
Der erste Teil der Baiimlehre trägt den Titel „Die Grundlagen". Nachdem der PunM als teilloser Ort erklärt ist, wird als einfachstes geometrisches Gebilde der Ring Q ABC gewonnen; er ist der Verein aller Punkte, deren jeder zu dem Inbegrifi" der Punkte Ä und B (in Zeichen zu Ä * B) dieselbe Lage hat wie der Punkt C. Alle diejenigen Punkte C, bei denen O ABC ein Punkt ist, bilden die (abso- lute) Gerade AABB. Liegt dagegen C außerhalb AABB, so wird als Grundsatz aufgestellt, daß O ABC eine einfache, gleichförmige, ge- schlossene Linie sei.
Ein weiterer Grundsatz besagt, daß es, wenn C außerhalb AABB liegt, zu jedem Punkte D einen Punkt E gebe, der in Ansehung von A * B * C mit D symmetrisch liegt; dieser Punkt E heißt das Bild von D für A * B * C. Der Verein aller Punkte D, die für A * B * C ihr eigenes Bild sind, wird die (absolute) Ebe)ie ABBC ge- nannt und sogleich der Grundsatz aufgestellt, daß die Ebene eine einfache, fortlaufende, gleichförmige Fläche sei, die den Raum in zwei Stücke teilt.
Endlich wird die Bunde O AB als der Verein der Punkte erklärt, deren jeder C zu der Mitte A dieselbe Lage wie B hat, sodaß also A * G gleich A * B ist, und, nachdem noch gefordert ist, daß es für zwei Orte 21, B, wenn C gleich 2i ist, stets wenigstens einen Ort D gebe, so daß (£ * D = 21 * 3 wird, wird bewiesen, daß die Runde eine einfache, gleichförmige, den Raum in zwei Stücke teilende Fläche ist.
Nunmehr versucht Johann zu zeigen, daß die so erklärten Ge- bilde: Ring, absolute Gerade, absolute Ebene, Runde dieselben Eigen- schaften besitzen, die in der gewöhnlichen Geometrie der Kreislinie, der Geraden, der Ebene, der Kugeloberfläche beigelegt werden, zum Beispiel, daß eine Ebene durch drei ihrer Punkte, die nicht in einer Geraden liegen, eindeutig bestimmt ist, daß eine Gerade, die zwei Punkte
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mit einer Ebene gemeinsam hat, ganz in diese fällt, daß eine Kugel- oberfläche durch eine Halbgerade (Strahl) aus ihrer Mitte in einem und nur einem Punkte geschnitten wird usw. Hierbei ist er jedoch auf Schwierigkeiten gestoßen; denn hinter den betreffenden Lehrsätzen ist in der Handschrift ein leerer Raum gelassen. Der Grund war der, daß bei dem von Johann gewählten Wege über die Stetigkeit und Gleichförmigkeit der Geraden nichts ausgesagt werden kann; hierauf deuten Randbemerkungen von Johann selbst.
Den Schluß des ersten Teiles bilden Sätze über das Senkrecht- stehen von Geraden und Ebenen, bei denen sich der Begriff des Bildes als sehr nützlich erweist. Johann begegnet sich hier mit den Be- strebungen der neuesten Zeit, die elementare Geometrie einfacher und durchsichtiger zu gestalten, indem von vornherein der Begriff der Spiegelung an einer Geraden und einer Ebene eingeführt wird.
Die Verwandtschaft aller dieser Betrachtungen mit den Ge- danken von Wolfgang Boltai liegt auf der Hand. Unterscheidend ist besonders, daß die Kugelfläche bei Johann zurücktritt, während diese bei Wolfgang den Ausgangspunkt bildet und aus ihr allein Ring, Ebene und Gerade hervorgehen. Johann war damit nicht einverstanden. „Die Gerade aus der Kugelfläche ableiten zu wollen", sagt er einmal, „ist nicht nur unzvüänglich, sondern auch ganz unnatürlich und nichtig; denn obschon der Begriff der Kugel in der Tat einfacher ist und selbst ihre Erzeugung als einfacher als jene der Ebene angesehen werden kann, so kann man doch nur sagen, daß AAJßB in jeder Runde um A einen Punkt liahe, ohne irgend einen solchen Punkt selbst wirklich zu finden'^
Hierin kommt ein Gedanke zum Ausdruck, auf den Johann großen Wert gelegt hat; im zweiten Teile der Raumlehre, zu dem wir jetzt übergehen, beschäftigt er sich nämlich mit der Frage, wie man Orte finden könne.
Die Überschrift „Konstruktions-Lehre" wird von Johann sogleich folgendermaßen erläutert: „Verschiedenen Aufgaben über die Erzeugung der Grund-Orte, wovon man bisher nur eine dunkle Idee hatte und das Dasein ahnte, ohne es selbst beweisen, viel weniger dieselben Orte wirklich a priori finden zu können"'. Worauf es ankommt, hat er auf einem beiliegenden Zettel ausführlich auseinandergesetzt.
„Gefunden (konstruiert) wird ein Ort stets nur durch Operationen, deren jede in der Drehung eines schon gefundenen Ortes um zwei Punkte entsteht, wobei nur folgende zwei Forderungen zu berücksichtigen sind:
1) Daß der Weg nur jedes um zwei Punkte umgedrehten bereits Gefundenen ebenfalls als gefunden angesehen werde;
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2) Daß nur der Schnitt zweier schon Gefundenen als gefunden zu betrachten sei."
„Es wird nämlich die Drehung um zwei Punkte, welche ursprüng- lich selbst die einzig definierbare Bewegung ist und die einfachste, in der Ausübung sicherste Bewegung bleibt, bei der Erzeugung in der Raum-Lehre allein zugelassen."
Vielleicht ist für diese Aufi'assung Masgheronis Geometria del compasso (Pavia 1797) nicht ohne Einfluß gewesen. Auf einem Zettel findet sich nämlich folgende Bemerkung: „Mascheronis Werk: Geo- metria del compasso beurkundet unstreitig ein sehr fruchtbares Genie und macht Epoche in der geometrischen Konstruktions-Lehre. Aber jedem das Seine! Die vorliegende Lehre hat folgende Vorzüge:
1) Daß hierselbst die Annahme oder Voraussetzung einer Ebene nicht verlangt wird,
2) Daß die Beschreibung eines Kreises nicht um einen Mittel- punkt in einer Ebene, sondern stets durch Drehung um zwei fixe Punkte, somit mit gehöriger Gleichförmigkeit und Zierlichkeit bewirkt wird,
3) Daß hier auch Euklids zweite Aufgabe [von einem gegebenen Punkte eine Strecke, die einer gegebenen gleich ist, zu ziehen], welche Mascheroni, als in der TACQUETschen Ausgabe fehlend, nicht be- handelt hat, [gelöst wird.]"
Der dritte Teil der Baumlehre betrifft die Eigenschaften von Winkeln und Vielecken. Die Darstellung beginnt mit der Erklärung des ebenen Winkels als eines durch zwei, von einem Punkt ausgehen- den Halbgeraden begrenzten Stückes der Ebene. Darauf wird die Lehre von der Messung der Winkel mittels Kreisbogen eingehend begi'ündet. Jede von Geraden begrenzte Figur heißt Vieleck Bei dieser allge- meinen Auffassung bedarf die Frage, was unter den Winkeln eines Vielecks zu verstehen sei, einer ausführlichen Untersuchung. Mit derselben Sorgfalt wird die Zerlegung eines Vielecks in eine endliche Anzahl von Dreiecken behandelt. Es folgen elementare Sätze über Beziehungen zwischen Winkeln und über die Winkel im Dreieck; für den Satz von der Gleichheit der Scheitelwinkel werden nicht weniger als sieben Beweise gegeben. Damit bricht der Entwurf ab; der dritte Teil der Baumlehre ist unvollendet geblieben.
Mit dem vierten Teil der Bamnlehre hätte eine neue, erweiterte und verbesserte Darstellung der Untersuchungen beginnen müssen, die Johann in dem Appendix veröffentlicht hatte. Daß sich nur Bruch- stücke von Aufzeichnungen, die diesen Teil betreffen, im Nachlaß ge- funden haben, aber keine Ausarbeitung wie bei den drei ersten Teilen,
Johanns Untersuchungen zur Raumlehre (1848—1858)
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erklärt sich vielleicht daraus, daß Johann in den späteren Jahren an der Widerspruchslosigkeit seiner absoluten Geometrie irre geworden war. Daß in ein und derselben Ebene das System S der absoluten Geometrie „ewig konsequent" sei, erhelle, so meint Johann, aus der Gleichwertigkeit der absoluten Geometrie der Ebene mit der sphärischen Geometrie für einen imaginären Radius der Kugel. Es wäre jedoch denkbar, daß sich im Räume ein innerer Widerspruch von S herausstellte. Um dies zu er- gründen, untersucht Johann zunächst ein System von vier Funkten im Räume, die die Ecken eines Tetraeders ahcb bilden. Durch die 6 Kanten a, h, c, d, e, f sind zunächst die 12 Winkel ah, ac, . . bestimmt, und daraus ergeben sich die 6 „zweiebnigen" Winkel des Tetraeders, jedoch jeder Winkel auf zwei verschiedene Arten. „Es ist also zu untersuchen, ob daraus eine Bestimmung von i erfolge oder nicht". Indem Johann zur Abkürzung cos -\- a mit a, sin -^ a mit A bezeichnet, erhält er die Gleichungen:
h — ac , „ b — df
cosac = —j-^—? cosa/ =
cos ae = -r TP- j cos de = AE '
d — ce • - cosce = -^^-, GOBfe= ^^ .
Hieraus folgen für den Winkel zwischen den durch a und e, e und c bestimmten Ebenen, den er aec nennt, die beiden Gleichungen:
I. cos aec =
IL
cos aec =
cos ac — cos ae cos ce sinae sin ce
coB df — cos de cos fe sin d e sin fe
b — ac ~AC~
f — ae d ÄE
CE
i/[-(^^r][-(w)"]
b — df DF
DE
de a — fe FE~
H-r-^r]['-M7
deren rechte Seiten übereinstimmen müssen, wenn S auf keinen Wider- spruch führen soll. Die Ausführung der Rechnung ergibt in der Tat die Identität beider Ausdrücke. Das Entsprechende gilt für die fünf anderen Winkel, sodaß demnach „durch Betrachtung von vier die Spitzen eines Tetraeders bildenden Punkten sich nichts ergibt, da auch dann
J86 Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kapitel XVIII
Konsequenz herrscht, man möge wie immer dieselben dadurch bestimm- ten Größen ausdrücken aus das Ganze bestimmenden Größen".
„Ver- und untersuchen wir also", fährt Johann fort, „ein System von fünf Punkten". Wird zu den Punkten a, b, c, b ein fünfter e hin- zugefügt, der nicht mit drei von ihnen in einer Ebene liegt, so ist die Lage von e durch die Länge der Verbindungslinien a^,hz,ce, die Johann mit k, h, i bezeichnet, vollständig bestimmt, und es müssen sich daher durch die 9 Größen a, h, c, d, c, f h, i, Je die Länge g der Verbindungs- linie öe und die in der Figur vorhandenen 30 Dreiecks- und 30 Ebenen- winkel ausdrücken lassen. Dabei stellt sich wiederum heraus, daß manche dieser Stücke sich auf zwei oder mehr verschiedene Arten berechnen lassen, und es fragt sich, ob unter Anwendung der absoluten Trigono- metrie stets derselbe Wert herauskommt; im besonderen ergibt sich eine dreifache Bestimmung von ^; denn sobald die 60 Winkel bekannt sind, genügen hierzu je zwei der Winkel eg, dg, fg.
Mit dem System von 5 Punlien hat sich Johann aufs eingehendste beschäftigt, wie es scheint, in der sicheren Erwartung, auf diesem Wege einen Beweis des XL Axioms zu erlangen. Eine Zeit lang hat er sogar geglaubt, das Ziel erreicht zu haben, denn er erhielt einmal keine Identität. „Somit ist S falsch", ruft er triumphierend aus und beginnt mit der Abfassung einer Schrift, deren Titel lautet:
„Betveis des bis nun auf der Erde immer noch zweifelhaft gewesenen, weltberühmten, und, als der gesamten Raum- und Bewegungslehre zum Grunde dienend, auch in der Tat allerhöchstwichtigen 11. EuMidschen Axioms. Von Johann Bolyai von Bolya, k. k. Genie-Stahshauptmann in Pension."
Die Einleitung — weiter ist Johann nicht gekommen — enthält wichtige biographische Notizen über seineu Vater und ihn selbst; Johann sagt dabei, daß sein Vater „die Briefe von Gauss soeben an die Uni- versität Göttingen zurückgesandt" habe, somit ergibt sich als Abfassungs- zeit der Juli 1856.
Später erkannte Johann, daß er sich getäuscht hatte, weil ein Rechenfehler vorlag, und daß also „in dem System von 5 Punkten Konsequenz herrscht". „Auf diese Weise kann man," meint er, „zu einem System von 6 Punkten übergeben; allein die Mühseligkeit der Arbeit bei der Auflösung eines Systems von 6 Punkten ist wohl im- stande, selbst den mutigsten Rechner stutzig zu machen".
Daß dieses Verfahren ins Endlose führt, hat Johann selbst erkannt, denn in Aufzeichnungen aus der allerletzten Zeit macht er nur Wahr- scheinlichkeitsgründe zugunsten der EuKLiDschen Geometrie U geltend: „Insofern, wenn S logisch denkbar ist, auch U es ist (als besonderer
Johanns Untersuchungen zur Raumlehre (1848 — 1858) 187
Fall), nicht aber umgekehrt S, scheint Z! mehr für sich zu haben, ob- schon keineswegs ausgemacht".
Es ergibt sich somit die merkwürdige Tatsache, daß Johann Bolyai niemals zu einer Gewißheit darüber gelangt ist, ob S im Raunte auf einen Widerspruch führt oder nicht. In der Tat liegt hier eine Schwierig- keit vor, die zu überwinden ganz andere Mittel erforderlich sind, als sie ihm zu Gebote standen. Daß er jedoch die Frage, ob sich das XI. Axiom durch räumliche Konstruktionen beweisen lasse, überhaupt auf- geworfen hat, macht seinem Scharfsinn Ehre und verdient um so mehr anerkannt zu werden, als er dadurch über Lobatschefsku hinaus- gegangen ist; dieser bemerkt zwar, daß die imaginäre Geometrie auf keinen Widerspruch führen könne, weil die Gleichungen zwischen den Winkeln und Seiten eines Dreiecks in die Gleichungen der sphärischen Trigonometrie übergehen, wenn man die Seiten als imaginär ansieht, beschränkt sich jedoch bei der Frage der Widerspruchslosigkeit seiner imaginären Geometrie stets auf die Ebene.
Von den Methoden, die später zum Beweise der Widerspruchslosig- keit der nichteuklidischen Geometrie benutzt worden sind, geht die erste auf Gauss und Biemann zurück. Der Raum wird als eine dreifach ausgedehnte stetige Zahlenmannigfaltigkeit aufgefaßt, auf die sich das widerspruchsfreie Verfahren der analytischen Geometrie anwenden läßt. Ein Widerspruch in der absoluten Geometrie würde also einen ent- sprechenden Widerspruch in der Arithmetik zur Folge haben. Die zweite Methode beruht auf dem Gedanken von Cayley, daß sich die Geometrie projektiv begründen lasse, wenn man statt des imaginären Kugelkreises eine beliebige Fläche zweiter Ordnung als absolutes Ge- bilde zugrunde legt. Er ist zuerst von F. Klein durchgeführt worden. Ein Widerspruch in der absoluten Geometrie würde hiernach einen ent- sprechenden Widerspruch in der euklidischen Geometrie nach sich ziehen.
Wie heikel die hier berührte Frage ist, geht aus den Einwendungen hervor, die gegen die beiden soeben angedeuteten Methoden erhoben worden sind. Die Berechtigung, den Raum als Zahlenkontinuum anzu- sehen, kann nach dem heutigen Stande der Wissenschaft nur dadurch erwiesen werden, daß man zunächst die elementare Geometrie als solche bis zur Einführung von Koordinaten entwickelt. Bei dem von Klein benutzten Verfahren aber muß gefordert werden, daß die projektive Geometrie unabhängig vom Parallelenaxiom aufgebaut wird. Man wird daher sagen dürfen, daß nur die direkte Methode, die Johann Bolyai im Auge hatte, nämlich die Durchführung der absoluten Geometrie, einen vollständig befriedigenden Beweis für die Widerspruchslosigkeit der absoluten Geometrie und damit zugleich für die Unbeweisbarkeit
138 Leben und Schriften der beiden Boltai. Kapitel XVIII
des Parallelenaxioms zu liefern vermag. Auf die Untersuchungen, die HiLBEET, Pasch, Peano, Schur, Veronese und andere in diesem Sinne angestellt haben, kann hier nicht eingegangen werden; so große Fort- schritte dabei auch erreicht worden sind, so bleibt doch den künftigen Mathematikern noch ein weites Feld für ihre Forschungen.
Bei der Bearbeitunor der Raumlehre ist Johann auch auf eine Frage eingegangen, zu deren Behandlung ihn, wie so oft, sein Vater angeregt hatte. Die Untersuchungen Wolfgangs über die endliche Gleich- heit von ehenen Flächenstücken sind bereits im V. Kapitel besprochen worden; es lag nahe, die entsprechende Frage für Stücke des Raumes zu stellen, und Wolfgang hat das auch im zweiten Bande des Tentamens getan. Dort heißt es: „Ob eine beliebige dreiseitige Pyramide durch endliche Gleichheit auf ein Prisma zurückgeführt werden kann oder nicht kann, das ist (bis jetzt) noch nicht klar gestellt worden." „Mein Vater", erzählt Johann, „hat den Gedanken gehabt, überall, wo es nur möglich ist, die endliche Gleichheit zu zeigen, und hat mich schon in früher Jugend, freilich nur durch einige kurze Aufmerksam-Machungen, auf diesen Begriff hingewiesen. . . Die Aufgabe der Pyramide, namentlich eine Nachweisung der endlichen Gleichheit jeder zweien gleichen drei- seitigen Pyramiden und dadurch jeder zwei [gleichen] Ebenenräume oder Polyeder war mir eine der sprödesten, den hartnäckigsten Wider- stand geleistet habend, und machte mir unglaubliche Schwierigkeiten. Ich gestehe, daß bezugs Bändigung der Pyramiden aller meiner Be- mühungen und angewandten Scharfsinns ungeachtet [zwar] eine Menge schöner und Vorbereitungs-Entdeckungen in der Raumlehre. . . . Durch die ganz eigene, höchste Zierlichkeit der Aufgabe gereizt habe ich ihr nicht wenige Zeit gewidmet, behufs des Hauptzwecks aber stets völlig fruchtlos. Wer sich davon zu überzeugen und seine Kräfte kennen zu lernen wünscht, möge sich der daran machen." In der Tat beziehen sich dicke Stöße von Papieren auf die genannte Frage; da Johann jedoch nach einem Beweise der endlichen Gleichheit volumengleicher dreiseitiger Pyramiden suchte, so ist es erklärlich, daß alle seine Be- mühungen vergeblich waren. Vielleicht würde es ihn getröstet haben, wenn er erfahren hätte, daß ein größerer als er, Karl Friedrich Gauss, die Aufgabe ebenfalls nicht bezwingen konnte. Daß dieser sich mit ihr beschäftigt hat, zeigt ein Brief an Gerling vom 17. April 1844. Durch die Untersuchungen von Bricard, Sforza und Dehn ist jetzt bewiesen worden, daß volumengleiche Pyramiden nicht endhch-gleich zu sein brauchen.
XIX. Kapitel
Die Allheillelire Johann Bolyais
Wer die ÄUheillehre Johann Bolyais richtig beurteilen will, muß sich von vornherein vor dem naheliegenden Irrtum hüten, als ob es sich dabei um ein sozialistisches System handle. Die Allheillehre ist vielmehr eine neue Religion, die sich, wie andere Religionen, in weiten Grenzen den verschiedensten Formen des staatlichen und gesellschaft- lichen Lebens anzupassen vermag. Daß Johann jeder Auseinandersetzung mit den herrschenden Religionen aus dem Wege geht, ist richtig; er vermeidet aber überhaupt jede Kritik des Bestehenden und beschränkt sich darauf, seine Lehre darzulegen, in der Meinung, daß ein jeder, der diese kennen lerne, sich ihrer Überzeugungskraft nicht entziehen könne, und es daher überflüssig sei, die falschen Ansichten zu bekämpfen.
In Aufzeichnuncren aus dem Jahre 1852 saort Johann, die Anfänge der Allheillehre lägen etwa 30 Jahre zurück. Man käme damit auf die Zeit, in der Johann die absolute Geometrie entdeckte und, wie er in der Bittschrift an den Erzherzog Johann vom Jahre 1832 sagt, „zur Ausbildung des ganzen [Menschen]- Geschlechts beizutragen Kraft in sich fühlte'^ Der Ursprung der Allheillehre geht jedoch aUer Wahrscheinlich- keit nach noch weiter zurück, nämlich bis in die Jugend Johanns, als sein Vater ihm „Andeutungen zuwarf, Andeutungen, die in ihm Wurzel faßten und sich allmählich ausgestalteten. Wolfgang hat seine meta- physischen Gedanken, die sicherlich auf seine eigene Jugendzeit zurück- gehen, im Tentamen niedergelegt. W^ahrheit und Liebe, sagt er, sind die zwei unverwischbaren Züge im Bilde Gottes, und das Ziel des mensch- lichen Streben s muß es sein, daß wir erstens das staunenswerte AU so viel als möglicli immer tiefer zu durchschauen suchen und zweitens dazu beitragen, daß sich alles in gegenseitiger Liebe vereinige und der jetzt noch bestehende Mißklang in die Harmonie der größten intensiven und extensiven Seligkeit aller und jedes einzelnen verwandelt werde. Ein Zusammenhang zwischen diesen beiden scheinbar ganz verschieden- artigen Zielen wird dadurch hergestellt, daß „die aus den reinen Quellen der Mathematik geschöpfte Wahrheit den angeborenen Sinn von Gott, Sittengesetz und Unsterblichkeit erweckt. Mit Hilfe dieser Wissenschaft gelangen wir tiefer in die Erkenntnis der inneren und äußeren Natur,
190 Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kapitel XIX
sodaß die in der Welt lebende Wahrheit ans Tageslicht dringt und die Tugend zum Vorschein kommt."
Johann teilte mit seinem Vater den Enthusiasmus für die Mathematik. Mit begeisterten Worten hat er in dem Vorwort zur Reformation der Elemente der Mathematik (1832) den Genuß gejDriesen, den diese Wissen- schaft vor allen andern zu gewähren vermöge:
,,Bei übrigens gleichen Umständen ist der Mathematiker unstreitig des höchsten, reinsten Glücksgefühls sich bewußt. Er nur ist in strengem Verstände ivuch-^ nur er ist nüchtern vom Sinnenrausch. In ihm nur (und nicht im sinnenberauschten Dichter, der zwar in seiner Begeiste- rung oft sehr schön klingende und sehr gemütlich ins Leben greifende Dinge sagt) lodert des ewige Himmelsfeuer in klarem, hellen Glänze. Er nur kennt den höchsten Sinn, mit kalter, ruhiger und eben deshalb höchster Begeisterung das staunenswerte All betrachtend und auf den letzten Grund nach Kräften dringend, den Zusammenhang von allem zu erklären strebend und mit dem höchsten Geiste immer vertrauter zu werden trachtend, dessen Wesen sich immer deutlicher gestaltend, an Liebe zu ihm stets zunehmend, die sich auf die würdigste, edelste Art dadurch kundgibt, wenn man durch den Gedanken an Ihn mit einer Art Schauer erregenden Begeisterung erfüllt wird. Wer eine höhere Aufgabe und Tendenz kennt, ich beneide ihn nicht darum, muß ihn aber wohl bedauern."
Vor der Mathematik muß auch die Wissenschaft zurücktreten, die den höchsten Rang zu beanspruchen pflegt, die Philosophie. „Die ge- wöhnliche scholastische Metaphysik ist zum größten Teile eine elende Ausgeburt überspannter und kranker, im Gebiete der menschlichen Er- kenntnis nicht gehörig orientierter Kräfte, denn was von ihrer Wissen- schaft Solidität besitzt, gehört zur Mathematik, der einzigen, wahren Grundwissenschaft, und das übrige sind nur Spitzfindigkeiten, wodurch man das unendliche, hochherrliche Gebiet der nützlichsten und lohn- reichsten Lehren ganz verläßt."
Aber die Mathematik hat eine noch höhere Bedeutung, sie ist die Grundlage nicht nur der geistigen, sondern auch der sittlichen Bildung. Wenngleich dieser Gedanke schon bei Wolfgang auftritt, so hat ihn doch erst Johann folgerichtig durchgeführt und zu Ende gedacht, offenbar ver- anlaßt durch Erfahrungen, die er an sich selbst gemacht hatte. Die Mathematik hatte ihn in seiner Einsamkeit getröstet, ihm über Stunden der Trübsal und Verzweiflung hinweggeholfen, ihm einen Halt gegeben, wenn die Wogen der Leidenschaften über ihn hereinbrachen. Was ihm genützt, ihm Hilfe und Rettung verschafft hatte, das mußte für alle Menschen heilsam sein, so schloß Johann, wie jeder Weltverbesserer.
Johann Boltais AUheillehre 191
Von hier aus versteht man seine Aussprüche: „Man kann zur Glückselig- keit der Menschen nur so viel beitracren, daß man den Verstand durch gründliche Kenntnisse aufzuklären trachtet" und umgekehrt: „Alles Übel in der Welt ist nur dazu da, um zur Beseitigung anzuspornen, somit den Verstand zu schärfen." Immer wieder aber wird der Spi-uch ange- führt, der das Titelblatt seiner AUheillehre zieren sollte: „Der Kopf muß das Herz bilden/^
In der Spätzeit Johanns tritt noch ein Gedankenzug hinzu. Je weniger Anerkennung Johann für seine wissenschaftlichen Leistungen findet, je mehr ihn die Menschen verachten und kränken, um so mehr wächst in ihm die Überzeugung von seinem inneren Werte, von seiner besonderen Stellung. Ihm war es gelungen, wie er in der Eingabe an den Erzherzog Johanm sagt, die „wesentlichste, wichtigste, inter- essanteste und auch genug verwickelte Aufgabe der Raumlehre zu lösen und eine aus dem Grunde und durchaus neue, bisher von den Geometern nicht einmal dem Begriffe nach geahnte Wissenschaft aufzubauen". Mit gleichem Erfolge hatte er „noch sehr viel andere, wichtige Gegen- stände bearbeitet und sozusagen eine gänzliche Reform der bisher (in Übereinstimmung mit dem Ausspruche der ersten Geister) sehr elend behandelten Mathematik vorgenommen". Jetzt fühlte er in sich die Kraft, die Reformation der Menschheit durch seine Allheillehre zu bewirken, deren Annahme, wie er meinte, im Laufe weniger Jahre alle Leiden beseitigen und die allgemeine Glückseligkeit herbeiführen würde.
Die Allheillehre soUte aus drei selbständigen, aber eng zusammen- hängenden Teilen bestehen, der Leitlehre, der zeitlichen AUheillehre, der vollkommenen AUheillehre. Die Leitlehre war als eine Einleitung gedacht, in der die Grundgedanken dargestellt wurden. Diese ausführ- lich zu entwickeln war die Aufgabe der zeitlichen AUheiUehre. Zeit- Uch, das heißt vorläufig, dem augenblicklichen Stande des Wissens entsprechend, war diese erste Ausarbeitung, und es sollte ihr daher eine vollkommene AUheillehre folgen, in vollkommener Sprache geschrieben, in der mit voUkommener Klarheit die gesamten Ergebnisse wahrer Wissenschaft als ein lebendiges Ganze zusammengefaßt werden, „wo es erwünscht geachtet wird, mit Angabe der Namen der betreffenden, nach Gebühr verehrten Erfinder".
Wer zum Heil gelangen will, hat sich zunächst mit dem Inhalt der AUheiUehre vertraut zu machen. „Einen bedeutenden und wesent- Hchen Teil des Heues bildet das Lernen der Heillehre, den anderen, nicht minder edlen und vorzüglichen das der HeiUehre gemäße Lehen. Von der Gesamtheit der Wissenschaften macht die Mathematik den Hauptteil aus, sie büdet die einzig feste Grundlage aUer übrigen Teüe
192 Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kapitel XIX
und somit des allgemeinen Heiles." Die Allheillehre sollte daher mit einer ausführlichen Darstellung der Mathematik beginnen, der die be- reits mitgeteilte Anordnung: Lehrenlehre, Gruppenlehre, Zahlenlehre, Zeitlehre, Bewegungslehre zugrunde lag; dann sollten die anderen Lehren folgen, ebenso wie die Mathematik aus wenigen, einfachen Grundsätzen hergeleitet.
Von den „Lehren nebst Nebenlehren" sind zahlreiche Entwürfe vor- handen. Daß Johann sich der Unyollkommenheit seiner Versuche be- wußt war, zeigt der Titel: „zeitliche" Allheillehre. Wichtiger sind die Bruchstücke der Leitlehre, weil sie erkennen lassen, worin das Wesen der neuen Religion bestehen sollte.
„Diese Lehre gewährt folgende äußerst wichtige Vorzüge:
1. Gebührend klar auseinandergesetzter Beweis des Satzes, daß schlechterdings kein Privatheil ohne das allgemeine Heil herbeigeführt werden oder bestehen könne oder niemand vollkommen glücklich werden könne, bis er nicht zugleich das Heil aller anderen, mit ihm in mög- licher Gemeinschaft stehenden fest begründet weiß oder [zu] einer derlei Allheils möglichsten Förderung oder, nach geschehener Erreichung, dessen Erhaltung nicht zugleich tätig [sein] will.
2. Zurückführuug des Hauptzwecks auf eine zweckmäßige Lehre, [so] daß die Befolgung dieser durch den unwiderstehlichen Zauber oder [die] moralische Macht schon von selbst eine natürliche, ja notwendige Folge deren Gehaltes sei, und somit Zurückführung der Schwierigkeit eines zur Glückseligkeit von allen Weltweisen für notwendig erachteten tugend- haften Lebenswandels auf die Verfassung einer vollkommenen und voU- stäudigen Allheillehre, wovon die gehörige Verbreitung alsdann ebenfalls eine notwendige Folge ist, und zugleich die wichtigste, bisher vermißte Ergänzung der die kolossalen Bücher- und Handschriftensammlungen der Erde füllenden, bisher größten Teils unfruchtbaren Lehren, wonach hier nicht nur das gebührend klar gelehrt wird, was wii-klich wahr wäre, sondern auch angegeben wird, wie man die nötige Wahrheit stets finden, das Gute befolgen und das echt Schöne empfinden werde. Ohnedies kann so wie jede andere Aufgabe auch die gegenwärtige schönste, not- wendigste, heilvollste aller Aufgaben nur durch eine Lehre gelöst werden, welche Auflösung in diesem Werke in der Tat auch ausge- führt wird.
3. Die Verfassung und somit auch gehörige Verbreitung nach der daselbst erteilten Vorschrift einer teils vollkommenen, teils zeitlichen Allheillehre und der nötigen AUheilleitlehre hierzu ist demnach die erste, höchste, oberste, schönste, wichtigste, genußreichste, heilvollste aller denkbaren Beschäftigungen im Weltall."
Johann Bolyais Allheillehre 193
Die Verbreitung und ^amit die Annahme der Allheillelire würde die Menschheit in einen „sittlichen Mechanismus" verwandeln und da- mit die allgemeine Glückseligkeit herbeiführen. Alles, was von der Allheillehre ablenken könnte, ist daher zu verbannen oder doch in die gebührenden Grenzen zurückzudrängen, im besonderen die Künste, weil sie den Verstand nicht ausbilden und falsche Vorstellungen von der Wirklichkeit erwecken; nur die Musik darf geduldet werden. „Eine schöne Musik soll und darf man anhören, eine schöne Gegend betrachten, selbst angenehme Empfindungen sind gestattet, zum Beispiel [die Freude] an einem angenehmen Geruch, an wohlschmeckenden Speisen, am An- tasten, Berühren, Streicheln von leblosen Dingen, z. B. von Samt. Ebenso Spazierengehen, Reiten, Fahren, Schaukeln. Aber diese Vergnügungen sind stumpferer Art als die wissenschaftlichen. Ganz besonders sind belebte Schönheiten möglichst zu meiden und nur zur Würze anzu- blicken oder gar zu berühren Hier ist es am schwersten, eine scharfe Grenze anzugeben. Denn unterläßt man allen Umgang mit dem anderen Geschlecht, so hört unser Geschlecht auf; zu viel Umgang ist eine Hölle und macht zum Krüppel; auch ist es oft leichter, das andere Geschlecht ganz zu meiden, als im Umgang damit Maß und Ziel zu halten."
Johann vermeidet es, genauer auf die Folgen einzugehen, die sich aus der Annahme der AUheillehre für die religiösen, politischen und so- zialen Verhältnisse ergeben würden. Auf einem der zahlreichen Entwürfe zum Titelblatt der Allheillehre erklärt er sogar, diese Schrift solle dienen „zur möglichsten und in geringen Kräften stehenden Beförderung des allerhöchsten Dienstes". Das schließt nicht aus, daß sich Johann ge- legentlich ausmalt, wie es auf Erden aussehen würde, wenn seine Lehre allgemein Eingang gefunden hätte; es ist begreiflich, daß er dabei kommunistischen Anschauungen nahe kommt, die ja auch dem ersten Christentum nicht fern lagen.
Außer durch die Allheillehre denkt Johann sich die Menschheit der Zukunft verbunden durch eine allgemeinverstandene, vollkommene Sprache, in der die vollkommene Allheillehre verfaßt werden sollte. Auch hier hat Wolfgang Bolyai die erste Anregung gegeben, und zwar in seinem Buche Äz arithmetica eleje vom Jahre 1830, das bereits im XV. Kapitel wegen der darin enthaltenen Vorschläge zur Schaffung einer verbesserten, der magyarischen Sprache angepaßten Schrift er- wähnt wurde. Die wichtigsten Stellen hat Wolfgang als Anhang zum ersten Bande des Tentamen wieder abgedruckt. „Bei dem riesigen An- wachsen der Wissenschaften", sagt er, „mit dem die menschliche Zeit und Kraft nicht Schritt hält, wäre es wünschenswert, wenn die gelehr- ten Gesellschaften sich darüber einigen könnten, daß sie statt in den
P. Stäckel: Wolfgang und Johann Bolyai I jg
194 Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kapitel XIX
vielen und immer mehr und mehr werdenden Sprachen alles in einer mit mathematischer und musikalischer Seele geschaffenen Sprache drucken (und das Nötige übersetzen) ließen; einen großen Teil unseres kurzen Lebens, das wir mit beständigem Suchen nach dem Schlüssel verbringen, — kaum treten wir in den Tempel der Wissenschaft ein, so geht die Sonne schon unter — könnten wir in diesem zubringen. . . . Neben der gemein- samen Sprache müßte jede Nation dann auch ihre eigene pflegen, und zwei Sprachen könnten beide Geschlechter erlernen, und wenn jede Nation eine Sprache sprechen könnte, welch' zusammenfassendes (in unserm Vaterlande so sehr erwünschtes) Band wäre es, daß sie einander verste- hen, und welche Annäherung an die Einheit des Menschengeschlechts."
Welchen Eindruck diese Äußerungen Wolfgangs auf Johann machten, zeigt eine Aufzeichnung, die aus der Zeit nach 1848 stammt: „Da ich auch in der deutschen Sprache, mich auf Schritt und Tritt an dem Gefühl der Inkonsequenz und Unvollkommenheit entrüstend, anstieß, fand ich endlich den 1830 erschienenen Äz arithmetica eleje meines Vaters und in diesem die Verbesserung unserer Buchstaben und Kunst- ausdrücke sowie den Versuch, in Übereinstimmung mit der Natur unserer Sprache Neues und Erneuerndes za schaffen; dies reißt hin, setzt in Flammen. Aber erst seit dem Sommer des Jahres 1842 [habe ich mich damit genauer beschäftigt] und noch ein anderer Umstand leitete [mich] dazu hin, daß ich nämlich wünschte, meinem Vater einen Gegenstand der Zeitlehre, vorzüglich meine Lehre von den algebraischen Gleichungen vorzulegen."
An einer anderen Stelle sagt er: „Hindernis der Sprache, daß man ein und denselben Begriff und um so mehr Urteil auf mehrere, ja vieler- lei Art ausdrücken kann". Dieser Ausspruch gibt den Schlüssel zu einer früher erwähnten Eigenheit Johanns, die zunächst ganz imverständ- lich, ja krankhaft erscheint, daß er nämlich in vielen, wenn auch keines- wegs in allen Aufzeichnungen der Spätzeit den meisten Worten noch ein, zwei, drei, bis zu einem Dutzend sinnverwandter Worte hinzufügt. Er wollte damit zum Ausdruck bringen, wie unvollkommen die jetzige Sprache sei, bei der eben ein und derselbe Begriff, ein und dasselbe Urteil sich auf mehrere Arten ausdrücken lasse. Die vollkommene Sprache sollte eine eindeutige Abbildung des Denkens sein.
Die einzigen Gebiete, in denen sich diese Forderung annähernd er- füllen läßt, scheinen die formalen Wissenschaften, Logik und Mathe- matik zu sein, wenigstens liegen hier einige nicht ganz erfolglose An- sätze vor. Dagegen bedeutet Johanns Forderung allgemein aufgefaßt eine Unmöglichkeit, weil zwischen dem Wort, dem Urteil, das ich höre, und den dadurch ausgelösten psychischen Vorgängen keine eindeutige,
Johann Boltais Allheillehre 195
d. h. bei allen Menschen identische und bei jedem einzelnen Menschen unveränderliche Beziehung besteht. Dagegen verdient der Vorschlag einer künstlichen Sprache, die in einem gevrissen Grade als allgemeines Ver- ätändigungsmittel dienen soll, beachtet zu werden, wenn auch die Schwierigkeiten seiner Durchführung größer sind, als die Vertreter dieses Gedankens glauben. Zu den zahlreichen Versuchen, eine solche internationale Sprache zu schaffen, tritt Johann Bolyais Weltsprache bin zu. Als Grundlage diente ihm seine Muttersprache, die er verein- fachen und im besonderen von allen Ausnahmen befreien wollte. Dieser Arbeit hat er sich mit bewunderungswürdigem Fleiße unterzogen; gleich- zeitig hat er dabei die von Wolfgang vorgeschlagene verbesserte Schrift 5ur Anwendung gebracht. In seinem Nachlaß finden sich umfangreiche Wörterbücher der neuen Sprache, die wohl genauerer Durchsicht wert wären. Johann hat auch begonnen, seine Lehre vom Allheil in ihr darzustellen: die betreffenden Aufzeichnungen tragen den Titel Tan-Tan, :1. h. Lehre der Leliren.
Wie BedÖhazi erzählt, hat Johann die Allheillehre ängstlich, wie äin Geheimnis gehütet und nur als seinen letzten Willen den Wunsch msgesprochen, daß ein würdiger Mann seine Aufzeichnungen übernehmen, die Lehre vollenden und sie veröffentlichen solle. Dieser Mann hat sich aicht gefunden. Aber was unvergänglich an der x411heillehre ist, das [ebt fort: die Begeisterung für die erhabene Wissenschaft der Mathematik.
13*
' XX. Kapitel
Schlußwort
Die erste Sckrift, durch die der Name Bolyai außerhalb seines Vaterlandes bekannt wurde, war das bereits im XVII. Kapitel erwähnte Buch Gauj^s mm Gedächtnis, das der Professor der Mineralogie und Geologie an der Universität Göttingen Wolfgang Freiherr Sartokius von Waltershausex ein Jahr nach dem Tode von Gauss, 1856, veröffent- licht hat. Der österreichische Astronom Kreil, der auf einer wissen- schaftlichen Reise im August 1848 in Maros -Väsärhely gewesen war und dort Wolfgang Bolyai kennen gelernt hatte, hatte die Abschrift eines an ihn gerichteten Briefes von Wolfgang, der sich auf dessen Freundschaft mit Gauss bezog, am 24. April 1855 ao Sartorius ge- schickt. Dieser setzte sich sogleich mit Wolfgang in Verbindung und bat ihn um die Briefe von Gauss. Am 13. Juli 1856 wiUfahrte Wolf- gang dieser Bitte. Sartorius hat den Briefwechsel Gauss-Bolyai noch für seine Gedächtnisschrift benutzen können. Wolfgang erscheint darin allerdings wesentlich als Jugendfreund von Gauss, und seine eigenen wissenschaftlichen Leistungen werden ebenso wenig gewürdigt wie die seines Sohnes Johann. Dieser war daher mit den Äußerungen Walters- HAüSENs wenig zufrieden und hat in den S. 184 erwähnten biographischen Aufzeichnungen über Wolfgang seiner Mißstimmung unverhohlenen Aus- di'uck gegeben. „Höchst walu-scheinlich durch die Wahrnehmung der Arbeit von Wolfgang Bolyai", meint Johann, „wurde auch Gauss aufmerksam auf den Gegenstand [der Parallelentheorie] (was um so wahrscheinlicher ist, als es in der durch Herrn Sartorius 1856 geliefer- ten Lebensbeschreibung (S. 80) heißt: Gauss habe an der Raum-Lehre anfangs wenig Interesse genommen und erst später habe sich dies bei ihm in hohem Grade entwickelt; übrigens erkläre ich diesen anfäng- lichen Mangel an Interesse dadurch, daß Gauss, damals von der Schön- heit der ungeheuer ausgebreiteten Zahl -Lehre entzückt, hauptsächlich sich damit beschäftigte und darin Erstaunliches leistete, denn jeder gerät in semer Jugend auf irgendeinen Weg und nur die göttliche Kraft ist unermeßlich) und bemühte sich sonach, auch diesen Knoten zu lösen. Das Resultat seiner diesfälligen Nachforschungen war, daß er
Schlußwort: Sartorius v. Waltershausen 197
an Wolfgang Boltai schrieb: daß, wenn es nur erweislich wäre, daß es ein beliebig großes ebenes geradliniges A gebe, das übrige ihm schon gelänge. Ein andermal schreibt er: «Vielleicht wird es mir einstens o-e- lingen, diese Klippen zu umfahren». Und wieder ein ander Mal (die chronologische Ordnung ist mir, da die Briefe von Gauss durch Wolf- gang BoLYAi soeben an die Universität Göttingen zurückgeschickt sind, unbekannt), daß der von ihm eingeschlagene Weg nicht sowohl zu einem Beweise des [XL Axioms] als vielmehr zu einem Zweifel an dessen Wahrheit führe,"
Bei der Erzählung von der Begegnung GAUSSens mit seinem Vater auf dem Walle in Göttingen berichtet Johann: „Mein Vater sprach unter anderem von seinen Gedanken bezugs einer Erklärung der geraden Linie und der etwaigen Wege zum Beweise des XL Axioms und der schon damals znm Koloß in den höheren Regionen der Wissenschaft, besonders der Zahlenlehre emporgewachsene Gauss brach ergötzt, überrascht in die lakonischen W^orte darüber aus: «Sie sind ein Genie; Sie sind mein Freund». Übrigens ist es durchaus irrig, wenn es in dessen durch Herrn Prof. Sartoeius zu Göttingen im Jahre 1856 gelieferten Lebens- beschi-eibung S. 17 steht, daß Gauss geäußert hat, Wolfgang Bolyai sei der einzige gewesen, der in seine metaphysischen Ansichten der Mathematik einzugehen wußte, indem 1. Gauss sein ganzes Leben hin- durch mit seiner Arbeit, solange sie nicht im Drucke das Tageslicht erblickte, sehr zurückhaltend war und somit meinem Vater auch gar nicht derlei mitteilte, außer daß er auf die mitgeteilte Ansicht meines Vaters über die Gerade erwiderte: «Ja, wahrlich, die Gerade wird schändlich behandelt; sie ist in der Tat die Linie, welche sich in sich selbst dreht». Worauf ich jedoch bemerke, daß dieser Ausdruck fehlerhaft ist, indem die gerade Linie sich gar nicht um irgend zwei ihrer Punkte drehen kann. 2. Gerade mein Vater hatte ihm seine Ansicht über die Be- gründung der Mathematik eröffnet, und allem Ansehen nach ist Gauss dann und dadurch erst näher aufmerksam gemacht worden auf diesen hochwichtigen Gegenstand; was ja auch kein Wunder ist, indem Gauss sehr früh sich hauptsächlich mit der Zahl-Lehre befaßt hat, die denn auch bis ans Ende sein Lieblingsgegenstand blieb, indem er sie, ob- schou mit Unrecht, Königin der Mathematik nannte."
Die Antwort, die Gauss in betreff der Geraden gegeben hat, zeigt in Wahrheit, daß dieser schon vor dem Zusammentreffen mit Wolfgang Boltai über die Grundlagen der Geometrie nachgedacht hatte; daß es sich so verhält, wird durch verschiedene Aufzeichnungen in seinem Nachlaß und durch eine Reihe von Äußerungen zu seinen Freunden be- stätigt. Augenscheinlich sind die beiden Freunde unabhängig voneinander
J^98 Leben und Schriften der beiden Boi.yai. Kapitel XX
auf die Frage nacli den Grundlagen der Geometrie gekommen, die seit dem Erscheinen von Kants Kritik der reinen Vernunft (1781 ) die Gemüter bewegte; was sie in ihren Gesprächen, gegenseitig gebend und empfan-B gend, verhandelt haben, wissen wir nicht genauer und brauchen es auch nicht zu wissen.
Wichtig ist es, daß SartoriüS schon 1856 auf die Beschäftigung von Gauss mit der Parallelentheorie hingewiesen hat:
„Die Geometrie betrachtete Gauss nur als ein konsequentes Ge- bäude, nachdem die Parallelentheorie als Axiom an der Spitze gegeben sei; er sei indeß zur Überzeugung gelangt, daß dieser Satz nicht be- wiesen werden könne, doch wisse man aus der Erfahrung, zum Beispiel aus den Winkeln des Dreiecks Brocken, Hohehagen, Inselsberg, daß er näherungsweise richtig sei. Wolle man dagegen das genannte Axiom nicht zugeben, so folge daraus eine andere, ganz selbständige Geometrie, die er gelegentlich einmal verfolgt und mit dem Namen Antieuklidische Geometrie bezeichnet habe."
Dieser Bericht von Sartorius wurde bald darauf bestätigt durch den 1860 erschienenen ersten Band des von Pp:ters herausgegebenen Briefwechsels Gauss-Schumacher, wobei besonders die Briefe aus dem Jahre 1831 in Betracht kamen; diese liegen zeitlich vor dem Februar 1832, in dem Gauss den Appendix Johann Bolyais erhielt. In dem fünften, 1863 veröffentlichten Bande werden Lobatschefskijs Geometrische Untersuchungen zur Theorie der Farallellinien vom Jahre 1840 er- wähnt, über die sich Gauss am 28. November 1846 mit hoher An- erkennung äußert. Auch Wolfgang Bolyai kommt in diesem Bande vor, jedoch lediglich als Göttinger Studienfreund von Gauss (Brief Schumachers vom 20. Februar 1849, Antwort GAUSSens vom 12. März desselben Jahres).
Während Gauss aus Scheu vor dem „Geschrei der Böotier" seine Ansichten über das XI. Axiom für sich behalten hatte, machten diese kurzen Mitteilungen einen gewaltigen Eindruck und bewirkten, daß die Frage nach den Grundlagen der Geometrie bald die Teilnahme weiter Kreise erregte. Hier kann es nicht Aufgabe sein, die Geschichte dieser Bewegung zu schreiben, die auch heute noch nicht zum Abschluß gekommen ist, es muß vielmehr lediglich das herausgegriffen werden, was für die Würdigung von Wolfgang und Johann Bolyai in Betracht kommt.
Wenn man fragt, wie es gekommen ist, daß diese Namen unter den Mathematikern bekannt geworden sind, so hat Richard Baltzer (1818 — 1887) sich hierfür ein unvergängliches Verdienst erworben. Im zweiten Bande der ersten Auflage seiner Elemente der Mathematik
Schlußwort: Baltzer, Hoükl, Franz Schmidt 199
((leometrie) vom Jahre 1862 sagt er noch nichts von Gauss, Johann BoLYAi und LoBATSCHEFSKij. Dagegen werden in der zweiten Auflage vom Jahre 1867 diese Männer in einer Weise erwähnt, die zeigt, daß Baltzee inzwischen den Gedanken einer vom XL Axiom unabhänirisen Geometrie vollständig erfaßt hatte. Im vierten Buche, Planimetrie, § 2 Nr. 7 werden Parallele als solche Gerade erklärt, die nach demselben unendlich fernen Punkte gehen; dafür wird auf Lobatschefsku (1840) und J. BoLYAi (1832) verwiesen. In Nr. 8, IV wird auseinander- gesetzt, daß in der abstrakten Geometrie durch einen Punkt Ä zwei verschiedene Gerade ÄD und ÄF gehen, die mit den ent- gegengesetzten Schenkeln einer Geraden BC und BE parallel sind. Diese fundamentale Unter- scheidung sei zuerst von Gauss (seit 1792) erkannt, aber nicht aus- führlich mitgeteilt worden. Die wirklichen Gründer einer korrekten Parallelentheorie seien J. Bolyai und N. I. Lobatschefsku.
An die Seite von Baltzer trat bald ein zweiter Mathematiker, der nicht geringere Verdienste um das Bekanntwerden der beiden Bolyai hat, Jules Hoüel (1823 — 1886) in Bordeaux. Hoüel stand in Brief- wechsel mit Baltzer, dessen Elemente er besprochen hatte. Diesem ver- dankte er die Kenntnis der Schriften von Lobatschefsku und J. Bolyal Im Jahre 1867 hatte er bereits Lobatschefskus Geometrische Unter- suchungen in den Bordelaiser Denkschriften in französischer Übersetzung veröffentlicht, begleitet von einem Auszug aus dem Briefwechsel GaüSS- ScHUM acher. Im Jahre 1868 ließ er eine Übersetzung des Appendix von Johann Bolyai folgen, der eine Notiz über das Leben und die Werke von W. und J. Bolyai voranging. Der Verfasser dieser Notiz war der Baumeister Franz Schmidt (1827—1901) in Budapest, den Hoüel um Auskunft ersucht hatte. Schmidt verdient es durchaus, neben Baltzer und Hoüel genannt zu werden. Er hatte sich im Jahre 1864 an Hoüel mit der Bitte gewandt, ihm Auskunft über ge- wisse in Frankreich erschienene mathematische Werke zu geben, die er für seine Bibliothek ankaufen wollte, und dieser hatte ihm bereit- willig geantwortet. Als Hoüel durch Baltzer auf die Schriften von Lobatschefsku und Bolyai aufmerksam gemacht wurde, wandte er sich am 17. Februar 1867 behufs Aufklärung an seinen ungarischen Bekannten und bat um genauere Nachrichten über die beiden Mathe- matiker, Wolfgang Bolyai, der ein Jugendfreund von Gauss gewesen
200 Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kapitel XX
sei und 1829 ein zweibändiges Werk Tentamen usw. veröffentlicht habe, und J. Bolyai, der eine außerordentlich wertvolle, als Anhang zum Tentamen erschienene Schrift verfaßt habe; darin fänden sich nämlich die Gedanken, die gleichzeitig Lobatschefskij entdeckt und Gauss schon lange vorher besessen habe, ohne sie jedoch zu ver- öffentlichen. Der Verfasser des Appendix [soll heißen des Tentamens] habe später, 1851, ohne Nennung des Namens ein sehr merkwürdiges kleines Buch Kurier Grundriß eines Versuchs . . . herausgegeben, das er, HoÜEL, besitze.
Es ist schon erzählt worden, daß merkwürdiger Weise der Name Bolyai dem Baumeister Schmidt nicht fremd war, weil sein Vater Johann kennen gelernt hatte, als dieser in Temesvär stand. Mit großem Eifer machte sich Schmidt ans Werk, sammelte die bereits vorhan- denen zerstreuten und mangelhaften literarischen Notizen über die beiden Bolyai und wußte sich mehr Stoff aus Maros-Väsärhely zu verschaffen, wobei ihm besonders der dortige Professor am ev. ref. Kollegium Samuel SzabÖ behilflich war. So entstand eine ansprechend geschriebene, kurze Lebensbeschreibung der beiden Bolyai, die er Ende Dezember 1867 nach Bordeaux sandte. Hoüel, der die neue Einsicht in die Grundlagen der Geometrie mit Begeisterung aufgenommen hatte und für deren Verbreitung seine ganze Kraft einsetzte, sorgte nicht nur dafür, daß Schmidts Abhandlung in Grunerts Archiv aufgenommen wurde (48. Teil, 1868), sondern übersetzte sie auch ins Französische und ließ die Biographie zusammen mit einer musterhaften Übersetzung des Ä^^pendix im fünften Bande der Denkschriften der Akademie von Bordeaux abdrucken; das betreffende Heft ist gleichzeitig als selb- ständige Schrift bei Gauthier-Villaes in Paris erschienen. Auf Hoüels Anregung ist auch die italienische Bearbeitung der ScHMiDTschen Lebensbeschreibung zurückzuführen, die Angelo Forti 1868 in dem Bulletino des Fürsten Boncompagni erscheinen ließ. In demselben Jahre veröffentlichte Battaglini in seinem Giornale eine italienische Übersetzung des Appendix.
Bei den erwähnten Nachforschungen hatte es sich herausgestellt, daß Johann Bolyais mathematischer Nachlaß noch vorhanden war und sich im Besitz des ev. ref. Kollegiums zu Maros-Väsärhely befand. Um die Benutzung zu ermöglichen, rief Hoüel die Vermittlung des Fürsten Boncompagni an, der den damaligen ungarischen Kultusminister Baron Josef Eötvös für die Sache zu gewinnen wußte. Dieser erreichte es, daß der Nachlaß Ende 1869 der Ungarischen Akademie zur Durchsicht übersandt wurde. Die Papiere wurden zuerst dem Professor Julius König, dann dem Baumeister Franz Schmidt übergeben, der sie im Juni 1894
Schlußwort: Franz Schmidt 201
der ungarisclien Akademie zurückstellte. Der Nachlaß wurde nunmehr nach Maros-Väsärhely zurückgesandt, wo er sich noch gegenwärtig be- findet. Bei der Durchsicht fand ein Sohn von Schmidt den bedeut- samen Brief Johanns an Wolfgang vom 3. November 1823; 1894 machte dieser selbst auf der Naturforscherversanimlung zu Wien einige weitere Mitteilungen aus dem Nachlaß Johanns.
Die Abhandlung in Geunerts Archiv betrachtete Schmidt nur als den Vorläufer einer ausführlichen Lebensbeschreibung der beiden BoLYAi, mit deren Vorbereitung er sich sein ganzes Leben hindurch beschäftigt hat; angestrengte Tätigkeit in seinem Beruf und mancherlei Krankheiten, die er durchzumachen hatte, haben sich jedoch der Aus- führung des schwierigen Unternehmens entgegengestellt. Er mußte sich ujiter diesen Umständen darauf beschränken, 1898 in der Zeitschrift für Mathematik und Physik eine kürzere Biographie Johanns zu veröffentlichen. Was er über Wolfgangs Leben zu berichten hatte, ist in die Notizen über das Leben von Gauss und Wolfgang Bolyai auf- genommen worden, die dem 1899 von Schmidt und Stäckel heraus- gegebenen Briefwechsel zivischen Gauss und Wolfgang Bolyai beigegeben sind. Von diesen Briefen waren einige Bruchstücke gelegentlich der hundertjährigen Wiederkehr des Geburtstages von Gauss 1877 durch Schering abgedruckt worden. Versuche von Schmidt, Einsicht in diese für eine Biographie Wolfgang Bolyais unentbehrlichen Briefe zu erhalten, waren lange vergeblich geblieben, bis ihm endlich im De- zember 1896 die Königliche Gesellschaft der Wissenschaften zu Göt- tingen eine Abschrift der sämtlichen Briefe zur Verfügung stellte. Sie gab später auch die Erlaubnis, daß die Briefe auf Grund einer Ver- gleichung mit den Urschriften herausgegeben würden; durch die Unter- stützung; der Ungarischen Akademie der Wissenschaften wurde es möglich, daß im Sommer 1899 der Brieftveclisel Gauss-Boj.tat in der geschmackvollen Ausstattung der neuen, 1897—1904 veranstalteten Aus- gabe des Tentamens erscheinen konnte.
Damit war ein lange gehegter Wunsch Schmidts erfüllt. Schon vorher hatte er aber einer Pflicht der Pietät gegen Johann Bolyai ge- nügen können, die ihm am Herzen lag.
Der Apfelbaum, den Ludwig DiCSÖ gepflanzt hatte, war 23 Jahre lang das einzige Zeichen gewesen, wo sich Wolfgang Bolyais letzte Ruhestätte befinde. Im November 1879 beschloß der Vorstand des Kollegiums, einen Gedenkstein mit Inschrift aufzustellen; gleichzeitig wurde auch die ehemalige Wohnstätte Wolfgangs durch eine Tafel bezeichnet. Das Denkmal aus schwarzem Syenit trägt die Inschrift (in deutscher Übersetzung) :
202 Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kapitel XX
Wolfgang Bolyai
Professor der 3Iathemati]c und Fliysik am ev. ref. Kollegium zu 3Iaros-Vdsurhely 1804 — 1850
* 1775 f 1856.
Aus öffentlichen Spenden der Vorstand des Kollegiums 1884
Aus dem übrig gebliebenen Gelde und sonstigen Geschenken kamen 100 Gulden zusammen, die als BoLYAi-GAuss-Gedächtnisstiftung mit der Bestimmung verwaltet werden, daß die Zinsen jährlich einem guten Mathematiker der oberen Klassen des Kollegiums als Belohnung zu geben sind.
Johann Bolyais Grab lag noch immer verlassen und vergessen. Im Jahre 1893 reiste Schmidt nach Maros-Yasarhely und ließ sich von der damals noch lebenden Pflegerin Johanns, Juliana SzÖTS, die unkennt- lich gewordene Grabstelle zeigen. Nach Budapest zurückgekehrt be- wirkte er, daß die dortige Mathematisch -physikalische Gesellschaft durch eine Sammlung Mittel aufbrachte, die es ermöglichten, als Ge- denkstein eine Pyramide aus Trachyt mit der einfachen Inschrift zu
errichten:
Bolyai Janos
1802—1860
Am Fuße ist in kleinerer Schrift bemerkt (in deutscher Übersetzung): JDie Mathematisch-physikalische Gesellschaft als Zeichen der Pietät 1894. Am 7. Juni 1911 sind die irdischen Überreste der beiden Bolyai ex- humiert und in einem gemeinsamen Grabe beigesetzt worden.
Inzwischen hatten Johann Bolyais Gedanken weitere Verbreitung gewonnen. Auf die französische und die italienische Übersetzung des Appendix vom Jahre 1868 war 1872 eine deutsche Bearbeitung ge- folgt, die Absolute Geometrie nach Johann Bolyai von J. Frischauf in Graz; später, 1876, hat Frischauf in den Elementen der absoluten Geo- metrie eine Darstellung gegeben, bei der auch die Untersuchungen von Lobatschefskij, Helmholtz und Riemaxn berücksichtigt werden. Die von Johann selbst herrührende deutsche Fassung der ersten 33 Para- graphen aus dem Jahre 1832 wird an dieser SteUe (zweiter Teil, S. 185—203) zum ersten Male abgedruckt; es folgen (S. 203—216) die Paragraphen 32 — 42 in deutscher Übersetzung. Eine engliche Über- setzung des Appendix hat Halsted, damals in Austin (Texas), im Jahre 1891 herausgegeben: 1896 ist davon die vierte Auflage erschienen. Ein Abdruck dieser englischen Übersetzung ist 1895 in Tokio heraus- gekommen. In Ungarn hatten Rethy seit 1874 und sein Nachfolger
Schlußwort: Das Urteil der Nachwelt 203
VÄLYi seit 1887 durch Vorlesungen an der Universität Klausenburg für die Verbreitung der absoluten Geometrie und der Lehren des Appendix gewirkt; aber erst 1897 ist der Appendix von Sutäk und von Ignaz Rados ins Magyarische übersetzt worden. Es möge endlich noch erwähnt werden, daß der Archivar des gräflichen Geschlechtes Teleki de Szek, Stephan Bias von Ders, im Jahre 1907 zu Marcs -Vasarhely einen ana- statischen Neudruck der selten gewordenen Urausgabe des Appendix veranstaltet hat.
Nachdem Koloman von Szilt 1884 in den Schriften der Ungarischen Akademie eine Biographie Wolfgang Bolyais veröffentlicht und Samuel Brassai 1886 die Autobiographie mitgeteilt hatte, die Wolfgang am 5. Oktober 1840 der Akademie einsandte, hat Wolfgangs letzter Schüler Josef KoNCZ 1887 in der von ihm herausgegebenen Geschichte des ev. ref. Kollegiums zu Maros-Vdsärhely unter Benutzung der genannten Veröffentlichungen und auf Grund seiner eigenen, genauen Kenntnis der Verhältnisse ausführlich über Wolfgang und Johann Bolyais Leben berichtet.
Ein Zeichen der wachsenden Anerkennung, der sich Wolfgang und Johann Bolyai in ihi-em Vaterlande erfreuten, war es, daß die Ungarische Akademie im Jahre 1887 beschloß, eine neue, würdige Ausgabe des schwer zugänglichen Tentamens zu veranstalten; wie bereits im V. Kapitel berichtet wurde, ist der erste, von Julius KÖNIG und Moritz Rethy herausgegebene Band 1897, der zweite, von Josef ~KCeschak, Moritz Rethy und Bela v. Tötössy besorgte Band 1904 erschienen; im Unter- schied zur ersten Ausgabe wurde im ersten Bande alles auf die Arith- metik Bezügliche vereinigt, während der zweite aUes auf die Geometrie Bezügliche, im Besonderen also auch Johanns Appendix, enthält.
Endlich ist 1897 von Johann Bedöhazi, Professor am KoUegium zu Maros -Vasarhely, em, mit großer Liebe geschriebenes größeres Buch über die beiden Bolyai herausgegeben worden. Um in möglichst weiten Kreisen seines Vaterlandes Anteil an den beiden Männern zu erwecken, die in der Geschichte der Mathematik in Ungarn eine so große Rolle spielen, hat Bedöhazi sein Buch in allgemein verständ- licher Sprache geschrieben und ist Erörterungen, die ein größeres Maß mathematischer Kenntnisse erfordern, aus dem Wege gegangen. Wolfgang tritt bei seiner Darstellung in den Vordergrund; bei Johann hat er sich nicht ganz von den Vorurteilen frei machen können, die in Maros-Väsär- hely noch immer bestanden.
Der 15. Dezember 1902, der Tag, an dem Johann Bolyais Ge- burtstag zum hundertsten Male wiederkehrte, ist in seinem Vaterlande festlich begangen worden. In Johanns Geburtsstadt, Klausenburg, ver- anstaltete die dortige Franz Josephs-Universität am 15. Januar 1903 eine
204 Leben und Schriften der beiden Bolyai. Kapitel XX
Feier, bei der Ludwig Schlesinger die Festrede hielt und Koloman von SziLY als Generalsekretär der Ungarischen Akademie deren schon am 27. Jan. 1902 gefaßten Beschluß öffentlich bekannt gab, bei dieser Gelegenheit, um das Andenken an Johann Bolyai und dessen Vater und Lehrer Wolfgang Bolyai dauernd zu erhalten, einen Preis von 10000 Kronen zu stiften. Der Preis soll vom Jahre 1905 ab aUe fünf Jahre in der Dezembersitzung dem Verfasser des besten mathematischen Werkes zuerteilt werden, das während der fünf vorhergehenden Jahre erschienen ist; im Jahre 1905 hat ihn Henri Poincare, im Jahre 1910 David HiLBERT erhalten. Gleichzeitig wurde von der Universität Klausenburg eine Festschrift herausgegeben, zu der Bonola, Schlesinger und Stäckel Ä Beiträge greliefert hatten, und an dem von Schlesinger ermittelten Ge- burtshause Johanns in der Tivoligasse, jetzt BoLYAigasse, eine Gedächtnis- tafel angebracht.
Am 15. Dezember 1902 war bereits eine Festsitzung der Unga- J rischen Akademie zu Budapest abgehalten und dabei eine Abhandlung ■ von Stäckel über Johann Bolyais Raumlehre vorgelegt worden, die den Abschluß einer Reihe von Veröffentlichungen Stäckels über Ungarns größten Mathematiker bildet.
Aber auch in Maros-Väsarhely hat das ev. ref. Kollegium seines großen Zöglings gedacht, indem es wenige Tage nach der Klausenburger BoLYAl-Feier, am 25. Januar 1903, seinem Andenken eine Schulfeier widmete, bei der die Professoren S. Lakatos und J. BedÖhazi An- sprachen hielten.
So ist der Wunsch, den der unermüdliche Vorkämpfer für die Sache der Bolyai, Franz Schmidt, im Jahre 1868 ausgesprochen hatte, daß der Name Bolyai überall, wo man die mathematischen Wissen- schaften pflege, in Ehren genannt werde, in reiche Erfüllung gegangen.
Anmerkungeii und Nachweisimgen
Als Quellen für die Darstellung des Lebens von Wolfgang und Johann BoLYAi haben gedient:
1. Die von ihnen selbst veröffentlichten Schriften.
2. Die von ihnen hinterlassenen Papiere und die auf sie bezüglichen Auf- zeichnungen und Briefe, die sich im Besitz der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, des ev. ref. Kollegiums zu Maros-Vasärhely und des Herrn Prof. P. SzABO zu Budapest befinden.
3. Eine Reihe von Abhandlungen und Werken, die teils die beiden Bolyai unmittelbar, teils die Geschichte der Parallelentheorie und der nichteuklidischen Geometiie zum Gegenstand haben.
Im Folgenden sind für diejenigen Stellen des Textes, bei denen ein Zurück- gehen auf die Quellen für den Geschichtsforscher von Wichtigkeit sein kann, die erforderlichen Nachweisungen gegeben worden. Ferner findet man hier eine Reihe von Aufzeichnungen abgedruckt, die als Beleg für die betreffenden Stellen der Lebensbeschreibung dienen sollen. Endlich bringt eine Reihe von Anmerkungen teils Erläuterungen, teils Ergänzungen zu den Angaben des Textes.
Verzeiclinis der von Wolfgang Bolyai veröffentlichten Schriften
I. Mathematisclie Schriften
1. Äg arithmetica eleje (Elemente der Arithmetik). Maros-Väsärhely 1830, XX u. 162 Seiten. Die Druckerlaubnis ist vom 12. Oktober 1829.
2. Tentamen jiiventutem studiosam in elementa matheseos purae^ elementaris ac SHhUmioris, methodo intuitiva, evidentiaque hiiic propria, introducendi , cum Appendice tripUci. Auetore Professore Matheseos et Physices Chemiaeque Publ. Ordinario.
Tomus primus. Maros-Väsarhelyini 1832, LH u, 502 Seiten, dahinter der von Johann Bolyai verfaßte Appendix scientiam spatii absolute veram exhibens, 30 Seiten. Den Schluß bilden Bemerkungen in magyarischer Sprache, 16 Seiten. Nach und nach sind bis zum Jahre 1844 noch 50 Seiten Verbesserungen und Anmerkungen hinzu gekommen. Die Druckerlaubnis ist vom 12. Oktober 1829.
Tomus secundits. Maros - Vasarhelyini 1833, XVI u. 400 Seiten. Dieser Teil enthält den dreifachen Anhang: I. De perspectiva, IL De gnomonica, 111. De chronologia. Die Druckerlaubnis ist vom 12. Oktober 1829.
3. Az arithmeticdnaJi', geometriänak es physicänak elejc a M. Väsärhelyi Icollegyambeli alsöbb tanulöl- szämära a lielybeli professor ältaJ. Elsö kötet. Maros- Väsärhelyt 1834 (Elemente der Arithmetik, Geometrie und Physik für die Schüler der unteren Klassen des Kollegiums zu Maros-Vasärhely, l.Bandj. X u. 90 Seiten.
206 Leben und Schriften der beiden Bolyai
4. Ä Maros-Väsdrlielyt 18291)6 nyomtatoU Ärithmetika elejeneJc reszint röviditett, reszint hSvitett, ältalän johbitott s tiszfdUabh Jdaddsa. Ä sserzo dltal. Maros-Vasarhelyt 1843. (Der 1829 zu Maros-Vasarhely gedruckten Elemente der Arithmetik teils verkürzte, teils ei'weiterte, allgemeinhin verbesserte und gereinigte Ausgabe. Vom Verfasser besorgt.) XLIV u. 386 Seiten.
5. Arithmetica eleje Jcezdölcnek (Elemente der Aiithmetik für den Anfänger). 40 Seiten. Ohne Angabe von Ort, Jahr und Verfasser. Erschienen Maros- Vasarhely 1850.
6. Ürtan elemei kezdö'knek (ß\em.ente der Raumlehre für Anfänger). 48 Seiten. Ohne Angabe von Ort, Jahr und Verfasser. Erschienen Maros-Vasarhely 1850/51.
1 . Kurzer Grundriß eines Versuches usw. Maros-Vasarhely 1851. 88 Seiten.
8, WoLFGANGi BoLYAi do BoLYA Tentamen, editio secunda, Tomus I: Con- spectus arithmeticae generalis, ediderunt Julius Konig et Mauritius Rethy. Budapestini 1897, XII u. 679 Seiten. Tomus II: Elementa geometriae et appen- dices, ediderunt losephus Kürschäk, Mauritius Rethy, Bela Totössy de Ze- PETHNEK. Budapestini 1904, LIV u. 439 Seiten; dazu ein Band mit 74 Figuren- tafeln zum Tentamen und 7 Figurentafeln zum Appendix.
II. Dichtungen und Übersetzungen
1. Öt Szomorujdtek. Irta egy Hazafi {Fünf Tragödien. Geschrieben von einem Patrioten), Hermannstadt 1817.
2. A pdrisi per. Erzekeny jatek 5 felvonasban (Der Pariser Prozeß. Ein sentimentales Spiel in 5 Aufzügen.) Maros-Vasarhely 1818.
3. Az ösz lantos Itattyüdala lidrom nycJvcn (Der Schwanengesang des greisen Barden in drei Sprachen). Stimmen des Herzens zur Begrüßung Sr. Majestät Franz Joseph in Maros-Väsärhely am 31. Juli 1852. Maros-Vasarhely 1852.
4. Pope pröbateJe az emberöl. Anglusbol forditva. Mas poetakbol valo tol- dalekkal. (Popes Essay on man. Aus dem Englischen übersetzt. Mit einem Anhang aus anderen Poeten.) Maros-Vasarhely 1818.
Verzeichnis von Schriften die sich auf Wolfgang und Johann Bolyai beziehen
Vorbemerkung. Das folgende Verzeichnis macht nicht darauf Anspruch „vollständig" zu sein; es sind im Gegenteil einige Veröffentlichungen absicht- lich weggelassen worden, weil sie nichts bringen, was nicht schon in den an- geführten Quellen enthalten wäre.
Am Schluß einiger Nummern ist in Kursivschrift die abkürzende Be- zeichnung angegeben, mit der die betreffende Veröffentlichung in den An- merkungen und Nachweisungen angeführt wird.
1. J. BedöhAzi, A ket Bolyai (Diebeiden Bolyai). Maros-Vasarhely 1897, 454 Seiten (BedShIzi).
2. S. Brassai, Emlckbeszcd Bolyai Farkas felett (Gedächtnisrede auf Wolfgang Bolyai), Erdelyi Muzeum, 3. Bd., 1886.
3. F. Engel, Nikolaj lu-anoiritsch Lohat.schefskij, zwei geometrische Ab- handlungen, aus dem Russischen übersetzt, mit Anmerkungen und mit einer Biographie des Verfassers. Leipzig 1898, XVI u. 476 S. (Engel).
Anmerkungen und Nachweisungen. Schriftenverzeichnis 207
4. J. KoNCz, A marosväsdrhrlyi ev. ref. kollegium förtniete (Geschichte des Maros-Vasärheljer ev. ref. Kollegiums). Maros-Väsarhely 18S6 — 1896 als Programm - Abhandlungen erschienen; die auf Wolfgang Bor.vAi bezüglichen Ausführungen (S. 271 — 338) sind 1887 herausgekommen. {Koncz).
5 a. L. Schlesinger, Ssemelvenyeh Bolyai Bolyai FurkasnaJc Leczfalvi BoDOR Falkos 1815-tö'l 1825-ig irt lereleihöl (Auszüge aus Briefen Wolfgang BoLYAis an Paul Bodor von 1815 — 1825), Mathematikai es Physika! Lapok, Bd. 11 (1902), 8. 197—230.
5b. L. Schlesinger, Neue Beiträge zur Biographie von Wolfgang und Johann Bolyai, Bibliotheca mathematica (3), Bd. 4 (1903), S. 260 — 270 (ScffLEsnyoER, Neue Beilräge).
6a. L. Schlesinger, Emlekbeszed (Gedächtnisrede), Acta universitatis litterarum regiae hungaricae Francisco- Josephinae Kolozsvarien- sis Anni MCMII — III, Fasciculus II, S. 7 — 51; wiederabgedruckt Mathe- matikai es Physikai Lapok, Bd. 12 (1903), S. 57—88.
6 b. L. Schlesinger, Johann Bolyai, Festrede gehalten bei der von der königl. ungarischen Fi-anz- Josefs-Universität veranstalteten BoLYAi-Feier am 15. Januar 1903, Jahresbericht der deutschen Mathematiker-Ver- einigung, Bd. 12 (1903), S. 165—194 {Schlesinger, Festrede).
7. Fr. Schmidt, Aus dem Leben zweier ungarischer Mathematiker, Johann und Wolfgang Bolyai von Bolya, Archiv der Mathematik und Physik. Bd. 48, 1868, S. 217 — 228. Französische Übersetzung von J. Hoüel: Notice sur la vie et les fravanx des deux mathe'maticiens hongrois W. et J. Bolyai de Bolya, Memoires de Bordeaux, -t. V, 1868, S. 191 — 205. Italienische Bearbeitung von A. Forti: Intorno alla vita ed agli scritti di Wolfgango e Griovanni Bolyai di Bolya matematici ungheresi, Bolletino di biografia e di storia delle scienze matematiche e fisiche, t. 1, 1868, S. 277 —299.
8. Fr. Schmidt, Lebensgeschichte des tmgarischen Mathematikers Johann Bolyai, k. k. Hauptmann im Geniecorps, Abhandlungen zur Geschichte der Mathematik, Heft 8 (1898), S. 133—146.
9 a. Fr. Schmidt und P. Stäckel, Briefwechsel zwischen Carl Friedrich Gauss und Wolfgang Bolyai, herausgegeben mit Unterstützung der Ungarischen Akademie der Wissenschaften. Leipzig 1899, 208 S. {Br. G.-B.).
9 b. Fr. Schmidt und P. Stäckel, Bolyai Farkas es Gauss Frigy es Käroly lerelezese, a Magyar tud. Akademia megbizäsäbol szerkesztettek, jegyzetekkel es eletrajzzal ejlattak. Budapest 1899.
10. P. Stäckel, Bie Theorie der Parallellinien von Euklid bis auf Gauss, eine Urkundensammlung zur Vorgeschichte der nichteuklidischen Geometrie, herausgegeben in Gemeinschaft mit F. Engel. Leipzig 1895. (Stäckel und Engel^ Th. d. P.)
11. P. Stäckel und F. Engel, Gauss, die beiden Bolyai und die nicht- euklidische Geometrie, Math. Annalen, Bd. 49 (1897), S. 149—206; fran- zösische Übersetzung von L. Laugel, Bulletin des sciences math. Serie 2, t. 21 (1897), S. 206—228, auch als selbständiges Heft: Gauss, les deux Bolyai et la geometrie non-eucUdienne (Paris, Gauthier- Villars 1897) erschienen.
12a. P. Stäckjel, A kepzetes ssdmok elmäete. Bolyai Jänos hätrahagyott irataiban, Mathematikai es termeszettudomanyi Ertesitö, 1899, S. 259 —292.
208 Leben und Schriften der beiden Bolyai
12b. P. Stäc;kel, Johann Bolyais Theorie der imaginären Größen, Math, und naturw. Berichte aus Ungarn, Bd. 16, Jahrg. 1898 (1899), S. 263 — 297.
13 a. P. Stäckel, A nem EnMidilms geometria törtenete Bolyai Jdnos häiraliagyolt irataiban, Mathematikai es termeszettudomanyi Ertesito, 1900, S. 241—256.
13b. P. Stäckel, Die Entdeckung der nichteuklidischen Geometrie durch Johann Bolyai, auf Grund nachgelassener Aufzeichnungen Johanns dargestellt, Math, und naturw. Berichte aus Ungarn, Bd. 17, Jahrg. 1899 (1901), S. 1—19.
14a. P. Stäckel und J. Kürschäk, Bolyai Jdnos cszrevctelci Lobat- sc HE FS KU Miklösnak a paralUiäkra vonatkosö vizsgdlataira, Mathematikai es termeszettudomanyi Ertesitö, 1902, S. 40 — 67.
14 b. P. Stäckel und J. Küilschäk, Johann Bolyais Bemerkungen über Nicolaus LöBATScHEFSKiJS Geometrische Untersuchungen zur Theorie der Par- allellinien, Math, und naturw. Berichte aus Ungarn, Bd. 18, Jahrg. 1900 (1903), S. 250—279.
15a. P. Stäckel, Viszgälatok az absolut geometria körebol, Bolyai Jänos hätrahagijott irataiban, Mathematikai es termeszettudomanyi Ertesitö, 1902, S. 160—186.
15 b. P. Stäckel, Untersuchungen aus der absoluten Geometrie, aus Johann Bolyais Nachlaß herausgegeben, Math, und naturw. Berichte aus Ungarn, Bd. 18, Jahrg. 1900 (1^03), S. 280—307.
16a. P. Stäckel, Bolyai Jänos ü'relnielete, Mathematikai es terme- szettudomanyi Ertesitö, 1903, S. 135 — 145.
16b. P. Stäckel, Johann Bolyais Raumlehre, Math, und naturw. Be- richte aus Ungarn, Bd. 19, Jahrg. 1901 (1904), S. 1—12.
17 a. P. SzABO, Adulckok Gauss es Bolyai levelesesehez es Bolyai Farkas eletrajzdhoz , Mathematikai es termeszettudomanyi Ertesitö, 1907, S. 326—338.
17b. P. SzABO, Beiträge zum Brieftvechsel zwischen C. F. Gauss und W. Bolyai und zur Biographie von W. Bolyai, Math, un d naturw. Berichte aus Ungarn, Bd. 25, Jahrg. 1907 (1909), S. 226—240.
18. P. SzABÖ, Bolyai Jänos iljusaga (Johann Bolyais Jugend), Mathe- matikai es Physikai Lapok, Bd. 19 (1910), S. 135 — 164.
19. K. von SziLY, Adatok Bolyai Farkas eleirajzähok (Daten zur Bio- graphie Wolfgang Bolyais), Ertekezesek a mathematikai tudomänyok körebol (Abhandlungen aus dem Gebiete der mathematischen Wissenschaften), Bd. 11, Heft 9, Budapest 1884 (Sz/zr).
Zum I. Kapitel
S. •_>, Z. 11 — 23. Josef PÄLMAY in Maros-Vasärhelj, ein vortrefflicher Kenner der Geschichte des siebenbürgischen Adels, hat mir eine Reihe von Ab- schriften aus Urkunden verschafft, die sich auf die Familie Bolyai beziehen. Er konnte dabei auch Auszüge benutzen, die Wolfgang und Anton Bolyai in den Archiven von Kolozs-Monostor und Karlsburg gemacht hatten. Die eigentlichen Familienpapiere sind nämlich während der Minderjähi-igkeit von Gabriel (Gabor) Bolyai (gestorben 1753) in den Besitz der Grafen Bethlen gelangt, die sie nicht wieder herausgaben. Nach einer Mitteilung des Grafen Alexius Bethlen an Wolfgangs zweiten Sohn Gregor (Gergely) wurden die Papiere in drei Teile geteilt; der Teil, den Alexius Bethlen selbst besaß, ist 1848 bei dem Aufstand der Walachen durch Feuer vernichtet worden, ein anderer Teil war an den in Bethlen selbst wohnenden Zweig der Familie Bethlen gekommen, einen dritten Teil hatte das Minoritenkloster in Klauseuburg erhalten. Da die Besitzansprüche, die den Grund zur Zurückhaltung gegeben hatten, gegenwärtig nicht mehr in Frage kommen, so scheint es nicht aussichtslos, Einsicht in die Papiere zu er- halten. Vielleicht gibt dieser Hinweis Anlaß zu weiteren Nachforschungen über die Familiengeschichte derer v. Bolya.
S. 2, Z. 16 — 11 V. u. Briefwechsel Gauss-Bolyäi, S. 57.
S. 3, Z. 14 — 5 V. u. Aus einem Briefe Wolfgangs an Sartorius von Wal- tershausen in Göttingen vom 13. Juli 1856, Br. G.-B., S. 151. Einen ähnlichen Bericht gibt Johann Bolyai — sicherlich auf Grund von Erzählungen seines Vaters — in der Einleitung zum Beweis des XI. Axioms (1856): „Mit 6 Jahren gelehrig, lebhaft, nicht spielsüchtig; mit 9 Jahren machte, selbstgelernet, augen- blicklich lateinische Verse über jedes gegebene Thema, und der Schullehrer der Poesie gab die Arbeiten seiner Schüler, die drei Klassen vor[aus] waren, ihm zur Korrektur. Auch lernte er zu eben der Zeit, wie es der Professor der helle- nischen Sprache selbst mit Erstaunen erzählte, binnen einer sechswöchentlichen Vakanz Griechisch und 500 Verse aus dem Homer obendrein aviswendig; auch wußte er viel Hebräisch. War ein so starker Kopfrechner, daß er die Quadrat- und Kubikwurzeln aüs einer gegebenen 14-ziffrigen Zahl mit Leichtigkeit auszog und noch mehr Ziffern verlangte. Jedoch war seine ganze mathematische Kennt- nis damals noch so höchst obei-flächlich und bloß mechanisch, daß er nicht ein- mal das wußte, daß man doch von allem einen Grund anzugeben habe."
S. 4, Z. 15—9 V. u., S. 4, Z. 5 v. u. — S. 5, Z. 1. Aus dem Briefe Wolf- gangs an Sartorius von Waltershausen vom 13. Juli 1856, Br. G.-B., S. 151.
S. 4, Z. 13 V. u. Anspielung auf 2. Mos. Kap. 3, Vers 2: „Und der Engel des Herrn erschien ihm [Mose] in einer feurigen Flamme aus dem Busch, und er sähe, daß der Busch von Feuer brannte und ward doch nicht verzehrt."
S. 5, Z. 10 — 12. In der Bibliothek des ev.-ref. Kollegiums in Maros- Väsarhely findet sich auch ein Porträt, das Wolfgang von sich selbst nach dem Spiegel gezeichnet hat; es ist von Bedohäzi (S. 32) wiedergegeben worden.
P. Stäckel: Wolfgang und Johann Bolyai l 14
210 Leben und Schriften der beiden Bolyai
Über Wolfgang als Zeichner und Maler hat Karl Gulyäs in der ungarischen Zeitschi'ift Urania, Budapest 1913, S. 202 — 206, berichtet und eine Nach- bildung einer der Ölskizzen, die ein idealisiertes Familienbild darstellt, bei- gegeben.
S. 5, Z. 17 — 21. Vgl. I. KoNT, Geschichte der ungarischen Literatur, Leip- zig, 1906, S. 147; Friedrich Riedl, Die ungarische Literatur, Die Kultur der Gegenwart, Teil 1, Abteilung IX, Die osteuropäischen Literaturen und die sla- wischen Sprachen, Berlin und Leipzig 1908, S. 289.
S. 5, Z. 10 — 5 V. u. Aus Wolfgangs Autobiographie (1840), Koncz, S. 280. Wolfgang war am 9. März 1832 zum Mitglied der Ungarischen Ge- lehrten Gesellschaft gewählt worden; aus dieser ist später die Ungarische Aka- demie der Wissenschaften hervorgegangen. Auf Drängen des Präsidenten, Grafen Josef Teleki, hat er am 5. Oktober 1840, wie es in der Satzung der Gesellschaft gefordert wurde, einen Bericht über sein Leben eingesendet; dieser ist 1886 von Brassai veröffentlicht und 1887 von Koncz wieder abgedruckt worden. Sehr bezeichnend für Wolfgang ist der Anfang des Berichtes: „Nachdem ich das Absenden meiner Lebensbeschreibung trotz mehrfacher Aufforderungen der Gesellschaft verschoben habe, schreibe ich nun auf Euerer Exzellenz Befehl nie- der, was mir gei-ade in den Sinn kommt. Die Kürze der Zeit möge die Man- gelhaftigkeit entschuldigen; denn ich habe mich vor dem Eintreffen Ihres gestern erhaltenen Briefes für heute zu HeiTn Grafen Adam Bethx,en ver- sprochen, die Pferde sind schon hereingekommen, ich muß mich also nach Beendigung des Briefes sofort auf den Weg machen."
S. 5, Z. 2 V. u. — S. 6, Z. 6. Die Aufzeichnungen Gregors über das Leben seines Vaters hat Szily 1884 herausgegeben; Szily, S. 4.
S. 5, Z. 1 V. u. Mit der Ärtillerieschule ist wohl das k. k. Bonihardier- Corps gemeint, das 1786—1804 in den vorher von der k, k. Ingenieur- Akademie innegehabten Gebäude Oh der Laimgrube untergebracht war, vgl. Gatti, Ge- schichte der k. und k. technischen Militär- Akademie, Bd. II, Wien 1905, S.33 — 100. Seit 1787 war dort Professor matheseos Georg Freiherr v. Vega (1754 — 1802), der als Leutnant im 2. Feld- Artillerie-Regiment sein bekanntes, vielfach auf- gelegtes Lehrbuch Vorlesungen über die Mathematik herauszugeben begann; es erschienen Bd. 1, elementare Arithmetik, Wien 1782, Bd. 2, theoretische und praktische Geometrie, Trigonometrie, höhere Geometrie, Infinitesimalrechnung, Wien 1784, Bd. 3, Mechanik fester Körper, Wien 1788. Eine Ergänzung hierzu bildeten die ebenfalls vielfach aufgelegten Logarithmisch-trigonometri- schen Tafeln, erste Auflage, Wien 1783.
S. 6, Z. 6—10. Aus Wolfgangs Autobiographie (1840), Koncz, S. 275.
Zum II. Kapitel
S. 7, Z. 5—7, 12—21. Aus Wolfgangs Autobiographie (1840), Koncz, S. 275. Fichte hat vom Mai 1794 bis Frühjahr 1799 in Jena gelehrt.
S. 7, Z. 23 — 28. Aus Johanns Einleitung zum Beu-cis des XI. Axioms (1856).
S. 8, Z. 6—7. Aus Wolfgangs Autobiographie (1840), Koncz, S. 276.
S. 8, Z. 8 — 18. Über Seyffer vgl. Stäckel und Engel, Th. d. P., S. 213—215.
S.8, Z. 8 V. u. — S. 9, Z. 3. Aus Johanns Einleitung znm Beweis des XL Axioms (1856); vgl. auch S. 197 des Textes.
Anmerkungen und Nachweisungen. Kap. I— LT, S. 5—11 211
S. 9, Z. 4 — 13. Aus Wolfgangs ÄutoUographie (1840), Koncz, S. 276.
S. 9, Z. 13 — 21. Aus dem Briefe Wolfgangs an Sautoiuus von Waltkiis- HAUSEN vom 13. Juli 1856, Br G.-B., S. 152.
S. 9, Z. 17 — 12 v.u. EscHKNBUHG wurde später Sekretär des Herzogs von Braunschweig; er ist als Eegierungsrat in Detmold gestorben. Ide, wie Gauss ein Braunschweiger von Geburt, den dieser schon auf dem CoUegium Carolinum kenneu gelernt hatte, wurde 1803 als Professor der Mathematik nach Moskau berufen; leider ist er sehr bald dem russischen Klima erlegen. Eichhorn ist in den preußischen Staatsdienst getreten und von 1840 — 1848 Unterriehtsminister gewesen. Brandes wurde zunächst Deichinspektor im Groß- herzogtum Oldenburg und hat später als Professor der Mathematik an den Uni- versitäten Breslau und Leipzig gelehrt; er war ein fruchtbarer Schriftsteller, und sein Name wird später von Gauss mit Achtung genannt.
S. 9, Z. 11—7 V. u. Br. G.-B., S. 100 und 106.
S. 9, Z. 4 V. u. — S. 10, Z. 13. Vgl. Br. G.-B., S. 187—188.
S. 10, Z. 18—27. Br. G.-B., S. 10—11.
S.IO, Z.14v. u. — S.11,Z.2. Br. G.-B.,ii.S2 (Brief vom 11. Sept. 1799).
S. 11, Z. 4—13. Aus Wolfgangs Autobiographie (1840), Koncz, S. 276.
Auf diese Angelegenheit bezieht sich auch ein Brief, den der junge Baron Simon Kemeny am 30. Januar 1799 aus Klausenburg an Wolfgangs Vater Kaspar BoLYAi gerichtet hat. Er ist von P. Szabo im Jahre 1907 veröffentlicht wor- den und lautet in deutscher Übersetzung:
Hochwohlgeborener Herr! Im Juni des jüngst verflossenen Jahres [1798], als ich Göttingen verließ, blieb Ihr Sohn Wolfgang meinem Vorschlage gemäß in Göttingen zurück, das haben gewisse, hier nicht näher zu erklärende Umstände so mit sich gebracht; übrigens mit der Absicht, daß auch er im jüngst verflossenen Herbste [nach Siebenbürgen] herunterkommen solle. Als ich von Göttingen abreiste^ war mein Beutel in einem solchen Zustand, daß es mir völlig unmöglich war, Wolfgang mehr Geld zurückzulassen als so viel, daß er damit bis Ende des letztvergangenen Juli auskommen konnte.
Ich hatte gehofl't, ihm, bis dies Geld ausginge, wieder so viel schicken zu können, daß er im verflossenen Herbste auch damit herunterkommen könnte; in dieser meiner Hoffnung habe ich mich aber getäuscht, und ich konnte durch- aus keine Möglichkeit finden, ihm zu helfen. Ich habe mich auch darauf verlassen, daß er von den Ungarn in Göttingen auf mein Konto so viel Geld bekommen könnte, daß er damit herunterkommen könnte, habe mich aber auch darin getäuscht; er hat nichts bekommen, vielleicht hatten sie selber keines — oder sie wollten ihm keines geben — Quid quid id sit, Wolfgang ist in einer sehr schlechten Lage, er ist seitdem doii; verschuldet und kann sich ohne Hilfe nicht nur nicht rühren, sondern, wenn die Hilfe nicht rasch kommt, so gerät er in die äußerste Not, was um so drückender ist, als nach seinen letzten Briefen auch seine Gesundheit erschüttert ist. Ich war derjenige, der dem Wolf- gang [1796] geraten hat, hinauf zu ziehen, und ich [riet ihnt], dort zurück- zubleiben, und folglich wäre es auch meine Pflicht, ihm zu helfen. Das ist wahr. Aber wenn es nicht geht? Auf meine Ehre kann ich dem Herrn schreiben, daß mein ganzes Geld, über das ich verfüge, aus 20 Rheinischen Gulden, sage zwanzig deutschen Gulden besteht, und daher kann ich nicht helfen. Auch
14*
212 Leben und Schriften der beiden Bolyai
VOD Seiten meines Vaters und der Seinigen ist nichts zu hoffen, weil sie, wie ich merke, es übelnehmen, daß er in Göttingen zurückgeblieben ist. Aber wenn das auch nicht der Fall wäre, der. Herr würde es mir nicht glauben, wenn ich es gleichsam auch schreiben könnte, wie wenig Geld im Hause meines Vaters vorhanden ist; also ist auch von hier nichts zu hoffen, trotz dem großen Be- sitz. Auch zu leihen habe ich überall versucht, jedoch nirgends etwas be- kommen : das mag dem Herren wunderlich erscheinen, es ist aber doch so, und ich kenne auch die. Gründe davon, kann aber nichts darüber schreiben. Limge Limha Bouhij, da meg is nu sfyi vorovL*)
Da die Sache nun so schlecht steht, so glaube ich, daß dem Wolfgang fol- gendermaßen geholfen werden könnte. Der Herr soll mir nämlich 400, d. h. vierhundert deutsche Gulden leihen, zu dem Zwecke, daß ich damit dem Wolfgang aus der Pfütze helfe. Nach höchstens 2, d. h. zwei Jahren zahle ich es dem Herren zurück, und bis dahin zahle ich 6 Prozent, d. h. sechs vom Hundert Zinsen. Dessen aber kann der Herr sicher sein, daß dabei nichts ver- säumt wird, auf meine Ehre gelobe ich das.
Gerne glaube ich es, daß der Herr nicht so viel Geld hat, auch daß der Herr nicht so viel geliehen bekommt, aber es gibt doch ein Mittel zur Hilfe, wenn der Herr es nur will; der Herr hat einen Grundbesitz; verkaufe doch der Herr ein Stück davon, das so viel wert ist. Der Herr wird keinen Schaden davon haben; wenn ich das Geld zurückgebe, so können Sie es zurückkaufen, wenn Sie wollen, und dennoch helfen Sie auch Ihrem Sohne; auch mir erweisen Sie eine große Wohltat. Das Geld kann aber der Herr entweder unmittelbar an Wolf- gang schicken oder mir einhändigen — mir ist das gleich, nur mit dem Unter- schied, daß in dem Falle, wo der Herr das Geld selbst hin ausschickt und daran ein Schaden geschieht, oder es gar ganz verloren geht, bevor es in die Hände von Wolfgang gekommen ist, der Herr den Schaden zu tragen hat, und ich mich nicht als Schuldner betrachten werde ; wenn aber der Herr das Geld in meine Hände niederlegt, so wii'd jeder Schaden, der an dem Gelde nach der Übergabe geschieht, der meinige sein, Ceterum ist die Art, wie das Geld hinaufzuschicken wäre, wenn der Herr selbst es wegschicken will, diese: Man muß das Geld nach Hermannstadt auf die Bank bringen, muß es dort vorzählen und bekommt statt dessen dort eine Quittung über den vorgezählten Betrag; diese Quittung schickt der Herr in einem Missionsbriefe nach Wien an irgend einen Vertrauens- mann; dieser geht mit jener Quittung in die Wiener Bank und bekommt dort statt der Quittung gerade so viel Geld, als der Herr in Hermannstadt einge- zahlt hat, wie viel die dort empfangene Quittung angibt. Dieses Geld trägt dann des Herren Wiener Korrespondent zu einem dortigen Großkaufmann Namens Scheidlinö; der gibt darüber einen kleinen Zettel, in dem er einen Göttinger Kaufmann Namens Axberti beauftragt, daß er das in Rede stehende Geld, näm- lich so viel, wie bei Scheidling eingezahlt wurde, dem Wolfgang auszahlen soll. Diesen Zettel, in einem Missionsbrief verschlossen, schickt jener, der das Geld bei Scheidlimg eingezahlt hat, au Wolfgang nach Göttingen, dieser aber geht mit dem Zettel zu dem genannten Alberti, der ihm dann das Geld a vista auszahlt, jedoch nicht ganz, sondern er ziehtdavon je fünf vom Hundert (manch- mal auch mehr) ab. Das ist die Art des Geldschickens, die dem Heiren zu be- schreiben ich für nötig hielt, für den Fall, daß der Herr selbst das Geld hin- aufschicken will.
*) Rumänisch: Lang ist die Zunge des Rindes, und doch kann es nicht reden.
Anmerkungen und Nachweisungon. Kap. II, S. 11 213
Wenn aber der Herr es mir anvertrauen will, und das Geld sogleich bei der Hand wäre, so bitte ich, es ruhig dem Überbringer dieses Briefes zu über- geben. Jeder nach der Übergabe eintretende Schaden ist der meinige. Wenn aber das Geld jetzt nicht bei der Hand wäre, so überliefern Sie es quanto otius durch einen zuverlässigen Menschen an den Herren Gubernialis Cancellista Paul BoDOU nach Klausenburg. Dieser wohnt in Klausenburg in der inneren Mittel- gasse, wenn man vom Mitteltore hereinkommt rechter Hand, von dem Tore aus gezählt das vierte Haus (indessen das kleine, an die Stadtmauer anbaute Häuschen nicht mitgezählt).*) In der hintersten Stube (auf dem ganzen Grund- stück sind nur zwei Zimmer, und das Haus ist nur einstöckig) [wohnt Paul Bodor]. Diesem kann man das Geld ruhig übergeben; jeder nach Übergabe des Geldes diesem zustoßender Schaden ist der meinige. Jetzt antworte der Herr sine omni mora durch diesen Eilboten, weil dieser unter keinen Umständen warten kann. Später jedoch wollen Sie die Briete, die Sie in dieser Angelegen- heit an mich schreiben, auf dünnes Papier schreiben, dünn versiegeln, einen anderen Umschlag darüber tun und, an den genannten Paul Bodor adressiert, mit der Post nach Klausenburg gehen lassen; so bekomme ich Ihre Briefe prompte et seciire. während sie, unmittelbar an mich gerichtet, sich leicht ver- irren könnten, weil ich jeden Tag wo anders wohne. Ich aber werde die an den Herrn zu richtenden Briefe an die Hermannstädter Post gehen lassen; treffen Sie Fürsorge, daß Sie diese erhalten. —Wenn dem Herrn meine Bitte vielleicht wunderlich oder ungehörig erscheint, so stellen Sie sich Ihren Sohn, und einen solchen Sohn, vor, 200 Meilen von seinem Vaterlande entfernt, ohne Geld, ver- schuldet und ohne Kredit, und, damit das Bild vollständig sei, kränklich; dann werden Sie, wie ich hoffe, aufhören, sich zu wundern, und alles aufbieten, um meine Bitte zu erfüllen. Wenn nur der Herr nicht auch zu dem Heere jener vielen gutherzigen Menschen gehört, die einen bedauern, aber keinen Finger rühren, um zu helfen, und nur, wenn das Unglück schon da ist, wie eine alte Vettel ein halbes Jahrhundert lang sagen: wie schade, daß es so geschehen ist. Deniiiue mag der Herr zusehen; ich habe in dieser so wie in jeder anderen Sache alles getan und werde auch fürderhin alles tun, was ich tun kann und zu tun als meine Pflicht ansehen muß, und sehe in diesem Bewußtsein mit stolzer Ruhe dem Ausgang der Sache entgegen.
Ihr verbundener Diener
Klausenburg, 30. Januarii 1799. Baron Simon Kem:öny mpr.
P. S. Noch suh dato Wien, 9. August 1798 habe ich dem Herrn einen Brief geschrieben und nach Hermannstadt gerichtet; beigeschlossen war ein für den Herrn bestimmter Brief von Wolfgang. Diesen Brief müßte der Herr inzwischen selbstverständlich bekommen haben; wenn nicht, so suchen Sie ihn auf der Hermannstädter Post; praestat sero quam nunquam.
Dieser ganze Brief, mit allem was er enthält, soll so gewiß geheim bleiben, wie es gewiß ist, daß der Herr ein ehrenhafter Mann ist.
*) Vgl. Br. G.-B., S. 44 (Brief vom 11. Nov. 1802), wo Wolfgaug seine Adresse in Klausenburg angibt: Bodok Pdl urnal a helsö közep iitzaban, d. h. bei Herrn Paul Bodor in der inneren Mittelgasse. Diese Briefstelle hat den Ausgangspunkt für die Nachforschungen gebildet, die L. Schlesinger 1902 zur Ermittelung von Johann BoLYAis Geburtshaus in Klausenburg geführt haben, vgl. seinen Bericht: BoLYAi Janas szülöhdzdrol (Über Johann Bolyais Geburtshaus), Math, es Phys. Lapok Bd. 12 (1902), S. 53.
214 Leben und Schriften der beiden Bolyai
Ceternm, sobald ich das Geld selbst oder durch den genannten Bodor er- halte, schicke ich dem HeiTü sofort darüber einen Schuldschein.
S. 11, Z. 13 — 6 V. u. Aus Wolfgangs Autobiographie (1840), Koncz, S. 276.
Zum III. Kapitel
S. 13, Z. 2 — 9, 11—6 V. u. Aus Wolfgangs Autobiographie (1840), Koxcz, S. 277.
S. 13, Z. 5 V. u. — S. 14, Z. 4. Br. G.-B., S. 39.
S. 14, Z. 7 — 17. Aus Bedöhazi, S. 59, 58.
S. 14^ Z. 18—22. Ein Konvolut mit 35 Briefen Wolfgangs an P. Bodor aus den Jahren 1815 — 1826 findet sich im Besitz des Herrn L. Bodor in Klausenburg. Auszüge daraus hat L. Schlesinger in den Mathematikai es Physikai Lapok, Bd. 11 (1902), S. 197 — 230 veröffentlicht und später einige besonders wichtige Stellen in deutscher Übersetzung als Neue Beiträge zur Biographie von Wotfgang und Johann Bolyai^ Bibliotheca math. (3) 4 (1903),'^ S. 260—270 mitgeteilt.
S. 14, Z. 18 — -10 V. u. Aus Johanns Einleitung zum Beweis des XI. Axioms (1856).
S. 14, Z. 10—8 V. u. Koncz, S. 303—304.
S. 14, Z. 4 — 1 v.u. Aus Wolfgangs Autobiographie (1840), Koncz, S. 278.
S. 15, Z. 1- 7, Br. G.-B., S. 39—40.
S. 15, Z. 16 — 17. Dieses Haus ist im Jahre 1902 von L. Schlesinger er- mittelt worden und trägt seit dem 15. Januar 1903 eine Gedächtnistafel; vgl. S. 204 des Textes und die zugehörige Anmerkung, sowie S. 213, Fußnote.
S. 15, Z. 19—22, 26—28. Br. G.-B., S. 49, 57.
S. 15, Z. 22 — 26. L. Schlesinger, Johann Bolyai, Festrede, gehalten bei der von der königl. ungarischen Franz-Josephs-Universität veranstalteten Boljai-Feier am 15. Januar 1903, Jahresbericht der Deutschen Mathe- matiker-Vereinigung, Bd. 12 (1903), S. 165 — 194, vgl. im besonderen S. 167.
S. 15, Z. 7—5 V. u. Br. G.-B., S. 65.
S. 15, Z. 2—1 V. u. Vgl. S. 60 des Textes.
Zum IV. Kapitel
S. 16, Z. 11—20 Br. G.-B., S. 57.
S. 17, Z. 1 — 8. Vgl. J. Koncz, A marosväsärhelyi evang. reform. JcoUegium törtenete (Geschichte des ev. ref. Kollegiums zu Maros - Vasarhely) , Maros- Vasarhely 1896, 774 S. Die einzelnen Abschnitte dieses Werkes sind nach ein- ander 1883 — 1888 und 1894 — 1896 in den Schulnachrichten des Kollegiums erschienen.
S. 17, Z. 16—12 V. u., 5—1 V. u. Br. G.-B., S. 101, 58.
S. 18, Z. 4. Das Verzeichnis ist im Besitz des Hrn. P. Szabo in Budapest.
S. 18, 16 — 19. Genaueres hierüber findet man im VI. Kapitel, S. 44 — 46.
S 18, Z. 20—24, Aus WoUgSings Autobiographie (1840), Koncz, S. 278.
S. 18, Z. 17—11 V. u. Br, G.-B., S. 86.
S. 19, Z. 5—10. Koncz, S. 301.
1
Anmerkungen und Nachweisungen. Kap. II — IV, S. 11—26 215
S. 19, Z. 15 — 31. I. KoNT, Geschichte der ungarischen Literatur, Leipzig 1906, S. 146; vgl. auch das in der Anmerkung zu S. 5, Z. 17—21 angeführte Buch von F. Riedl, S. 286—287.
S. 19, Z. 11 y. u. — S. 20, Z. 2, Alexander Imiie, ä magyar irodalom törtenete (Geschichte der magyarischen Literatur), herausgegeben von Zs. Beötiiy, Bd. II, S.188.
S 20, Z. 9 — 18. Anmerkung in magyarischer Sprache, Tentamen, T. I, S. V, Editio secunda, T. II, S. 405.
S. 20, Z. 10—7 u. V. Br. G-B., S. 40.
S. 20, Z. 3 — -1 V. u. Brief Wolfgangs an Sartorius von Waltershausen, Br. B.-G., S. löS.
S. 21, Z. 1—8. Vgl. die Anmerkung zu S. 5, Z. 17—21.
S. 22, Z. 7 — -11. Eine deutsche Übersetzung des Trauerspiels Banus Bank von A. Dux ist 1858 in Leipzig erschienen; neuerdings ist das Stück im Deut- schen Theater zu Berlin aufgeführt worden.
S. 22, Z. 12 -22. Vgl. das in der Anmerkung zu S. 5, Z. 17—21 an- geführte Buch von F. Riedl, S. 289
S. 22, Z. 12—10 V. u. Br. G.-B., S. 155.
S. 22, Z. 8 — 4 V. u. Der Holzbecher mit der Asche der verbrannten Ent- würfe wird in der Bibliothek des ev.-ref. Kollegiums zu Maros-Väsarhely auf- bewahrt.
S. 22, Z. 8 V. u. — S. 23, Z. 4. Aus Wolfgangs Autobiographie (1840), KoNcz, S. 278.
S. 23, Z. 6—36. BedöhAzi, S. 105—107, 141.
S. 23, Z. IG — 18. Sartorius v. Waltershausen, Gauss zum Gedächtnis, Leipzig 1856, S. 17.
S. 24, Z. 1—4. BedöhIzi, S. 276.
S. 24, Z. 6—25. SziLY, S. 9 — 10. Im Nachlaß Wolfgangs befindet sich ein 5^2 eng beschriebene Bogen starkes Manuskript über Musik, das demnächst im Bd. 22 der Mathematikai es Physik ai Lapok abgedruckt werden wird.
S. 24, Z. 8 — 5 V. u. Einige seiner Ofen-Konstruktionen hat Wolfgangs ehe- maliger Schüler Wolfgang HorvÄth beschrieben; vgl. Bedöhäzi, S. 322 und Schlesinger, Neue Beiträge, S. 264.'
S. 24, Z. 1 V. u. — S. 25, Z. 8. Koncz, S. 313.
S. 25, Z. 9—25. Außer Koncz, S. 298, Bedöhäzi, S. 76, Szn>Y, S. 6 und Schlesinger, Neue Beiträge, S. 264 sind Mitteilungen benutzt worden, die ich Herrn P. SzabÖ in Budapest verdanke.
S. 26, Z. 11 — 27. Bedöhäzi, S. 333 — 334. Dieser bringt auch drei Bildnisse von Wolfgang: als Titelbild die Nachbildung einer Photographie, die Wolfgang auf dem Totenbett darstellt, neben S. 32 das bereits in der Anmer- kung zu S. 5 erwähnte Selbstporträt und neben S. 272 die Wiedergabe eines Ölbildes, das Johann Szabo in Maros-Vasarhely gemalt hatte, als Wolfgang fünfzig Jahre alt war (1835); das Bild ist später an Wolfgangs Sohn Gre- gor gekommen, vgl. Bedöhäzi, S. 333. Eine verbesserte Kopie dieses Bildes befindet sich im Besitz der Ungarischen Akademie der Wissenschaften zu Budapest; eine Nachbildung davon ziert den ersten Band der neuen Ausgabe
216 Leben und Schriften der beiden Bolyai
des Tentamens (1897). Endlich hatte Baron Simon Kemeny seinen Jugend- freund im Jahre 1825 malen lassen; dieses Bild befand sich 1897 im Besitz des Barons Koloman Kemenyi zu Vecse (Bed(>häzi, S. 333); über seinen Ver- bleib hat sich leider nichts ermitteln lassen.
Zum V. Kapitel
S. 27, Z. 11—10 V. u. In der Vorrede zum Tentamen, Ed. sec, T. I, S. 3 sagt Wolfgang (in deutscher Übersetzung): „Die Grundlagen zu diesem Ten- tamen hatte ich, als ein noch unbärtiger Jüngling, gelegt, kaum mit Bruch- stücken der ersten Elemente oberflächlich bekannt, auf eigenen Antrieb, ohne irgend ein anderes Ziel, als daß ich, von innerem Durste nach der Wahrheit geleitet, die Quelle selbst suchte."
S. 27, Z. 6—1 V. u. KoNCz, S. 284.
S. 30, Z. 16—6 T. u. Bedohäzi, S. 267.
S. 30, Z. 4 V. u.— 31. Z. 10. £r. G.-B., S. 115, 316, 117.
S. 31, Z. 11—29. Br. G.-B., S. 123.
S. 31. Z. 14—15. Karl Nagy v. Szopor (1797—1868) hatte Astronomie studiert und war Assistent an der Wiener Sternwarte gewesen. Nach längerem Aufenthalt im Ausland kehrte er in die Heimat zurück und baute sich in Bicske im Stuhlweißenburger Komitat eine Stern wai'te, die er 1848 dem Staate schenkte. Später hat er in Paris gelebt. Seit 1832 war er Mitglied der Unga- rischen Akademie. Er veröffentlichte zunächst in deutscher Spreche Elemente der Arithmologie und Ärithmetographie, zwei Bände, Wien 1835 — 1837. Ihnen folgten die im Text erwähnten Elemente der Algebra in magyarischer Sprache, Wien 1837. Nagy hat auch noch zwei Elementarbücher, Der Meine Beclmer, Wien 1837 und Der Meine G-eometer^ Wien 1838 in seiner Muttersprache her- ausgegeben.
S. 31, Z. 11—3 V. u. Br. G.-B., S. 127.
S. 31, Z. 3 V. u.— S. 32, Z. 11. Über Mentovich vgl. S. 135 des Textes.
S. 32, Z. 1—11. F. Mentovich, Naplötöredelcelc (Tagebuchfragmente) IV in der Nummer vom 30. August 1844 der Zeitschrift Nemzeti Tärsal- kodo, neu herausgegeben von J. Kürschäk, Mathematikai es Physikai Lapok, Bd. 11 (1902), S. 90.
S. 32, Z. 12 — 15. Den Namen Bolyai hatte Gerling schon im Jahre 1832 von Gauss gehört, als dieser ihm einige Zeilen über Johanns Appendix schi-ieb (vgl. S. 72 dieses Teiles). Später hatte er bei Gauss in Göttingen ein Buch von Bolyai gesehen, das jener interessant nannte (Brief an Gauss, vom 18/21. De- zember 1843, Werke, Bd. VIII, S. 234). Als darauf ein paar ungarische Sti- pendiaten aus Maros-Vasarhely nach Marburg kamen, bat Gerling einen davon, ihm die Bücher von Vater und Sohn zu verschaffen, was dieser aber vergaß. Nachdem er vergeblich versucht hatte, die Titel dieser Bücher zu erfahren, ersuchte er am 18/21. Dez. 1843 Gauss um Auskunft. Gauss erfüllte seine Bitte am 4. Febr. 1844 (Werke. Bd. VIII, S. 235) und teilte ihm die aus- führlichen Titel mit. Wie es scheint, hat sich Gerling später wegen der Bücher an Wolfgang selbst gewendet, denn dieser hat ihm nach Bedohäzi im Jahre 1853 ein Exemplar des Tentamens zugeschickt. Gerling bedankte sich zunächst in einem kurzen Briefe, dem er nach anderthalb Jahren ein längeres Schreiben folgen ließ. In diesem Schreiben vom 31. Oktober 1854 heißt es:
Anmerkungen und Nachweisungen. Kap. IV— V, S. 27—35 217
„Meine früheren Beschäftigungen mit der Parallelentheorie erwähne ich nicht, denn schon im Jahre 1810 — 1812 hatte ich bei Gauss, sowie früher 1809 bei J. F. Pf äff, einsehen gelernt, wie alle bisherigen Versuche, das Eu- klidische Axiom zu beweisen, mißlungen waren. Ich hatte dann auch vorläufige Kenntnis von Ihren Arbeiten erhalten, und so schon, als ich zuerst 1820 etwas von meiner Ansicl^t darüber drucken lassen mußte, es genau ebenso geschrie- ben, wie es S. 187 der neuesten Ausgabe noch zu lesen steht."
Gerling meint hier die Bearbeitung des LoRENzschen Grundrisses der MathcmatiTi, die er 1820 besorgt hatte; die im Briefe erwähnte neueste Aus- gabe war 1851 erschienen vgl. Gauss, Werke, Bd. VIII (1900), S. 178 — 179, wo auch die betreffende Stelle aus dem Grundriß abgedruckt ist.
„Wir hatten gegen diese Zeit [1819] hier einen juristischen Professor ScHWEiKAKT, welcher ehemals in Charkow gewesen war, und auf ähnliche Ideen gekommen war, indem er ohne Hilfe des Euklidischen Axioms eine Geometrie, die er Astralgeometrie nannte, in ihren Anfängen entwickelte. Was er mir da- rüber mitteilte, schickte ich Gauss, der dann mitteilte, wie viel weiter man schon auf diesem Wege gekommen und später auch sich über den großen Ge- winn erklärte, der in dem Appendix zu Ihrem Buche den wenigen Sachkennern dargeboten ist."
Über Schweikart vgl. Stäckel und Engel, Th. d. P., S. 243 — 246, so- wie Gauss, Werke Bd. VIII (1900), S. 180—182, über den Brief von Gauss an Gerling in Betreff des Appendix von Johann Bolyai S. 72 dieses Teiles und Gauss, Werke, Bd. VHI (1900), S. 220.
Wolfgang ließ den Brief von Gerling seinem Sohn Johann zukommen, der sich unter dem 20. Januar 1855 dai'über folgendermaßen äußerte: „Gerling ist, wie ich nicht zweifle, ein Gelehrter nach der Mode und vielleicht auch mit einigem Sinn begabt für Dinge, die nach unserem Geiste sind (wovon ich aber in seinem Briefe fast kein Anzeichen sehe); auf alle Fälle schätze ich auch das, nach [dem Maße] der Fähigkeit, auf das Gute hin gerichtete ehrliche Streben und freue mich, wenn von unserem Werke auch nur ein Funke in seine Seele gesprungen ist; überhaupt schätze ich jeden ehrlichen Menschen nach seinem Verdienst. Ettingshausen schätze ich auch als vielverdienten und distingu leisten Mann, obgleich er wohl recht unglücklich, blind und befangen genug ist, um uns nicht würdigen zu können." Die letzten Worte erklären sich daraus, daß das Tentamen sogleich nach dem Erscheinen auch an Ettingshausen nach Wien geschickt worden war, dieser sich aber durchaus absprechend geäußert hatte; auf sein Urteil beziehen sich auch verschiedene Stellen in Johannes nachgelassenen Aufzeichnungen. (Vgl. auch die Anmerkung zu S. 72, Z. 16 — 14 V. u.)
S. 33, Z. 10 V. u. W. R. Hamilton, Preliminary and elementary essay on algebra as fhe science of pure Urne, Transactions of the Royal Irish Academy, vol. 17. Dublin 1.837, S. 299—392 (read. Nov. 4 1833). Über Kants Lehre von der Zeit vgl. auch G. Wallenberg, Wissenschaftliche Bei- lage zum Programm der neunten Realschule, Berlin 1896, sowie A.Voss, über das Wesen der Mathematik, 2. Aufl., Leipzig 1913, S. 33.
S. 34, Z. 16 — 19. H. Hankel, Theorie der komplexen Zahlensysteme^ Leip- zig 1867.
S. 34, Z. 14— 1 V. u. Tentamen, Editio secunda, T. II, S. LVII.
S. 35, Z. 4—21. Tentamen, Ed. sec. T. I, S. 121.
218 Leben und Schriften der beiden Bolyai
S. 35, Z. 15 Y. u. Vgl. EncyMopädle der mathematischen Wissenschaften, Band I, S. 11, Encyclopedie des sciences mathematiques, Tome I, vol. 1, S. 25; vgl. auch A. Voss, Über das Wesen der Mathematik^ 2. Aufl., Leipzig 1913, S. 37 und 39.
S. 37, Z. 15 — 13 V. u. G. Caxtor, tiher unendlich lineare Punktmannig- faltigJceiten, Math. Annalen, Bd. 21 (1883), S. 575; vgl. EncyMopädie der mathematischen Wissenschaften, Bd. I, Teil 1, S. 201.
S. 37, Z. 3 — l-'v. u. Wie das Tentamen im Jahi-e 1886 beurteilt wurde, zeigen die Ausführungen, die Brassai in seiner Gedächtnisrede auf Wolfgang gemacht hat.
„Das Tentamen, eine bewundernswerte Enzyklopädie, — ja, der codex der theoretischen Mathematik, ein festes, solides Gebäude, das auf ausgedehnte und sichere Fundamente gelegt ist, und von dem alle Stücke so ineinander gefügt sind, daß es unmöglich ist, ohne Gefährdung der Sicherheit und der Symmetrie auch nur einen Stein hinwegzunehmen oder hinzuzufügen, — die verkörperte Philosophie der Mathematik, die einzig in ihrer Art ist. . . . Die Anzahl solcher Lehren, Theoreme und Probleme ist nur gering, die es nicht von einer mehr oder weniger neuen Seite beleuchtet, sodaß auch der Sach- verständige des Werk mit Nutzen liest."
„Der Gelehrte sucht in einem solchen Buche zwei Dinge: 1. Kunstgriffe, die bisher ungelöste Aufgaben lösen oder den schwierigen und langen Gang der Lösung vereinfachen, 2. allseitig befriedigende Beantwortung von Fragen, über die man noch in Zweifel ist. Derartige Fragen sind: 1. Die der negativen Zahlen und Größen, die die Bibliothek (so könnte man sagen), welche darüber geschi-ieben worden ist, nicht ins Reine bringen konnte. Den Stein, den Carnot in den Weg rollte, hat noch niemand ganz entfernt. Bolyai unterscheidet das Positive und Negative vom Addendus und Subtrahendus nicht nur begrifflich, sondern auch symbolisch; Dumas hält den absoluten Begriff der negativen Zahl für sinnlos. Die Sache ist von niemand zum Abschluß gebracht worden; Julius König, Professor und Mitglied der Akademie, befaßt sich in seiner vor kurzem herausgegebenen Algebra auf einigen Seiten mit der Besprechung des Begriffes der negativen Größen. — 2. Die Lehre von den imaginären Größen ist auch noch heute unvollkommen, trotz den Auseinandersetzungen von Cauchy, Kerekes, Bolyai und trotz dem Ausdruck transversalis von Gauss, mit dem er den Knoten, wie Alexander den gordischen Knoten, durchhaiien zu haben glaubte. — 3. Jeder Beweis des Satzes, daß eine numerische Gleichung so viele Wurzeln hat, wie der Grad der Gleichung beträgt, bis zu den Riemann- schen Flächen, bezeugt nur, daß die Mathematiker mit den früheren Beweisen nicht zufrieden gewesen sind. — 4. Das wahre Wesen der Differentiale hat auch weder Newtons Fluxion noch LEiBNizens Unendlich-Kleines erklärt, eben- sowenig wie Eulers Nichts und dcnnoclt ettcas, die Derivierte von Lagrange, das zustande kommende und verschwindende Verhältnis und der Begriff" der Grenze. — 5. Endlich ist auch die Lehre von den Parallelen bis auf den heu- tigen Tag nicht ins Reine gebracht."
„Die wissenschaftliche Welt erwartet Aufklärungen über diese schweben- den Fragen und die Entscheidung in strittigen Diugea. Das Tentamen bietet bezüglich jener wenig, bezüglich dieser nichts."
Anmerkungen und Nachweisungen. Kap, V— VI, S. 35—40 219
Zum VI. Kapitel
S. 38, Z. 8—10. Br. G.-B., S. 96.
S. 38, Z. 11 — 3 V. u. Siehe S. 29 des zweiten Teiles dieses Buches.
S. 39, Z. 7. Friedrich Überweg, Die Prinzipien der Geometne, wissen- schaftlich dargestellt, Archiv für Philologie und Pädagogik, ßd. 17 (1851); eine französische Übersetzung dieser Abhandlung hat Delboeuf seinen Prolegomcnes plnlosoplüques de la ge'ome'trie, Lüttich 1860 beigegeben. Vgl. auch W. KiLLiNG, Einführung in die Grundlagen der Geometrie, Bd. 2, Paderborn 1898, S. 204, 358. Ein Vorläufer von Überweg, den dieser auch anführt, ist K. A. Erb, Zur Mathematik und Logik, Vorf^piele zu ihrer Erweiterung und Begründung, Erste Lieferung, Heidelberg 1821. — H. Helmholtz, fjber die tatsächlichen Grundlagen der Geometrie, Verhandlungen des naturhist.- mediz. Vereins zu Heidelberg, IV, 1868, S. 197—202, V, 1869, S. 31 — 32; Über die Tatsachen, die der Geometrie zugrunde liegen, Göttinger Nachrichten, 1868; tfher den Ursprung und Sinn der geometrischen Sätze, in englischer Übersetzung im Mind 1879 veröffentlicht. Alle drei Abhand- lungen sind wieder abgedruckt in den Wissenschaftlichen Abhandlungen Bd. 2, Leipzig 1883, S. 610 — 660. Vgl. hierzu L. Koenigsberger, Hermann v.Hdm- holtz's Untersuchungen über die Grundlagen der Mathematik und Mechanik, Leipzig 1896 sowie W. Killing, Einführung in die Grundlagen der Geometrie, Bd. 2, Paderborn 1898, S. 329, 361.
Auf die Ähnlichkeit der Betrachtungen von Helsiholtz und Wolfgang BoLYAi hat bereits J. Sutäk in der Einleitung zu seiner magyarischen Über- setzung die?, Appendix von Johann Bolyai (1907) hingewiesen (S XIV — XVI).
S. 39, Z. 8 — 7 V. u. Euklid vermeidet die Benutzung der Bewegung, er macht davon nur zum Beweise des ersten Kongruenzsatzes (Buch I, 4) und seiner Umkehning (I, 8) Gebrauch.
S. 40, Z. 18 — 19. Schon bei G. W. Leibniz finden sich Ansätze nach dieser Eichtung, siehe Mathematischen Schriften, herausgegeben von C. J. Ger- hardt, Bd. 5, Halle 1858, S. 183; vgl. auch Max Simon, Euclid und die sechs planimetrischen Bücher, Leipzig 1901, S. 20. Ferner ist zu nennen Fourier Seances des ecoles normales. IP partie, debats, t. 1, (1795) S. 28. Aus, dem 19. Jahrhundert seien hier nur erwähnt: C. A. Grashof, TJieses sphaerolo- giae, qiiae ex sphaerae notione veram rectae lineae sistunt definitionem, Berlin 1806 und desselben Verfassers Abhandlung Über die ersten Begriffe der Geo- metrie, Programm des Karmeliter- Gymnasiums, Cöln 1826, ferner die Geo- metrischen Abhandlungen von N. T. Lobatschefski.t, die F. Engel in deutscher Übersetzung herausgegeben hat, Leipzig 1898, endlich die große Arbeit von M. Pleri, La geometria elementare istituita siille nozioni dt „punto" e ,,sfera^\ Memorie di matematica e fisica della Societa Italiana delle science (detta dei XL), (3) 15 (1908), S. 345—450. Für die Kritik dieser Bestre- bungen vgl. W. Killing, Einführung in die Grundlagen der Geometrie. Bd. 2, Paderborn 1898, 7. Abschnitt, besonders S. 186.
S. 40, Z. 24. D. HiLBERT, Grundlagen der Geometrie, Göttingen 1899, 4. Auflage Leipzig 1913; M. Pasch, Vorlesungen über Neuere Geometrie, Leipzig 1882, 2. Auflage 1912; Peano, Sui fondamenti di geometria, Rivista di Matematica, 4 (1894), S. 51 — 90; F. Schur, Grundlagen der Geometrie, Leipzig 1909.
220 Leben und Schriften der beiden Bolyai
S. 40, Z. 1 — 5 V. u. M. Rethy, Endlich gleiche Flächen, Mathema- tische Annalen, 38 (1891), S. 405, Über endlich gleiche Flächen, ebenda, 42 (1893), S. 297; Zum Beireise des. Hauptsatses über die Endlichgleichheit ziveier ebenen Systeme, ebenda, 45 (1894), S. 471; vgl. auch H. Dobrinek, Be- merkungen zu der Abhandlung des Herrn Bethy über endlich gleiche Flächen, ebenda, 42 (1893), S. 275; Ber Satz: „Congruentes von Congruentem gibt G-lei- ches" in seiner Anwendung auf ebene Flächen, ebenda, S. 285. Weitere Literatur über endlich gleiche Flächen und Raumstücke findet man bei R. Bonola In- dex operum ad geometriam absolutam spectantium, Libellus etc Claudiopoli 190Ö, S. 129-130.
S. 41, Z. 13 — 27. Max Simon, Euklid und die sechs planimetrischen Bücher, Leipzig 1901, S. 34.
S. 41, Z. 11 — 10 Y. u. Vgl. etwa Stäckel und Engel, Die Theorie der Parallellinien von EuMid bis auf Gauß, eine Urkundensammlung zur Vorge- schichte der nichteuklidischen Geometrie, Leipzig 1895, Bonola und Liebmann, Die nichteuldidische Geometrie, historisch-kritische Darstellung ihrer Entwick- lung, Leipzig 1908, sowie F. Enriques, Prinzipien der Geometrie. Encyklopädie der mathematischen Wissenschaften, Band III, Teilband 1, Heft 1, (1907).
S. 41, Z. 1 T. u. — S. 42, Z. 3. F. K. Schweikart, Die Theorie der Parallel- linien, Jena und Leipzig 1807, S. 6.
S. 42, Z. 3 — 5. G. S. Klügel, Conatiium praecipuorum theoriam paral- lelarum demonstrandi recensio, quam publlco examlnl Submittent Abrah. Gott- lielf Kaestner et auctor respondens Georgius Simon Klügel, Göttingen 1763; Ygl. Stäckel und Engel, Th. d. P., S. 140.
S. 42, Z. 13 V. u. — S. 43, Z. 16. Br. G.-B. S. 193—194.
S. 43, Z. 18. G. Sacchbri, Euclides ab omni naevo vindicatus: sive cona- tus geometricus quo stabiliuntur j^rima ipsa universae geometriae principia, Mailand 1730. Das erste, auf die Parallelen theorie bezügliche Buch findet man in deutscher Übersetzung bei Stäckel und Engel, Th. d. P., S. 41 — 136. — J. H. Lambert, Theorie der Parallellinien (aufgesetzt im Sept. 1766), Magazin für die reine und angewandte Mathematik, Bd. 1. (1786), wieder ab- gedruckt bei Stäckel und Engel, Th. d. P, S. 152 — 208.
C. Segre hat in der Abhandlung Congeiture intorno alla Influenza dl Girolamo Saccheri sulle forniazione della geometrla non-cucUdea, Atti della academia delle scienze di Torino, Bd. 38 (1903), S. 535 — 546 die Ver- mutung ausgesprochen, Wolfgang Bolyai habe während seines Aufenthaltes in Göttingen Saccheris Werk entweder gelesen oder doch davon gehört, später habe er von den SACCHERischen Gedanken seinem Sohne Mitteilung gemacht und so sei Saccheri wenigstens mittelbar von Einfluß auf die Entdeckung der absoluten Geometrie durch Johann Bolyai geworden. Positive Gründe für diese Vermutung vermochte Segre, wie er selbst zugibt, nicht beizubringen, vielmehr hielt er genauere Nachforschungen für erforderlich. Wie die Kapitel VI und X dieses Buches zeigen, ist das Ergebnis dieser genaueren Nachforschungen durchaus negativ gewesen; für Johann vgl. auch die Anmerkung zu S. 43, Z. 25 — 28.
S. 43, Z. 20—23. Daß in den Kreisen der Schüler von Gauss die Lam- BERTSche Abhandlung bekannt war, zeigt ein Brief von Bessel an Encke vom 9. Juli 1821, der sich jetzt im Besitz der Berliner Akademie der Wissenschaften
Anmerkungen und Nachweisungen. Kap. VI, S. 40—43 22 1
befindet: dort heißt es: „In Gotha sagten Sie mir etwas von einer Abhandlung Lamberts über die Parallelen; ich habe vergessen, wo diese sich findet, und kann sie, aller Mühe ungeachtet, nicht entdecken. Sie erzeigen mir eine große Gefällig- keit, wenn Sie mir eine nähere Nachricht darüber geben, denn diese Sache fängt an, mich sehr zu interessieren. Vergessen Sie ja nicht, mir hierauf zu antworten." Der Brief Encku8 an Bessel vom 13. Oktober 1821 enthält die gewünschte Auskunft. Nachdem Gauss in einem Briefe an Bessel vom 27. Januar 1829 Andeutungen über seine Untersuchungen in Betreff der Gründe der Geo- metrie gemacht hatte, antwortet dieser am 10. Februar 1829 (Werke, Bd VIII. S. 201): „Durch das, was Lambert gesagt hat, und was Schweikart münd- lich äußerte, ist mir klar geworden, daß unsere Geometrie unvollständig ist, und eine Korrektion erhalten sollte, welche hypothetisch ist, und, wenn die Summe der Winkel des ebenen Dreiecks = ISO** ist, verschwindet." Gauss äußert darauf (Brief vom 9. April 1830, Werke, Bd. VIII, S. 201) seine Freude über die Leichtigkeit, mit der Bessel auf seine Ansichten über die Geometrie eingegangen sei, „zumal da so wenige offenen Sinn dafür haben." Auf Lambert und Schweikart geht er nicht ausdrücklich ein ; Schweikarts Gedanken waren ihm bekannt, weil er im Januar 1819 durch Vermittelung von Gerling eine da- rauf bezügliche Notiz von Schweikart, damals in Marburg, seit 1821 in Königs- berg, erhalten hatte (Werke, Bd. VIII S. 180). Übrigens hat Gauss ein Werk besessen, in dem Saccheri und Lambert erwähnt werden, nämlich J. W. H. Leh- mann, MathematiscTie Abhandlungen betreffend die Begründung und Bearbeitung verschiedener mathematischer Theorieen, nebst Idee eines Systems der Wissen- schaft, Zerbst 1829; vgl. P. Stäckel, Franz Adolph Taurinus, Abhandlun- gen zur Geschichte der Mathematik Heft IX (1899) S. 423—427.
S. 43, Z. 25 — 28. Was Johann Bolyai von der Geschichte der Paral- lelentheorie bekannt war, hat er im Vorwort zur Raumlehre (um 1834) darge- stellt; es unterliegt keinem Zweifel, daß auch Wolfgangs Kenntnisse auf diesem Gebiete nicht weiter gereicht haben als die seines Sohnes. Die Ausführungen Johanns sind so wichtig, daß sie hier wortgetreu mitgeteilt werden sollen.
„Die hier folgende Lehre, wenigstens insofern sie sich auf die Berech- nung der Dreiecl^e und anderer Figuren bezieht, dabei die Grundbegriffe und -Eigenschaften der Ebene und der Geraden ausschließt, erschien in den Grund- zügen bereits zu Anfang des Jahres 1831 in lateinischer Sprache und wurde mit Ausnahme einiger weniger, selbständig gelassener und zum Teile so für sich verschickter Exemplare dem erst gegen Ende von 1833 ganz zustande und heraus gekommenen ersten Bande des Werkes : Tentamen juventuiem stu- diosam etc. Maros Väsarhelyini 1832 angehängt; gegenwärtige Darstellung enthält viele Verfeinerungen und sehr wesentliche, höchst wichtige Zusätze; es wurde nichts versäumt, selbe der höchsten Vollendung möglichst nahe zu bringen. Ist indessen jemand im Stande, hieran noch etwas zu verbessern, so wird es, so wie ihn, auch mich freuen. Im Besitze der Hauptresultate dieser Theorie bin ich bereits seit über 10 Jahre. Übrigens dürften hier noch einige geschichtliche Bemerkungen über diesen Gegenstand am rechten Orte stehen für diejenigen, die sich mit der früheren Behandlung dieser Materie bekannt zu machen wünschen und sich dadurch auf den rechten Standpunkt stellen, woraus das Neue hier von dem bereits Vorhandenen genau unterschieden werden kann. Man muß sich wundern, daß unter der großen Menge zum Teil sehr vortrefflicher Männer, z. B. einLEGENDRE, Euklid selbst, Archimed, keiner den Schlüssel zu dieser Schatz-
222 Leben und Schriften der beiden Bolyai
kammer fand — ungeachtet des eifrigsten Nachforschens. [Lücke in der Hand- schrift] .... noch jene von Clavius oder eigentlich ursprünglich des Arabers Nassir-Eddin, der drei Sätze annahm, etc., welche nait scharfsinnigen Än- derungen auch in des Preiherrn von Hauser Anfangsgründe der Mathematik [1. Teil, Wien 1778] aufgenommen ist. Der berühmte Hausen soll neun Jahre hindurch den Kopf über Euklids XI. Axiom [zerbrochen haben] und war am Ende nicht gar eben weit von dem § 1 [des Appendix] (drei erste Zeilen), welche Idee er aber doch gar nicht klar faßte, viel weniger den Nutzen davon für das zukünftige Gebäude, daß es der einzige Zugang sei, von wo aus man in alle Winkel dieses stockfinsteren Labyrinthes, ohne je zur Rückkehr gezwungen zu sein, komme, glücklich einen endlichen Ausgang zu finden ; [vielmehr hatte er das Mißgeschick] das eine Ende des Fadens zu lösen, welcher sich hierin zu einem gordischen klumpenhaften Knoten verwickelte."
„Der bekannte Robert Simson nahm an, eine etc. Lacroix legte den Satz etc., welcher nur ein einfacherer, besonderer Fall des XI. Axioms ist, zugrunde und leitete daraus mit noch einigen Mängeln die Parallel-Theorie her, übrigens irrig wähnend, jener Satz stelle sich unmittelbar aus der Anschauung der geraden Linie als evident dar (was auch Clavius elegant und gut leistete). Aber einen anderen von Bertrand herrührenden Satz trägt Lacroix in der Anmerkung zu seinem Grundsatz vor, der der erste seiner Art (außer bis zum Tentamen) war und den Lacroix für vollkommen hält. Wenn das ist, welch' schwache Einsicht verrät es in die Materie, daß er es gleichsam nur nebenbei nach- träglich hinwirft, nachdem er seine Theorie auf eine prekäre Annahme ge- baut hat."
„Der große Leoendre lieferte nebst einem so schlechten älteren Beweis, daß man sich nicht genug darüber wundern muß, von einem so scharfsinnigen Kopfe so etwas entsprungen zu finden, einen eleganten Beweis des Satzes etc., aber an dem Beweise, daß etc., scheiterte sein Schiff."
„Proclus, Hauff, Bossut, Kircher, Schmidt, Schwab, Tacquet, Karsten, HiNDENBURG, unlängst Bürger leisteten hierin, die Wahrheit freimütig und um ihrer selbst willen herausgesagt, so gut wie Nichts. Daß, unter einer Menge anderer alter Geometer der älteren und ältesten Zeiten, auch Euklid selbst seine Kräfte hieran nicht unversucht ließ und er sich damit in der Tat geplagt haben müsse, erhellt wohl sattsam daraus, daß er den Satz in verschiedenen Ausgaben der Elemente bald unter die Grundsätze, bald (in den alten Hand- schriften) unter die Forderungen stellte, zum hinlänglich deutlichen Beweise, daß er selbst nicht recht wußte, wie er ihn behandeln und taufen solle. Zu- dem kann man ohne dies kaum umhin, einer solchen Strenge und einem sol- chen Geiste, als bei ihm herrscht, nicht zuzumuten, daß er ihn erst da (nach fruchtlos angestellten Versuchen), wo er sich unvermögend fühlte, einen Beweis davon zu finden, also notgedrungen beweislos dahinstellte und ihm hier und dort den schicklichsten Namen und Platz suchte."
„Archimeds Versuch soll verloren gegangen sein, was gar höchlich zu be- dauern ist, indem es wohl jedem Geometer, der den Kopf in Ordnung und das Herz auf dem rechten Fleck hat und mit der Geschichte der Wissenschaft ge- hörig bewandert ist, mehr als alle übrigen Versuche interessant sein müßte zu erfahren, was der große griechische Hellseher in dieser so delikaten Materie leistete. Denn beweisen können hat er ihn nicht; dies ist nunmehr ausgemaelit, weil es dazu keinen Beweis gibt. Und andererseits setzt man wohl auch von
Anmerkungen und Nachweisungen. Kap. VI, S. 43 — 46 223
Archimedes nicht leicht und gern voraus, daß er einen fehlerhaften Beweis für vollendet ausgegeben hätte. Er mag es, denn das ist mir am wahrschein- lichsten, höchstens so weit gebracht haben als P[ater], obgleich ich überzeugt bin, daß seine Darstellungen mehr destilliert, einfacher und eleganter waren. Endlich will ich unter der großen Menge der Prätendenten in den neuesten und gegenwärtigen Zeiten weiter unten nur noch einen nennen."
„In diesem Zustande, das ist noch in einem sehr wenig kultivierten Zu- stande, befand sich das XI. Axiom, denn man kann mit vollem Recht behaupten, bei aller Menge der diesfälligen Versuche, die den Scharfsinn der vortrefilich- sten Geometer, bei dem rastlosesten Eifer, während des Verlaufes von wenig- stens 2100 Jahren so vergeblich in Anspruch genommen haben, wurde doch nicht ein einsiger eigentliclier^ gegen das Ziel näher führender ScIiriU getan, — als ich, durch die ganz eigene VortrefiFlichkeit und hohe Wichtigkeit der Auf- gabe gereizt, den verzweifelten, von vielen vielleicht tollkühn genannt werden- den Schritt wagte, es sei wie es will, mein Möglichstes hierin zu tun, danach zu streben, so weit es in meinem Kräften stände, indem ich dafür hielt, das man der Xatur keinen Zwang antun, die Natur nach keinen phantastisch ge- bildeten Hirngespinsten modeln, sondern vernünftiger und natürlicher Weise eben die Wahrheit oder Natur selbst sehen wollen muß, und daß man zufrieden sein müsse mit der bestmöglichen Darstellung."
Die geschichtlichen Angaben Johanns entstammen zum größten TAI einer Schrift von Job. Jos. Ign. Hoffmann, Kritilc der Parallelen-Theorie, Jena 1807, die Johann in einer an den Erzherzog Johann gerichteten Eingabe vom Jahre 1832 erwähnt; vgl. S. 231. Außerdem kannte er das Buch von Bükoek, Von- ständig eriviesene von den ältesten Zeiten bis jetzt noch unberichtigt gewesene Theorie der Parallellinien, Heidelberg 1833.
S. 43, Z. 9 v.u. — S. 44, Z. 10. Br. G.-B., S. 65. Wolfgangs Göttingische Parallelentheorie ist zuerst von Stäckel und Enoel in den Mathematischen Annalen, Bd. 49 (1897), S. 168 — 205 zusammen mit einer deutschen Über- setzung veröffentlicht worden. Ein zweiter Abdruck der Theoria Parallelaram findet sich Br. G.-B. S. 67 — 74. Endlich eröffnet eine deutsche Übersetzung den zweiten Teil dieses Buches, S. 5 — 15.
S. 44, Z. 17 — S. 45, Z. 7 v. u. Br. G.-B., S. 81—83.
S. 45, Z. 6 V. u. — S'. 46, Z. 16. Br. G.-B., S. 85—86.
S. 46, Z. 20— 32. Br. G.-B., S. 96. Bei der Herausgabe des Briefwechsels zwischen Gauss und Wolfgang Bolyai (1899) hatte ich der Theoria ParaMe- larivm (S.67 — 74) sogleich das Supplementum ad Tlieoriam parallelarum folgen lassen (S. 75 — 78), weil die im Gauss -Archiv aufbewahrten Originale diese Reihenfolge aufweisen. Schon damals hatte ich jedoch (Anmerkung, S. 190) es als auffallend bezeichnet, daß Gauss in seinem Briefe vom 25. November 1804 auf das Supplementum mit keinem Worte eingehe, weil dieses genau an der Stelle der Theoria Parallelarum einsetzt, die Gauss mit Recht bemängelt. Dazu kommt, daß Wolfgang jedenfalls am 27. Dezember 1808 (S. 96) einen Beweis- versuch an Gauss geschickt hat; bei der großen Sorgfalt, mit der Gauss die Briefe seines Jugendfreundes verwahrte, ist es höchst unwahrscheinlich, daß gerade dieses einzige Stück daraus verloren gegangen sein sollte. Ein weiterer Grund, auf die TJteoria Parallelarum sogleich das Supplementum folgen zu lassen, hatte für mich darin bestanden, daß Wolfgang in dem Briefe vom 18. Dezember 1807 (S. 85) schreibt, „obwohl Du mir nicht direkt auf das
224 Leben und Schriften der beiden Bolyai
geantwortet hast, wo ich einen sonderbaren Anstoß fand" und nun das Axiom des IntervaUes folgen läßt, auf das er, freilich ohne das Axiom ausdrücklich auszusprechen, den Beweisversuch im Supplementum gründet. Jedoch findet sich in der Theoria Parallelarmn selbst eine Stelle, auf die sich der „sonder- bare Anstoß" beziehen läßt, denn dort heißt es (Zweiter Teil dieses Buches S. 9, 3. Absatz): „Mithin wii-d K niemals in das Innere von II gelangen können; denn es ist unmöglich, daß der Zwischenraum verschwindet, weil eine Größe nicht verschwinden kann, die, wenn sie auch einmal abnehmen sollte, doch immer, bevor sie erschöpft wird, zu derselben Konstanten oder einer noch beträchtlicheren Größe wieder hergestellt wird."
S. 47, Z. 1 1 — 13. Hessling, Yersuch einer Theorie der Parallelen. Halle a. S., 1818, S. XXX, erzählt, Pfaff habe gemeint, das einzige, was sich noch tun ließe, sei, das Parallelenaxiom durch ein einfacheres zu ersetzen, es zu ,. sim- plifizieren"; vgl. Stäckel und Engel, Th. d. P., S. 215 und die Anmerkung zu S. 32, Z. 12 — 15. Diese Äußerung Pfaffs ist insofern von Bedeutung, als der zweite Aufenthalt GAussens in Helmstedt (Dezember 1799 bis Ostern 1800, wo er als Hausgenosse von Pfaff viel mit diesem verkehrte) unmittelbar auf die Zeit folgt, wo Gauss sich eifrig mit den Gründen der Geometrie beschäftigte; auch ist sein Brief an Wolfgang vom 16. Dezember 1799 (vgl. S. 42 dieses Teiles) in Helmstedt geschrieben.
S.^'47, Z. 18 — 21. Man vergleiche hierzu auch Wolfgangs Äußerungen in dem Brief an Johann vom 4. April 1820, S. 78 — 79 des Textes.
S. 47, Z. 20 — 14 V. u. Über die Axiome der Ähnlichkeit vgl. Stäckel und Engel, Th. d. R, S. 19; dort findet man auch S. 21 — 30, den Beweis der fünften Forderung Euklids von Wallis (1663) in deutscher Übersetzung.
S. 47, Z. 10 — 6 V. u. Lobatschefskij, Neue Anfangsgründe (1835), siehe Engel, S. 76.
S. 48, Z. 5 — 7. Vgl. den Brief Wolfgangs an Johann vom 4. April 1820, S. 77, Absatz 3 dieses Teiles. Am Schlüsse des Briefes, , also hinter der Stelle S. 79, Zeile 5, hat Wolfgang die in Aussicht gestellte ausführlichere Mit- teilung über sein Axiom gegeben, die hier folgen möge.
„Du hast hier das nichts werte Axiom, das ich für Kinder erdacht habe. Davon kommt es per se leicht heraus. Auf dein Verlangen schreibe ich es ab, weil es auch sonst wenig Raum einnimmt. Es handelt sich um die eadem internorum summa aliter partita. Ich schreibe es aus meinem Werke [ab]".
„Nota bene: unter einem jeden Winkel soll verstanden werden: derjenige Teil des planum inßiitum, der zwischen den in infinitum erstreckten Schenkeln des Winkels liegt. Die Schenkel sollen ebenso genommen werden".
„Si V non eapiaf angidum y, nee v -\- x capit angidum y -\- x. Dieses angenommen, ist das übrige leicht. Man sieht hier [Fig. 20aj, daß der linke Schenkel [des Winkels ic] von y so viel Neigung hat, wie der linke Schenkel [des Winkels x^ vom v sich abneigt. Aber alles dieses ist Nichts per se "
„Wenn ich dies zeigen könnte : wenn auch der linke Schenkel von y sich w-mal so viel drehen würde um seine Vertex nach BA als der linke Schenkel TOn V um A vom AB aufwärts, wo n eine beliebig große, nur bestimmte Zahl sein kann, so hätte ich meinen Prozeß gewonnen. Aber dieses alles ist un- möglich."
Anmerkungen und Nadiweisungen. Kap. VI, S. 47 — 41) 225
„Aus dem obigen « Nichts > folgt die leichte demonslratio.^'^ „I. Si w non capit angulnm a [Fig. 20b], tum BH secat AC. Nam tum ß habet aliquod punctum non in w cadens, hoc aut m BH ultra H cadit (et
Flg. 19 a. -" -"• Fig. 20 b. ""
tum patet), aut supra AG in p, et tum pB transit per AC^ adeoque et BH (inter AB et p B situm) transit per -4C."
„IL Si ad quantumvis redam AB [Fig. 21] ponantnr interni u et v.AF d BG conctirrent, si u -{- v <i 2B. — Nam ponatur ad verticem B [Fig. 22] angulus V penes u-^ quod remanet, dicatur y^ e quovis puncto cruris dextri anguli {%i -\- v) ducatur recta AC, et ad verticem A deponatur ad sinistram angulus V penes s. Tum z non capit angulum «/, quia per constructionem duo crura se mutuo secant; adeoque q extra z cadit; itaque (per Axioma dictum) nee {z + v) capit angulum (jj ■\- v\ itaque AH et BH se mutuo secant.
I G
AB ^
Fig. 21. Fig. 22.
Quoniam autem (2 + v) > i-, sit KAB = v, tum K' erit commune cruribus angulorum t? et w ad extrema rectae AB positorum; adeoque crura illa se mutuo secant."
S. 48, Z. 4 — 3 V. u. L. Bertrand, Developpement nouveau de la partie clementaire des matJiematiques, Genf 1778, T. II, S. 19flg; die betreffenden Ausführungen sind abgedruckt bei Engel, S. 451 — 453. — A. M. Legendrk, Reflexions sur differentes manieres de demontrer la the'orie des paralleles, Me- moires de Tacademie des sciences, T. 12, Paris 1833, S. 397 — 399. Für die weitere Literatur vgl. Stäckel und Engel, Th. d. P., S. 231. Dazu kommt noch E. Knorr, Versuch einer Barstellung der Elemente der Geometrie, Kiew 1849, S. 33, über den Engel, S. 440—441 berichtet hat. Endlich sei noch angeführt Ct. Hessenberg, Grundhegriffe der Mengenlehre, Göttingen 1906, Kap I, § 1: Das Pai-adoxon der Winkelvergleichung.
S. 48, Z. 3 V. u. — S. 49, Z. 19. Lobatschefskij, Neue Anfangsgründe; siehe Engel, S. 71 — 76.
S. 49, Z. 5 V. u. — S. 50, Z. 3. Vgl. P. Stackel, Friedrich Lud/rig Wächter, ein Beitrag zur Geschichte der nicht eiiUidischen Geometrie, Mathematische .Arnalen, Bd. 54 (1901), S. 49; in dieser Abhandlung wird auch eine deutsche Übersetzung von Wächters seltener Schrift: Demonstratio axiomatis in Euclideis undecimi, Danzig 1817, mitgeteilt.
P. stäckel: Wolfgang und Johann Bolyai I 15
226 Leben und Schriften der beiden Bolyai
S. 50, Z. 17 — 14 V. u. J. Frischauf, Absolute Geometrie nach Johann BoLTAi. Leipzig 1872, S. 91. Der Ausnahmefall, daß die drei Punkte in einer geraden Linie liegen, kann beseitigt werden, wenn man dem Axiom die Form gibt: Sind irgend tvelche drei PtmJcte im Baume gegeben, so ist es stets möglich, durch zwei (geeignet zu ivählende) dieser Punkte eine Kugel zu legen, innerhalb deren der dritte PunJct liegt (Mitteilung von J. Kürschak).
Zum VII. Kapitel
S. 51, Z. 11 — 18. Aus der Einleitung zum Beweis des XI. Axioms (1856).
S. 51, Z. 18—34. Br. G.-B., S. 86.
S. 52, Z. 2—8. Br. G.-B., S. 49, 86.
S. 52, Z. 9 — 10. Aus der Einleitung zum Beweis des XI. Axioms (1856): ,,und liebte besonders, nebst feurigem Lernen, wenn ich mich darüber machte, . . namentlich aifengeschicktes Klettern, besonders nach Vogelnestern, Ball-, Ver- stecken-Spielen, dann Ziegelstücke nach geometrischen Figuren schleifen; später Damen [brett]-, Schach-, Violin- und in einer Periode Kartenspiel".
S. 52, Z. 18 — 25. Aus der Einleitung zum Beweis des XI. Axioms (1856). Die genannten Werke sind genauer:
L. Euler, Vollständige Anleitung zur Algebra, 2 Bde, St. Petersburg 1770; Johann hat den ganzen ersten Band und den ersten Abschnitt des zweiten Bandes durchgearbeitet, es fehlte nur der zweite Abschnitt des zweiten Bandes, der von der „unbestimmten Analytic" handelt.
Georg Freiherr v. Vega, Vorlesungen über Mathematik zum Gebrauch des k. k. Artilleriecoi-ps, 4 Bde, Wien 1786 — 1802, vielfach aufgelegt; vgl. die An- merkung zu S. 5, Z. 1 V. u.
K. S. DöTTLER, Professor an der Universität Wien, Elementa physicae mathematico-experimentalis, Viennae 1812.
S. 52, Z. 9 V. u. — S. 53, Z. 6. Br. G.-B., S. 99.
S. 53, Z. 16—24. SziLY, S. 33.
S. 53, Z. 9 — 7 V. u. Die lateinische Prüfungsarbeit, die sich im Besitz des Herrn P. Szabö (Budapest) befindet, lautet folgendermaßen.
„Inetintis aetas adolescentiae imprimis notatu digna. Tum si viam ingressus sis rectam, longe profecto in virtutis curriculo progredieris, licet vita brevis sit. Sin autem a via recta aberraris, et aliquamdiu procul vagatus sis scopo, mox cum erroris conscius fueris, viam rectam non nisi quaesivisse magna constabit industriä, atque nee summo studio multa assequi potueris. Magnis fortunae adfectus muneribus adulecsentulus afui, qui providi dei gratiä parentibus edu- catoribusque usus viam rectam ei jam initio ostendentibus, niulto tamen ma- joribus, horum praeceptis observantiam tribuens et recta titubasse cavens via. Themistoclem minime tam fortunatum fuisse a Nepote traditum, quippe qui peradulescentulus et liberius vixit, et magis sui judicii fuit, atque a patre pro- batus fuisset: contra ea mature ad Sanitätern rediisse videtur, vitiaque magnis emendasse virtutibus; tantusque post vir evasit, ut aetate primus sua omuium respectu prudentiae Grajüm poneretur. Quantus fieri vir talis potuisset; nusquam si a via recta deerrasset: tum forte amore studioque justitiae aequitatisque laudis Aristidis sive Epaminondae compos fuisset. Praecipue itaque conandum: a virtute nee minimum aben-are."
Anmerkungen und Nachweisungen. Kap. VI— VIII, S. 00—65 227
S. 54, Z. 17—14 V. u. Br. G.-B., S. 86—87.
S. 55, Z. 10 — 12. Als Graf Samuel Teleki im Jahre 1822 starb, er- sparten seine Kinder durch Vereinfachung des sonst üblichen Pompes beim Begräbnis ihres Vaters 2000 Gulden, die sie Wolfgang zukommen ließen. Nach dem Tode des Barons Simon Kemiiiny (1826) übersandte dessen Frau Wolfgang sechs Schuldbriefe, „auf den Wunsch des verstorbenen lieben Simon, und wenn ich deren noch mehr finden sollte, schicke ich auch diese zurück." Auch bei der Herausgabe des Tentamens haben die Familien Tet.eki und Kbmöny wesent- lich mitgeholfen.
S. 55, Z. 14 — 16. Schlesinger, Neue Beiträge, S. 261.
S. 55, Z. 16 V. u. — S. 56, Z. 2. Br. G.-B., S. 99—100.
S. 56, Z. 6 — 17. Bedöhäzi, S. 192. Die Kinder von Gauss waren: Aus erster Ehe mit Johanne Osthof (gestorben den 11. Oktober 1809) Joseph geb. den 21. Aug. 1806, Minna, geb. 29. Febr. 1808; aus zweiter Ehe mit Minna Waldeck Eugen, geb. 29. Juli 1811, Karl Wilhelm, geb. 23. Okt. 1813, Therese, geb. 19. Juni 1816.
S. 56, Z. 20—23. Schlesinger, Festrede, S. 169.
S. 56, Z. 17 V. u. — S. 57, Z. 9. Aus der Einleitung zum Beweis des XL Axioms (1856).
S. 5 7, Z. 1 6 — 8 T. u. Aus der Einleitung zum Beweis des XI. Axioms (1856).
S. 58, Z. 9. Matthias Freiherr v. Hauser (1741 — 1816), Analytische Abhandlung der Anfangsgründe der Mathematik in di-ei Teilen, Wien 1778 — 1786, 2. Aufl. 1816—1823. Häuser war 1774 bis 1804 Lehrer der Mathe- matik an der k. k. Ingenieur-Akademie zu Wien.
S. 58, Z. 10 — S. 59, Z. 2. Szily, S. 33.
S. 59, Z. 20 V. u. — S. 60, Z. 20. Schlesinger, Neue Beiträge, S. 263, 266, 265 — 267. Das S. 60, Z. 18 erwähnte Jugendbild von Johann hat dieser selbst, wie mir Koncz erzählte, bei einer der Streitigkeiten mit seinem Vater in einem Wutanfall zerstört. Ein Miniaturbild Johanns auf Porzellan befand sich im Besitz seines Sohnes Dionys, es ist jedoch durch dessen Kinder, die damit spielten, unkenntlich gemacht worden. So kommt es, daß kein Bildnis von Johann Bolyai aufzufinden ist.
Zum Vm. Kapitel
Als Quellen für dieses Kapitel haben hauptsächlich gedient die Geschichte der k. und k. Tecknischen Militär alcademie von Friedrich Gatti, Wien 1901, besonders der erste Band: Geschichte der k. k. Ingenieur- und k. k. Genie- Aka- demie 1717 — 1869, und die Abhandlung von P. Szabo, Bolyai Jdnos ifjusäga (Johan BoLYAis Jugend), Mathematikai es physikaiLapok, Bd. 19 (1910), S. 135—164.
S. 63, Z. 17 — 22. Johann, Erzherzog von Österreich, geboren den 20. Jan. 1782 zu Florenz, gestorben den 11. Mai 1859 zu Graz, ist durch seine Teilnahme an den Kriegen Österreichs gegen Napoleon ( 1800 — 1810) bekannt. Durch Be- schluß der Frankfurter Reichsversammlung vom 27. Juni 1848 wurde er zum Eeichsverweser ernannt, trat aber schon am 20. Dezember 1849 ins Privat- leben zurück.
S. 65, Z. 14—32. Szily, S. 33—34.
15*
228 Leben und Schriften der beiden Boltai
S. 65, Z. 8 V. u. — S. 66, Z. 3 und Z. 12—24. Schlesinger, Neue Bei- träge, S. 264 und 265.
S. 67, Z. 11 — 13. M. Lenckeu, Anleiiung zur mathematischen Erdbe- schreibung, zur Zeichnung von Land- und Seekarten. Wien 1818.
S. 67, Z. 2—1 V. u. Schlesinger, Neue Beiträge, S. 262.
S. 68, 1. Z. V. u. „Tyrannischer Gedanke" vgl. Wolfgangs Brief an Johann vom 4. April 1820, S. 82, Z. 9 v. u.
Zum IX. Kapitel
S. 69, Z. 8 V. u. — S. 70, Z. 2. Schlesinger, Neue Beiträge, S. 268—269.
S. 69, Z. 5 V. u. In der Einleitung zum Beweis des XI. Axioms (1856) be- richtet Johann: „. . . später Damen[brett]-, Schach-, Violin- und in einer Periode Kartenspiel; nie Tabak geraucht, nie Weintrinker, Kaffee — Früh- stück ausgenommen — selten."
S. 70, Z. 11 — 12. Gregor (Gergely) besuchte zunächst das ev.-ref. Kolle- gium zu Maros-Väsäx'hely. Später übernahm er das Familiengut zu Bolya, das durch den Tod seines Onkels Anton (1845) an Wolfgang gefallen war. Dort ist er 26. August 1890 gestorben. Gregors einziger Nachkomme, sein Sohn Kaspar, lebt in Szekelyndvarhely.
S. 70, Z. 15 — 19. Die endgiltige Auseinandersetzung über das mütter- liche Erbe Johanns hat erst am 1. April 1828 stattgefunden.
S. 70, Z. 20—22. Schlesinger, Neue Beiträge, S. 269.
S. 70, Z. 19 — 10 V. u. Franz Schmidt, Aus dem Leben zweier ungarischer MathematiJcer, Archiv der Math. u. Physik, Bd. 48 (1868), S. 220; über Schmidt vgl. auch S. 199 — 202 des Textes und die zugehörigen Anmerkungen.
S. 71, Z. 14, 16 — 18. Aus dem Vorwort zur Baumlehre (um 1834).
S. 71, Z. 22. Tentamen, Ed. sec. T. II, S. 416.
S. 71, Z. 16 — 7 V. u. Aus dem Vorwort zur Baumlehre (um 1834). In der Einleitung zum Beweis des XL Axioms (1856) hat Johann einen ähnlichen Bericht gegeben: „. . . worauf ich ihm sagte, daß er meine Arbeit verdamme, ohne sie zu verstehen, und [er] sagte, er brauche mich samt derselben nicht. Worauf ich ihm sagte, über den Wert können wir auf diese Art nicht ent- scheiden; allein ich will einen nennen, den ich als kompetenten Richter an- erkenne, und wage es zu versprechen, mich an dessen Ausspruch darüber un- bedingt zu halten (weil ich Gauss's Geist kennend schon im voraus gewiß war, er könne darüber unmöglich ein nachteiliges Urteil fällen). Dieser Mann ist Gauss. Er [der Vater] schickte nun . . ."
S. 72, Z. 4. Zwischen absoluter und nichteulclidischer Geometrie wird nicht immer scharf unterschieden. Hier soll (im Sinne von Johann Bolyai) unter absoluter Geometrie das System der Geometrie verstanden werden, das von der Wahrheit oder Falschheit des Parallelenaxioms unabhängig ist, sodaß also die euklidische Geometrie (27 bei Johann) als besonderer Fall unter der abso- luten Geometrie enthalten ist. Dagegen wird als nichteuklidisch ein System der Geometrie bezeichnet werden, das sich bei der Annahme der Falschheit des Euklidischen Parallelenaxioms ergibt, sodaß (im Sinne von Johann Bolyai, vgl. z. B. S. 257, Z. 3 v. u.) hierbei der Wert i = oo ausgeschlossen ist. Vgl. auch den hiermit übereinstimmenden Gebrauch des Wortes uichteuklidisch bei Engel, S. 160 dieses Teiles.
Anmerkimgen und Nachweisungen. Kap. VIII — IX, S. 65 — IH 229
S. 72, Z. 3—13. Gauss Werke, Bd. VIII (1900), S. 220.
S. 72, Z. 18 — 14 V. u. Das Tcntamen und somit auch der Appendix war zum Beispiel nach Wien an die dortigen Professoren Littkow und Ettengs- HAUSEN gesandt worden. Von Littrow sagt Johann in der AllheiUehre, er habe den Appendix nicht begreifen und würdigen können, indem so etwas sein leicht fertiges Fassungsvermögen überstieg, und über Ettingshausen äußert er sich in einem Brief an seinen Vater vom 20. Januar 1855: „Ettingshausen schätze ich auch als vielverdienten und distinguiex-ten Mann, obgleich er wohl recht unglücklich, blind und befangen genug ist, um uns nicht würdigen zu können." Vgl. auch die Anmerkung zu S. 32, Z. 12 — 15, letzter Absatz.
S. 72, Z. 11—4 V. u. Schlesinger, Festrede, S.. 182.
S. 73, Z. 1. Ein Entwurf dieser Bittschrift, datiert Lemberg, den 3. Mai 1832, befindet sich im Besitz von Herrn P. Szabo (Budapest). Dieser hat mir eine Abschrift des wichtigen Schriftstücks zur Verfügung gestellt, die ich hier abdrucke. Die in geschweifte Klammern { } eingeschlossenen Worte sind von Johann selbst eingeklammert worden; sie sollten wohl in der Eingabe selbst gestrichen werden.
„Euere Kaiserliche Hoheit!" „Durchlauchtigster Erzherzog, Gnädigster Heri', Herr!"
„Der in tiefester Untertänigkeit Gefertigte hat früher, in dienstfreien Stunden, Untersuchungen über verschiedene, ebenso wichtige, als bisher gar nicht oder doch nicht gehörig bearbeitete Gegenstände aus dem Gebiete der Mathematik — er glaubt es — mit Erfolg angestellt. Selbe wünscht er nun sehnlichst vollends auszuarbeiten, und, in der seit jeher heiß gehegten Absicht, gute Sachen allgemein nützig zu machen, dem Drucke zu überliefern, und so- mit vor Untergang zu sichern."
„So schwierige Gegenstände können jedoch, besonders bei einem so schwäch- lichen Gesundheitszustande, als sich Gefertigter schon seit längerer Zeit be- findet*), nur durch ungeteilte Verwendung der Geisteskräfte hervorgebracht werden."
„In der vollkommensten Überzeugung, daß die gute Sache stets Euerer K. H. höchster Berücksichtigung sich erfreuen darf, wagt er demnach in tiefster Ehrfurcht, Höchstdemselben die allergehorsamste Bitte vorzutragen: ihn Be- hufs des oben angeführten auf drei Jahre von den eigentlichen kurrenten Dienst- geschäfteu gnädigst entfernen und nach Hermannstadt in die heimatliche Luft [zu] befehligen zu geruhen und zugleich [zu] genehmigen, in Maros-Väsarhely bei seinem Vater mit einem dreimonatlichen Urlaube verbleiben zu dürfen, um dort jene persönliche Erholung, jene geistige Ruhe und Muße zu erhalten, wodurch allein er seinen obausgesprochenen Zweck zu erreichen {und der Menschheit den möglichst großen Dienst zu leisten } imstande ist { worein er so sehr sein höchstes Glück setzt, daß er seinen eigenen Wert einzig nach der Fähigkeit bemißt und sich selbst stets nur in dem Maße schätzt, als er zu seiner eigenen Veredelung und somit zur Ausbildung des ganzen [Menschen-jGeschlechts bei- zutragen Kraft in sich fühlt}".
*) Verbesserung; „. . . als Gefertigter [bei seinem] durch anhaltende, in Lemberg überstandene nerveuse Übel sehr geschwächten Zustande das Schlimmste für seine Gesundheit besorgen muß."
230 Leben und Schriften der beiden Boltai
„Wobei jedoch für den Fall eines plötzlich ausbrechenden Krieges die höchste Gnade er sich untertänigst erbäte, sogleich auch dazu kommandiert zu werden."
„Zur höchsten Würdigung fügt er folgende Bemerkungen bei."
„1. Bürgt beiliegende kleine Schrift dafür, daß seine Bemühungen auch selbst bei ganz außerordentlichen und bisher allgemein für unüher icindhar ge- haltenen Schtvierigkeiten nicht immer fruchtlos bleiben. Wie Herr Hofrat Ritter von Gauss — allbekanntlich einer der kolossalsten Geister aller Zeiten, der größte jetzt lebende Mathematiker, zugleich aber auch ein eben so strenger als einsichtsvoller und mit Belobungen äußerst sparsamer Rezensent — sich über dieselbe Schrift äußert, möge hochgnädigst aus beiliegendem Auszuge seines an den Vater des untertänigst Gefertigten gerichteten Schreibens entnommen werden."
„Euerer K. H. allgerühmten und -verehrten, tiefschnell eindringendem Blicke würde zwar der ivahre Eindruck, den erwähntes Werkchen auf diesen großen Mann machte, auch ohne weitere Bemerkungen dai'über nicht entgehen. Jedoch glaubt der ehrfurchtsvoll Gefertigte — ohne die den ganz vorzüglichst ausgezeichneten, glänzenden Verdiensten dieses genialen Geistes gebührende hohe Achtung verletzen zu wollen — jenem Aufsätze sowohl als sich selbst schuldig zu sein, von den zahlreichen Bemerkungen, die sich auf erwähnten Brief machen [ließen], wenigstens Folgende nicht zu unterdrücken. Gauss äußert nämlich (mit anderen Worten): nur wenige Menschen besitzen einen Sinn zur Auffassung des Wesens des darin behandelten Gegenstandes, und es Mnnen nur jene ein höheres Interesse dafür haben, die soivohl hinsichtlich dessen, n-orum es sich da- bei handelt, und somit über die äußerste Wichtigkeit der Sache, im Klaren sind, als die mit Lösung dieses gordischen Knotens verbundenen Hindernisse an gescheiterten eigenen Versuchen lebhaft gefühlt halben. Und dies alles ist nur allzuwahr, jedoch dem diesfälligen Gegenstande keineswegs ausschließlich eigen: es erstreckt sich mehr oder weniger wieder auf alles Feinere, Edlere, Höhere."
„Und offenbar kann, ohne sich ganz bloßzugeben, und dem Charakter nach als schwach anzukünden, [das Vorhergehende] nie als ein Grund angeführt werden, seine eigenen bewährten Arbeiten über derlei sonst noch dunkle Gegen- stände zu unterdrücken."
„Worum anders handelt sich es denn sonst in Wissenschaften, als be- ständig eben darum, unklare Dinge aufzuklären, fehlende herfbeijzuschaffen? — Wäre Gauss hiervon nicht ebenso überzeugt und durchdrungen, als Gefertigter, und bei Beantwortung dieser Frage zweifelhafter, so hätte er aus ähnlichem Grunde wohl noch mehrere seiner sonstigen vortrefflichen Arbeiten untergraben müssen. Äußerte er doch selbst von einem seiner Werke (Bisquisitiones arith- nieticae), daß selbes damals nur 6 Mathematiker in ganz Europa verstanden hätten."*)
„Da also Gauss, den löblich scheinenden Grund, daß er sonst sich selbst mitloben müßte, vorschützend, ein offenes Urteil über den reellen Wert der Sache zu fällen, auszuweichen bemühet ist { ohne daß er übrigens etwas aus- zustellen fände}, so sieht sich der untertänigst Gefertigte verpflichtet, jenes Produkt, so wie jedes Andere, selbst für das auszugeben, was es ist, und über
*=) Brief an Wolfgang Bolyai vom 2. Sept. 1808, Br. G.-B., S. 9b.
Anmerkungen und Xachweisungen. Kap. IX, S. 73 231
die Tendenz und den Wert desselben, mit liöchstgnädiger Erlaubnis, freimütig seine Meinung auszusprechen — und findet dieses nun hier um so nötiger, als er teils der möglichsten Kürze wegen, teils aus — wie er nun deutlich sieht — übertriebener, und, insofern dadurch die Ausbreitung der guten Sache gehindert wird, auch schädlicher Bescheidenheit, selbst kein Vorwort dazu schrieb, gleich bemühet, die Sache geradezu darzustellen, als fühlend, daß sich nicht wohl eine treffende Bemerkung darüber machen lasse, ohne schon ein nicht kleines eigenes Lob zu enthalten, und überzeugt, daß vor des Kenners Blick die ein- fache prunklose Darstellung selbst den besten Eingang finde und ihre Wirkung ohnedies nicht verfehle. Dabei läßt er jedoch allen Akademien, Universitäten, gelehrten Gesellschaften und überhaupt den geeigneten Richtern sehr gern das eigene Urteil."
„Des Verfassers Schuld könnte es offenbar nie sein, icenn allen Falles ein Urteil bloß deshalb schief und geringschätsend ausfiele, weil betreffender Rezen- sent nicht gehörig Meister der Sache geworden ist.^''
,,Es ist denn in derselben Schrift ein Gegenstand, woran seit der bekann- ten Kultivierung der Geometrie durch die Griechen — welche ihren ganz eigenen Scharfsinn auch in dieser Wissenschaft so rühmlich bewiesen haben — • also seit 2100 Jahren die rastlosesten Bemühungen der ausgezeichnetsten und scharfsinnigsten Köpfe — wie man mit vollem Rechte sagen kann, gänglich scheiterten, — auf das voUJcommenste ergründet, durchdrungen und ins Klare gebracht, obwohl selbe absichtlich bloß die Quintessem des Wesens der Sache enthält und bei dieser Gelegenheit dasselbe nur in gedrängtester Kürze dar- bietet, wo freilich nur des Kenners Auge durchdringt."
„Es ist wohl die wesentlichste, wichtigste, interessanteste und auch genug verwickelte Aufgabe der Raumlehre und eigentlich eine aus dem Grunde und durchaus neue bisher von allen Geometcrn nicht einmal dem Begriffe nach ge- ahnte Wissenschaft."
„Ihren Inhalt deutet kürzlich der Titel selbst an. Bisher ging man stets darauf aus, Euklids XI. Axiom zu rechtfertigen; aus benannter Schrift wird die absolute ünmögllchJceit , je zu einer diesfälligen Erkenntnis zu gelangen, bewiesen, und dafür eine ganz andere, derselben gar nicht bedürfende und zu- gleich für alle Fälle vollkommen zureichende Raumlehre aufgestellt. Ohne diese stürzt die ganze bekannte Geometrie zusammen, oder selbe ist doch auf eine lediglich prekäre Hypothese gegründet."
„Was hinsichtlich des XI. Axioms geleistet war, enthält unter anderen das eigens dazu geschriebene Buch: Critik der Parallelentheorie von Job. Jos. Ign. HoFFMAXN, Jena 1807. — Dieses Werk, obgleich an sich noch sehr schwach
— und dabei selbst die Kritik oft fehlerhaft, und wieder einer Kritik bedürfend
— dient doch als einige Vorbereitung für denjenigen, der die mehrertvähnte Schrift durchzugehen gesonnen, mit dem Wesen der Sache aber allenfalls noch nicht vertraut ist, was allerdings manchmal auch bei ausgezeichneten Mathe- matikern der Fall ist, die sich jedoch dann niemals zur Klasse der Geomxter vom ersten Bange bekennen dürfen. Sehr zuträglich wäre auch eine Bekannt- schaft des Lesers mit Euklid, dem bis itzt unübertroffenen oder richtiger un- erreichten Muster eines recht geometrischen und systematischen Vortrages. — Übrigens muß der Leser in dem ganzen Gebiete der reinen Mathematik bewan- dert sein. — Der berühmte Kästner zerbrach [sich] neun Jahre hindurch den Kopf darüber und war in der Tat noch nicht bei dem § 1 mehrerwähnter
232 Leben und Schriften der beiden Bolyai
Schrift, so wie das Resultat des ganzen vorzitierten und zur vorläufigen Lesung und Orientierung als unerläßlich empfohlenen Werkes nicht so weit reicht. Der einzige Gauss scheint einige wenige leichtere Schritte gegen das Ziel, welches selbst zu sehen er aber noch viel zu weit entfernt war, getan zu haben. Nicht konnte [er] jedoch, ungeachtet aller Anstrengung, vordringen'^ dieses kann der Verfasser aus mehreren Daten, welche teils der jetzige, teils frühere Briefe von Gauss, dann eine Menge Briefe vom Vater [an den Verfasser] ent- halten, außer Zweifel setzen. Der Verfasser überwand sämtliche Hauptschwierig- keiten dabei bereits in der zweiten Hälfte des Jahres 1823; nachdem schon früher, als er noch Zögling der k. k. Ingenieurs-Akademie zu sein das Glück hatte, ein so lebhaftes Interesse in ihm erwachte, überhaupt für alles echte Wissen, und insbesondere für einen selbst geschichtlich schon — abgesehen von innerer Wichtigkeit und Vortrefflichkeit — so äußerst merkwürdigen Gegenstand, daß er, nachdem einige leichtere Versuche noch weit weg vom Ziele blieben, nicht die Mühe eines kräftigen Angriffes scheute, um diese große und so unbefriedigende Lücke, wo es nur in seinen Kräften steht, doch aus- zufüllen. Und tief fühlt er, daß Ruhe und Glück nicht eher für ihn zu finden wären, als er sich aus diesen Labyrinthen herausgewunden haben wird."
„Mit gleichem Erfolge wurden noch sehr viele andere wichtige Gegenstände bearbeitet, und so zu sagen eine gänzliche Reformation der bisher (in Über- einstimmung mit dem Ausspruche der ersten Geister) sehr elend behandelten Mathematik vorgenommen. Von der Last aller dieser Früchte seines Nach- denkens sehnt sich nun der Verfasser durch eine vollkommene Ausarbeitung und öffentliche Bekanntmachung befreit zu werden."
Lemberg, am 3. May 1832. Johann v. Bolyai
Capit. im Genie- Corps.
Der Eingabe selbst, die Johann am 8. August 1832 abgesandt hat, war beigelegt erstens eine deutsche Fassung der ersten 33 Paragraphen des Appen- dix scientiam spatii absolute veram exJiibens, die im zweiten Teile dieses Werkes, S. 185 — 203 zum ersten Male abgedioickt wird, und zweitens ein Auszug aus dem Briefe Gausscus an Wolfgang Bolyai vom 6. März 1832, den man S. 92—94 dieses Buches findet; Wolfgang hatte davon bald nach dem Empfang des Briefes eine Abschrift anfertigen lassen und diese seinem Sohne nach Lemberg geschickt, der sie am 6. April 1832 erhalten hat (vgl. S. 95). Dem Briefe hat Johann Fuß- noten hinzugefügt. Einige davon verdienen hier mitgeteilt zu werden.
Zu S. 93, Z. 14. „Auf den ersten Anblick oder oberflächlich betrachtet wohl (so ist aach der Verfasser vor bereits 13 Jahren [1819] darauf gekommen), allein bei strengerer Prüfung findet man den Ausdruck Kreislinie von un- endlichem Radius nnrichtici und unpassend, \K\e auch Gauss ohne allen Zweifel bei näherer Untersuchung zugeben wird."
Zu S. 93, Z. 17. „Diese Namen sind allerdings sehr treffend und vortrefflich, beinahe ähnliche Namen findet man jedoch auch in des Verfassers ältesten Schriften, und die Zeichen wurden erst später der Kürze wegen eingeführt."
Auf einem Zettel, der aus der Zeit um 1834 zu stammen scheint, hat Johann vermerkt:
„Parasphäi-e — Paracykel. Diese Benennungen hat zwar, nach geschehener Mitteilung gegenwärtiger Theorie, auch Gauss vorgeschlagen ; es konnte jedoch nicht fehlen, daß gleich bei der ersten Entstehung dieser Lehre sich [mir]
Anmerkungen und Nachweisvmgen. Kap. IX — X, S. 7JJ — 75 233
nicht analoge Ideen aufgedrungen hätten; ich nannte damals den Paracykel O oo und [den Hypercykel O] hyperoo, obschon letzteres fehlerhaft ist. Und wirklich bediente ich mich schon in meinen ältesten Schriften ganz analoger Namen, Analogie mit Parabel bemerkt, indem in der Tat '-^■Relation usw." Zu S. 93, Z. 24. „Hier hat Gauss auf eine etwas kürzere, jedoch gewiß weniger rein geometrische und zwar (wie von Ihm allzeit zu erwarten) sinnreiche, aber nicht elegantere Art das bewiesen, was § 42 bloß mittels der §^ 39 bis 41 dargetan ist.*) übrigens fügt der Gefertigte einen noch weit kürzeren Beweis des Satzes des § 42 bei. Sei nämlich [Fig. 23] <xh cf, ac \\\ f ß 1|| gl, lg ; 1 ab, alles in einer Ebene, ferner Ijf = l)a und fnt I^b; so ist offenbar baljg = mftjb oder u = a'. Hier ist nun nach der Bezeichnung von G.a.uss
mithin
f(u + v) = fu + fv,
woraus sogleich der zu beweisende Satz nach
VII folgt. — Übrigens ist dieser ganze Satz
noch eine unbedeutende Kleinigkeit in der Sache,
in dem § 43 honzeniriert sich alles Vorher- Fig. 93.
gehende, so daß zur geometrischen Quadratur
des Kreises es allerdings nötig war, sämtliche und ganz andere Schwierigkeiten
zu übersteigen."
Es ist ein merkwürdiges Zusammentreffen, daß auch Gauss in einem Handbuche, hinter einer Notiz, die die Hauptmomente des in dem Briefe an Wolfgang mitgeteilten Beweises enthält und wahrscheinlich aus derselben Zeit wie dieser Brief stammt, eine Abänderung des Beweises angegeben hat, die auf einem ähnlichen Gedanken wie das Verfahren von Johann beruht; siehe Gauss Werke, Bd. VHI, S. 227.
Zu S. 93, Z. 7 v. u. „Sowohl hat sich Gefertigter mit dieser Aufgabe schon früher beschäftigt gehabt, als diese Schlüsse von Gauss bestätiget gefunden. Jedoch steht ihm noch ein kräftiger Versuch bevor." Vgl. S" 109 — 118.
Zu S. 94, Z. 3. „Alles dieses hat Gefertigter schon lange als nur zu richtig anerkannt, und ersann auch wirklich eine in ihrer Art so vollkommene Theorie der Geraden und der Ebene als des Baumes.'''' Vgl. Kapitel XVII.
Zum X. Kapitel
Als Quelle für dieses Kapitel diente hauptsächlich die Abhandlung von P. Stäckel, Lie EntdccJiiwg der nichteuliidischen Geometrie durch Johann BoLTAi, auf Grund nachgelassener Aufzeichnungen Johanns dargestellt, Mathe- matische und Naturwissenschaftliche Berichte aus Ungarn, Bd. 17, Jahrg. 1899 (1901). Im Besonderen sind in dieser Abhandlung zum ersten Male umfangreiche Bruchstücke aus dem Briefe Wolfgangs an Johann vom 4. April 1820 veröffentlicht worden, die sieh auf einzelnen Zetteln in Johanns Nachlaß gefunden hatten. Später hat HeiT P. Szabo (Budapest) den Brief selbst in dem Nachlaß seines im Jahre 190.5 verstorbenen Vaters Samuel
*) Vgl. Br. G.-B., S. 110— 111.
234
Leben und Schriften der beiden Boltai
SzabÖ aufgefunden, der 1858 — 1868 Professor am Kollegium zu Maros-Vasar- hely gewesen war. Herr P. SzabÖ hat mir eine deutsche Übersetzung des Briefes zur Verfügung gestellt, mit deren Hilfe die in der angeführten Abhandlung gemachten Angaben ergänzt werden konnten.
S. 75, S. 8 — 4 V. u. Der Bericht Wolfgangs über sein Axiom ist abge- druckt in der Anmerkung zu S. 48, Z. 5 — 7.
S. 76, Z. 13 — 27. Aus dem Vorwort znv Raumlehre (um 1834). Auf einem Zettel aus der späteren Zeit (1848 — 1858) hat Johann folgende ausführ- lichere Darstellutig gegeben. „Die Betrachtung einer beliebigen gleichförmigen Polygonallinie oder gebrochenen Geraden in einer Ebene veranlaßt durch die aus Voraussetzung eines überall gleichen Abstandes zweier Geraden hergenom- menen Erklärung der parallelen Geraden war so wie bei meinem Vater bei mir der erste Weg oder Gedanke, wodurch ich das XI. Axiom oder A zu beweisen*), richtiger und sicherer darüber ins Reine zu kommen, versuchte, und wobei ich zu beweisen oder entscheiden trachtete oder strebte, daß jede derlei Linie ent- weder in sich selbst zurückkehrt oder doch knotig sei. Und zwar hatte ich hier im Auge, daß, so wie ein in einer Ebene um denselben Punkt wiederholt aneinander gesetzter, gleicher, ebener Winkel ein Mal die ganze Ebene er- schöpft oder eine Gerade um einen ihrer Punkte gedreht jeden Punkt derselben
erreicht, ja zurückläßt, so muß (?) auch ver- allgemeinert, wenn die Spitze des gleichen Winkels dabei längs beliebigen Geraden, unter gleichem Winkel mit diesen, tvie immer in derselben Ebene be- wegt wird, dasselbe erfolgen, nämlicli durch die neuen Schenkel ein- mal jeder Punkt in der Ebene erreicht werden."
S.76, Z.ll— 10
V. u. Auch mit der Dreiteilung des Winkels hat sich Johann beschäftigt. Ein Zettel in seinem Nachlaß, der aus seiner Jugendzeit stammt, enthält die folgende strenge Lösung mittels einer gleichseitigen Hyperbel.
Die Dreiteilung des Winkels.
Halbiere den [in drei Teile zu teilenden] Winkel abb [Fig. 24] durch ec; mache be = |bc, die L-te ef = |-ca, und ziehe fl 1| ec; verzeichne nun zu den Asymptoten fl und fc durch den Punkt b eine Hyperbel; wo sie den Bogen ab schneidet, da wird [der Bogen] at = |-cib.
S. 76, Z. 23, Für Saccheri und Lambert vgl. die betrefienden Abschnitte bei Stäckel und Engel, Th. d. P.; siehe auch die Anmerkung zu S. 43, Z. 18.
*) In den Aufzeichnungen aus der Spätzeit bedient sich Johann vieler solcher Zeichen, die erst enträtselt werden müssen; hierher gehört auch das Zeichen für das XL Axiom.
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Anmerkungen und Nachweisungen. Kap. X, S. 75—82 235
S. 77, Z. 16 — 12 V. u. Wolfgang hat diese Absicht ausgefühi-t. Seine Darlegungen sind abgedruckt S. 224 in der Anmerkung zu S. 48, Z. 5 — 7.
S. 79, Z. 6 — S. 80, Z. 5. Aus dem Vorwort zur Baumlehre (um 1834).
S. 80, Z. 15 — 8 V. u. Daß in der euklidischen Geometrie die Ebene als I Grenze der Kugel, die Gerade als Grenze des Kreises bei wachsendem Radius angesehen werden kann, ist gewiß schon den griechischen Geometern geläufig gewesen. Allein die Erkenntnis, daß umgekehrt die Annahme, die Grenzkugel sei eine Ebene oder der Grenzkreis sei eine Gerade, mit dem Parallelenaxiom gleichbedeutend sei, scheint jüngeren Ursprungs zu sein. Als Vorstufe läßt sich die Bemerkung ansehen, daß die ebene euklidische Trigonometrie aus der sphäri- schen hergeleitet werden kann, indem man den Radius der Kugel ins Unendliche wachsen läßt; der erste Autor, den ich hierfür auffinden konnte, ist L. Euleii, Ptincipcs de la irigonometrie splurique, Mem. de l'acad. d. sc. de Berlin, 9 (1753), 1755, S. 223 (vgl. auch Eulers Abhandlung, De mensura angu- lorum solidorum, Acta acad. sc. Petrop. 1778, pars II, 1781, voi-gelegtl775). Dann kommt J. H. Lambert in seinen Beijträgen zum Gebrauch der Mathe- maüh, Bd. 1, Berlin 1765, S. 408. Ferner sind zu nennen: Johann KrE.s, Tri- gonometria methodo plana et faciJi exposita, Tübingen 1760 (vgl. M. Cantor, Vorlesungen über Geschichte der Mathematik, Bd. 4, 1908, S. 407), A. R. Mau- DuiT, Principes de l'astronomie sphe'rlque, Paris 1765 (vgl. A. v. Brauxmühl, Vorlesungen über Geschichte der Trigonometrie, 2. Bd., 1903, S. 165), P. Fer- RONi, Paralleli e principio nnico e sempUce dclle due trigoiiometrie , Memorie della Societa Italiana (detta dei XL), 12 (1805), S. 106—183 (vgl. A. V. Braunmühl, a. a. 0., S. 179). Bei Grashof, Thrses sphaerologiae quae ex sphaerae notione veram rectae lineae sistunt deßnitionem, Berlin 1806 tritt der Gedanke in etwas verschwommener Form auf, in voller Klarheit aber findet er sich entwickelt bei F. L. Wächter, Demonstratio axiomatis in Enclideis undecimi, Danzig 1817 und J. W. A. Lehmaxx, 3Iathematische Abhandlungen, Zerbst 1829, vgl. Stäckel, F. A.Taurixcs, Abband 1. zur Geschichte der Mathematik, Heft IX, Leipzig 1899, S. 426, F. L. Wächter, Math. An- nalen, 54 (1901), S. 57.
S. 80, Z. 9 — 35, Z. 2 V. u. — S. 81, Z. 2. Aus der Einleitung zur Raum- lehre (1851).
S. 81, Z. 10. Wegen Karl SzÄsz siehe S. 66 des Textes.
S. 81, Z. 12. Über Lobatschefskij siehe die Kap. XV und XVI dieses Teiles.
S. 81, Z. 19 — 16 V. u. Johann hat von März 1826 bis September 1830 in Arad gestanden (S. 70 des Textesj. Mit der Ausarbeitung ist wohl die Darstel- lung gemeint, von der Johann dem Hauptmann Wolter v. Eckwehr Ende 1825 oder Anfang 1826 Mitteilung gemacht hat (S. 90 — 91 des Textes).
S. 82, Z. 6 — 8. Wann SzÄsz in Göttingen bei Gauss gewesen ist, hat sich nicht genau feststellen lassen. Nach einem Berieht von Mentovich (S. 135 des Textes), der im August — September 1843 in Göttingen Avar, hatte SzÄsz „einige Zeit" vor ihm Gauss besucht. Mentovich erzählt weiter, seine Nach- richten über Wolfgang Bolyai seien älter gewesen als die von SzÄsz, weil er schon vor anderthalb Jahren Siebenbürgen verlassen hätte. Mithin muß der Besvch von SzÄsz zwischen Februar 1842 und Sommer 1843 stattgefunden haben. Es möge noch ausdrückKch hervorgehoben werden, daß Wolfgang und Johann die Verdienste von SzÄsz, der kein gewöhnlicher Mann war, wohl
236 Leben und Schriften der beiden Bolyai
i
zu schätzen wußten. In dem Bruchstück eines Briefes an Johann, der aus der Zeit kurz vor dem Druck des Tentamens stammt, also ungefähr ins Jahr 1830 zu setzen ist, sagt Wolfgang: „Um ein solches Werk nach seinem Werte schätzen zn können, bedarf es eines großen Verstandes; auch dies beweist (was ich. längst erkannt habe) eben das außerordentliche, besondere Talent des SzA.sz; ewig schade, daß ein solcher zum Leuchten geschaffener Blitz und scharfer Verstand unter den Pandekten verschimmelt." Johann aber beginnt in seinen Bemerkitngen über Nicolaus Lobatschefskijs Geometrische Untersuclnmgin sur Theorie der Parallcllinien vom Jahre 1851 (vgl. Kap. XV und XVI) den Be- richt über den Anteil, den SzÄsz an der Entdeckung der absoluten Geometrie gehabt hat, mit den Worten: „Ich halte es für nötig, das Folgende zu bemerken in bezug auf die Geschichte des Gegenstandes [der Entdeckung der absoluten Geometrie], woraus hervorgeht, inwieweit und welchen Anteil hat der unstreitig in vieler Hinsicht ausgezeichnete, vorzügliche und mächtigen Geistes seiende Karl SzÄsz, um den es nur schade ist. daß er, gleich mir, seine große Kraft so vielseitig zerstreut." Vgl. auch S. 250 — 251.
S. 82, Z. 11 — 15. Aus dem Vorwort zur Raumlehre (um 1834). S. 82, Z. 17 — S. 83, Z. 4. Das genaue Datum dieses Briefes hat sich nicht feststellen lassen; die folgenden Angaben finden sich auf einzelnen Zetteln in ™ Johanns Nachlaß. V
S. 88, Z. 16 V. u. — S. 84, Z. 7. Aus dem Vorwort zur Eaumlehre (um 1834). Auch dieser Brief Wolfgangs ist nicht erhalten.
S. 84, Z. 15 — 35. Aus dem Entwurf einer Einleitung zur Raumlehre vom Jahre 1851. Über den mißglückten Beweisversuch berichtet Johann: „Ich bewies denn allerdings streng, daß wenn am [Fig. 25] die bn schneidet, Aabn nicht < A bam ist, bc die gerade Verlängerung von ab ist und Acbn, Acam beide geometrisch proportioniert verJdeimrt werden, zum Beispiel bis Acbq, Acap, so daß Acbit : Acbq = Acam : Acap ist, daß, sage ich, alsdann auch ap, bq sich schneiden . . . Allein auch das Umgekehrte hiervon wäre zur Ermöglichung eines Beweises des XI. Axioms auf dem damals eingeschlagenen Wege not- wendig gewesen, daß nämlich . . . der Satz auch bei geometrisch-proportionierter
Verfirößerung der früheren Winkel abn, cam oder auf der anderen Seite um a, b herum gelte. Nun aber weiß ich nicht und kann mich nach Verlauf von etwa dreißig Jahren durchaus nicht mehr erinnern, wie es zugehen konnte, daß und wie ich, der ich doch schon seit meinem neunten Jahre, als ich nämlich Mathematik und zwar Euklids Elemente an- fing zu studieren, sehr und vollkommen fest Fig. 25. war in der Einsicht, daß die Umkehrungen
von bereits bewiesenen Sätzen ebenfalls und nicht minder erst bewiesen werden müssen, wenn und bevor man auch Ge- brauch davon machen will, oder daß also daraus, daß jedes A eines von den ^'s ist, zum Beispiel, daß jeder Mensch ein Tier sei, noch keineswegs schon sogleich folge, daß auch jedes R eines von den A sei, — wie ich, sage ich, gewiss nicht aus Ungrün dlichkeit, sondern aus plötzlicher Übereilung diesen Umstand einen Augenblick übersehen und vergessen habe, auf die Notwendig- keit eines Beweises des Gegenfalls gehörig Bedacht zu nehmen, und mich
Anmerkungen und Nachweisungen. Kap. X — XI, S. 82 — 86 237
durch die übrigens allfällige vorzügliche Eleganz, Neuheit, eigene über- raschende Wendung des übrigen Teils des damals eine sehr kurze Zeit hin- durch für wahr gehaltenen Beweises verblenden lassend und hingerissen, allsogleich bei näherer, aufmerksamerer Prüfung die große Lücke entdeckend und dadurch von meinem damaligen falschen und zu frühzeitigen Himmel teils zwar insofern mit großem Leidwesen, teils aber in Anbetracht dessen, daß ich auch durch Wahrnehmung meines Fehlers der Wahrheit und dem Ziele, wenig- stens in negativem Sinne, nur desto näher gerückt sei, zu meiner Freude und mich hiermit tröstend, herabgestürzt. Genug, ich glaubte denn einen Augen- blick, den obigen Satz allgemein bewiesen zu haben."
Zum XI. Kapitel
S. 85, Z. 5 — 9. Aus der Einleitung zum Beireis des XL Axioms (1856).
S. 85, Z. 19 V. u. — S. 86, Z. 2. Den Brief Johanns an seinen Vater vom 3. November 1823 hat Prof. Dr. Martin Schmidt in Budapest, ein Sohn des Baumeisters Franz Sch.midt, dem während der Jahre 1879 — 1894 von der Ungarischen Akademie der Wissenschaften der Nachlaß Johanns zur Durch- sicht überlassen worden war (vgl. S. 200), im Jahre 1884 aufgefunden. Er ist zuerst von Koloman v. Szily in dem Mathematisch-Naturwissen- schaftlichen Anzeiger der Akademie (Mathematikai es termeszettudo- mänyi Ertesitö), Bd. 5 (1887) veröffentlicht worden. Eine deutsche Über- setzung der Mitteilung Szilys ist 1887 in den Mathematischen und naturwissenschaftlichen Berichten aus Ungarn, Bd. 5, S. 187 — 189 unter dem Titel Ein auf den Appendix des Tentamens besüglicJier Brief Johann BoLYAis com Jahre 1823 erschienen. Über die hier in deutscher Übersetzung wiedergegebene, auf die Entdeckung der absoluten Geometrie bezügliche Stelle hat F. Schmidt auf der Naturforscher-Versammlung in Wien 1894 berichtet; sie ist im Jahresbericht der deutschen Mathematiker-Vereinigung, Bd. 4 (1897), S. 108 abgedruckt. Endlich ist der Festschrift, die die Uni- versität Klausenburg zum hundertjährigen Geburtstage Johanns im Jahre 1903 herausgegeben hat, eine getreue Nachbildung des ganzen Briefes nebst einer lateinischen Übersetzung beigegeben. Die Stelle, auf die es ankommt, lautet dort folgendermaßen:
„Statutum ac deliberatum habeo de parallelis, simulac, quae inveni, in ordinem digesserim, perfecerim atque ut primum potuerim, opusculum me editurum esse. Hoc ipso momento teraporis res nondum excogitata est, sed via, quam ingressus sum, propositum mihi finem, si fines ille alioquin attingi pot- est, pro certo fere promisit. Elaboratum quidem nondum est, sed tam mira deduxi, ut ipse etiam admiratione stupeam, irreparabileque damnum esset, si ignota manerent. Si legeris, Carissime Pater, probata tibi erunt. Nunc am- plius nihil, nisi me ex nihilo novum et alium mundum creavisse, omniaque, c^uae adhuc miseram, casam esse pro turri. Persuasum mihi habeo hoc non minori laudi mihi fore, quam si iam perfecerim."
S. 86, Z. 3 — 13. Schlesinger, Festrede, S. 174.
S. 86, Z. 19 — 29. Aus dem Vorwort zur Raumlehre (um 1834).
S.86,Z.12— lOv. u. Siehe S. 94— 95 und die zugehörigen Anmer- kungen.
238 Leben und Schriften der beiden Bolyai
S. 86, Z. 10—7 V. u. Vgl. Stäckel und Engel, Th. d. F., Abschnitt F. K. ScHWEiK.\ET und F. A. Taurinus, S. 237 — 286. Schweikart ist eben- falls selbständig zur nichteuklidischen Geometrie gelangt; siehe auch Gauss, Werke, Bd. VIII (1900), S. 180—182.
S. 87, Z. 4. Die erste Auflage der Anfangsgrunde war 1757 erschienen.
S. 87, Z. 15 — 19. Vgl. hierzu einen Zettel, datiert Lemberg, Januar 1832: ,,Er fand die Tendenz meiner Schrift, selbst als sie ganz in seine Hände geriet, so wenig, daß es schon viel war, wo er erst sagte : daß dieses ja nur die Ausarbeitung von S wäre, obschon 2 von S gewissermaßen nur ein besonderer Fall. Er hat ganz Unrecht, daß es nicht ein dringendes Bedürfnis wäre, ge- rade aus S selbst auszugehen, indem, wie in diesem Werke gezeigt wird, nur dadurch ein allgemeineres, höheres System, das eimig mögliche, aufgestellt werden kann. Es muß also unerläßlich sowohl a) ausgearbeitet werden, als wohl b) demselben jeder einen gleich dem täglichen Brot unschätzbaren Wert zuerkennen wird, der einsieht, daß man dadurch mit Recht sagen kann, man besitze eine vollkommene Raumlehre."
S. 87, Z. 19. — S. 88, Z. 13. Aus dem Vorwort zur Baumlehre (um 1834). Zur Ergänzung sei noch eine Äußerung Johanns mitgeteilt, die sich auf einem Zettel befindet, dessen Rückseite eine Notiz mit dem Datum No- vember 1833 trägt.
„Er [Wolfgang] gesteht freimütig, dieses sei ihm nicht • gelungen, und gibt zu, daß, wenn es mir gelungen wäre, es sehr schön und originell wäre; [daß] es ein großer Gewinn sei, die [euklidische] Geometrie auf F wahr zu finden; die [ebene] Geometrie würde dadurch gerettet. Wie aber mit der Solido- metrie? Es wäre ihm jedoch noch lieber, wenn es auf einer mit einer Ebene parallelen [äquidistanten] Fläche wäre, weil es einfacher ist und mehr vor Augen liegt, indeß wäre es auch auf jene Art zierlich; nur glaube er es schwer- lich, nicht weil er es umsonst versuchte, sondern weil es ihm scheine, daß man alsdann auf ii'gendeine Art den Satz von F, L auch auf die Ebene zurückführen könnte. — Was für Ideen I Sieht doch jeder auf den ersten Augenblick ein, daß, wenn der Satz auf [einer] mit einer Ebene parallelen [äquidistanten] Fläche gilt, selber notwendig auch auf der Ebene gelte."
S. 88, Z. 14 — S. 89, Z. 20, Schlesinger, Festrede, S. 179—181.
Schlesingers Auffassung wird bestätigt durch eine Äußerung Johanns, die sich in dem Entwurf einer Einleitung zur Raumlelire aus dem Jahre 1851 findet: „[Es] spräche zwar neben anderen Umständen und Eigenschaften der Euklidschen, auf das XL Axiom begründeten Geometrie als jenen der aus- schließlichen Einzigkeit und größten Einfachheit derselben . . . [für deren Statt- finden in der Wirklichkeit] hauptsächlich der von mir in diesem Werke streng bewiesene Umstand, daß, im Falle eine diesfällige Entscheidung dennoch mög- lich wäre, selbe nur zu Gnaden des Euklidschen Systems ausfallen könnte, einigermaßen für die Wirklichkeit derselben oder die Unwahrheit des Anti- Euklidschen, nämlich auf der Voraussetzung der nicht-allgemeinen Wahrheit des XI. Euklidschen Axioms . . . gebauten Raumsystems; allein gebührend klar und streng entscheidend können und dürfen alle diese Umstände vernünftiger- weise dennoch und ewig nur um so weniger angesehen werden, als die vorer- wähnte Voraussetzung der Entscheidbarkeit und somit auch der darauf gebaute Entschluß einer Entscheidung für das Euklidsche System durchaus und gänz- lich wegfällt, und bloß äußere sinnliche Wahrscheinlichkeit unsere sichere und
Anmerkungen und Nachweisungen. Kap. XI, S. 86—93 239
untrügliche Leiterin, sobald es sich, wie [es] hier der Fall ist, um völlige Ge- wißheit und Klarheit handelt, nicht sein kann, und Augenmaß, um mit Hoff- >iAxx [Kritik der Paralleltheorie, Jena 1807] zu reden, unser geometrischer Maßstab nicht sein kann, und eben darin der Vorzug und die Kraft wissen- schaftlicher Lehren vor bloßer äußerer sinnlicher Wahrscheinlichkeit [liegt], daß jene unendlich weiter gehen als unsere begrenzten äußeren Sinne, ja sich auf alle in dem betreffenden Satz ausgesprochenen Fälle erstrecken. Und könnte der Augenschein z. B. bei inneren Winkeln, deren Summe so sehr nahe zu 2J? wäre, daß das Auge den Unterschied zu bemerken durchaus unfähig wäre, über das Stattfinden eines Durchschnittes hier offenbar gar nicht mitsprechen. Ja, es hörte natürlicherweise selbst die Art auf, um so. etwas mehr in Frage stellen zu können, da bei 2 Winkeln [deren Summe] =2R zwar gewiß kein Durchschnitt erfolgt, hier aber der Schenkel des einen Winkels bei dem einen Winkelpaai^e mit dem des einen Winkels bei dem andern Winkelpaare in be- treff unseres Auges vereinigt ist, und man offenbar mit gleichem Rechte auch viele andere der ersten und einfacheren Lehrsätze z. B. daß in jedem Dreieck der größeren Seite usw. und umgekehrt, in die Reihe der geometrischen Axiome stellen könnte; so wenig aber sich irgend ein Geometer, zumal aus der Strenge liebenden Schule Euklids, eine derlei Verwegenheit erlaubt, ebenso wenig kann er auch umgekehrt bei dem XL Axiom sich eines Beweises vor einer etwaigen Behauptung desselben entledigt fühlen."
S. 89, Z. 10 V. u.— S. 90, Z. 20; S. 90, Z. 23—35. Aus der Einleitung zum Betveis des XI. Axioms (1856).
S. 90, Z. 5—3 V. u. Siehe Kapitel XIII, S. 118—123.
S. 91, Z. 7—18. Br. G.-B., S. 102.
S. öl, Z. 17 V. u. Das „Werkchen" ist wohl identisch mit einem in GAussens Nachlaß vorhandenem Sonderabzug des Appendix., in dem die Druckfehler mit der Feder verbessert sind. Der Titel lautet abweichend von dem späteren Drucke im Tentamen (siehe S. 183 des zweiten Teiles dieses Buches):
Appendix prima
Scientia Spatii, a veritate aut falsitate Axiomatis XI™^ Euclidei (a priori haud unquam decidenda) independens: atc^ue ad casum falsitatis quadratura circuli geometrica.
Auetore, Auctoris Filio Johanne Bolyai, de eadem, Geometrarum in Exercitu Caesareo Regio Austriaco Castrensium Locumtenente Primario.
S. 91, Z. 16—4 V. u. Br. G.-B., S. 106—107.
S. 92, Z. 18 V. u. — S. 94, Z. 13. Br. G.-B., S. 109—112.
S. 92, Z. 10 — 9 v.u. Das Wenige, was Gauss zu Papier gebracht hatte, ist aus dem Nachlaß Werke, Bd. VIII (1900), S. 202—209 abgedruckt worden. Es stammt aus Apiil-Mai 1831, denn in einem Briefe an Schumacher vom 17. Mai 1831 sagt Gauss, er habe vor einigen Wochen begonnen, von seinen Meditationen über die Theorie der Parallellinien, die schon gegen 40 Jahre alt seien, von denen er aber früher nie etwas aufgeschrieben habe, doch einiges aufzuschreiben.
S. 93, Z. 12 — 16. Vgl. hierzu die S. 232 mitgeteilte Bemerkung von Johann. In den Aufzeichnungen, die Gauss im April-Mai 1831 gemacht hat, wird (Werke, Bd. Vm, S. 209) der Parazykel Trope genannt; dieser Aus- druck bedeutet nichts anderes als Wendekreis (6 xQoniy.oq xt'xAog, französisch
240 Leben und Schriften der beiden Bolyai
cercle tropique), weil der Parazykel die Grenze zwischen den Kreisen und den Hyperzyklen bildet.
S. 93, Z. 12 — 11 V. u. Über die Kubatur des Tetraeders vgl. S. 109—118 sowie die zugehörigen Anmerkungen.
S. 93, Z. 6 V. u. — S. 94, Z. 3. Die auf die Definition der Ebene be- züglichen Notizen von Gauss sind aus dem Nachlaß in Bd. VIII der Werke, g^ 193 — 199 abgedruckt worden 5 im besonderen kommt hier die Notiz [3] in Betracht miT der Überschrift Begründung des Planums^ weil sie wahr- scheinlich von Gauss im März 1832, als er den Brief an Wolfgang schrieb, in ein Handbuch eingetragen worden ist. Daß sich Gauss schon sehr früh mit der Definition der Ebene beschäftigt hat, zeigt eine Stelle aus seinem wissen- schaftlichen Tagebuche vom 28. Juli 1797: „Plani possibilitatem demonstravi".
S. 94, Z. 4 — 8. Anzeige der Theoria residuorum biquadraticorum, com- mentatio secunda, Werke, Bd. IL S. 177:
„Dies r Unterschied zwischen rechts und links ist, sobald man vorwärts und rückwärts in der Ebene und oben und unten in Beziehung auf die beiden Seiten der Ebene einmal (nach Gefallen) festgesetzt hat, in sich völlig bestimmt, wenn wir gleich unsere Anschauung dieses Unterschiedes andern nur durch Nachweisung an wirklich vorhandenen materiellen Dingen mitteilen können." In einer Anmerkung setzt Gauss hinzu: „Beide Bemerkungen hat schon Kant gemacht, aber man begreift nicht, wie dieser schai-fsinnige Philosoph in der ersteren einen Beweis für seine Meinung, daß der Raum nur Form unserer äußeren Anschauung sei, zu finden glauben konnte, da die zweite so klar das Gegenteil, und daß der Raum unabhängig von unserer Anschauung eine reelle Bedeutung haben muß, beweiset." Die Äußerung Kants findet sich in den Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, Riga 1783, § 13; in der Ab- handlung Von dem ersten Grunde des Unterschiedes der Gegenden im Battme, 17ß8, hatte Kant umgekehrt aus dem Vorhandensein symmetrischer Figuren die absolute Realität des Raumes zu erweisen versucht.
S. 94, Z. 14 — S. 95, Z. 20. Über die Entwicklung der Gedanken von Gauss über die Grundlagen der Geometrie vgl. auch Stäckel und Engel, Th. d. P., S. 215 — 216; Stäckel und Engel, Gauss und die beiden Bolyai, Math. Annalen 49 (1897), S. 150— 152, Engel, S. 374—383.
S. 95, Z. 13 — 9 V. u. P. SzABÖ, Adalekok Gauss es Bolyai lecelezese- hez es Bolyai Farkas cletrajzdhoz, Mathematikai es termeszettudomanyi Ertesitö, 1907, S. 326 — 338; Beiträge zum Briefwechsel zwischen C.F. Gauss und W. Bolyai und zur Biographie von W. Bolyai, Mathematische und Naturwissenschaftliche Berichte aus Ungarn, Bd. 25, 1907, S. 226 — 240. Beiden Abhandlungen ist ein Faksimile des GAUssschen Briefes vom 6. März 1832 beigegeben. Die Veröffentlichung enthält auch die vier „kom- missioneilen" Briefe von Gauss an Wolfgang, sodaß der Briefwechsel von Gauss und Wolfgang Bolyai jetzt vollständig vorliegt. S. 95, Z. 4—2 V. u. Br. G.-B., S. 81.
S. 96, Z. 12—39. Aus einem Vorwort zur ÄllheiUchre (nach 1851). Vgl. auch die Äußerungen Johanns in dem Entwurf zu der Eingabe an den Erzherzog Johann vom 3. Mai 1832, S. 230 — 231. In ein Handexemplar des Appendix^ das sich jetzt im Besitz der Ungarischen Akademie der Wissenschaften befindet, hat Johann hinten auf eine leere Seite folgende Anmerkung eingetragen:
Anmerkungen und Nachweisiingen. Kap. XI— XITI, S. 93—109 241
„Des Verfassers Schuld könnte es doch offenbar nie sein, wenn allen Falls ein Urtheil hierüber bloß deshalb schief und geringschätzend ausfiele, weil betreffender Recensent nicht gehörig Meister der Sache geworden ist."
„Zur Erleichterung der Beurtheilung und Vorbereitung wird es gut sein, wenn mit dem Wesen der Sache noch nicht Vertraute das von k. k. Oberst- leutnant Freiherrn von Vega am Ende des 2. Bandes seiner hochschätzbaren Vorlesungen über die Mathematik anempfohlene Werk unter dem Titel «Critik der Parallel-Theorie von Job. Jos. Ign. Hoffmank, Jena 1807>> fleißig lesen, indem selbst sonst berühmte Mathematiker hinsichtlich dieses Gegenstandes nicht nur ganz befangen und im Dunkel, sondern Anfangs sogar unempfänglich und gleichgültig sind, die sich jedoch dann niemals zur Klasse der Geometer vom ersten Range bekennen dürfen."
S. 96, Z. 1 V. u. — S. 97, Z. 10. Schlesinger, Festrede, S. 181.
Zum XII. Kapitel
S. 98, Z. 8 — 17. Br. G.-B., S. 118.
S. 98, Z. 18 — 20. SziLY, S. 35.
S. 99, Z. 5—40. BedöhIzi, S. 304—306.
S. 99, Z. 12 — 3 V. u. Statt „in der Vorrede zu seiner Raumlehre^'' muß es heißen „in seinen biographischen Aufzeichnungen", wie bei Bedöhazi, S. 305 richtig zu lesen ist. Gemeint ist Einleitung zum. Betveis des XL Axioms (1856).
S. 100, Z. 13—27. Bedöhazi, S. 303—304.
S. 100, Z. 13 — 8 V. u. Br. G.-B., S. 103—104.
S. 101, Z. 11. Nach Wolfgangs Tode haben seine Söhne Johann und Gregor das Gut Domald an die evangelische (sächsische) Kirchengemeinde Mall- dorf für 1600 Rheinische Gulden verkauft und 1857 auch den von Wolfgang hinzuerworbenen Wald veräußert.
Zum XIII. Kapitel
Als Quelle für dieses Kapitel hat hauptsächlich gedient die Abhandlung Untersuchungen aus der absoluten Geometrie, aus Johann Bolyais Nachlaß herausgegeben von P. Stäckel, Mathematische und Naturwissenschaft- liche Berichte aus Ungarn, Bd. 18, Jahrg. 1900 (1903), S. 280—307.
S. 102, Z. 5—15. Siehe den zweiten Teil dieses Werkes, S. 96 — 97.
S. 102, Z. 16—25. Br. G.-B., S. 115—116.
S. 103, Z, 12—22. Siehe den zweiten Teil dieses Werkes, S. 216.
S. 10.3, Z. 16 v.u. — S. 104, Z. 6. Zettel aus der Zeit um 1833.
S. 104, Z. 13 — S. 105, Z. 6. Siehe den zweiten Teil dieses Werkes, S. 229 — 230.
S. 109, Z. 11 — 12. Hierbei ist allerdings ein gewisser Vorbehalt zu machen; die Parasphäre unterscheidet sich nämlich von der Euklidischen Ebene insofern, als diese Ebene in eine kongruente Ebene übergeht, wenn man sie um eine ihrer Geraden durch 180" dreht, was für die Parasphäre nicht zu- trifft; es dürfen mithin nur diejenigen Sätze der Euklidischen Geometrie, die ohne Benutzung einer solchen Umlegung bewiesen sind, ohne weiteres auf die Parasphäre angewendet werden; vgl. auch Engel, S. 337 — 338.
P. Stäckel: Wolf gang und Johann Bolyai I 16
242 Leben und Schriften der beiden Bolyai
S. 109, Z. 15. C. F. Gauss, Commentationes Gottingenses, Vol. 6 (1828), Werke, Bd. IV, S. 217—258; Ostwaldt's Klassiker der exakten Wissen- schaften, Heft 5, 2. Aufl., Leipzig 1900.
S. 109, Z. 21. BELTRAin, Saggio di interpretazione della Geomefria non- eudidea, Giomale di Matematiche, Vol. 6 (1868), S, 284 — 312; Opere matematiche, Tomo 1 (1902), S. 374—405.
S. 109, Z. 1 V. u. Gauss hat über die Bestimmung des Tetraedervolumens wie überhaupt ^iber die absolute Geometrie nichts veröffentlicht. Was sich in seinem Nachlaß über das Tetraedei^volumen hat finden lassen, ist in den Werken, Bd. VIII (1900) abgedruckt worden; es ist eine Notiz Cubierung der Tetraeder (S. 228), wahrscheinlich im März 1832 niedergeschrieben (vgl. S. 113 dieses Teiles), und eine Bejnerkvnxg Astralgeometrie (S. 232 — 233), die vermutlich aus dem Jahre 1841 stammt.
N. I. LoBATSCHEFSKij hat sich eingehend mit der Frage der Volumen- bestimmung in der absoluten Geometrie beschäftigt und im besonderen über die Kubatur der dreiseitigen Pyramide umfangreiche Untersuchungen angestellt, vgl. seine Abhandlungen Über die Anfangsgründe der Geometrie (1830), in deutscher Übersetzung bei Engel, S. 53 — 59, Imaginäre Geometrie (1835) und Anwendungen der imaginären Geometrie auf einige Integrale (1836), in deut- scher Übersetzung bei H. Liebmann, N. I. Lobatschefskijs Imaginäre Geometrie, Leipzig 1904, S. 46—49, 82—117.
S. 112, Z. 2 — 1 V. u. Johann hat hierzu die Bemerkung gemacht, wenn man die Höhe w des Körpers K unbegrenzt wachsen lasse, so wachse das Vo- lumen K auch über alle Grenzen, dagegen behalte der Körper eine endliche Ober- fläche. Daß hier ein Irrtum vorliegt, hat Dannmeyer gezeigt (Die Oberflächen- und Volumenbercchniing für den LoBATSCHEFSKuschen Raum, Dissertation, Kiel 1904, S. 40).
S. 113, Z. 1 — 12. Diese Vermutung wird fast zur Gewißheit erhoben durch eine Bemerkung, die Johann in dem Entwurf zu der Eingabe an den Erzher- zog Johann vom 3. Mai 1832 zu der aus dem Briefe von Gauss angeführten Stelle macht (Anmerkung zu S. 93, S. 233): „Sowohl hat sich Gefei-tigter mit dieser Aufgabe schon früher beschäftigt gehabt, als diese Schlüsse von Gauss bestätigt gefunden. Jedoch steht ihm noch ein ki'äftiger Versuch bevor."
S. 116, Z. 1—4. Vgl. die Anmerkung zu S. 109, Z. 1 v. u.
S. 117, Z. 18 V. u. J. Frischauf, Die Kubatur des Tetraeders, Mathe- matische und naturwissenschaftliche Berichte aus Ungarn, Bd. 20, Jahrg. 1902 (1905), S. 92-95.
S. 117, Z. 2 V. u. — S. 118, Z. 1. N. I. Lobatschefskij, Anfangsgründe, Engel, S. 48, 53, 56; Amvendung, Liebmann, S. 80, 99; vgl. auch die Disser- tation von Dannmeyer, Die Oberflächen- und Volumenberechnimg für den LoBATscHEFSKiJSchen Baum, Iviel 1904, S. 41 — 55.
S. 118, Z. 14 — 20. Eine vergleichende Darstellung der Untersuchungen von Johann Bolyai, Gauss und Lobatschefskij über das Volumen des Tetrae- ders hat Dannmeyer in seiner Dissertation Die Oberflächen- und Volumen- berechnung für den LoBATSCHEFSKUSchen Raum, Kiel 1904 gegeben. Hier wird auch die sonstige ziemlich spärliche Literatur angeführt: v. Frank, Archiv d. Math. u. Phys. Bd. 59 (1876), S. 76; Quensen, Dissertation, Göttingen 1884, H.W. EiCHMOND, Quarterly Journal, vol. 34 (1902), S. 175. Seit- dem hat Sforza dem Gegenstande mehrere Abhandlungen gewidmet: Atti
Anmerkungen und Xachweisungen. Kap. XIII, S. 109—118 243
della societa dei naturalisti e matematici di Modena, ser. 4, t. 9 (1906), Memorie della accademia di Modena, t. 3 (1907), Atti della accademia di Torino t. 43 (1908), S. 1047, t. 44 (1909), S. 957, Atti della soc. dei nat. e mat. di Modena, ser. 4, t. 9 (1908), Periodico di matematica, vol. 24 (1909).
Endlich sei noch auf die Darstellung hingewiesen, die Lieumann, NicU- euliidische Geometrie, Leipzig 1905 (2. Aufl. 1912), S. 156 — 162 gegeben hat.
S. 118, Z. 13 — 10 v.u. Fast die ganze Abhandlung Lobatschei'-skijs Amcendmig der imaginären Geometrie auf einige Integrale (1836) ist der Frage der analytischen Darstellung der Integralformeln für das Tetraeder- volumen gewidmet; vgl. auch Engel, S. 409.
S. 118, Z. 4 V. u. -- S. 119, Z. 4. Mit der Frage der „praktischen Ent- scheidung" hatte sich auch Gauss beschäftigt. Sartorius von Waltershausen, Gauss zum Gedächtnis, Leipzig 1856, erzählt (S. 81): „Die Geometrie be- trachtete Gauss nur als ein konsequentes Gebäude, nachdem die Parallelen- theorie als Axiom an der Spitze zugegeben sei; er sei indeß zur Überzeugung gelangt, daß dieser Satz nicht bewiesen werden könne, doch wisse man aus der Erfahrung, z. B. aus den Winkeln des Dreiecks Brocken, Hohenhagen, Inselsberg, daß er näherungsweise richtig sei." Ferner hatte Sohw^eikart (Gauss, Werke Bd. VIII, S. 180) der euklidischen Geometrie eine astralische Geometrie gegenübergestellt, bei der die dem BoLYAischen i entsprechende Konstante gegenüber den im täglichen Leben vorkommenden Entfernungen ujiermeßlich groß ist. Für N. I. Lobatschefskij vgl. S. 154 — 156 des Textes. Dort wird auf dessen Geonictrisclie Unter suclnw gen vom Jahre 1840 Bezug genommen, Lobatschefskij hatte sich aber in demselben Sinne schon in den Anfangs- grilnden (1829/30), bei Engel S. 22 — 25, geäußert; in seinem letzten Werke, der Pangcomi'trie vom Jahre 1856, ist er darauf zurückgekommen, deutsche Übersetzung von H. Liebmann, Ostwald's Klassiker der exakten Wissenschaften, Heft 130, Leipzig 1902, S. 76 — 78. Neuerdings sind auf den Gegenstand eingegangen K. Schwarzschild, ÜlDer das zidässige Krümmungsmaß des Raumes^ Vierteljahresschrift der astronomischen Gesellschaft, Bd. 35, Berlin 1900, S. 337 — 347 und P. Harzer, Die Sterne und der Ilaum, Jahres- bericht der deutschen Mathematiker-Vereinigung, Bd. 17 (1908), S. 237—267.
Während es sich bei den soeben aufgezählte Untersuchungen um Mes- sungen im Bereiche der Fixsterne handelt, hat Wolfgang Bolyai im Tentamen (1832) einen anderen Gesichtspunkt hervorgehoben, der noch nicht die ver- diente Beachtung gefunden hat, daß man nämlich aus der Bewegung der Planeten Schlüsse auf die Beschaffenheit des Baumes ziehen könne, weil eine sehr kleine Abweichung vom Euklidischen Räume im Laufe der Zeit merk- liche Abweichungen der Planeten von ihren euklidischen Orten herbeiführen würde: vgl. S. 96 des zweiten Teiles dieses Werkes und die Bemerkungen Johanns, S. 106 — 107 des ersten Teiles. Anfänge zur Untersuchung der Be- wegung der Planeten in Räumen konstanten Krümmungsmaßes haben gemacht LiPscHiTz, Extension of tlie planet-problem to a space of n dimensions and of constant integral curvature, Quarterly Journal, 12 (1873), S. 349 — 370; Cayley, Note in illustration of certain general theorems obtained by Dr. Lip- SCHITZ, Quarterly Journal, 12 (1873), S. 346 — 349, Papers, vol. 9, S. 110 — 112; KiLLiNG, Die MechaniJc in den Nicht- EuUidiscJien Baumformen,
16*
244 Leben und Schriften der beiden Boltai
Journal für r. u. a. Mathematik, 98 (1885), S. 1 — 49: C. Neumanx, Aus- delmtmg der Kepplersclien Geseize auf den Fall, daß die Bewegung auf eine)- Kugel stattfindet^ Leipziger Berichte, 38 (1886), S. 1 — 2; Phraghen Om nagra med det Poincare^ska fallet af treTzropparsprohlemet heslägtade dyna- misJca uppgifter (Über einige mit dem Poincareschen Fall des Dreikörper- problems in Beziehung stehende dynamische Aufgaben), Bihangtill Svenska Vetenskaps-Akademiens Handlingar, 15, Abt. I, Stockholm 1890, Nr. 13; H. Liebmann, Die Kegelschnitte und die Planetenbewegung im Niclü-EuTdi- dischen Baum, Leipziger Berichte, 54 (1902), S. 393 — 423 und Die Zentralbewegung in der Nicht-EuMidisclien Geometrie, Leipziger Berichte, 55 (1903), S. 146 — 153; vgl. ferner die historisch-kritischen Bemerkungen von Stäckel, De ea mechanicae analyticae parte, q^iac ad rarietafes comphi- rium dimensionum spectat in der Festschrift der Universität Klausenbui-g zum 100. Geburtstag Johann Bolyais (1902), S. 70 und Bericht über die Mechanilc mehrfacher Mannig faltiglxeiten, Jahresbericht der deutschen Mathema- tiker-Vereinigung, 12 (1903), S. 476.
Zum Schluß möge noch auf die skeptischen Äußerungen H. Poincares hingewiesen werden, La science et l'hypothlse, Paris 1902, Chap. V.
S. 119, Z. 14—15. Br. G.-B., S. 115—116.
S. 122, Z. 8 — 12. Vgl. Johanns Abhandlung über die imaginären Größen, Schluß des § 4, zweiter Teil dieses Werkes, S. 225.
Zum XIV. Kapitel
Als Quelle für dieses Kapitel hat hauptsächlich gedient Stäckels Ab- handlung Johann Bolyais Theorie der imaginären Größen, Mathematische und naturwissenschaftliche Berichte aus Ungarn, Bd. 16, Jahrg. 1898 (1899), S. 263—297.
S. 124, Z. 12 V. u. Zum Beispiel schreibt Johann in der Einleitung zum Beweis des XL Axioms (^1856): „Als ich ihm [dem Vater] später noch Meh- reres, namentlich die Entdeckung der beiden Dreiecks-Lehren, überhaupt [der] Raum-Lehre mitteilte, wurde er, statt sich darüber zu freuen, unwillig, was mich im Bewußtsein meines redlichen Strebens, um so mehr als ich damals [seit 1829] schon Oberleutnant, also ein Mann von Charakter war, freilich auch nicht wenig übeiTaschte und befremdend verdroß, woraus seiner- und dann auch meinerseits heftige Ausbrüche entstanden. . . ."
S. 124, Z. 3 V. u. — S. 125, Z. 17. Bedohäzi, S. 295—296.
S. 125, Z. 7 V. u. Buee, Memoire sur les quantites imaginaires , Philo - sophical Transactions of the Royal Society of London, Part. I, Lon- don 1806, S. 23 — 88. C. V. Mourey, La vraie thcorie des quantites negatives et des quantites pretendues imaginaires , Paris 1828. J. Warrex, On the geome- trical interpretation of the Square roots of negative quantities, Cambridge 1828, vgl. auch Phil. Trans., London 1829, S. 241 — 254. Drobisch selbst hat am 5. Sept. 1848 der Leipziger Gesellschaft der Wissenschaften eine Abhand- lung Über die geometrische KonstrnJdion der imaginären Größen vorgelegt, Leipziger Berichte, Bd. 2 (1849), S. 171 — 179, in der sich ausführliche Angaben über die Literatur finden. Vgl. auch H. Hankel, Vorlesungen über die complexen Zahlen und ihre Funktionen, 1. Teil, Leipzig 1867 und die En- cyclopedie des sciences mathematiques, Tome 1, volume 1, fascieule 3,
Anmerkungen und Nachweisungen. Kap. XIII— XIV, S. 119— 1'29 245
Nomhres complexes, expose, d'apres l'article allemand de E. Study, par E. Cau- TAN, S. 337—338.
S. 126, Z. 11—34. Ein Brief, den Johann am 30. Dezember 1841 an den damaligen Sekretär der JABLONOWSKischen Gesellschaft, Prof. Hasse gerichtet hat, zeigt, daß der Vorfall sich am 17. Oktober 1837 ereignete; vgl. die An- merkung zu S. 129, Z. 3 — 2 V. u.
S. 128, Z. 14 v.u. Das Urteil ist veröffentlicht in dem Intelligenzblatt der Allgemeinen Literaturzeitung (Halle — Leipzig), Bd. 5 (1838), Spalte 169.
S. 129, Z. 17 — 10 V. u. Ausführlicher auf Wolfgangs Abhandlung ein- zugehen, scheint hier nicht nötig, wohl aber mögen seine Ausführungen über den Begriff der Potenz der Wurzel und des Logarithmus auszugsweise wieder- gegeben werden. Sie bilden den Inhalt des letzten, 16. Paragraphen. Aus der Multiplikation und Division, sagt Wolfgang, gehe der engere Begriff der Dig- nität (Potenz) hervor. Um den allgemeinen Begriff der Potenz zu erhalten, be- trachtet er die Summe
n«) = l + i!" + 2! +3! +■••'
die für jedes endliche a einen Sinn hat imd einen bestimmten Wert der Punk- tion f{a) ergibt. Ist nun f(h) = v und fipc) = F, so soll Y Dignität vom Index c der Größe v heißen und mit v'^ bezeichnet werden. Umgekehrt heiße V Wurzel vom Index c der Größe V und werde mit yV bezeichnet. Endlich soll c Logaritltmus von V in heziig auf die Basis v genannt werden. Alsdann entstehen die Fragen, ob es für jedes (reine oder gemischte) v ein solches h gibt, daß /■(?)) = V wird und ob allgemeiner zu je zweien der drei Größen c, V, F je eine dritte gehört, und wenn das der Fall ist, wie beschaffene und wie viele Werte der gesuchten Größe man erhält? Es folgt die Einführung des natürlichen Logarithmus der Basis e und die Erklärung des Modulus. Im Scholion 2, mit dem die unvollständig erhaltene Handschrift abbricht, werden zunächst, wenn C, |3 und h Konstanten bedeuten, die wohlbestimmte Werte haben, alle Größen a;, die der Gleichung f{ßx) = C genügen, mit dem gemeinsamen Namen k bezeichnet, und alsdann die Sätze ausgesprochen:
1. Jedes fihß'K) und nur dieses ist Dignität vom Index h der Größe C, nämlich /"(i'i^t); C ist allein Dignität vom Index ß eines jeden /'(jt); dasselbe C ist Dignität von irgendeinem Lidex x für die Größe f{ß)-
2. C, nämlich /'(|3jc), ist allein Wurzel vom Index h eines jeden f(bßK)] jedes f(K) ist allein Wurzel vom Index ß der Größe C = /"(/3x); f(ß) ist allein Wurzel vom Index jc der Größe C = /"(i^x).
S. 129, Z. 3 — 2 V. u. Der vollständige Titel der Abhandlung Johanns, die im folgenden als Eesponsio angeführt wird, lautet:
Responsio ad quaestionem, discussionem dubii, num, et quibusnam con- ditionibus, quantitates vulgo pro imaginariis habitae, in geometria occurrentes construi possint necne, concernentem, ab Inclyta Societate Scientiarum Jablo- noskiana Lipsiae anno 1837 motam.
Am 30. Dezember 1841 schrieb Johann aus Domald an den damaligen Sekretär der JABLONOWSKischen Gesellschaft, Prof. Hasse zu Leipzig: „Da die am 17. Oktober des Jahres 1837 mit dem Motto Fructus non nisi maturi deccr- pendi bezeichnete, einer löblichen gelehrten fürstlich JABLONOWSKischen Gesell-
246 Leben und Schriften der beiden Bolyai
Schaft der Wissenschaften zu Leipzig vorgelegte Dissertation : Die Konstruktion der imaginären Größen in der Geometrie, den Beifall einer löblichen gelehrten Gesellschaft, woran mir doch sehr viel lag, zu erhalten das Glück nicht hatte, so ersuchte ich Herrn Professor Wolfgang Bolyai, welcher soeben in ähnlicher Angelegenheit nach Leipzig schrieb, gefälligst bewirken zu wollen, daß die vor- erwähnte Dissertation, als deren Verfasser ich mich hiermit bekenne, mir gütigst zugestellt werden möchte, indem ich solche, wie dessen auch darin erwähnt wird, als Wechseffieber-Patient in der Eile verfaßte oder vielmehr aus schon fertigen Ideen zusammensetzte, sodaß ich nicht einmal eine genaue Abschrift davon behalten konnte, und doch sehnlichst wünschte, dieselbe von den vor- findigen, von einer löblichen gelehrten Gesellschaft angedeuteten Mängeln nach Kräften zu befreien. Aus einem an Herrn Professor Bolyai gerichteten Ant- wortschreiben von Seiten Euerer Hochwohlgeboren indessen entnahm ich eine Äußerung, der zufolge nur der eigentliche Verfasser selbst der oben genannten Dissertation deren Rückerstattung von einer löblichen gelehrten Gesellschaft verlangen könne."
Auf dem Briefe, der sich im Archiv der Fürstlich jABLONOwSKischen Ge- sellschaft befindet, ist vermerkt: „Beantwortet den 15. Februar 1842 und die Abhandlung zurückgeschickt."
S. 132, Z. 4 — 27. R. W. Hamilton, Theory of conjugaie funcHons, or aJ- gebraic couples, Transactions of the Royal Irish Academy, vol. 17, Dublin 1837, S. 393—423 (Read June 1, 1835).
S. 132, Z. 8 V. u. — S. 133, Z. 5. Vgl. die Responsio, § 11, zweiter Teil dieses Buches. S. 231 und S. 233 (Schlußsatz).
S. 133, Z. 6 — 1 V. u. Über Johanns späteren Versuche, die Theorie der imaginären Größen auszugestalten, wird im XVIII. Kapitel kurz berichtet wer- den; im Besonderen sei auf das S. 254—257 in der Anmerkung zu S. 179 mit- geteilte Bruchstück einer Bearbeitung der Besponsio hingewiesen.
Zum XV. Kapitel
Als Quelle für dieses und das folgende Kapitel hat hauptsächlich die Abhandlung gedient Johann Bolyais Bemerlungen über Nicolaus Lobätschefskts Geometrische Untersuchungen zur Theorie der Paralletlinien, ein Bericht erstattet von P. Stäckel und J. Kürschäk, Mathematische und naturwissen- schaftliche Mitteilungen aus Ungarn, Bd. 18, Jahrg. 1900 (1903), S. 250 — 279.
S. 134, Z. 5—11. Vgl. Engel, S. 419—420. Der Brief von Gauss an Schumacher ist abgedruckt in den Werken von Gauss, Bd. VIII (1900), S. 238—239.
S. 134, Z. 16—8 V. u. Br. G.-B., S. 130, 134.
S. 135, Z. 22. Über Karl SzÄsz vgl. S. 66 und 80 — 82 sowie die zu- gehörigen Anmerkungen.
S. 135, Z. 4 — 2 V. u. Das ,.ganz neu aussehende Buch", das Gauss von einem russischen Mathematiker erhalten hatte, ist höchst wahrscheinlich der in seinem Nachlaß vorhandene Sonderabdruck von Lobatschefskijs Abhandlung Anwendung der imaginären Geometrie auf einige Integrale (1836), und zwar hatte Gauss, wie aus einem Brief an Encke vom 1. Februar 1841 (Werke, Bd. VIII, S. 232) hervorgeht, diese Abhandlung von dem Physiker Ernst Knorr
Anmerkungen und Nachweisungen. Kap. XIV — XVI, S. 132—141 247
erbalten, der 1832 — 1846 Professor an der Universität Kasan war; vgl. Engel, S. 437—441.
S. 137, Z. 12 — 14. Karl SzÄsz ist zwischen Februar 1842 und August 1843 in Göttingen bei Gauss gewesen, vgl. S. 82 und die zugehörige Anmerkung.
S. 137, Z. 15—18. Siehe Br. G.-B., S. 198—199, sowie S. 163 des Textes.
S. 138, Z. 14 — 11 V. u. Einen Teil der Einleitung enthält auch in deut- scher Fassung ein Vorwort znr Ällheillehre, das aus der Zeit nach 1851 stammt; diese Aufzeichnungen sind für die Übersetzung aus dem Magyarischen benutzt worden.
S. 139, Z. 7—9. Vgl. Tentamen, T. II, editio secunda, S. 412— 413; dort heißt es: „Auf Seite XVIII der oben erwähnten ÄrifJmietica Eleje wurde eine Schreibweise vorgeschlagen, nach der es nicht nur keine zusammengesetzten Buchstaben gibt, sondern auch kein Buchstabe nacheinander zweimal geschi'ie- ben wird, ja sogar über gar keinem Buchstaben sich ein Punkt oder Akzent befindet und dennoch jeder Vokal, und zwar der kurze ein von dem langen unterschiedenes Zeichen hat, ohne daß hierzu ein neuer Buchstabe aufgenommen werden müßte: es werden die langen [Vokale] sowie die doppelt zu schreiben- den [Buchstaben] durch einen (je nachdem es die Geläufigkeit der Schrift er- fordert) oben oder unten gezogenen Strich angezeigt; das übrige wird mit einem der Kurrentschrift angepaßten (bei manchen Buchstaben horizontal, bei manchen von oben nach unten angebrachten) Zeichen angedeutet; auch heute wünschte ich etwas derartiges, damit die Aussprache unserer Sprache eine bestimmte und wenigstens unsere Schreibart eine uns eigentümliche sei; aber zur Bezeichnung des gy sollte mit dem erwähnten Zeichen versehen eher der Buchstabe d als g angewendet werden, weil adjon sich leicht in aggyon ver- wandelt, aber statt vägjon niemand vdggyon sagt; — und es gibt noch zwei aa- dere [Laute], für die besondere Zeichen nötig sind; man ersieht es aus den Worten edseni, fmdzsia (von diesem sagte ein sechsjähriges Kind, daß man das mit keinem [Buchstaben] schreiben könnte, was wie [das g in] giorno lautet); ss wäre z mit jenem Zeichen versehen, edzeni würde ebenfalls mit z geschrieben werden, doch wäre jenes Zeichen verdoppelt in der Mitte anzu- wenden, dies kommt ja ohnedies nur selten vor; wie auch der Laut [des g in] giorno, der mit dem vor das ^r gesetzte Zeichen angedeutet werden könnte."
Znm XVI. Kapitel
S. 141, Z. 1 — 3. In Wirklichkeit sind sogar außer Gauss, Johann Bolyai und LoBATSCHEFSKij noch ScHWEiKART (gegen 1819), Taurinus (1829) und vielleicht auch Foukier zu nennen; über diesen vgl. Gauss Werke, Bd. VIII, S. 188—189.
S. 141, Z. 6—8. Josef Johann Littrow (1781—1840) war 1810—1816 Professor der Astronomie an der Universität Kasan gewesen. Er hat sich de? jungen Lobatschefskij, der, 1793 geboren, von 1807 — 1812 an der Uni- versität Kasan studierte und darauf dort als Magister Mathematik und Astro- noiuie lehrte, wohlwollend angenommen; es'scheint jedoch nicht, als ob nach dieser Zeit unmittelbare Beziehungen zwischen Littrow und Lobatschefskij bestanden haben, vgl. Stäckels Bemerkung bei Enöel, S. 426.
248 Leben und Schriften der beiden Bolyai
S. 141, Z. 19 — 21. LoBATSCHEFSKijs Veröffentlichung im Kasaner Boten vom Jahre 1829 — 1830 ist die Abhandlung Über die Anfangsgrunde der Geometrie, die in der Tat eine ausführliche Darlegung der imaginären Geometrie enthält. „Die neue Geometrie", sagt Lobatschefskij (Engel, S. 24) „kann, wenn sie auch in der JSJatur nicht besteht, nichtsdestoweniger in unserer Vorstellung bestehen, und wenn sie auch bei wirklichen Messungen außer Ge- brauch bleibt, so--eröffnet sie doch ein neues, weites Feld für die Anwendungen von Geometrie und Analysis aufeinander." Als Lobatschefskij in den Jahren 1815 und 1816 über Geometrie vortrug, stand er noch ganz auf dem Boden der Euklidischen Geometrie und machte sogar verschiedene Versuche zum Beweise des XI. Axioms. Im Jahre 1823 hatte er erkannt, daß die bisherigen Beweis versuche verfehlt seien, aber allem Anschein nach besaß er damals noch nicht seine neue Geometrie, wenn er ihr auch nahe sein mochte. Diese neue Geometrie betraf erst eine Abhandlung Exposition succincte des prhidpes de la Geometrie avec une demonstration rigoureuse du theoreme des paralleles, die er am 12. Februar 1826 der pbysiko-mathematischen Abteilung der Uni- versität Kasan vorlegte; die Abhandlung im Kasaner Boten ist, wie Lobatsche-, FSKij bemerkt (Engel, S. 1 und 21), ein Auszug der Expositioii^rgl. auch Engel,! S. 371—378.
S. 141, Z. 25—27. Über Karl SzÄsz vgl. S. 66 und 82 des Textes und die zu S. 82 gehörige^ Anmerkung.
S. 145, Z. 14—29. Engel, S. 8.
S. 145, Z. 11—6 v. u. Engel, S. 112.
S. 146, Z. 5 — 3 V. u. Etudes ge'ometriques sur la theorie des paralleles, par N. T. Lobatsghewsky, traduit de Fallemand par J. Hoüel, Memoires de la societe des sciences physiques et naturelles de Bordeaux, t. 4 (1866); S. 21 — 22 des Sonderabdnicks.
S. 146, Z. 3 — 1 V. u. Engel, S. 189—191; vgl. auch Engel, S. 33.
S. 147, Z. 22—24. Engel, S. 20.
S. 149, Z. 7 — 8. Euler hat in seiner Dissertatio de fradionibus continvis, Comment. acad. sc. Petrop. 9 (1737), 1744, S. 98 — 137 bereits die Kettenbruchentwicklungen gegeben, auf denen die Beweise für die Irrationali- tät von TT von LAjrBERT (1767) und Legendre (1794) beruhen; vgl. auch Rudio, Geschichte des Problems von der Quadratur des Zirlxls, Leipzig 1892, S. 55 — 56, KürschAk, ä Jcörmeres elmclete es törtenete (Theorie und Geschichte der Kreis- messung), Mathematikai es Phjsikai Lapok, Bd. 1—3 (1892 — 1894) und Pringsheoi, Über die ersten Beueise der Irrationalität von e und n, Mün- chener Berichte 28 (1898), S. 325—337.
S. 151, Z. 22 — 29. In der deutschen Übersetzung der Pangeometrie von H. Liebmann, Ostwald's Klassiker der exakten Wissenschaften, Heft 130, stehen die betreffenden Gleichungen auf den Seiten 11, 24, 38.
S. 152, Z. 15—23. Die Gleichung
tg|-F(a) = e-"
(statt des 71 in den Geometrischen Untersuchungen schreibt Lobatschefskij hier F) steht bei Engel, S. 20, die Gleichung
S. 33 ; die Stelle in den Neuen Anfangsgründen findet sich bei Engel, S. 189—191.
Anmerkungen und Nachweisungeu. Kap. XVI— XVII, S. 141_163 249
S. 154, Z. 26—32. Vgl. die Ausführungen im XVIII. Kapitel, S. 185 —188 des Textes.
S. 154, Z. 10—1 V. u. Vgl. die Anmerkung zu S. 118, Z. 4 v. u.
S. 156, Z. 9 V. u. — S. 157, Z. 19. Der Gedanke, die Bewegung der Planeten heranzuziehen, stammt von Wolfgang, der ihn im Tentamen ausge- sprochen hat, siehe S. 96 des zweiten Teiles dieses Werkes. Der Vorschlag, in der Mechanik des absoluten Raumes die Massenanziehung im umgekehrten Verhältnis mit der Kugelfläche anzusetzen, deren Radius die Entfernung der sich anziehenden Körper ist, findet sich auch bei LoB.A.TSCireF.SKi.; in den Nmen Anfangsgründen (1835), Engel S. 76; über die Folgerungen, die man in neuerer Zeit aus diesem Gesetz gezogen hat, vgl. die S. 243 — 244 ant^eführte Literatur, insbesondere die Abhandlungen von H. Liebmanm.
S. 158, Z. 22—13 V. u. Vgl. hierzu auch S. 109 des Textes und die zu- gehörigen Anmerkungen, S. 242.
S. 158, Z. 9 V. u. — S. 159, Z. 18. Exgel, S. 392—393.
S. 159, Z. 21 V. u. — S. 160. Z. 4. Exgel, S. 393.
S. 160, Z. 5—21. Engel, S. 393—394.
Zum XVII. Kapitel
S. 161, Z. 12—25. Bf. G.-JB., S. 128.
S. 161, Z. 10 V. u. Gauss hat in ein Notitzbuch, das er seit Juli 1798 zu führen begonnen hat (im Gauss- Archiv als Scheda Aa bezeichnet), die Verse eingetragen:
Thi<s let nie tveep älone, Thus unlamented let nie die^ And not a stone Teils ivliere I lie.
Sollte der Satz: selbst Icein Stein mehr von mir spricht eine Anspielung auf ge- meinsame englische Lektüre während der Göttinger Jahre sein? (Mitteilung von L. Schlesinger).
S. 161, Z. 8 V. u. — S. 162, Z. 12. Br. G.-B., S. 132—133.
S. 162, Z. 14—35, Br. G.-B.. S. 137—139.
S. 162, Z. 2 — 1 V. u. Nach Wolfgangs Rücktritt wurde seine Professur zunächst durch Stellvertreter (Siipplenten) versehen, und zwar vom Oktober 1851 ab durch Karl SzÄsz (vgl. S. 66) und nach dessen am 23. Oktober 1853 erfolgten Ableben durch Franz Hegedtjs. Dieser trat im März 1855 zurück und starb im folgenden Jahre. Im Juni 1856 wui'de dann Franz Mentovich (vgl. S. 135) zum eigentlichen Nachfolger Wolfgangs gewählt; er hat die Stelle bis zu seinem Tode am 15. Dezember 1879 bekleidet. Neben Men- tovich wii'kte als Professor der Mathematik und Physik Samuel Szabo, ge- boren 1829 (vgl. S. 200), der sein Amt im September 1857 antrat und es bis zum Juli 1868 verwaltete, wo er nach Klausenburg übersiedelte; er ist 1905 in Budapest gestorben.
S. 163, Z. 5—9. Br. G.-B., S. 199.
S. 163, Z. 10 — 14. Einen Bericht über die Beobachtungen, die Kreil und seine Gehilfen während des Jahi-es 1848 in Östen-eich-Ungarn angestellt hatten, findet man in dem Werke von Karl Kreil und Karl Fritsch, Magnetische
250 Leben und Schriften der beiden Bolyai
und geographische Ortsbestimmungen im österreichischen Kaiserstaate, 3. Jahrg. 1848, Mähren, Schlesien, das nördliche Ungarn, Siebenbürgen, Galizien. Prag 1850, S. 131 — 134. Vorgenommen wurden 1. magnetische Bestimmungen (Deklination, Inklination, horizontale Intensität), 2. astronomische Beobach- tungen zur Zeit-, Längen- und Breitenbestimmung, 3. Barometervergleichungen und Höhenbestimmungen. Der Beobachtungsplatz in Maros-Vasärhely war „der Gai-ten des Herrn- Professors Bolyai, nächst der Minoritenkirche." S. 163, Z. 15—31. Br. G.-B., S. 197—198. ■ S. 163, Z. 3—1 V. u. Bedöhäzi, S. 276. S. 164, Z. 6—16. Br. G.-B., S. 138. S. 164, Z. 1 V. u. — S. 165, Z. 5. Br. G.-B., S. 143. S. 165, Z. 6— 13. Br. G.-B., 144 und 146. Die Verse lauten im Latei- nischen :
Ima et summa simul penetrans vix exstitit alter Utraque digna etiam promovit acumine eodem. Externum haud quaerens fulgorem, luce reperta, Quam mors frangendo fracta ipsa extinguere nequit. Atque Deo gaudens (ut Newton) pectore puro Illius est socius per coelos ulteriores.
S. 165, Z. 18—21. Br. G.-B., S. 147—148.
S. 165, Z. 26—31. Vgl. die Anmerkung zu S. 95.
S. 165, Z. 7 V. u. Die besten Traueranzeigen Wolfgangs sind die auf seinen Jugendfreund Baron Simon Kemeny (1824) und auf Karl SzÄsz (1853). Der Nachruf auf Szasz möge hier, zugleich als eine Probe von Wolfgangs Schreibart, in einer deutschen Übersetzung mitgeteilt werden, die ich Herrn Ignaz Rados in Budapest verdanke.
Der ohnegleichen vortreffliche Professor der Mathematik und Physik, Karl SzÄsz de Ssemerja, der ältere, ist nicht mehr.'
Es braust der den Eichenstamm fällende Sturm: aber das Gewicht, das die Uhr des Lebens in Bewegung setzt, sieht man auch dann nicht, wenn es fast die Erde erreicht hat. — Elender Sterblicher! werde es gewahr, daß du inmitten eines Pfeilvegens stehst, — sieh' die riesige Kraft, wie sie auf einmal zusammengebrochen ist, imd, wie vor den Ruinen einer alten Burg mit Ehr- furcht erfüllt, lerne, daß keinerlei Irdisches dich hochmütig mache! Demütige dich vielmehr vor der Ewigkeit, nachdem du die Lektion von der Vergänglich- keit begriffen hast, und erhebe dich mit zitternden Flügeln, dem alleinigen Gott entgegen.
Du hörst den Ruf der Totenglocke zu einer höheren Kirche, zur Versamm- lung der Gläubigen aus der ganzen Welt! das bittere Weinen der Witwe, die unerwartet ihren unvergleichlich treuen Gefährten verloren hat, und das der Waisen, deren in den Vater gesetzte Hoifnung zunichte wurde — von ferneher kommen seine Freunde, um ihre Tränen mit denen der hier Anwesenden zu vereinigen, und feucht sind überall die Augen.
Oh, es kann aber nicht sein, daß die alles übertreffende Güte eine Wunde schlage, ohne Balsam dafür zu bieten!
Die Geburt und der Tod sind zwei Wasser gießende Genien: jene begießt den neuen Sprößling für das irdische Leben und übergibt ihn diesem zur Taufe für ein höheres [Leben].
i
Anmerkungen und Nachweisungen. Kap. XVII, S. 163 — 172 251
Welch' eine wunderbare Komposition auch dieses Leben sein möge, Weinen ist die Ouvex-ture, Todeskampf das Finale, und dazwischen lösen die höllischen Dissonanzen, dadurch noch fühlbarer gemacht, himmlische Akkorde aus; weise ist es für die Erde bestimmt.
Da das Ziel weiter gesteckt ist, so mußte diese ii-dische Laufbahn so be- schaffen sein, daß wir darauf wandeln und sie auch verlassen können; — kein Rang befreit von der Steuer des Lebens. Wir müssen leiden, damit wir nicht hochmütig werden — man sieht, daß niemand weiß, was ihm bis zu seinem Tode begegnen wird — oft schneidet der pfropfende Gärtner eine Wun<le, um zu ver- edeln, und auf dem Kreuzpfahle des dem Donnerstag [der Himmelfahrt] voran- gehenden Freitags [der Kreuzigung] befindet sich der Weg, der zum Himmel führt.
Unter Tränen, die aus den dem Verlorenen nachblickenden Augen fließen, mögen die mit verwundeten Herzen Trauernden sich beruhigen!
Jünglinge! die vereinigte Flamme fast aller Musen ist erloschen — der unvergleichlich leicht begreifende, blitzschnelle und vielseitige Verstand und die so vieles vermögende, kräftige körperliche und geistige Tätigkeit existieren für uns nicht mehr, — die während einer 32 Jahre dauernden Amtstätigkeit unermüdlich lehrende Zunge, die die ewigen Wahrheiten der Natur so entzückend und krystallrein vor euch aussprach, ist verstummt — ein mächtigerer Lehrer — der Tod — hat ihn von jener großen Tafel ausgelöscht, auf die ihn die höchste Hand hingeschrieben hat, — es möge die von ihm mitgeteilte Wissenschaft euch zu einem Andenken verbleiben, das eure Blüte überlebe, damit ihr, die ihr im Lebensalter der Unerfahrenheit auf die wegweisende Lampe der Alten des V. Ge- botes geachtet habt, dann, wenn der alle Blumen verwelkende Wind anlangt — ebenso bereit seid, nach einem wärmeren Sonnenlicht zu ziehen, wie die bloß ihr Lehmnest zurücklassende Schwalbe und Avie euer unvergeßlicher Lehrer, der am Mittagspunkte seines Lebens, kaum 56 Jahre alt, auf ein höheres Gebot sogar sein im Druck befindliches Werk sogleich im Stich ließ und bereit war, sein Lehmhaus der Muttererde zurückzugeben am 25ten dieses Oktobers [1853], abends um 8 Uhr.
S. 165, Z. 8 — 9 V. u. Eine Übersetzung der Jelentc'S verdanke ich HeiTn Bezirksarzt Dr. Tarnowsky in Maros-Väsarhely; ihr sind die S. 165 und 166 mitgeteilten Stücke entnommen.
S. 166, Z. 23 — 24. Es handelt sich um die in Silber und Bronze aus- geführte Medaille, die König Georg V von Hannover nach dem Tode von Gauss zu dessen Andenken prägen ließ. Der Kopf ist auf den Titelblättern der Werke von Gauss wiedergegeben. Die Medaille trägt noch die Inschrift: Carolus Fridericus Gauss, nat. MDCCLXXVH Apr. XXX, ob. MDCCCLV Feb. XXm.
S. 167, Z. 13 — 14. Die Briefe von Johann an Gregor (Gergely) sind jetzt im Besitz der Ungarischen Akademie der Wissenschaften.
S. 1(37, Z. 19—35. Bedohäzi, S. 360—361.
S. 167, Z. 5 — 1 v.u. Th. Vass, Bolyais letzte Tage, Monatsschrift der Sigmund-KEMENY-Gesellschaft 1896; abgedruckt im Budapesti Naplo vom 26. Juli 1901; die mitgeteilte Übersetzung verdanke ich Herrn Prof. Ignaz Eados in Budapest.
S. 172, Z. 14 — 38. Aus der Vorrede zum Beweis des XI. Axioms (1856).
S. 172, Z. 1 V. u. Das Tcntamen enthält außer dem von Johann verfaßten Appendix einen darauf bezüglichen Zusatz, in dem Wolfgang eine Mitteilung
252 Leben und Schriften der beiden Bolyai
Johanns wiedergibt (S. 216 — 219 des zweiten Teiles dieses Werkes), und dazu kommt eine Reihe von Bemerkungen, die Wolfgang als Eigentum des Verfassers des Appendix bezeichnet, zum Beispiel über die Erklärung der Ebene und der Geraden (S. 56 des zweiten Teiles dieses Werkes) und über die Erklärung ähn- licher geometrischer Gebilde (S. 58).
Zum XVIII. Kapitel
Als Quelle für den Bericht über Johanns mathematische Untersuchungen aus der Spätzeit hat hauptsächlich gedient die Abhandlung von P. Stäckel, Johann BoLY AIS Raumlehre, Mathematische und naturwissenschaftliche Berichte aus Ungarn. Bd. 19, Jahrg. 1901 (1904), S. 1—12.
S. 173, Z. 6—7. Br. G.-B., S. 154.
S. 173, Z. 7 — 8. Durch Testament vom 31. Mai 1843 hatte Johann „zur Universalerbin mit Ausnahme seiner Violine infolge ihrer vieljährigen Dienst- ^ leistungen" seine Wirtschafterin Rosalie v. Orbän eingesetzt. 9
S. 173, Z. 17—10 V. u. Der Vertrag vom 26. Nov. 1852 ist im Besitz von Herrn P. Szabo (Budapest).
S. 174, Z. 17—20. Über Karl SzÄsz vgl. S. 66 und 82 sowie die zuge- J hörigen Anmei'kungen.
S. 174, Z. 17 — 16 V. u. Daß Wolfgang auch in der Domalder Zeit Johanns Leistungen schätzte und anerkannte, zeigt eine Stelle aus der 1843 in zweiter Auflage erschienenen Ärithmetika elcje (S. 185): „Der Appendix ist ein Werk, das Folianten wert ist. Es ist ein für den wahren Geometer schönes, notwen- diges, originelles und kolossales Werk, sodaß man von dem Verfasser etwas Ähnliches erwarten, ja fordern kann. Wie viele Denker haben bis in die neueste Zeit vergebens versucht, den einen Hauptgrund des Gebäudes der euklidischen Geometrie zu sichern I und es blieb doch nur eine bedingt da- stehende Geometrie. In dem erwähnten Werk wurde eine unabhängige und für alle Fälle wahre Geometrie aufgestellt und gezeigt, daß es auch einen Kaum gibt, in welchem das ganze System des Euklid wahr ist. In ihm wird die sphärische Trigonometi-ie unabhängig vom elften Axiom abgeleitet und in dem Falle, daß das elfte Axiom (dessen Wahrheit und Falschheit in gleicher Weise stattfinden kann) unwahr ist, die Quadratur des Kreises ausgeführt. Diese Arbeiten wurden von dem großen Gauss gelobt, aber nur wenige habei ihren Wert gewürdigt. Es ist, ohne viele Worte zu machen, wahrhaft klassisch/
S. 175, Z. 4 — 8. Näheren Aufschluß über Johanns Krankheit gibt folgende^ Stelle aus einem Briefe an seinen Vater:
„Auf Ihre Frage nach meinem Befinden schreibe ich über meine Krank- heit; ohne dieselbe würde ich Sie mit dieser Sache, die bei Ihren größeren Sorgen für Sie weniger interessant ist, kaum belästigen. Die Ausschläge sind wohl größtenteils nach den (der Anzahl nach zusammen 9) nach je 3 mit einer Unterbrechung genommenen Jodbädern und nach dem innerlichen Ge- brauch der nach den hier (erga restitutionem) beigelegten Rezepten hergestellten Jodpräparaten zurückgegangen, obwohl die Stelle einiger größeren, gleichsam von der Größe einer Linse, sozusagen fleischfarbig sichtbar ist. Aber das hef- tige Jucken, Brennen ist größtenteils noch dageblieben (obwohl ge^vissermaßen in anderer Art) .... Dagegen hat der D[octor] nach dem beiliegenden Rp.
Anmerkungen und Nachweisungen. Kap. XVII— XVIII, S. 173—177 253
Quecksilberwaschungen verordnet Ich habe aber das ganze Waschen
mit der Salbe nicht gern, ich fühle eine erstarrende Wirkung davon, und habe auch einen Speichelfluß davon bekommen, der aber bald vorüber war . . . ." S. 177, Z. 1 — 10. Auf einem Zettel hat Johann die Aufgaben zusammen- gestellt, mit denen er sich damals beschäftigte und deren Lösung er in seiner Macht zu haben vei-meinte:
1. Algebraische Auflösung aller Gleichungen.
2. Endige Integration jeden Differentials.
3. Endliche SVimmierung jeder endlosen Reihe.
4. Allgemeine Quadratur der Kreisfläche von etwa 6 Arten.
5. Endliche Form der Primzahlen aller Arten.
6. Vollständige rationale Auflösung jeder endlichen Gleichung oder Systems von Gleichungen.
7. Beweis des XI. Euklidischen Axioms.
8. Beweis der Endlich-Gleicbheit aller gleichen Polyeder.
9. Vollkommene Bewegungslehre. 10. Vollkommene Flüssigkeitslehre.
Daß Johann wirklich gewähnt hat, die Quadratur des Kreises mittels Zirkel und Lineal entdeckt zu haben, zeigt das noch erhaltene Titelblatt zu einer Abhandlung:
„Des Kreises Quadratur und ztvar algebraische und sivar durch Maßes Quadrativurzclaussiehen und somit durch geometrische Eonstruhtion, und zwar im ällerstrengsten Verstände. Von Johann Bolvai von Bolya, des k. k. Geniestabes Hauptmann in Pension."
Es scheint, als ob das Buch eines mathematischen Dilettanten bösester Art einen unheilvollen Einfluß auf Johann ausgeübt hat. In seinem Nachlaß findet sich nämlich das Werk: A. Vogel, Mathematiker in Leipzig, Entdechung einer numerischen Auflösung aller höheren endlichen Gleichungen von jeder be- liebigen algebraischen und transzendenten Form. Leipzig 1845.
S. 177, Z. 14 — 15. Als Beispiel sei folgende Notiz angeführt:
„Inwiefern die Grenzen eines bestimmten Integrals imaginär sein können, oder dasselbe auf imaginäre Grenzen ausgedehnt werden könne, ist . . . meines Wissens noch von keinem Menschen erörtert worden. Hier nun will ich zeigen, daß und inwiefern die c- und J- Lehre sich auch auf imaginäre Größen aus- dehnen lasse. Ist u=f(^x,y,z,...), so kann man erstlich p -\- ^, r-^s.^ ... bzw. statt .r, y, . . . setzen, wodurch v -\- V = g{p, q, r, s^. . .) -\- h(jp, g, r, s, . . .),
^• = ^, r=h, dv=^^^^dp+^^d<i+'-; dY=.^^dp-\-^dq + --;d{v^V)
= dv -^ (:ZF= • • • Andererseits wird, da die ^-Lehre leicht, wegen der Konver- genz, auch für imaginäre Änderungen gilt, zugleich x um Ap -\- Ag geändert." Hier brechen die Aufzeichnungen leider ab.
Johanns Lehre vom Logai'ithmus und der Potenz ist schon im XIV. Ka- pitel erwähnt worden. Er kommt in den Aufzeichnungen der Spätzeit wieder- holt darauf zurück und bemerkt zum Beispiel mit vollem Recht, daß man bei beliebigen, sogar komplexen Werten des Exponenten a den Differentialquoti- enten der Potenz x^ nur dann in Strenge herleiten könne, wenn man x'^ durch ^ainx ersetze.
Bemerkenswert ist auch die strenge Behandlung der Infinitesimalrechnung. Ihm sei schon als Knaben, sagt Johann, der Begriff der unendlich kleinen
254 Leben und Schriften der beiden Boltai
Größen abstoßend und schrecklicb gewesen; man dürfe mir davon reden, daß Größen gegen Null streben, dann aber sei die Strenge der Alten erreichbar, ja übertreffbar. Um anzudeuten, daß zwei Größen nach Vollziehung eines ge- wissen Grenzüberganges einander gleich werden, benutzt er ein besonderes Zeichen =^ , das zum Beispiel in den BemerTcungen zu Lobatsohefskijs Geo- meirischen Untersuchungen (S. 153 des Textes) verwendet wird.
S. 178, Z. 9 — 11. Man vgl. besonders den Entwurf zu einem Titelblatt der Allheillehre, der in der Anmerkung zu S. 194, Z. 15 v. u. abgedruckt ist.
S. 178, Z. 17 — 27. Aus dem Vorwort zur Raumlehre (um 1834).
S. 179, Z. 12—17. Br. G.-B-, S. 103—104.
S. 179, Z. 10 — 5 V. u. Als Probe möge die deutsche Übersetzung einer in lateinischer Sprache geschriebenen Bearbeitung der beiden ersten Paragraphen der Besponsio mitgeteilt werden, die Stäckel in seiner Abhandlung über Johann BoLYAis Theorie der imaginären Größen (S. 276 — 280) abgedruckt hat.
§1-
Wenn jemand seine Geistestätigkeit zu dem Zwecke ausübt, bei andern die- selben Vorstellungen wie bei sich selbst zu erwecken, und noch mehr bei der Be- gründung eines wissenschaftlichen Systems, muß der Anfang notwendig darin bestehen, daß Begriffe gebildet oder konstruiert werden oder daß der Sinn aller Worte und anderen Zeichen^ die bei der Betrachtung vorkommen, mittels gewisser einfacher und undefinierbarer Worte oder Begriffe bestimmt wird; solche gibt es notwendig, da es offenbar unmöglich und der Xatui' eines wissenschaftlichen Systems widersprechend ist, alles zu definieren, und ihre Bedeutung können wir anderen nur durch unmittelbares Vorzeigen und nur unvollkommen verständlich machen und sind gezwungen, einige bei dem Auf- bau eines Werkes als bekannt vorauszusetzen. Darauf werden gewisse sehr einfache und aus der anderen nicht weiter herleitbare, an sich schon hin- reichend deutliche Sätze aufgestellt (von denen man ebenfalls notwendig aus- zugehen hat). Endlich läßt sich die Eichtigleit oder Falschheit jedes anderen Satzes (wenn er in der Form eines Lehrsatzes gegeben wird) und die 21öglich- Jceit oder Unmöglichlceit (wenn er in der Form einer Aufgabe ausgesprochen wird) nicht anders entscheiden, als indem untersucht wird, ob er aus den auf- gestellten Axiomen folgt oder nicht (wobei man den Sinn der Definitionen sorgfältig beizubehalten und nach gewissen logischen Gesetzen zu schließen oder fortzugehen hat). Mithin läßt sich die vorliegende Untersuchung auf die drei folgenden Momente zurückführen:
1. zu definieren, was unter imaginären Größen zu verstehen ist,
2. zu definieren, was unter der Konstrnldion derselben Größen ver- standen wird,
3. endlich zu entscheiden, ob die imaginären Größen konstruiert werden können oder nicht? und in dem ersten Falle die Art und Weise einer solchen Konstruktion darzulegen.
Alles dieses werden wir nach der gehörigen Methode und mit aller wünschbaren Klarheit angreifen und durchführen. Diese Art der Betrachtung, auf die der Verfasser wie zu den Hauptmomenten der ganzen wahren Theorie der imaginären wie in gleicher Weise der reellen Größen bei einer Gelegenheit,
I
AnmerkuDgen und Nachweisungen. Kap. XVIII, S. 178—179 255
die noch zu nennen sein wird, bereits vor vielen Jahren gelangte*), ist ihm durch langen Gebrauch ganz vertraut gevk^orden. Hier ist es freilich nur mög- lich mit größter Kürze das Unentbehrliche aus der Lehre selbst auszuwählen und vorzubringen, was jedoch für den gegenwärtigen Zweck genügt.
§2.
Nichts Unsinnigeres und der Vernunft mehr Widersprechendes läßt sich überhaupt ausdenken als der Versuch Größeres von Kleinerem tvegsioiehnien, und das leere Gerede von Größen, die kleiner als 0 sind, zeugt von Zeiten, in denen es manchmal sogar den hervorragendsten Geometern gefiel, einfache Wahrheit mit einem geheimnisvollen, dem gesunden Auge undurchdringlichen Schleier zvi umhüllen, indem sie, durch eine oberflächliche Behandlung des Gegenstandes in die Irre geführt, mit Scheinergebnissen zufrieden waren und dabei keine weiteren Bedenken hegten. Wenn man zum Beispiel Soll als negatives Haben, den Weg zur Rechten als den negativen Weg zur Linken, die Hyperbel (in der üblichen Geometrie, die auf dem von Euklid selbst mit Unrecht unter der Form des XL Axioms aufgestellten Lehrsatz beruht) als eine Ellipse mit imaginärer kleinerer Achse ansieht und ebenso umgekehrt, wenn man von Größen spricht, die zu den positiv genannten Größen hinzu- gefügt jene verminc'crn (so daß a -{- b kleiner als die positive Größe a wird, ja sogar so ausfallen kann, daß es selbst zu einer positiven Größe hinzugefügt diese nicht vermehrt), so kann dies niemand, der die Sache genauer präft, bil- ligen, sobald die Worte rechts, links, Hyperbel, Ellipse, Addition in dem ge- wöhnlich Sinne aufgefaßt werden (wie es, wenn man das Wesen der Sache be- trachtet, allgemeine Sitte ist), und wer wird nicht lieber sagen, daß auf diese Art der Natur Gewalt angetan werde, da solche Sätze ganz und gar wider- spruchsvoll sind. Denn obwohl die übliche Bezeichnung a — b einen sehr guten Sinn hat, solange a'^b ist, so hat dieser Ausdruck keinen Sinn mehi-, sobald a<ih ist, und man begeht den ärgsten Fehlschluß, wenn man das, was eigent- lich nur in den Fällen gilt, wo das Wegzunehmende kleiner als das zu Ver- mindernde ist, allgemein auch auf andere Fälle ausdehnt und nachher solche Inbegriffe wie — b (was nach der Definition nur hinter und in Verbindung mit Größen, die größer als b sind, einen Sinn hat) wie Zeichen von Größen be- handelt.
Auf diese Art definiert sind auch die negativen Größen schon wahr- haft unmöglich, oder es gibt keine solche Größen. Und ebenso wird man, wenn man glauben sollte, bewiesen zu haben, daß sowohl zwei positive als zwei negative Faktoren ein positives Produkt ergeben, und wenn man keine Faktoren anderer Art als solche [positive oder negative Größen] zuläßt, mit Recht behaupten, daß eine Größe, deren Quadrat negativ ist, oder die Quadrat- wurzel aus einer negativen Zahl durchaus unmöglich ist. Wenn man jedoch zu einem solchen Inbegriff von Symbolen wie ]/ — 1 , denen kein Gegenstand entspricht (wie ein Bild ohne Original), gelangt, und um dem Theorem eine gewisse Allgemeinheit und Eleganz verleihen zu können, dennoch solche Inbe-
*) Diese Stelle beweist, daß die vorliegenden Aufzeichnungen aus der Spät- .:c:t Johanns stammt; hiernach ist die Angabe Stäckels [Johann Boj.r.us Iheorie der imaginären Größen, S. 267), wonach es sich um einen Entwurf der Eesponsio vom Jahre 1837 handle, zu berichtigen.
256 Leben und Schriften der beiden Bolyai
griffe beibehält und den Rechuungsregeln unterwirft, wobei y — 1 nur als ein jeder weiteren Bedeutung entbehrendes Ding angesehen wird, so ist eine solche Ausflucht nicht allein für den Verstand, der immer sein Objekt anzuschauen und eine anschauliche Erkenntnis zu gewinnen strebt, durchaus unbefriedigend, sondern sie verträgt sich auch nicht mit der geometrischen Strenge; man würde auf diese Art die Würde der so nützlichen und vollkommen sicheren Wissen- schaft zu einem eiteln Spielzeug macheu, und ihre Ergebnisse, die auf Chimären aufgebaut sind, würden mit Recht für zweifelhaft gehalten werden. Was nützt es nämlich zu wissen oder besser, welchen Sinn hat zum Beispiel der Lehr- satz, daß man einer jeden algebraischen Gleichung durch einen solchen Wert a-{-b y — 1 der Unbekannten genügen könne (wo a, h reelle Größen bezeichnen), solange man sich keine Vorstellung darüber bilden kann, wie das Ding y — 1 mit der Größe 6 multipliziert werden kann? Und wie kann man von der Ge- nauigkeit der gewonnenen Ergebnisse überzeugt sein, solange man bei der Her- leitung Unmögliches, nicht Existierendes und Erdichtetes wie Mögliches, Exi- stierendes und Wahres behandelt hat? Indessen ist die Metaphysik dieses ganzen Gegenstandes eine ganz andere; sie wird bald mit der höchsten Ein- fachheit auseinandergesetzt werden, obwohl man eine Abhilfe dieser Bedenken ohne Mühe auch auf folgende Art erhält. Die gewöhnlich positiv genannten Größen (damit wir, wie es notwendig ist, zu den Grundlagen zurückgehen) sind nichts anderes als die absoluten Größen selbst. Wenn nun (wobei jeder Buchstabe eine Größe bezeichnet) a -{- x = c sein soll, wo c kleiner als a ist, so muß augenscheinlich von a etwas weggenommen werden, was jenem b, wo- durch a das c übertrifft, gleich ist, und wenn man in diesem Falle das x mit
— b bezeichnet, sodaß a + ( — &) < a, so ist freilich — & als eine dem a homogene Größe nicht existierend. Wenn jedoch (was möglich ist) — b irgend- eine dem a heterogene Größe bezeichnet oder — b (darunter den Inbegriff oder die Materie der Zeichen — und b verstanden) eine Größe ist, zum Beispiel, wenn a, b Zeiträume (Zeiten) sind und — a, — b Strecken und man eine De- finition aufstellt, daß der Ausdruck a -}- x^ solange x mit a homogen ist, die Summe von a, x (im gewöhnlichen Sinne) bezeichnet, falls aber (u.m den Fall X = 0 der Kürze halber hier zu übergehen) x dem a heterogen ist, a -{- x bedeutet, daß a um die Größe vermindert worden ist, zu der sich x (geome- trisch) so verhält wie — a : a, wenigstens wenn diese vierte Proportionale zu
— a, a, X nicht größer als a ist, sonst aber, daß x um die Größe — a vermin- dert wird: so haben die Ausdrücke der Form — b sehr wohl einen Sinn und lassen sich bei der Addition ohne Schwierigkeit behandeln, sobald irgendein b und das ihm entsprechende — b gebildet oder gegeben wird. Wenn nämlich (kürzer) 1 irgendeine (feste) Größe derselben Art wie a bezeichnet, — 1 aber eine willkürliche (feste) Größe, die dem x homogen ist, so bezeichnet a -\- x a weniger x ■ 1, wenn dieses [x •!]-<« ist, und x weniger a • — 1, wenn a; • 1 > « ist; endlich möge im Falle der Gleichheit a -\- x = 0 sein.
Es ist ei'laubt und durchaus zulässig, irgendwie Begriä'e zu konstruierei (zum Beispiel ein reguläres Polyeder, das von Sechsecken eingeschlossen wirc durch irgendein Zeichen zu bezeichnen und von ihm zu sprechen), wenn mar nur, nachdem die Erklärungen gegeben sind, keine falschen Schlüsse ziehtJ (Bei dieser Gelegenheit bemerke ich jedoch, daß man von Dingen, deren Existenz" noch nicht feststeht und die sogar vielleicht gar nicht existieren, obwohl kein
Anmerkungen und Nachweisungen. Kap. XVIII, S. 177—184 257
augenscheinlicher (logischer) Widerspruch vorhanden ist, nur hypothetisch sprechen darf, und daß die Rede davon bei einer gründlichen Wissenschaft für unelegant, ganz nutzlos und der natürlichen Einfachheit schädlich anzusehen ist). Und alle Streitigkeiten, die in der reinen Mathematik, bisweilen sogar zwischen Männern von großem Aussehen, ausgebrochen sind, haben ihren Grund in dunkeln Begriffen. So hätten zum Beispiel Leibxiz und Johann Bernoulu nicht einen so großen Streit über die Existenz der Logarithmen der negativen Zahlen geführt, wenn sie nur deutliche und klare Begriffe gehabt hätten und vor allem (nach den Vorschriften der Logik) den Gegenstand des Streites klar festgestellt hätten.
Um jedoch nicht weitschweifig zu werden, gehe ich zur tatsächlichen Dar- legung unserer Gegenstände über, die durch ihre Einfachheit und Klarheit in jeder Beziehung alle möglichen Zweifel beseitigt, jeden befriedigt und sicher- lich in dieser Hinsicht nichts zu wünschen übrig läßt. Die Sache läßt sich auf verschiedene Arten darlegen, die jede für sich aus den allgemeinsten Ge- sichtspunkten vorzubringen sich sehr lohnt, damit sie von verschiedenen Seiten erläutei't wird und der wichtige Gegenstand, der trotz seiner großen Bedeu- tung so dunkel geblieben ist, alles wünschbare Licht erhält.
S. 181, Z. 9. Auf einem dieser Zettel findet sich folgende Äußerung, die mitgeteilt zu werden verdient:
„Ob Zeit und Raum wirklich da seien, oder bloß zu sein scheinen, muß dem verständigen und vernünftigen Denker (Philosophen) offenbar ebenso gleichgültig sein und außer weitere Betrachtung gesetzt werden, als es im strengsten Sinne unenfscheidhar ist, und übrigens diese Ideen von der Art scheinen, daß sie sich auf Realitäten beziehen müssen. Es scheint nämlich, daß der Anschein (Idee) des Daseins von Zeit und Ort richtig sei, und versteigen würde man sich, wollte man darüber noch weitere Zweifel erheben. . . . Übri- gens scheint der Tastsinn der zur Hervorbringuug der Idee vom Räume einzig notwendige Sinn zu sein."
S. 181, Z. 12 V. u. — S. 182, Z. 11. Vgl. hierfür auch die Anmerkung zu S. 184.
S. 183, Z. 11 — 14. Vgl. etwa Borel, Geometrie, premier et second eycles, Paris 1905; deutsche Ausgabe von Stäckel, Leipzig 1909.
S. 184, Z. 21. Tacquet, Elementa geometriae planae et solidae; quibus accedunt selecta ex Archimede theoremata, Antwerpen 1654.
S. 184, Z. 12 — 10 V. u. In entsprechender Weise sollten später auch sphärische Vielecke sowie Polyeder untersucht werden. Welche Gesichtspunkte dabei für Johann in Betracht kamen, zeigt der Titel einer geplanten Abhandlung, von der selbst nur unerhebliche Bruchstücke im Nachlasse vorhanden sind:
„Einfachster und kürzester, höchst evidenter und leicht faßlicher Beweis des höchst wichtigen Satzes, man könne 1. jedes durch Haupt- oder Axen- Linien um und um begrenzte, übrigens volle oder auch wie immer durchlöcherte, wenn nur jedes der Löcher wieder durch Haupt-Linien begrenzt wird, Stück einer jeden Hauptfläche, d.i. allerseits gleichförmigen, kurz sphärischen oder allgemeinen Kugelfläche, sei es nun eine Euklidsche Kugel oder Para- oder H\T)ersphäre (welch" letzterer Art auch die Ebene und jede damit parallele Fläche in der anti-Euklidschen, d. h. auf die Falschheit des XL Euklidschen Axioms begründeten Raumlehre ist) in lauter Haupt- (d. i. durch Haupt-Linien
P. Stäckel: Wolfgang und .Johann Bolyai I 17
258 Leben und Schriften der beiden Boltai
derselben Fläche begrenzte) Dreiecke; 2. jeden beliebigen vollen oder durch- löcherten, wie auch mit Höhlungen versehenen Ebenen- (d. i. von Ebenen allerseits begrenzten) Raum in lauter dreiseitige Pyramiden, und zwar der- gestalt zerlegen, daß dort, nämlich in 1., entweder mit jedem Schnitte sogleich eine solche vom Ganzen ein Hauptdreieck abschneidende Hauptlinie gezogen werde oder zuerst nur eine in der Hauptfläche Ä liegende derlei und erst dann durch Ziehung jeder folgenden Hauptlinie von einem Scheitel zu einem andern ein Dreieck abgeschnitten werde, bis auf solche Art einmal Ä selbst ganz in lauter derlei Dreiecke zerteilt wird."
S. 187, Z. 10 — 16. Vgl. die Einleitung zu Lobatschefskijs Abhandlung Geometrie iniaginaire, Journal f. d. r. u. a. Mathematik, 17 (1837), S. 295.
S. 189, Z. 17. Für Ctauss sei auf den Bericht über G-acs.s als Geometer verwiesen, den der in Vorbereitung befindliche Bd. X der Werke bringen soll. RiEMANN, Über die Hypothesen, icelche der Geometrie zugrunde liegen, Habili- tationsvortrag, Göttingen 1854, Abhandlungen der Göttinger Gesell- schaft der Wissenschaften, Bd. 13(1867), Werke, l.Aufl., S. 254, 2. Aufl., S. 272.
S. 187, Z. 24. Cayley, A sixth memoir upon ([uanties, London, Philo- sophicalTranactions 149 (1859), abgedruckt Papers, vol. 2 (1889), S. 561.
S. 187, Z. 27. F. Klein, Über die sogenannte NicM-Euklidische Geometrie, Math. Annalen 4 (1871), S. 573—625, 6 (1873), S. 112 — 145, 7 (1874\ S. 531 — 537; vgl. F. Klein, Nicht-EuJcUdische Geometrie, Vorlesungen gehalten 1889 — 90 an der Universität Göttingen, Göttingen 1893 (Autographiert).
S. 187, Z. 12 — 5 V. u. Vgl. die kritischen Bemerkungen von F. Klein, Gedachten, betreffend den dritten Band der Theorie der Transformationsgruppen von S. LiE anläßlich der ersten Verteilung des Lobatscsefskij- Preises, Math. Annalen 50 (1898), S. 583---600. Es ist bemerkenswert, aber, wie es scheint, bis jetzt unbeachtet geblieben, daß schon Lobatschefski.t die Schwierigkeiten, die sich bei der Auffassung des Raumes als eines Zahlenkontinuums ergeben, klar erkannt hat. Er sagt in den Neuen Anfangsgründin vom Jahre 1835 (Engel, S. 79): „Gewöhnlich beginnt man die Geometrie, indem man den Körpern drei ^Ausdehnungen beilegt, den Flächen zwei, den Linien eine, wäh- rend man beim Punkte gar keine zuläßt. Indem man die drei Ausdehnungen: Länge, Breite und Höhe nennt, und unter diesen Benennungen eigentlich die drei Koordinaten versteht, beeilt man sich auf diese Weise verfrühte Begriffe durch Worte mitzuteilen, denen die gesprochene Sprache bereits einen ge- wissen, für die strenge Wissenschaft freilich noch unbestimmten Sinn beilegt. In der Tat, wie ist es möglich, sich die Ausmessung der Länge klar vorzu- stellen, wenn wir noch nicht wissen, was eigentlich eine gerade Linie ist? Wie kann man von Breite und Höhe reden, ohne vorher etwas über Lote, über die Ebene und darüber gesagt zu haben, wie sich die Lote in einer und in ver- schiedenen Ebenen verhalten? Wenn endlich der Punkt gar keine Ausdehnung hat, was bleibt dann von ihm übrig, damit er Gegenstand eines Schlusses sein könne? Mag es auch sein, daß sich jeder die gerade Linie klar vorstellt, ob- wohl er sich von ihrem Begriffe keine Rechenschaft geben kann; aber es fragt sich, auf welche Weise er nunmehr mit Hilfe der geraden Linie bei einer krummen Linie eine Ausdehnung bestimmen soll und bei einer krummen Ober- fläche deren zwei." Für die weiteren Ausführungen muß auf die Neuen An- fangsgründe selbst verwiesen werden.
Anmerkungen und Xachweisungen. Kap. XVIII— XIX, 8. 184 193 259
S. 188, Z. 2. D. HiLBEHT, Grundlagen der treomeirie, Festschrift zur Ent- hüllung des Gauss -Weber -Denkmals in Göttingen, Leipzig 1899, 4. Aufl., Leipzig 1913; Pasch, Vorlesungen über neuere Geometrie, Leipzig 1882, zweite Aufl., 1912; Peano, Sui fondamenU di geomciria, Rivista di matematica 4 (1894), S. 51 — 99; Schur, Grundlagen der Geometrie, Leipzig 1909; Vero- NESE, Fondamenti di geonietria, Padua 1891; vgl. auch Vahlen, Abstrakte Geo- metrie, Leipzig 1905.
S. 188, Z. 12—14. Tentamen, t. II, S. 195, Editio secunda, S. 241.
S. 188, Z. 6—4 V. u. Gauss, Werke, Bd. VIII, S. 244.
S. 188, Z. 3 — 1 V. u. Bricard, Sur une question de geomctrie relative aux polyedres, Nouv. Ann. (3) 15 (1896), S. 331—33.4; Sforza, Un' osser- vazione sulf equivaJenza dei poliedri per congruema delle xmrti, Periodico di matematica 12 (1897), S. 105 — 109; Drhx, Über raumglciche Polyedor. Göttinger Nachrichten 1900, S. 345 — 354; Über den Eauminhalt, Math. Annalen 55 (1901), S. 465—478.
Zum XIX. Kapitel
S. 189, Z. 17. Ein Entwurf dieser Bittschrift vom 3. Mai 1832 ist ab- gedruckt S. 229 — 232 in der Anmerkung zu S. 73, Z. 1.
S. 189, Z. 20—22. Vgl. eine Äußerung Johanns über den Einfluß des Vaters auf sein ganzes Leben, die sich in der Einleitung seiner Bemerkungen eu LoBATSCHEFüKiJS GeometriscJien Untersuchungen findet. „Von meinem Vater gewann ich, neben wahren moralischen Prinzipien und Anleitung, was ich am höchsten schätze, zugleich mit vielen tüchtigen Grundideen ein reges Interesse, nach gründlichen, strengen, wahrheitsgetreuen und zugleich schönen Lehren zu streben. Er war es auch, der meinen Geschmack bildete und mir Ziel und Richtung gab, an dem ich immer unerschütterlich festhielt, sodaß in mir schon in meinen Kinder- und Jünglingsjahren ein reines und edles Streben erwachte. Mit einem Wort, ihm verdanke ich geistig und materiell die Grundlage und einen großen Teil meines Wesens. . . . Da er mir auf jeden Fall in vielem vorausgegangen ist, so läßt sich unser Verhältnis demjenigen zwischen Asop und Phaedrus mit entsprechender Abänderung vergleichen: Pater audor quam materiam reperit, Jianc ego polivi versihus senariis, das heißt, die Stofi'e, die mein Vater gefunden hat, habe ich in sechsfüßigen Versen ausgearbeitet, und es kommt nämlich auch dieser Versifikation eine eigene Bedeutung zu."
Neben Wolfgang hat auf Johanns Allheillehre vielleicht auch ein Werk Einfluß gehabt, das sich in seinem Nachlaß befindet: v. Eckardtshausen, Zalüenlehre der Natur, oder: Die Natur zählt und spricht; was sind ihre Zahlen? was sind ihre Worte? Ein Schlüssel zu den Hieroglyphen der Natur, Leipzig 1794. Wann dies Werk in Johanns Besitz gekommen ist, hat sich nicht feststellen lassen; es ist nicht ausgeschlossen, daß Wolfgang es 1799 aus Deutschland mitgebracht hat.
S. 191, Z. 6 — 7. Johann Bolyai sagt, daß der Ausspruch: „Der Kopf muß das Herz bilden" oder auch, wie es an anderen Stellen heißt: „Der Ver- stärke muß das Herz erziehen" von Schiller herrühre. Es ist mir nicht ge- lungen, einen solchen Ausspruch bei Schiller aufzufinden.
S. 193, Z. 4 V. u.— S. 194, Z. 11. Tentamen, Editio secundo, S. 413, 414.
17*
260 Leben und Schriften der beiden Boltai
S. 194, Z. 15 — 11 V. u. Sehr bezeichnend für diese Eigentümlichkeit Jo- hanns sind die Entwürfe zu Titelblättern der Allheillehre, von denen sich mehr als ein Dutzend in seinem Nachlaß finden. Einer davon soll hier vollständig mitgeteilt werden.
All -Heil -Lehre
Zur allgemeinen Wohlfahrt oder Glückseligkeit oder Heile oder Vollkommenheit.
Für den Liebhaber
Von
Johann Bolyai v. Bolya,
des kaiserlich königlichen österreichischen Ingenieur-Corps
Hauptmann zweiter Klasse in Pension.
Der Kopf muß das Herz bilden. Schiller.
Zeitliche All-Heil-Lehre
Zur Vollkommenen derlei
Mit All-Heil-Leit-Lehre dazu.
Das ist
All -Heil -Lehre
in drei, voneinander getrennten, selbständigen und deshalb hier, durch einen emfachen Kunstgriif , auch mit einem Male in jeder beliebigen der sechs mög- lichen Ordnungen dargestellten oder dargebotenen oder vorgelegten solche Hauptteile zerfallend oder sich teilend, wovon die zeitliche All-Heil-Lehre und Leit-Lehre, besonders letztere, in gegenwärtiger, oder voi'liegender oder -stehen- der Gestalt, und zum Teile auch in Betreff des Wesens mit der — hiermit ebenfalls abgesondert erscheinenden — oder mit dem Buch-Rücken-Titel sechs ersten Titeln der vollkommenen All-Heil-Lehre — somit auch samt dem Namen der Wenigkeit des Verfassers — nur zeitlich wegen der Unvollkommenheit und bis zur völligen Ausbildung oder Vervollkommnung der bisherigen mensch- lichen oder irdischen Sprachen, Wissenschaften und (Lebens-)Umstände oder Verhältnisse und sehr bedeutenden Beförderung der Wohlfahi't der jetzigen Generation auf dem hier alleruntertänigst und allerunvorgreiflichst vorzu- schlagen gewagten Wege oder Art oder Weise notwendig, nützlich und heil- sam sind. Für den Liebhaber mit dem sehnlichsten, heißesten, innigsten Wunsche und demselben angemessenen, vernünftigen, also festen Glauben und gegründeten Hoifnung gemäß jedoch oder indessen wenigstens mittelbar zum Besten (des Dienstes) oder zur möglichsten und in geringen Kräften stehen- den Beförderung des Allerhöchsten Dienstes oder, was hiermit einerlei ist, Mittel und zwar einziges, zur tunlichsten und auch zu der — bis itzt auf der Erde für unmöglich gehaltenen oder angezweifelten — und zwar sogleich oder ungesäumt und schnell bewirkt werden könnenden gänzlichen oder vollständigen Herbeiführung des allgemeinen, teil weisen und indi[viduellen Heiles].
Zeiiliclier BucJi-, TJmscltlag- oder Couvert-Titel zu einem nur zeitlich- oder einstweilig- oder provisorischen oder Interims- oder interimistischen, nämlich sprachgemäßen, und dem jetzigen oder dermalig- oder heutigen Zustande oder Höhe oder Stadium der V»'"issenschaften überhaupt zeitgemäßen oder den Umständen und Verhältnissen auf der Erde, wenigstens meines Wissens oder wie ich weiß, angemessenen Umschlags-, das ist denn — ohne dieses eingebunden werdenden — Buches oder dem Buch samt Einband
Anmerkungen und Nachweisungen. Kap. XIX, S. 194 261
doch nur zum Umschlage oder Decke oder Deckel oder Bedeckung oder Hülle oder Einhüllung oder Einwicklung oder Wickler- oder Mantel- oder Über- oder Schlafrock- oder sonst derlei Oberkleid- oder Bekleidung(s)artigen oder sterblichem Überreste oder Vor- oder Bei- oder Neben- oder Über- oder Ober- oder Leitlehre oder An- oder Einleitung oder Ankündigung oder Vorbereitung oder Eingang oder vorläufig- oder voran- oder vorhergehenden oder voraus- geschickten Anmerkung oder Beilage oder Makulare oder Makulatur oder Krusten- oder Schlacken- oder Häfen- oder Abfall- oder Auswurst-Artigen oder — bei aller einzigen Großartigkeit oder Kolossalität — sonst derlei, seiner Zeit von selbst wegfallenden und dadurch vollkommen Geläutertes oder Destilliertes zurücklassenden rauh- oder gröberen oder unedleren Teiles bestimmten oder dienen mögenden Bogen Papieres oder Papierbogens:
Lehre und Mittel
zum Besten oder Bestmöglichen oder Möglichst Gutem,
ja vollkommenen, vollständigen, zeitlichen sowohl als ewigem, und in jedem
zeitlichen Leben zwar freilich oder allerdings (auch) nur endlichem, mit der
Zeit aber unendlich wachsendem
Wohle oder Wohlfahrt oder Heile oder Glückseligkeit, somit All-Bestem, All-Wohle und All-, und Ewig- und Schnell-Heile oder Heile oder (somit ganzen) Welt oder Welt- Alles und seiner Zeit eines jeden Leben- den als jedesmal nach seiner ebendermaligen Einsicht, Umständen, Verhält- nissen und Wirkungskreise Haupt-, End-, Selbst- — das ist nur seiner selbst wegen, nicht mehr um irgendeines höheren Zweckes Willen gefolgten — Ewig- Gewinn wirklichen, natürlichen und notwendigen höchsten Zweck eines jeden Individuums.
Von
Johann Bolyai Wien 1852
(Exemplar-Zahl)
Vollkommen — somit auch in vollkommen oder ganz oder gehörig oder völlig oder durchaus oder durchgehends oder gründlich ausgebildeten oder vervollkommneten oder be- und ausgearbeiteten oder zur Vollkommenheit gebrachten oder erhobenen oder gelangten oder gediehenen Sprache verfaßten oder auch in Rücksicht der Sprache oder des Ausdrucks oder Vortrages oder Verfassung oder Darstellung sowie des Körpers oder Gestalt oder Äußeren oder Ausstattung oder Kleides oder Einkleidung oder Einrichtung oder Veranstaltung oder Materiellen über- haupt und vollkommen wohl(an)geordnete oder hauptzweckmäßig systematische, kurz in jeder Hinsicht vollkommenen, vollständigen oder alle heilsamen Lehren, und zwar in einem einzigen Werke von oder bestehend aus nur einigen wenigen Bänden umfassende oder enthaltende und zum All-Heile oder Haupt- und Ge- mein-Zwecke zureichende, sowie auch die Erden-Bewohner und zwar (zunächst oder unmittelbar oder geradezu oder im besonderen) die ganze Menschheit oder die Menschen oder das Menschen- oder menschliche Geschlecht oder Ge- sell :<chaft oder die unseren oder diesen Irr- Stern oder Planeten bewohnenden Personen oder Vernunft- oder vernünftigen Wiesen samt den in ihrem oder der- selben Bereiche oder Wirkungs-Kreise befindlichen oder ihr untergeordneten
I
262 Leben und Schriften der beiden Bolyai "
oder ihr anvertrauten (noch) unvernünftigen Lebenden oder Lebens-Gefährten; und zwar allem Verhoffen oder Erwartung nach nunmehr sogleich auch schon hinnieden oder auf der Erde oder in diesem oder irdischen oder Erden-Leben und zwar auch schon die Zeitgenossen oder jetzt oder dermal Lebenden in sehr vielen oder bedeutenden und schnellest (beschleunigst) wachsenden, den hier- nach oder von uns an geboren werdenden Menschen aber (auch zwar selbst) in jeder Hinsicht beglückende und heilbringende oder verschaffende
Heil-Lehre und Heil-Mittel
mit zeitlicher derlei
und Heil-Leit-Lehre zur Letzteren.
Erster Band
(Buch folgt).
S. 195, Z. 17—20. Bedöhäzi, S. 400.
i
Zum XX. Kapitel
S. 196, Z. 8 — 10. Über Kheil vgl. S. 163 und die zugehörige Anmerkung.
S. 196, Z. 10—13. Br. G.-B., S. 143—146.
S. 196, Z. 13 v. u. — S. 197, Z. 9. Aus der Einleitung zum Be/ceis des XL Axioms (1856).
S. 197, Z. 11^ — 35. Aus der Einleitung znm Beweis des XI. Axioms {185Q).
S. 197, Z. 17 — -16 V. u. Diese Erklärung der Geraden als der Linie, „welche sich in sich selbst dreht" hat Gauss in seinen Vorlesungen gegeben. LÜBSEN berichtet in seinem Lehrbuch der Elementar-Geometrie^ Hamburg 1851, S. 11: „Eine gerade Linie ist diejenige, welche nicht aus ihrer Lage kommt, indem sie sich um ihre beiden festen Endpunkte dreht. So hörten wir einmal Gauss bei der Erklärung des Fernrohrs und dessen richtigem Gebrauch den Begriff der geraden Linie festsetzen. Diese Erklärung ist theoretisch frucht- bar, wie die gleich daraus folgenden Sätze zeigen; außerdem ist das ange- gebene Merkmal praktisch wichtig, z. B. bei der Justierung eines Fernrohrs, richtiger Bohrung eines Zylinders usw." Lübsen hatte im Jahre 1830 bei Gauss Vorlesungen gehört; vgl. sein Lehrbuch der Analysis, Hamburg 1853, S. 171. Siehe auch Gauss, Werke VHI, 1900, S. 196 und 199.
S. 197, Z. 3—1 V. u. Vgl. Gauss, Werke VIH, Abschnitt Grundlagen der Geometrie (S. 159 — 268) sowie den in Vorbereitung befindlichen Bericht über Gauss als Geometer, Bd. X der Werke.
S. 198, Z. 6 — 16. Sartorius v. Waltershausen, Gauss zum Gedächtnis, S. 81; die Stelle ist in den Werken von Gauss abgedruckt, Bd. VIH, S. 267.
S. 198, Z. 19 — 28. Die betreffenden Briefe sind abgedruckt in den Werken von Gauss, Bd. VIH, S. 210—219 (1831), 238—239 (1846) und im Brief- wechsel Gauss-Bolyai, S. 198—199 (1849).
S. 198, Z. 2 V. u. — S. 197, Z. 1. In der Vorrede zum ersten Bande der ersten Auflage der Elemente der Mathematih vom Jahre 1860 sagt Baltzer (S. VI), besondere Mühe habe die Auffindung der geschichtlichen Nachweise gemacht, die er den einzelnen Sätzen und Problemen hinzuzufügen wünschte; man werde mancherlei wissenswerte und wenig bekannte Notizen angemerkt finden. Ohne Zweifel liegt hierin eine Eigentümlichkeit der Baltzer sehen Elemente, die sie noch heute zu einem wertvollen Hilfsmittel bei geschieht-
Anmerkungen und Nachweisungen. Kap. XIX— XX, S. 195—19'.) 263
liehen Forschungen macht. Bei der Lehre von den Parallelen wird im zweiten Bande der Elemente vom Jahre 1862 (S. llj bemerkt: „Die älteste auf ein besonderes Axiom gegründete Theorie der Parallelen findet man bei Eucilü. I, 27 — 31", und es wird darauf (S. 12) der Versuch unternommen, nach dem Vorbild von Bertrand ( Developpement, Genf 178«, II, S. 19) die Parallelen- theorie durch die Betrachtung von unendlichen Flächenstreifen ohne ein be- sonderes Axiom aufzubauen.
S. 199, Z. 1 — 18. In der 2. Auflage der Elemente Baltzers heißt es im zweiten Teile, S. 12— 13, Planimetrie, § 2, Nr. 7:
„Durch einen Punkt (Scheitel) gehen unendlich viele Schenkel, die einen gegebenen Schenkel schneiden, und unendlich viele Schenkel, die den gegebenen Schenkel nicht schneiden. Der erste Schenkel CD | Fig. 26], welcher den Sehenkel AB nicht schneidet, während alle in dem Winkel Ä CD enthaltenen ^
Schenkel den Schenkel AB schneiden, heiSit parallel (naQ-allriXog) mit A B . Von
der Parallele CD wird gesagt, daß sie mit
AB einerlei Richtung hat und einen ver- E A F "
sehwindenden Winkel bildet, dessen Schei- Fig. 26.
tel unendlich fern ist, daß sie nach dem
unendlich fernen Punkt geht, der in der Richtung von A nach B zu verfolgen
ist. Dabei kann EB oder FB für AB gesetzt werden, wenn EB und FB
mit AB einerlei Richtung haben, in Betracht, daß auch alle in dem Winkel
ECD oder FCD enthaltenen Schenkel den Schenkel EB oder FB schneiden."
In einer Anmerkung wird hinzugesetzt:
„Nach EucLiDES nannte man zwei sich nicht schneidende Gerade einer Ebene parallel, und fügte dieser Erklärung das Axiom (oder ein Äquivalent desselben ) hinzu, daß auf einer Ebene durch einen Punkt nur eine Gerade ge- zogen werden könne, die eine auf der Ebene gegebene Gerade nicht schneidet. LeCtEndres Meinung {Geom. note 2), daß ein solches Axiom seine Begründung durch Untersuchungen über die Natur der Geraden erhalten werde, hat sich nicht bewährt. Die obige genauere Definition der Parallelen ist zuerst von LoBATSCHEWSKY {ß-com. üntersHchnngcn. Berlin 1840) und J. Bolyai (^Appen- dix zu dem Werke W. Bolyais lentamen in elementa matheseos etc., Maros Vasarhely 1832) gegeben worden. Den unendlich fernen gemeinschaftlichen Pixnkt von Parallelen haben Desargues (1630) und Newton (1687) erwähnt."
Ferner kommt in Betracht Nr. 8 desselben § 2, wo es heißt:
„Die genauesten Messungen haben ohne Ausnahme zu ei'kennen gegeben, daß bei einem Dreieck die Summe der Winkel 180*^ beträgt; darnach beträgt bei Parallelen die Summe der inneren Winkel 180*', und die Schenkel AB, CB [Fig. 26] konvergieren gegen einen in endlicher Ferne liegenden Punkt, wenn jB AC + ^Ci> < 180° (Eucl. I, Axioma 11). Alle Versuche, diesen Satz zu beweisen, mußten scheitern, weil an sich auch die entgegengesetzte Hypothese zulässig ist, daß bei einem Dreieck die Summe der Winkel und demnach auch bei Parallelen die Summe der inneren Winkel weniger als 180" betragen könnte."
„Die unserer Erfahrung entsprechende Geometrie, welche in dem Folgen- den entwickelt wird, heißt die gemeine, Euclideische Geometrie. Auf der gegen- überstehenden Hypothese kann eine abstrakte, Nicht -Euclideische Geometrie
264 Leben und Schriften der beiden Bolyai
(imaginäre, Pangeometrie) erbaut werden, in der versehwindend kleine Figuren den Gesetzen der gemeinen Geometrie unterliegen, die auch in gewissen Lehren mit der gemeinen Geometrie unbedingt übereinstimmt, übrigens aber eine durch Erfahrung zu bestimmende Konstante erfordert."
„Nach der Annahme der abstrakten Geometrie gehn durch einen Punkt A [Fig. 13, S. 199] zwei verschiedene Gerade AD und AT^ die mit den ent- gegengesetzten Schenkeln BC und BH einer Geraden parallel sind. Es sei AB normal zu C'iJ, AB mit BC parallel, EBAF mit CBAD kongruent, so ist auch AF mit BE parallel. Nach der Annahme der gemeinen Geometrie ist der Winkel BAD recht, mithin fallen die Geraden AD und AF zusammen; die in entgegengesetzten Richtungen liegenden unendlich fernen Punkte einer Geraden werden nicht unterschieden, jeder Geraden wird nur ein unendlich ferner Punkt zugeschrieben, weil auf einer Ebene durch einen neben einer Ge- raden gelegenen Punkt nicht mehr als eine Gerade gezogen werden kann, welche die Gerade nicht schneidet."
„Diese fundamentale Unterscheidung ist zuerst von Gauss (seit 1792) erkannt, aber nicht ausführlich mitgeteilt worden. Andeutungen darüber findet man in Gauss' Anzeigen von Schwab, Commentatio in primum elementormn EucLiDis librum und Metterxich, Theorie der Parallellinien , Gott. gel. Anz. 1816, p. 617 und von C. R. Müller, Theorie der Parallelen^ Gott. gel. Anz. 1822, p. 1725. Weiteres in Gauss' Briefen an Schumacher (seit 1831) II, p. 268 und 431, V, p. 246. Vgl. Sartorius v. Waltershausen, Gauss zum Gedächtnis, p. 81. Die Avirklichen Gründer einer korrekten Parallelentheorie und der abstrakten Geometrie sind J. Bolyai (vgl. 7) und Lobatschefsky, Neue Anfangsgründe der Geometrie mit einer vollständigen TJieorie der Parallelen im Kasanschen Boten 1829 und in den Gelehrten Schriften der Universität Kasan 1836 — 38, Geometrie imaginaire 1837 (in Grelles Journal 17, p. 295), Geometrische Untersuchungen zur Theorie der Parallellen, Berlin 1840, Pan- geometrie, Kasan 1855."
S. 199, Z. 24 — 27. Etiides ge'ometriques sur la theorie des paralleles, par N. I. LoBATCHEWSKY , traduit de Tallemand par J. Hoüel, suivi d'un extrait de la corrspondance de Gauss et Schumacher, Memoires de la societe des Sciences physiques et naturelles de Bordeaux, t. 4 (1866), S. 83 — 128; auch als selbständiges Werkchen, Paris, Gauthier-Villars 186 6 erschienen.
S. 199, Z. 27 — 29. La science ahsolue de Vespace par Jean Bolyai, pre- cede dune Notice sur la vie et les travaux de W. et J. Bolyai par M. Fr. Schmidt, Memoires de la societe des sciences physiques et naturelles de Bordeaux, t. 5 (1867), S. 189 — 248; auch als selbständiges Werkchen erschienen, Paris, Gauthier-Villars 1868. Das Buch enthält (S. 7—21) eine Übersetzung der biographischen Skizze von Schmidt, (S. 22 — 57) ^es Appendix und (S. 58 — 64) der auf die absolute Geometrie bezügliche Stellen aus dem Tentamen und dem Kurzen Grundriß.
S. 199, Z. 12 V. u. Eine ausführliche Schilderung der unermüdlichen Tätigkeit, die Franz Schmidt der Sache der beiden Bolyai gewidmet hat, findet man in dem Nachruf von P. StäcivEL, Jahresbericht der deutschen Mathematiker-Vereinigung, Bd. 11 (1902), S. 141 — 146.
S. 200, Z. 9—11. Siehe Seite 70 des Textes.
S. 200, Z. 16 — 27. Siehe das Verzeichnis von Schriften, die sich auf Wolfgang und Johann Bolyai beziehen, S. 207, unter Schmidt.
Anmerkungen und Nachweißungen. Kap. XX, S. 199—203 265
S. 200, Z. 14 — 13 V. u. A. Forti, Nota intorno alla viia ed agli scritti di Wolfgang e Giovanni Bolyai di Bolya, matemaüci unghcresi, Bulletino di bibliografia e di storia delle scienze matematiche e fisiche, pub- blicato da B. Boncompagni, 1 (1868), S. 277— 299.
S. 200, Z. 13 — 11 V. u. G. Bolyai, Sulla scienza dello spacio assohitamcnte Vera. Versione dal latino di G. Battaglim, Giornale di matematiche, 6 (1868), S. 97—116.
S. 201, Z. 3 — 5. Fr. Schmidt, Mitteilungen über Johann BoirAi, Jahres- bericht der deutschen Mathematiker-Vereinigung, Bd. 4 (1894/95), 1897, S. 107 — 109.
S. 201, Z. 11 — 14. Fr. Schmidt, Leimsgeschichte des ungarischen Mathe- matikers Johann Bolyai de Bolya, Je. k. Hauptmann im Geniecorps, Abhand- lungen zur Geschichte der Mathematik, HeftVUI, (1898), S.133— 146.
S. 201, Z. 14—18. Br. G.-B., Notizen ilher Gauss und Bolyais Leben und Werke, S. 175—185.
S. 201, Z. 18 — 20. Schering, Abhandlungen der Göttinger Gesell- schaft der Wissenschaften, Bd. 22 (1877); vgl. Br. G.-B., S. 167—169.
S. 201, Z. 20—22. Vgl. Br. G.-B., S. 163.
S. 201, Z. 19 — 11 V. u. Briefwechsel zicischen Carl Friedrich Gauss und Wolfgang Bolyai, mit Unterstützung der Ungarischen Akademie der Wissen- schaften herausgegeben von Franz Schmidt und Paul Stäckel, Leipzig 1899.
S. 202, Z. 13 — 9 v.u. Absolute Geometrie nach Johann Bolyai, bearbeitet von J. Frischauf, Leipzig 1872, XL! u. 96 S. Elemente der absoluten Geo- metrie von J. Frischauf, Leipzig 1876, VI u. 142 S.
Außer Frischauf sind noch zu nennen:
H. Wagner, Lehrbuch der ebenen Geometrie, nach Grundsätzen Bolyais, Hamburg 1874. In der zweiten „völlig umgearbeiteten" Auflage, Hamburg 1893, hat der Verfasser die Beziehung zur absoluten Geometrie fallen lassen, „weil bei dem Bestreben, die Anforderungen an die Schüler herabzusetzen, kein Lehrgang mehr möglich ist, bei dem das Hauptgewicht auf die wissen- schaftliche Begründung und Konsequenz gelegt wird".
C. Spitz, Die ersten Sätze vom Breiecke u/nd die Parallelen, nach Bolyais Grundsätzen bearbeitet, Leipzig und Heidelberg 1875. Das Werkchen bringt an absoluter Geometrie nicht mehr als den § 1 des Appendix.
M. Simon, Die Elemente der Geometrie mit Bücksicht auf die abscjlute Geo- metrie, Straßburg 1890. Seit dem Jahre 1890 hat Simon eine Reihe von Ab- handlungen zur absoluten Geometrie veröffentlicht, in denen besonders die elementaren Konstruktionen ausgebaut worden sind.
S. 202, Z. 5 — 3 V. u. The Science Absolute of Space by John Bolyai^ transleated from the Latin by Dr. George Bruce Halsted, first edition, Austin, Texas, U. S. A., 1891, fourth edition 1896. Das Buch beginnt mit einer ge- schichtlichen Einleitung (S. I — XXX). Es folgt die Übersetzung des Appendix (S. 1 — 48) und von Stellen aus dem Tentamen und dem Kurzen Grundriß (S. 49 — 58). Den Schluß bilden Bemerkungen des Übersetzers über das Licht, das die nichteuklidische Geometrie auf den Unterricht in der elementaren Geometrie wirft (S. 59 — 71). Im Jahre 1896 hat Halsted das Kollegium in Ma'-os-Vasarhely besucht.
S. 203, Z. 3 — 4. Die Übersetzung des Appendix von Josef Sutäk ist unter dem Titel: A ie'r absolut igaz tudomänya (Die absolut wahre Raumwissen-
266 Leben und Schriften der beiden Bolyai
Schaft) als selbständiges Werk 1897 zu Budapest erschienen. Als Einleitung bringt Sutäk (S. III — XIX) geschichtliche Bemerkungen über die Parallelen- theorie und im besonderen über Wolfgang und Johann Bolyais Untersuchungen in betreff der Grundlagen der Geometrie. Es folgt (S. XX — XXVIII) eine Bio- graphie Johann Bolyais von Franz Schmidt, die im wesentlichen mit der S. 201 erwähnten Biographie in deutscher Sprache übereinstimmt (vgl. die Anmerkung S. 265). Der Übersetzung (S. 1 — 72) sind zahlreiche Erläuterungen beigefügt (S. 73—143).
S. 203, Z. 3 — 4. Die Übersetzung des Appendix von Ignaz Rados ist unter dem Titel: Ä ternek absolut igaz tudomdnya (Die absolut wahre Wissenschaft vom Räume) in den Mathematikai es physikai Lapok (Mathematischen und physikalischen Blättern), Bd. 6 (1897), S. 147 — 192 erschienen.
S. 203, Z. 9 — 10. K. SzELY, Ädatok Bolyai Farkas eletrajzähoz (Daten zur Biographie Wolfgang Bolyais), Ertekezesek a mathematikai tudo- manyok köreböl (Abhandlungen aus dem Gebiete der mathematischen Wissenschaften), Bd. 11, Heft 9, Budapest 1884.
S. 203", Z. 10 — 12. S. Brassai, Emlekbeszed Bolyai Farkas felett (Ge- dächtnisrede auf Wolfgang Bolyai), Erdelyi Muzeum, Bd. 3, 1886.
S. 203, Z. 12 — 17. J. KoNCz, Ä llaros-Vdsdrhelyi er. ref. kollegium tör- tenete (Geschichte des ev. ref. Kollegiums zu Maros-Vasärhely), Maros-Vasarhely 1886—1896, S. 271 — 338 (1887).
S. 203, Z. 15 — 5 V u. J. Bedöhäzi, ä ket Bolyai (Die beiden Bolyai . Maros -Väsärhely 1897. 454 S.
S. 203, Z. 2 V. u. — S. 204, Z. 14. Einen Beriebt über die Gedenkfeier am 15. Januar 1903 enthalten die ^cto universitatis literarum regiaehnngarieae Francisco- Josephinae Koloesvariensis Anni MCMII — III, Fasciculus II, Klausen- burg 1903. Im besonderen ist hier Schlesingers Emle'kbesze'd (Festrede) abge- druckt, die auch deutsch im Jahresbericht der deutschen Mathematiker- Vereinigung, Bd. 12 (1903), S. 165 — 194 erschienen ist. Ferner finden sich hier in magyarischer Übersetzung die Abhandlungen, die Schlesinger und Stäckel zur Festschrift (siehe die folgende Anmerkung) beigesteuert hatten. S. 204, Z. 1 — 10. Der BoLYAi-Preis besteht in einer Erinnerungsmünze und der Summe von 10 000 Kronen. Für die im Dezember vorzunehmende Erteilung des Preises wird jedesmal im vorhergehenden März von der dritten (naturwissenschaftlichen) Klasse der Ungarischen Akademie der Wissen- schaften ein Ausschuß gebildet, dem zwei ungarische und zwei auswärtige Mitglieder der Akademie angehören. Er entscheidet im Oktober, wer den Preis erhalten soll. Das Gutachten des Berichterstatters, den der Ausschuß aus seiner Mitte ernennt, wird in der Dezember-Sitzung verlesen und in den Verhandlungen der Akademie veröffentlicht.
Der Stiftung des BoLYAi-Preises war im Jahre 1895 die Stiftung eines LoBATSCHEFSKij- Preises durch die Physiko- mathematische Gesellschaft der Universität Kasan vorangegangen. Der Preis wird in der Höhe von 500 Ru- beln seit dem Jahre 1897 alle drei Jahre an Lobatschefskijs Geburtstag, dem 22. Oktober (alten Stils), verliehen. Er ist für Werke über Geometrie, in erster Linie für solche über nichteuklidische Geometrie bestimmt, die innerhalb der sechs der Verteilung des Preises vorhergehenden Jahre gedruckt oder überhaupt noch nicht veröffentlicht sind; die Bewerbungsschriften müssen spätestens ein Jahr vor der Verleihung des Preises der Physiko-m athematischen Gesellschaft
I
Anmerkungen und Nachweisungen. Kap. XX, S. 203—204 267
zugestellt sein. Der Bericht des Ausschusses und die Gutachten der Bericht- erstatter werden im Bulletin de la societe physico-mathfimatique de Kasan ab- gedruckt. Den ersten Preis im Jahre 1897 hat Sophus Lie für die geometri- schen Untersuchungen im dritten Bande seines Werkes über Transformations- griq}2)eH (Leipzig 1893) erhalten.
S. 204, Z. 10 — 12. LibelJus, post saeculum quam Johannes Bor.YAf de BoLYA anno MDCCCII a. d. XVIII lalendas ianuarias ClaudiopoU natus est, ad ceJebrandam memoriam eins immortalem ex consilio Oi-dinis mathematicorum et naturae scrutatorum regiae lifterarum universitatis hungaricae Francisco-Iose- phinae Claudiopolitanae editus. Claudiopoli MCMII. Die Festschrift enthält zu- nächst eine lateiniscbe Übersetzung des Briefes von Johann an Wolfgang vom 3. Nov. 1823; eine Nachbildung des Briefes ist beigegeben. Dann folgen die Abhandlungen: Schlesinger, de nonmüUs absoJntae geometriae ad fheoriam coniplexae variäblis fimctionum applicationi})ns (S. 1 — 60), Stäckel, de ea me- chanicae analyticae parte, qitae ad varietates complurium dimensionum spectat (S. 61 — 79), BoxoLA, index opernm ad geometriam ahsolntam spectantium (S. 81 — 154); nachdem Stäckel, Th. d. P. S. 287 — 318 die Literatur von 1482 bis 1837 zusammengestellt hatte, hat Bonola dasselbe für den Zeitraum von 1838 bis 1902 geleistet.
S. 204, Z. 12 — 14. Vgl. Schlesinger, Bolyai Jdnos smlöhäzdröl (Über Johann Bolyais Geburtshaus), Math, es Phys. Lapok 12 (1902), S. 53 — 56; dieser Aufsatz ist ein dem damaligen Bolyai- Ausschuß der math.-nat. Fakultät zu Klausenburg erstatteter Bericht.
S. 204, Z. 13—14. Der Text der Gedächtnistafel lautet in getreuer deut- scher Übersetzung: „Am 15. Tage des 12. Monats des Jahres 1802 wurde hier geboren Johann Bolyai v. Bolya, der ungarische Euklides, der Sohn Wolf- gang Bolyais v. Bolya, des gedankentiefen Verfassers des Tentamens. Zum Gedächtnis hat die mathematische und naturwissenschaftliche Fakultät der Klausenburger Franz-Josephs-Universität nach hundert Jahren diesen Stein er- richtet."
S. 204, Z. 20 — 24. Ein Bericht über diese Bolyai -Gedächtnisfeier ist vom ev. ref. Kollegium zu Maros-Väsärhely unter dem Titel Bolyai Janas Emlf'kezete herausgegeben worden; ihm ist eine Nachbildung des Briefes von Johann Bolyai an seinen Vater vom 3. November 1823 beigegeben.
In Maros-Vasarhely ist auf dem Platze, wo sich das neue Kathaus befindet, in den Jahren 1912 und 1913 ein sogenannter Kulturpalast aufgeführt worden, d. h. ein Gebäude mit Räumen für ein Museum und eine Bibliothek, mit einem Konzertsaal usw. Als bildhauerischer Schmuck der Außenwände dienen die Bildnisse von berühmten Männern der Stadt, darunter aucli von Wolfgang und von Johann Bolyai; das Bildnis Johanns ist freilich nicht als authentisch anzusehen. Von den Reliefs, mit denen die Außenwände geschmückt sind, zeigt das eine Wolfgang Bolyai auf dem Katheder; zu seinen Füßen sitzen die Schüler, neben ihm steht ein Knabe, mit nach ihm gewendeten Blick, dem Wolfc^ancr etwas zu erklären scheint: dieser soll Johann vorstellen.
268 Leben und Schriften der beiden Bolyai
Nachweis der Stellen aus Johann Bolyais Nachlaß, die im ersten
Teile abgedruckt sind'
Lateinische Prüfungsarbeit aus dem Jahre 1817.
S. 226, Z. 16—1 V. u. Aufzeichnung in einem Übungshefte aus dem Jahre 1820.
S. 83, Z. 5 — 14. Ältestes Zeugnis für Johanns Beschäftigung mit der absoluten Geometrie. Nachbildung an der Spitze des Buches. Zettel aus der Zeit um 1820.
S. 234, Z. 7 — 3 V. u. Dreiteilung des Winkels mittels der gleichseitigen Hyperbel. Aus einem Brief vom 3. November 1823 an Wolfgang Bolyai.
S. 85, Z. 16 V. u. — S. 86, Z. 2. Entdeckung der absoluten Geometrie. S. 237, Z. 14 — 5 V. u. Lateinische Übersetzung der betreffenden Stelle. Zettel aus dem Jahre 1830.
S. 132, Z. 6 V. u. — S. 133, Z. 5. Größensysteme mit 6 Einheiten. Zettel aus dem Jahre 1832.
S. 238, Z. 6 — 16. Wolfgang vermag die, absolute Geometrie nicht zu würdigen; Wichtigkeit der vollkommenen Kaumlehre. Zwei Zettel aus dem Jahre 1832.
S. 110, Z. 6 — S. 111, Z. 11. Erste Methode zur Kubierung des Tetraeders. S. 111, Z. 12 — S. 112, Z. 1 v.u., S. 242, Z. 22—25. Hilfsatz zur ersten
Methode der Kubierung des Tetraeders. S. 113, Z. 6 — 4 V. u., S. 114, Z. 1 v. 0. — 3 v. u. Zweite Methode zur Kubierung des Tetraeders. Entwurf einer BUtsclirift an den Erzherzog Johann, datiert Lemberg den 3. Mai 1832.
S. 229, Z. 18 — S. 232, Z. 26. Bitte um Urlaub. Bedeutung der mathe- matischen Untersuchungen Johanns. S. 229, Z. 13—9 V. u., 8—6 v. u., S. 232, Z. 3 v. u. — S. 233, Z. 4, S. 233, Z. 5—21, 28—30, 31 — 33; S. 242, Z. 19—17 v. u. Bemer- kungen zu GAUssens Briefe vom 6. März 1832. Eintragung in ein Handexemplar des Appendix.
S. 241, Z. 1 — 12. Denen die in die absolute Geometrie eindringen wollen^ wird zunächst die Beschäftigung mit Hoffmanns Kritik der Parallelcn- theorie empfohlen. Vorwort zu dem geplanten Werke Reformation der Matliematik aus der Zeit 1832 bis 1833.
S. 178, Z. 11 — 4 V. u. Einteilung des Werkes.
S. 190, Z. 7 — 22. Die Mathematik als die höchste Wissenschaft; Glück des Mathematikers. Zettel aus der Zeit um 1833.
S. 103. Z. 16 V. u. — S. 104, Z. 6. Zusammenhang zwischen der sphäri- schen und der absoluten Trigonometrie.
Anmerkungen und Nachweisungen. Stellen aus Johanns Nachlaß 269
Zettel aus dem Jahre 1833.
S. 238, Z. 6 — 16. Über Bemerkungen Wolfgangs zu Johanns absoluter Geometrie.
Vorwort zur Raumlehre (um 1834).
S. 71, Z. 14, 16 — 18. Zusamraentrefifen Wolfgangs und Johanns 1830, Abfassung der Raumlehre in lateinischer Sprache (Appendix).
S. 71, Z. 16 — 7 V. u. Streit Johanns mit Wolfgang wegen der absoluten Geometrie; man beschließt die Ausarbeitung an Gauss zu schicken.
S. 76, Z. 13 — 27. Erster Versuch Johanns, das Parallelenaxiom zu be- weisen (1819—1820).
S. 79, Z. 6 — S. 80, Z. 5. Asymptotische Gerade; Grenze des Kreises.
S. 82, Z. 11 — 15. Wolfgang verwirft den Kreis mit unendlichem Radius.
S. 83, Z. 16 V. u. — S. 84, Z. 7. Wolfgang zeigt kein Verständnis für die absolute Geometrie.
S. 86, Z. 19 — 29. W^olfgang rät Johann, seine Entdeckung der absoluten Geometrie bald zu veröffentlichen.
S. 87, Z. 19 — S. 88, Z. 13. Wolfgang vermag nicht, Johanns absolute Geometrie zu würdigen.
S. 178, Z. 17^ — 27. Plan einer enzyklopädischen Darstellung der Mathe- matik.
S. 221, Z. 19 V. u. — S. 223, Z. 20. Geschichtliche Bemerkungen zur Par- allelentheorie; Entstehung der absoluten Geometrie.
S. 238, Z. 21 — 32. Über Bemerkungen Wolfgangs zu Johanns absoluter Geometrie.
Zettel aus der Zeit um 1834.
S. 232, Z. 3 v.u. — S. 233, Z. 4. Die Benennungen Parazykel und Hyper- zykel.
Brief Johanns an Wolfgang Bolyai vom 15. April 1835.
S. 119, Z. 21 — S. 120, Z. 5 V. u. Beweis der Unmöglichkeit, das Par- allelenaxiom zu beweisen.
Zettel aus der Zeit um 1835.
S. 120, Z. 2 V. u. — S. 121, Z. 15. Bruchstück über den Beweis der Unmög- lichkeit, das Parallelenaxiom zu beweisen oder umzustoßen.
Bemerkung auf einem Briefumschlag aus der Zeit um 1835.
S. 121, Z. 19 — 29. Widerspruchslosigkeit der absoluten Geometrie.
Randbemerkungen zu der deutschen Fassung des Appendix (1832) aus dem Jahre 1837.
S. 108, Z. 2 — 3, 7 V. 0. — 5 v. u. Längen der Kreisumfänge (Ringe) auf
gleichmäßigen Flächen. S. 122, Z. 5 — 1 V. u. Unbeweisbarkeit des Parallelenaxioms.
Aus einem Briefe Johanns an Wolfgang Bolyai aus der Zeit um 1837.
S. 124, Z. 3 V. u. — S. 125, Z 17. Zettel aus dem Jahre 1838.
S. 130, Z. 14 — 30. Kritik des Urteils der Jablonowskischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig über Johanns Eesponsio.
270 Leben und Schriften der beiden Bolyai
Brief Johanns an den Sekretär der Jablonowskisclien Gesellschaft zu Leipzig, Professor Hasse vom 30. Dezember 1841.
S. 245, Z. 4 V. u, — S. 246, Z. 16. Bitte um Rücksendung der Responsio.
Aus einem Brief Johanns an Wolfgang Bolyai aus dem Jahre 1845. S. 127, Z. 13 V. u. — -S. 128, Z. 14. Johann beschwert sich wegen eines Briefes voja Wolfgang an Anton Bolyai aus dem Jahre 1838.
Bemerkungen zu Nicolaus Lobatschefski.js Geometrische Untersuchungen, verfaßt in der Zeit von 1848 bis 1850.
S. 136, Z. 8 V. u. — S- 137, Z. 11. Angebliche Äußerungen von Gauss über LoBATSCHEFSKij und Johann Bolyai.
S. 140, Z. 6 — S. 141, Z. 16. Johann zieht Lobatschefskijs Selbständig- keit in Zweifel.
S. 141, Z. 7 — 3 V. u. Zu § 22 der G-eom. JJtücrs. (Imaginäre Geometrie).
S. 142, Z. 3 V. 0. — 8 V. u. Neue Fassung der Lehre von den asymptotischen Geraden.
S. 142, Z. 2 V. u.— S. 144, Z. 20. Zu § 27 der Geom. Unters. (Winkel- messung).
S. 144, Z. 22 — S. 145, Z. 6 v. u. Winkel messung.
S. 146, Z. 2 V. 0. — 9 V. u. Zu § 32 der Geom. Unters. (Definition der Hyperzykeln und Hypersphären).
S. 146, Z. 6—5 V. u., S. 147, Z. 7—21. Zu § 33 der Geom. Unters. (Die Gleichung s'= se~^).
S. 147, Z. 13 V. u.— S. 149, Z. 1 v. u.; S. 150, Z. 15 v. o.— 7 v. u. Zu § 35 der Geom. Unters. (^Zusammenhang zwischen der sphärischen und der absoluten Geometrie).
S. 152, Z. 6 V. u. — S. 153, Z. 3 v. u. Zu § 36 der Geom. Unters. (Be- weis der Gleichung tg ^Uix) = e~-').
S. 154, Z. 1—11, 21—25; S. 155, Z. 2 — S. 157, Z. 13; S. 157, Z. 7 v.u. — S. 158, Z. 18. Zu § 37 der Geom. Unters. (Grenzübei'gang von der sphärischen zur ebenen Geometrie; Widerspruchslosigkeit der absoluten Geometrie; praktische Entscheidung in Betreff der Gültigkeit des Par- allelenaxioms; Zusammenhang zwischen der sphärischen und der abso- luten Trigonometrie).
S. 236, Z. 12 — 17. Bemerkung über Karl SzÄsz.
S. 259, Z. 21—34. Einfluß Wolfgang Bolyais auf Johann.
Aus einem Brief Johanns an Wolfgang Bolyai aus der Zeit um 1850. S- 128, Z. 17 — 22. Yersöhnliche Gesinnung Johanns.
Einleitung zu einem Entwurf der Baumlehre vom Jahre 1851.
S. 80, Z. 9 — S. 81, Z. 2. Verkehr mit Karl SzÄsz (1819—1820); Ge- spräche mit SzÄsz über die Parallelentheorie.
S. 84, Z. 15 — 35. Ein mißglückter Versuch Johanns, das Parallelenaxiom zu beweisen; erst im Jahi-e 1823 gelingt es ihm durchzubrechen.
S. 236, Z. 24 — S. 237, Z. 10. Darlegung eines mißglückten Versuches, das Parallelenaxiom zu beweisen.
S. 238, Z. 14 V u. — S. 239, Z. 21. Unmöglichkeit einer Entscheidung über die Gültigkeit des Parallelenaxioms.
Anmerkungen und Nachweisungen. Stellen aus Johanns Nachlaß. 271
Titelblatt der Allheillehre aus der Zeit^um 1851. S. 260, Z. 5 — S. 262, Z. 12.
Vorwort zur Ällheillehre aus der Zeit um 1851.
S. 96, Z. 12—39. Über GAussens Brief vom 6. März 1832.
Verschiedene Zettel zur Ällheillehre aus der Zeit um 1851.
S. 191, Z. 5 V. u. — S. 192, Z. 1. Die Mathematik ist die Grundlage der
Allheillehre. S. 192, Z. 12 V. 0. — 1 V. u. Wesen und Vorzüge der Allheillebre. S. 193, Z. 7 — 19. Gestattete Vergnügungen. S. 194, Z. 13 — 24. Unvollkommenheit der deutschen Sprache; Plan einer
Weltsprache. S. 194, Z. 25 — 27. Mehrdeutigkeit der üblichen Ausdrucksweise.
Verschiedene Zettel zur Baiimlehre vom Jahre 1855.
S. 181, Z. 13 — S. 182, Z. 8. AUgemeines über die Gestalt der Kurven und Flächen; der EuLERSche Polyedersatz.
S. 183, Z. 10 V. u. — S. 184, Z. 6. Bedeutung der Konstniktionslehre.
S. 184, Z. 9 — 22. Über Mascheronis Geometrie des ZirJcels.
S. 185, Z. 3 — S. 186, Z. 15. Widerspruchslosigkeit der absoluten Geo- metrie; das System von fünf Punkten.
S. 186, Z. 9 — 5 V. u. Das System von sechs Punkten.
S. 186, Z. 1 V. u. — S. 187, Z. 2. Die Entscheidung zwischen S und 2".
S. 234, Z. 9 — 34. Johanns erste Versuche, das Parallelen axiom zu beweisen.
S. 257, Z. 21 — 29. Sein und Schein bei Raum und Zeit.
S. 257, Z. 10 V. u.— S. 258, Z. 8. Zerlegung von Flächen- und Raum- stücken in Dreiecke und Tetraeder.
Zettel aus der Zeit um 1855.
S. 121, Z. 10 V. u. — S. 122, Z. 7; S. 122, Z. 15 v. o.— 11 v. u.; S. 123, Z. 13 — 16. Zweifel an der Möglichkeit eines Beweises für die Un- bevveisbarkeit des Parallelenaxioms.
Zettel aus der Zeit um 1855.
S. 253, Z. 4 — 17. Zusammenstellung von Problemen, deren Lösung Johann in seiner Macht zu haben glaubte.
Titelblatt einer Abhandlung über die Quadratur des Kreises um 1855.
S. 253, Z. 19—24. Umarbeitung der Ahhandhing über imaginäre Größen (Besponsio), um 1855. S. 254, Z. 15 — S. 257, Z. 18. Mitteilung von § 1, Methode der Unter- suchung und § 2, Negative Größen. Zettel, der Umarbeitung der Besponsio beigelegt, aus der Zeit um 1855. S. 105, Z. 15 — S. 107, Z. 8 v. u. Anwendung der Lehre von den ima- ginären Größen auf die absolute Geometrie; die Geometrie auf den überall gleichmäßigen Flächen.
Zettel aus der Zeit um 1855.
S. 253, Z. 18 — 10 V. u. Funktionen mit einer imaginären Veränderlichen.
272 Leben und Schriften der beiden Boltai
Zettel aus der Zeit um 1855.
S. 253, Z. 6 — 3 V. u. Differentiation von x"- bei beliebigen, auch imagi- nären Werten des Exponenten a.
Aus einem Brief Johanns an Wolfgang Bolyai aus der Zeit um 1855.
S. 252, Z. 10 V. u. — S. 253, Z. 3. Über Johanns Krankheit. Einleitung ziun Beweis des XL Axioms aus dem Jahre 1856.
S. 7, Z. 23 — 28. Wolfgang Bolyais Aufenthalt in Jena.
S. 8, Z. 8 V. u. — S. 9, Z. 3. Wolfgang Bolyai in Göttingen; Freund- schaft mit Gauss.
S. 14, Z. 18 — 10 V. u. Wolfgang Bolyai im Verkehr mit Damen.
S. 51, Z. 11- — 18. Aus Johanns Kindheit.
S. 52, Z. 16—23. Erste mathematische Ausbildung Johanns.
S. 56, Z. 17 V. u. — S. 57, Z. 9. Verhalten von Gauss, als Johann zu diesem geschickt werden sollte.
S. 57, Z. 16 — 8 V. u. Wolfgang hätte Johann nicht von sich entfernen und auf die Ingenieurakademie in Wien bringen sollen.
S. 76, Z. 8 — 11. Äußerungen Wolfgangs über die Wichtigkeit der Par- allelentheorie.
S. 85, Z. 5 — 9. Johann entdeckt im Winter 1823 den Satz im § 29 des Appendix.
S. 90, Z. 23 — 35. Unzureichender Beweis Wolfgangs für die Unbeweis- barkeit des Parallelenaxioms.
S. 99, Z. 12 — 3 v. u. Johann wünscht, die Raumlehre dem Vater zu widmen.
S. 174, Z. 9 — 5 V. u. Äußerungen der Dankbarkeit gegen den Vater.
S. 186, Z. 22 — 26. Ausführlicher Titel der Abhandlung über den Beweis des XL Axioms.
S. 196, Z. 13 V. u. — S. 197, Z. 9; S. 197, Z. 11—35. Vergleichung von Wolfgang Bolyai und Gauss.
S. 209, Z. 23 — 34. Wolfgang Bolyai als Knabe in Nagyenyed.
S. 226, Z. 12 — 15. Aus Johanns Kindheit.
S. 228, Z. 11 — 14. Johann spielt nicht, raucht nicht, trinkt nicht.
S. 228, Z. 18 — 11 V. u. Wolfgang vermag nicht, Johanns Entdeckung der absoluten Geometrie zu würdigen; man beschließt, die Ausarbeitung an Gauss zu senden.
S. 244, Z. 20 — 14 V. u. Streit Johanns mit Wolfgang wegen ungenügen- der Anerkennung der Raumlehre.
Verschiedene Zettel aus der Zeit um 1856.
S. 115, Z. 7 V. 0. — 1 V. u. Zweite Methode zur Kubierung des Tetraeders. S. 116, Z. 12 — S. 117, Z. 11. Dritte Methode zur Kubierung des Tetra- eders. S. 117, Z. 9 — 3 V. u. Vierte Methode zur Kubierung des Tetraeders.
Aus Briefen Johanns an seinen Bruder Gregor Bolyai aus den Jahren
1857—1859.
S. 175, Z. 9 — 18. Johann berichtet über sein Befinden.
Sach- und Namenverzeichnis
Die Zahlen bezeichnen die Seiten. Die Abkürzungen W. B. und J. B. bedeuten Wolfgang und Johann Bolyai.
Absolute Geometrie, unabhängig von der Wahrheit oder Falschheit des Paral- lelenaxioms, Entdeckung der a.G. durch J. B. 75 — 97; Widerspruchslosigkeit der a. G. 122—123, 185—186.
Alberti, Kaufmann in Göttingen 212.
Alexander der Große 218.
Antal, Josef, Prof. der Geschichte am Kollegium zu Maros-Väsärhely 58 — 59.
Appendix, J. B.s Raumlehre, Entstehung und Bedeutung 85 — 90; Urteil von Gauß 91 — 97; Vergleich mit Lobat- schefskijs Geom. Unters. 158 — 160.
Arany, Johann, ungarischer Dichter 167.
Archimedes 39, 221, 222, 223, 257.
Äsop 259.
Baltzer, Richard, weist hin auf W. B.s und J. B.s geometrische Untersuchun- gen 198—199, 262—263.
Battaglini übersetzt J. B.s Appendix ins Italienische 200, 265.
Bedöhäzi, Johann, verfaßt eine Be- schreibung des Lebens von W. B. und J. B. 14, 23, 24, 26, 30, 56, 99, 163, 164, 195, 203, 204, 206, 209, 214, 215, 216, 227, 241, 244 ,250, 251, 262, 266.
Beltrami 109, 242.
Benkö v. Arkos, Schwiegervater W. B.s 14.
Benkö v. Arkos, Juliana, geb. Bach- mann, Schwiegermutter W. B.a 14.
Benkö v. Arkos, Susanna, W. B.s erste Frau 14—15, 20, 54, 58, 59—60.
Beöthy, Sz. 215.
Bernoulli, Johann I. 18, 257.
Bernoulli, Johann III. 43.
Bertrand, Louis, versucht 1778, das Parallelenaxioui mittels Betrachtung unendlicher Flächenräume zu beweisen 48, 29, 222, 225, 263.
Bessel 49, 220, 221.
Bethlen, Graf Adam B. 210.
Bethlen, Graf Alexius B. 209.
Beivegung starrer Körper als Grundlage der Geometrie 39 — 40.
Bias V. Ders, Stephan, gibt 1907 einen Neudruck des Appendix heraus 203.
P. Stack el: Wolfgang und Johann Bolyai I
Bischoff, Preußischer Grenzkommissar 73.
Blumenbach, Job. Friedr., Prof. der Medizin in Göttingen 7.
Bod, Peter, Schüler W. B.s 30, 127.
Bodoki, Samuel 66.
Bodor, L. 214.
Bodor, Paul, Freund W. B.s in Klau- senburg 14, 55, 59, 60, 64, 65, 66, 67, 69—70, 70, 207, 212, 214.
Bolyai, Amalie, Tochter J. B.s 101, 173.
Bolyai, Anton, Bruder W. B.s 2, 16, 98, 100, 101, 127, 228.
Bolyai, Christine, Frau Kaspar Bolyais 2.
Bolyai, Dionys, Sohn J. B.s 101, 173, 227.
Bolyai, Gabriel 209.
Bolyai, Gregor, Sohn W. B.s aus zwei- ter Ehe 3, 5, 19, 24, 65, 70, 98, 101, 127, 167, 175, 209, 210, 215, 228, 241, 251.
Bolyai, Johann, im 16. Jahrhundert homo regius 2.
Bolyai, Johann, Sohn W. B.s 1, 7, 8, 12, 15; J. B.s Jugend (1802—1818) 33, 35, 40, 42, 47, 50; J. B.s Erziehung 51— 55; J. B. soll nach Göttingen zu Gauß geschickt werden 55 — 57 ; Vorbereitung für die Ingenieur-Akademie in Wien 57—59.
J. B. auf der Ingenieur- Akademie in Wien (1818—1823) 61—68; Aufnahme und Eingewöhnung 63 — 64; Fortschritte, besonders in der Mathematik 65 — 66; Verkehr mit Karl Szäsz 66; J. B. wird als zweiter des Jahrgangs Ingenieur- Korps-Kadett 67.
J. B. im Militärdienst (1823—1833) 69 — 74; Unterleutnant in Temesvär 69 — 70; Besuch bei W. B. in Maros- Väsarhely 69—70; J. B. in Arad und Lemberg; Oberleutnant 70 — 72; geo- metrische Untersuchungen 71 — 72; J. B. in Olmütz; Hauptmann zweiter Klasse 72—74; Urlaubsgesuch 72— 73; Verabschiedung 73 — 74; Rückkehr nach Maros-Väsärhely 74. 18
274
Leben und Schriften der beiden Boltai
Die Entdeckung der absoluten Geometrie durch J. B. 75 — 97; Versuche, das Parallelen axiom zu beweisen 75 — 84; erste Anregung durch den Vater W. B. 75 — 76; erste Versuche 76; Warnung W. B.s 76 — 79; Asymptoten und Para- zykeln; Verkehr mit Karl Szäsz 80 — 82; Bemühungen um die absolute Tri- gonometrie 83 piinzureichender Beweis für das Parallelenaxiom 84; Aufbau der absoluten Geometrie 85 — 86; Strei- tigkeiten mit dem Vater 86 — 88; J. B.s Auffassung vom Wesen der abs. Geo- metrie 88 — 89 ; weitere Streitigkeiten zwischen W. B. und J. B. 89—90; Gaußens Entscheidung wird angerufen; Druck des Apijendix 90 — 91; Gaußens Brief vom 6. März 1832 92—95; J. B.s Urteil über Gs Verhalten 95 — 97. J. B. in Domäld (1834—1846) 98—101; Zwist mit dem Vater 98 — 99; vergeb- liche Bewerbung um den Preis der Jablonowskischen Gesellschaft in Leip- zig 100; Leben in Domäld 101; neuer Zwist mit W. B. 101. Weitere Untersuchungen zur abs. Geo- metrie 102 — 123; Zusammenhang zwi- schen der sphärischen und der abso- luten Trigonometrie 103 — 109; die Geometrie auf den überall gleich- förmigen Flächen eines absoluten Raumes 109; die Kubierung des Tet- raeders 109 — 118; die Unbeweisbar- keit des Parallelenaxioms 118 — 123.
J, B.s Lehre von den imagiuären Größen 124 — 133; vergebliche Bewerbung um den Preis der Jablonowskischen Ge- sellschaft zu Leipzig 125 — 130; Streit mit dem Vater 126 — 128; Würdigung der Lehre J. B.s; Vergleich mit Ha- milton 130—133.
J. B. und Lobatschefskij 134 — 160; wie J. B. Lob.s Geometrische Untersuchun- gen vom Jahre 1840 kennen lernte 134 — 139; Bemerkungen zu Lob.s Geom. Unters. 140 — 160; Winkelmes- sung 142 — 145; Absolute Trigonome- trie 147 — 150; eine Lücke in § 36 der Geom. Unters. 150 — 153; Frage der Entscheidung über die Giltigkeit des Parallelenaxioms 153 — 157; Beziehung zwischen der sphäi-ischen und absolu- ten Geometrie 157 — 158; zusammen- fassender Vergleich zwischen J. B. und Lobatschefskij 158 — 160.
J. B.s Verhältnis zu W. B. in dessen letz- ten Jahren 164—172.
Letzte Jahre J. B.s 173 — 175; Verein- samung 174; letzte Krankheit 175.
Mathematische Untersuchimgen der Spät- zeit 175 — 188; allgemeine Übersicht
176 — 178; Reformation der Elemente der Mathematik 176; Untersuchungen zur Raumlehre 179 — 188; Bruchstücke der Raumlehre 180—184; die Wider- spruchslosigkeit der absoluten Geome- trie 185—188. J. B.8 Allheillehre 189—195. Das Urteil der Nachwelt; allmähliche Anerkennung der Leistungen J. B.s 196 — 202; Feier des hundertjährigen Geburtstags; der Bolyai-Preis der Un- garischen Akademie 203 — 204.
Verzeichnis von Schriften, die sich auf W. B. und J. B. beziehen 206—208.
Anmerkungen und Nachweisungen 210, 213, 214, 216; Brief an W. B. über Gerling217; 219, 220; geschichtliche Bemerkungen zur Parallelentheorie 221 — 223; 224; lateinische Prüfungsarbeit (1817)226; 227, 228; Entwurf der Bitt- schrift an den Erzherzog Johann (1832) 229—233; 235; mißglückter Versuch, das Par.-Ax. zu beweisen 236 — 237; Brief J. B.s an W. B. vom 3. Nov. 1823 237; J. B.s Auffassung der absoluten Geometrie 238—239; 240, 241, 242, 244 ; Brief an den Sekretär der Jablo- nowskischen Gesellschaft zu Leipzig vom 30. Dez. 1847 245—246; 251, 252; Aufzeichnungen zur Analysis aus der Spätzeit 253 — 257; Aufzeichnungen zur Raumlehre aus der Spätzeit 257 —258; 259; ausführlicher Titel der Allheillehre 260—262; 263, 264, 265, 266, 267.
Bolyai, Julius, Sohn J. B.s 101, 173.
Bolyai, Kaspar, Vater W. B.s 2, 16, 211—214.
Bolyai, Kaspar, Sohn Gregor B.s 228.
Bolyai, Susanna, geb. Benkö v. Arkos, W. B.s erste Frau 14—15, 20, 54, 58, 59—60.
Bolyai, Theresia geb. Nagy, W. B.s zweite Frau 70, 98
Bolyai, Wolfgang 1; W. B.s Jugend (1775—1796) 2—6; W. B. auf dem Kollegium zuNagyenyedS — 4; Freund- schaft mit dem Baron Simon Kemeny 4; W. B. mit Kemeny in Klausenburg 4 — 5; reist mit K. nach Deutschland 5—6.
W. B. in Deutschland (1796—1799) 7 — 11; Jena 7; Göttingen 7—11; Freund- schaft mit Gauß 8 — 11; Abschied von Gauß 11.
W. B. in Klausenburg und Domäld 12 — 15; Rückkehr in die Heimat 12 — 13; Leben in Klausenburg, Hochzeit mit Susanna Benkö 14 — 15; auf dem Gute in Domäld; Geburt Johanns in Klausenburg 15.
Sach- und Namenverzeichnis
275
W. B. als Professor am Kollegium zu Maros-Väsärhelj (1804—1853) 16—26; Berufung 16; Wohnhaus 17; Wieder- aufnahme der mathematischen Unter- suchungen 17 — 18, W. B. als Lehrer 18 — 19; Bemühungen um die Ausbil- dung der magyarischen Sprache 19 — 20; W. B. als Dichter 20—24; W. B. als Musiker 24; W. B. als Techniker, Öfen usw. 24—25; W. B.s Bemühun- gen, Forstinspektor von Siebenbürgen zu werden 25; W. B.s mathematische Veröffentlichungen 25 — 26; Schilde- rung von W.s Persönlichkeit 26.
W. B. als Mathematiker 27—50; die Entstehung und Herausgabe des Ten- tamens 27 — 30; Urteile über das Ten- tamen 30 — 32; W. B.s System der Mathematik 32 — 33; Aufbau der Arith- metik 33—37; Aufbau der Geometrie 38 — 40; endlich gleiche Flächenstücke 40 — 41; Untersuchungen über das Pa- rallelenaxiom 41 — 50.
W. B. und J. B., Erziehungsgrundsätze 51, 53; W. B. über den 15jährigen Johann 53 — 54; Johann soll zu Gauß geschickt werden 55 — 56; Sorge für J. auf der Ingenieur- Akademie 67 — 68; Besuch J.s 1825, erster Streit 70; warnt J. vor der Beschäftigung mit dem Pa- rallelenaxiom 76—79, 82—83; Streitig- keiten mit J. wegen der Anerkennung der absoluten Geometrie 83 — 84, 87 — 88; der Appendix wird an Gauß ge- schickt; G.s Antwort 90 — 95; Zusam- menstoß mit J. nach dessen Rückkehr in die Heimat (1833) 98; Verhältnis zu J. in den späteren Jahren 99; ge- meinsame Bewerbung um den Preis der Jablonowskischen Gesellschaft betr. Konstruktion der imaginären Größen 124—129; neuer Streit (1837) 126 — 127; abermaliger Streit wegen des Briefes W. B.s an seinen Bruder Anton (1846) 127—128; Versöhnung 128, 174—175: letzter Zwiespalt (1856) wegen des Testamentes von W. B. 166—167.
W. B.s letzte Jahre (1848-1856) 161— 172; Wiederaufnahme des Briefwech- sels mit Gauß 161 — 163; Besuch von Kreil 163-164; Tod von Gauß 1G4— 165; „Abschied von der Erde" 165 — 166; letzte Krankheit 166 — 172; J. B.s Urteil über Wolfgangs gesamte Wirk- samkeit 172.
W. B. und J. B. in den letzten Jahren 173, 174. 177, 178, 179, 183, 186, 188, 189, 190, 193, 194, 195.
Das Urteil der Nachwelt; allmähliche Anerkennung der mathematischen Un-
tersuchungen W. B.s 196—204; der Bolyai-Preis der Ungarischen Akade- mie 203—204. Verzeichnis der von W. B. veröffentlich- ten Schriften 205—206; Verzeichnis von Schriften, die sich auf W. B. und J. B. beziehen 206—208.
Anmerkungen und Nachweisungen 209; über die Autobiographie Wolfgangs 210; Baron Simon Kemenys Brief vom 30. Jan. 1799 an W. B.s Vater 211 — 214; 215; Beziehungen zwischen W. B. und Gerling 216—217; Brassais Urteil über W. B.s Tentamen 218; 219, 220, 221, 222, 223; aus dem Briefe W. B.s an J. B. vom 4. April 1820 224—225; 227, 228, 232, 234, 235, 236; Streitig- keiten mit J. B. wegen der absoluten Geometrie 238—239; 240, 241, 243; aus der Abhandlung über imaginäre Größen (1837) 245—246; neue Schreib- weise der magyarischen Sprache 247; 249; Nachruf auf Karl Szäsz 250—251 ; 252; J. B. über den Einfluß, den W. B. auf ihn gehabt hat 259; 262, 263, 265, 266, 267.
Boncompagni,B althasar, Fürst B. Her- ausgeber des Bulletino di bibliogr. e di storia d. sc. mat. e fis. 200, 265.
Bonola 204, 220, 267.
Borel 257.
Bossut, Charles, versucht, 1775 das Parallelenaxiom zu beweisen 222.
Bourgeois, Direktor der Ingenieur- Akademie zu Wien (1790—1811) 62.
Brandes, Prof. der Mathematik in Breslau und Leipzig 9, 211.
Brassai, Samuel, Prof der Mathematik an der Universität Klausenburg, über Wolfgangs Dramen 23; Gedächtnis- rede aufW. B. 203, 206, 210, 218, 266.
Braunmühl, A. v. B. 235.
Bricard 188, 259.
B u e e , Lehre von den imaginären Größen 125, 244.
Bürger, J. A. P., schreibt über das Parallelenaxiom (1833) 222. 223.
Cantor, Georg, Erklärung des Konti- nuums 37, 218.
Cantor, Moritz 235.
Carnot, Lazare 47, 218.
Cartan 245.
Cauchy 218.
Cayley 187, 243, 258.
Clavius, schreibt über das Parallelen- axiom (1591) 222.
Comenius, wirkt 1650 — 1652 als Prof. am Kollegium zu Särospatak 17. 18*
276
Leben und Schriften der beiden Bolyai
Coste, zeigt, daß Hausens Beweisversuch für das Parallelenaxiom unzureichend ist 87.
Grelle 261.
Csänyi, Daniel 129.
Czermäk, Josef 67.
Dannmeyer, Volumenberechnung in der
absoluten Geometrie 242. Dehn 188, 259. Delboeuf 219. Desargues 263. Dicsö, Schüler W. B.s 172, 2ol. Döbrentei, Georg 21; über W. B.s
Dramen 23. Dobriner 220. Dösa, Alexius, Prof. am Kollegium zu
Maros-Vasärhely 125. D ö 1 1 1 e r , Prof. der Physik a. d. Universität
Wien 52, 226. Dreiteilung des Winkels 233, Drobisch, Prof. der Mathematik a. d.
Universität Leipzig 125, 244. Dumas 218. Dux 215.
Ebene, Erklärung der Ebene bei W.B. 40 ; Gauß beanstandet die üblicheErklärung derEbene93— 94; Erklärung der Ebene bei J. B. 182—183
v. Eckartshausen 259.
Eichhorn, Preußischer Kultusminister, Freund von Gauß, 9, 211.
Encke 94, 22n, 221, 246.
Endlich-gleiche Flächen- und Baumstücke 40—41, 188.
Engel, vergleicht J. B.s und Lobat- schefskijs Leistungen für die absolute Geometrie 158—160 ; 206, 207, 210, 214, 216, 220, 223, 224, 225, 228, 234, 238, 240, 241, 242, 243, 246, 247, 248, 249, 258.
Enriques 220.
Eötvös, Josef, Baron, ungarischer Kul- tusminister 200.
Erb, K. A. 218.
Eschenburg, Freund von Gauß 9, 211.
Ettingshausen 140, 141, 217, 229.
Eugen, Prinz v. Savoyen, veranlaßt die Gründung der Wiener Ingenieur- Aka- demie 61.
Euklid 18; wendet Bewegungen mög- lichst wenig an 39; E.s Parallelenaxiom 41, 43, 47, 82, 93, 95, 103, 104, 109, 140, 149, 159, 174, 181, 184, 186, 217, 219, 220, 221, 222, 223, 231, 252, 263, 264.
Euler 18; J. B. studiert E.s Algebra 52, 100; E.s Polyedersatz 181—182; 218, 226, 235, 248.
Ferroni 235.
Fichte 7, 210.
Fourier 219, 247.
Forti, Angelo 200, 207, 265.
V. Frank 242.
Franz II, Kaiser von 0 esterreich 63.
Franz Josef, Kaiser von Oesterreich, Besuch in Maros-Väsärhely (1852) 23; 206.
Frischauf 50, 117, 202, 226, 242, 265.
Fritsch, Karl, macht 1848 mit Kreil in Maros-Väsärhely magnetische Be- obachtungen 249.
Gatti, Friedrich, Geschichte der Wiener Ingenieur-Akademie 210, 227.
Gauß, Carl Friedrich, Freundschaft mit W.B. 8— 11, 14, 15; 16, 17, 18, 20, 24, 30, 31, 32, 33, 34, 38; Brief vom 16. Dez. 1799 über die Grundlagen der Geo- metrie 42 — 43; 43; Brief vom 25. Nov. 1804, Kritik der Göttingischen Pa- rallelentheorie von W. B. 44 — 45; 46, 49, 51, 52, 54; läßt W. B.s Bitte, seinen Sohn Johann zu ihm bringen zu dürfen, unbeantwortet 55 — 57; erhält Johanns Appendix 71 — 72; Brief an Gerling vom 14. Febr. 1832 über den Appen- dix 72, 73; Karl Szäsz besucht G. 81 —82; 86, 90; Brief an W. B. vom 6. März 1832 über den Appendix 91 — 94; die Untersuchungen von G. über die absolute Geometrie 94 — 95; J. B. über G.s Brief vom 6. März 1832 95—97; 98, 99, 100, 102, 109; Kubie- rung des Tetraeders 113, 118, 119; G.s Lehre von den imaginären Größen 125, 130, 133, 134; Mentovich besucht Gauß 135—136; 136, 137, 138, 140, 141, 161, 162, 163, 164; Wolfgang erfährt den Tod von G. 164—165; 166, 167, 172, 174, 176, 179, 180, 186, 187, 188; Sartorius v. Waltershausen über G.s und W. B.s Jngendfreundschaft 196 — 198; Baltzer über G.s Ansichten in Betreff der Grundlagen der Geometrie 198—199; 200, 207, 208, 209,211, 215, 216, 217, 218, 220, 221, 223, 224, 225, 228, 230, 232, 233, 234, 235, 238, 239, 240, 242, 243, 246, 247, 249, 251, 258, 259, 262, 264, 265.
Gauß, Eugen, Sohn von C. F. Gauß 227. J
Gauß, Josef, Sohn von C. F. Gauß 227. 1
Gauß, Karl Wilhelm, Sohn von C. F. Gauß 227.
Gauß, Johanna, geb. Osthof, erste Frau von C. F. Gauß 224.
Gauß, Minna, geb. Waldeck, zweite Frau von C. F. Gauß 227.
Gauß, Minna, Tochter von C. F. Gauß 227.
Sach- und Namenverzeichnis
277
Gauß, Therese, Tochter von C. F. Gauß 227.
Gauthier-Villars 200.
Georg V., König von Hannover 251.
Gerade Linie, Erklärung bei W. B. 40; Erklärung bei J. B. 182—183; Gauß über die Erklärung der ger. L. 197.
Gerhardt, C. J. 219.
Gerling, Prof. der Mathematik a,d. Uni- versität Marburg, Schüler und Freund von Gauß 32, 72, 94, 137, 163, 188, 215, 216, 217, 221.
Goethe, W. B. liest G.s Werther 7.
Grashof, CA. 219, 235.
Gray. Thomas, Englischer Lyriker (1716 — 1771), W. B. übersetzt Gedichte von G. 22.
Grenze, Begriff der G. bei W. B. 35—36.
Grillparzer 22.
Grunert 200, 201.
V. Guilleaume, Athanasius, Forstin- spektor von Siebenbürgen 25.
Gyuläs, Karl 210.
Haläsz, Georg, Hauptmann und Lehrer an der Wiener Ingenieur-Akademie 64.
Halsted, George Bruce, übersetzt den Appendix ins Englische 202, 265.
Hamilton, W. R. , sieht die Zeit als Träger der stetig veränderlichen Größen an 33; H.s Lehre von den komplexen Größen 132—133, 217, 246.
Hamlet 44.
Hankel 34; Prinzip der Permanenz 35, 217, 244.
Harzer, über das Krümmungsmaß des Raumes 243.
Hasse, Sekretär der Jablonowskischen Gesellschaft zu Leipzig 245.
Hauff, Schriften über die Parallelen- theorie (1793—1821) 222.
Hausen, versucht 1734, das Parallelen- axiom zu beweisen 87, 222
V. Haus er, Matthias, Lehrer der Mathe- matik a. d. Wiener Ingenieur-Akade- mie, Mathematisches Lehrbuch 58, 222, 227.
Heeren, Prof. der Geschichte an der Universität Göttingen 7.
Hegedüs, Franz, Prof. der Mathematik am Kollegium zu Maros-Väsärhely 249.
Helmholtz, Begründung der Geometrie aus der Bewegung starrer Körper 39, 202, 219.
Hereijei, Adam, Lehrer W. B.s. 4.
Herepei, Johann, erster Lehrer W. B.s. 3, 4.
Herschel 156.
Herzogenberg, Baron, Direktor der Wiener Ingenieur-Akademie (1820 — 1834), 65.
Hessenberg 225.
Hessling 224.
Heyne, Prof. der alten Sprachen a. d. Universität Göttingen 7.
Hilbert, Grundlagen der Geometrie 40, 188; erhält 1910 den Bolyai-Preis 204; 219, 259.
Hindenburg, Schriften über die Theo- rie der Parallelen (1781 — 1799) 222.
Hoffmann, Joh. Jos. Ign., Schrift über die Theorie der Parallelen 223, 231, 239, 241.
Horväth, Wolfgang, beschreibt W. B.s Öfen 215.
Hoüel, Jules, 146, weist hin auf W. B.s und J. B.s geometrische Untersuchun- gen und übersetzt den Appendix ins Französische 199—200, 207, 248, 264.
Ide, Prof. der Mathematik a. d. Uni- versität Kasan, Freund von Gauß 9, 211.
Imaginäre Geometrie, BezeichnungLobat- schefskijs für die nichteuklidische Geo- metrie 109, 141.
Imaginäre Größen, Lehre von den im. Gr. bei W. B. 34—35, 124—129: Lehre von den im. Gr. bei J. B. 129—133, 177.
Imre, Alexander 20, 215.
tTahlonoivsldsche Gesellschaft der Wissen- schaften zu Leipzig 100, 104, 125, 128, 245, 246.
Jean Paul [Friedrich Richter] 23.
Johann, Erzherzog von Österreich, Ober- direktor der Wiener Ingenieur-Akade- mie 63 — 65; Bittschrift J. B.s an den Erzherzog J. vom 8. August 1832 72 —73, 74, 107, 189, 191, 223, 227, 231; Entwurf der Bittschrift vom S.Mai 1832 229—232, 240.
Jokai, Maurus, ungarischer Schriftsteller 169.
Joseph II, Kaiser von Österreich 2, 162, 164.
Jung, Kollegiumsschuster zu Maros- Väsärhely 170.
Kant, Einfluß auf W.B. 33; seine Kritik der reinen Vernunft gibt Anlaß zu Untersuchungen über die Grundlagen der Geometrie 42; Gauß erklärt sich gegen K.s Behauptung, der Raum sei nur Form unserer Anschauung 94; 198, 217, 240.
Karl VI., Römisch-deutscher Kaiser 61.
Karl Wilhelm Ferdinand, Herzog von Braunschweig 8.
Karsten 18; Schriften über die Paral- lelentheorie (1758—1786) 222.
278
Leben und Schriften der beiden Bolyai
Kästner, Prof. der Mathematik a. d. Universität Göttingen 8, 18; verzwei- felt an der Möglichkeit, das Parallelen- axiom zu beweisen 41 — 42, 87; Feder- zeichnung von Gauß, K. darstellend 163; 220, 231.
Katona, Alexius, Freund W. B.s in Wien 127.
Katona, Josef , --Verfasser des Trauer- spiels Banus Bank 22, 215.
Kazinczy, Erneuerer der magyarischen Sprache 19.
Kemeny, Baron Koloman K. 215.
Kemeny, Baron Nicolaus K., General- Kurator des Kollegiums zu Maros- Väsärhely 59, 64, 66.
Kemeny, Sigmund 251.
Kemeny, Baron Simon K., Freundschaft mit W. B. 4; bewegt W. B., mit ihm nach Deutschland zu gehen 5 — 6; K. mit W. B. in Jena und Göttingen 7 — 11, 13, 55; Brief K.s vom 30. Jan. 1799 an Kaspar Bolyai 211—214; 215, 216, 227, 250.
Kendeffy, Graf Adam K. 55, 66.
Kepler 18, 244.
K e r e k e s , Franz , Prof. der Naturge- schichte am Kollegium zu Debreczin, Preisschrift über die Lehre von den imaginären Größen 129, 218.
Kies, Johann 235.
Killing 217, 219, 243.
Kirch er, Adolf, Schrift über die Lehre von den Parallellinien (1808) 222.
Kisfaludy, Karl, sein Trauerspiel Irene durch W. B. beeinflußt 22.
Klein, Felix, über die Widersprucha- losigkeit der absoluten Geometrie 187, 258.
Klindworth, Line 9.
Klopstock 30.
Klügel, Simon, schreibt 1763 die erste Geschichte der Parallelentheorie 42, 220.
Knorr, Ernst 225, 246—247,
Koenigsberger, Leo 219.
Komplexe Zahlen, siehe imaginäre Zahlen.
Koncz, Josef, Prof. am Kollegium zu Maros-Väsärhely, letzter Schüler W. B.s und dessen Biograph 14, 19, 25, 27, 171, 20.'-5, 207, 210, 211, 214, 215, 216, 219, 227, 266.
König, Julius, Herausgeber des Tenta- mens 32, 200, 203, 206, 210.
Kont, L 19, 210, 214.
Kontinuum, Begriff des K.s bei W. B. 37.
Kr eil, macht 1848 magnetische Be- obachtungen in Maros-Väsärhely 163, 165, 196, 249, 262.
Krizbai, Alexius Desiderius, ev. ref. Geistlicher in Klausenburg 15.
Krümmungsmaß, Flächen konstanten Kr.m.es 109.
Kühn, Prof. der Chemie a. d. Universi- tät Leipzig, Sekretär der Jablonows- kischen Gesellschaft 126, 127, 129.
Kummer 49.
Kürschäk, Josef, Herausgeber des Ten- tamens 32, 204, 206; entziffert J. B.s Aufzeichnungen über Lobatschefskijs Geom. Unters. 139; 208, 218, 226, 246, 248.
Lacroix, versucht, das Parallelenaxiom zu beweisen 18, 222.
Lagrange 18, 100, 218.
Lakatos, S., Prof. am Kollegium zu Maros-Väsärhely 204.
Lalande 18.
Lambert, Theorie der Parallellinien (1766) 43, 76, 220, 221, 235, 248.
Laplace 47, 174.
Laugel 207.
Legen dre, ersetzt das Parallelenaxiom durch die Forderung der Existenz ähnlicher Figuren 47; versucht das Par.-Axiom mittels unendlicher Flä- chenräume zu beweisen 48, 221, 222, 225, 248, 263.
Lehmann, J. W. H. 221, 232.
Lencker, Michael, Lehrer a. d. Wiener Ingenieur-Akademie 67, 228.
Leibniz 218, 219, 257.
Lengyel, Prof. am Kollegium zu Klau- senburg 66.
Lichtenberg, Prof. der Physik a. d. Universität Göttingen 7, 8.
Lie, Sophus 258, 266.
Liebmann 220, 242, 243, 244, 248, 249.
Lipschitz 243.
Littrow, Josef Johann 18, 141,229,247.
Lobatschefskij, über den Versuch von Wallis, das Parallelenaxiom zu beweisen 47; über den Beweisversuch von Bertrand 48— 4 i; 81; veröffentlicht 1829 seine Anfangsgründe der Geo- metrie 86 ; L. über den Zusammenhang zwischen der sphärischen und der ima- ginären Geometrie 108 — 109; Kubie- rung des Tetraeders 109, 116, 117 — 118; J. B. erfährt von L.s Geom.- Unters. zur Theorie der Parallellinien 134 — 139; J. B.s Bemerkungen zu L.s Geom. Unters. 140—160; 162, 175, 177, 187, 198, 199, 200, 202, 206, 208, 219, 224, 225, 235, 242, 243, 246, 247, 248, 249, 254, 258, 259, 263, 264, 266.
Lorenz 217.
Lübsen 262.
3Iaria Theresia, römisch - deutsche Kaiserin, Königin von Ungarn 2.
Sach- und Namenverzeichnis
279
Mascheroni, J. B. über M.s Geome- tria del compasso 184.
Mauduit 235.
M ei sei er, Geiger in Wien 65.
Mentovich, Franz, Prof. der Mathe- matik am Kollegium zu Maros-Väsär- hely 31; Unterredung mit Gauß 135
— 136; 161, 216, 235, 249. Metius, Adrian 18.
Mette mich, Matthias, Schriften über die Theorie der Parallellinien (1815, 1822) 264.
Milton, W. B. übersetzt Gedichte von M. 22.
Mitscherlich, Christoph Wilhelm, Prof. der alten Sprachen a. d. Uni- versität Göttingen 7.
Montucla 18.
Mourey, Lehre von den imaginären Größen 125, 244.
Müller, Carl Reinhard, Theorie der Parallellinien (1822) 264.
Murrai, Sophie 9.
Nagy, Theresia, zweite Frau W. B.s 70.
Nagy V. Szopor, Karl, ungarischer Mathematiker und Astronom 31, 216.
Napoleon 11, 227.
Nassir -Eddin, arabischer Mathema- tiker, versucht, das Parailelenaxiom zu beweisen 222.
Negative ZaMen, W. B.s Lehre von den n. Z. 34; J. B.s Lehre von den n. Z. 131, 230.
Neper 101.
Neumann, Carl 244.
Newton 18, 39, 77, 82, 147, 162, 165, 166, 218, 250, 263.
NichteuMidische Geometrie, auf der An- nahme der Falschheit des ParaUelen- axioms beruhend 230.
Nobili, Graf, Direktor der Wiener In- genieur-Akademie (1811—1820) 62 —64.
Olbers 94.
V. Orban, Rosalie 101, 173, 252. Osthof, Johanna, erste Frau von Gauß 227.
Paganini 169.
Pälmay, Josef 209.
ParaUelenaxiom, das Par.-Ax. bei Euklid 41; Beweisversuche 41 — 42; W. B.s Untersuchungen über das Par.-Ax. 43 — 50; J. B.s Versuche, das Par.-Ax. zu beweisen 75 — 84; Unmöglichkeit einer Entscheidung, ob das Par.-Ax. gilt oder nicht 86— 88, 118—122, 154
— 157.
Pasch, Grundlagen der Geometrie 40, 188, 219, 259.
Peacock, Prinzip der Permanenz 35.
Peano, Grundlagen der Geometrie 40, 188, 219, 259.
Peters, Christian August Friedrich, Herausgeber des Briefwechsels zwi- schen Gauß und Schumacher 198.
Pf äff, glaubt, daß man das Parallelen- axiom nicht beweisen, sondern nur simplifizieren könne 17, 24, 47,216,222.
Phaedrus 259.
Phragmen 244.
Pieri, sucht die Geometrie auf dem Be- grilf der Kugel aufzubauen 219.
Plato 9.
Poincare, erhält 19u5 den Bolyai-Preis 204, 244.
Polyedersatz von Euler, 179 — 180.
Pope, W. B. übersetzt P.s Essay on man 22, 206,
Pringsheim, Alfred 248.
Proklus, über das Parallelenaxiom 41, 222
Ptolemäus, versucht, das Parallelen- axiom Euklids zu beweisen 41.
Pyramide, siehe Tetraeder.
Quadratur des Kreises 160. Quens en 242.
Radak, Baron 4.
Rad OS, Ignaz, übersetzt den Appendix ins Magyarische (1897) 203; 249, 250, 251, 266.
Räköczi, Georg I, Fürst von Sieben- bürgen 17.
Räth, Ignaz, Forstinapektor von Sieben- bürgen 25.
Reichenbach, Multiplikator-Kreis von R. 155.
Rethy, Ludwig, Bericht über W. B.s letzte Tage 167.
Rethy, Moritz, Herausgeber des Ten- tamens 32, 203, 206; Untersuchungen über endlich-gleiche Flächenstücke 41 ; Vorlesungen an der Universität Klausen- burg über absolute Geometrie201 — 2ü3; 220.
Richmond, Formel für das Tetraeder- volumen in der absoluten Geometrie 242.
Riedl, Friedrich 210, 215
Riemann 187, 202. 218, 258.
Bing, Bezeichnung für die Kreislinie bei W. B. und J. B , Eigenschaften des Ringes 40, 180—181.
Rousseau 51.
Rudio 248.
Munde, Bezeichnung für die Kugelober- fläche bei W. B.und J.B , Eigenschaften der Runde 40, 180—181.
Saccheri, Euclides ab omni naevo vin- dicatus (1733) 43, 47, 76, 220, 221, 234.
280
Leben und Schriften der beiden Bolyai
Sartorius v. Waltershausen, Bio- graph von Gauß 11, 20, 22, 23, 95, 165, 173, 196, 197, 198, 209, 211, 215, 243, 262, 264.
Scheidung, Großkaufmann in Wien 212.
Schering 201, 265.
Schiller?, 17; W.B. übersetzt Gedichte von Schiller 22, 259.
Schlesinger, Ludwig 15, 56, 72, 86, 88—89, 96—97, 204, 207, 213, 214, 215, 227, 228, 229, 237, 238, 241, 249, 267.
Schmidt, Anton, Baumeister in Temesvär 70, 200.
Schmidt, Franz, Baumeister in Budapest, Sohn von Anton Schm. 70, 199—200, 201, 202, 204, 207, 228, 237, 264, 265, 266.
Schmidt, G.G., Schrift über die Paralle- lentheorie (1797) 222.
Schmidt, Martin, Sohn von Franz Schm. 201, 237.
Schumacher 94, 95, 134, 137,163, 198, 199, 239, 246, 264.
Schur, F. Grundlagen der Geometrie 40, 188, 219, 259.
Schwab, Johann Christian, Schriften zur Parallelentheorie (1801— 1814)222,264.
Schwarzschild, über das Krümmungs- maß des Raumes 243.
Schweikart, Entdecker der Astralgeo metrie 41, 217, 220, 221, 238, 243,247.
Segre 220.
Seneca 84
Seyffer, Carl Felix, Professor der Astro- nomie in Göttingen und München, nimmt sich W. B.s in Göttingen an 8, 11; beschäftigt sich mit den Grund- lagen der Geometrie 8; zweifelt an der Beweisbarkeit des Parallelenaxioms 41, 210.
Sforza 188, 242, 259.
Shakespeare 17.
Simon, Max, über das Euklidische Par- allelenaxiom 41, 219, 220, 265.
Simonis, Theologe aus Siebenbürgen, studiert mit W. B. in Göttingen 8.
Simson, Robert, versucht das Paralle- lenaxiom zu beweisen (1756) 222.
Spitz, C. 265.
Stäckel 117, 201, 204, 207, 208, 210, 217, 220, 221, 223, 224, 225, 233, 234, 235, 238, 240, 241, 244, 246, 247, 254, 255, 257, 264, 265, 267.
Stephan, König von Ungarn 164.
Struve, Otto Wilhelm, Direktor der Sternwarte zu Pulkowa 94.
Study 132, 245.
Sutak, Josef, übersetzt den Appendix ins Magyarische (1897) 203; 219, 265.
Szabo, Johann, malt W. ß. im Jahre 1835 215.
Szabo, Peter, findet 1905 das Original des Briefes von Gauß an W. B. vom 6. März 1832 95, 165, 208, 211, 214; 215, 226, 227, 229, 233, 234, 240, 252.
Szabo, Samuel, Vater P. Szabos, 1858 — 1868 Prof. der Mathematik am Kollegium zu Maros-Yäsärhelv 95, 165, 200, 233—234, 249.
Szäsz, Dionys 171.
Szäsz, Karl, 1820 — 1848 Prof. am Kollegium zu Nagyenyed, 1853 — 1855 Prof. am Kollegium zu Maros-Väsär- hely 32 ; Verkehr mit J. B. in Wien 1817 — 1820 66, 80—81; spätere An- sprüche an die Entdeckung der ab- soluten Geometrie 81—82, 84, 135, 141, 170, 171, 174; 235, 236, 246, 247, 249; Wolfgangs Nachruf auf Sz. 250 —251; 252.
Szasz, P., Schüler W. B.s 95.
Szathmäri, Michael, ev. ref. Theologe in Klausenburg 4.
Szent-Györgyi, Emerich 66.
Szilägyi, Josef, Hauslehrer J. B.s 52, 66.
v. Szily, Koloman 19, 53, 59, 65, 98, 203, 204, 208, 210, 215, 126, 227, 237, 241, 266.
Szöts, Juliana 173, 202.
Szotyori, Arzt W. B.s 59.
Tacquet, Euklid- Ausgabe T.s 184, 222, 257.
Tarnowski, Bezirksarzt in Maros-Vä- särhely 251.
Taurinus, gelangt 1826 selbständig zur absoluten Trigonometrie 86; Brief von Gauß an T. vom 8. Nov. 1824 94—95; 221, 235, 238, 247.
Taylor 100.
Teleki, Graf Alexius T. 66.
Teleki, Graf Josef T. 4, 55, 210.
Teleki, Graf Samuel T. 16, 174, 227.
Telekische Bihliothelc 16, 166 174.
Tentamen juventutem studiosam in ele- menta matheseos introducendi, Haupt- werk Wolfgangs, Entstehung und Ver- öffentlichung 27 — 30; Aufnahme bei den Zeitgenossen 30 — 32; Grundlagen der Arithmetik 32—37; Grundlagen der Geometrie 38 — 40; Parallelentheo- rie 41 — 50; neue Ausgabe 32, 203, 206.
Tetraeder, Gauß fordert J. B. auf, den Kubikinhalt des Tetraeders in der ab- soluten Geometrie zu bestimmen 93; Untersuchungen J. B.s über die Ku- bieruncr des T.s 109—118.
Sach- und Namenverzeichnis
281
Thomson, James, englischer Dichter
(1700—1748), W. B. übersetzt Gedichte
von Th. 22. Tokody, Johann 21. Tompa 81. V. Tötössy, Bela, Herausgeber des Ten-
tamens 32, 203, 206. Trigonometrie^ Zusammenhang zwischen
der sphärischen und der absoluten T.
102—109, 150, 157 — 158.
Überweg, Begründung der Geometrie aus der Bewegung starrer Körper 39, 219.
Vahlen, Grundlagen der Geometrie 259.
Vajda, Daniel, erster Hauslehrer J. B.s 52, 77, 81.
Vajda V. Csernäton, Prof. am Kolle- gium zu Maros-Väsärhelj 16.
Vajna v. Pava, Christine, Frau Kaspar Bolyais 2.
Välyi, Julius, hält an der Universität Klausenburg Vorlesungen über abso- lute Geometrie 202—203.
Väradi 81.
Vass, Thomas, Bericht über W.B.s letzte Stunden 167—172, 251.
Vega, Freiherr Georg v. V. 6; J. B., stu- diert V.s großes Lehrbuch der Mathe- matik 52; 58, 210, 226, 240.
Veronese, über die Grundlagen der Geometrie 188, 259.
Vogel, A. 253. Voss 217, 218.
Wächter, versucht 1817, da^ Paral- lelenaxiom zu beweisen 49—50; 94, 225, 235.
Wagner, H. 2G5.
Waldeck, Minna, zweite Frau von C. F. Gauß 2-27.
Wallenberg 217.
Wallis, ersetzt das Parallelenaxiom durch die Forderung der Existenz ähnlicher Figuren (1663) 47, 224.
Warren, Lehre von den imaginären Größen 125, 244.
Weber, Wilhelm Eduard, Prof. der Physik a. d. Universität Göttingen 259.
Winkelmesswig, Lobatschefskij und J. B. über die W. 142 — 145.
Wolter V. Eckwehr, Lehrer der Ma- thematik an der Wiener Ingenieur- Akademie, Lehrer und später in Arad Vorgesetzter von J. B 66—67, 69, 71, 141, 235.
Zeyk, Baron Daniel Z., studiert mit W. B. in Göttingen 8, 71.
Zeyk, Baron Josef Z., Sohn von Daniel Z., überbringt Gauß einen Abzug des Appendix 71 — 73; Bericht über die Aufnahme des Appendix durch Gauß 91—92.
Druck von B. G. Teubner in Leipzig.
Verlag von B. G. Teubner in Leipzig und Berlin.
Von vorliegendem Werk ist früher erschienen: Engel, Dr. Friedrich, Professor an der Universität Gießen, und Dr.
Paul Stäckel, Professor an der Universität Heidelberg, Urkunden zur Geschichte der nichteuklidischen Geometrie.
I.Band: Nikolaj Iwanowitsch Lobatsclief skij , zwei geometrische Abhandlungen, aus dem Russischen übersetzt, mit Anmerkungen und mit einer Biographie dos Verfassers von Friedrich Engel. I. Teil: Die Übersetzung. Mit einem Bildnis Lobatachefskijs und mit 191 Figuren im Text. II. Teil: Anmerkungen. Lobatschofskijs ],ebcu und Schriften. Register. Mit 67 Figuren im Text. [XVI, IV u. 476 S.] 1899. Geh. Jt M.— , in Halbfranz geb. Jl. 15.40.
Dieser Band enthält in deutscher Übersetzung zwei russisch geschriebene Abhandlungen, die bisher für die große Mehrzahl der Mathematiker gar nicht vorhanden waren Die eine: „Neue Anfangsgründe der Geometrie mit einer vollständigen Theorie der Parallelen" ist geradezu ein Lehrbuch der Geometrie von den ersten Anfängen an. Die „Neuen Anfangsgründe" sind 1835 — öS erschienen; bei dem historischen Charakter des Buches durfte jedoch die erste Ver- öffentlichung Lobatschofskijs über den Gegenstand nicht fehlen. Es isi das die 1829 — 30 erschienene Abhandlung: „Über die Anfangsgründe der Geometrie", die zu aen „Neuen An- fangsgründen" insofern eine erwünschte Ergänzung bildet, als sie ausführlich auf die Berechnung der geometrischen Figuren eingeht. Den beiden Abhandlungen folgen sehr ausführliche An- merkungen und eine Lebensbeschreibung Lobatschef skij s.
Bolyai de Bolya, Wolfgang, tentamen iuventutem studiosam in elementa matheseos purae elementaris ac sublimioris methodo iutuitiva evidentiaque huic propria introdu- cendi, cum appendice triplici. Editio secunda. Tomus I: Con- spectus arithmeticae generalis. Mandate Academiae Scien- tiarum Hungarieae suis adnotationibus adiectis ediderunt lulius König et Mauritius Rethy, Academiae Scientiarum Hungarieae sodales. Mit dem Bildnis des Verfassers u. 11 lithogr. Tafeln. [XII u. 679 S.] 4. 1899. In Halbkalbleder geb. Ji4.Q.—
Tomus II: Elementa geometricae et appen-
dices. Mandate Academiae Scientiarum Hungarieae suis adnotationi- bus adiectis ediderunt losephus Kürschäk, Mauritius Rethy, Bela Tötössy de Zepethnek, Academiae Scientiarum Hungarieae sodales. Pars prima: Textus [LXIII u. 437 S.] Pars secunda: Figurae. [LXXV u. VII tabulae] 4. 1904. In Halbkalbl. geb. zus. Ji. 4.0 . —
Der erste Band des Tentamen enthält alles zur Arithmetik und Analysis gehörige ; der zweite bringt die geometrischen Kapitel des Werkes und als wichtigste Teile die Appendix von Johann Bolyai und den seit der Vergriffenheit der ersten Ausgabe schwer zugänglichen und darum bisher nicht gebührend gewürdigten Conspectus geometriae generalis von Wolfgang Bolyai.
Bei der Neuausgabe sind alle Verbesserungen und Ergänzungen, die W. Bolyai in seiner „Kecensio per auctorem ipsum facta" selbst als erwünscht angezeigt hat, überall in Betracht ge- zogen und, soweit sie nicht bloße Druckfehler betreffen, auch in den Noten als Änderungen erwähnt. Im übrigen ist alle Sorgfalt verwendet, um die Ausgabe zu einer des Verfassers würdigen zu machen, damit neben dem Sohne auch des Vaters grundlegende Untersuchungen ■einem stets größeren Kreise bekannt werden.
Oauß, Carl Friedricll, und Wolfg. Bolyai, Briefwechsel. Mit Unter- stützung der Königl. Ungai'iscben Akademie der Wissenschaften heraus- gegeben von Franz Schmidt, weiland Baumeister in Budapest und Dr. Paul Stäckel, Professor an der Universität Heidelberg. [XVI u. 208 S.] 4. 1899. In Halbkalblederband JC. 1^ . —
Der Briefwechsel beider gibt ein anziehendes Bild des jungen Gauß, der von Ent- ■deckung zu Entdeckung fortschreitend unsterblichen Euhm erwirbt. Er zeigt uns Bolyai in rastlosem Kampfe mit der Ungunst der Umstände, die ihn hindern, die Früchte einer verheißungsvollen Jugend einzuernten, die ihm aber niemals die Begeisterung für seine Ideale und die "Wärme des Hertens zu rauben vermögen. Als ein versöhnender Abschluß erscheint es, daß "Wolfgangs Sohn Johann durcn die Schöpfung der absoluten Geometrie das uralte Problem bezwingt, mit dem sein Vater vergebens gerungen hatte, und dabei in •wunderbarer "Weise mit Gauß zusammentrifft, der Johann als ein Genie erster Größe anerkennt. Die Munifizeuz der Akademie hat es gestattet, anhangsweise eine Keihe weiterer auf Gauß und Bolyai bezüglicher Briefe, sowie erläuternde Anmerkungen hinzuzufügen und einige Briefe in getreuer Nachbildung beizugeben.
Verlag von B. G. Teubner in Leipzig und Berlin.
Bolyai de Bolya, loannes, appendix scientiam spatii absolute veram exhibens, a veritate aut falsitate axiomatis XI. Euclidei, a priori haud unquam decidenda, independentem, adiecta ad casum falsitatis quadratura circuli geometrica. Editio nova oblata ab Academia Scientiarum Hungarica ad diem Batalem centesimum auctoris con- celebrandum. Ediderunt losephus Kürschak, Mauritius Retby, Bela Töt-össy de Zepethnek, Academiae Scientiarum Hungaricae sodales. [Vn, 40 S. u. 7 Tafeln.] 4. 1903. geh. JL 4.—
Eine Neuausgabe dieser zuerst 1832 als Anhang zu W. Bolyais Tentamen erschienenen Schrift des Sohnes, in der dieser seine vom Paralleleuaxiom unabhängige Geometrie entwickelt.
libellus post saeculum quam loannes Bolyai de Bolya
anno MDCCCII a. d. XVIII kalendas lanuarias Claudiopoli natus est ad celebrandam memoriam eius immortalem ex consilio ordinis Mathematicorum et Naturae Scrutatorum Regiae Litterarum üniversitatis Hungaricae Erancisco- losephinae Claudiopolitanae editus. Mit 1 Faksimile. [XV u. 155 S.] 4. 1903. geh. Ji. &.—
Diese Festschrift enthält außer dem Faksimile und einer lateinischen Übersetzung des historisch wichtigen Briefes, den J. Bolyai am y. November 1823 an seinen Vater gerichtet hat^ eine Abhandlung von L. Schlesinger „über einige funktionentheoretische Anwendungen der absoluten Geometrie", in welcher versucht wird, von gewissen geometrischen Problemen aus- gehend, einen naturgemäßen Aufbau der Theorie der Fuchs sehen Funktionen zu skizzieren, eine Abhandlung von P. Stäckel „über die Mechanik mehrfacher Mannigfaltigkeiten", in deren erstem Teil erörtert wird , in welcher Weise die Euklidische Mechanik auf höhere Mannigfaltigkeiten ausgedehnt werden kann, während in dem zweiten Teil die Einzelunter- suchungen aus diesem Gebiete systematisch geordnet und kurz charakterisiert werden, und schließlich eine chronologisch geordnete Bibliographie der absoluten Geometrie (1837 — 1902) von R. Bonola, die über 900 Titel aufzählt.
Cantor, Geheimer Hofrat Dr. M., Professor an der Universität Heidelberg, Vorlesungen über Geschichte der Mathematik. In 4 Bänden. Geheftet und in Halbfranz gebunden.
I Band. Von den ältesten Zeiten bis zum Jahre 1200 n.Chr. S.Auflage. Mit 114 Figuren und 1 Uthogr. Tafel. [VI u. 941 S.] 1907. M. 24.—, geb. Jt. 26.—
II. — Vom Jahre 1200 bis zum Jahre 1668. 2., verbesserte und vermehrte Auflage. In 2 Abteüungen. Mit 190 Figuren. [XII u. 948 S.] 1900. ^ 26.— , geb. .«. 28.—
m. — Vom Jahre 1668 bis zum Jahre 1758. 2., verbesserte und vermehrte Auflage. In 3 Abteilungen. Mit 146 Figuren. [X u. 923 S.] 1901. Jl. 25.—, geb. JC. 27.—
IV. — VomJahre 1759 bis zum Jahre 1799. Unter Mitarbeit von V. Bobynin, A. v. Braunmühl, F.Cajori, S.Günther, V.Kommerell, G.Loria, E. Netto, G. Vivanti, C. K. Wallner, herausgeg. von M. Cantor. [VI u. 1113 S.] 1908. M. 32.—, geb. Ji. 35.—
„Einen hervorragenden Platz unter den neuen Veröffentlichungen über die Geschichte der Mathematik nimmt die zusammenfassende Darstellung ein, die uns Moritz Cantor geschenkt hat. Mit rastlosem Fleiß, mit nie ermüdender Geduld, mit der unverdrossenen Liebe des Samm- lers, der auch das scheinbar Geringe nicht vernachlässigt, hat Moritz Cantor dies kolossale Material gesammelt, kritisch gesichtet, durch eigene Forschungen ergänzt, nach einheitlichen Grundsätzen und einheitlichem Plan zu einem Ganzen verschmolzen, und indem er in seltener Unparteilichkeit bei strittigen Fragen, deren die Geschichte der Mathematik so viele hat, auch die abweichenden Ansichten zu Wort kommen ließ, hat er ein Wei-k geschaifen, das die reichste Quelle der Belehrung, der Anregung für einen jeden ist, der sich über einen geschichtlichen Fragepunkt Bat holen, oder an der Geschichte der Mathematik mit.irbeiten will. . . .''
(Aus den Göttingisohen gelehrten Anzeigen.)
Friscliailf, Dr. J., Professor an der Universität Graz, absolute Geo- metrie nach Johann Bolyai bearbeitet. [XII u. 96 S.] gr. 8. geh. Jl. 2.—
Das vorstehende ist eine deutsche Bearbeitung von J. Bolyais Appendix. Die für den Anfänger an einigen Stellen zu kurze Darstellung ist vom Bearbeiter erweitert und in einigen wesentlichen Punkten ergänzt worden, so daß jedermann — auch ohne mathematische Vor- kenntnisse — den Inhalt der Schrift ohne Schwierigkeit zu verstehen imstande ist.
Verlag von B. G. Teubner in Leipzig und Berlin.
Bonola, Dr. K,., Professor an der Scuola Nonnale zu Pavia, die nicht- euklidische Geometrie. Historisch-kritische Darstellung ihrer Ent- wicklung. Autor, deutsche Ausgabe von Dr. H. Liebmann, Professor an der Technischen Hochschule zu München. Mit 36 Textficruren. [Vm u. 245 S.] 8. 1908. In Leinw. geb. JLh.—
Das vorliegende Bucli ist eine vom Verf. wie Übersetzer erweiterte Ausgabe des zuerst 1903 bei Zaniclielli in Bologna erschienenen Werkes, das in möglichst elementar gehaltener Darstellung Ziele und Methoden der nichteuklidischen Geometrie auch denen verständlich machen will, die mit nur elementaren mathematischen Vorkenntnissen ausgestattet sind.
Lobatschefskij, N. L, imaginäre Geometrie und Anwendung der imaginären Geometrie auf einige Integrale. Aus demRussischen übersetzt und Anmerkungen herausgegeben von Heinrich Lieb- mann, Prof. an der Technischen Hochschule zu München. Mit 39 Figuren und einer Tafel. [XI u. 187 S.] gr. 8. 1904. Geh. Jt.%.—
Die Ausgabe dieser beiden Abhandlungen bildet die Fortsetzung der von Fr. Engel besorgten Ausgabe der beiden grundlegenden Werke Lobatscbefskijs ,,Über die Anfangsgründe der Geometrie" und „Neue Anfangsgründe der Geometrie" in „Urkunden zur Geschichte der nichteuklidischen Geometrie" Bd. I.
In der .,Imaginären Geometrie" werden die trigonometrischen Formeln durch Einführung imaginärer Argumente in die sphärische Trigonometrie sehr schnell entwickelt und dann zur Bestimmung des Flächeninhalts von Figuren, sowie auf die Gammafunktion und elliptische In- tegrale angewendet.
Die andere Arbeit setzt sich das Ziel, eine Reihe von Integralen zu bestimmen oder doch aufeinander zurückzuführen, indem ein und derselbe Körper (z. B. der Kegel oder das Tetraeder) auf verschiedenen Wegen berechnet wird.
Müller, Dr. Felix, Professor in Dresden, Führer durch die mathe- matische Literatur für Studierende. Mit besonderer Berück- sichtigung der historisch wichtigen Schriften. [X u. 252 S.] gr. 8. 1909. Geh. Ji 7.—, in Leinwand geb. Ji % . —
Das Buch gibt eine systematische Übersicht über diejenigen ELnzelwerke und Joumal- abhandlungen aus der reinen Mathematik, deren Kenntnis dem Studierenden unentbehrlich ist Besondere Berücksichtigung haben die historisch wichtigen Schriften gefunden, sowie auch die Zeitschriften-Literatur und die Encyklopädien. Der Studierende, welcher Vorlesungen über eine spezielle Disziplin besucht, wird in den Stand gesetzt, die QueUen dieser Disziplin, die Originalarbeiten, die Lehrbücher, die Aufgabensammlungen, die Tafeln usw., auf welche in der Vorlesung oft nur in Kürze hingewiesen werden kann, mit Leichtigkeit aufzufinden. Auch weist der Führer auf Studienwerke für diejenigen Disziplinen hin, über welche nicht gelesen wurde.
Gedenktagebuch für Mathematiker. 3. Aufl. Mit
einem Bildnis des Verfassers. [IVu.l2lS.] gr.8. 1912. Kart. ^ 2 . —
Das „Gedenktagebuch für Mathematiker" enthält zahlreiche Daten aus der Geschichte der Mathematik, auf alle Tage des Jahres verteilt. Es ist im Jahre 1879, also vor nunmehr 32 Jahren, entstanden. Erst im Laufe mehrerer Jahre gelang es, für einen jeden Tag des Jahres eine historisch wichtige Xotiz zu gewinnen. .Jetzt trägt ein jeder Tag des Jahres in meinem „Gedenktagebuch'' eine größere Zahl von Nachrichten. Pietätvolle Mathematiker werden gern der Männer gedenken, welche unsere Wissenschaft gefördert haben. Deshalb kann man als Motto des „Gedenktagebuches" getrost die Worte setzen: „Matkematico milkt dies nisi festiva.'^
Rudio, Dr. F., Professor am Polytechnikum zu Zürich, Geschichte des Problems von der Quadratur des Zirkels von den ältesten Zeiten bis auf unsere Tage. Mit vier Abhandlungen (in deutscher Übersetzung) über die Kreismessung von Archimedes, Huygens. Lambert, Legendre. Mit Figuren im Text. [VIII u. 166 S.] gr 8. 1892. Geh. J^ 4.— , in Leinwand geb. c/^ 4.80.
Nachdem das Problem der Quadratur des Kreises in dem Nachweis der Transzendenz der Zahl n seine Erledigung gefunden hat, erschien es dem Verf. nicht ungerechtfertigt, mit vorliegender Schrift die Aufmerksamkeit auch auf diejenigen älteren Arbeiten, denen das Problem von der Quadratur des Zirkels eine direkte, weithin wahrnehmbare Förderung verdankt, zu lenken, und diese Arbeiten in sorgfältiger Übersetzung allgemein zugänglich zu machen. Es sind dies die Abhandlungen : y.vy.).ov uftotjni:, von Archimedes; De circuli magnitudine inventa, von Huygens; Vorläufige Kenntnisse für die, so die Quadratur und Rectifikation des Circuls suchen, von Lambert und Note, oü l'on d^montre que le rapport de la circonference au di- amfetre et son qnarrfe sont des nombres irrationnels, von Legendre.
In der Einleitung ist dem Buche eine historische Übersicht über die Entwickelung des Pro- blems von der Quadratur des Zirkels, von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart vorausgeschickt.
Verlag von B. G. Teubner in Leipzig und Berlin.
Stäckel, Dr. Paul, Prof. a. d. Universität Heidelberg und Dr Friedricll Engel, Prof. a. d. Universität Greifswald, dieTheorie der Parallel- linien von Euklid bis auf Gauß, eine Urkundensammlung zur Vorgeschichte der nichteuklidischen Geometrie. Mit 145 Figuren im Text und der Nachbildung eines Briefes von Gauß. [X u. 325 S.] gr. 8. 1895. geh. Ji. 9. — , in Leinwand geb. JL 1\.~
Etwas Ähnliches, wie F. Eudio in seinem Buche: „Geschichte des Prohlems von der Quadratur des Zirkels" für das Problem von der Quadratur des Kreises geleistet hat, wollen die Verfasser für die Parallelentheorie leisten : sie wollen zeigen, wie man nach und nach zu der Einsicht gelangt ist, daß das elfte Euklidische Axiom ein wirkliches Axiom, daß es also unheweisbar ist. AVie Rudio lassen auch sie die wichtigsten Autoren: Euklid, Wallis, Saccheri, Lambert, Gauß selbst reden, indem sie ihre Betrachtungen wörtlich oder in getreuer Übersetzung mitteilen. Ein verbindender Text stellt den Zusammenhang zwischen den verschiedenen Autoren dar und bringt, wo es nötig ist, Erläuterungen und sonstige Bemerkungen. Außerdem legen die Verfasser Gewicht auf eine möglichst vollständige Zusammen- stellung der übrigen Literatur über den Gegenstand. Sie schließen vorläufig mit Gauß ab, weil Gauß der erste ist, der die Vergeblichkeit aller Versuche, das elfte Axiom zu beweisen, vollkommen klar erkannt hat, die Fortsetzung bilden die „Urkunden zur Geschichte der nicht- euklidischen Geometrie" derselben beiden Verfasser.
Schließlich sei noch bemerkt, daß alle die Abhandlungen, die mitgeteilt werden, einen ganz elementaren Charalter tragen und zu ihrem Verständnisse durchaus keine Kenntnis der hCheren Mathematik voraussetzen.
und Dr. W. Ahrens in Rostock, der Briefwechsel zwischen
C. G. J. Jacobi und P. H. von Fuß über die Herausgabe der Werke Leonhard Eulers. Herausgegeben, erläutert und durch einen Abdruck der Fußschen Liste der Eulerschen Werke ergänzt. Erweiterter Sonderabdruck aus Bibliotheca mathematica. 3. Folge. Bands. [Vm u. 160 S.] gr. 8. 1908. Geh. J{8.—
Die zweihundertste Wiederkehr des Geburtstages von L. Euler hat das Interesse für eine Gesamtausgabe seiner Werke erweckt, die Jacobi und Fuß vor (jO Jahren in Angriff ge- nommen hatten. Der Briefwechsel zwischen ihnen gibt aber nicht nur hierüber Aufschluß, sondern enthält auch eine solche Fülle neuen wertvollen Materials zur Bio- und Bibliographie Eulers, daß er jedem, der sich mit der Geschichte der Mathematik im 18. Jahrhundert be- schäftigt, unentbehrlich sein wird.
Urkimdeil zur Geschichte der Mathematik im Alter^ume. L Heft. Der Bericht des Simplicius über die Quadraturen des Anti- phon und des Hippokrates. Griechisch und deutsch von Professor Dr. Ferdinand Rudio in Zürich. Mit einem historischen Erläute- rungsberichte als Einleitung. Ln Anhang ergänzende Urkunden, ver- bunden durch eine Übersicht über die Geschichte des Problems von der Kreisquadratur vor Euklid. Mit 11 Figuren im Texte. [X u. 184 S.] 8. 1907. Steif geh. c/^4.80.
Der Bericht des Simplicius über die Quadraturen des Antiphon und des Hippo- krates ist eine der wichtigsten Quellen für die Geschichte der griechischen Geometrie vor Euklid. Enthält doch dieser Bericht, neben vielen anderen historisch höchst wertvoUen Mit- teilungen, einen umfangreichen wörtlichen Auszug aus der leider verloren gegangenen Ge- schichte der Geometrie des EudemusI
Vorausgeschickt ist eine Einleitung, die neben anderen historischen Erläuterungen zugleich einen fortlaufenden Kommentar zu dem ganzen Berichte darbietet. Und schließlich sind in einem Anhange ergänzende Urkunden (griechisch und deutsch) in großer Zahl vereinigt und durch verbindenden Text in einen lesbaren Zusammenhang gebracht, so daß das vorliegende Heft nunmehr insofern eine gewisse Abrundung besitzt, als es alles enthält, was auf dem Gebiete der Kreisquadratur vor Euklid geleistet worden ist.
Zeuthen, Dr. G. H., Professor an der Universität Kopenhagen, Geschichte der Mathematik im 16. und 17. Jahrhundert. Deutsch von Raphael Meyer. [VHI u. 434 S.] gr. 8. 1903. Geh. Jl 16.—, in Leinwand geb. J( 17. —
Ähnliche Zwecke wie in seiner früher erschienenen Geschichte der Mathematik im Altertum und Mittelalter verfolgend, ist der Verfasser besonders bestrebt gewesen, die reiche innere Entwicklung der Mathematik selbst hervorzuheben, die in den behandelten Jahrhunderten statthatte und einen gewissen Abschluß fand Um in der übrigen Darstellung immer die mathe- matische Entwicklung verfolgen zu können, hat der Verfasser einen ausführlichen historischen und biographischen Überblick vorausgeschickt.
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Stackel, Paul Gustav
Wolfgang und Johann Bolyai^ geometrische Untersuchungen
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