ee nn hen er ; Fibrarp of the Museum OF COMPARATIVE ZOÖLOGY, AT HARVARD COLLEGE, CAMBRIDGR, MASS, Foundcd bp private subscription, In 1861. Yyayay vs Deposited by ALEX. AGASSIZ. No. ee b ie n erst Din. N L, rn Bu‘ | ZEITSCHRIFT FÜR ANATOMIE UND ENTWICKELUNGSGESCHICHTE. UNTER MITWIRKUNG VON Pror. CHR. AEBY ıy Bern, Pror. AL. ECKER ın Freigurg, Pror. JOS. GERLACH IN ERLANGEN, Pror. W. HENKE ın Tüsıngen, Pror. V. HENSEN ın Kırr, Pror. C. LANGER ın Wien, Pror. NATH. LIEBERKÜHN ın MaArgurc, Pror. FR. MERKEL ın Rostock, Pror. HERM. MEYER m Zürich, Dr. G. RETZIUS ın STockHoLm, Pror. NICOLAS RÜDINGER ıy München, Pror. 6. SCHWALBE ın Jena, Pror. A. W. VOLKMANN uno Pror. HERM. WELCKER ın HALLE. HERAUSGEGEBEN VON Dr. WILH. HIS uno Dr. WILH. BRAUNE, PROFESSOREN DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT LEIPZIG. ZWEITER BAND. MIT 27 HOLZSCHNITTEN UND 20 TAFELN. LEIPZIG, VERLAG VON F.C. W. VOGEL. III. IV: Inhalt des zweiten Bandes. Erstes und zweites (Doppel-) Heft (ausgegeben am 7. Juli 1876). Die Nebenhöhlen der menschlichen Nase in ihrer Bedeutung für den Mechanismus des Riechens.. Von W. Braune und F. E. Clasen (Tafel I. IL) . . Die Adduetorengruppe des Oberschenkels und Ms ni kunde femoris. Von Prof. Hermann Meyer in Zürich . Ueber die Lymphgefässe des Hodens. Von Dr. med. R. Gerster. Aus dem pathologischen Institute des Herrn Professor Langhans in Bern (Tafel III. IV.) Bo Beitrag zur deseriptiven und topographischen Anatomie des unteren Halsdreieckes. Von Dr. E. Zuekerkandl, Pro- sector der Anatomie in Wien (Tafel V.) . ; Einiges über die Vena basilica und die Venen des Oberarmes. Von Dr. Heinrich Kadyi, d. z. Prosector in Krakau . Beobachtungen über die Anastomosen des Nervus hypoglossus. Von Moritz Holl (Tafel VI.) . Nachweis eines ligamentum interarticulare (‚ter 2.) nen sowie eines lig. teres sessile femoris. Von Hermann Welcker in Halle . . Ueber die Bildung der Prahschonbyunen, Von Wilhelm His (Tafel VII.) Ale 1. Ueber Vasa aberrantia am Rete testis. — 0. leere ipel im Giraldes’schen Organ. — 3. Die ungestielte oder Mor- gagni’sche Hydatide. Von Prof. M. koth in Basel Ueber die Lymphwege der Knochen. Von Prof. G Schwalbe Seite IV Inhalt des zweiten Bandes. XI. Beiderseitiges Fehlen des langen Bicepskopfes.. Von Prof. J. @. Joessel in Strassburg XII. Ueber das Vorkommen und Verhalten. der Gelenke am Zungen- . bein und am Kehlkopfe. Von Dr. Ernst Krull aus Leo- poldina (Brasilien) Drittes und viertes (Doppel-) Heft (ausgegeben am 30. November 1876). XII. Zur Theorie der Intercostalmuskeln.. Von A. W. Volkmann XIV. Ueber die Architektur des Knochengewebes. Von Dr. Karl Schulin, Assistent am pathologischem Institute zu Rostock (Tafel VIH.) re) 2 RR: XV. Ueber den Aquaeductus vestibuli des Menschen und des Phyllo- dactylus europaeus. Von Prof. Dr. Rüdinger in München (Tafel IX. X.) XVI. Zur Anatomie des ligamentum teres femoris. Nachtrag zu Ab- handlung VII. dieses Bandes. Von Hermann Welcker in Halle a ee Ro Norte ng RE EEE XVII. Beiträge zur Kenntniss des elastischen Gewebes. Von G.Schwalbe (Tafel XI.) VE N Speer. 2: XVII. Zur Kenntniss der Hautdrüsen und ihrer Muskeln. Von Dr. Fr. Hesse, Prosector in Leipzig (Tafel XII.) XIX. Die morphologische Stellung der kleinen hintern Kopfmuskeln. Von Chappius. Aus dem anatomischen Institut des Prof. Aeby in Bern. (Tafel XII.) 5 MN XX. Die Tuben-Tonsille des Menschen. Von E. v. Teutleben, Dr. ph. (Tafel XIV.) XXI. Kleinere Mittheilungen. 1. Ueber das Vorkommen eines Sesambeines in den Ursprungs- sehnen des Gastroknemius beim Menschen. Von Cand. med. Wilhelm Ost. Aus dem anatomischen In- stitute des Prof. Aeby in Bern . ; 5 2. In Sachen des Sternalmuskels. Ein Beitrag von nz scher Seite. Von Dr. M. Malbranc, Assistenten am klinischen Hospital zu Freiburg i. B. 3. Ueber Knochenlymphgefässe. VonDr. Albrecht Enden. Privatdocent und Assistent am anatomischen Institute in Greifswald Seite 143 159 198 214 231 236 274 287 298 309 310 317 Inhalt des zweiten Bandes. Fünftes und sechstes (Doppel-) Heft (ausgegeben am 13. April 1877). XXII. Die lufthaltigen Nebenräume des Mittelohres beim Menschen. Von Dr. H. A. Wildermuth, Assistent am anatomischen Institute in Tübingen (Tafel XV.) es XXIII. Die Maassverhältnisse der Wirbelsäule und des Rückenmarkes beim Menschen. Von Dr. Michel Ravenel aus Neuen- burg. Aus dem anatomischen Institute des Prof. Aeby in Bern . ER . XXIV. Das Wachsthum der eenialen Sr Menschen En ha Säugethieren von der Geburt. Von Hugo Burtscher. Aus dem anatomischen Institute des Prof. Aeby in Bern . XXV. Beiträge zur Histologie der Haare. Von Dr. Karl Schulin, Assistent am pathologischen Institute zu Rostock (Tafel XVI XVI.) ER BEN LEE XXVI. Bericht über die anatomische Dunst in ie Von Wil- helm His (Tafel XVII. XIX.) NUR St Bar XXVII. Beitrag zur Morphologie des Gehirnes. Von Dr. E. Zucker- kandl, Prosector der Anatomie in Wien (Tafel XX.) XXVII. Besprechungen. 1. Die Leitungsbahnen im Gehirn und kückenmark des Menschen auf Grund entwicklungsgeschichtlicher Un- tersuchungen dargestellt von Paul Flechsig. Mit 20 Tafeln. Leipzig, 1876. Engelmann. Besprochen von W. His. SE 2. W. Henke, Zur Anatomie des Enikenliiie. GERHARD’S Handbuch der Kinderkrankheiten. I. S. 227—302. Mit 32 Holzschnitten. Tübingen, 1877. Laupp. Besprochen von G. Schwalbe 3 ; 3. L. Ranvier’s technisches Lehrbuch der Histologie über- setzt von Dr. W. Nıcarı und Dr. v. Wyss in Zürich. 1. und 2. Lieferung. ‘Leipzig, 1877. F.C. W. Vogel. Besprochen von W. His Schlusswort der Redaction . Seite 319 334 397 375 411 442 451 459 465 466 Il. Die Nebenhöhlen der menschlichen Nase in ihrer Bedeutung für den Mechanismus des Riechens. Von W. Braune und F. E. Clasen. (Hierzu Tafel I u. II.) Unter den Organen des menschlichen Körpers, deren Untersuchung und Kenntniss weitaus noch nicht abgeschlossen ist, stehen mit in erster Linie die Nebenhöhlen der Nase. Ihre histologischen Verhält- nisse sowohl, wie ihre Funktion sind wenig aufgeklärt, selbst ihre Form und Grösse mangeln noch erschöpfender Behandlung. Die vorliegende Arbeit behandelt die Histologie der Nebenhöhlen nicht; sie beschränkt sich auf die Darstellung der Lage- und Grösse derselben, namentlich aber auf ihre Bedeutung für den Mechanismus der Luftströmung beim Riechen. Ehe die Präparate und Versuche beschrieben werden, erscheint es wünschenswerth, einen Ueberblick über die vorhandene Literatur zu geben, um den dermaligen Stand der Frage zu kennzeichnen. . Die Lehrbücher von AEBY, ARNOLD, BUDGE, BRÜCKE, DONDERS, Fick, GRAY, HERMANN, KRAUSE, QUAIN-HOFFMANN, RANKE, WUNDT enthalten nichts über die Funktion dieser Gebilde; Jom. MÜLLER da- gegen erwähnt einige Versuche, die auf die Geruchsempfindlichkeit ihrer Schleimhautauskleidung Bezug haben, (Handbuch der Physiologie des Menschen. Coblenz 1840, Bd. II. S. 487): „Die Nebenhöhlen der Nase scheinen nicht zum Geruche zu dienen. Mit Kampherdünsten geschwängerte Luft wurde von DESCHAMPS, riechende Substanzen von Zeitschrift f. Anatomie. Bd. II. 1 2 I. W. Braune u. F. E. Cıasen. Die Nebenhöhlen der menschl. Nase RıiCHERAND in die Hishmorshöhle eingespritzt, ohne dass sie gerochen wurden.“ Auch HyrrL spricht sich in diesem Sinne aus, (Systematische Anatomie. 12. Auflage, S. 532): „Versuche haben hinlänglich con- statirt, dass die Schleimhaut der Nebenhöhlen für Gerüche unempfind- lich ist. Ich selbst habe bei einem Mädchen, welches an Hydrops antri Hishmori litt, 4 Tage nach gemachter Punktion durch 10 Tropfen Aceti aromatici, welche durch eine Kanüle in die Höhle eingeträufelt wurden, keine Geruchsempfindung entstehen sehen. DESCHAMPS und Andere haben dieselben Erfahrungen an der Stirnhöhle gemacht.“ Derselbe Autor erwartet dagegen von den Nebenhöhlen eine der Nase zu Gute kommende Schleimproduction, (Topogr. Anat. Bd. 1. S. 281. IV. Aufl): „Die Lage dieser Höhlen an der obern hintern und äussern Wand sichert der Nase bei jeder Lage eine gewisse Schleimzufuhr, welche der Austrocknung ihrer Schleimhaut durch die Luftströmung vorbeugt: Bei Blennorrhöen dieser Höhlen wird es nicht schwer sein, aus einer vermehrten Ausflussmenge bei einer gewissen Kopfrichtung die kranke Höhle zu bestimmen, wenn auch keine an- deren Zeichen die Diagnose stützen.“ EnGEL scheint gleicher Meinung zu sein. Wenigstens bezeichnet er in seinem Compendium der topographischen Anatomie (Wien, 1859, S. 155) die sämmtlichen Nebenhöhlen der Nase als Schleimhöhlen. Er spricht von Keilbeinschleimhöhlen, Oberkieferschleimhöhlen, Stirn- beinschleimhöhlen ete. Nur ist ihm nicht verständlich, „wie bei dem Mangel an Flimmerepithel [?], die Oberkieferschleimhöhle und die Keil- beinschleimhöhle, deren Mündungen beträchtlich über der tiefsten Stelle des Bodens liegen, sich entleeren sollen.“ Als Hauptleistung wird den Höhlen ziemlich allgemein die Er- leichterung des Gesichtsskelets zugeschrieben. Jom. MÜLLER sagt (l. e.): „Es scheint der Natur ziemlich gleichsültig zu sein, ob sie die Räume in den Knochen mit Luft oder mit Fett füllt; durch beide werden die Knochen leichter, als wenn sie ganz fest sein würden. Bei den Vögeln werden viele Knochen des Stammes durch die Lungen, des Kopfes durch die Tuba mit Luft gefüllt, bein Menschen nur ein- zelne Kopfknochen: die Zellen des processus mastoideus und die Neben- höhlen der Nase. Die Schleimhaut der Nase, auch die der Neben- höhlen zeigt Wimperbewegung bei allen Thieren.“ Aehnlich Hyrrr, bei Beschreibung des Oberkiefers (l. c. p. 265, 12. Aufl): „Um mit Aufrechterhaltung seiner Form und Grösse eine gewisse Leichtigkeit zu verbinden, musste er hohl sein.“ Ebenso HENLE, (Anatomie II. Bd. 1875. S. 856): „Die Nebenhöhlen in ihrer Bedeutung für den Mechanismus des Riechens. 3 der Nase sind wahrscheinlich weder für die Athmungs- noch für die. Geruchsfunktion von Bedeutung. Die Entwicklung derselben hat zu- nächst nur den Erfolg, das Gewicht des Kopfes zu vermindern.“ LuscHhkA (Anatomie des Menschen. Tübingen 1867, S. 358) schreibt: ‚Die wohl nur architektonischen Zwecken dienenden Neben- höhlen stehen weder mit den Vorgängen des Riechens noch des Athmens in einer wesentlichen Beziehung und können höchstens als Reservoirs erwärmter und feuchter Luft von Einfluss sein.“ Der Aufsatz von VERGA (Sui meandri nasali. Annal. univers. di med. Vol. 30. Novb. 1874) enthält nichts über die Funktion der Neben- höhlen. Er behandelt in populärer Weise die Verhältnisse der Nasen- höhlen überhaupt. Nur Hırron (Notes of the developmental and functional relations of certain portions of the eranium. London, Churchill 1855) bringt die Nebenhöhlen in direkte Beziehung zu dem Mechanismus des Riechens und behauptet, dass die mit besonders feinem Geruchsinn ausgestatteten Wilden auch durch besondere Grösse der Nebenhöhlen der Nase sich auszeichneten, ebenso wie EDUARD WEBER in seinen Vorlesungen die Vermuthung aufstellte, dass die Highmorshöhle wegen ihrer Einmündung in die regio olfactoria in Beziehung zum Riechen stehen müsse. Die Angaben von -HıLron, p. 12, lauten folgender- massen: „Indeed, it is thus seen, that the same cause which leads to the increasing perfeetion. of the nasal- apparatus, leads also to the formation of supplementary or accessory cavities, by which the fune- tional capacity of the the organ is again proportionately augmented. If facts were wanting to strenghten this functional' association of the frontal cells, and the relation of their development with the olfactory organ, other considerations might be adduced which tend to confirm the same conclusion. In the skulls of savages belonging to the African race, the nasal eminence is observed to be more prominent, and the frontal sinuses more fully developed than in European - sub- jeets. In this speeimen, for instance, which is the skull of a man belonging to one of the African tribes, you will notice that the frontal cells have been enormously developed. They extend fully an inch and a half upwards along the forehead, and an inch backwards over the orbits, and are half an inch in depth, opposite the centre of the nasal eminence, where a horizontal section of them has been made. Now, in accordance with this anatomical observation, it is well known that savages — whose instinctive predominate over their reasoning faculties — have their senses, especially that of smell, far more acute than the ordinary civilised races of people. 1* 4 I. W. Braune u. F. E. Cıiasen. Die Nebenhöhlen der menschl. Nase In the cranium of the Hlat-skulled Indian, inhabiting the neich- bourhood of the Columbia River, the frontal cells present a remar- kable contrast to those of the African negro. It is customary with these people to apply artificial compression, during the early part of life, so as to prevent the normal expansion of the summit of the cra- nium. The result of this strange and unnatural habit is a skull almost flat, instead of highly convex; and an extremely receding or shallow forehead, with scarcely any development of the frontal cells or sinuses, which, you will observe, are barely traceable in the speci- men before me, of which a section has been made. The influence of Querschnitt eines Negerschädels mit eolossalen Stirnhöhlen. Copie einer Abbildung in BArkow’s comparativer Morphologie. the compression seems not only to have interfered with, but almost to have completely arrested, the development of these accessory cavi- ties to the nasal apparatus. It would, therefore, form an extremely interesting subject of inquiry to ascertain if these flatskulled Indians possessed the sense of smell in a less degree of functional perfection than other humain beings. Certain it is, that in ordinary individuals, where the frontal cells exist, but have become invaded by disease, the function of smell is confiderably deteriorated.“ Mit diesen Angaben über die Grösse der Stirnhöhlen bei den Afrikanischen Negern stimmt BARKOw (Comparative Morphologie, in ihrer. Bedeutung für den Mechanismus des Riechens. 5 1. Th.), der eine Reihe von Negerschädeln beschreibt, nur zum. Theil überein, indem er unter den beschriebenen Schädeln solche mit klei- nen und grossen Stirnhöhlen gibt, ohne dass man sagen könnte, die mit grossen bildeten die Mehrzahl, was man nach Hınron doch er- warten müsste; einer allerdings zeichnet sich aus durch seine grossen Stirnhöhlen, und ist im Holzschnitt, Fig. 1., verkleinert beigegeben -an Stelle des insignificanten Hırron’schen Bildes. Auch Bipper (Artikel „Riechen“ in Wagner’s Handwörterbuch der Physiologie Bd. II. S. 916), sowie Funke (Lehrbuch der Physiologie. Leipzig 1865, II. Bd. S. 81) schreiben den Nebenhöhlen keine Bedeutung für den Mechanismus des Riechens zu. BIDDER erwähnt dagegen, dass direkt gegen die regio olfactoria eingespritzte Luft zu keinen Geruchs- wahrnehmungen geführt habe. Seine Angaben werden so eingehend von FuNnkE citirt, dass es genügt, gleich die FunkEe’sche sehr aus- führliche Auseinandersetzung hier anzuführen: „Auf welche Weise die Bewegung des riechbaren Luftstromes durch die Saugwirkung der Inspiration zur Bedingung der Geruchsempfindungen wird, ist noch nicht so vollständig klar, als es auf den ersten Blick scheinen möchte. Das nächstliesende Erforderniss ist natürlich, dass der Luftstrom so bewegt wird, dass er wirklich zur oberen mit Geruchsinn begabten Provinz der Nasenhöhle gelangt; dass dies aber nicht allein genügt, geht aus der interessanten Beobachtung BıppEr’s hervor, dass keine oder nur sehr schwache Geruchsempfindung entsteht, wenn man mit- telst eines in die Nase eingeführten Röhrchens die riechbare Luft direkt gegen die Riechschleimhaut bläst. Es muss demnach die natür- liche, durch verstärkte Inspiration eingeleitete Bewegung des Stromes noch eine andere Eigenthümlichkeit haben, welche bedingend für die Geruchsempfindung ist; und zwar weisen einige Thatsachen darauf hin, dass die untere Muschel hierbei eine wichtige Rolle spielt. Fehlt die untere Muschel, so ist auch das Riechvermögen beträchtlich ab- sestumpft oder fehlt gänzlich. Dass dieselbe besonders geeignet ist, den Inspirationsstrom nach den oberen Muscheln hinzuleiten, davon überzeugt uns die Betrachtung ihrer anatomischen Verhältnisse. Der durch die Nase inspirirte Luftstrom erhält durch die Form der Nasen- löcher, welche zwei von unten und vorn schräg nach oben und hinten gehende Trichter darstellen, dieselbe Richtung; je kräftiger die Inspi- ration, desto länger wird er in der Nasenhöhle diese Richtung bei- behalten, um auf dem nächsten Wege den Choanen sich zuzuwenden. In derselben Richtung steht aber dem Luftstrome der nach unten und vorn gerichtete Rand der Nasenmuschel entgegen, an welchem er sich brechen muss, um theils an der unteren concaven Fläche der Muscheln 6 I. W. Braune u. F. E. Crisen. Die Nebenhöhlen der menschl. Nase hin, den Choanen, theils an der oberen schrägen und convexen Fläche hin, den oberen Muscheln zuzuströmen. Wären die Nasenlöcher grade von vorn nach hinten gerichtet, so würde auch bei den kräftigsten Inspirationen der gesammte Luftstrom zwischen dem Boden der Nasen- höhle und der untern Fläche der unteren Muschel, die ihm wie ein Schirm von den oberen Regionen abhielte, nach den Choanen strömen. Bei den schnellen stossweisen Inspirationen, mit welchen wir zum Zweck des Spürens die Luft in die Nase treiben, verändern wir die Form des Naseneinganges so, dass der Luftstrom eine noch günstigere Richtung erhält und zum grösseren Theil auf die obere schiefe Ebene der unteren Muschel geleitet wird. Man gibt gewöhnlich an, dass bei dem Schnobern die Nasenlöcher erweitert würden, um mehr riech- bare Luft einzulassen; dies scheint mir aber nicht richtig. An mir selbst und Hunden bemerkte ich im Moment der stossweisen Inspira- tion eine Verengung der Nasenlöcher und zwar besonders im hinteren Theile, während zugleich die Nasenflügelwand eingezogen wird. — — Fehlt die untere Muschel, so fällt das Hinderniss, welches dem Luft- strom sich entgegenstellt, und derselbe wird auch bei kräftiger Inspi- ration nur in dem unteren weiten Theile der Nasenhöhle seinen Weg zu den Choanen nehmen. So plausibel nun auch diese mechanische Funktion der unteren Muschel erscheint, so macht doch die erwähnte Thatsache, dass direkt gegen die oberen Muscheln geblasene Riech- ströme keinen Geruch erzeugen, zweifelhaft, ob ihre Funktion aus- schliesslich die eines einfachen Zuleitungsapparates ist. Welche ander- weite Veränderung indessen dieselbe an dem m, Strome be- wirken möge, ist nicht sicher eruirt.“ — Es nl also angenommen, dass die mit Riechstoffen erfüllte Luft die regio olfactoria bestreichen muss, um Geruchsempfindungen hervorzurufen, und ferner behauptet, dass die untere Muschel eine bestimmte Stromesrichtung erzeuge, die zum Zustandekommen des Riechens nöthig sei. Warum gerade Verlust der unteren Muschel das ann beeinträchtigt hatte, ist nicht recht begreiflich, da nicht zugleich an- gegeben wird, ob die regio olfactoria sonst intakt war. Wenn die untere Muschel aber dadurch wirken soll, dass sie den Strom nach oben führt, so ist dann erst recht unverständlich, warum die direkt nach aufwärts geleiteten Gerüche nicht gut wahrgenommen wurden. Beides steht mit’ einander in direktem Widerspruch. Nicht völlig von der Hand zu weisen ist dagegen der Einfluss, welchen die Erwärmung der Luft durch die untere Muschel haben kann (HENLE, a. a. 0. S. 856). in ihrer Bedeutung für den Mechanismus des Riechens. 7 Fasst man das Gegebene zusammen, so ergibt sich, dass ausser den Vermuthungen von EDUARD WEBER und JOHN HiLToN nur zwei Leistungen den Nebenhöhlen zugeschrieben werden. Die Nebenhöhlen sollen erstens durch Erleichterung des Gesichtsskelets das Balancement des Schädels unterstützen und zweitens durch ihre Schleimproduction die Wandungen der Nasenhöhle feucht erhalten. Die Erleichterung des Gesichtsskelets erscheint in der That auf den ersten Anblick ausserordentlich wichtig. Sagt doch auch Jon. MÜLLER ausdrücklich, dass das ligamentum nuchae bedeutend stärker sein müsste, wenn die betreffenden Höhlen mit solider Knochenmasse ausgefüllt wären. Es ist keine Frage, dass diese Verhältnisse für die Mechanik der Kopfhaltung von Bedeutung sind. Man wird sich aber zu hüten haben, diese Leistung zu überschätzen. Nimmt man den Cubikinhalt sämmtlicher Nebenhöhlen beim Erwachsenen, wie die nachfolgenden Messungen ergeben werden, zu etwa 45 Cubikcentimeter an, und das spezifische Gewicht compakter menschlicher Knochensubstanz nach WERTHEIM und Arpy, (Annales de chimie et de physique. T. 21. 1847. — Vergleichende Untersuchungen der Knochen. Med. Central- blatt. 1872) reichlich zu 2,0, so würde die Ausfüllung der Nebenhöhlen der Nase mit solider (compacter) Knochenmasse eine Gewichtsvermeh- rung des Schädels an seiner Vorderseite von 90 Gramm. ergeben. Nach Harress (Plastische Anatomie. II. Auflage. 1876. S. 18) beträgt das Gewicht des Kopfes S—10°/, des Körpergewichts, würde also bei einem erwachsenen Körper von 150 Pfund Gewicht, 12—15 Pfund betragen = 6000— 7500 Gramm, es würde demnach eine solche Be- lastung der Nebenhöhlen der Nase das Gewicht des Kopfes um 1,3%, — 1,5°/, an seiner vorderen Seite vermehren. Da man aber doch nur mit spongiöser Substanz zu rechnen hat, die nach angestellten Untersuchungen am frischen Oberschenkel- knochen ein spez. Gewicht etwa von 1,25 haben würde, so müsste sich die Belastung des Vorderkopfes bei den gegebenen Verhältnissen nur um 56 Gramm vermehren, was.für einen Kopf von 7500 Gramm Gewicht eine Vermehrung um 0,76°/,, von 6000 Gramm dagegen um 0,93 °/, ergeben würde. Die Vermehrung der Belastung des Kopfes würde demnach etwa 1°/, betragen, was immerhin von Bedeutung für das Balancement wäre, da die Belastung nicht den gesammten Kopf gleichmässig be- trefien, sondern ziemlich weit nach vorn zu liegen kommen würde. Fraglicher ist die zweite Leistung der Nebenhöhlen, die der Schleimproduction und Feuchterhaltung der Nase. Wenn schon die 8 I. W. Brave u. F. E. CLisen. Die Nebenhöhlen der menschl, Nase hohe Lage der Ausführungsgänge der Keilbein- und Hishmorshöhlen bei aufrechter Stellung und Rückenlage für einen Abfluss des flüssigen Inhaltes in die Nasenhöhle möglichst ungünstig sind, so ergibt auch schon die oberflächliche Betrachtung von Durchschnitten, dass die Schleimhaut beim Uebergang in die Nebenhöhlen alsbald sehr dünn, periostähnlich wird, und auffallend wenig Gefässe zeigt. Eine genaue Untersuchung ihres Baues soll noch vorgenommen werden. Aber auch die bekannten Angaben der Autoren sprechen nicht für eine reich- liche Schleimproduction. Die Schleimhaut der Nebenhöhlen der Nase scheint ausserordentlich drüsenarm, auf jeden Fall viel weniger zur Schleimproduction geeignet, als die Schleimhaut der Nasenhöhle selbst zu sein. Nach HENLE (a. a. ©. S. 866) „kommen in den Nebenhöhlen der Nase traubenförmige Drüschen nur ganz vereinzelt und von ge- ringen Dimensionen vor. Nach Sarpry enthält von den Nebenhöhlen der Nase nur die Kieferhöhle am Boden einige Drüsen und auch VırcHow suchte vergebens in der Schleimhaut der Wespenbeinhöhlen nach Drüsen; sie waren auf die nächste Umgebung der Mündung beschränkt. Dagegen gibt C. Krause an, dass die Wespenbeinhöhlen spärliche und kleine einfache Schleimdrüsen (von 0,05 — 0,3 mm. Durchmesser) enthalten. LuscHhKA beschreibt die Drüsen der Wespen- beinhöhlen und Siebbeinzellen genauer. Die einfachsten sind kolbige Schläuche mit alternirenden, runden, länglichen oder ästigen Ausläu- fern. Andere zeigen längliche, an ihren Anfängen dicke, kolbige, aber nur lose aneinander hängende Acini, die durch mehr. oder weniger verjüngte Enden zu einem langen gemeinschaftlichen Ausführungs- gang zusammenfliessen. Hieran schliessen sich acinöse Drüsen, die zum Theil in die Länge gezogen, gekerbt, rankenartig gebogen sind.“ Bei diesem Thatbestand kann kaum noch ernstlich daran gedacht werden, die Schleimproduction als hauptsächliche Leistung der Nebenhöhlen anzusehen, wenigstens kann sie keine Bedeutung für die Function der Riechschleimhaut der Nase haben. Es bleibt somit übrig, die Angaben von Ep. WEBER und HILTON genauer zu prüfen und auf Grund der Formverhält- nisse der Nase und ihrer Nebenhöhlen die Luftströmung in der Nase bei der Athmung, wie sie beim Riechen aus- seführt wird, zu untersuchen. Die Nebenhöhlen der Nase werden gebildet von den Highmors- höhlen, Stirnhöhlen, Siebbeinzellen und Keilbeinhöhlen. Von diesen zeigen die Stirnhöhlen am meisten Wechsel in der Grösse und in ihrer Bedeutung für den Mechanismus des Riechens. 9 Form, wie die Ausgüsse, die an macerirten Schädeln sich leicht machen lassen, genügend erläutern. In ähnlicher Weise, wenn auch nicht so bedeutend, variiren die Keilbeinhöhlen, die wie die Stirnhöhlen beim Erwachsenen zwar regelmässig vorhanden sind, aber ihrer Form nach nur mit einer Blase verglichen werden können. Das sie trennende Septum steht sehr oft soweit diesseit oder jenseit der Mittellinie, dass die eine Höhle die vier- bis sechsfache Grösse der andern erreichen kann. Beide, Stirn- und Keilbeinhöhlen, gleichen darin in etwas den Sieb- beinzellen, dass in höchst unregelmässiger Weise von Knochenblättchen getragene Schleimhauteinstülpungen weit in das Lumen hineinragen, ohne freilich jemals die gegenüberliesende Wand zu erreichen und dadurch zur Bildung von abgeschlossenen für sich bestehenden Höh- lungen zu führen. Die in ihrer Grösse ausserordentlichem Wechsel unterworfene Ausmündungsstelle der Stirnhöhle befindet sich an der tiefsten Stelle, und führt mit den vorderen Siebbeinzellen in die als Infundibulum bezeichnete Rinne, welche der proc. uncinatus unter der mittleren Muschel mit bilden hilft. Ebenso hat die Keil- beinhöhle als Ausmündung in die Haupthöhle der Nase eine ein- fache Lücke ihrer dünnen vorderen Wandung, aber von ziemlich con- stantem Durchmesser, 1,5 —2 mm., welcher jedoch mit der Grösse der Höhle ‘zu wachsen scheint; sie findet sich immer in der oberen Hälfte der Wandung, nicht selten unmittelbar unter ihrer höchsten Stelle. Bemerkenswerth ist es, dass der Zugang zu den Keilbeinhöhlen und hinteren Siebbeinzellen in allen darauf untersuchten Fällen ein oanz bestimmtes Verhältniss zur oberen Nasenmuschel zeigte. Der Zugang setzte sich nämlich in der Weise in den oberen Nasengang fort, dass eine Luftströmung von oder nach den betreffenden Höhlen die ganze Fläche der oberen Nasenmuschel bestrei- chen müsste. Fig. 1, Taf. II. erläutert dieses Verhältniss. Die Siebbeinzellen bilden einen Complex von Höhlen, die, durch dünne Knochenlamellen geschieden, allesammt mit der Nasen- höhle zusammenhängen, indem ein Theil in den oberen, ein Theil in den mittleren Nasengang mündet. Sie liegen in der Höhe der Nasen- “ wurzel zu beiden Seiten der Mittellinie, und nehmen etwa einen Raum nach Länge und Breite von der Grösse eines starken männ- lichen Daumens ein. Einen guten Ueberblick über ihre Lage und Ausbreitung gewinnt man durch einen Horizontalschnitt des Schädels unmittelbar unter der lamina cribrosa, Tafel II, Fig. 1. Ihre Lage ist für die Beurtheilung von Verletzungen nicht unwichtig, da man 10 I. W. Braune u. F. E. Crisen. Die Nebenhöhlen der menschl. Nase leicht bei der Betrachtung von aussen die vordere Schädelgrube zu tief setzt, und Verletzungen des Gehirns annimmt, wo nur diese Höh- len mit der Ausbreitung des olfactorius getroffen sind. Nach münd- licher Mittheilung von KeırH in Aberdeen trug ein Freiwilliger, dem das Gewehr geplatzt war, die Schwanzschraube desselben an dieser Stelle nahe ein Jahr lang mit sich herum, und zeigte eine Stirnwunde, die beim ersten Anblick direct nach der Schädelhöhle zu führen schien. Von allen Nebenhöhlen weitaus die grössten und auch in Bezug auf ihre Form die regelmässigsten sind die Oberkiefer- oder High- morshöhlen. Ihre Gestalt gleicht im Allgemeinen einer umgestürz- ten dreiseitigen unregelmässigen Pyramide, deren grösste Seitenfläche der Nase zugewendet ist. Die vordere kleinste Fläche setzt sich ohne scharfe Winkelbildung in die schwach convexe äussere, dagegen scharf- kantig in die innere Nasenfläche fort. Die Basis (Orbitalläche), mit ihrer Spitze nach hinten gerichtet, ist etwas nach aussen ganeigt und zeigt an ihrem vorderen Rande eine durch den nach der Hishmors- höhle stark vorspringenden Infraorbitalkanal hervorgebrachte Einker- bung. Etwa in der Mitte ihrer inneren Seite zieht nach aufwärts und medianwärts der Verbindungskanal zur Nasenhöhle, also am höch- sten Punkte der Höhlung, (cfr. Tafel 1.). Der Oertlichkeit ihrer Ausmündung nach kann man zwei Gruppen von Nebenhöhlen unterscheiden, solche nämlich, die in den oberen und solche, die in den mittleren Nasengang münden. Zu letz- teren gehören die Stirn- und Kieferhöhlen, sowie die vorderen und mittleren Siebbeinzellen; zu ersteren die hinteren Siebbeinzellen und die Keilbeinhöhlen. Ueber die Weite der Mündungen lässt sich keine bestimmte Angabe machen, nur so viel steht fest, dass sie wohl kaum. je unter 1,5—2 mm. Durchmesser sinkt und dass sie bei den Keil- beinhöhlen im Allgemeinen mit der zunehmenden Grösse der Höhle zu wachsen scheint. Eigenthümliche Verhältnisse der Einmündungen der Nebenhöhlen bietet der mittlere Nasengang. Im höchsten Theile seines von vorn nach hinten ziehenden Gewölbes läuft an der äusseren Wand eine Rinne (Infundibulum), schräg nach hinten und unten. Sie be- sinnt nahe dem vorderen Ansatze der mittleren Muschel und erstreckt sich in einer ungefähren Länge von 2 Centimeter ‘bis zur Mitte des Ansatzes der unteren Muschel. Der die Rinne nach oben begrenzende Wall wölbt sich ebenso über die Höhlung, wie der dieselbe von unten her begrenzende Rand (proc. uneinatus). Während die vorderen Siebbein- zellen zu beiden Seiten des oberen Walles ihre Ausmündungsstellen haben, mündet die Stirnhöhle der betreffenden Seite am Anfange der in ihrer Bedeutung’ für den Mechanismus des Riechens. - 11 Rinne Am Ende derselben hat die Oberkieferhöhle ihre Mündung zur Nasenhöhle hat. Es wird dadurch eine beträchtliche Verengerung des mittleren Nasenganges gesetzt. Die Rinne wirkt, wie eine ge- meinsame Saugöffnung der Stirn-, Oberkiefer- und eines Theiles der Siebbeinhöhlen, welche bei etwaiger Ansaugung die Luftmenge des mittleren Nasenganges in grosser Ausdehnung wegnimmt. Zur Erläuterung der Raumverhältnisse der Nebenhöhlen wurde. eine Anzahl von Ausgüssen angefertigt, die mittels Corrosion von ihren Wandungen befreit wurden. Der Werth solcher Darstellungen ist schon von RAUBER (Med. Centralblatt, No. 31. 1873.) klar gelegt worden, so dass nichts weiteres darüber hinzuzufügen ist. Aus der Reihe dieser Präparate sind auf Tafel II., Fig. 3. und 4. zwei verschiedene Stücke abgehildet, von denen Fig. 3. die Ansicht von vorn, Fig. 4. die von unten bietet. Beide sind in verkleinertem Massstabe wiedergegeben und stellen die Raumverhältnisse der Nasen- höhle mit ihren Nebenhöhlen dar, wie sie sich unter normalen Be- dingungen beim Erwachsenen finden. Nur ist hierbei zu beachten, dass die Gefässe nicht injieirt waren, also die Räume der Nasenhöhle etwas zu gross erscheinen. Die Stirnhöhlen bei dem einen Präparate waren ausserordentlich klein. Fig. 1. und 2. auf derselben Tafel geben Horizontalschnitte am Schädel eines Erwachsenen, welche die Höhlen und ihre Mündungen, von oben her betrachtet in Fig. 1. und von unten her in Fig. 2. dar- stellen. Auf Tafel I. hat man 2 Frontalschnitte von Schädeln Erwach- sener, am gefrorenen Präparat ausgeführt, im verkleinerten Massstabe vor sich, und in Fig. 5. und 6. Tafel II. Sagittalschnitte am Erwach- senen und Neugeborenen (gefrorene Präparate), welche eine seitliche Betrachtung und Vergleichung der Nasenhöhlen gestatten. Der in Fig. 1, Tafel I. abgebildete Schnitt stellt die hintere Fläche eines Frontalschnittes dar und stammt von einem Manne in _ mittleren Jahren. Die Schnittebene, 4,5 ctm. über der Nasenwurzel beginnend, läuft parallel der Gesichtsfläche zunächst durch die in grosser Ausdehnung eröffneten Stirnhöhlen und die Mitte der Augäpfel, weiter unten durch die erwähnte Rinne und in der Mundhöhle durch den ersten Molarzahn. Die Schnittebene zieht unmittelbar hinter der hinteren Wand der Stirnhöhlen herunter, so dass vom Gehirn nichts mehr zu sehen war. Die dünne, noch mit dura mater bekleidete Kno- chenplatte, welche einen Theil der Stirnhöhlen von hinten her be- deckte, wurde abgemeisselt, um die Stirnhöhlen möglichst in ihrer gan- zen Ausdehnung sichtbar zu machen. Dieselben zeigen eine ungewöhn- 12 1. W. Brause u. F. E. Crasen. Die Nebenhöhlen der menschl. Nase liche Ausdehnung; die linke misst 3,5 ctm., die rechte 3,4 etm. im queren Durchmesser, die Entfernung von der höchsten bis zur tiefsten Stelle beträgt 5 ctm. Auffallend ist die stark ausgesprochene Symme- trie der beiden Stirnhöhlen und der genau mediane Stand des Septum. Die Ausmündungen in den mittleren Nasengang wurden durch den Schnitt nicht eröffnet, sie lagen vor der Abmeisselung, von der vor- deren Wand einer Siebbeinzelle gedeckt, ungefähr 2 mm. vor der Schnittebene. Bei Betrachtung der Nasenhöhle fällt zunächst die Asymmetrie der Scheidewand auf, die in diesem Fall in ihrer halben Höhe einen nach links vorspringenden Winkel bildet. Das entschieden bei wei- tem häufigere Vorkommen ist das Abweichen, das winkelige Vor- springen der Scheidewand nach rechts und zwar in der Weise, dass man auf der linken Seite des Septum eine Grube bemerkt, auf der rechten Seite desselben aber dieser Grube entsprechend einen spitzen Zapfen, welcher die gegenüberliegende Muschel in vielen Fällen er- reicht. Die Maasse der Nasenhöhle stellen sich folgendermassen: Grösste Höhe vom Boden bis zum Dach 5,8 ctm. auf der linken Seite, “ rechts etwas weniger; grösste Breite im Bereich des unteren Nasen- ganges 3,8 cetm., im mittleren 1,3 — 2,7 cetm.; Abstand der unteren Muschel von der Scheidewand, resp. vom Boden oder der Aussenwand der Nasenhöhlle 4—6 mm. Der Spalt zwischen mittlerer Muschel und Scheidewand 2 mm., zwischen Muschel und äusserer Nasenwand 1—1,5 mm. Von den Siebbeinzellen sind nur einzelne kleinere, zwischen beiden Augen eröffnet. Ausgezeichnet zu sehen sind dagegen an dem Durch- _ schnitte die Oberkieferhöhlen. Ihre grösste Breite beträgt rechts 2,1 etm., links 1,9 cm., grösste Höhe rechts 3,0 etm., links 2,8 ctm., so dass die rechte Oberkieferhöhle grösser ist, als die linke. Erstere reicht hier, wie das in der Regel beide thun und wie man an Fig. 3 u. 4, Tafel II, welche Ausgüsse der Gesammthöhle darstellen, sehen kann, unter das Niveau der Nasenhöhle herab, so dass man für die Punktion des an- trum Hishmori, wenn man sie nicht von der fossa canina aus machen will, den processus alveolaris, resp. einen alveolus zu wählen hat, da man vom harten Gaumen aus in die Nasenhöhle gelangen würde. Ueber der Mitte der sinus maxillares sieht man die Durchschnitte der Infra- orbitalgefässe und -nerven und ihnen entsprechend links deutlicher ausgeprägt als rechts eine in das Lumen vorspringende, nach unten ziehende, allmählich verschwindende Knochenleiste, von der schon oben ° bei Beschreibung der Form der Oberkieferhöhle die Rede war. Am oberen inneren Winkel öfinet sich die Höhle in die tiefste Stelle der in ihrer Bedeutung für den Mechanismus des Riechens. 13 besprochenen Rinne. In der Abbildung täuscht der Querschnitt der inneren Rinnenwandung (an dem Knochendurchschnitt kenntlich) und der nach oben und vorn verlaufende obere Raum der Rinne einen ziemlich langen Ausführungsgang vor. Die Schleimhaut der Nasenhöhle besitzt in ihrer ganzen Ausdehnung ein mächtiges Venennetz, welches aber nach O. Konr- RAUSCH nur an der unteren Muschel den Charakter des „cavernösen Netzwerkes“ annimmt und je nach dem Reichthum an diesen Venen zeiot die Schleimhaut auffallende Differenzen bezüglich ihrer Dicke. Am Boden der Nasenhöhle kaum 1 mm. stark, erreicht sie an den tiefsten Stellen der Muscheln eine Mächtigkeit von 3 mm. und be- kleidet dann in etwas geringerer Stärke die übrigen Theile der Nasen- höhle, die Seitenwände und die Muscheln, und was besonders betont werden muss, sie geht in dieser Stärke durch die Communications- öffnungen der Oberkiefer- und Stirnhöhlen hindurch, um in der ersteren noch einen grossen Theil der oberen Wandung zu überziehen, bis sie ganz plötzlich an Mächtigkeit verliert und jene blasse, nur wenige Gefässe führende Auskleidungsmembran der Nebenhöhlen der Nase darstellt, welche aus Hente’s Beschreibung bereits bekannt ist. Um diese Verhältnisse sichtbar zu machen, wurde in Fig. 2, Tafel 1. ein zweiter ähnlicher Frontalschnitt abgebildet, der von einer injieirten Leiche genommen wurde. Und zwar waren die Venen vollständig mit blauer Leimmasse von den Arterien aus injieirt worden, letztere nach- träglich mit Wachs, so dass die Schleimhaut nicht im Alkohol so schrumpfen konnte, wie dies bei dem ersten Präparate der Fall war, bei dem die Nasengänge eine so unnatürliche Weite zeigen. Die Schnittebene liegt im oberen Theil fast gleich wie beim ersten Schnitte, so dass sie durch die Mitte des Augapfels geht und ausser der Aus- mündung der Kieferhöhle auch noch die der Stirnhöhlen eröfinet. Die Stirnhöhlen sind: hier wie in den weitaus meisten Fällen ansserordent- lich unregelmässig angelegt. Im unteren Theile entfernt sich der Schnitt mehr und mehr von der Gesichtsfläche. Der Schnitt durch die Orbita zeigt auch hier sehr sehr deutlich durch die fast kreis- förmige Begrenzung, dass die Orbita keine Pyramide, sondern einen kegelförmigen Raum darstellt. Was aber diesen Frontalschnitt so be- sonders werthvoll macht, sind die durch die Injektion in ausser- ordentlich vollkommener Weise zur Darstellung” gebrachten Verhält- nisse des Gefässreichthums der von dem Schnitt betroffenen Theile des Kopfes, vor Allem aber der Nase; und hier fällt sofort der Gegen- satz auf, welchen die Nebenhöhlen im Verhältniss zur Haupthöhle der Nase bieten. Während am Präparat die Schleimhaut jener nur weisslich 14 I. W. Braune u. F. E. Crasen. Die Nebenhöhlen der menschl. Nase. blau schimmert, zeigt die eigentliche Nasenhöhle die strotzend gefüllten Durchschnitte der hier befindlichen Venennetze. Die Schleimhaut ist zu einer Dicke von 4—5 mm. angeschwollen, an dem unteren Saume der mittleren Muschel aber, und noch mehr an dem der unteren zeigt sie eine Mächtigkeit bis zu 7” mm. Die Schleimhaut des Bodens der Nasenhöhle betheiligt sich wegen ihrer Gefässarmuth nur wenig an dieser Volumszunahme. Die Injektion bringt ferner sehr glücklich die oben erwähnten an den Uebergängen von Haupt- und Nebenhöhlen obwaltenden Ver- hältnisse zur Ansicht. Es ist leicht verständlich, wie durch dieses Anschwellen der Schleimhaut das Lumen der Nasenhöhle beträchtlich verengert wird; und bei einem Schnupfen mag es sich verhalten wie hier, wo im Bereich der unteren Muschel das Lumen auf 2 mm. reducirt ist, während es im Bereich der mittleren fast völlig ver- schwunden und nur mit der eingeführten Sonde sicher zu consta- tiren ist. Bildet man sich auf Grund dieser Präparate (und Fig. 5, Tafel II, Sagittalschnitt eines Erwachsenen) ein schematisches Bild von dem Wege, den die Athmungsluft bis zu den Lungen zu nehmen hat, so erhält man ein Rohr von ziemlich starkem Kaliber, welches nach vorn zu, in der Mund- und Nasenhöhle, zwei Ansätze hat. Denkt man sich den Mund geschlossen, so erhält man ein Rohr mit einem Ansatzstücke im Nasenraume & double courant, welches in seinem oberen Theile 2 mal nahezu rechtwinklig umgebogen ist. Die erste Biegung liegt beim Uebergang des Schlundkopfes zu den Choanen, die zweite am vorderen Ende der Nasenhöhle, da, wo dieselbe sich in die kurzen Kanäle fortsetzt, die fälschlich Nasenlöcher genannt werden, so dass diese Kanäle wieder nahezu parallel dem Anfangstheile in der trachea liegen. Man hat also ein gebogenes Spritzenrohr vor sich, das in zwei kleine Ansatzstücke ausläuft, die mit kurzen Kautschuckansätzen verglichen werden können (s. Fig. 2, 8. 15). Wie bei starkem und heftigem Zurückziehen des Stempels die biegsamen Röhrchen von der gewaltig anströmenden Luft zusammen gepresst werden können, so können auch bei kurzen und heftigen Inspirationen die Nasen- löcher fast bis zum völligen Verschluss gebracht werden, wenn sie die Muskeln nicht feststellen. Bei Dyspno® kann man die Aktion dieser Muskeln sehen (Nasen- flügelathmen). Die Richtung der Nasenlöcher ist aber auch für die Erwärmung der Luft wichtig; man merkt sofort den kalten Luftstrom im Schlunde, wenn man bei starken Inspirationen die Nasenspitze ge- waltsam aufgebogen hält. in ihrer Bedeutung für den Mechanismus des Riechens. 15 Im Nasentheile ist auf die relativ weite regio respiratoria am oberen Rand der unteren Muschel die enge Bucht der regio olfactoria mit den Ausbreitungen der Riechnerven aufgebaut, an und hinter welcher angehängt die Nebenhöhlen als grosse Blindsäcke in das Kopf- skelet hineinragen. An dem Nasenwege des Luftweges, der durch das septum narium zweigetheilt ist, ist also ein System grosser blind endigender starrwandiger Räume angefügt, dessen Eingang zu der regio olfactoria mit der Ausbreitung des nervus olfactorius führt. Fig. 2. © © Schema der Nasenhöhle. 1. Nebenhöhlen. 2. regio olfactoria. 3. regio respiratoria. 4. Nasen- löcher. 5. Schlund. 6, Mundöffnung. 7. Trachea. 8. Oesophagus, Es lässt sich schon von vornherein erwarten, ‘dass bei gewöhn- lichem Athmen mit offenem Munde die Spannung der Luft, welche Mund- und Nasenhöhle passirt, in den Luftwegen nur geringe Ver- änderungen erfahren wird, da bei dem grossen Querschnitte, den die Lichtung der Mundhöhle und des Nasenweges zusammen ergeben, die 16 I. W. Brause u. F. E. Crasen. Die Nebenhöhlen der menschl. Nase Luft gleichmässig und ruhig strömen kann. Nach Donpers (Physio- logie, übersetzt von THEILE, 1856. S. 399) beträgt die Spannung beim Ausathmen in der trachea höchstens 2—3 mm. Quecksilber, beim Ein- athmen nur — 1 mm. Quecksilber. Anders wird dagegen dieses Ver- hältniss, wenn entweder schnell und kräftig geathmet wird, oder der Zugang der Luft an irgend einer der verengerungsfähigen Stellen ein Hinderniss findet. Die Spannung wird sich mit der Schnellig- keit der Strömung ändern müssen, da wir es hier mit einer strömen- den Flüssigkeit zu thun haben, die in hohem Grade compressibel ist und es ist klar, dass die grössten Spannungsveränderungen eintreten werden, wenn zugleich mit schneller und kraftvoller Athembewegung eine Verengerung an irgend einer Stelle des Luftkanals, am Nasen- und Mundeingange oder im Kehlkopfe hervorgebracht wird: beim Singen, Sprechen, Husten, Niesen und wie wir sehen werden, auch beim „Schnüffeln“ (Spüren, Schnobern), einer kurzen kräftigen Inspira- tionsbewegung mit Verengerung der Nasenlöcher. Das Charakteristische aller dieser Bewegungen ist eine starke schnell eintretende Gleich- sewichtsstörung der Spannung der auf beiden Seiten der verengten Stelle befindlichen Luftmassen, so dass eine Strömung resultirt, welche das Gleichgewicht wieder herzustellen sucht. Die Grösse der Strom- geschwindigkeit ist proportional dem Grade der Gleichgewichtsstörung. Es lässt sich demnach erwarten, dass bei gewöhnlichem, ruhigem Athmen, bei geschlossenem Munde, durch die Nase allein die Spannung der Luft beträchtlicher verringert wird, als bei geöfl- netem Munde, da das Kaliber der Eingänge zwar noch weit genug bleibt, aber doch durch den Wegfall der Mundpassage eine Veren- gerung erfährt. Entsprechend der geringen Spannungsänderung wird die Luft in der regio olfactoria und den Nebenhöhlen nur wenig Bewegung zeigen können. Die Athmungsluft wird durch die regio respiratoria der Nase streichen, an der Wand des darüberstehenden Luftsackes vorbei, sowie bei der Ventilation eines Zimmers, welches durch Oeffnen zweier Fenster über Eck ventilirt werden soll, die Luft wohl den Raum, der zwischen beiden Fenstern liegt, durchströmt, aber den übrigen todten Raum des Zimmers wenig berührt, da die dort befindliche Luft eine Wand für den Luftstrom bildet. Daher werden wir auch bei ruhigem Athmen verhältnissmässig nur wenig Luftwechsel in der regio olfactoria erhalten, also auch nur schwer Gerüche wahrnehmen, da die Riechstoffe nur durch Diffusion nach oben gelangen könnten. Schwache Riechstoffe werden sich also’ bei dieser Passage durch den unteren Theil der Nase der Wahrnehmung durch den olfaetorius fast vollständig entziehen können. Anders wird das in ihrer Bedeutung für den Mechanismus des Riechens. 17 Verhältniss aber werden, wenn wir bei geschlossenem Munde kräf- tige Inspirationen machen und zugleich eine Verengerung der Nasenlöcher eintritt. Jetzt wird die Spannungsverminderung der Luft im Nasenraume grösser. Je stärker und schneller die Ansau- gungsbewegung des Thorax ausgeführt wird und je grösser die Ver- engerung am Nasenloche, um so mehr muss der Druck in den Luft- wegen sinken, zugleich aber auch in den Lufträumen der regio ol- factoria und der damit frei communieirenden Nebenhöhlen. Die Luft der Nebenhöhlen wird ausgepumpt. Bei dem Nachströmen der allmählich eindringenden und das Gleichgewicht wieder her-, stellenden Luft wird in Folge der Lage der Verbindungs- sänge der Nebenhöhlen die gesammte regio olfactoria be- strichen, eine Strömung, die noch durch die gerade nach aufwärts führende Richtung der Nasenlöcher begünstigt wird. Die darauf hin angestellten Versuche bestätigen diese Voraus- setzungen. Schon der bekannte Versuch von DONDERS (l. c. p. 399) zeigte, dass die grössten Veränderungen der Spannung der Athmungs- luft eintreten, wenn Nase und Mund geschlossen, und eine mög- lichst tiefe Inspiration oder Exspiration ausgeführt wird. Wurde in dem einen Nasenloche ein Manometer befestigt und das andere zugehalten, so ergab sich als stärkster Inspirationsdruck — 57 mm. Quecksilber (im Mittel), als stärkster Exspirationsdruck + 87 mm. Quecksilber (im Mittel). Der gleiche Versuch, von einem kräftigen Manne ausgeführt, ergab nach unseren Beobachtungen ziemlich gleiche Werthe für In- und Exspiration, nämlich — und + 60 bis 80 mm. Quecksilberdruck. Da es darauf ankam, zu untersuchen, wie die Spannung der Luft in der Nasenhöhle sich verhält bei verschiedenen Arten der Inspira- tion und verschiedenem Verhalten der Zugänge an Mund und Nase, so wurde von demselben kräftigen Manne noch eine weitere Ver- suchsreihe vorgenommen. Das Manometer wurde luftdieht abwech- selnd an beide Nasenlöcher angefügt, um beide Nasenhöhlen zu prüfen, und aus diesen Beobachtungen die Mittelwerthe genommen. Die Eigen- schwankungen der Flüssigkeit blieben ausgeschlossen, da nur dann eine Beobachtung gemacht’ wurde, wenn sich die Flüssigkeit vorher in Ruhe gestellt hatte. 1. Tiefe allmähliche Inspi- ration durch den wenig geöffneten Mund und das freie Nasenloch zueleich . .\. 2... „ergab — 2 mm. Quecksilberdruck Zeitschrift f. Anatomie. Bd. TI, - 9 d ® 18 I. W. Bkıvne u. F. E. CmAasen. Die Nebenhöhlen der menschl. Nase 2. Tiefe allmähliche Inspi- ration durch den Mund allein, bei Verschluss des freien Nasen- loches Sr . ergab — 4 mm. Quecksilberdruck 3. Tiefe llnshliche a ration durch das freie Nasen- loch allein bei geschlossenem Munde. a. bei Anspannung der Nasen- muskulatur ; b. bei Erschlaffung der Nest muskulatune 2® „. —40 mm. ı Be 4. Schnelle und kräftige Inspiration durch das freie Nasenloch allein bei geschlosse- nem Munde und Anspannung der Nasenmuskulatur . 5. Schnelle und sehr kräf- tige Inspiration durch das freie Nasenloch allein bei ge- schlossenem Munde, aber mit Er- schlaffung der Nasenmuskulatur, so dass eine Compression der Nasen- öffnung zu Stande kam wie beim „Schnüffeln“ und „Spüren“ . „ 10mm. on = 2 — A0mm. = „ —50 bis —60mm. „ Es ergab sich also aus diesen een die mehrfach wiederholt wurden, wie man von vornherein schon erwarten konnte, dass die Spannung der Luft in der Nasenhöhle um so mehr herab- gesetzt wird, je kräftiger und auch je schneller die In- spiration ausgeführt wird, und je enger die Zugangs- öffnungen der Luft an den Nasenlöchern sind. Natürlich haben die Zahlen nur einen ungefähren Werth, da man nicht im Stande ist, die Reihe von Bewegungen nach einander immer mit gleicher Kraft auszuführen. | Bemerkenswerth, betreffs der Vermuthungen über die Funktionen der Nebenhöhlen der Nase, ist besonders Versuch Nr. 2. Das Verhält- niss der vorn verschlossenen Nasenhöhle zu Mundhöhle und Schlund- raum bildet ein gutes Analogon für die an der Nasenhöhle anhän- genden Blindsäcke der Nebenhöhlen. Es ist leicht ersichtlich, dass beim Athmen durch den Mund allein, bei Verschluss beider Nasen- > in ihrer Bedeutung für den Mechanismus des Riechens. 19 löcher, die Gesammthöhle der Nase einen an den Anfang der Luftröhre seitlich angehängten, durch die Oefinungen der Chcanen mit ihr com- municirenden Luftsack darstellt. Wenn nun in diesem angehängten Luftsack der Luftdruck gleichzeitig mit dem in der Mundhöhle und in der Luftröhre sinkt, so wird beim Athmen durch die Nase der Luftdruck auch in den Nebenhöhlen sinken, die sich ja ähnlich zur Nase verhalten wie die vorn verschlossene Nase zur Trachea. Direkte hierauf bezügliche Controlversuche bestätigten diese Vermuthung. Es wurde die obere Hälfte einer frischen Leiche eines 60 jährigen Mannes, dessen Nebenhöhlen der Nase etwa 1!/, mal so gross waren als die Höhlung der Nase allein (siehe Volumbestimmungen S. 25, Nr. 4), also normale Verhältnisse boten, wie sie dem Kopfe des Er- wachsenen zukommen, abgeschnitten und am Kopfe aufgehängt, ‚so dass von der Brusthöhle aus mittelst eines in die Trachea eingesetzten, mit derselben nahezu gleiches Lumen besitzenden Kautschukrohres, Inspirations- und Exspirationsbewegungen eingeleitet werden konnten. Der Schnitt ging etwa in der Höhe der Brustwarzen quer durch den Thorax, so dass weder am Halse noch oben an den Pleurakuppeln eine Verletzung stattfinden konnte. Nachdem der Mund luftdicht ver- schlossen war, wurden in das rechte Nasenloch und in die linke Ober- kieferhöhle Manometer eingesetzt. Die Haut des Halses in der Gegend des Kehlkopfes und Zungengrundes wurde durch senkrecht auf sie ein- gesetzte Häkchen, an welchen über Rollen geführte mit Gewichten beschwerte Schnuren einen Zug ausübten, dauernd abgezogen erhalten. Der Grund davon wird später angegeben werden. Da die vorhandenen Aspiratoren sich als ungenügend erwiesen, so ward das in die trachea eingebundene diekwandige und weite Kautschukrohr von einem ge- sunden kräftigen Manne in den Mund genommen und daran kräftig in- und exspirirt. Es warl also mit der trachea ein lebendiger gut arbeitender Thorax in Verbindung gesetzt, so dass mit natürlichen Athmungsgrössen operirt werden konnte. Die Manometer bestanden aus gleichweiten, U förmig gebogenen Röhren, welche gefärbtes Was- ser enthielten. Die angegebenen Zahlen bezeichnen die Wasser- säule in ihrer gesammten Länge, sind also nicht zu verdoppeln. Das weit offenstehende Nasenloch des Cadavers wurde gleichmässig offen erhalten. Bei längeren, etwa 8 Sekunden andauernden Inspirationen stell- ten sich die Wassersäulen in beiden Manometern auf gleiche Höhe, und wiesen Druckwerthe einmal von — 20 mm., ein anderes Mal von — 40 mm. auf. DE. u 20 I. W. Braune u. F. E. Crasen. Die Nebenhöhlen der. menschl. Nase Bei gewöhnlichem Athmen dagegen, bei welchem die Dauer der. Inspiration etwa 1'/, Sekunden betrug, zeigte das Nasenmanometer. etwa 5 unter 0, also einen Druck von — 10 mm. bei der Inspiration, während das Oberkiefermanometer nur 4 unter 0, also einen Druck von etwa — 8 mm. zeigte. Das geringe Zurückbleiben der Druckverän- derung in der Oberkieferhöhle findet seine urklärung in der relativ engen, erst eine allmähliche Druckausgleichung gestattenden Com- municationsöffnung, die bei der späteren Untersuchung sich übrigens, von ganz normaler Grösse erwies. Wegen der Eigenschwankungen der Flüssigkeit wurde nur eine Ablesung jedesmal vorgenommen und die Athembewegungen nur nach längeren Pausen, nachdem die Flüssigkeit völlig zur Ruhe gekommen war, wiederholt. Bei möglichst schnellem! Ansaugen bis zu ne — 200 mm. Wasserdruck im Nasenmanometer blieb der Druck im Oberkiefermanometer noch weiter zurück, die Wasser- säule war hier um etwa 5 mm. kürzer, betrug also höchstens — 190. Es ist also erwiesen, dass mit der Athmung eine Span- nungsveränderung, nämlich mit der Inspiration eine Luft- verdünnung sowie in der Nasenhöhle auch in den Neben- höhlen zu Stande kommt und dass der Grad derselben ab- hängt von der Tiefe und Schnelligkeit der Athembewegung. Es bleibt noch zu untersuchen, von welcher Bedeutung hierbei die Verengerung des Nasenloches ist, ‚obschon man schon von vornherein mit Sicherheit erwarten kann, dass mit ‚der Verengerung. des Nasenloches auch die Spannungsänderung der Luft in den Neben- höhlen proportional zunehmen wird. ; Es wurde zu dem Zwecke der Cadaver so mit einer Bene schen. Saugpumpe in Verbindung gebracht, dass das ununterbrochen strömende Wasser aus der mit dem Hahn in Verbindung gebrachten trachea die Luft dauernd ansaugte. Hierbei ward Amel eine Compressionsvor- richtung das freie Nasenloch allmählich bis auf ein Minimum ver- engert und allmählich wieder erweitert. Der luftdicht verschlossene Mund, dessen Schluss sich dauernd bewährte, blieb dabei unberührt. Die Druckwerthe (im Wasser), welche bei dieser Manipulation. an beiden Manometern abgelesen wurden, gaben folgende Reihe: 1. zeigte das Nasenmanometer — 20 mm., das Oberkiefermanometer — 20 mm. A 6 8 % — 220 , & ss — BO MEN Dar >> he — AN) 5 2 — 200 ,„ ee, - es — 60 „ =" n 256025 Da 5: . 40 A NR On h 2 O0 Eee a 2 ae ER e op | Be in ihrer Bedeutung für den Mechanismus. des Riechens. °F Es ergab sich also, dass bei dauernder Aspiration mit der Verengerung des Einganges am Nasenloche eine be- trächtliche Druckverminderung in den Nebenhöhlen der Nase stattfindet, die gleichen Schritt hält mit dem Span- nungsgrade der Luft in der Nasenhöhle selbst. Es sind demnach die Beobachtungen am Lebenden (S. 17), welche bei verschiedenen Inspirationsarten die Spannungs- verhältnisse der Luftim Nasenraume anzeigten, auch gültig für die Bestimmung der Luftspannung in den Nebenhöhlen, die nur dann um einige Millimeter geringer ist, wenn die Inspiration kurz und heftig ausgeführt wird. Die auf S. 16 auf Grund der architektonischen Verhältnisse der ‚Nase ausgesprochene Vermuthung wird also durch das Experiment zur ‘Gewissheit erhoben. Es zeigt auch die tägliche Beobachtung, dass bei den kurzen kräftigen wiederholten Inspirationsbewegungen, wie sie beim „Schnüffeln“ (Schnobern, Spüren) von Mensch und Hund ausgeführt werden, die kurzen Eingangskanäle der Nasenlöcher eine Zusammenpressung, also eine wesentliche Verengerung ihrer _ Lichtung erleiden, welche die Auspumpung der Nebenhöhlen wesent- lich begünstigt, was auch schon von Funke angegeben wurde. Ebenso. wird dabei der Mund geschlossen gehalten. Es ist schon oben aus- einandergesetzt worden, dass die direkt nach aufwärts führende Rich- tung derselben das Nachströmen der äusseren Luft zu den Eingängen ‚der Nebenhöhlen in der regio olfactoria begünstigt. Die wiederholte Aktion, wie sie beim „Schnüffeln“ und „Spüren“ auftritt, dient zur 'Summation der Reize, welche die Riechstoffe führende Luft bei der Passage der regio olfactoria auf die Enden der Riechnerven ausübt. Gegen die oben hingestellte Funktion der Nebenhöhlen können zwei Bedenken geltend gemacht werden. Erstens könnte man sagen: Kinder, die erst allmählich mit der Entwicklung der Zähne und des Schädels Nebenhöhlen erhalten, also in der ersten Zeit ihres extrauterinen Lebens keine Nebenhöhlen besitzen, riechen doch auch. Zweitens könnte man fragen: Ist denn der cubische Inhalt der Nebenhöhlen wirklich so bedeutend, dass eine theilweise Auspumpung und die dadurch hervorgebrachte Strömung der Luft ergiebig genug ist, um die zum Riechakt erforderliche Luftmenge in die regio olfac- toria hinaufzuführen? Auf den ersten Einwurf lässt sich Folgendes erwidern. Aller- dings fehlen bei dem neugeborenen Kinde die Nebenhöhlen fast voll- ständig. Nach den Untersuchungen von STEINER, (LANGENBECK'S 22 I. W. Braune u. F. E. Crasen. Die Nebenhöhlen der menschl. Nase Archiv für klinische Chirurgie, XIII. Bd., S. 144) entwickeln sich die Stirnhöhlen sogar ziemlich spät. Um das 6. und 7. Lebensjahr sind sie etwa erbsengross. Dagegen zeigt der Nasenraum selbst einen Bau, der wesentlich von dem eines Erwachsenen abweicht. Die Ausbuch- tung der regio olfactoria nach oben, die am erwachsenen Schädel so bedeutend ist, wie Fig. 5. auf Tafel II. zeigt, ist beim neugeborenen Kinde ausserordentlich gering. Fig. 6. auf der gleichen Tafel zeigt das Verhältniss. So muss die eingesogene Luft die oberen Muscheln beim Kinde theilweise mit bestreichen, wenn auch nicht in so aus- giebiger Weise wie bei den Schnüffelbewegungen Erwachsener. Nach Enger, (Die Schädelform in ihrer Entwicklung von der Geburt bis in das Alter der Reife. 8. 6 £.), liegt das foram. infraorbitale beim Neu- geborenen fast in gleicher Höhe mit dem Nasenhöhlenboden, beim Erwachsenen weit über demselben, d. h. die Nasenhöhle wächst nach unten und die regio olfactoria entfernt sich dabei vom Boden der Nasenhöhle. Ebenso gewinnt der untere Theil der regio respiratoria an relativer Breite und wächst in stärkerem Verhältniss als der obere Theil, so dass bei Erwachsenen die Luft beim gewöhnlichen Athmen immer mehr nur den unteren Theil der Nasenhöhle passiren wird. Der untere (Respirations-) Abschnitt wächst in stärkerem Verhältniss- als der obere. Es wurde gemessen vom Boden der Nasenhöhle bis zum vorderen Theil der Leiste, woran die Nasenmuschel befestigt ist (Re- spirationsabschnitt), sodann vom Boden der Nasenhöhle zum hinteren Ende der Verbindung vom Oberkiefer mit dem Nasenfortsatze des: Stirnbeines (Höhe der Nase). Mittelwerthe waren: Neugeborene: Respir.-Abschn. 0,415, Nasenhöhe 1,765 Erwachsene: at SE 1,280, 5 4,460 I ra Az), 1: 3,48. I Es verhält sich danach die Nasenhöhe zum Respirationsabschnitt beim Erwachsenen wie 1000:287, bei neugeborenen Kindern wie 1000: 235. Der Respir.-Abschnitt vergrössert sich also von der Geburt an bis zum Ende der Wachsthumsperiode um das Dreifache, die Gesammthöhe nur um das 21/,fache, der über dem Respir.-Abschnitte gelegene Theil aber nur um das 2!/,fache. Viel auffallender ist das Verbältniss des Breitenwachsthums der beiden in Frage kommenden Abschnitte. Bei Kindern, die noch keine Nebenhöhlen der Nase besitzen, zeigt der Respir.-Abschn. in der Breitendimension kaum grössere Maasse, als der obere Nasenabschnitt, wie die Betrachtung von Frontalschnitten kindlicher Schädel ergibt. Auch die Abbildung, Fig. 6, Tafel II, er- gibt deutlich, in welchem Grade sich dies Verhältniss beim Erwach- senen zu Gunsten des Respirationsabsehnittes geändert hat. in ihrer Bedeutung für den Mechanismus des Riechens. 23 Hieraus ergibt sich nun mit Nothwendigkeit, dass bei der rela- tiven ausserordentlichen Engigkeit der regio respirat. des Kindes die Athmungsluft schon unter gewöhnlichen Verhältnissen gezwungen ist, durch die regio olfactoria zu passiren, dass also das Kind nicht, wie der Erwachsene, solcher Vorrichtungen bedarf, um den Contact zwischen Luft und regio olfactoria zu bewerkstelligen. Ferner ist aber auch durch die tägliche Beobachtung kleiner Kinder erwiesen, dass dieselben ent- schieden weniger empfindlich sind gegen Gerüche als Erwachsene, dass überhaupt bei Kindern im Vergleich zu Gesicht und Gehör der Geruch- sinn zurücksteht und erst allmählich mit der Ausbildung des Schädels sich zur Vollkommenheit entwickelt. Die Schnüffelbewegungen, wie sie vom erwachsenen Menschen zum Spüren schwacher Gerüche aus- geführt werden, beobachtet man bei Kindern nicht. Das zweite Bedenken betraf die Grösse des cubischen Inhaltes der Nebenhöhlen. Es kommt hier natürlich weniger darauf an, festzustellen, wie oross der cubische Inhalt der Nebenhöhlen überhaupt sei, als wie gross er sei im Verhältniss zu dem spaltförmigen Raume der oberen Nasengänge, wo sich die Ausbreitung der Riechnerven befindet und durch welchen die riechbare Luft streichen muss, um in die Neben- höhlen zu gelangen. Es trat deshalb die Nothwendigkeit heran, volu- metrische Bestimmungen der Nebenhöhlen vorzunehmen. Schon die Corrosionspräparate, welche den gesammten Raum im Zusammenhange zur Darstellung bringen, zeigen, was auch die Betrachtung der Tafel annähernd ergibt, dass der Cubikinhalt der regio respiratoria den der regio olfactoria um ein Vielfaches — etwa das 10fache — übertrifft; ferner dass die wie mächtige Beutel den Seitenwänden der regio ol- factoria anhängenden Nebenhöhlen zusammen einen Raum darstellen, der mindestens ebenso gross ist, als der der gesammten Nasenhöhle überhaupt. Genauere Maasse liefern die volumetrischen Bestimmungen. Die Messungen wurden in folgender Weise vorgenommen. Der auf den Cubikinhalt seiner Nase zu prüfende Kopf wurde durch einen hinter den Choanen verlaufenden Frontalschnitt in zwei Theile zerlegt und die vordere Hälfte mit ihrer Gesichtsfläche so auf eine Unter- lage gebracht, dass die Nasenlöcher ohne Compression geschlossen wurden. Nun wurde von den Choanen aus die Nasenhöhle mit er- starrender Masse bis zum Niveau der Choanen erfüllt. Ein Sagittal- schnitt zerleste die Nase in zwei Hälften, so dass sich das Volumen der herausgeholten und wieder geschmolzenen Wachsmasse in einem graduirten Cylinder von geringem Durchmesser gut messen liess. Aehn- lich war das Verfahren zur Bestimmung des Cubikinhaltes der Neben- 24 I. W. Braune u. F. E. Crasen. Die Nebenhöhlen der menschl. Nase höhlen. Bis jetzt konnten nur 4 solche Volumsbestimmungen vorge- nommen werden. Nrele Kopf von einem Erwachsenen stammend, Muskelpräparat vom Secirsaal; soweit die Zähne erkennen lassen, einem älteren Individuum angehörig. Abweichung der Nasenscheidewand nach rechts, soweit dieselbe vom Pflugschaarbein gebildet wird. 1. Nasenhöhlen rechts 13,0, links 17,5, total 30,5 cem. 2. Stirnhöhlen rechts 3,1, links 3,4, total 6,5 ccm. 3. Keilbeinhöhlen 2, 4,0, nad, 0, SS 4. Siebbeinhöhlen h Bol. Bi AD 2.00%; 5. Oberkieferhöhlen DSDS. 11,0, A er rechts 22,7, links 21,3, total 44,0 ccm. 30,5 : 44,0 = 100: 144. Das Gesammtvolum der Nasenhöhle wurde also nahe um die Hälfte von dem der Nebenhöhlen übertroffen. Nns22! Kopf eines älteren Individuums. Septum besonders im vorderen Theile nach rechts abgewichen. 1. Nasenhöhlen rechts 11,5, links 14,5, total 26,0 ccm. 2. Stirnhöhlen rechts 1,0, links 1,1, total 2,1 cem. 3. Keilbeinhöhlen - yo (0,5, Br ee 1.0554 4. Siebbeinhöhlen I Hair ae ga 5. Oberkieferhöhlen ul u 13,3, H2A,D 2. rechts 17,8, links 19,3, total 37,1 ccm. ad 3. Es war nur eine Keilbeinhöhle vorhanden, das Septum nur durch eine vorspringende Knochenlamelle angedeutet. 26,0 ; 37,1 = 100: 143. Also fast gleiches Verhältniss. Ne Bi Kopf von einem Muskelpräparat; Alter unbestimmbar, Zähne ab- geschliffen, aber alle vorhanden. Septum nach rechts triehterförmig in ıhrer Bedeutung für den Mechanismus des Riechens. 25 convex. Schon bei der blosen Besichtigung der Nasenhöhlen bemerkte man, dass dieselben auffallend geräumig seien. 1. Nasenhöhlen rechts 19,5, links 21,5, total 41,0 cem. 2. Stirnhöhlen rechts 2,7, links 2,2, total 4,9 ccm. 3. Keilbeinhöhlen a DEOE 2 1,6, 5 AA, 4. Siebbeinhöhlen 7 20H 5 30 4 DA 5. Oberkieferhöhlen Se llene ALT. T an. rechts 19,2, links 18,7, total 37,9 cem. Ar 0737,92— 1.003922 Die Nebenhöhlen erreichten also hier nicht völlig das Volum der Nasenhöhle. i Net Kopf eines Mannes von 60 Jahren; Grösse über Mittel. Abnor- mes nicht zu bemerken. Septum nach rechts abbiegend. Dieser Ca- daver wurde vorher zu jenen oben mitgetheilten Manometerversuchen benutzt; vgl. S. 19. 1. Nasenhöhlen rechts 18,7, links 20,6, total 39,3 cem. 2, Stirnhöhlen rechts 4,2, links 2,2, total 6,4 cem. 3. Keilbeinhöhlen 5 6,5, re el 4. Siebbeinhöhlen = 2,0, N N 5. Oberkieferhöhlen ae Ne SD EBD, rechts 30,0, links 29,6, total 59,6 ccm. 39,3 :59,6 = 100: 152. | Das Verhältniss war also hier wie bei Nr. 1. und 2. Die Asymmetrie des Septums, welches viel häufiger nach rechts, als nach links convex ist, hat zur Folge, dass die linke Nasenhöhle etwas geräumiger, 2—4 ccm. in den vorliegenden Fällen, wird, als die rechte. Aus der Vergleichung der übrigen Zahlen sieht man leicht, welch grossen Verschiedenheiten der Inhalt der Höhlen überhaupt und der der linken und rechten desselben Individuums unterliegt. Die Ober- kieferhöhle überwiegt die übrigen an Rauminhalt um ein Bedeutendes. In dem einen Fall, Nr. 3, beträgt der Cubikinhalt der Neben- höhlen 3,1 cem. weniger, als der der Nasenhöhle und stellt sich, den cubischen Inhalt der Nasenhöhle gleich 100 gesetzt, das Verhältniss zwischen Haupthöhle und Nebenhöhlen wie 100: 92. In den drei an- deren Fällen jedoch (das Alter war nur von Nr. 4. genau bekannt) überwiegt der eubische Inhalt der Nebenhöhlen beträchtlich den der 96 I. W. Bravne u. F. E. Crasen. Die Nebenhöhlen der menschl. Nase Haupthöhle, fast in dem Verhältniss wie 3:2, nämlich Nr. 1. 144: 100, Nr. 2. 143: 100 und Nr. 4. 152:100. Hieraus erhellt, dass der cubische Inhalt der Nebenhöhlen bei einem Erwachsenen den der regio olfactoria, die nur einen kleinen Bruchtheil des Nasenhöhlenraumes beansprucht, um ein sehr Bedeutendes übertrifft. Dazu kommt noch, dass der Cubikinhalt der Nasenhöhle im Lebenden in Folge ihres Reichthums an Blutgefässen bei weitem nicht so gross ist, wie die Messungen an der Leiche ergaben. Die obere Abtheilung der Nase wird hiervon weniger betroffen, da namentlich das Gebiet der unteren Muscheln sehr gefässreich ist. Man kann die Weite der oberen Nasen- gänge auf 1,5 mm. veranschlagen. Um nun eine Anschauung wenig- stens in annähernder Weise zu gewinnen von der Luftquantität, welche beim Schnüffeln über die regio olfactoria hinstreicht, oder davon wie oft die Luftmasse der regio olfactoria beim Schnüffeln wechselt, ward das Verhältniss des Luftraumes der regio olfactoria zu !/, des der‘regio respiratoria angenommen, was nach angestellten Messungen noch gering gerechnet schien. Es würde danach, wenn wir im Mittel nach den 4 Messungen die Nasenhöhle des Erwachsenen zu 34,2 annehmen, ein Werth für die regio olfactoria von 3,4 cem. herauskommen. Das Mittel für den gesammten Raum der Nebenhöh- len beträgt aber nach den 4 Messungen 44,6 ccm. Nimmt man nun die Hälfte davon, um blos die eine Seite einer Nase in Betracht zu ziehen, so erhält man als mittleren Werth für den Luftraum der einen regio olfactoria einer Nase 1,7 ccm. und für den der dazu ge- hörigen Nebenhöhlen 22,3. Nach den Messungen am Lebenden ergab sich nun bei einer in- tensiven Schnüffelbewegung ein Spannungswerth der Luft in der Nase von — 60 mm. Quecksilberdruck (S. 18, Nr. 5.).. Von der klei- nen Differenz des Druckes in den Nebenhöhlen kann wohl hierbei abgesehen werden, da sie sich schwer bestimmen lässt. Man kann, da die Luftvolumina sich wie ihre Drücke verhalten, leicht berechnen, wie viel Luft bei einer solchen Inspirationsbewe- sung aus dem Nebenhöhlenraum weggenommen worden ist, und wie viel bei dem Ende der Inspiration von aussen nachgeströmt ist, um das Gleichgewicht in den Nebenhöhlen wieder herzustellen. Nimmt man einen mittleren Barometerdruck von 760 mm. an, so ergibt sich (760: (760 — 60) = 22,3 : 20,5) bei den genannten Verhältnissen eine Verminderung des Luftinhaltes in den Nebenhöhlen um etwa 2 (1,8) ccm., so dass also mindestens das sanze Luftquantum der reeio olfactoria der einen Seite weggenommen wird. Es muss also eine gleich grosse Menge neu eindringender, den Riechstoff tragender Luft den in ihrer Bedeutung für den Mechanismus des Riechens. DE Raum der regio olfactoria durchströmen. Bei der Engigkeit der Spal- ten und der günstigen Lage der die Spalten begrenzenden Riech- schleimhautflächen wird verhältnissmässig viel von der neu eindrin- genden Luft diese Flächen bestreichen und zwar wiederholt bestreichen müssen, da es charakteristisch für die schnüffelnden Riechbewegungen ist, dass bei schlaffer Haltung der Nasenflügel eine Reihe von kur- zen tiefen Inspirationen ausgeführt wird, auf welche dann eine lange, intensive, ausgleichende Exspiration folgt. Diese schnell auf einander folgenden, Strömung erregenden Bewegungen müssen natür- lich durch Summation den Reiz auf den olfactorius verstärken. Es ist begreiflich, dass durch diesen Mecharismus mehr geleistet wird, als durch direktes Anblasen Riechstoffe tragender Luft gegen die stagnirende Luftmasse in der Sackgasse der regio olfactoria mit den Nebenhöhlen, wie es BIDDER ausführte. Ein solches direktes An- drängen der Luft muss für die Bestreichung der riechenden Schleim- hautoberflächen viel ungünstigere Verhältnisse bieten, als ein vorbei- ziehender Luftstrom, so dass es erklärlich erscheint, warum bei dem Bipper’schen Versuch so wenig von den angeblasenen Riechstoffen zur Empfindung kam. Schliesslich ist noch auf einige Verhältnisse an der Halsmusku- latur aufmerksam zu machen, die bei den Versuchen am Cadaver in überraschender Weise sich herausstellten. Als das Cadaverstück, dem in die trachea von der Brusthöhle aus eine Röhre eingebunden war, auf den Rücken gelegt wurde und in einer angefügten Spritze der Kolben heftig angezogen ward, stellte sich derselbe plötzlich fest, da die äussere Luft den Hals so stark‘ comprimirte, dass keine Luft durch die Nasenhöhle nachdringen konnte. Die Mundöffnung war vorher durch Vernähen und Verkitten luftdieht verschlossen worden, und der Oesophagus unterbunden. Erst als man das Cadaverstück in aufrechter Lage befestiste und durch Zug mit spitzen Haken an der Haut des Halses diesem Luftdruck entgegen- wirkte, hatte man freies Spiel. Das System der vom Kinn und Brust- bein zum os hyoideum gehenden Muskeln wirkt bei der Inspira- tion, ganz besonders aber beim „Schnüffeln“, dem äusseren Druck der Atmosphäre entgegen. In ähnlicher Weise wie beim Schlucken das Zungenbein und der Kehlkopf durch die Wirkung dieses digastrischen Muskelsystems gewaltsam von der Wirbelsäule entfernt werden und dadurch ein Saugraum hinter der Zungenwurzel entsteht, der das Hinabtreiben des Bissens durch die nachpressende Luft begünstigt, so werden auch bei den Bewegungen des Riechens Kehlkopf und Zungenbein von der Wirbelsäule abgezogen. 23 I. W. Braune u. F. E. Cıasen. Die Nebenhöhlen der menschl. Nase. Man braucht nur bei diesen Inspirationsbewegungen, besonders wenn sie energisch ausgeführt werden, den Finger auf das Zungen- bein zu setzen, um sich von der Richtigkeit des Gesagten zu über- zeugen. Ebenso wie man auch oft die Wirkung des platysma dabei beobachten kann, das wie eine muskulöse Fascie über die Vorderfläche des Halses gelegt ist, und bei seiner Aktion durch Verflachen der nach hinten gerichteten Krümmungsfläche den Druck der von aussen her anpressenden Luft bei der Inspiration überwinden hilft. Erklärung der Abbildungen. Taf. I. Fig. 1. Frontalschnitt des Kopfes eines Erwachsenen (gefroren, nicht injieirt). Fig. 2. Dasselbe Präparat, an einem injieirten Kopfe hergestellt. Taf. II. Fig. 1. Transversalschnitt durch das Siebbein und die Keilbeinhöhlen. Verhältniss der Keilbeinhöhlenmündungen zu den oberen Muscheln. Fig. 2. Dasselbe Präparat von unten her betrachtet. Der Schnitt läuft unter den mittleren Muscheln. Dieselben sind zur Seite gebogen, um das In- fundibulum und die Mündungen der Keilbeinhöhlen sichtbar zu machen. Fig. 3. u. 4 Zwei Ausgüsse der Nasen- und Nebenhöhlen (Corrosions- präparate). Fig. 3. von vorn, Fig. 4. von unten betrachtet. aa. Nasenlöcher. 5b. Highmorshöhlen. cc. Rudimentäre Stirnhöhlen. Fig. 5. Sagittalschnitt durch den Kopf eines Erwachsenen (gefroren). Fig. 6. Sagittalschnitt durch den Kopf eines Neugeborenen (gefroren). 1. Die Adductorengruppe des Oberschenkels und die art. profunda femoris. Von Prof. Hermann Meyer in Zürich. Die Gruppe der Adduetoren des Oberschenkels wurde bis in die neueste Zeit und wird theilweise noch vielfach als aus drei Elementen gebildet angesehen, welche bekanntlich die Namen m. adductor longus, brevis und magnus führen. Indessen hat man doch damit begonnen, die früher schon mehrfach als ein Besonderes angesehene „obere Por-. tion‘ des m. adductor magnus als m. adductor minimus besonders zu beschreiben, und hat damit für die richtige Auffassung der Adductoren-. gruppe einen beachtenswerthen Schritt vorwärts gethan, wie aus dem. Späteren wird zu ersehen sein. Es ist jedoch mit dieser Unterschei-_ dung zweier Theile in dem m. adductor magnus noch nicht Befrie- digendes geleistet und es erscheint namentlich im Interesse der To- pographie dieser Gegend als wichtig, noch eine dritte Portion des. m. adductor magnus als etwas Besonderes abzutrennen. Der Name portio perforata, welchen ich hiermit für dieselbe vorschlage, bezeichnet, wie sich weiter unten herausstellen wird, ihre charak- teristischsten Nebenbeziehungen. Ich bin zwar schon seit längerer Zeit auf diesen Gegenstand auf- merksam und habe auch bereits in der dritten Auflage meines Lehr- buches sachbezügliche Notizen S. 254 und 575 gegeben. Neuere wie- derholte Untersuchungen, sowie das Interesse dieses auf den ersten Anbliek unwichtigen Verhältnisses veranlassen mich indessen, die angedeutete Auffassung des m. adduetor magnus noch einmal etwas weiter zu besprechen, wozu auch noch der Umstand auffordert, dass solche Notizen in Lehrbüchern unbeachtet zu bleiben pflegen. Wenn wir die Muskeln, welche in einziger Wirkung das Hüft- gelenk bewegen, untersuchen, so finden wir, dass sie in einer ge-. 30 1lI. HERMANN MEYER. schlossenen Schichte das Hüftgelenk in seinem ganzen Umfange eng umschliessen; nur die Einschaltung des m. rectus femoris unterbricht in kaum erwähnenswerther Weise die Continuität dieser Schichte; — der m. olutaeus maximus als ein übergelagerter „Wiederholungs- Muskel“ ist hierbei nicht in Rechnung zu ziehen und ebensowenig der m. tensor fasciae, welche beide Muskeln ja auch für das Knie- gelenk Bedeutung gewinnen und deshalb nicht als reine Hüftgelenk- Muskeln angesehen werden können. Untersuchen wir nun zuerst die hintere Seite des Hüftgelenkes, so sehen wir den m. obturator internus nebst seinen m. gemellis, so wie auch den m. pyriformis in einfacher Lage das Gelenk decken. Weiter nach oben finden wir aber eine doppelte Deckung durch den tieferen m. glutaeus minimus und den oberflächlicheren m. glutaeus medius. Beide Muskeln zeigen im Wesentlichen die gleiche Anord- nung und können somit im Begriff als ein Einheitliches angesehen werden. Wie sollen wir nun das Verhältniss zwischen diesen beiden Muskeln auffassen? Man könnte in ihnen einen einzigen flächenhaft gespaltenen Muskel erkennen und könnte dafür den innigen Zusammen- hang beider an ihrem vorderen Rande geltend machen; als aceidentelle Trennungsursache könnte dann die verhältnissmässig mächtige Aus- breitung der vasa glutaea superiora und der gleichnamigen Nerven angesehen werden. Man kann aber auch andererseits den m. glutaeus minimus als den eigentlichen typischen äusseren Ileo-Femoral-Muskel auffassen, — und muss dann dem m. glutaeus medius die Rolle eines „Wiederholungs-Muskels“ zutheilen, wenn er auch dieser Bedeutung nur in der bescheidenen Form der Verdoppelung eines einzigen Mus- kels entspricht. Wir wählen hier gerne die letztere Auffassung, weil sie das Ver- ständniss für die Anordnung der Adductorengruppe zu erleichtern im Stande ist. Von der soeben besprochenen Gruppe der hinteren Hüftgelenk- muskeln ist die Gruppe der Adductoren vorn und oben nur durch den m. ileo-psoas getrennt, — hinten und unten stösst sie unmittel- bar an den m. obturator mit seinen gemellis an. Sie beginnt mit dem m. pectinaeus und endet mit dem m. quadratus. Mit dem Ein- schlusse dieser beiden Muskeln in die bezeichnete Gruppe soll übrigens kein Präjudiz gegen ihre Bedeutung als Uebergangsmuskeln gegeben sein. Bemerkenswerth für diese ganze Gruppe ist der Umstand, dass von allen den gewöhnlich als Adductoren bezeichneten Muskeln (ein- schliesslich der beiden vorher genannten) keiner das Hüftgelenk un- mittelbar berührt. Dieses kommt nur dem unter den Adductoren ver- Die Adductorengruppe des Oberschenkels und die art. profunda femoris. 81 steckten, gewöhnlich als Rotator aufgefassten m. obturator externus zu, indem dieser den ganzen zwischen m. ileo-psoas und m. obturator in- ternus gelegenen Theil des Gelenkes bedeckt. Genau genommen dürfte man also, wenn man die Deckung des Gelenkes maassgebend sein las- sen will, den m. obturator externus als eigentlich typischen Muskel ansehen und könnte alsdann den Adductoren nur eine accessorische Be- deutung zukommen lässen. Indessen ist doch die Adductorengruppe durch mancherlei Eigenthümlichkeiten so scharf gezeichnet, dass man sie als etwas Besonderes und Selbstständiges ansehen muss. Betrachtet man nun die Adduetorengruppe als ein Ganzes, so fällt an derselben vor allen Dingen als beachtenswerth auf, dass sie von einem fast linienförmigen Ursprunge zu einem fast linienförmigen Ansatze gehen. Sie entspringen, den Ursprung des m. obturator ex- ternus umkreisend, von dem Rande des os pubis und os ischii, be- ginnend mit dem tuberculum ileo-pectinaeum und endend an dem oberen Ende des tuber ischii zunächst der incisura ischiadica minor, — und sie setzen sich an die linea aspera und deren beide Ausläufer die spina trochanterica major und die spina trochanterica minor, so wie mit der bekannten unteren Sehne noch an den epicondylus in- ternus femoris. So schmal nun auch die Ursprungslinie an dem Schambeine und dem Sitzbeine ist, so zerfällt sie doch noch in zwei concentrische Linien, eine innere (dem m. obturator externus nähere) und eine äussere (dem freien Knochenrande nähere), — und dadurch zerfällt die ganze Gruppe wieder in eine tiefere und eine oberflächlichere Schichte, deren gegenseitiges Verhältniss demjenigen zwischen m. glutaeus mi- nimus und m. glutaeus medius verglichen werden kann. Wie wir nun den m. glutaeus minimus, weil er dem Gelenke näher liest, als den typischen Muskel ansehen durften und den m. glutaeus medius als dessen Verdoppelung, so können wir auch die tiefere Schichte der Adductoren als die typische ansehen und die oberflächlichere als die Verdoppelung. Die tiefere Schichte besitzt eine zusammenhängende Ursprungs- linie, welche sich nach den einzelnen von ihr entspringenden Muskeln sehr leicht eintheilt. Von dem pecten pubis kommt der ım. pectinaeus, von dem os pubis neben der symphysis ossium pubis der m. adductor . brevis, von dem Rande des os pubis und des os ischii zwischen der Symphyse und dem vorderen (zugespitzten) Ende des tuber ischii der m. adduetor minimus und von dem äusseren Rande des Sitzbeines längs des tuber ischii der m. quadratus. Der m. pectinaeus setzt sich an die spina trochanterica minor und an dieselbe Linie etwas weiter 32 II. HERMANN MEYER, nach unten, mit dem oberen Rande seiner Sehne noch hinter dem unteren Rande der Sehne des m. pectinaeus liegend, setzt sich der m. adductor brevis an. Der m. quadratus setzt sich an die spina trochanterica major und unter ihm an dieselbe Linie setzt sich der m. adductor minimus an. Wo die spina trochanterica major und die spina trochanterica minor zur Bildung der linea aspera zusammen- fliessen, da fliessen auch die Sehnen des m. adductor minimus und. des m. adductor brevis zu einem einzigen Sehnenblatte zusammen, so dass also diese beiden Muskeln nach unten einen gemeinsamen, nach oben aber einen getrennten Ansatz haben. — Die vier genannten Mus- keln bilden auf diese Weise eine geschlossene Muskellage um die un- tere Seite des Hüftgelenkes oder vielmehr um den diese zunächst; deckenden m. obturator externus, — und diese Muskellage besitzt eine vordere Wand (m. pectinaeus und m. adductor brevis) und eine hin- tere Wand (m. quadratus und m. adduetor minimus). Die oberflächliche Schichte wird gebildet durch den m. ad- ductor longus, den (genau genommen, nicht hierher gehörigen) m. gra- eilis und den m. adductor magnus. Die. Ursprünge dieser drei Mus- keln sind der Art angeordnet, dass sie die Lücken zwischen den Ur-. sprüngen der vier Muskeln der tieferen Schichte deeken. So entspringt der m. adductor longus unter dem tuberculum pubis, die Spalte zwischen m. pectinaeus und m. adductor brevis deckend, — der m. gra- eilis von der Mitte der Symphyse bis zur crista penis (clitoridis), die: Spalte zwischen m. adduetor brevis und m. adductor minimus deckend,, — und der m. adductor magnus von der crista penis (clitoridis) bis zur Mitte des tuber ischii, die Spalte zwischen m. adductor minimus und m. quadratus deekend. — Von den Ansätzen dieser Muskeln in- teressiren uns hier nur diejenigen der beiden Adductoren. — Der bekannte Sehnenbogen, welcher den sogenannten Schlitz der Adductoren. bildet, ist im Allgemeinen als der gemeinsame Ansatz des m. adduetor longus und des m. adduetor magnus zu bezeichnen. An diesem Bogen ist ein kürzerer oberer und ein längerer unterer Schenkel zu unter- scheiden. Den ersteren, welcher ein breites, dünnes Sehnenblatt ist, bildet vorzugsweise der m. adductor longus, — den letzteren, der in Gestalt einer rundlichen Sehne auftritt, bildet vorzugsweise der m. ad- ductor magnus. Der obere Schenkel setzt sich an die. linea aspera und zwar bis so weit hinauf, dass sein oberer Rand noch etwas vor dem unteren Rande des gemeinsamen Ansatzes des m. adductor brevis und des m. adduetor minimus liest. Der untere Schenkel nimmt noch. einen kleinen Antheil von dem Ende des m. adduetor longus in sich auf und setzt sich an den epicondylus internus; fast seiner ganzen. Die Adduetorengruppe des Oberschenkels und die art. profunda femoris. 33 Länge nach gibt er nach vorn und nach hinten Fasern ab, welche als eine aponeurotische Hülle den m. vastus internus umfassen und sich auf demselben verlieren; das vordere dieser beiden Fasersysteme bildet die vordere Wand des trichterförmigen Raumes, in welchem die.art. femoralis verschwindet; — durch beide Fasersysteme aber wird der sehnige Strang so fest an die Oberfläche des m. vastus in- ternus gebunden, dass in dem oberen Theile des „Schlitzes“ gerade nur noch genügender Raum für den Durchtritt der Arterie und der Vene übrig bleibt. Besonderes Interesse gewährt nun noch der obere Schenkel des Bogens. Von vorn gesehen erscheint er als das flach sehnige Anheftungsende des m. adductor longus und an seinem oberen Rande, hart an dem Knochen, verschwindet die art. profunda femoris nach hinten in die Tiefe. Sieht man aber diesen Schenkel von hinten an, so findet man ihn fleischig an die linea aspera angeheftet und man sieht diesen- Ansatz unterbrochen von kleinen Sehnenbogen der Art, wie ich sie zuerst als Ergänzungen an solchen Stellen beschrieben habe, wo Muskelansätze durch Gefäss- oder Nervendurchtritte unter- brochen werden; — unter diesen Sehnenbogen treten die art. perfo- rantes nach hinten hervor. Wo findet sich nun der Verlauf der art. femoralis profunda? Wenn man den unteren Rand des oberen Schen- kels genauer untersucht, so findet man, oft von einer Vene geleitet, eine Spalte in diesem Rande. Dringt man von dieser Spalte aus in die Tiefe, so zerlegt man der Fläche nach den m. adduetor magnus in zwei Portionen; die vordere verbindet sich mit der flachen Sehne des m. adductor longus und geht mit ihrem übrigen Theile in den sehnenartigen unteren Schenkel des „Schlitzes‘“ über; — die hintere Portion aber setzt sich fleischig, nur durch jene Sehnenbogen unter- brochen, an die linea aspera an. Zwischen diesen beiden Portionen verläuft hart auf dem Knochen die art. profunda femoris, bis sie als letzte art. perforans endet; — mit ihr gehen auch ihre Venen; — - und hier findet man auch, wenn sie vorhanden ist, die starke anasto- motische Vene zwischen der vena poplitaea und der v. profunda fe- moris. — Die arteria profunda femoris geht also zwischen dem ge- meinsamen Ansatze der beiden kleineren Adductoren und dem gemein- samen flachsehnigen Ansatze (oberer Schenkel des „Schlitzes‘) des m. adductor longus und des m. adductor magnus nach hinten, um unmittelbar hinter diesem. Sehnenblatte hinabzulaufen; von hinten wird sie dabei gedeckt durch den fleischig angehefteten Theil des m. adductor magnus und schickt durch diesen ihre rami perforantes; deshalb habe ich auch für diesen Theil des m. adductor magnus oben Zeitschrift f. Anatomie. Bd. II. 3 34 II. Hermann Meyer. den Namen portio perforata vorgeschlagen. — Diese portio per- forata manifestirt ihre Selbstständigkeit auch noch dadurch, dass ihr Ansatz viel weiter hinaufreicht, als der Ansatz desjenigen Theiles, welcher sich mit der Sehne des m. adductor longus verbindet; er reicht nämlich so weit hinauf, dass er noch einen namhaften Theil des m. adductor minimus von hinten deckt, und somit auch die Spalte zwischen dem unteren Rande des gemeinsamen Ansatzes der beiden kleinen Adductoren und dem oberen Rande des gemeinsamen Ansatzes des m. adductor longus und des vorderen Theiles des m. adduetor magnus, durch welchen Spalt die art. profunda femoris nach hinten tritt. Auch an dem oberen Ende lassen sich die beiden Portionen des m. adductor magnus als jede für sich bestimmt charakterisirt unter- scheiden. Führt man nämlich die Trennung bis zum tuber ischii hinauf fort, so findet man, dass der ganze langgezogene Ursprung, welcher sich äusserlich als der Ursprung des m. adductor magnus darstellt, nur der vorderen Portion desselben angehört. Dieser Ur- sprung ist in seinem vorderen Theil fleischig, endet aber hinten mit einer Sehne, welche den vorderen (unteren) schmaleren Theil des tuber ischii deckend, sich in den unteren Theil des ligamentum tuberoso- sacrum in ähnlicher Weise fortsetzt, wie die von dem oberen breiteren Theile des tuber ischii kommende gemeinsame Ursprungssehne des m. semitendinosus und des m. biceps in den oberen Theil desselben Bandes übergeht. Die Bedeutung des m. adductor magnus als eines Auf- richters des Beckens, beziehungsweise des Rumpfes, ist durch dieses Verhältniss scharf ausgesprochen. — Zwischen diesem Theile des Ur- sprunges und dem von ihm gedeckten vorderen Theile des Ursprunges des m. quadratus sieht man die portio perforata des m. adductor magnus mit einer kurzen kräftigen, etwas flachgedrückten Sehne ent- springen. iR So stellt sich also durch das Verhalten an dem Ursprunge, durch das Verhalten an dem Ansatze und durch die Beziehungen zu der art. profunda femoris, so wie zu der Anastomose der vena poplitaea mit der vena profunda femoris die Nothwendigkeit heraus, sich in Bezug auf den m. adductor magnus (früherer Auffassung) für den Zweck des deutlicheren Verständnisses nicht auf die bereits eingeführte Abtrennung eines m. adductor minimus zu beschränken, sondern in der nach dieser Trennung noch übrig bleibenden grösseren Abtheilung (m. adduetor magnus im engeren Sinne) noch einmal zu unterscheiden: eine hintere Portion (portio perforata) und eine vordere Portion, welche man mit Rücksicht auf den unter ihrer Mitwirkung erzeugten Sehnenbogen des „Schlitzes“ als portio tendinosa bezeichnen kann. Die Adduetorengrnppe des Oberschenkels und’ die art. profunda femoris. 35 Nieht ohne Interesse ist es zu finden, dass durch ihre Vereinigung in dem gestreckten sehnigen unteren Schenkel des Schlitzbogens und durch die Art ihres Ursprunges der m. adductor longus und der m. adductor magnus (portio tendinosa) eine Uebergangsstellung haben, ersterer zu dem m. gracilis und letzterer zu dem m. semitendinosus; welches Verhältniss noch mehr in die Augen springt, wenn man be- rücksichtist, ‘wie sich das lisamentum internum genu gewissermassen als Fortsetzung an jenen Sehnenstreifen anreiht. Zürich im März 1876. IM. Ueber die Lymphgefässe des Hoden». Von Dr. med. R. Gerster. — Aus dem pathologischen Institute des Herrn Professor Langhans in Bern. (Hierzu Tafel III u. IV.) Die Literatur über die Lymphgefässe des Hodens enthält manches Widerspruchsvolle. LupwıG und TomsA geben in ihren Untersuchun- gen an, dass die kanalförmigen Lymphgefässe der Septa direkt in die weiten Bindegewebsspalten zwischen den Samenkanälchen übergehen und letztere als die Wurzeln jener zu betrachten sind. Die nachfolgenden Untersuchungen von Hıs, KÖLLIKER und Frey haben, soweit sich aus ihren kurzen Angaben und aus der Abbildung von Frey ersehen lässt, offenbar röhrenförmige Lymphgefässe in der eigent- lichen Hodensubstanz gesehen; von keinem scheint mir aber der Gegen- satz genügend hervorgehoben zu sein, der zwischen ihren eigenen Be- funden und denen von Lupwie und TomsA offenbar existirt. So ist denn MIHALKOwICS !) in seiner ausführlichen Arbeit über den Hoden wieder zu der Ansicht jener ersten Forscher zurückgekehrt; ja, er geht noch weiter und leugnet das Vorhandensein von Lymphgefässen in den Septis; nach ihm sind die Lymphwurzeln in den’ Bindegewebs- spalten zwischen den die Samenkanälchenwand bildenden Endothel- lamellen zu suchen und werden die Wandungen durch das mit Endo- thelzellen bekleidete Bindegewebe gebildet. Es mag deshalb nicht ungerechtfertigt erscheinen, die Hoden etwas genauer hinsichtlich der Beziehungen der Lymphgefässe zu den Bindegewebsspalten zu studiren 1) Arbeiten aus der: physiol. Anstalt zu Leipzig 1873. Daselbst ist auch die frühere Literatur angeführt. ’ Ueber die Lymphgefässe des Hodens. SU und nachzusehen, ob diese wirklich mit ersteren in weitem Zusammen- hang stehen und die Lymphgefässwurzeln sogar bis in die Wand der Samenkanälchen reichen, oder ob im Hoden ein in sich geschlossenes, mit der Umgebung in keiner offenen weiten Verbindung stehendes Lymphgefässnetz existire. Dass es bezüglich der Saftströmung in den Drüsen nicht gleichgültig ist, ob das eine oder das andere der Fall sei, hat LanGHAns in der Einleitung zu der Abhandlung über die Lymphgefässe der Brustdrüse erwähnt, und ich werde im Verlaufe der Untersuchung Gelegenheit nehmen, darauf zurückzukommen. Bei meinen Injectionen habe ich mich folgender Methode bedient. Die Lymphgefässe sind auf der Albuginea bekanntlich leicht zu sehen; ich habe daher immer zunächst diese als Ort des Einstichs gewählt und von einer Injection in das Parenchym, wie sie noch von MIHAL- KOWIcs angewandt wurde, ganz abgesehen. Denn dass bei einem in normalen Verhältnissen so weichen, mit so lockerem Zwischengewebe versehenen Organ eine Injection, wenn sie in der zuletzt angegebenen Weise unternommen wird, nicht die Lymph- gefässe allein, sondern auch die durch die Kanüle ebenfalls eröffneten Bindegewebsspalten füllen wird, liest auf der Hand. Sind dann auch die Lymphgefässe, wie es gewöhnlich der Fall ist, nicht comprimirt, so gelingt es doch nicht, dieselben zu sehen, weil die gleichmässig verbreitete Injectionsmasse alles verdeckt. Es findet bei dem Hoden eine Analogie mit jenem Befund statt, den LAnGHANS!) in seinen Untersuchungen über die Lymphgefässe der Brustdrüse constatirte. Es gelingen dort die Injectionen vollständig nur bei solchen Drüsen, in welchen das zwischen den Läppchen befindliche Bindegewebe nach Ablauf des Puerperiums oder der Lactation eine straffere und festere Beschaffenheit angenommen hat. Sind nun auch die Hoden keine traubigen Drüsen, so lassen sie sich doch hinsichtlich ihrer Lymphgefässe gut mit der Mamma ver- gleichen. Es sind nämlich diejenigen Hoden, deren Drüsenmasse eine lockere Anordnung darbietet, wie der des Menschen und der kleinen Säugethiere nur mit grosser Mühe (bei Kaninchen z. B. gar nicht) zu injieiren, während solche, die schon von vorne herein eine festere Con- sistenz besitzen, wie Stier- und Widderhoden, der Injection keine weiteren Schwierigkeiten entgegensetzen. Allerdings ist es gerade bei Hoden von so geringer Grösse wie dem des Menschen, der eine verhältnissmässig dünne Albuginea hat, nicht leicht, einen Einstich in diese fibröse Hülle zu machen, ohne mit der Spitze der Kanüle 1) Archiv für Gynäkologie VII. 38 III. R. GERSTER. in die lockere darunter liegende Bindegewebsschichte zu gelangen. Trotzdem ist mir sogar beim Kaninchen die Injection von Lymph- gefässen, aber bloss der in der Albuginea verlaufenden geglückt. Man sucht demnach die unter der Serosa auf der Oberfläche des Hodens verlaufenden, durch ihre Füllung und ihren Verlauf leicht erkenn- baren Lymphbahnen auf, sticht tangential die Kanäle ein und injicirt unter sehr geringem Druck. Sieht man mit blossem Auge auf der Albuginea keine Lymphgefässe, so sticht man parallel zur Längsaxe des Hodens in dieselbe ein, um die oberflächlich meist quer gegen den Nebenhoden hin verlaufenden grösseren Aeste zu kreuzen und zieht die eine ziemliche Strecke weit unter der obersten Schicht vor- geschobene Kanüle etwas zurück, wobei sich dann der Stichkanal mit Injectionsmasse füllt. Bei vorsichtigem Druck sieht man nun, wie von diesem aus, meist im rechten Winkel abbiegend, die Lymph- gefässe erst gegen den Nebenhoden zu und bald auch rückläufig gegen die vordere Seite hin sich füllen. Man muss dabei genau Acht geben, dass man nicht vorher eine Luftblase hineintreibt, weil sich sonst mit Sicherheit durch Zerreissen der Lymphgefässwände Extravasate bilden und die Injection misslinst. Man erhält dann, wie schon LupwIe und Tomsi und seither andere Autoren beschrieben haben, mitunter so dichte, der injieirten Cho- rioidea ähnliche Netze, dass man bei farbigen Injectionen auf der weissen Albuginea nichts als dicht aneinander liegende Gefässe sieht. Am reichlichsten sind hier die Lymphgefässe vorhanden beim Hund und bei der Katze, etwas weniger reichlich bei Stier, Widder und Reh, am schwankendsten, bald dichter, bald weniger dicht angeordnet beim Menschen. Der Kaninchenhoden bietet gemäss der geringen Dicke der Albuginea, durch welche man die Läppchen des Parenchyms deutlich durchschimmern sieht, nur ein ein- oder zweischichtiges Netz. Die Verlaufsrichtung der Lymphgefässe ist nur in der oberflächlichsten Schichte, wo sich die grössern Stämme bilden, eine regelmässige, indem sie in meist schräger Richtung gegen den Kopf des Neben- hodens oder auch senkrecht gegen den letzteren hinziehen; in den tieferen Netzen kreuzen sie sich auf die mannigfachste Weise. — Was die Methode der Injection und die dazu verwendeten Massen anlanst, so habe ich mich bis auf wenige Ausnahmen einer gewöhn- lichen Glasspritze bedient, jedoch immer die Vorsicht gebraucht, um keinen zu plötzlichen Druck zu bekommen, eine ziemliche Menge Luft über der Injectionsmasse als elastischen Regulator zu benutzen und dabei mit möglichst geringem Druck die Injection lange fortzu- setzen. Die Kanüle wurde durch einen Kautschukschlauch an die Ueber die Lymphgefässe des Hodens. 39 Spritze befestigt. Man hat zwar bei diesem Verfahren keine sichere Controle über den Druck, bei dem man injieirt, bemerkt aber doch bei einiger Uebung bald, ob sich das Lymphgefäss- oder das Spalt- system anfüllt. Von dem constanten Quecksilberdruck, den ich bis zu 14 Centimeter anwandte (HErIn@’scher: Apparat), hatte ich, zwar nur beim Menschenhoden, ungenügende Resultate. Als Injeetionsmassen verwandte ich meistens das lösliche Berliner- blau, mit weniger Erfole farbige Leimmassen und Silberlösungen von ze umde 3,06. { Wenn man frisches Material hat, so ist es an den Hoden unserer grösseren Säugethiere, wie Stier, Widder und Reh, bei Berücksich- tigung der angegebenen Vorsichtsmaassregeln geradezu eine Kunst, etwas anderes als die Lymphgefässe zu injieiren; eine Ausnahme scheint der Pferdehoden zu machen, dessen Injection mir nur ‘sehr unvollkommen gelang, indem nur ganz kurze Lymphgefässstrecken an vereinzelten Stellen sich füllten; ob dies bei dem ersten und einzigen Versuch den mangelhaften Apparaten, die mir damals zu Gebote stan- den, oder vielleicht dem Vorhandensein von Klappen in den Septis zuzuschreiben ist, bin ich nicht im Stande zu bestimmen; jedenfalls wäre es nicht ohne Interesse, den Versuch zu erneuern, indem die fest-fibröse Beschaffenheit des Zwischengewebes ein besseres Resultat als das von mir erhaltene erwarten lässt. Am Katerhoden füllte sich bei sehr sorgfältiger Injection nebst einem sehr hübschen Netz in der Albuginea nur das Corpus Hishmori und einige Gelässe der Septa in wünschenswerther Weise; das übrige war Extravasat. Beim Kaninchen erzielte ich negative, bei dem Menschen nach mehr als einem Dutzend verunglückter Versuche endlich ein wünschbares Resultat. — Dass nun die Bahnen, die ich bei diesen Methoden im Parenchym des Hodens zu Gesicht bekam, wirklich Lymphgefässe sind und zwar ein in sich geschlossenes Gefässnetz mit eigener Membran, das nir- sends mit den Spalträumen des Bindegewebes in offener weiter Ver- bindung steht, beweisen die farbigen Injectionen schon zur Genüge. Jeder Zweifel aber, der noch gehegt werden könnte, muss bei der direkten Veranschaulichung des zellisen Baues der Gefässwände durch die Silberbehandlung dahinschwinden. Der Verlauf der Lymphgefässe ist bei allen Hoden, die ich unter- sucht habe, wesentlich derselbe. In die Albuginea treten sie als klei- nere und grössere Stämme von der aus sehr lockerem Bindegewebe, einem eigentlichen lamellösen Fachwerk bestehenden, von A. ÜOOPER sogen. Tunica vasculosa her, die sie ebenfalls als bald engere, bald weitere Gefässe in sehr schiefer Richtung, in derselben ein reiches 40 III. R. GERSTER. Netz bildend, durchsetzen. Die grösseren Stämme kommen aus den Septis, die schmäleren Gefässe aus der zwischen diesen gelegenen peripheren Partie des Hodenparenchyms. Jene Stämme folgen dem Verlaufe der Septa und bilden ein langmaschiges Netz von stellen- weise, besonders an den Knotenpunkten, wo mehrere Aeste abgehen, sehr weitem Kaliber. Streckenweise verlaufen sie ohne Verzweigung, um dann plötzlich einen wahren Knäuel von abgehenden Aesten in das benachbarte Gewebe auszusenden. Die eigentlichen Lympheapilla- ren, deren Vorhandensein weder LupwıgG und TomsA in den Läppchen, noch in neuester Zeit MIHALKOWICS überhaupt anerkennen, bilden ein reiches Netz um die Samenkanälchen, in sozusagen überall gleich- mässiger Vertheilung. Die Dimensionen derselben sind verschieden. Während sie in den Septis weit mehr als den Durchmesser eines Samenkanälchens haben, erreichen sie denselben in den Läppchen sel- ten und verschmälern sich oft bis nahezu der Dicke der Blutcapil- laren. Eine allgemeine Regel über das Verhalten des capillaren Lymph- gefässnetzes zu geben, ist nicht leicht; es ergibt sich aus dem Bau einer tubulären Drüse, dass einerseits ein langmaschiges Netz dem Ver- lauf der Interstitien zwischen den Samenkanälchen folgend, anderseits ein engeres die letzteren mehr ringförmig umschlingendes zusammen- treten und wir die Eigenthümlichkeiten finden werden, die aus diesem Verhalten resultiren. Die dadurch gebildeten Maschen sind von ver-- schiedener Grösse und können ien bis mehrere Samenkanälchen um- schlingen. Daneben findet sich in den Interstitien, wo Blutgefässe kleineren und mittleren Kalibers verlaufen, ein dieselben umschliessen- des Netz, dessen Maschen weit kleiner sind als die Querschnitte der Samenkanälchen. Die Lymphgefässe sind im Allgemeinen mehr oder weniger gleichmässig eylindrisch, nirgends bauchig oder rosenkranz- förmig. Auch ist die Breite derjenigen Stellen, wo mehrere Lymph- gefässe zusammentreten, verhältnissmässig nicht bedeutend, sondern mehr dem Bau der Blutgefässanastomosen entsprechend. Bei Ab- zweigungen findet man den Ast selten einfach abgehend, sondern sehr oft durch einen queren Verbindungszweig mit der Fortsetzung des Stammes zusammenhängend. Der so gebildete kurze Anastomosen- ring umgibt dann gewöhnlich ein quer hindurchziehendes Blutgefäss. Weniger regelmässige Bilder zeigt der menschliche Hoden, jedoch ist auch hier die gleichmässig cylindrische Form der Gefässe vorherr- schend. Noch unregelmässiger sehen die Lymphgefässe im Hunde- hoden aus; die Stellen, wo Zweige abgehen, sind dort mehr oder weniger bauchig erweitert. Die grössern durch die Septa geschiedenen Läppchen des Hodens Ueber die Lymphgefässe des Hodens. 41 scheinen unter sich wenig Lymphgefässaustausch zu haben, wenigstens erhielt ich beim Stier mit nicht lange fortgesetzter Injection nur eine Füllung eines keilförmigen Stücks, dessen Basis der Stelle entsprach, wo der Einstich in die Tunica gemacht worden war. Erst bei län- gerer Fortsetzung der Injection bei mässig steigendem Druck injieirt sich allmälig mehr oder weniger das Lymphgefässsystem des ganzen Parenchyms. Dass die Lymphgefässe nie, wie MIHALKOwIcS angiebt, in un- mittelbare Berührung mit der Samenkanälchenwand treten, sondern sich stets in möglichster Entfernung von denselben und in der Mitte der Zwischenräume zwischen denselben halten, beweist in sehr evi- denter Weise eine dreifache Injection, nämlich der Blut-, der Lymph- gefässe und der interstitiellen Spalträume, der letzteren mit farblosem Leim, der beiden ersteren mit farbigen Injectionsmassen. Man erhält dann ein Bild, wie Fig. 1, aus welchem deutlich ersichtlich ist, wie die Blutcapillaren sowohl Samenkanälchen als Lymphgefässe mit an denselben eng anliegenden Netzen umspinnen, während die Lymphe in Kanälen kreist, die sich möglichst weit von den Drüsenschläuchen entfernt halten. Die Samenkanälchen erscheinen auf der Abbildung stellenweise um mehr als die Hälfte ihres Durchmessers comprimirt. Das Zwischengewebe ist nicht hineingezeichnet, um das Bild nicht zu sehr zu complieiren; es finden, was man wohl vermuthen möchte, keinerlei Zerreissungen statt und die Gewebstheile verhalten sich gegen- seitig wie bei starkem Oedem des Organs. Es entspricht das erwähnte Verhalten der Lymphgefässe zu den zuführenden Gefässen und secer- nirenden Bestandtheilen der Drüse vollkommen den Angaben, welche LANGHANS hinsichtlich der Lymphströmung in der Brustdrüse macht; es ist auch hier nicht wahrscheinlich, dass das Lymphgefässsystem in engerer Beziehung zu den Samenkanälchen stehe als die Blutgefässe. Nicht bloss durch Injection gefärbter Massen, sondern in ebenso deutlicher, ja für deren Bau noch mehr instructiver Weise lassen sich die Lymphgefässe bei den grösseren Säugethieren mit Silbernitrat ver- anschaulichen. Ich benutzte hierzu meist Lösungen von !/, bis !/, %/, die ich in gleicher Weise injieirte, wie die gefärbten Massen. Dass die so erhaltenen Bilder identisch sind mit denen, die zuerst Tom- MASI und Hıs, später auch KÖLLIKER gesehen haben, ist sehr wahr- scheinlich; einzig’ die Schlussfolgerungen sind andere. Bis dahin näm- lich galten diese „Kanäle, Bahnen“, oder wie man die injieirten oder sonstwie sichtbar gemachten Lymphgefässe nannte, nicht für die ter- minalen Wurzeln derselben, die vielmehr als Lymphsinus um die Samenkanälchen herum (KÖLLIKER) oder als mit Endothelien versehene 42 III. R. GERSTER. Lymphspalten gar in der Wand der Samenkanälchen selbst (MraArL- KOwIcs) gesucht wurden. Wie diese Schlüsse gezogen werden konn- ten, erklärt sich einerseits aus dem Vorhandensein einer Lage von Endothelien auf den Samenkanälchen, deren Zellcontouren auf Silber- behandlung hin sichtbar werden, anderseits aus verunglückten Injee- tionsversuchen, wie Fig. 2, Taf. I der Abhandlung von MIHALKOWICS zeigt. Ich fasse die Erklärung dieser Abbildung anders als er. MıHAr- Kowıcs hat die Blutgefässe mit rothem Leim injieirt; wie er durch Diffusion eine Füllung der Bindegewebsspalten mit Leimmasse von den Blutgefässen her zu Stande brachte, ist mir unklar; jedenfalls muss dazu der Druck bei der Injection etwas stark gewesen sein.!) Treibt man nun nach Erstarrenlassen der Leimmasse eine anders gefärbte Flüssig- keit ins Parenchym ein, so werden, da der Leim nicht nachgibt, die Samenkanälchen comprimirt, und ihr Inhalt theilweise an andere Orte geschoben, wo die Injectionsmasse nicht hingelangt. Dafür sprechen auf dem Bilde die seitlich eingedrückten Durchschnitte von Samen- kanälchenwänden und die gerunzelt hingezeichnete Membrana propria. Dass sich das lockere bindegewebige Fachwerk um die Samenkanäl- chen herum und zwar nur dieses injieiren kann, braucht wohl keines weiteren Beweises. Damit ist auch gesagt, dass jede Schlussfolgerung betreffend das Vorhandensein von Lymphgefässen in der Wand der Samenkanälchen aus diesem Bild unzutrefiend ist; es beweist dies nur das Vorhandensein von lockerem Bindegewebe einerseits und die Com- pressibilität der Samenkanälchen anderseits. — Um auf die Silber- injectionen zurückzukommen, so sind dieselben insofern belehrender, als sie, ohne das Lumen der Lymphgefässe zu verdecken, die Struktur ihrer Wand zur Anschauung bringen, die sehr dünnwandigen Röhren collabiren nach dem Erhärten der Präparate in Alkohol nicht und zeigen an ihrer Wandung die charakteristische Zeichnung der Endothel- zellen, resp. ihrer Begrenzungslinien. Ihre Form, Grösse u. s. w. ist schon so ausreichend und richtig von den Histologen angegeben, dass ich nicht darauf weiter eingehe. Grössere Oefinungen in ihrer Wan- dung, wie sie angenommen werden müssen, wenn man der Ansicht huldigt, es gebe noch fernere mit denselben in weiter offener Ver- bindung stehende Lymphräume, habe ich nie gesehen. Es finden sich wohl oft Unregelmässiskeiten in der Silberzeichnung, wohl auch bei unvorsichtiger Behandlung des Präparates kleine Risse zwischen den 1) Ich habe nie durch Injeetionen der Blutgefässe das Parenchym zu füllen vermocht, und es ist dies deshalb nicht möglich, weil eine vollständige Injeetion der Blutgefässe an und für sich den Hoden bis zur stärksten Prallheit füllt. Ueber die Lymphgefässe des Hodens. 43 Zellen; dieselben sind aber in keiner Weise beweisend für die erwähnte Annahme, da man nirgends, wie TomMmAsı zu sehen meinte, Ueber- sänge der Zelleontouren auch auf das umliegende Gewebe zu consta- tiren im Stande ist. Bei starker Vergrösserung untersucht, zeigen die Zellen in der Mitte einen ovalen hellen Fleck, der dadurch sichtbar wird, dass die Zellsubstanz um. denselben herum durch die Silber- wirkung fein granulirt und dunkler und ersterer deshalb blasser er- scheint. Ich möchte denselben, den man übrigens erst mit Immer- sion deutlich erkennen kann, für den Kern halten. An Tinctions- präparaten war ich, zwar bei fehlender Silberinjection, nicht im Stande, an den ganz homogen erscheinenden Wandungen Kerne zu entdecken. Wenn ich besonders betone, dass das Lymphgefässsystem des Hodens geschlossene Wandungen besitzt, so will ich damit den Zu- sammenhang seines Lumens mit den Bindegewebsspalten durch feine Poren nicht ausschliessen; gegen die Auffassung, welche die letzteren nach Art der RECKLINGHAUSEN’schen Saftkanäle mit Lymph- und Blutgefässen in direkte Verbindung bringt, sind meine Untersuchungen nicht gerichtet. Dagegen kann ich mich nicht der Ansicht von Lun- wIG und TomSA, sowie von MIHALKOWICS anschliessen, nach welchen die Lymphgefässe der Septa und der Albuginea direkte Fortsetzungen der Zwischenräume zwischen den Samenkanälchen sind und aus ihnen hervorgehen, wie etwa die breite Fläche eines Sees zu dem Bett eines Flusses sich verschmälert. Die Ausnahmsstellung, welche das Lymph- gefässsystem des Hodens in Folge davon gegenüber dem anderer Or- sane einnehmen würde, fällt daher nach den Resultaten meiner Unter- suchungen weg. Vielmehr erscheinen die weiten Spalten des lockeren Bindegewebes zwischen Blut- und Lymphgefässen eingeschoben als ein selbständiges Hohlraumsystem, das vielleicht mit beiden communi- eirt. Dasselbe aber nur dem Lymphgefässsystem unter dem Namen der Wurzeln oder Anfänge desselben zuzurechnen, ist einseitig; mit gleichem Rechte kann man es auch als Enden der Blutgefässe bezeich- nen, wie dies auch ARNOLD in neuester -Zeit hinsichtlich der Saft- kanälchen hervorhebt. Bezüglich des Verhältnisses der Inhaltsmenge, die das Lymph- gefässsystem in sich fasst, zu der Grösse des Hodens lässt sich fol- gendes erwähnen: Es ist nicht möglich, mehr als eine bestimmte Menge Injectionsmasse in die Lymphgefässe einzubringen, ein Um- stand, den wir der durch die starre fibröse Kapsel der Albuginea be- dingten Grenze der Volumsschwankungen zu verdanken haben. Die injieirte Menge genügt nun nicht, um das ganze Gebiet zu füllen und 44 III. R. GERSTER. so ziehe ich den Schluss, dass auch während des Lebens das Lymph- system nie ganz sich füllt, vielmehr die Lymphgefässe immer schlaffe, mehr oder weniger collabirte Schläuche darstellen. Der übergrosse Raum, den die Lymphgefässe im Verhältniss zu dem übrigen Gewebe im Hoden einnehmen, kann, wie schon Lupwie und TomsA erwähn- ten, nie vollständig gefüllt werdeu und es ist jedenfalls die Gesammt- fläche der Lymphgefässwände genügend gross, um für die Aufnahme und Abfuhr der Lymphe vollkommen auszureichen. Die Injection von Farbmassen oder Silberlösungen in die Lymph- gefässe ist nicht der einzige Weg, der zu deren Veranschaulichung zu Gebote steht. Ich versuchte, einzig aus dem Grunde, weil mir die Injection menschlicher Hoden mit farbigen Stoffen lange Zeit nur so ungenügend gelang, dass ich kaum da und dort in einem Septum oder unter der Albuginea ein vereinzeltes Lymphgefäss sah, durch Injection von Tinctionsflüssigkeiten (Carmin in concentrirter Lösung und Hämatoxylin), auch von verschieden concentrirten Silberlösungen direkt ins Parenchym alle Gewebe gleichmässig zu färben und liess nach erfolgter Diffusion eine Injection von farblosem Leim, ebenfalls in die Bindegewebsspalten darauf folgen. Da aber der Leim nie ganz rein ist, und ausserdem in seinen Lichtbrechungsverhältnissen dem Bindegewebe zu nahe steht, als dass es möglich wäre, das letztere selbst bei der besten Tinction genau zu untersuchen, so verwandte ich zur Ausweitung der Bindegewebsspalten das bei etwa 50° C. schmelzende Paraffin; dasselbe wurde dann aus dünnen Schnitten, die man zuvor durch absoluten Alkohol entwässert hatte, durch Chloro- form oder Terpentinöl ausgezogen und die Präparate in Canadabalsam eingeschlossen, oder, wenn sie zu stark aufgehellt waren, wieder in absoluten Alkohol eingelegt und dann in Glycerin aufbewahrt. Sehr hübsche Bilder erhielt ich von menschlichen Hoden, die mit 1°/,iger Silberlösung, nachher mit Paraffin injieirt worden waren, und deren Schnitte ich mit Carmin färbte, bevor ich sie auf die angegebene Weise behandelte. An einem derartigen Präparat sah ich in einem Septum ein Lymphgefäss, das durch den Schnitt schräg durchtrennt war, so dass man in dessen Lumen hineinsah und die Wand genau betrachten konnte. Dieselbe bietet bei starker Vergrösserung ein fein- körniges Aussehen dar und zeigt ähnlich wie die Silberpräparate vom Stierhoden, sehr schwach tingirte Zellkerne in ihrer Fläche. Eine Zeichnung der Zellcontouren sah ich an diesem Präparat nicht, wohl aber an andern vom menschlichen Hoden, wenn auch in unvollkom- _ mener Weise. Ohne Silberbehandlung, durch blosse Tinction, habe ich nur in den Septis (beim Kaninchen nach Hämatoxylintinction in Ueber die Lymphgefässe des Hodens. 45 der Bindegewebsschicht unter der Albuginea) Lymphgefässe sehen können. Die blassen Membranen werden eben durch das sich stärker färbende, an dieselben anschliessende Bindegewebe meist vollkommen verdeckt. Man kann jedoch aus dem Bau des Bindegewebes und dem Verlaufe der Capillaren an so ausgeweiteten und tingirten Präparaten die Lymphgefässe an den röhrenförmigen Lücken, die ihre runden oder ovalen Durchtrittsstellen in den bindegewebigen Lamellen bilden, erkennen und den Verlauf dieser anscheinend wandungslosen Kanäle manchmal, besonders wenn der Schnitt etwas dick war, weithin ver- folgen. — Es erübrigt noch, einige Angaben über den Verlauf der Lymph- gefässe im Corpus Highmori zu machen. Es findet sich dort ein zwischen den Maschen des Hodennetzes hinziehendes Kanalsystem, aus Gefässen sehr weiten Kalibers bestehend (gewöhnlich mehr als von der Breite der Samenkanälchen). Es injieiren sich auch bei Extravasat im übrigen Hodenparenchym regelmässig die Bahnen im Corp. Hishm. bei solchen Hoden, die an dieser Stelle ein fast fibröses Gefüge haben, wie beim Menschen und beim Kater, während z. B. beim- Kaninchen, wo auch dieses Gebiet einen ungemein lockeren Bau darbietet, eine Injection nie gelinst. Beim Menschenhoden erhielt ich dürch eine, wenn auch unvoll- ständige Injection, ein auffallendes Resultat. Ich hatte die Kanüle in der Nähe des Nebenhodens in die Albuginea eingebracht und von dort aus injieirt, wobei sich auf der Oberfläche des Hodens nur ge- ringe Füllung zeigte. Auf dem Längsdurchschnitt des Hodens durch das Corph. Hishm. fand sich, dass hauptsächlich letzteres und die dem- selben dicht aufliegenden Theile des Hodenparenchyms vollständig in- jieirt waren, während sich die Injection nur in den Septis weiter zog, an einigen Stellen auch wieder daraus in die Lympheapillaren ab- zweigte und stellenweise die lockere Schicht unter der Albuginea füllte. Eine bemerkenswerthe Eigenthümlichkeit bestand nun darin, dass, während das ungemein dichte und feinmaschige Gefässnetz um die geraden Samenkanälchen vollständig mit der sehr concentrirten Masse injieirt war, im Corp. Hishmori die sehr weiten Lymphgefässe mit einer helleren Masse sich füllten. Von diesem Gebiet aus sind direkte Fortsetzungen in die Septa in Form sehr weiter, mehr als den Durch- messer der Samenkanälchen haltender und mit dem übrigen Gefäss- system nicht zusammenhängender Stämme sichtbar. Dieselben ver- laufen gestreckt und unverzweigt in den Septis, sind aber leider bei der unvollständigen Injection nicht bis an die Albuginea hin zu ver- folgen. Eine Annahme, die sich hierauf stützen liesse, dass die Lymph- 46 III. R. GERSTER. gefässe des Corp. Highm. eigene, mit denjenigen des Parenchyms nicht in Verbindung stehende Abzugskanäle haben, muss demnach wegen mangelnden vollständigen Beweises bloss Annahme bleiben; immerhin aber entbehrt sie nicht der Wahrscheinlichkeit, da sie auf direkter Beobachtung und nicht bloss auf theoretischer Voraussetzung basirt. Samenkanälchenwand. Die Untersuchungen über den Bau der Wand der Samenkanälchen haben schon so verschiedene widersprechende Resultate zu Tage ge- fördert, dass es nicht ungerechtfertigt erscheint, auch hierüber die Resultate meiner Untersuchung mitzutheilen. Es sah VALENTIN darin Muskelkerne, KÖLLIKER elastische Fasern, während die meisten andern Forscher sie aus faserigem Bindegewebe, HENLE aus Membranen mit platten Kernen bestehen lassen. Letz- - terem schliesst sich MıiHALKOwIcs an mit der Annahme, die Samen- kanälchenwand „bestehe aus mehreren Lagen von Häutchen, deren jedes aus platten Zellen, den sogen. Häutchenzellen oder Endothelien zusammengesetzt sei“; die einzelnen Lamellen der Wände seien von grösseren und kleineren Lücken durchbrochen und letztere gestatten eine Communication der concentrischen Spalträume unter einander. Er begründet diese Ansicht durch die Resistenz der Samenkanälchen gegen Säuren, die direkte Beobachtung und jene Injection mit Carmin- leim und Berlinerblau, deren ich oben schon erwähnte Was oder wie viel von dem accessorischen Gewebe man noch zur Samenkanälchen- wand zu rechnen hat, ist nur von conventioneller Bedeutung. Für mich besteht sie nur aus denjenigen Bestandtheilen, die an ihr blei- ben, wenn man sie aus ihrer Verbindung herausreisst. Es hat aller- dings, wenn man die Samenkanälchenwand menschlicher Hoden, z. B. von der Kante sieht, den Anschein, als ob man eine dicke fibröse Haut mit Kernen, die denen der glatten Muskelfasern ähnlich sehen, vor sich habe; die concentrischen welligen Linien, die man in der Wand verlaufen sieht, lassen schliessen, dass es sich um viele Schich- ten eines gleichartigen Gewebes handle. Doch spricht sich schon MIHALKOWICS für den Bockhoden in der Weise aus, dass diese Täu- schung dadurch veranlasst werde, dass die inneren Lamellen sich von den übrigen in vielen meist mit einander parallelen Querfalten ab- heben, und ich kann seine Ansicht, wenn auch in etwas modificirter Weise, bestätigen. Es fiel mir nämlich auf, dass an ausgepinselten Ueber die Lymphgefässe des Hodens. 47 und tingirten Präparaten, diese Membran von der Fläche gesehen, durchaus nicht so dick erschien, wie von der Kante, d. h. eine ganz minime Verschiebung der Linse genügte, um die dünne Membran aus der Focusebene zu bringen. Ferner sieht man auch von der Fläche die schon beschriebenen Falten und ist an Stellen, wo die Samen- kanälchen durchschnitten sind, der Contour der durchgetrennten Wan- dung meistens eine einfache, feine Linie von unregelmässigem Verlauf, die nur an tingirten Präparaten deutlich zu erkennen ist. Bis zum abgerissenen Rand ist die Tinetion gleichmässig, nicht etwa schichten- weise an Intensität abnehmend; nur selten, so z. B. am Pferdehoden, sah ich eine Lamelle als kaum sichtbaren Saum den Rand der durch- schnittenen Wand eine kurze Strecke weit überragen. Bestünde nun diese Membran aus vielen Schichten von Endothelzellen, die dann gewiss in einem bestimmten Anordnungsverhältniss zu einander sich verhielten, so wäre eher vorauszusetzen, dass das durch den Schnitt getroffene Ende z. B. quer abrisse und einen mehr oder weniger ge- raden Saum bildete, oder dass die einzelnen Schichten an verschiede- nen Stellen rissen und dadurch ein mehrfacher Contour entstünde. Von der Fläche aus bildet die Wandung eine fein granulirte Membran mit in derselben zerstreuten Zellkernen. Dieselben sind, beim Menschen- hoden wenigstens, blass, oval, birn- oder biscuitförmig und oft von einer Seite etwas eingedrückt. Sie sind sehr ungleich vertheilt und ziemlich häufig findet man solche, die sich berühren oder gar zum Theil decken. An letzteren lässt sich immer eine kleine Niveau- differenz durch scharfes Einstellen auf deren Ränder oder Kernkörper- chen nachweisen. Bei starker Vergrösserung sieht man, ebenfalls von der Fläche, eine feine wellige Streifung, die ihre Hauptrichtung in die Quere hat und ein dichtes Netz von feinsten Bindegewebsfibrillen bildet, wie wir es an dem weiter unten zu beschreibenden Zwischen- gewebe finden. Dieses ungemein zarte Netzwerk bildet die mittlere Schichte und ist in der Dichtigkeit bei den verschiedenen Thieren variabel; ja ich fand beim Menschenhoden darin Capillaren verlaufen, die, soweit ich sie verfolgen konnte, einen mit der Längsaxe des Samen- kanälchens gekreuzten, also ringförmigen oder etwas schrägen Verlauf nehmen. Ihr Verhältniss zur Wand wird besonders dort deutlich, wo sie zufällig zwischen zwei Zellkernen verlaufen, bei horizontal im Ge- sichtsfeld liegender Membran, wo dann der eine der beiden Kerne über, der andere unter der Capillare erscheint. Auf die Kante gestellt haben die in Rede stehenden Kerne eine flache linsenförmige, fast lineare Gestalt; der doppelten Zellenlage, sowie der durch erhärtende Agen- -tien bedingten Schrumpfung der fibrillären Mittelschichte ist es zuzu- 48 III. R. GERSTER. schreiben, dass die Membran auf dem wirklichen, wie dem optischen Durchschnitt dieker erscheint, als sie wirklich ist. Zudem können zufällig auch noch Kerne von Capillargefässen in oder an der Wand vorhanden sein und ebenso die Kerne der an die Membrana propria sich ansetzenden Endothellamellen eine dickere Lage vortäuschen und das Bild verwirren. — Nach Vorgang von Tomması habe ich die Samenkanälchenwand auch mit Silberlösungen untersucht und gefunden, dass man zur Er- zeugung einer genügenden Färbung der Zellgrenzen einer weit con- centrirteren Lösung bedarf als für die Lymphgefässe. Die besten Resultate erhielt ich durch momentanes Eintauchen von dünnen Schnit- ten oder zerzupften Stückchen frischer Hoden in 5— 10°/,ige Lösun- gen von Silbernitrat. Dass es wirklich Zellen der Bekleidungsmembran und nicht etwa bloss anhaftende Endothelien sind, lässt sich leicht an isolirten Kanälchen nachweisen. Die Zellen haben verschiedene Grösse und Form; sie sind nicht so lang gestreckt, wie an den Lymph- gefässwandungen, sondern besitzen eine mehr polygonale Gestalt, wie TomMmASI sie beschrieb. Die Zeichnung der Zellgrenzen ist nie eine sehr scharfe; es scheinen noch andere Bestandtheile der Wand auf diese ziemlich intensive Silberwirkung zu reagiren. Gewöhnlich er- scheint das netzartige Bild der Zellgrenzen einfach; ich habe jedoch auch Bilder erhalten, wo man darüber im Unklaren sein kann, ob man nicht 2 sich gegenseitig durchkreuzende Systeme von Linien vor sich hat. Der Schluss, den ich aus den angegebenen Beobachtungen auf die Beschaffenheit der Membrana propria ziehe, ist der, dass sie aus einer fibrillär - bindegewebigen Mittelschichte von netzförmiger Be- schaffenheit der Hauptsache nach besteht, und auf beiden Seiten, so- wohl aussen als innen von einer einschichtigen Lage von Endothel- zellen überzogen it. Ob nun eine Verschiedenheit zwischen den Kernen der äussern und innern Lamelle besteht, wage ich nach den bis dahin gesehenen Bildern nicht zu entscheiden, jedoch scheinen die Kerne der innern Bekleidungsmembran in der Form etwas un- regelmässiger zu sein, als die mehr ovalen Kerne der äussern Bedeckung. Ueberhaupt liessen sich allfällige Unterschiede im Bau der innern und äussern Bekleidungsmembran nur durch eine sorgfältige Silber- behandlung, verbunden mit Carmintinction, endgültig entscheiden und wie schwierig es ist, mit dem ersteren nur ganz oberflächlich wirken- den Reagens auch der innern Fläche der Samenkanälchenwand beizu- kommen, wird wohl ein jeder erfahren, der sich darin versucht. Ueber die Lymphgefässe des Hodens. 49 Blutgefässe. Der Verlauf der Blutgefässe im Hoden ist durch Lupwie und TomsA, sowie durch MiHALKowIcs so eingehend beschrieben worden, dass mir, soweit meine Beobachtungen reichten, wenig mehr nachzu- tragen bleibt. Es ist einzig dies, dessen schon oben bei den Lymph- gefässen erwähnt wurde, dass das bei vollständiger Injection ungemein reiche Capillarnetz sowohl Lymphgefässe als auch Samenkanälchen dieht umspinnt, und zwar auf der Wand der letzteren wenigstens beim menschlichen und beim Pferdehoden nicht bloss aufliest, sondern an einzelnen Stellen in derselben verläuft. (Die grösseren Gefässe gehen nie an die Samenkanälchen heran, sondern halten sich stets an die Mitte der Septa.) Es ist dieses Verhalten nicht ganz unwichtig für eine richtige Deutung des Säfteflusses, indem es das innige Ver- hältniss der stofizuführenden Gefässe mit den secernirenden Theilen der Drüse, gegenüber dem weit weniger unmittelbaren Zusammenhang der letzteren mit dem Lymphgefässsystem beweist. Ueber das Ver- hältniss der grösseren Blutgefässe zu den Lymphgefässen in den Septis ist zu sagen, dass meist die erstern von einem langmaschigen Netz der letzteren begleitet werden, welches gewöhnlich nur aus 2 Lymph- gefässen und deren gegenseitigen Anastomosen besteht. Ueber die Beziehungen der Capillargebiete ist das nöthige schon oben erwähnt. Zwischengewebe. Es ist nicht möglich, über den Bau und das gegenseitige Ver- halten der einzelnen Bestandtheile des Hodens ins Klare zu kommen, ohne dass man dabei das Zwischengewebe und seine Beziehungen zu Blut- und Lymphgefässen einerseits und zu Samenkanälchen anderseits genau untersucht. Die gewöhnlichen Untersuchungsmethoden, Zerzupfen frischer Prä- parate in Serum und Betrachtung tingirter feiner Schnitte von ge- härteten Hoden reichen hier nicht aus und so verwandte ich, nach Vorgang von MIHALKOWICS, neben Tinctionsmethoden die Behandlung mit Osmiumsäure (t/, und !/, °/,), und zwar mit vielem Erfolg. Ausser- dem fand ich eine geeignete Silberbehandlung (mit sehr schwachen Lösungen), combinirt mit Tinction sehr empfehlenswerth, besonders für den Menschenhoden. MıHAtkowics empfiehlt zur Untersuchung des Zwischengewebes den Kaninchenhoden und ich muss ihm voll- ständig beistimmen. Jedoch lassen sich auch andere Hoden, so z. B. gerade der menschliche, sehr gut verwenden, wenn man das Material Zeitschrift f. Anatomie. Bd. D. 4 50 III. R. Gerster. erstens frisch erhält, zweitens die Maschen des eng aneinander ge- drängten Gewebes durch parenchymatöse Injectionen, am besten von Paraffin ausweitet und auf die oben angegebene Weise tingirt. Ich finde nun ebenfalls keine wesentlichen Unterschiede im Bau des Binde- gewebes bei den verschiedenen Hoden und werde mich hauptsächlich an die beim Kaninchen und Menschen gesehenen Bilder halten. Einzig das Vorhandensein einer mehr oder weniger grossen Menge von sog. Zwischenzellen, deren Verhältnisse HOFMEISTER!) eingehend geschil- dert hat, bedingt eine gewisse Verschiedenheit. Die Formen des Bindegewebes an und für sich sind so wechselnd, .dass es nicht leicht ist, eine allgemeine kurze Beschreibung desselben zu geben. Ich halte mich auch hier, um nicht zu weitläufig zu werden, an die im ganzen richtige Beschreibung von MIHALKOWICS, indem ich von vorne herein das Vorhandensein jener von ihm angeführten Endothelien bestätige; jedoch sehen die Bilder, die ich von gut behandelten Präparaten er- hielt, weit mehr denjenigen von AxeL Key und Rerzıus?) ähnlich, als der von ihm gegebenen etwas schematischen Abbildung. Man kann im Bindegewebe des Hodens theils einzelne freie Balken, theils Zusammensetzungen derselben zu dickeren Massen oder zu flächenartig ausgebreiteten Netzen unterscheiden. Dicke Binde- gewebsaggregate sah ich nur beim Menschenhoden, in den Septis die Gefässe begleitend, als grobes Gerüste der Hodensubstanz. Die ein- zelnen Fibrillenbündel sind bald gröber, bald feiner und verbinden sich gegenseitig in der verschiedenartigsten Weise, bald einzelne Ana- stomosen, bald vollständige mehr oder minder diehte Balkennetze bil- dend, in denen die einzelnen Balken theils sich kreuzen, theils gegen- seitig sich Fibrillen abgeben oder sich verflechten. Da, wo die ein- zelnen Bindegewebsbalken vorherrschen, sieht man sowohl sie selbst, als besonders ihre Knotenpunkte von eigentlichen Endothelhäutchen umgeben oder bedeckt. Dieselben sind hauptsächlich kenntlich an ihrer bei Osmium- und Silberbehandlung körnigen Beschaffenheit und den durch Carmintinetion sichtbar gemachten platten ovalen Kernen. Um die Kerne herum findet sich eine kleine Zone von Körnern in "äusserst dünner Lage, die auf Anilinbehandlung hin deutlich wird. Man erhält die schönsten Bilder mit Doppeltinetion von Carmin und Anilinblau, wo die Zellkerne roth, die dieselben umgebenden proto- plasmahaltigen Partien der Endothelzellen blau gefärbt erscheinen. 1) Sitzungsberichte der k. Akademie der Wissenschaften. LXV. Band. März- heft 72. 2) Max ScHunze’s Archiv. 1873. Ueber die Lymphgefässe des Hodens. 51 Die Contouren der Endothelhäutchen sind feine, kaum sichtbare Linien und besonders da deutlich zu sehen, wo ein Fibrillenbündel wellig verläuft, während die umhüllende Membran mehr gestreckt bleibt, so dass, wenn man eine vollständige Scheide annehmen will, das betref- fende Fibrillenbündel in derselben gewunden erscheint. An vielen Stellen scheinen die Häutchen auf den Fibrillenbündeln zu fehlen, indem trotz ihres welligen Verlaufes keine in den Einbiegungsstellen sich abhebende Membran, kenntlich durch ihre feine Begrenzungslinie, sichtbar wird. Die Endothellamellen von geringer Ausdehnung, die dort entstehen, wo einige Bindegewebsbündel sich gegenseitig nähern oder zu Anastomosen zusammentreten, bilden das eigentliche Schema des Verhältnisses jener Häutchenzellen zu.den Fibrillen, und ich habe deshalb eine Abbildung davon gegeben. Ob nun diese Membranen eigentliche Scheiden bilden, kann ich, da ich bis dahin durch Silber- behandlung keine Veranschaulichung ihrer Zelleontouren erzielen konnte, nicht bestimmt sagen; die grosse Aehnlichkeit, die dies Ge- webe mit dem von AxeL Key und Rerzıus für die Arachnoidea des Hundes beschriebenen Verhältnissen darbietet, lässt allerdings auch hier eine Umscheidung der Bindegewebsbalken mit diesen Membranen vermuthen. Einen Grund dafür, diese kerntragende Haut doppelt anzunehmen, sehe ich in dem Verhalten der Zellkerne, die oft aneinander treten oder sich zum Theil decken, wobei man dann eine geringe Niveau- differenz nachweisen kann. An einigen Stellen sind die Kerne, ohne dass gerade viele Bindegewebsbündel vorhanden sind, zu einem fürm- lichen Nest zusammengehäuft und zwar hält sich dieses Vorkommen an keine bestimmten Stellen, wie etwa die Mitte der Septa u. s. w. Die besprochenen, von Endothelien bedeckten Bindegewebsfibrillen zei- gen nun eine grosse Tendenz, zu Netzen zusammenzutreten, die, bald lockerer, bald diehter, mehr oder weniger vollständig von Endothel- zellen bedeckt sind und eine grosse Flächenausdehnung gewinnen können. Sind die von den oft sehr dünnen und kaum sichtbaren bandartigen Balken „gebildeten Netze weitmaschig und einschichtig, wie es mehr in der Mitte der Septa der Fall ist, so sieht die Mem- bran durchlöchert aus, weil die Endothelien nicht oder nur theilweise über die grösseren Maschen hingehen; diese Lücken sind rund oder oval. Das Balkennetz kann einschichtig bleiben und dichter werden, so dass keine Lücken mehr bestehen, oder es vereinigen sich mehrere Netzlagen, von denen die eine die Oeffnungen der andern bedeckt, so dass ein Bild entsteht, wie Fie. 1. der Abhandlung von AxEL Kerr und Rerzıus. Derartige membranartige Gebilde, die man ein System 4* 52 . MI. R. GEBSTER. von durchlöcherten aufeinanderliegenden Lamellen nennen könnte, zei- sen zahlreichere Kerne und stärkere Tinetion und erscheinen an den abgerissenen Stellen bald fetzig, indem einzelne Bindesewebsbündel hervorragen, bald ist die eine Membran weiter aussen abgerissen, als die andern und bildet einen blassen Saum ete. Ein System von sol- chen Häuten umgibt beim Kaninchenhoden die einzelnen Läppchen und es besitzen erstere dort eine grosse Flächenausdehnung, so dass die Convolute der Samenkanälchen in ihnen wie in einer häutigen Blase eingebettet liegen. Im Innern der Läppchen ist das Binde- gewebe spärlicher als in den Septis, dafür die Capillaren zahlreich, während diese in den interlobulären Räumen vollständig fehlen und nur gröbere Aeste zu den Läppchen verlaufen. Die erwähnten Mem- branen hängen unter sich in ziemlich lockerer Weise zusammen durch einfache Bindegewebsbündel, die sich senkrecht (an ausgeweiteten Prä- paraten) in die Haut einsetzen und dieselbe manchmal zipfelartig gegen sich zerren. Beim menschlichen Hoden erreichen die Mem- branen keine so bedeutende Flächenausdehnung wie beim Kaninchen- hoden, am meisten jedoch gegen die Samenkanälchen zu, die sie in concentrischen Lagen so umhüllen, wie, um mich dieser Vergleichung zu bedienen, die Blätter einer noch geschlossenen Knospe die in der Mitte befindliche Blüthe.e In der Mitte der Septa ist das Gewebe ziemlich dicht, mehr fibrös, um gegen die Samenkanälchen hin eher lockerer und lamellös zu werden; überall sind nur ziemlich dünne Membranen vorhanden; die gleichmässig vertheilten Blutcapillaren verlaufen nie frei, sondern stets in denselben nach der Wand der Samenkanälchen (s. Abbildung). Auch die grösseren Blutgefässe, so- wie die Congregate von Zwischenzellen sind von Endothelien umgeben, wie MiHALKowIcs richtig angiebt. An die Samenkanälchen setzen sich diese Bindegewebslamellen in verschiedener Weise an; man findet an Tinetionspräparaten entweder kleine membranöse Zipfel, die mit verbreiterter Basis aufsitzen, und sich bald in einen Bindegewebsbalken verschmälern, oder es kann auch eine Membran parallel der Längsaxe der Samenkanälchen auf eine weite Strecke hin sich ansetzen. Ein- fache Bindegewebsbündel sah ich nie sich als solche in die Membrana E propria einsenken. Ueber Verbindung der Lymphgefässe mit dem Zwischengewebe bin ich nicht im Stande, etwas näheres anzugeben, da es mir schon Mühe genug kostete, bloss nur die Structur der Wan- dung an und für sich genau zu erkennen. Der Zwischenzellen erwähne ich schliesslich nur hinsichtlich ihrer Beziehung zu den Lymphgefässen, da dieselben in erschöpfender Weise von HOFMEISTER beschrieben worden sind. Ich kann, soweit Ueber die Lymphgefässe des Hodens. 53 meine Beobachtungen reichen, seine Resultate bestätigen, und analog zu dem Verhalten der Zwischenzellen zu den Blutgefässen im Kanin- chenhoden, das er und MiHALKkowIcs anführen, eine ähnliche Beob- achtung vom Rehhoden angeben. Es finden sich nämlich dort die Lymphgefässe überall mit einer Schicht rundlicher Zwischenzellen um- geben, so dass eine förmliche Scheide um dieselben entsteht; ebenso sind im menschlichen Hoden auf der Oberfläche der Lymphgefässe Zwischenzellen vorhanden; dieselben bilden jedoch keine eigentliche Schichte, sondern sind nur hie und da zerstreut zu finden. — Erklärung der Abbildungen. (Tafel III u. IV.) 1. Lymphgefässe des Widderhodens. Dreifache Injection, Lymphgefässe blau, Blutgefässe roth, die Interstitien mit farblosem Leim ausgeweitet, der auch die Masse aus den Lymphgefässen zum grossen Theil verdrängt hat, so dass nur die Wandungen derselben durch den zurückgebliebenen Rest der ihr anklebenden Injeetionsmasse wie tingirt erscheinen. Die Samenkanälchen sind sehr stark com- primirt. Man sieht auf diesem Bilde gut die erwähnten engen Anastomosenringe um (die Blutgefässe herum. Das Zwischengewebe wurde auf der Zeichnung weggelassen. Präparat ziemlich frisch, nach kur- zem Verweilen des Hodens in Alkohol angefertigt und in Glycerin aufbewahrt, 2. Lymphgefässe des Menschenhodens. Bei « Rete — testis; bei 5 ein Septum; die übrige Partie entspricht dem eigentlichen Hodengewebe. 3. Stierhoden. Injection von !|, ‚iger Silberlösung und nachherige Ausweitung des Gewebes mit farblosem Leim (Zustand des Oedems). Man sieht in dem von links und oben nach rechts und unten verlaufenden Septum ein sehr ausgedehntes Lymphgefäss, das nach allen Richtungen Aeste abgiebt, die zum Theil an ihrer Abgangsstelle durchschnitten sind, so dass man sowohl ihre Hinterwand als auch diejenige des Hauptstammes sieht. Weiter nach rechts und unten, wo der Schnitt den Lymphstamm nicht mehr getroffen hat, sieht man zwei Blutgefässe verlaufen und nach rechts davon die vordere Hälfte einer ein Samenkanälchen umschlingenden Lymphgefässschlinge. Besonders deutlich ist an diesem Präparat der zellige Bau der Lymphgefässwandung sichtbar. 4. Zwischengewebe. Immersionslinie VII von SEIBERT. (HARTNAcK X.) a und c aus Kaninchen- hoden, 5 aus dem Menschenhoden. « stellt eine jener als Typus aufgestellten Bedeckungen der Binde- gewebsbündel, deren streifiger Bau deutlich zu erkennen ist, mit Endothelhäutchen dar, deren grosse blasse Kerne durch Carmintinetion sichtbar gemacht waren; das Präparat stammt aus einem. feinen ‘Schnitt eines mit !l, °',iger Osmiumsäurelösung injieirten Kaninchenhodens, der mit schwacher Carmin- lösung tingirt wurde. Links ist eine der beschriebenen Formen der Umhüllung einer Bindegewebsfaser, die in der Scheide gewunden erscheint, rechts ist das Endothelhäutchen hart an einem Zellkern vorbei abgerissen. Von einem gleich behandelten Präparat ist c, in sehr deutlicher Weise eine einzelne Endothelzelle darstellend. d ist eine Capillare aus dem Menschenhoden mit Endothelscheide, die in der Mitte gesprengt erscheint, Behandlung des Präparates: parenchymatöse Silberinjection von !/, °],, nachher parenchymatöse Paraffin- injection zur Ausweitung, Tinction in Carmin, Ausziehen des Paraffins, Einschluss in Canadabalsam. Die dunkeln Kerne gehören der Capillarwand, die helleren etwas grösseren der Endothelscheide an. In der Mitte sieht man einen Kern unter zwei anderen oberflächlicheren liegen. 5. Zwischengewebe vom Kaninchenhoden. 300|1. Haufen von Zellkernen in den Endothel- lamellen. Behandlung: parenchymatöse Injection von Osmiumsäure !], %, Tinetion mit Carmin und bei bei 5 Doppeltinetion mit Carmin und Anilinblau. Die Kerne sind nicht nur aufeinander, sondern über- einander gelagert. IV. Beitrag zur descriptiven und topographischen Anatomie des unteren Halsdreieckes. Von Dr. E. Zuckerkandl, Proseetor der Anatomie in Wien. (Hierzu Tafel V.) Bei oftmaliger Untersuchung des unteren Halsdreieckes fiel mir schon als Hörer der Anatomie ein Muskel auf, der sich zwischen dem Musculus scalenus anticus et medius einschaltete und die sogenannte Scalenuslücke in zwei völlig von einander geschiedene Spalten (eine vordere und eine hintere) theilte, Ich unterliess’ damals näher auf die Einzelheiten dieses Muskels einzugehen, weil die Lehr- und Hand- bücher der Anatomie, die ich zu Rathe zog und welche dieses Mus- kels als Scalenus minimus Albini Erwähnung thun, ihn entweder als einen abnorm auftretenden Muskel betrachten oder für ein Spaltungs- produkt des vorderen Rippenhalters ansehen. — Späterhin kam mir dieser Muskel aber so häufig zu Gesichte, dass ich an sein abnormes Vorkommen nicht mehr recht glauben konnte, und da ich durch das Studium der einschlägigen Literatur zur Einsicht gelangte, dass eine senaue und alle Umstände erschöpfende Beschreibung dieses Muskels überhaupt nicht vorliest, und noch viel weniger seine, ‘selbst in praktischer Hinsicht nicht uninteressanten Beziehungen zu dem in das untere Halsdreieck hineingeschobenen Pleurakegel und zur Schlüssel- beinschlagader genügend hervorgehoben wurden, habe ich den Mus- culus scalenus minimus einer eingehenderen Würdigung, als dies bisher geschehen, werth gehalten. Im Folgenden theile ich nun die Resultate meiner Untersuchung über den Scalenus minimus mit und will vorher nur noch in Kürze seine Geschichte darlegen. Beitrag zur descript. u. topograph. Anatomie d. unteren Halsdreieckes. 55 Bei Durchsicht der Literatur ergibt sich, dass dieser Muskel schon vor ALBIN eine kurze Erwähnung erfahren hatte. WINsLow führt nämlich in seiner ausgezeichneten Expositio anatomica, die 1732 erschien und 1753 ins Lateinische übersetzt wurde, an, einen kleinen Muskel hinter dem ersten Scalenus gesehen zu haben, der sich an die Pleura fixirte, während er der ersten Rippe nur leicht anhaftete. — WısstLow, der die Musculi scaleni in ein leichtfasslicheres Schema, als zu ‚seiner Zeit üblich war, zu kleiden trachtete, scheint, nach seiner Description zu schliessen, den Sealenus minimus nicht oft ge- sehen zu haben; er sah in ihm eine Abnormität, während Ausın, der um die Myologie so hoch verdiente Anatom, den nach ihm benannten Scalenus, zwei Jahre später als WınsLow, viel genauer beschrieb und nicht für abnorm ausgab. — In seiner Historia musculorum hominis widmet Arsın dem Scalenus minimus folgenden Passus: Minimus qui valde parvus, oritur a summo margine costae primae, statim pone priorem !). Caudas habet duas, quarum altera inserta inferiori parti spinae, quae in vertebra prima colli est juxta priorem partem processus transversi: altera inferiori parti tuberculi prioris processus transversi secundae. Barum alterutra saepe caret. Collum fleetit fere ut prior. — Interdum deest. — Nach meinen Kenntnissen der Lite- ratur ist dies die ausführlichste Beschreibung, die wir bis heute noch über den Scalenus minimus besitzen; immerhin aber ist sie durchaus nicht eine erschöpfende zu nennen, weder für den Muskel an sich, noch betrefis seiner Beziehungen zur Umgebung. Die Anatomen nach Albin theilen sich, die Beschreibung der Rippen- halter anlangend, in drei Lager. — Einige kennen überhaupt blos. die drei allgemein erwähnten Scaleni; andere schliessen sich den Ausein- andersetzungen Aupın’s vollinhaltlich an, während ein drittes Lager wohl auch von einem Musculus scalenus minimus und selbst von einem lateralis spricht, in diesen jedoch nur Anomalien sieht, die aus Spaltungen der gewöhnlichen Rippenhalter hervorgegangen sind. Zu den letzteren Autoren gehören: F. ARNOLD?), nach welchem nicht selten durch Spaltung des einen oder anderen Rippenhalters zwischen dem vorderen und hinteren Scalenus 1 oder 2, ja selbst 3 überzählige Scaleni gefunden werden, von welchen der Scalenus minimus zumeist vor der Arteria subelavia verläuft; ferner F. MECKEL°), der den Sca- lenus minimus durch Zerfall des vorderen Rippenhalters entstehen 1) Scalenus prior für Scalenus anticus. 2) Handb. der Anat. des Menschen. Freiburg im Breisgau 1845, Bd. I. 3) Handb. der menschl. Anat. Halle und Berlin 1816, Bd. II. 56 IV. E. ZUcKkERKANDL. und für gewöhnlich vor der Schlüsselbeinschlagader lagern lässt; auch Hyrrr'), nur mit dem Unterschiede, dass nach ihm diesfalls die Ar- teria subclavia zwischen den Spaltungsprodukten des Scalenus anticus durchtritt, und auch J. Henze ?), der neben der Spaltung gleichzeitig noch eine Vervielfältigung der typischen Scaleni geltend macht. Die berührten Ansichten basiren wohl alle auf anatomischen Be- funden; denn in der That finden sich nicht selten die Museuli scaleni) vermehrt; aber alle diese Muskelanomalien sind mehr oder . minder unabhängig ‘vom Scalenus minimus und haben eigentlich für die Mehr- zahl der Fälle mit ihm Nichts zu thun. — Ich selbst sah zweimal die Arteria subclavia mitten durch den Sealenus anticus treten, aber mir konnte nach gründlicher Untersuchung der Regio supraclavicularis nicht beifallen, die hintere Portion des also getheilten vorderen Rippen- halters für den Scalenus minimus auszugeben; um so weniger, als ein solcher hinter dem gespaltenen Scalenus anticus sich vorfand. — Ich unterlasse es im Uebrigen, hier schon auf die Anomalien der ein- zelnen Scaleni des Weiteren einzugehen, da sich an einer späteren Stelle gleichzeitig Gelegenheit bieten wird, sie statistisch betrachten zu können, nnd gehe nun zur Anatomie des Musculus scalenus mi- nimus über. I. Der Scalenus minimus und sein topographisches Verhalten. Der Scalenus anticus bildet, wie allbekannt, im Vereine mit dem mittleren Rippenhalter einen beträchtlichen Muskelschlitz, durch welchen wir den, auf dem Wege zur oberen Extremität begrif- fenen Plexus brachialis und unter diesem die Arteria subelavia treten sehen. — Der hintere Scalenus ist am wenigsten als eigenes Muskelindividuum entwickelt und schliesst sich innig der hinteren Portion des Scalenus medius an. — Seine Isolirung ist für viele Fälle blos ein Resultat der Präparation, woher es auch kommt, dass erfah- rene Zergliederer wie WınsLow®), SAppEY°’) u. A. ihn nicht als 1) Descriptive Anatomie. 2) Handb. der system. Anat. des Menschen. Braunschweig 1871. Bd. 1. III. Abthl. 3) S. Tu. Sömmering (Vom Baue des menschl. Körpers, Frankfurt am Main 1800, Bd. II), nach dem der Scalenus minimus meist fehlt und seltener als der Scalenus lateralis auftritt, beobachtete zuweilen 6—7 Scaleni. 4) ]. c. 5) Traite d’Anatomie. Paris 1869, Tom. II. Beitrag zur descript. u. topograph. Anatomie d. unteren Halsdreieckes. 57 En selbstständigen Muskel betrachteten, sondern mit dem Musculus sca- lenus medius zu einem Körper vereinigten }). Verschieden von diesen an Körper und gewiss auch an Funktion, findet sich hinter dem Scalenus anticus, in der Tiefe des unteren Halsdreieckes ein Muskel, der Scalenus minimus Albini, den man nach seiner Lage auch wohl Musculus subscalenus und nach seiner Wirkung Tensor pleurae nennen könnte. Fig. IC. (Taf. V.) Eine für alle oder doch nur für sehr viele Fälle ausreichende Beschreibung dieses Muskels ist schwer zu geben, so sehr varürt er an Form und Stärke; es wird daher angezeister sein, die verschie- denen Verhältnisse des Muskels in ein allgemeines Bild zusammen- zufassen. Er entspringt, wie auch Albin angegeben, an’ den Quer- fortsätzen des 6. und 7. Halswirbels, oder nur an dem des letzteren, und hat seine mehr constante, zweite Knochenanheftung am oberen Rande der ersten Rippe, hart neben dem vorderen Rippenhalter. — Der Muskel ist in gut entwickelter Form halb so stark, als ein wohl ausgebildeter Scalenus anticus, besitzt eine kurze Ursprungs- und In- sertionssehne und präsentirt sich ohne weitere Präparation bei Ent- fernung des vorderen Rippenhalters in seiner Stattlichkeit; oder er ist so schwach und oft noch schwächer als ein Musculus lumbricalis der Hand oder des Fusses und häufig in eine so reichliche Lage von Bindesubstanz gehüllt, dass bei Durchtrennung des Scalenus anticus nichts von ihm gewahr wird. — Zwischen diesen beiden Extremen der Muskelentwicklung zeigen sich natürlich alle denkbaren Zwischen- stufen. Die gegen die erste Rippe gerichtete Sehne des Scalenus minimus ist ganz kurz. oder sie ist halb so lang oder länger als der Muskel- bauch, der Form nach eylindrisch, in anderen Fällen wieder mehr aponeurotisch, zuweilen selbst fächerförmig ausstrahlend. Die wichtigste Verbindung geht der Scalenus minimus mit der Pleura im unteren Halsdreiecke ein, und es ist daher vor Allem jene Fixirung näher zu betrachten, welche die Pleura an dieser Stelle nothwendigerweise erfahren muss. _ Mit dem Pleurakegel stehen im unteren Halsdreiecke binde- gewebige Aushreitungen der Fascia praevertebralis und der tiefliegenden l) Nach T. Fünrer (Handb. der chirurg. Anat. Berlin 1857, Abthl. I.) scheint der Scalenus postieus nur dann isolirt zu sein, wenn, wie dies häufig eintritt, die Arteria transversa colli zwischen den Bündeln des mittleren Sca- lenus durchgeht. — Auch C. EckHarp (Lehrb. der Anat. des Menschen, Giessen 1862) weist auf die geringe Sonderung des Scalenus postieus vom medius hin. 58 IV. E. ZUCKERKANDL. Halsaponeurose in Verbindung, welche denselben an die Halswirbel- säule, an die umgebenden Eingeweide und an den Hals der ersten Rippe fixiren. Die hintere Wand des Rippenfelles wird hauptsächlich an zwei Punkten befestigt: einerseits an die vordere Seite der Halswirbelsäule, andererseits an das Collum der ersten Rippe); den zwischen diesen zwei Punkten gelegenen Theil der knöchernen Grundlage des Halses überspringt die Pleura, und somit entsteht, zwischen dem mittleren Abschnitte der hinteren Wand des Pleurakegels und der Wirbelsäule (das Köpfchen der ersten Rippe mit eingeschlossen), eine rundliche oder elliptische Lücke, in deren Hintergrunde man den Musculus longus colli verlaufen sieht und in welcher wir das Ganglion tertium des Sympathicus eingelagert finden und neben demselben lateral die Arteria intercostalis suprema in den subpleuralen Brustraum eintreten sehen. Fig. II A.) So lange sich an den bindegewebigen Befestigungsmitteln des Pleurakegels kein vornehmlich ausgeprägter Entwicklungsgrad be- merkbar macht, sind ihre anatomischen Verhältnisse schwer zu er- sründen, da die Exposition von bindegewebigen Ausbreitungen, wie jeder erfahrene Anatom weiss, durch die Präparation nur allzu häufig eine gekünstelte wird. Man wird daher, so lange man den Pleurakegel nur in Verbin- dung mit den Bindegewebstheilen des Halses findet, als einziges sicheres Ergebniss die oben beschriebene Lücke betrachten und sich nicht leicht entschliessen, in den genannten Aponeurosen einen Ap- parat zu sehen, der für die Befestigung des Rippenfelles Nennenwerthes leisten könnte. | Lässt man aber nicht davon ab, die untere Halsgegend wieder- holt zu untersuchen, so wird man bald Fälle zu sehen Gelegenheit haben, die unmittelbar den Gedanken aufdrängen, dass die binde- gewebigen Ausbreitungen dieser Region zur Pleura doch in wichtige Beziehungen treten. — Wir sehen nämlich, dass an Stelle der Binde- substanz ein dichteres, fibröses Gewebe tritt, das deutlich in 2 Haupt- stränge geschieden ist. — Einen in deutliche Bündel geschiedenen fibrösen Zug bemerken wir von der Wirbelsäule, entsprechend dem 4. bis 7. Wirbel, herkommen und mehr die Spitze des Pleurakegels ein- hüllen (Fig. IIb); einen zweiten Zug von der, vor der Trachea ge- 1) Fig. IIb und d.. ! 2) Diese Lücken an einer Leiche zusammen betrachtet, bilden den Halstheil des hinteren Mediastinums. > Beitrag zur deseript. u. topograph. Anatomie d. unteren Halsdreieckes. 59 legenen Aponeurose, der mehr in die untere Hälfte des Rippenfelles ausstrahlt. (Fig. IIe.) — Hierzu gesellt sich noch häufig eine deut- liche Organisation jenes Gewebes, welches den Kegel an das erste Rippenhälschen heftet. (Fig. Id.) — Der von der Wirbelsäule stam- mende Zug bildet die mediale Begrenzung der oben erwähnten Ge- fäss- und Nervenlücke. Die angeführten Aponeurosen umhüllen den Kegel der Pleura oft vollständig, in anderen Fällen nur dessen medianen Antheil, während lateral ein grosses Stück der Pleura frei lagert. Wir sehen somit die Befestigung des Rippenfelles anlangend am Halse ähnliche Momente obwalten, wie in der Brusthöhle. — Dort fixirt sich die Pleura vermittelst bindegewebiger Ausbreitungen, welche zuweilen fibröse Züge führen, hier durch die von Hyrru!) und LuscHhkA 2) der Anatomie bekannt gewordene Fascia endothoracica. Kehren wir nun wieder zur Anatomie des Musculus scalenus minimus zurück. — Er verläuft tangential über den lateralen Theil des Pleurakegels von oben nach unten. Ist der Muskel besonders fleischig, mit kurzer Ursprungs- und Insertionssehne versehen, so ver- bindet sich die hintere Fläche des Muskelbauches mit dem binde- gewebigen Involuerum des Rippenfelles, oder gegebenen Falles mit letzterem direkt; ist hingegen der Muskelbauch” kurz und passirt den Pleurakegel vielmehr die aponeurotische lange Sehne des Muskels, dann verbindet sich diese mit der Pleura (oder deren Involucrum), ja es zerfährt nicht selten die Sehne gänsefussartig und betheiligt sich in diesem Falle nicht blos als Fixationsmittel, sondern auch als fibröse Verstärkung und Umhüllung des Rippenfelles im unteren Halsdreiecke. — Seitlich gegen den concaven Rand der ersten Rippe bemerkt man, dass der Muskel oder seine Sehne mit einem zarten Häutchen 3) in Verbindung steht, welches die Vereinigung zwischen Muskel und Pleurakegel an dieser Stelle bewerkstelligt. — In dem zwischen Muskel und erster Rippe (siehe Fig. IIB und IlIe) ent- standenen Raume verläuft der erste Brustnerv. Aus dieser Schilderung geht wahl zur Genüge hervor, dass der Musculus scalenus minimus für die Sicherung der Lage des Pleura- kegels nicht Geringes leisten dürfte, ja dass vor allen andern er es ist, der das Rippenfell des Trigonum cervicale inferius in seiner Lage 1) Descriptive Anatomie. 2) Der Herzbeutel und die Faseia endothoraeica. Wien 1859. 3) Dieses Häutchen stellt man am einfachsten dadurch dar, dass man mit den Fingern den Pleurakegel von dem Muskel ablöst. 60 IV. E. ZuckERKANDL. erhält und suspendirt. — Er verdiente daher mit Recht Tensor pleurae genannt zu werden. — Hiermit erklärt sich auck seine Funktion. — Zum Synergisten der übrigen mächtigen Scaleni eignet er sich wenig, aber durch seine anatomische Lage und Verbindung wird dem „Einsinken und Ausbauschen“ !) der oberen Brustwand bei den Respirationsbewe- sungen vorgebaut. Ferner ist zu bemerken, dass der Scalenusschlitz durch die Ein- schiebung des Scalenus minimus eine wesentliche Modification er- fährt. — Dieser wird hierdurch in eine vordere und hintere Spalte getrennt. — Durch die hintere Spalte (Fig. IA) (Begrenzung: vorne Scalenus minimus, hinten Scalenus medius) — Nervenspalte. — ver- läuft das Paquet des Armnervengeflechtes; durch die vordere Spalte (Begrenzung: vorne Scalenus anticus, rückwärts Scalenus minimus) — Gefässspalte — die Arteria subelavia und eine kleine Vena comitans. (Fig. IB.) Die Schlüsselbeinschlagader ruht somit nicht unmittelbar auf der Pleurakuppel, sondern wird durch die Einschiebung des Mus- culus scalenus minimus von ihr geschieden; die Pulsationen der Ar- terie beeinflussen somit nicht direkt die Pleurakuppel und die Lungen- spitze. Ich habe nun, um über das Vorkommen oder Fehlen des Musculus scalenus minimus in Zahlen sprechen zu können, 60 Leichen unter- sucht, hierunter 17 Kinder, zum Theile Neugeborene. — Aus diesen Untersuchungen ergab sich: dass der Scalenus minimus in 22 Fällen beiderseits vorhanden war, „12. „ nur rechterseits und „2 „nur in der linken Körperhälfte; im Ganzen somit 43 mal). 1) Henze (Handb. der syst. Anat. Braunschweig 1871. Bd. I. Abthl. III) schreibt dem Scalenus anticus und medius diese Verrichtung zu. 2) Unter diesen Fällen fanden sich folgende Anomalien der übrigen Scaleni: a) An einer männlichen Leiche. — Die Scaleni minimi sind nicht stärker, als die Lumbricalmuskeln eines Fusses. — Rechterseits zeigen sich überdies hinter der Arteria subelavia folgende accessorische Scaleni u. z. oe) ein vom Scalenus antieus isolirtes Muskelbündel; 8) ein vom Scalenus medius stammendes Fascikel, welches sich bei der ersten Rippe mit dem vorigen Bündel vereinigt. Beide inseriren sich hart neben dem Scalenus anticus. b) An einer männlichen Leiche. — Scaleni minimi gut ausgebildet. Vom Sca- lenus medius der rechten Seite löst sich ein starkes Bündel ab, welches die erste Rippe überspringt und sich neben der Zacke des Musculus serratus antieus major an die 2. Rippe heftet. — Links dasselbe, nur findet sich an der Insertionsstelle, ähnlich dem Tubereulum Lisfraneii, ein Muskelhöcker. — Analoges beobachtete THeıtE (Muskellehre. Leipzig. 1841.) Beitrag zur descript. u. topograph. Anatomie d. unteren Halsdreieckes. 61 Was den Grad der Entwicklung anlangt, so zeigte sich derselbe 15 mal (10 mal beiderseits, 3 mal rechts, 2 mal links) vor- nehmlich stark entwickelt, 26 mal mittelstark und 2 mal sehr schwach ausgebildet. Hieraus folgt, dass der Musculus scalenus minimus unter 60 Leichen nur 38 mal fehlte, u. z.: 17 mal beiderseits, 9 „ rechts und 12 „ in der linken Körperhälfte. Diese statistischen Ergebnisse würden, für sich betrachtet, Grund genug darbieten, das vorher über die Funktion des Scalenus minimus Gesagte nicht so hoch anzuschlagen, als es geschehen ist; denn wenn auch nur in einigen Fällen dieser Muskel nicht angetroffen wird, so darf demselben höchstens eine bedingte Nothwendigkeit, aber keine absolute zugeschrieben werden. Dem ist jedoch nicht alsoe. Wenn wir jene Fälle genau zerglie- dern, wo entweder auf beiden Seiten oder nur auf einer der Musculus scalenus minimus fehlt, so wird sich bald ergeben, dass bei dem Fehlen des Muskels ganz eigene Elemente eintreten, um die Leistung des ausgefallenen Muskels zu ersetzen. Diese Elemente sind Bänder, welche ich nach Ursprung und Insertion Ligamentum costo-pleuro-vertebrale und Ligamentum costo-pleurale nennen will. Il. Das Ligamentum costo-pleuro-vertebrale. (Fig. Ila.) Wenn man nach Abtragung des Musculus sealenus anticus den Pleurakegel des unteren Halsdreieckes freilest und einen Scalenus c)-An einer männlichen Leiche. — Scealeni minimi sind beiderseits in trefl- licher Ausbildung vorhanden; der linke von ihnen erhält überdies noch einen zweiten Kopf vom Scalenus medius. d) An einer männlichen Leiche, — Die Scaleni minimi sind stark ent- wickelt. Der Musculus scalenus medius ist zweigespalten und sein vorderer Schenkel inserirt sich so knapp neben dem Scalenus anticus, dass die Scalenus- lücke ausserordentlich enge ist. e) Neugeborenes Kind, weiblich. — Der rechte Scalenus minimus erhält einen accessorischen Kopf vom Scalenus anticus. Links findet sich ausser dem Scalenus minimus ein Bündel des Scalenus medius, welcher sich in einer dem zweiten Falle ähnlichen Weise an die zweite Rippe inserirt. f) Neugeborenes Kind, weiblich. — Es ist nur rechterseits ein Scalenus minimus vorhanden und dieser erhält vom Scalenus medius einen accesso- rischen Kopf. 62 IV. E. ZUCKERKANDL. minimus nicht antrifit, so zeigt sich dafür häufig ein fibröser Strang von sehr verschiedener Stärke und ganz geringer Breite, der am 6. und 7. Halswirbelquerfortsatze, oder nur an letzterem entspringt, über die Pleurakuppel verläuft, mit dieser verwebt ist und schliesslich an der ersten Rippe, hart neben dem Musculus scalenus anticus en- digt. — Um sich von der Gegenwart dieses Streifens zu überzeugen, ist es gar nicht nothwendig, ihn freizulegen; man versuche nur mit einem Finger die vordere Wand der blosliegenden Pleurakuppel zu bestreichen und man wird sogleich eine besonders resistente Stelle entdecken, bei deren Besichtigung sich herausstellen wird, dass diese ihre Stärke jenem fibrösen Streifen verdankt. Dieser Streifen ist zuweilen zweigespalten, zuweilen ähnlich der Sehne des Scalenus minimus gänsefussartig über die vordere Pleurakuppellläche ausge- breitet. — Dieser fibröse Strang kommt: a) häufig in beiden Körperhälften vor, wenn der Scalenus mi- nimus fehlt, oder nur auf einer Seite, wenn auf der anderen der Muskel gegenwärtig ist; b) er combinirt sich zuweilen mit dem Bande, dessen Beschrei- bung gleich folgen wird, in einer, oder auch in beiden Körperhälften und erscheint c) zuweilen selbst neben einem Musculus scalenus minimus; diesfalls liegst er hinter dem Muskel und ist mit der Muskel- sehne verschmolzen. Ich füge gleich hier an, wie oft ich unter den 60 Leichen das Ligamentum costo-pleuro-vertebrale auf beiden Seiten, rechterseits allein, ebenso linkerseits und in Combination mit dem Scalenus mi- nimus in ein und derselben Hälfte angetroffen habe, während ich seine Combination mit dem Ligamentum costo-pleurale erst der Be- schreibung dieses Bandes anschliessen werde. | Beiderseits fand ich ihn in 10 Fällen; nur rechts (weil links Scalenus minimus) 5 mal; nur links (rechts Scalenus minimus) 6 mal und auf der rechten Körperhälfte einmal mit einem Scalenus minimus. IH. Das Ligamentum costo-pleurale. (Fig. IILb.) Dieses Band, welches nicht so häufig als das Ligamentum costo- pleuro-vertebrale auftritt, dürfte für eine ganz besondere Entwicklung jenes Bindegewebes aufgefasst werden, welches die Pleurakuppel an das Hälschen der ersten Rippe heftet. — Dieses Ligament besitzt Beitrag zur descript. u. topograph. Anatomie d. unteren Halsdreieckes. 63 gleich den Gelenksbändern einen metallischen Glanz; es bildet einen cylindrischen Strang von der Stärke einer schwachen Taubenfeder, welcher am vorderen Rande des ersten Rippenhälschens entsteht, die vordere Wand des Pleurakegels tangirt und sich knapp neben dem Scalenus anticus wieder am inneren hande der Rippe fixirt, oder es ist mehr breit als dick. In jedem Falle ist es fest an die Rippenfell- kuppel geheftet, und häufig sieht man sogar einzelne Bündel von demselben sich ablösen und strahlenförmig in die Pleura übergehen. — Solche Bündel trennen sich vom Bande schon oft am Abgange bei der ersten Rippe. — Ich sah dieses Band in einem Präparate zweigespalten nach unten verlaufen. 5 Dieses Ligament ist also brückenartig zwischen dem vorderen und hinteren Rande der ersten Rippe ausgespannt, und an seine un- tere Fläche bindet sich das Rippenfell und wird von ihm in Suspen- sion erhalten. Nebenbei begrenzt dieses Band nach innen jene Lücke, durch welche wir den Sympathicus und die Arteria intercostalis suprema in die Brusthöhle ziehen sehen, und lateral (Fig. IIIe) mit dem Rip- penrande und einer Spange der Pleura eine Lücke, welche der erste Brustnerv passirt. — Betrachten wir das Vorkommen dieses Bandes in den 60 Leichen etwas näher, so zeiet sich; a) das Band tritt für sich allein nur einmal auf beiden Seiten auf; b) nur rechts (links Scalenus minimus) dreimal; c) nur links (rechts Scalenus minimus) zweimal; d) neben, und mit dem Musculus scalenus minimus links zweimal; e) neben den kleinen Rippenhaltern nur auf der rechten Seite dreimal; f) neben einem linken Scalenus minimus auf beiden Seiten nur einmal; g) beiderseits neben Ligamenta costo-pleuro-vertebralia einmal; h) nur rechts mit dem Ligt. c. pl. vt., während links ein Sca- lenus minimus sich vorfand, einmal; i) dasselbe Verhältniss, nur in umgekehrter Ordnung, auch _ einmal; k) rechts das Band und links das Ligt. ce. pl. vt. einmal, und l) schliesslich das entgegengesetzte Verhältniss des vorigen Falles auch einmal. In den Fällen, wo auf einer Seite das Ligamentum costo-pleurale 64 IV. E. ZUCKERKANDL. mit dem Musculus scalenus minimus auftritt, ist es mit der Sehne des letzteren gewöhnlich verschmolzen. Wir ersehen somit aus Allem, dass die verschiedensten Mittel im unteren Halsdreiecke zusammentreten, um insgesammt oder nur eines und das andere für die Fixation der Pleurakuppel Sorge zu tragen. IV. Nachtrase. Da ich bei den Untersuchungen über den Scalenus minimus in 60 Leichen auch Gelegenheit hatte, viermal Bildungsanomalien der ersten Rippenpaare beobachten zu können, so unterlasse ich nicht, deren Beschreibung hier folgen zu lassen. — Die Anomalien fanden sich, mit Ausnahme eines einzigen Falles, wenn auch nicht ganz gleich geartet, stets auf beiden Seiten des Körpers. An dem übrigen Systeme des Skelets liess sich ein abnormer Zustand nicht nach- weisen }). Im ersten Falle handelte es sich um das erste Rippenpaar einer 3jährigen männlichen Leiche. Auf der rechten Seite findet sich von einer ersten Rippe nur das Köpfchen, das Tuberculum und von dem freien Theile der Rippe blos ein 3 mm. langes, abgerundetes Stückchen; den übrigen Theil der Rippe bis ans Sternum substituirt ein cylindrischer, metallisch glänzender, fibröser Strang. Da dieser Strang viel schmäler als eine wohlgestaltete Rippe ist, haben der erste Intercostalraum und auch dessen Muskeln eine beträchtliche Vergrösserung erfahren. Linkerseits ist die Bildungshemmung nicht in so hohem Grade ausgebildet. Ausser dem Rippenköpfehen, dem Collum und Capitulum costae ist ein 10 mm. langer kegelförmiger, in eine abgerundete Spitze auslaufender Antheil des freien Rippenstückes vorhanden, von welchem zur Brustbeinhandhabe ähnlich der nachbarlichen Seite ein fibröser Strang verlief. — Auf den vorderen Antheilen der fibrösen Rippen lagen, weicher als sonst gebettet, die Armnervengeflechte und die Schlüsselbeinschlagadern. Von einem Tuberculum Lisfrancii war na- türlich keine Spur vorhanden, und man könnte daher gegebenen Falles bei Aufsuchung der Arteria subelavia, wenn man als Leitpunkt das 1) Beschreibungen von Rippenanomalien und deren Literatur finden sich in Hente’s Knochenlehre, Hyrrr’s Topographischer Anatomie, in LuscHhka’s Ana- tomie und in dessen Abhandlung: Die anomalen Artieulationen des ersten Rip- penpaares. Sitzungsber. der K. Akad. der Wissensch. Wien 1860. Beitrag zur descript. u. topograph. Anatomie d. unteren Halsdreieckes. 65 Tubereulum Lisfraneii wählt, leicht irre geführt werden.!) — Auch die Compression der Arteria subelavia oberhalb des Schlüsselbeines dürfte diesfalls im Effeete der Compression unter normalen Verhält- nissen nachstehen. Den zweiten Fall fand ich in der Leiche eines Mannes. — Auch’ hier ist die Entwicklungshemmung rechterseits hochgradiger als links. — Die rechte Rippe ist blos 4,5 etm. lang, um die Hälfte schmäler als eine normale erste Rippe und spitz auslaufend. — Von ihrer Endfläche zieht ein resistenter fibröser Strang von dem Kaliber eines Gänsekieles gegen das Brustbein, ohne sich jedoch, wie im vorigen Falle, ohne weiteres demselben anzuschliessen, sondern es articulirt mit der Hand- habe des Sternums ein 2,3 ctm. langes und 8 mm. hohes Rippen- knorpelrudiment, an das sich lateral ein mandelförmiges Knochenstück befestigt, welches einem gewöhnlichen Knochen und nicht einem ossi- fieirten Rippenknorpel ähnlich ist. — Zwischen diesem Knochenkerne und dem hinteren Rippenrudimente ist der fibröse Strang brücken- artig ausgespannt. Linkerseits findet sich dasselbe Verhalten; nur ist die Rippe 8,4 ctm. lang, der fibröse Strang ganz kurz, und der Knochenkern am lateralen Ende des Rippenknorpels ist dem nachbarlichen im Dicken- durchmesser überlegen. Der dritte Fall betraf die Leiche eines etwa 14 Tage alten weib- lichen Kindes. Hier könnte man die rechte Rippe eine normale nen- nen, wenn sie nicht in ihrem freien Antheile derart gekrümmt wäre, dass sie nach oben eine tiefe Furche, und gegen den Intercostalraum eine, diesen wesentlich verengernde, convex vortretende Fläche besässe. Linkerseits ist die erste Rippe blos 2 etm. lang; ihr vorderes freies Ende ist rundlich aufgetrieben, und von dessen oberer Fläche geht ein fibröser Streifen zu einem verkümmerten Rippenknorpel. Abgesehen hiervon ist an diesem Präparate der interessante Umstand zu verzeichnen, dass der vorderste Antheil des 2. Rippenknochens ausser seiner Verbindung mit dem Rippenknorpel, nach oben (gegen die 1. Rippe) eine Spange sendet, die mit dem freien Ende des ersten Rippenrudi- mentes gelenkartig verbunden ist. “Diese Verbindung besitzt eine Ge- lenkskapsel und überknorpelte Gelenkskörper. Durch die Spange der 2. Rippe wird der erste Intercostalraum - in zwei Lücken getheilt: in eine hintere, äusserst enge, allseitig von I) In einem jüngst gesehenen Falle, wo die rechte erste Rippe nur auf kur- zer Strecke fibrös war, das freie Stück der linken ersten hingegen bis ans Ster- num, fand sich, in dem letzteren für die Insertion des Scalenus antieus, ein rund- ‘ licher Knochenkern. Zeitschrift f. Anatomie. Bd. II. 5 66 IV. E. ZucKkERKANDL. Knochen umschlossene, und eine vordere, die nach oben von dem fibrösen Strange begrenzt wird. — Beide Lücken sind von inselförmigen Muskelmassen ausgefüllt. Im vierten Falle, die Leiche eines 2 Jahre alten Kindes betreffend, ‘war nur linkerseits ein beträchtliches Stück der verschmälerten Rippe fibrös. Hieran knüpfe ich noch 2 Fälle von Insertionsanomalien des 2. und 3. Rippenpaares. Der eine Fall betraf den Brustkorb eines ausgewachsenen jungen Mannes, der andere den eines 5jährigen Knabens. Beide Fälle wurden von Herrn Professor C. Torpr gefunden. Der erste Fall zeigt rechts wie links Folgendes: Die zwei ersten Rippenknorpel sind nächst der Brustbeinhandhabe zu einer rechteckigen Platte verschmolzen, deren längerer Durchmesser der Längsachse des Körpers nach gerichtet ist. Vermittelst dieser Platten heften sich die zwei ersten Rippenknorpel an die obere convexe Hälfte des Sförmig gebogenen Randes der Brust- beinhandhabe. Hieraus folet: 1. dass die ersten zwei Rippenknochen sowie Knorpel einander bei Weitem näher stehen als sonst und 2. dass der erste Intercostalraum zu Gunsten des zweiten wesent- lich verengt ist. An die Fuge zwischen Handhabe und Körper des Brustbeines, wo gewöhnlich der Einschnitt zur Aufnahme des 2. Rippenknorpels in den Knochen geschnitten ist, lagert hier der Knorpel der 3. Rippe. Rechterseits gelangt auch noch der 8. Rippenknorpel in Contact mit dem Corpus sterni; trotzdem darf nicht von einem allgemeinen Hinaufrücken der Rippen gesprochen werden, da linkerseits, wo die 2. und 3. Rippe dieselben anomalen Insertionen eingehen wie rechts, nichtsdestoweniger nur 7 Rippen dem Seitenrande des Sternums sich anfügen. Der zweite Fall, betreffend den Thorax des 5jährigen Knabens, zeigt ein ganz analoges Verhalten. Das Manubrium sterni ist lang und besitzt zwei unter einander schon synostosirte Ossificationspunkte. Der Knorpel der linken ersten Rippe ist in seiner Mitte unterbrochen und seine beiden Endtheile hängen durch ein 1 ctm. langes sehniges Band zusammen. Das mediale Ende dieses Knorpels ist vollständig mit dem breiten medialen Ende der 2. Rippe zu einer platten Scheibe verschmolzen, die sich ganz gelenkig mit dem Seitenrande der Brust- beinhandhabe, bis 1 etm. oberhalb der Fuge des Manubrium sterni ınit dem Corpus, verbindet. — Rechts verbindet sich der Knorpel der 1. Rippe in continuo mit der Handhabe des Brustbeins. — Der schief Beitrag zur descript. u. topograph. Anatomie d, unteren Halsdreieckes. 67 abgeschnittene Rand der 2. Rippe articulirt mit dem Manubrium sterni oberhalb der Fuge mit dem Corpus, welcher gelenkige Contact sich auch noch auf das vorderste Ende des unteren ersten Rippenendes erstreckt. Die 3. Rippe fixirt sich beiderseits dort, wo gewöhnlich die 2. Rippe ruht. — Im Uebrigen sind die sonstigen Verhältnisse der Rippen wie auch der Brustbeine völlig normal, in diesem wie auch in dem vorigen Falle, ausgenommen man wollte eine geringe seitliche Asymmetrie der linken Hälfte des Brustbeinkörpers im ersten Falle unter die Abnormitäten zählen. Die Aetiologie dieser Insertionsanomalie liesse sich auf zwei Wei- sen erklären. — Es ist möglich, dass in der frühesten Periode des intrauterinalen Lebens sogleich eine anomale Differenzirung der ein- zelnen Rippenelemente aufgetreten sei, wodurch zwei Rippen an Stelle der ersten zu liegen kamen und die 3. der Lage der 2. Rippe ent- spricht; die hohe Insertion der 2. Rippe liesse sich aber auch etwa auf folgende Weise erklären: Wir sehen, dass die knorpeligen medialen Antheile des 1. und 2. Rippenpaares zu Platten verschmolzen sind; im Embryo mag wohl in einem bestimmten Stadium die Stelle, wo heute die 2. Rippe sich dem Brustbeine anschliesst, dem Orte zwischen Manubrium und Corpus sterni entsprochen haben; da aber eine weitere Trennung der Rippenknorpel nicht eintrat, die 2. Rippe mit der Ver- längerung der Brustbeinhandhabe nieht Schritt für Schritt abwärts rücken konnte, weil dies durch die Verschmelzung der Rippenknorpel zum grössten Theile verhindert wurde, so konnte die 2. Rippe nur in so weit von der ersten sich entfernen, als dies das Wachsthum der Knorpelscheibe zuliess. — Hierdurch wäre aber die Insertionsanomalie der 3. Rippe nicht erklärt, weil eine Abnormität der 2. Rippe nicht nothwendig die der 3. zu bedingen braucht; ebenso wie die Abnor- mität der linken 3. Rippe in zwei von unseren Fällen keinen Einfluss auf die Lage der 4. Rippe ausgeübt hat. Die 3. Rippe könnte trotz dem hohen Stande der 2. sehr wohl ihrem gewöhnlichen Orte einge- pflanzt sein. — Aus diesen Gründen bin ich der Meinung, dass die vorher angegebene Entstehungsweise mehr Wahrscheinlichkeit für sich habe als die zweite. E | Da die beschriebenen eigenthümlichen Anomalien der 1. Rippe häufig vorkommen, während solche an anderen Rippen, unter sonst normalen Verhältnissen, nicht beobachtet wurden, so möchte ich zum Schlusse die Frage aufwerfen, ob die Entwicklung der 1. Rippe sich von der der anderen nicht doch unterscheide ? 68 IV.E. ZuckErkAnDL. Descript. u. topograph. Anatomie d. unt. Halsdreieckes. Erklärung der Abbildungen. Tafel V. Fig. 1. Rechte Halshälfte. I. Erste Rippe. St. cl.m. Musculus sternocleidomastoideus. Sc. a. Musculus scalenus anticus. Sc. m. Musculus scalenus medius. C. Musculus scalenus minimus. Durch das Auftreten dieses Muskels wird die Scalenuslücke in eine vordere (B) und hintere (A) Spalte getheilt. — Durch die vordere Spalte (B) tritt die Schlüsselbeinschlagader, durch die hintere (4) das Armnervengeflecht. Fig. 2. Unteres Halsdreieck nach Abtragung des Musculus scalenus anticus, sowie auch der Gefässe und Nerven. I. Erster Brustwirbel. VII. Siebenter Halswirbel. Oe. Oesophagus. Tr. Trachea. I, 1’. Erste Rippe. L. Museulus longus colli. M. Sc. m. Musculus scalenus medius. P. Pleurakuppel. b. b. Fibröses Gewebe, welches von den 4.—7. Halswirbeln ausgeht und in die Pleura ausstrahlt. c. Fibröses Gewebe von der Trachealgegend kommend, welches sich dem vorigen ganz gleich verhält. a. a. Ligamentum costo - pleuro- vertebrale. d. Bindegewebsstrang, welcher das Rippenfell an das Hälschen der ersten Rippe heftet. A. Lücke, durch welche der Sympathicus und die Arteria intercostalis suprema in den Thorax eintreten. B. Lücke für den Verlauf des ersten Brustnerven. Fig. 3. Linke erste Rippe mit ihrem Wirbelgelenke. P. Pleurakuppel. a. Fibröser Strang, der die Pleura an die Wirbelsäule heftet. db. Ligamentum costa-pleurale. c. Fibröse Züge, die von dem genannten Bande an der ersten Rippe sich ablösen und fächerförmig in die Pleura übergehen. d. und e. die auch in der zweiten Abbildung dargestellten Räume für Sympathieus, Arteria intercostalis suprema und ersten Brustnerven. I Einiges über die Vena basilica und die Venen des Oberarmes. Von Dr. Heinrich Kadyi, d. Z. Prosector in Krakau. Ueber den Verlauf der Vena basilica am Öberarme und über ihr Ende findet man in anatomischen Handbüchern sehr abweichende Angaben, offenbar deshalb, weil diese Vene nicht weniger variabel ist, als so viele andere. Die verschiedenen Beschreibungen der Vena basilica lassen sich auf zwei Auffassungsweisen reduciren. Die älteren Autoren las- sen in ihren Beschreibungen diese Vene bis in die Achselhöhle hinauf gehen, wo sie die Achselvene bilden helfe; einige neuere Autoren (HENLE, HyRTL u. A.) lassen sie aber schon in der Mitte des Ober- armes in die s. g. tiefen Oberarmvenen, welche die Arteria brachialis begleiten, münden. Doch die meisten neueren Anatomen (von THEILE angefangen) lassen beide Beschreibungsweisen gleichwerthig neben ein- ander gelten. B ; Spricht man von der Vena basilica als einem bis in die Achsel- höhle selbstständig verlaufenden Gefäss, so ergibt sich daraus, dass dieser Vene zu den übrigen Gebilden des Suleus bicipitalis eine ganz besondere Lage zukommt; lässt man sie dagegen schon in der Mitte des Oberarmes endigen, so bleibt noch zu erörtern, wie sich der aus der Vereinigung derselben mit der V. brachialis interna hervorgegan- gene Stamm im oberen Theile des Oberarmes für sich und gegen die übrigen daselbst vorfindlichen Venen verhalte. In dieser Beziehung sind die von den neueren Autoren gegebenen Beschreibungen nicht ganz erschöpfend, da doch der Suleus bieipitalis nicht blos ein rein anatomisches Interesse bietet. Es ist auch für den Chi- rurgen von grösster Wichtigkeit, die gegenseitige Lage aller darin 70 V. Heiskıch Kıpyı. geborgenen Gebilde, auch der Venen genau zu kennen; er soll bei Unterbindung der Arterie den Venen ausweichen, und wenn er solche zu Gesicht bekommt, durch sie sich nicht irre führen lassen. Letzteres geschieht aber nur zu leicht, wenn er über die Zahl und die Lage derselben nur allzu schematische Begriffe hat. Diese Umstände bewogen mich, über das Verhalten der Vena basilica am Öberarme genauere Untersuchungen anzustellen, welche naturgemäss auch auf die übrigen Venen dieses Theiles ausgedehnt werden mussten. Ueber die Venen der oberen Extremität liegt eine ausführlichere Arbeit von H. Barkow!) vor. In diesem Werke werden hauptsächlich die für den Aderlass wichtigen, subcutanen Venen der Ellenbogen- beuge berücksichtigt, die übrigen, namentlich die tiefen Venen, nur der Vollständigkeit wegen beschrieben. Von den Venen des Öber- armes werden nur die drei grösseren einer Erörterung unterzogen und für ihre Vereinigungsweise specielle Schemen aufgestellt und eine be- sondere Nomenclatur eingeführt. Es wird eine V. brachialis ex- terna, V. brachialis interna, V. brachialis basilica, V. bra- chialis communis secundaria, V. brachialis communis pri- maria; ausserdem noch eine V. brachialis infima und V. com- municans brachialis profunda suprema und infima unter- schieden. Ich ging an meine Untersuchung mit der Ueberzeugung, dass auch für Venen, so variabel sie auch sein mögen, doch gewisse Ge- setze sich finden lassen werden, welche selbst dem Chirurgen bei seinen Eingriffen leiten könnten. Es war mir aber von vorne herein klar, dass man dabei mit der Specialisirung nicht zu weit gehen dürfe, weil es kaum möglich sein wird, die Zahl, die Grösse und die Verbindungen der einzelnen venösen Zweige und Stämme genau vorzuschreiben, und eine etwa der Vereinigungsweise der Venen- zweige zu Aesten und Stämmen entnommene, für alle Fälle zulassende Nomenclatur aufzustellen. Ich stellte mir daher die Aufgabe zunächst dahin, die Varietä- ten der Vena basilica mit Rücksichtnahme auf die übrigen Ober- armvenen genauer zu würdigen, und für diese Varietäten einen ana- tomischen Grund ausfindig zu machen. Zu diesem Zwecke untersuchte ich eine grössere Anzahl (gegen fünfzig) frischer Extremitäten; ausserdem habe ich acht Präpa- 1) Dessen Gratulationsschrift: „Die Venen der oberen Extremität des Men- schen“. Breslau 1868. Einiges über die Vena basilica und die Venen des Oberarmes. 71 rate über die Venen des Öberarmes angefertigt und trocken aufbe- wahrt, welche sich im Wiener anatomischen Universitätsmuseum be- finden. Da diese Präparate die zu untersuchenden Verhältnisse mir fixiren sollten, so habe ich beim Aufstellen und Trocknen derselben meine besondere Aufmerksamkeit auf die Erhaltung der gegenseitigen Lage der Arterien, Venen und Hauptnervenstämme gerichtet. Es ist dies nicht schwer zu erreichen, wenn man die peripheren Zweige, be- sonders die Muskelzweige der Gefässe, schont, welche die Stämme mit ihrer Umgebung verbinden. Diese Präparate dienten mir als hauptsächlicher Beleg für die nachfolgenden Erörterungen, für welche ich ausserdem die an frischen Extremitäten gemachten Beobachtungen, sowie auch das, was ich an anderen Präparaten und an Abbildungen gesehen habe, verwerthe. Um mich bei der Beschreibung all der Varietäten der Oberarm- venen, insbesondere der V. basilica, möglichst übersichtlich fassen zu können, sei es mir gestattet, den ganzen Venencomplex in Gruppen zu scheiden. Ich beginne mit den Venae comitantes arteriae brachialis. So sollen ohne Prä- judiz jene Venen bezeichnet werden, welche die Oberarmarterie in - ihrem Verlaufe begleiten. Ihre Zahl, ihre Lage zur Arterie und ihr Kaliber ist allerdings unbestimmt; sie haben nur die eine Eigenthümlichkeit, dass sie der Arterie eng anliegen und durch strafferes Bindegewebe mit deren Wandung verbunden sind. Zwischen ihnen und der Art. brachialis waltet ganz dasselbe Verhältniss ob, wie zwischen der Art. radialis, tihialis, epigastriea etc. und den diese Arterien begleitenden Venen. Wenn man gewöhnlich von zwei begleitenden Venen einer Ar- terie spricht und sie ihrer Lage nach mit Namen bezeichnet, so trifft dies nur für die Mehrzahl der Fälle zu. Ich mache auf Ab- weichungen von dieser Norm ausdrücklich aufmerksam, weil solche serade bei den V. comitantes arteriae brachialis viel öfter vorkommen, als gewöhnlich angenommen wird. Allerdings finden sich neben der Art. brachialis am häufigsten zwei Venae comitantes, an gewissen Stücken derselben mitunter nur eine, dafür aber manchmal wieder mehr als zwei, sowohl bei verschiedenen Individuen als auch nach Abschnitten wechselnd selbst an einer und derselben Extremität. Wenn sich zwei V. comitantes finden, so liegen sie wieder nicht nothwendig an der medialen und lateralen Seite der Arterie, weil eine und dieselbe Comitans in ihrem Verlaufe ihre Lage zur Arterie wechseln (spiralig verlaufen) kann. Auch ist z. B. 72 V. Heiskıcm Kapyı. eine mediale Comitans, welche als solche im oberen Theile des Ober- armes sich findet, nicht nothwendig die direste Fortsetzung der me- dialen Comitans des unteren Stückes der Oberarmarterie. Ebenso variirt das Kaliber dieser Venen, was hauptsächlich von der Blutmenge abhängt, welche ihnen durch die tiefen Zweige zugeführt wird. Es kann daher auch eine Comitans auf Kosten einer anderen an Kaliber zunehmen und umgekehrt. Alle diese Varietäten der Venae comitantes arteriae brachialis finden ihre Erklärung in den zahlreichen gegenseitigen Anastomo- sen dieser Venen, welche die Arterie in querer und schiefer Richtung umgreifen. Solche kommen allenthalben vor, besonders zahlreich jedoch an Stellen, wo periphere Zweige in die Venae comitantes münden oder sich zu ihnen gesellen; sie bilden um die Ursprungsstellen von Arterienzweigen herum sehr oft engmaschige Netze. Die Venae comitantes folgen also am Oberarme ganz genau der Art. brachialis, und nehmen in Folge dessen an allen Abnormitäten der Lage und der Verzweisung dieser Arterie Theil. Liegt die Art. brachialis vor dem N. medianus (wie dies beim Abgange einer Art. prof. brachii constant der Fall ist?), so liegen daselbst neben ihr auch Venen. Nach hoher Theilung der Art. brachialis hat sowohl die ihrer Lage nach als Fortsetzung derselben erscheinende Arterie, als auch die andere abnorm gelagerte (sei es die Radialis, Ulnaris oder Inter- ossea) ihre begleitenden Venen, welche ihnen überall folgen. Im oberen Drittheil des Oberarmes, manchmal erst in der Achsel- höhle, beginnen einzelne Venae comitantes und zwar gerade die stärk- sten von der Arterie sich zu entfernen, um sie nach und nach zu verlassen, indem sie bald vor, bald hinter dem N. ulnaris hinweg medial aufwärts ziehen als Wurzeln der Vena axillaris. — Diese grosse Vene ist. also keine Comitans der Arterie, da sich zwischen sie und die Arterie Bindegewebe und Nervenäste einschalten, höher oben sogar der Musculus scalenus anticus. Dennoch aber hat die Arterie auch in ihrem weiteren Verlaufe noch Venen an der Seite, allerdings nur kleinere, welche sie netzförmig umspinnen, selbst durch die Scalenus- lücke begleiten und jenseits dieser sich mit den die A. subelavia über- kranzenden Vertebralvenen vereinigen.?2) Diese Venae comitantes der Arteria axillaris und subclavia sind deshalb feiner als die der Arteria brachialis, weil die letzteren das meiste Blut bereits in die l) F. FüÜHrer, Handbuch der chirurg. Anatomie. 1857. 1. Bd. S. 509. 2) Auf das Vorkommen dieser Venen hat schon LANGER hingewiesen und daraus das Vorkommen einer zweiten V. subelavia erklärt. Lehrbuch der Ana- tomie. 8. 367. Einiges über die Vena basilica und die Venen des Oberarmes. 13 selbstständig verlaufende Achselvene abgegeben haben. Sie sind an- fangs nichts anderes, als Anastomosenketten peripherisch anlangender srösserer Zweige, welche bald vor, bald auch hinter der Arterie quer weg zur Achselvene ziehen, stehen aber auch mit den Venae comi- tantes der Arteria brachialis in Zusammenhang, so dass durch sie eine directe Verbindung der Brachialvenen mit den Vertebralvenen hergestellt wird, und zwar auf dem Wege durch die hintere Scalenus- lücke.!) Ihr Bestand erklärt jene seltenen in der Literatur verzeich- neten Fälle, in welchen eine grosse V. subclavia accessoria die Arterie durch die hintere Scalenuslücke begleitete oder gar nur eine Vena subelavia sich vorfand, welche statt vor hinter dem M. scalenus anti- cus verlief. Die tiefen Venen des Oberarmes begleiten in der Regel in Zweizahl die entsprechenden Arterienzweige, welche sie mit Anasto- mosen netzförmig umspinnen. Diese Venae comitantes der Zweige unterliegen ebenso wie die des Stammes verschiedenen Varietäten, in Betreff ihrer Zahl, Lage und ihres Kalibers. Sie ziehen den Ar- terienzweigen dicht angeschlossen bis zu deren Ursprungsstellen, an welchen sie in Comitantes arteriae brachialis übergehen und mit den übrigen V. comitantes art. brachialis sich verflechten. Stellenweise und zwar gerade an bestimmten Localitäten kommt es jedoch vor, dass aus den Venae comitantes eines Arterienzweiges, noch entfernt von der Ursprungsstelle des letzteren, eine oder mehrere Venen sich entwickeln, welche diesen Zweig nicht mehr beglei- ten, sondern zwischen Muskeln und Fascien einen selbstständigen Verlauf nehmen. Solche Vasa aberrantia, welche sich keiner Ar- l) Unter den Zweigen, welche zur Bildung dieses Venennetzes beitragen, sind hervorzuheben: Venen, welche die Art. transversa colli begleiten, klei- nere aus dem M. subscapularis kommende Venen, Venae nervorum aus dem Plexus brachialis, endlich das Venengeflecht, welches um die Art. ver- tebralis herum sich finde, Zwischen den Wurzeln und Aesten des Plexus . brachialis liegt ein zartes Venengeflecht, welches also mit den V. comitantes subelavia im Zusammenhange steht. Dieses Geflecht, welches zum Theil auch in den Plexus vertebralis mündet, vermittelt mitunter auch die Verbindung zwi- schen den V. comitantes subelaviae und den Vertebralvenen, indem eine diese Verbindung herstellende Vene, bald an die Art. subelavia, bald mehr an den 8. Halsnerven angeschlossen in die Scalenuslücke sich begibt. Eine solche durch ihre Grösse sich auszeichnende Vene ist mir an einem Präparate noch durch eine Klappe aufgefallen, aus deren Stellung zu entnehmen war, dass diese Vene Blut aus den Vertebralvenen lateralwärts führte. In dieser Richtung verlief sie längs der Art. subelavia, anastomosirte unterwegs mit den Venae transversae eolli und lenkte schliesslich nach unten ab, um unter der Clavieula in die Vena axillaris zu münden. 74 V. Heısrkıcn Kıpyı. terie angeschlossen haben, gelangen schliesslich nach einem kürzeren oder längeren Verlaufe auch in die Nähe der Arteria brachialis, aber nicht mehr an die Ursprungsstelle des entsprechenden Arterienzweiges, um mit den Comitantes arteriae brachialis sich zu verbinden. Sie können aber auch in andere Venen sich ergiessen, selbst in die Venae comitantes eines anderen Arterienastes, in welchem Falle sie nur als Anastomosen aufzufassen sind. Solche Venen sind sowohl morphologisch als auch nicht selten chirurgisch interessant. Ich will daher auf ihr Verhalten ge- nauer' eingehen: 1) Sehr oft habe ich gefunden (und an 6 Präparaten dargestellt), dass von den Venae comitantes art. collateralis ulnaris inferioris, ein Venenstämmchen entspringt, diese Arterie schon 1—2 ctm. von ihrer Ursprungsstelle verlässt und auf dem M. brachialis internus beiläufig in der Mitte zwischen der Arteria brachialis und dem Ligamentum intermusculare mediale eine Strecke weit selbstständig hinaufsteist. Diese Vene, welche von BArKow als Vena brachialis infima bezeichnet wurde, wird oft durch Zweige aus dem genannten Muskel verstärkt und mündet gewöhnlich noch im Bereiche des unteren Drittels des ÖOberarmes in die V. comitantes arteria brachialis. Sie kann aber (wie ich an zwei Präparaten sehe) auch in die V. ba- silica sich ergiessen, oder mit den V. collaterales ulnares superiores sich verbinden. 2) Die aus dem langen Kopfe des M. triceps das Blut abfüh- renden Venen gelangen wohl auch zum Theil längs der ent- sprechenden Arterien (welche Zweige der Art. collateralis ulnaris superior, und Art. collateralis radialis sind), zu den Venae comi- tantes arteriae brachialis. Diese Muskelvenen verlassen grössten- theils die entsprechenden Arterienzweigchen und vereinigen sich zu einem Stämmchen, welches gewöhnlich ein ganz ansehn- liches Kaliber hat, und an der medialen Seite der übrigen im Sulcus bicipitalis verlaufenden Gebilde, namentlich hinter dem N. cutaneus internus major und medialwärts neben dem N. ulnaris oder etwas hinter ihm in die Achselhöhle auf- steigt. Findet sich aber im oberen Drittel des Oberarmes eine andere Vene vor, welche die eben bezeichnete Lage inne hat (auf solche Venen kommen wir später ausführlicher zu sprechen), so münden die erwähnten Tricepsvenen in diese, einzeln oder zu einem Stämmchen vereinigt, welches neben dieser Vene noch eine Einiges über die Vena basilica und die Venen des Oberarmes. 75 Strecke lang verlaufen kann. Dieses Verhalten habe ich ganz constant gefunden. 3) Entspringen am Oberarme mehrere sonst getrennte Arterienzweige mittelst eines gemeinsamen Stämmchens, oder sind gar alle zu einem Stamme, einer wahren Art. profunda brachii ver- einigt, so gesellen sich die entsprechenden Venen gewöhnlich nur zum Theil zu diesem Zwischenstämmchen, um es bis zu seiner Ursprungstelle zu begleiten und dort mit den V. comitantes arte- riae brachialis sich zu verbinden, indem einzelne von diesen Venen schon früher das Arterienstämmehen oder dessen Theilungsstellen verlassen, um geradenwegs zu den V. comitantes arteriae brachialis sich zu begeben und in dieselben gewissermassen entsprechend jenen Stellen sich zu ergiessen, wo sonst die betreffenden Arterien- zweige zu entspringen pflegen. 4) Auch Anastomosen zwischen den begleitenden Venen solcher Arterienzweige, welche mit einander gar nicht oder nicht immer anastomosiren, kommen constant vor, und haben gewöhnlich sogar ein nicht unbedentendes Kaliber. Von solchen Anastomosen glaube ich folgende hervorheben zu sollen: a) Zwischen den Vv. circumflexae humeri posteriores und den Vv. collaterales radiales findet sich constant eine Anastomose, welche die hintere Fläche der Sehne des M. latissimus + teres kreuzt; sie hat manchmal an ihrer Seite eine durch gewöhnliche makroskopische Injection nachweisbare Ar- terienanastomose, doch nicht immer. Denselben Weg (d. h. die Latissimussehne hinten kreuzend) nimmt bisweilen eine zu hoch entspringende Art. collateralis radialis D), oder eine zu tief ent- springende Art. eircumflexa humeri, um zu ihren Bestimmungsorten zu gelangen. ?) b) In der Achselhöhle findet sich ebenso constant entsprechend dem lateralen Rande der Scapula eine amastomotische Vene, welche ‚unterhalb der gesammten Gebilde der Achselhöhle wegzieht. Diese Vene verbindet entweder die Vv. subscapulares majores und die Vv. eircumflexae humeri posteriores mit einander, oder erstere mit den Vv. eomitantes art. axillaris, oder letztere mit der grossen l) Die Art. collateralis radialis theilt sich bei ihrem Eintritte in den Kanal des M. triceps constant in zwei gleich grosse Zweige. Manchmal entspringen beide gesondert aus der Art. brachialis. Bisweilen entspringt dann der eine höher und nimmt den bezeichneten Verlauf. 2) Diese abnormen Verlaufsweisen kommen besonders bei Vorhandensein einer Art. profunda brachii vor. 76 V. HeınrkıcHh Kapyı. Axillarvene (die Hauptmasse der Vv. subscapulares majores mün- det gewöhnlich in: die V. axillaris, dagegen die Vv. eircumflexae humeri in die Vv. comitantes art. brachialis).. Diese Anastomose verläuft quer von hinten nach vorne; manchmal zieht sie mehr schräg, fast longitudinal und erscheint daher als eine längere Vene (wenn z. B. der Ursprung der Art. circumflexa humeri ‚etwas weiter herabgerückt ist).!) Diese immerhin nicht unbeträchtliche Vene scheint mir deshalb wichtig, weil bei Operationen, welche in der Achselhöhle von unten her ausgeführt werden, dieselbe leicht ver- letzt werden könnte, besonders wenn man nur auf das Vorhanden- sein einer einfachen Achselvene gefasst ist. Die Vena basilica führt nicht blos Blut von der Hand und dem Vorderarme, sondern steht auch mit dem subcutanen Venennetze des Oberarmes in Verbindung, welches von vorne und von hinten den Oberarm umstrickt, und an der lateralen Seite ebenso mit der V. ce- phalica zusammenhängt. Die V. basilica durchbricht die Fascie unter- halb der Mitte des Oberarmes und verläuft unter dieser als V. basi- lica profunda (BArkow). Doch habe ich sehr oft nach der ganzen Länge des Suleus bieipitalis medialis noch eine dem subeutanen Netze angehörige Vene verlaufen gesehen, welche unten mit dem subcutanen Theile der V. basilica, oben mit Venen der Achselhöhle (V. axillaris, thoracica longa) zusammenhing. Manchmal entwickelt sich diese Vene zu einem ganz ansehnlichen Stämmchen, welches einen Theil des Blu- tes aus der V. basilica subcutan in die Achselhöhle führt, und als V. basilica brachialis accessoria subcutanea bezeichnet werden müsste. Die V. basilica profunda ist mitunter bis in die Achselhöhle sub- fascial als selbstständiges Gefäss zu verfolgen. In diesen Fällen liest sie an der medialen Seite der übrigen im Sulcus bicipitalis verlaufen- den Gefässe und Nerven und zwar hinter dem N. cutaneus internus major; sie wird von der Arteria brachialis und deren begleitenden Venen durch eine mächtigere Lage von Bindegewebe im oberen Drittel des Oberarmes, ausserdem durch den N. ulnaris, an dessen medialer Seite sie sich befindet, geschieden. Mit den Venae comitantes art. brachialis hängt sie in diesen Fällen nirgends unmittelbar zusammen. Dagegen nimmt sie in ihrem Verlaufe tiefe Venenzweise auf und namentlich Venen aus dem langen Kopfe des Triceps, wie schon oben angedeutet wurde. In die Achselhöhle gelangt, wird sie durch Vv. thoraeicae, sub- 1) Eine solche Vene wird von Barkow als V. communicans brachialis profunda suprema bezeichnet. Einiges über die Vena basilica und die Venen des Oberarmes. UT scapulares etc. verstärkt; es münden ferner in dieselbe auch Venae comitantes art. brachialis, welche in oben geschilderter Weise die Ar- terie verlassen haben. So entsteht nun die grosse Achselvene, welche: ihrer Richtung nach und in diesem Falle auch der Grösse nach als direkte Fortsetzung der V. basilica erscheint. Letztere könnte als das eigentliche Wurzelgefäss der Achselvene am Öberarme mit demselben Rechte als Brachialvene gelten, mit welchem man ihre Fortsetzung . als Axillarvene bezeichnet. In der überwiegenden Anzahl von Fällen nähert sich jedoch die V. basilica profunda im mittleren Theile des Oberarmes der Brachial- arterie, wie ein peripherer Zweig, welcher in ihre Venae comitantes einmünden soll. Ihr weiteres Verhalten kann sich in diesen Fällen auf zwei ver- schiedene Weisen sestalten: entweder verflicht sie sich mit den Venae comitantes unter Bildung von Anastomosen, Knoten und Netzen in der Weise, dass unter den daraus hervorgegangenen Venen keine als die eigentliche Fortsetzung der V. basilica betrachtet werden kann; oder sie anastomosirt zwar mit den Vv. comitantes art. brachialis, behauptet aber dabei auch in einem gewissen Grade ihre Selbststän- digkeit. Im letzteren Falle geht die V. basilica im mittleren Theile des Oberarmes eine kürzere oder längere Strecke neben der Art. brachia- lis als eine ihrer Vv. comitantes hinauf und verlässt sie schliesslich verstärkt oder geschwächt wieder, um im oberen Drittel des Öber- armes jene Lage anzunehmen, welche eben als der V. brachialis basi- liea zukommend. präcisirt wurde. Die Anastomosen reduciren sich manchmal nur auf einen ver- stärkenden Zweig von den Vv. comitantes, nach dessen Aufnahme die V. basilica ihren selbstständigen Verlauf weiterhin behauptet. In anderen Fällen liest die V. hbasilica in und über der Mitte des Ober- armes der medialen Seite der Brachialarterie dicht an (nachdem sie z. B. mit der medialen Öomitans sich vereinigt hat) und geht mit den übrigen Comitantes zahlreiche Anastomosen ein. Erst in der Nähe der Achselhöhle verlässt diese aus der Basilica hervorgegangene Comi- tans die Arterie, um gegen die V. axillaris ganz in derselben Weise zu ziehen, wie es oben von den Vv. comitantes im Allgemeinen gesagt wurde. In diesen Fällen findet man jedoch im oberen Drittel des Oherarmes eine andere Vene (aus dem langen Tricepskopfe hervor- gehend), welche medialrückwärts vom N. ulnaris einen selbstständigen - Verlauf in die Achselhöhle nimmt. Endlich gibt es, wie schon erwähnt, Fälle, in welchen die Vena 78 V. Heınkıch Kapyı. basilica im Netze der Vv. comitantes ganz aufgeht. In solchen Fällen sehen aus den Verflechtungen aller dieser Venen einerseits Vv. co- mitantes für das obere Stück der Art. brachialis hervor, anderseits ent- wickelt sich eine oder selbst mehrere Venen nach einander, welche schon im oberen Drittel des Oberarmes die Arterie verlassen haben, hinter dem N. cutaneus internus major medialwärts vom N. ulnaris zur Achselvene aufsteigen, welche daher ihrer Richtung nach als deren Fortsetzung erscheint. Es kann sogar vorkommen, dass zur Bildung solcher Wurzelvenen der Achselvene am Oberarme die Vena basilica gar nichts beiträgt und eine solche Brachialvene geradezu als Fortsetzung einer V. comi- tans art. brachialis, welche von der Arterie sich emancipirt, erscheint. Ein diesbezügliches von mir verfertigtes Präparat befindet sich im Wiener Museum. Uebersicht über das ganze venöse System des Oberarmes. Die Arteria brachialis und alle ihre Zweige werden von netzförmig anastomosirenden Venen begleitet, welche in ihrer Anlage das von den entsprechenden Arterien in der Peripherie vertheilte Blut gegen das Centrum zurückführen. Die grossen Venen (V. axillaris, subelavia) behaupten gegenüber den entsprechenden Arterien eine gewisse Selbstständigkeit, indem sie von ihnen in Bezug auf Lage und Astfolge abweichen. Das Blut, welches kleinere Arterien in der Peripherie vertheilen, wird aber auch nicht immer vollständig von ihren Venae comitan- tes aufgenommen. Man findet nicht nur unter der Haut, sondern auch allenthalben in der Tiefe ausser Vv. comitantes arteriarum noch Venen, welche, ohne irgend einer Arterie zu folgen, für sich zwischen Muskeln und Fascien verlaufen. Je zahlreichere und je grössere solche selbstständige Venen das Blut aus dem Gebiete einer Arterie ableiten, desto kleiner müssen natürlicherweise ihre Vv. co- mitantes ausfallen. Das differente Verhalten der Venen wird ander- seits desto auffallender, je grössere Zweige und Aeste es betrifft, je mehr man also von der Peripherie gegen das Centrum fortschreitet. Während Abweichungen kleinerer Venen dadurch sich ausgleichen, dass dieselben in Vv. comitantes einer Arterie höherer Ordnung ein- münden, so erfolgt dies bei Venenstämmen nicht mehr. Denn wenn Venen, welche einem Arterienhauptstamme entsprechen, einen selbst- ständigen Verlauf genommen haben, so vereinigen sie sich nicht mehr mit den Vv. comitantes der entsprechenden Arterie, sondern behaup- ten ihre besondere Lage, erlangen schliesslich auch an Grösse das Uebergewicht und sind als die eigentlichen den Arterienstämmen ent- Einiges über die Vena basilica und die Veren des Oberarmes. 79 sprechenden Venen anzusehen, während die Vv. comitantes dieser Arterien ganz unbedeutend werden und in Folge dessen leicht zu übersehen sind. Auf diese Weise varlirt also die Zusammensetzung der V. axil- laris. Gewöhnlich findet man schon in der oberen Hälfte des Ober- armes, in seinem obersten Theile ganz constant eine oder sogar mehrere Venen, welche keine Vv. comitantes arteriae brachialis sind und es auch in ihrem weiteren Verlaufe nicht mehr werden, sondern an der medialen Seite aller der übrigen im Sulcus bicipitalis verlaufenden Gebilde, und zwar hinter dem N. cutaneus internus major medial- wärts vom N. ulnaris gegen die Achselhöhle hinaufziehen. Sie liegen nicht mehr in der Gefässscheide der Oberarmarterie, in welcher auch hier noch ansehnliche Vv. comitantes eingeschlossen sind, darunter ge- wöhnlich auch eine mediale. Die letztere ist wohl zu unterscheiden von diesen selbstständig verlaufenden Venen, welche um so mehr als die eigentlichen Wurzelvenen der V. axillaris zu betrachten sind, da sie ihrer Richtung nach als deren Verlängerung erscheint. Diese einfache oder mehrfache Wurzelvene der V. axillaris, welche zum Unterschiede von den Vv. comitantes art. brachialis, kurz als V. brachialis bezeichnet werden könnte, ist entweder die direkte Fort- setzung der V. basilica, oder geht aus Verflechtungen derselben mit den Vv. comitantes art. brachialis hervor, sie kann auch von letz- teren allein abstammen, oder aus der Vereinigung von Tricepsvenen zu einem Stämmchen hervorgehen. Durch Verstärkung dieser Wurzelvenen kommt nun in der Achsel- höhle allmählich eine grosse Vene zu Stande, während die Vv. co- mitantes der Arterie in demselben Maasse nach und nach kleiner wer- den, jedoch immer noch bis jenseits der Scalenuslücke verfolgt werden können. Schon am Oberarme zeigen die Vv. comitantes die Tendenz von der Arterie nach einer gewissen Richtung hin abzulenken, näm- lich dorthin, wo die V. axillaris gebildet wird. Wenn wir dieses Schema für die Venen des Oberarmes gelten lassen, so finden die Varietäten der V. basilica leicht ihre Erklärung. ‘Die V. basilica ist nämlich als ein peripherer Zweig aufzufassen, welcher in der Mitte des Oberarmes in die Vv. comitantes arteriae bra- chialis münden soll. Da nun alsbald über der Mitte des Oberarmes die Bildung einer Brachialvene beginnt, welche als eigentliches Wurzel- gefäss der Axillarvene einen von der Arterie unabhängigen Verlauf in die Axelhöhle nimmt, so steht Nichts im Wege, dass die V. basi- lica zur Bildung dieser Vene mehr oder weniger beitrage oder sogar ganz in dieselbe übergehe. s0 V. Heınrıch Kıpyı. Chirurgisch-anatomische Bemerkungen. Da unter allen Umständen, sei es, dass die V. basilica in der Mitte des Oberarmes zu den sog. tiefen Brachialvenen sich gesellt oder nicht, im obersten Theile des Oberarmes ausser den die Oberarm- arterie begleitenden Venen eine immer ziemlich ansehnliche Brachial- vene sich findet, welche nicht neben der Arterie liest, so verdient dieser Umstand bei Unterbindung der Arteria brachialis im oberen Drittel des Oberarmes berücksichtigt zu werden. Die im Suleus bieipitalis medialis verlaufenden Gefässe und Ner- ven liegen im oberen Drittel des Oberarmes von der medialen Seite betrachtet gewissermassen in zwei Schichten. In der oberflächlicheren Schichte findet man den N. cutaneus internus major und eine Brachial- vene (welche jedoch nicht nothwendig Fortsetzung der V. basilica ist); letztere liegt weiter hinten, d. i. gegen die Streckseite hin, als der Nerv. In der zweiten Schichte liest von der Beugeseite gegen die Streckseite hin gezählt: der N. medianus, die Arteria brachialis mit ihren begleitenden Venen und der N. ulnaris. Noch tiefer lateral- wärts vom N. medianus und gewissermassen in einer dritten Schichte liegt der N. musculo-cutaneus, welcher sich jedoch bald im M. coraco- brachialis verbirgt. Die zweite Schichte wird von der ersten nur zum Theil bedeckt, indem der N. medianus von der Beugeseite ganz, der N. ulnaris von ‚der Streckseite her zum Theil blosliest. Der N. cutaneus internus liegt gerade auf der Art. brachialis und ihrer venösen Begleitung, die Vene mehr hinten und verdeckt mehr oder weniger den N. ulnaris. Die erste Schichte wird von der zweiten durch eine Lage von Bindegewebe geschieden, wie solches überhaupt zwischen allen im Suleus bieipitalis liegenden Gebilden sich befindet, und jedes von ihnen scheidenartig umhüllt. Nur die Vv. comitantes liegen der Art. bra- chialis dicht an und sind mit ihr gewissermassen iu eine gemeinsame Scheide eingeschlossen. Will man also die Art. brachialis sicher treffen, so muss man im Sulcus bieipitalis zwischen dem N. medianus und N. cutaneus internus major in die Tiefe dringen. Geht man hinter dem letzteren ein, so kommt man erstens in eine unangenehme Berührung mit einer grösse- ren Vene, welche hätte vermieden werden können, und zweitens ge- langt man, sobald man diese Vene verschiebt, auf den N. ulnaris; man kommt zuweit nach hinten, irrt zwischen Gefässen und Nerven umher, und findet schliesslich die Art. brachialis erst dann, nachdem man alle Gebilde im Suleus bicipitalis von einander losgelöst, fast präparirt hat. Einiges über die Vena basilica und die Venen des Oberarmes. 81 Namentlich darf man durch den Anblick einer grossen Vene im Suleus bicipitalis, welche gleich nach dessen Eröffnung zum Vorschein kommt, sich nicht verleiten lassen, die Art. brachialis unter ihr zu suchen — denn diese Vene ist gewiss keine Comitans der Arterie, sondern liest gewöhnlich sogar ziemlich beträchtlich von ihr entfernt. Wenn man dagegen, nachdem man den N. cutaneus internus nach hinten gezogen hat, zwischen ihm und dem N. medianus eine Vene erblickt, so ist diese eine von den Vv. comitantes und die Arterie liegt dicht neben ihr. Liegt der N. medianus hinter der Arterie, was ziemlich häufig und zwar bei Vorhandensein einer Art. profunda brachii constant vorkommt, so hat diese V. brachialis zu dem N. medianus dieselbe Lage, wie sonst zur Arterie und ist in Folge dessen von der Brachial- arterie und ihren Vv. comitantes noch mehr entfernt. Wenn man also in einem solchen Falle die Art. brachialis unter dieser - Vene sucht, so rächt sich dieser Missgriff noch empfindlicher als bei nor- malen Fällen. Zeitschrift f. Anatomie. Bd. II. 6 v1. Beobachtungen über die Anastomosen des Nervus hypoglossus. Von Moriz Holl. (Hierzu Tafel VI.) Unter den Anastomosen, die der Zungenfleischnerv eingeht, sind die am ältesten bekannten die mit den Cervicalnerven, und diese sind erst in neuerer Zeit mittelst anatomischer Präparation oder durch Reizungsversuche der verschiedenen Nervenstämme einer genaueren Be- arbeitung unterzogen werden. Die Resultate, die sich ergaben, waren theils übereinstimmender, theils widersprechender Natur. Obgleich man die Anastomosen des Hypoglossus mit den Cervicalnerven schon zu GAvEN’s!) Zeiten kannte, so wurden sie von allen Autoren bis auf die Neuzeit doch nur einer oberflächlichen Behandlung unterzogen, und in Betreff dieser Anastomosen herrschte immer ein Dunkel, bis VOLKMANN ?) und LonGgET?) durch ihre schönen Versuche zeigten, dass diese Verbindungen keinestheils Anastomosen im wahren Sinne des Wortes seien, und bis Bacm*) (der unberücksichtigt blieb), LuscHkA?°) und später BiscHorr‘) eine genauere Detaillirung der l) De usu partium, lib. IX. 2) 1. Ueber die motorischen Wirkungen der Kopf- und Halsnerven. 2. Beob- achtungen und Reflexionen über Nervenanastomosen. Mürrer’s Archiv. 1840. S. 475 und 510. 3) Anatomie und Physiologie des Nervensystems des Menschen und der Wirbelthiere, von F. A. Longer, übersetzt von Dr. J. A. Hxrın. Leipzig 1849. II. Bd. S. 408. 4) Annotationes de nervis Hypoglosso et laryngeis. Turiei 1834. p. 12. 5) Die sensitiven Zweige des Zungenfleischnerven des Menschen. MüLtEr’s Archiv 1856. 8. 62. 6) Mikroskopische Analyse der Kopfnerven. München 1865. 8. 32. Beobachtungen über die Anastomosen des Nervus hypoglossus. 83 Verhältnisse brachten. BAcam (l. ec.) hat auch vor Luschka (l. ce.) das Verdienst, den Ramus descendens hypoglossi, als aus Cervicalis- fasern bestehend, entdeckt zu haben. Die Aeste von Cervicalnerven, welche zu den Zunsenfleischnenren treten, kann man (wie später ersichtlich werden wird) füglich in drei Abtheilungen bringen: Erstens in solche, welche oben an den Stamm treten, central- wärts in der Scheide desselben weiter ziehen, zweitens welche auch oben in den verticalen Stamm eintreten, peripher an der Convexität des Hypoglossus abgehen (Theil des Descerdens), und drittens, welche von unten aufsteigen, in den horizontalen "Theil eintreten, sich an den unteren Rand des Zungenfleischnerven anlegen, mit ihm gegen die Medianlinie schreiten, dann aber sich von ihm wieder trennen. Die Aeste der ersten Kategorie gehören dem Muse. rect. capit. ant. major et minor, die der zweiten sind Antheile des Nervus cer- vicalis descendens HEnrtE!) (Ram. desc. hypoglossi autorum) und die der dritten endlich sind Nervenfasern, von VOLKMANN?) und BISCHOFF (l. c. p. 35) erwähnt, die im Ram. descend. aufsteigen, und deren Anatomie von mir einer genaueren Untersuchung unterzogen worden ist. Diese aufsteigenden Nervenfasern könnten den Namen Nervus cervic. ascendens mit vollem Rechte für sich in Anspruch nehmen, indem sie, wie gezeigt werden wird, eine grössere Rolle als der Descendens spielen. Es wurden gegen fünfzig Präparate angefertigt, um das eigent- liche Verhältniss der Cervicalnerven zum Hypoglossus zu erforschen, und das Resultat der Untersuchungen will ich in Folgendem wieder- geben: Der vordere Zweig des ersten Cervicalis theilt sich, nachdem er zum inneren Rande des Muse. rect. cap. lat., zur vorderen Fläche der Wirbelsäule gekommen ist, benannten Muskel mit einem Aste innervirt und mit dem Sympathicus anastomosirt hat, in zwei Stämmchen, ein oberes und ein unteres; das erstere tritt unter einem beiläufig rechten Winkel an den Hypoglossus heran und senkt sich in dessen Scheide ein (Fig. Ta); das andere (Fig. Ib) steigt ab und dient zur Verbin- dung mit dem zweiten Cervicalis; dadurch wird eine bogenförmige Anastomose gebildet, die eine erste Ansa cervicalis darstellt und in 1) Handbuch der systematischen Anatomie des Menschen. III. Bd. 2. Abtheil. S. 466. Braunschweig 1871. 2) Ueber die motorischen Wirkungen der Kopf- und Halsnerven. MÜLLER’s Archiv. S. 502. 6* 84 VI. Morız How1. den weitaus meisten Fällen angetroffen wird. Der zweite Halsnerv entsendet einen Ast hinauf zu den in die Hypoglossus- Scheide einge- tretenen Faden vom ersten Cervicalis; derselbe schmiegt sich enge an ihn, läuft medialwärts, tritt auch in die Scheide (Fig. Ic) und läuft, mehr oder weniger deutlich sichtbar, am convexen Rande des Zungen- fleischnerven herab, durchbricht an dessen Uebergang in den horizontal verlaufenden Stamm die Scheide (nachdem er noch vor seinem Aus- tritte einen Faden, am Hypoglossus ziehend, gegen die Medianlinie schickte), und erscheint als Nervus cervicalis descendens auf der vor- deren Peripherie der Vena jugularis interna. Er erzeugt dann im weiteren Verlaufe mit den zweiten und dritten Cervicalnerven durch anastomotische Verbindungen die sogenannten Ansae cervicales und innervirt zugleich mit Nervenfäden benannter Üervicalstäimme die Gruppe der Unterzungenbeinmuskulatur. Vom Hypoglossus tritt kein Faden zu ihm, und der Nervus. cer- vicalis descendens ist in Folge dessen nicht, wie HENLE (l. c.) angibt, aus dem Ramus descendens N. hypoglossi und Cervicalnerven gebildet. Der bereits erörterte Verlauf des N. cerv. descendens in der Hypo- glossus-Scheide lässt sich stets aufs. genaueste verfolgen und aufmerk- sam betrachtet, sieht man recht häufig diesen Nerven durch eine seichte oder auch tiefe Rinne vom Hypoglossus abgegrenzt. Diesen Sulcus hat schon BacH (l. c. p. 13) gekannt, welcher vor LuscHkA (l. c.) den Descendens seines Charakters als Zweiges eines Hirnnerven entkleidete, den Eintritt des Cervicalis hoch oben in die Scheide, den Verlauf und sei- nen Abgang trefiend mit folgenden Worten schildert: „Normalis rami descendens origo ex disquisitionibus meis haec apparuit: Ex Ansa primi et secundi nervi cervicalis ramus satis crassus nascitur, qui uno vel pluribus filis e ganglio cervicali supremo receptis, inferiorem mar- ginem nervi hypoglossi stringit, ita tamen, ut in substantiam ejus non transgrediatur. : Re etiam obiter inspecta saepissime inter ramum lingualem nervi hypoglossi et ramum descendentem manifestus, saepius adeo profundus sulcus conspieitur, unde amborum nervorum disjunctio statim cogno- scitur. ; Postquam nervus hoc modo per spatium nunc longius, nunc bre- vius juxta arcum nervi hypoglossi decurrit, rursus ab eo sejungitur, et eodem fere loco, ubi arteriam carotidem facialem supergreditur, aut unum erassius, aut plura tenuiora fila e trunco nervi hypoglossi recipit; quo facto, ratione, quam deinceps descripturus sum, dividitur. Quae rami descendentis origo, jam enarrata, saepissime observatur, et ideirco normalis aestimanda est.“ Beobachtungen über die Anastomosen des Nervus hypoglossus. 85 LuscHka (]. ce. S. 70) hat später in Betreff dieses Verhaltens Aehn- liehes beschrieben, wie soeben von BAcH eitirt wurde; er schreibt: „In Betreff des Descendens hypoglossi habe ich mich schon früher dahin ausgesprochen, dass er mindestens in manchen Fällen mit dem Ursprung des Zungenfleischnerven in gar keiner Beziehung stehe. Nach einer grösseren Anzahl neuerer, mit aller möglichen Sorgfalt ange- stellten Untersuchungen bin ich vollends zur Ueberzeugung gekommen, dass der Descendens überhaupt nie vom Hypoglossus abstamme, son- dern bald von einem Zweige des ersten Cervicalnerven allein, bald von diesem und einem aus dem zweiten Cervicalnerven herrührenden Fädchen zugleich gebildet werde, welches sich aber schon hoch oben in die Scheide des Hypoglossus einsenke und erst da wieder unter spitzem Winkel abtrete, wo er anfänst, in seinen Bogen überzu- gehen.“ Dass auch VOLKMANN (]. c.) und LoNGEr (]. c. p. 411) den Descen- - dens für aus Cervicalfasern bestehend erachten, erwähnt BISCHOorr (l. ce. S. 33 und 34) genau. Er selbst lässt ihn auch aus Halsnerven bestehen und sagt: „Man findet immer einen oder mehrere Aeste des ersten Halsnerven, welche peripherisch in den Stamm des Hypoglossus über- gehen. In der That sieht man dann zuweilen den stärksten dieser Aeste so an dem äusseren Rande des Hypoglossus herablaufen, dass man ihn wenigstens theilweise bis zu dessen R. descendens verfolgen kann, obwohl er sich unterwegs auch mit anderen Fasern des Hypo- glossus geflechtartig verbindet.“ Ein wichtiges und nicht gar selten anzutreffendes Verhalten ist, dass der Cervicalnerv gar nicht in der Scheide des Hypoglossus herabzieht; statt dessen steigt benannter Nerv bei seinem Ursprunge vom zwei- ten Cervicalis zum erwähnten Ast des ersten Halsnerven auf, begleitet, an letzteren gelagert, denselben bis zu seinem Eintritte in die Scheide, sendet nun ein feines Filament hinein (das sich später von den Hypo- glossusfasern wieder absondert). Er selbst aber tritt gar nicht ein, sondern in einem beträchtlichen Zwischenraume vom Hypoglossus ent- fernt, läuft er parallel mit ihm herab (Fig. Ild), nähert sich ihm an dessen stärkster Convexität und ist an ihn durch Nerven gekettet, die vom zweiten oder dritten Cervicalis, oder gemeinsam aus beiden ent- springend in diesem absteigenden Aste aufsteigen (Fig. Ila), peripher 'in den horizontalen Antheil des zwölften Hirnnerven eintreten, mit ihm eine Strecke im Neurilemm eingeschlossen verlaufen und sich dann peripher (in Muskeln) verzweigen, wie später ersichtlich sein wird. Man sieht also an dergleichen Präparaten, wie der Nervus cervicalis descen- dens abseit vom zwölften Hirnnerven seine eigene Bahn zieht, und 56. VI. Morız Hot. wie dieser Ramus einerseits nur hoch oben und andererseits am con- vexen Rande mit ihm zusammenhängt. Solche Fälle werden unter zehn Schädeln (zwanzig Präparaten) ein- oder zweimal angetroffen, und zwar findet man dies beiderseitig oder unilateral, welch ersteres jedoch häufiger der Fall ist. Solche Objecte namentlich bieten das klarste Bild, als Beweis, dass der Ramus descendens hypoglossi auto- rum ein absteigender Cervicalnerv sei; es bedarf dabei keines weiteren besonderen Präparirens. Aber auch in anderen Fällen, wo der Nerv im Neurilemm eingeschlossen liest, ist es nicht besonders schwer, seinem Verlaufe im Grossen und Ganzen nachzugehen. So findet die von Bach (l. c. p. 12) zuerst aufgestellte These abermaligen Beweis: A „Ramus descendens. Quem nervum, quum adhuc semper ramum nervi hypoglossi esse et in decursu singula tantum fila e nervis cervi- calibus vicinis recipere putaverint, ecquidem, qui ejus originem in permultis cadaveribus accurate investigaverim, perscrutationibus illis crebris id mihi consecutus esse videor, ut sententiae istae, ex qua ramus descendens e nervo hypoglosso natus putatur, firmiter contradicere atque contra affırmare possim, eum e systemate nervorum spinalium oriri.“ Er nennt ihn auch den Hals-Athmungsnerven, Nervus respira- torius colli und rechnet ihn zu den Berr’schen Athmungsnerven. Was nun detaillirter die Verbindung des ersten Halsnerven mit dem Hypoglossus anbelangt, so findet man bei aufmerksamster und sehr vorsichtiger Präparation mit Zuhilfenahme der Loupe folgende Verhältnisse: Der an und für sich schwache Nervenast des ersten Cervicalis (Fig. Ta) theilt sich, nachdem er in das Neurilemm des zwölften Hirnnerven eingetreten, in einen oberen (Fig. Id) und einen unteren Ast (Fig. Ie). Der untere Ast nimmt einen peripheren Ver- lauf, tritt im Hypoglossus abwärts, verwebt sich mit den Fasern des- selben auf das Innigste, isolirt sich aber, aufmerksam präparirt und verfolgt, aufs bestimmteste wieder und verstärkt den in der Scheide decurrirenden Nervus cervicalis descendens. Dieses Reiserchen verlangt um seinen Verlauf sicher zu wissen, sehr viel Mühe, und man muss Punkt für Punkt mit der Loupe verfolgen. Anfangs suchte ich den Weg dieses Aestchens mittelst des Mikroskopes zu verfolgen, indem einerseits wegen der nothwendigen Quetschung des verhältnissmässig colossal dicken Hypoglossus diese feinsten Filamente von dem groben Nervenstamme verdeckt und sie andererseits durch den angebrach- ten Druck aus ihrer Richtung gebracht werden. (Von der Unter- suchungsmethode bei mikroskopischer Präparation später) Ich habe einen Fall gesehen, wo der vom zweiten Cervicalis herrührende descen- Beobachtungen über die Anastomosen des Nervus hypoglossus. 87 x dens sehr schwach war; da prävalirte dieses Aestchen bedeutend und vertrat gleichsam dessen Stelle. Ferner kann der Fall eintreten, wo beide sehr zart sind und der Cerv. descend. nur als sehr dünnes Fila- ment angetroffen wird und nahe seinem Ende nur deswegen dicker erscheint, weil in ihm cervicale Fasern aufsteigen, die bereits früher oberflächlich erwähnt wurden. Was das obere Aestchen (Fig. Id) betrifit, so zeigt sich, dass es sich in zwei oder auch in drei Stämmchen spaltet, wovon jedes isolirt im Stamme weiter zieht und centralwärts gerichtet ist. Die Aeste (Fig. If, g, h) halten aber nicht alle die centrale Richtung aufrecht, sondern ein oder das andere Aestchen biegt, nachdem es kurze Zeit benannten Weg gezogen, um (Fig. If) und verstärkt abermals den Nervus cervicalis descendens. Von einem andern Aestchen (Fig. Ig) mit centraler Verlaufsweise gilt, was LUSCHRA (l. e. S. 71) sagt: „In einem Falle sah ich ein von dem vordersten Aste des ersten Öervicalnerven abgehendes Fädchen, so unter einem mit der Convexität nach abwärts gerichteten Bogen aufsteigen und sich ein Centimeter unter dem Üa- nalis hypoglossi in den Stamm des Zungenlleischnerven einsenken, dass ohne weitere Nachforschung Niemand daran gezweifelt hätte, es laufe der Wurzel jenes Nerven entlang direct in die Medulla oblon- sata, bis ich endlich fand, dass ein anscheinend unmittelbar aus dem Stamm des Hypoglossus abtretendes Fädchen, welches sich zum Museul. rect. capit. antic. minor begab, nichts anderes war, als das von dem Hypoglossus wieder abgelöste Ende eben jenes Cervicalzweiges.“ Be- sprochenes Aestchen ist bestimmt dieser bezeichnete Muskelnerv, und ich habe immer sehr deutlich gefunden, dass es sich in der Gegend des Austrittes des Zungenflleischnerven aus dem foramen condyloideum anticum von ihm entfernt, die dura mater, die denselben hinausbeglei- tet, perforirt und in den an diesen Canal angrenzenden vorderen, ge- raden, kleinen Kopfmuskel tritt, nachdem es nach der Perforation plötzlich stärker geworden; jedoch nur scheinbar, indem es von dem Neurilemm eine relativ bedeutende Bindegewebsscheide mitgenommen hat. Dieser Nerv beschreibt eine kleine Spiraltour, indem er am äusse- ren Rande des zwölften Hirnnerven gelegen, um die hintere Peripherie desselben zur inneren aufsteigt. Es kann aber der Fall eintreten, dass dieser Muskelnerv, wie ich an einem Präparate vor mir sehe, bald nach dem Austritte des ersten Cervicalis aus dem for. intervertebr. von ihm abgesandt wird, sehr lose hinter dem Hypoglossus sich anlegend, an dessen innerer Peripherie aufsteigt, und von unten und seibwärts in benannten Muskel sich begibt, ohne mit dem centralen Ende des Hypoglossus in nähere Berührung zu treten. 88 VI. Morız Horn. Ein letztes Aestchen (Fig. Ih), (Hyrrr's') Schlinge ohne Ende), lief in der Scheide auch central, wurde aber in der Nähe des for. condyl. ant. so fein, dass es mir unmöglich war, dasselbe weiter zu verfolgen, wollte ich kein falsches Bild erhalten. Dieses Aestchen nun würde mit der Beschreibung eines central laufenden Fadens von BIscHoFr (l. c. p. 32) übereinstimmen, den er jedoch sympathischen Ur- sprunges und für die dura mater des for. condyl. ant. berechnet hält. An meinem Präparate fand ich aber, dass der Hypoglossus bei seinem Ursprunge aus der Medulla oblongata von der motorischen Portion des ersten Cervicalis ein feines Stämmchen erhält, welches mit ihm durch den Nervenkanal tritt und sich im Hypoglossus verliert. Nun wirft sich die Frage auf, ob dieses soeben besprochene centrale Fädchen nicht authentisch mit diesem sei, von welchem sich nur der Zusammen- hang nicht finden liess, und ob nicht jener motorische Faden den Umweg durch den Canalis hypoglossi genommen, eine Strecke im Neurilemm dieses Hirnnerven eingebettet verlaufe und dann wieder austretend, zu seinem Cervicalis zurückkomme; indem ja die Halsner- ven die Eigenthümlichkeit zeigen, mit den Hypoglossusfasern scheinbar zu verschmelzen, dann aber doch wieder ihren eigenen Weg ziehen. Der Nervenzweig für den Muse. rect. capit. antic. major (Fig. Ti) ist ein Ast des ersten Halsnerven und läuft hinter dem Hypoglossus zu seinem Muskel. Derselbe kann auch, wie der für den Muse. rect. capit. antic. minor eine kleine Strecke central im Hypoglossus ziehen, geht aber sehr bald wieder weg, und ist in diesem Falle sehr locker mit ihm verbunden. LuscHkA (l. c. S. 72) erwähnt, dass dieser Nerv auch im Ramus descendens eingeschlossen verlaufen kann. Beim Durchtritte durch das vordere Gelenksloch des Hinterhaupt- beines gibt der Zungenfleischnerv den von dem soeben erwähnten Autor (l. e. 8. 80) und RÜDINGER?) beschriebenen Zweig für die dura mater dieses Kanales und den angrenzenden Sinus occeipitalis ab. Den Ab- gang dieses Nervchens fand ich jedoch anders, als LuschkA (l. ce.) an- gegeben, der den Faden erst am Ende des Kanales vom Hypoglossus abzweigen und ihn dann umbiegend in seine Endigungen sich aus- breiten lässt. Dieses Filament fand ich schon im Anfange des Kana- les sich vom Zungenfleischnerven isoliren und an einem Objecte war es bereits vom Ursprunge bis zur Ramification ganz isolirt und erschien als reine Hypoglossusfaser, die selbstständig verlief, ja sogar in einer eigenen Scheide eingeschlossen des Weges zog. Nach RÜDINGER (|. e.) 1) Nat. hist. Review. Jan. 1863. p. 9. 3) Die Anatomie der menschlichen Gehirnnerven. München 1868. 8. 62. Beobachtungen über die Anastomosen des Nervus hypoglossus. 89 und BiscHorr (l. c. S. 32) ist dieses Stämmchen sympathischer Natur, entstanden aus Verbindungen des Sympathieus mit dem Hypoglossus oder Cervicalnerven; ich forschte eifrig einer solchen Verbindung nach, es gelang mir jedoch nicht, eine solche zu entdecken. Die Anastomosen des Hypoglossus mit dem Vagus fand ich genau so, wie sie LuscHkA (l. c. S. 72 und 73) und BiscHorr (l. c. 8. 33) beschreiben, nämlich, dass vom Vagus zum zwölften Hirnnerven Fasern treten, die sich bestimmt wieder. von ihm entfernen. Da mir unter den Präparaten, die ich anfertigte, keines zu Händen kam, wo ein Nervus cardiacus aus der Ansa abgeht, so konnte ich auch die im Falle des Vorhandenseins eines Cardiacus bestehende Anastomose nicht finden. Ich glaube aber, dass auch in diesen seltenen Fällen dieser zum Herzuerven treten sollende Vagusast der Ansa angehörig ist, indem ja die Cervicalnerven die schon erwähnte Eigenthümlichkeit besitzen, mit anderen Nervenstämmen in Pseudo-Verbindungen zu treten, sich aber wieder frei machen, um als selbstständige Nerven zu Tage zu kommen. Nervus cervicalis descendens (HEnLe). Der erste Anstoss zur genaueren Detaillirung wurde nach BAcn (l. ce. p. 12) von VOLk- MANN (l. c. S. 501) und Longer (l. c.) gegeben, welche zum grössten Theile den wahren Sachverhalt erkannten; ihnen foleten bald LuscHhKA (l. ec. 8. 12) und BiIscHorr (l. c.). Letzterer sagt, dass VOLKMANN (|. c.) vor Allen die Existenz eines vom Hypoglossus abgehenden Ramus descendens in Zweifel zog, und dass derselbe sowohl durch seine mi- kroskopischen Analysen, als auch durch Reizungsversuche den cervi- calen Charakter dieses Astes behauptete. LoNnGET (l. c.) folgte seiner Beschreibung und bestätigte diese Thatsache, wie auch LuscHkA (l. ce.) und BIscHorr (l. ce... Der Erste aber, der den Ramus descendens hypoglossi als einen Cervicalnerven erkannte, war nicht VOLKMANN (l. e.), sondern CHRISTOPH BACH (l. c.), wie bereits früher erörtert wurde. An meinen Präparaten fand ich in Betreff dieses Nerven folgende Verhältnisse: Der Descendens wird gebildet von dem früher erwähn- ten Aste des zweiten Cerviealis, der sich hoch oben in die Scheide des Zungenfleischnerven einsenkt, an dessen Uebergang in den hori- zontalen Antheil von ihm entfernt, um sich als absteigender Ast zu präsentiren. (Bevor er jedoch vom Hypoglossus scheidet, sendet er einen Faden (Fig. Ik), der meist sehr dünn ist, parallel mit dem Hypoglossus peripher.) Ich muss von vornherein gleich erwähnen, dass der Descendens, wie er am Hypoglossus anliegt, kein einzelner Nervenfaden, sondern ein in sich abgeschlossener Nervenplexus ist, 90 VI. Morız Hornt. wie dies Fig. V deutlich erweist, und welches auch BIscHorr (]. c. 5. 35) constatirte. Der Einfachheit der Beschreibung halber wollen wir diesen Nervenplexus als einen Faden beschreiben. Der Ramus descendens verbindet sich zum Theile mit Nervenstämmen von zweiten und drit- ten Halsnerven, wodurch die bekannte Ansa cervicalis erzeugt wird, und sein Endast versorgt dann in Gemeinschaft mit den übrigen Zwei- gen der letztgenannten Cervicales die Herabzieher des Zungenbeines, mit Ausnahme des Musc. hyo-thyreoideus. Einzelne, öfters ziemlich dicke Fäden letzterer Cervicalnerven steigen aber am inneren Rande des Nervus cervicalis descendens zum Hypoglossusbogen auf, treten an das periphere Stück hinan, laufen in der Scheide eingeschlossen, dem unteren Rande des Nerven entlang zur Medianlinie, und sind durch eine mehr oder weniger tiefe Furche von demselben abge- orenzt (Fig. Im). Dieser Nerv verstärkt sich durch die früher vom Descendens abgegangenen, medianwärts gerichteten Filamente (Fig. Ik). Bisher hatte man die Meinung, dass der Hypoglossus, beim grossen Zungenbeinhorne angelangt, sich von Cervicalnervenfasern pu- rifieirt habe, und dass es des Hypoglossus Aufgabe ist, die Gruppe der Muskeln, die über dem Os hyoideum gelagert sind und sich an dem- selben inseriren, und überdies noch den Muse. hyo-thyreoideus zu in- nerviren, dass also diese Muskeln ihre Innervation dem zwölften Hirn- nerven zu verdanken haben. Dies ist aber nicht richtig; denn, wie ich-mich auf das Bestimmteste überzeugt habe, werden zwei Muskeln, die Musc. geniohyoideus und hyo-thyreoideus von Cervicalfasern ver- sorgt. Bei aufmerksamer Präparation gewahrt man nämlich, wie der besprochene im Descendens aufgestiegene Cervicalis, nachdem er eine kurze Strecke am unteren Hypoglossusrande verlaufen, unter stumpfem Winkel einen Ast für letztgenannten Muskel abgibt (Fig. In), weiter zieht, um unter spitzem Winkel einen gleichen für den Musc. genio- hyoideus zu entsenden (Fig. Io). Nach Abgabe dieser zwei Aeste hat sich der ascendente Cervicalnerv so erschöpft, dass nur ein feines Filament überbleibt (Fig. Ip), welches mit den Hypoglossus-Fibrillen in den Musc. genioglossus zieht und so fein wird, dass es sich darin- nen nicht weiter verfolgen lässt. Es scheint mir aber nicht als mo- torischer Nerv einzudringen, sondern sensitiver Natur zu sein und zur Schleimhaut der Zunge zu gehen. Ich will dies jedoch nicht be- haupten, sondern nur als Meinung anführen, indem mir der Zweck dieses Filamentes als motorischer Nerv nicht recht einleuchtet, weil ja die Zungenmuskulatur hinlänglich reich mit motorischen Nerven vom Hypoglossus versorgt wird. > Beobachtungen über die Anastomosen des Nervus hypoglossus. 91 Die Ansa hypoglossi suprahyoidea Hyrru!) erscheint dem- .„ nach als eine Ansa cervicalis suprahyoidea. Dass im Descendens auch aufsteigende Fasern vorkommen, zeigte schon BISCHorr (l. e. S. 35). Diese Art von Zungenbeinmuskel-Versorgung durch Cervicalnerven, wie überhaupt das ganze Verhalten des Descendens zum Hypoglossus scheinen mir durch die classischen Versuche, die VOLKMANN (l. c. 8.505) - angestellt, ihre Bestätigung zu finden, oder vielmehr, sie bekräftigen die Resultate, die der berühmte Forscher bei seinen Experimenten erhal- ten, auf das Genaueste. Er sagt unter Anderem: „Wurde bei frisch geschlachteten Kälbern der erste Halsnerv an seiner Wurzel gereizt, so wurden die M. sternohyoideus, sternothyreoideus und thyreohyoideus be- wegt.“ Und an einer anderen Stelle Folgendes (l. e. S. 506): „Bei einem frisch geschlachteten Schafe wurden die Zungenmuskeln von der Kehle aus frei gelegt, und der absteigende Ast des zwölften Paares durch- schnitten. Im Augenblick des Durchschneidens zuckte der Geniohyoideus und bei jeder mechanischen Reizung wiederholte sich diese Zuckung. - Hierauf wurde der Descendens auf einer Glasplatte isolirt und galva- nisch gereizt. Jetzt zuckte auch der Hypoglossus, allem Anscheine nach primär, und mehrere andere Muskeln, bei welchen indess zweifel- haft blieb, ob die Bewegungen ursprünglich wären.“ An derselben Stelle (S. 507) sagt er: „Ein soeben am Kalbe angestelltes Experiment belehrt mich, dass Reizung des durchschnittenen Ramus descendens am centralen Ende folgende Muskeln in Bewegung setzt: M. genio- hyoideus, genioglossus, hypoglossus und lingualis.“ Es ist wohl ein- leuchtend, dass alle diese Muskeln nicht primär zucken konnten, indem ja der aufsteigende Cervicalis nicht alle in Bewegung versetzte Muskeln versorgt. Bemerkenswerth ist, dass der Musc. geniohyoideus sofort bei der Durchschneidung des Descendens zuckte und später auch noch galvanischen Reizen reagirte. Die Sensibilität des Hypoglossus über dem grossen Horne des Zungenbeines ist, wie LONGET (l. c. 8. 416) nachgewiesen, nur eine er- borgte; dieser Autor sagt, dass der Nerv dieselbe, namentlich Verbin- dunssfäden vom Halsgeflechte her verdankt (diese sind die aufsteigenden .Fasern). Vielleicht handelt es sich hier um das früher erwähnte End- ästehen jenes Cervicalis (Fig. Ip), das mit dem Hypoglossus in die Zunge tritt; daher mag es kommen, dass selbst noch nach Durch- schneidung des Nervus lingualis Sensibilität in der Zunge angetroffen wird. l) Ueber endlose Nerven. LI. Bd. d. Sitzungsber. der kais. Akad. d. Wissen- schaften. 1865. S. 5 und 6, 93 VI. Morız Horı. Der Halstheil des Nervus cervicalis descendens HENLE besteht also, wie bereits erörtert wurde, aus ab- und aufsteigenden Nerven- fasern, und man kann HEnte£ (l. ec. 5. 466) und RÜDINGeRr (l. c.) nicht beistimmen, welche denselben aus dem Ramus descendens Nervi hypo- glossi und Cervicalfasern entstehen lassen, indem ja ein Descendens hypoglossi nicht existirt. Der aufsteigende Antheil des Cervicalis descendens ist öfter stärker, als der absteigende, und letzterer kann sehr dünn und fein werden, und es hat den Anschein, als ob nur ein aufsteigender Ast existire. Dies hätte eine Aehnlichkeit mit VOLKMANN’S (1. c. 8.502) Funde beim Pferde, worüber er Nachstehendes erwähnt: „Untersucht man die Verbindungs- stelle des Descendens mit dem Hypoglossus mikroskopisch, so findet man, dass die Fasern des Descendens im Zungenfleischnerven nicht alle einen centralen, sondern zum Theil einen peripherischen Verlauf nehmen, also theilweise nicht aus Letzterem herstammen. So fand ich es beim Menschen, Kalbe, Schaf, Luchs, Kaninchen und bei der Katze. Bei dem Pferde fand ich sogar, aber nur in einer Untersuchung, dass der sogenannte Descendens lediglich ein Ascendens ist, indem er vom zwölften Paare gar keine Fasern erhielt, sondern diesem aus- schliesslich Fasern zuführte. Diese Fasern stammen aus den beiden oberen Halsnerven.“ Es ist dies auch ganz richtig; der Descendens ist kein so bedeutungsvoller Nerv, wie die in ihm aufsteigenden Fasern (Ascendens), die zwei Muskeln zu innerviren haben. Der Descendens bildet blos mit dem zweiten oder dritten Cervicalis die Halsnerven- schlinge, an deren Convexität und innerem Theile dieser Ascendens emporsteist. Der wahre und wichtige Hauptbestandtheil des Descen- _ dens sind die aufsteigenden Fasern, die man füglich als Nervus cer- vicalis ascendens bezeichnen könnte. Er ist der Nerv für die Muse. thyreohyoideus und geniohyoideus. Dass der Ramus descendens aus dem Vagus entspringen könne, ist von KrAuse!) und J. TELGMANN (ibidem) widerlegt worden und es ist ganz sicher, dass er in diesen Fällen nur im Neurilemm des Vagus eingeschlossen verlief und hoch oben vom Hypoglossus wegzog. Ein Präparat (Fig. III) zeigt mir deutlich, wie er in der Höhe des dritten Cervicalnerven die Scheide durchbricht, sich mit letzterem verbindet und längs seines absteigenden Verlaufes den Ascendens aufsteigen lässt, welcher nun hoch oben in den Zungenfleischnerven eintritt, bei- nahe den ganzen Nerven entlang laufen muss, um zu seinen zwei l) Die Nerven-Varietäten beim Menschen von W. KrıuseE und J. TELGMANN. Leipzig 1868. S. 21. Beobachtungen über die Anastomosen des Nervus hypoglossus. 93 Muskeln zu gelangen. Bei dem Verlaufe des Descendens in der Vagus- scheide treten Vagusfasern an ihn heran (Fig. IIIls), begleiten denselben eine Strecke weit, kehren aber bestimmt wieder zu ihren Stammnerven zurück. Die von HEnL£ (l. c. S. 468) citirten Fälle, wo kein Cervicalis descendens existire und die Zungenbeinmuskeln von Vagusästen versorgt werden, scheinen mir denn doch nach Allem ähnliche Anomalien im Verlaufe des Descendens gewesen zu sein. Die Fälle vom Verlaufe des Descendens in der Vagusscheide (gleichsam anstatt der im Hypo- glossus) sind nicht so selten. Unter vierzig Präparaten findet man sie gewöhnlich sechsmal. Herr Prosector DR. EMIL ZUCKERKANDL übergab mir ein recht interessantes und instructives Präparat, dessen Beschreibung sofort nachfolgt, für welches ich ihm an dieser Stelle meinen besten Dank ausspreche. Es ist dies ein Präparat, wo zwei Rami descendentes vorhanden sind (Fig. IV). Da ist das Verhältniss derart, dass in dem lateralen Descendens Fasern aufsteigen, sich dem Hypoglossus anlegen, beim medialen auch als Descendens erscheinen, um ganz zum dritten Cervicalis zurückzukehren oder peripher in den Halsmuskeln sich zu verzweigen; der mediale Theil besteht beinahe blos aus aufsteigenden Fasern. Es ist also blos eine Cervicalis-Schlinge, die den Descendens in seine zwei constituirenden Bestandtheile (Descendens et Ascendens) auseinandergedrängt und sich dazwischen eingeschoben hat. Wenn man also nochmals die ganze Verlaufsweise des Zungen- fleischnerven überblickt;, so muss man den Satz aufstellen, dass er ein ganz selbstständiger Nerv sei, der das eigenthümliche Verhalten zeigt, in seiner Scheide fremde Nerven verlau- fen zu lassen. (In einem jüngst beobachteten Falle verlief selbst der Nerv für den vorderen Bauch des Omohyoideus in der Hypo- slossus-Scheide) Dabei geht er als reiner Hirnnerv zu seiner Endverzweigung in die Zunge hinein und versieht mit sei- nen Ramificationen nur drei Zungenmuskeln: die Muse. hyoglossus, genioglossus und styloglossus Die eigent- lichen Muskeln des Zungenbeines verfallen dem Gebiete der Cervicalnerven mit Ausnahme der Muse. stylohyoideus und mylohyoideus. In einem solchen Verhältnisse steht der Hypo- glossus zum Descendens. Wenn der letztere nicht in der Bahn des zwölften Hirnnerven verläuft, so liegt er häufig in der Vagusscheide; wenn dieser ihn auch nicht aufnimmt, dann läuft er abseits vom Hypoglossus (Fig. Ild), ist mehr selbstständig, tritt aber doch zu ihm in nähere Beziehungen, wie früher gezeigt wurde (S. 85). 94 VI. Morız Hort. Noch einiges über die Präparation. Sie ist, wie LUSCHKA (l. c. S.81) richtig bemerkt, sehr mühsam, und die vollste Aufmerksamkeit für sich in Anspruch nehmend. Die Resultate, die man mit Hülfe des Mikroskopes erhält, sind sehr spärlich. Es ist wohl von vornherein verständlich, dass der verhältnissmässig colossalen Dicke des Hypo- glossus die Unmöglichkeit einer mikroskopischen Analyse zugeschrieben werden muss, und die erhaltenen Bilder keineswegs die reinsten und klarsten sein werden. Sie können mit gut bereiteten makroskopischen nicht im Mindesten concurriren. Bei Beginn meiner Untersuchungen glaubte ich nur auf dem Wege der Vergrösserungen zu einem ent- scheidenden Resultate zu gelangen, sah mich aber leider aus obge- dachten Gründen sehr bald enttäuscht. Der erste Gedanke bei dieser Methode war natürlich der, den Nervenstamm so viel als möglich diaphan herzustellen, um die Verlaufsweise der in die Scheide ein- getretenen Nervenfäden sicher verfolgen zu können. Ich liess kein chemisches Reagens unversucht; es gelang mir zwar, bis zu einem ziemlich hohen Grade die Undurchsichtigkeit des Nerven zu besiegen, hatte aber dann mit einem zweiten, womöglich noch grösseren Uebel- stande zu kämpfen; nämlich mit der Dislocation und Uebereinander- lagerung der einzelnen Nervenfäden. Diese Arbeiten können eben, wie BIscHorr (1. 6. $.36) bemerkt, nur mittelst des Quetschers vorgenommen werden, um den dicken Nerven platt zu drücken. Dabei geschieht es natürlich, dass sich die einzelnen Bündel verschieben, dass die Nerven- filamente aus ihrer richtigen Position gebracht werden, ja dem beob- achtenden Auge entzogen werden können, indem sie unter viele andere Fasern zu liegen kommen etc. Eine genauere mikroskopische Untersuchung gelang mir in Be- treff der Fasern im aufsteigenden Cervicalnerven, welche sich ohne besondere Mühe zum Theile in den Musculus hyothyreoideus, zum Theile, aber etwas umständlicher, in den Kinnzungenbeinmuskel ver- folgen liessen, weil ja der Ascendens ziemlich strenge am unteren Rande des Hypoglossas zieht. Leicht ist auch die Bahn des Descen- dens in der Scheide zu erkennen, aber die Verlaufsrichtung der fei- neren Stämmchen desselben aus obgedachten Gründen unmöglich. Zur mikroskopischen Untersuchung eignen sich namentlich die Nerven von neugeborenen Kindern, bei welchen einerseits der Hypo- glossus nicht so dick ist und andererseits die Verlaufsstrecke der Nervenfäden keine so lange sein kann, als beim Erwachsenen. Die Art und Weise, wie ich vorging, war folgende: Der Zungenfleischnerv wurde sammt den dazu gehörigen Nervenfäden herausgeschnitten, in situ mittelst Nadeln auf einer mit Kienruss schwarz gefärbten Wachs“ Beobachtungen über die Anastomosen des Nervus hypoglossus. 95 platte, die den Boden eines niederen Gefässes bedeckte, ausgespannt, Wasser darauf gegossen und unter demselben das überflüssige Binde- gewebe und das Neurilemm so viel als möglich abpräparirt, bis Alles rein und frei dalag. So ausgespannt, wurde der Nerv einen Tag unter Wasser liegen gelassen, um sich vollends auszubluten und um das, zwischen den Nervenfasern liegende Bindegewebe zu maceriren. Hier- auf wurde er von der Platte entfernt und in Glycerin gebracht, dem einige Tropfen concentrirter Salzsäure zugesetzt waren, daselbst zwei Tage liegen gelassen, dann auf dem Quetscher oder zwischen zwei Objectgläsern in situ ausgebreitet und-unter das Mikroskop gebracht. Wenn man noch nicht ziemlich rein sah, was sehr häufig der Fall war, so wurde der Nerv abermals in die Glycerinlösung zurückgebracht, und dann nach zwei oder drei Tagen wieder untersucht; dann war er bereits diaphaner geworden. Die hellsten Bilder erhielt ich durch achttägiges Liegenlassen in erwähnter Flüssigkeit. Es ist aber von Vortheil, die Präparate, nachdem zwei Tage lang Glycerin und Salz- säure eingewirkt, in situ auf den Objectträger auszubreiten, sie etwas unter dem Mikroskope vorsichtig zu quetschen und mit dem einen Objeetträger, auf dem das Präparat aufruht, in die Flüssigkeit zurück- zubringen. Dadurch erhalten sie eine etwas starrere Form und unter- liegen dann in ihrer natürlichen Lage der Einwirkung des Reagens. Statt der Salzsäure kann man auch, wie BISCHOFF (l. c.), concentrirte Essigsäure anwenden; jedoch leistete mir erstere bessere Dienste. (Um das zwischen den Nerven liegende Bindegewebe zu zerstören, wandte ich KÖLLıker’s Mittel an; ich kochte den Nerven in einer Mischung von Wasser, chlorsaurem Kali und einer minimalen Menge von Salpeter- säure kurze Zeit und legte ihn dann in Glycerin; erhielt jedoch dabei immer nur verstümmelte Präparate). Die Objecte- wurden mittelst Plössl untersucht und ich will hier nebenbei bemerken, dass sich bei der Untersuchung statt des Tageslichtes viel besser das künstliche gelbe Gaslicht eignet, indem der Verlauf der Fibrillen bedeutend. greller hervortritt. So unergiebig sich das Feld der mikroskopischen Analyse erwies, um so ergiebiger zeigte es sich dem anatomischen Messer mit Hilfe der Loupenvergrösserung. Nothwendig ist dabei das Arbeiten unter "Wasser oder Alkohol. Eine mit Kienruss gefärbte ebene Wachsplatte bedeckte. den Boden eines rechteckigen niederen Gefässes. Auf diese wurde der Nerv sammt seinen Verbindungen mittelst Nadeln in topo- graphischer Lage ausgespannt und unter Wasser sorgfältig des Neuri- lemms und des Bindegewebes beraubt; alsdann in situ vier Tage unter Wasser, das täglich erneuert wurde, liegen gelassen. Dadurch wollte Sins 96 VI. Morız Howıt. ich das noch restirende Bindegewebe maceriren, damit ich dann die einzelnen Nervenfasern leichter isoliren könne. Hierauf wurde das Präparat durch zwei Tage auf gleiche Weise der Einwirkung von verdünntem Alkohol unterzogen und zuletzt mit Alkohol von 30 Gra- den behandelt, um auf die einzelnen Nervenfasern härtend einzuwirken, damit sie bei der nachfolgenden Präparation nicht allzuleicht zerreissen. . Unter Alkohol von gleichfalls 30 Graden wurde unter Zuhilfenahme einer Loupe mit Pincette und einem zarten, sehr spitzigen Scalpelle die Endpräparation ausgeführt. Es trennen sich gleichsam von selbst die feinsten Filamente, von blendender Weisse, auseinander, und man kann nun mittelst der Loupe die Bahnen der einzelnen Nervenfasern mit grösster Genauigkeit verfolgen. Es ist aber von Bedeutung, die Nerven gleich nach Herausnahme aus der Leiche recht sorgfältig vom Bindegewebe und Neurilemm zu befreien, indem einerseits Wasser und Alkohol besser einwirken kann und andererseits für die Endpräpara- tion viel vorgearbeitet wird, die dadurch eine wesentliche Erleichterung erfährt. !) Erklärung der Abbildungen. Tafel VI. Fig. 1. XII Nervus hypoglossus. ZI, II, III erster, zweiter, dritter Cervical- nerv. a Zweig des ersten Cervicalis, der zum Theile den Descendens mit den Fäden e und f verstärkt, zum Theile für den Muse. rect. capit. antic. major () und minor (g) dient und einen Endfaden % centralwärts sendet. d’'gemein- samer Stamm für f, g, A. b Anastomose zwischen erstem und zweitem Cervicalis. ce Nervus cervicalis descendens; k Zweig des Descendens, der den Ascen- dens m verstärkt. . n Nerv für den Musculus hyothyreoideus, o Nerv für den Musculus genio- hyoideus. pP Endzweig des Ascendens, der mit dem Hypoglossus in die Zunge tritt. ! Anastomose zwischen erstem und zweitem Cervicalis. x Zweige aus der Ansa für die Unterzungenbeinmuskeln. Fig. 2. X17 Nervus hypoglossus. d der ausserhalb der Scheide liegende Descendens. a im Descendens aufsteigende Nervenfasern. 1) Ein ausführliches Literaturverzeichniss über den N. hypoglossus findet sich in Loxger’s eitirt. Werke 8. 426 und 427. Beobachtungen über die Anastomosen des Nervus hypoglossus. 97 Fig. 3. XII Nervus hypoglossus. X Nervus vagus. 7 Erster Cervicalis. d Nervus cerv. descendens. a’ im Descendens aufsteigende Fasern. a’ der am Hypoglossus anliegende Ascendens, m Nervus hyothyreoideus. » Verbindung mit dem zweiten und dritten Cervicalis. Fig. 4 XII Nervus hypoglossus. 7, II, III erster, zweiter und dritter Cervicalnerv. d’ Descendens. s Schlinge aus dem zweiten und dritten Cervicalis, die die den Descendens (d’ und da) constituirenden Fasern auseinanderdrängt; a absteigende, a’ aufsteigende cervicale Fasern, b Nerv für den Musc. thyreo- hyoideus. Fig. 5. Die Erklärung der Buchstaben ist synonym mit denen der ersten Figur; es zeigt sich bei dieser, einem Präparate genau nachgebildeten, vergrösser- ten Zeichnung, dass der Descendens e nicht blos ein einzelner herabtretender Nerv, sondern ein in sich ganz abgeschlossener Nerven-Plexus ist, und dass die scheinbar vom Hypoglossus an ihn herantretenden Fasern wieder zurück- kehren, so dass der cervicale Charakter des Descendens rein bewahrt wird. s dient zum Theile zur Schlingenbildung mit dem dritten Cervicalis, zum Theile zur Innervation der Unterzungenbeinmuskeln. © Zeitschrift f. Anatomie. Bd. II. _ı vi. Nachweis eines ligamentum interartieulare („teres“) humeri, sowie eines lig. teres sessile femoris. o Von Hermann Welcker in Halle. In dieser Zeitschrift (I, S. 76) habe ich eine in seltenen Fällen auftretende Bildung des menschlichen Schultergelenkes beschrieben, welche als ein wandständiges (gleichsam extra saccum membranae synovialis gelegenes) lig. teres humeri erscheint, und habe die Wahr- scheinlichkeit ausgesprochen, dass das lie. teres durch Einwanderung gewisser extracapsulärer Bandfasörn in das Innere der Hüftkapsel ent- stehe. Die Fasern der Schulterkapsel, welche in jenen vön mir beob- achteten Fällen sich gegen das Innere des Gelenkes vordrängten und eine randständige fovea capitis humeri erzeugten, ‘gehören der columna anterior des lig. coracobrachiale an und es gibt die Ur- sprungsweise dieser Fasern, sowie derjenigen des lig. teres femoris Gründe an die Hand, das runde Schenkelband des Menschen als eine Weiterentwicklung der der columna anterior entsprechenden Fasern der Hüftkapsel aufzufassen. Die erwähnte Bildung der menschlichen Schulterkapsel bleibt in ihrem ausgeprägteren Zustande eine immerhin seltenere Varietät. Ich habe inzwischen bei mehreren Säugethiergattungen constant ein frei das Schultergelenk durchziehendes, zwischen Scapula und Humerus ausgespanntes Band gefunden, welches als ein vollkommenes Analogon des lig. teres femoris betrachtet werden darf, und es ist nach dem, was ich bis jetzt beobachten konnte, sehr wahrscheinlich, dass es be- trefis dieser Bänder überhaupt vier Formen gibt (vel. Fig. 1): Nachweis eines ligamentum interartieulare (‚„teres“) humeri ete. 99 1) wandständiges lig. teres der Schulter (Fig. 1, A); bei einzelnen Schultergelenken des Menschen; 2) freies lig. teres der Schulter (Fig. 1, B), bei mehreren Säugethieren — die heute zu beschreibende Form; 3) wandständiges, mit Fig. 1, A wesentlich übereinstimmendes lig. te- res der Hüfte; wie es scheint, beim Tapir; 1 2 s e Fig. 1. Schematischer Querschnitt durch die 4) freies lie. teres der Hüfte Kapsel des Schulter- und Hüftgelenkes. Fig. 1. (Fig. 1 B) — bei dem Menschen A bei wandständigem, , 4 x 3 B bei freiem lig. teres. und den meisten Säugethieren. f fibröser, s synovialer Theil des Kapselbandes. E Ein die Schulterkapsel frei durchziehendes, an das lig. teres der Hüfte erinnerndes Band fand ich, die Gelenke einer grösseren Zahl von Säugethieren musternd, zunächst bei Coelogenys Paca!). So- fort zu dessen nächstem Verwandten, dem vielfach untersuchten Meer- schweinchen, greifend, fand ich das Band in wesentlich gleicher Weise. Ganz dasselbe zeigt Aguti?) (Dasyprocta Aguti) und das Wasserschwein ?) (Hydrochoerus Capybara), so dass dies Verhalten bei der Familie der Subungulaten ein durchgreifendes zu sein scheint, während ich bei den übrigen Nagern und anderen Säugethieren bis jetzt nichts Aehnliches gefunden habe. Das fragliche Band (Fig. 2 und 3) wird, wenn man beim Meer- schweinchen das Schultergelenk öffnet, sofort sichtbar als ein die Kapsel von vorn und aussen nach hinten und innen durchziehender, resp. über den Schulterkopf geschlagener, 1,5 mm. breiter und 5 bis 6 mm. langer, sehnenartiger Strang. Ich habe in der Ueberschrift, um die Beziehung zum lig. teres femoris anzudeuten, die Bezeich- nung: lig. „teres“ humeri hinzugefüst; da unser Band indess keines- wegs rund, sondern abgeplattet ist (seine Dicke beträgt nur etwa 0,3 bis 0,5 mm.), so wird dasselbe richtiger lig. interarticulare humeri genannt werden, um so mehr, als auch für das „runde“ Band der Hüfte diese Bezeichnung beanstandet und von URUVEILHIER der Namen lig. interarticulare femoris angewendet wurde. 1) Ich untersuchte ein erwachsenes Thier und zwei geburtsreife Embryonen. 2) Zwei Embryonen von 9 cetm. Länge. 3) Drei Embryonen von 8 etm. Länge. Tees 100 VII. HERMANN WELCKER. Was Ursprung und Ansatz dieses lig. interarticulare humeri näher anlangt, so entspringt dasselbe etwas seitlich am oberen Rande der Schulterpfanne, lateral und dicht neben der Sehne des M. biceps (resp. Fig. 2. Fig. 3. Fig. 4. Fig. 2 und 3. Geöffnetes rechtes Schultergelenk des Meerschweinchens. b Sehne und Bauch des einköpfigen m. biceps; i lig. interarticulare humeri. 5 \ Fig. 4. Menschliches Schultergelenk mit eigenthümlicher, ein wandständiges lig. teres darstellender Entwicklung der columna anterior (ca) des lig. coracobrachiale. (Beschrieben in dieser Zeitschr. I, 76.) des glenoulnaris!), es schiebt sich unter diese Sehne und inserirt, rückwärts und einwärts geschlagen, am inneren Rande des Schulter- kopfes, unmittelbar hinter dem tub. minus. Während die vom Schul- terblatt kommende Ursprungspartie des Bandes am Pfannenrande frei und circumscript entspringt, ist der hintere Rand des brachialen Endes auf eine Strecke von etwa 2 mm. mit der dem Bande hier dicht aufliesenden Kapsel verwachsen. Die Funktion des beschriebenen Bandes anlangend, sei be- merkt, dass dasselbe wohl nur selten in die Lage kommen dürfte l) Ich bemerke, dass der einköpfige Vertreter des M. biceps beim Meer- schweinchen nicht ein glenoradialis, sondern ein „glenoulnaris“ ist. Die Sehne setzt sich lateralwärts vom Radius an die Aussenseite der Ulna. Ganz dasselbe fand ich bei Hydrochoerus und Paca und, soweit das Material es erkennen liess, auch bei Aguti. Bereits MEckeL (Syst. der vergl. Anat. III, 519 u. f.) erwähnt diese Insertionsweise für Daman, Stachelschwein, Biber und Igel, welchen Thieren nun die Subungulaten hinzuzufügen sind. Nachweis eines ligamentum interarticulare („teres“) humeri ete. 101 (etwa bei gewaltsamer Abduction des Humerus), als Hemmungsband mitzuwirken. Die Schulterkapsel des Meerschweinchens ist, wie bei den meisten Säugethieren, in ihrem medialen und lateralen Ab- schnitte so knapp, in ihrem vorderen und hinteren Theile dagegen so ausgiebig entwickelt, dass das Gelenk fast nur Charnierbewegung, im Sinne der Streekung und Beugung, diese Bewegungen aber in ausgedehntem Maasse erlaubt!). Während dieser Bewegungen rückt bei den mit dem lig. interarticulare humeri versehenen Thieren der- jenige Theil der Scapula, welcher die Schulterinsertion des Bandes trägt, von vorn nach hinten hin und her (von a nach b, Fig. 5, bei Beugung; von b nach a bei Streckung des Oberarmes), so dass das am Humerus befestigte Band von f aus wie ein Radius über den Hu- meruskopf hin- und herschlägt. Diese wischende, oflenbar die Synovia umtreibende Bewegung?) ist am frischen Prä- parate nach Anbringung eines kleinen Spaltes Fig. 5. in die Medialfläche des Kapselbandes leicht zu übersehen. Die geringen Grade von Ad- duction und Abduction des Humerus, die nach der erwähnten Einrichtung der Schul- terkapsel dieser Thiere möglich sind, bewir- ken nur sehr unbeträchtliche Aenderungen in der Spannung des lie. interarticulare: Adduction erschlafft, Abduetion spannt in Fig. 5. Rechter Schulterkopf des mässigem Grade. Meerschweinchens (?|}). 13 . . . g Querschnitt der Sehne des Wie Figg. 3 und 4 zeigen, entspringt das en lig. interarticulare humeri der Subungulaten f Ursprungsstelle des lig. in- lateralwärts neben der Sehne des M. gle- ar a En noulnaris, während der an das lig. teres er- Scapula inserirt, befindet sich bei innernde Strang ca der menschlichen Schul- a er terkapsel medial zur Bicepssehne liest; eine Zurückführung jenes Bandes des Meerschweinchens grade auf die chorda anterior eines lig. caracohumerale ist hiernach, zumal letzteres Band überhaupt bei jenen Thieren fehlt, nicht möglich. Der erwähnte Zusammenhang des humeralen Endes des Bandes mit der Kapselwan- dung beim Meerschweinchen bezeugt aber den Ausgang vom Kapsel- 1) Ein besonders derber, ziemlich eireumscripter Faserstrang findet sich bei Paca an der lateralen Seite des Kapselbandes zwischen dessen Fasern ein- gewebt — ein lig. laterale externum der Schulterkapsel. Dasselbe liegt ausser- halb der Synovialmembran und hat mit dem lig. interartieulare nichts gemein, 2) Vgl. diese Zeitschr. I, 67 u. £. 102 VII. HERMANN WELCKER. bande, und es lässt sich die intracapsuläre Lage auch hier ohne Zwang auf Einwanderung ins Innere mit Nachschleppung eines Synovialhaut- überzuges erklären. Nieht unerwähnt bleibe, dass das lig. interarticulare humeri des Meerschweinchens viel derber und reicher an. Bindegewebsfasern ist, als das zarte, leicht zerreissliche lig. teres der Hüfte desselben T'hieres. Aber es kann dies der Annahme der Homologie beider Bildungen wohl so wenig im Wege stehen, als etwaige Unterschiede der me- chanischen Leistungen beider Bänder. I. Meinen Angaben über den an das lie. teres der Hüfte erinnernden Bandstrang der menschlichen Schulterkapsel sei eine Notiz über den Grad der Häufigkeit dieses Zustandes und der ihn andeu- tenden Entwicklungsformen beigefügt. Untersucht man macerirte Oberarmbeine des Menschen, deren Gelenkknorpel ohne Läsionen sind, so findet man wesentlich drei ver- schiedene Formen: 1) an der Mehrzahl der Knochen keine Spur einer Einpflanzungs- stelle der erwähnten wandständigen Bandfasern. Eine Reihe von 89 Oberarmbeinen zeigte dies in 80 Fällen; 2) bei einigen — 8 mal unter 89 Fällen — eine seichte, etwa 4 bis 5 mm. breite Grube, welche am Rande des überknorpelten Theiles des Schulterkopfes, dicht neben dem Oberende des sulcus in- tertubercularis, an der Basis des tub. minus sich befindet (Fig. 6f). 3) in seltenen Fällen — in unserer Reihe ein- mal unter 89 — ist die Grube grösser, bis 7 mm. breit und mehrere Millimeter tief, so dass ver- muthet werden darf, dass in diesen Fällen ein dem in Fig. 4 abgebildeten ähnliches Verhalten der Weichtheile bestanden habe. Die erwähnte Knochengrube, welche auf eine Andeutung jenes wandständigen Faserzuges schliessen lässt, findet sich hiernach am mensch- lichen Humerus in etwa !/,, der Fälle. Ihres veresrdes Kap Fig. 6. Schulterkopf des Men- schen mit fovea capitis hu- he = . . 0 . DR ie nanrungsgrabe ler Es war zunächst die Aehnlichkeit, die zwischen columna anterior des lig. co- der nur wenig ins Innere des Schenkelkopfes ein- R 'achiale). & » 5 B a gerückten fovea des Tapir (Fig. 7) und der foveola jenes von mir beschriebenen menschlichen Schulterkopfes (Fig. 4) be- Nachweis eines lisamentum interartieulare (‚teres“) humeri ete. 103 steht, welche mich vermuthen liess (diese Zeitschr. I, 73), dass das runde Schenkelkopfband des Tapir, ähnlich wie jenes Schulterkopf- band, ein wandständiges, den von mir angenommenen ursprünglichen Zusammenhang mit der Kapsel bewahrendes, sein möchte. Der Umstand, dass bei Elephant, Nil- Fig. 7. pferd und Nashorn eine Schenkelkopfgrube, und mithin ein lig. teres, gar nicht vorkommt, wäh- rend das Schwein eine nahezu central gelegene fovea besitzt, war der Vermuthung gleichfalls nicht ungünstig, dass bei dem auch sonst zwischen Schwein und die grossen Pachydermen sich stel- lenden Tapir ein mittlerer Zustand in der Bil- dung jenes Bandes gegeben sei. Beachtet man ferner die incisura acetabuli, so fehlt dieselbe beim Nilpferd ‚und Elephanten; bei dem dem Tapir sich nähernden Nashorn ist sie bereits angedeutet, während sie beim Tapir und noch mehr beim Schweine vollkommen entwickelt ist. Ich habe mich lange vergeblich bemüht,. Material für die Prü- fung meiner Vermuthung — einen mit den Weichtheilen ausgestat- teten Tapir — zu erhalten. Ein Fötus, welchen unsere Sammlung einem Geschenke BURMEISTER’S verdankt, liess von dem Bandapparate nichts Deutliches erkennen. Doch ist es mir in jüngster Zeit ge- lungen, bei einem vom Messer bis dahin unberührten Exemplare von Tapirus americanus (Rumpflänge 60 ctm.), welchen Herr Professor HAssE mir gütigst zur Verfügung stellte, das Wesentlichste unserer Frage zu erledigen. Leider war auch bei diesem Thiere die Conser- vation der inneren Theile sehr unvollständig. Vielfach hatten sich die Muskeln sammt dem Periost von den Knochen abgelöst und nach Freilegung der Hüftgelenke zeigte es sich, dass die Schenkelinsertion des Kapselbandes sich ringsum von dem Schenkelkopfe getrennt hatte. Die Pfanne war der Träger des Kapselbandes und des lie. teres ge- blieben, derart, dass das erstere den Pfannenrand ringsum besetzte, wäh- rend das seitlich im Pfannenboden wurzelnde lig. teres in Form einer abgeplatteten, am freien Rande verbreiterten Lamelle pilasterartig am ventralen Theile des Kapselbandes festsass (vgl. Fig. 8). Bei Musterung der Abrissfläche a, mit welcher das lig. teres am Schenkelkopfe festgesessen hatte, entstand zunächst die Frage, ob nicht doch etwa an dem dem Kapselbande am meisten zugewendeten Theile . des runden Bandes (gerade .da, wo in der Figur die von a ausgehende Linie endet) eine kleine Stelle von Haus aus frei, das Band mithin, wenn auch in seinem bei weitem grössten Theile sessil, doch an Schenkelkopf von Tapirus americanus (Y,). 104 VlI. HERMANN WELcKER. einer ganz kleinen Stelle (dieht am Schenkelkopfrande) umgreifbar gewesen sei. An dem dieser Stelle entsprechenden Theile zeigt er der Schenkelkopf unseres 5 Thieres einen schmalen, die fovea von dem bereits verknöcherten Theile des Halses trennenden Knor- pelsaum (s. Fig. 8), so dass also auch hier der Verdacht einer insel- förmigen, statt buchtför- migen, fovea entstehen könnte. Nach dem Ver- gleiche mit dem Femur des erwachsenen Thieres jedoch dürfte dieser bei dem jungen Thiere vor- kommende Knorpelsaum dem extracapsulären Theile des Schenkelkopfes angehören; überdies lässt Rechtes Hüftgelenk des jungen Tapir. das Schenkelbein des Bres- foyes, cap. femoris, vom lig. teres Tosserlaseus aan bei lauer Tapir an mehreren a die mit der fovea verbunden gewesene Abrissfläche zeigt. s schmaler Knorpelsaum, welcher die fovea vom ver- Stellen Spuren des vom nn des ee 3 knorpeligen Theile des rochanter major, noch unverknöchert. x bb Borste, durch einen engen, klappenartig geschlossenen Schenkelkopfes entsprin- Spalt des lig. teres hindurehgeführt. ; N senden Kapselbandes deut- (Die Wandung des Kapselbandes — in Fig. IA durch die Linien f und s angedeutet — tritt in Fig. 8 nicht deutlich genug lich erkennen, und es bil- hervor: det der T'rochanter major annoch mit dem intracapsulären Theile des Kopfes ein einziges, zu- sammenhängendes Knorpelstück. Aber das wandständige lig. teres des Tapir besitzt eine andere Stelle, von welcher aus eine Umgreifbarkeit des Bandes allerdings an- hebt. An seinem dünnsten Theile, in nächster Nähe des Kapselbandes und des lig. transversum acetabuli, da wo die beiden Blätter der Syno- vialhautfalte, welcher das lig. teres seine Bildung mit verdankt, ein- ander unmittelbar berühren, trägt das lig. teres eine feine, in Fig. 8 sondirte Durchbohrung, die am rechten Hüftgelenke unseres Exem- plares 2 mm., am linken nicht ganz 1,5 mm. weit ist. Der scharfe, halbmondförmig ausgeschnittene Rand der an die valvula Thebesii erinnernden Bildung ragt schräg gegen das lig. transversum, demselben N Nachweis eines ligamentum interartieulare („teres“) humeri etc. 105 unmittelbar aufliesend, und die Oefinung scheint dadurch entstanden zu sein, dass das hier verdünnte Gewebe sich vom lig. transversum losgelöst hat. Während diese Oeflnung an der Darmbeinseite des Bandes die erwähnte Feinheit besitzt, führt von der Sitzbeinseite aus, in der Richtung des lig. transversum, ein ansehnlich grosser, bis 5 mm. weiter Recessus nach ihr hin. Fassen wir das Wesentliche des Unterschiedes des lig. teres des Tapir und des Menschen zusammen, so hat letzteres einen weit be- schränkteren Zusammenhang mit dem Becken, als wir bei dem (jungen) Tapir fanden. Bei dem Menschen kommt das Band vom Boden der Pfanne und von dem Raume zwischen Pfannenboden und lig. trans- versum (dort Fasern von der Aussenfläche der Kapsel aufnehmend); von dem oberen oder lateralen Rande des lig. transversum entspringt das Band nicht mehr. Das lig. teres des jungen Tapir entspringt von eben denselben Stellen, wie das menschliche, aber es kommt noch hinzu jene breite, oberhalb des lig. transversum (beim stehenden Thiere lateral vom lig. transversum) gelegene Verbindung mit der Seitenwandung des Kapselbandes, welche in Fig. 8 oberhalb der Sonde liest. Diese breite, oberhalb jener Sonde gelegene Partie des Bandes müsste durchschnitten werden, um die Uebereinstimmung mit dem menschlichen lig. teres herzustellen. Ob dem Fötus des Tapir oder sehr jungen Thieren auch jene feine, in Fig. 8 sondirte Oefinung fehlt, so dass das Band völlig sessil wäre, ob bei dem erwachsenen Thiere die Durchbohrung sich etwa unverhältnissmässig vergrössert, so dass eine dem gewöhnlichen lig. teres sich mehr annähernde Form entsteht, würde an frischem Ma- terial leicht zu entscheiden sein. Bei dem Pferde, dessen Schenkelkopf dem des Tapir sehr ähn- lich ist, fand ich schon am Embryo das lig. teres umgreifbar; der oberhalb unserer Sonde bb gelegene Fortsatz der Synovialhaut fehlt. Wie weit jener beim Pferde so mächtige, zum geraden Bauch- muskel gehende Fortsatz des lig. teres („Verstärkungsast“, FRANCK, Handb. d. Anat. d. Hausthiere, 329) etwa auch beim Tapir vorhanden ist, war an dem mir vorliegenden ‚Material nicht zu entscheiden. Die am Schambein des Tapir fehlende Rinne spricht gegen eine derartige Entwicklung. ING Meine Vermuthung, dass das Fehlen des lig. teres beim Orang bereits anderweitig erörtert und der von mir gerügte Irrthum Mscker'’s, nach welchem auch den übrigen Anthropomorphen, ins- 106 VII. HERMANN WELCKER. besondere dem Chimpanse, dieses Band fehlen sollte, aufgeklärt sei (diese Zeitschr. I, 71), hat sich bestätigt; es geschah beides vor vielen Jahren (1835), wie es scheinen sollte in ausgiebiger Weise, durch Owen. Um so auffälliger bleibt die von mir hervorgehobene That- sache, dass in den Discussionen über Descendenzlehre dieser merk- würdigen, bei zweien so nahe verwandten Thieren bestehenden Ver- schiedenheit keine Erwähnung geschieht }). Es scheint von Interesse, in vorkommenden Fällen auf die Be- schaffenheit des Hüftgelenkes von Gorilla näher zu achten. Von der Schenkelkopferube des Gorilla sagt OwEn (Transact. Zool. Soc. V, 15): „the depıiession for the lig. teres is nearly the same in size, depth and position as in man“ Herr Prof. Dırpen zu Darmstadt, welcher die Güte hatte, eine Zeichnung des Schenkelkopfes des Darmstädter Gorillaskelets für mich auszuführen, bestätigt die Anwesenheit der Grube. „Gerade in der Fovea,“ so berichtete mir D., „war der Stift für die Befestigung eingeschlagen und deshalb diese schwer zu zeich- nen“; doch zeigen die von zwei Seiten gefertigten Aufnahmen, sowie die ausdrücklichen Worte des sachkundigen Zeichners, dass die Schen- kelgrube vorhanden ist. Aber es scheint, dass das lig. teres des Gorilla bei einzelnen Exemplaren sehr schwach entwickelt ist, ja vielleicht nicht allzuselten fehlt. So lassen die Schenkelköpfe eines männlichen Gorillaskelets des Dresdener naturhistorischen Museums, deren nähere Untersuchung ich der Liberalität des Directors dieser Anstalt, Herrn Dr. A. B. MEykkr, verdanke, von Schenkelkopfsruben nur sehr geringe Spuren erkennen. Am rechten Femur (dessen condylus internus — was übrigens mit dem Zustande des Hüftselenkes wohl kaum in Zusammenhang steht — in eigenthümlicher Weise nach aufwärts geschoben, defeet und 1) Bereits PETER Camper (Oeuvres, T. I, 152) entdeckte den Mangel des lig. teres beim Orang und würdigte die Bedeutung dieses Mangels: — „son ab- sence produit une grande difference entre ’homme et l’Orang.“ Spätere Autoren (BLUMENBACH, CuVIEr). übersahen diese Angabe. Es folgte dann die von mir a. a. OÖ. p. 72 citirte Angabe MEckEr’s. Im seiner Abhandlung: On the Osteo- logy of the Chimpanzee and Orang Utan (Transactions Zool. Soc. of Lond., Vol. I, 365) sagt Owen vom Orang: „The femur has a straight shaft, but dif- fers from the human chiefly in having no depression on the head for a liga- mentum teres.“ „In three recent specimens of Simia Satyrus I have found the lig. teres defiecient in both the hipjoints.“ In der Zusammenstellung der Unter- scheidungsmerkmale zwischen Chimpanse und Örang unter sich und dem Men- schen (p. 368) heisst es: „The Chimpanzee differs osteologically from the Orang — — in the presence of a ligamentum teres and consequent depression in the head of the femur,“ i Nachweis eines ligamentum interartieulare (‚„teres“) humeri ete. 107 degenerirt ist) fehlt eine als fovea cap. femoris anzusprechende Grube ganz; an der Stelle jedoch, wo das linke Femur eine schwache An- deutung einer Fovea allerdings besitzt, zeigt der rechte Schenkelkopf eine entsprechend grosse rundliche, ja etwas erhabene Fläche (die am frischen Knochen und bei nicht geschrumpftem und defectem Knorpelüberzuge der Umgebung möglicherweise eine Vertiefung dar- gestellt haben mag). — Auch bei Herrn Prof. Hartmann in Berlin sah ich am Schenkelbein eines Gorilla nur sehr zweifelhafte Spuren einer Fovea. Nach einer Mittheilung von MıvAarr endlich (On the skeleton of the primates. Transact. Zool. Soc. VI, 200) zeigte bei einem Exemplare von Orang „each femur a small but distinet depression on its head in the place occupied in other forms by the pit for the round ligament.“ Ferner: „This absence has not, as far as I am aware, been noticed in Man or the Chimpanzee, but in the Gorilla I have sometimes been unable to detect any trace of such a fossa on the head of the femur.“ Es dürfte sein, schliesst MivArT, „dass dieses Band gelegentlich fehlt bei Gorilla und vorhanden ist bei Orang.“ Die Annahme Owexv’s, dass der Mangel des lig. teres beim Orang eine der Ursachen seines schwankenden Ganges sei), scheint mir nach dem, was wir von diesem Bande sonst wissen, wenig wahrscheinlich, und um so weniger würden die Unterschiede des Ganges oder der Bewegungsweise der Anthropomorphen mit der Anwesenheit oder dem Fehlen des runden Bandes in Beziehung gebracht werden können, wenn es sich bestätigen sollte, dass dieser Charakter bei den einzelnen Gattungen nicht constant ist. Das Fehlen des lig. teres bei den grossen Pachydermen hat nichts sehr Auffälliges, nachdem wir das wandständige lig. teres des Tapir kennen gelernt haben; die Entwicklung, die bei anderen Thieren zu einem central eingepflanzten lig. teres, bei Tapir zu einem wandstän- digen führt, hat hier einfach ihren allerersten Schritt unterlassen. Anders der ganz unvermittelte Ausfall des lig. teres bei Orang, dessen nächste Stammesverwandten ein nahezu central eingepflanztes lig. teres besitzen; noch sonderbarer das Verhalten bei Gorilla, wenn es sich bestätigen sollte, dass hier einzelne Individuen das Band besitzen, andere nicht. 2 Halle, im April 1876. 1) There can be little doubt, that the absence of the lig. teres is one cause of the greater vacillation observed in the Orang Utan, when it attempts pro- gression on the hinder legs than in other Quadrumana (a, a. O, 366). v1. Ueber die Bildung der Haifischembryonen. Von wilhelm His. (Hierzu Taf. VII.) In einem Aufsatze, welcher im ersten Bande dieser Zeitschrift steht, ist von mir nachgewiesen worden, dass der Knochenfischembryo aus zwei, im Randwulste der Keimscheibe symmetrisch vorgebildeten Anlagen der Länge nach zusammenwächst. Nur das vorderste Kopf- und das hinterste Schwanzende bedürfen keiner Verwachsung, weil sie aus denjenigen Strecken des Randwulstes hervorgehen, welche die zwei Seitenhälften zum Ringe geschlossen hatten. Der gesammte Rand- wulst der Keimscheibe wird zur Embryobildung verbraucht, und der Vorgang der letzteren verbindet sich mit der Dotterumwachsung des Keimes derart, dass die Aufreihung des Embryvmateriales zugleich mit der Umwachsung vollendet ist. In sehr ausgeprägter Weise entsteht auch bei den Haien der Körper durch axiale Verwachsung von zwei, im Randwulste ange- legten Hälften. Die Uebersichtlichkeit des Vorganges wird hier da- dureh gesteigert, dass die beiden Substanzanlagen des Körpers nur einen Theil des Randwulstes umfassen, und dass daher die Aufreihung des Materials lange vor der Dotterumwachsung ihr Ende erreicht )). 1) Es ist nöthig, über einige Ausdrücke sich zu einigen: Keim bezw. Keimscheibe nenne ich, dem jetzigen Sprachgebrauch folgend, das ungeglie- derte (entweder undurchfurchte, oder durchfurchte) Material, aus welchem der Embryo mit seinen Hüllen und Anhängen sich entwickelt. Embryo nenne ich den sich abgliedernden Körper. Unter Substanzanlage des Embryo verstehe ich dasjenige Keimmaterial, das bei dessen Bildung direkt Verwendung findet VIII. Wırserm Hıs. ‚Ueber die Bildung der Haifischembryonen. 109 Die Gelegenheit, die bezüglichen Beobachtungen zu machen, hat mir ein mehrwöchentlicher Aufenthalt an der zoologischen Station in Neapel verschafft, allwo, Dank der Gefälligkeit der Herren Doetoren DOHRN und EısıG, mir ein ergiebiges Material von verschieden ent- wickelten Eiern von Pristiurus und von Scyllium (ecanicula u. catulus) zu Gebot gestanden hat. Ich verspare die Darstellung anderer an dem Material gemachter Erfahrungen auf später, und beschränke mich für diesmal auf die Besprechung von der ersten Zusammenfügung des Embryoleibes. Vor und während der Furchung besitzt der Keim der von mir unter- suchten Haifische eine intensiv orangegelbe Färbung, seine Gestalt ist, ähnlich wie die des Knochenfischkeimes, eine flach linsen- oder kuchen- förmige, sein Durchmesser gering (an einigen gemessenen Exemplaren nur zwischen 1.1—1.2 mm). Nach Ablauf der Furchung wird er zu einer Scheibe von etwas über 2 mm. Durchmesser; seine Färbung ist nun keine gleichmässige mehr, der Mitteltheil der Scheibe hat sich auf- gehellt, und nur der Rand, späterhin der Rand und der Embryo, be- halten die intensive Färbung bei). Der gefärbte und verdiekte Rand oder Randwulst, wie wir ihn von nun ab nennen können, ist an den verschiedenen Stellen des Umfanges ungleich stark. In der hin- (man vergl. über den Ausdruck meine Unters. über Entw. des Hühnchens S. 154 und die Briefe „über unsere Körperform“ S. 30, wo ich dem Ausdruck Substanz- anlage den der Formanlage gegenübergestellt habe). Den Vorgang, welcher nöthig ist, um das nebeneinander liegende Material der Substanzanlage längs der Körperaxe anzuordnen und zu vereinigen, werde ich als Aufreihung des Embryomateriales bezeiehnen. Am Knochenfischkeim ist, dem gegebenen Nach- weis zufolge, nach Ablauf der Furchung die Substanzanlage in Ringform an- geordnet, und umfasst den ganzen Randwulst der Scheibe. Die Aufreihung be- steht hier in einer suecessiven Aneinanderlegung der beiden Seitenhälften des Ringes. Man kann sich den Vorgang veranschaulichen, wenn man einen zum Ring geschlossenen Gummischlauch an einer Stelle so einbiegt, dass er eine dem Centrum zustrebende Schleife bildet. Bringt man beide Schleifenschenkel zur Berührung und verlängert sie mehr und mehr, so wird der Ring immer kleiner und schliesslich geht er in der Bildung des 2theiligen Stranges auf. So lange die Aufreihung des Materials nieht vollendet ist, werden wir auf Embryonen stossen, welche nur aus der Kopfanlage oder nur aus der Kopf- und etwas Rumpfanlage bestehen, welehe somit noch unvollständig sind. Indessen werde ich, falls überhaupt die morphologische Sonderung von der Umgebung ihren deutliehen Anfang genommen hat, auch diese unvollständigen Bildungen als Embryonen bezeichnen. 1) Schon bei Leypıe (Beitr. zur mikr. Anat. ete. der Haie und Rochen. Leipz. 1852, S. 94) ist, wenigstens im Vorbeigehen, die innere Aufhellung des Keimes erwähnt. Batrour (Preliminary account of the development of the elasmobranch. fishes Quat. Journ. of Mier. Seience, Oct. 1874) berührt diesen Punkt nicht. 110 VIII. WıtHeım His. teren oder embryonalen Hälfte der Scheibe ist er am breitesten, nach beiden Seiten hin verjüngt er sich allmählich und ist am schmalsten in seinem vorderen Abschnitte. Wie BALFOUR richtig beschreibt, so unterscheidet man zu der Zeit an Keimdurchschnitten eine, durch die dichtere Zusammenfüsgung charak- terisirte obere und eine lockere untere Zellenschicht. In dieser letzteren sind die Zellen kugelig (20—25, einzelne bis zu 30 u. messend), in jener sind sie parallel der Oberfläche mehr oder weniger comprimirt. Die lockere Schicht haftet unmittelbar an der unteren Fläche der darüber liegenden dichteren. Soweit sie die Keimhöhle überbrückt, ist sie un- regelmässig abgegrenzt, ein-, zwei- bis dreischiehtig und ihre kuge- ligen Zellen springen, wie bei der Keimscheibe des frisch gelegten Hühnereies, als subgerminale Fortsätze frei gegen die Höhle vor. Im hinteren, embryonalen Theile des Randbezirkes bildet sie einen dicken Klumpen, dessen Mächtigkeit bis zu 0.15 mm. ansteigt. Die obere Schicht (oberes Grenzblatt oder Ektoderm) ist am Rande der Keimscheibe etwas umgebogen und ruht im Allgemeinen mit schräg abgesetztem Rande auf der glatten oberen Grenzfläche des Dotters auf. Die Rinne zwischen beiden wird von den runden Zellen der unteren Schicht ausgefüllt, ein Verhalten, das ich in den Figuren 1 und 3 der Taf. XIII von BALFOUR correct wiedergegeben finde. Diese keilförmig eingeschobene Masse erzeugt den unteren verdickten Theil des Keimrandes und ihre Ausdehnung entspricht der intensiv gefärbten Strecke des letzteren. Sie ist nur unbedeutend im vorderen Theile des Umfangs, nimmt dann nach rückwärts zu, und geht in die oben erwähnte dicke Masse des hinteren Embryonalbezirkes über. Auch die Mächtigkeit der Ektodermschicht ist im Embryonal- bezirke am grössten; die Unterschiede sind indess nicht so bedeutend wie in der unteren Lage; später nehmen sie zu, besonders dadurch, dass die Zellen des Mitteltheiles zu dünnen Platten sich ausziehen. Am peripherischen Umschlagsrande verschiedener (entwässerter und eingekitteter) Keime messe ich die Dicke des Ektoderms: im hinteren Embryonalbezirk 37—40 u. mehr seitich nee 25 VOOLD En ee ol Die Werthe, die ich an Durchschnitten erhalten habe, bewegen sich in denselben Grenzen. Eine erste Andeutung embryonaler Formanlage tritt auf an Scheiben von etwas mehr als 2 mm. Durchmesser. Der hintere Theil des Randes erscheint leicht gehoben und eingebogen (Fig. 1, Taf. VID. Ueber die Bildung der Hailischembryonen. 111 Bei der Möglichkeit einer solchen Veränderung in Folge der Prä- paration ist es nöthig, zu bemerken, dass ich diese Stufe am intacten Ei gleich nach Eröffnung der Schale beobachtet habe, wo die starke Färbung des Randwulstes es erlaubt, die Einbiesung ohne Weiteres zu erkennen. An gehärteten und durchsichtig gemachten Keimen finde ich am Orte der grössten Erhebung den doppelten optischen Querschnitt des Ektoderms. Von nun ab tritt der Embryo unter gleichzeitigem Flächenwachs- thum der Keimscheibe mehr und mehr hervor, anfangs noch durch gelbe Färbung von seiner schwach sefärbten Umgebung sich ab- hebend. Die nachfolgende kleine Tabelle gibt einige auf sein Wachs- thum bezügliche Maasse in Millimetern; dieselben sind an Zeichnungen gemessen, welche nach frischen, mit °/,°/, Kochsalzlösung und in der Regel auch mit Osmiumsäure behandelten Präparaten bei 40facher Vergrösserung durch das Prisma aufgenommen worden sind. Crösste | Abstand des vor- Das hin- Prä- Figur Da Breite Länge Grösste dersten Urwirbels en ee paraten- auf Ei des des Breite des | x Be Nummer | Taf. VII. ; Rand- | Embryo | Embryo | vom vor- | vom hin- \ scheibe nniiftesi deren Ende\teren Ende| Seheiben- | rand um: XXXIX 1 DD 1025 0.25 | — - = XXV — 239 028 | 0.45 _ —_ | — XXXVI 2 3 0.33 0.75317.0.9 — — XIX ee! 0:35 )E 1200 0 _ _ KERRY os 0 -— | - xX 2230 0 2320094 1A 2 0.70 — — 1 | 4 | _ — 1.8 0.7 0.95 0.85 0.05 XXVII a a: — 2.3 — 1.05 1.25 — BO u = = = = VI ee 75165 1.0.95 = _ 0.3 XXI Be a 25 | rege lo re 0.45 xXVI | Ü = I er 3.9 0.58 1.35 2.99 0.75 An Keimscheiben von etwa 3 mm. gewährt die Embryoanlage das in Fig. 2 wiedergegebene Bild. Der Randwulst bildet mit seinem hin- teren dicken Abschnitte eine gegen das Innere der Scheibe vorsprin- gende und zugleich über deren Niveau sich erhebende Schleife; der 1) Von hier ab ist statt der grössten Breite des Randwulstes der Abstand des vorderen Endes der Primitivrinne von dem des Embryo gemessen. 112 VIII. Wirtuerm His. nach rückwärts offene Winkel der letzteren umschliesst eine Grube mit gleichfalls einspringendem hinteren Rande. Die Grube ist, wie die Vergleichung mit den darauf folgenden Stadien zeigt, der Anfang einer Primitivrinne. In Fig. 5 seiner Tafel XIV gibt BALFOUR eine Abbildung, welche einer Entwicklungsstufe zwischen meinen Figuren 2 und 3 entspricht. BAaLrour’s Beschreibung lautet also: ‚There _ appear two parallel folds, extending from the edge of the blastoderm towards the centre, and cut of at their central end by another fold. These three folds raise up between them a flath broadish ridge „the embryo“. "The head end of the embryo is the end nearest the centre of the blastoderm, the tail end being the one, formed by its edge“. Durchschnitte durch Keimscheiben dieser Entwicklungsstufe zei- gen, dass die Gliederung der unteren Schicht langsam vor sich geht. Nur im hinteren Theile stösst man auf eine mehr oder weniger scharf sich abgrenzende untere Zellenlage, welche am Rande in die obere umbiegt und von dieser immer noch durch ihr weniger festes Gefüge sich unterscheidet. Weiter vorn erhält man Bilder, die von denen des vorangegangenen Stadiums nur unwesentlich differiren. Weit selbstständiger tritt der Embryo hervor an Scheiben, deren Durchmesser 4 mm. erreicht oder etwas überschritten hat (Fig. 3). Er besitzt alsdann eine Länge von 1.2 bis 1.4 mm., bei einer Breite von 0.7 bis 0.75; aus dem Randwulst hervortretend, strebt er mit seinem vorderen Ende der Mitte der Scheibe zu, ohne jedoch diese zu erreichen, und durch eine tiefe Furche ist dies vordere Ende von seiner Umgebung abgesetzt. Eine helle Primitivfurche halbirt die obere Fläche, erstreckt sich bis in eine Entfernung von 0,33 mm. vom vorderen Rande und hört hier abgerundet auf. Drei Längsfalten zeichnen sich jederseits ziemlich scharf ab, die innerste begrenzt das Stammgebiet und damit die Medullarplatte; die zweite Falte fällt in das Parietalgebiet (seitl. Keimfalte), die dritte liegt bereits ausserhalb der Embryonalanlage (Aussenfalte). Die letztere Falte geht vorn in einen schwach angelegten Bogen über, welcher eine das Kopfende aufnehmende Grube umgibt, und es ist dies Faltensystem demjenigen entsprechend, aus welchem bei höheren Wirbelthieren das Amnion sich entwickelt. Die Seitenfalte erstreckt sich zwar bis vorn, allein sie wird am vorderen Kopfende durch die Medullarplatte verdeckt, welche hier die ganze Breite der Anlage einnimmt. Erst von da ab, wo jene sich verschmälert, etwa 0.65 mm. vom vorderen Rande ent- fernt, tritt dieselbe frei zu Tage. Am hinteren Ende spaltet sich der Embryo in zwei Schenkel, welche jederseits in den Randwulst sich fortsetzen, dabei schliesst Ueber die Bildung der Haifischembryonen. 113 sich der Stammtheil dem äusseren, der Parietaltheil dem inneren Saum des letzteren an. Die Primitivfurche bildet zwischen den aus- einanderweichenden Schenkeln eine breite dreieckige Bucht und en- digt an einer abgerundeten Incisur des Scheibenrandes; die beiden Schenkel des Embryo überragen um ein Kleines die Ineisur, sowie den übrigen Kreisbogen und bilden, indem sie in den Randwulst umbiegen, zwei scharfe Ecken. Ich bezeiehne dieselben als Rand- beugen und wähle diese neue Bezeichnung, weil die von BALFOUR dafür gewählte der „Caudallappen“ auf einer unrichtigen Voraus- setzung fusst. Inmitten der Primitivfurche ist die Chorda dorsalis sichtbar, auch sie verbreitert sich an ihrem hinteren Ende; sie schliesst sich beider- seits der Zellenschicht an, welche die Incisur in querer Richtung ab- grenzt. Auf der besprochenen Entwicklungsstufe ist eine Rinne so- wohl an der oberen, als an der unteren Fläche des Embryo vorhan- den und auch letztere erstreckt sich bis zur Ineisur, oder wie BAL- FOUR (p. 16) dies ausdrückt, es besteht ein freier Zusammenhang zwischen beiden Rinnen. Die untere Rinne ist die Anlage des Pri- mitivdarms, sie erstreckt sich bis zum vorderen Körperende und ist bei Embryonen von 1.2 mm. noch der ganzen Länge nach offen. Die Zellschicht, welche sie umgiebt, hat sich von der darüber lie- _ genden Intermediärschicht schärfer geschieden und sie besitzt eine Dicke, die der des Ektoderms gleich kommt. Ihr Schluss lässt nicht lange auf sich warten und rückt von vorn nach rückwärts vor. Auf einer folgenden Stufe (Fig. 4) bei Embryonen von 1.6 bis 1.3 mm. sind die ersten Urwirbel sichtbar, anfangs nur wenige (3—4) und nicht sofort in voller Schärfe abgegliedert. Die Primitivrinne ‚hat sich in einem Theil ihrer Länge verengt und vertieft, indem die Medullarplatten sich aufgerichtet haben, und sich entgegengerückt sind. Am hinteren Ende jedoch besteht noch die klaffende Auswei- tung der Grube, in deren Grund die auseinanderweichende Chorda zu sehen ist. Der Kopf hat sich jetzt schon in einer gewissen Länge von der Keimhaut abgelöst, und der Vorderdarm in einer noch be- deuteren Länge geschlossen (an Sagittalschnitten dieser Periode be- stimme ich die Länge des freien Vorderkopfes zu 0.45, die des ge- schlossenen Vorderdarmes zu 0.6 mm.), dabei reicht, wie auch die - Flächenansicht (Fig. 4) zeigt, der letztere noch bis weit vorn, und seine Wand berührt unmittelbar die vordere Umbiegung der Medullar- platte. Die Axe des Embryo verläuft gebogen, am höchsten steht der Mitteltheil des Kopfes, das vordere Ende des letzteren senkt sich etwas Zeitschrift f. Anatomie. Bd. I. 8 114 VIII. WirHeım Hıs. nach abwärts, ebenso der Hinterkopf, letzterer bildet den Uebergang zur stärkeren Einziehung des durch die Urwirbel charakterisirten kumpfabschnittes; das hintere Ende des Embryo ist wiederum ge- hoben. Rasch erfolet nun das fernere Längenwachsthum des Embryo und die Vermehrung der Urwirbel. Das Gehirn finde ich bei Embryonen von 2 bis 2.5 mm. noch offen. Dagegen bereitet sich der Schluss _ vor und bei dem in Fig. 5 abgebildeten Embryo von 2.75 mm. ist .es, gleichwie auch das Rückenmark, vollständig geschlossen. Die drei Hirnabtheilungen sind jetzt in der Flächen- und in der Profilansicht zu unterscheiden, bemerkenswerth ist dabei der bedeutende, das Vor- derhirn beinahe erreichende Durchmesser des Mittelhirns.. Aus der Profilansicht (Fig. 6) ersieht man ferner den gebogenen Verlauf der Hirnaxe und die beginnende Abgliederung der Augenblasen. — Das hintere Ende des Embryo überragt den Rand der Keimscheibe weit mehr als zuvor. Jeder der beiden Schenkel, in welche es ausein- anderweicht, biegt sich hakenförmig zurück, um den Rand zu er- reichen, wobei gleichzeitig eine suceessive Verjüngung stattfindet. Embryonen von 4 mm. überragen den hinteren Keimscheibenrand noch erheblicher (bis zu ?/, mm.). Ihre hintere Verlängerung ist zwar nicht mehr gespalten, wohl aber, wie auf der vorangegangenen Stufe, hakenförmig umgebogen (in den Fig. 7 und 8 nur blass aus- gedrückt). Das umgebogene Stück ist die Anlage des eigentlichen Schwanzendes, es verjüngt sich mit der Annäherung an die Keim- scheibe. Seine Anheftung erfolgt nicht am Rande selbst, sondern in einiger Entfernung davor, ein Verhältniss, das schon früher (Fig. 5 und 6) angedeutet war. Dies beruht darauf, dass die Verwachsung der beiden Seitenhälften des Randes hinter der Schwanzanlage weiter fortgeschritten ist. Der ausserembryonale Schluss des Randes rückt nun voran und bald überragt der Scheibenrand nach rückwärts den Embryo. Gleich- zeitig wird der Schwanz des letzteren frei und streckt sich, bis er dann bei Embryonen von 12 mm. zu einem einfachen, spitz aus- laufenden Strange geworden ist. Die Streckung erfolgt allmählich und zwar derart, dass die Umbiegungsstelle ihren Ort verändert und nach hinten sich verschiebt. Als Zwischenstufen zwischen den Fig. 7 und 8 abgebildeten und der freien Bildung treten solche auf, bei welchen ein nur kurzes umgebogenes Stück dem hinteren Ende des gestreckten oberen Stückes anhaftet (so findet es sich z. B. bei Embryonen von 7—8 mm.). | Wenn die Embryonen eine Länge von etwa 6 mm. erreicht haben Ueber die Bildung der Haifischembryonen. 115 und vom Keimscheibenrand etwa überholt worden sind, wird jederseits von ihnen in der Keimhaut ein doppelter Streifen sichtbar, ein vorderer Gefässstreifen und ein hinterer Blutstreifen (Fig. 9). Jener ist bei seinem ersten Auftreten völlig farblos, besteht aus einem bogen- förmigen, am Nabel in den Embryo eintretenden Gefässe, welches von seiner concaven Seite aus eine Anzahl von Zweigen in den dahinter liegenden Gefässhof entsendet. Der Blutstreifen nimmt seinen An- fang unter dem Schwanz des Embryo und geht, mit dem der andern Seite divergirend, nach rück- und auswärts. Gefäss- und Blutstreifen treten sich seitlich vom Embryo näher und verlaufen eine Strecke weit assymptotisch neben einander her. Später tritt auch längs des Blutstreifens ein wirkliches Gefäss (Vene) auf. Die beschriebenen, von der Körperanlage der Haie durchlaufenen Entwicklungsphasen lassen keinen Zweifel darüber, dass, wie dies im Beginn dieses Aufsatzes gesagt wurde, der Embryo aus dem Material sich bildet, welches beiderseits in der hinteren Hälfte des Randwulstes enthalten ist. Von vorn nach rückwärts erfolet die Aufreihung des Materials und seine mediane Verwachsung, indem aus dem hinteren Theile des Randwulstes zuerst der Kopf und dann nach und nach auch Rumpf und Schwanz sich zusammenfügen. Anders als ich fasst BALFOUR den Thatbestand auf; für ihn ist, wie aus dem oben mitgetheilten Citat hervorgeht, das hintere Ende des Embryo von Anfang an das Schwanzende. Er muss also den Embryo nicht durch Apposition, sondern durch Intussusception in die Länge wachsen lassen. Die auffallende Bildung von Fig. 5 hat er gekannt und in seiner Fig. 8, Taf. XIV eine ihr entsprechende ab- gebildet, allein anch hier hat ihm der Gedanke der seitlichen Ver- wachsung fern gelegen, er sieht die so selbstständig vortretenden Schenkel als Auswüchse an, bedingt durch die starke Entwicklung des mittleren Keimblattes. Folgendes ist seine Darstellung (l. c. S. 18): „After the embryo has become definitely established, for some time it grows rapidly in length, without externally undergoing other impor- tant changes, with the exception of the appearance of two swellings, one on each side of its tail. These swellings which I will call the caudal lobes are also found in osseous fishes and have been called by ÖELLACHER the Embryonal Saum. They are caused by a thikening of mesoblast on each side of the hind end of the embryo, at the edge of the embryonie rim, and form a very eonspicuous feature throughout the early stages of the development of the Dog-fish, and are still more marked in the Torpedo.“ Die Bildung am Salmonidenembryo, welche mit den Rand- g* 116 VIII. WiıcHerm Hıs. beugen zu vergleichen ist, ist jener kleine Vorsprung, den OELLACHER s. Z. als Schwanzknospe, ich selbst als Randknospe bezeichnet hatte. ÖELLACHER hatte denselben, ähnlich wie BALFOUR, für das wirkliche Körperende gehalten !), das in der Folge vom Kopfende sich rasch entferne, während er nach meinen Befunden eben nur die Stelle be- zeichnet, wo die beiden Seitenhälften des Randwulstes zusammen- stossen und in den Embryo umbiegen ?). Während bei den Plagiosto- men die 2 Umbiegungsstellen des Randwulstes klaffen und durch die ausgeweitete Primitivfurche von einander geschieden sind, stossen sie bei den Sal- moniden sofort dicht zusammen und die ° Primitivfurche fällt in Folge davon weg. Die Punkte, welche die Bildung des Haifischembryo durch Verwachsung der zwei seitenhälften des Randwulstes be- weisen, sind folgende: Zunächst die unmittelbare Evidenz. Es ist in der That kaum möglich, die auf Taf. VII zusammengestellten Entwicklungs- stufen neben einander zu sehen, ohne die Ueberzeugung zu gewinnen, dass die Stufe 2 aus 1 durch Einbiegung des Randes entstanden ist und dass eine vermehrte Einbiegung und Annäherung der Schleifenschenkel zu den Stufen 3 und 4 geführt hat. Evident ist ferner die Umbiegung der Parietalfalte und der Aussen- falte in den Randtheil der Keimscheibe Auch das erscheint ein- leuchtend genug, dass die divergirenden hinteren Schenkel von Nr. 5 zur Vereinigung bestimmt sind, und ebenso klar ergibt sich, dass das Schwanzende aus dem umgebogenen Stück jener Schenkel sich bilden muss. Eine weitere Reihe von Argumenten ergibt sich bei der Berück- sichtigung der Maassverhältnisse. Fig. 4 kann hiebei als Ausgangs- punkt der Betrachtung nach vor- und nach rückwärts dienen, weil hier das Vorhandensein von Urwirbeln und die Gestalt der Gehirn- anlage die Grenzen von Kopf- und Rumpfanlagen deutlich zu be- stimmen erlauben. Es ist leicht, die Gehirnanlage von Fig. 4 auch in Fig. 3 wiederzufinden und der Vergleich mit Fig. 2 ergibt dann weiterhin, dass die hier vorhandene Schleife des Randwulstes nur die Kopfanlage umfassen kann. Denkt man sich die Schleife von Fig. 2 1) OÖELLACHER, Zeitschr. f. wissensch. Zool. XXIIL 21. 2) Diese Zeitschrift Bd. I, 8. 19, Ueber die Bildung der Haifischembryonen. 117 bis zu Parallelstellung der Schenkel zusammengeschoben, so erhält man ein Gebilde von 0.85 mm. Länge und 0.7 mm. Breite, das vor der Rinne noch 0,33 mm. misst. Die Kopfanlage von Fig. 3 ist 0.85 —0.9 mm. lang (aus dem Vergleich mit Fig. 4 zu erschliessen), 0.70 mm. breit und misst vor der Primitivrinne 0,35 mm. Bei Fig. 7 ist der Kopf unter Zureehnung der Biegung 1.5 mm. lang, er hat somit gegenüber von Fig. 4 etwa um 56°), an Länge zugenommen. Die Länge des Stückes hinter den Urwirbeln beträgt dagegen bei Fig. 4 0.85 mm., bei Fig. 7 2.55 mm., d. h. sie hat um 300 °/, zugenommen. — Das Wachsthum der Strecken, innerhalb deren Urwirbel sich abgegliedert haben, ist am leichtesten controlirbar. Die Längenausdehnung der 4 Urwirbel von Fig. 4 beträgt 0.4 mm. Bei einem Embryo von der Stufe Fig. 8 ist sie noch genau dieselbe, woraus hervorgeht, dass das Längenwachsthum des segmentirten Rumpfes innerhalb der betrachteten Periode so gering ist, dass wir davon absehen können. Dieses zugegeben, bleibt, falls man die Län- genzunahme des Rumpfes durch Intussusceptionswachsthum erklären will, nur die Möglichkeit, dass die Strecke hinter den Urwirbeln der wachsende Theil sei. Diese Strecke misst bei Fig. 4 0.45 mm. Bei Fig. 7 ist das Stück hinter den vier vorderen Urwirbeln 2.2 mm. lang, es hat also die Längenzunahme 1.85 mm. oder mehr denn 400 °/, betragen !). Nun schreitet die Urwirbelgliederung fortlaufend weiter, das.Wachsthum der abgegliederten Strecken ist aber, wie eben gezeigt wurde, zu vernachlässigen und so gelangt man bei der Voraussetzung des Intussusceptionswachsthums zu dem Ergebniss, dass eine Strecke, die soeben noch im lebhaftesten Wachsthum begriffen war, mit einem Male stille steht, sowie sie in den Abgliederungsbereich gelangt. Wollte man auch diese Unwahrscheinlichkeit verdauen, so bliebe als weitere Unmöglichkeit übrig, zu verstehen, wie der Rumpf aus ‚einem rasch wachsenden und einem verschwindend wenig rasch wachsenden Stück bestehen kann, ohne dass in der Breitenausdehnung ein Unter- schied bemerkbar ist. Ein während der Aufreihungsperiode (Fig. 3—7) sehr geringes Massenwachsthum wird dagegen beansprucht, sowie es sich heraus- stellt, dass die Substanzanlage des Rumpfes und Schwanzes im ver- breiterten Theile des Randwulstes aufgespeichert ist. Beim Embryo, l) Ich bemerke, dass die Messungen an den 40fach vergrösserten Original- zeichnungen genommen sind. Abweichungen in der Nachmessung an der litho- graphirten Tafel erklären sich durch die schwer vermeidlichen Ungenauigkeiten der Wiedergabe, 118 VIII. WıcHeım Hıs. Fig. 7, beträgt die Länge des Rumpfes unter Einrechnung des um- geschlagenen Schwanzstückes 3.2 bis 3.7 mm. Misst man diese Längen, vom Embryo ausgehend, am Randwulste der Scheibe von Fig. 3 ab, so kommt man jederseits etwas über die Mitte hinaus, d.h. bis dahin, wo der Randwulst in seinen dünnen Abschnitt ausläuft. Hier ist somit die Anlage des Schwanzendes zu suchen und was darüber hin- ausliegt, wird zum Schlussrande des Dottersackes. Es bleibt indessen noch übrig, die Verhältnisse an Durchschnitten mit Rücksicht auf die uns beschäftigende Frage zu prüfen. Wie oben erwähnt wurde, so bildet die Zellenmasse unter dem durch sein Ge- füge bereits scharf charakterisirten Ektoderm anfangs eine lockere und ziemlich unregelmässig abgegrenzte Schicht. Die Scheidung dieser Schicht in eigentliche Blätter!) geht verhältnissmässig langsam vor sich und beginnt am hinteren Ende der Keimscheibe, wenn diese einen Durchmesser von etwa 3 mm. erreicht hat. Es bildet sich eine dicke Endodermlage, deren Zellen zuerst im Randtheil radiär sich an- zuordnen beginnen und die hier an den herabgebogenen Saum des Ektoderms unmittelbar sich anschliesst. Dies Verhältniss, von BAL- FOUR bereits beschrieben, schliesst sich dem an, das LEREBOULLET vor Jahren bei den Knochenfischen, KOwALEvVSky beim Amphioxus und bei einer Reihe von Wirbellosen aufgefunden und auf dessen Vor- handensein beim Vogelei neuerdings RAUBER aufmerksam gemacht hat?). In gleich prägnanter Weise, wie bei den Plagiostomen, ge- schieht der Anschluss beider Blätter an einander, weder bei Knochen- fischen, noch am Hühnerkeim. Beide Schichten besitzen bei jenen an der Umschlagsstelle dieselbe Dicke und gehen in sanft gerundetem Bogen in einander über, so dass es auf einer gewissen Entwicklungs- stufe fast unmöglich erscheint, eine scharfe Grenze anzugeben, wo das Ektoderm aufhört und das Endoderm beginnt. Ich werde im Nachfolgenden die Umbiegungsstelle beider Blätter in einander als die Randfirst des Keimes bezeichnen. Ueber dem sich abgrenzenden Endoderm bleibt eine fernere un- 1) Im Anschluss an GoETTE brauche ich den Ausdruck Schicht oder Keimschicht nicht synonym mit Keimblatt, jener wird für die noch unvoll- kommen geschiedene Substanzlage gebraucht, dieser für die scharf umgrenzte. Man vergleiche diese Zeitschrift L, 8. 14. 2) LEREBOULLET, Embryologie comparde du brochet, de la perche etc. Me&m. des savants &tr. 1853, tom. XVII. — KowıALevsky, Mem. de l!’Acad. de St. Pe- tersbourg t. X et XI, 1866 und 1867. — RauBEr, Med. Centralblatt 1875, 8. 49: Die Gastıula des Hühnerkeimes und „Ueber die Stellung des Hühnchens im Entwicklungsplane“. Leipzig 1876. Ueber die Bildung der Haifischembryonen. 119 gesonderte Zellenschicht, welche die Anlage der Muskelplatten um- fasst. Zuerst geschieht ihre Scheidung vom darüber liegenden Fkto- derm, während sie noch flach auf dem Endoderm aufruht, dann tritt auch eine untere Spalte und schliesslich eine völlige Sonderung der intermediären Schicht von der Umgebung ein. Gleichzeitig zerfällt sie in eine obere und eine untere Platte, welche an ihrem der Axe des Embryo zugewendeten Rand unter einander in bogenförmiger Ver- bindung bleiben. Diese intermediäre Schicht (Mesoderm der Autoren) besitzt im Stammtheil des Embryo ihre grösste Mächtigkeit, im Parietaltheile nimmt sie ab und verliert sich beim Uebergang in die Aussenzone. Letztere ist nur zweiblätterig, wogegen im em- bryonalen Theile des Randwulstes die Intermediärschicht neuerdings auftritt. Die Eigenschaften des Randwulstes müssen, wie leicht einzusehen ist, einen sicheren Prüfstein für die Bildungsweise des Körpers bieten, denn insofern ein Theil des Randwulstes wirklich Embryonalanlage ist, hat sich dies in dessen Eigenschaften lange vor Eintritt der Ver- wachsung zu zeigen. — Führt man an einer Keimscheibe von 4 bis 5 mm. Dm. einen Querschnitt durch den Embryo und zwar so weit vorn, dass der hintere Theil des Randwulstes nicht mehr tangential gestreift wird, so trifft der Schnitt in seiner Mitte den Embryo, beider- seits davon die Aussenzone und endlich den Randwulst, letzteren in etwas schräger, nicht rein radiärer Richtung. Dabei zeigt sich nun Folgendes: mit dem Uebergang auf den Randwulst verdicken sich so- wohl das Ektoderm, wie das Endoderm; zwischen ihnen erscheint die aus rundlichen Zellen gebildete intermediäre Masse, welche, wenn ihre Scheidung vom Ektoderm bereits erfolgt ist, noch auf dem En- doderm aufruht und sich der Concavität der Randfirst genau an- schmiegt. Dieselbe besitzt ihre grösste Dicke am Rand und schärft sich nach einwärts zu, sie ist sonach gerade entgegengesetzt gerichtet, wie die entsprechende Lage im Embryo. Ich führe als Beispiel einige Maasse an: An einem Querschnitte durch .den hinteren Kopftheit des Embryo, Fig. 4, misst die Breite des Schnittes 4.5 mm., die Dieke der Scheibe im Bereich‘ der 2blätterigen Aussenzone 30 u. dtewszösste, Dieke, des Kandmulstes „m van 2.2.0290 „ die Dicke des Ektoderms in der Aussenzone. . . » 2.0.10, 5 = .: 1; imeRandwulse ss ser { DD die Breite der Intermediärschicht des Randwulstes en ; 170 .e ührerorösster Dicke 2 2. er OD ÜRR: Etwas weiter vorn sind die Diner siünente geringer, nr beträgt: die Dicke des Randwulstes nur . . . ... 7% u. 120 VII. WiırserLs His. die Dieke des Ektoderms im Randwulst . 18—20 u. & Ademsintermediärschicht 0 ne a Ein Querschnitt von der Art der eben beschriebenen trifft sonach die Substanzanlage des Körpers zweimal, zuerst im schon vereinigten Embryo und dann wieder in zwei correspondirenden Seitenhälften am Rande). Damit letztere zum Ganzen werden, ist es nöthig, dass sie eine vollständige Drehung erfahren, ihre von einander abgewendeten convexen Randfirsten einander zuwenden und mittelst derselben unter einander verwachsen. Diese Drehung erfolgt im Allgemeinen beim Durchgang des Randwulstes durch die Randbeuge. Nur für das untere Schwanzende stellt sich die Sache etwas anders, denn da kommt die Vereinigung vor dem Durchgang durch die Umbiegungsstelle zu Stande. Schnitte, welche durch das Spaltungsgebiet des hinteren Embryorandes (in den Phasen Fig. 3—5) geführt werden, zeigen die 2 Seitenhälften getrennt. Jede der beiden Hälften besitzt eine laterale und eine me- diale Randfirst, von denen letztere dicker ist, als die erstere. Die beiden medialen Firsten sind mit ihrer Convexität einander zugekehrt, oder, falls die Incisur vom Schnitte eben noch gestreift wurde, durch eine schmale Zellenbrücke mit einander verlöthet. Die weiteren Folgerungen aus obigem Befunde ergeben sich von selbst: indem die beiden Wülste sich begegnen und verwachsen, entsteht eine obere Rinne, die Primitivrinne, und eine untere, die Darmrinne. Die beiden Ektodermhälften treffen im Grund der oberen Rinne mit einander zusammen und ebenso an der Decke der Darmrinne die beiden Endodermhälften. Ektoderm und Endoderm bleiben längs der Körperaxe mit einander verbunden durch die aus den verwachsenen Randfirsten hervorgegangene Masse des Axen- strangs, die Anlage der Chorda dorsalis. Sehr bald tritt eine scharfe Grenzlinie zwischen dieser und dem Ektoderm auf, und nun nimmt sich der Axenstrang aus wie eine Längsleiste, oder selbst wie eine Längsfalte des Endoderms (man vergl. Taf. XIV, Fig. 7a und 7b von BALFOUR). Später gliedert sich die Chorda auch von letzterer ab, indess bleibt der Zusammenhang noch lange durch eine kurze me- diane Platte erhalten 2). Da, wo die Chorda an die Medullarplatte anstösst, ist letztere I) Schnitte, die den hinteren Theil des Randwulstes tangential streifen, zeigen natürlich die Intermediärschicht ununterbrochen vom Embryo bis zum Randwulst, allein hier ist dieselbe ebenso wie im Embryo selbst verdickt. 2) Abgebildet bei BaLrour, Taf. XIV, Fig. 10, X als peculiar body under- Iying the notochord, derived from the hypoblast. Ueber die Bildung der Haifischembryonen. 124 wie ausgeschnitten und nicht unerheblich verdünnt'). Ihre Configu- ration an dieser Stelle entspricht der Form, die zu Stande kommen muss, wenn man sich die herabgebogenen und schräg abgesetzten Ektodermränder eines früheren Stadiums (S. 110) zusammengestossen denkt. So liegt es bei gleichzeitiger Berücksichtigung der frühen Sonderung der Medullarplatte von der Chordaanlage nahe genug, diese rein nur aus dem Zellenmateriale der unteren Keimschicht bezw. aus dem Endoderm abzuleiten. Nach ihrer Entstehungsgeschichte und mit Beziehung auf den Körper ist die Chorda dorsalis als dessen axiale Längsnaht zu be- zeichnen; mit Beziehung auf den Gesammtkeim repräsentirt sie einen Theil der verwachsenen Lippen des Blastoporus (oder für die Ga- straeatheoretiker der verwachsenen Lippen des Urmundes). Der Ver- wachsungsmodus aber des Körpers längs der Axe ist derselbe, wie entlang seiner übrigen Nähte, der Medullar- und Rückennaht, der Darmnaht, der Herznähte und der Bauchnaht. Ich kann das Schema hier wieder abdrucken, welches ich bereits bei einem anderen An- lasse dafür gegeben habe). Zwei Falten begegnen sich mit ihren Firsten und verwachsen mit einander, der obere Schenkel der einen bildet mit dem oberen der andern eine zusammenhängende, im Be- ginn rinnenförmig vertiefte Platte und dasselbe gilt von den unteren Faltenschenkeln. Beide Platten rücken später auseinander; während aber das Verbindungsstück bei den übrigen Nähten keine selbststän- dige Rolle mehr spielt, wird es bei der axialen Naht vermöge seiner Mächtigkeit zu einem eigenen Organ, der Chorda. Es werden aus dieser Bildungsgeschichte eine Reihe von Einzel- heiten verständlich, welche die Beobachtung ergibt: 3 1) die früher erwähnte Verbreiterung der Chorda an ihrem hinteren 1) Ich messe z. B. an einem Schnitt durch den Embryo Stad. Fig. 3 die Dieke der Medullarplatte seitl. von der Chorda 35 w., darüber nur 25 u. 2) Körperform 8. 65. 122 VIII. WırHneım Hıs. Ende in den Stadien Fig. 3 und 4 und ihr Anschluss an die Zellen- lage der Randfirst; 2) das schon von BALFOUR (l. c. 8. 13) hervorgehobene getrennte Auftreten der intermediären Zellenmasse (Mesoderm) jederseits von der Axe; 3) der Umstand, dass die Primitivrinne nicht bis an das vordere Körperende reicht und dass die davor liegende Strecke des Kopfes anfangs nahezu dieselbe Breite hat, wie die beiden Seitenstrecken (0.3 mm., Fig. 3); 4) das Zusammentreffen der oberen und der unteren Rinne an der Incisur; 5) die Schichtung der Chorda. So früh nämlich die Chorda un- terscheidbär ist, besteht sie aus stark abgeplatteten und hinter- einander geschichteten Zellen; nach rückwärts schliesst sich deren Schichtung beiderseits derjenigen der Zellen der Randfirst an. Dies erklärt sich folgendermaassen: beim Uebergang des Randwulstes in den Embryo erfährt das zuvor gebogene Stück eine Streckung, die Masse, die den convexen Rand bildete, wird dabei zusammengedrängt, die des concaven gestreckt. (Letzteres Moment kommt möglicher- weise in Betracht bei der Scheidung der Urwirbel. Immerhin ist zu bemerken, dass die Urwirbelscheidung der Zeit nach mit dem Ueber- sang des Randwulstes in den Embryo nicht völlig zusammenfällt, son- dern ihr etwas nachfolgt.) Die Verwachsung der Körperanlage aus zwei Seitenhälften ist ein so tiefgreifender Vorgang, dass wir kaum erwarten dürfen, ihn nur auf die Klasse der Fische beschränkt zu finden. Wenn aus ähnlichen Anfängen, aus den sich durchfurchenden Keimen ähnliche spätere Entwicklungsstufen, die formverwandten Embryonen entstehen, so werden sich die Durchgangsstufen doch in irgend einer Weise ent- sprechen. Was sich bis jetzt von verwandten Vorgängen hier anführen lässt, sind die Keimstreifenverwachsungen, welche man von Würmern und von Arthropoden kennt. Ich erinnere z. B. an die Beschreibung und Abbildungen, welche KowALEvsky!) von der Entstehung von Euaxes giebt. — Ferner führe ich desselben Forschers Beobachtungen über die Vorgänge im Insectenei (speciell Hydrophilus)?) an. Der Keim (Blastoderm), wenn er in Zellen umgewandelt ist, umschliesst hier 1) KowaALEvsky, Embryologische Studien an Würmern und Arthropoden. Petersburg 1871, 8. 15 u. £f,, Taf. III, Fig. 12—20 u. Taf. V. 2) Hierüber zu vergl. KowaLevsky’s Abbildungen über Hydrophilus Taf. VIII, Fig. 1—6, Taf. IX, Fig. 20-26, Taf. X, Fig. 27—33. Ueber die Bildung der Haifischembryonen. 123 den Nahrungsdotter vollständig. An seiner Aussenfläche bildet sich eine longitudinale Rinne, deren Ränder sich erheben und zuschärfen. Obwohl dieselben nicht den späteren Darmraum, sondern einen provisorischen, wieder vergehenden Vorraum umschliessen, lassen sie sich doch nach ihrem weiteren Schicksale mit den Lippen eines Blastoporus ver- gleichen. Dieselben vereinigen sich der Länge nach; aus den Zellen des oberen Lippenblattes wird das Ektoderm des Keimstreifens, die des unteren, zugleich mit denen des Rinnengrundes verlieren ihren bisherigen geschlossenen Zusammenhang und bilden die untere Keim- schicht. In der Folge gehen aus dieser die Muskelplatten und das Darmdrüsenblatt hervor; sie liegt dem Dotter unmittelbar auf und das Darmrohr bildet sich nunmehr durch eine Art innerer Umwach- sung des letzteren Seitens des Darmdrüsen- und Darmfaserblattes. Bei Wirbelthieren kennen wir ausser bei Knochenfischen und bei Plagiostomen bis jetzt nichts von einer Längsverwachsung der Körperanlage. Damit ist nun keineswegs gesagt, dass eine solche nicht stattfinde oder überhaupt nicht denkbar sei. Der Vorgang kann so verdeckt sein, dass er schwer und jedenfalls nur durch besonders darauf gerichtete Untersuchungen an’s Licht zu bringen ist, und eine Hauptschwierigkeit der Auffindung kann gerade darin liegen, dass die Verwachsung der Anlage der Bildung bestimmter Formen weit vorauseilt. Am leichtesten wird, wie mir scheint, die Sache bei Amphibien zu finden sein. Vom Hühnerkeim ist wenigstens die Thatsache be- kannt, dass die Embryonalanlage anfangs bis zum hinteren Rande der Keimscheibe reicht, später aber von dieser überragt wird. RAUBER !) I) RAUBER spricht sich in seiner vorläufigen Mittheilung im medicinischen Centralblatt 1874, S. 787, also aus: „Nimmt man die Lage des künftigen Kopf- endes zum Ausgangspunkt, so entspricht die erste Embryonalanlage einem hin- teren Abschnitte des Randwulstes und nimmt etwa ein Dritttheil der Gesammt- peripherie desselben ein. Dieser hintere embryoplastische 'Theil des Rand- wulstes ist durch ein geringeres Flächenwachsthum ausgezeichnet, als der grössere vordere periembryonale Theil, welcher durch rascheres Wachsthum und zuneh- mende Ausbreitung den ersteren nach allen Seiten überholt, ihn nach rückwärts nicht allein auszieht und verlängert, sondern auch schliesslich von seiner frü- heren unmittelbaren Verbindung abdrängt. Auf diese Weise isolirt, geht der embryoplastische Theil seiner weiteren Entwicklung entgegen, die Ränder des periembryonalen Theiles aber schliessen sich hinter dem abgeschnürten Theile mit zunehmender Isolirung desselben wieder zusammen.‘ In der neueren Schrift Rauger’s: „Die Stellung des Hühnchens im Entwicklungsplan“ finde ich nichts hierauf Bezügliches, höchstens könnten die Erörterungen von S. 17 hier ange- führt werden. Unverständlich in seiner lakonischen Fassung ist mir dessel- ben Beobachters Ausspruch, welcher den Kern eines Aufsatzes in Nr. 1 der 124 VIII. Wırseım Hıs. Ueber die Bildung der Haifischembryonen. hat demgemäss einen embryoplastischen und einen periembryonalen Abschnitt des Randwulstes unterschieden und er denkt sich, dass der erstere durch den rascher sich ausdehnenden letzteren in die Länge gezogen und nachher umwachsen wird. Unter einer grösseren Zahl von Keimscheiben aus den 18 ersten Bebrütungsstunden habe ich zweimal einen kartenherzartigen Einschnitt, dreimal eine leichte Ein- biegung am hinteren Scheibenrande getroffen. In der Regel aber findet sich äusserlich Nichts, was auf eine Verwachsung hinweist und zu einer sicheren Entscheidung bedarf es durchaus erneuter Un- tersuchungen. Noch’ schwieriger mag sich eine Entscheidung für das Säuge- thierei gewinnen lassen. Wenn indess hier nach den Angaben von Ep. v. BENEDEN für die Stufe der anscheinenden Vollkugel das Prineip der Hohlkugel (Metagastrula von v. BENEDEN) und die, wenigstens virtuelle Anwesenheit eines Blastoporus gewahrt sind, wenn ferner die Embryonalanlage auch hier in die Umgebung des betreffenden Blastoporus fällt‘), so ist wenigstens die Möglichkeit einer axialen Verwachsung der Körperanlage als vorhanden anzusehen. Erklärung der Abbildungen. Tafel VII. Die Figuren 1—8 sind bei 20facher Vergrösserung mit dem Prisma auf- genommen und so orientirt, dass in der Reihe Fig. 1—3 das vordere Ende der Primitivfurche, für die Fig. 4—8 das hintere Gehirnende in dieselbe Querlinie fallen. Fig. 1,2 und 3. Pristiuruskeime. Nach isolirten frischen Präparaten gez. Fig. 4 Scyllium cat., Contouren nach frischem Präparat, Detail nach aufgehelltem. Fig. 5. Pristiurus, Contouren nach frischem Präparat, Detail nach auf- sehelltem. Fig. 6. Pristiurus, nach Canadapräparat gez. Fig. 7a und 7b. Derselbe Pristiurusembryo in 2 Stellungen. De- tail von Ta nach Aufhellung eingetragen. Fig. 8. Pristiurusembryo, frisch gez. Fig. 9. Pristiurusembryo mit seinem Gefässhofe. Vergr. 5. Frisch gez. Der vordere helle Bogen ist der Gefässstreif, der hintere der Blutstreif. Sitzungsber. der Leipziger naturf. Ges. 1876 bildet. Die betreffende Nummer habe ich während des Druckes von diesem Bogen erhalten, der Ausspruch lautet, nach Hervorhebung der Randstellung des Embryo, also: „Die Primitivrinne ist nichts Anderes, als die Fortsetzung der Entoderminvagination auf den embryonalen Rücken und beginnt deshalb randwärts. Die Primitivrinne ist, wiewohl tran- sitorisch, das wichtigste Gebilde der „ersten Embryonalanlage“ “. 1) Ev. v. Benepen: La maturation de l’oeuf ete. Bruxelles 1875. IX. l. Ueber Vasa aberrantia am Rete testis. Von Prof, M. Roth in Basel. Das Vorkommen von Vasa aberrantia am unteren Theil des Neben- hodens und am Vas deferens ist seit HALLER durch zahlreiche Forscher, worunter besonders LaurTH, sattsam nachgewiesen worden. Ferner haben KoBELT und LuscHkäA gezeigt, dass auch am Kopf des Neben- hodens-solche abirrenden Samengefässe keine Seltenheit sind. Dagegen scheinen analoge Blindschläuche des Rete testis bisher der Beobachtung sich entzogen zu haben. Diese letzteren stellen nicht, wie die bisher bekannten, Anhängsel des Nebenhodens, resp. des Vas def. dar, sondern sitzen dem Hoden selbst auf, von dessen Rücken, dem Rete vasculosum Halleri, sie aus- gehen. Sie scheinen keineswegs sehr selten zu sein, da sie mir in 8 Monaten 4 mal (bei Individuen von 19—41 Jahren) vorgekommen sind. Zweimal wurden sie am linken, einmal am rechten, einmal an beiden Hoden beobachtet. Dreimal fand sich ein solitäres, zweimal zwei Vasa aberrantia vor. Diese Vasa aberrantia, deren Länge von 9—20 mm. variirt, ent- springen vom oberen Theil des Rete testis dicht neben dem untersten Vas efferens und verlaufen ziemlich gestreckt im vorderen unteren Theil des Samenstranges auf der medialen Seite des Nebenhodens. Sie haben so ziemlich die Weite von Vasa efferentia, nur erscheinen sie gewöhnlich gegen das Rete hin etwas schmäler und erweitern sich an ihrem blinden Ende zu einem Kölbchen oder sind hier auch mehr- fach divertikelartig ausgebuchtet. Sie sind mit cylindrischem Flimmer- epithel ausgekleidet, das zuweilen gleich dem Epithel der Vasa effe- 126 IX. M. Rortu. 1. Vasa aberrantia am Rete testis. rentia in fettiger Degeneration getroffen wird. Als Inhalt dieser Schläuche fand sich klare Flüssigkeit, keine Samenfäden. Von der oben erwähnten typischen Insertion am unteren Ende des Nebenhodenkopfes fand sich nur eine Ausnahme, wo zwei etwä 1 ctm. lange Vasa aberrantia mitten im Nebenhodenkopf, oben und unten von Vasa efferentia umgeben, ihren Sitz hatten. Der Fall war auch dadurch bemerkenswerth, dass die zwei aberrirenden Kanäle durch zwei kurze dicke Brücken mit einander communizirten. Betrefis der Deutung dieser Vasa aberrantia testis kann es nicht zweifelhaft sein, dass sie ihre Entstehung einer Störung in der Ver- bindung zwischen WOLrr'schem Körper und Hoden verdanken. Neh- men wir die KoßEur’sche Deutung der Vasa aberrantia des Neben- hodens als richtig an, wonach ein oder mehrere Wourr'sche Blind- därmchen als solche bestehen bleiben, ohne den normalen Anschluss an den Hoden zu erreichen, so können die Vasa aberrantia am Rete testis als solche WoLrr’sche Kanäle gedeutet werden, die zwar An- schluss an den Hoden gewonnen, aber abnormer Weise vom. WOLFF- schen Gange (dem Canalis epididymidis) sich abgeschnürt haben. Dafür spricht nicht nur ihre äussere Aehnlichkeit mit den Vasa efferentia (also mit den normal umgebildeten Worrr’schen Blindschläuchen) und ihre Auskleidung mit Flimmerepithel, sondern auch die That- sache, dass sie am häufigsten gerade an der Stelle vorkommen (im Winkel zwischen Nebenhodenkopf und Samenstrang), wo ein anderer höchst wahrscheinlich ebenfalls als Rest der Primordialniere zu deu- tender Körper, das GIRALDES’sche Organ, sich befindet. In pathologischer Beziehung sind die beschriebenen Anhänge des Rete testis nicht ohne Interesse, indem sie durch Eindringen von Sperma sich in grosse Samencysten umwandeln können, die dem Rücken des Hodens aufsitzen. Zuweilen schnüren sie sich auch vom Rete testis ab und stellen kleine seröse Cysten dar (das Genauere darüber s. in VIRCHOW’S Archiv). 2. Flimmerepithel im GIRALDES’schen Organ. 197 2. Flimmerepithel im Giraldes’schen Organ. Von demselben. Das Organ von GIRALDES (Parepididymis HENLE) liest im untern vordern Theil des Samenstrangs und besteht aus einer wechselnden Zahl weisslicher oder gelblicher Klümpchen, die weder unter sich noch mit dem Hoden zusammenhängen und jeweilen stark gewundene Blindschläuche darstellen. Die epitheliale Auskleidung dieser Schläuche ist, soweit ich sehe, nicht ganz richtig beschrieben worden. Während nämlich Hente (Handbuch der Anatomie II. S. 364) sich über die Gestalt der Epithelien nicht deutlich äussert, KÖLLIKER (Gewebelehre 5. Aufl. S. 537) dieselben für pflasterförmig erklärt, ebenso Frey (Histo- logie 2. Aufl. S. 609) und W. Krause (8. Aufl. von C. Krause’s Handb. d. Anat. I. 1876. S. 265), endlich KLein (Stricker’s Handb. S. 638) ihnen Cylinderepithel zuschreibt, so finde ich diese Schläuche schon beim Neugeborenen und von da bis ins höchste Alter mit eylin- drischem Flimmerepithel ausgekleidet. Die Cilien sind fast halb so lang als die sie tragenden Cylinderzellen (bei einem 64j. Mann betrug die Länge der Zellen 0,028 mm., die der Cilien 0,012 mm.). Obschon die Zellen in der Regei vom Pubertätsalter an in starker Fettdegene- ration getroffen werden, so erhalten sich doch die Flimmerhaare intakt. Wahrscheinlich erscheinen die Cilien gegen Ende der Fötalzeit; wenigstens waren bei einem 21 und bei einem 830 etm. langen Fötus noch einfache Cylinderzellen ohne Spur von Flimmerhaaren vorhanden. Das Vorhandensein von Flimmerepithel im GIRALDES’schen Organ spricht sehr für die von GIRALDES selbst vermuthete Abstammung dieser Schläuche vom Wourr’schen Körper, da ja auch die aus dem Worrr’schen Körper hervorgegangenen Kanälchen des Nebenhoden- kopfes (0. BECKER) und die Parovariumschläuche beim Weib mit Flimmerepithel ausgekleidet sind. Beiläufig die Bemerkung, dass im Lumen der GırALpE$’ schen Schläuche, zuweilen schon beim Fötus, glänzende Coneretionen vor- kommen, die in Natron unlöslich, in Salzsäure ohne Aufbrausen sich lösen, also wohl aus Kalkphosphat bestehen. — 128 IX. M. Rorn. 3. Die ungestielte oder Morgagni’sche Hydatide, Von demselben. Das so häufig am obern Umfang des Hodens vor dem Nebenhoden- kopf sitzende Läppchen, die ungestielte oder Morgagni’sche Hydatide, hat verschiedene Deutungen erfahren: ©. Krause (1843) hielt sie für eine Duplicatur der Tunica serosa, zwischen deren Blättern sich fett- loser Zellstoff befinde, und verglich sie mit den Appendices epiploicae des Darmes. Aehnlich sprach sich HuscHke (1844) aus: Vielleicht, fügt letzterer bei, sei die Hydatide auch ein Rest der stärkeren Ent- wickelung des Nebenhodens beim Fötus (nach LuscHKA, VIRCHOW’S Archiv VI. S. 311. 1854). LUSCHKA (]. c.) zeigte sodann, dass die Hyda- tide nicht selten mit den Kanälchen des Nebenhodens in offenem Zu- sammenhang steht und dann eine mit Sperma gefüllte Cyste darstellen kann; bei Abschnürung des zuführenden Kanälchens finde man zu- weilen eine seröse Cyste vor. O. BECKER (MOLESCHOTT’S Untersuchun- gen zur Naturlehre II. S. 83. 1857) fand weiter, dass diese Cysten, sobald sie Samenfäden enthalten, mit Flimmerepithel wie die Kanälchen des Nebenhodens ausgekleidet sind. Neuerdings ist nun von FLEISCHL (Centralbl. f. d. med. Wissensch. 1871. Nr. 4.) eine wesentlich andere Deutung der ungestielten Hyda- tide versucht worden, der auch bereits WALDEYER (bei FLEISCHL in StRicker’s Handb. II. 1872. S. 1236) und W. Krause (in C. KrAuse’s Handbuch I. 1876. S. 265) zugestimmt haben. Nach FLEIiscHhL näm- lich ist, während sonst die Tun. vagin. propr. Pflasterepithel besitzt, die ungestielte Hydatide mit eylindrischem Flimmerepithel überzogen, sie besteht aus blut- und Iymphgefässreichem Bindegewebe ohne Hohl- raum, und in dieses Bindegewebe hinein gehen von der Oberfläche schlauchförmige Einstülpungen des Epithels. Indem F. das Flimmer- epithel mit dem Keimepithel, das Bindegewebe mit dem Stroma des Eierstocks und die Epitheleinstülpungen mit ähnlichen Vorkommnissen am Eierstock parallelisirt, gelangt er dazu, die Morgagni'sche Hydatide als ein Analogon des embryonalen Eierstocks aufzufassen, und be- zeichnet sie als Ovarium masculinum. Den gegen die Basis der Hydatide führenden mit Cylinder- (Flimmer?)epithel ausgekleideten Kanal hält er für das Analogon der Tube des Weibes. Es ist diese Deutung eine Fortführung der WALDEYER'schen An- schauung (Eierstock und Ei, 1870), wonach die Säugethiere nicht nur 3. Die ungestielte oder Morgasni’sche Hydatide. 129 in Bezug auf die Geschlechtsausführungsgänge, sondern auch bezüg- lich der Keimdrüsen hermaphroditisch angelegt sind, von welcher hermaphroditischen Anlage sich zeitlebens Spuren erhalten sollen. U. A. hebt WALDEYER hervor (l. c. S. 150), dass auf dem Hoden des Hundes das „weibliche Keimepithel“ als eine vom Epithel des Parietal- blattes der Vaginalis propria verschiedene Zellenlage sich nachweisen lasse. In Betreff der von FLEISCHL beigebrachten Thatsachen kann ich zunächst das Vorhandensein von cylindrischem Flimmerepithel auf der Morgagni’schen Hydatide bestätigen. Auch die Einstülpungen die- ses Epithels in die Tiefe kommen öfter vor; dagegen ist die Hydatide keineswegs immer ein solider Körper, sondern enthält zuweilen einen mit Epithel ausgekleideten Hohlraum (Cyste), wie dies schon aus den vorerwähnten Beobachtungen von LuscHKA und O. BECKER hervor- geht. Auch den zur Hydatide verlaufenden Kanal haben schon jene ‚ Autoren gesehen, aber ihn, nicht immer blind endigen, sondern ihn in offener Communication mit einem Vas efferens des Nebenhodens stehen sehen; in letzterem Falle wurden auch Spermatozoen in der Cyste der Morgagni’schen Hydatide gefunden. Wenn wir nach jenen Beobachtungen ein Vas aberrans des Nebenhodens, nicht aber mit FreischL eine Tube in jenem zuweilen vorkommenden Kanälchen anzunehmen genöthigt sind, so steht es um kein Haar besser mit dem „Ovarium masculinum“ Freıschr's. Denn die Einstülpungen des Epi- thels erklären sich sehr einfach aus der häufig etwas gekerbten lap- pigen Oberfläche der Hydatide, welchen Niveauveränderungen das Epi- thel folgt, während kein Grund vorliegt, diese Einstülpungen als „drü- sige“ anzusehen. Was endlich noch das von dem Epithel der übrigen Tunieca vaginalis sich unterscheidende Flimmerepithel der Hydatide betrifit, so ist es sehr gewagt, aus solchen Formverschiedenheiten der Epithelzellen so weitgehende Schlüsse zu machen. Denn abgesehen davon, dass sowohl in pathologischen Bildungen als im Lauf der nor- malen Entwicklung die Epithelarten mannigfach ineinander übergehen (vgl. z. B. Neumann über Flimmerepithel im Oesophagus von wensch- lichen Früchten: M. Schutrze’s Archiv XII. 8. 570), so ist speciell für die auf der Tun. vag. propr. vorkommenden Epithelien Vorsicht nöthig. So erwähnt LAVALETTE, dass die Zotten der Scheidenhaut zuweilen mit Cylinderepithel überzogen seien (Srrıcker’s Handb. S. 522). Ich selbst habe einen Fall beobachtet, wo ausser der Mor- gagni’schen Hydatide, die ihr gewöhnliches Flimmerepithel besass, noch drei gestielte Anhänge am Kopf des Nebenhodens aufsassen, von denen einer mit dem Pflasterepithel der Tun. vag. propr., einer zum Theil Zeitschrift f. Anatomie, Bd. I. 9 130 IX. M. Rora. 3. Die ungestielte oder Morgagni’sche Hydatide. mit Pflaster-, zum Theil mit cylindrischem Flimmerepithel, der dritte sanz mit Flimmerepithel überzogen war. Der letztere Auswuchs war solid, die zwei andern enthielten je eine mit Flimmerepithel ausge- kleidete Cyste. Uns scheint deshalb, so lange keine genauen entwicklungs- geschichtlichen Beobachtungen über die Morgagni’sche Hydatide vor- liegen, die FLEISCHL-WALDEYER’sche Auffassung einer genügenden Begründung zu entbehren, und wir betrachten noch immer die älteren Angaben von LuscHhkA und OÖ. BECKER für maassgebend, wonach wenigstens zuweilen die Morgagni’sche Hydatide eine unverkennbare Beziehung zu dem männlichen Geschlechtsapparat besitzt. X, Ueber die Lymphwege der Knochen. Von Prof. G. Schwalbe. Eine Mittheilung des Herrn Dr. A. BupgE „über Lymph- und Blutgefässe der Röhrenknochen“ (Sitzung des medic. Vereins zu Greifs- wald vom 6. Mai 1876), die mir soeben von dem Herrn Verfasser über- sandt ist, veranlasst mich, meine eigenen Beobachtungen über Lymph- gefässe der Knochen vor vollständigem Abschluss derselben zu publi- eiren. Ich habe mich schon seit längerer Zeit mit diesem Gegen- stande beschäftigt und war bereits zur Zeit des Besuches, den mir Herr Dr. A. BupgE hier in Jena im Jahre 1874 abstattete, zu den Resultaten gekommen, die ich in den folgenden Zeilen mittheile. Bisher hatten äussere Gründe eine Fortsetzung dieser Arbeiten, sowie eine Publication der erhaltenen Resultate verzögert, doch würde ich jedenfalls nicht mit der Veröffentlichung gesäumt haben, wenn mir Herr Dr. Bupez, dem ich bei Gelegenheit des erwähnten Be- suches erzählte, dass ich die Lymphgefässe der Knochen bearbeite, gesagt hätte, entweder dass er bereits denselben Gegenstand in Arbeit genommen habe oder nehmen werde. Meine Untersuchungen erstrecken sich sowohl auf die Lymphbahnen der Röhrenknochen, als auf die der Knochen des Schädeldachs (Parietale, Frontale, Oceipitale) und wurden sowohl an Röhren- und Schädelknochen des Menschen, als an den entsprechenden von Rind, Schaf, Kaninchen, Katze angestellt. Sie be- treffen nur die Verhältnisse bei vollständig entwickelten Knochen; nur gelegentlich habe ich bei meinen Injectionen noch wachsende Knochen mit verwendet. Was zunächst die Lymphbahnen des Periosts betrifft, so bin ich nicht so glücklich gewesen, innerhalb des eigentlichen Periosts 9* 132 X. G. SCHWALBE. Lymphgefässe zu füllen. Bekanntlich besteht das Periost der aus- gewachsenen Knochen aus zwei leicht durch Präparation von einander zu trennenden Lagen, deren verschiedene Gefässversorgung kürzlich LANGER!) genau beschrieben hat. Ich fand nun (nach Untersuchungen am menschlichen Femur und Tibia), dass beide durch ein sehr lockeres spaltenreiches Bindegewebe von einander geschieden werden, welches es ermöglicht, dass die äussere, die gröberen periostalen Gefässe füh- rende Lage mehr oder weniger weit über der inneren hin- und her- geschoben werden kann. Die innere an longitudinal laufenden elasti- schen Fasern reiche Schicht haftet an vielen Stellen fest auf dem Knochen, oft durch fibröses Gewebe innig mit ihm verwachsen. An anderen Stellen kann man, allerdings unter leicht erfolgender Zer- reissung der kleinen eindringenden Gefässe, diese Lage leicht von der Knochenoberfläche abziehen, welche nun, wie die ihr zugekehrte Periost- fläche glatt erscheint. In noch anderen Fällen (laterale Seite der Tibia unter den Muskeln, laterale Seite des Femur oberhalb des Epi- condylus) existirt überhaupt nur ein lockerer Zusammenhang und man kann dann von der Existenz ziemlich ausgedehnter communieirender subperiostaler Räume reden. Diese scheinen besonders leicht da sich einzustellen, wo Muskelfasern sich direkt in die Oberfläche der Knochenhaut einsenken. Hier besteht die letztere, wie ich für die laterale Seite im oberen und mittleren Theile der Tibia finde, über- haupt nur aus einer leicht abhebbaren Schicht, welche der innersten Lage des Periosts anderer Localitäten entspricht. Ganz ähnlich ver- halten- sich mit Bezug auf die Verhältnisse der Knochenhaut die untersuchten Röhrenknochen des Ochsen. Bei kleineren Thieren da- gegen (jungen und alten Kaninchen, bei der Katze) konnte ich an den meisten Stellen des Femur und der Tibia sehr leicht eine Ab- lösung des einfachen Periosts von seiner Knochenunterlage vornehmen. Die einander zugekehrten Flächen erschienen dann glatt und glänzend. Injectionen in das Periost fallen je nach der Wahl der Einstichs- stelle verschieden aus. Bei Einstich in die äussere Lage oder in das lockere verbindende Gewebe zwischen beiden Periost-Lamellen dringt die Injectionsmasse (Berliner Blau, Alkannin-Terpentin) nie nach innen durch die innere elastische Lamelle, verbreitet sich dagegen, falls der Einstich in das lockere verbindende Bindegewebe führte, in diesem auf eine ansehnliche Strecke, die äussere Lage beulenförmig vortreibend. Nicht selten füllten sich rasch gleich nach Beginn der Injection auf der äusseren Oberfläche der äusseren Periostmembran einige gröbere 1) Ueber das Gefässsystem der Röhrenknochen. Wien 1875. Ueber die Lymphwege der Knochen. 133 anastomosirende mit unregelmässigen Contouren versehene echte Lymph- gefässe, die ich als supraperiostale bezeichnen will. Ganz ähnlich - sind die Resultate der Einstich-Injection in die äussere Periostlamelle selbst. Der Injection der supraperiostalen Lymphgefässe geht hier oft eine Füllung zweier die Gefässe begleitender Kanäle voran, welche aber schnell in die beschriebenen Lymphgefässe überleitet. Anders sind die Ergebnisse, wenn man die feinste Stich-Canüle vorsichtig in die subperiostalen Räume einführt. An den meisten Stellen des menschlichen Femur und der Tibia (ebenso beim Rind) verbreitet sich die injieirte Flüssigkeit, wie nach dem oben besproche- nen anatomischen Befunde zu erwarten war, nur eine kleine Strecke weit unter dem Periost; nur wo grössere Spalträume existiren, also besonders bei den untersuchten kleineren Thieren, tritt eine ausge- dehnte Füllung des subperiostalen Raumsystemes ein. Im ersteren Falle (Mensch, Rind) erfolgt nun die weitere Verbreitung der Injec- tionsmasse nach zwei Richtungen, nach aussen und nach innen. Nach innen dringt sie in die Knochen hinein und füllt dort Bahnen, die unten näher besprochen werden sollen. Sehr leicht dringt die injieirte Flüssigkeit nach aussen vor und füllt dabei in der passirten inneren Lage zahlreiche feine Spalten, im mikroskopischen Bilde spiessige Figuren bildend, welche ganz denen gleichen, die durch MicHkr !), Kry und Rerzıus?) aus der Dura mater genau beschrieben sind.®) Dann füllen sich die Maschenräume der erwähnten lockeren Verbin- dungsschicht und der wieder fester gewebten äusseren Lamelle und schliesslich in manchen Fällen subperiostale Lymphgefässe. Fassen wir das Mitgetheilte kurz zusammen, so kann von wirk- liehen Lymphgefässen nur in den äussersten Lagen des Periosts und aui dessen Oberfläche die Rede sein. Es findet sich dagegen in der lockeren verbindenden Schicht ein System mit echten Lymph- sefässen communirender Spalten und diese stehen wieder durch feine spaltförmige dem Laufe der Bindegewebsbündel parallele Saftkanälchen mit den engen oder weiteren Räumen zwischen Periost und Knochen- oberfläche in Verbindung. Für die Auffassung der subperiostalen Räume als Lymphräume scheint mir ausser den Injectionsresultaten !) Zur näheren Kenntniss der Blut- und Lymphbahnen der Dura mater cere- bralis. Berichte der sächs. Gesellsch. d. Wiss. 12. Dec. 1872. 2) Studien in der Anatomie des Nervensystems und des Bindegewebes. Stock- holm 1875. S. 165. 3) Die Injection dieser Spalten gelang auch mittelst der Lupwıs’schen Asphalt-Chloroformmasse und ergab Bilder, welche sehr den von Kry und Rerzıus auf Taf. 24, Fig. 4. ihres Werkes aus der Dura abgebildeten glichen. 134 X. G. SCHWALBE. die Thatsache zu sprechen, dass sich an vielen Stellen leicht eine continuirliche Endothel-Auskleidung nachweisen lässt. Dies habe ich wenigstens für die jene Räume begrenzende Oberfläche der Diaphyse (Femur und Tibia vom Kaninchen) mit aller Sicherheit constatirt, weniger sicher für die Innenfläche des Periosts. Diese Endothelüber- züge sind offenbar als die letzten Reste der osteogenen Schicht des Periosts anzusehen; die Osteoblasten sind nach dem Aufhören der ossi- ficatorischen Thätigkeit zu Endothelzellen geworden. In Betreff der Einzelheiten und der Methode der Darstellung bemerke ich noch Folgendes. Das Endothel der äusseren Oberfläche der knöchernen Dia- physe ist bei gut entwickelten subperiostalen Räumen (Femur und Tibia des Kaninchens) nach Abziehen des Periosts sehr leicht durch Behandlung mit !/, procentigen Silbersalpeter- Lösungen nachzuweisen. Die schwarzen Silberlinien begrenzen in leichten Schlängelungen, je nach der Lokalität, polygonale oder spindelförmige Felder; in jedem derselben lässt sich durch Karmin oder Hämatoxylin ein Kern nach- weisen. Nach Behandlung mit Mürter’scher Lösung lassen sie sich leicht in zusammenhängender Lage von der Oberfläche feiner parallel der Oberfläche zuvor abgespaltener Knochenblättchen abheben. Mit- unter scheint es, als wenn dieser Endothelüberzug sich in die Mün- dungen der Havers’schen Kanälchen hinein fortsetze, sowie anderer- seits feine Fortsätze der Endothelzellen von ihrer dem Knochen zu- gekehrten Seite aus in die feinen Oefinungen der auf der Oberfläche ausmündenden Knochenkanälechen einzudringen scheinen. In der compacten Knochensubstanz der Diaphyse vermochte ich von zwei Seiten her Gefässbahnen zu füllen, die ich aus gleich anzuführenden Gründen geneigt bin, für Lymphbahnen zu halten. Am leichtesten gelingt die Injection von den subperiostalen Räumen aus, besonders wenn man der Injectionsmasse dadurch, dass man die ober- flächlichen Lagen der Knochenhaut eintrocknen lässt, oder in anderer Weise, den bequemen Weg nach aussen erschwert. Es dringt dann die injieirte Flüssigkeit (Berliner Blau, Alkannin-Terpentin) mehr oder weniger weit in die Öompacta hinein, dem Laufe der HAveErs’schen Kanälchen folgend, als wenn die Blutgefässe derselben injieirt wären. Gegen diese Auffassung und für die Existenz perivasculärer Lymph- bahnen in der Knochensubstanz sprechen aber folgende Gründe. 1. Es füllen sich bei den oben beschriebenen subperiostalen Injeetionen keine Blutgefässe im Periost, was nothwendiger Weise eintreten müsste, wenn jene injicirten Gefässe .ianerhalb der Knochensubstanz Blut- gefässe wären. 2) Bei Injectionen der Blutbahnen würden auf weite Ueber die Lymphwege der Knochen. 135 Strecken hin Gefässe anschiessen; in unserem Falle sind meist nur beschränkte Stellen injieirt. 3) Hat man zuvor die Blutgefässe mit Karminleim gefüllt und injieirt, darauf in der geschilderten Weise von den subperiostalen Räumen aus Berliner Blau, so erhält man bei der mikroskopischen Untersuchung die rothen Leimceylinder mehr oder weniger vollständig von blauen Cylindermänteln umgeben. End- lich 4) kann man durch Maceration entkalkter Knochenstückchen in dünner auf 40 bis 50° C. erwärmter Salzsäure sehr schön die Blut- gefässe mit ihren umhüllenden Endothelscheiden oft auf ansehnliche Strecken im Zusammenhange darstellen, ähnlich dem Bilde, welches RAUBER in seinem kürzlich erschienenen Werke!) auf Taf. II. Fig. 4. wiedergibt. Es ist diese Endothelhülle höchst wahrscheinlich zugleich als Auskleidung der Havrrs’schen Kanäle aufzufassen, wofür die oben mitgetheilten Beobachtungen über das Endothel der äusseren Knochen- oberfläche sprechen. Sie grenzt aber keineswegs immer direkt an die Knochensubstanz, sondern ist häufig noch durch an elastischen Elemen- ten reiche Bindegewebslagen vom wahren Knochen getrennt. In an- deren Fällen dagegen bespült die Injectionsmasse den Knochen, von ihm nur durch das zarte Endothel geschieden und hier kann man die injieirte farbige Flüssigkeit mit feinen Zacken in die Knochensubstanz eindringen sehen. Solche Bilder erhält man besonders schön nach Alkannin-Terpentin-Injection in die subperiostalen Räume. Man stellt derartige Präparate her, indem man die mit Alkannin-Lösung injicir- ten frischen Knochen trocknet und dann in der gewöhnlichen Weise von ihnen feine Plättchen mittelst der Säge entnimmt und dünn schleift, dieselben schliesslich in Canadabalsam einbettet. An diesen Präpara- ten überzeugt man sich auch mit Leichtigkeit, dass die Alkannin- lösung in die Höhlungen der Knochenkörperchen auf weite Strecken hineingedrungen ist und zwar sowohl von den HaAvers’schen Kanälen aus, als bei den der Oberfläche nahe liegenden Knochenkörperchen direkt von den feinen auf der Oberfläche mündenden Kanälchen aus. Dass in älteren Knochen die Knochenzellen die Hohlräume der Knochen- körperchen nur zum Theil erfüllen, davon konnte ich mich an frisch mit Karmin behandelten dünnen Knochenlamellen, z. B. vom Siebbein des Kaninchens, vollkommen überzeugen. Doch wird der übrige Ab- schnitt der Knochenhöhle, wie bei frischer Untersuchung leicht con- statirt werden konnte, nicht von einem Gase (Klebs), sondern von einer Flüssigkeit erfüllt, die wir, da die geschilderten Hohlräume mit dem Lymphgefässsysteme im Zusammenhange stehen, als Knochen- 1) Elastieität und Festigkeit der Knochen. Leipzig, W. Engelmann. 1876. 136 X. G. SCHWALBE. lymphe bezeichnen müssen. Meine Auffassung der Natur der Knochen- zellen stimmt also nahezu mit der von RANVIER in seinem trefflichen Traite technique d’histologie p. 311 aufgestellten überein. Wie dieser ausgezeichnete Forscher finde ich die Knochenzellen als platte Gebilde der einen Wand der Höhlen anliegend. Meine Meinung weicht nur darin von der seinen ab, dass ich, gestützt auf meine Injectionsresul- tate, feine elastische Fortsätze der innerhalb des Knochenkörperchens noch protoplasmatischen Knochenzelle in die feinen Kanälchen an- nehme. Kurz, um die Verhältnisse an bekannte Bilder anzuknüpfen, so liegt hier ein wirkliches System von Saftkanälchen, analog dem des Bindegewebes vor, und sind für dieses alle die Fragen, welche für die Saftkanälchen des Bindegewebes aufgeworfen sind, zu beant- worten. Da die Antwort auf diese Fragen nur mittelst einer gründ- lichen Erörterung der ganzen Bindegewebsfrage zu geben ist, verzichte ich an dieser Stelle auf ein weiteres Eingehen. Nur das sei noch bemerkt, dass bei Embryonen die Knochenzellen, wie ja allbekannt, wirklich den ganzen Hohlraum der Knochenkörperchen erfüllen. Es muss also später im weiteren Verlaufe der Entwicklung eine Kanali- sirung des anastomosirenden Systems der Knochenzellen erfolgen, sowie ja auch (vergl. die Beobachtungen von Hrrzoc) die Zellen der Seh- nen, welche im embryonalen Leben vollständig die Lücken zwischen den Fibrillenbündeln ausfüllen, sozusagen kanalisirt, d. h. mit ihrer Hauptmasse auf eine Seite des sternförmigen interfasciculären Raumes gedrängt werden, während der grössere Theil des Raumes nunmehr, dem Systeme der Saftkanälchen angehörend, Lymphe enthält. Fassen wir das eben Mitgetheilte kurz zusammen, so finden wir in der compacten Knochensubstanz ein System von Saftkanälchen, den Knochenkörperchen und ihren Ausläufern entsprechend, die entweder direkt auf der äusseren und wie wir gleich sehen werden, auch auf der inneren Oberfläche der Compacta mit Lymphspalten in Verbindung stehen oder durch Vermittlung in den HaAvers’schen Kanälchen ent- haltener perivasculärer Räume. Ich erwähnte oben, dass noch auf einem anderen Wege die Fül- lung der letzteren möglich sei. Um dies verständlich zu machen, muss ich zunächst die Beziehungen der Oberfläche des gelben Knochen- marks zur anliegenden Knochenrinde erörtern. Bekanntlich löst sich der Cylinder gelben Knochenmarks aus der Knochenröhre der Röh- renknochen fast überall leicht heraus, natürlich unter Zerreissung der feinen Gefässe, welche aus der Compacta in die Oberfläche des Markes hineindringen. Nicht anders verhält sich der Inhalt des grossen. Canalis nutritius. Derselbe besteht aus A. und V. nutritia Ueber die Lymphwege der Knochen. Narr und Nerven, eingeschlossen in ein fetthaltiges Bindegewebe, das nach innen zu continuirlich in das Gewebe des gelben Markes übergeht und wie dieses Netze feiner Capillaren enthält.) Die Oberfläche dieses Stranges erscheint glatt und setzt sich ebenfalls direkt in die glatte Oberfläche des gelben Knochenmarkes fort. Ebenso erscheinen die Wände des Kanals glattwandig; der Inhalt lässt sich deshalb leicht von den Wänden ablösen, wobei feine direkt verbindende Gefässchen zerreissen (vergl. LANGER |]. c. S. 12). Die glatten Oberflächen des Markes und Gefässstranges einerseits, der inneren Seite der Diaphyse und des Ernährungskanals andererseits begrenzen nun ein System com- munirender mehr oder weniger weit ausgedehnter flacher capillarer Spalträume, welche ich als perimyeläre Räume bezeichnen will. Sie stehen in derselben Beziehung zur inneren Oberfläche der Com- pacta, wie die subperiostalen zur äusseren Oberfläche; ihre Ausbildung scheint mit dem Aufhören der ossificatorischen Thätigkeit an diesen Stellen, also im Wesentlichen mit der Bildung des gelben Markes zusammenzufallen. Im Bereiche des rothen Knochenmarkes existirt nichts Aehnliches. In Betreff der Begrenzungen dieser Räume bin ich bisher noch zn keinem sicheren Resultate gelangt. Für den Ernährungskanal der untersuchten erwachsenen Knochen (Tibia vom Rind) kann ich be- stimmt behaupten, dass sowohl auf seiner inneren knöchernen Ober- fläche als auf der der letzteren zugekehrten glatten Aussenfläche sei- nes Inhaltes sich je eine Endothelzeichnung durch Behandlung mit Argentum nitricum darstellen lässt. Diese Zeichnung setzt sich vom Gefässstrange aus auch eine Strecke weit auf die Oberfläche des Mar- kes fort; doch werden hier die Bilder meist undeutlicher. Präparate aus Mürrer’scher Lösung lehrten (Röhrenknochen von Rind, Schwein, Kaninchen), dass das gelbe Knochenmark sich nach aussen durch eine zarte bindegewebige Schicht abgrenzt, welche frei von Fettzellen, reich an feinen elastischen Fasern ist. Auf der Oberfläche der erwähnten zarten Markhaut erkennt man nun nach Behandlung mit MÜLLER’scher Lösung elliptische Kerne zerstreut, die, wie Zerzupfungsversuche er- gaben, zarten Endothelplättchen angehörten (Kaninchen, Rind). In manchen Fällen gelang es auch, auf dem frischen Mark durch Argen- tum nitricum ein Netz schwarzer Linien darzustellen, während in vielen Fällen die Silbermethode versagte. Dann aber (Femur der Katze) trat auf der inneren dem Marke zugekehrten Fläche der Knochenrinde !) Vergl. C. Langer, Ueber das Gefässsystem des Röhrenknochen. Wien 1875. 8. 12. 138 X. G. ScHWALBE. ein sehr schönes Netz schwarzer Silberlinien hervor, das sich in Gly- cerinpräparaten mit den von ihm begrenzten Feldern als continuir- liche Schicht abheben liess und nun deutlich die Existenz eines En- dothelhäutehens documentirte. Meine Untersuchungen sind nun dar- über noch nicht abgeschlossen, ob dieses Endothelhäutchen einseitig auf der Oberfläche des Markes oder auf der inneren Oberfläche der Knochensubstanz liegend die perimyelären Räume begrenze, oder ob beide Flächen der letzteren Endothelbegrenzung besitzen. Es scheint dies in der That an den verschiedenen Localitäten sich verschieden zu verhalten. So habe ich z. B. vom Humerus des Ochsen notirt, dass sowohl auf der freien Fläche des Markes, als auf der inneren Oberfläche des Knochens durch Arg. nitr. schöne Endothelzeichnung zu erhalten sei. In anderen Fällen, wie in dem oben erwähnten vom Femur der Katze, vermochte ich nur die Existenz einer Endothel- schicht zu constatiren und diese hatte sich, wie mir aus anderen That- sachen hervorzugehen scheint, wahrscheinlich bei der Präparation von der Oberfläche des Markes abgehoben und war der inneren Oberfläche des Knochens gefolgt. Dafür spricht die lockere Befestigung an dieser Stelle (s. oben), sowie die Beobachtung, dass an Präparaten aus MÜL- ver’scher Lösung sich zwischen Endothelhäutchen und Knochen eine Lage vielkerniger Riesenzellen nachweisen lässt. Soweit meine Beob- achtungen. Wenn ich aus ihnen trotz ihrer grossen Unvollständigkeit und Lückenhaftigkeit schon jetzt ein wahrscheinliches‘ Facit ziehen soll, so ist es dieses: die perimyelären Räume sind an den Stellen, wo sowohl Knochenbildung als Resorption ihren Abschluss gefunden haben, continuirlich von Endothel ausgekleidet, von welchem eine Lage auf der Oberfläche des Markes, eine andere auf der der letzteren zugekehrten inneren Oberfläche des Knochens sich befindet. Wo noch Knochenbildung besteht, existiren die perimyelären Räume überhaupt noch nicht. Knochenresorption scheint jedoch ihre Existenz nicht aus- zuschliessen; in diesem Falle ist wahrscheinlich das Endothelhäutchen der inneren Knochenfläche durch eine Ostoklasten-Schicht ersetzt. Die Existenz perimyelärer Räume am entwickelten Röhrenknochen ist dagegen eine feststehende Thatsache. Wir besitzen in der Injeetion derselben ein weiteres Mittel, um Gefässbahnen innerhalb der Com- pacta zu injieiren, die ich aus denselben Gründen, wie sie bei den von den subperiostalen Räumen aus gefüllten geltend gemacht wurden, für perivasculäre Lymphbahnen halten muss. Ich verfuhr dabei in folgender Weise. Der betreffende Röhrenknochen (am geeignetsten Femur vom Rinde) wurde im Bereich der Diaphyse durchsägt, von der Sägefläche aus wird nach vorsichtigem Erwärmen bis zur Körper- Ueber die Lymphwege der Knochen. 139 Temperatur sehr vorsichtig ein feines Holzblättchen zwischen Mark und Knochen eingeschoben, dann über die Sägefläche ein Stück Schweinsblase fest aufgebunden und nun mit einer Stich-Canüle in den durch das Holzblättehen markirten und leicht erweiterten peri- myelären Raum eingestochen und injieirt (gelöstes Berliner Blau oder Alkannin-Terpentin). Ist Alles wohl gelungen und das Präparat ge- nügend vorgewärmt, so gelingt es, einen Theil des Systems der peri- myelären Räume zu füllen und die Injeetionsmasse an verschiedenen Stellen der Knochenoberfläche austreten zu sehen. Sie folgt, wie die Untersuchung zeigt, dem Laufe der Blutgefässe!) und fliesst in Bahnen, die ich aus den bereits oben angeführten Gründen für perivasculäre halte. Es steht somit das System der perimyelären Räume durch letz- tere mit den periostalen Lymphbahnen im Zusammenhang. Auch durch festes Einlegen einer feinen Canüle in den Ernährungskanal (Tibia vom Pferd) eines unversehrten Röhrenknochens zwischen Gefässstrang und Knochen, also in die Fortsetzung der perimyelären Räume gelingt es, Theile dieses letzteren Systems, sowie (auch schon innerhalb des eanalis nutritius) angrenzende perivasculäre Kanäle zu injiciren; einmal sah ich auch in diesem Falle die Masse auf der Oberfläche des Knochens hervordringen. — Ich versuchte dagegen vergeblich, durch Injectionen vom Periost oder den subperiostalen Räumen aus einen Abfluss der Injectionsmasse aus dem Ernährungskanale neben den Blutgefässen in grössere Lymphgefässe zu erzielen. Der Grund ist einfach der, dass der injieirten Flüssigkeit begquemere Wege nach aussen zur Disposition stehen. Ich zweifle aber dennoch nicht an einem direkten Uebergang der perimyelären Räume durch Vermittelung der im Ernährungskanal gelegenen Spalträume in grössere Lymphgefässe ausserhalb der Knochen, um so mehr, als ja in der Literatur (vergl. HEnte, Gefässlehre. 2. Auf- lage, S. 440) mehrfach Angaben über Lymphgefässe, die an der Stelle von Ernährungsöffnungen aus der Knochensubstanz heraustreten, zu finden sind. S Wie sich die perimyelären Spalten zu muthmasslichen Lymph- gefässen des Knochenmarkes verhalten, habe ich nicht untersucht. Ueber die Lymphgefässe des Knochenmarkes besitze ich keine weiteren Erfahrungen, als die, welche mir an Präparaten, deren Blutgefässe zuvor mit Karminlein möglichst prall gefüllt waren, Einstich-Injeetio- nen ins Knochenmark (mit Berliner Blau) ergaben. Es wurden dabei scheinbar Venen auch weithin ausserhalb des Knochens injieirt; bei 1) Aehnliche Resultate scheint Langer zuweilen nach Injectionen des Marks durch Anbohrung erhalten zu haben; vergl. 1. c. p. 15, Zeile 21—17 von unten. 140 X. G. SCHWALBE. mikroskopischer Untersuchung zeigte sich jedoch, auch an den grösse- ren Venen, überall die blaue Masse schalenförmig um die rothen Leim- eylinder verbreitet. Wenn man aber bedenkt, wie schwer sich das Blutgefässsystem der Knochen vollständig prall füllen lässt, wie leicht ferner perivasculäre Räume einfach durch Retraction der Leimeylinder von den Wandungen der Gefässe künstlich gebildet werden können, so muss es gewagt erscheinen, aus den mitgetheilten Injectionsresul- taten sofort auf wirkliche im gelben Knochenmark präformirte peri- ‚vasculäre Räume zu schliessen, die auch ausserhalb des Knochens weithin scheidenartig die Venen begleiten würden, um so mehr, als ein beide Massen trennendes Endothelhäutchen an injicirten Präpa- raten nicht sicher nachzuweisen war; an uninjieirten habe ich aber nicht danach gesucht, da ich auf die Lymphgefässe des Knochen- markes der Röhrenknochen nur gelegentlich eingehen wollte. Viel klarer sind die Verhältnisse in den kleineren Markräumen der Diploö der Schädelknochen. Hier liegen sicher perivasculäre Lymph- bahnen vor, welche die Gefässe der Schädeldach-Knochen scheidenartig umgeben, mögen sie nun unmittelbar von Knochensubstanz begrenzt werden oder innerhalb der kleinen fetthaltigen Markräume der Diplo& liegen. Eine Injection dieser Bahnen ist von zwei Seiten aus ziem- lich leicht zu erhalten. Erstens erhält man durch Einstich- Injection zwischen Dura mater und Schädeldach !) fast constant neben den von MICHEL, sowie von Key und Rertzıus beschriebenen Injectionen von Lymphspalten der Dura und einem Hervorquellen der Masse auf ihrer inneren Oberfläche (MicHerL) mehr oder weniger weit in den Knochen hineindringende Füllungen perivasculärer Kanäle ?), und zwar sowohl innerhalb der Knochen des Schädeldaches, als auch an der Basis cranii bei Einstich in das Duralgewebe selbst, welch’ letzteres hier fest dem Knochen adhärirt. Weil aber in allen Fällen rasch der grössere Theil der Injectionsmasse auf der inneren Oberfläche der harten Hirnhaut hervorquoll, konnte ein Hervortreten der Injec- I) Ich muss die Existenz feiner, mehr oder weniger ausgedehnter capillarer Spalträume an dieser Stelle gegen Kry und Reızıus (l. c. p. 69 u. 70) aufrecht erhalten, ebenso ihre Bedeutung als Lymphspalten, da die äussere Seite der Dura dem Schädeldach vielfach eine glatte Fläche, auf welcher die zuerst von WIENskY und MıcHen beschriebene Endothellage stets leicht nachzuweisen ist, zukehrt und vielfach nur durch die ein- und austretenden Blutgefässe an der inneren Fläche der Schädeldachknochen fixirt ist. 2) Aehnliche Angaben macht neuerdings JantscHirz nach dem Referate von Hoyer in dem nächstens erscheinenden 4. Bande meiner Jahresberichte 1, 8. 135. Er spricht aber unrichtiger Weise auch von perivasculären Kanälen in der Dura, die bereits durch MicHEL, sowie Key und Rerzıus widerlegt sind. Ueber die Lymphwege der Knochen. 141 tionsfiüssigkeit durch die Schädelknochen hindurch auf die äussere Oberfläche des Craniums nicht beobachtet werden. Dagegen ist es mir gelungen, durch Injeetionen unter das Epicranium nicht nur perivasculäre Räume im Parietale, Occipitale und Frontale zu füllen, sondern auch bei Injeetionen, besonders solchen, welche in geringer Entfernung von der Sagittalnaht in der beschriebenen Weise an- gestellt wurden, einen Durchtritt der injieirten Flüssigkeit in den Raum zwischen Dura und Schädeldach zu beobachten. Dabei ist zu beachten, dass man die Canüle wirklich zwischen Knochen und Epi- cranium einschiebt. Mit dem Abheben der Galea aponeurotica und des Musculus epieranius hat man aber, wie ich hier beiläufig bemerke, noch nicht ohne weiteres die innerste Lage des Epieranium vor sich, sondern es folgt zunächst, durch ein weiteres Spaltensystem von der Galea getrennt, eine gefässreiche Bindegewebshaut, der äusseren Periost- lage anderer Knochen vergleichbar, die nach innen auf der inneren dem Knochen hart anliegenden Schicht durch ein mehr lockeres, lücken- reiches Bindegewebe befestigt ist. Bei Iniectionen in letzteres oder zwischen äussere Bindegewebshaut des Epicranium und Galea gelingt es nicht, die Lymphwege der Schädelknochen zu injieiren, sondern nur bei Einstich unter die innerste Lage des Epicranium. Es verhält sich dieses dabei ähnlich wie die Dura bei den von MıcHEL geübten Injectionen zwischen Dura und Knochen, oder wie das Periost anderer Localitäten. Ich habe bisher nur beim menschlichen Schädeldach ein Hindurehtreten der injieirten Flüssickeit auf dessen innere Oberfläche erhalten, jedoch auch nicht in allen Fällen, ohne dass ich die Gründe des Misslingens anzugeben wüsste. Fast immer aber erhielt ich auch da, wo die Flüssigkeit nicht hindurchdrang, auch am Schädeldack von Thieren (Schaf), eine partielle Injection der perivasculären Räume un- mittelbar angrenzender Knochenbezirke. Bei niederen Wirbelthieren ist dagegen schon bei Einstich-Injeetion unter die Haut des Schädel- daches in Stirn-, Scheitel- und Hinterhauptsgegend wahrzunehmen, dass die injicirte Flüssigkeit mit Leichtigkeit durch das Schädeldach hindurch in das Innere des Cavum cranii dringt. Bei Knochenfischen (Barbus) werden dabei als Communicationswege zwischen inneren und äusseren Lymphbahnen in den Deckknochen gelegene perivasculäre Kanäle benutzt. Die Injectionsmasse dringt hier, ohne je auf dem beschriebenen Wege Blutgefässe zu füllen, in die eigenthümliche fett- zellenhaltige Gewebsmasse zwischen Gehirn und Schädelwand ein. Bei Salamandra maculosa ergeben Einstich-Injectionen unter die Kopfhaut noch interessantere Resultate, auf deren weitere Verwerthung ich bisher noch nicht eingegangen bin. Die Injectionsmasse dringt auf Wegen, 142 G. SCHWALBE. Ueber die Lymphgefässe der Knochen. die ich noch nicht untersucht habe, ebenfalls in die Schädelhöhle hinein und breitet sich dort zwischen Dura und Innenwand des Cra- nium bis zur Basis des letzteren aus. Man findet ausserdem Injections- masse in der Orbita um den Augapfel herum, aber nicht in diesem selbst; ferner füllen sich der retroperitoneale Lymphraum, sowie Lymph- wege im Mesenterium und in den Lungen }). Kehren wir nach diesem Excurse zu den Verhältnissen beim Men- schen und den Säugethieren zurück, so finden wir hier Einrichtungen, welche eine Communication der auf der äusseren Seite des Schädels befindlichen Lymphe mit der im Innern des Craniums in verschiedenen Spalträumen ihre Bahn findenden- gestattet, schwieriger dagegen eine Communication in umgekehrter Richtung, wie ja schon die Versuche von QuINcKE?) und MICHEL gezeigt haben. Namentlich werden die Bewegungen der Galea bei Contraktionen der Frontal- resp. Occipital- muskeln ein Uebertreten äusserer Lymphe in das Schädeldach und weiter nach innen begünstigen und dasselbe gilt für eitrige Flüssig- keiten, die sich unter dem Epicranium ansammeln, aber nur soweit sie unmittelbar zwischen diesem und dem Knochen sich befinden. Was endlich das Verhalten der perivasculären Kanäle zu dem Gewebe der Markräume innerhalb des Schädeldachs von Menschen und Säugethieren betrifft, so habe ich mich davon überzeugen können, dass die Contouren der perivasculären Lymphräume, soweit sie innerhalb der Markräume verlaufen, stellenweise nach aussen hin nicht glatt abgegrenzt sind, dass vielmehr vielfach kleine Zacken und Netze, von der Injeetionsmasse gebildet, in das umgebende Markgewebe eine Strecke weit vordringen. Wie die Masse sich aber zu den Form- elementen verhält, habe ich bisher noch nicht untersucht. Hiermit schliesse ich den Bericht über meine Untersuchungen mit der Bitte an den Leser, die vielfachen Lücken, welche meine Mittheilung noch erkennen lässt, durch die Schwierigkeit des Gegen- standes und die Verhältnisse, welche mich zu einer Publication vor vollkommener Durcharbeitung dieses schwierigen Gegenstandes nöthig- ten, entschuldigen zu wollen. Jena, den 21. Mai 1876. 1) Die von diesen Localitäten erhaltenen Bilder gleichen ganz denjenigen, welche Pınızza, Sopra il sistema linfatico dei rettili, Pavia 1830, auf Tafel V, Fig. 3. u. 4. abbildet. 2) Zur Physiologie der Cerebrospinalflüssigkeit. Archiv von REICHERT und pu Boıs-Reymonn 1872. XI. Beiderseitiges Fehlen des langen Bicepskopfes. Von Prof. J. G. Joessel in Strassburg. Die Leiche, bei der die Anomalie sich vorfand, war die eines 60 jährigen Greises von hoher Statur und sonst kräftiger und normaler Muskulatur. Eine besondere Veränderung der Form des Armes wurde nicht bemerkt; erhebliche Functionsstörungen mögen, so viel wir wenigstens haben ermitteln können, nicht bestanden haben. Der lange Kopf des Biceps ‚fehlt total auf beiden Seiten, ohne dass Verstärkung des kurzen Kopfes oder des Coraco-brachialis hinzu- tritt. Vom Coraco-brachialis geht auf beiden Seiten zum Suleus inter- tubereularis ein 2 mm. breiter, 3 etm. langer Strang (T a), worin sich aber keine Spur von Muskelfasern, sondern nur fibrilläres Bindegewebe vorfindet, wie durch die mikroskopische Untersuchung constatirt wurde. Der Sule. intertubereularis ist beiderseits vorhanden und lässt sich bis zum überknorpelten Gelenkkopf verfolgen, doch ist der Kanal seich- ter als gewöhnlich. Um die Verhältnisse der Synovialkapsel näher untersuchen zu können, wurde auf der linken Seite die Gelenkhöhle am Rande der Cav. glenoidea angebohrt und mit Luft angefüllt; auf der rechten Seite das Gelenk. eröffnet. An der Stelle der Bursa mucosa subcoracoidea, die gewöhnlich, wenn sie besteht, sehr klein ist, und nicht mit dem Gelenk commu- nicirt, hat sich ein abnorm grosser Schleimbeutel entwickelt, der in direkter Verbindung mit der Gelenkhöhle steht. Der Schleimbeutel von der Grösse eines kleinen Hühnereies, füllt sich gleichzeitig mit der Kapsel durch Einblasen von Luft an. Der kurze Kopf des Biceps und’der Coraco-brachialis inseriren sich mit einem Theile ihrer Fasern an der Wand des Schleimbeutels. (S. T.) Die Bursa mucosa subscapularis ist nicht grösser als gewöhnlich, am Sulcus intertubereularis befindet sich keine Ausstülpung der Syno- vialis. Auf dem rechten Arm, wo die Kapsel eröffnet wurde, sieht man die Communicationsöffnung des abnorm stark entwickelten sub- 144 XI. JozsseL. Beiderseitiges Fehlen des langen Bicepskopfes. coracoidalen Schleimbeutels mit der Gelenkhöhle. Die Oeffnung ist halbmondförmig, ähnlich der Communicationsöffnung mit der Bursa subcapularis. Die Cavitas glenoidea erscheint etwas flacher als gewöhnlich; ein Labrum glenoideum ist nicht vorhanden. Das Lig. coraco-humerale ist beiderseits stark entwickelt; aber doch nicht stärker als in nor- :maler Weise. Der vorliegende Fall dürfte besonderes Interesse dadurch bean- spruchen, dass der Bicepskopf in ganz gleicher Weise beiderseitig fehlte; soweit mir bekannt, ist ein doppelseitiges Fehlen des langen Kopfes noch nicht beschrieben worden. Ich mache ferner auf die enorme Entwicklung der Bursa subcoracoidea und das Vorhandensein eines Sulcus intertubercularis aufmerksam, der sich somit als eine wenig- stens zum Theil von der Bicepssehne unabhängige Bildung darstellt. X11. Ueber das Vorkommen und Verhalten der Gelenke am Zungenbein und am Kehlkopfe. Von Dr. Ernst Krull aus Leopoldina (Brasilien). Eine bis dahin noch nicht zur Genüge ventilirte Frage ist die; „Ob am Zungenbein zwischen dem Corpus und dem Cornu majus; zwischen diesem und dem Cornu minus ein eigentliches Gelenk vor- kommt, ferner ob ein solches an der Verbindungsstelle der einzelnen Kehlkopfsknorpel unter einander sich findet, zu welcher Kategorie wir dasselbe zu rechnen haben, und wie es sich damit in Bezug auf Ge- schlecht und Alter verhält? Die Ansichten der Anatomen und einiger anderen Fachmänner, die sich speciell um die Erforschung des Baues des Kehlkopfes ver- dient gemacht haben, über diesen Gegenstand differiren bald mehr, bald weniger. Es ist das begreiflich, wenn man in Erwägung zieht, dass einmal die Theile, um deren nähere Erforschung es sich hier handelt, an sich schon sehr kleine und zarte sind, dann mag auch wohl die Lösung unserer Frage den Männern von Fach als eine weniger wichtige und bedeutsame erschienen sein. \ Um nun zu einem wirklich befriedigenden und endgültigen Re- sultate zu gelangen, musste man zum Mikroskop seine Zuflucht neh- men. Einen Versuch in dieser Richtung anzustellen, habe ich auf Anrathen meines verehrten Lehrers des Herrn Professor W. KRAUSE unternommen. Inwiefern meine Bemühungen von Erfolg begleitet waren, überlasse ich, da ich die Resultate meiner Untersuchungen in dieser kleinen Abhandlung niedergelegt habe, der Beurtheilung des gütigen Lesers. Zeitschrift f. Anatomie. Bd. 1I. 10 146 XII. Ernst KRruLL, Herrn Professor Krause aber möchte ich gleich hier, für den Rath, den er mir ertheilte, dann für die Bereitwilligkeit, mit der er meine Untersuchungen unterstützte, endlich für die Freundlichkeit, mit der er mir während der ganzen Dauer meiner Arbeiten stets ent- gegen gekommen ist, meinen Dank aussprechen. Bei den Gelenken am Zungenbein handelt es sich bekanntlich um hkeste aus der Entwicklungsgeschichte: die Cornua minora sind die unteren Enden der zweiten, die Cornua majora und das Corpus oss. hyoidei der dritten Kiemenbögen. Daraus erklären sich die va- riirenden Bildungen. Manchmal wird die Verbindung durch sehnige Bandmassen hergestellt, öfters entsteht eine von echtem hyalinem Ge- lenkknorpel begrenzte ebene Spalte, die einer Amphiarthrose entspricht. Die Frequenz des Vorkommens einer solchen konnte wie gesagt nur mittelst des Mikroskopes sicher entschieden werden. Die Zungen- beine etc. wurden deshalb entkalkt, in Alkohol gehärtet, und feine tingirte Durchschnitte mikroskopisch untersucht, nachdem sie in der gewöhnlichen Weise in Canada-Balsam eingedeckt waren. A. Den Anfang meiner Untersuchungen machte ich mit dem Zungenbein, und zwar war hier wieder mein Augenmerk zunächst auf die Verbindungsstelle zwischen der Basis und dem grossen Horn gerichtet. Dass an dieser Stelle wirklich ein Gelenk vorkommt, und dass dasselbe zur Norm gehört, glaube ich nach meinen Ergebnissen ausser allen Zweifeln stellen zu müssen. Wenn ich auf die von mir untersuchten Zungenbeine, deren Zahl weiter über 30 betrug (die- ‚jenigen Fälle, bei denen die Geschlechts- und Alters- Angabe fehlte, mitgerechnet), recurrire, so stellt sich die Sache so heraus, dass in der grösseren Hälfte der Fälle sich ein Gelenk nachweisen liess, wäh- rend in den übrigen Fällen dieses Factum entweder ganz abgeleugnet werden musste, oder fraglich blieb. Der Gestalt der Flächen, die bei den Bewegungen auf einander gleiten, dann den räumlichen Verhält- nissen, in welchen die beiden Gelenkflächen zu einander stehen, nach zu urtheilen, werden wir dasselbe wohl am ehesten zur Classe der Amphiarthrosen zählen dürfen. Mikroskopische Durchschnitte zeigten schon dem freien Auge eine lineare gerade oder gebogene Spalte. Die Zwischensubstanz, in welcher letztere lag, erwies sich als Knorpel und zwar als hyaliner Knorpel. In der bald ganz homogenen, struktur- losen, bald faserigen Grundsubstanz fanden sich zahlreichere kleinere und grössere, rundliche oder mehr längliche Knorpelzellen. Charak- teristisch war ferner eine gewisse Bestimmtheit in der Anordnung der Knorpelkörperchen. Während in denjenigen Partien, welche dem Knochen zunächst lagen, dieselben eine reihenweise Lagerung annah- Vorkommen u. Verhalten d. Gelenke am Zungenbein u. am Kehlkopfe. 147 men, bemerkte man sehr bald, dass sie mit der Annäherung an die Spalte nicht nur parallel mit der Fläche des Knorpels gelagert er- schienen, sondern auch, dass sie immer zahlreicher wurden und dich- ter an einander zu liegen kamen; gleichzeitig nahmen sie eine regel- mässigere runde Gestalt an. In einigen Präparaten, namentlich in solchen, die ich mit Glycerin behandelt hatte, stiess ich auf grössere und kleinere Fetttropfen in den Zellen. In den Fällen aber, wo nur der hyaline Knorpel nachweisbar ist, die Spalt-Bildung fehlt, was hier und da bei Erwachsenen vorzukom- men scheint, haben wir eine einfache Synchondrose vor uns. Ich sage mit Fleiss bei „Erwachsenen“, denn bei ganz jugendlichen Individuen scheint ein wahres Gelenk an dieser Stelle nicht vorzukommen, es wird dasselbe durch die Synchondrose repräsentirt. Ich werde auf dieses Verhältniss später, wenn ich von den Geschlechts- und Alters- Verschiedenheiten reden werde, noch einmal zurückkommen. B. Ganz ähnlicher Art, wie die eben beschriebenen, waren die Verhältnisse, auf die ich bei der Untersuchung der Verbindungsstelle zwischen dem kleinen und grossen Horn des Zungenbeins stiess. Ein senkrecht durch die Mitte des kleinen Horns und gleichzeitig schräg durch das grosse Horn und den Körper des Zungenbeins geführter Schnitt liess, wenn dieser nicht zu weit nach innen oder nach aussen gefallen war, mit einem Male auf das Schönste die Verbindung aller drei genannten Theile unter einander und mit einander erkennen. Nicht allein die zwischen dem Körper und grossem Horn eingeschal- tete Knorpelmasse mit ihrer medianen Spalte war man in den Stand gesetzt, wahrzunehmen, sondern auch eine zwischen dem kleinen und grossen Horn längs-verlaufende Spalte vermochte man ohne grosse Mühe schon mit blossem Auge zu erkennen. Die Stellung, welche diese beiden Spalten zu einander einnahmen, war etwa die eines rech- ten Winkels. Eine Communication zwischen beiden, wie ich sie an- fangs bei der Betrachtung mit blossem Auge geneigt war, anzuneh- men, fand niemals statt. Das mikroskopische Bild zeigte immer eine aus Knorpel bestehende schmale Trennungsbrücke. Was nun das Gelenk selbst zwischen dem kleinen und grossen Horn anbetrifit, so trug es alle die Eigenschaften, die ein solches charakterisiren, an sich. Eine gewisse Analogie zwischen dem letz- teren Gelenk und dem bereits oben beschriebenen war unverkennbar. Sowie dort waren auch hier die auf einander gleitenden Gelenkflächen nicht plane und ganz gerade verlaufende, sondern leicht gebogene, und mässig ausgehöhlte. Sonst waren auch hier die die Spalte umgebenden Wände scharf, glatt und eben. Ringsherum eingeschlossen war diese 110) 148 XII. Ernst Krut. Spalte ebenfalls von hyalinem Knorpel, der auf der einen Seite vom kleinen Zungenbeinhorn, direkt, auf der andern Seite aber von dem knorpeligen Ueberzuge des grossen Horns, dessen einer Theil dem kleinen Horne zustrebte, ausging. Die Anordnung der Knorpelzellen ete. in der Nähe der Gelenkhöhle und um sie herum war dieselbe, wie bei dem vorhin erwähnten Gelenke. Auffallend und durchaus abweichend von der Norm war die win- kelige Knickung, welche die Spalte in einem der von mir beobach- teten Fälle beschrieb. Ob diese Anomalie von vornherein bestand, oder durch irgend welche pathologische Veränderungen im Knochen hervorgerufen wurde, lässt sich schwer sagen. In denjenigen Fällen nun, wo mir der Nachweis eines Gelenkes nicht gelang, fand ich die Verbindung zwischen dem kleinen und grossen Horn durch lockere Bandmasse hergestellt. Diese Fälle waren keineswegs selten, doch waren sie immerhin, im Verhältniss zu der Zahl derjenigen Fälle, wo sich wirklich ein Gelenk nachweisen liess, in der Minorität. Wenn wir demnach be- haupten, dass die Existenz eines Gelenkes an dieser Stelle eher zur Norm als zu den Ausnahmen gehört, dass aber das Vorkommen des- selben nicht so constant ist, wie desjenigen zwischen dem grossen Horn und dem Körper, so glaube ich damit Alles gesagt zu haben, um die etwaigen Zweifel, die sich über diesen Punkt von dieser oder jener Seite erhoben, zu beseitigen. Sollen wir endlich dieses Gelenk ebenfalls einer Klasse von Ge- lenken unterordnen, so möchte ich wegen der Analogie mit dem vorher- gehenden auch hier der Classe der Amphiarthrosen den Vorzug geben. Nicht ganz so günstige Resultate ergaben meine Untersuchungen in Bezug auf ein Gelenk zwischen den einzelnen Knorpeln des Kehl- kopfes. C. Was zunächst die Frage über das Vorkommen eines Gelenkes zwischen den Cartilagines cricoidea und arytaenoidea anlangt, so ist diese, meines Wissens, von allen Anatomen und Specialisten für den Kehlkopf entschieden bejaht worden. Ueber den Charakter desselben, über seine Leistungsfähigkeit finden wir sowohl in den anatomischen Handbüchern als auch in den Specialwerken so ausführliche Beschrei- bungen, dass ich diesen durch meine eigenen Untersuchungen nichts Neues hinzufügen zu können glaubte. Aus diesem Grunde habe ich es denn auch unterlassen, mich noch ganz speciell wieder mit der Erörterung dieser Gelenk-Verbindung zu befassen. Vorkommen u. Verhalten d. Gelenke am Zungenbein u. am Kehlkopfe. 149 D. Anders verhält es sich mit der Artieulatio crieothyreoidea. Ob nämlich das untere Horn der C. thyreoidea, mit der ©. cricoidea wirklich durch ein Gelenk verbunden ist, darüber sind die Meinungen sehr getheilt. Nach meinem Dafürhalten gehört ein Gelenk an dieser Stelle wirklich zur Norm. Legt man an der Stelle, wo das Cornu inferius der C. thyreoidea sich an die C. ericoidea einlenkt, einen horizontalen oder einen frontalen Schnitt an, so findet man fast regelmässig zwi- schen beiden Theilen eine längs-verlaufende halbmondförmige Spalte. Diese wird gebildet durch einen convexen, von der C. cricoidea her- vorragenden Gelenkkopf, der ein relativ kleines Segment einer an- nähernd kugeligen Oberfläche darstellt. Den Radius des letzteren kann man in einigen Fällen auf etwa 1 ctm. schätzen. Die concave Krüm- mung der an der (©. thyreoidea liegenden Pfanne correspondirt ihrer Form nach ziemlich genau mit der des Gelenkkopfes. Eingebettet lag _ diese Spalte mitten in der Grundsubstanz beider Knorpel; sie erstreckte sich durch die ganze Dicke derselben. Ihre Länge möchte etwa 5—8 mm. betragen. Die einander correspondirenden Articulations- flächen waren meistens glatt und eben. Das Verhalten des Knorpels in der nächsten Umgebung der Spalte war in den verschiedenen Prä- paraten different. In den meisten Fällen konnte man von den Knorpel- zellen nichts mehr erkennen, oder man sah nur noch wenige hier und da verstreut; die Knorpelsubstanz selbst zeigte sich faserig, brüchig. Erst wenn man durch Verschieben des Präparates nach einer Richtung sich von der Spalte entfernte, erblickte man wieder deutlich die die beiden Knorpel constituirende homogene oder faserige Grundsubstanz mit den zahlreichen grösseren und kleineren Knorpelzellen. In an- deren Fällen, wo bereits der Verknöcherungsprocess sich geltend machte, erstreckte er sich nicht selten bis in die allernächste Nähe der Spalte, um hier dann plötzlich aufzuhören und der knorpeligen Substanz wieder Platz zu machen. Die Knorpelzellen anlangend, so waren diese oft in der Nachbarschaft der Spalte und um dieselbe hernm am zahl- reichsten; ihre Lagerung war auch hier wieder eine zur Oberfläche des Knorpels parallele, Bemerken muss ich noch, dass ich in einigen wenigen Fällen, anstatt auf die eben beschriebene Spalte, auf eine etwa hirsekorngrosse Höhle von ovaler Form mit scharfen, aber ausgebuchteten Rändern stiess. Wegen der Seltenheit des Vorkommens habe ich auf diese Höhlen - Bildung weniger Gewicht gelegt. Von grösserem Interesse waren jedenfalls diejenigen Fälle, wo weder eine Spalte, noch eine Höhlen-Bildung nachweislich war. Auf 150 XII. Ernst Krutt. einen solchen Mangel bin ich in der That, wenn auch nicht häufig, so doch hin und wieder gestossen. Bei Frauen, die das dreissigste Jahr noch nicht zurückgelegt haben, scheint dieser Mangel sich be- sonders geltend zu machen. Die Verbindung zwischen den beiden Knorpeln schien hier einfach durch Bandmasse hergestellt zu sein. Dass, wie ich schon oben erklärte, ein Gelenk an dieser Stelle zur Regel gehört, wird, wie ich hoffe, einleuchtend erscheinen, wenn man einen Blick auf die weiter unten in der Tabelle zusammengestell- ten Ergebnisse meiner Untersuchungen wirft. Ich habe dieses Gelenk seiner ganzen Configuration nach als zur Classe der Arthrodien ge- hörig aufgefasst. Eine Ansicht, die übrigens schon von einigen Fach- männern ausgesprochen ist, und die ich nur durch obigen Ausspruch bestätigen möchte. E. Meine letzten Untersuchungen endlich, betrefiend die Synchon- drosis ary-corniculata haben bezüglich eines wahren Gelenks nur nega- tive Resultate gegeben. Die verschiedenen Phasen der Entwicklung eines Gelenkes, wie sie LUSCHKA in seiner Arbeit über den Kehl- kopf, gerade für die Articulatio ary-corniculata, beschrieben hat, war ich leider nicht im Stande, durch meine Untersuchungen nach- weisen zu können. Weder die mohnsamen grosse Höhle noch die weit gegen die Peripherie fortgeschrittene Spalte, welche LuscHKA beob- achtet hat, konnte ich in meinen Präparaten mikroskopisch zur Dar- stellung bringen. Soweit nun meine Beobachtungen reichen, muss ich der von C. KRAUSE, TOURTUAL und von HENLE ausgesprochenen Ansicht, dass der Zusammenhang zwischen der Cartilago arytaenoidea und cornicu- lata durch elastische Bänder, respective Fasern hergestellt wird, bei- stimmen. Nicht immer, aber doch in der Mehrzahl der Fälle, gelang es mir, zu constatiren, wie von der Seite her sich Fasermassen zwischen die beiden Knorpel einschoben, und sie scharf von einander trennten. Mittelst des Mikroskops war es nicht schwer, festzustellen, dass jene Massen, welche die Grenze zwischen beiden Knorpeln dar- stellten, ihrer Struktur nach, einen von der die Knorpel selbst bil- denden Grundsubstanz gänzlich abweichenden Charakter zeigten. Es liessen sich die einzelnen wellig und einander parallel ver- laufenden Faserzüge, obwohl sie von kleinen Knorpelzellen ganz wie durchsetzt erschienen, dennoch auf der einen Seite von der hyalinen Grundsubstanz der Cartilago arytaenoidea, auf der anderen Seite von dem grobkörnig verfilzten Gewebe des Netzknorpels, der Cartilago cor- niculata deutlich abgrenzen und unterscheiden. Vorkommen u. Verhalten d. Gelenke am Zungenbein u. am Kehlkopfe. 151 Wenn nun, wie LuscHhKA nachgewiesen hat, ein Gelenk an dieser Stelle wirklich vorkommt, so glaube ich, dass dieses Vorkommniss keineswegs als zur Norm gehörig angesehen werden kaun; ich hätte sonst auch das eine oder andere Mal auf dasselbe stossen müssen. Als Regel glaube ich vielmehr die durch elastische Bandmassen herge- stelite Verbindung annehmen zu müssen. Es gewinnt dieser letztere Umstand um so mehr an Wahrscheinlichkeit, wenn wir bedenken, dass schon bei den vorhin erwähnten Theilen, die doch gewiss von grösserer Bedeutsamkeit für die Verrichtungen des Kehlkopfes sind, die Verbindung anstatt durch ein Gelenk, wie es zwar Norm ist, hier und da durch Bandmassen hergestellt wurde. Wenn nun dort schon das einfachere Hülfsmittel genügte, so sieht man nicht recht ein, wes- halb gerade hier, wo doch nur kleinere und unbedeutendere Theile mit einander zu verbinden waren, als Norm das complieirtere Gelenk entstanden sein sollte. Es erübrigt jetzt noch Einiges über das Vorkommen und Ver- halten dieser einzelnen Gelenke bei dem männlichen und weiblichen Geschlecht und in den verschiedenen Altersperioden zu sagen. Was zunächst die Geschlechts- Verschiedenheiten anbetrifft, so waren diese in Bezug auf das Vorkommen des Gelenkes selbst nicht nach- weisbar. Ein Prävaliren des einen Geschlechts über das andere fand nicht statt. In Bezug auf das Verhalten der Zwischenknorpelmasse am grossen und kleinen Horn und der Spaltbildung zwischen jenen Theilen, als auch derjenigen zwischen den Corn. inff. cartilaginis thyreoideae und der cartilago cricoidea, herrschten insofern Diffe- renzen, als der Zwischenknorpel sowohl, als auch die Spaltbildung beim weiblichen Geschlecht in ihren Dimensionen hinter denjenigen, wie sie beim männlichen Geschlecht vorzukommen pfleste, zurück- blieben. Den Grund für diese geringen Abweichungen müssen wir wohl darin suchen, dass die Organtheile, welchen jene Gebilde an- gehörten, also das Zungenbein, die Cartilagines thyreoidea und cri- coidea beim Weibe an sich weniger ausgebildet und entwickelt sind als beim Manne. Entschiedene Differenzen bezüglich des Vorkommens des Gelenkes und seines Verhaltens zeigten sich in den verschiedenen Alters- perioden. Diese Beobachtung glaube ich besonders an den beiden am Zungenbein nachgewiesenen Gelenken gemacht zu haben. Ich er- wähnte schon früher, dass ich bei meinen Untersuchungen den Ein- druck empfangen hatte, als ob an dem Zungenbein ganz jugendlicher 152 XII. Ernst Krurt. Individuen eine Gelenkhöhle noch nicht vorkäme, eine einfache Syn- chondrose aber immer vorhanden zu sein schiene. Mit positiver Be- stimmtheit einen Ausspruch zu thun, wage ich nicht, da ich nur ein paar Mal Gelegenheit hatte, die Zungenbeine von Kindern, die in den ersten Altersperioden standen, auf diese Verhältnisse zu prüfen. Das eine Zungenbein, das ich untersuchte, gehörte einem andert- halbjährigen Mädchen an. Bei diesem verhielt sich die Sache fol- gendermaassen: Während die zwischen dem grossen Horn und dem Körper eingeschaltete Zwischensubstanz nicht fehlte, waren von der Gelenkhöhle höchstens die ersten Andeutungen zu erkennen. Mit Hülfe des Mikroskops sah man an der Stelle, wo wahrscheinlich die Bildung derselben vor sich gehen sollte, eine Reihe dichtgedrängter Knorpelzellen, die sich vor den übrigen Knorpelzellen der Grundsub- stanz durch ihre eigenthümlichen Lagerungs- Verhältnisse auszeich- neten. Entstand nämlich die Gelenkhöhle, so mussten diese Knorpel- zellen zu den Gelenkflächen mit ihren längsten Durchmessern einen parallelen Verlauf annehmen, während die anderen, in der Nachbar- schaft der Gelenkhöhle liegenden Zellen mit ihren Längsdurchmessern eine senkrechte Stellung zu den Gelenkflächen einnehmen mussten. Der zweite Fall, den ich zur Untersuchung bekam, betraf ein zehnjähriges Mädchen. Bei diesem war die Bildung der Gelenkhöhle in dem Zwischenknorpel bereits vor sich gegangen; ebenso in allen übrigen Fällen, wo die Individuen das zehnte Jahr schon überschritten hatten. Wenn wir nun den ersten und den zweiten Fall als Richt- schnur annehmen, so dürfen wir wohl die Vermuthung aussprechen, dass die Bildung und Entstehung der Gelenkhöhle zwischen dem Cornu majus und Corpus und zwischen dem C. majus und minus in ‘ die Zeit vom ersten zum zehnten Jahre fällt. Ihre höchste Entwick- lung und den ausgebildetsten Grad der Vervollkommnung zeigten die Zungenbein-Gelenke immer bei denjenigen Individuen, welche in dem Alter zwischen 20—40 Jahren standen. Nach dem vierzigsten Jahre begannen die Einflüsse des immer weiter um sich greifenden Ver- knöcherungsprocesses sich immer mehr geltend zu machen. Es do- cumentirten sich dieselben zunächst an der Massen - Abnahme des Zwischenknorpels, an den Veränderungen, welche die Grundsubstanz desselben und die in dieser eingebetteten Knorpelzellen erfahren hatten, dann an der allgemeinen Raumbeschränkung, welche die Gelenkhöhle betroffen hatte. Ob endlich eine vollständige Umwandlung des Zwischenknorpels in Knochensubstanz und ein gänzlicher Schwund der Gelenkhöhle im höheren und im höchsten Alter eintritt, bleibt fraglich. Diejenigen Vorkommen u. Verhalten d. Gelenke am Zungenbein u. am Kehlkopfe.. 153 Fälle, die ich untersuchte und die das Alter von 50— 70 betrafen, zeigten immer noch Residuen des Zwischenknorpels und meistens auch noch Spuren der Gelenkhöhle. Grössere Differenzen in Bezug auf Alter und Geschlecht scheint die Artieulatio crico-thyreoidea darzubieten. Indessen beziehen sich diese mehr auf das Vorkommen, resp. Nichtvorkommen des Gelenkes, als auf sein Verhalten, seine Lage, Form, Gestaltung ete. Wie ich nämlich gefunden zu haben glaube, kommt das Gelenk an dieser Stelle besonders kurz vor den zwanziger Jahren und zwischen dem 20. bis zum 80. Jahre beim männlichen Geschlechte häufiger, als beim weiblichen Geschlechte vor. Nach dem 830. Jahre scheint sich die Sache mehr auszugleichen und das Verhältniss bei Männern sowohl, wie bei Weibern ein gleiches zu werden. Vor dem 20. Jahre gelang es mir weder bei dem einen noch bei dem andern Geschlechte den Nachweis für das Vorhandensein eines wirklichen Gelenkes mit Sicher- heit zu liefern. Damit will ich jedoch die Existenz eines solchen während dieser Lebensperiode keineswegs ganz in Abrede stellen. Es müssten zur Begründung der Wahrheit in dieser Hinsicht die ‚Unter- suchungen noch weiter ausgedehnt werden, als ich zu thun im Stande war. Zu meiner Rechtfertigung muss ich sagen, dass die Zungenbeine und Kehlköpfe gerade jugendlicher Individuen mir nur sehr sparsam zugemessen waren. Was .die sonstigen Abweichungen im Verhalten dieses Gelenkes anbelangt, so bezogen sich diese vornehmlich auf die Veränderungen, die dasselbe durch den Verknöcherungsprocess im späteren Lebensalter erfuhr. Die wesentlichen Punkte, auf die es hier ankam, erwähnte ich bereits früher bei der Beschreibung der Zungenbein-Gelenke, und übergehe ich sie hier, da wir im Grossen und Ganzen auf dieselben Verhältnisse stossen, mit Stillschweigen. Erwähnen muss ich dann endlich noch, dass ich erhebliche Ver- schiedenheiten in Bezug auf das Vorkommen und Verhalten der Ge- lenke zwischen rechts und links nicht gefunden habe. Das eine Mal war das Gelenk entweder auf beiden Seiten, das andere Mal entweder nur rechts oder nur links nachweisbar. Ueber die Articulatio erico-arytaenoidea und ary-corniculata ver- mag ich bezüglich der Geschlechts- und Alters- Verschiedenheiten nichts zu sagen, da ich die erstere einer Prüfung nicht unterwarf; die letztere aber ohne Angabe des Geschlechtes und Alters untersuchte, 154 XII. Ernst KRuLL. Tabelle I. Für das Gelenk zwischen dem Cornu majus und der Basis ossis hyoidei: Anzahl der Zungen- Vorkommen des Fehlen des Ge- Procentzahlen: beine, männliche Gelenkes ohne Un- lenkesı und weibliche zu- terschied zwischen sammengenommen: rechts und links: U 13. 4. 16:23. Die 17 Zungenbeine vertheilen sich auf die beiden Geschlechter: Männer: Vorkommen des Gelenkes: Fehlen des Gelenkes: Procentzahlen: 10. T. 3% 71:29. Weiber: 7. I 2 70:30. Auf rechts und links kommen bei den Männern: rechts, Männer: Vorkommen des Gel.: Fehlen des Gel.: Procentzahlen: 10. 2 2 (1). 70:20. links: 10. Te 3 70:80. Auf rechts und links kommen bei den Weibern: rechts, Weiber: Vorkommen des Gel.: Fehlen des Gel.: Procentzahlen: To 4. 3% 57:43, links: 6 D% 2. 71:29. Auf die verschiedenen Lebensalter kommen: Bei den Männern: Bei den Weibern: Alter: Vorkomm. d. Gel.: Fehlen d. Gel.: Alter: Vorkomm. d. Gel.: Fehlen d. Gel.: 17 2 — 11, = 2 18 2 — 10 2 — 21 1 p 17 2 = 21 2 u 21 1 (2?) — 24 2 — 54 1 1 25 10») 2 60 Er 2 43 — 2 p 2 — 55 2 — 13 — 2 Vorkommen u. Verhalten d. Gelenke am Zungenbein u. am Kehlkopfe.. 155 Tabelle 11. Für das Gelenk zwischen dem C. minus und C. majus ossis hyoidei: Geschlechts- und Altersangaben fehlen. Zungenbeine: Vorkommen des Gelenkes: Fehlen des Gelenkes: Procentzahlen: 14. 9. 3. 64:36. Unterschiede zwischen rechts und links: rechts, Zungenbeine: Vorkommen d. Gel.: Fehlen d. Gel.: Procentzahlen: 14. 6. 5. 43:86. links: 14. 98 58 64 : 36. In drei Fällen blieb die Sache unsicher. Marie lie; HT. Für das Gelenk zwischen dem Cornu inferius cartilaginis thyreoideae und der cartilago cricoidea. Kehlköpfe: Vorkommen des Gelenkes: Fehlen des Gelenkes: Procentzahlen: 19. 13. 6. 68: 32. Die 19 Kehlköpfe vertheilen sich auf die beiden Geschlechter: Männer: Vorkommen des Gelenkes: Fehlen des Gelenkes: Procentzahlen: 10. 8. 2» 80 : 20. Weiber: 9, 5 4. 55:44. Auf rechts und links kommen bei den Männern: rechts, Männer: Vorkommen des Gel.: Fehlen des Gel.: Procentzahlen: 10. 8 2. 80:20. links: 10. de 38 70:30. Auf rechts und links kommen bei den Weibern: rechts, Weiber: Vorkommen des Gel.: Fehlen des Gel.: Procentzahlen: 9: 5. 4, 55:44. links: 9. 3. 4, 99: 44. Nach den Lebensaltern vertheilt sich die Sache: Bei den Männern: ‚Alter: Vorkomnn. d. Gel.: Fehlen d. Gel.: Alter: Vorkomm. d. Gel.: Fehlen d. Gel.: 17 1 1 43 2 — 21 = 2 50 2 = 24 1 1 55 2 _ 25 2 a 713 2 = 39—43 2 e: ? 2 = 156 XII. Ernst Krurı. Bei den Weibern: Alter: Vorkomm. d. Gel.: Fehlen d. Gel.: Alter: Vorkomm. d. Gel.: Fehlen d. Gel.: 11, = 2 54 2 a 10 — 2 60 2 — 17 2 2 ? 1 1 21 ar 2 ? 2 a 39 2 de Die Funktion, welche die Gelenke am Zungenbein haben, ist augenscheinlich die, dem ganzen Zungenbeine, beim Zug der ver- schiedenen Muskeln, die sich an dasselbe ansetzen, eine grössere Be- weglichkeit und Nachgiebigkeit zu verleihen. Die Hauptbewegungen des Zungenbeins nach oben und unten werden sicherlich an den zwischen dem Körper und den grossen Hörnern befindlichen Gelenken ausgelöst werden. Durch den Zug der Muskeln und Ligamente, welche das eine Mal von oben und vorn, das andere Mal von unten hinten herkommend, sich an das grosse Horn ansetzen, wird dieses bald nach oben und vorn, bald nach unten hinten gezogen werden. Diese Aenderungen in der Stellung der grossen Hörner werden durch eine rotirende Bewegung, welche in den entsprechenden Gelenken zu Stande kommt, wenn auch nicht ausschliesslich vermittelt, so doch befördert werden. Die Rotation wird also die hauptsächlichste und vorwiegende Bewegung sein, welche aus den Excursionen dieser Gelenke resultiren wird. Andere und grössere Excursionen oder Bewegungen zu machen, wird den Gelenken, da die zwischen ihren Gelenkflächen liegenden Zwischenräume sehr verschieden und zum Theil sehr geringe sind, nicht möglich sein. Die Muskeln nun, welche einmal die Bewegungen des Zungenbeins auszulösen, das andere Mal seine Fixation zu besorgen haben, sind diejenigen, welche einerseits vom Unterkiefer, andererseits vom Sternum resp. von den Kehlkopfsknorpeln herkommend, sich an das Zungenbein inseriren. Das zwischen dem kleinen und grossen Horn des Zungenbeins vorhandene Gelenk, das seiner Configuration nach die grösste Aehn- lichkeit mit demjenigen zwischen der Basis und dem Cornu majus hat, wird im Wesentlichen auch nur für die Rotations-Bewegung be- nutzt werden können. Die Frage, weshalb an dieser Stelle ein Ge- lenk angebracht sich findet, liess sich früher eben so schwer beant- worten, als die, wozu das kleine Zungenbeinhorn überhaupt dienen soll? Der Grund, den man damals anführte, dass nämlich das kleine Horn Muskeln zur Insertion dienen möge, dürfte wohl nicht stichhaltig sein. Heute weiss man vielmehr, dass es sich um Reste aus der Entwick- Vorkommen u. Verhalten d. Gelenke am Zungenbein u. am Kehlkopfe.. 157 lungsgeschichte handelt: die Cornua minora sind die unteren Enden der zweiten, Cornua majora und das Corpus der dritten Kiemenbögen. Möglich wäre es, dass das kleine Horn und das zwischen ihm und dem grossen Horn angebrachte Gelenk einerseits die Bewegungen des grossen Hornes und die Excursionen des zwischen ihm und dem Körper des Zungenbeins befindlichen Gelenkes unterstützte und aus- giebiger ausfallen liesse, andererseits aber auch dieselben vor einer allzu grossen Beweglichkeit, die leicht zu Fracturen oder Zerrungen führen könnte, schützte. Artieulatio erieo-arytaenoidea. Die Haupt-Funktion dieses Gelenkes läuft darauf hinaus, den Li- gament. vocal. verschiedene Stellungen zu geben. Dieses kann durch Verschiebung der Cart. cricoidea an der Cart. arytaenoidea in zwei- facher Weise ermöglicht werden. 1) Denkt man sich eine Ebene senkrecht auf die Oberfläche der C. cricoidea construirt, so wird, wenn die Cart. arytaenoidea sich in dieser bewegt, ihr Processus vocalis nach vorn und in den Kehlkopf hinein, oder nach hinten aussen sich bewegen. 2) Construirt man sich eine Verticale, welche ungefähr der Axe, die man sich durch einen der Giessbeckenknorpel gezogen denkt, ent- spricht, so wird bei einer Drehung um diese der Processus vocalis wie oben, das eine Mal mehr nach innen, das andere Mal mehr nach aussen gekehrt werden. Durch diesen Mechanismus werden natürlich die Stimmbänder abwechselnd entweder einander genähert oder von einander entfernt und dem entsprechend die Stimmritze erweitert oder verengt werden. Eingeleitet werden die obigen Bewegungen durch die Mm. crico- thyreoideus, crico-arytaenoideus post. und crico-arytaenoideus lateralis. Artieulatio erico-thyreoidea. Die Wirkung auch dieses Gelenkes ist auf eine Spannung der Stimmbänder zurückzuführen. 1) Nähert man den Schildknorpel dem Ringknorpel, indem man die vorderen Theile beider an einander bewegt, so werden die Lige. vocalia sich anspannen müssen, da Im Ansatzpunkte von einander entfernt werden. 2) Unter der Einwirkung der Mm. crico-thyreoidei wird durch Drehung des Schildknorpels nach auf- und abwärts, um eine durch das Gelenk führende transversale Axe, eine Spannung der Stimmbänder 158 XI. Ersst Krurt. Vorkommen u. Verhalten d. Gelenke am Zungenbein etc. herbeigeführt werden. Damit sind indessen andere Bewegungen, die im und durch das Gelenk ausgeführt werden können, durchaus nicht ausgeschlossen. Synchondrosis ary-corniculata. Die Wirkung der Zwischensubstanz, die man zwischen der Cart. arytaenoidea und der Cart. corniculata eingeschaltet findet, ist ent- schieden die, dem oberen kleineren Knorpel eine grössere Beweglich- keit zu gestatten. In der That ist die Dehnbarkeit der Zwischen- substanz eine solche, dass mit ihrer Hülfe die Cart. corniculata nach allen Seiten hin, besonders aber nach hinten, wo der Knorpel ge- krümmt ist, so dass derselbe der Epiglottis ausweichen kann, die aus- oiebigsten Excursionen zu machen im Stande ist. Von diesem ausser- ordentlichen Grad der Beweglichkeit würde nun die Cart. corniculata gewiss einen Theil einbüssen, in den Fällen, wo sie anstatt durch die einfache Zwischensubstanz durch ein wahres Gelenk mit der art. arytaenoidea verbunden ist. Druck von Metzger & Wittig in Leipzig. XIH. Zur Theorie der Intercostalmuskeln. Von A. W. Volkmann. Kein Abschnitt der Muskellehre ist so viel bearbeitet worden, als die Lehre von den Intercostalmuskeln, und doch ist es gerade diese, welche den Ansprüchen der Wissenschaft am wenigsten Genüge leistet. Zwar hat es an Versuchen nicht gefehlt, die Wirkungen dieser Mus- keln auf mechanische Gesetze zurückzuführen, aber alle derartige Ver- suche mussten missglücken, weil man die mechanischen Bedingungen, von welchen die Bewegungen des Brustkastens abhängen, noch zu wenig kannte. Wie sehr es in der Lehre von den Zwischenrippen- muskeln noch an festen Principien fehlte, ergibt sich schon aus der grossen Menge zum Theil unvereinbarer Ansichten, welche die Ana- tomen und Physiologen in diesem Gebiete aufgestellt haben. Ich will die wichtigsten derselben mit Angabe, wenn auch nicht aller, ihrer Vertreter zusammenstellen. 1) Die mm. intercostales externi sind Heber des Brustkastens, also Inspirationsmuskeln. VesAL, BAYLk, HALLER, HAMBERGER, WIL- LIS, SWAMMERDAM, SAUVAGES, BOISSIER, SÖMMERRING, H. (COOKE, LupwiG, DONDERS, HUTCHINSON, TRAUBE etc. 2) Die mm. intercostales interni sind Exspirationsmuskeln, indem sie die Rippen nach unten ziehen. GALEN, VEsaL, BAyLk, SwAnm- MERDAM, WILLIS, HAMBERGER, VATER, SCHREIBRR, NICHOLS, HOODLY, BEAuU und MaıssıaTt, RouLın, LupwiG, DOoNDERs, HurcHınson, LuscHkA. 3) Die mm. intercostales externi ziehen die Rippen nach unten. GALEN, VESAL, BEAU und MaıssIAr. Zeitschrift f. Anatomie. Bd. II. 11 160 XII. A. W. VoLkMmaAnn. 4) Die mm. intercostales interni wirken als Heber, WınsLow, SENAC, MEISSNER, BUDGE, SÖMMERING unter Annahme einer festen obersten Rippe. 5) Beide Klassen von Intercostalmuskeln heben, weil die oberste Rippe bei normaler Respiration unbeweglich ist. HALLER, BORELLUS, BOERHAVE, MAYOw, WINSLOW, SENAC, RUDOLPHI, BICHAT, KRAUSE. 6) Beide Klassen sind sowohl Heber als Senker der Rippen, indem die Art der Wirkung von der veränderlichen Lage des festen Punktes der Muskeln abhängt. HALLER, BEHRENS, E. H. WEBER, HYRTL, KRAUSE. 7) Die Intercostalmuskeln, äussere wie innere, bewirken eine gegen- seitige Annäherung der Rippen. AVICENNA, ALBINUS, BORELLUS, MECKEL. 8) Beide Klassen haben überhaupt keinen Einfluss auf die Be- wegung der Rippen. VAN HELMONT, ARANTIUS, FALLOPIUS. 9) Die mm. intercartilasinei sind Inspirationsmuskeln und Heber der Knorpel. HAMBERGER, BERARD, HUTCHINSON, TRAUBE. 10) Die mm. intercartilaginei sind Senker des Brustkastens und dienen der Exspiration. SIBSON. Um sich, gegenüber so verschiedenen Meinungen nicht im Ein- zelnen zu verlieren, scheint es angemessen die Grundbedingungen der Athembewegungen zunächst im Allgemeinen zu besprechen. Jeder Intercostalmuskel, gleichviel in welcher Richtung seine Fasern verlaufen, muss die beiden Rippen, an welche er sich ansetzt, gegenseitig nähern. Denn die Verkürzung der Fleischfasern bringt es mit sich, dass beide Enden des Muskels nach einem in der Mitte des- selben gelegenen Punkte hinstreben, wodurch zwei diametral entgegen- gesetzte Bewegungen bedingt werden. Jeder Intercostalmuskel muss die obere Rippe, an welcher er haftet, nach unten ziehen, und umge- kehrt die untere Rippe, mit welcher er verbunden ist, nach oben, auch muss seine contractile Kraft auf beide Rippen, die er gegenseitig nähert, in gleichem Maasse wirken. Hiernach ist ein Intercostalmuskel nie ausschliesslich Heber, oder ausschliesslich Herabzieher der Rippen, sondern er ist Beides zugleich, und wenn die beiden Rippen, welche einen Intercostalraum begrenzen, synchronisch steigen oder sinken, so kann dies nie als directe Wir- kung irgend welches Intercostalmuskels betrachtet werden, sondern nöthigt an die Mitwirkung von Ursachen zu denken, welche mit der Muskelcontraction nichts zu thun haben. Untersucht man die Umstände, von welchen die Leistungen der Intercostalmuskeln im einzelnen Falle abhängen, so findet sich, als Zur Theorie der Intercostalmuskeln. 161 ein besonders wichtiges Moment, die ungleiche Beweglichkeit der Rippen, welche dem Zuge des Muskels folgen. Der Intercostalis kann die obere Rippe nicht in demselben Maasse nach unten ziehen, in welchem er die untere Rippe nach oben hebt, weil jede Rippe in der Richtung nach oben leichter beweglich ist, als in der Richtung nach unten. Schon die einfachsten Versuche am frischen Thorax, nämlich Aufheben und Herabdrücken der Rippen mit Hülfe der Hand, lehren, dass man zum Heben der Rippen weniger Kraft brauche, als zum Her- abziehen derselben, indess habe ich nicht unterlassen, über die Beweg- lichkeit nach oben und nach unten genaue Versuche anzustellen. Der Wirbel des 6. Rippenringes wurde auf einem unbeweglichen Klotze so aufgenagelt, dass Wirbel und Rippen dieselbe Stellung wie bei einem aufrecht stehenden Menschen hatten. An einem Punkte ‘der Rippe, welcher dem Sternalende derselben sehr nahe lag und einen radius veetor von 22 ctm. hatte, wurde eine Schnur befestigt, deren eines Ende senkrecht nach oben über eine Rolle geführt wurde, während das andere Ende senkrecht herab hing. An den freien Enden dieser Schnur liessen sich Gewichte anhängen, deren eines die Rippen heben, das andere sie nach unten ziehen musste. Nun wurden vergleichende Versuche angestellt, um wie viel . Millimeter die Rippe durch ein gewisses Gewicht in dem einen Falle gehoben, in dem anderen herabgedrückt wurde. Aus dem Nachstehen- den ergeben sich die Resultate meiner Versuche. Grösse Benutztes Gewicht. der Erhebung, der Senkung. 1007@r. 5,5 mm. 3,5 mm. 200 „ 12:5, wu, 300 ” 21,5 ” 7,5 ” 400 „, 26,5 „ 15 ,® 500 „ SD 5 600 „ 36,5 „ Nach derselben Methode wurden Versuche am ersten Rippenringe angestellt. Die zum Tragen der Gewichte bestimmte Schnur wurde ganz nahe dem Sternalende der Rippe angebracht, wo die Länge des radius vector 8,5 ctm. betrug. s Benutztes Gewicht. Hebung der Rippe. Senkung derselben. 100 Gr. 8 mm. mm: 200 „ 125 „ 15 „ 300 „ 555 9, 400 ” 18,0 „ 3 ” 500 „ BO, 31, ß) m - I 9, 162 XIII. A. W. VoLkMmAnn. Man ersieht aus diesen Versuchen: 1) Dieselbe Zugkraft erzeugt beim Heben der Rippen eine viel ausgiebigere Bewegung als beim Senken derselben. 2) Die Bewegbarkeit der Rippen nach unten ist eine viel be- schränktere als die Bewegbarkeit nach oben. Fragt man nach dem Grunde, warum die Bewegung der Rippen, nach oben und nach unten, von so ungleichem Umfange ist, so kommt zunächst in Betracht, dass die Spannung der Bandmassen, welche das Rippengelenk kapselartig einschliessen, nach obenhin beträchtlich grösser sein müsse, als nach untenhin. Denn die auf der oberen Seite der Kapsel gelegenen Fasern sind es, welche die Last der nach unten wuchtenden Rippen zu tragen haben. Dass diese von der Schwere des Brustkastens abhängende Spannung der Kapselbänder die Haupt- ursache der Unbeweglichkeit der Rippen nach unten abgebe, ist ex- perimentell leicht nachzuweisen. Wenn man nämlich einen passend präparirten frischen Brustkasten verkehrt aufstellt, d. h. den Lenden- theil nach oben und den Halstheil nach unten, so bewegen sich die Rippen wiederum leichter aufwärts als abwärts, obschon die Aufwärts- bewegung unter diesen Umständen nichts Anderes ist, als die Abwärts- bewegung unter normalen Verhältnissen. Uebrigens ist nicht unwahr- scheinlich, dass die stärkere Spannung, welcher die Gelenkkapsel nach oben ausgesetzt ist, als ein örtlicher Reiz wirkt, welcher die Ernäh- rung begünstigt, und dass die erschwerte Bewegung der Rippen nach unten, zum Theile wenigstens, von der grösseren Widerstandsfähigkeit dieser stärker entwickelten Fasern abhänge. Mag übrigens die Ursache der ungleichen Beweglichkeit der Rippen sein, welche sie wolle, so ist die Thatsache, dass die Hebung derselben leichter erfolgt, als deren - Senkung, für die Mechanik der Intercostalmuskeln von grösster Wich- tigkeit. Ein m. intercostalis muss durch seine Verkürzung nicht nur von vorn herein die untere Rippe mehr heben, als die obere senken, sondern er muss auch die Senkung der oberen zu einer Zeit beendigen, wo das Emporsteigen der unteren Rippe noch fortschreitet. Durch das Zusammenwirken dieser beiden Umstände gewinnt die Hubkraft der Intercostales, und zwar der inneren eben sowohl als der äusseren, einen auffallenden Vortheil über die Depressionskraft. Eine nähere Berücksichtigung verdienen auch die Beziehungen der Intercostalmuskeln zu den Hebelgesetzen. | Da die Leistung eines Muskels mit der Entfernung seiner Inser- tion von dem Drehpunkte des knöchernen Hebels wächst, so war es sehr verdienstlich, dass Bayutk, bei seiner Untersuchung der Inter- costalmuskeln, auf die ungleiche Entfernung ihrer beiden Insertionen Zur Theorie der Intercostalmuskeln. 163 von den bezüglichen Drehpunkten aufmerksam machte, und für den längeren Hebelarm die grössere mechanische Leistung in Anspruch nahm. !) Wenn sich erweisen lässt, dass die Intercostalmuskeln an ihren entgegengesetzten Enden gegen ungleiche Widerstände wirken, so ist die Frage, ob der Muskel zum Heben oder zum Senken der Rippen diene, ihrer Lösung merklich näher gebracht. Da nämlich, wie oben gezeigt wurde, das obere Ende der Intercostalmuskeln eine Zugkraft nach unten, das untere Ende dagegen eine Zugkraft nach oben entwickelt, und da an jeder Rippe beide Muskelenden angebracht sind, das eine am oberen, das andere am unteren Rippenrande, so wird jedes zusam- mengehörige Rippenpaar von intercostalen Muskelfasern, gleichviel in welcher Richtung sie verlaufen, gleichzeitig gehoben und gesenkt, und hängt die resultirende Bewegung caeteris paribus davon ab, welches der beiden Muskelenden die grössere Kraft ausübt. BAytt hat durch Berücksichtigung dieser Verhältnisse die Phy- siologie der Intercostalmuskeln unstreitig gefördert, aber ein Missver- ständniss war es, dass er den Drehpunkt der Rippen in das Centrum ihrer Köpfchen verlegte und demgemäss die Länge der in Frage ge- stellten Hebelarme nach der Entfernung der Muskelinsertionen vom Rippenköpfchen abschätzte. Die verschiedenen Punkte der Rippe, an welchen Intercostalmuskeln sich ansetzen, haben überhaupt keinen gemeinschaftlichen Drehpunkt, sondern jeder Punkt der Rippe hat seinen besonderen, welchen man findet, wenn man von demselben aus eine Senkrechte auf die Drehaxe fällt. Eine solche Senkrechte ist aber der radius vector des um die Drehaxe rotirenden Rippenpunktes, woraus sich ergibt, dass die Grösse der radii vectores das wahre Maass der in Betracht kommenden Hebellänge ist. Mit Rücksicht hierauf müssen die Hebellängen von der Lage der Drehaxen abhängen. Wenn die Drehaxen die Medianebene unter verschiedenen Winkeln kreuzen, wie thatsächlich geschieht, so kreuzen sich dieselben auch untereinander und müssen also ihre beiderseitigen Enden gabelförmig auseinander treten. In umstehender Figur i, welche den Brustkasten im Querschnitt darstellt, bezeichnet AR’ die Brustwandung, MM’ den Durchschnitt der Medianebene, OO’ die Drehaxe der obern und °UU’ die Drehaxe der unteren Rippe, an welche der intercostalis sich ansetzt, dabei ist I) Opera Francıscı BAYLE, institutions physicae T. III. art. V. de actione musculorum intercostalium. 164 XIII. A. W. VoLEMmAnN. berücksichtigt worden, dass letztere Axe mit der Medianebene einen kleineren Winkel einschliesst, als erstere. Die punktirte Linie C'C’ bedeutet den Durchschnitt einer senk- rechten Ebene, in welcher die beiden Drehaxen liegen würden, wenn sie sich nicht kreuzten, und bemerke ich, dass diese Hülfslinie nur den Zweck hat, anschaulich zu machen, welche Folgen die Divergenz der Drehaxen nach sich zieht. | In sofern die Medianebene MM’ die Drehaxen in ihrem Kreu- zungspunkte bei = schneidet, kann man an jeder Axe eine vordere und eine hintere Hälfte unterscheiden, beispielsweise an der oberen Axe die vordere Hälfte Ox, und die hintere x O'. Fig. 1. M a und 5 bedeuten zwei beliebige Rippenpunkte, welche als Inser- tionspunkte von Intercostalmuskeln betrachtet werden mögen. Zieht man von diesen Punkten aus senkrechte Linien auf die Drehaxen, so erhält man die zugehörigen radii vectores, und ergibt sich aus der Figur unmittelbar, dass die Länge der letzteren von der Divergenz der Drehaxen wesentlich abhängt. So ist der auf die obere Dreh- Zur Theorie der Intercostalmuskeln. 165 axe gefällte Radius ad kürzer, dagegen der auf die untere Drehaxe gefällte Radius af länger, als der auf die mittlere Axe CC’ gefällte Radius ae. Betrachtet man die punktirte Linie CC’ als die Normallage der Drehaxe und untersucht, was erfolge, wenn dieselbe in die mehr frontale Lage OO’ übergeht, so findet sich, dass ihre hintere Hälfte sich den Insertionspunkten « und 5 nähert, während ihre vordere Hälfte sich von denselben entfernt. Geht dagegen die Drehaxe aus der Lage CC’ in die mehr sagittale UU’ über, so erfolgt genau das Gegentheil, ihre hintere Hälfte entfernt sich von den Insertionspunkten a und 5, während ihre vordere sich denselben nähert. | Da nun Annäherung der Drehaxe an die Insertionspunkte eine Verkürzung des radius vector, und Entfernung der Axe von den Insertionspunkten eine Verlängerung desselben bedingt, so ist klar, dass die hintere und die vordere Hälfte der Drehaxe in entgegen- sesetzten Beziehungen zur Länge der Hebelarme stehen, und weiter: dass dieselbe entgegengesetzte Beziehung auch. zwischen den beiden vorderen und den beiden hinteren Axenhälften sich geltend mache, vorausgesetzt natürlich, dass diese Hälften zu Drehaxen gehören, die sich kreuzen. Anlangend die hinteren Hälften, also x&O’ und zU’ der Figur, so ist zu sagen: Die Kreuzung der Drehaxen bewirkt, dass die radii vectores, welche zur oberen Drehaxe gehören, eine Verkürzung erfahren, dagegen diejenigen, welche zur unteren Drehaxe gehören, eine Verlängerung. In der vorderen Hälfte müssten, dem Vorhergehen- den zu Folge, die Verhältnisse sich umkehren, nur dass radii vectores, welche in die vordere Hälfte der Drehaxe einfielen, nicht leicht vor- kommen.!) Diese in die Theorie der Intercostalmuskeln tief eingreifenden Verhältnisse stehen mit dem Faserverlaufe derselben in gar keinem Zusammenhange, und dürften manche Folgerungen, die man eben aus diesem Verlaufe abgeleitet hat, vollständig umstossen. Die Anhänger BayL£’s und HAMMACHER’s mussten ein grosses Gewicht auf den Faserverlauf der Muskeln legen, da in Folge dessel- ben der eine Insertionspunkt des Muskels von dem vermeintlichen Drehpunkte weiter fortgerückt wurde, als der andere, und hiermit die l) Ein radius vector kann in die vordere Hälfte der Drehaxe nur einfallen, wenn einerseits der Insertionspunkt des Muskels dem Sternalende der Rippe sehr nahe steht, und andererseits der Kreuzungswinkel der Drehaxe mit der Mediane sehr klein ist. 166 XIII. A. W. VoLKkMAnN. Annahme. begründete, dass es auf die Herstellung eines besonders kräftigen Hebels abgesehen sei. Nun habe ich zwar in einer frühe- ren Abhandlung selbst erwiesen, dass die radii vectores vom Rippen- halse gegen das Sternalende der Rippe stetig wachsen, aber dieses Gesetz gilt nur für die Radien einer und derselben Rippe, und recht- fertigt nicht die Annahme, dass von zwei Punkten, welche auf zwei Nachbarrippen vertheilt sind, der dem Brustbeine näher liegende den grösseren radius vector habe. Dass dies nicht nothwendig sei, ist aus dem was über die Kreuzung der Drehaxen bemerkt wurde, leicht abzuleiten. Hiermit ist schon gesagt, dass auf den gegenseitigen Abstand des oberen und des unteren Insertionspunktes, in der Richtung der Längen- achse der Rippe, kein Gewicht gelegt werden kann. Dieser Abstand darf nicht etwa als der Unterschied der Länge der Hebelarme betrachtet werden, und selbst wenn er dieser Differenz entspräche, würde er auf die Frage nach der Präponderanz des längeren Hebels über den kür- zeren, kein Licht werfen. Nicht blos auf den Unterschied der Hebel- länge kommt es bei Beantwortung dieser Frage an, sondern auch auf die absolute Länge desselben, denn es ist einleuchtend, dass derselbe Unterschied, wenn beide Hebel klein sind, eine grössere Wirkung haben müsse, als wenn beide gross sind. Ich wüsste nicht, dass man bei Untersuchung der Intercostal- muskeln auf dieses Verhältniss des Unterschiedes der Hebellängen zu deren absoluter Grösse schon Rücksicht genommen hätte, und mag in Folge dessen die Ungleichheit der Leistungen, welche von den ver- schiedenen Enden der Intercostalmuskeln ausgehen, bisweilen über- schätzt werden. Die Unterschiede der Hebellängen übersteigen nach meinen Messungen nicht leicht 2,5 ctm., während die radii vectores, d.h. eben ‘die Hebelarme, Dimensionen von 22 ctm. erreichen.!) Hier- nach bin ich geneigt anzunehmen, dass der Unterschied der Hebel- längen, an welchen die beiden Enden der Intercostalmuskeln arbeiten, innerhalb ziemlich breiter Grenzen jeder Wirkung entbehre, weil-die Widerstände, welche die Bewegung der Rippen hemmen, sehr gross sind und weil erst nach Ueberwindung dieser Widerstände der Unter- schied der Hebellängen sich geltend macht. Zu den ungerechtfertigten Hypothesen, welche in die Lehre von den Intercostalmuskeln störend eingreifen, gehört auch die von dem 1) Der bezeichnete Unterschied bezieht sich auf Bayu#’s Hebellängen, nicht auf die wirklichen, welche mit den radii vectores zusammenfallen. Für letztere sind die Längenunterschiede noch nicht bekannt. Zur Theorie der Intercostalmuskeln. 167 constanten Parallelismus der Rippen. Man behauptet zwar nicht, dass die Distanz der Rippen in der ganzen Länge ihres Verlaufes genau dieselbe sei, meint aber, dass der Parallelismus, so weit er eben be- stehe, bei den Bewegungen des Brustkastens erhalten werde. Offenbar ist diese Ansicht aus der Annahme einer frontalen Drehaxe ent- sprungen, denn wenn die Rippen in senkrechten, der Medianebene parallelen Ebenen rotirten, so würde allerdings der Umstand, dass ihre “beiden an der Wirbelsäule und an dem Brustbeine angehefteten Enden unveränderliche Zwischenräume haben, das Eintreten jeder Divergenz und Convergenz unmöglich machen. Da indess die Rippen in Ebenen rotiren, welche die durch die Wirbelsäule und das Brustbein gelegte mediane schneiden, so sind alle Punkte der Rippe, welche zwischen Wirbelsäule und Brustbein liegen, und namentlich deren Scheitel, un- behindert ihre gegenseitigen Abstände zu verändern. Dies bestätigt auch die Erfahrung. Denn wenn man die beiden Rippen, welche einen Intercostalraum begrenzen, mit dem Daumen und dem Zeige- finger umfasst, so reicht ein sehr leiser Druck hin, die Scheitel der- selben in Berührung zu bringen. Noch will ich ein Dogma erwähnen, welches in den allgemeinen Vorfragen, die uns gegenwärtig beschäftigen, kaum umgangen werden kann, das Dogma nämlich, dass mit der Erhebung der Rippen beim Einathmen eine Vergrösserung ihres gegenseitigen Abstandes eintrete. Das Wahre hieran ist, dass eine Erhebung der nach unten hängenden Rippen (die, wenn sie senkrecht nach unten hingen, sich decken müssten) eine Vergrösserung ihres gegenseitigen Abstandes verursacht, wenn einerseits die Erhebung nicht über die Horizontallage der Rippen hinausschreitet, und andererseits die Winkelbewegung für alle Rippen von gleicher Grösse ist. Nur unter diesen Voraussetzungen ist die Erweiterung aller Intercostalräume, beim Aufsteigen der Rippen noth- wendig. Dass beim Einathmen die erste dieser Bedingungen stattfinde, ist erwiesen, ob auch der zweiten genügt werde, ist mehr als zweifel- haft. Die Beobachtungen HALLErR’s, dass beim Einathmen die Inter- costalräume sich verengern, sind daher nicht als mechanisch unmög- lich zu verwerfen, sondern beweisen vielmehr, dass die beliebte Vor- aussetzung gleich grosser Winkelbewesungen für alle Rippen eine unhaltbare ist. Nachdem ich mich nun über die Grundsätze, nach welchen die Wirkungen der Intercostalmuskeln beurtheilt werden müssen, im All- gemeinen ausgesprochen habe, will ich zu der Frage übergehen, in welcher Weise ' bestimmte Intercostalmuskeln anatomisch bedingt und demnach functionell thätie sind. 168 XIII A. W. VoLkmaAnn. Unter den vielen über die Wirksamkeit der Intercostalmuskeln aufgestellten Ansichten dürfte heut zu Tage die verbreitetste die sein, dass die externi der Inspiration, die interni der Exspiration dienen, erstere also Heber, letztere Herabzieher der Rippen abgeben. Man be- ruft sich zunächst darauf, dass die Inspiration mit einer Hebung, die Exspiration mit einer Senkung der Rippen verbunden ist, und dass das Zustandekommen dieser Bewegungen, eine Contraction der bethei- listen Muskeln, mithin auch eine Annäherung ihrer Insertionspunkte voraussetze. Hieran knüpft sich dann die Meinung, man brauche nur zu wissen, welcher Muskeln Insertionspunkte sich beim Heben und beim Senken der Rippen gegenseitig nähern, um beurtheilen zu können, welche von ihnen diese Hebungen und Senkungen zu Stande bringen. Da man es nun für mechanisch geboten hielt, dass die Insertions- punkte der intercostales externi beim Heben der Rippe näher anein- ander und bei deren Sinken weiter auseinander träten, und da man gleicherweise für erwiesen hielt, dass die Insertionspunkte der inter- costales interni sich umgekehrt verhielten, nämlich beim Aufsteigen der Rippen auseinander wichen und beim Herabsteigen derselben sich näherten, so kam man zu dem schon oben erwähnten Schlusse, dass die äusseren Zwischenrippenmuskeln nur der Einathmung, die inneren dagegen nur der Ausathmung dienten. Ich will nun zunächst bemerken, dass eine gegenseitige Annähe- rung der in Betracht kommenden Insertionspunkte nicht ausreicht, zu beweisen, dass gerade der ihnen anhaftende Muskel die Ursache jener Annäherung abgebe. Beispielsweise könnte ja die Annäherung der Insertionspunkte eines intercostalis externus, welche beim Aufsteigen der Rippen eintritt, von der Verkürzung der levatores costarum ab- hängen, und könnte die Annäherung derselben Punkte, wenn sie von Contraction der intercostales externi ausgeht, statt einer normalen Inspirationsbewegung eine Convergenz der Rippen hervorbringen. Ein zweites, nicht minder wichtiges Bedenken ist dies, ob der ‘als unangreifbar aufgestellte Lehrsatz, dass die Insertionspunkte der intercostales externi beim Aufsteigen und die der intercostales externi beim Absteigen der Rippen sich gegenseitig nähern, auch hinreichend begründet sei. Ich kenne keine Beobachtungen, die dies erweisen, sondern nur theoretische Betrachtungen, die es erweisen sollen. Die unter dem Anschein geometrischer Strenge geführten Beweise sind von BAayL£, dem HAMBERGER folste, ausgegangen, und werden noch gegenwärtig trotz ihrer Mangelhaftiskeit, von Vielen für unantastbar gehalten. i Ich will beistehend eine Figur 2 vorlegen, welche in der BAYLk- Zur Theorie der Intercostalmuskeln. 169 HAMBERGER’schen Beweisführung die Hauptrolle spielte, und welche bis in die neuesten und besten Handbücher der Physiologie ihren Weg gefunden. Die Senkrechte SS’ bedeutet die Wirbelsäule; /1, 172 stellen zwei Nachbarrippen in stark nach unten hängender Lage vor, und bezeichnen die Ziffern / und // deren Drehpunkte an der Wirbel- säule. Würden die Rippen beim Einathmen sich heben, so würde die obere derselben ihre Lage /1 zunächst mit der Lage /1’ vertauschen und bei fortschreitender Hebung nach /1” zu liegen kommen. In ent- sprechender Weise würden die unteren Rippen beim Aufsteigen durch die Lagen 7/72, 112’ und 112” hindurchgehen. Fie. 2. as Die Figur soll nun zeigen, welchen Einfluss die Lagenverände- rung der Rippen auf die Distanz der Insertionspunkte der Intercostalen hat, und was sie zeigt ist Folgendes: Da die Punkte 7 und IT die Drehpunkte der Rippen darstellen, so müssen sie auch als die Punkte gelten, um welche bei den Athembewegungen die Insertionen der Intercostalmuskeln rotiren, das will sagen, es müssen die Insertions- punkte sich in Kreisen bewegen, für welche eine vom Insertionspunkte zum Drehpunkte gezogene Gerade den radius vector abgibt. Derartige 170 XIII. A. W. VoLkMmann. Kreisbogen sind in der Figur durch punktirte Curven angegeben und bedeutet aaa” ein Kreissegment, in welchem die unteren Insertions- punkte, und 525” ein Segment, in welchem die oberen Insertions- punkte eines intercostalis externus liegen. Ferner bezeichnet c.c’c” den Kreisbogen, in welchem die oberen Insertionspunkte und dd’d” denjenigen, in welchem die unteren Insertionspunkte eines intercostalis internus sich fortbewegen. Aus der Figur ergibt sich nun ohne Weiteres, dass mit dem Heben der Rippen die Insertionspunkte der intercostales externi (aD, «6b, @b’) sich nähern, und die der intercostales interni (d’c”, d’c, dc) sich von einander entfernen, während umgekehrt, beim Herab- sinken der Rippen, die Insertionspunkte der intercostales externi sich von einander entfernen, dagegen die der interni sich nähern. Dass aber die Distanzveränderungen der Insertionspunkte genau so wie. die Figur sie darstellt, erfolgen müssen, hängt damit zusammen, dass die radii vectores der Insertionspunkte ungleiche Längen haben. Sind nämlich die Winkelbewegungen der Rippen, wie die Figur vor- aussetzt, von gleicher Grösse, so müssen die Bögen, welche die Inser- tionspunkte in gleichen Zeiten beschreiben, von ungleicher Grösse sein. Der Insertionspunkt mit dem grösseren radius vector beschreibt den grösseren Bogen und muss dem anderen Insertionspunkte, welcher den kleineren Bogen zurücklegt, näher treten, wenn er in seiner Be- wegung diesem nachfolgt, dagegen sich von ihm entfernen, wenn er ihm vorangeht. Gegen dieses, wie MEISSNER sich ausdrückt, HAMBERGER’sche. Schema ist mathematischerseits nichts einzuwerfen, und würde dasselbe über die Distanzveränderungen der Insertionspunkte, welche mit den Athembewegungen eintreten, endgültig entscheiden, wenn die mecha- nischen Bedingungen, welche das Schema voraussetzt, mit den im lebenden Körper bestehenden übereinstimmten. Dies ist indess nicht der Fall. So würden der Figur nach sämmtliche Rippen sich um frontal liegende Achse drehen, während die Rippen der entgegen- gesetzten Körperseiten um verschiedene, bald mehr, bald weniger schief. liegende Achsen rotiren. Auch würden sämmtliche Rippen Winkel- bewegungen von gleicher Grösse ausführen, während die unteren Rippen offenbar ausgiebigere Bewegungen machen, als die oberen. Hierzu kommt noch, dass alle der Figur nach möglichen Bewegungen in eine und dieselbe Ebene fallen, so dass die dritte Dimension des Raumes in der Demonstration ganz unberücksichtigt bleibt. Es ist einleuch- tend, dass bei so vollständiger Ungleichheit der mechanischen Be- dingungen die aus denselben resultirenden Bewegungen und folglich Zur Theorie der Intercostalmuskeln. 171 auch die Distanz-Veränderungen der Insertionspunkte nicht vergleich- bar sein können. Um theoretisch zu bestimmen, ob zwei Punkte, welche wie die Insertionen der Intereostalmuskeln zu zwei verschiedenen Rippen ge- hören, sich bei Bewegung der letzteren gegenseitig nähern oder von einander entfernen, würden, selbst vorausgesetzt, dass die erforderlichen empirischen Unterlagen vorlägen, sehr weitläufige und schwierige Rechnungen erforderlich sein. Unfähig eine solche Aufgabe zu lösen, habe ich ein Instrument bauen lassen, welches die Distanz der Inser- tionspunkte, die ich mit A bezeichnen werde, direct zu messen erlaubt. Die Einrichtung des auf Fig. 3 abgebildeten Instrumentes Fie. 3. ist folgende: Ein viereckiges Holzstück AB, von 8 Zoll Länge und 1 D1Zoll Querschnitt steht senkrecht auf einem Bretchen, welches ihm zum Fussgestelle dient. Dieses Holz- stück vertritt die Wirbelsäule und soll im Folgenden auch als solche bezeichnet werden. Es ist durch einen Querschnitt in zwei Theile zerlegt, von welchen der obere A mit dem unteren 5 durch einen 2 Zapfen so verbunden ist, dass \ | \J 7 L, eine Drehung der Wirbelsäule um ihre Längenachse vorgenom- men werden kann. Sowohl der = > obere Theil A, als der untere B nn sind in horizontaler Richtung durchbohrt und sind durch die - Bohrlöcher starke Metalldrähte DD hindurchgeführt, welche unter allen Umständen horizontal verlaufen, im Uebrigen aber nach dem Belieben des Beobachters entweder in dieselbe senkrechte Ebene zu liegen kommen, oder wenn der obere Theil der Wirbelsäule zu einer Achsendrehung benutzt worden, sich kreuzen. Diese Drähte repräsen- tiren die Drehachse der Rippen, denn in meinem Apparate sollen die Rippen nieht um die Drehachsen rotiren, sondern die Drehaehsen selbst sollen sich drehen, und dadurch die Rotationsbewegungen der mit ihnen verbundenen Theile hervorbringen. Die Grösse dieser Drehungen und also, nach dem eben Bemerkten, auch die Grösse der Winkel- | eh = _ 172 XIII. A. W. VoLKMAnNN. [4 bewegungen der rotirenden Rippen lässt sich messen. An der hinteren, mit Handgriffen versehenen Hälfte der erwähnten Drehachsen sind nämlich Weiser (a und d) und an den hinteren Seiten der Wirbel- säule sind Gradmesser (c, ec’) angebracht, so dass die Weiser die Grösse des Bogens, welcher bei der Umdrehung beschrieben worden, in Graden angeben. Zum besseren Verständniss der Figur mag bemerkt werden, dass kleine Transporteurs aus Reisszeugen als Gradmesser be- nutzt sind. Ausser den beiden eben besprochenen Gradmessern, welche begreiflicher Weise in einer senkrechten Ebene liegen mussten, ist noch ein dritter ce” von horizontaler Lage vorhanden, welcher bestimmt ist den Winkel zu messen, unter welchem ’die Drähte DD’ sich kreuzen, wenn man im oberen Theile der Wirbelsäule eine Drehung um die Längenaxe ausführt. Dieser. dritte Gradmesser, ebenfalls ein Transporteur, ist auf dem horizontalen Querschnitte der mit BD be- zeichneten unteren Hälfte der Wirbelsäule befestigt, und musste daher an dem unteren Querschnitte ihrer oberen Hälfte A ein Weiser an- gebracht werden, welcher die Grösse der vollzogenen Drehung anzu- geben hat. Der Zweck der letzterwähnten Mechanik ist leicht ver- ständlich. Da nämlich die natürlichen Drehachsen der Rippen sich kreuzen, so müsste die Möglichkeit gegeben sein, die ihnen ent- sprechenden Drähte DD’ ebenfalls zur Kreuzung zu bringen, und den Winkel, unter welchem dies geschieht, zu messen. In meinem Instrumente sind die Rippen gar nicht vertreten, und es wird etwas umständlich sein zu zeigen, wie es trotzdem zur Unter- suchung der Rippenbewegung geeignet ist. Um dies deutlich zu machen, muss ich wiederholen, dass jeder Punkt der Rippe sich in einem Kreise um deren Drehachse bewegt. Zieht man von dem be- züglichen Rippenpunkte, den man ohne Weiteres für den Insertions- punkt eines intercostalis nehmen kann, eine Senkrechte auf die Dreh- achse, so erhält man den radius vector des Punktes, und könnte man diesen radius in eine starre Linie verwandeln, so würde das äussere Ende derselben die Bewegungen des Insertionspunktes selbst aus- führen müssen, das will sagen diejenigen Bewegungen, deren Gesetz- lichkeit wir eben zu ermitteln haben. Von diesen Betrachtungen ausgehend, habe ich mein Instrument eonstruirt. Statt mit Rippen ist es mit starren radii vectores (r r) versehen, d. h. mit Drähten (Strieknadelstücken), die sich rechtwinklig an den Drehachsen der Rippen (D, D’) anbringen lassen. Die Befesti- oung derselben wird durch eine messingne Hülse (A, A’) vermittelt, welche sich in der Längenrichtung der Achse verschieben lässt, und Zur Theorie der Intereostalmuskeln. - 173 in welcher das den radius vector darstellende Drahtstück eingeschraubt werden kann. Nach allem Vorhergehenden ist selbstverständlich, dass die Be- wegungen der Insertionspunkte auch von den Längen der radii vectores abhängen. Bei jedem Versuche mit meinem Instrumente müssen zwei Radien von ungleicher Länge benutzt werden, denn die Aufcabe des Versuches ist, unter naturgemässen Bedingungen zu arbeiten, und die radii vectores der beiden Insertionspunkte eines intercostalis sind in der Regel von ungleicher Länge. So würde man beispielsweise bei Untersuchung der Bewegungsvorgänge eines intercostalis internus an der oberen Drehachse einen längeren radius vector anbringen müssen, als an der unteren. Vor Anstellung eines Versuches stellt man die Weiser der Dreh- achsen (@,6) auf den Nullpunkt ihres bezüglichen Gradmessers, und richtet die um ihre Hülse %,%’ drehbaren radii vectores nach unten, so dass sie in eine Ebene zu liegen kommen, welche die Drehachse der Rippe, in deren Längenrichtung, senkrecht schneidet. Wird, nach- dem dies geschehen, die Achse gedreht, so verlässt der radius vector die durch die Drehachse gelegte senkrechte Ebene und bildet mit ihr einen Winkel, dessen Grösse die Weiser a, in Graden angeben, und welcher kein anderer ist als der von mir so genannte Neigungswinkel der Rippen.') Ich habe S. 13 auseinandergesetzt, dass an den Drehachsen der Rippen eine vordere und eine hintere Hälfte unterschieden werden kann, und mit Rücksicht auf die radii vectores der Insertionspunkte unterschieden werden muss. Hieran knüpft sich die Frage, in wie weit diese beiden Hälften den für uns so wichtigen Werth 4A.beein- flussen und werde ich schliesslich noch zeigen müssen, wie mein Instrument diese Frage zu beantworten gestattet. Will man untersuchen, ob die vordere und die hintere Hälfte der Drehachse den Werth A in gleicher oder in verschiedener Weise be- einflusse, so hat man weiter nichts zu thun, als die Drehachsen der Rippen D,D’ in einem Falle nach links, in dem anderen nach rechts zu drehen. Der Grund hiervon ist folgender. Da die vordere und die hintere Hälfte der Drehachse sich nur durch ihre relative Lage zum Beobachter unterscheiden, so kann dieser durch Umstellung des Instrumentes die vordere Hälfte der Achse ohne Weiteres in eine hintere verwandeln. Die Mechanik der Bewegung bleibt hierbei unverändert, aber wie das Vordere durch die Umstel- I) Vergl. Zeitschr. f. Anat. u. Entwickelungsgesch. I. Bd. 8. 157. 174 XIII. A. W. VoLkmaAnn. lung ein Hinteres wird, so wird auch das Rechtsseitige zu einem Linksseitigen. Diese letzte Umwandlung ist für den Zweck des Ver- suches nicht gleichgültig. Da die beiden Achsenhälften, deren Einfluss auf A untersucht werden soll, einer bestimmten Achse angehören, so müssen die radii vectores, welche von den Rippen aus auf sie gefällt worden sind, auch eine bestimmte Richtung, entweder nach rechts oder nach links haben. Diese Richtung ist durch die Umstellung des Instrumentes in ihr Gegentheil verwandelt worden, kann aber dadurch, dass man die Achse der Rippe, welche im ersten Versuche eine Drehung nach links erlitten, im zweiten Versuche nach rechts dreht, wieder in die ursprüngliche Richtung zurückgeführt werden. Nach dieser vielleicht ermüdenden aber unentbehrlichen Beschrei- bung meines Instrumentes gehe ich zur Darstellung der Resultate über, die ich mit Hülfe desselben gewonnen habe. Auf eine Mittheilung meiner überaus zahlreichen Messungen im Einzelnen glaube ich nicht eingehen zu dürfen, ich beschränke mich auf eine Darstellung der aus ihnen abgeleiteten allgemeinen Grundsätze. Von der gesetzlichen Veränderung des gegenseitigen Ab- standes der beiden Insertionspunkte der Intercostal- muskeln. I. Wenn die Drehachsen zweier Nachbarrippen in einer und der- selben senkrechten Ebene liegen und die Rippen gleiche Winkel- bewegungen ausführen, so vermindert sich der gegenseitige Abstand der Insertionspunkte (unser 4), wenn die Bewegung des grösseren radius vector nach der Seite des kleineren radius vector hingerichtet ist, wenn aber der grössere radius vector sich von dem kleineren wegwärts bewegt, so wird 4 vergrössert. a) Wenn also die Neigungswinkel der Rippen wachsen, d. h. wenn letztere sich heben, so müssen die Insertionspunkte der intercostales externi sich nähern, dagegen die der interni‘ sich von einander ent- fernen, weil im ersteren Falle der zum unteren Insertionspunkte ge- hörige grössere radius vector sich nach der Seite des kleineren hin- bewegt, während im zweiten Falle der grössere radius. vector zum oberen Insertionspunkt gehört und sich beim Aufsteigen der Rippen von dem kleineren wegbewegt. b) Wenn die Neigungswinkel der Rippen eine Verkleinerung erfahren, d. h. wenn letztere sich senken, so müssen die Inserbions- punkte der intercostales externi weiter auseinander treten und die der interni sich nähern, was mit Bezug auf das eben Krörterte keiner weiteren Ausführung bedarf. Zur Theorie der Intercostalmuskeln. 175 c) Obschon die Veränderungen der Neigungswinkel die der Distan- zen A bedingen, so halten doch diese mit jenen nicht gleichen Schritt, vielmehr erfolgt die Veränderung der 4-Werthe mit Beschleunigung. II. Wenn die Drehaxen in einer und derselben senkrechten Ebene liegen und die Rippen Winkelbewegungen von ungleicher Grösse ausführen, so lässt sich die Bewegung als aus zwei Phasen bestehend ansehen. — In der ersten Phase machen beide Rippen eine gleich grosse Winkelbewegung, in der zweiten Phase hört die Bewegung der einen Rippe auf, während die der anderen fortgesetzt wird. Unter diesen Umständen gelten folgende Gesetze: a) Die in der ersten Phase entstandene Distanz A wird ver- grössert, wenn die in der zweiten Phase ausschliesslich bewegte Rippe sich von der anderen, bereits ruhenden, wegbewegt. NB. Dieser Fall wird eintreten, wenn bei der Inspiration die obere, bei der Exspiration die untere Rippe die Bewegung der zweiten Phase ausführt. b) Die durch die erste Phase bedingte Distanz A wird ver- kleinert, wenn die in der zweiten Phase ausschliesslich bewegte Rippe sich der anderen bereits ruhenden nähert. NB. Dieser Fall tritt ein, wenn bei der Inspiration die untere, bei der Exspiration die obere der beiden Nachbarrippen die grössere Winkelbewegung ausführt. Es wird sich finden, dass der unter IIb verzeichnete Fall der normale ist, was HAMBERGER und seine Nachfolger zum grossen Nach- theile ihrer theoretischen Betrachtungen übersehen haben. Denn offen- bar können nun beim Aufsteigen der Rippen auch die Insertionspunkte der intercostales interni sich nähern, wenn nur in der zweiten Phase der Bewegung die untere Rippe ihre Erhebung lange genug fortsetzt, um die in. der ersten Phase entstandene Vergrösserung der Distanz nicht nur aufzuheben, sondern sogar in eine Verkleinerung umzu- setzen. II. Wenn die Drehachsen zweier Nachbarrippen statt in einer senkrechten Ebene zu liegen, divergiren, so dass der Kreuzungswinkel der oberen Achse grösser ist, als der der unteren (normaler Fall), so hängt die Distanz der Insertionspunkte (unser A) gleichzeitig von dem Divergenzwinkel der Achsen und dem Neigungswinkel der Rippen ab, wobei, unter Voraussetzung, dass die Nachbarrippen Winkelbewegungen - von gleicher Grösse machen, folgende Gesetze gelten; a) Wenn 1) der untere radius vector der grössere ist (Fall der intercostales externi), 2) wenn dieser radius zur hinteren Achsen- Zeitschrift f. Anatomie. Bd._II. 12 176 XIII. A. W. VoLKkMmAnN. hälfte gehört, 3) wenn der in beiden Nachbarrippen gleichwerthige Neigungswinkel constant ist: so wächst in der Regel die Distanz A mit dem Diver- senzwinkel, und zwar in beschleunigtem Maasse. — Bei den kleinsten Divergenzwinkeln findet indess bisweilen das Umgekehrte statt, d.h. wenn die Drehachsen der Rippen nur wenig divergiren, kann 4A kleiner ausfallen, als wenn sie gar nicht divergiren. b) Wenn die unter 1 und 2 genannten Bedingungen fortbestehen, aber der Diversenzwinkel constant ist: so nimmt 4A ab, wenn die Neigungswinkel wachsen, aber in Folge der Divergenz in geringerem Grade, als sie abnehmen müssten, wenn die Drehachsen in einer senk- rechten Ebene stünden. c) Wenn die unter 1 und 2 angegebenen Bedingungen festgehalten werden und dıe Neigungswinkel und Divergenzwinkel gleichzeitig und sleichwerthig wachsen (in meinen Versuchen um je 109%: so wachsen auch die A-Werthe, obschon in meinen Versuchen einzelne Ausnahmen vorkamen; welche vielleicht nur in einer gewissen Mangelhaftigkeit meines Instrumentes ihren Grund haben. NB. Hieraus ergibt sich, dass die Distanz der Insertionspunkte mehr vom Divergenzwinkel als vom Neigungswinkel abhängt, ein Ver- hältniss, welches in die BAYLk- HAMBERGER’sche Theorie sehr störend eingreift. d) Wenn 1) der untere radius vector zwar der grössere ist, aber 2) wenn dieser radius zur vorderen Axenhälfte gehört, 3) der Nei- sungswinkel constant ist: so wächst die Distanz A mit dem Divergenzwinkel, in der Regel unter Beschleunigung. Dieses Wachsthum ist um so grösser, je grösser der Neigungswinkel. e) Wenn unter den bei d) angegebenen Bedingungen, aber bei constantem Divergenzwinkel der Neisungswinkel veränderlich ist: so erfährt A mit dem Anwachsen des Neigungswinkels eine Ver- kleinerung, welche indess, je grösser die Divergenz, um so gering- fügiger ausfällt, und bei sehr grosser Divergenz sogar in Vergrösserung von A umschlägt. NB. Schon aus diesem Grunde ist fraglich, ob die Insertionspunkte der intercostales externi beim Aufsteigen der Rippen sich immer nähern, wie nach“ der schematischen Figur 2 vorausgesetzt werden müsste. f) Wenn unter den bei d) angegebenen, mit 1 und 2 bezeichneten Zur Theorie der Intercostalinuskeln. 177 Bedingungen die Neigungswinkel und Divergenzwinkel sich gleich- zeitig und gleichwerthig vergrössern: so wächst A ohne Ausnahme. Es wiederholt sich also die unter ©) gemachte und. mit NB. bezeichnete Bemerkung. g) Wenn: 1) der obere radius vector der grössere ist (Fall der intercostales interni), 2) wenn dieser radius zur hinteren Achsen- hälfte gehört, 3) und wenn der Neigungswinkel constant ist: so wächst A mit der Grösse. des Divergenzwinkels, in der Regel mit Beschleunigung. Je grösser der Neigungswinkel, um so auffälliger ist dieses Wachsthum. h) Wenn die soeben unter 1 und 2 angegebenen Bedingungen fortbestehen, aber der Divergenzwinkel constant ist: so wächst JA mit dem Neigungswinkel, und zwar in be- schleunigter Weise. i), Wenn abermals die unter 1 und 2 angegebenen Bedingungen festgehalten werden, und Neigungswinkel und Divergenzwinkel gleich- zeitig und gleichwertkig wachsen: so wachsen auch die Distanzen A, natürlich um so rapider, als ihr Wachsthum durch die Vergrösserung des einen wie des anderen Winkels begünstigt wird. k) Wenn die in g, h und i beschriebenen Verhältnisse nur darin sich ändern, dass der radius vector, welcher bis dahin zur hinteren Achsenhälfte gehörte, von der vorderen Achsenhälfte ausgeht: so gestalten sich die AWerthe im Allgemeinen nicht anders als bei g, h und i bereits angegeben wurde. Im Speciellen aber ist es doch nicht gleichgültig, ob die Radien der Insertionspunkte zu der hinteren oder vorderen Achsenhälfte gehören. In dem unter h verzeichneten Falle, wo es sich um die hintere Achsenhälfte handelt, ist das Wachsthum der A Werthe viel abhängiger von der Grösse des constanten Divergenzwinkels, als in dem entgegen- stehenden Falle, wo der radius vector sich mit der vorderen Achsen- hälfte verbindet. Schlussbemerkung zu Ill. Besondere Beachtung verdient der im Vorhergehenden gelieferte Beweiss, dass der Einfluss, welchen die Veränderung des Neigungswinkels auf den Werth 4 ausübt, durch die Divergenz der Drehachsen nieht nur modifieirt, sondern vollstän- dig umgestossen werden kann. So kann ein A Werth, welcher vom Neigungswinkel aus wächst oder abnimmt, in Folge eintretender Divergenz nicht nur in erhöhtem Maasse wachsen oder abnehmen, sondern es kann sogar die Vergrösserung desselben umschlagen in Verkleinerung und umgekehrt. 10 178 XIII. A. W. VoLkmaAnn. IV. Wenn bei divergirenden Drehachsen die beiden Nachbar- rippen Winkelbewegungen von ungleicher Grösse ausführen, so können die unter III. geschilderten Vorgänge hiervon nicht unberührt bleiben. Auf die Folgen, welche diese neue Complication. herbeiführt, ausführlicher einzugehen, scheint überflüssig, da sich dieselben, wenig- stens im Grossen und Ganzen, aus den unter Il. entwickelten Prin- cipien ohne Schwierigkeit ableiten lassen. Fig. 4. Hiermit glaube ich bewiesen zu haben, dass die Distanzverände- rungen der Insertionspunkte, welche im Gefolge der Athembewegungen eintreten, zum Theil von Umständen abhängen, welche bisher ganz unberücksichtist geblieben. Es kann nicht fehlen, dass mit dem Nach- weis neuer Bedingungen in der Theorie der Intercostalmuskeln sich die Nothwendigkeit gewisser Reformen herausstellen werde. Man hat geglaubt auf experimentellem Wege nachweisen zu können, dass die mm. intercostales externi als Heber und die inter- costales interni als Herabzieher der Rippen dienen, indess trifit auch diese Versuche der Vorwurf, dass sie ohne ausreichende Kenntniss der Zur Theorie der Intercostalmuskeln. : 179 mechanischen Bedingungen angestellt wurden. Es wird sich finden, dass der Apparat, mit welchem man experimentirte, mehr nicht als eine Verkörperung der S. 169 besprochenen geometrischen Figur ist, also auch nicht mehr beweisen kann als diese, und zur Demonstration der den Intercostalmuskeln zufallenden Aufgabe unbrauchbar ist. SS” bedeutet eine starke, senkrecht stehende Leiste aus Holz, welche die Wirbelsäule vertritt. AB und CD sind zwei dünnere Leisten, welche bei A und C durch Stifte mit der Wirbelsäule SS” drehbar verbunden sind und die Rippen vertreten. Die freien Enden der letzteren, 5 und D, sind durch ein drittes, in Charnieren sich drehendes Leistchen verbunden, welches als Analogon des Brustbeines betrachtet wird und dazu dient, den Parallelismus der Rippen bei deren Bewegung zu erhalten. Die Punkte « und 5 entsprechen den Insertionen eines inter- costalis externus, die Punkte c und d den Insertionen eines inter- costalis internus. An diesen Punkten sind vorspringende Knöpfchen angebracht, welche dazu dienen, zwischen den beiden Insertionspunkten eines Muskels einen gespannten Kautschukfaden anzubringen, der, eben weil er gespannt ist, das Streben hat sich zu verkürzen, und folglich wie ein Muskel wirkt. Wenn man zwischen a und 5 eine solche gespannte Schnur an- bringt, so heben sich die Rippen, der Punkt a geht nach «a und der Punkt 5 nach 5’, womit, wie die Fieur zeigt, eine gegenseitige An- näherung der Insertionspunkte des intercostalis externus verbunden ist. Bringt man dagegen die elastische Schnur zwischen c und dan, so entsteht eine Senkung der Rippen, der Punkt c kommt nach c, und der Punkt d nach d’ zu liegen, wobei, wie die Figur zeigt, wiederum die beiden Insertionspunkte, diesmal des intercostalis inter- nus, sich nähern. - Hier ist nun unzweifelhaft, dass eine elastische Kraft, welche in der Weise eines Muskels wirkt, die Insertionspunkte gegenseitig nähert und eben dadurch in dem einen Falle, wo die elastische Schnur für den intercostalis externus eintritt, das Emporsteigen und im anderen Falle, wo die Lage der Schnur der des intercostalis internus entspricht, die Abwärtsbewegung der Rippen verursacht. Die vorerwähnten Versuche würden für die Theorie der Intercostal- muskeln entscheidend sein, wenn die Mechanik der wirklichen Rippen dieselbe wäre, wie die der künstlichen des eben beschriebenen Modelles. Dies ist indess nicht der Fall, wie oben bereits erwiesen worden. (S. 170.) Dass in dem Hamsgerger’schen Modelle (Fig. 4) beide Rippen 1850 XIII. A. W. VoLKMARN. durch Verkürzung des künstlichen Muskels in gleicher Richtung und unter Wahrung ihres Parallelismus aufwärts und abwärts bewegt wer- den, hat seinen Grund darin, dass beide durch die, als Brustbein ge- deutete Leiste 3D nach dem Principe eines Parallellineals verbunden sind. Bestände diese Verbindung nicht, so müssten die Rippen durch die Verkürzung des künstlichen Muskels in entgegengesetzter Rich- tung, d. h. convergent, bewegt werden, und müssten sich gegenseitig nähern. Es ist auffallend, dass ein ausgezeichneter englischer Physiolog dies verkannt hat. HurcHınson bespricht einen Fall und erläutert ihn sogar durch eine Figur, in welchem, auch nach Beseitigung des Verbindungsstückes DD (vergl. Fig. 4) eine zwischen a und 5b ange- spannte Kautschuksehnur beide Rippen heben soll.‘) Ein solcher Er- folg konnte nur durch Versuchsfehler herbeigeführt sein. Sind die künstlichen Rippen im Verhältniss zur Schmalheit der Intercostaldistanz zu lang und wirkt die contractile Kraft des Kaut- schukstranges zu stark und plötzlich, so kann die untere Rippe, indem sie gewaltsam empor schnellt, an die obere Rippe anstossen und diese in derselben Richtung mit fortreissen, wie ich vielfältig gesehen habe. Wenn man aber den Apparat so construirt, dass ein Zusammenstossen der Rippen vermieden wird, oder auch nur dafür sorgt, dass die con- tractile Kraft des künstlichen Muskels sich ganz allmählich entwickelt, so geschieht, was nach mechanischen Gesetzen geschehen muss, die obere Rippe bewegt sich langsam nach unten und die untere langsam nach oben. Also auch die mit dem hölzernen Modelle ausgeführten Versuche beweisen nicht, dass die "intercostales externi Heber und die inter- costales interni Herabzieher der Rippen sind. Von den äusseren Zwischenrippenmuskeln im Besonderen. 'Die Fasern der intercostales externi verlaufen bekanntlich von oben und hinten, nach unten und vorn, so dass ihr unterer Insertions- punkt sich von der Wirbelsäule mehr entfernt, als ihr oberer. Nach zahlreichen von mir angestellten Messungen beträgt die Länge der Fasern im Mittel 33 mm. und ihr Einfallswinkel an der Rippe unge- fähr 30%. Wird angenommen, dass der Neigungswinkel der Rippen im Mittel 45° und die Höhe eines Rückenwirbels gegen 25 mm. be- trägt, so lässt sich trigonometrisch berechnen, wie gross der gegenseitige 1) Cyclopaedia of anatomy and physiol. Vol. IV. pag. 1050. Fig. 686. Zur Theorie der Intercostalmuskeln. 181 Abstand der beiden Insertionspunkte in der Längenrichtung der Rippe, oder mit anderen Worten, wie gross die Differenz ihres Abstandes von der Wirbelsäule ist. Nach meinen Messungen dürfte diese Differenz etwa 12 mm. betragen. In der Regel wird die mehr nach vorn geschobene Lage des unteren Insertionspunktes mit einer grösseren Entfernung desselben von der Drehachse der Rippen und also auch mit einer überwiegen- den Länge seines Hebelarmes zusammenfallen, doch ist oben schon be- merkt worden, dass hierauf nicht zu rechnen ist. Da nämlich die Länge der Hebelarme, von welchen die Kräfte der Intercostalmuskeln abhängen, nicht nach dem Abstande ihrer Insertionspunkte von der Wirbelsäule zu schätzen ist, sondern nach deren Abstande von der Drehachse, so ist ohne Beschaffung genauer Maasse für letztere kein entscheidendes Urtheil möglich. Obschon nun solche Maasse vorläufig noch fehlen, so lässt sich doch wahrscheinlich machen, dass die Hebelverhältnisse der inter- costales externi an gewissen Stellen der Rippen sich anders gestalten, als man aus dem Verlaufe ihrer Fasern zu folgern pflegt. Ich be- sründe diese Behauptung auf nachstehende Figur. Fis. 5 (S. 182) zeigt den Brustkorb im Querschnitte und von oben betrachtet. MM’ bedeutet den Durchschnitt der Medianebene Z2o die obere und Au die untere von zwei Nachbarrippen. AA’ die zur oberen und BB’ die zur unteren Rippe gehörige Drehachse, welche beide sich in der Wirbelsäule w kreuzen. . ce ist der obere und d der untere Insertionspunkt eines inter- costalis externus, welcher an der hinteren Seite des Brustkastens gelegen ist. — Dieselbe Bedeutung haben die Punkte a und 5b bezüg- lich eines zweiten intercostalis externus, welcher die vordere Seite des Brustkästens einnimmt. Man bemerke, dass die Orte der Insertions- punkte, obschon willkürlich angenommen, doch mit Berücksichtigung ihrer gesetzlichen Lagerungsverhältnisse bestimmt sind. Es liegen nämlich in beiden Fällen die oberen Insertionspunkte der Wirbelsäule näher als die unteren, was BAyLhk bestimmte, den unteren Insertionen die grösseren Hebelarme zuzuschreiben. Die Figur verzeichnet ferner die radii vectores der Insertions- punkte, welche den von BAyL£ verkannten Hebelarmen entsprechen. Es ist cc‘, der radius vector des oberen Insertionspunktes c, kürzer als dd’, der radius vector des unteren Insertionspunktes d. Dagegen ist aa’, der Radius des oberen Insertionspunktes a, länger als 55’, womit der Radius des unteren Insertionspunktes 5 bezeichnet 182 XIII. A. W. VoLkMAnN. ist. Dieses Verhältniss widerspricht nicht nur den Behauptungen Bayre’s und HAMBERGER’s, sondern auch den unter den Physiologen der Gegenwart herrschenden Ansichten. Nun entgeht mir natürlich nicht, dass meine schematische Figur keine absolute Beweiskraft habe, aber wo exacte Beweise fehlen, hat man sich an Wahrscheinlichkeitsgründe zu halten, und meine Figur bietet sol- che. So wenig die vorgelegte Figur auf Naturtreue Anspruch machen kann, so enthält sie doch nichts den natürlichen Verhältnissen Wider- Fig. 5, sprechendes, und fallen also die von mir gebotenen Conturen in die Grenzen des anatomisch Möglichen, das will sagen, die weit reichen- den Verschiedenheiten der organischen Structur lassen voraussetzen, dass auch Bildungen, wie die von mir dargestellte, wirklich vorkom- men. Wenn hiernach meine Figur als eine berechtigte gelten muss, so beweist sie auch, worauf es ankommt, dass der radius vector des unteren Insertionspunktes eines intercostalis externus nicht immer der vorwie- gend grosse ist. . Von Interesse ist noch das durch Fig. 5 erwiesene Verhältniss, dass auf der Rückseite des Thorax die radii vectores der unteren Inser- Zur Theorie der Intercostalmuskeln. 183 tionspunkte die Radien der oberen Insertionspunkte mehr an Länge übertreffen, als dies an der vorderen Seite des Brustkastens der Fall ist, indem sich hieraus ergibt, dass die mehr nach hinten gelegenen intercostales externi beim Heben der Rippen die Hauptrolle spielen. Ich habe aus allgemeinen Gründen behauptet, dass jeder inter- costalis von den beiden Rippen, an welchen er haftet, die obere senken, die untere dagegen heben müsse, und will jetzt für die intercostales externi die Richtigkeit dieser Behauptung experimentell nachweisen. Die nachstehenden Versuche sind an einem menschlichen Brust- kasten angestellt worden, von welchem alle Weichtheile, mit Ausnahme der Bänder, entfernt worden waren. Das Präparat wurde in die natür- liche aufrechte Stellung gebracht, und wurde dann von der ersten Rippe bis zur siebenten eine senkrechte Linie über den Brustkasten gezogen. Im Verlauf dieser Linie wurden sämmtliche Rippen mit kleinen schwarzen Punkten verzeichnet, deren Abstände von einander mit Hülfe des Zirkels genau gemessen wurden. Meine Absicht war nämlich, die Veränderungen dieser Abstände zu messen, welche noth- wendig entstehen mussten, wenn durch Verkürzung eines künstlichen intercostalis externus die mit ihm verbundenen Rippen in Bewegung gesetzt wurden. Als Muskeln benutzte ich gespannte Kautschukschnu- ren, welche entsprechend dem Faserverlaufe der intercostales externi, den Rippen angeheftet wurden. Wäre HurcHınson’s Behauptung begründet, dass durch die Zu- sammenziehung eines solchen Muskels beide Rippen gehoben würden, so müsste der oberhalb desselben gelegene Intercostalraum sich ver- kleinern, dagegen der unterhalb gelesene sich vergrössern. Ist aber meine Behauptung richtig, dass durch die Thätigkeit eines intercostalis die obere Rippe gesenkt und nur die untere gehoben wird, so müssen beide Intercostalräume sich vergrössern. Zum Verständniss der nachstehenden Angaben ist zu bemerken, dass ich die in Frage kommenden Intercostalräume oder Distanzen mit Zahlen bezeichne, und unter Distanz 1 die zwischen der ersten und zweiten Rippe befindliche, unter Distanz 2 die zwischen der zweiten und dritten Rippe gelegene verstehe u. s. w. Die Messungen ergaben während der Dauer der Muskelruhe, also während die Rippen nach unten hingen: Distanz 1 40 mm. DIR ERHHBN N 4 255 5 5 AU,D ,, 1854 XIII. A. W. VoLKMmaANN. Wie sich nun diese Distanzen in Folge der Muskelcontraction verän- derten, ergibt sich aus Folgendem: Versuch 1. Die in Spannung versetzte Kautschukschnure ist zwischen der zweiten und. dritten Rippe angebracht. Distanz: während der Ruhe; während der Contraction; Differenz. 1 40 mm. 41,5 mm. + 1,5 mm. B 42,5 „ 51,5 „ a „ Versuch 2. Der Muskel contrahirt sich zwischen der dritten und vierten Rippe. Distanz: während der Ruhe; während der Contraction; Differenz. 2 56 mm. 57 mm. +1 mm 4 36,8 5 42 „ +55 » Versuch 3. Der Muskel contrahirt sich zwischen der vierten und fünften Rippe. Distanz: während der Ruhe; während der Contraction; Differenz. 3 42,5 mm. 43,5 mm. -1 mm. 5) 27,5 ” 35,0 „ Sr 7,5 ” Versuch 4. Zwei Muskeln wirken gleichzeitig, zwischen Rippe 3 und 4 und {o) 0) Rippe 4 und 5. Distanz: während der Ruhe; während der Contraction; Differenz. 2 56 mm. 57,5 mm. + 15 mm. 5 275 40,0 „ il 200 Versuch 5. Zwei Muskeln wirken gleichzeitig zwischen der zweiten und dritten Rippe und zwischen der dritten und vierten Rippe. Distanz: während der Ruhe; während der Contraction; Differenz. 1 40 mm. 41,5 mm. + 1,5 mm. 4 36,5 ” 45,5 ” =) ” Uebersicht der Resultate. 1) Wenn ein intercostalis externus sich verkürzt und also eine Annäherung seiner Insertionspunkte verursacht, so wird sowohl die oberhalb als die unterhalb desselben gelegene Rippendistanz ver- orössert, ein Beweis, dass der Muskel von den beiden Rippen, an welche er geheftet ist, die obere herab, die untere hinauf zieht. Zur Theorie der Intercostalmuskeln. 185 2) Die Vergrösserung der beiden eben erwähnten Rippendistanzen wird auffälliger, wenn die Muskelcontraction statt in einem Inter- costalraume in zwei benachbarten gleichzeitig stattfindet. 3) In allen Versuchen zeigt sich, dass die unterhalb des thätigen Muskels befindliche Distanz an Grösse merklich mehr zunimmt, als die oberhalb desselben gelegene, d. h. mit anderen Worten: in allen Fällen wird die untere Rippe, an welcher der Muskel haftet, mehr ge- hoben als die obere, an welcher er inserirt, herabgezogen.!) 4) In allen Versuchen war sehr auffällig, dass die untere Rippe, an welche der künstliche Muskel befestigt ist, in Folge der Contrac- tion desselben stark über die Aussenfläche des Brustkastens vorsprang, während die obere Rippe, obschon nur in geringem Grade, sich in das Innere der Brusthöhle zurückzog. Es ist klar, dass die Lateralbewe- gung nach aussen auf einer Hebung der unteren Rippe, Fig. 6. die Lateralbewegung nach 5 innen auf einem Herabstei- sen der oberen Rippe be- ruhe. ’ Nach allem Vorausge- 2 schickten kann kein Zweifel we sein, dass die nächste Wir- C EL B kung der intercostales ex- terni die sei, die beiden Rippen, mit denen sie in Verbindung stehen, gegen- 6 seitig zu nähern. Andrer- et .D seits kann nach den Erfolgen der Vivisectionen kein Zweifel sein, dass diese Muskeln an der gleich- zeitisen Hebung aller Rippen einen wesentlichen Antheil haben, und bleibt also die Frage übrig wie dies mechanisch zusammenhänge. Es mögen in Fig 6 AB und CD diejenigen Stücke zweier be- nachbarten Rippen bedeuten, an welchen der intercostalis externus ad angebracht ist. Hiernach entspricht a dem oberen, und dem unteren Insertionspunkte des Muskels. Der Punkt c aber liegt in der Mitte zwischen beiden Muskelenden und ist einleuchtend, dass diese Enden, bei eintretender Verkürzung des Muskels, mit gleicher Kraft nach demselben hingezogen werden. Hiermit hängt nothwendig zusammen, 1) Entsprechend dem S. 161 erwiesenen Gesetze, dass die Rippen sich leichter nach oben als nach unten bewegen. 156 XIII. A. W. VoLkMann. dass die obere Hälfte des Muskels ihre Zugkraft in der Richtung von a nach e, die untere dagegen in der entgegengesetzten Richtung von b nach ce ausübe. Jede dieser Zugkräfte erlaubt eine Zerfällung in zwei Seitenkräfte, von welchen die eine in der Richtung der Längsaxe der Rippe, die andere auf letztere senkrecht wirkt. - Die erstere geht vollständig verloren, da die Rippe in der Richtung ihrer Länge nicht beweglich ist, und nur die zweite macht sich geltend, wodurch das Auf- und Absteigen der Rippe bewirkt wird. Was also die obere Hälfte des Muskels anlangt, so zerfällt die Zugkraft ac in die Seitenkraft ad, welche verloren geht und in die Seitenkraft af = de, welche die Rippe AD nach unten dreht. An- langend die untere Hälfte des Muskels, so zerfällt die Zugkraft be in die Seitenkraft be, welche ohne Wirkung bleibt und in die Kraft bg = ec, welche die untere Rippe CD emporhebt. Nun sind zwar die Kräfte de nach unten und ec nach oben,.an sich gleich gross, da sie von einer und derselben elastischen Spannung des Muskels ausgehen, indess liegen Bedingungen vor, welche bewir- ken, dass die von ihnen erzeugten Bewegungen von ungleicher Aus- giebigkeit sind. Man beachte: 1) Die untere Hälfte des Muskels befestigt sich an dem Inser- tionspunkte, welcher in der Regel mit einem längeren radius vector versehen ist, und daher unter günstigeren Hebelverhältnissen wirkt. 2) Die untere Muskelhälfte ist diejenige, welche hebt, und also die Bewegung ausführt, welche durch die grössere Beweglichkeit der Rippen nach oben begünstigt wird. In Folge beider Bedingungen ist die Zugkraft nach oben sehr viel wirksamer als die nach unten, und muss folglich auch die Bewegung der unteren Rippe nach oben weit beträchtlicher sein, als die der oberen Rippe nach unten. Was aber für die beiden Rippen des einen intercostalis externus gilt, das muss für alle intercostales und alle Rippen gelten. Denn da jede Rippe an zwei Intercostalräume an- srenzt, so dass ihr die Bedeutung und Funktion einer oberen und unteren in gleichem Maasse zufällt, so steht jede Rippe unter dem Einflusse zweier entgegengesetzten Kräfte, deren Resultante die alge- braische Summe der beiden Componenten ist. Indem die hebenden Kräfte vorherrschen, ist die Resultante der intercostales externi eine Hubbewegung. Zuv Theorie der Intercostalmuskeln. 187 Von den inneren Zwischenrippenmuskeln im Besonderen. Die im vorigen Jahrhunderte von BAyLE und HAMBERGER be- gründete Lehre, dass die intercostales interni die Rippen abwärts ziehen, und also der Exspiration dienen, dürfte noch heutigen Tages die meisten Anhänger haben, wenigstens ist sie von mehreren unserer angesehensten Physiologen, wie LUDWIG, DONDERS und HUTCHINSON in viel gelesenen Schriften nicht nur gebilligt, sondern als die einzige principiell zulässige dargestellt worden. Man beruft sich dabei auf die angebliche Nothwendigkeit, dass die Insertionspunkte der intercostales interni beim Aufsteigen der Rippen sich von einander entfernen, dagegen beim Herabsteigen der- selben sich gegenseitig nähern, eine Nothwendigkeit, die in Wirklich- keit nicht besteht. Denn weder das nach HAMBERGER benannte geometrische Schema (vergl. S. 169 und Fig. 2), noch die mit einem Thoraxmodelle ausgeführten Versuche (vergl. S. 178 und Fie. 4), sind geeignet, über die Distanzveränderungen der bezüglichen Insertions- punkte beim Athmen Aufschluss zu geben, und doch stützt sich die Lehre der oben genannten Forscher lediglich auf jenes Schema und diese Versuche. Wenn es sich darum handelt zu entscheiden, ob die intercostales interni als Inspiratoren oder Exspiratoren wirken, so hat man zu be- denken, dass jeder intercostalis von zwei Nachbarrippen die obere ab- wärts und die untere aufwärts bewest, und dass die algebraische Summe beider Bewegungen die resultirende gibt. Es ist also nicht genug zu untersuchen, welches der beiden Muskelenden von Seiten der Hebelverhältnisse das mehr begünstigte ist, sondern man hat auch zu ermitteln, welche der beiden Rippen, an welche der Muskel inse- rirt, die beweglichere ist, indem es hiervon abhängt, ob die obere Rippe, welche abwärts gezogen wird, sich mehr der unteren, oder die untere Rippe, welche gehoben wird, mehr der oberen nähert. Erst wenn diese beiden Fragen gelöst sind, kann man die Beantwortung der dritten und schwierigsten versuchen, welche Bewegung aus den verschiedenen, möglicherweise mit einander streitenden Bedingungen hervorgehe. Die Fasern der inneren Intercostalmuskeln, welche bekanntlich von oben und vorn nach hinten und unten verlaufen, fallen an der unteren Rippe in Winkeln ein, deren mittlere Grösse nach zahlreichen Messungen zu 53° veranschlagt wurde. Hiernach würde der gegen- seitige Abstand der Insertionspunkte, in der Richtung der Längenaxe 188 XIII. A. W. VoLkmAnN. der Kippe, kaum weniger als 23 mm. betragen, während derselbe Ab- stand für die intercostales externi auf 12 mm. berechnet wurde. Wenn man nun annimmt, dass der Drehpunkt jeder Insertion der Intercostalen im Rippenköpichen liege, und davon absieht, dass die Wirbelkörper, an welchen letztere eingelenkt sind, in einer merklich krummen Linie, nicht in einer geraden senkrechten liegen, so scheinen Maasszahlen, wie die eben angegebenen, den vollsültigen Beweis zu liefern, dass ein intercostalis internus an der oberen Rippe unter viel günstigeren Hebelverhältnissen arbeite, als an der unteren, mithin mehr herabziehend als hebend wirke. Indess muss aus dem Vorher- gehenden klar sein, dass hier Voraussetzungen gemacht werden, die nicht zutreffen. Die Grösse des Hebelarmes, welche die Leistung des inter- costalis bedingt, ist nicht von der Entfernung seiner Insertion vom Rippenköpfehen abhängig, sondern in dem oben erläuterten Sinne, von der Länge des radius vector des um die Drehaxe der Rippe roti- renden Insertionspunktes. In Folge dieses Umstandes kann aus der Thatsache, dass die obere Insertion eines intercostalis internus weiter nach dem Brustbeine vorgeschoben ist als die untere, nicht ohne Weiteres gefolgert werden, dass der Hebelarm an der oberen Rippe grösser sei, als an der unteren, worüber die Betrachtungen, welche ich über den Einfluss der Kreuzung der Drehaxen auf die Länge der radii vectores S. 12 vorgelegt habe, näheren Aufschluss geben. Ich will nun zwar nicht bezweifeln, dass beim intercostalis in- ternus der radius vector des oberen Insertionspunktes grösser seiz als der des unteren, und halte es für sehr wohl möglich, dass sein Uebergewicht sich auch mechanisch geltend mache, das will sagen, unter dem Einfluss des Reibungswiderstandes nicht ganz verloren gehe, aber ich leugne, dass aus diesem Uebergewichte die Funktion des Muskels als Herabzieher der Rippen folge Mae immerhin die Verkürzung des Muskels durch die vorwiegende Länge des zur oberen vippe gehörigen radius vector die Bewegung nach unten begünstigen, so begünstigt andererseits die viel grössere Beweglichkeit der Rippen in der Richtung nach oben die aufsteigende Bewegung, und ist von vorn herein wahrscheinlich, dass der letztere Vortheil den ersteren überwiege. Es hat keine Schwierigkeit hierüber Gewissheit zu erlangen, man braucht nur die S. 183 beschriebenen Versuche mit künstlichen Mus- keln an einem frischen Thorax zu wiederholen, selbstverständlich dahin abgeändert, dass die gespannten Kautschukschnuren statt dem Verlaufe der intercostales externi zu foleen, dem der intercostales interni ent- sprechen. Zur Theorie der Intercostalmuskeln. 189 - Ich bestimme also, wie bereits angegeben, die Distanzen sämmt- licher Intercostalräume im Zustande der Ruhe, bringe dann in einem beliebigen Intercostalraume die gespannte Schnur an, und messe die Distanzveränderungen in den beiden Intercostalräumen über und unter dem Muskel. Die Contraetion des letzteren nähert die beiden Rippen, an welche er sich ansetzt, gegenseitig, und vergrössert also die beiden Intereostalräume, sowohl den oberen wie den unteren, und fragt sich nur, welchen von beiden er mehr erweitere. Würden die intercostales interni die Rippen herabziehen, so müsste die Verbreiterung des obe- ren Intercostalraumes vorherrschen, aber die nachstehenden Versuche beweisen, dass das Umgekehrte stattfindet. Meine Messungen ergaben für den Zeitraum der Muskelruhe, welche nach vollendeter Exspiration eintritt, folgende Breiten der Intercostalräume: Distanz 722,2 772.9742 mm! e DREH] A 40 „ 3a), 46 DD U pw Die gegenseitigen Entfernungen der Rippen änderten sich nun in Folge der Muskelcontractionen in nachstehender Weise. Versuch 1. Die in Spannung befindliche Kautschukschnur ist im ersten Intercostal- raume angebracht und verläuft, wie in allen folgenden Versuchen, von vorn und oben nach hinten und unten. Grösse der Distanz MT nn während der Ruhe während der Contraction Veränderung der Distanz Distanz 2 55 mm. 59 mm. 4 mm. Hebung. Versuch 2. Die Contraction des künstlichen intercostalis internus geschieht zwischen der zweiten und dritten Rippe. Grösse der Distanz während der Ruhe während der Contraction. Veränderung der Distanz Distanz 2 42 mm. 43 mm. 1 mm. Senkung. a a 52 „ dee es Hebung: 190 XIII. A. W. VoLKkMmann. Versuch 38. Der Muskel zwischen Rippe 3 und 4 thätig. Grösse der Distanz tt nn während der Ruhe während der Contraction Veränderung der Distanz Distanz 2 55 mm. 57 mm. 2 mm. Senkung. BRATEN ;, Aa 3. ,„ Hebung. Versuch 4. Der Muskel wirkt zwischen Rippe 4 und 5. Grösse der Distanz während der Ruhe während der Contraction Veränderung der Distanz Distanz 3 45 mm. 45 mm. 0 mm. Senkung. Deo J DI 3 „. Hebung. Versuch 5. Der Muskel wirkt im fünften Intercostalraum. Grösse der Distanz hands mnhe nlhsend des Conkieion Veränderung der Distanz Distanz 4 40 mm. 41 mm. 1 mm. Senkung. are 0. done; 2 ,„ Hebung. Vergleicht man diese Versuche mit den S. 184 beschriebenen, so ergibt sich, dass zwischen den Wirkungen der äusseren und inneren Intercostalmuskeln eine vollkommene Uebereinstimmung stattfindet. Durch Verkürzung der Einen wie der Anderen wird die obere Rippe der unteren und die untere der oberen genähert, aber die untere wird mehr gehoben, als die obere herabgezogen, so dass für die Gesammt- heit der Rippen die Hebung ein Uebergewicht erhält. Selbstverständ- lich dürfen also die intercostales interni nicht als Antagonisten der externi betrachtet werden, vielmehr dienen die ersteren zur Unter- stützung der letzteren. Dies bestätigte sich auch vollständig in einer Versuchsreihe, in welcher ich die Wirkungen verglich, welche ent- standen, wenn ich einmal die künstlichen intercostales externi allein und ein zweites Mal die externi und interni gemeinschaftlich wirken liess. Die Vergrösserung der beiden Intercostalräume oberhalb und unterhalb des Muskels war in letzterem Falle beträchtlicher als im ‘ersten, auch übertraf die Verbreiterung des unteren Intercostalraumes die des oberen ohne Ausnahme, und in einigen Fällen sehrbeträchtlich. Der Hauptwerth der eben vorgelegten Versuche scheint mir darin zu liegen, dass sie Fragen der Mechanik auf rein mechanischem Wege lösen, und sich von den pathologischen Störungen, welche bei Vivi- sectionen leicht eintreten und leicht übersehen werden, unabhängig Zur Theorie der Intercostalmuskeln. 191 erhalten. Im Uebrigen bieten sie nichts Neues. Wer die umfang- reichen und sorgfältigen Versuche HALLEr's über die intercostales interni vorurtheilslos studirt hat, wird sich der Ueberzeugung, dass sie Inspiratoren sind, kaum entschlagen können.) HATLER hat nicht weniger als 26 Versuche an lebenden Thieren, meist an Hunden, angestellt und hat ohne Ausnahme gefunden, dass nach Entfernung der intercostales externi die interni beim Einathmen thätig waren. Als Beweise der Thätigkeit betrachtete er: das sicht- bare Turgesciren der Muskeln, eine fühlbare Spannung und Härte der- selben, endlich eine Veränderung in der Richtung der Fasern, welche während der Inspiration ihre schräge Lage mit einer mehr senkrechten vertauschen. In vielen Versuchen war auch die Verkürzung der Mus- keln unzweifelhaft, indem dieselben eine Verschmälerung des Inter- costalraumes und zwar um die Hälfte seiner Grösse bewirkten- (Exp. 16, 17, 20, 24). Zur Sicherung dieser Ergebnisse wurden auch Zirkel- messungen zu Hülfe genommen. So betrug im 14. Experiment die Verkürzung des intercostalis internus beinahe 1”, und im 28. Exp., in welchem ein Professor der Physik, Hann, die Messung besorgte, verkleinerte sich der dritte Intercostalraum von 0, auf #/oo Zoll. Die Verengerung des Intercostalraumes beruht vorzugsweise, und in einigen Fällen, wie es scheint, ausschliesslich auf einem Aufsteigen der unteren Rippe. Einige Fälle, wo dieses Aufsteigen nicht wahr- genommen werden konnte, hat HALLER als bemerkenswerthe Aus- nahmen ausdrücklich hervorgehoben. HAMBERGER hat in seinem bekannten Streite mit HALLER seinem grossen Zeitgenossen die Bemerkung entgegengestellt: experientia geometriae et mechanicae contraria ostendere nequit, aber HAMBERGER ist viel zu sehr Laie in der Mathematik, als dass diese Bemerkung von Gewicht sein könnte. Bedenklicher wäre, wenn die Versuche TRAUBE’s mit denen HALLER’s unvereinbar wären.) - Allerdings hat TRAUBE in den trefflichen Untersuchungen, welche er über Erstickungs- erscheinungen am Kaninchen angestellt hat, eine Contraction der inter- costales interni beim Einathmen nie wahrgenommen, indess hat er solche beim Ausathmen eben so wenig beobachtet, und bestätigt die Angabe HAtrer's, dass beim Kaninchen sich der Brustkasten am nor- malen Athmen gar nicht betheilige. Hiernach liegt ein Widerspruch zwischen den Experimenten TrAugBE’s und HArLer’s überhaupt nicht 1) HALLER opera minora I. de respiratione experimenta pag. 270. 2) Dr. L. Trauge, Beiträge zur experimentellen Pathologie und Physiologie. IElett IS. IE Zeitschrift f. Anatomie. Bd. II. 13 192 XIM. A. W. VoLEMAnN. vor. BupGeE, welcher ebenfalls am Kaninchen experimentirte, ver- sichert die Verkürzung der intercostales interni beim Einathmen auf das Deutlichste gesehen zu haben und glaubt das Ausbleiben derselben in den Versuchen von TRAUBE auf die zu gewaltsamen operativen Eingriffe, mit denen sie verbunden waren, beziehen zu müssen. Gegen diese Erklärung spricht freilich der Umstand, dass TRAUBE gerade für das normale Athmen der Kaninchen, die Nichtbetheiligung des Thorax behauptet hatte. Sei dem wie ihm wie wolle, so dürften ein Paar am mensch- lichen Körper angestellte Beobachtungen, welche Herr Professor Freunn in Breslau mir mitzutheilen die Güte hatte, die inspiratori- sche Thätigkeit der intercostales interni vollkommen sicher stellen. Fig..T. In dem einen besonders lehrreichen Falle, für welchen (in Fig. 7) eine nach den Beobachtungen entworfene schematische Zeichnung vor- liest, wurde Folgendes wahrgenommen. Bei einer dreissigjährigen Frau besteht angeborener Mangel des rechten m. pectoralis major und ein Defect der dritten und vierten Rippe da, wo Knochen und Knorpel zusammenstossen. In Folge dieses Defectes befindet sich an der vorderen Brustwand eine etwa kinder- handerosse Stelle, welche nur von der sehr verdünnten äusseren Haut bedeckt ist. Die Grenzen dieser Stelle bilden nach oben der gegen das stark gebogene Schlüsselbein steil aufwärts serichtete Knorpel und Knochen der zweiten Rippe, nach unten die auffallend stark nach unten gekrümmte fünfte Rippe, und zu beiden Seiten, also Zur Theorie der Intercostalmuskeln. 193 median- und rückwärts, die Stümpfe der defeeten dritten und vierten Rippe. Der Knochen- und Knorpeldefect nimmt also die Stelle ein, wo nach Wegnahme des grossen Brustmuskels beide Lagen der Intercostal- muskeln, innere wie äussere, zu Tage liegen, indem die intercostales externi nicht: über die Grenzen der knöchernen Rippen hinausgehn und die weiter nach vorn liegenden interni unbedeckt lassen. Von höchster Wichtigkeit für die Beurtheilung der Muskelfunk- tionen war nun der Umstand, dass da, wo Knochen und Knorpel fehlten, die intercostales nicht fehlten ; vielmehr, wie die Figur aus- weist, sich durch den zwischen der zweiten und fünften Rippe gelege- nen offenen Raum in ungewöhnlicher Länge hindurchzogen. Eben diese ungewöhnliche Länge der intercostalen Fleischfasern, verbunden mit der Dünne der Hautbedeckung, hatte zur Folge, dass die Muskel- contractionen sehr ins Auge fielen, und dass bei langsamen und tiefen Inspirationen die gleichzeitige Thätigkeit der äusseren und inneren Intereostalmuskeln direct wahrgenommen werden konnte. Nach allem Vorhergehenden ist empirisch erwiesen und theore- tisch verständlich, dass die inneren und äusseren Intercostalmuskeln gleichmässig zum Heben der Rippen bestimmt sind. Eine Nothwen- digkeit, dass die eine der beiden Muskelschichten die Abwärtsbewe- gung der Rippen besorge, besteht nicht, denn beim normalen, unge- zwungenen Athmen sind die elastischen Kräfte ausreichend, die gehobenen Rippen in ihre ursprüngliche Lage zurückzuführen, und bei gewaltsamem Ausathmen, wo dieselben noch unter ihren normalen Stand herabgedrückt werden, wirken die Bauchmuskeln. Von der Wirkung der mm. intercartilaginei. Zwischen den Rippenknorpeln befindet sich nur eine Schicht Muskeln, deren Fasern von vorn und oben nach hinten und unten verlaufen, also wie die intercostales interni, denen die meisten Ana- tomen sie auch zurechnen. Indess hat HAMBERGER dies für unzulässig erklärt. Seiner Meinung nach sind die intercostales interni Herab- zieher der Rippen, dagegen sollen die zwischen den Knorpeln befind- lichen Muskeln, die er intercartilaginei nennt, Heber sein. Zur Unterstützung der letzteren Behauptung hat er folgende Gründe an- geführt: 1) Die Art, wie die mm. intercartilaginei vom Brustbein aus an die Knorpel sich ansetzen, entspricht vollständig der Art, wie sich die mm. intercostales externi von der Wirbelsäule aus an die knöchernen 13* 194 XII A. W. VoLkMmANN. Rippen ansetzen, und müssen daher beide nach denselben Principien wirken. Wie die intercostales externi die knöchernen Rippen heben, so müssen die intercartilaginei die Rippenknorpel heben. 2) Die Rippenknorpel werden beim Einathmen thatsächlich ge- hoben, und dass sie durch Vermittelung der intercartilaginei gehoben werden, beweist die während der Inspiration bemerkbare Verkürzung der letzteren. Diese Beweise haben eine ziemlich allgemeine Zustimmung ge- funden, aber, wie ich glaube, mit Unrecht. Was zunächst die behauptete Analogie zwischen intercostales ex- terni und intercartilaginei anlangt, so ist sie durchaus unhaltbar, weil der feste Punkt, welcher ersteren in den Wirbelgelenken der Rippen geboten ist, den letzteren in den Knorpelgelenken am Brustbein ganz abgeht. Die knöchernen Rippen besitzen für ihre Charniere in der Wirbelsäule ein festes Widerlager, in Folge dessen ihr Emporsteigen, beim Einathmen, mit einer Vorwärtsbewegung ihrer Sternalenden ver- bunden sein muss, und wiederum ist diese Vorwärtsbewegung ganz unmöglich, ohne dass die mit dem Sternalende verbundenen Theile, nämlich die kippenknorpel und das Brustbein, gleichzeitig nach vorn gedrängt werden. Sollten nun die Wirkungen der intercartilaginei und intercostales externi sich mechanisch entsprechen, so müssten die Costal- enden der Rippenknorpel, indem sie sich heben, vom Brustbein weg- wärts nach hinten drängen, und müssten dann die mit ihnen verbun- denen Theile, also die knöchernen Rippen und die Wirbelsäule selbst, ihrem Impulse nachgeben und nach hinten ausweichen. Solche Bewegungen können nicht vorkommen. Wenn man freilich an einem mit. den Rippenknorpeln und deren Muskeln ausgeschnittenen und wohl fixirten Brustbeine Reizverruche anstellte, so würden die mm. intercartilaginei als Heber der Knorpel wirken, aber offenbar nur des- halb, weil man die natürlichen Bedingungen der Bewegung auf den Kopf gestellt, und das punctum mobile zum punctum fixum gemacht hätte. Unter den natürlichen Verhältnissen können die hinteren Enden der Rippenknorpel, welche an den knöchernen Rippen festsitzen, keine freien Bewegungen ausführen, nur die vorderen Enden, welche das Brustbein tragen, sind hierzu geeignet. Die Stelle, wo Knochen und Knorpel der Rippe zusammenhängen, kann einem Charniere verglichen werden, um welches der Knorpel, als einarmiger Hebel, seine Dreh- bewegung ausführt.!) Sobald der Brustkasten beim Einathmen erweitert 1 Diese Betrachtung rechtfertigt sich besonders durch die Mechanik der Zur Theorie der Intercostalmuskeln. 195 wird, und also die Rippen sich strecken, muss das vordere Knorpel- ende mit dem anhaftenden Brustbeine sich senken. Man überzeugt sich von der mechanischen Nothwendigkeit dieser Verhältnisse leicht, wenn man einerseits die mit dem Einathmen ver- bundene Vergrösserung des Winkels beachtet, unter welchem die Knochen und Knorpel der Rippen zusammenstossen, und andererseits die Inspirationsbewegung in zwei Phasen zerfällt, deren erstere die knöchernen Rippen hebt und von den mm. intercostalibus abhängt, die zweite aber mit der Senkung der Rippelknorpel zusammenfällt und durch die intercartilaginei vermittelt wird. Die nachstehende Figur 8 erläutert die oben besprochenen Vor- gänge. Es bedeutet I SS’ die Wirbelsäule, ab die knöcherne Rippe vor der In- spiration, be den zu dieser Rippe gehörigen Knorpel, ab’e' bezeichnet dieselbe Rippe in der ersten Inspirationsphase, ab'c” dieselbe Rippe in der zweiten Inspirationsphase. m bezeichnet den Winkel, welchen die knöcherne und die knorpelige Rippe während der Ruhe des Brust- kastens nach vollendeter Ausath- mung einschliessen. Diesem Winkel ist gleich m’ in der ersten Phase der Inspiration. In der zweiten Phase tritt eine Vergrösserung eben dieses Winkels um n ein, so dass nun die knöcherne Rippe ab’ und die knorpelige d’c” den grösseren Winkel m -+ n einschliessen. Die Figur beweist, dass diese Vergrösserung des Winkels nur durch ein Herabsinken des Sternalendes des Knorpels von ce nach ec" herstellbar ist. Man könnte vielleicht einwerfen, dass eine Abwärtsbewegung des Rippenknorpels nicht ohne eine Abwärtsbewegung des Brustbeins denk- [72 Vogelrippen, welche nicht aus Knochen und Knorpel, sondern aus zwei geson- derten Knochen bestehen. Beide Knochenstücke stossen unter einem nach vorn offenen Winkel zusamnıen, und sind daselbst mit einem Gelenke versehen, wel- ches in der That als ginglymus funeirt. 196 XIII. A. W. VoLkMmANnN. bar sei, und dass das Brustbein während der Inspiration erwiesener- maassen steige, nicht sinke, indess erledist sich dieser scheinbare Widerspruch ohne Schwierigkeit. Die Knorpel, welche das Brustbein tragen, werden, in Verbindung mit den knöchernen Rippen, von den Intercostalmuskeln gehoben und unabhängig von denselben durch die intereartilaginei herabgedrückt, und da jene Hebung beträchtlicher ist als diese Senkung, so wird das Brustbein allerdings etwas gehoben, aber weniger, als es ohne die Gegenwirkung der intercartilaginei erhoben werden müsste. In Uebereinstimmung mit dieser Auffassung ist die von mir erwiesene Thatsache, dass das Brustbein bei der Inspirationsbewegung sich merklich weniger erhebt, als die Sternalenden der knöchernen Rippen. Wenn also HAMBERGER seine Behauptung, -dass die intercartila- ginei als Heber wirken, darauf begründet, dass das Sternalende des Knorpels (c” der Fig. 8) während der Inspiration erhoben werde, so benutzt er eine unantastbare Thatsache zu einer falschen Folgerung. Es ist richtig, dass c” höher steht als c, aber es steht niedriger als c, und steht nur deshalb niedriger, weil die Vergrösserung des Win- kels m, lediglich durch eine Senkung des _Knorpels von D’e’ nach b’e” verursacht ist. Die Vergrösserung des mit m bezeichneten Winkels ist durch Be- wegungen bewirkt, welche füglich mit denen zweier Zirkelarme ver- glichen werden können. Es muss sich in der Spitze des Winkels, welchen Rippenknochen und Rippenknorpel einschliessen, ein Dreh- punkt befinden, um welchen der Knorpel seine kreisende Bewegung ausführt. Nun wird bei der Inspiration jeder Punkt des Knorpels einen Bogen beschreiben, welcher um so grösser ist, je weiter ersterer vom Drehpunkt entfernt liest. Offenbar entspricht eben diese Entfer- nung der Grösse des radius vector des bezüglichen Punktes. Mit dieser Erkenntniss kommt die Lehre von den Funktionen der mm. intercartilaginei zu einem befriedigenden Abschlusse. Da die Fasern dieser Muskeln von oben und vorn nach hinten und unten ver- laufen, so hat ihr oberer Insertionspunkt einen grösseren radius vector als der untere, und befindet sich mithin unter günstigeren Hebelver- hältnissen. Hiernach kann die Wirkung der intercartilaginei nicht zweifelhaft sein. Jeder oberhalb eines intercartilagineus gelegene Rippenknorpel muss herabgezogen, jeder unterhalb eines solchen ge- legene gehoben werden. Beide entgegengesetzten Bewegungen würden sich aufheben, wenn nicht die oberen Enden der Muskeln unter viel günstigeren Hebelverhältnissen wirkten, als die unteren. In Folge Zur Theorie der Intereostalmuskeln. 197 hiervon muss die Summe der Senkungen grösser sein, als die Summe der Hebungen, das heisst eben die intercartilaginei müssen die Rippen- knorpel abwärts ziehen. HAMBERGER, HALLER und neuerlich 'TRAUBE haben beobachtet, dass die intercartilaginei sich während der Inspiration verkürzen, sie sind also Inspirationsmuskeln. Aber sie sind nicht Inspirationsmuskeln, weil sie die Knorpel heben, sondern weil sie dieselben senken, und dadurch die zur Erweiterung des Brustkastens erforderliche Gestalt- veränderung der Rippen, mittelst Vergrösserung des Winkels m, her- beiführen. XIV. Ueber die Architektur des Knochengewebes. Von Dr. Karl Schulin Assistent am pathologischen Institute zu Rostock. (Hierzu Tafel VIII.) Man hat die Knochen bis jetzt von zwei verschiedenen Seiten her betrachtet: Einmal hat man die histologische Entwicklung des Knochengewebes verfolgt und dann hat man die Bälkchen der schon gebildeten Knochensubstanz mit Rücksicht auf ihre Form und Anord- nung und die hierdurch ermöglichten mechanischen Leistungen unter- sucht. Die Forscher der ersten Art haben sich aber alle nur an das streng Histologische gehalten, ob die Knochenzelle eine umgewandelte Knorpelzelle sei oder ein Abkömmling des Periostes u. s. f£ Den Punkt, um welchen sich dabei alle Streitigkeiten drehten, bildete immer der Umstand, dass viele Knochen sich zum Theil aus Knorpel, zum Theil aus Bindegewebe entwickeln. Weil das Endprodukt in beiden Fällen dasselbe ist, meinte man, müsse auch die Entstehungs- weise dieselbe sein. Deshalb glaubten früher viele Autoren zwischen den bindegewebigen Theilen nnd dem Knochen eine dünne Knorpel- schicht zu sehen und aus demselben Grunde verfechten jetzt Viele die Ansicht, dass aller Knorpel vor der Knochenbildung zu Grunde gehe. Nur wenige Autoren nahmen einfach eine verschiedene Entwicklung des Knochengewebes an: so MızscHher für das Längenwachsthum, auch der platten Knochen, aus Knorpel, für das Diekenwachsthum dagegen aus Knochengewebe selbst, so früher KÖLLIKER Seitens der Knorpelscheibe aus Knorpel, Seitens des Periostes aus halhreifem Bindegewebe. Nur ein Autor, nämlich Vırcmow, bemühte sich, eine Analogie zwischen den beiden Processen der Knochenentwieklung Seitens der Knorpelscheibe und des Periostes durchzuführen, indem Ueber die Architektur des Knochengewebes. 199 er, auch die frühern Stadien heranziehend, neben die Wucherungs- schicht des Knorpels eine solche des Periostes stellte und dann beiderseits in den gewucherten Schichten eine Differenzirung eintreten liess, welche die Bildung der Areolen in der jungen Knochensubstanz bewirken sollte. Aber kein Autor wies eine Uebereinstimmung, oder auch nur eine Analogie nach, in Beziehung auf die Art der Apposition, den innern Plan, nach welchem sich die jungen Knochenzellen den alten zugesellen. Ja VıreHow, der einzige Autor, welcher sich über diesen Punkt überhaupt äussert, glaubte sogar, hier eine Verschiedenheit zwischen den beiden Processen zu erkennen. Er sagt nämlich:'!) „Während das Knorpelwachsthum zunächst den Zuwachs einer gleich- mässig areolären, spongoiden Knochenmasse bringt, lagern sich aus dem Perioste deutlich unterscheidbare und trennbare Schichten eine auf die andere ab, so dass der Knochen von einer Reihe von cylin- drischen oder platten Schichten umhüllt wird.“ Der Grund dieser Erscheinung liest wohl darin, dass man sich über die positiven Thatsachen bei der Apposition nicht ganz klar war. Während für die Knochenanlagerung in der Längsrichtung eines Röhrenknochens jetzt wohl ziemlich alle Autoren darüber einig sind, dass man zunächst an der Knorpelscheibe viele feine längsverlaufende Röhrchen findet, welche nach der Mitte des Knochens hin zu wenigen grössern sich vereinigen, um schliesslich alle zur Bildung der Mark- höhle zu confluiren, findet man für die Anlagerung Seitens des Periostes immer nur die Angabe, dass dieselbe aus Schichten bestehe, die durch Markräume von einander getrennt und durch zur Knochen- oberfläche senkrecht stehende Balken vereinigt seien, oder dass sie als netzförmig durchbrochene Lamellen auftreten 2). Vırcnow führte diese Sache am genauesten durch. Er lässt in den gewucherten tiefen Schichten des Periostes eine Differenzirung der Art eintreten ®), dass vom Knochen her dichtere balkenartige Züge senkrecht hervortreten und dieselben in Bogenlinien durchsetzen, so dass eine areoläre An- lage entsteht. In den Riehtungen dieser Züge verdichtet sich die Grundsubstanz und entsteht zuerst Knochengewebe. Die der Knochen- oberfläche parallel verlaufenden Theile der Bosenlinien stellen nun offenbar in ihrer Vereinigung die oben im Citate erwähnten unter- scheidbaren und trennbaren, den Knochen umhüllenden Schichten I) Archiv V. S. 444. 2) KÖLLIKER, Mikr. Anat. II. 1. S. 368. 3]. c. 8. 443. 200 XIV. Kart Schu. dar, wie es die Abbildung (Figur 6) zeigt. Von diesen Schichten ist immer jede äussere länger, als die nächstinnere, weil der Knochen in- zwischen durch das Knorpelwachsthum länger geworden und wieder ein neues Stück Perichondrium in Periost- umgewandelt ist. VIRCHOW stellte damals diese periostale Schicht neben die vom Knorpel zunächst oelieferte gleichmässig areoläre Masse,, welche man jetzt als verkalk- ten Knorpel vom ächten Knochengewebe trennt. Wir würden sie neben diejenige Knochensubstanz zu stellen haben, welche sich in einem Querschnitte des endochondralen Knochenkernes aus der un- mittelbaren Nähe der Ossificationsgrenze findet. In einem solchen Quersehnitte findet sich die echte Knochensubstanz aber in Gestalt von Ringen, die nicht überall vollständig und an verschiedenen Stellen sehr ungleich dick sind und die die Innenwand der Markkanälchen auskleiden. Wenn schon das, was VırcHow nebeneinander stellte, verschieden ist, so sind es diese beiden Dinge noch viel mehr. Aus diesem Dilemma hilft uns eine Entdeckung, welche STREL- zOFF!) machte. Derselbe fand im geraden Gegensatze zu VIRCHOW, . dass die Knochenschichten, welche nach der von diesem Autor ange- gebenen Weise entstehen, von der Knochenmitte nach der Oberfläche gezählt, nicht länger, sondern immer kürzer werden. Die unmittel- bare Folge dieser leicht zu bestätigenden 'Thatsache ist nämlich die, wie es die Abbildung (Fig. 7) zeigt, dass Vırcmow’s Knochenschichten sämmtlich schief zur Gesammtoberfläche des Knochens stehen. Eine der Knochenoberfläche parallel verlaufende, also einer Längslinie des Havsers’schen Schemas entsprechende Fläche schneidet also von ihnen allen ein Stück ab. Der auf diese Weise abgetrennte Hohleylinder besteht nun in Folge des Umstandes, dass die zwischen den Knochen- schichten befindlichen Räume durch in der Längsrichtung des Knochens verlaufende, vielfach durchbrochene Scheidewände in Röhren abgetheilt sind, aus lauter Schrägschnitten von Markkanälchen, die eines neben dem anderen liegen, gerade wie in dem der Querlinie des HAVvERS- schen Schemas entsprechenden Querschnitte des endochondralen Knochen- kernes die Querschnitte der Markkanälchen. Durch STrELzorr’s Entdeckung wird somit nicht, wie dieser Autor meint, die Richtigkeit des HAvers’schen Schemas in Frage ge- stellt, sondern klar gelest, was einer Längslinie desselben eigentlich entspricht. Vırcmow’s Knochenschichten werden nicht, wie er meint, immer gleichzeitig in der ganzen Länge des jeweilig vorhandenen Knochenkernes apponirt, sondern der Vorgang ist folgender. Zuerst 1) Unters. a. d. path. Inst. zu Zürich. Heft I. S. 16 ff. Ueber die Architektur des Knochengewebes. 201 wird an einer Stelle, welehe an Röhrenknochen etwa der Mitte ent- spricht, ein Stück Vırcmow’scher Schicht gebildet, die periostale Grundlamelle STRELZOFF's; diese wächst nach beiden Enden des Knochens hin. Nach einer bestimmten Zeit wird eine zweite VIR- cmow’sche Schicht gebildet, die sich ebenfalls nach den beiden Enden des Knochens hin ausdehnt, aber hinter der ersteren, welche durch grösseres Alter einen Vorsprung hat, zurückbleibt; dann folgt eine dritte, vierte u. s. f. Schicht, während die vorhergehenden ebenfalls immer weiter wachsen. In einer bestimmten Zeit des periostalen Wachsthumes wird somit nicht eine Vırcmow’sche Schicht gebildet, sondern vielleicht der erste Anfang der siebenten und je ein Ansatz- stück der ersten bis sechsten. Auf diese Weise entsteht, als der Längs- linie des Havzrs’schen Schemas entsprechend, ein Hohlcylinder, wel- cher jederseits von. der Mitte des Knochens nach dessen Ende hin in schräger Richtung von 7 Stücken Vırcmow’scher Knochenschichten durchsetzt wird. Da sich zu diesen noch die die Vırcmow’schen Schichten verbindenden Längsscheidewände hinzugesellen, besteht der einer Linie des Havrrs’schen Schemas entsprechende Hohleylinder aus lauter Schrägschnitten Havers’scher Kanälchen.!) Die periostalen Knochenschichten mit den sie verbindenden Balken stellen ein System dar, welches man ebenso, wie MEYER es für die Bälkchen des fertigen Knochens gethan hat, eine Architektur nennen kann. Ich will es deshalb als Architektur des Knochengewebes gegenüber der Meyver’schen Architektur der spongiosa bezeichnen. Von einer genauern Untersuchung dieser Architektur des Knochen- gewebes an entsprechenden Stellen des nämlichen Knochens in ver- schiedenen Altersstufen desselben lässt sich erwarten, dass sie eine Entscheidung herbeiführen wird in dem Streite darüber, ob die Kno- chen interstitiell wachsen oder nicht. Deshalb fertigte ich die bei- 1 Für die Längslinien des Havars’schen Schemas gab eine hiermit vollständig übereinstimmende Darstellung Bruch, Beiträge zur Entwickelungsgeschichte des Knochensystemes. Neue Denkschriften ‘der allgemeinen Schweizerischen Gesell- schaft für die gesammten Naturwissenschaften. Band XII. 1552. Nr. 7. S. 100. Er lässt die Anlegung Seitens des Periostes in Form von Schichten geschehen, welche von zahlreichen Löchern und Spalten durchbohrt sind. Diese verwandeln sich durch successive Schichtung in Kanälchen, die Markkanälchen, welche aber nicht senkrecht zur Knochenoberfläche verlaufen, wie es geschehen würde, wenn die Löcher in den Lamellen sich vollständig entsprächen, sondern die dadurch, dass jede folgende Lamelle die nächstvorhergehende etwas überragt, eine schiefe Richtung zur Knochenoberfläche erlangen. Er führt indessen keine Analogie zwischen diesem Verhalten und der Apposition Seitens des Knorpels durch. 202 XIV. Kıart Schunm. folgenden Abbildungen an, welche sämmtlich bei derselben Ver- grösserung (HARTNACK System 1) die mit Hülfe der Camera lucida auf das genaueste nachgezeichnete Architektur des Knochengewebes in der hintern Wand des Humerus von Kaninchen darstellen. Sie sind sämmtlich nach Schnitten gefertigt, welche in sagittaler Richtung gelegt sind und sind sehr verschieden alten Thieren entnommen, vom Embryo an bis zum nahezu ausgewachsenen Zustande. Wenn man ein solches Bild betrachtet, wird man sich zunächst fragen, worin diese Architektur ihren Grund hat, warum die Knochen- substanz sich nicht, wie z. B. der Knorpel, als compakte Masse an- lest, sondern von einem solchen Kanalsystem durchzogen ist. An guten Injectionspräparaten, auch von sehr jungen Knochen, sieht man stellenweise in allen Kanälchen Blutgefässe. Es finden sich natürlich immer auch Stellen, wo durch die Injection keine Blutgefässe nach- gewiesen sind, wenn man aber eine wohlgelungene Stelle betrachtet, sieht man die Blutgefässe in einer solchen Anordnung, dass ihre Maschen der durch die Kanälchen dargestellten Architektur vollständig entsprechen. Ich fand nirgends Stellen, wo ich nach der Form der Gefässnetze auf eine wohlgelungene Injection schliessen konnte, ohne dass diese Form mit der Architektur der Knochensubstanz überein- gestimmt hätte, nirgends fand ich geschlossene Gefässnetze, die in ihrer Anordnung von der der Knochenbälkchen abgewichen wären, wohl aber oftmals Stellen, wo in jedem Kanälchen auch ein Blut- gefäss lag. Ferner kann man leicht Stellen finden, wo die Gefässe sich über die Knochensubstanz hinaus in die tiefern Schichten des Periostes noch in derselben Maschenform fortsetzen, welche sie in jener haben, und sieht man alsdann zwischen die Gefässe hinein Aus- läufer der Knochensubstanz eine Strecke weit vordringen. Die An- lagerung der Knochensubstanz erfolgt hier nach einem Plane, welcher durch die Form der Gefässnetze vorgezeichnet ist. Es finden sich auch hier natürlich wieder Stellen, wo die Gefässe nicht injieirt sind, es finden sich aber keine Stellen, wo die Gefässe Maschen bildeten, und die Anlagerung der Knochensubstanz in Areolenform geschähe, ohne dass beide übereinstimmten. Eine Anlagerung von Knochen- substanz, die nicht in Areolenform geschieht, wie sie sich z. B. bei der Bildung der Grundlamellen findet, hat hiermit natürlich nichts zu thun; ich spreche nur von solchen Stellen, wo die Knochensubstanz eine Trennung in Bälkchen und Kanälchen zeist. Für diese möchte ich eine Uebereinstimmung in der Architektur der Gefässnetze und der Knochenbälkchen und deshalb, weil jene zuerst vorhanden sind, ein sich Anschliessen der Architektur der Knochenbälkchen an die Ueber die Architektur des Knochengewebes. 203 der Gefässnetze behaupten. Es wachsen nicht die Gefässe in die Knochenkanälchen hinein, sondern die Knochenkanälchen bilden sich durch Anlagerung der Knochensubstanz zwischen und um die Ge- fässe. An Längsschnitten gut injieirter Knochen erhält man auch eine Anschauung darüber, wie sich in architektonischer Hinsicht die Appo- sition Seitens des Knorpels zu der Seitens des Periostes verhält. Die Frage nach der Herkunft der Knochenkörperchen selbst will ich dabei unerörtert lassen und mich allein auf die Untersuchung des Planes beschränken, nach welchem sie sich von beiden Seiten her anlagern. Für den Knorpel hat man, vom Ende des Knochens gegen dessen Mitte hin gezählt, folgende Reihenfolge von Erscheinungen: zuerst unveränderten Knorpel, dann gewucherten Knorpel, wobei die Wuche- rung gegen den Knochen hin immer stärker wird, dann die Längs- reihen der Knorpelzellen, dann in den confluirten Knorpelhöhlen Rund- zellen und Capillaren, dann Capillaren, die zum Theil mit Knochen- substanz umgeben sind, dann wenigere und immer wenigere, aber grössere Markräume mit mehr Knochensubstanz. Da man dieselben Erscheinungen an den Össificationsgrenzen kleinerer und grösserer Knochen findet, erhält man, wenn man sich die Schnitte aufeinander gelegt denkt, das Bild eines nach dem Ende des Knochens hin fort- schreitenden Processes. In Beziehung auf dieses Vorrücken sind be- sonders solche Stellen interessant, wie das untere Ende des humerus und das obere des femur und der ulna, woselbst der Knochen eine etwas complicirtere Gestalt besitzt, diese bereits im Knorpel vorge- bildet ist und nun die Ossificationsgrenze in diese Form hineinwandert. Am unteren Ende des humerus liegt diese anfangs über den schon im Knorpel vorgebildeten foveae supratrochleares, dann an der diesen ent- sprechenden dünnsten Stelle der knorpeligen Anlage und zuletzt in der trochlea. Am oberen Ende des Femur liest sie anfangs unterhalb des Kopfes und des trochanter major im Schafte des Knochens, dann in der Höhe dieser Theile weiter oben und dann krümmt sie sich wellenförmig und rückt einerseits im trochanter und andererseits im Kopfe des femur vor, wobei sich dann hier noch ausserdem selbst- ständige Ossificationskerne entwickeln. In der ulna rückt sie auf die- selbe Weise in das olecranon hinein. Diese Thatsachen sprechen auf das Entschiedenste gegen die Behauptung, dass die innere Architektur der Knochen sich stets ähnlich bleibe. Für das Periost hat, wie erwähnt, dem gegenüber, Vırcmow theilweise eine Analogie durchgeführt, indem er eine entsprechende Wucherungsschicht desselben neben die des Knorpels stellte. Für die 204 XIV. Kıarı ScHuuın. Gefässe besteht aber nach seiner und auch nach der jetzt, soweit mir bekannt, noch allgemein herrschenden Ansicht eine weitere Analogie nicht, indem dieselben nicht, wie die des Knorpels, erst unter der gewucherten Schicht auftreten und gegen dieselbe hin wachsen, son- dern von aussen her durch dieselbe hindurch in den Knochen eintreten sollen. Es würde das einen durchgreifenden Unterschied der beiden Processe bedingen, wenn in dem einen Falle die Gefässentwickelung hinter der Zellenwucherung einhergehen und in dem anderen Falle ihr entgegen und durch sie hindurch treten würde. Es verhält sich aber in der That nicht so. Man kann sich an Injectionspräparaten überzeugen, dass ein grosser Theil der Gefässe der periostalen Rinde von der Mitte des Knochens her gegen dessen Oberfläche und gegen die Wucherungsschicht des Periostes hin vordringt. Viele treten aller- dings durch die Wucherungsschicht hindurch und anastomosiren mit den ausserhalb des Periostes liegenden Gefässen. In den tieferen Schich- ten des Periostes aber liegt ein Gefässnetz, welches gegen dessen Ober- fläche hin, wie die Gefässe im endochondralen Knochenkerne gegen den Knorpel hin, vorrückt und sich ebenso, wie die Gefässe dort, nach der Mitte des Knochens hin zu grösseren Aesten vereinigt. Die Aehnlichkeit zwischen der Knochenanlagerung Seitens des Knorpels und des Periostes besteht also darin, dass man hier wie dort zuerst ein Zellenlager hat, das hier bindegewebig und dort knorpelig ist; dass hier, wie dort, das Zellenlager in eine Wucherung geräth, die immer stärker wird; dass dann Capillaren kommen, diese sich mit Knochensubstanz umgeben und weiterhin zu grösseren Aesten vereinigen. Der wichtigste Unterschied zwischen den beiden Processen besteht darin, dass der Process im Knorpel senkrecht zur Fläche desselben fortschrei- tet, im Perioste dagegen unter einem sehr spitzen Winkel zur Ober- fläche desselben. In Längsschnitten injieirter Knochen sieht man in Folge dessen im periostalen Theile derselben längsverlaufende Ge- fässe, welche durch zahlreiche quere Anastomosen verbunden sind und ziemlich rechtwinkelige Maschen bilden. In Querschnitten sieht man hier nur Querschnitte von Gefässen und stellenweise kurze Stücke von längsverlaufenden Gefässen, die den erwähnten Queranastomosen ent- sprechen. Die im Querschnitte der Knochenrinde von innen nach aussen auf einander folgenden Gefässe haben mit einander gar nichts zu thun; es ist nicht das Verhältniss ein derartiges, dass etwa von innen oder aussen in .den Querschnitt der Knochenrinde ein Gefäss ein- dränge, welches sich hier verästelte, sondern die Verästelung erfolgt nur in der Längsrichtung des Knochens und, was man im Querschnitte nebeneinander liegen sieht, sind Theile verschiedener Gefässnetze. Ueber die Architektur des Knochengewebes. 205 Wenn man sich dieses vergegenwärtigt, findet man es begreiflich, dass man z. B. in Querschnitten des humerus von halbwüchsigen Kanin- chen stellenweise folgendes Bild sieht: Zu innerst Grundlamellen, dann Querschnitte von Havers’schen Kanälchen, deren Grösse von innen nach aussen abnimmt, mit Speciallamellen, welche indessen noch nicht vollständig ausgebildet sind, sowie stellenweise in der Längsrichtung getroffenen (Queranastomosen HAvers’scher Kanälchen; dann wieder Grundlamellen; dann plötzlich wieder Querschnitte von HAvers’schen Kanälchen ohne jede Verbindung mit den jenseits der Grundlamellen gelegenen und von grösserem Umfange als diese; dann wieder Grund- lamellen und dann im Perioste wieder Querschnitte von Gefässen. Im periostalen Knochen finden sich eben Gefässnetze, welche nebenein- ander in der Längsrichtung des Knochens, aber schief zu der äusseren Oberfläche desselben, wachsen und nach der Seite hin stellenweise gänzlich unabhängig von einander sind. Was nun die weiteren Veränderungen der Architektur des Knochen- sewebes während des ferneren Wachsthumes betrifft, so überzeugt man sich, wenn man die beiden ersten meiner Abbildungen vergleicht, welche von 7 und 15 mm. langen Knochen stammen, auch hier von dem Vorkommen einer Apposition Seitens des Periostes: die Zahl der periostalen Lamellen hat sich in dem grösseren Präparate mehr als verdoppelt. Das ist aber nicht die einzige Veränderung, welche zu bemerken ist. Ausser der allein durch appositionelles Wachsthum zu erklärenden Zunahme der Anzahl der Knochenbälkchen findet sich auch eine Zunahme der Grösse derselben. Diese liesse sich zunächst auch noch durch rein appositionelles Wachsthum erklären, wenn sie mit einer entsprechenden Verengerung der zwischen den Bälkchen liegen: den Kanälchen verbunden wäre Das ist aber keineswegs der Fall: die Kanälchen sind in der zweiten Abbildung eher weiter, als in der ersten. Mit rein appositionellem Wachsthum kommt man somit hier nicht aus, sondern die Annahme eines interstitiellen Wachsthums scheint unabweisbar. Ich sage „scheint“; denn bei genauerer Ueber- legung lässt sich doch noch eine andere Deutung finden, wenn man nämlich ausser der Apposition auch noch eine Resorption von Knochen- substanz heranzieht. Die Umwandlung der Fig. 1 in den ihr ent- sprechenden Theil der Fig. 2 kann auch dadurch geschehen, dass an jedem Knochenbälkchen an der von der Mitte des Knochens abge- wandten Seite Appositions- und der dieser zugewandten Seite Resorp- tionsvorgänge auftreten. Diese Annahme erscheint auf den ersten Blick etwas gesucht, sie verliert diese Eigenschaft aber, wenn man der etwaigen Ursache dieser Combination von Appositions- und Re- 206 XIV. Kart Scnunin. sorptionsvorgängen nachforscht. In den Kanälchen liegen ausser anderen Weichtheilen die Gefässmaschen; diese werden ohne Zweifel, wie alle anderen Weichtheile, interstitiell wachsen); wenn sie das aber thun, wird eben wegen ihrer Maschenform durch das Wachsthum der zur Knochenoberfläche senkrecht stehenden Aeste eine fortwährende seitliche Verschiebung der in der Längsrichtung des Knochens ver- laufenden Aeste bewirkt. Es kann nun sehr wohl mit der Annäherung der Blutgefässe an die Knochensubstanz an der der Knochenmitte zu- gewandten Seite der Bälkchen eine fortdauernde Resorption einher- gehen, während an der von der Knochenmitte abgewandten Seite der Bälkchen Apposition stattfindet. Um eine Entscheidung zwischen den beiden vorliegenden Möglichkeiten eines interstitiellen Wachsthumes ‚und der combinirten Resorption und Apposition zu treffen, untersuchte ich das Verhalten der Knochenkörperchen. Da natürlich Stellen, die sich genau entsprechen, erst dann ge- funden werden können, wenn die Frage nach der Art des Knochen- wachsthumes entschieden sein wird, zeichnete ich mit Hülfe der camera lucida stets bei derselben Vergrösserung (HARTNACK System 5) ganz verschiedene Gegenden von 5 Kaninchenhumeri, die eine Länge von 15, 22, 35, 39 und 48 mm. besitzen, doch alle aus der hin- teren Wand von Sagittalschnitten ab und verglich die Grösse und gegenseitige Entfernung der auf das Genaueste nachgezeichneten Knochenkörperchen. Es fanden sich dabei freilieh mancherlei Ver- schiedenheiten sowohl zwischen den verschiedenen Knochen, als den verschiedenen Gegenden desselben Knochens. Es fand sich aber gar keine Beziehung zwischen der Grösse und der gegenseitigen Entfernung der Körperchen einerseits und dem Alter derselben andererseits. Es werden die Körperchen weder in einer der Grössenzunahme des Knochens entsprechenden Weise in verschiedenen Knochen grösser, noch in demselben Knochen in der Richtung von aussen nach innen; die einzige constante Veränderung ist die, dass, entsprechend der Grössenzunahme der Knochenbälkchen die Anzahl der zwischen je zwei Gefässen gelegenen Knochenkörperchen zunimmt. Wenn es sich um ein interstitielles Knochenwachsthum hier handelte, so könnte das somit jedenfalls nur ein mit einer Vermehrung der Knochenzellen einhergehendes sein. Erscheinungen aber, welche für eine solche Ver- 1) Tomzs, Topps Cyclopaedia of Anatomy and Physiology. vol. III. 1847. p- 850 erwähnt bereits, dass man in Querschnitten des femur eines Tmonatlichen Fötus in demselben Raume viel mehr Havzrs’sche Kanälchen finde, als beim Erwachsenen. Vgl. ferner KÖLLIKER, Gewebelehre. 5. Aufl. S. 182. Ueber die Architektur des Knochengewebes. 207 mehrung sprächen, kann ich nirgends finden. Wenn auch an manchen Stellen die Körperchen etwas dichter stehen, als an anderen, findet sich diese Erscheinung doch weder ausgesprochen genug, noch in einer solchen Weise vertheilt, dass man daraus auf das wirkliche Vorkommen einer Vermehrung der Knochenkörperchen durch Theilung schliessen könnte. Das Wachsthum der Knochensubstanz hätte man sich also so vor- zustellen, dass alles einmal Gebildete an der Stelle, wohin es abgelagert worden ist, unverändert liegen bleibt, dass aber in der Gesammtmasse des Abgelagerten ein fortwährender, stets von Oberflächen ausgehen- der, Wechsel stattfindet, indem entsprechend den durch interstitielles Wachsthum bewirkten Lageveränderungen der die Havers’schen Kanälchen ausfüllenden Weichtheile diese Kanälchen selbst in der Knochensubstanz wandern. Ein Wechsel von Resorption. und Appo- sition wird dadurch für noch näher bei einander gelegene Stellen, als man bisher annahm, nämlich die verschiedenen Seiten desselben Havers’schen Kanälchens, postulirt, doch glaube ich nicht, dass man hiergegen den Vorwurf der Complieirtheit erheben kann, weil ich ja auch gleichzeitig einen in der architektonischen Entwickelung des Knochengewebes selbst liegenden Grund, die Anordnung und das inter- stitielle Wachsthum der Gefässnetze, zur Erklärung herbeigezogen habe. Sehr wohl zu trennen von diesen Resorptions- und Appositions- vorgängen, welche an die Innenfläche der Havrrs’schen Kanälchen gebunden sind, sind andere Resorptions- und Appositionsvorgänge, bei welchen es sich um ein Verschwinden, resp. eine Neubildung von Havers’schen Kanälchen selbst handelt. Von dem Vorkommen der Apposition haben wir uns bereits durch die Betrachtung der beiden ersten Abbildungen überzeugt. Welche Anufschlüsse gibt nun die Untersuchung der Architektur des Knochengewebes darüber, ob auch eine Resorption von Knochensubstanz mit Havzrs’schen Kanälchen vorkommt? In der Fig. 1 (Taf. VIII) kann man zunächst die periostale Grund- lamelle in der ganzen Länge des periostalen Knochens verfolgen; dann kommen andere Lamellen, die sich im Allgemeinen ganz gut parallel der Grundlamelle bis zu der Basis des Dreieckes verfolgen lassen, welches der periostale Knochen auf dem Längsschnitte darstellt; sie erreichen diese Basis um so eher, je weiter nach aussen sie liegen. In der Fig. 2 ist wesentlich dasselbe zu sehen, nur fehlt im unteren Theile des Knochens bereits ein Stück der Grund- und der beiden ersten weiteren Lamellen. Wie ganz anders sehen aber Fig. 3 und 4 aus! Zeitschrift f. Anatomie. Bd. I. 14 h 208 XIV. Kırı ScHurm. Erstens hat die Knochenrinde in diesen Abbildungen, welche von 22 und 30 mm. langen Knochen herstammen, eine viel geringere Dicke als in der von einem 15 mm. langen Knochen stammenden Fig. 2. Dann ist die Form eines Dreieckes vollständig verschwunden. Man sieht einen von ziemlich parallel verlaufenden Seiten begrenzten Streifen, von welchem aus einige Vorsprünge sich nach der Markhöhle hin erstrecken und neben welchem einige isolirte Knocheninseln liegen. Der Hauptunterschied aber findet sich in der inneren Architektur dieses Streifens. Man sieht keine periostale Grundlamelle und kein erstes Gefässkanälchen mehr, das sich durch die ganze Länge des Knochens erstreckte. Der Streifen ist in schräger Richtung durchsetzt von Havers’schen Kanälchen, welche nur eine geringe Länge besitzen und nur einem geringen Bruchtheile der Gesammtlänge der Knochen- rinde entsprechen. Das Bild ist dasselbe, wie man es erhält, wenn man die innere Hälfte der Fig. 1 oder 2 zudeckt. Eine soiche Aen- derung der Architektur lässt sich absolut nicht durch interstitielle Wachsthumsvorgänge erklären, sondern allein durch ein Verschwinden schon gebildeter Kanälchen und Bälkchen. Ein ganz schlagender Beweis liegt aber in dem jetzt erfolgenden Auftreten der Inseln neben der Knochenrinde und in. dem Umstande, dass in diesen und besonders in den so mannichfach gestalteten Vorsprüngen sich noch an vielen Stellen Kanälchen finden, welche dieselben, an beiden Enden scharf abgeschnitten, durchsetzen und wie man sich durch Er- sänzung leicht überzeugen kann, eine solche Anordnung zeigen, wie sie in der Architektur der vor dem Eintritt der Resorption hier überall vorhanden gewesenen Knochensubstanz begründet ist. Ich glaube, dass eine einfache Vergleichung der Architektur des Knochengewebes der Fig. 2 mit der der Fig. 4 genügt, um die Annahme zu rechtfertigen, dass die grosse Markhöhle des humerus durch Resorption und nicht durch interstitielles Wachsthum entsteht. Die nach eingetretener Resorption von der Innenfläche der Knochen- rinde ausgehenden Vorsprünge und Balken zusammen mit den Inseln, welche zum Theil auch Querschnitten von Balken entsprechen, stellen ebenfalls eine Architektur dar, nämlich die Mryer’sche Architektur der spongiosa. Man kann in den Bälkchen derselben auch an vielen Stellen die frühere Architektur des Knochengewebes erkennen; die Oberfläche derselben ist dann überzogen von Lagen secundär apponirter Knochenkörperchen, welche in ihrer Verlaufsrichtung der jeweiligen Oberfläche des Bälkchens folgen. Die mechanischen Momente, welche zur Ausbildung der Meyer’schen Architektur der spongiosa an einer bestimmten Stelle führen, wirken somit nicht, wie die Anhänger des Ueber die Architektur des Knochengewebes. - 209 interstitiellen Knochenwachsthums meinen, direct biegend und deh- nend auf das Knochengewebe, sondern ihre Wirkung ist eine mittelbare, indem sie hier Resorption und dort Apposition einleiten und auf diese Weise, stets von Oberflächen ausgehend, eine Aenderung in der Architektur der Knochenbälkchen bewirken. Die Architektur des Knochengewebes und die der spongiosa unter- scheiden sich demnach so, dass die erstere eine in der histologischen Entwiekelung des Knochengewebes begründete Architektur ist, wäh- rend die letztere erst durch weitere Veränderungen aus ihr hervorgeht. Man könnte die Architektur der spongiosa als eine organologische jener als einer histologischen gegenüberstellen, da sie erst durch die Funktion des Knochens als Organ entsteht und sich dieser Funktion entsprechend modificirt. Die grosse Markhöhle der Röhrenknochen unterscheidet sich da- dureh von der spongiösen Substanz, z. B. der Wirbelkörper, dass dort alle Knochensubstanz gesechwunden ist, während hier noch Balken übrig geblieben sind. Aber auch an sehr kleinzelligen Stellen in Wirbeln hat schon Resorption stattgefunden, wie man erkennt, wenn man einen Schnitt durch solche Stellen mit kücksicht auf das Gesagte untersucht. Wenn man nun ferner meine Abbildungen vergleicht, findet man, dass das Dickenwachsthum der Knochenbälkchen auch in den älteren Knochen noch immer fortschreitet. Wie gross sind dieselben gar in der Fig. 5! Dieses Dickenwachsthum ist verbunden mit einer Ver- engerung der Kanälchen, wie das Tomes (l. c. S. 850) ebenfalls schon erwähnt. Die Grössenzunahme der Bälkehen findet sich auch in ein und demselben Knochen in der Richtung von aussen nach innen und dient dieser Umstand zur Widerlegung eines Einwandes, welcher etwa gegen die Existenz des interstitiellen Wachsthums der in die Knochen- substanz eingeschlossenen Gefässnetze erhoben werden könnte. Es möchte nämlich vielleicht Jemand sagen, die diekeren Bälkchen in den älteren Knochen seien ganz andere, als die dünneren in den jüngeren Knochen. Während die von engeren Gefässnetzen durch- zogene Knochensubstanz resorbirt werde, werde solche mit weiten Gefässnetzen apponirt, die Gefässnetze behielten dabei ihre Grösse, welche sie durch das interstitielle Periostwachsthum erlangt hätten, von dem Augenblicke an, wo sie in die Knochensubstanz eingeschlossen seien, unverändert bei. Wenn das so wäre, müsste die Weite der Maschen von innen nach aussen zunehmen; aber selbst in Fig. 5 liegen aussen stellenweise ganz enge Maschen. Endlich sieht man, dass in der Fig. 5 die Knochenkanälchen im Allgemeinen entschieden mehr der Knochenoberfläche parallel verlaufen, 14* 210 XIV. Kırı ScHunin. als in den anderen Figuren. Für diese schon länger bekannte Thatsache hat in der neuesten Zeit SCHWALBE!) in sehr scharfsinniger Weise eine Erklärung zu geben versucht. Schon Humrnury hatte, ausgehend von der jedenfalls richtigen Voraussetzung, dass, wenn der Knochen rein appositio- nell, das Periost aber interstitiell in die Länge wächst, eine Verschiebung des letzteren auf ersterem sattfinden muss, die Theorie aufgestellt, der Umstand, dass in langen Knochen der canalis nutritius immer gegen die zuerst verschwindende Epiphysenscheibe hin gerichtet sei, habe in Folgendem seinen Grund: Seitens. desjenigen Knochenendes, an welchem mehr Knochen apponirt wird und welches er deshalb schneller wachsen lässt (wenn es nicht schneller. sondern nur längere Zeit wächst, ist das Endresultat jedoch dasselbe), soll ein Zug auf das Periost ausgeübt werden, in Folge dessen die Durchtrittsstelle der A. nutritia durch das letztere nach diesem Knochenende gezogen werden und auf diese Weise, indem sich die A. nutritia mit Knochensubstanz umgibt, ein die Knochenrinde schief durchsetzender Kanal entstehen, dessen äussere Oefinung immer näher dem schneller wachsenden Ende des Knochens liest,. als die innere. Diese Theorie baute SCHWALBE weiter aus, indem er zunächst auch die Zugwirkung des langsamer wachsenden Endes in Betracht zog. Er suchte durch eine mathematische Con- struetion die Richtungen zu ermitteln, in welchen sich bestimmte Punkte einer Linie, welche immer dieselbe relative Entfernung von einander behalten, verschieben, wenn diese Linie sich verlängert und gleichzeitig derartig zur Seite rückt, dass ihre neue Lage immer der früheren parallel bleibt. Diese Richtungen werden durch zwei Um- stände beeinflusst. Einmal durch eine etwaige gleichzeitige Verschie- bung der Linie in der durch sie selbst vorgezeichneten Richtung und zweitens durch das Verhältniss der seitlichen Verschiebung (senkrecht zu der Linie) zur Grössenzunahme. Ich habe, als ich zuerst die oben beschriebene, durch das inter- stitielle Wachsthum bewirkte, seitliche Verschiebung der Gefässe des Knochengewebes untersuchte, genau denselben Ideengang durchgemacht und das Enäresultat dahin formulirt, dass alle Punkte sich in Rich- tungen bewegen, welche von einem für den einzelnen Fall zu bestim- menden Mittelpunkte radiär ausgehen.2) Man kann sich an den von SCHWALBE gelieferten Abbildungen leicht überzeugen, dass die Rich- tungen, in welchen sich die Punkte in den Figuren 2, 3, 4 und 10 1) Diese Zeitschrift Bd. I. S. 307. 2) Sitzungsberichte der Gesellschaft zur Beförderung der &gesammten Natur- wissenschaften zu Marburg. 1875. Nr. 9. S. 104. Ueber die Architektur des Knochengewebes. 211 fortbewegen, alle je von einem gemeinschaftlichen Centrum aus diver- giren; desgl. in Fig. 6 für jeden einzelnen Abschnitt. Man kann z. B. in Fig. 2 die Punkte I. bis VII. am einfachsten finden, wenn man 00° und S VIIL verlängert, bis sie sich schneiden und dann von diesem Durchschnittspunkte aus durch 1—7 Linien zieht. Wo diese die Linie O' VIII. schneiden, liegen die Punkte I. bis VII. Das Bestimmende in der ganzen Verlaufsrichtung der Verschiebungslinien ist also die Lage des betrefienden Mittelpunktes.. Man sieht auch sofort ein, auf welche Weise durch Modificationen der Lage dieses Punktes die beiden erwähnten beeinflussenden Umstände erzeugt werden. Verschiebungen desselben senkrecht zu der sich vergrössernden Linie, und zwar über der Mitte derselben, erzeugen die in SCHWALBE’S Fig. 4 dargestellten Modificationen. Je näher der Mittelpunkt an der betrefienden Linie liest, unter einem desto spitzeren Winkel verschieben sich die bezeich- neten Punkte derselben und desto rascher nimmt im Verhältniss zur seitlichen Verschiebung die Länge der Linie zu. Verschiebungen des Mittelpunktes parallel der sich vergrössernden Linie erzeugen Bilder, wie SCHWALBE’S Fig. 3. Je mehr sich der Mittelpunkt dem einen Ende der sich vergrössernden Linie annähert, desto grösser wird die Differenz der Winkel, unter welchen sich die Endpunkte der Linie verschieben. Der Punkt, in welchem ein von dem Mittelpunkte auf die sich vergrössernde Linie gefälltes Loth diese schneidet (SCHWALBE’S neutraler Punkt), verschiebt sich in der Verlängerung dieses Lothes, im Verhältniss zur Lage der Linie also nur in einer Richtung: senkrecht zu derselben; alle anderen Punkte verschieben sich nicht nur senk- recht zu der Linie, sondern auch parallel derselben; auf den Knochen übertragen: nicht nur seitlich, sondern auch in der Längsrichtung des- selben, und zwar um so mehr auch in der Längsrichtung, je entfernter die Punkte von jenem Durchschnittspunkte liegen. Für auf verschie- denen Seiten jenes Durchschnittspunktes gleichweit von demselben entfernt gelegene Punkte ist das Verhältniss der seitlichen zur Längs- verschiebung dasselbe; das entfernter gelegene Ende des Knochens ver- schiebt sich deshalb überwiegend in .der Längsrichtung des Knochens, weil seine Entfernung von jenem Durchschnittspunkte eine grössere ist. Durch Combination von Verschiebung des Mittelpunktes parallel der sich vergrössernden Linie und senkrecht zu ihr entstehen natür- lich die verschiedensten Modificationen der Richtung, in welcher sich die einzelnen Punkte verschieben, und, wenn gar die Lage des Mittel- punktes während des Wachsthums wechselt, entstehen Aenderungen der Verschiebungsrichtung, gekrümmte oder Zickzacklinien, wie sie SCHWALBE in seiner Fig. 6 darstellt. 919 XIV. Karı ScHULIN. So sehr ich auch mit ScHhwAusE in Beziehung auf diesen Ideen- gang übereinstimme, kann ich mich doch nicht überzeugen, dass dureh das interstitielle Wachsthum des Periostes eine Aenderung des Winkels bewirkt werde, welchen die HAvers’schen Kanälchen mit dem- selben bilden. SchwAugBeE hat, obwohl er das interstitielle Wachs- thum der Gefässmaschen in der Knochensubstanz ebenfalls kennt (8.333), doch die Bedeutung desselben für die vorliegende Frage nicht in den Kreis seiner Ueberlegung gezogen. Letztere wäre richtig, wenn ein in Knochensubstanz eingelagertes Geläss in dieser ebenso unver- ändert liegen bliebe, wie die Knochensubstanz selbst. Das Gefäss wächst aber interstitiell. Das Periost und die die Kanäle der Knochensubstanz erfüllenden Netze von Weichtheilen müssen zusam- mengefasst werden als ein interstitiell wachsendes Gebilde, welches in Folge der Lageveränderung seiner einzelnen Theile eine Verschie- bung sowohl an der Gesammtoberfläche des Knochens, als im Innern aller Kanäle desselben erleidet, wobei sich die Gestalt der Knochen- substanz durch Resorption und Apposition ändert, es selbst sich aber stets ähnlich bleibt. An verschiedenen Stellen kann allerdings das interstitielle Wachsthum dieses Gebildes verschieden stark sein, so dass doch ‚Gestaltsänderungen bewirkt werden, ob das aber an so nahe zu- sammen gelegenen Stellen möglich ist, dass dadurch eine Aenderung des Winkels bewirkt würde, welchen die Havers’schen Kanälchen mit dem Perioste bilden, das kann nur empirisch festgestellt werden. An meiner Fig. 5 sieht man nun aber, dass die Geraderichtung der Ka- nälchen gar nicht an der Oberfläche der Knochen am stärksten ent- wickelt ist, sondern gerade in der Tiefe. Auch das spräche noch nicht gegen SCHWALBE, wenn man an derselben Stelle in einem früheren Stadium dicht unter dem Perioste mehr gerade verlaufende Kanälchen fände, da ja nach seiner Fig. 6 die Verschiebungsrichtung sich ändern kann. Da dieses aber auch nicht der Fall ist, sondern, wie man an meinen anderen Figuren sehen kann, die Kanälchen in den jüngeren Knochen ungefähr denselben Winkel mit dem Perioste bilden, wie die oberflächlichen in der Fig. 5, sehe ich wenigstens keinen Grund, diese Erscheinung auf dieselbe Art, wie SCHWALBE, zu erklären. Dass in der Verlaufsrichtung grösserer Gefässstämme, wie der A. nutritia, Aenderungen in der von SCHWALBE angegebenen Weise stattfinden können, halte ich dagegen wohl für möglich. “Eine solche Anordnung der Gefässe in der Knochenrinde, wie sie SCHWALBE’S schematische Fig. 2 darstellt, in der Mitte der Diaphyse senkrecht zum Perioste und nach beiden Seiten hin immer mehr sich schief zu demselben steilend, kommt allerdings an manchen Stellen Ueber die Architektur des Knochengewebes. 213 nach eingetretener Resorption vor, die Hauptmasse der Knochensub- stanz zeigt aber einen anderen Verlauf derselben: der Winkel, welchen die Kanälchen mit dem Perioste bilden, ist überall derselbe, die Ka- nälchen verlaufen im Allgemeinen alle parallel zu einander. Die sesammte periostale Knochenrinde stellt in Folge dessen, wie meine Figuren 1 und 2 zeigen, auf dem Längsschnitte ein ziemlich gleich- schenkeliges Dreieck dar, in welchem alle Kanälchen parallel den beiden Schenkeln verlaufen. Nur ein Kanälcheu verläuft in Folge dessen durch die ganze Länge und die ganze Dicke der Knochensub- stanz; alle übrigen verlaufen durch einen um so geringeren Theil der Länge und Breite, je weiter nach aussen sie liegen. Wenn keine Resorption einträte, würde die Form des periostalen Knochens auf dem Längsschnitte immer ein Dreieck bleiben. Die Resorption stört diese Form, indem sie die Spitze des Dreieckes wegnimmt und ein Trapez erzeugt. An diesem kann es später wieder eine dickste Stelle geben, ja die Resorption kann die Form der periostalen Rinde wieder zu einem Dreiecke gestalten, die dickste Stelle hiervon hat aber nichts mit der in der ersten Anlage begründeten dicksten Stelle zu thun. SCHWALBE sagt (S. 335): die diekste Stelle der Diaphysenrinde müsse immer an der Stelle des ersten Ossificationskernes liegen, da über diesem das Periost am längsten Knochensubstanz ablagere. Allein einmal kann ja die fortwährende Verdickung der Rinde immer wieder durch Resorption ausgeglichen werden und dann braucht ja nicht fort- während an dieser Stelle apponirt zu werden. Zufällig mögen die beiden Stellen zusammenfallen, in der Architektur des Knochengewebes begründet ist dieser Umstand alsdann aber nicht. In meiner Fig. 4 ist die Knochenrinde sogar an derjenigen Stelle (a), welche dem Be- sinne der Anlagerung entspricht, am dünnsten. Erklärung der Abbildungen. ‚Tafel VIII. Fig. 1-5. Die Architektur des Knochengewebes in sagittalen Längsschnit- ten der hinteren Wand von 5 Kaninchenoberarmknochen, welche eine Länge von 7, 15, 22, 30 und 48 mm. besitzen. Harrnack, System 1 und Camera lucida. Fig. 4a. Diejenige Stelle, von welcher aus die Havers’schen Kanälchen divergiren. Fig. 6. Die Bedeutung der Längslinien des Havers’schen Schemas nach VIRCHOW. Fig. 7. Dieselbe nach meiner Ansicht. XV. Ueber den Aquaeduetus vestibuli des Menschen und des Phyllodaetylus europaeus. Von Prof. Dr. Rüdinger in München. (Hierzu Tafeln IX u. X.) Die entwickelungsgeschichtlichen Untersuchungen BOETTCHER’S)), sowie die vergleichend-anatomischen Hasse’s?) haben von Neuem die Aufmerksamkeit auf den Aquaeductus vestibuli gelenkt. Für das Ge- hörorgan der Thiere und des erwachsenen Menschen blieb es den bei- den obengenannten Forschern und dann Axeı Key, Rerzıus und ZUCKERKANDL?) vorbehalten, die vor mehr als hundert Jahren ge- machte schöne Entdeckung CoTu@no’s*) wieder in das Bewusstsein der Anatomen der Gegenwart gerufen zu haben. Muss man nicht er- staunt sein, zu erfahren, dass jener grosse Sack, eingebettet in die Dura mater der hinteren Schädelgrube, der schon von CoTuGno und MECKEL im vorigen Jahrhundert bei den Thieren und dem Menschen beschrieben wurde, in Vergessenheit gerathen konnte! Denn hatten auch schon die beiden zuletzt genannten Anatomen die Existenz eines Vorhofdivertikels beim Erwachsenen mittelst Quecksilberinjectionen nachgewiesen, und JoH. MÜLLER und HEnLE°’) Venen an demselben nicht auffinden können, daher den ganzen Inhalt der sog. Wasserlei- 1) Ueber Entwickelung und Bau des Gehörlabyrinths. Leipzig 1871. 2) Die Lymphbahnen des inneren Ohres der Wirbelthiere. Leipzig 1873. 3) Ueber die Vorhofswasserleitung des Menschen. Monatsschrift für Ohren- heilkunde 1876. 4) De aquaeductibus auris humanae internae. Viennae 1774. 5) Mürver’s Archiv 1834. Ueber den Aquaeductus vestibuli d. Menschen u. d. Phyllodaetylus europaeus. 215 tung als soliden Strang aufgefasst: so belegte BrescHher!) denselben später doch mit dem Namen eines sog. Nabelstranges, eines Leiters der Gefässe zwischen dem Labyrinth und der Schädelhöhle. Selbst bis in die neueste Zeit wurde der Aquaeduet deshalb als solides Verbindungs- mittel zwischen der harten Hirnhaut und der Beinhaut des Labyrin- thes aufgefasst, weil auch Hyrru?) an Injectionspräparaten regelmässig eine Vene in demselben nachweisen konnte. Von REICHERT wurde die Angabe Hyvrrv's bestätigt. - So oft ich auch die Angaben Coru@no’s und MEcker’s über den Aquaeductus vestibuli gelesen hatte, immer wieder beschlich mich ein Zweifel über die Richtigkeit ihrer Beobachtungen, weil ich das blinde Ende an der Stelle, wo die Dura mater cerebri die knöcherne Wasserlei- tung beim Erwachsenen begrenzt, beobachtet zu haben glaubte, eine Annahme, die für einzelne Fälle thatsächlich begründet zu sein scheint, denn dass der intracranielle Abschnitt des Aquaeductus vestibuli zu- weilen keinen Hohlraum einschliesst, glaube ich mehrmals unzweifel- haft gesehen zu haben. Um jedoch diese Frage endgiltis beantworten zu können, müssten bei jedem einzelnen Object vorerst Injectionen vor- senommen, und dann Durchschnitte von dem im knöchernen Aquaeduct liegenden Gang ausgeführt werden. Als ich an vorräthigen Felsenbeinen, welche ich in Alkohol auf- bewahre, einen Einschnitt in das nächstliegende Object an der bekann- ten Stelle machte, zeigte sich der plattgedrückte Sack, das blasige Ende des Aquaeductus vestibuli, in seiner ganzen Ausdehnung geöff- net. Aber an manchen Präparaten fielen auch jetzt noch die Unter- suchungsresultate bezüglich der Anwesenheit eines Hohlraumes in dem Sack negativ aus. Der Besitz einer Reihe von gelungenen Schnitten durch die Wasserleitung des Vorhofes beim Fötus und Erwachsenen veranlasst mich, hier einige Mittheilungen über die Wasserleitung des Vorhofes beim Menschen zu machen, wobei ich zugleich einige Beob- achtungen anreihen will, welche ich an Querdurchschnitten durch den Kopf und Hals des Phyllodactylus europaeus zu machen in der Lage war. Ich verdanke nämlich Herrn Dr. WIEDERSHEIM in Würzburg drei Exemplare des genannten Thieres, von denen ich zwei zu Quer- durchschnitten und eines zu makroskopischen Präparaten verwendet habe. Für die Bemühungen des Herrn Dr. WIEDERSHEIM, mir das Thier, an welchem er eine so schöne Entdeckung gemacht hat, zu 1) Recherches anatomiques et physiologiques sur Porgane de l’ouie et sur l’audition. Paris 1836. 8 2) Vergleichend anatomische Untersuchungen. Prag 1845. 216 XV. RüÜDINGERr. verschaffen, muss ich bei dieser Gelegenheit den besten Dank aus- sprechen. I. Aquaeduetus vestibuli des Menschen. Die Angaben Corueno’s und Mecker'’s über das Vorhandensein einer blinden, geschlossenen, ziemlich grossen Blase beim Erwachse- nen, welche Mzcker mit Quecksilber, AxeL Key und Rerzıus und in der allerneuesten Zeit auch ZUCKERKANDL mit farbiger Injeetions- masse füllten, kann ich auf Grund mehrerer Darstellungen in allen Beziehungen bestätigen, mit dem Beisatze, dass die intracranielle Aus- dehnung des blindgeschlossenen Sackes grossen individuellen Schwan- kungen unterworfen ist. In der Abbildung (Fig. 1 Taf. IX) habe ich den Sack auf die photographisch gewonnene Abbildung eines Schläfebeines aufgetragen. Hier erkennt man den nach dem Aquaeductus osseus sich fortsetzenden Stiel, welcher sich nach abwärts zu der ziemlich weiten Blase ausdehnt. Die Breite dieses Sackes beträgt 1,5 cm und die Höhe 2 cm, eine Grösse, welche jene der vier Säcke, die von AxEL Key und Rerzıus!) und ebenso die der Tasche, welche von ZUCKERKANDL?) be- schrieben und abgebildet wurden, übertrifft. Zuweilen erstreckt er sich bis zur hinteren Fläche des Venensinus, und überschreitet bei einzelnen Individuen dessen untere hintere Grenze. An seiner nach der Schädelhöhle gerichteten Fläche steht die von AxkL Key, Rerzıus und ZUCKERKANDL schon erwähnte Wand des Sackes mit der Dura mater in innisem Zusammenhange und die mit dem Felsen- bein vereinigte Seite vertritt in gleicher Weise, wie die harte Haut an allen übrigen Stellen des Schädels, die Beinhaut. Die Wände zei- gen sich, in Folge der Verschmelzung mit der Dura mater, ziemlich dick und ihre Innenflächen berühren sich, wie es die Untersuchung der Leiche ergibt, vollständig. Ob das intracranielle Gebiet des Aquae- ductus beim Menschen im Leben mit Flüssigkeit gefüllt ist, und nach der Auffassung WEBER-LiEL's Druckdifferenzen im Vorhofe vermitteln kann, wie dies auch schon im Jahr 1873 von HaAssE?) angenommen wurde, bleibt um so mehr fraglich, als man in der Leiche stets eine innige Berührung der beiden Blätter des Sackes wahrnimmt, und der- selbe bei verschiedenen Individuen in sehr ungleicher Ausdehnung 1) Studien in der Anatomie des Nervensystems ete. Stockholm 1875. 2) Ueber die Wasserleitung des Menschen. Monatsschrift für Ohrenheilkunde. No. 6. 1876. - 3) Die Lymphbahnen des inneren Ohres der Wirbelthiere. Leipzig 1873. Ueber den Aquaeductus vestibuli d. Menschen u. d. Phyllodactylus europaeus. 217 vorhanden ist. Soll der endolymphatische Sack nach der Annahme Hasse’s ein Reservoir von hoher physiologischer Bedeutung für das Gehörorgan darstellen, so dürfte er bei normaler Beschaffenheit dessel- ben niemals vermisst werden. Auffallend ist auch die Thatsache, dass AxeEL Kry und Rerzıus das Labyrinth von dem Sack aus nicht zu injiciren vermochten. Von neunzehn Querdurchschnitten des knöchernen und häutigen Aquaeductus, welche an einem entkalkten Felsenbein ausgeführt und imbibirt wurden, habe ich vier zu den beigegebenen Zeichnungen ver- wendet, und es ergibt sich aus denselben die Form, Weite und son- stige Beschaffenheit des Ganges an seinen verschiedenen Stellen. Be- vor ich auf die Beschreibung dieser Schnitte eingehe, will ich noch einige Angaben über die knöcherne Wasserleitung beim erwachsenen Menschen und beim menschlichen Foetus vorausschicken. a. Der Aquaeductus osseus des Menschen. Was nun zunächst den knöchernen Aquaeductus vestibuli anlangt, so wissen wir, dass derselbe beim Erwachsenen durchschnittlich eine Länge von 6—-8mm. hat, und eine nach oben convexe Krümmung zeigt. In dem Vorhofe beginnt derselbe als Rinne oben und medial- wärts an der Mündung des Canalis communis. Diese Rinne wandelt sich nach rückwärts zu einem kleinen, rundlichen Kanal um, welcher allmählich eine von oben nach unten plattgedrückte Form annimmt, und, wie bekannt, als eine etwa 6mm. breite nach abwärts stehende Spalte an der hinteren Felsenbeinfläche mündet. In den ersten Stadien der Bildung des knöchernen Labyrinthes hat der Aquaeduetus vestibuli eine mehr frontale Richtung, d. h. die bei Erwachsenen an. der hinteren Felsenbeinfläche befindliche Spalte steht lateralwärts an jener Stelle, wo sich der sagittale und fron- tale Bogengang mit einander zu dem Canalis communis vereinigen. In dieser Entwickelungsperiode ist die frühzeitig von Knochen um- wachsene Wasserleitung im Verhältniss zum ganzen Felsenbein ziem- lich weit, und zeigt an ihrer Aussenseite eine trichterförmige auf dem Querschnitt rundliche Beschaffenheit. Ein vorspringendes dünnes Knochenplättehen deckt zuweilen die Mündung, welche in die Schädel- höhle führt. Sehr charakteristisch ist an den noch nicht ausgebildeten Schläfe- beinen eine unmittelbar abwärts an die Apertura cranii des Aquae- ductus vestibuli angrenzende Knochenmulde, resp. eine Grube, welche gegen das Ende des fötalen Lebens sich etwas verkleinert, aber am Schläfebein des Neugeborenen meistens noch scharf begrenzt vor- 218 XV. Rüpmerkr. handen ist. Sie wandelt sich später zu der spaltförmigen Apertura externa des Aquaeduetus vestibuli um. An mehreren Objekten finde ich auch unterhalb der Apertur eine kleine Knochenplatte, ziemlich stark vor- springend. Bei allen individuellen Verschiedenheiten, welche an der Aussenseite der Pars petrosa unterhalb der Wasserleitung beim Neu- geborenen vorhanden sind, erscheint die Knochenmulde als das Wesentlichste, denn ihr entspricht das blinde Ende des häutigen Aquaeductus vestibuli, wenn dasselbe auch nicht unmittelbar dem Knochen aufliegt. b. Der Aquaeductus vestibuli beim menschlichen Foetus. BÖöTTcHer!) hat an Embryonen vom Schaf und der Katze den Aquaeductus s. Recessus vestibuli grösstentheils an Horizontalschnitten studirt, und neben der weit nach rückwärts gehenden .Ausbuchtung desselben die beiden Kanälchen, welche ihn mit den beiden Vorhof- säcken in Communication setzen, entdeckt. Nach BÖTTCHER gehören die beiden Communicationskanälchen, ihrer Entstehung nach, nicht dem Recessus labyrinthi an, sondern entwickeln sich der Anlage nach aus den Gebilden des Vorhofes, und es sei, hebt dieser Autor hervor, nicht gerechtfertigt, zu sagen: „Der Recessus spalte sich in späteren Ent- wickelungsstadien in zwei Schenkel, da diese nicht aus ihm hervor- sehen, sondern seiner Mündung angesetzt worden sind.“ — Diesen Angaben Börrcnuer’s stimmt Hassz in einer die einzelnen Beobach- tungen zusammenfassenden Vergleichung und auf Grund von Unter- suchungen an Schweins- und Rindsembryonen so wie an neugeborenen Menschen im Allgemeinen bei, glaubt jedoch Berechtigung zu der Annahme zu haben, dass der Blindsack des Aquaeductus vestibuli mittelst eines trichterförmigen feinen Fortsatzes die harte Hirnhaut durchbreche und in das Cavum epicerebrale, den perilymphatischen Raum, münde. Dass der Recessus labyrinthi nicht constant einer Rückbildung unterliegt, zeigt, wie oben schon erwähnt wurde, dessen Vorhandensein beim erwachsenen Menschen sowohl, als auch bei den Säugern. Was zunächst die Prüfung horizontaler Durchschnitte vom mensch- lichen Fötus aus dem Ende des dritten Monats anlangt, so finde ich den Recessus labyrinthi bis zur Schädelhöhle übersichtlich erhalten. (Sie, 7 Dat. IX.) Wie diese Abbildung zeigt, ist der Aquaeductus vestibuli mit seinem hinteren scharfkantigen Ende innerhalb der Schädelhöhle zwi- 1) Ueber Entwickelung und Bau des Gehörlabyrinthes ete. Leipzig 1871. Ueber den Aquaeduetus vestibuli d. Menschen u.d. Phyllodaetylus europaeus. 219 schen dem Sinus sigmoideus und der Dura mater gelagert, indem er noch seine selbständige Wand besitzt, die weder mit dem Sinus noch mit der Dura mater innig verwachsen ist. Er schmiegt sich somit der hinteren Felsenbeinfläche an, und zeigt eine plattgedrückte Form mit offenstehender Spalte auf dem Querschnitt als Hohlraum desselben. Die Länge des intracraniellen Abschnittes von der Apertura eranii des Aquaeductus bis zum blinden Ende gemessen, beträgt 4,2 mm. und die Weite in der Mitte 0,6 mm. Die laterale hinterste Grenze des Reces- sus vestibuli entspricht der Mitte des obenerwähnten Sinus venosus im Suleus sigmoideus. Indem er sich schief nach vorn und innen wendet, erreicht er den Gang in der Pars petrosa, den er nicht. voll- ständig ausfüllt, indem er von einer ziemlich mächtigen Bindesubstanz umhüllt ist, welche sich bis zur Dura mater erstreckt und diese von dem Recessus vestibuli trennt. Während der enge Gang gegen das Vestibulum labyrinthi hin- zieht, wird er immer enger, und ich kann, aber nur theilweise, das köhrehen zum Säckchen verfolgen. Dasselbe geht in das grosse late- ralwärts im Vestibulum liegende Säckchen über, indem es sich gegen dieses trichterförmig erweitert. Die Länge des Aquaeductus vor dem Saceulus hemiellipticus bis zu jener Stelle, wo derselbe sich zu der intracraniellen Blase erweitert, beträgt 1,5 mm. Man erlangt an dem Object den Eindruck, als sei ein zweites Kanälchen, zu dem runden Säckchen gelangend, vorhanden; allein mit Sicherheit will ich dies nicht behaupten, denn diese Stelle erscheint etwas unklar. ZUCKERKANDL konnte beim Erwachsenen nur einmal die Verbindung des Aquaeduetus mit dem Sacculus rotundus und hemiellipticus mittelst Injection nachweisen. Es muss die Beantwor- tung der Frage über die Art und Weise des Zusammenhangs zwischen dem Aquaeductus und Saceulus vestibuli noch eingehenderen Studien beim menschlichen Fötus und bei erwachsenen Individuen vorbehalten bleiben; denn, so lange der thatsächliche Beweis über den Zusammen- hang des Aquaeductus mit den beiden Säckchen nicht geliefert ist, kann die Annahme eines solchen auf Grund der vergleichend-morpho- iogischen Studien nur als Hypothese gelten. e. Ergebnisse der Querdurchschnitte des Aquaeductus vestibuli membranaceus beim erwachsenen Menschen. Wenn ich jetzt noch die Beschreibung der oben erwähnten Quer- durchschnitte durch einen entkalkten Aquaeductus vestibuli anreihe, so wird es auch klar, dass derselbe weder einen einfachen Fortsatz der 220 XV. RüDInGER. Dura mater, noch viele venöse Blutbahnen in sich einschliesst. Ist auch die Zahl der Gefässe, welche in ihm Aufnahme finden, eine ge- ringe, so werden dieselben doch niemals ganz vermisst. Liess man auch die Wasserleitung bis in die neueste Zeit hinein nur von einem Bindegewebsfortsatz, welcher Venenstämmchen einschliesse, ausgekleidet sein, so mussten die in neuerer Zeit mit grossem Fleisse durchgeführ- ten vergleichend-anatomischen und entwickelungsgeschichtlichen Unter- suchungen über dieselbe einer anderen Anschauung über Bau und morphologische Stellung des Aquaeduct Geltung verschaffen. Schon CoTuGno hat die blasenartige Erweiterung des Aquaeduc- tus vestibuli nicht nur beim Menschen, sondern auch bei dem Affen, Pferd, Hund, Katze, Rind, Schaf und Hasen untersucht und die Re- sultate in der oben erwähnten Abhandlung angeführt. Auch BÖTTCHER hat bei der erwachsenen Katze sowohl den intra- craniellen Abschnitt des Recessus labyrinthi, als auch den in der knöchernen Wasserleitung studirt und beschrieben. Was den letzteren Abschnitt betrifft, so soll derselbe nach dem genannten Autor allseitig mit der Wand in innigem Zusammenhang stehen und an keiner Stelle seiner Aussenseite einen Hohlraum frei lassen, welcher etwa mit dem perilymphatischen Raum communicire. Was die letztere Angabe be- trifft, so stimmen hierüber weder die Resultate HassE’s noch meine eigenen überein. Aus unseren Figuren 3—6 auf Taf. IX lässt sich zunächst er- kennen, dass das dünne häutige Kanälchen nicht an allen Stellen in gleicher Weise an der Wand anliegt. Die Beschaffenheit des Präpa- rates lässt durchaus nicht vermuthen, dass seine Eigenthümlichkeiten die Folge der Behandlung desselben, etwaiger mechanischer Einwir- kungen, seien. Die Bildungen sind so eigenartig, dass man sie als normale ansehen muss. Zunächst findet sich an der Innenfläche des sehr unebenen knö- chernen Kanals eine ziemlich mächtige Gewebslage, welche bedeutend dieker ist, als die Wand der häutigen Wasserleitung selbst. Sie Vver- tritt die Stelle des Periostes, indem sie von ungleich dicker Beschaf- fenheit sich in die Vertiefungen der Knochensubstanz einsenkt, und mit der Bindesubstanz der Knochenkanälchen in directem Zusammen- hange steht. Von dem Aquaeductus vestibuli osseus gehen nämlich zahlreiche HAvERS’sche Kanälchen aus, welche sich nach verschiedenen Richtungen der Pars petrosa fortsetzen. Diese Periostlage ebnet den knöchernen Aquaeductus vestibuli, so dass die die häutige Wasserlei- tung aufnehmende Fläche eine glatte Beschaffenheit erlangt. Wie die Figuren lehren, erscheint der knöcherne Kanal auf dem Ueber den Aquaeductus vestibuli d. Menschen u. d. Phyllodaetylus europaeus. 221 Querschnitt etwas oval geformt, stellenweise sogar etwas ausgebuchtet, so dass entweder Raum zwischen dem Periost und dem häutigen Aquaeduct übrig bleibt, oder dieser auch hie und da etwas erweitert sein kann. Das häutige Kanälchen ist sehr dünnwandig, und man kann an demselben zwei Lagen unterscheiden. Zunächst zeigt sich auf dem Durchschnitt eine in Folge der Imbibition stark roth gefärbte dichte Schichte, welche in vielen Beziehungen an die Tunica propria des häutigen Labyrinthes erinnert. Sie zeigt jedoch wenige Kerne und ihre Innenfläche trägt ein Plattenepithel, dessen Kerne an Flächenan- sichten leicht sichtbar werden. Beim Fötus aus dem 3. Monat besteht dieses Epithel aus niedrigen dicht aneinander gereihten Oylinderchen. AxEL Key und Rerzıus haben das Epithel, welches den Ductus en- dolymphaticus auskleidet, beschrieben und nach Imbibitionspräparaten auf Taf. XXXVI. Fig. 6—9 ihres schönen Werkes abgebildet. Das- selbe stellt beim Erwachsenen ein polygonales Plattenepithel dar, wel- ches auf dem feinfaserigen Bindegewebe aufsitzt. Jene von BÖTTCHER bei der Katze beobachteten Gefässträubchen mit Epithel überkleidet, kann ich am menschlichen Aquaeductus nicht wahrnehmen, obschon man zuweilen verschieden geformten Vorsprüngen an der Innenfläche des Sackes begegnet. An dem Vorhofsabschnitt wird das häutige Ka- nälchen allmählich weiter und es treten an demselben zwei Abthei- lungen auf, welche nach ihrer vollständigen Trennung die in Fig. 6 (Taf. IX) wiedergegebene Form darbieten. Die Grössendifferenz der beiden Kanälchen ist sehr bedeutend, das kleinere beträgt annähernd den vierten Theil des grossen. d. Die perilymphatischen Wege im Aquaeductus vestibuli. Wie verhält es sich nun mit den perilymphatischen Wegen in der Wasserleitung des Vorhofes? Schliesst diese beim Menschen ne- ben dem Ductus endolymphaticus membranaceus noch eine begrenzte selbständige Bahn ein, welche die Perilymphe aus dem Gehörorgane abführt und kann eine Homologie derselben mit jenem bei den übri- gen Wirbelthieren nachgewiesenen 'Ductus perilymphaticus begründet werden? Die Resultate der Untersuchungen SCHwALBE’s über die Lymph- wege des Auges veranlassten eine Anzahl von Injectionen an dem Gehörorgane der Thiere und des Menschen, welche den Zweck hatten. die Lymphwege des Labyrinthes in ihren Beziehungen zur Schädelhöhle zu prüfen. Während bei den Einspritzungen, welche WEBER-LIEL!) aus- 1) Monatsschrift für Ohrenheilkunde. 1869. DD XV. RÜDINGER. führte, sich nur die Schnecke und ihre Wasserleitung von dem meatus auditorius internus färbten, gelang: es MicHeL'), Axt Key und Rerzıus, auch das Labyrinth zu injiciren, und Quincke sah bei Einspritzungen in den Subarachnoidealraum unter fünf Fällen nur einmal die Scala tym- pani der Schnecke gefüllt. Bei der Mehrzahl der Wirbelthierklassen ist es ferner Hasse gelungen, die perilymphatischen Wege des Gehör- organs durch anatomische Präparation nachzuweisen. Mit dem Ductus endolymphaticus gelangt nach Hassz auch ein Duetus perilymphaticus des Vorhofes nach der Schädelhöhle und tritt theils mit den epicere- bralen Lymphwegen, theils mit den Bahnen, welche an den Gehirn- nerven die Schädelhöhle verlassen, in Verbindung. Ist eine mit Endothel ausgekleidete Röhre, neben dem Ductus endolymphaticus der Wasserleitung des Vorhofes vorhanden, so muss dieselbe in ähnlicher Weise an Querdurchschnitten zur Anschauung gebracht werden können, wie eine Fortsetzung des Arachnoidealsackes am siebenten Gehirnnerven im Canalis Fallopiae, welche ich schon im Jahre 18732) beschrieben habe und in neuester Zeit wiederholt sehr klar beobachten konnte. Auch die Injectionen, welche schon von Ax£L Key und RETZIUS vorgenommen wurden, haben keine ganz be- stimmten Resultate über den Ductus perilymphaticus geliefert, und die Verfasser sprechen sich deshalb mit Vorbehalt dahin aus, dass ein möglicher directer Zusammenhang zwischen dem Perilymphraum des Gehörorganes und den Lymphwegen der Schädelhöhle bestehe. Was zunächst die Auskleidung des Vorhofes anlangt, so wurde die histologische Beschaffenheit derselben schon früher eingehend untersucht und beschrieben. Die verhältnissmässig zahlreichen Kerne in der Bein- haut sowohl, als auch an der Aussenseite des häutigen Labyrinthes und der die Gefässe fixirenden Bindegewebsfäden, welche letztere als Ueber- reste des ursprünglichen Gallertgewebes zu betrachten sind, waren be- kanntlich schon der Gegenstand vielfacher Discussion. HENLE und ich konnten die Kerne nicht als dem Endothel angehörig betrachten, son- dern glaubten annehmen zu müssen, dass die Kerne nicht auf der Oberfläche, sondern in dem Periost und der Faserlage des Labyrinthes eingebettet sind. Axe£L Kry und krrzıus haben dagegen in der Fi- gur 9 auf Taf. XXXIV ihres Werkes den kernhaltigen Beleg als eine zusammenhängende Endothelschichte aufgefasst; auf der Fig. 8 jedoch ein Endothelhäutchen dargestellt, an welchem die Zellengrenzen nicht l) Arbeiten aus der physiologischen Anstalt zu Leipzig. 1873. 2) Ueber den Canalis facialis in seiner Beziehung zum siebenten Gehirnnerv. Monatsschrift für Ohrenheilkunde. 1873. No. 6. | Ueber den Aquaeductus vestibuli d. Menschen u. d. Phyllodactylus europaeus. 293 in der Weise nachgewiesen werden konnten, wie dies an dem Subarach- noidealgewebe mittelst der Silberfärbung meistens gelingt. Ist man auf Grund der früheren und neueren Beobachtungen berechtigt, anzu- nehmen, dass das auf dem Periost des Labyrinthes und auf den häu- tigen Bogengängen mit ihren Fixirungsfäden befindliche Häntchen mit Endothel besetzt sei, ein Gebilde, welches sich als Ductus peri- Iymphaticus durch die Vorhofswasserleitung nach der Schädelhöhle fortsetzt? Können die Kerne in den erwähnten Gewebslagen nur als Ueberreste der Häutchenzellen, deren Protoplasma untergegangen, ge- deutet werden? Wenn man die Ergebnisse der Untersuchungen an Erwachsenen, sowie die Histogenese des Periostes und der äusseren Faserlage des häutigen Labyrinthes in Betracht zieht, so scheint die Aufstellung eines Endothels an denselben in dem Sinne, wie es an dem Subarachnoideal- oder anderen Geweben nachweisbar ist, nicht be- gründet zu sein. Auch zeigen sich in der That die Begrenzungen der Lücken, welche auf Querdurchschnitten beobachtet werden, verschieden von jener Membran, welche den Nerv. facialis durch den Fallopi’schen Kanal begleitet. Während hier eine scharf begrenzte Haut ganz klar auftritt, erkennt man in dem durchschnittenen Aquaeductus vestibuli in der Umgebung des Ductus endolymphaticus Lücken und Spalten von verschiedener Grösse, die man als Lymphräume, als durchschnittenen Ductüus perilymphaticus deuten könnte, allein es lässt sich beim Men- schen weder ein Endothel an der Innenfläche derselben, noch jene scharfe membranartige Begrenzung beobachten. Wenn auch der Nachweis unzweifelhaft geliefert wird, dass diese perilymphatischen Räume die Lymphe aus dem Vestibulum in die Schädelhöhle führen, so muss man doch an der Thatsache festhalten, dass der s. g. Ductus perilymphaticus des Menschen ebensowenig eine mit Endothel ausgekleidete Röhre darstellt, als in dem Vorhofe und den Bogengängen ein durch En- dothel abgegrenzter Lymphraum besteht. 11. Der Aquaeductus vestibuli von Phyllodaetylus europaeus. Nachdem wir durch die descriptiven und vergleichend-anatomi- schen Untersuchungen von BRESCHET!), MECKEL?), RATHKE®), Win- DISCHMANN!), und CnAson interessante Aufschlüsse über das innere 1) S. oben. 2) Dissertatio anat. phys. de labyrinthi auris contentis. 1777. 3) Entwickelungsgeschichte der Schildkröten. Zeitschrift f. Anatomie. Bd. II. 15 224 XV RÜDINGER. Ohr erlangt hatten, wies HAss#?) durch seine ausgedehnten Untersuchun- sen nach, dass bei den meisten Wirbelthieren neben dem häntigen Kanal, welcher als Duetus endolymphatieus von den Vorhofssäckchen ausgeht, nach der Schädelhöhle gelangt und mit Ausnahme der Pla- siostomen entweder in derselben als blinder Sack endet, oder mit den epicerebralen Lymphwegen communicirt, ein Ductus perilymphaticus vorhanden ist, welcher die Lymphe aus dem inneren Ohre abzuführen bestimmt ist. Auch dieser Gang musste ebenso wie der Duetus endo- iymphatiecus die Aufmerksamkeit der Anatomen und Physiologen auf sich lenken. Hasse hat die Beobachtungen BOETTCHER’s, welche dieser Autor über die Lage und Ausdehnung des Saceus endo- Iymphaticus gemacht hat, an Schweinsembryonen und selbst am neu- geborenen Menschen bestätigt, nimmt jedoch an, dass der von der Dura mater gedeckte Blindsack des Aquaeductus vestibuli bei Rinds- embryonen mit dem Cavum epicerebrale in Communication stehe. Die perilymphatische Bahn des Vorhofes geht nach HaAsse bei den meisten Wirbelthieren von dem Vestibulum aus und gelangt mittelst eines engen Kanales entweder in den epicerebralen Raum oder zu einem im Foramen jugulare gelegenen Lymphsack und dieser schliess- lich in Lymphgefässe. ‘Nur bei einer Fischerdnung, den Plagiostomen, gelangt der Ductus endolymphaticus durch die Knorpelkapsel des Schädels und endet als blindgeschlossener Sack, während die peri- iymphatische Röhre bis auf die Oberfläche des Schädels reicht und sich hier öffnet. Diesen Entdeckungen, welche ebenfalls zuerst durch Hasse bekannt wurden, reihte WIEDERSHEIM®) einen weiteren interes- santen Fund an, wonach bei einer Art Haftzeher, bei dem Phyllodae- tylus europaeus der Aquaeductus vestibuli die Schädelhöhle ver- lässt und bis zur Halsregion herabreicht. An dem genannten Thiere, welches auf Sardinien und dem Felsen-Eilande Tinetto lebt, hat WIEDERSHEIM den hochsradig entfalteten Aquaeductus vestibuli d. h. den Duetus endolymphaticus genau untersucht und eingehend be- schrieben. Wie früher schon erwähnt, verdanke ich der Güte des Herrn Dr. WIEDERSHEIM drei Exemplare des genannten Thieres, und ich will die Ergebnisse von Querdurchschnitten des ganzen Kopfes und Halses, an denen die Topographie des Gebildes klar übersehen werden kann, hier kurz mittheilen. Dieselben mögen als Bestätigung der Angaben 1) De penitiori auris in amphibiis structura. 2) Die Lymphbahnen des inneren Ohres der Wirbelthiere. ) Zur Anatomie und Physiologie des Phyllodaetylus europaeus ete. Mor- phologisches Jahrbuch. Bd. 1. Ueber den Aquaeductus vestibuli d. Menschen u. d. Phyllodaetylus europaeus. 225 von WIEDERSHEIM, und in einigen Beziehungen als kleine Erweite- rungen derselben betrachtet werden. A. Topographisch-anatomisches über den Aquaeductus vestibuli von Phyllodactylus europaeus. Indem ich die Angaben von WIEDERSHEIM über den Krystall- sack, welche, wie mir scheint, sich grösstentheils auf Flächenansichten beziehen, bei unsern Lesern als bekannt voraussetze, will ich so- fort auf die Topographie desselben, wie sie die Querdurchschnitte er- geben, etwas näher eingehen. Zu diesem Behufe dürfte man sich am zweckmässigsten zunächst den vier Abbildungen (Fie. 8, Taf. X), welche Schnitten des Kopfes und Halses entnommen sind, zuwenden. Ich habe die vier charakteristischen Stellen für die Beschreibung so ausgewählt, dass sich dann die Zwischenglieder leicht in der Vor- stellung ergänzen lassen. Wie WIEDERSHEIM schon angegeben hat, grenzt das hinterste Ende des Sackes an den lateralen Theil des Schul- tergürtels, von dem Hinterhaupt bis gegen die Kehle ventralwärts reichend. a. Die extramuskulären Abschnitte des Krystallsackes. Ein Querschnitt durch den Hals des Thieres lässt die Lage des Sackes, wie er in Figur 8 Tafel X dargestellt ist in seiner ganzen Ausdehnung übersehen. Derselbe erscheint plattgedrückt und etwas halbmondförmig, der Krümmung des Halses entsprechend, gebogen. Nach aussen ein wenig convex, nach innen etwas ausgehöhlt, wird er gegen die Haut hin vom Unterhautfettgewebe gedeckt, wäh- rend er innen auf einem dünnen Muskel aufliest. Nach unten (ven- tralwärts) und nach oben (dorsalwärts) läuft der Sack scharfkantig oder stellenweise abgerundet aus. An einzelnen Abschnitten zeigen sich die bekannten unebenen Ausbuchtungen desselben. An diesem extramuskulären Theil ist der Sack nur wenig ge- faltet und von dünnwandiger Beschaffenheit. Er ist durch die in ihm befindlichen Krystalle ziemlich prall gespannt, eine Eigenschaft, welche während der Durchschneidung in Foige der Entleerung des Inhaltes verloren geht. Trotzdem der Halstheil des Sackes durch ein Fettlager von der Haut getrennt ist, können ihm wahrscheinlich doch Eindrücke von ihr aus übertragen werden. b. Die intramuskulären Abschnitte des Krystallsackes lassen sich an einem Schnitt etwas weiter vorn gegen die Kopfseite des Thieres darstellen. Hier sind, wie in Fig. 9 Taf. X sichtbar, die beiden Anfangstheile der beiden Kanäle, oder vielmehr die verengerten 1 226 XV: RÜDINGER. Fortsetzungen des Sackes so zu einander gelagert, dass der eine late- ral der andere medialwärts sich befindet. Sie berühren sich gegen- seitig und erscheinen viel stärker gefaltet als der extramuskuläre Theil, eine Anordnung, welche wahrscheinlich die Folge der Ein- wirkung des Alkohols ist. Ventralwärts berühren sie die Carotis und werden an den noch übrigen drei Seiten von Muskellagen ein- geschlossen. Aussen sind es drei, einwärts mehrere kleine an die Wirbelsäule angrenzende Muskeln und dorsalwärts reiht sich die zu- sammenhängende Muskelschichte des Rückens an. Sehr lockere Binde- substanz vereinigt die Gänge mit den Muskeln. Es müssen demnach diese erwähnten Abschnitte der Gänge, welche ihrer Form und Structur nach nur Theile der verlängerten Säcke dar- stellen, von den zahlreich sie umgebenden Muskeln hochgradig beein- fiusst werden können. Bei jeder Bewegung der Wirbelsäule und des Kopfes muss in Folge der Muskelcontraction eine Compression auf die intramuskulären Abschnitte der Krystallbeutel stattfinden. An keinem Thier steht der Ductus endolymphaticus zur Muskulatur des Halses so in Beziehung, wie bei Phyllodactylus und man darf wohl annehmen, dass die Beeinflussung desselben von so vielen und relativ starken Muskel- gruppen von besonderer physiologischer Bedeutung für den Krystall- sack und somit für das Hören des Thieres ist. e. Der weitere Verlauf der intramuskulären Theile ändert sich nur insofern, als sie dem lateralen Gebiet der Wirbel- säule näher rücken, diese stellenweise berühren, aber auch hier noch grösstentheils von Muskeln umringt sind. Die Carotis und die grösse- ren Rückenmarksnerven ziehen weiter vorn ventralwärts an den Gän- gen des Krystallsackes vorbei. d. Der intracranielle Abschnitt des Ductus vestibuli wurde von WIEDERSHEIM ebenfalls beschrieben. Ich will nur in Kürze die Topographie desselben, wie sie an zwei Schnitten zu erkennen ist, besprechen. Die Form der Krystallsäcke im Schädel zeigt sich stellenweise etwas weiter als die am Halse emporsteigenden Abschnitte. Sie sind nur wenig gefaltet, liegen aber der Schädelkapsel und der Dura mater dicht an. Die Vereinigung mit der Dura mater mittelst lockerer Binde- substanz scheint mir eine innigere zu sein, als jene mit dem Scheitel- bein, denn an einigen Schnitten trennten sich die Wände leicht vom Knochen, viel weniger leicht von der harten Hirnhaut los. Jene er- füllen nach ihrem Eintritt in die Schädelhöhle den ganzen unebenen Raum, welchen die Gehörkapsel an der Schädelhöhle bildet. Ueber den Aquaeductus vestibuli d. Menschen u. d. Phyllodactylus europaeus. 227 Der Sack erzeugt an seiner Vereinigungsstelle mit der Dura mater eine einfache Krümmung, welche der Convexität des Gehirns entspricht, und bei den gegenseitigen Beziehungen des Gehirns und des Aquaeductus vestibuli kann es keinem Zweifel unterliegen, dass diese Beiden aufeinander einwirken können. Druckdifferenzen im Aquaeductus vestibuli, welcher am Halse in so grosser Ausdehnung von willkürlichen Muskeln umgeben ist, müssen sich am Gehirn, und Druckdifferenzen innerhalb der Schädelhöhle am Aquaeduet nothwendig geltend machen. Bevor die beiden Säcke mit runden feinen Kanälchen in die Ge- hörorgane übergehen, verhalten sie sich so zu einander, dass sie sich, nach rückwärts eine starke Ausbuchtung erzeugend, in der Mittellinie berühren, jedoch, wie schon WIEDERSHEIM angegeben hat, ohne mit einander in Communication zu treten. (S. Figg. 10 u. 11 Taf. X.) Diese beiden Gebilde stehen, was ihre Grösse und Topographie betrifft, in der Wirbelthierreihe isolirt, denn sie zeigen keine Homo- logie mit den Lymphwegen, welche von Hasse bei den Plagiostomen beschrieben sind und die Perilymphe auf die Oberfläche des Schädels führen. Der von WIEDERSHEIM entdeckte Krystallsack, welcher im Aquae- duct mit dem Gehörorgan zusammenhängt, und die Grenze des Kopfes weit überschreitet, kann nur dem Ductus und Saccus endolymphaticus homolog sein, während die perilymphatischen Bahnen, wenigstens beim Menschen, nur topographische Beziehungen zu dem Aquaeduct haben. WIEDERSHEIM weist auch schon auf diese Auffassung hin, denn er sagt wörtlich: „Eine Communication des Krystallsackes mit dem Cavum epicerebrale findet nirgends statt, und wir sehen somit, dass die Vergleichungspunkte (zwischen dem beschriebenen Krystallsacke und der endolymphatischen Bahn bei den Plagiostomen) nur auf sehr schwacher Basis ruhen, und dass uns aus der Thierreihe keine weitere Thatsache vorliegt, welche für die Projection irgend eines und vollends so hochwichtigen Theiles des Gehörorganes in die Nackengegend bis zum Schultergürtel sprechen würde.“ B. Einige histologische Bemerkungen über den Krystallsack. Auch bezüglich meiner Ergebnisse über den histologischen Bau des Aquaeductus vestibuli bei Phyllodaetylus europaeus an den Spiritus- präparaten will ich noch einige Angaben beifügen. 228 XV. Rüpinger. Bekanntlich eignen sich feine Querdurchschnitte zur Untersuchung einer dünnen membranösen Wand ganz vorzüglich. An ihnen kann die Dicke derselben leicht bestimmt werden, und ganz besonders gut die Abgrenzung der verschiedenen Gewebsschichten. Die Anwesenheit einer dünnen Bindegewebsschichte, durchsetzt mit elastischen Fasern, ist an Querdurchschnitten und Flächenansichten leicht zu constatiren und an letzteren auch das Vorhandensein von reichlichen Capillaren und Nervenbündeln. Was jedoch das von WIEDERSHEIM beschriebene und abgebildete Plattenepithel anlangt, so zeigen meine Durchschnitte (s. die beiden Figuren 12 u. 13 Taf. X), dass der ganze Sack von einem einschich- tigen Cylinderepithel ausgekleidet ist. Ziemlich grosse Zellen stehen sowohl im Hals als auch am Schädeltheil nicht sehr dicht nebeneinander. Ihre Basalenden sind durch eine Kittsubstanz ver- einigt, und diese macht den Eindruck einer sogenannten Basalmembran. Wenn man nur die Flächenansichten betrachtet, so machen auch diese Zellen den Eindruck eines Plattenepithels, allein ich bewahre mehrere feine Schnitte auf, die auch nicht den geringsten Zweifel über die Anwesenheit eines Cylinderepithels im Inneren des Krystallsackes auf- kommen lassen. Auch WIEDERSHEIM hat schon erwähnt, dass er in einem einzigen Falle Cylinderepithelzellen mit zartem Wimperbesatz nach Auspinselung des Sackes zu Gesicht bekam, er könne aber nicht angeben, woher dieselben stammten. An Querschnitten ist es, wie schon gesagt, nicht schwer sich zu überzeugen, dass der Sack an allen Stellen ein mit einem Wimperansatz versehenes Cylinderepithel trägt. Dass die kreideweisse Beschaffenheit der Säcke durch die in den- selben befindlichen Krystalle entsteht, hat WIEDERSHEIM schon ange- geben. Interessant ist die verschiedene Grösse derselben, und ihre auf beiden Seiten zugespitzte Beschaffenheit erinnert an die Otolithen in den Säckchen des Vorhofes anderer Thiere. Ueber den Aquaeductus vestibuli d. Menschen u. d. Phyllodactylus europaeus. 229 Erklärung der Abbildungen. Tafel IX. Fig. 1. Rechtes Schläfebein theilweise frontal durchschnitten mit einge- zeichnetem Saccus endolymphatieus. Meatus auditorius internus. Canalis petro-mastoideus. Apertura externa aquaeductus vestibuli. Der sich in der Schädelhöhle erweiternde Theil des Aquaeductus. Fundus des Saccus endolymphatieus. Fig. 2. Sagittalschnitt der linken Pars petrosa mit eingezeichnetem Ductus endolymphatieus. 1. Vestibulum. 2. Fossa jugularis. 3. Der im Aquaeduct liegende Gang. 4. Saccus endolymphatiecus. d. Dessen Fundus. Fig. 3—9. Querschnitte des Aquaeductus vestibuli an verschiedenen Stellen. m LO a 5) Knochensubstanz. Periostauskleidung des Aquaeductus vestibuli, welche sich in die unebene Knochenfläche einsenkt. Durchschnitt des Dustus endolymphaticus. Grössere perilymphatische Räume. Kleinere perilymphatische Räume. Fig. 6. Querschnitt des Aquaeductus vestibuli in der Nähe des Vorhofes. m = ws In ou Knochensubstanz. Beinhaut der Wasserleitung. Duetus endolymphaticus. Grosser perilymphatischer Raum. Kleiner perilymphatischer Raum. Grösseres Röhrchen. Kleineres Röhrchen. Fig. 7. Horizontalschnitt des linken Schläfebeines eines etwa drei Monate alten menschlichen Foetus. SDR eng Dura mater cerebri. Durchschnittener Sinus. Stark entwickelte Bindesubstanz der Dura mater. Vorhof des Labyrinthes. Vorhofssäckchen. Hinterer frontaler Bogengang. Ductus endolymphaticus im Aquaeduct. Saceus endolymphatieus. Scharfkantiges Ende des Sackes._ 0 XV. Rüpınger. Ueber d. Aquaeduetus vestibuli d. Menschen u. d Phyllodaet. Tafel X. F mie &. S. Horizontalschnitt durch den Hals von Phyllodaetylus europaeus. Durehschnittener Wirbel. Rückenmark. Speiseröhre. Luftröhre. Carotis mit Blut erfüllt. Muskulatur vorn, seit- und rückwärts an der Wirbelsäule. Aeussere Haut. Unterhautfettgewebe. Dünnes Muskelstratum unter dem Fettgewebe. Krystallsack entleert. ig. 9. Zahlen wie in Fig. 8. Die Zahl 10 befindet sich in den beiden verengerten Fortsetzungen des Sackes. Fi Soap RO D Hm >) Fig. 10. Durchschnitt durch den hinteren Kopftheil und die Gehörkapsel. a. Zeigt die Durchschnitte der leeren Krystallsäcke innerhalb der Schädelhöhle zwischen der harten Haut und dem Schädeldach gelagert. Fig. 11. Durchschnitt des Kopfes etwas weiter vorn. a. Die beiden leeren Krystallsäcke zwischen den Parietalia und den Gehörkapseln. Sie liegen auch hier zwischen dem Schädel und der Dura mater. Fig. 12 u. 13. Dnrehschnitt der Wand des Aquaeductus mit dem Epithel. a. Epithel in Verbindung mit der Wand aus dem hinteren resp. Hals- theil des Krystallsackes. b. Epithel in Verbindung mit der Wand aus dem Schädeltheil des Kry- stallsackes. XVl. Zur Anatomie des ligamentum teres femoris. Nachtrag zu Abhandlung VII dieses Bandes. Von Hermann Welcker in Halle. I. Ligamentum teres sessile im Hüftgelenke des Seehundes. Als ein Thier, bei welchem das lig. teres „sehr seitlich“ ein- gepflanzt sein möchte, hatte ich auch den Seehund genannt und hierbei an die Möglichkeit eines derartigen Zusammenhanges mit der Kapsel gedacht, wie ich inzwischen beim Tapir ihn nachgewiesen habe (diese Zeitschr. I, 73 und II, 102). Die Angaben die ich bei LucAr!) fand, der eine grössere Zahl von Seehunden zergliederte, liessen es allerdings zweifelhaft erscheinen, dass der Seehund jenen eigenthümlichen, bis dahin überhaupt für kein Geschöpf berichteten Bau des lig. teres besitze; dass aber eine rand- ständige Fovea diesen Bau an sich nicht nachweise, darüber hatte der Schenkelkopf des Pferdes mich belehrt. Um die Frage zu ent- scheiden, bezog ich eine junge sowie eine erwachsene Phoca vitulina aus Hamburg. Bei beiden Thieren fand ich das genau nach dem Typus A der Figur 1 (S. 232) gebildete lig. teres in Form einer von der Kapsel- wandung sich abhebenden, vom Pfannenrande zum Rande des Schenkel- kopfes tretenden Falte von mässiger Höhe. Bei dem jüngeren, von der Schnauze bis zur Schwanzspitze 82 cm. messenden Thiere erhebt sich das lig. teres an seinem Beckenursprunge nur um etwa 2 mm. von der Ebene der Kapselwandung, während es an seinem femoralen 1) Die Robbe und die Otter in ihrem Knochen- und Muskelskelet. Abh. der Senkenberg. naturf. Gesellsch. 1872. S. 359, 362 und 374. 232 XVI. HiRrMANnN WELCKER. Ende mehr Relief gewinnt, etwa 4 mm. vorsteht und dort einen ge- rundeten, etwas verdickten freien Rand besitzt. Die Länge dieses lig. teres beträgt in gespanntem Zustande 7” mm. Bei dem erwach- senen Thiere bildete das lig. teres eine von der Innenfläche des Kap- selbandes aus 4—7 mm. weit ins Innere der Gelenkhöhle vorspringende, 2—d mm. breite Duplicatur. Kiel. Behufs der Untersuchung wurde das B Kapselband zunächst äusserlich rein prä- parirt, sodann der laterale Theil desselben abgetragen, worauf sich an dem zwischen Schenkelbein und Hüftbein ausgespannten ventralen Theile der Kapsel das lig. teres — inseinem Habitusan ein frenulum praeputii auffällig erinnernd — frei Schematischer Querschnitt der Hüftkapsel A bei Tapir!) und bei Phoca; ( B bei dem Menschen und der Mehr- Von dem He teres des Tapir zahl der Säugethiere. ä ö = . fibröser, s synovialer Theil des Kapsel- Unterscheidet sich das lig. teres des a Seehundes dadurch, dass es weit we- Lig. teres in A wandständig, in B frei. & » niger als jenes vom Pfannenboden, sondern soweit es von der Pfanne kommt, vorzugsweise von deren Rande (ineisura acetabuli und lig. transversum) entspringt, auch in den Schenkelkopf weniger tief einrückt, überhaupt weniger ent- wickelt ist und somit das allererste Anheben zu der in Rede stehen- den Bildung darstellt. An der hinteren Fläche des lig. teres der Phoca, da wo dasselbe mit dem lig. transversum acetabuli zusam- menhängt, findet sich jener auch beim Tapir angetroffene „tecessus“. Von einer Durchbohrung dagegen, wie ich sie beim Tapir als den ersten Anfang zum Freiwerden des lie. teres gedeutet habe, ist keine Spur vorhanden, so dass das lig. teres des Seehundes in allen Stücken mit der früher von mir beschriebenen, eine Art lig. teres humeri darstellenden Bildung der menschlichen Schulter übereinstimmt, beiden aber der hervorstechendste Charakter des gewöhnlichen lig. teres: die Umgreifbarkeit, abgeht. Meine Bemühungen, die sessile Form des lig. teres femoris als frühesten Entwicklungszustand beim Menschen nachzuweisen, scheiterten am Mangel hinlänglich junger und hinlänglich erhaltener Embryonen. übersehen liess. 1) Der in meiner vorigen Abhandlung 8. 99 gebrauchte Ausdruck: „wie es scheint beim Tapir“ steht in Widerspruch mit der Ueberschrift derselben: „Nachweis — — eines lig. teres sessile femoris“, und es war jene allzu zurück- haltende Fassung in dem vor Abschluss der Untersuchung begonnenen Manu- seripte durch ein Versehen stehen geblieben. Zur Anatomie des ligamentum teres femoris. 233 Il. Verschiedenheiten der Stärke des ligamentum teres des Menschen in verschiedenen Lebensaltern. Bei Auslösung des femur aus der Pfanne hatte ich den Eindruck, dass das lig. teres beim Neugeborenen relativ stärker sei, als bei Erwachsenen. Aehnliches hatte bereits Humrpnury bemerkt), und ich habe einige Messungen ausgeführt, welche zu einer ungefähren Orientirung über diese Verhältnisse dienen mögen. Während nun HUMPHRY vermuthet, dass das lig. teres bei jüngeren Individuen, einschliesslich der Embryonen, stärker sei, als bei Brwach- senen, zeigen meine Messungen, dass das relative Stärkenverhältniss Schenkelkopf des Menschen mit dem lig. teres. a Mittelform aus 10 Embryonen, b aus 38 Neugeborenen, c aus 8 Erwachsenen. ; Geometrische Zeichnung. zwischen Schenkelknochen und lig. teres mindestens zweimal im Laufe der Entwicklung wechselt, derart, dass das lig. teres der Em- bryonen relativ schwach, das des -Neugeborenen stärker, das des Er- wachsenen wiederum schwächer ist. Es beträgt nämlich meinen Messungen zufolge die Breite des lig. teres bei Embryonen weniger !) On the Human Skeleton, p. 521: „I have remarked the ligament to be comparatively thick in foetal and early life, especially near the head of the fe- mur, and to be comparatively thin in some elderly persons; but I have not made suflicient observations to be sure, that it undergoes any regular decrease in size in advancing years.“ 234 XVI HERMANN WELCKER. als !/, des Durchmessers des Schenkelkopfes (1%/,,); bei Neugeborenen mehr als !/, (2°/,,); beim Erwachsenen wiederum weniger als !/, (19/,,).') Auf eine grössere Schärfe machen diese Bestimmungen allerdings keinen Anspruch, da ich davon abgestanden habe, auch die Dicke des Bandes zu messen; doch schien es nicht, als ob etwa geringere Breite des Bandes durch grössere Dicke ausgeglichen werde und umgekehrt. Berechtigen diese Bestimmungen hiernach immerhin zu dem Aus- spruche, dass das lig. teres von der Geburt bis zum erwachsenen Zu- stande in seinem Breitendurchmesser weniger stark wächst, als der Schenkelkopf, so ist Näheres über Grenzen und Gang dieser Unter- schiede, namentlich über die während des erwachsenen Zustandes etwa eintretenden Aenderungen, weiteren Messungen vorzubehalten. Meine Messungen, bei welchen die Breite des lig. teres mit dem Zirkel, an einer Stelle in der Gegend des Schenkelkopfes, welche in der Abbildung angedeutet ist, gemessen wurde, während als Dicke des Schenkelkopfes der Mittelwerth aus dem grössesten und kleinsten Dickendurchmesser angesetzt ist, sind folgende: a b Breite des Durchmesser IL Embryonen. ie terest das caput a: = 1008: | femoris mm. | mm. Nr. 1 vom Scheitel bis z. Steisse 8,8 cm. | 0.3 2.6 100 : 325 5 DE: Ei es ler .5; 0.9 3.2 7899 oB Bu Re he NH RN, lee: 4.2 300 a 5 Sees ll RE | 1.1 | 4.3 Bl re 8 lee: A | 1.7 | 4,5 7269 gr, © a a ee 232 KR RE % Be dor: 1.3 | 5.3 294 EL. = se omas 1.3 | 5.6 © ale Bee 55 SE, DR I 2.2 | 5.7 239 EL OR: “ als Ba RE 1.6 | 5.9 | 2369 Mittel aus 10 1. | 4.6 100: 316 1) Aehnliches habe ich auch in anderen Gebieten im Gange der Entwieklung beobachtet. So ist die Dolichocephalie des geburtsreifen Kindes grösser, als beim jüngeren Fötus und beim Erwachsenen; und ebenso verhält es sich mit der Prog- nathie des menschlichen Schädels. Zur Anatomie des ligamentum teres femoris. 235 a b Breite des |, Purehmesser II. Neugeborene. Ike, ones des caput a:b = 100: femoris mm. mm. Nr. 3 4,3 13.0 100 : 302 Nr. 8 | 5.5 13.3 2A Net 5.3 15.3 289 Nr. 2 6.2 15.3 250, Nr. 7 4.6 15.9 » 346 Nr. 5 5.9 16.1 3 AU Nr. 4 5.6 16.6 296 Nr. 6 6.7 20.6 30 Mittel aus 8 | 5.5 15.8 100: 288 lll. Erwachsene. | Nr.8 2 13.4 43.3 100 : 323 Nr. 4 11.1 45.7 on. ul Nr. 2 14.9 51.0 „ 342 Nr. 3 16.2 52.4 7324 Nr.1cd 15.0 53.0 ag Nr. T7d 17.0 53,0 a Nr..5< 13.2 53.3 „ 404 Nr. 6 cf 20.7 54.2 na Mittel aus 8 15.2 50.6 100: 341 XVII. Beiträge zur Kenntniss des elastischen Gewebes. Von G. Schwalbe. (Hierzu Tafel XT.) In der vorliegenden Mittheilung beabsichtige ich nicht, eine er- schöpfende Schilderung der Textur des elastischen Gewebes und seiner Formelemente zu liefern, sondern nur einige gelegentliche zerstreute Beobachtungen über diesen Gegenstand zu veröffentlichen, welche mir geeignet scheinen, einige Fragen über den feineren Bau der elastischen Fasern, über deren Beziehungen zu den Bindegewebsfibrillen und über- haupt über die morphologische Auffassung des sogenannten elastischen Gewebes der Beantwortung näher zu führen. Veranlassung zu einer etwas eingehenderen Beschäftigung mit diesem Gegenstande gab mir zunächst die Beobachtung eines queren Zerfalls der elastischen Fasern des Nackenbandes unter der macerirenden Einwirkung sehr dünner Chromsäure-Lösungen. Ich fand dann in der Literatur, dass bereits H. MÜLLER!) ähnliche Erscheinungen an den elastischen Bändern des Menschen und Ochsen nach abwechselnder Maceration in Wasser und Trocknen erhielt, dass RANVIER?), ohne die Mittheilung H. MÜLLEr's zu kennen, neuerdings eines ähnlichen queren Zerfalls der feineren elastischen Fasern gedenkt und darauf hin eine Theorie über den feineren Bau derselben aufstellt. 1) Ueber die elastischen Fasern im Nackenband der Giraffe. Würzburg. naturw. Zeitschrift Heft 2. S. 162. 1860. 2) Recherches sur Phistologie et la physiologie des nerfs. Il. part. Archives de physiologie. T. IV. p. 434. -- Traite technique d’histologie. p. 338, 400, 411— 414. Beiträge zur Kenntniss des elastischen Gewebes. 237 Wenn ich trotzdem meine hierauf bezüglichen Beobachtungen publieire, so geschieht dies einmal deshalb, weil H. MüÜLLer’s An- gaben abgesehen von einer kurzen Andeutung in KÖLLIKER’s Gewebe- lehre!) kaum Beachtung in den Lehrbüchern gefunden haben, sodann weil ich glaube, dass meine weiteren Untersuchungen im Verein mit der angeführten Beobachtung einen befriedigenderen Einblick in die Textur der elastischen Elemente gewähren, als derselbe bisher in den zerstreuten Mittheilungen und in den Lehrbüchern gegeben ist. I. Ueber den feineren Bau der elastischen Fasern. Die elastischen Fasern der verschiedensten Localitäten werden bekanntlich meist. als homogene „länzende Gebilde beschrieben, an denen eine weitere Struktur auf keine Weise zu erkennen sei. Zwar trifft man in der älteren Literatur, so bei VALENTIN?) und RÄUSCHEL?), auf Angaben, welche eine Zusammensetzung der elastischen Fasern besonders des Nackenbandes aus Fasern oder Fibrillen beweisen sollen; allein die Beweiskraft derartiger Bilder wurde unter Anderen von Bruns‘) und HEente?) entschieden in Abrede gestellt, sodass in neuerer Zeit kaum wieder der Versuch gemacht wurde, einen fibrillären Aufbau der elastischen Blemente zu vertheidigen, abgesehen natürlich von den elastischen Membranen, deren Aufbau aus flächenhaft verschmolzenen elastischen Fasern besonders seit M. SCHULTZE’s Untersuchungen über die Textur der Arterienwände‘®) wohl ziemlich allgemein anerkannt worden ist. — Dagegen hat eine andere Ansicht, die, wie ich finde zuerst von PURKINJE’) und RÄUSCHEL°) vorgetragen wurde, besonders seit v. RECKLINGHAUSEN’ Epoche machendem Buche: „Die Lymph- sefässe und ihre Beziehung zum Bindegewebe“ orössere Verbreitung gefunden, obwohl die verbreitetsten Lehrbücher, von KÖLLIKER und 1) 5. Auflage 8. 72. : 2) Repertorium. Bd. II, S. 51. Mürrter’s Archiv 1838. $S. 223. (Chorion von Python, Corpora cavernosa penis.) 3) De arteriarum et venarum struetura. Dissert. inaugur. Vratisl. 1836. 4) Lehrbuch der allgemeinen Anatomie des Menschen 1841. 8. 74. 5) Allgemeine Anatomie. S. 408 und 409. 6) De arteriarum notione, struetura, constitutione chemiea et vita. Gry- phiae 1850. 7) Nach einem Citate in Bruns’ alleemeiner Anatomie, II]. c. 238 XVII. G. ScHWALBE. FrREY sich sehr vorsichtig über dieselbe äussern, oder, wie der Trait& technique von RANVIER nichts davon erwähnen. PURKINJE und RÄUSCHEL fanden auf dem Querschnitte der elastischen Fasern der Arterien-Media einen dunklen centralen Punkt und im Verlaufe der Fasern eine punktirte Linie, die sie als einen rudimentären Kanal deuteten. v. RECKLINGHAUSEN!) erhielt bekanntlich bei der Anwen- dung seiner Versilberungs-Methode auf das Gewebe der Cutis, die sub- serösen Schichten der Pleura und des Peritoneum, besonders schön bei der Silber-Imprägnation der Chordae tendineae eines Hundes in den elastischen Fasern der genannten Localitäten Niederschläge schwar- zer Körnchen, ja nicht selten bemerkte er die elastischen Fasern von Strecke zu Strecke mit schwarzen Stäbchen besetzt, die in ihrer Breite stets den elastischen Fasern entsprachen, jedenfalls nicht auf der Aussenfläche der letzteren gelegen waren. Er vermuthet, dass diese schwarzen Stäbchen und Körnchen im Lumen von Kanälchen gelesen sind, welche eine äusserst dünne Membran besitzen, und setzt, falls eine Bestätigung dieser Angaben erfolgen solle, diese vermutheten Kanälchen den Saftkanälchen analoge. Auch Frky?) olaubte sich früher im Unterhautzellgewebe von dem Hohlsein man- cher feinsten elastischen Fasern durch Karmintinetion überzeugt zu haben, ist aber später über die Beweiskraft solcher Bilder sehr zweifelhaft geworden. Jedenfalls geht soviel aus den eitirten Beob- achtungen hervor, dass die Kanäle, welche RäuscheL im Innern der elastischen Fasern statuirte, viel feiner sind, als die RECKLING- HAUSEN’ schen. Nach ersterem Forscher wäre innerhalb einer so- liden elastischen Faser ein mit dicken Wänden versehener, feiner Kanal vorhanden; nach von RECKLINGHAUSEN ist dagegen die Wandung auf eine von ihm nur vermuthete aber nicht demonstrirte äusserst dünne Membran beschränkt, während der mit Flüssigkeit er- füllte Kanal die ganze Dicke der Faser einnimmt. — Eine weitere Beobachtung endlich, die hierher gehört und ebenfalls Strukturver- schiedenheiten der centralen und peripheren Theile der elastischen Fasern betont, hat v. EBNER°), gestützt auf mikrochemische Reac- tionen, mitgetheilt. Nach Behandlung mit chlorsaurem Kali und 20procentiger Salpetersäure sondern sich die elastischen Fasern des 1)21.2e. 8598. 2) Handbuch der Histologie und Histochemie des Menschen. 4. Auflage. S. 216 Anmerkung. 3) Ueber den Bau der Aortenwand, besonders der Muskelhaut derselben. Untersuchungen aus dem Institute für Physiologie und Histologie in Graz. 12 Heft 1870-82 35: Beiträge zur Kenntniss des elastischen Gewebes. 239 Nackenbandes vom Ochsen in eine blasse axiale und stark lichthrechende periphere Substanz. v. EBwer schliesst hieraus auf eine Ungleichmäs- siskeit der Axen- und Randtheile der elastischen Fasern. Eine dritte Ansicht endlich hat Ranvier!) über den inneren Auf- bau der elastischen Fasern vorgetragen. Gestützt auf die Beobachtung, dass nach interstitieller Injection von 1procentiger Osmiumsäure in das Unterhautbindegewebe die elastischen Fasern dieser Localität bei mässiger Vergrösserung quergestreift, bei 1000facher aus kleinen glän- zenden linsenförmigen oder sphärischen Körnern zusammengesetzt er- scheinen, gestützt ferner auf das Auftreten elastischer Körner in der Um- gebung der Zellen des Netzknorpels der processus vocales cartil. arytaen. und ähnlicher Gebilde, die sich nicht selten zu Platten aneinander legen, in der lamellösen Scheide der Nerven, erklärt er die elastischen Fasern überhaupt aufgebaut aus reihenweise hinter einander liegenden Kör- nern, hält er letztere gewissermaassen für die ursprünglichen Bausteine aller elastischen Substanz. Auf die Thatsache, dass elastische Fasern leicht der Quere nach brechen, hatten bereits ältere Forscher aufmerk- sam gemacht. Es finden sich hierher gehörige Angaben bei Manpn?), v. Bruns®). Ganz entgangen ist aber RAnvIer, dass bereits H. Mür- LER") ausführlich über den Querzerfall der elastischen Fasern gehandelt hat. Derselbe zeigte, dass die Querstreifung, welche von QuEkeErr als charakteristisch für die elastischen Fasern des Nackenbandes der Gi- raffe beschrieben wurde, an elastischen Bändern des Menschen und Ochsen sich durch Maceration in Wasser, abwechselnd mit Trocknen, erhalten lasse. Es gelingt auf diese Weise schliesslich, die Substanz der elastischen Fasern in grössere und kleinere Stückchen und Bröckel- chen zu zerlegen. Ferner erwähnt Köruıker?’), dass die elastischen Fasern durch Behandlung mit Kali causticum der Quere nach Risse erhalten oder in einzelne Stückchen zerfallen, und verwerthet bereits diese Thatsachen, sowie Untersuchungen über die Epiglottis des Ochsen für eine der kürzlich von Ranvırr aufgestellten conforme Ansicht, „dass auch eine Bildung derselben (der elastischen Fasern) durch An- einanderreihung von Molekülen vorkommt“. Eine hierher gehörige Beobachtung ist endlich von Corn‘) publicirt worden. Derselbe fand 1) Recherches sur P’histologie et la physiologie des nerfs. II part. Archives de physiol. T. IV. p. 434. Traite technique d’histologie. p. 338, 400, 411-414. 2) Manuel d’anatomie generale. p. 353. SRH. 1: 4) ]. ce. 8. 162 fi. 5) Gewebelehre. 5. Aufl. 8. 72. 6) Alterations des fibres elastigues du poumon. Archives de physiologie. 1874 p. 376. Zeitschrift f. Anatomie. Bd. II. 16 240 @&. SCHWALBE. in einem Falle von Bronchopneumonie die elastischen Fasern der Lun- oenalveolen ausserordentlich brüchig, ohne dass sie sich in ihrem Ver- halten gegen Säuren oder Alkalien von den normalen unterschieden hätten. Aus dieser kurzen Zusammenstellung der Literatur über den fei- neren Bau der elastischen Fasern ergibt sich, dass eine innere Diffe- renzirung derselben bisher nach drei verschiedenen Richtungen hin vermuthet oder beobachtet ist: 1) eine fibrilläre Struktur (VALENTIN, RÄUSCHEL); 2) ein Aufbau aus differenter Rinden- und Axensubstanz (Pur- KINJE, RÄUSCHEL, VON RECKLINGHAUSEN, VON EBNER). 3) eine Zusammensetzung aus Körnern (RAnvzer). Anerkanntes Eigenthum des Wissensschatzes ist keine dieser An- sichten geworden. Wenigstens wird in der neuesten Auflage des Frey’schen Lehrbuches, die allerdings Ranvıer’s Beobachtungen noch nicht berücksichtigen konnte, die Struktur der elastischen Fasern als homogen bezeichnet. In Ranvıer’s Trait& technique wird zwar im Anschluss an die eigenen Beobachtungen dieses Forschers eine Zu- sammensetzung der erwähnten Fasern aus hintereinander aufgereihten Körnern behauptet, aber nirgends der beiden erst erwähnten Ansichten über die Textur dieser Gebilde gedacht, geschweige denn versucht, sie entweder zu widerlegen oder unter einem einheitlichen Bilde mit den von RANVIER gefundenen Thatsachen zusammenzufassen. Da es sich jedenfalls um sehr feine Strukturdifterenzen handelt, die nach Ranvier’s Angaben an den feinen elastischen Fasern des Unterhaut-Bindegewebes erst bei 1000facher Vergrösserung deutlich zu erkennen seien, benutzte ich von vorn herein sehr dicke elastische Fasern, die des Nackenbandes von Schaf und Rind zur Zergliederung, natürlich immer darauf bedacht, die an ihnen erhaltenen Resultate dureh Untersuchung der feineren Elemente zu controliren. Eine fibrilläre Struktur habe ich durch keine Methode, selbst nicht an den dicksten elastischen Fasern, nachweisen können. Zwar beobachtet man an den elastischen Fasern des Nackenbandes nach Behandlung mit Essigsäure oder Salzsäure, ferner bei dem Aufquellen in Aetzbaryt, häufig eine feine Längsstreifung, allein diese scheint nur auf die Peripherie der Faser beschränkt zu sein, einer feinen ‘ unten zu beschreibenden Hülle anzusehören. Denn weder durch Aetz- baryt, noch durch Kali hypermanganicum, noch durch irgend ein anderes Reagens war eine wirkliche Zerklüftung der Fasern in Fi- brillen, eine Isolirung der letzteren zu erzielen. So musste die Vor- stellung ein für allemal aufgegeben werden, es sei eine dicke ela- Beiträge zur Kenntniss des elastischen Gewebes. 241 [, stische Faser des Nackenbandes etwa einem primären Bindegewebs- fibrillenbündel der Sehne vergleichbar, wie dieses aus Fibrillen, natürlich von chemisch differenter Natur aufgebaut. Ueberdies ist die Architektur des Nackenbandes, wie ich unten zeigen werde, eine wesentlich andere, wie die der Sehne. Die früheren oben eitir- ten Angaben über eine fibrilläre Struktur der elastischen Fasern erklären sich wohl einmal aus der Beobachtung der erwähnten Längs- streifung (VALENTIN), sodann aus der Thatsache, dass die bei der ge- wöhnlichen Untersuchung auf Längsschnitten als einfache aber dicke elastische Fasern erscheinende Elemente nicht so einfach sind, wie die alleinige Untersuchung des Längsschnittes zu ergeben scheint. Wie der in Fig. 5 (Taf. XI) abgebildete genau mit der Camera lucida ge- zeichnete Querschnitt eines in Alkohol erhärteten Nackenbandes vielmehr zeigt, sind jene Fasern streckenweise als zusammengesetzte Gebilde zu betrachten, aus zwei, drei oder mehreren innig verwachsenen Faser- elementen bestehend. Derartige Fasern lassen dann ihre ursprüngliche Zusammensetzung an der Verwachsungsstelle noch durch die Existenz einer oder mehrerer in das Querschnitts-Innere hineindrinsender Spal- ten erkennen, weiterhin aber dadurch, dass jedes der verwachsenen Stücke wieder frei werden kann, um bald wieder mit anderen benach- barten Fasern unvollkommene Verschmelzungen einzugehen !), wodurch dann äusserst spitzwinklige Anastomosen unter den im Allgemeinen parallel der Längsaxe des Bandes verlaufenden elastischen Fasern her- gestellt werden. Den Kerben und radiären Spalten des Querschnitts werden selbstverständlich auf dem Längsschnitte Linien entsprechen, die recht wohl zu der Aufstellung eines fasrigen Baues der elastischen Elemente führen können, wie dies schon HexuE hervorgehoben hat.) Besser, wie mit der Annahme eines fibrillären Baues der elasti- schen Fasern steht es mit der Behauptung, dass dieselben in ihrer peripheren und centralen Substanz sich verschieden verhalten. Zwar habe ich in keiner Weise die älteren Angaben (RäuscHeL) von der Existenz feiner axialer Kanäle bestätigen können. Feine Querschnitte der elastischen Fasern des Nackenbandes zeigen nichts, was darauf zu beziehen wäre, es sei denn, dass mitunter das centrale Ende 1) Caye allein (Ueber die Entwicklung der elastischen Fasern des Nacken- bandes. Kiel 1869. S. 7) leugnet diese allbekannte Thatsache. Nach ihm sollen die Fasern nur neben einander liegen, parallel der Längsaxe des Bandes. Der von ihm in Fig. 1 abgebildete Theil eines Querschnitts entspricht nicht genau den wirklichen Verhältnissen, wie aus einer Vergleichung mit meiner Fig. 5 zu ersehen ist. 2) Alleemeine Anatomie. S. 408. 16* 242 XVII. G. ScHWALBE. ad eines zwischen zwei der Länge nach verwachsene Fasern von der Pe- ripherie aus eindringenden Spaltes bei ungenauer Einstellung und flüchtiger Beobachtung damit verwechselt werden könnte. Absesehen hiervon erscheinen solche Querschnitte vollkommen homogen, nur am Rande dunkler, als im Centrum (vergleiche die Figuren 5 und 6), was ich, besonders mich stützend auf die bald zu erwähnenden Thatsachen, auf ein dichteres Gefüge der peripheren Theile der Fasern beziehen muss, das aber ohne scharfe Grenze, ganz allmälig in die weniger dichte, sonst gleichbeschaffene axiale Substanz übergeht. Nie sieht man im Centrum einen scharf begrenzten Raum, der etwa auf einen feinen Kanal zu deuten wäre. Vergeblich habe ich auch in dieser Beziehung Längs- und Querschnitte durch das frische gefrorene Nackenband der Silberbehandlung unterworfen. Ich vermochte weder Bilder, die im Sinne eines PurKINnJE-Räuscher'schen Axenkanals zu verwerthen gewesen wären, noch die von VON RECKLINGHAUSEN beschriebenen und dargestellten zu erhalten. Auch die elastischen Fasern der Stimmbänder, sowie die elastischen Lamellen der Ar- terien ergaben negative Resultate. Die Annahme dass die elasti- schen Gebilde hohle Schläuche seien, in denen Flüssigkeit sich be- finde, scheint mir schon dadurch widerlest zu werden, dass der Inhalt derselben nicht verschoben oder zur Seite gedrückt werden kann, wie es bei flüssiger Natur desselben nothwendig wäre Man könnte freilich sagen, der Inhalt sei unmittelbar nach dem Tode be- reits geronnen; aber dann ist schwer verständlich, wie eine geron- nene Flüssigkeit eine so gleichmässige homogene - Ausfüllungsmasse bilden kann, man müsste jedenfalls auf Stellen stossen, die die Scheide mehr oder weniger leer zeigen. Von alledem wird aber nichts be- obachtet. Vielmehr erscheinen die elastischen Fasern frisch unter- sucht stets als solide homogene Gebilde, in denen auch durch keines der von mir benutzten Reagentien ein Niederschlag erzeugt werden kann. Stets bleiben sie, solange nicht die constituirende elastische Sub- stanz zersetzt und zerstört wird, homogen, gleichgültig, ob sie ihren Durchmesser beibehalten oder durch Quellung bedeutend an Dicke zu- nehmen. Eine leichte Quellung der elastischen Fasern erzielt man z. B. durch Essigsäure, durch Kali hypermanganicum, eine starke Quellung durch Aetzbaryt, sowie durch concentrirte Schwefelsäure !). In letz- 1) Gegenüber den geläufigen Angaben, dass Elastin in concentrirter kalter Schwefelsäure löslich sei (vergl. Küune, Lehrbuch der physiol. Chemie. S. 363) theile ich hier eine Beobachtung mit, der zu Folge Nackenband des Ochsen mit concentrirter kalter Schwefelsäure 14 Tage lane behandelt zwar zu einer braunen Beiträge zur Kenntniss des elastischen Gewebes. 245 terem Falle können die Fasern bis auf das Doppelte ihrer ursprüng- lichen Dicke anschwellen. Mit zunehmender Quellung verlieren sie mehr und mehr ihren Glanz, sie werden blasser. Es wurde oben darauf hingewiesen, dass die elastischen Fasern auf dem Querschnitte in ihren Randtheilen stärkeren Glanz zeigen, wie in den axialen. Dies deutet offenbar auf Verschiedenheiten in dem Aufbau der beiden Schichten hin, die auch auf andere Weise werden zur Anschauung gebracht werden können. Nur wird man diese Ver- schiedenheiten nicht in Verschiedenheiten der Substanz, sondern in Differenzen der Vertheilung ein und derselben elastischen Substanz zu suchen haben. Die Annahme, dass die Moleküle elastischer Sub- stanz in der Peripherie dichter, im Centrum zerstreuter liegen, erklärt die eben berührten Differenzen, sie erklärt auch die oben eitirten An- gaben von Erner’s über eine Verschiedenheit der Rinden- und Axen- substanz nach Behandlung mit chlorsaurem Kali und Salpetersäure. Es ist klar, dass das zerstörende Agens zunächst da in seiner Wir- kung sichtbar werden wird, wo die zu zerstörenden Theilchen zerstreut liegen, zumal da der Weg zu den centralen Partien der Faser viel- fach durch die am Querschnitte so deutlichen, von der Peripherie ein- dringenden Spalten erleichtert wird. So ist es selbstverständlich, dass als erste sichtbare Veränderung eine Differenzirung in blasse Axen- substanz und glänzenden Rindenmantel eintreten muss. Bei weiterer Einwirkung des Reagens wird nach und nach auch der letztere zer- stört, bis nach 5 Tagen, wie von EBxer findet, die elastischen Elemente vollständig aufgelöst sind. Ganz ähnliche Erfahrungen kann man bei Behandlung des Nacken- bandes mit concentrirten Kalilösungen (35°/,) machen. Da diese Me- thode in mehrfacher Beziehung Aufschlüsse über den Bau der elastischen Fasern gewährt, so sei der dabei erhaltenen Resultate etwas ausführ- licher gedacht. In den meisten Lehrbüchern findet sich die Angabe, dass elastische Fasern in kalten Kalilösungen ganz oder doch lange Zeit unverändert bleiben. Ich muss diesen Angaben bestimmt wider- sprechen. Nach Einwirkung der von mir in Anwendung gebrachten 35 procentigen Kalilösung, welche zugleich ein gutes Mittel gewährt, elastische Fasern rasch zu isoliren, soweit es bei den zahlreichen Ver- Gallerte aufgequollen war, aber durch Auswaschen mit Wasser wieder in gelbes Nackenband mit normalem mikroskopischen Verhalten der Fasern, mit normaler Elastieität zurückgeführt werden konnte, wobei allerdings Entwicklung von Gasblasen und eintretende Trübung der Flüssigkeit auf beginnende Zersetzun- sen hinwiesen. 244 XVII. G. ScHwALBE. bindungen derselben unter einander möglich ist, lassen sich schon nach 24 Stunden Veränderungen nachweisen, die eine Veränderung der Molekularstruktur beweisen. Diese Veränderungen werden von Tage zu Tage deutlicher und documentiren sich schon vom 5. bis 9. Tage an (Nackenband vom Rind) in einer auffallenden Veränderung des mi- kroskopischen Bildes. Die erste Veränderung, welche überhaupt be- merkbar wird, ist eine physikalische: die elastischen Fasern verlieren ihre Elastieität. Spannt man Streifen elastischen Gewebes, parallel der Faserrichtung abgespalten, auf einem Korkplättchen auf bis zu möglichster Ausdehnung (dieselbe beträgt im Durchschnitte die Hälfte der Länge des ausgespannten Stückes, d. h. es verhält sich die Länge ‘des erschlafften zu der des maximal gedehnten Stückes etwa wie 1:1,5), und bringt sie so in Kalilösung 35°/,, so erfolgt bereits nach 24 Stunden beim Entfernen der spannenden Nadeln keine Retraction. Ebenso schnell vernichtet absoluter Alkohol die Elasticität, langsamer, erst nach Wochen, dünne Lösungen von Chromsäure (!/o—"/ao lo). Aus der Kalilösung entnommen ist dann das Nackenband hart, der Länge nach spaltbar und zeigt nach dem Auswaschen mit Wasser, ab- gesehen von einer geringen Aufhellung, noch keine Veränderung. Am 2. Tage erscheint an vielen Fasern eine eigenthümliche Querstreifung (vergl. Fig. 2 Taf. XD), auf die ich unten zurückkommen werde, bald darauf tritt beim Zerzupfen in der unregelmässigsten Weise ein Zer- fall in längere cylindrische Bruchstücke ein. Die Zeit, in welcher nun bei länger fortgesetzter Kalibehandlung innere Veränderungen mikroskopisch zu beobachten sind, schwankt zwischen 5 bis 14 Tagen, wobei die Grösse des eingelesten Stückes, die umgebende Temperatur etc. von Einfluss sein „mögen. Die Veränderungen bestehen zunächst bei Anwendung derselben Kalilösung als Zusatzflüssigkeit in dem Auftreten heller Flecke und Streifen in der Axe der Faser. Diese Vacuolenbildung, die anfangs ‚auf die axialen Theile beschränkt ist, ergreift nach und nach auch die Peripherie und nun ist die ganze Faser wie von einer schaumigen Substanz eingenommen. Mit dieser Veränderung hat aber zu gleicher Zeit eine auffallende physikalische und chemische Umwandlung der eigentlichen elastischen Substanz stattgefunden. Das ganze Nackenband erscheint jetzt aus einer dehn- baren, aber unelastischen, zähen, wachsartigen, klebrigen Masse zusam- mengesetzt, in der bei weiterer Einwirkung der Kalilösung bald die Grenzen der elastischen Fasern verschwinden, sodass man nunmehr unter dem Mikroskope Klumpen jener knetbaren homogenen Materie, durchsetzt von unzähligen grösseren und kleineren Vacuolen erhält. Dass auch eine auffallende chemische Umwandlung des Elastins er- Beiträge zur Kenntniss des elastischen Gewebes. 245 folgt sein muss, beweist wohl schon zur Geuüge die veränderte phy- sikalische Beschaffenheit, vor Allem aber das Verhalten gegen Wasser. Während Nackenband, das nur kurze Zeit mit der concentrirten Kali- lösung behandelt ist, nach dem Auswaschen mit Wasser und Neutra- lisiren keine sichtbare Veränderung erleidet, treten schon nach 2—3 Tagen der Kalibehandlung, selbst wenn die elastischen Fasern in der genannten Lösung untersucht, noch vollkommen homogen erscheinen, auf Zusatz von Wasser Veränderungen auf, die zunächst zu einer Vacuo- lisirung der Axe, dann zu einem Schaumigwerden des Inhaltes in der vorhin beschriebenen Weise führen. Je gründlicher mit Wasser aus- sewaschen wird, desto vollständiger tritt die beschriebene Umwand- lung ein, der schliesslich eine Lösung der zähen die Vacuolen ein- schliessenden Masse als Endresultat des ganzen Processes folst. Mit fortschreitender Lösung trübt sich die im Gesichtsfeld befindliche Flüssigkeit mit unzähligen feinen Körnchen; bei der Auflösung eines grösseren Stückchens in einem Reagenzglase erscheint dem entsprechend nach vollständiger Lösung ein weisser, feinkörniger Niederschlag. Viel schneller erfolgt das Abschmelzen des veränderten Elastins auf Wasserzusatz nach längerer Einwirkung der starken Kalilösung (8 bis 14 Tage); später tritt sogar ohne Zusatz von Wasser ein langsames Abschmelzen von der Oberfläche aus, ein. Schliesslich sei noch er- wähnt, dass selbstverständlich alle diese Veränderungen noch schneller beim Erwärmen der Präparate erfolgen. Ich habe diesen interessanten Zersetzungsprocess, dessen genauere chemische Analyse unzweifelhaft weitere Aufschlüsse über die Natur der elastischen Substanz geben wird, nicht weiter verfolgt. Mir lag zunächst an dem Nachweise, dass die centralen Theile der Fasern energischen chemischen Eingriffen weniger Widerstand leisten, wie die peripheren, worin sich meine Beobachtungen denen von EBNEr’s anschliessen, sodann aber auch an der Constatirung der Thatsache, dass die elastischen Fasern kalten Alkalien gegenüber durchaus nicht lange Zeit unverändert bleiben, sondern sogar sehr bald wesentliche chemische und physikalische Alterationen wahrnehmen lassen. Wodurch aber die erwähnten Zersetzungsbilder besonders werth- voll werden, ist, dass sie den bestimmten Nachweis einer chemisch differenten Hülle der elastischen Fasern ermöglichen, einer Hülle, die auch an der mir von meinem Collesen W. MÜLLER als reines, nach dessen Methode!) dargestelltes Elastin gütigst überlassenen Sub- 1) Beiträge zur Kenntniss der Moleeularstruktur thierischer Gewebe. Zeitschr. für rationelle Mediein. 3. Reihe. X. Bd. 1861. 246 XVII. G. SCHWALBE. stanz in derselben Weise nachgewiesen werden konnte. Da Hülle und Inhalt, wie wir sehen werden, sich gänzlich verschieden verhalten gegen Reagentien, so muss daraus der wichtige Schluss gezogen wer- den, dass die bisher als reines Elastin bezeichnete Substanz, wie sie nach der Methode von W. MüLuer aus dem Nackenbande er- halten wird, mindestens aus 2 Substanzen bestehe: aus der Hüllsubstanz und einer glänzenden im frischen Zustande homogenen Ausfüllungsmasse. Dass eine solche „Membran“ der elastischen Fasern des Nacken- bandes existirt, wird bereits wahrscheinlich durch die Beobachtung nach Maceration in Jodserum oder Behandlung mit Essigsäure oder Salz- säure. Man sieht nicht selten Fasern (Fig. 3 Taf. XD), in welchen die scharfe Linie, welche sonst den homogenen Inhalt unmittelbar nach aussen abgrenzt, durch einen wahrscheinlich mit Flüssigkeit erfüllten kürzeren oder längeren Spaltraum getrennt wird. Eine Isolation der Scheiden ist jedoch weder frisch, noch unter den eben erwähnten Ver- hältnissen möglich. Sie gelingt aber in schönster Weise nach Behand- lung mit starken Kalilösungen. Man hat weiter nichts zu thun, als elastische Fasern aus der 35 procentigen Kalilösung, welche bei Wasser- einwirkung die beschriebenen Zersetzungsbilder geben, vollständig aus- zuwaschen. Es erfolgt dann eine gänzliche Schmelzung der elastischen Substanz bis auf zarte, feine Scheiden, die auch nach dem sorgfältigsten Auswaschen und Neutralisiren zurückbleiben. Sind sie nach längerer Einwirkung von Wasser blass und undeutlich geworden, so können sie durch Zusatz von Essigsäure wieder deutlicher gemacht werden. Will man sie conserviren, so behandle man sie zunächst nach völliger Neutralisation mit Alkohol und färbe sie darauf mit Karmin. Sie sind dann als fein längsgestreifte zarte Hüllen von der Gestalt und Anordnung der elastischen Fasern auf das Deutlichste zu erkennen. Die Anastomosen der letzteren sind auch noch an den isolirten Hüllen erhalten. Durch Wasserzusatz dargestellt erscheinen sie in Folge der Schwellung des Inhaltes breiter als die unversehrten elastischen Fasern, auf Alkohol-Zusatz dagegen redueirt sich die Breite des von ihnen umschlossenen Inhaltes auf weniger als die Hälfte des früheren Durchmessers (0,0027 mm.). Es scheint also, als wenn sie während des Lebens durch die von ihnen eingeschlossene glänzende homogene Substanz in beständiger Spannung erhalten würden; hört diese Span- nung auf, so collabiren sie. Ich möchte dies auf eine nicht geringe Elastieität der Hüllen beziehen, in Folge deren stets ein Druck auf die Inhaltsmasse ausgeübt werden wird. Jedenfalls kann aber die Elastieität der Fasern nieht allein durch die Elastieität ihrer Hüllen Beiträge zur Kenntniss des elastischen Gewebes. DAN bedingt sein, da es elastische Fasern gibt, welche dieser Hülle ent- behren. So vermochte ich z. B. von den feinen elastischen Fasern des Ligamentum vocale vom Menschen nach 3tägiger Behandlung mit 35 procentiger Kalilösung und Wasserzusatz Keine Scheiden zu erhalten, es trat vielmehr eine vollständige Lösung ein. Dagegen zeigen schon die elastischen Elemente des Nackenbandes junger Thiere (z. B. vom Kalb) die beschriebene Differenzirung in Scheide und Inhalt, und wie erwähnt, erhält sich die Scheide auch bei dem eingreifenden compli- eirten Verfahren, das W. Münuer behufs der Darstellung reinen Klastins in Anwendung brachte. Die durch das beschriebene Verfahren dargestellten Scheiden oder Hüllen der elastischen Fasern zeigen unmittelbar nach ihrer Darstel- lung gewöhnlich eine ausgeprägte Längsstreifung. Mitunter sieht es sogar so aus, als wenn innerhalb einer weiteren Scheide ein schmale- rer Scheidencylinder Platz fände. Diese letzteren eigenthümlichen Bil- der, in welchen zwischen zwei parallelen Randeontouren zwei oder auch wohl drei weitere parallele scharf gezeichnete Conturen zum Vor- schein kommen, finden ihre einfache Erklärung in der complieirten Zusammensetzung der dickeren elastischen Elemente. Es wurde schon oben erwähnt, dass dieselben aus zwei, drei oder mehr innig mit ihren Längsseiten verwachsenen Fasern bestehen (vgl. die Querschnittsbilder Figg. 5 u. 6 Taf. XT). Daraus folgt mit Nothwendigkeit, dass nach Auf- lösung ihres Inhaltes bei Längsansichten innerhalb der Randeonturen diesen parallele Linien wahrgenommen werden müssen, als unvoll- ständige Scheidewände zwischen den verwachsenen Fasern, und zwar nur eine bei der Verwachsung zweier, zwei bei der Verwachsung dreier u. s. f., wofern nicht etwa eine Verwachsungsnaht durch die andere bedeckt wird. Dies ist also eine Ursache der Längsstreifung der Scheiden. Es existirt aber daneben vielfach eine Längsstreifung viel feinerer Art, die in einer streifigen Struktur der Hüllen selbst begründet ist und diese Längsstreifung ist nicht selten auch an sonst unveränderten Fasern wahrnehmbar, sobald nur der Inhalt der Schei- den in Felge einer Quellung weniger stark lichtbrechend erscheint, so z. B. nach Einwirkung von Essigsäure oder Aetzbaryt. Aus letzteren Beobachtungen möchte ich schliessen, dass die Längsstreifung der Scheiden nicht etwa auf eine Faltenbildung zurückzuführen ist, da sie auch bei starker Quellung des Inhaltes, also Spannung der Hüllen, wahrgenommen wird. Sie muss vielmehr auf longitudinale Ver- dickungen oder Verdichtungen der sonst glashellen strukturlosen Hül- len bezogen werden. Es könnte schliesslich noch die Frage aufgewor- ‚fen werden: sind die Hüllen allseitig geschlossen oder mehrfach unter- 248 XVII. G. SCHWALBE. brochen? Es ist schwer, bei so zarten Gebilden hierüber eine be- stimmte Auskunft zu geben. Unten mitzutheilende Beobachtungen haben mir mehr den Eindruck gemacht, als wenn die Hüllen stellen- weise Lücken besitzen müssten, an welchen dann die Inhaltsmasse die Oberfläche berühre. Ist man einmal auf die Existenz von umhüllenden Membranen aufmerksam geworden, so findet man deren Spuren auch bei verschie- denen anderen Präparationsmethoden. Ich will unter diesen nur eine hervorheben und ihre Resultate beschreiben, weil diese wiederum neue Aufschlüsse über den inneren Aufbau der elastischen Fasern gewährt und meine eigenen Beobachtungen an die von H. Mürver anreiht und mit Ranvıer’s Mittheilungen in Verbindung setzt. Nirgends schöner und charakteristischer kann man den von H. MÜLLER, KÖLLIKER und RANVvIER erwähnten queren Zerfall der elastischen Faserele- mente erhalten, als nach längerer Einwirkung dünner Chromsäure- lösungen (Y/,,—"/30°/o). ES bedarf aber meist einer mindestens 3 bis 4 wöchentlichen Einwirkung des genannten Reagens. Die elastischen . Fasern gewähren dann den eigenthümlichen Anbliek, den Fig. 1 zu veranschaulichen sucht. Der Faserinhalt ist in unregelmässigster Weise in meist kurze eylindrische Stückchen zerfallen. Bei genauerer Unter- suchung ergibt sich einmal, dass die Höhe der kleinen zu der elasti- schen Faser aufgereihten Cylinder durchaus keine constante ist. Neben unzerklüfteten Stückchen von ziemlich bedeutender Länge (ungefähr 36—40 u), die die Längsstreifung der Hülle zuweilen recht deutlich erkennen lassen, trifft man zahlreiche niedrige Cylinder von 1,8 bis 4,5 u Höhe‘). An keiner Stelle wird auch nur annähernd die Vermu- thung bestätigt, es möchten die elastischen Fasern aus gleich langen hinter einander liegenden cylindrischen oder prismatischen Stücken aufgereiht sein, vielmehr ist die Zerklüftung eine unregelmässige, die Höhe der Theilstücke eine sehr wechselnde. Eine Querspaltung scheint also an jeder Stelle der elastischen Fasern vorkommen zu können. Dieselben Präparate gewähren überdies auch Aufschluss über die Art und Weise, wie der Zerfall in kurze Cylinder resp. Querscheiben erfolgt. Man bemerkt an einigen Fasern, die noch auf eine längere Strecke homogen erscheinen (vgl. Fig. 1 Taf. X1.), in der Axe von Strecke zu Strecke einen hellen Streifen, der ohne Zweifel, wie das bereits oben für andere Reagentien genauer erläutert wurde, auf eine begin- nende Auflösung der axialen Theile der betreffenden elastischen Faser deutet. Von diesem hellen axialen Kanale gehen bereits von Strecke !) Am häufigsten sind Scheiben von 3,6 bis 4,5 u Höhe. Beiträge zur Kenntniss des elastischen Gewebes. 249 zu Strecke feine Querspalten in die Rindenmasse hinein, sodass dadurch schon eine unvollständige Abtrennung von @uerscheiben angedeutet wird. Die queren Spalten sind in der Nähe des bereits gebildeten Axenstreifens am breitesten und spitzen sich nach der Peripherie der Faser zu. Man kann an den Fasern desselben Präparates alle mög- lichen Uebergänge von dieser beginnenden Zerklüftung bis zum voll- ständigen Durchschneiden der Spalten beobachten. In den meisten Fällen scheinen die letzteren von den centralen Theilen auszugehen, seltener beginnen sie an der Peripherie. In ersterem Falle ist aber nicht nothwendig, dass längs der ganzen Axe der Faser ein heller Kanal sich bildet, von dem die Spalten ausgehen; es genügt eine par- tielle Kanalbildung zur Weiterführung der queren Zerklüftung. Die Bildung des erwähnten Kanales in der Längsaxe scheint auch hier wieder vielfach auf die von der Peripherie her eindringenden radiären Verwachsungsspalten bezogen werden zu müssen. Es ist anzunehmen, dass hier an den der Verwachsungsstelle benachbarten Theilen der gewissermassen eingestülpten Oberfläche (vergl. den Querschnitt Fig. 5) die Hüllmembran weniger ausgebildet ist, demnach eine raschere Ein- wirkung der betreffenden Reagentien ermöglicht, um so mehr als die- selben hier auf die weniger dicht gefügten Axentheile treffen. Dass aber bereits in den beschriebenen Bildern mit Querzerfall der elasti- schen Fasern eine Lösung axialer Bestandtheile beginnt, geht schon aus einer genauen Untersuchung der Gestalt der Querscheiben oder kurzen Cylinder hervor. Fast immer sind sie an den beiden begren- zenden Basalllächen im Centrum tiefer ausgehöhlt, wie an der Perı- pherie, sodass die niederen Querscheiben einfach biconcaven Linsen gleichen. Bei Einstellung auf die Oberfläche der Faser wird man demnach die beiden Endflächen der kurzen cylindrischen Stücke gerad- linig begrenzt finden, während bei Einstellung auf die Axe dafür (Fig. 1 bei a) zwei ihre Convexität gegen einander neigende Bogen- linien wahrgenommen werden. Lässt man nun die Gewebsstückchen Monate lang in den erwähn- ten dünnen Chromsäurelösungen, ohne deren Concentration durch Er- neuerung der Flüssigkeit zu erhalten, so tritt nach und nach eine weiter gehende Zerbröckelung, Zerkrümelung ein, bis die allein zurück- gebliebenen blassen Hüllen mit einer innerhalb derselben leicht ver- schiebbaren Detritusmasse erfüllt sind. Während hier die Hüllen con- tinuirlich wahrgenommen werden, tritt in anderen Fällen, besonders bei etwas stärkerer Concentration der Chromsäurelösung (t/s,°/,) auch eine Zerklüftung der Scheiden ein, die aber mit dem queren Zerfall 250 XVII. G. ScHWALBE. des Inhaltes nicht correspondirt, sodass meist längere Bruchstücke wahrgenommen werden, wie in b der Fig. 1. Offenbar entsprechen die beschriebenen Querscheiben der durch Chromsäure zerklüfteten Fasern den Körnern, aus welchen RAnvIER die elastischen Fasern sich aufbauen lässt. Ich vermochte an den Elementen des Nackenbandes eine ganz ähnliche Zerklüftung auch zu erzielen dadurch, dass ich Stückchen des Lig. nuchae längere Zeit in Wasser faulen liess. Es scheint mir aus diesem Grunde die Ursache der queren Zerklüftung weniger in einer besonderen Wirkung der dünnen Chromsäure, als in einer Zersetzung in Folge des Fäulniss- processes zu liegen. Vergeblich habe ich mich bemüht, an den Fa- sern des Nackenbandes einen Querzerfall durch interstitielle Injection von 1 procentiger Ueberosmiumsäure und darauf folgende Maceration in Wasser nach der von RAnvIer angegebenen Methode zu erzielen. Ebenso vergeblich waren bisher meine Bemühungen, mittelst dieses Verfahrens die von RAnvier beschriebenen Bilder von den elastischen Fasern des subeutanen Bindegewebes zu erhalten. Sollten sie nicht erst bei längerem Verweilen in Wasser in Folge einer Fäulnissmaceration auftreten? Ich habe meine darauf bezüglichen Präparate nicht lange genug untersucht, um diese Frage entscheiden zu können. Was beweisen nun die beschriebenen Bilder? Sind die elastischen Fasern wirklich aus reihenweise hinter einander liegenden Körnern oder bei den groben Fasern des Nackenbandes aus Querscheiben aufge- baut? Dann hätte man sich zu denken, wie dies auch RANVIER an- zunehmen scheint!), dass die Querscheiben stark lichtbrechender_elasti- scher Substanz von einander getrennt werden durch eine ungleich we- niger resistente schwach lichtbrechende Substanz, die schon zu einer Zeit gelöst wird, wo die Querscheiben noch wenig verändert erschei- nen und so die Querstreifung resp. den Querzerfall bedingt. Es müss- ten dann offenbar die Querspalten stets an bestimmten, der die Quer- scheiben verkittenden Substanz entsprechenden Stellen auftreten, eine Faser wie die andere unter übrigens gleichen Verhältnissen der Ein- wirkung des Reagens dieselben Erscheinungen darbieten. Nun lehrt aber schon ein Blick auf Fig. 1 (Taf. XI), in wie unregelmässiger Weise die quere Zerklüftung erfolgt, wie bald äusserst niedrige, bald höhere Querscheiben abgesprengt werden. An jeder Stelle einer Faser kann 1) Traite technique p. 338: „Les fibres elastiques — se montrent formees de grains refringents lentieulaires ou spheriques, plonges dans une sub- stance beaucoup moins refringente.“ Beiträge zur Kenntniss des elastischen Gewebes. 251 ein querer Riss auftreten. @uerscheiben, die anfangs einfach sind, können später in analoger Weise weiter zerklüftet werden. Ueberdies sind die Bruchstücke nicht, wie RAnvIEr für die feinen elastischen Fasern des subeutanen Bindegewebes angibt, sphärisch oder linsen- förmig, wobei mit letzterem Ausdruck offenbar eine biconvexe Linsen- form bezeichnet werden soll, sondern gleichen eher in ihrer Form Menisken. Die Thatsache endlich, dass sie bei länger dauernder Ma- ceration successive in immer kleinere Stückchen zerklüftet werden, wobei die peripheren Theile am meisten Widerstand leisten und noch spät als glänzende schalenartige Hüllen um die gelöste Axe herum gefunden werden können, beweist wohl, dass dieselbe Substanz, welche man für den Zerfall in Querscheiben verantwortlich macht, auch inner- halb dieser Querscheiben vertheilt und mit der eigentlich elastischen Substanz innig gemenst sein muss, reichlicher in den axialen, als in den peripheren Partien. Wenn man dies zugibt, so bleiben als letzte Formelemente, die bei dem Aufbau der elastischen Fasern betheiligt sind, moleculare Körnchen feinster Art, die erst in grösserer Zahl zu- sammentretend die Breite der Fasern ausfüllen, also nicht mit den RAanvıer’schen Körnern zu verwechseln sind; denn letztere ent- sprechen offenbar unseren Querscheiben. Es würden also diese auf die Zerklüftungsbilder sich stützenden Betrachtungen zur Annahme zweier innig gemengter, chemisch differenter Substanzen im Innern der elastischen Fasern führen, einer stark lichtbrechenden resistenteren und einer leichter zerstörbaren blasseren. Die Molecüle der ersteren lägen dann eingebettet zwischen die der letzteren, der Art, dass in der Rin- densubstanz die der ersteren dominiren, in der Axe dagegen durch grössere Mengen der leichter zerstörbaren Substanz von einander ge- schieden würden. Ich glaube aber, die Annahme einer solchen die glänzenden Theilchen der elastischen Substanz verkittenden Materie ist kaum auf- recht zu erhalten, wenn man bedenkt, dass reines Elastin von W. MÜLLer, an welchem die elastischen Fasern noch vollständig unversehrt erkannt werden, nach Einwirkung der erwähnten dünnen Chromsäurelösungen dieselben Bilder eines queren Zerfalles, nach Behandlung mit Kali- lösung 35°/, ebenfalls den oben für die frischen Fasern beschriebenen gleiche Zersetzungsbilder erkennen lässt. Es ist aber wohl kaum an- zunehmen, dass eine Kittsubstanz der vermutheten Art den energischen Eingriffen, die bei der Darstellung reinen Elastins nach W. MüLuer’s Methode nothwendig werden, Widerstand leisten sollte. Meiner Mei- nung nach bedürfen wir auch zur Erklärung der Thatsachen gar keiner hypothetischen, verkittenden Substanz. Es genügt, eine Einlagerung 252 XVII. G. SCHWALBE. von Wassertheilchen zwischen den Theilchen des Elastins anzunehmen, in grösserer Menge im Centrum, in geringerer an der Peripherie, um den Erscheinungen gerecht zu werden. Dann beruht natürlich der Zerfall in Querscheiben und die weitere Zerbröckelung nicht auf Lö- sung einer die Moleküle des Elastins verbindenden heterogenen Sub- stanz sondern auf beginnender Zersetzung des Elastins selbst, die natürlich, wie oben bereits auseinandergesetzt wurde, da am ersten und raschesten vor sich gehen muss, wo die Moleküle weniger dicht liegen. Eine Verschiebbarkeit der Theilchen ist die weitere Folge dieser Annahme, die ja ohnehin schon aus den physikalischen Eigenschaften der Substanz gefolgert werden muss. Diese Verschiebbarkeit wird bei der Dehnung beansprucht werden. Wäre nun jede Faser vollkommen frei ausgespannt, so müssten offenbar, vorausgesetzt, dass alle Strecken derselben die gleiche Elastieität besitzen, falls die Anspannung nicht über die Elastieitätsgrenze hinausging, alle Theilchen des Elastins wie- der ihren früheren Platz einnehmen. Es sind aber in Wirklichkeit zahlreiche Momente vorhanden, welche dies verhindern, eine ungleiche Vertheilung der Moleküle elastischer Substanz bedingen: die ungleiche Dicke der Fasern an den verschiedenen Stellen ihres Verlaufes, die zahlreichen spitzwinkligen Anastomosen der Nachbarfasern, die Existenz des die Zwischenräume ausfüllenden Materials, insbesondere der Binde- gewebsfibrillen. Diese Verhältnisse bedingen einmal, dass bei der Retraction elastischen Gewebes Schlängelungen der elastischen Fasern eintreten, die dann, wenn sie in vielen Fasern gleichgerichtet sind, für das blosse Auge ganz analog, wie dies die gleichgerichteten Bie- gungen der Zahnbeinkanälchen veranlassen, eine Querstreifung hervor- rufen; sodann aber kann auch eine unregelmässige Vertheilung des klastins innerhalb der Fasern bei der Retraetion nicht ausbleiben und diese möchte ich für die Entstehung des immerhin unregelmässigen (uerzerfalles verantwortlich machen. Für diese Auffassung sprechen anch Bilder, welche man sehr gewöhnlich an den elastischen Fasern des .Nackenbandes vom Kalbe und Ochsen am 1. oder 2. Tage nach der Be- handlung mit 35 procentiger Kalilösung erhält. Diese Bilder erscheinen unter zweierlei Form, aber beide bei schwacher Vergrösserung als eine Art Querstreifung. Wie Fig. 2 (Taf. XI) zeigt, wird letztere ent- weder durch partielle Verdickungen der elastischen Fasern bedingt (Fig. 2b) oder dadurch, dass dunklere Stellen innerhalb der Fasern mit helleren ohne scharfe Grenze abwechseln (Fig. 2a und ce). Beides lässt sich offenbar zwanglos auf eine ungleichmässige Verkürzung der einzelnen Faserabschnitte, gewissermassen auf eine ungleichmässige Contraction, in Folge der Einwirkung der Kalilösung, zurückführen Beiträge zur Kenntniss des elastischen Gewebes. 353 und es ist klar, dass an den schmaleren Stellen der Fig. 2b, an den helleren der Fig. 2a und c, leicht ein Querzerfall wird eintreten können. Eine solche Zerbröckelung der Quere nach sieht man nun in der That in ganz unregelmässiger Weise an den verschiedensten Stellen der Fasern auftreten, wie schon H. MÜLLER und KöLLıkEr bekannt war. Die vorstehenden Zeilen werden genügen, um meine Ansicht über die Entstehung des queren Zerfalles innerhalb der elastischen Fasern des Nackenbandes verständlich zu machen. Mag man meine Erklä- rung acceptiren oder nicht, auf keinen Fall wird man Querscheiben, oder bei kleineren Fasern hinter einander aufgereihte Körner (RANVIER) als Primitivelemente der elastischen Fasern ansehen können. Diese Primitivelemente sind viel feinerer Natur, sind die Moleküle des Klastins. Dass in den elastischen Plaques der lamellösen Scheide der Nerven sichtbare Körner zur elastischen Platte verschmelzen !), dass in der Umgebung der Knorpelzellen innerhalb des Processus vocalis Elastin in Körnern sich ablagert?), beweist nicht, dass diese sicht- baren Körner überall zuerst vorhanden sind und erst durch Ver- schmelzen elastische Fasern bilden. Vielmehr liegen andere positive Angaben ebenfalls neueren Datums vor, nach denen die elastischen Fasern sich gleich als fasrige Elemente bilden, so von ©. Hrrrwıe °) für den Ohrknorpel. Ich selbst habe beim Studium der Entwickelung der elastischen Faserelemente im Nackenbande nie Andeutungen einer Ablagerung von elastischen Körnern wahrnehmen können; stets sah ich gleich fasrige Elemente, die allerdings anfangs von grosser Fein- heit sind. Die elastischen Elemente des Nackenbandes sind also von Anfang an Fasern, die bei der weiteren Entwickelung durch seitliche Verschmelzung mit ihren Nachbarn, sowie durch Intussusception be- deutend an Dicke zunehmen. Während sie z. B. bei 36 cm. langen Embryonen kaum 1 « dick sind, beträgt ihr Durchmesser beim Kalb l) Die Abbildung, welche RAnvrErR von diesen Verhältnissen in Fig. 143, p. 401 seines Traite technique gibt, scheint mir übrigens noch eine andere Deutung zuzulassen, nämlich, dass die Körnerstruktur des gezeichneten Netzes elastischer Fasern ihre Entstehung der maceration prolongee in der dünnen (2:1000) Chromsäurelösung verdanke, also nieht präformirt ist, was dann mit meinen Erfahrungen über die Einwirkung derartiger Lösungen vollkommen in Einklang stehen würde. 2) Vergl. hierüber auch DEUTSCHMANN, Ueber die Entwicklung der elastischen Fasern im Netzknorpel. Erlanger Dissertation 1873. 3) Ueber die Entwicklung und den Bau des elastischen Gewebes im Netz- knorpel. M. Schuntze’s Archiv, Bd. IX. S. 80-100. 254 XVII G. SCHWALBE. gewöhnlich 3—4, beim erwachsenen Rind 6—7 «'). Die auffallen- den Dickenunterschiede der elastischen Fasern beim Kalb und Rind sind sofort aus der Vergleichung der beiden bei derselben Vergrösserung mit Hülfe der Camera lucida entworfenen Zeichnungen (Fig. 5 u. 6 Taf. XD) ersichtlich. Eine weitere Untersuchung der Entwickelungsverhältnisse ergibt, wenn wir vorläufig absehen von der Frage, wie sich die elastischen Fasern bei ihrer Entstehung zu den Zellen verhalten, dass die elastischen Fasern bei Embryonen feine und zwar noch cylindrische Gebilde darstellen, die auf weite Strecken frei von Anastomosen sind. Beim Kalb finden wir auf Querschnitten bereits unregelmässigere Gestaltungen, sowie zusammengesetzte Formen, und diese haben beim Rind ihre höchste Entwickelung erreicht. Zugleich sind nunmehr nur kurze Strecken unverästelt; überall sind spitzwinklige Verbindungen in reichlichster Weise zu erkennen. Vergleichen wir diese verschie- denen Zustände, so ist wohl die natürlichste Annahme die, dass die feinen embryonalen Fasern unter fortwährendem interstitiellem Wachs- thum sich von Strecke zu Strecke seitlich berühren und an den Be- rührungsstellen mehr oder weniger fest verwachsen. Lässt man diese beiden Processe bei der weiteren Entwickelung fortschreiten, so erhält man selbstverständlich diekere und zusammengesetztere Formen der elastischen Fasern, wie sie oben beschrieben wurden. Ich kann die Betrachtungen über die eigenthümlichen Texturver- hältnisse der elastischen Fasern des Nackenbandes nicht schliessen, ohne darauf hinzuweisen, dass gröbere und feinere Fasern, die Fasern des Kalbes sowohl wie die des ausgewachsenen Rindes dieselbe Textur besitzen, dass ihnen also allen auch die eigenthümliche Hülle zukommt. Einen ganz analogen Bau konnte ich für die elastischen Elemente der Aorta?), für die feineren Fasern des Ligamentum vocale und des Nackenbandes vom Menschen constatiren. Nur konnte ich mich von der Existenz einer distineten Hülle an den elastischen Fasern der menschlichen Stimmbänder nicht überzeugen; es wäre aber immerhin möglich, dass dieselbe, als von besonderer Feinheit, meiner Aufmerk- samkeit entgangen ist. 1) Bei diesen Maassen sind nur die einfachen Fasern berücksichtigt, nicht die durch seitliche Verschmelzung complieirten, welche beim erwachsenen Rind bis 10 « dick und noch stärker werden können. 2) Auch hier vermochte ich nach längerer Maceration in dünnen Chromsäure- Lösungen einen exquisiten queren Zerfall der zu den elastischen Lamellen ver- schmolzenen elastischen Fasern zu erzielen. Beiträge zur Kenntniss des elastischen Gewebes. 255 Eine zweite Bemerkung möge hier noch Platz finden. Man könnte geneigt sein, die beschriebene quere Zerklüftung der elastischen Fasern jener eigenthümlichen Querstreifung auf Einwirkung von Säure sequollener Bindegewebsbündel, die von Hrnue!) entdeckt ist und seitdem von HEIDENHAIN?), STIRLING?) und FLemmine*) beschrieben wurde, zu vergleichen. Allein die kürzlich am eitirten Orte von FLemmme gegebene Erklärung für das Zustandekommen einer solchen Querstreifung weist eine Gleichstellung beider Bilder vollkommen zurück. — Dagegen ist die seit längerer Zeit bekannte eigenthümliche Querstreifung der Zonulafasern?) eine hierhergehörige Erscheinung, die ihre Erklärung ebenso wie die Querstreifung des Kalibildes Fig. 2, in einer ungleichmässigen Verdichtung der elastischen Fasern bei der Retraction finden möchte. II. Der Bau des Nackenbandes. Im Anschluss an die mitgetheilten Beobachtungen über die ela- stischen Fasern insbesondere des Nackenbandes mögen hier einige Bemerkungen über den Bau des Ligamentum nuchae und seine Stel- lung zum fibrillären Bindegewebe, zumal den Sehnen, Platz finden. Längst bekannt ist, dass Bindegewebsfibrillen im Nackenbande vorkommen, dass ihre Existenz die Erklärung für die Gewinnung von Glutin aus dem Nackenbande abgibt. Weniger beachtet dürfte die Vertheilung dieser Fibrillen im Nackenbande sein. Leicht festzu- stellen ist bei Untersuchung von Querschnitten, dass in ähnlicher Weise, wie in der Sehne secundäre Bündel durch einscheidende Züge lockeren Bindegewebes (Interstitialgewebes FLEMmMminG‘) abgegrenzt werden, so auch im Ligamentum nuchae grössere Complexe von ela- 1) Allgemeine Anatomie S. 350. 2) Ueber das Auftreten einer regelmässigen Querstreifung an Bindegewebs- bündeln. Studien d. phys. Instit. zu Breslau. 1861. 1. Heft. 3) Beiträge zur Anatomie der Cutis des Hundes. Berichte d. Königl. Sächs. Gesellsch. d. Wissensch. 1875. S. 230. Fig. 9. 4) Beiträge zur Anatomie und Physiologie des Bindegewebes. Archiv f. mi- kroskop. Anatomie. Bd. XII, S. 419 -421. Tafel XVIII, Fig. 13. 5) Vergl. darüber meine Abhandlung: Untersuchungen über die Lymphbahnen des Auges. II. Theil. M. Schurrze’s Archiv. Bd. VI, 8. 339. 6) Beiträge zur Anatomie und Physiologie des Bindegewebes. Archiv für mikroskop. Anatomie. Bd. XII, 8. 391. Zeitschrift f. Anatomie, Bd. II. 17 256 XVII. G. ScHwALBE. stischen Fasern durch eindringendes Interstitialgewehe sich abgegrenzt zeigen. Es finden sich aber in dieser Beziehung nach zwei Richtun- gen hin Differenzen zwischen Sehne und Nackenband. Im Nacken- band ist erstens der Durchmesser jener Bündel meist viel grösser als in der Sehne, sodann ist die Abgrenzung in vielen Fällen eine viel weniger vollständige, sodass die aus lockerem Bindegewebe bestehen- den Scheidewände an Querschnitten nicht selten in einzelne Inseln aufgelöst erscheinen, die dann natürlich in anderen Ebenen des Nacken- bandes mit dem Bindegewebstract zusammenhängen. Wie in den Sehnen finden sich in diesen Zügen lockeren Interstitialgewebes Blut- gefässe und Lymphwege, ferner Ansammlungen von Fettzellen, während die in der beschriebenen Weise abgegrenzten elastischen Faserbündel ebenso wie die secundären Bündel der Sehne der genannten Einschlüsse vollständig entbehren. Dagegen ist das Vorkommen der Bindegewebsfibrillen durchaus nicht auf das lockere Interstitialgewebe des Nackenbandes beschränkt. Vielmehr finden sich zahlreiche leimgebende Fäserchen meist einzeln oder in kleineren gelockerten Bündeln überall zwischen den Fasern zerstreut. Man überzeugt sich von ihrer Existenz am besten nach interstitieller. Injection von Jodserum oder dünnen Lösungen von Kali bichromicum in das Gewebe des Ligamentum nuchae, wo sie überall zwischen den elastischen Fasern anzutreffen sind. An Schnittpräpa- raten nimmt man dagegen wenig von ihnen wahr. Dagegen gewähren letztere, besonders von in Alkohol erhärteten Stücken entnommen, nach Tinction mit Karmin oder Hämatoxylin überzeugenden Aufschluss über das Vorkommen zahlreicher, zelliger Elemente auch im voll- kommen entwickelten Nackenbande. Es ist diese Thatsache um so ent- schiedener hervorzuheben, als mehrfach Angaben bewährter Forscher in der Literatur sich vorfinden, welche die Existenz von Zellen im entwickel- ten Nackenbande leugnen. So glaubt LanGHAns!), dass die Zellen, welche in der embryonalen Anlage des Ligamentum nuchae so reichlich vor- kommen, bald nach der Geburt schwinden. Auch nach Cayz (l. e.) trifit man nur wenige Reste von Zellen und Zellkernen im entwickel- ten elastischen Gewebe. Ferner findet sich in KÖöLLıker’s Gewebe- lehre?) die Bemerkung, „dass das entwickeltere und reife elastische Gewebe nur Bindegewebsfibrillen in gewisser Anzahl und stärkere elastische Fasern, dagegen keine Zellen mehr enthält.“ Es eilt dies !) Beiträge zur Histologie des Sehnengewebes im normalen und pathologi- schen Zustande. Würzburger naturw. Zeitschr. Bd. V. Heft 1 u. 2. 2) 5. Auflage. 'S. 71. Beiträge zur Kenntniss des elastischen Gewebes. 257 nach KÖLLIKER übrigens nur für das sogenannte reine elastische Ge webe z. B. des Nackenbandes. Erst Tamm!) betonte das Vorkommen- zahlreicher zelliger Elemente im entwickelten Ligamentum nuchae. Er gelangte jedoch in Betreff ihrer Beziehungen zu den elastischen Fasern zu einer Anschauung, die durch meine Untersuchungen, wie die folgenden Zeilen zeigen werden, keine Bestätigung erhalten konnte. Nach diesen kurzen historischen Bemerkungen kehre ich zur Schilderung des von mir Beobachteten zurück. Innerhalb der mit Karmin oder Hämatoxylin gefärbten Schnittpräparate sind an den verschiedensten Stellen innerhalb der elastischen Faserbündel roth resp. blau tingirte Kerne wahrzunehmen und an Zupfpräparaten erhält man leicht den platten fixen Zellen des Bindegewebes gleichende Zel- len isolirt, die im Nackenband des Kalbes noch feinkörnig protoplas- matisch, beim Ochsen dagegen ge söhnlich homogen, strukturlos er- scheinen, wie Endothelzellen anderer Localitäten. Ueber ihre An- ordnung ist schwer ins Reine zu kommen. Soviel sieht man an Schnittpräparaten, sowohl am Quer- als Längsschnitt, leicht, dass viele Kerne sich der Oberfläche der elastischen Fasern innig anschmiegen, (vergl. den Querschnitt Fig. 5 unten links), mit ihrer Längsaxe pa- rallel der Faserung, und auch beim Zerzupfen erhält man Bilder (Fig. 4 vom Kalbe), welche eine Anlagerung der platten Zellen an elastische Fasern wahrscheinlich machen. Ein Zusammenhang zwischen Zelle und Faser ist aber nirgends wahrzunehmen. Ich muss mich hierüber auf Grund meiner Präparate ganz bestimmt aus- sprechen und kann somit auch der Deutung, welche Tun in seiner vorhin citirten Abhandlung seinen mittelst Hämatoxylin und Gold- färbung gewonnenen Präparaten gibt, durchaus nicht beipflichten. Eine Continuität zwischen Zelle und elastischer Faser, wie sie Tun behauptet, ist aus keiner seiner Abbildungen (Figg. 15—17 Tafel X) zu ersehen; vielmehr liegen die Kerne in Figg. 15 und 17 einfach auf der Oberfläche der Faser. In Fig. 16 sollen axiale Kanäle der elasti- schen Fasern mit Kernen gefärbt sein (Behandlung mit Gold und Hämatoxylin). Es wird aber wohl Niemand aus der Abbildung die Lage dieser dunklen Fasern mit ihren kernhaltigen Anschwellungen in das Innere der elastischen Fasern verlegen. Es scheint mir viel wahrscheinlicher, dass durch die doppelte Tinction die ganze Zwischen- 1) A contribution to the anatomy of connective tissue, nerve and muscle, with special reference to their conneetion with the lymphatie system. Proceedings of the royal society. N. 155. 1874. p. 522. Aka 258 XVII. G. ScHwALBE. substanz zwischen den elastischen Elementen sammt den Kernen ge- färbt ist. Ich erhielt sehr häufig derartige Färbungen bei intensiver Hämatoxylin-Einwirkung. Derartige Präparate gewähren dann nament- lich an Querschnitten ausserordentlich zierliche Bilder, indem die hellen Querschnitte der elastischen Elemente scharf innerhalb eines zierlichen hblauvioletten Netzes hervortreten. Man überzeugt sich dann auch, dass die blaue Farbe sich in die Spalträume, welche von der Peripherie her in die zusammengesetzten elastischen Fasern hinein- dringen, fortsetzt. Sieht man derartige Fasern in der Längsansicht, so wird sehr leicht das Bild eines gefärbten axialen Kanales vor- getäuscht werden können. | Wenn es nun auch feststeht, dass die meisten der beobachteten zelligen Elemente, wenn nicht vielleicht sogar alle!) der Oberfläche ela- stischer Fasern wenigstens mit ihren kernhaltigen Partieen aufliegen, so ist doch damit das Verständniss der Anordnung der elementaren Theile im Nackenbande noch nicht erschöpft. Es handelt sich noch darum die Beziehungen der Bindegewebsfibrillen zu elastischen Fasern und Zellen sowie die Natur der zwischen allen diesen Elementen befindlichen scheinbaren Lücken zu ermitteln. Dass in ihnen die Bindegewebsfibrillen vertheilt liegen, habe ich schon erwähnt. Es bleibt aber noch zu entscheiden, ob daneben noch feinste präformirte Kanälchen, den Saft- kanälchen der Sehne?) und des Bindegewebes überhaupt vergleichbar, existiren oder ob alle Zwischenräume mit amorpher, die Fibrillen ein- schliessender Intercellularsubstanz ausgefüllt sind. Ich habe in dieser Beziehung alle möglichen Versuche angestellt, ohne dass mir der Nachweis von wohl abgegrenzten Saftkanälchen gelungen wäre. Be- handelt man Quer- oder Längsschnitte frischen gefrorenen Nacken- bandes in der gewöhnlichen Weise mit Argentum nitricum so färben sich die Interstitien zwischen den farblos bleibenden elastischen Fasern hellbraun, ohne dass die geringste Andeutung heller von dem braunen Grunde sich abzeichnender Saftkanallücken wahrzunehmen wäre (so- wohl beim Kalbe als beim Ochsen). Desgleichen färben sich diese Interstitien durch Hämatoxylin, ja auch durch Karmin und zwar zu- 'weilen recht intensiv (s. oben) ohne dass, abgesehen natürlich von den stets lebhafter gefärbten Kernen, Verschiedenheiten in dem Grade der Färbung an einzelnen Stellen zum Vorschein kämen. Nie nimmt man 1) Die an Schnittpräparaten isolirt liegenden Kerne sind wahrscheinlich erst in Folge der Präparation (Karmin — Glycerin) disloeirt. 2) Vergl. Herzog, Ein Beitrag zur Struktur der Sehnen. Diese Zeitschrift. 18, IE SL 200) 5 Beiträge zur Kenntniss des elastischen Gewebes. 2359 ferner scharf abgegrenzte sternförmige Figuren auf dem Querschnitt wahr, vergleichbar jenen, welche auf dem Sehnenquerschnitt sich zwi- schen den primären Bündeln befinden, mag man frische oder mit Essig- säure behandelte Querschnitte oder Alkoholpräparate untersuchen. Viel- fach aber erscheinen, z. B. nach Einwirkung von Alkohol, doppelt chromsaurem Kali etc. lockere Gerinnsel körniger Natur in den frisch so klaren fihrillenhaltigen Interstitien und zwar wieder in der ganzen Ausdehnung der letzteren. Alles bisher Erwähnte spricht also dafür, dass die Interstitien von einer der interfibrillären oder Kittsubstanz des Bindegewebes im All- gemeinen gleichenden Materie eontinuirlich erfüllt sind, welche die Fibrillen einschliesst und mit den elastischen Fasern und den an- liesenden Zellen zu einem Bündel verkittet. Dass diese Substanz im hohen Grade quellbar ist, davon kann man sich sehr leicht überzeugen. Querschnitte in Alkohol erhärteten oder getrockneten Nackenbandes zeigen die Querschnitte der elastischen Fasern dicht neben einander liegend, fast ohne jede Spur von Interstitien, während, wie man aus Fig. 5 und 6 sofort ersieht, auf Zusatz von Wasser oder dünner Säu- ren ein bedeutendes Auseinanderrücken der Querschnitte erfolgt, das, da es auch ohne Säurezusatz eintritt, nicht auf die Quellung der Bindegewebsfibrillen bezogen werden kann. An frischen gefrorenen Präparaten fand ich stets die Interstitien wohl entwickelt. Es lassen sich natürlich kaum, wegen der ausserordentlich wechselnden Grösse derselben, Durchschnittszahlen für die Abstände der elastischen Fasern angeben. Die in vorstehenden Zeilen mitgetheilten Thatsachen dürften schon zur Genüge dafür sprechen, dass die elastischen Fasern durch eine im frischen Zustande homogene, ausserordentlich wasserreiche, die Fibrillen einschliessende Substanz zusammengehalten werden, die man wohl am ehesten mit der interfibrillären Substanz des Bindegewebes vergleichen kann, dass ferner innerhalb dieser Substanz keine wohl abgegrenzten Saftkanälchen ausgegraben sind. Diese Schlussfolgerungen werden nun unzweifelhaft bestätigt durch die Resultate der Lymph- sefäss-Injectionen, über die ich etwas ausführlicher berichten muss. Es gelingt unschwer durch Einstich-Injeetion mit Berliner Blau in das frische Ligamentum nuchae auf der Oberfläche des Bandes in dem lockeren umhüllenden Bindegewebe ein Netz schöner Lymphgefässe zu füllen, ähnlich dem von Lupwıs und SCHWEIGGER-SEIDEL!) von der Oberfläche der Sehnen beschriebenen. Untersucht man derartige Prä- 1) Die Lymphgefässe der Fascien und Sehnen. Leipzig 1872. 260 XVII. G. SCHWALBE. parate an Quer- und Längssehnitten, so constatirt man einmal, dass in dem früher beschriebenen die einzelnen elastischen Faserbündel um- hüllenden lockeren Bindegewebe weitere und engere, spaltförmige oder weit klaffende Kanäle injieirt sind, die sich an den meisten Stellen in einiger Entfernung von der Stichstelle scharf gegen die Umgebung abgrenzen, dagegen in der Nachbarschaft der Stichstelle vielfach in eine diffuse Füllung des interstitiellen Bindegewebes übergehen. Die beschriebenen scharf abgegrenzten, oft sehr weiten Kanäle sind nun unzweifelhaft echte Lymphgefässe. Dies beweisen Einstichs-Injecetionen mit Lösungen von Argentum nitricum. Man erhält dann mit Leich- tigkeit an Längsschnitten Präparate, wie sie in Fig. 7 bei schwacher, in Fig. 8 bei stärkerer Vergrösserung gezeichnet sind. Die endothe- liale Zusammensetzung der Lymphgefässwand ist aus letzterer Figur deutlich ersichtlich. Beide ergeben, dass in longitudinaler Richtung die stärksten Stämme verlaufen, die aber kein gleichmässiges, sondern ein Lumen von wechselnder Stärke erkennen lassen. Von diesen Stäm- men zweigen sich unter rechten Winkeln feinere Gefässe mit meist gleichmässigem Durchmesser ab, die entweder wieder in die longitu- dinale Richtung umbiegen oder nach Entsendung solcher Zweige senk- recht zur Faserung des Nackenbandes einen Theil eines Bündels um- greifen. Durch einzelne dieser Zweige werden Anastomosen zwischen den longitudinalen Saugröhren vermittelt. Die grösseren longitudi- nalen Lymphgefässstäimme verlaufen gewöhnlich in der Mitte der Bindegewebs-Interstitien, während sich die kleineren häufig dicht der Oberfläche der Bündel elastischer Fasern anschmiegen. Wie verhalten sich nun diese Lymphgefässe zu den Spalten des lockeren Bindegewebes, deren Injection, wie erwähnt, neben der be- schriebenen Lymphgefässfüllung von der Stichstelle aus oft in ansehn- licher Ausdehnung erfolgt? Wie verhalten sich endlich die Spalten und Lymphgefässe zu der interfibrillären Substanz der elastischen Faserbündel? Es ist in dieser Beziehung zunächst hervorzuheben, dass die Abgrenzung der echten Lymphgefässe gegen das umgebende Binde- gewebe in einiger Entfernung von der Stichstelle stets eine scharfe ist, während die Lymphgefässe in der Umgebung der Einstichstelle von der diffusen Färbung der Spalten-Injeetion der Art umgeben werden, dass man über Bestehen oder Fehlen eines Zusammenhanges zwischen beiden Bahnen nicht ins Klare kommen kann. Man kann aber aus dem gleichzeitigen Auftreten der Lymphgefäss- und Spalten-Injeetion von der Einstichstelle aus ebensowenig sicher auf eine Communication beider Systeme schliessen, wie aus dem Fehlen einer Spaltenfüllung von den entfernteren Lymphgefässen aus auf ein Fehlen einer solchen Beiträge zur Kenntniss des elastischen Gewebes. 261 Verbindung, da ja der Injestionsmasse, einmal in die weiten Lymph- sefässe gelangt, in diesen ein leichter Abfluss geboten wird, sodass auch bei Bestehen feiner Verbindungen eine Spaltenfüllung ausbleiben muss. Wir können aber auf anderem Wege zu einer befriedigenden Vorstellung über den Zusammenhang der erwähnten Bahnen innerhalb des Nackenbandes gelangen. Es ist klar, dass die durch die Blutgefäss- wandungen filtrirende Flüssigkeit, da die Blutgefässe im Nackenbande stets innerhalb des lockeren spaltenreichen Bindegewebes verlaufen, zu- nächst in die Bindegewebsspalten gelangen muss. Aus letzteren kann aber schon aus dem Grunde kein rascher Abfluss in etwa einmündende weitere Lymphgefässe erfolgen, weil bei Einstich-Injeetionen nicht selten grössere Abschnitte des Spaltensystems gefüllt werden, was bei zahlreichen und weiten Communicationen mit den Lymphgefässen nicht möglich wäre. Wenn also solche Verbindungen bestehen, müssen sie feinerer Art sein, etwa der Art, wie sie nach den Untersuchungen ARNOoLD’s!) zwischen Saftkanälchen anderer Localitäten und Lymph- gefässen bestehen. Zu einer ähnlichen Annahme gelangte kürzlich GERSTER ?) für die Beziehungen zwischen Lymphspalten und Lymph- gefässen innerhalb des Hodens.. Wenn man solchen Erwägungen einige Berechtigung zugesteht, so würden wir also in den feinen injicir- baren Spalträumen des lockeren Bindegewebes Saftbahnen vor uns haben, die zunächst die aus den Blutgefässen austretende Ernährungstlüs- sigkeit aufnehmen, gewissermaassen Reservoire für dieselbe bilden, in welche die elastischen Faserbündel eingetaucht sind. Weitere Auf- schlüsse über die Beziehungen zwischen den interfasciculären Binde- sewebsspalten zu dem Inneren der elastischen Faserbündel gewähren die mit Rücksicht auf das Verhalten der Lymphgefässe schon be- sprochenen Einstich-Inieetionen mit Berliner Blau, resp. Silbernitrat- Lösungen. Es ergibt sich hier zunächst die bemerkenswerthe That- sache, dass, während an den echten Lymphgefässen des Nackenbandes durch Injeetion von Argentum nitricum stets mit Leichtigkeit eine Endothelzeichnung zu demonstriren ist, der ein scharfer Contur an Berlinerblau-Präparaten entspricht, es nie gelingt, in dem Spalten- systeme, speciell auf der Oberfläche der elastischen Faserbündel durch Silber-Injection eine Endothelzeichnung hervorzurufen. Ich erhielt vielmehr stets diffuse braune Färbung. Auch schien es, als wenn die Oberfläche des elastischen Faserbündels gegen die benachbarten Spal- 1) Ueber die Beziehung der Blut- und Lymphgefässe zu den Saftkanälen. VırcHow’s Archiv. Bd. 62. 2) Ueber die Lymphgefässe des Hodens. Aus dem pathol. Institute des Herrn Prof. Lax6cHans in Bein. Diese Zeitschr. Bd. II. S. 48. 262 XVII. G. SCHWALBE. ten keine scharfe Abgrenzung besitze. Dem entsprechend machte sich nicht nur die Wirkung der eingespritzten Silbernitratlösung eine Strecke weit im elastischen Faserbündel durch Braunfärbung der in- terfibrillären Substanz geltend, es wurde auch — und dies ist eine sehr bemerkenswerthe Thatsache — ein Eindringen anderer Injections- massen (Berliner Blau, Alkannin - Terpentin) in die Substanz zwischen den elastischen Fasern beobachtet. Es ist allerdings selbstverständ- lich, dass an der Stichstelle, falls diese innerhalb des elastischen Faserbündels liest, ein Eindringen zwischen die elastischen Fasern auf gewaltsamem Wege erfolgen wird. Allein diese Injection der weichen interfibrillären Substanz ist nicht auf die Einstichstelle be- schränkt. Auch von weiter abliegenden interfasciculären Spalten aus dringt die Injectionsmasse mehr oder weniger weit zwischen die ela- stischen Fasern ein, obwohl ihr ein bequemerer Wes in die benach- barten Lymphspalten und Lymphgefässe für den Abfluss zu Gebote steht. Es kann sich hier also um kein gewaltsames Einpressen der Injectionsmasse in das Gewebe handeln. Untersucht man nun der- artige injicirte Partieen auf Querschnitten, so zeigen sich die elastischen Fasern in der zierlichsten Weise als helle Maschenräume eines gleichmässig injicirten Netzwerkes. Nirgends sind wohl abgegrenzte Saftkanälchen gefüllt, sondern die Interstitien zwischen den elastischen Fasern erscheinen durch die Injectionsmasse gleich- mässig gefärbt. Besonders zierlich fallen die Präparate aus, wenn man Alkannin-Terpentin injieirt, das injieirte Gewebe trocknen lässt und davon Querschnitte entnimmt. Man sieht dann leicht, wie die rothe Masse bis in die Spalten, welche die zusammengesetzten elastischen Fasern zerklüften, hineingerathen ist. Leider lassen sich derartige Präparate nicht conserviren, da bei Einschluss in Balsam der Farb- stoff allmählich extrahirt wird, bei Glycerin-Einbettung aber zu grösse- ren und kleineren Tröpfchen zusammenfliesst. Soviel ergeben jedenfalls diese Injectionsversuche, dass die Injec- tion der interfibrillären Substanz des Nackenbandes nicht durch Saft- kanälchenbahnen vermittelt wird, sondern einer gleichmässigen Durch- tränkung oder auch wohl Verdrängung durch die eingespritzte Masse ihre Entstehung verdankt. Da diese Injection auch an Stellen, die entfernter von der Einstichstelle liegen, eintritt, von einer gewalt- samen Sprengung des Gewebes hier jedenfalls keine Rede sein kann, so muss man annehmen, entweder, dass den Bindegewebsspalten nach der Seite der elastischen Faserbündel ein Abschluss fehlt oder, dass die Wandungen der benachbarten Bindegewebsspalten durchgängig sind für die Injeetionsmasse, die für ein weiteres Eindringen zwischen die Beiträge zur Kenntniss des elastischen Gewebes. 263 elastischen Fasern in der weichen, wasserreichen interfibrillären Sub- stanz nur geringen Widerstand finden wird. Wie man dann im Ein- zelnen die gleichmässige Färbung der letzteren durch die Injections- masse erklären will, ob durch eine Imbibiton oder durch Verdrängung des weichen an festen Bestandtheilen armen Gewebes, ist schwer zu entscheiden. Ich vermuthe, dass bei künstlichen Injectionen je nach der Localität, je nach der Stärke des Druckes, beides vorkommt: in der Nähe der Stichstelle Verdrängung, in den entfernteren Partien Imbibition des Gewebes. Jedenfalls dürfte auf letzterem Wege der von den Blutgefässen ausgehende Ernährungsstrom durch Vermittlung der benachbarten interfasciculären Spalten bis zu den centralen Par- tieen eines elastischen Faserbündels vordringen. Die physikalische Eigenthümlichkeit des elastischen Gewebes wird dabei eine wesentlich fördernde Rolle spielen. Es ist klar, dass, wenn ein elastisches Faden- sewebe mit langgestreckten Maschen der Art an beiden Enden fixirt ist, dass innerhalb der letzteren die Entfernungen der sich inseriren- den elastischen Fäden bei Verkürzung und Verlängerung dieselben bleiben, — in diesem Falle bei Dehnung sämmtlicher Fäden, die noth- wendig von einer Verringerung des Durchmessers derselben begleitet werden muss, ein Ansaugen der das Bündel umgebenden Flüssigkeit in die Interstitien des Bündels hinein erfolgen wird. In einer solchen Lage befinden sich nun offenbar die einzelnen Bündel des Nackenban- des. Es wird kaum in Abrede gestellt werden können, dass eine Spannung desselben ansaugend, eine Erschlaffung im entgegengesetzten Sinne wirkt, dass so in ergiebigster Weise für ein Umtreiben der Er- nährungsflüssigkeit, die zunächst aus den Blutgefässen in die um- gebenden Bindegewebsspalten gelangen muss, gesorgt wird. Wie verhalten sich nun aber die oben beschriebenen Lymphröhren zu dieser Saftströmung, die aus den Blutgefässen in die Bindesewebs- spalten und von da in die interfibrilläre Substanz hinein stattfindet? Es ist aus dem oben Angeführten wahrscheinlich, dass sie zum Theil in den Saftspalten des interfaseiculären Bindegewebes wurzeln und demnach einen Theil der in diese eintretenden Flüssigkeit auf- nehmen. Ich muss hier aber noch auf andere Beziehungen der Lymphröhren aufmerksam machen, die sich aus einem aufmerk- samen Studium durch Einstich injieirten Nackenbandes als höchst wahrscheinlich ergeben. Oben wurde bereits erwähnt, dass die klei- neren Lymphröhren sich dicht an die Oberfläche der elastischen Faser- bündel anschmiegen, durch keine Spaltränme mehr von ihnen getrennt. Nimmt man nun noch dazu, dass in seltenen Fällen von einigen feine- ren Lymphgefässen aus ohne Füllung der Bindegewebsspalten eine In- 264 XVII. G. ScHwALBE. jection der benachbarten interfibrillären Substanz der Faserbündel ein- tritt, so kommt man zu dem Schlusse, dass Lymphgefässe unmittel- bar in der intrafaseiculären Substanz wurzeln, also direkt die die letztere durchtränkende aus den Blutgefässen und Saftspalten stam- mende Flüssiekeit aufsaugen. Ich verhehle mir nicht, dass es noch eingehender weiterer Untersuchungen bedarf, um die hier aufgestellten Sätze über allen Zweifel zu erheben. Immerhin scheint mir aber die darin enthaltene Auffassung nach sorgfältiger Erwägung aller That- sachen die natürlichste und am meisten mit den Thatsachen überein- stimmende zu sein. Als übersichtliches Schema für die Bahnen des Saftstromes innerhalb des Ligamentum nuchae ergibt sich dann das folgende, in welchem durch Pfeile die Richtung des Saftstromes be- zeichnet ist. Blutgefässe | V/ Bindegewebsspalten j Interhibrilläre Substanz I N | \ r Lymphröhren. Es wurde vorhin hervorgehoben, wie die Spannung der elastischen Bündel saugend, die Erschlaffung im entgegengesetzten Sinne wirkt. Es könnte nun auf den ersten Blick erscheinen, als müsste bei gege- benen Beziehungen der Lymphröhren zu der weichen interfibrillären Substanz des Nackenbandes durch eine Verlängerung der elastischen Faserbündel die in den Lymphröhren enthaltene Flüssigkeit ebenfalls in die Interstitien der elastischen Fasern eingesaugt werden. In die- “sem Falle wäre natürlich im Nackenbande kein regelmässiger Brnäh- rungsstrom möglich, sondern ein Hin- und Herschwanken, ein Stagni- ren der Gewebsflüssigkeit anzunehmen, es wäre die reichliche Ausstat- tung des Nackenbandes mit Saugröhren schwer zu verstehen. Eine sorgfältigere Ueberlegung ergibt aber ohne Weiteres, dass dieselben Momente, die elastische Dehnung des Bandes, welche auf den Saftstrom begünstigend einwirkten, auch auf die normale Richtung des Lymph- stromes beschleunigend wirken müssen. Da die Lymphgefässe im Nackenband in ihren grösseren Stämmcehen longitudinal verlaufen, mit ihren Aussenwänden aber fest an die Umgebung fixirt sind, der Art, dass sie an Schnitten durch erschlafftes retrahirtes Nackenband weit klaffen, so müssen sie nothwendiger Weise bei Dehnung desselben eben- falls gedehnt werden. Ihre Wände können aber aus den eben ange- deuteten Gründen nicht collabiren. Es bleibt folglich nichts weiter Beiträge zur Kenntniss des elastischen Gewebes. 265 ührig, als dass die bekanntlich ebenfalls mit elastischen Wandungen ausgestatteten Lymphgefässe bei der Verlängerung des Nackenbandes eine ansehnliche Volumvergrösserung erfahren. Dies muss dann selbst- verständlich die Folge haben, dass in diese Lymphgefässe hinein die mit ihnen in Contakt stehende, die Bündel durchtränkende Flüssigkeit kräftig angesaugt wird. Es wird somit durch diese Einrichtung für einen regelmässigen Ernährungsstrom aus den Blutgefässen durch die Intercellularsubstanz hindurch in die Lymphgefässe gesorgt werden, der beschleunigt wird bei der Spannung, verlangsamt bei der Erschlaf- fung des Nackenbandes. Die Injection der interfibrillären Substanz, wie ich das Eintreten der injieirten Flüssigkeit zwischen die einzelnen elastischen Fasern nennen will, steht durchaus nicht isolirt da in der Geschichte der Lymphbahninjectionen. Es ist eine bekannte Thatsache, dass in ähn- licher Weise bei Einstichinjectionen in die Sehnen nicht blos von der Einstichstelle aus ein Eindringen der Injectionsmasse zwischen die Fibrillen stattfindet. Man würde gegen diese Resultate künstlicher Injectionen noch manche Bedenken anführen können, wenn nicht die natürlichen Injectionen, wie sie KÜTTNer!), ArnoLD?), L. GERLACH?) kürzlich angestellt haben, ganz analoge Resultate ergeben hätten. Von Kürrser wird ausdrücklich angeführt, dass nach Einführung des in- digschwefelsauren Natrons durch Füllung des Bronchialbaumes (Methode v. WrrricH) zwischen den elastischen Fasern der Alveolenwand sich interfibrilläre Räume blau färbten. Ebenso beobachtete KÜTTNner Aus- scheidung des Indigearmins in der interfibrillären Substanz des Binde- gewebes und ähnliche Angaben machen J. ArnoLp und L. GERLACH. Es kann also wohl keinem Zweifel mehr unterliegen, dass die inter- fibrilläre Substanz im Bindegewebe und Nackenbande bei der Saftströ- mung betheilist ist. Die oben erwähnten künstlichen Injectionsresul- tate beweisen weiter, dass sie die injieirte Flüssigkeit ebenso leicht aufnimmt, wie die Saftspalten und Lymphgefässe, und zwar bei niedrigstem Druck, selbst wenn ein freier Abfluss durch die Lymph- gefässe gesichert ist. Wie aber die Verbindung zwischen Interfibrillär- substanz und Lymphbahnen zu Stande kommt, ob durch einfache Dif- 1) Die Abscheidung des indigschwefelsauren Natron in den Geweben der Lunge. Medic. Centralbl. 1875. Nr. 41. 2) Ueber das Verhalten des Indigkarmins in den lebenden Geweben. Medic. Centralbl. 1875. Nr. 51. 3) Ueber das Verhalten des indigschwefelsauren Natrons zu den Geweben des lebenden Körpers. Medic. Centralbl. 1875, Nr, 48, 266 XVII. G. ScHWwALBE. fusion (was mir übrigens nach den mitgetheilten Erfahrungen unwahr- scheinlich geworden ist), oder durch Vermittelung der Kittsubstanz- linien zwischen den Endothelzellen, wofür ja so überzeugend besonders die Untersuchungen von J. ArnoLp!) sprechen, darüber endgültig zu entscheiden, bin ich für jetzt ausser Stande. Ich habe eben die interfibrilläre Substanz der Sehnen der die Bindegewebsfibrillen und elastischen Fasern im Nackenband verkitten- den Masse in ihrem physiologischen Verhalten gleich gesetzt. Damit ist aber keineswegs gesagt, dass die Ernährung der Sehne in allen Einzelheiten mit der des Nackenbandes übereinstimmt. Es ergibt sich vielmehr sofort ein wichtiger Unterschied zwischen beiden, wenn man berücksichtigt, dass das elastische Faserbündel der oben gegebenen Beschreibung zu Folge keine Saftkanälchen besitzt, während das dem- selben äquivalente secundäre Sehnenbündel reichlich mit feinen Saft- bahnen, den bekannten die primären Bündel abgrenzenden Sternfiguren des Querschnittes, ausgestattet ist. Dieselben stehen, wie die Unter- suchungen von HErzoG gezeigt haben, direkt mit den interfaseiculären zuerst von LuDwiG und SCHWEIGGER-SEIDEL dargestellten Lymphröhren in Zusammenhang; andererseits wird man seit den Untersuchungen ArNnoLD’s diese feinsten Kanälchen zunächst mit der Aufnahme des aus den Blutgefässen in die benachbarten Bindegewebsspalten des lockeren interfasciculären Gewebes austretenden Ernährungssaftes be- traut anzusehen haben, sodass sie ein Zwischenglied zwischen Blut- und Lymphgefässen darstellen. Functionell ist diese von der des Nackenbandes differente Einrichtung leicht zu begreifen. Bei dem Mangel ähnlicher als Saug- und Druckapparate wirkender elastischer Kräfte, wie sie für das Nackenband existiren, muss für ein ergiebiges Drainiren der secundären Sehnenbündel auf andere Weise gesorgt wer- den. So verzweigt sich hier das System der Saugröhren von den ech- ten Lymphgefässen aus in die secundären Sehnenbündel hinein, deren Saftkanälchen darstellend, und auf dieses ganze System wirken, wie LupwısG und SCHWEIGGER-SEIDEL gezeigt haben, ausserhalb der Sehne gelegene, dieselbe auspumpende Einrichtungen, die nun selbstverständ- lich ihren Einfluss bis ins Innere der Sehnenbündel hinein geltend machen werden. Ja in einigen Fällen scheinen echte Lymphröhren das eigentliche Gebiet der secundären Sehnenbündel zu betreten. So möchte ich wenigstens das von LupwıG und SCHWEIGGER-SEIDEL auf !) Ueber die Beziehung der Blut- und Lymphgefässe zu den Saftkanälen. VIRcHoW’s Archiv. Bd. 62 und Ueber die Kittsubstanz der Endothelien. Vır- cHow’s Archiv. Bd. 66. Beiträge zur Kenntniss des elastischen Gewebes. 267 Taf. III Fig. 2 abgebildete Präparat erklären, das inmitten dreier se- cundärer Sehnenbündel je einen injieirten Kanal erkennen lässt. Ver- suchen wir es, die Saftströmung in der Sehne durch ein übersichtliches Schema darzustellen, so würde sich ungezwungen das folgende ergeben, das man mit dem oben für das Nackenband gegebenen vergleichen möge: Blutgefässe Bindegewebsspalten (interfascieuläre) V Saftkanälchen Interfibrilläre Sl | RN Lymphgefässe. Ehe ich auf eine morphologische Vergleichung der Sehnen und elastischen Bänder weiter eingehe, sei hier noch einiger Injections- resultate gedacht, die sich an die von den Sehnen und dem Ligamen- tum nuchae erhaltenen sehr natürlich anreihen, insofern es sich in ihnen ebenfalls um die Füllung einer die Formelemente der betreffen- den Gewebe verkittenden im Leben weichen wasserreichen Materie handelt. Am nächsten kommen den Injectionsresultaten vom Nacken- bande die von mir!) vom Opticus beschriebenen, wie sie bekanntlich in analoger Weise?) von der weissen Substanz des Gehirns und Rücken- marks erhalten werden können. Hier findet selbst bei dem allerscho- nendsten Injectionsverfahren eine Füllung der im frischen Zustande von der sog. Neuroglia erfüllten Räume von den Lymphbahnen des Opticus aus statt. Ich habe mich bei einer früheren Gelegenheit schon dahin geäussert, dass sich dies aus der im Leben weichen nachgiebigen Beschaffenheit der Grundsubstanz der Neuroglia erkläre. Dieselbe zeigt also in dieser Beziehung viel Uebereinstimmung mit der interfibrillären Substanz des Bindegewebes und Nackenbandes; nur ist sie jedenfalls weniger wasserreich, da sie unter der Einwirkung coagulirender Sub- stanzen (z. B. Alkohol) in Form eines die heterogenen Formelemente (Nervenfasern) einschliessenden Netzes gerinnt, während in der inter- fibrillären Substanz die coagulirbaren Substanzen viel spärlicher ver- theilt sind und in Folge dessen nur äusserst lockere Niederschläge !) Handbuch der gesammten Augenheilkunde von GRAEFE und SAEMISCH. Bd. I. S. 341 —343. 2) C. FRomMAnN, Untersuchungen über die normale und pathologische Ana- tomie des Rückenmarkes. 2. Theil. Jena 1867. S. 15. 268 XVII. G. ScHwALßE. bilden. Das Verhalten gegen Silberlösungen, die Löslichkeit in Koch- salzlösungen von 10°/, ist in beiden Fällen dieselbe, sodass sich die Neuroglia, abgesehen von den zellisen Elementen, nur durch den ver- schiedenen Gehalt an festen und flüssigen Bestandtheilen von der Kittsubstanz des Bindegewebes unterscheiden dürfte!). Physiologisch fällt beiden die gleiche Aufgabe zu, die Saftströmung in den Geweben zu vermitteln, wozu sie wegen ihrer grösseren oder geringeren Imbi- bitionsfähigkeit im hohen Grade geeignet sind. Ganz ähnlich ist fer- ner die Rolle, welche die Kittsubstanzen der Epithelien und glatten Muskelfasern spielen, nach den Untersuchungen von ARNOLD?) und THomaA°). Auch sie scheinen sich weniger durch eine verschiedene Zusammensetzung als durch sinen verschiedenen Wassergehalt von der Kittsubstanz des Bindegewebes zu unterscheiden. Wenigstens stimmen, wie bekannt, die wichtigsten mikrochemischen Reactionen beider über- ein. In welcher Weise die Ernährungsflüssigkeit aus den Blutgefässen in die Kitisubstanz des Epithels hineingelangt, haben ArnorLD und THomA gezeigt. Ihre Weiterbeförderung in die Lymphgefässe scheint auf analoge Weise wie im Nackenbande zu geschehen. Wahrschein- lich wird hier die bei den Bewegungen des Körpers vielfach erfolgende Spannung und Erschlaffung der Cutis für die Förderung des Stromes in den Lymphgefässen der Haut in ähnlicher Weise zur Geltung kom- men, wie die Spannung der elastischen Bündel im Nackenband einen negativen Druck in den Lymphgefässen dieses Bandes herstellt, und die weitere Consequenz muss ein Ansaugen von Flüssigkeit aus der Kittsubstanz des Epithels in die Lymphgefässe der Cutis sein. Nehmen wir nun noch hinzu, dass es ArnoLp®) und L. GERLACH’) ferner gelungen ist, nach Einführung von Indigkarmin in den lebenden Körper eines Thieres den Farbstoff auch in den Fibrilleninterstitien !) Aus allen diesen Gründen kann ich mich der von Kry und Rerzıus in ihrem ausgezeichneten Prachtwerk „Studien in der Anatomie des Nervensystems und des Bindegewebes“ S. 203 vertretenen Auffassung nicht anschliessen. Was ich für ausgefüllt von der weichen coagulirbaren Grundsubstanz der Neuroglia beschrieben habe, halten jene Forscher für präformirte von einem verwickelten Zellennetz durchzogene Spalträume. 2) Ueber die Kittsubstanz der Epithelien. (Anatomischer Theil). VircHow’s Archiv. Bd. 64. S. 203 ff. 3) Ueber die Kittsubstanz der Epithelien. (Physiol. Theil.) VırcHow’s Archiv. Bd. 64. S. 394 ft. 4) Ueber das Verhalten des Indigkarmins in den lebenden Geweben. Medic. Centralbl. 1875. Nr. 51. 5) Ueber das Verhalten des indigschwefelsauren Natrons im Knorpelgewebe lebender Thiere. Habilitationsschrift. Erlangen 1876. Beiträge zur Kenntniss des elastischen Gewebes. 269 der quergestreiften Muskelfasern nachzuweisen, also in der die Elemente der Muskelfaser verkittenden Substanz, so ist für sämmtliche Gewebs- formen des Körpers die Bedeutung der „Kittsubstanz“ als Träger des Ernährungsstromes nachgewiesen, nicht blos eine morphologische, son- dern auch eine physiologische Aehnlichkeit oder Uebereinstimmune zwischen den Kittsubstanzen der Epithelien, der Bindesubstanzen, des Muskel- und Nervengewebes nicht zu verkennen. Ueberall tritt der Ernährungsstrom aus den Blutgefässen in die weiche quellbare Kitt- substanz, aus welcher dann der Ueberschuss von Flüssigkeit durch die Lymphgefässe aufgesaugt und weiter befördert wird. Nach diesem allgemeinen Umblick kehre ich zur Betrachtung des Nackenbandes zurück und speeiell zu der schon bei der Betrachtung der Lymphbahnen berührten Vergleichung der Architektur des Nacken- bandes mit der der Sehne. Soviel ist klar ersichtlich, dass ein Bün- del elastischer Fasern, wie es von den Nachbarbündeln, meist nur un- vollständig, durch lockeres Interstitialgewebe abgegrenzt wird, nur einem ebenso, aber vollständig abgegrenzten secundären Sehnenbündel verglichen werden kann. Letzteres unterscheidet sich dann von unse- ren „elastischen Faserbündeln“, abgesehen von dem geringeren Durch- messer, von der vollständigeren Abgrenzung dadurch, dass in ihm eine Sonderung in primäre Bündel durch die Existenz feinster Saftröhren mit sternförmigem Querschnitt eingetreten ist, während man solche primäre Bündel am gelben Nackenbande der Wiederkäuer nicht unter- scheiden kann. Bei der entwickelten Sehne liegen ferner die platten Zellen den primären Bündeln an, mit freien Flächen in die Saftlücken hineinschauend ; beim Nackenband sind die Zellen in der Mehrzahl der Fälle mit einem Theile ihrer Substanz den elastischen Fasern an- gelagert, im Uebrigen eingebettet in die fibrillenhaltige Kittsubstanz. Sie verhalten sich also zur Intercellularsubstanz, wie die Zellen em- bryonaler Sehnen, die ja bekanntlich ebenfalls allseitig von Intercellu- larsubstanz begrenzt werden. Während nun bei den Sehnen später Saftkanälchen sich bilden, sei es innerhalb der früheren Zellenzüge durch eine Art Vacuolisirung derselben, sei es dadurch, dass die Zel- len dabei einfach zur Seite gedrängt werden, bleiben die Zellen des Nackenbandes zeitlebens von der wasserreichen Intercellularsubstanz umschlossen, ohne dass sie jedoch ihre Beziehungen zu den elastischen Fasern verlieren. Die Verzweigung der Blut- und Lymphgefässe stimmt dagegen in ihren allgemeinen Verhältnissen in Sehne und Nackenband überein; in beiden verlaufen sie zunächst in den bindegewebigen Sep- ten der secundären Bündel resp. elastischen Faserbündel. Ein Punkt bedarf schliesslich noch einer etwas genaueren Krörte- 270 XVII. G. ScHwALBE. rung, die Beziehungen der Zellen zu den elastischen Fasern. Ich habe oben bereits mehrfach darauf hingewiesen, wie die meisten Zellen we- nigstens mit dem kernhaltigen Theile ihres Körpers den elastischen Fasern anliegend gefunden werden. Daraus folgt aber nicht, wie schon oben gegenüber Tury hervorgehoben wurde, dass Zellen und elastische Fasern &ontinuirlich seien. Ich muss vielmehr ausdrücklich die leichte Isolirbarkeit und gänzliche chemische Verschiedenheit beider Gebilde betonen. Nie erhält man Bilder, welche etwa die elastischen Fasern als Auswüchse spindelförmiger Zellen erscheinen lassen. Aber auch im embryonalen Nackenbande konnte ich keine Zellen- auswüchse, die zu elastischen Fasern sich gestalten würden, entdecken. Derartige Fortsätze spindelförmiger embryonaler Bindegewebszellen sind vielmehr durch chemische Reactionen, sowie durch ihr verschiedenes optisches Verhalten, leicht von den daneben liegenden feinen elasti- schen Fasern zu unterscheiden. Ich habe die feinen elastischen Fasern im Nackenbande 12!/, resp. 36cm. langer Schafembryonen auf weite Strecken verfolgt, ohne auf eine Spur eines direkten Zusammenhanges mit den erwähnten embryonalen Bildungszellen zu stossen. Ich muss deshalb mich im Wesentlichen der zuerst von H. Müruer!) aufgestell- ten Ansicht, dass die elastischen Fasern nicht aus, sondern neben den Zellen entstehen, anschliessen, einer Ansicht, die von Baur?) im We- sentlichen acceptirt wurde und die auch einen so gewichtigen Gegner, wie KÖLLIKER?), später zu ihrem Anhänger bekehrt hat. Genaueres über die Literatur dieses Gegenstandes möge man in der citirten Dissertation von Cayk?) nachlesen. Die feinen Fasern des embryonalen Nacken- bandes verlaufen ferner auf weite Strecken ungetheilt; ich habe oben schon hervorgehoben, wie die späteren spitzwinkligen Theilungen und Verbindungen durch seitliche Verwachsung der stetig sich verdicken- den Fasern herausbilden. Noch ein anderer Punkt ist hier zu erwäh- nen. Ich habe mich nie davon überzeugen können, dass leimgebende Fasern, Bindegewebsfibrillen, die Vorläufer der elastischen Fasern seien, stets sah ich dieselben gleich von vornherein mit allen ihren charak- teristischen Eigenschaften ausgestattet entstehen. In den jüngsten von mir untersuchten Stadien (Nackenband eines 12!/, cm. langen Schaf- embryo) waren nicht einmal Bindegewebsfibrillen nachzuweisen, sondern alle Fasern zeigten den Charakter elastischer. Die elastischen Fasern !) Bau der Molen. 1847. S. 62. Anmerk. Würzb. Verhandlungen. Bd. X. 1859. 2) Entwicklung der Bindesubstanz. Tübingen 1858. S. 25. 3) Neue Untersuchungen über die Entwicklung des Bindegewebes. Würzb. naturw. Zeitschrift 1I. 1861. 4) 1. ce. 8. 3—6. 3eiträge zur Kenntniss des elastischen Gewebes. 971 haben also zu keiner Zeit der Entwiekelung etwas mit Bindegewebs- fibrillen zu thun. Es wurde soeben der direkte Zusammenhang der elastischen Fasern mit Zellen, ihre Entstehung durch Auswachsen zelliger Ele- mente in Abrede gestellt. Damit soll aber keineswegs die hohe Be- deutung geleugnet werden, welche den Zellen in anderer Weise für die Entwickelung der elastischen Substanz zukommt. Schon oben wurde erwähnt, wie im processus vocalis des Arytänoidknorpels ela- stische Ablagerungen in der Grundsubstanz, sei es in Form von Kör- nern oder Fasern, stets zuerst in der Umgebung der Zellen auftreten (vergl. DEUTSCHMANN !) und Ranvier ?)). Dasselbe besagen die bereits erwähnten Untersuchungen O0. Herrwic’s für den Ohrknorpel. Hier erfolgt die Bildung der ersten Fasern unmittelbar auf der Oberfläche der Zellenreihen, und auch für das Nackenband ist eine innige An- lagerung von Zelle und elastischen Fasern zu allen Zeiten der Ent- wickelung nachweisbar, mag man diese Fasern nun als eine einseitige Ausscheidung oder als Umwandlungsprodukte der peripheren Partieen des Zellprotoplasmas ansehen. Sehr charakteristisch wird dies Lage- rungsverhältniss auch bewahrt in gewissen Uebergangsformen zwischen elastischen und fibrösen Bändern, wie z. B. im Ligamentum nuchae des Menschen. Dasselbe zeigt in seinen einzelnen Bündeln im All- gemeinen den Bau der Sehne. Es unterscheidet sich aber von den gewöhnlichen Sehnen dadurch, dass die Sternfiguren, welche die be- kannten Lücken zwischen den primären Bündeln darstellen, mehr oder weniger vollständig von einer oder mehreren Reihen von Querschnitten elastischer Fasern umstellt sind, während die centralen Partieen der primären Bündel aus Bindegewebsfibrillen bestehen. Ganz analoge Beobachtungen kann man am Ligamentum vocale des Menschen machen. Also auch in diesen Fällen liegen die elastischen Fasern möglichst den die primären Bündel bekleidenden Zellen an. Es schliesst sich somit dies Verhalten ganz dem an, welches von Key und Reızıus für die Häutchen des lockeren Bindegewebes beschrieben worden ist: denn auch hier liegen die feinen elastischen Fasernetze unmittelbar unter den die Bindegewebshäutehen bekleidenden Endothelien. Ich beschliesse damit die Aufzählung meiner Beobachtungen über Bau und Entwickelung des elastischen Gewebes. Man könnte von mir noch zum Schlusse die Beantwortung der Frage verlangen, welche 1) Ueber die Entwicklung der elastischen Fasern im Netzknorpel. Archiv von REICHERT und pu Boıs-Reymono. 1873. 8. 732, ?) Trait@ technique d’histologie. p. 412. Fig. 146. Zeitschrift f. Anatomie. Bd. II. . 202 XVII. G. ScHwALBE. Stellung man dem elastischen Gewebe im Systeme der Bindesub- stanzen anzuweisen habe, ob man überhaupt nach Allem berechtigt sei, von einem besonderen elastischen Gewebe zu reden, da doch seine Formelemente keine anderen als die des Bindegewebes sind. Nun darüber kann wohl kein Zweifel sein, dass dem elastischen Ge- webe keine selbständige Stellung in der Reihe der Bindesubstanzen neben den 3 Hauptarten derselben: Bindegewebe, Knorpel und Knochen zukomme, dass es jedenfalls unter die grosse Unterklasse „Bindege- webe“ gehört. Aber innerhalb dieser muss es in seinen extremen Formen jedenfalls eine selbstständige Stellung beanspruchen, wenn man überhaupt nicht jede weitere für die systematische Beschreibung so zweckmässige Eintheilung aufgeben will. Zu einer solchen Abgrenzung berechtigen die mancherlei Bigenthümlichkeiten des Baues, deren Be- sprechung Gegenstand dieses Aufsatzes gewesen ist. Nachträgliche Bemerkung. Nachdem bereits vorstehende Abhandlung niedergeschrieben war, erfuhr ich gelegentlich einer Ferienreise durch gütige mündliche Mit- theilung von W. Künne, dass derselbe bei einer in Gemeinschaft mit Herrn Dr. Ewanp angestellten Untersuchung einen schönen Querzer- fall der elastischen Fasern unter der verdauenden Wirkung des Tryp- sin erhalten habe Auch Herr Prof. Hıs zeigte mir Präparate elastischer Fasern, welche nach Behandlung mit Natron der Pepsin-Ver- dauung unterworfen waren, an denen die Andeutung einer Quer- streifung erkannt werden konnte. Endlich erhielt ich vor wenigen Tagen eine unter Leitung von A. BunpsE ausgearbeitete Greifswalder Dissertation von J. Bur@: „Veränderungen einiger Gewebe und Sekrete durch Magensaft“, in welcher der Querzerfall elastischer Fasern aus dem Ligamentum nuchae der Kuh und des Kalbes, sowie der ge- fensterten Membranen der Arterien unter der Einwirkung von Magen- saft beschrieben wird. Der Querzerfall tritt bei dieser Methode sehr rasch ein, ist schon nach 4 bis 8 Stunden deutlich ausgebildet und hat bereits nach 86 Stunden zu einer vollständigen Zerstörung der elastischen Elemente geführt. Beiträge zur Kenntniss des elastischen Gewebes. 973 Erklärung der Abbildungen. Tafel XT. Fig. 1. Elastische Fasern aus dem Nackenband des Ochsen, durch längere Maceration in Chromsäure 1/,%, der Quere nach zerklüftet. a bei Einstellung auf die Axe der Faser. Bei b sind Theile der Membran sichtbar. Vergrösse- rung D00. Fig. 2. Elastische Fasern aus dem Nackenbande des Ochsen nach eintägiger Behandlung mit 35procentiger Kalilösung. Die Querstreifung ist in den Fasern a und e durch partielle Verdichtungen der Substanz, in der Faser b durch locale Verbreiterungen der Faser bedingt. Vergrösserung 500. Fig. 3. Elastische Fasern aus dem Nackenbande des Ochsen, nach Mace- ration in Jodserum. An zwei Stellen hat sich die Scheide von der Oberfläche abgehoben. Vergrösserung 450. Fig. 4 Elastische Fasern aus dem Nackenbande des Kalbes mit anliegen- den Zellen. Präparat aus Mürver’scher Lösung. Vergrösserung 500. Fig. 5. Querschnitt durch einen Theil zweier benachbarter elastischer Faserbündel des Nackenbandes vom Ochsen. ab ist der trennende interfascieuläre Bindegewebsstreif mit Kernen und Gefässe-Durchschnitten. Es ist bemerkens- werth, dass die unmittelbar an ihn grenzenden elastischen Fasern einen viel kleineren Durchmesser besitzen, als die entfernteren. In der linken unteren Hälfte des Bildes sind bei e die Kerne der Zellen des elastischen Gewebes ein- gezeichnet. Vergrösserung 500. Fig. 6. Querschnitt durch die elastischen Fasern des Nackenbandes vom Kalb. Vergrösserung 500. Fig. 7. Longitudinaler Lymphgefässstamm mit feineren Seitenzweigen aus dem Nackenbande des Ochsen, durch Injeetion von Argentum nitrieum 1/,0/, dar- gestellt. Das interfasciculäre Bindegewebe, in welchem der Längsstamm ver- läuft, ist hell gelassen, die angrenzenden elastischen Fasern sind durch longitu- dinale Schraffirung dargestellt. Vergrösserung 20. Fig. Ss. Lymphgefäss aus dem Nackenband des Ochsen nach Einspritzung von Argentum nitriecum 1/30/9. Endothelgrenzen deutlich markirt. Interfaseieu- läres Bindegewebe als helle Lücke, elastische Fasern durch Schraffirung darge- stellt. Vergrösserung 50. = xXVHI. Zur Kenntniss der Hautdrüsen und ihrer Muskeln. Von Dr. Fr. Hesse, Proseetor in Leipzig. (Hierzu Tafel XII.) Aus den Untersuchungen der glatten Muskulatur, mit denen ich mich längere Zeit beschäftigt habe, greife ich einen Abschnitt heraus, dessen selbständige Behandlung sich durch die grosse Ausdehnung und die Verschiedenheiten im Baue der einzelnen Gegenden des untersuchten Organes rechtfertigen dürfte. Obgleich die folgenden Zeilen keine wesentlich neuen Beobachtungen über die Anordnung und Wirkung der glatten Muskeln in der menschlichen Haut enthalten werden, glaube ich, dass es keine zwecklose Arbeit ist, die Resultate meiner Beobach- tungen mit denen anderer Forscher zu vergleichen und die Aufmerk- samkeit der Leser auf Eigenthümlichkeiten in der Anordnung der glatten Muskeln der Haut zu richten, welche sicher noch Gegenstand späterer Untersuchungen sein werden; und zwar wird einmal die Kr- kennung der Lymphbahnen der Cutis, andererseits die der Entwick- lung der Hautdrüsen dem glatten Muskelgewebe derselben jede noch einen besonderen Abschnitt widmen müssen. Allgemeines. Ueber die allgemeinen Eigenschaften der glatten Muskeln ver- weise ich auf die Literatur, die von J. ARNOLD!) sorgsam zusammen- gestellt ist. Nur auf einen Punkt will ich näher eingehen, der mir auch in den neuesten histologischen Lehrbüchern nicht genügend klar geschildert zu sein scheint, obschon er an verschiedenen Orten Er- l) J. Arvord. Das Gewebe der organischen Muskeln. Leipzig 1869. Engelmann. Zur Kenntniss der Hautdrüsen und ihrer Muskeln. 275 wähnung findet. An Stellen, wo das glatte Muskelgewebe sich sehr reichlich findet, dürfte dessen sichere Hrkenntniss kaum Schwierig- keiten bereiten. Anders da, wo die glatten Muskelzellen spärlich und in inniger Nähe von elastischem und Bindegewebe vorkommen. Iso- lationsmethoden sind, da es sich häufig um den Nachweis der Muskel- zellen an ganz bestimmten Lokalitäten handelt, nicht anwendbar und man bleibt auf ihre Erkennung in Schnittpräparaten angewiesen. Die Muskelzellen sind aber da, wo ihr Nachweis Schwierigkeiten macht, so dünn und liegen oft so eng an einander, dass selbst ein sehr feiner Schnitt noch mehrere Zellenlagen über einander enthält. Noch ver- mehrt werden die Conturen der Zellgrenzen durch die Conturen der Sehnittflächen; denn die allergrösste Mehrzahl der Schnitte muss die Muskelzellen schief treffen. Eine Verwechslung eines solchen Schnittes mit streifigem Bindegewebe ist in der That leicht möglich. Sind die Kerne der Zellen gut sichtbar, so kann allerdings, namentlich wenn nicht zu viele Muskelzellen auf einander liegen, die Form und An- ordnung der Kerne schon eine ziem- lich sichere Bestimmung ermöglichen. Völlise Sicherheit aber verschafft erst der Querschnitt des Gewebes. Die lang- gestreckten, spindelförmigen Zellen des glatten Muskelgewebes enthalten in ihrer Mitte den stäbchenförmigen Kern und sind unregelmässig an einander gefügt. Im Allgemeinen liest das spitze Ende einer Zelle neben dem dickeren Mittel- theile eines benachbarten. Auf dem 8rschnitt eines glatten Huskelbündels Querschnitte erhält man daher Flächen aus dem Ligamentum uteri rotund. die aus einer Mosaik zusammengesetzt Vergrösserung: == sind. Die kleinen Felder der Mosaik | sind die Querschnitte der Muskelzellen und sind, da der Schnitt die einen Zellen näher der Mitte, die anderen näher dem Ende trifft, von verschiedener Grösse. Die ersteren nur können den Kern zeigen. Aber man muss ihn nicht in jedem grossen Felde finden, denn die Zelle behält ihre Dicke unter und über dem Kerne noch ein Stück bei, und andererseits kann auch ein kleineres Feld einen Kern besitzen; es gehört dann einer kleineren Muskelzelle an. Die Grösse der Kerne variirt in geringerem Grade als die der Muskelzellen, sodass in den Querschnitten kleiner Zellen der Kern absolut und relativ durch eine viel kleinere Plasmazone von der Oberfläche der Zelle geschieden wird als in den grösseren. Fig. 1. 276 XVIII. Fr. H&sse. Die starke Färbbarkeit der Kerne erleichtert ihren Nachweis auch in Schnitten wesentlich. Mit dem Nachweise des beschriebenen Bil- des ist jeder Zweifel, dass man glattes Muskelgewebe vor sich habe, beseitigt, und die Meinungs-Differenzen wie sie z. B. der Nachweis eines Dilatator pupillae auch neuerdings wieder herbeigeführt hat, sind auf diesem Wege sicher zu beseitigen. In den beiden Abbildungen, die ARNOLD (l. ec.) vom Querschnitt des glatten Muskels gibt, sind die Felder der Mosaik alle fast gleich gross. In Fig. 6 sind sie durch grosse Zwischenräume von einander getrennt, in denen Punkte liegen, die durch ein feines Netzwerk mit einander zusammenhängen. Auch in Krause’s Abbildung!) 8. 266 fehlen die kleinen Querschnittee Die Kerne finde ich, wie es auch SCHWALBE?) angibt, central gelegen und konnte Krause’s Angabe, Fig. 2. (l. e. 8. 100 und 266) dass sie theils wand- ständig, theils central gelegen seien, nicht be- stätigen. Zur Entscheidung darüber empfiehlt es sich Muskelgewebe mit grösseren Zellen zu nehmen, als sie sich, die Tunica dartos ausge- nommen, in der Haut finden. Der Schwierig- keit sich durch ein Flächenbild eine Vorstel- lung von der Aneinanderlagerung der Muskel- zellen zu verschaffen, habe ich oben gedacht. Als ein Object, in welchem das aber mit der leichtesten Mühe geschehen kann, lernte ich die Muskellage kennen, welche die Wand der grossen Schweissdrüsen der Achselhöhle bildet. Durch Zerzupfen eines solchen Drüsenbläschens verschafft man sich rasch das schönste Demon- strationspräparat und durch Behandlung mit salpetersaurem Silber lassen sich die Zellgren- Muskelzellen aus der Wand zen mit derselben Schärfe darstellen wie an einer Ahselares: Ve Eindothelien.®) Ueber das Nähere hierüber vergl. em S. 283. Dass in die Zusammensetzung der Haarbalgmuskeln in der Cutis des Hundes zahlreiche elastische Fasern eingehen, ist neuerdings von 1) W. Krause, Allgemeine und mikroskopische Anatomie. 1876. 2) G. Schwause, Beiträge zur Kenntniss der glatten Muskelfasern. Archiv für mikroskopische Anatomie. IV. S. 392. 3) Vergl. v. RECKLINGHAUSEN, die Lymphgefässe und ihre Beziehungen zum Bindegewebe. Berlin 1862. Zur Kenntniss der Hautdrüsen und ihrer Muskeln. DI W. Srwrruıng!) nachgewiesen worden. Nach den Erfahrungen, die ich aus Schnitten und Verdauungspräparaten gewonnen habe, kann ich das für dieselben Muskeln des Menschen dahin bestätigen, dass auch sie zahlreiche feine elastische Fasern enthalten; aber dieselben haben hier nicht einen so grossen Antheil an der Zusammensetzung des Muskels, wie es STIRLING am Hunde beschreibt. Die glatten Muskeln finden sich in der Haut an zwei Orten. Entweder sie sind im Aufbau der Drüsen verwendet, und bilden einen Theil der Drüsenwand oder sie stehen zu diesen in keiner näheren Beziehung und sind zwischen die Cutisbündel verstreut. Am reich- lichsten finden sich die letzteren an der Areola der Brustwarze, am Scrotum und in der Haut des Perineums, wo sie über den binde- gewebigen Theil der Cutis das Uebergewicht erlangen. Von den Hautdrüsen besitzen sowohl die tubulösen, als ein Theil der acinösen glatte Muskeln. Il. Die acinösen Hautdrüsen. Da das Secret der kleinen acinösen, oder Talgdrüsen der Haut ein sehr wasserarmes ist und da die Oefinungen ihrer Ausführungs- sänge der dauernden Berührung mit der atmosphärischen Luft ausge- setzt sind, so darf man Einrichtungen erwarten, welche die Störungen, in der Entleerung des Drüsensecretes, wie sie diese beiden Umstände begünstigen, zu verhindern bestimmt sind. Das einfachste und ver- breitetste Mittel, welches diesem Zwecke entspricht, besteht darin, dass die Mündung der Drüse auf die Hautoberfläche durch Einfügung eines starren Häärchens offen erhalten wird. Für die gesammte Körperober- fläche, die wir nicht ausdrücklich als behaart bezeichnen, ist dies die Bedeutung der zahlreichen kleinen Häärchen, die wir bei genauerer Betrachtung dort finden; sie wird bestätigt durch die mikroskopische Untersuchung, welche in der Wand einer jeden Taledrüse ein kleines Häärchen zeigt, das durch die Pore der Drüse auf die Hautoberfläche 1) W. StirLine, Beiträge zur Anatomie der Cutis des Hundes. Berichte der math. physik. Klasse der königl. sächs. Gesellsch. der Wissenschaften. 1875. 8. 221. 278 XVIII. Fr. Hesse. gelangt. Für ein dünnflüssiges Secret könnte dasselbe ähnlich wirken, wie der Glasstab, den man in ein Gefäss legt, aus dem man Flüssig- keit giesst; in unserem Falle aber dürfte ihm eine grössere Bedeutung dadurch zukommen, dass durch Kleidungsstücke die Hautoberfläche häufig gerieben wird. Die Hebelbewegungen, welche das Haar, wenn es gegen diese Kleidung anstösst, nach den verschiedensten Richtun- sen hin beschreibt, werden es gegen die Wände der Pore andrängen, und dadurch einen Verschluss derselben durch trockne Secretmassen erschweren. Es ist fast überflüssig, daran zu erinnern, dass diese Reibungen der Häärchen bei jeder Körperbewegung über ganze Haut- flächen hin eintreten und ausserordentlich häufig erfolgen. Für die Entleerung des Drüsensesretes sind aber die Häärchen von um so grösserer Bedeutung als hier eine active Entleerung durch Drüsen- muskeln nicht Statt hat, sie vielmehr die hauptsächlichste Unter- stützung zur Entleerung nur in den wechselnden Spannungszuständen der Haut haben, wie sie durch die Contraction der willkürlichen Mus- keln hervorgebracht werden. Das häufige Vorkommen von Verstopfung der Drüsenporen in der Haut der Stirn und Nase ist zum Theil da- durch zu erklären, dass die straffe Befestigung dieser Hautflächen auf ihrer wenig beweglichen Unterlage selten und geringe Spannungs- wechsel in der Haut bedingt; doch mag die Feinheit der Häärchen (wie auch am obern Abschnitt des Rückens) und die lange Ruhe in der sich dieselben befinden, weil sie nicht von Kleidungsstücken be- deckt sind, als begünstigendes Moment hinzukommen. An den eigentlich „behaarten“ Hautgegenden treten Haar und Talgdrüse durch Vermittlung des M. arrector pili in eine noch viel engere Beziehung zu einander. Als Untersuchungsobjeet wählen wir die Kopfhaut. Ein Längsschnitt, der parallel der Richtung der Haare senkrecht gegen die Oberfläche der Haut geführt ist (Taf. XII. Fig. 1) zeigt be- kanntlich, dass die Haare nicht senkrecht in der Haut stehen, sondern mit der Hautoberfläche einen Winkel bilden, dessen Grösse nach der Oertlichkeit varürt. In dem stumpfen Winkel liegt zwischen Rete Malpighi und Haarbalg die Talgdrüse, deren unteres Ende etwa bis in die Mitte der Haarwurzel hinabreicht, und deren Oefinung unter- halb des Rete Malpighi in den Haarbalg mündet. Kleinere Drüsen- bläschen findet man wohl auch auf der entgegengesetzten Seite des Haares, in dem spitzen Winkel. Die Taledrüse hat die Gestalt eines länglichen, im Mittelstück erweiterten, mehrfach ausgebuchteten Schlauches und sie liegt mit der einen Wand dem Haarbalg dicht an. Den M. arrector pili sieht man auf diesem Schnitte als einen schmalen, Zur Kenntniss der Hautdrüsen und ihrer Muskeln. 279 parallelstreifigen Zug dicht an der dem Haare gegenüberliegenden Wand der Talgdrüse von ihr nur durch eine dünne, gefässtragende, bindegewebige Scheidewand getrennt. Am unteren Ende «er Drüse breitet sich der Muskel etwas aus. Ein Theil seiner Bündel biegt sich, der Convexität des Drüsenfundus eng angeschmiegt, an die Scheide- wand zwischen Haar und Drüse herauf, der übrige Theil tritt in der früheren Richtung gegen den Haarbalg; das untere Stück des Muskels bekommt so die Form einer dreieckigen Platte, deren eine Kante aus- gehöhlt ist. (Taf. XII Fig. 3.) Nach oben verfolgt man den Muskel bis in die oberen Lagen der Cutis. Die Talgdrüse findet sich also in dem schmalen Dreieck, welches durch die untere Fläche der Epidermis, den Arrector pili und den Haarbalg begrenzt ist, eng eingeschlossen. Im Querschnitt, der senkrecht gegen die Richtung der Haare ge- führt ist, (Taf. XII Fig. 2) zeigt sich in dem oberen Abschnitte der Cutis die Sehnittfläche in eine Anzahl Gruppen abgetheilt, deren jede drei bis vier Haare mit den zugehörigen Talgdrüsen umfasst. Jede Gruppe wird von der anderen durch reichlichere Bindegewebszüge abgegrenzt. Regelmässig liegt die grösste Masse der Talgdrüsen an der Einen Seite der Haare, der dem stumpfen Winkel derselben entprechenden. Der M. arreetor pili findet sich jetzt querdurchschnitten als eine lange und schmale, gebogene Platte, welche der dem Haare gegen- überliegenden Drüsenwand eng anliegt, von ihr wie im Längsschnitt, nur durch die dünne gefässhaltige Bindegewebsplatte getrennt. Die beiden Enden der muskulösen Platte spitzen sich zu, ihre grösste Dicke hat sie in der Mitte. Statt Einer continuirlichen Platte sieht man noch häufiger durch die Mitte derselben einen schrägen Bindegewebszug verlaufen, welcher sie in zwei kleinere Platten abtheilt, deren mittlere Spitzen sich decken wie es auch in der Fig. 2 gezeichnet ist. Ist der Schnitt dünn genug, so lässt sich in der ganzen Platte die für den Querschnitt glatten Muskels charakteristische Mosaik nachweisen. Entsprechend der geringen Dicke der Muskelzellen sind die einzelnen Felder sehr klein. Dazwischen wird man immer feine, punktförmige (Juerschnitte von elastischen Fasern finden. Neben und über der Einmündung der Drüse in den Haarbalg trifft man den Querschnitt seines: oberen Endes in der Cutis wieder und zwar hat sich hier der Muskel wieder in einzelne dickere Bündel getrennt. Der M. arrector pili bildet demnach eine schleuderartige, con- cave, muskulöse Platte, welche von drei bis vier Haarbälgen mit ebenso vielen schmalen Zipfeln entspringt, und sich auch am oberen Ende wieder in mehrere Zipfel trennt, Bei seiner Contraction wird 280 XVIlI. Fr. Hesse. der Muskel in der That das Haar aufrecht stellen und ein wenig emporheben; aber dies ist nicht seine ausschliessliche Funktion. Seine Lage und seine Form machen ihn vielmehr geeignet, die con- vexe Drüsenwand geradlinig zu machen, sie gegen das Haar hinzu- drängen und so den Raum der Drüse zu verkleinern. Eine grosse Unterstützung in dieser Aufgabe erhält der Muskel dadurch, dass er gleichzeitig das Haar aufrecht stellt. Denn dadurch wird die, dem Haare anliesende Drüsenwand ebenfalls gegen die Mitte des Drüsen- lumens hingedrängt und die Drüse zwischen Haar und Muskel in eine Presse genommen, deren Resultat ein Ausdrücken des Drüsen-Inhaltes sein muss. Eine weitere Erleichterung dieses Vorganges geschieht dadurch, dass das obere Ende der Haarwurzel bei der Geradstellung nach der der Drüsenöffnung gegenüberliegenden Seite tritt, und so die Drüsenöffnung in der Epidermis frei gehalten wird, über die sich sonst das Haar schief lest. Das Heben und Senken des Haares kann wennschon die Exeursion der Bewegung gering ist die Reinigung der Pore begünstigen, zumal die Oberfläche des Haares eine nach aufwärts gerichtete Zähnelung besitzt. — Die kleinen Muskeln der behaarten Haut sind demzufolge in erster Linie Drüsenmuskeln, und ihre Be- nennung als Arrectores pilorum ist von einer nebensächlichen Funk- tion genommen gegenüber der Hauptleistung, die sie als Expressores sebi erfüllen. !) Mit geringen Modificationen findet dieselbe Beziehung zwischen Drüsen und Muskeln, wie an der Kopfhaut an anderen Hautgegenden statt. Die Barthaare treten nicht zu Gruppen zusammen und es liegt an jedem einzelnen Haare eine grosse Talgdrüse. Der zugehörige Muskel liegt an der dem Haare abgewendeten Drüsenwand und findet sich dort öfter noch in mehreren dieken Bündeln als in einer schma- len Platte. Am Mons Veneris ist das Verhalten wie am Kopfe, an Haaren des Mittelfleisches desgleichen, nur schiebt sich hier reich- liches Bindegewebe zwischen die kleine Talgdrüse und den langen Muskel. Die Haut der Stirne und des Rückens steht in der Mitte zwischen den Hautgegenden, die dieser Drüsenmuskeln völlig entbehren und der des Kopfes. Es finden sich nämlich hier zahlreiche, starke und dünnere Muskelbündel, welche in sehr schräger Richtung zwischen den Cutisbündeln zur Oberfläche emporsteigen. Sehr häufig lest sich dabei der Muskel eng an den Grund einer Talgdrüse an. Die Haare reichen nicht tief genug in die Cutis hinab, um dem Muskel zur In- 1) Vgl. Köruıker, Handbuch der Gewebelehre d. Menschen (1867) S. 98. — Brücke, Vorlesungen über Physiologie. Wien 1874. 8. 401. — Krause 1. c. S. 113. Zur Kenntniss der Hautdrüsen und ihrer Muskeln. 281 sertion zu dienen, doch kann er so trotzdem einen Druck auf die Drüse ausüben. Der Haare und Muskeln entbehren nur wenige acınöse Hautdrüsen, so die der kleinen Schamlippen. Es mag aber hervorgehoben werden, dass der Ausführungsgang in Folge der oberflächlichen Lagerung der Drüsen hier sehr kurz ist und ein weites Lumen mit einer sehr dicken Epithelwand besitzt. An pigmentirten Hautstellen, wie an den Labien, Penis, Scrotum i. s. w. sieht man häufig pigmenthaltige Zellen sich noch eine Strecke weit an der Aussenwand des Ausführungsganges nach abwärts er- strecken. Die Grösse der Talgdrüsen ist bekanntlich sehr verschieden in den verschiedenen Hautgegenden. Ihre Form hängt vorzugsweise von der Richtung der Cutisbündel ab; als Extreme kann man in dieser Beziehung die des Rückens denen des Penis gegenüberstellen. Hier schieben sie sich zwischen die parallel der Oberfläche ringförmig ge- lagerten Cutisbündel und bilden flache, breite verzweigte Platten, dort senken sie sich zwischen die senkrecht zur Cutisoberfläche aufsteigen- den Bündel als langgestreckte Schläuche hinab. Quergestreifte Muskeln sieht man am Augenlid nebenbei zur Entleerung von Hautdrüsen verwendet. Die Meısom’sche Drüse ist nämlich in ihrer ganzen Länge von dem quer über das Augenlid hinwegziehenden M. palpebralis bedeckt und wird durch ihn beim Lidschlag gegen die Schleimhaut des Lides, resp. gegen den Bulbus gedrückt. Am vorderen Ende der Drüse finden sich ausserdem noch transversale Muskelbündel zwischen Ausführungsgang und unterer Lidfläche. — Für die Bewegung der Haare finden quergestreifte Mus- keln bekanntlich an den Tasthaaren Verwendung; sie inseriren hier an einer sehnigen Röhre, von welcher das Haar mit seinen Wurzel- scheiden und den grossen Blutsinus eingeschlossen wird. II. Schlauchförmige Drüsen. Auch im Baue der schlauchförmigen Drüsen ist es wesentlich ihre Ausstattung mit glatten Muskelzellen, über die ich in den fol- senden Zeilen sprechen werde. Das Wenige worin sonst meine Unter- suchungen mit den früheren nicht übereinstimmen, soll dabei gelegent- lich Erwähnung finden, Die schlauchförmigen oder Knäueldrüsen, zu 282 XVIII Fr. Hesse. denen die Schweissdrüsen, die des äusseren Gehörganges, der Achsel- höhle und die Circum-Analdrüsen gehören, bestehen aus dem engen ge- streckt verlaufenden Ausführungsgange und dem weiteren in einen Knäuel aufgewundenen Drüsenschlauche. Beide unterscheiden sich ausser durch die Grösse ihres Durchmessers durch den Bau ihrer Wandung. Das obere Ende des Ausführungsganges pflegt sich in der Nähe der unteren Fläche des Rete Malpighi trichterförmig zu erwei- tern, sein unteres Ende mit mehreren Windungen an denen des Knäuels Theil zu nehmen. Die Ausmündung der Drüse erfolgt selbständig; die Vereinigung zweier Ausführungsgänge gehört zu den Ausnahmen; ihre Einmündung in den oberen Abschnitt des Haarbalges beobachtete ich häufig in den grossen Drüsen der Achselhöhle und des Anus und zwar lag hier die Mündung der Knäueldrüse stets höher, der Haut- oberfläche näher als die der Talgdrüse. In der Cutis des Hundes ist diese Art der Ausmündung der Schweissdrüsen bekanntlich die Regel). Dass Sehweissdrüsen in die Bälge der Cilien mündeten (W. Krause?) habe ich nicht gesehen, vielmehr finde ich mit HENLE?) den vorderen, eilientragenden Abschnitt des Lides frei von Schweissdrüsen. Auch im knorpligen Gehörgange münden nicht die Knäueldrüsen, sondern nur die dort befindlichen kleinen acinösen Drüsen in die Haarbälge. Ueber das Epithel der Drüsenschläuche hat zuletzt HsynoLn®) sorgfältige Beobachtungen veröffentlicht, denen ich in wenigen Punkten nicht beistimme. So schreibt er allen Schweissdrüsen ein einfaches cylindrisches Epithel zu, während in der Planta pedis doch das enge Lumen der Drüsenröhren von einer 3--4fachen Lage rundlicher Zellen umgeben ist, Vor einer Verwechslung mit dem Ausführungsgange schützt der grössere Durchmesser und die Ausstattung der Wand mit Muskelzellen. Muskelzellen finden sich wohl an allen Schweissdrüsen.?) Sie verlaufen der Axe der Drüse parallel und finden sich nur in einer Lage neben einander. Aber von den Drüsenschläuchen die mit einer ununterbrochenen Muskellage versehen sind, bis zu denen an deren Wand sich nur hin und wieder einige Muskelzellen zeigen, gibt es zahlreiche Uebergänge.®) Immer pflegen die grösseren Drüsen der Hand, 1) CHmopakowskı, Ueber die Hautdrüsen einiger Säugethiere. Dorpat 1861. und W. STIRLING. 1. ce. 2) Krause, ]. e. S. 107. 3) HENGE, Anatomie des Menschen. II. Bd. S. 37. 4) HEeynoLpD, Ueber die Knäueldrüsen des Menschen. (Virch. Archiv Bd. 61.) 5) Vergl. W. Krause, Medicin. Centralblatt 1873. Heft 52. 6) Vergl. E. Hörscnenmann, Anatomische Untersuchungen über die Schweiss- drüsen des M. in Hormann und Schwauge’s Jahresberichten 1875. Bd, IV. S. 289. Zur Kenntniss der Hautdrüsen und ihrer Muskeln. 283 Fusssohle, des knorpligen Gehörganges u. s. w. eine vollständige Mus- kellage zu besitzen, während kleinere Drüsen, wie am Augenlid, viele der behaarten Kopfhaut, der Extremitäten u. s. w. nur äusserst spär- liche Muskelzellen haben, sodass man Querschnitte erhalten kann, an denen sie gänzlich fehlen. Einen vollständigen, ununterbrochenen, ein- schichtigen Mantel neben einander liegender Muskelzellen findet man in den grossen schlauchförmigen Drüsen der Achselhöhle und den Circumanaldrüsen. Da die letzteren nur etwas kleiner, in ihrem übrigen morphologischen Verhalten aber den Achseldrüsen völlig gleich sind!), so mag es genügen, hier nur diese zu besprechen. Wenn man die Haut der Achselhöhle etwa 1 cm. jenseits der Haar- grenze einschneidet und mit dem Fette abpräparirt, sie dann mit Nägeln so auf ein Brett befestigt, dass die Fettlage nach oben sieht, so findet man nach sauberer Wegnahme des Fettes die Cutis in einer Fläche von S—9 cm. Länge und 3—4 cm. Breite von einer flachen, aus dicht bei einanderliegenden Drüsenläppchen zusammengesetzten Masse völlig verdeckt. Die dunkelrothe Farbe der Drüsenläppchen sticht stark von der des hellgelben Fettes ab, und erleichtert die saubere Entfernung des letzteren. Die ganze Drüsenmasse ist in der Mitte am dieksten und zeigt hier auch die grössten Drüsenläppchen (von 3—4 mm.); gegen die Ränder hin nimmt sie allmählich ab. Schneidet man ein Drüsenläppchen heraus, zerzupft es und betrachtet es in Jod- serum, so finden sich ausser zahlreichen, schönen, regelmässigen, gross- kernigen Epithelzellen, die zum Theil frei in der Flüssigkeit herum- schwimmen, zahlreiche Fetzen, die sich durch ihre regelmässige, fast parallele Streifung als Membranen kennzeichnen, die von einer ein- schichtigen Lage glatter Muskelzellen zusammengesetzt sind. Häufig sitzen diesen Fetzen noch Epithelzellen auf, doch gelingt es auch dann leicht durch Heben oder Senken des Tubus dasselbe Bild zu erhalten. Hat man ein solches Drüsenläppchen mit salpetersaurem Silber be- handelt, so finden sich die Grenzen zwischen den Muskelzellen von dem schwarzen Silberniederschlag erfüllt. Durch Färbung erhält man in der Mitte jeder Zelle deutlich den langen Kern. Hat man Schnitte durch die gehärtete Drüse gefertigt, so wird man eine grosse Zahl von Wandstücken finden, die der Schnittebene parallel liegen und das eben beschriebene Bild zeigen. An den Drüsenstücken aber, deren Wand im Querschnitt vorliegt, überzeugt man sich genauer von der Öertlichkeit in der die Muskelzellen zu suchen sind. Sie finden sich 1) Gay, Die Cireumanaldrüsen des Menschen. Sitzungsberichte der Wiener Akademie. Bd. 63. Abth. II. 1871. 234 XVIlI. Fr. Hxsse. ausnahmslos zwischen dem Epithel der Drüse und einer stark glän- zenden, homogenen Schicht, welche die Drüsenwand vom Bindegewebe abgrenzt, und die man als ihre Membrana propria bezeichnen mag. Bei einer genügenden Auswahl von Schnitten wird man immer solche finden, die genau senkrecht zur jeweiligen Längsaxe der Drüse ge- troffen sind, und welche über diese Lagerung der Muskelzellen einen klaren Aufschluss geben können. Die Membrana propria hat etwa die Dieke der Muskelzellenlage; während das Epithel von ihnen ab- fällt, bleiben die Muskelzellen mit der Membrane propria inniger verbunden und liegen ihr sehr dicht auf. In vielen Muskelzellen- (Querschnitten trifft man den Kern (am besten nach Hämatoxylin- färbung), der von der Oberfläche der Zelle nur durch einen sehr schma- len Plasmaring getrennt ist. Als die beste Methode, die Elemente des Drüsenschlauches zu isoliren, erwies sich mir die von RANVIER!) empfohlene Mischung von 1 Th. Alkohol mit 2 Th. Wasser. Lässt man ausgeschnittene Drüsenläppehen 24 Stunden in dieser Flüssigkeit liegen, so erhält man durch leichtes Abschaben mit einer scharfen Messerklinge die Epithelien schön isolirt. Nachfolgende Färbung in Pikrocarmin bringt ihre Formen in vorzüglichster Weise zur Ansicht, besonders wenn man das Präparat betrachtet, solange die Flüssigkeit unter dem Deckgläschen noch in leichter Bewegung ist. Die durch den Flüssigkeitsstrom fortgerissenen Zellen bieten dann dem Auge successiv ihre sämmtlichen Flächen zur Ansicht dar. Die untere Fläche besitzt leichte, durch niedrige Kanten von einander getrennte, parallel stehende Eindrücke, aber weder hier noch an Schnitten ist es mir gelungen „am basalen Ende der Epithelzellen feine Fortsätze zu finden, mit denen sie die glatten Muskelzellen umklammern und sich dann dem Bindegewebe anfügen sollen“.?) Auch bei der Flächen- betrachtung isolirter Wandstücke kann ich zwischen den Muskel- zellen weder diese Fortsätze noch Oeffnungen finden, durch die sie getreten wären. In den engeren Schweissdrüsen-Kanälchen, wie sie fast an allen Hautgegenden und neben den beschriebenen grossen auch in der Achsel- höhle sich finden, liegen die Muskelzellen in gleicher Weise dicht unter dem Epithel. Ich muss darin KÖLLIKER?), der dies schon im Jahre 1850 ganz ausdrücklich hervorhob, völlig beistimmen, gegenüber 1) RanvIer, Traite technique d’Histologie. p. 77. 2) Heynoıp, |]. ce. 3) KÖLLIKER, Mikroskopische Anatomie I. S. 162. Zur Kenntniss der Hautdrüsen und ihrer Muskeln. 285 den neuen histologischen Lehrbüchern!), in denen angegeben wird, dass zwischen der Muscularis und dem Epithel der Schweissdrüsen die Membrana propria läge. Die Lymphe welche zum Zwecke der Er- nährung und des Sesretions-Vorganges in die Epithelzellen der Schweiss- drüsen gelangt, muss also ausser der Membrana propria auch noch die, namentlich in den Achseldrüsen völlig geschlossene Muskellage passiren. Dass die letztere nach dem Tode für diffundirende Flüssig- keiten ausserordentlich leicht durchgängig ist, hat mir folgender Ver- such gezeigt. Auf die innere Fläche der Achselhöhlenhaut, an der vorsichtig nur das Fett entfernt und die Drüsenschicht ohne Ver- letzung der Läppchen aufgedeckt war, tropfte ich eine Lösung von Indigearmin, spülte sie nach zwei bis drei Minuten ab und leete das Hautstück in eine Lösung von Kochsalz. Sowohl Isolationspräparate als Schnitte durch die dann noch im Alkohol gehärtete Drüse zeigen, dass in dieser kurzen Zeit die lärbende Flüssigkeit durch die unver- letzte Drüsenwand hindurch in die Epithelzellen getreten ist. Ohne auf die Frage über die Neubildung von Haaren und Haut- drüsen näher einzugehen, berichte ich zum Schluss noch einen Befund, den ich über diesen Gegenstand an der Kopfhaut des erwachsenen Men- schen gemacht habe. An senkrechten Schnitten derselben finde ich, dass sich zwischen den grossen, fertigen Haaren aus der unteren Fläche des kete Malpighi solide Epithelzapfen von verschiedener Länge in die Cutis hinabsenken. Schon bei den kleinern Zapfen trifft man eine, in ihr unteres Ende ragende, kleine Cutispapille; in den etwas grös- seren gewahrt man, dass sich die Zellenmasse in der Axe des Zapfens zu einem Haare differenzirt. Aus der Seitenfläche des oberen Ab- schnittes des Zapfens treten die Anlagen neuer Taledrüsen als zellen- reiche Klümpehen hervor. Es ist mir demnach zweifellos, dass in der Kopfhaut des Erwachsenen die Bildung neuer Haare und Tale- drüsen genau in derselben Weise erfolet wie ihre erste Entwicklung beim Embryo, ohne Betheiligung der Wurzelscheiden eines alten Haares. Ohne es für andere Hautgegenden irgend in Abrede zu stel- len, dass sich neue Haare dadurch bilden, dass die Wurzelscheide eines alten Epithelsprossen in die Cutis schickt, die eine neue Papille erhalten, und deren Haar schliesslich in den Balg des alten zu liegen I) W. Krause, Allgemeine und mikr. Anatomie 1876. — BinstaDeckt, Artikel „Haut“ in Srmricker’s ilandbuch, 286 XVII. Fr. Hesse, Zur Kenntniss der Ilautdrüsen und ihrer Muskeln. kommt, theile ich mit, dass ich mich vom Statthaben dieses Kegenera- tionsmodus in der Kopfhaut nicht überzeugen konnte; sicher aber ist er, auch wenn er dort statt fände, nicht der einzige. Erklärung der Abbildungen. Tafel XII. Fig. 1. Kopfhaut vom Menschen senkrecht zur Oberfläche geschnitten. Vergrösserung 31. Nach rechts liegt der Haarbalgmuskel, zwischen ihm und dem Haare die Talgdrüse. Am unteren Ende des Muskels eine Schweissdrüse. Fig. 2. Dasselbe Präparat senkrecht gegen die Richtung der Haare ge- schnitten. Vergrösserung 112. Man sieht zwei Haare, das linke mit beiden Wurzelscheiden, von den zu ihnen gehörenden Talgdrüsen umgeben. (Die Kerne der Zellen sind nicht eingetragen). Der M. arreetor pili erscheint im (Juer- schnitt als eine lange, schmale Platte. Fig. 3. Ein gleiches Präparat wie Fig. 1. Vergrösserung 116. Rechts die äussere Wurzelscheide. Den linken Rand nimmt der M. arrector pili ein, dessen Uebergang in den Haarbalg dargestellt ist. XIX Die morphologische Stellung der kleinen hintern Kopfmuskeln. Von Chappuis. (Hierzu Tafel XIII.) Der morphologischen Deutung bietet die so charakteristische Gruppe der kleinen hintern Kopfmuskeln ganz besondere Schwierigkeit. Zwar darf die Frage der beiden Recti als gelöst angesehen werden; es ist kaum anzunehmen, dass von irgend einer Seite ihre Zusammen- gehörigkeit mit den Dorn- und Zwischendornmuskeln bestritten würde. Anders die Obliqui. Um ihre morphologische Stellung kümmern sich überhaupt nur wenige Schriftsteller und die, welche es thun, gelangen zu so verschiedenen Resultaten, dass das Schwankende und Unzurei- chende der Unterlage, worauf ihre Schlüsse ruhen, sofort ersichtlich wird. J. F. Meckeu!) ist meines Wissens der erste, welcher sich über die Natur der schiefen Muskeln ausgesprochen hat. Er betrachtet den untern in Gesellschaft mit dem seitlichen geraden Muskel als „das vorderste Paar der Zwischenfortsatzmuskeln“. Den obern dagegen be- zeichnet er als „die erste Zacke des Halbdornmuskels?) und des viel- theiligen Rückgratsmuskels“. M. J. WEBER?) führt beide Obliqui unter der Rubrik seiner Semispinales, welche nur einseitig an Dornfort- sätzen enden, auf. Im weiteren bringt er den Obliquus superior mit dem Complexus, den inferior mit dem Splenius zusammen. TueınE®) 1) J. F. MEckeı, System der vergleichenden Anatomie. Halle 1828. Bd. III. S. 412. 2) Der „Halsdormnmuskel“ des Textes ist wohl ein Druckfehler. 3) M. J. Weser, Handbuch der Anatofie des menschlichen Körpers. Bonn 1839. Bd. I. S. 549. 4) S. Tu. v. Sömmerıng, Vom Baue des menschlichen Körpers. Leipzig 1841. Bd. III. Abth. 1. 8. 164. Zeitschrift f, Anatomie. Bd. II. 19 288 XIX. CHarepuns. meldet von unsern Muskeln: „Der untere wiederholt nach der Rich- tung der Fasern die Bauschmuskeln; der Wirkung nach aber wieder: holt er für den Kopf den vieltheiligen Rückgratsmuskel und die Dreher des Rückens. Der obere entspricht zwar den letzten genannten Mus- keln in der Richtung seiner Fasern; vielleicht ist es aber richtiger, ihn als hintern Zwischenquermuskel zwischen Atlas und Schädel an- zusehen.“ Aehnlich urtheilt Hrsue.') Der Obligquus inferior gilt ihm „einem Kopfe des Splenius analog“, der Obliquus inferior dagegen soll zusammen mit dem Rectus lateralis einem Intertransversarius post. ent- sprechen. Mxyer?) stellt sie, ohne sich auf genauere Brörterungen einzulassen, eiufach in die Reihe der Rotatoren der Wirbelsäule. Hyrru’) will solches für den obern Muskel nicht gelten lassen, „da das Hinterhauptbein auf dem Atlas keine Drehbewegung ausführen kann.“ Nach Arsr‘) ist der obere schiefe Kopfmuskel „strenggenom- men nichts anderes als die letzte Zacke des durchflochtenen Muskels, die dadurch selbstständig geworden, dass dessen zweite Zacke, die an den Epistropheus sich anlehnen sollte, wegfällt“. Für den untern schiefen Muskel verzichtet Argy auf eine Deutung, da er der Lage nach zwar der tiefen Faserschicht, dem Verlaufe nach dagegen der oberflächlichen anzugehören scheine. Humrury?’) endlich rechnet den Obliquus inf. in Gesellschaft mit dem Splenius zu den nach aussen, den Obliquus sup. mit Complexus, Multifidus und andern zu den nach innen aufsteigenden Muskeln. Gestatten auch die vorstehenden Aussprüche keine unmittelbare Vergleichung, da die einen ohne Zweifel mehr vom anatomischen, die andern mehr vom physiologischen Gesichtspunkte aus gethan sind, so beweisen sie doch zur Genüge, wie unsicher der Boden ist, worauf wir stehen und wie sehr es weiterer Untersuchungen bedarf, um den- selben einigermaassen zu festigen. Hinsichtlich des Obliquus sup. herrscht noch leidliche Uebereinstimmung. Die Mehrzahl der genann- ten Autoren theilt ihn der tiefen oder der nach innen aufsteigenden Schrägfaserschicht zu, wobei es ziemlich gleichgültig ist, welch weiterer Angehörige dieser Schicht in erster Linie namhaft gemacht wird, ob Multifidus und die Rotatoren, oder der Complexus. Tue und Hexte allein finden die Verwandtschaft auf Seiten der Intertrans- 1) J. Henze, Handbuch der Muskellehre. Braunschweig 1858. S. 48. ?) H. Meyer, Lehrbuch der Anatomie des Menschen. Leipzig 1861. S. 185. 3) J. Hyrırw, Lehrbuch der Anatomie des Menschen. Wien 1862. S. 406. 4) Azey, Der Bau des menschlichen Körpers. Leipzig 1871. S. 363. 5) HumPpHury, Observations in myology. Cambridge and London 1872. Die morphologische Stellung der kleinen hintern Kopfmuskeln. , 289 versarii. Sehr schlecht dagegen steht es mit dem Einklange der Mei- nungen über den Obliquus inferior. Hier stehen sich deren nicht we- niger als drei in durchaus unvereinbarer Weise gegenüber. Für das gerade Fasersystem der Intertransversarii entscheidet sich blos MEcorkr. Alle andern nehmen ihre Zuflucht zum schiefen Fasersystem und zwar zum oberflächlichen mit besonderer Betonung des Splenius WEBER, Hexe, HumeHry, zum tiefen unter Hervorhebung der Rotatoren vor allem Mryer. Theme lässt sich nach dem Wortlaute seines Aus- spruches mit Sicherheit weder der einen noch der andern Gruppe aus- schliesslich anreihen. Axrpy befriediste keine dieser Ansichten und gewiss mit Recht; denn der Ansatz eines Muskels an einem Dorn- fortsatze ist unverträglich mit dem Charakter eines Intertransversarius und gegen seine morphologische Zusammenstellung mit der tiefen Schrägfaserlage spricht mit gleicher Bestimmtheit die verschiedene Richtung des Faserverlaufes, wie die Verschiedenartiekeit der Lage- rung gegen seine Einfüsung in die oberflächliche Schrägfaserlage. Axzpy hat aus Mangel an bezüglichen Untersuchungen auf eine eigne Erklärung des Sachverhaltes verzichtet. Gern folgte ich seiner Auf- forderung, die gelassene Lücke auszufüllen. Wenn es mir gelungen ist, so verdanke ich dies nicht zum kleinsten Theile der unausgesetz- ten Unterstützung, deren ich mich seinerseits zu erfreuen hatte. Da- für sei ihm denn auch an dieser Stelle mein wärmster Dank aus- gesprochen. Der morphologische Werth eines Organes kann nur auf dem Wege der Vergleichung gefunden werden. Bei Muskeln ist vor allem die Lagerung, die Vertheilung der Ansätze auf das Skelet und die Stel- lung zu den Nerven massgebend. Die Literatur verhält sich für die kleinen Kopfmuskeln in dieser Hinsicht auffallend stiefmütterlich. Ich sah mich daher fast ganz auf eigene Forschung angewiesen. Ich beginne damit, deren Ergebnisse nach den einzelnen Klassen der Wirbelthiere zusammenzustellen. Die Fische fallen dabei ohne weiteres ausser Betracht, da bei ihnen die bezügliche Muskulatur noch nicht zur Difierenzirung gelangt ist. I. Säugethiere. Ueber die kleinen Kopfmuskeln der Säugethiere weiss Cuvier !) weiter nichts zu sagen, als dass sie wie beim Menschen vorhanden sind l) G. Cuvier, Lecons d’anatomie comparde. Paris 1835. Tome I. p. 313. 19* 20 - XIX. CHmarprıs. und dass sieauch die gleichen Ansätze besitzen; nur seien sie im gleichen Verhältnisse grösser als solches auch für die beiden ersten Wirbel der Fall ist. Etwas weniger wortkarg ist MECKEL!), von dem wir erfahren, dass die Uebereinstimmung denn doch keine so vollständige ist. Owen?) hinwiederum behandelt die Muskulatur überhaupt zu kurz, als dass von ihm Erhebliches zu erwarten wäre. Er steht in der That ganz auf dem Standpunkte von Cuvier. Meine eigenen Beobachtungen bestätigen, dass gerade und schiefe Kopfmuskeln bei den Säugethieren ganz allgemein vorkommen und dass als ihr typisches Gebiet die Strecke vom Hinterhaupte bis zum zweiten Halswirbel muss angesehen werden (Figg. 1—3 Taf. XIII). Nach Mecken (a. a. O. S. 414), macht hiervon das Schnabelthier eine Aus- nahme, indem bei diesem ausser den beiden ersten noch der dritte und vierte Halswirbel in Mitleidenschaft gezogen werden. Die geraden Kopfmuskeln sind immer als kleiner (Rectus minor) und als grosser (R. major) vorhanden. Jener reicht nie weiter als bis zum Atlas und bietet nur nach der Stelle seines Ansatzes am Hinterhaupte, sowie auch nach Form und Stärke geringfügige Ver- schiedenheiten, deren Aufzählung wir uns als morphologisch völlig bedeutungslos ersparen können. Dieser gewinnt ein höheres Interesse dadurch, dass er zum Zerfall neigt. Seine oberflächliche Faserschicht kann selbständig werden und einen dritten geraden Muskel darstellen. Wir wollen ihn den oberflächlichen (Reetus cap. superficialis) nennen. Ich traf ihn bei der Katze, beim Panther, Hunde, Marder, Dachse, ebenso beim Kaninchen, Gürtelthier und Ameisenfresser. Das- selbe berichtet Mecken vom Pferde und Eisbären. Dagegen vermisste ich ihn ausser beim Menschen noch beim Affen (Inuus), Murmelthier, Meerschweinchen und Igel, beim Rinde, ferner bei der Ratte und der Feldmaus. Ein bestimmtes Gesetz lässt sich demnach nicht auf- stellen, nur mag hervorgehoben werden, dass alle Raubthiere der ersten und fast sämmtliche Nagethiere der zweiten Gruppe angehören. Ob solches sich auch bei ihren bezüglichen Verwandten wiederholt, bleibt natürlich dahingestellt. Die Grösse des Muskels unterliegt, wo er sich überhaupt vorfindet, beträchtlichem Wechsel. Manchmal beschränkt er sich, wie beim Hunde (Fig. 1 Taf. XIlI) auf einen schmalen Streifen, der nahe der Mittellinie verläuft und den tieferen Muskel beinahe frei lässt, und wiederum wird er, wie beispielsweise beim Dachse, so breit, dass ‘er den grossen geraden Muskel gänzlich verdeckt (Fig. 2 Taf. XII). 1) J. F. Mecken, System der vergleichenden Anatomie. Halle 1828. Bd. III. $ 186. 2) R. OwEn, On the anatomy of vertebrates. London 1868. Vol. III. Die morphologische Stellung der kleinen hintern Kopfmuskeln. 291 Auch die schiefen Muskeln bieten einige Verschiedenheit in ihrem Verhalten dar. Der untere ist gewöhnlich grösser, trotzdem aber immer einfach. Der obere kann in zwei (Murmelthier, Dachs) oder gar in drei (Katze) selbständige Bündel zerfallen. Beide Muskeln sind in der Regel gänzlich von einander geschieden, trotzdem die Ansätze dicht zusammenstossen. Das untere Ende des Obliquus sup. entsprinst häufig nur von der äussersten Kante des Atlas und deckt dann, schräg nach innen aufsteigend den Ansatz des Obliquus inf. Sein Kopfende überlagert in wechselndem Umfange den Rectus major oder kommt ganz an dessen Aussenseite zu liegen. Besonders auffällig und ohne Zweifel wichtiger als die eben er- örterten Verhältnisse ist die Verschiedenheit der Richtung, worin die Obliqui bei den einzelnen Thieren gelegt sind!). Nahezu rechtwinklig, nämlich unter einem Winkel von 90-100 Graden, stossen sie am Atlas ausser beim Menschen und Affen noch beim Hunde, Marder, Panther, Dachse, beim Igel und Kaninchen, sowie bei der Katze zu- sammen. Der Winkel steigt auf 140 Grad beim Rinde, beim Ameisen- fresser und bei der Ratte. Einen Werth von voll 180 Graden erreicht er beim Murmelthiere und bei der Feldmaus, das heisst, bei diesen gehen die beiden schiefen Muskeln geradlinig in einander über und ergänzen sich zu einem Muskelstreifen, der um weniges stärker nach aussen geneigt als derjenige des Rectus parallel mit dessen Aussenrand zum Kopfe aufsteigt. Zwischen beiden bleibt nur eine schmale Spalte frei. Wo die beiden Obliqui winklich von einander abknicken, da erweitert sich häufig diese Spalte in der Höhe des Atlas zum freien mehr oder weniger umfänglichen dreiseitigen Felde. Es ist dies die Stelle, wo über dem Atlas der für unsere Muskeln vorzugsweise bestimmte hintere Ast des ersten Halsnerven zum Vorschein kommt. Er liegt also nach aussen von den Recti, nach innen vom Obliguus sup., während der entsprechende Ast des zweiten Halsnerven den Obliquus inf. von aussen her umfasst. Der Faserzug der beiden Obliqui kommt somit zwischen. die beiden Ner- ven zu liegen, ein durchaus constantes Verhältniss, das aus später zu erörternden Gründen ganz besonders betont werden muss. Die geraden und schiefen Kopfmuskeln sind fast durchweg streng von einander geschieden. Eine Ausnahme hiervon machen der Ameisen- fresser, von dem es schon Mecken angiebt, und das Gürtelthier. Bei diesen schieben sich die Muskeln zu einer äusserlich nahezu ein- 1) Schon MEckEL (a. a. O. S. 414) hat darauf hingewiesen. 299 XIX. CHappuis. heitlichen Masse zusammen. Ihre Trennung durch das Messer stösst indessen auf keine Schwierickeit. l. Vögel. Den Vögeln sollen nach den übereinstimmenden Angaben sämmt- licher Forscher die schiefen Kopfmuskeln abgehen. MEckEL (a. a. 0. S. 298) spricht von mehreren, bis auf drei, „hintern Kopfmuskeln‘“, welche, mehr oder weniger getrennt, von hinten nach vorn an Grösse zunehmen und den Dornen der drei ersten Halswirbel entstammen. UuvIER (a. a. OÖ. 8. 315) hebt bestimmter einen grossen und kleinen geraden Muskel hervor, von denen jener am Dornfortsatze des zweiten, bisweilen ausserdem an dem des dritten, ja selbst des vierten Wirbels entspringt, dieser vom Atlas ausgeht. Letzterer ist der Kleinheit des zugehörigen Wirbelbogens wegen vom grossen Muskel oft kaum zu unterscheiden. Owen (a. a. O. S. 90) kennt, ohne sich weiter auf genauere Defini- tionen einzulassen, hintere gerade Kopfmuskeln, welche von drei Dornfortsätzen ausgehen. SerenkA!) endlich trennt wieder ausdrück- lich einen grossen und einen kleinen geraden Muskel. Seine Auf- fassung stimmt also im Wesentlichen mit der von Cuvmer überein. Nach eigenen Untersuchungen an Huhn, Taube, Ente, Wellen- papagei und amerikanischem Strausse kann ich mich dem Gesagten insofern anschliessen, als ich überall eine von den zwei ersten Dornfort- sätzen ausstrahlende Muskelmasse getroffen habe, die in fächerförmiger Entfaltung zum Hinterhaupt aufsteigt (Fig. 4 Taf. XII). Am Aussen- rande derselben tritt der zweite Cervicalnerv aus der Tiefe hervor. Der erste Halsnerv bohrt sich von unten her in die Muskelmasse selbst ein und zerlegt sie in zwei dicht an einander liegende, doch leicht und deutlich zu trennende Bündel, ein inneres, das seine Fasern vom ersten und zweiten Wirbel bezieht,. und ein äusseres, jenem an Umfang meist überlegenes, welches nur dem zweiten Wirbel angehört. Die Faserrichtung des innern Bündels ist naturgemäss steiler, als diejenige des äussern. Wir wollen daher jenes den geraden, dieses den schiefen Muskel nennen. Mehrfach ist es mir gelungen, den geraden Muskel mühelos in zwei weitere Unterabtheilungen auf- zulösen, eine tiefere, welche die am Atlas, eine oberflächliche, welche 1!) Bronn’s Klassen und Ordnungen des Thierreichs. Leipzig und Heidel- berg 1870. Bd. VI. 4. Abth. 8. 9. Die morphologische Stellung der kleinen hintern Kopfmuskeln. 293 die am Epistropheus wurzelnden Fasern aufnimmt. Ein grosser und kleiner gerader Kopfmuskel ist damit gegeben. Mit jenem wird von CuvoerR und anderen offenbar unser schiefer Muskel zusammen- seworfen. Dieser ist indessen wohl davon zu unterscheiden, da er nicht allein bei aller Innigkeit der Verbindung doch eine vollkommene Selbständigkeit behauptet, sondern auch zu den benachbarten Ner- ven ein von demjenigen der kecti durchaus abweichendes, dagegen mit demjenigen der Obliqui bei Säugethieren übereinstimmendes Ver- halten darbietet. Die Aehnlichkeit des allgemeinen Muskelbildes beim Vogel und bei gewissen Säugethieren springt in die Augen. Man vergleiche nur die Figuren 3 und 4. Die Hauptmasse des schiefen Muskels geht zum Hinterhaupte. Ich habe ihn indessen auch Verbindungen mit dem Seitentheile des Atlas eingehen sehen. Il. Reptilien. Besondere kleine Kopfmuskeln fehlen, wie schon CuviEr (a. a. O. S. 318) angegeben, den Schlangen. Bei den übrigen Reptilien gilt der Typus der Vögel. Mxcker fasst (a. a. O. S. 118) bei den Chelo- niern eine Anzahl von Muskelbündeln, die vom sechsten Halswirbel bis zum Kopfe sich erstrecken, als Vertreter des Nacken-Zitzenmuskels, der hintern geraden und schiefen Kopfmuskeln, sowie der Zwischen- quermuskeln der höheren Thiere zusammen. Genaueres giebt er nicht an. Bei den Sauriern (a. a. OÖ. S. 149) theilt er dem Atlas einen kurzen, dem Epistropheus einen langen geraden Muskel zu. CuvIEr (a. a. O. S. 317) findet beim Krokodil einen langen geraden Kopf- muskel (long droit posterieur de la tete), welcher mit allen Dornfort- sätzen in Verbindung treten soll und dessen vorderste vom Atlas ge- lieferte Zacke als kleiner gerader Muskel (petit droit posterieur) angesehen werden könne, daneben einen grossen geraden Muskel (grand droit posterieur), der nur vom zweiten Halswirbel ausgeht. Es ent- spricht dies der Auffassung von MECcKEL, nur dass dessen kleiner Muskel nach rückwärts vom Spinalis nicht abgegrenzt ist. Cuvıer’s schiefer Muskel („Oblique superieur“) dagegen ist in Wirklichkeit der gerade seitliche Muskel und hat somit keine Beziehung zu den schiefen Muskeln der Säugethiere und der Vögel. Auch Owen (a. a. O. S. 233) macht sich unriehtiger Benennung schuldig. Sein Rectus capitis po- sticus major, der von den zwei ersten Dornfortsätzen ausgeht, vereinigt 294 XIX. Cmarpuis. den langen und kurzen Muskel Mecorer’s. Sein Rectus capitis po- sticus minor dagegen hat mit dem sonst so genannten Muskel nichts zu thun. Er lehnt sich an den Querfortsatz des Atlas und kann daher nichts anderes sein als der seitliche gerade Muskel (Rectus capitis lateralis). Wir ersehen aus dem Mitgetheilten, dass die grosse Ueberein- stimmung, welche bei den Vögeln bezüglich unserer Muskulatur zu Tage trat, bei den Reptilien bedenklich ins Schwanken geräth, ja dass hier fälschlicherweise Elemente herbeigezogen werden, die einem ganz anderen Gebiete angehören. Eine unmittelbare Beziehung zu den Vögeln tritt daher nicht hervor und es bleibt fraglich, ob überhaupt jemand an eine solche gedacht hat. Nichts destoweniger ist sie vor- handen und unschwer nachzuweisen. Bei allen von mir untersuchten Reptilien (Chamaeleon, Draco, verschiedene Arten von Monitor, Stellio, Gongylus, Ameiva, Alligator, Chelone) hat sich ergeben, dass die hintere Kopfmuskulatur genau so angeordnet ist, wie bei den Vögeln (Fig. 5 Taf. XIII). Sie besteht gleichfalls aus einer dreiseitigen Muskel- platte, welche von den zwei oder drei vordersten Dornfortsätzen all- mälig verbreitert zum Hinterhaupte zieht. An ihrem Aussenrande kommt der zweite Halsnerv zum Vorschein. Der erste Halsnerv bohrt sich wiederum in sie ein und zerlegt sie in ein inneres kleineres und ein äusseres grösseres Bündel. Von den Vögeln finde ich nur darin eine Abweichung, dass die Beziehung des äusseren Bündels zum Atlas häufig viel lockerer ist und dass das innere Bündel immer ein- fach bleibt. Die Inniskeit der Verbindung beider ist eine sehr ver- schiedene In den einen Fällen geht sie so weit, dass eine Trennung kaum anders als künstlich durchgeführt werden kann, in den andern erscheint eine solche in Gestalt einer zwar feinen, doch deutlichen Spalte ausgeprägt. Dort hat es die Beschreibung mit einem einzigen Muskel zu thun, den man füglich den Dornmuskel des Kopfes (M. spinalis capitis) nennen kann. Hier treten an dessen Stelle zwei Muskeln, ein gerader (M. rectus cap.) und ein schiefer (M. obliquus cap... Bei manchen Reptilien bauscht sich zwischen den Kopfenden der beiden Muskeln der Schläfenmuskel unter dem queren Ocecipital- bogen nach hinten vor (Fig. 5). IV. Amphibien. Mezckeu allein (a. a. OÖ. S. 101) beschreibt zwischen den Dornen der beiden ersten Halswirbel und dem Hinterhaupte bei geschwänzten Die morphologische Stellung der kleinen hintern Kopfmuskeln. 295 Batrachiern einen „hinteren geraden Kopfmuskel“. Sonst finde ich einen solchen nirgends erwähnt. Auch der neueste Schriftsteller auf diesem Gebiete, Horrmann!), weiss nichts von ihm. Eigene Erfahrung fehlt mir. Bei den ungeschwänzten Betrachiern sind die Autoren darin einig, dass kleine hintere Kopfmuskeln nicht gesondert auftreten. Sie sind in den Intererurales enthalten.) Cuvıer’s „Oblique superieur“ (a. a. 0. 8. 318) hat dieselbe Bedeutung wie beim Krokodil. Er ist der Reetus lateralis, als welcher er auch, freilich unter verschiedenen Be- nennungen?°), von den übrigen Autoren angesehen wird. Schlussfolgerungen. Unsere Erfahrungen lassen sich dahin zusammenfassen, dass bei den Reptilien, Vögeln und Säugethieren besondere kleine Kopfmuskeln in der Nackengegend nicht allein ganz allgemein vorhanden, sondern auch im wesentlichen ein und demselben Typus angepasst sind. Sie bestehen aus Faserzügen, welche zum mindesten von den zwei, nicht selten auch von den drei vordersten Dornfortsätzen aus in fächerför- miger Entfaltung zum Hinterhaupte gelangen und hier unweit des for. magnum enden. Typisch für sie ist ihre Stellung zu den beiden ersten Halsnerven. Der zweite kommt ausnahmslos an ihrem Seitenrande zum Vor- schein, der erste dagegen bohrt sich von der Wirbelsäule her in sie ein; er muss als in ihrem unmittelbaren Dienste stehend angesehen werden- Dieser Eintritt des Nerven scheidet anfangs nur virtuell (manche Rep- tilien), später aber auch reell (ebenfalls Reptilien) die ganze Muskel- schicht in zwei Unterabtheilungen, eine mediale, mehr gerade (M. rectus cap.), und eine laterale, mehr schiefe (M. obliquus cap.). Jene erhält Fasern vom ersten und zweiten, diese vom zweiten, nicht selten auch vom dritten Wirbel. Die Grundlage für die ganze fernere Dif- ferenzirung ist damit gegeben. Weiterer Zerfall ist als Ziel beiden Abtheilungen gemeinsam, die Art desselben für eine jede von ihnen eine besondere. Die innere Abtheilung oder der gerade Kopfmuskel (M. rectus cap.) bleibt bei allen Reptilien vollkommen einfach. Erst bei den 1) Bronn’s Klassen und Ordnungen des Thierreichs. Leipzig und Heidel- berg 1874. Bd. VI, 2. Abth. 2) Ecker, Anatomie des Frosches. Braunschweig 1864. S. 88. 3) Sie finden sich in Horrmann’s bereits erwähnter Arbeit zusammengestellt. 296 XIX. Cuappuns. Vögeln wird ihr am Atlas haftender Abschnitt selbständiger, ja sogar zu einem besondern Muskel. Manche Säugethiere begnügen sich mit der Wiederholung dieses Typus, andere führen ihn dadurch um einen Schritt weiter, dass sie den grösseren Muskel nochmals zerlegen. Statt des einen geraden Muskels der Reptilien bieten uns also die Vögel deren zwei, einen grossen und einen kleinen und nicht wenige Säugethiere sogar drei, nämlich ausser dem grossen und kleinen noch einen oberflächlichen. Die äussere Abtheilung unserer Muskulatur oder der schiefe Kopfmuskel (M. obliquus cap.) hat als charakteristisches Merkmal, dass sie zwischen den ersten und zweiten Halsnerven zu liegen kommt. Bei den Reptilien streift sie noch ziemlich lose über den Seitentheil des Atlas hinweg. Bei den Vögeln erstellen sich, wenigstens in man- chen Fällen, zwischen beiden innigere Beziehungen; die tiefsten Faser- züge gelangen zum Ansatz. Die Säugethiere steigern die Innigkeit des gegenseitigen Verbandes nach Massgabe der ungleich mächtigeren Entfaltung des Querfortsatzes. Die Zahl der durch ihn unterbrochenen Fasern wird eine so grosse, dass in der Regel gar keine mehr unbe- helligt gelassen werden und somit ein vollständiger Zerfall des Mus- kels in eine obere und untere Abtheilung stattfindet. Die beiden schiefen Muskeln sind dessen Product. Bei einfacherem Sachverhalte gehen sie noch geradlinig in einander über (z. B. beim Murmelthier), bei erfolereicherem Eingreifen des breit auswachsenden Querfortsatzes knicken sie in nach innen offenem Winkel von einander ab. Die Ver- schiedenheit ihrer nunmehrigen Richtung ist somit keine primäre, sondern eine secundäre, und fällt daher bei der Beurtheilung des mor- phologischen Werthes ausser Betracht. Die schiefen Kopfmuskeln ge- hören demselben morphologischen Systeme an wie die geraden. Sie sind gleich diesen als eigenthümliche Modification der Mm. spinales und interspinales zu betrachten. Die eben geschilderte Quertheilung eines anfangs einfachen Mus- kels in zwei Muskeln steht keineswegs allein da. Ich erinnere nur an die Spaltung, welche der bei Abwesenheit eines Schlüsselbeins ununter- brochen vom Zitzenfortsatze zum Oberarm fortziehende Muskel durch das Auftreten eines solchen erfährt. Der hierdurch gebildete Cleido- mastoideus steht zum Cleido-brachialis in einem ganz ähnlichen Ver- hältnisse wie der Obliquus sup. zum inf. Selbst die bald geradlinige, bald winklig geknickte Richtung der beidseitigen Achsen, gelangt bei ihnen zur Wiederholung. Der Beispiele wären leicht noch viele auf- zuführen, doch mag das eine genügen. Die morphologische Stellung der kleinen hintern Kopfmuskeln. 297 Der Stammbaum unserer Muskulatur gestaltet sich auf Grundlage der gegebenen Nachweise folgendermassen: | 2 EN Be RN or ee Spinalis capitis .R ili © GER E ER eptilien \| OL Reetus capitis Obliquus eapitis m II. Vögel: Rectus cap. maj. Reetus cap. minor Obliquus eapitis III. Säugethiere: (Rectus cap. Rectus cap. Rectus cap. Obliquus cap. Obliquus cap. superfic.) major min. sup. inf. Für die morphologische Bedeutung der Muskeln und die Ge- schichte ihrer Differenzirung gibt es keine deutlicheren Fingerzeige als ihre Varietäten. Der mir zugänglichen Literatur zufolge scheinen die kleinen Kopfmuskeln an solchen nicht eben reich zu sein. Einiges ist aber doch vorhanden. WErcrer!) beobachtete gegenseitigen Faser- austausch zwischen den gleichseitigen Recti eines Mannes; es spricht für deren ursprüngliche Zusammengehörigkeit. Wichtiger ist eine zweite an oleicher Stelle berichtete Beobachtung, wo der obere Rand des M. obliquus cap. inf. sich ablöste und, unter dem obliquus sup. durehtretend, hinter dem Rectus capitis lateralis am Hinterhaupte seinen Ansatz fand. Für einen Theil der Obliquusfasern hatte hier ein Rückschlag in die Form des einfachen Obliquus, wie er Reptilien und Vögeln eigen zu sein pflegt, stattgefunden. | Erklärung der Abbildungen. Tafel XIII. Fig. 1. Kleine Kopfmuskeln des Hundes. Fig. 2. Kleine Kopfmuskeln des Dachses. Fig. 3. Kleine Kopfmuskeln des Murmelthieres. R. s., Rectus superfieialis; R. mj., Rectus major; R. m., Rectus minor. — 0. i., Obliquus inferior; O. s., Obliquus superior. — Die durchschnittenen und fast sämmtlich zurückgeschlagenen Muskeln führen ausser obiger Be- zeichnung einen Stern (*). — In Fig. 2 ist der zweitheilige O. s. linkerseits nur zur Hälfte durchschnitten. — ce’, erster, ce”, zweiter, e”’, dritter Cer- vicalnerv. — V3, dritter Halswirbel. Fig. 4 Kleine Kopfmuskeln des Huhnes. R. mj., Reetus major, R. mj.*, durchschnitten; R. m., Rectus minor. — O., Obliquus. — e', erster, €’, zweiter Cervialnerv. — V3, dritter Halswirbel. Fig. 9 Kleine Kopfmuskeln eines Reptiles (Monitor; speec.?) R., Rectus; O., Obliquus, ©*,, durchschnitten; T., Schläfenmuskel. — c', erster, ec’, zweiter Cervicalnerv. — V3, dritter Halswirbel. 1) Weicker, Beiträge zur Myologie. Zeitschr. f. Anatomie und Entwick- lungsgeschichte von W. Hıs und W. Braune. Leipzig 1875. Bd. I. 8. 177. xXX. Die Tuben-Tonsille des Menschen. Von E. v Teutleben, Dr. ph. (Hierzu Tafel XIV.) In der Schleimhaut der Tube kommt adenoides Gewebe vor. RÜDINGER!) fand solches am häufigsten unter der Knochenlamelle, welche die Tube von dem canalis tensoris tympanı scheidet; WEBER- Lie?) bemerkte, dass die Tubenschleimhaut, wenigstens in ihrem unteren an das ostium pharyngeum angrenzenden Viertheil einen adenoiden Bau habe. An Durchschnitten durch die Tube eines halb- jährigen Kindes fand Professor GERLACH?) die Schleimhaut derselben mit Balgdrüsen durchsetzt. Die Tubenschleimhaut des Erwachsenen ist von mir etwas näher auf diese Verhältnisse hin untersucht worden. — Herrn Professor GERLACH sage ich für die Theilnahme, die er meiner Arbeit geschenkt hat, meinen verbindlichsten Dank; Herrn Dr. Hrımzem bin ich für die Anfertigung der Zeichnungen zu grossem Dank verpflichtet. — Die Pharynxtonsille findet sich in der Schleimhaut des Schlund- kopfes eingelagert in der oberen Wand des letzteren, da, wo sich der- selbe an die Basis des Schädels anheftet, und zieht von der Mündung der einen Tube quer herüber zu der anderen. Sie besteht aus dicht an einander gelagerten tuberkeltörmigen Erhabenheiten, die entweder einfach solide Anhäufungen adenoider Substanz bilden, die die Schleim- 1) Strieker’s Handbuch II, 872. 2) Ueber das Wesen und die Heilbarkeit der häufigsten Form progressiver Schwerhörigkeit. 1873. S. 55. 3) Erlanger Sitzungsberichte 1875. 8. März. Die Tuben-Tonsille des Menschen. 299 haut mehr oder weniger weit hervorwölben, oder die eine centrale Einstülpung zeigen, deren Lumen von der sich einschlagenden Schleim- haut begrenzt bald grösser, bald kleiner, bald mehr länglich, bald mehr nach unten hin sich ausbuchtend eine Höhle darstellt, wie die- selbe bei den Balgdrüsen der Zungenwurzel getroffen wird. Die adenoide Substanz, die die Aussenseite der eingestülpten Schleimhaut aus- kleidet, ist wohl nur sehr selten in einzelne Follikel gesondert, in der Regel erscheint dieselbe in gleichmässig kontinuirlicher Anordnung. ‚Zwischen den einzelnen Tuberkeln oder in der Nähe der Bälge münden zahlreich angeordnete Schleimdrüsen aus. In die Wand der bursa pharyngea setzt sich die Pharynxtonsille fort, ja zuweilen kann man eine Fortsetzung derselben über die mediale Wand der Tube hinweg in das Innere derselben hinein eine Strecke weit deutlich verfolgen. Einzelne Balgdrüsen ziehen sich verschieden weit in den Pharynx herab, auch nach den Seiten hin bis zur Mündung der Tube und wohl noch darüber hinaus. Die Pharynxtonsille bietet nun äusserst variable Verhältnisse dar. Am stärksten entwickelt zeigt sie sich bei dem Kinde, aber auch schon hier sehr ungleich, bei dem einen in grosser Mächtigkeit, bei dem andern bedeutend reduzirt. Noch grösser werden die Verschiedenheiten bei dem Erwachsenen. Bei den Erwachsenen, die ich darauf hin zu untersuchen Gelegenheit hatte, war von einer Pharynxtonsille von der oben beschriebenen makroskopischen Struktur keine Rede mehr. An Stelle der höckrigen vorspringenden Bildungen zeigten sich nur noch verschieden zahlreiche grössere oder kleinere, flachere oder tiefere nadelstichförmige Gruben und Grübchen, umrahmt von mehr oder weniger hohen Rändern. Ein Frontalschnitt durch diese Gegend, bei schwacher Vergrösserung betrachtet, zeigt kleine Höckerchen, abwechselnd mit flachen Grübehen, die ersteren angefüllt, die letzteren umkleidet in der verschiedensten Weise von adenoidem Gewebe, welches aber zuweilen auch vollständig geschwunden sein kann. Wo sich eine bursa pharyngea vorfand, oder deren zwei vor- handen waren, zeigten nur die Wände derselben noch deutlicher eine Struktur, die an diejenige der Pharynxtonsille erinnert in ihrem typi- schen Bau. Jene nadelstichföormigen Gruben und Grübchen setzen sich nun von der Basis des Schlundkopfgewölbes herab auch auf das ostium pharyngeum tubae fort, und über dieses hinweg in das Innere der Tube hinein. Am zahlreichsten finden sich dieselben in der Schleim- haut der medialen Wand derselben, und hier besonders an dem Wulst, den die mediale Wand des Tubenknorpels in der Pharynxschleimhaut bildet. Sie nehmen bisweilen die ganze Höhe der Tubenwand ein, das heisst sie finden sich von der Umbiegung der medialen Wand in 300 XX. E. v. TEUTLEBEN. die laterale bis herab, wo die Schleimhaut der ersteren unmerklich in die des umgebenden Pharynxgewebes übergeht. In der lateralen Wand der Tube, die nur aus einer Schleimhaut, einer bindegewebigen propria und einer sehr fettreichen äusseren Bindegewebslage besteht, finden sich diese Grübchen nur sehr vereinzelt, und nur unmittelbar an dem Eingang in die Tube. Ueberhaupt kommen dieselben am reichlich- sten vor in dem unteren Drittheil derselben, von dem ostium pharyn- geum an gerechnet; in dem mittleren Drittheil sind sie schon viel seltener, und in dem oberen Drittheil der knorpligen Tube fehlen die- selben in der Regel vollständig. Betrachtet man einen durch die Mitte dieser Grübchen geführten Frontalschnitt bei schwacher Vergrösserung, so erkennt man, dass dieselben, sowohl diejenigen, die sich im Pharynx finden, als auch die, die man in der Tube antrifit aus einer Einstülpung der Schleim- haut bestehen, in die hinein in dem einen Falle das geschichtete Pflasterepithel des Pharynx, in dem andern das Cylinderepithel der Tube sich kontinuirlich fortsetz. An den meisten Präparaten ist jedoch das Epithel durch Mazeration zu Grunde gegangen. Dieselben sind bald breiter, bald schmaler, bald flacher, bald mehr in die Tiefe reichend, bald gerade nach abwärts ziehend, bald schief nach einer Seite gerichtet. In der Umgebung dieser Einstülpungen ist sehr häufig nichts besonderes zu bemerken, das heisst: unmittelbar an die äussere Seite der Einstülpung grenzt das submucöse Bindegewebe an. Bei einer anderen Anzahl von den mit Carmin behandelten Schnitten findet man die Umgebung einer solchen Einstülpung stärker gefärbt, und diese stärkere Färbung wird bedingt durch die Anwesenheit einer grösseren oder geringeren Menge Iymphoider Körperchen, mit anderen Worten: um die Aussenseite dieser Einstülpung in der verschiedensten Weise herumgelagert, findet sich adenoides Gewebe. Von diesen ein- fachsten, von einer geringen Menge adenoider Substanz umgebenen Einstülpungen führen nun Zwischenstufen oder Uebergänge in der mannigfaltigsten Modifikation bis zu den den Balgdrüsen ähnlichen Bildungen bei dem Erwachsenen, beziehungsweise bis zu den echten Baledrüsen, wie sich dieselben bei dem Kinde vorfinden. Ueber diese letzteren theilt Professor GERLACH folgendes mit (l. €.): „...... Es betrifft das Vorkommen von Baledrüsen in der Tube, welche in dem ganzen knorpligen Theil der Röhre von dem ostium pharyngeum an bis zum Uebergange der tuba cartilaginea in die tuba ossea ungemein zahlreich auftreten. Am häufigsten sind dieselben in dem mittleren Theile der knorpligen Tube, wo geradezu eine Balgdrüse neben der anderen liegt. An dem Grunde dieser Bälge sind, mehr in dem submucösen Binde- Die Tuben-Tonsille des Menschen. 301 gewebe gelegen, massenhaft acinöse Schleimdrüsen vorhanden, deren Ausführungsgänge theils zwischen die Balgdrüsen, theils in die Hohl- räume derselben einmünden. Die Bälge der Tubenschleimhaut sind aber kaum halb so gross als diejenigen der Gaumen- und Rachen- mandel, nehmen aber nahezu die ganze Dicke der Tubenschleimhaut ein. Die Wand der Bälge ist 0,3 bis 0,4 mm. dick, und besteht aus der bekannten conglobirten Drüsensubstanz. Abtheilungen der letzteren in Form geschlossener Follikel kommen in derselben nicht vor, sondern die ganze Wand der Balgdrüse besteht hier aus diffuser conglobirter Drüsensubstanz, welche übrigens nach Aussen scharf abgegrenzt ist, und auf deren innerer Fläche unmittelbar das Tubenepithei aufsitzt. Zu den 3 bis jetzt bekannten Lokalitäten der oberen Abtheilung des Nahrungsschlauches, an welchen Balgdrüsen nachgewiesen wurden, in der hinter dem Zungen- A gelegenen Drüsenregion der Zunge, in den Tonsillen, und in dem Dache des Pharynx ist somit eine neue hinzu- gekommen, in der tuba Eustach., welche man vielleicht nach der Ana- logie von Pharynx-Mandel Tuben-Mandel nennen könnte.“ Wesentlich verschieden von dieser Anordnung der adenoiden Sub- stanz bei dem Kinde ist nun diejenige, wie sie sich in der Tube bei dem Erwachsenen vorfinde. Hier findet sich dieselbe in 3 ver- schiedenen Modifikationen. Entweder dieselbe infiltrirt gleichmässig die sanze Schleimhaut, ohne die Oberfläche derselben irgend wie zu ver- ändern, oder sie füllt in das Lumen vorspringende Einstülpungen der- selben aus, oder sie umgibt nach Aussen gerichtete Ausstülpungen derselben. Was die erste Art anbetrifit, so findet sich die Schleimhaut an den verschiedensten Stellen schwächer oder stärker mit Iymphoider Substanz durchsetzt; bald bildet diese letztere nur einen dünnen Streifen unter dem Epithel, bald erstreckt sie sich in gleichmässiger Stärke bis herab zum submucösen Gewebe, und zwar bald in längerer bald in kürzerer Ausdehnung. Bisweilen trifft man auch dieht unter dem Epithel eingelagert ein Häufchen Iymphoiden Gewebes. Diese gleichmässige adenoide Infiltration der Schleimhaut fand sich am häufig- sten an der Partie derselben, die sich von der Mitte der medialen Wand des Tubenkorpels unter dem Knorpelhaken hinweg zur lateralen Wand hinzieht. Die zweite Modifikation ist die am wenigsten häufige. Bei dem Kinde trifft man hier und da solitäre Follikel in der Tubenschleim- haut. Bei dem Erwachsenen findet man entweder eine Stelle der Schleimhaut in etwas längerer Ausdehnung schwächer oder stärker vorgetrieben, und mit adenoidem Gewebe infiltrirt, oder es zeigen sich 302 XX. E, v. TEUTLEBEN. Hervorwölbungen der Schleimhaut mit breiter Basis aufsitzend und nach dem Lumen zu sich verschmälernd, also hügelförmig, oder mit stielförmiger Basis mit der Schleimhaut in Verbindung und nach dem Lumen zu sich verbreiternd, also pilzförmig, ähnlich den pilzförmigen Papillen der Zunge. Sie sind mit dem Tubenepithel bekleidet, und sehr oft gleichmässig dicht mit adenoider Substanz infiltrirt. Sie gleichen in diesem Falle — natürlich in verkleinertem Maassstabe — den Lymphoid-Tuberkeln, wie sich dieselben in dichter Anlagerung in der Pharynxtonsille finden, und können als Modifikationen solitärer Follikel betrachtet werden, die sich von ihrer Unterlage etwas er- hoben, und nach einer hiehtung hin verschmälert, beziehungsweise verbreitert haben. Oft findet sich in denselben das Iymphoide Gewebe nur sehr schwach angeordnet vor, oder dasselbe zieht nur in einer schmalen Randzone dicht unter dem Epithel hin. Sehr oft bestehen endlich diese Hervorwölbungen nur aus bindegewebiger Grundlage mit aufsitzendem Epithel: die adenoide Substanz ist hier aus ihrem Innern vollständig geschwunden. Hin und wieder findet man auch wohl ein- mal zwei solcher hügelförmiger Hervorstülpungen dicht neben einander gelagert, beide mehr oder weniger stark Iymphoid infiltrirt. In selte- nen Fällen springt eine längliche, zungenförmige Falte der Schleim- haut in das Lumen vor bis fast zur gegenüberliegenden Wand; auch diese Falte zeigt zuweilen eine lymphoide Struktur; sie fand sich nur von der inneren Wand des Knorpelhakens ausgehend, und der medialen knorpligen Tubenwand entgegengerichtet. Am häufigsten findet sich die dritte Modifikation, die Einstül- pungen der Schleimhaut nach Aussen hin. Als Uebergangsform von der einfachen Iymphoiden Infiltration der ebenen Schleimhaut zu den Hervorwölbungen und Einsenkungen kann man die wellenförmige Conturirung derselben auflassen. Da die Tube sich erweitern und ver- engern kann, so wird sich eine, wenn auch nur geringe Faltenbildung ihrer Schleimhaut erwarten lassen, wie wir eine solche überall in Hohlorganen, Ausführungsgängen, überhaupt den Gebilden finden, deren Wände den Anforderungen einer veränderten Spannung unterliegen. Am häufigsten zeigt sich die Schleimhaut an der medialen und lateralen Wand von wellenförmisem Contur. Lagert sich nun hier in eine dieser wellenförmigen Erhöhungen adenoide Substanz ab, oder umkleidet letztere die Aussenseite eines dieser kleinen Wellenthäler, so wäre das die einfachste Anlage, aus der in dem einen Falle sich eine hügel- förmige Anhäufung Iymphoiden Gewebes, in dem anderen eine Ein- stülpung, umkleidet von dem gleichen Gewebe entwickeln könnte. Solche Bildungen finden sich nun in der That; es unterscheiden sich Die Tuben-Tonsille des Menschen. 503 dieselben aber — allerdings nur relativ — durch ihre geringgradige Entwicklung von denjenigen, die zu den höheren Bildungen der Balg- drüsen sozusagen in gewisser Verwandtschaft stehen. Diese nun zeigen auch wieder eine ausserordentliche Variabilität. Als einfachste Form finden sich flache Einsenkungen der Schleimhaut, umgeben von ver- schieden dieker, unregelmässig begrenzter Lage Iymphoiden Gewebes. Oft trifft man auf einer längeren Strecke nur eine einzige solche Ein- stülpung an, oft liegen deren mehrere, drei oder vier und noch mehr neben einander; oft umgibt die adenoide Substanz dieselben nur in einem schmalen Saume, oder dieselbe liest zu einem kleineren oder grösseren Klumpen geballt an der Spitze derselben, oft auch zu einer der beiden Seiten, oder auch mehr nach oben zu bis hinauf zur Um- biegungsstelle der Schleimhaut nach abwärts. Oefter liegen zwei Ein- stülpungen dicht neben einander, so dass von einer mehr oder weniger prominirenden Stelle aus die Schleimhaut nach beiden Seiten hin ver- schieden tief sich ausbuchtet; unter beiden Ausbuchtungen liest eine zusammenhängende, unregelmässig abgegrenzte Anhäufung lymphoider Substanz, die sich nach Aussen hin vielleicht etwas verschmälert, und bis zwischen die Drüsenkörper in das submucöse Gewebe hinein sich erstreckt, oder das adenoide Gewebe ist mehr diffus angeordnet, und verliert sich ohne scharfe Grenze in dem umgebenden Bindegewebe. Oft liegen drei oder vier solcher Einstülpungen dicht neben einander in kontinuirlichem Uebergange; unter denselben hinweg zieht sich eine zusammenhängende Masse Iymphoiden Gewebes, die sich nach Aussen bis in das submucöse Gewebe hinaberstreckt, und nach den Seiten hin emporsteigend unter der Oberfläche der Schleimhaut sich noch eine Strecke weit nach den Seiten hin fortsetzt. In diesem Falle finden sich vier oder fünf prominirende Punkte, zwischen denen diese Ein- senkungen mehr oder weniger tief sich hinab erstrecken. Zwischen denselben münden acinöse Drüsen aus, die in dem submucösen Ge- vrebe eingelagert sind, zuweilen aber tief in das Knorpelgewebe sich herabgesenkt haben. In vielen Fällen sucht man aber in der Um- gebung dieser Einstülpungen vergeblich nach der adenoiden Umklei- dung. Es finden sich ferner Einstülpungen, von deren Boden aus die Schleimhaut sich wieder in Form eines kleinen Lymphoid-Tuberkels erhebt; die Einstülpung dieht umscheidet von lymphoidem Gewebe. Bei manchen Einstülpungen zeigt die im Grunde derselben emporsteigende tuberkelförmige Erhebung wieder eine centrale Depression; eine solche findet sich auch oft an dem über das Niveau hervorragenden Theile der Schleimhaut, von dem aus die Einsenkung herabsteigt, oder an die Stelle der Depression tritt hier ein mehr oder weniger tiefer länglicher Spalt. Zeitschrift f. Anatomie. Bd. I. 0 304 XX. E. v. TeuTLEBEN. In andern Fällen finden sich Einstülpungen mit etwas über das Niveau hervorragenden, weit in die Oefinung überhängenden Rändern; der Eingang führt in eine nach unten zu immer mehr nach allen Seiten hin sich erweiternde Höhle; diese gleichen vollkommen den Balgdrüsen, sind aber an ihrer Aussenseite nur sehr spärlich mit adenoider Substanz umkleidet, die bisweilen selbst ganz vermisst wird. Diese Form findet sich am seltensten. In noch anderen Fällen zeigen sich sehr tiefe Einstülpungen, bei denen der eine Rand weit höher ist als der andere, zwischen beiden findet sich in der Tiefe wieder eine centrale Erhebung, überall kommt reichlich adenoides Gewebe in kon- tinuirlicher Anordnung vor. Genug, es gibt so viele Verschiedenheiten, dass es unmöglich ist alle einzeln aufzuführen; es mag nur nochmals bemerkt werden, dass bei allen diesen beschriebenen Bildungen die adenoide Substanz auch fehlen kann, in anderen Fällen nur spurweise aufzufinden ist. In der Nähe der Umbiegung der medialen Knorpelwand in die laterale kommen nun noch bisweilen einige besondere Bildungen vor Hier zeigen sich zuweilen sehr grosse, das heisst tiefe und breite Ein- stülpungen, halbringförmig oder halboval, mit konzentrisch herumge- lagertem, dickem Streifen adenoider Substanz (Fig. 3 Taf. XIV), oder es finden sich hier trichterförmige, oder geradezu keilförmige Einstül- pungen in der Schleimhaut, die Spitze nach Aussen gerichtet, deren Ränder nur sehr wenig oder gar nicht über die umgebende Schleim- haut hervorragen, umrandet von sehr breiter, gleichmässig dicht ange- ordneter Schicht adenoiden Gewebes. (Figg. 1—4 P Taf. XIV) An der einen Seite einer solchen grösseren Einstülpung mündet eine acinöse Drüse, nach der anderen hin schliessen sich mehrere kleinere an; oder es findet sich hier nur eine einzige kleinere. (Figg. 1 u. 2 Taf. XIV) Auch kann sich an der einen Seite einer keilförmigen Einstülpung eine kleinere anschliessen, während nach der andern sich eine der oben erwähnten tiefen und breiten, halbovalen, von dichter Schicht adenoider Substanz umkleideten Ausbuchtungen vorfindet; zwischen beiden in eine kleinere Vertiefung hinein mündet eine acinöse Drüse. (Fig. 3 Taf. XIV) Diese trichter- oder keilförmigen Einstülpungen, an deren Aussen- seite eine dicht angeordnete, breite Schicht adenoider Substanz sich findet, deren Ränder wenig oder gar nicht über das Niveau der umgebenden Schleimhaut hervorragen, und in deren unmittelbarer Nähe eine acinöse Drüse mündet, kann man als die einfachste und niedrigste Form der Balgdrüsen auffassen und Primitivbälge nennen. Dieselben finden sich aber durchaus nicht konstant; ich habe sie in Die Tuben-Tonsille des Menschen. 305 der typischen Form, wie sie in der Zeichnung wiedergegeben sind, unter vierzehn Tuben nur in einer einzigen angetroffen. — Es wurde oben bemerkt, dass in der Schleimhaut des Schlund- kopfes an der Stelle, an der bei dem Kinde die Pharynxtonsille ihren Platz hat, so wie nach abwärts über das ostium pharyngeum hinweg in die Tube hinein eine grössere oder geringere Menge nadelstichförmiger Grübchen vorkommen. Dieselben Grübchen sind nun auch im Dick- darm, Wurmfortsatz und Rectum vorhanden. Ueber dieselben bemerkt HENLED): „Von Drüsen finden sich im Dickdarm zwei Formen, echte, blinddarmförmige, und conglobirte, solitäre. Beide gleichen im Wesent- lichen den entsprechenden Formen der Dünndarmdrüsen, und sind die blinddarmförmigen in allen Dimensionen um so grösser, je näher dem unteren Ende des Darms, und an die Stelle der solitären treten sehr häufig nadelstichförmige Grübchen, deren Beziehung zur conglobirten Drüsensubstanz noch zu ermitteln bleibt. „Die Schleimhaut des Proc. vermiformis enthält ebenfalls blind- darmförmige Drüsen, und die conglobirten, oder die deren Stelle ver- tretenden flachen Grübchen so gleichförmig dicht an einander gedrängt, dass die Zwischenräume oft nur schmalen Brücken gleichen.“ Diese Grübchen des Darmes sind bald schmaler, bald breiter, bald länger, bald kürzer, man trifft solche mit etwas hervorstehen- den nach dem Lumen zu überhängenden Rändern; kurz, es finden sich dieselben verschiedenartigsten Modifikationen, wie bei denen des Pharynx und der Tube. Es fragt sich jetzt: was bedeuten diese Grübchen? Sind dieselben unvollendet gebliebene Anlagen von Balgdrüsen, oder sind sie als Zeichen einer Rückbildung aufzufassen? Vielleicht das letztere. Wie oben erwähnt, finden sich in der Tube, wenn auch gerade nicht häufig Einstülpungen mit etwas über das Niveau hervorragenden, in die Oefinung hinein überhängenden Rändern, deren enger Eingang in eine nach unten hin sich nach allen Seiten gleichmässig ausbuch- tende Höhle führt; dieselben gleichen also vollkommen den Bälgen, wie wir sie auf dem Zungenrücken antreffen; nur ist bei ihnen die umgebende adenoide Substanz sehr schwach entwickelt, oder fehlt gänzlich. Ein solches Gebilde kann man sehr wohl für einen in der regressiven Metamorphose befindlichen Balg erklären. Wir sehen ferner, dass die tuberkelförmigen Hervorragungen in der Tube, die zuweilen überaus dicht mit Iymphoidem Gewebe infiltrirt sind, in anderen Fällen nur nech eine schwache Randzone dieses Gewebes zeigen, oder 1) Eingeweidelehre 2. Aufl. 193. 20* 306 XX. E. v. TEUTLEBEN. dass die adenoide Substanz in ihnen nur sehr spärlich sich vorfindet, ja dass in manchen Fällen nur noch die Erhebung zurückblieb, die charakteristische Substanz aus ihnen geschwunden ist; wir sehen, dass bei allen den oben beschriebenen einfachen Einstülpungen der Tuben- schleimhaut die adenoide Substanz, die dieselben in manchen Fällen in sehr dichter Anordnung umgibt, in anderen vollständig vermisst werden kann: auch in diesen Fällen kann man von einer kückbildung sprechen. Wir sehen, dass auch die Pharynxtonsille einer regressiven Meta- morphose unterworfen ist. An Stelle des oft so mächtig entwickelten Organes bei dem Kinde, treten bei dem Erwachsenen die zuweilen nur noch mikroskopischen Höckerchen, und in grösserer oder geringerer Anzahl jene Grübchen, die zurückbleiben können, wenn die lymphoide Substanz, die die Aussenseite eines Balges umgab, geschwunden ist, oder wenn die tuberkelförmigen Erhabenheiten, die sich in dichter Anordnung an der Zusammensetzung dieser Bildung betheiligen, bis auf einen kleinen Rest vergangen sind, so dass endlich nur noch die Grübchen die Stelle bezeichnen, von der aus nach beiden Seiten hin sich jene Lymphoid-Tuberkel erhoben, die nunmehr der ausgleichenden Rückbildung unterlegen sind. Als Zeichen einer ähnlichen Rückbildung kann man nun auch jene Grübchen im Darm auffassen, als Ueberreste primitiver Bälge, beziehungsweise jener einfachsten, von lymphoidem Gewebe um- gebenen Einstülpungen, wie wir dieselben in der Schleimhaut der Tube unter Umständen so reichlich antreffien. Sie wären dann die Wahrzeichen dafür, dass hier in früherer Lebensepoche in reich- licherem Maasse jene merkwürdige adenoide Substanz angehäuft war, der vielleicht in dem Aufbau, dem Wachsthum, dem gesunden und kranken Leben unseres Körpers eine grössere Rolle zugewiesen ist, als man gegenwärtig anzunehmen sich für berechtigt hält. Fassen wir zusammen, was oben über die Tubenschleimhaut mit- getheilt worden, so ergibt sich, dass es wohl gestattet sein dürfte, von einer Tuben-Tonsille auch bei dem Erwachsenen zu sprechen, dass man aber dabei nicht vergessen darf, dass jene, so zu sagen höheren Bildungen, die echten Balgdrüsen sich nicht in derselben vorfinden, dass am meisten die unregelmässigen, mit adenoider Substanz um- gebenen Einstülpungen gefunden werden, während die keilförmigen primitiven Bälge in ihrem Vorkommen nicht konstant sind, dass end- lich alle diese Bildungen in manchen Tuben nur sehr schwach ent- wickelt sind, in anderen Fällen wohl auch vollständig fehlen können. Diese grosse Inkonstanz in dem Auftreten dieser Bildungen hat Die Tuben-Tonsille des Menschen. 307 nichts Auffallendes mehr, wenn man sich erinnert, dass auch in der Bindehaut der Augenlider die Trachomdrüsen oft vollständig fehlen, dass in manchen Fällen die solitären Follikel des Dünndarmes nach HEnLE vermisst werden, in anderen die lentikulären Drüsen des Magens ein gleiches Schicksal theilen. In pathologischer Beziehung spielt die adenoide Substanz eine wichtige Rolle. Wir kennen eine echte Hyperplasie bei den Tonsillen und den Balgdrüsen des Schlundes.. Wir sehen bei der Leukämie die Follikel der Zunge, des Larynx und der Trachea an dem spezifischen Prozesse betheiligt: es liegt nahe zu vermuthen, dass auch die Schleimhaut der Tube bei reichlicher Entwicklung von adenoider Substanz in derselben bisweilen in gleicher Weise mit affizirt sein könne, eine Affektion, die sich durch Störungen in dem Gebiete der Gehörsempfindungen kenntlich machen dürfte. Wir wissen, dass bei dem Abdominal-Typhus sehr oft Schwer- hörigkeit auftritt, die sich noch längere Zeit in die Rekonvalescenz hinein erstrecken, ja zuweilen für immer fortbestehen kann. Diese Gehörsstörungen können zum Theil ihre Erklärung finden durch An- nahme einer katarrhalischen Entzündung des Mittelohres mit ihren weiteren Folgen. Da aber denselben in vielen Fällen keine nachweis- baren anatomischen Veränderungen zu Grunde liegend gefunden werden, oder die gefundenen Veränderungen in keinem Verhältnisse stehen zu der Grösse der beobachteten Funktionsstörung, so ist HOFFMANN!) der Ansicht, dass es sich hier um rein nervöse Störungen handle, wie solche im Verlaufe des Typhus konstant vorkommen. WEBER-LIEL?) möchte diese Störungen als bedingt ansehen theils durch nervöse Affektionen, theils durch katarrhalische Erkrankung des Mittelohres, theils durch mangelhafte Funktionirung der Tubenmuskulatur, welche ihrerseits in der schon bei Beginn der Krankheit auftretenden allge- meinen Körperschwäche ihr Analogon fände. Bei fortbestehenden Ge- hörsstörungen und Abwesenheit anderer Affektionen des Mittelohres, meint derselbe die durch die typhöse Myositis bedingte wachsartige Metamorphose der Tubenmuskulatur, und die aus derselben resultirende Funktionsanomalie der letzteren verantwortlich machen zu dürfen, wenn in diesen Fällen aus irgend welchen Ursachen die entarteten Muskelfibrillen nicht wieder zur Norm zurückgeführt worden sind. I) Die Erkrankung des Ohres beim Abdominal-Typhus. Archiv für Ohren- heilkunde. IV. 1. 273 u. 274. 2) a.a. O0. 154 ff. 308 E. v. TEUTLEBEN, Die Tuben-Tonsille des Menschen. Es ist aber auch noch etwas anderes denkbar. Da der typhöse Prozess im pathologisch-anatomischen Sinne in der adenoiden Substanz lokalisirt ist, da wir durch denselben die Milz, die Peyer’schen Drüsen, die Mesenterialdrüsen, die solitären Follikel des Magens und des Kehl- kopfes in schwerster Weise affızirt finden, so wäre es wohl denkbar, dass in den Fällen, in denen eine Tubentonsille entwickelt ist, jene Schwerhörigkeit zum Theil wenigstens mit abhinge von Veränderungen in der Schleimhaut der Tube, die durch Einlagerung und Umwand- lung der Typhuszelle bedinst sind. Erklärung der Abbildungen. Tafel XIV. Fig. 1—4. Querschnitte durch die Tube des Erwachsenen. T. E. Lumen der Tuba Eustachi. c. Knorpel. g. m. Schleimdrüse. d. Ausführungsgang derselben. P. Primitivbalg. Fig. 5. Querschnitt durch die Tube eines halbjährigen Kindes. Nach einem Präparate von Professor GERLACH. T. E. Lumen der Tube. B. Balgdrüse. XXI. Kleinere Mittheilungen. 1. Ueber das Vorkommen eines Sesambeines in den Ursprungssehnen des Gastroknemius beim Menschen. Von Cand. med. Wilhelm Ost. (Aus dem anatomischen Institute von Prof. Aeby in Bern.) Durch GRUBER ist das Vorkommen wahrer Sesambeine im oberen Ende des Gastroknemius einer Untersuchung unterworfen worden. Ihr zufolge fehlt eine derartige Beigabe dem innern Kopfe des Muskels ausnahmslos, während sie den äussern durchschnittlich unter je sechs Extremitäten ein- mal zukommt. Bei Gelegenheit eines bezüglichen Referates (Schmipr’s Jahr- bücher. 1876. Nr. 2.) macht Tuxıne darauf aufmerksam, dass er seiner in Bern gemachten Erfahrungen zufolge dieses Vorkommen für die dortige Gegend als ein regelmässiges ansehen müsse. Er knüpft daran die Bemer- kung, dass der jetzige Vorstand der Berner Anatomie vielleicht Veranlassung nehme, diese um mehr denn dreissig Jahre zurückstehenden Untersuchungen controliren zu lassen. Es lag dies allerdings um so näher, als Treıme auf die Möglichkeit einer Racenverschiedenheit hinweist, indem in Petersburg wesentlich Slaven in Betracht kommen und solche in der Schweiz wohl ganz ausgeschlossen sind. Ich habe mich auf Anregung von Herrn Prof. Asy der bezeichneten Aufgabe unterzogen und nachfolgende Resultate erhalten. Die Untersuchung erstreckte sich auf dreissig Extremitäten — zwanzig männliche und zehn weibliche — des hiesigen Präparirsaales. Das Alter ihrer Besitzer betrug in keinem Falle weniger als dreissig Jahr und war daher ein solches, wo nach Gruger’s Angaben die Ausbildung des fraglichen 310 XXI. Kleinere Mittheilungen. Knochens, wenn sie überhaupt im Typus der betreffenden Individuen liegt, längst vollendet sein muss. Fast überall erschien die Sehne des äusseren Kopfes dieker und fester als diejenige des inneren. Ausserdem war jener eine spindelförmige Anschwellung der Mitte eigen, aus der sich in ungefähr zwei Drittheilen der Fälle eine mehr oder weniger scharf umschriebene, bald platte, bald kugelige derbere Stelle von Erbsengrösse herausfühlen liess. Eine mikroskopische Prüfung wurde, da es sich nur um den Nachweis eigent- licher Sesambeine handelte, unterlassen. Solcher Sesambeine kamen im ganzen fünf vor. Zwei gehörten männ- lichen, drei weiblichen Leichen an. Von letzteren fallen zwei auf die beid- seitigen Extremitäten ein und desselben Individuums. Drei der Knöchelchen besassen rundliche Gestalt und lagen im Innern der schon erwähnten An- schwellung. Zwei waren platt, 2—3 mm. dick, das eine 8 mm. lang und 5 breit, das andere etwas kleiner; sie hatten die Mitte der nicht verdickten Sehne im Besitz, Im übrigen stimmte ihr Verhalten mit den von GRUBER semachten Angaben. : Gleichwie in der Untersuchungsreihe von GRUBER weist also auch in der unsrigen im allgemeinen nur je die sechste Extremität im äusseren Kopfe des Gastroknemius ein Sesambein auf. TaeıLe’s Angaben gewinnen somit in der vorgenommenen Controle keine Stütze. Ich darf noch hinzufügen, dass auch Herr Prof. Argy während seiner 'Thätigkeit in Bern ein anderes als ausnahmsweises Vorkommen nicht erinnerlich ist. Seine Beobachtungen waren freilich nur gelegentliche und machen daher keinerlei Anspruch auf statistische Beweiskratt. In Sachen des Sternalmuskels, Ein Beitrag von klinischer Seite. Von Dr. M. Malbranc, Assistenten am klinischen Hospital zu Freiburg i. Br. I. Beobachtung. Paul H., ein 2Ojähriger kräftiger Bäcker, hellblond, von untersetzter Gestalt, aus dem Preussischen Kreise Wolmirstädt, am 10. Februar 1876 auf die innere Abtheilung (Geheimrath Dr. KussmAuL) aufgenommen, zeigte sich im Besitz eines mir sofort bei der Aufnahmeuntersuchung auffallenden XXI]. Kleinere Mittheilungen. 31l M. sternalis, den ich mehreren Aerzten, u. A. Herrn Geheimrath EcKEr, de- monstriren konnte. Der Muskel fand sich nur rechtsseitig und bedeckte hier, 2,5—3 cm. breit, den Ursprung des M. pectoralis maj. und die rechte Hälfte des Brustbeins, dessen Medianlinie er jedoch nicht erreichte. Er entspringt theils von der Brustbeinfläche vor dem fünften Intercostalraum, theils vom fünften Rippenknorpel der Art, dass sich zwischen beide Ursprungspartieen eine Zacke vom M. pect. hineinschiebt. Die Muskelmasse ist, von den Seiten sefasst, comprimirbar, aber nicht abzuheben oder besonders verschiebbar (also subfascial gelegen) und nur nach innen zu bauchartig, während sie sich nach aussen zu mehr abplattet; ihre Faserrichtung geht im Allgemeinen von unten nach oben, zugleich jedoch auch etwas nach einwärts, Dabei machen die äusseren Fasern einen mehr und mehr nach rechts convexen Bogen. Die kräftige Endsehne inserirt sich an der Louwis’schen Kante, aber nur zum Theil, denn ein aponeurotisch angeordneter äusserer Faseikel derselben zieht über das Manubrium sterni hinauf und fliesst mit der Sternalsehne des rechten M. sternocleidomastoideus zusammen. Der nach rechts concave Aussen- rand dieses Fascikels lässt sich noch eine ziemliche Strecke auf den Ster- nocleidomastoideus verfolgen. Dies das rein anatomische Detail, durch Besichtigung und Betastung leicht festzustellen. Ich versuchte nun die Funktion des Sternalmuskels zu erforschen, einer- seits indem ich den Patienten bei den verschiedensten Thätigkeiten beobach- tete, und andererseits mit Hülfe des faradischen Stromes, dabei gelangte ich zu folgenden Resultaten: Wenn der M. sternalis sich contrahirt, bleibt die Brusthaut vollständig glatt. Der Effekt der Contraktion manifestirt sich als ein Zusammenrücken seiner Fasern zu einem geraden derben Wulst mit starker Anspannung der medialen Sehne, gleichzeitig flacht sich der lange laterale Sehnenbogen (zum Sternoeleidomastoideus hinauf) ab und rückt um 1 cm. Breite einwärts. Willkürlich kann der Muskel nicht isolirt contrahirt werden, doch ge- räth er bei allen jenen Bewegungen im Schultergelenk mit in Anspannung, in welchen der M. pect. maj. mitwirkt; so beim Herabschlagen des empor- gehobenen Armes, beim Anziehen und Vorwärtsholen des Oberarmes, so auch, wenn der Patient mit aufgestützten Armen möglichst tief inspirirt. Aber der Muskel betheiligt sich nicht bei der gewöhnlichen tiefen Athmung, geschehe sie reflectorisch oder mit willkürlicher Nachhülfe; er ist auch unbeeinflusst selbst bei der stärksten willkürlichen oder durch den Inductionsstrom er- zeugten Zusammenziehung des Sternocleidomastoideus: man sieht dann nur jenen lateralen Sehnenrand sich unter der Haut ein wenig deutlicher ab- heben. Bei unserem P. konnte man sehr gut den M. pect. maj. in toto vom 312 XXI. Kleinere Mittheilungen. Nerv. thoracic. anter. aus faradisiren — der M. sternalis blieb dabei so schlaff wie bei inducirter Contraktion des Sternocleidomast. Wohl aber er- zielte man eine nie ausbleibende Anspannung des Muskels, und zwar eine isolirte, durch Applikation der wirksamen Elektrode auf den dritten und vierten Intercostalraum in der ganzen Länge vom Muskelbauch bis zur Par- axillarlinie. Aus diesen Versuchen folgt, dass der M. sternalis des Patienten H. von Nerv. intercostalis III und IV versorgt wird. Doch nicht allein dies, es ergiebt sich auch das zweite positive Resultat, dass er einzig und allein in Coordination mit dem M. pector. maj. funktionirt. II. Beobachtung. Ferdinand M., 57 Jahre alt, ein Freiburger Autochthone, seines Zeichens ein Schuhputzer, am 13. März d. J. in das Spital aufgenommen, besitzt fol- sende Abnörmitäten. Zunächst leidet er an einem Tie convulsif, welcher vor- zugsweise die linke Gesichtshälfte affieirt und hier ganz besonders in dem — vielleicht erst secundär — stärker als rechts entwickelten Platysma colli myoides Fuss gefasst hat. Sodann sind seine beiden Mm. pectorales majj. im unteren Theil der Sternalportionen nur schwach entwickelt, die Clavicu- larportionen und die dem Manubr. sterni entsprechenden Theile dafür jedoch ausserordentlich kräftig. Man könnte versucht sein, eine solche Partial- hypertrophie der Pectorales mit der manches Lustrum hindurch von dem P. ausgeübten Kunst des Stiefelwichsens in ursprünglichen Zusammenhang zu bringen, wenn sich nicht weiter herausstellte, dass sich die beiderseitigen Manubrialportionen der Peetorales in der Mittellinie vereinigten; diese Vereinigung geschieht nicht sowohl durch Uebergreifen der Muskelmassen, als vielmehr hauptsächlich dadurch, dass eine starke etwa rechteckige fibröse Platte vor dem Manubrium eingeschaltet ist. An deren Bildung betheiligen sich ausserdem noch die Sternalsehnen der beiden Mm. sternocleidomastoidei mit starken oberflächlichen Bündeln und endlich die äussersten Bündel eines beiderseits vorhandenen M. sternalis. Da dieser nicht ganz symmetrisch ist, muss ich jede Seite einzeln kurz schildern. Der rechte M. sternalis entspringt vom oberen Rand des Sternalan- satzes des vierten und fünften Rippenknorpels, ist nur 1,5 cm. breit, rund- lich platt im Querschnitt, steigt in unveränderter Breite nach oben innen auf und endigt dicht neben der Medianlinie an dem als dicke quere Auf- treibung vorspringenden Angulus Ludovici. Der Muskel ist über der dritten Rippe verschiebbar, haftet also nicht an ihr. Der äussere Theil der sehr kurzen Endsehne geht in das prämanubriale Sehnenblatt über. — Von den ganzen Vorderflächen des vierten und fünften Rippenknorpels an ihrer In- XXI. Kleinere Mittheilungen. 313 sertionsstelle entspringend, läuft der linke Sternalis in gut 2 cm. Breite ebenfalls aufwärts und einwärts zum Angul. Ludov. und dem beschriebenen Sehnenblatt; er ist im Ganzen stärker, als der rechte und verschmälert sich nach oben zu dadurch, dass er seine medialsten untersten Fasern eine Strecke unterhalb des Angul. Ludov. dem Sternum zuschickt. — Beide Sternales be- decken die Ursprungslinien der Pectorales und lassen zwischen sich ein gros- ses dreieckiges Feld der Vorderfläche des Sternums zu Tage treten; die Basis desselben zwischen den fünften Rippen misst 3,5 em., bis zur Insertion haben sich die Sternalmuskeln auf weniger als 1 cm. genähert. Eine isolirte Contraktion der Mm. sternales kann willkürlich nicht aus- gelöst werden, sie gelingt jedoch bei direkter muskulärer Reizung mit dem Strom: man nimmt dann eine starre Anspannung der Muskelbäuche ohne irgend eine andere Lokomotion der Haut oder unter der Haut wahr, als dass die prämanubriale Aponeurose, je nachdem ein- oder beiderseitig leicht abwärts gezerrt wird. Versetzt man die Sternocleidomastt. durch Hintenüberneigen des Kopfes oder durch Nieken oder auch in elektrische Spannung, so ziehen sie die Apo- neurose etwas aufwärts und es erleiden die Sternales zugleich eine Anspan- nung; diese ist aber nur eine passive und mechanische, weil man in allen jenen Kopflagen durch den Induktionsschlag leicht vermag, noch die funktio- nelle Anspannung hervorzurufen. Beim Ein- und Ausathmen ist: keine Betheiligung des Sternalis zu be- merken; erst bei orthopnoischer Respiration mit aufgestemmten Armen nimmt er sammt dem Pectoralis an dem Spiel der inspiratorischen Muskeln Theil. Ueberhaupt veranlasst jede Action des Pectoralis maj. ein Mitwirken des ent- sprechenden M. sternalis. Die mediale Verbindung der beiden manubrialen Portionen der Pectorales tritt als Querwulst sprechend hervor, sobald nament- lich eine doppelseitige Zusammenziehung geschieht; einseitige kann natürlich nicht ohne Verschiebung der Aponeurose nach der Seite des thätigen Mus- kels geschehen, und diese Verschiebung beträgt 1—2 cm. Während die Applikation der Elektrode auf die beiderseitigen 2—Ö5ten Intercostalräume in Bezug auf die Mm. sternales effektlos bleibt, kann man jeden derselben zur Contraktion bringen, wenn man zwischen Sternallinie und Paraxillarlinie bleibend, den faradischen Strom in den unteren Rand des M. pect. maj. einleitet; die wirksame Zone ist etwa 1—2 Finger breit und rückt bei den verschiedenen Armpositionen hinauf und hinab. Gewöhn- lich erhält man dabei zugleich auch eine partielle intramuskuläre Pectoralis- Zuckung. Die Erregung des ganzen Pect. vom Nerven aus ist bei dem Patienten zu erreichen, falls man in v. Zısmssen’s Weise von der Achsel- grube aus unter dem Peect. vordringt und so dem betr. N. thoracicus anter. beikommt, und dann contrahirt sich ausnahmslos der Sternalis mit. 314 XXI. Kleinere Mittheilungen. Ich schliesse aus dem Gesagten, dass die Mm. sternales des Patienten M. demselben Innervationsgebiet der oder des N. thoraeic. anter. angehören, welches hauptsächlich die Mm. pectorales versieht. Daneben will ich, wie- derholend, noch einmal die unmittelbar beobachtete Thatsache stellen, dass die Sternales auch physiologisch mit den Pectorales coordinirt sind. Ich halte es nicht für überflüssig, diese gelegentlichen Beobachtungen, rudimentär wie sie immer sein mögen, vorzulegen, weil sie in mehrfachem Sinne Interesse wachrufen. Wir dürften damit wohl den M. sternalis zum ersten Male in vivo un- tersucht haben — ein bescheidenes Verdienst angesichts seiner durch TuRNER bei etwa 650 Sektionen konstatirten Häufigkeit von 3 pr. 100. Es ist uns aber auch gelungen, indem wir uns der Elektrode statt des Messers und der Pincette bedienten, unsere Exemplare des M. sternalis ana- tomisch genauer zu verfolgen, als die meisten bisher beschriebenen es sind. Für den Fall wenigstens, dass wir zum anatomischen Gemälde eines Muskels nicht nur seinen Anfang und Ende, sondern auch seine Nervenzweige zu zeichnen nöthig erachten, wie es die vergleichende Myologie heute thut, weil allgemein die Innervation formbeständiger als Ursprung und Ansatz erkannt ist. Für die Varietätenlehre ist dieser Ausgangspunkt zur Differentialdiagnose desto werthvoller, als es sich meistentheils um rückschlägige und rudimentäre Bildungen handelt, welche eben einmal ganz besonders zur Variation neigen: TURNER') nennt gerade den M. sternalis ein lehrreiches Beispiel für diesen allgemeingültigen Satz. In der von R. BARDELEBEN’) kürzlich aus den zer- streuten Akten zusammengestellten Tabelle über 120 bekannte Einzelfälle des M. sternalis findet sich aber nur der einzige Nr. 41 (von HAuLerr) von einer Notiz über die hinzutretenden Nerven begleitet. Mögen zunächst die zwei Fälle unserer Beobachtung seine Nachfolger sein. Nachdem BARDELEBEN die „Mm. sternales“ nach rein myotomischen Kriterien in vier Arten klassifieirt hat, deren jede einzelne bereits früher als allumfassende aufgestellt war, nämlich in Varietäten 1) des Rect. abdo- minalis (Rect. thoracis, Transversus costarum) 2) des Pector maj., 3) des Sternocleidomast. und 4) Rudimente des Panniculus carnosus der Thiere oder doch Hautmuskeln überhaupt — sind wir verpflichtet, unsere Beobachtungen in diese Klassen einzureihen. Der zweite Fall gehört zu jenen, wo der Sternalis in Verbindung mit Sternocleidom. und Pect. maj. zugleich steht, namentlich neben Nr. 23 (von Keıc#), 109 (von Lanwovoss), 114 (von Merken), die sich BARDELEBEN 1) Journal of Anat. and Physiol. I. 1867. p. 249. 2) Zeitschr. f. Anat. und Entwicklungsgesch. von Hıs und Braune. I. 1876. S. 424. XXI. Kleinere Mittheilungen. 315 zögernd entschliesst, zu den Pectoralis-Varietäten zu rechnen; er steht dann ferner dem Fall Nr. 120 (von BARDELEBEN) und einem neuestens') von Hrsse publieirten besonders nahe. Dass es sich wirklich um einen beiderseitigen M. sternalis var. pectoralis handelt, diesem aus der Verlaufsweise unseres Muskels gezogenen Schluss verleiht unserer Ansicht nach aber erst der Be- fund unserer faradischen Prüfung den Werth der Vollgültigkeit, da sie nach- wies, dass er wie die Mm. pectorales von den Nn. thor. ant. versorgt ist. Was den Fall I. unserer Beobachtung angeht, so würde er zweifels- ohne in die Kategorie der supernumerären tiefen Sternocleidomastoideus- Ursprünge versetzt werden. Er deckt sich z. B. in der Anordnung fast gänzlich mit dem Fall Nr. 35 der Barpeuesex’schen Tabelle (von MEcker). Unter den vielen anderen hierher gehörigen Muskeln befindet sich auch der dem unsrigen schon durch seine Insertionen ähnliche Fall Nr. 41 (von Harterr), dessen ich oben erwähnte, weil ich bei ihm die Innervation von Zweigen der. Nn. intercostales IIT—V aus notirt ist. Die Analogie zwischen diesem und unserm Fall lässt keine Einwendung zu, denn auch der Sternalis unseres Patienten H. wird von Intercostalnerven, dem III. und IV., versehen. Allein eben diese ihre Innervation giebt der Anschauung, dass die Fälle Sternocleidomastoideus-Köpfe repräsentirten, sehr wenig Recht, und insoferne ihnen auch Eigenschaften, die sie zum Rectus oder Panniculus carnosus- Resten qualifieirten, gänzlich abgehen, erübrigt vielmehr nur, für sie vor- läufig die schon einmal von HaLserrsmA aufgeworfene Kategorie eines M. sternalis sui generis wiederherzustellen. So verschieden ihrer Herkunft nach unsere beiden Mm. sternales augen- scheinlich sind, so verrichten sie dennoch gleiche physiologische Funktionen. Freilich kann ich eine positive Wirkung ihrer Contraktion im Besonderen nicht bezeichnen, jedoch immerhin so viel constatiren, dass sie ihre Aktions- impulse nur gemeinsam mit den Mm. pectorales empfangen, also in Abhängig- keit von den Coordinationscentren für die Bewegungen des Schultergürtels und des Thorax stehen. Endlich möchte ich noch als ein mehr negatives Resultat aus unseren Versuchen hervorheben, dass keiner der Sternales in der geringsten Beziehung zur Hautdecke stand. Ich mache nicht ohne Grund darauf aufmerksam, denn der „Sternalis brutorum“ gilt — gemäss einer von TuRNER aufgestell- ten und halb von ihm selbst, zur anderen Hälfte von BARDELEBEN wider- legten Hypothese — vielfach z. B, in den Darwın’schen Schriften als Derivat der Hautmuskulatur der Säugethiere. Durch diese Bemerkung hoffe ich unsere Fälle vor dem Schicksal, derartig verkannt zu werden, zu bewahren. 1) Zeitschr. f. Anat. und Entwieklungsgesch. von Hıs und Braune. I. 1876. S. 459. XXI. Kleinere Mittheilungen. sternalis var. pectoralis, doppelseitig aufgenommen, während der 316 Die beifolgende Abbildung „M entwickelt“ stellt den Fall II dar und wurde Ta | Patient M. seine beiden rückwärts festgehaltenen Oberarme nach vorne zu bewegen versuchte und dazu die Pectorales und mit ihnen die Sternales contrahirte. XXI. Kleinere Mittheilungen. 317 3. Ueber Knochenlymphgefässe. Von Dr. Albrecht Budge, Privatdocent und Assistent am anatomischen Institute in Greifswald. Der Aufsatz von Prof. SchwALBE über Knochenlymphgefässe (siehe vor. Heft dieser Zeitschrift) enthält in seiner Einleitung einige Worte über die Beziehung seiner Arbeit zu der meinigen, welche der Missdeutung fähig sind und die mich zu folgenden Feststellungen veranlassen. 1. Ich habe im Jahre 1874 Prof. SCHWALBE in Jena von Leipzig aus, wo ich im physiolog. Institute über Leberlymphgefässe arbeitete, besucht. Er zeigte mir damals periostale Lymphgefässe. Ich habe dieses Factum in meiner Arbeit (vom 27. Februar 1876) über die Lymphwurzeln der Kno- chen im Archiv für mikrosc. Anat. Bd. XIII. erwähnt, bevor ich von Prof. SCHWALBE’S neuester Publication (ausgegeben am 7. Juli 1876) Kenntniss erhalten hatte. Dass mir Prof. SchwALBE damals von den Lymphgefässen des Knochens etwas mitgetheilt oder darauf bezügliche Präparate vorgelegt hätte, ist mir durchaus nicht erinnerlich. 2. Meine Arbeit über die Knochenlymphgefässe ist veranlasst worden durch den Fund einer doppelten Endothelscheide der Blutgefässe in den kleinsten HAavzrs’schen Kanälchen, ein Fund den ich gemacht habe, als ich vor etwa einem Jahre behufs meiner Habilitation die Blutgefässe des Knochens bearbeitete. 3. Zu einer Ausarbeitung meines Fundes war ich Prof. SCHWALBE gegen- über berechtigt, weil ich ihm die Kenntniss desselben nicht verdanke und weil mir auch durch keinerlei Kundgebung bekannt gewesen ist, dass er denselben Gegenstand jetzt bearbeite. Selbst dessen vor wenigen Monaten erschienene grössere Arbeit über Ernährungscanäle der Knochen hat der Lymph- gefässe des Knochens nicht erwähnt. Greifswald, 20. Juli 1876. Schlusswort der Redaction. Da die Angaben des Herrn Prof. SchwAuse (d. Zeitschrift II. S. 131) und die obigen des Herrn Dr. Bungee über das was s. Z. zwischen ihnen mündlich verhandelt worden ist, verschieden lauten, so hat sich die Redac- 818 XXI. Kleinere Mittheilungen. tion, um fernere Erörterungen abzuschneiden, bemüht, eine Ausgleichung der thatsächlichen Differenzen herbeizuführen. Dies ist ihr jedoch nicht gelungen, denn sowohl Herr Prof. SchwALgE, als Herr Dr. Bupge haben die Erklärung abgegeben, dass sie nicht im Stande sind, ihre in der Sache gemachten Angaben zu modificiren, weil diese der Wahrheit vollkommen entsprechen. XXL. Die lufthaltigen Nebenräume des Mittelohres beim Menschen. Von Dr. H. A. Wildermuth, Assistent am Anatomischen Institute in Tübingen. (Hierzu Tafel XV.) On account of their position and peeuliar arrangement, disease of the mastoid cells is usually of a more serious character than disease of the tympanum. Joseph Toynbee. ‘The diseases of the ear’. Die mittlere Gehörshöhle des Menschen wird durch zellenförmige Räume vergrössert, welche in das Schläfenbein eingesenkt sind, und deren Auskleidung eine direkte Fortsetzung der Paukenschleimhaut darstellt. Die physiologische Bedeutung dieser Räume zu untersuchen liegt nicht im Bereiche dieser Arbeit, von irgendwie wesentlicher Bedeutung ist die Funktion auf keinen Fall. Allein wenn man die verhängniss- volle Rolle berücksichtigt, welche diese Anhänge der Paukenhöhle bei Erkrankungen des mittleren Ohres spielen, so mag trotz der geringen funktionellen Bedeutung dieser Räume ein neuer Versuch nicht unge- rechtfertigt erscheinen, dieselben einer genauen Untersuchung zu unter- werfen. Bei derselben hatte ich mich der freundlichsten und zuvor- kommendsten Unterstützung des Herrn Prof. Dr. HENKE zu erfreuen, wofür ich demselben hier den geziemendsten Dank ausspreche. I. Literatur. In der alten anatomischen Literatur finden sich nur kurze unge- nügende Darstellungen des Gegenstandes; so berührt A. VEsALıus in Fabrica corporis humani nur flüchtig das Vorhandensein lufthaltiger Zeitschrift f. Anatomie. Bd. U, 21 320 XXI. H. A. WILDERMUTH. käume im proc. mastoideus; ebenso begegnet man in DuvERrNEY'S Tractatus de aure nur kurzer Erwähnung des in Rede stehenden Ver- hältnisses. BLANCARD’s „reformirte Anatomie“ vom Jahre 1695 ent- hält eine Notiz, die man vielleicht auf Kenntniss der zwei das Höhlen- system zusammensetzenden Zellengruppen beziehen könnte. Er sagt bei Beschreibung des cavum tympani: „Die Oeffnung, so im obersten Theile der Paukenhöhle liegt, läufet in den processum mastoideum. — Zu oberst in der Trommel ist eine Höhle, worinnen die Häupter der Bein’gen verborgen sind.“ Etwas genauer sind die Angaben CAssE- BOHM’s (Tractatus quatuor anatom. de aur. hum. 1734): „Cavitatis tympanicae pars posterior sinuositas mastoidea vocatur, sed haec sinuositas nomen a processu mastoideo dieto minus con- grue accepit, jam enim est in foetu antequam processus mastoi- deus appareat et in adulto quoque, supra hunc processum collo- cata est.“ VALSALVAin seinem Tractatus de aure führt die lufthaltigen Neben- räume kurz als integrirenden Theil der Paukenhöhle an. WILDBERG (Versuch einer anatomisch-phys. Abhandlung über die Gehörwerkzeuge 1795) will die Bezeichnung cellulae mastoideae für die nach der ersten Kindheit auftretenden Räume reservirt wissen, für die andern „im obern hintern Theile der Paukenhöhle gelegenen Cellen“ schlägt er den Namen cellul. tympanicae vor. Auch in den neueren anatomischen Handbüchern fehlen genauere Angaben über Entwicklung, Form und Ausbreitung der Luftzellen; so findet sich in der Anatomie des Kopfes von H. LuscHKA im Wesent- lichen nur die grosse Variabilität in der Ausbreitung der Räume und der Dicke der Wandung hervorgehoben. Hente (Handbuch der Knochenlehre e. c.) stellt als Centrum des ganzen Systemes das antrum mastoideum auf, um das sich die kleineren Sinuositäten gruppiren. Eine genauere Berücksichtigung der einschlägigen Verhältnisse findet der Gegenstand erst im Zusammenhang mit der Ohrenheilkunde, speciell in Beziehung auf die künstliche Eröffnung des Warzenfort- satzes. Die üblen Folgen, welche diese — lange Zeit so kritiklos an- gewandte — Operation häufig im Gefolge hat, forderten zu einem ge- nauen Studium der anatomischen Verhältnisse auf und Dr. BEZOLD (s. u.) bemerkte mit vollem Recht: „Dieselbe Genauigkeit, mit welcher in der Augenheilkunde der Ort und die Grösse für die Schnittführung am bulbus festgestellt sind, beansprucht in der Ohrenheilkunde eine Operation von so grosser Tragweite und Zukunft, wie die Anbohrung des Warzenfortsatzes.“ Die lufthaltisen Nebenräume des Mittelohres beim Menschen. 3921 Wie es mir scheint war J. TOYNBEE!) der erste, der eine Tren- nung der in Rede stehenden Gebilde in eine horizontale und vertikale Portion vornahm. Unter der letzteren versteht er die im Warzenfort- satz enthaltenen Zellen, während er unter der horizontalen Portion die übrigen schon vor Entwieklung des processus mastoideus vorhan- denen mit der Paukenhöhle communicirenden Räume des mittleren Ohres zusammenfasst. Ist diese Auffassung, die auch in deutschen Lehrbüchern, wie in den Werken von TröurscH?), und ERHARD ?), Eingang gefunden, von streng morphologischem Gesichtspunkte aus auch nicht ganz genau, so verdienen TOYNBErE's Ausführungen deshalb die grösste Beachtung, weil er auf Grund seiner anatomischen Ein- theilung scharf zwischen den eitrig-cariösen Affektionen des Mittel- ohres, welche vor Entwicklung des processus mastoideus auftreten, und denjenigen Krankheiten unterscheidet, die in späterem Alter zu einer Eiteransammlung in der Paukenhöhle und ihrem Anhange führen. Die auf Sektionsbefunde gestützte Ansicht des berühmten Ohren- arztes geht nämlich dahin, dass bis zum zweiten oder dritten Lebens- jahre namentlich die dünne, das Dach der horizontalen Portion bil- dende Knochenplatte es ist, welche bei Afiektion der mittleren Gehörs- höhle in Mitleidenschaft gezogen wird. Greift nun von dort aus der entzündliche Process auf das Hirn und seine Umhüllungen weiter, so muss der afficirte Theil des ersteren das grosse Gehirn sein, in ihm werden sich im gegebenen Falie Abscesse finden. Mit der Entwicklung der cellulae mastoideae im eigentlichen Sinne tritt — so führt TOYNBEE aus — die Bedeutung der horizontalen Portion zurück. Die Entwick- lung der Lufträume geschieht zur Bildung dieser „vertikalen Portion“ hauptsächlich nach abwärts und rückwärts und die Cellen kommen in die bedenkliche Nachbarschaft des sulcus transversalis, somit auch der hintern Schädelgrube. Die Folgen weitergreifender Aflektionen dieser vertikalen Portion werden Sinusthrombose und Abscesse im kleinen Gehirn sein. Wir werden unten wieder auf ToynsEr’s Ansicht zurück- kommen. Die eingehendste mir zugängliche Beschreibung findet sich in dem vortrefflichen Aufsatze von Dr. ScHwArz und EYSELL im Archiv für Ohrenheilkunde (N. Folge. Bd. I. 157—187.) Namentlich wird hier l) The diseases of the ear, their nature, diagnosis and treatment. — By JosEPH ToyNBER. J. R. S. London, John Churchill. 1860. pag. 300— 347. 2) Lehrbuch der Ohrenheilkunde, mit Einschluss der Anatomie des Ohres von Dr. von TRöLTscH. 1867. 3) ERHARD, rationelle Otiatrik. Erlangen. 21* 322 XXII. H. A. WILDERMUTH. auch die Entwicklung der in Rede stehenden Räume ausführlich be- rücksichtigt. Diese eben erwähnte Darstellung wurde mir erst bekannt nachdem eigene Untersuchungen mich zu ähnlichen Resultaten geführt hatten. Einen weiteren sehr schätzenswerthen Beitrag zur Anatomie dieser Theile hat Dr. Brzonn!) geliefert, der besonders auch die Durch- schnittsmaasse der Lufträume an einer grossen Anzahl von Schädeln festzustellen suchte Wir werden unten auf beide Arbeiten zurück- kommen. II. Anatomie. Wohl kaum wird es einen Theil des menschlichen Körpers geben, der in Anordnung und Gestaltung ähnliche Schwankungen zeigt, wie die lufthaltigen Räume, welche an die Paukenhöhle sich anschliessen. Keineswegs aber zeigen diese Räume eine derartige Willkür des anatomischen Verhaltens, dass es nicht möglich wäre, eine typische Anordnung ganz deutlich zu erkennen, die zwar nach Individualität und Lebensalter mehr oder weniger deutlich ausgeprägt, selten aber oder nie bis zur Unkenntlichkeit verwischt ist. Nicht um ein System regellos in das Schläfenbein eingesprengter Sinuositäten handelt es sich, sondern um zwei von einander geschie- dene Höhlen, deren Inneres durch Bildung zahlreicher Fächer in ein complieirtes Zellensystem umgewandelt ist. Die Trennung beider Systeme geschieht genau entsprechend der Ossificationsabgrenzung zwischen Schuppentheil einerseits, Felsenwarzentheil andererseits. Die Ausmündung beider Theile erfolgt nicht direkt in das cavum tympani, sondern in den kurzen als aditus ad cellulas mastoideas beschriebenen Canal, der in der Höhe der Hammerambosaxe in die Trommelhöhle übergeht. Dies ist der Typus der anatomischen Anordnung dieser Theile, der aber entsprechend den einzelnen: Altersstufen etwas verschieden sich präsentirt. Die Luftzellen beim Neugeborenen. Nach ToYNBEE ist, wie schon oben erwähnt, beim Kinde bis zum zweiten oder dritten Lebensjahre nur die „horizontale Portion“ des Höhlensystems vorhan- den. Das ist richtig. Allein diese horizontale Portion stellt keine Einheit dar, sondern zerfällt in einen dem Felsenbein und einen der Schuppe angehörigen Theil (pars petrosa, pars squamosa). 1) Die Perforation des Warzenfortsatzes vom anatomischen Standpunkte aus. Aerztliches Intelligenzblatt. Jahrgang XXI. Nr. 23 u. 24. München 1874. Die lufthaltigen Nebenräume des Mittelohres beim Menschen. 3923 Die pars petrosa stellt eine gangartige, auf dem Vertikalschnitte prismatische Verlängerung der Paukenhöhle dar, welche von vorne — einwärts nach aussen — rückwärts verläuft, eine Länge von 9,0 mm., eine Höhe von 5,0mm. darbietet. Das hintere Ende der Höhle liegt im Niveau einer durch den oberen Rand des Paukenringes gelegten Tangentialebene. Das Dach des wohl am besten als antrum petrosum zu bezeichnenden Hohlraumes wird von einer Fortsetzung des tegmen tympani gebildet. Nach Aussen resp. hinten geschieht der Abschluss durch die pars mastoidea oss. petrosi. Nach Innen (medianwärts) bildet die Felsenbeinpyramide die Wandung. Die Knochenschicht, welche den beim Neugeborenen noch wenig ausgeprägten suleus transversalis vom antrum petrosum trennt, hat eine Dicke von 2 mm.; hebt man lateralwärts von der sutura petrosgquamosa die sehr zarte innere Knochen- platte der Schuppe ab, so kommt man auf die fächerförmig angeord- neten cellulae squamosae, deren septa gegen die Ausmündungsstellen hin convergiren. Die Ausmündung der Schuppenzellen wird entweder nur durch eine unmittelbar hinter deren aditus ad cellulas mastoideas befindliche Oeffnung repräsentirt, oder es sind zwei bis drei, selten mehr Oefinungen vorhanden, welche an der bezeichneten Stelle, oder weiter nach rückwärts in das antrum petrosum einmünden. Die hintere Grenze der am weitesten nach rückwärts sich erstreckenden cellulae squamosae befindet sich 10—11mm. vor demjenigen Theil der oberen Felsenbeinkante, der aus der mehr horizontal verlaufenden Richtung in die aufsteigende übergeht. Nach vorn reichen die Zellen bis zu einer durch den vordern Umfang des Paukenringes gelegten Vertikal- ebene. 2 / Die Schuppenpartie erscheint in diesem Alter als ein unbedeu- tender wenig entwickelter Anhang des antrum petrosum und wird wohl bei Affektionen des Mittelohres wenig Bedeutung haben. Von einem processus mastoideus ist noch keine Spur vorhanden. Gegen Ende des ersten Lebensjahres hat sich das antrum petrosum ziemlich vertieft und stellt einen mit der Basis nach aufwärts ge- kehrten Kegel dar. Die Fächer- und Cellenbildung an den Wänden ist jetzt auch auf das Dach übergegangen, nur die tiefste Stelle der Concavität hat ganz glatte Wandungen. Doch herrscht namentlich in Beziehung auf die Details der Zellenbildung an den Wandungen grosse Variabilität. Die relative Lage des antrum petrosum hat sich so ge- ändert, dass das Niveau der tiefsten Concavität in der Höhe einer an den untern Umfang des Paukenringes horizontal gelegten Tangente sich befindet. Die Höhe der Höhle beträgt S—-9mm., die Länge an der Basis Icm. Das septum zwischen sulcus transversus und dem antrum 324 XXJI. H. A. WILDERMUTE. hat im oberen Theile eine mehrere mm. betragende Dicke, während der untere Theil eine dünne transparente Knochenplatte darstellt. Die pars squamosa hat sich nicht viel verändert, sie ist nur nach rückwärts dem Felsenbein etwas näher getreten, so dass die am meisten nach hinten gelegenen Sinuositäten Smm. unterhalb der oben bezeich- neten Stelle der Felsenbeinkante sich befinden. Die Ausdehnung in der Längsrichtung beträgt für die ganze Partie 1,5 cm. von der Ein- mündung in das antrum mastoideum an gerechnet. Nach oben zu über- schreiten die Schuppenzellen die linea temporalis nicht, nach aussen zu geschieht der Abschluss durch eine transparente compakte Knochen- platte. Ueber das Dach des äusseren Gehörganges hinüber hat eine Bildung lufthaltiger Räume noch nicht Platz gegriffen. An der äusseren Seite des Schläfenbeines ist der proc. mast. jetzt deutlich hervorgetreten und hat meistens die Form eines niederen Kegels mit breiter Basis und ziemlich scharfer Spitze. Breite der Basis des proc. mastoid.: 1,2—1,5 cm., Länge des proc. mastoid.: 0,8—1 cm. Lufträume enthält der Warzenfortsatz in dieser Zeit durchaus keine, sondern besteht aus spongiöser Substanz. Die noch deutlich sichtbare sutura mastoideo-squamosa verläuft in der Art, dass der hintere, untere, seitliche Theil des Warzenfortsatzes, welcher Muskelrauhigkeiten zeigt, dem Felsenbeine angehört, die vor- dere obere ganz glatte Partie, welche zugleich die hintere Wand des knöchernen Gehörganges bildet, den untersten Theil der Schuppe darstellt. Betrachtet man die eben beschriebenen Verhältnisse von patholo- gischem Standpunkte aus, so zeigt sich allerdings, dass von den knö- chernen Wandungen, welche Schuppen - und Felsenbeinzellen um- schliessen, das Dach, welches dieselben gegen die mittlere Schädelgrube hin abgrenzt, der am wenigsten resistente Theil ist und einem Ueber- greifen entzündlicher Processe auf Gehirnhäute und Gehirn den ge- ringsten Widerstand entgegensetzen wird; andererseits aber lässt sich vom rein anatomischen Standpunkt aus nicht absehen, weshalb von der tiefen Aushöhlung aus, welche den Boden des antrum petrosum darstellt und zur Ansammlung eitriger Massen so sehr disponirt er- scheint, nicht auch gelegentlich die gerade an dieser Stelle dünne Sinuswand in Mitleidenschaft gezogen werden könnte, weshalb nicht schon in diesem Alter Sinusthrombose und Abscesse im cerebellum im Gefolge eitriger Mittelohraffektionen sich einstellen sollten. Ich möchte mir also von rein anatomischem Standpunkt aus, Zweifel daran erlauben, ob es möglich ist, in der von ToYNBEr streng durchgeführten Weise den Satz aufzustellen: Entzündliche Affektionen Die lufthaltigen Nebenräume des Mittelohres beim Menschen. 325 der lufthaltigen Räume, welche auf das Gehirn übergehen, führen bei Kindern bis zum zweiten oder dritten Jahre zu Abscessen im cerebrum, nach dieser Zeit zu Erkrankungen des sinus und des cerebellum. Jedenfalls ist für die Thatsache, dass in den ersten Lebensjahren Mittelohraffektionen relativ häufig zu Abscessen im grossen Gehirn führen, vielmehr der Umstand verantwortlich zu machen (wie nament- lich auch Tröursch hervorhebt), dass im Bereich der sutura petro- squamosa eine direkte Berührung der dura mater und der Schleim- hautauskleidung der betreffenden Räume stattfindet, als — wie es von ToyNnBEE geschieht — die rein topographische Anordnung und Lage der Theile. Anlangend die Beziehungen zum äusseren Gehörgang, so liegt schon in diesem Alter die Möglichkeit wohl vor, dass durch die hintere Wand des meatus auditorius Eiteransammlungen des mittleren Ohres spontan ohne Läsion des Trommelfelles sich einen Ausweg bahnen können ; doch ist die äussere Begrenzung der Warzenzellen hier eine starke, aus einer 2—3 mm. dieken compakten Knochenplatte bestehende, und es möchte dieser Weg leichter möglich sein in vorgerückterem Alter, wenn die Bildung von Lufträumen über dem Dach des äusseren Ge- hörganges stattgefunden hat. Dass auch entzündliche Processe im äusseren Gehörgang durch Vermittlung der dem meatus auditorius anliegenden Zellen in die Tiefe geleitet werden können, liest auf der Hand. Sollte einmal schon bei Kindern dieses Alters die künstliche Er- öffnung: dieser Räume indieirt sein, dürfte der sicherste Weg ein von der hintern Wand des knöchernen Gehörganges aus angelegter Canal sein, welcher etwas nach einwärts abweichen müsste. In Beziehung auf die Tiefe, in welche einzudringen erlaubt wäre, ist als äusserstes Maximum 1 cm. festzustellen. | Die weitere Entwicklung der lufthaltigen Räume erfolgt nun in der Art, dass sowohl von den cellulae squamosae als petrosae aus ein Wachsthum nach abwärts rückwärts stattfindet, um entsprechend der allmäligen Vergrösserung des processus mastoideus die spongiöse Sub- stanz desselben durch Bildung von Lufträumen zu verdrängen, bis der beim Erwachsenen vorherrschende Typus erreicht ist. Betrachten wir zunächst die Verhältnisse, wie sie bei einem sechsjährigen Knaben, also ungefähr in der Mitte zwischen der infantilen und der vollständig entwickelten Form sich präsentiren. Die pars petrosa hat sich im Vergleich mit der räumlichen Aus- dehnung, die sie beim Kinde von einem Jahre hatte, bedeutend aus- gedehnt, weniger ist die Vergrösserung der ganzen Partie zu Gunsten 396 XXI. H. A. WILDERMUTH. des antrum petrosum erfolgt, das in Höhe und Länge eine Ausdehnung von ca. 1,5 em. hat, als dadurch, dass von der Felsenbeinhöhle aus eine reichliche Zellenbildung stattgefunden hat, theils von kleinmaschigen an Decke und an den Seitenwandungen, theils von grösseren Hohl- räumen, welche den vom Felsenbein aus gebildeten Theil des pro- cessus mastoideus füllen, an der Peripherie am grössten sind und dort auch eine deutlich radiäre Anordnung zeigen. Eine andere praktisch sehr wichtige Gruppe von Luftzellen hat sich zwischen antrum petro- sum und sulcus transversalis eingeschoben. Die pars squamosa hat sich zu dieser Zeit namentlich in der Weise geändert, dass ihre Zellen grösser geworden sind, nicht mehr die regelmässig fächerförmige Anordnung zeigen und weiter nach hinten zu sich ausgedehnt haben, so dass die am meisten nach rück- wärts gelegenen Partien 4—5 mm. von der Felsenbeinkante entfernt sind. Diese hintersten Zellen zeichnen sich durch ihre Grösse aus und können — ein Analogon des antrum petrosum — zur Bildung eines grösseren Hohlraumes (antrum squamosum) zusammentreten. An dieser Stelle finden sich die Communicationen mit den im Schuppen- theill des Warzenfortsatzes enthaltenen Räumen, mit den cellulae mastoid.-squamosae; diese nehmen entsprechend dem Verlaufe der sutura mastoideo-squamosa nur den vorderen oberen Theil des Warzen- fortsatzes ein. Regelmässigkeit in der Anordnung lässt sich bei ihnen nicht erkennen. Nach vorne zu erstrecken sich die cellul. squamosae meist bis über das Dach des äusseren Gehörganges. Nach oben zu geht die Bildung von Hohlräumen höchstens 2mm. über die linea temporalis. Die äussere Wand des Schuppentheiles ist da am dicksten, wo das antrum squamosum sich befindet (3 mm. diek); nach vorne zu wird dieSchuppe dünner und transparent. Die Wand der pars mastoideo- squamosa, welche zum grösseren Theil der hinteren Wand des äusseren Gehörganges angehört, ist eine compakte, 1,5—3 mm. dicke Knochen- platte. Die Breite der pars squamosa beträgt 5mm., die Länge 1,8 cm. Von den verschiedenen Wandungen bildet immer noch die Scheide- wand gegen die mittlere Schädelgrube den locus minoris resistentiae. Der processus mastoideus hat an der Basis eine Breite von 1,5 cm., eine Höhe von 1,8cm. Nach meinen Untersuchungen kann ich mich Hente’s Ansicht, der den proc. mastoideus erst um die Zeit der Pu- bertät mit Hohlräumen sich füllen lässt, nicht anschliessen. Was die Beziehungen zum suleus transversalis betrifft, so ist her- vorzuheben, dass lediglich die pars petrosa mit demselben in Berüh- rung kommt, wie mit dem äusseren Gehörgange nur die pars squamosa. Anlangend die relative Lage beider Partien ist zu beachten, dass Die lufthaltigen Nebenräume des Mittelohres beim Menschen. 327 die pars petrosa gleichsam unter dem Schuppentheile durchgewachsen ist, der letztere nach aussen, oben vorn vom Felsentheil liegt. Wenden wir uns nun zur Beschreibung der lufthaltigen Neben- räume beim Erwachsenen. Ehe ich auf die Betrachtung der Verhältnisse, wie sie in den meisten Fällen sich darbieten, eingehe, möchte ich die Beschreibung von Präparaten einschalten, welche zwar ein seltenes Vorkommen!) dar- stellen, in denen aber die typische Anordnung und Theilung des Zellen- systemes sich scharf ausgeprägt findet. Es handelt sich hier um Schläfenbeine Erwachsener, bei welchen die sutura petro-squamosa sich vollständig erhalten hat, und es leicht selingt, pars petrosa und squamosa auseinander zu sprengen, ohne die einzelnen Stücke zu beschädigen. Zunächst die Maassverhältnisse am ungetrennten Knochen: Die Breite des ganzen processus mastoideus, von der fissura petro-tympanica an gerechnet, beträgt 4cm., die Länge 3,5cm. Die sutura mastoidea squamosa beginnt ca. 2cm. vor dem hintern Ende der Basis des Warzenfortsatzes, steigt in einem nach rückwärts leicht convexen Bogen 1,8 cm. nach abwärts, biegt; dann unter einem spitzen Winkel nach aufwärts, um 1,5 mm. nach hinten und aussen von der fissura petroytmpanica ihren Verlauf zu nehmen. Durch die so verlaufende Naht wird die pars mastoidea der Schuppe als ein mit der Spitze nach abwärts gerichtetes annähernd gleich- schenkliges Dreieck abgegrenzt. Hebt man nun die Schuppe von dem Felsentheile des Schläfenbeines ab und betrachtet sie von innen, so sieht man, wie die Abgrenzung der in der pars mastoidea der Schup- pen enthaltenen Räume gegen die Lufträume des Felsenbeines durch eine zwar dünne aber durchaus vollständige knöcherne Scheidewand geschieht. Das Dach dieses Hohlraumes, welcher aussen von der leicht convexen compakten Knochenplatte der pars mastoid.-squamosa, nach innen von dem in reiner Sagittalebene verlaufenden septum abge- schlossen wird, ist gebildet von dem zwischen der aufsteigenden Partie der Schuppe und der fissura petro-squamosa befindlichen Theil der pars squamosa ossis temporal. Eine rundliche ziemlich regelmässige Oeffnung mit einem grössten Durchmesser von 2 mm. führt in die Hohlräume der Schuppe; diese Oeffuung befindet sich 0,8 cm. hinter dem Anfang des canalis ad cellulas mostoid. Daneben befinden sich zwei bis drei kleinere Oeffinungen. Durch die Oefinung kommt man in die Gruppe der schon oben erwähnten grossmaschigen Zellen, die hier ein wahres antrum squa- !) Unter vierzig Felsenbeinen fand ich es dreimal. 328 XXJl H. A. WILDERMUTH. mosum bilden; von hier aus führen zahlreiche kleinere Oeffnungen in die engmaschigen Räume. Nach vorn überschreitet die Zellenbildung das hintere Ende des Gehörgangdaches nicht. Der Durchmesser des breitesten Theiles der pars squamosa beträgt 14mm. Die grösste Dicke der äusseren Wand entspricht auch hier der Stelle, wo das antrum squamosum liegt. Bei der Betrachtung der isolirten pars petro-mastoidea sieht man von aussen ebenfalls ein transparentes septum, zum Abschluss der cellulae petro-mastoideae nach vorne dienend. Diese Scheidewand ist natürlich dem septum der pars squamosa völlig congruent. Entsprechend dem Verlaufe der sutura mastoideo - squamosa geht die Nahtfläche unter einem sehr stumpfen Winkel in die Oberfläche des processus mastoid. über. Nach vorn und oben zu endet das septum mit einer nach rückwärts convexen Linie, die mit dem hinteren Ende des aditus ad cellulas mastoideas den Eingang in das antrum petrosum begrenzt. Derselbe übertrifft den Zugang zu den Schuppenzellen vier- bis achtmal an Weite. Das antrum petrosum selbst hat eine Länge von 1,2 cm., eine Höhe von 0,9em. Von ihm aus führen nach einwärts, abwärts, rückwärts zahlreiche Foramina in die cellulae petro-mastoideae, welche eine radiäre An- ordnung zeigen. Das Dach wird gebildet von der direkten Fortsetzung des tegmentum tympani und ist mit zahlreichen Hohlräumen durch- setzt. Die Wand gegen den sulcüs transversalis zu ist durchaus trans- parent. In diesen allerdings seltenen Fällen, in denen cellulae petrosae und squamosae durch ein doppeltes septum getrennt sind, könnte in dem einen Theile wohl eine entzündliche Affektion ihren Verlauf nehmen ohne den andern in Mitleidenschaft zu ziehen. Es ist nun unsere Aufgabe, von dem eben beschriebenen als typisch zu betrachtenden Verhalten aus die mannichfachen Abwei- chungen, welche die in Rede stehenden Gebilde darbieten, zu unter- suchen. Diese Abweichungen zeigen sich nun hauptsächlich in zwei Rich- tungen. Entweder in der Art, dass die Trennung in zwei Systeme mehr oder weniger verwischt ist, oder mit Rücksicht darauf, dass die besprochenen Räume ihre Beziehungen zu den Nachbarorganen wechseln, bald mehr, bald weniger weit sich ausdehnen. Wie schon oben erwähnt, ist die Erhaltung einer doppelten Scheide- wand zwischen beiden Räumen eine Seltenheit, aber doch geht, meiner Ansicht nach, SCHWARTZE zu weit, wenn er beim Erwachsenen die Trennung in zwei Theile nur andeutungsweise vorhanden sein lassen will. Die lufthaltigen Nebenräume des Mittelohres beim Menschen. 329 Wie die fissura petro-squamosa am Schädel des Erwachsenen sich constanter erhält als die sutura mastoidea - squamosa, so ist auch im Innern der horizontalen Partie der Autoren, d.h. der oben und vorne vor den eigentlichen cellulae mastoid. gelegenen Räume ein Persi- stiren einer Scheidewand häufiger, als in den Zellen des processus mastoideus. Und zwar ist in der horizontalen Partie das Vorhanden- sein eines septum der gewöhnliche Fall. Besonders deutlich wird dies an Frontalschnitten und in erster Linie an Präparaten, an welchen man das Dach der portio squamosa und petrosa mit Schonung der sutura petro-squamosa abträgt; man sieht dann gewöhnlich eine deutliche Scheidewand in die Tiefe dringen, auf deren Oberfläche sich zahlreiche Zellen gebildet haben. Die Trennung des septum in zwei Platten ist nicht mehr zu erkennen. Eine Verwischung dieser scharfen Trennung ist nun in zweierlei Weise möglich. Entweder treten im ganzen Bereiche des septum Per- forationen ein, es entsteht dann ein Labyrinth von Hohlräumen, in dem sich nur mit Mühe und annähernd die Gegend der früheren Scheidewand daran erkennen lässt, dass das Gewebe der feinen septa ein engmaschigeres als in den übrigen Theilen ist; oder die Commu- nication beider von Haus aus getrennter Räume findet wesentlich nur in den obersten Partien statt, indem die Schuppenzellen mit den an der Decke des antrum petrosum befindlichen Hohlräumen in Verbin- dung treten. Dadurch entsteht, besonders wenn die Lufträume klein sind, der Anschein, als ob die Schuppenpartie eine gerade über dem Felsentheil gelegene höhere Etage von Lufträumen darstellte. Häufiser als in der pars horizontalis findet in den Zellen des Warzenfortsatzes eine Aufhebung des eigentlichen Typus statt. Die- ses Verhalten steht in Uebereinstimmung mit den so ausserordent- lich schwankenden Grössen und Formverhältnissen des processus ma- stoideus. Während an einzelnen Felsenbeinen die cellulae mastoideo - squa- mosae an der Stelle der betreffenden Naht nach unten zu blind endigen, auch nach rückwärts einwärts durch eine transparente Knochenlamelle gegen die cellulae petro-mastoideae abgeschlossen sind und nur nach oben mit dem antrum squamosum communiciren, finden sich an andern zahlreiche Perforationen des immer noch erkennbaren septum; bei einer dritten Gruppe endlich ist von irgend welcher regelmässigen Scheidung keine Rede mehr. Dieser letztere Fall tritt namentlich dann ein, wenn die Hohlräume im Zitzenfortsatze überhaupt stark entwickelt, die äusseren Wandungen dünn und transparent sind. An- dererseits findet sich bei der mehr typischen Form häufig ein Ver- 330 XXI. H. A. WILDERMUTH. kümmern der cellulae mastoideo - petrosae zu Gunsten der Schuppen- Warzenzellen, nebst einer Verdickung der äusseren und hinteren Wand des processus mastoideus. Betrachten wir nun die räumlichen Beziehungen und ihre Schwan- kungen. 1) Pars squamosa. Die Eingangsöffnungen in diesen Theil variiren nach Zahl und Grösse. Je weniger vorhanden sind, umsomehr dominirt eine Oeffnung als aditus ad cellulas squamosas; nur selten wird der Zugang durch eine grössere Zahl unregelmässig angeordneter Oeffnungen dargestellt. Das Dach, das die Schuppenzellen bedeckt, ist derber als das über die pars petrosa gespannte und zeigt keine spontane Dehiscenzen; selbst deutlich transparente Stellen sind nach aussen von der fissura petro-squamosa selten. Constant ist das schon mehr erwähnte Auftreten einer Art antrum squamosum beim Ueber- gang in den vertikalen Theil. Auch die äussere Platte der Schuppe, welche die Lufträume nach aussen abschliesst, zeigt keine grossen Schwankungen in ihrer Dicke; sie stellt eine compakte Knochenmasse dar, welche nach aussen vom antrum squamosum eine Auftreibung bildet, welche aber nicht durch Einlagerung lufthaltiger Räume, sondern durch spongiöse Substanz gebildet wird. Nach vorne zu wird die Schuppe dünner transparent. Nach oben bildet die linea temporalis die Grenze; für die Ausdehnung in dieser Richtung scheint mir allein zu gelten, was TOYNBEE von der ganzen horizontalen Portion sagt, dass sie nämlich allmälig ver- kümmere. In der Richtung nach vorne ist der gewöhnlichste Fall der, dass die Zellenbildung die vordere Grenze der oberen Gehörgangwand nicht oder nur wenig überschreitet. In sehr vielen Fällen aber wird diese Grenze nicht eingehalten, und es kommt namentlich im Dache der fovea articularis und im processus zygomaticus zur Bildung grosser Hohlräume, während das andere Mal die Bildung von Sinuositäten nicht einmal das hintere Ende des Gehörganges erreicht. Die Aus- dehnung nach hinten ist namentlich mit Rücksicht auf den sinus von Wichtigkeit. Selten (nach HyrrrL in 600 Fällen dreimal) dringt die Bildung von Hohlräumen bis ins Hinterhauptbein. Aber auch wenn sich die Zellen auf das Schläfenbein beschränken, können sie so weit nach rückwärts vordringen, dass ihr hinterer Abschluss durch die dünne Knochenplatte bewerkstellist wird, welche den Boden im ober- sten Theile des sulcus transversalis bildet. 2) Pars mastoidea. Das Dach derselben zeigt als direkte Fortsetzung des tegmentum tympani am hänfigsten die spontane Dehis- cenz. Dasselbe wird zwar weiter nach rückwärts durch Bildung Die lufthaltigen Nebenräume des Mittelohres beim Menschen. 331 von Hohlräumen, respektive von Auflagerungen von Zellen an seiner innern Oberfläche etwas dicker, bildet aber immer einen wenig resi- stenten Theil. Die Beziehungen zum sinus sind constant und schon oben wurde mehreremal darauf Bezug genommen. Was die Ver- muthungen Dr. BEZoLDp’s betrifft, dass auffallende Schädelasymmetrien häufig zu einer bedeutenden bei einer etwaigen Trepanation gefähr- lichen Entwicklung des sinus führen, kann ich nach dem mir vor- liegenden Material vollständig bestätigen. Und zwar findet sich bei ausgeprägten Asymmetrien der sinus der begünstigten Seite stärker entwickelt. Wie weit die in mehreren Lehrbüchern sich findende An- gabe richtig ist, dass unter normalen Verhältnissen der rechte quere Blutleiter der stärker ausgebildete sei, bin ich bei der mir zu Gebote stehenden Anzahl von Schädeln nicht zu entscheiden im Stande. Die dem Felsentheile angehörigen Zellen des Warzenfortsatzes hören entweder an der incisura mastoidea auf oder überschreiten die- selbe, so dass dann der sinus transversalis sammt dem emissarium mastoideum von Lufträumen ganz umhüllt ist. Wie schon oben (S. 329) erwähnt, zeigen die einzelnen Warzenzellen die grössten Schwankungen; man findet hier von der vollständigen Obliteration der Räume, bis zu dem Punkte, dass die transparente äussere Wand leicht eindrückbar ist, alle möglichen Uebergänge; so weit meine Untersuchungen reichen, variirt die Wand der cellulae petro-mastoideae mehr als die der cellulae mastoideo -squamosae. Aus der Form des processus mastoideus seiner Percussion einen Schluss auf das Vorhandensein mehr oder weniger ausgedehnter Luft- räume zu ziehen, halte ich nicht für möglich, ist es doch nicht selten am macerirten Schädel schwer, und ich kann BEZoLD’s Annahme, .dass die scharfkantigen Warzenfortsätze auf wenig, die rundlichen auf stark entwickelte Hohlräume schliessen lassen, nicht bestätigen. Auch das höhere Alter hat durchaus keinen constanten Einfiuss auf die Ausdeh- nung oder Verkümmerung der Luftzellen. Für die Operation hat BEZoLD auf Grund seiner anatomischen Untersuchungen genaue Regeln aufgestellt. Mir schiene mit Rücksicht auf sinus, canalis facialis und semieircular externus der sicherste Weg der, nach Ablösung der Weichtheile von der Stelle der hinteren Wand des äusseren Gehörganges einzudringen, welche von der pars mastoidea squamosa gebildet wird, und zwar etwas nach einwärts, um im Fall des Vorhandenseins eines septum beide Höhlensysteme zu eröffnen. Der Vollständigkeit halber füge ich noch die von Dr. Brzonp auf- gestellte Tabelle über die diessbezüglichen Maasse bei: 332 XXII. H. A. WILDERMUTH. 1) Breite der pars mastoidea von der Seite der hinteren Gehörgangs- wand, da wo die fissura mastoideo - tympaniea sie schneidet, bis zum hintern Rand der ineisura mastoidea: 25,0 mm. Die Höhe der pars mastoidea von der Spitze des processus ma- stoideus bis zu einer durch die spina meatus auditorii gezogenen Horizontalen: 25,2 mm. 3) Die Dicke der dünnsten Stelle der pars mastoidea, welche der Aussenwand des sinus sigmoideus gegenüberliegt: 7,6 mm. 4) Die Entfernung der dünnsten Stelle von der spina supra meatum: 15,7 mm. 5) Die Entfernung des foram. mastoid. von der Mitte der hintern Gehörgangswand: 30,3 mm. 6) Die Entfernung des foram. mastoideum von der Spitze des pro- cessus mastoideus: 30,9 mm. & Es erübrigt noch, mit einigen Worten derjenigen Zellenbildung zu gedenken, welche in dem cavum tympani selbst stattfindet. Von Belang ist nur die am Boden des cavum tympani befindliche Zellen- oruppe wegen ihrer Beziehung zum bulbus jugularis, da sich an dieser Stelle der Knochen bis zur Bildung förmlicher Dehiscenzen verdünnen kann. Die andere ziemlich constante Gruppe ist durch die zwischen Schnecke und canalis earoticus eindringenden Zellen dargestellt, welche vielleicht für die Aetiologie starker arterieller Blutungen aus dem mitt- leren Ohre von Belang sind. Erklärung der Abbildungen. Tafel XV. Fig. 4. Schädel eines 6jährigen Knaben von oben geöflnet. Auf der linken Seite sieht man nach aussen die pars squamosa. Nach innen davon das durch Abheben der oberen Wand und der diesen Theil bedeckenden Schuppenpartie dargestellte antrum petrosum. Zwischen beiden die sutura petro-squamosa erhalten. Nach vorne zu Paukenhöhle geöflnet. Auf der rechten Seite ist nur die pars squamosa geöffnet, welche hinten in die Bildung des antrum squamosum übergeht. Fig. 2. Schläfenbein eines Erwachsenen von aussen. Sutura mastoidea squamosa beginnt bei X. Fig. 3. Pars squamosa des bei 2 abgebildeten Präparates von innen. Fig. 4. Pars petro-mastoidea von aussen. Die lufthaltigen Nebenräume des Mittelohres beim Menschen. 333 Fig. 5. Schematisch gehaltener Frontaldurchschnitt durch das Schläfenbein bei X das der Naht entsprechende septum. Fig. 6 und 7. Zwei Sagittalschnitte zur Demonstration der verschiedenen Ausdehnung der lufthaltigen Räume. Für die Beihülfe bei Verfertigung der Zeichnungen bin ich Herrn Prof. Dr. Henke und Herrn med. stud. GESSLER grossen Dank schuldig. XXIL. Die Maassverhältnisse der Wirbelsäule und des Rückenmarkes beim Menschen. Von Dr. Michel Ravenel aus Neuenburg. (Aus dem anatomischen Institute des Prof. Aegy in Bern.) Maass- und Massenverhältnisse des menschlichen Körpers sind noch keineswegs in durchweg genügender Weise bekannt. Methodische und eine grössere Anzahl von Individuen umfassende Untersuchungen liegen fast nur für einige anthropologisch wichtige Gebiete, wie Schädel, Gehirn und andere, vor. Viele selbst hervorragende Organe warten noch der Bearbeitung. Zu diesen gehört das Rückenmark. Kann die vielfach gemachte Angabe von der Verschiedenheit seiner relativen Länge im männlichen und weiblichen Geschlechte wirklich als eine sicher nachgewiesene angesehen werden? — Ich habe aus der vorhan- denen Literatur diese Ueberzeugung nicht zu gewinnen vermocht und es daher unternommen, den Thatbestand von Neuem zu prüfen und dabei auch auf einige Verhältnisse näher einzutreten, die bisher noch wenig oder gar nicht sind berücksichtigt worden. Das Material ent- nahm ich der Berner Anatomie. Ihrem Vorstande, Herrn Prof. Arpy, fühle ich mich für die vielfache Anregung und Unterstützung, die er mir im Verlaufe meiner Arbeit hat angedeihen lassen, zum lebhaftesten Danke verpflichtet. Ich suchte meine Aufgabe in der Art zu lösen, dass ich die Längenverhältnisse des Rückenmarkes möglichst genau mit denen der zugehörigen Wirbelsäule verglich. Elf männliche und ebensoviele weibliche sammt einer kleineren Anzahl von kindlichen Leichen ge- langten zur Untersuchung. Sie sind in den nachfolgenden Tabellen jeweilen genau in derselben Reihenfolge aufgeführt, so dass sich also überall die gleiche Ordnungsnummer auch auf das gleiche Individuum Die Maassverhältnisse d. Wirbelsäule u. d. Rückenmarkes b. Menschen. 335 bezieht. Ich beginne mit der Wirbelsäule für sich allein, werde das Rückenmark in gleicher Weise darauf folgen lassen und verspare die Vergleichung beider Organe auf den Schluss. 1. Maassverhältnisse der Wirbelsäule. Ich hatte keine Veranlassung, die ganze Wirbelsäule in den Kreis meiner Untersuchung zu ziehen, und beschränkte mich auf denjenigen Abschnitt, der überhaupt allein zum Rückenmarke in unmittelbarer Beziehung steht und daher bei der Lösung der aufgeworfenen Fragen wohl auch unstreitig die entscheidende Rolle spielt, Das Kreuz- und Steissbein unterliegen zudem in ihrer Längenentwickelung so beträcht- lichen individuellen und namentlich auch geschlechtlichen Schwan- kungen, dass die Wirbelsäule als möglichst neutraler Maassstab durch deren Einverleibung an Genauigkeit und Zuverlässigkeit nur verlieren und jedenfalls nichts gewinnen kann. Verschiedene Forscher haben sich bereits mit den absoluten und relativen Längenverhältnissen des aus sogenannten wahren Wirbeln bestehenden Stammskeletes und seiner dem Halse, der Brust und dem Bauch entsprechenden Abschnitte befasst, alle jedoch ihr Augenmerk auf die Vorderseite der Körperreihe beschränkt!. Es ist nun aber gewiss nicht von geringerem Interesse, ja zur vollständigen Ausführung des Bildes sogar unerlässlich, in gleicher Weise auch die Rückseite zu beachten, da wir nicht berechtigt sind, aus dem Verhalten der einen ohne weiteres dasjenige der anderen zu erschliessen. Beide können ja sehr wohl bis zu einem gewissen Grade unabhängig von einander zur Entfaltung und Gliederung gelangen. Die Messung geschah nur an frischen und, soweit sich solches durch den allgemeinen Augenschein feststellen liess, auch normal ge- bauten Leichen. Die völlige Bloslesung der Wirbelkörper durch Ab- tragen der Bögen und Wegnahme des Rückenmarkes, sowie durch Entfernung sämmtlicher Eingeweide ging ihr voraus. Hierauf wurde das Präparat möglichst genau horizontal gelagert, wie solches durch jeden ebenen Tisch zu erzielen ist. Nöthigenfalls wurde durch sorg- fältig untergelegte Stützen dafür gesorgt, dass die Krümmungen der 1) Die an den einzelnen Wirbeln und Bandscheiben gemachten beidseitigen Messungen kommen für unsere Frage nicht in Betracht. Zeitschrift f. Anatomie. Bd. II. 22 336 XXIII. MıcHer RAvENEL. ganzen Säule in der Bauch-, wie in der Rückenlage möglichst gleich und somit die aus der verschiedenen Lagerung entspringenden Fehler- quellen jedenfalls ausserordentlich klein waren. Alle Messungen stammen also von möglichst entlasteten und blos durch die eigene Elastizität geformten Wirbelsäulen her. Sie wurden durch das gleiche in Milli- meter getheilte feine Stahlband ausgeführt, das so nachgiebig war, dass es sich allen Biegungen der Oberfläche mit Leichtigkeit und aufs Genaueste anschloss. Ueberall wurde es der Mittellinie der Wirbelsäule entlang gelegt; es lieferte somit deren Bogenlängen. Für beide Seiten wurde die obere Randebene des Atlasbogens einerseits, des ersten Kreuzbeinwirbels anderseits als Grenze angesehen. Die zwi- schen den einzelnen Hauptabschnitten liegende Bandscheibe wurde immer dem höher gelegenen zugetheilt. Der Halsabschnitt findet demnach am ersten Brustwirbel, der Brustabschnitt am ersten Len- denwirbel und der Bauchabschnitt am Kreuzbein seinen Abschluss. Die Messung ergab bei Erwachsenen folgende absolute Werthe. Maassverhältnisse der Wirbelsäule bei Männern. Absolute Werthe in CGentimetern. Vorderseite. Rückseite. | Hals- | Brust- | Bauch- Ganze Hals- | Brust- Bauch- | Ganze theil. theil. | theil. Länge. | theil. | theil. theil. | Länge. 1 12.0 27.0 14.5 53.9 12.0 | 28.07 2 14.0 94.0 2 14.5 29.3 21.0 64.8 13:00, Ess 11280 98.9 3 15.5 28.0 19.0 62.9 LED | 30.0 15.0 99.5 4 15.8 30.5. 19.5 65.8 14.90 2102310 16.0 61.5 b) 13.0 28.0 19.0 60.0 13.3 | 29.0 16.5 59.0 6 12.0 27.0 18.5 7.5 10 | AU 16.0 59.0 7 12.5 27.5 16.5 96.5 12.077280 14.0 | 54.0 8 12.5 27.0 19,0 58.9 11.5 27.5 16.0 55.0 Re) 12.5 27.5 18.5 98.9 12.8 29.0 18.0 59.8 10 12.0 27.0 17.0 56.0 12.0 27.5 16.0 99.9 11 13.5 | 28.0 18.0 59.0 13.0 29.0 17.5 99.9 Mit- tel. 13.3 28.0 18.2 59.5 12.8 28.9 15.7 97.4 (12.0— | (27.0— | (14.5— | (583.5— | (11.5— | (27.0— | (14.0— | (54.0— 15.8) | 30.5) | 21.0) | 65.8) 14.5), | 319) as18/0)0 oo) Die Maassverhältnisse d. Wirbelsäule u. d. Rückenmarkes b. Menschen. 337 Maassverhältnisse der Wirbelsäule bei Weibern. Absolute Werthe in Centimetern. Vorderseite. Rückseite. Hals-- | Brust- | Bauch- | Ganze Hals- | Brust- | Bauch- | Ganze theil. theil. | theil. | Länge. | theil. theil. | theil. | Länge. ı | me) >50 | 16.8 53.8 10.5. 2.220 | 12075 495 2 12707 2 26:0 16.3 94.3 10.5 27.0 12702 7719:5 3 12.5 26.0 18.5 57.0 12.5 28.2 12.5 93.2 4 12.077055 17) 54.5 1a | U 13.0 | 52.0 bi) 11.0 24.5 16.5 92.0 10.0 27.0 11.0 | 48.0 er 12.0 28.0 19.5 59.5 12.0 295 | 115 | 56.5 7 13.0 28.0 20.0 61.0 12.5 EU RE DL 8 12.0 26.0 18.5 | 56.5 12.0 25.0 12.5 | 49.5 Öl alle 26.5 18.0 96.1 11.5 25.0 120.2. 23 10 11.0 24.0, 2231500 92.0 11.0 23.9 11.9 46.0 lit 13.0 265 | 185 57.0 12.5 25.9 12.0 | 50.0 Mit- | tel. 12.0 26.0 17.8 99.8 11.9 26.7 12.4 50.6 @1.0 72.0 Nas 7620 | «00 | E35 | (G10- | 0 13:0) |2 28:00 2200) 6Ko)| 125), 295). 16H" 57.0) Differenz der Mittelwerthe beider Geschlechter auf Seiten der Weiber. Halstheil Brusttheil - Bauchtheil Ganze Länge Vorderseite: — 1.3 — 2.0 — 0.4 — 37 Rückseite: — 1.3 — 22 — 9:8 — 6.8 Differenz der Mittelwerthe eines jeden Geschlechtes für Vorder- und Rückseite auf Seiten der letztern. Halstheil Brusttheil Bauchtheil Ganze Länge Männer: — 0,5 + 0.9 — 25 — 2.1 Weiber: — 0,5 + 0.7 — 5.4 — 5.2 Die absolute Länge der Wirbelsäule ist natürlich abhängig von derjenigen des ganzen Körpers und hat als solche für uns nur einen untergeordneten Werth. Auch war von vornherein zu erwarten, dass in ihr die Männer den Weibern überlegen sein würden. Ueberraschend ist dagegen die Thatsache, dass solches nicht in allen Theilen gleich- förmig geschieht, ein Beweis, dass die innere Gliederung der beiden Wirbelsäulen Verschiedenheiten darbietet. Ebenso ergeben sieh die beiden Seiten ein und derselben Wirbelsäule als verschieden. Die Rückseite ist im ganzen kürzer als die Vorderseite, doch verhalten sich die einzelnen Abschnitte dieser Verkürzung gegenüber wiederum ungleich. Genaueres lehrt die prozentische Berechnung der beiden 22% 338 XXIII. MicHer RAvEnEL. Seiten nach ein und demselben Maassstabe. Wir wählen als solchen die Vorderseite. Relative Maassverhältnisse der Wirbelsäule. Vorderseite = 100. Männer. Vorderseite. Rückseite. Hals- | Brust- | Bauch- | Ganze | Hals- | Brust- | Bauch- | Ganze theil. theil. | theil. | Länge. | theil. theil. | theil. Länge. 1 22.4 50.5 27.1 100 22.4 52.3 26.1 100.8 2 23.4 45.2 32.4 100 20.1 48.6 21.6 90.3 3 24.8 44.8 30.4 100 23.2 48.0 24.0 95.2 4 24.0 46.3 29.6 100 22.0 47.1 24.3 93.4 5) 21.7 46.7 ST 100 22. 48.3 27. 98.3 6 'ı 20.8 46.9 32.2 100 20.9 46.9 ZI 95.5 De oo 48.7 29.2 100 21.2 49.6 24,8 95.6 Be | Dar ie se 100 | 19.6 41.0 | 274 94.0 ae Ar 31.6 100 21.9 49.6 30.8 102.3 10 21.4 48.2 30.4 100 21.4 49.1 28.6 99.1 11 Da 47.1 30.2 100 22.0 49.2 29.6 100.8 Mit- | tel. 22.4 | 47.1 30.5 100 21.3 48.6 26.4 96.5 (20.8— | (44.8— | (27.1— (19.62 Karo ee 24.8) | 50.5) | 32.4) 232) | 52.3) | 30.8) | 100.8) Weiber. Vorderseite. Rückseite. Hals- _ Brust- | Bauch- Ganze Hals- Brust- | Bauch- | Ganze theil. | theil. | theil. | Länge. | theil. theil. | theil. Länge. 1 22.3 46.5 31.2 100 19.5 50.2 22.3 92.0 2 22.1 47.9 30.0 100 18 49.7 22.1 91.1 3 21.9 45.6 32.4 100 21:9 49.5 A) 0388 4 22.0 46.8 31.2 100 22.9 | 90.9 23.8 97.2 5 Zaloil 47,1 Sr 100 19.2 51.9 21.1 93.2 6 20.2 46.7 32.8 100 20.2 49.6 19.3 89.1 7 DRS 45.9 32.8 100 20.5 47.5 27.0 95.0 8 21.2 46.0 32.7 100 21.2 44.3 22.1 87.6 9 20.9 46.5 32.6 100 20.5 44.5 21.4 86.4 10 21.1 45.8 32.7 100 21.1 45,2 22.1 88.4 u 228 | 2500| ar) oe | anal | 8% Mit- | tel. | 21.5. | 46.6 31129790100 20.6 47.8 222 | 90.6 (20.2 | (45.6— | (30.0— (19.2— | (44.3— | (19.3— | (86.4— 228) 471.9) | 32.8) 22.9) 510), 2 27.0)2, 322) Die Maassverhältnisse d. Wirbelsäule u. d. Rückenmarkes b. Menschen. 339 Differenz der Mittelwerthe beider Geschlechter auf Seiten des Weibes. Halstheil. Brustthell. Bauchtheil. Ganze Län ze. Vorderseite: — 0.9 -—05 + 1.4 0 Rückseite: — 0.9 — 0.8 — uam — 59 Differenz der Mittelwerthe eines jeden Geschlechtes für Vorder- und Rückseite auf Seiten der letzteren. Halstheil. Brusttheil. Bauchtheil. Ganze Länge. Männer: — 0.9 + 1.5 — 4.1 — 85 Weiber: — 0.9 + 1.2 — 9.7 — 9.4 Der Unterschied der Geschlechter ist auffällig genug. Bei Weibern ist die Rückseite der Wirbelsäule um 6°/, kürzer als bei Männern, und zwar zum grössten Theil durch Schuld des Bauchabschnittes, während Hals- und Brusttheil nur ein Bescheidenes dazu beitragen. Letztere verhalten sich überhaupt auf beiden Seiten ziemlich überein- stimmend, während der Bauchtheil der Vorderseite bei Weibern nicht nur nicht kürzer, sondern im Mittel sogar um ein Weniges länger aus- fällt als bei Männern. Der Ueberschuss ist zu gering, um irgendwie als wesentlich angesehen werden zu können, und zudem fällt er indi- viduell vielfach gänzlich dahin.!) !) Ich weiss nicht, inwiefern es auf Messung beruht, wenn LuscHkA (Anato- mie des Menschen. II. Bd. 1. Abth. S. SO Tübingen. 1863.) beim weiblichen Ge- schlechte die Lendenwirbelsäule relativ etwas höher nennt als beim Manne. Jedenfalls geht aus RavEner’s Zahlen soviel hervor, dass der Ausdruck in dieser allgemeinen Fassung nicht zutrifft, da die geringe Verlängerung der Vorderseite durch die beträchtliche Verkürzung der Rückseite mehr als ausgeglichen wird. Ich selbst habe in meinem „Lehrbuch der Anatomie. S. 158, Leipzig. 1871,“ mit- getheilt, dass ich in der relativen Gliederung der Vorderseite der Wirbelsäule zwischen männlichen und weiblichen Individuen im Mittel von 16 Beobachtungen nicht den geringsten Unterschied hätte auffiinden können. Stelle ich die bezüg- lichen Messungen nochmals zusammen, so erhalte ich als Mittel für 8 Männer und ebensoviele Weiber: Halstheil. Brusttheil. Bauchtheil. Ganze Länge. Männer: 20.8 46.3 32.8 100 (18.5— 22.7) (44.7—-47.7) (30.9—35.0) Weiber: 20.4 46.4 33.2 100 (19.5- 21.1) (44.8-47.7) (31.2-35.5) Differenz auf Seiten der Weiber: — 0.4 +01 + 0.4 0 Also auch hier auf Seiten der Weiber im Bauchtheile ein Plus, aber so ge- ringfügig, dass ich wohl berechtigt war, es zu vernachlässigen. Verschmelzen wir meine 16 Beobachtungen mit denen von RavEnEL, so erhalten wir als Mittel für je 19 Individuen: 340 XXIII. MiıcHen RAvEnEL. Nicht weniger klar sind die Ergebnisse, denen eine Vergleichung beider Seiten der Wirbelsäule zu Grunde liest. Die Rückseite ist in beiden Geschlechtern kürzer als die Vorderseite, im männlichen durch- schnittlich um 3?/,, im weiblichen um 9'/,°/,. Auch da verräth schon ein erster Blick den Bauchtheil als den wenn auch nicht ausschliess- lich, doch wenigstens in hervorragender Weise schuldigen. Der Hals- theil fügt dem Ausfall nur wenig bei und der Brusttheil mildert den- selben sogar um beiläufig 1!/,°/,, da er im Gegensatze zu dem Reste der Wirbelsäule auf der Rückseite etwas länger ist als auf der Vorder- seite. Allgemein gefasst lautet das Gesetz dahin, dass in den drei Hauptabschnitten der Wirbelsäule die convexe Seite jeweilen länger ist, als die concave, im Hals- und Bauchabschnitte also die vordere, im Brustabschnitte die hintere. Der Längenunterschied ist um so seringer, je flacher, um so ausgeprägter, je steiler die vorhandene Biegung. Setzen wir für die Mittelwerthe die längere Seite eines jeden Abschnittes gleich 100, so erhalten wir für die kürzere: Halstheil Brusttheill Bauchtheil Männer 960 96.9 86.6 Wieiberieru 00 72295:8 97.5 69.6 Wir haben hier einen sprechenden Ausdruck für die beträchtliche Verschiedenheit der Krümmungen. Sie sind schwach im Hals- und Brusttheile, stärker im Bauchtheile des Mannes, am stärksten in dem des Weibes. Es liegt hierin ein spezifischer Geschlechtsunterschied. LuscHkA!) hebt denselben richtig hervor und erklärt daraus die stär- kere Lendenaushöhlung an der Rückenseite des Rumpfes schön geform- ter weiblicher Körper. | Die eben besprochenen Verhältnisse bringen es mit sich, dass die relative Ausdehnung der einzelnen Abschnitte der Wirbelsäule auf deren beiden Seiten sehr ungleich ausfällt. Wir verschaffen uns dafür einen einfachen Ausdruck, wenn wir wie bisher bei der Vorderseite, so auch bei der Rückseite die prozentische Berechnung auf die ganze Länge ausführen. Wir erhalten dann: Halstheil. Brusttheil. Bauchtheil. Männer: 21.7 46.7 31.4 Weiber: 21.1 46.5 32.4. Vereinigen wir auch die Geschlechter, so geben die 38 Wirbelsäulen für Hals-, Brust- und Bauchtheil die prozentischen Werthe von 21.4, 46.6 und 31.9 oder rund von 21, 47 und 32. AEBY. 1) Die Anatomie des Menschen. II. Bd. 1. Abth. S. S0. Tübingen. 1863. Die Maasverhältnisse d. Wirbelsäule u. d. Rückenmarkes b. Menschen. 341 Vorderseite = 100. Halstheil. Brusttheil. Bauchtheil. Männer: 22.4 47.1 30.5 (20.3— 24.8) (44.8—50.5) (27.1-—32.4) Weiber: 21.5 46.6 31.9 (20.2— 22.8) (45.6—47.9) (80.0—82.8) Rückseite = 100. Halstheil. Brusttheil. Bauchtheil. Männer: 2 50.3 27.3 (20.9— 24.4) (48.5—56.8) (22.9— 30.1) Weiber: BMI 52.4 24.8 (20.3—25.0) (50.0--56.2) (22.9—28.4). Dem Halse gehört auf beiden Seiten ungefähr !/, der Wirbelsäule an; er ist von allen Abschnitten der am gleichförmigsten entwickelte. Brust- und Bauchtheil dagegen erfahren bedeutende Schwankungen, und zwar in entgegengesetzter Richtung, indem ihre Längen sich gegenseitig compensiren. An der Vorderseite ist der Brusttheil verhältnissmässig kürzer, der Bauchtheil länger, an der Rückseite umgekehrt jener län- ger, dieser kürzer. Nur hier unterwirft der Brusttheil die volle Hälfte der Wirbelsäule oder darüber seiner Herrschaft; an der Vorderseite begnügt er sich, einzelne individuelle Fälle abgerechnet, mit weniger. Was ihm abgeht, kommt dem Bauchtheile zu gut. Die geringste Aus- dehnung gewährt diesem die Rückseite der weiblichen Wirbelsäule. An dieser Stelle übertrifft er sogar den Halstheil nur um Weniges, während die ihm günstigere Vorderseite in beiden Geschlechtern das Verhältniss ungefähr wie 3:2 gestaltet. Wir haben in unseren bisherigen Erörterungen nur die Mittel- zahlen berücksichtigt. Es darf indessen nicht ausser Acht gelassen werden, dass diesen sehr ansehnliche individuelle Schwankungen, durch welche die Schärfe der Unterschiede merklich gemildert oder selbst aufgehoben wird, zur Seite stehen. Sie erreichen für die Rückseite des Bauchabschnittes sogar im Mittel den dritten Theil seines ganzen Werthes; für die übrige Wirbelsäule sind sie ungleich geringer und überschreiten ?/, der bezüglichen Mittelwerthe nicht. Die Krümmung der Lendenwirbelsäule ist somit dem meisten Wechsel unterworfen und erscheint dadurch für den individuellen Charakter der ganzen Wirbel- säule in erster Linie verantwortlich. Wie weit derselbe von dem spezifischen Typus des bezüglichen Geschlechtes sich entfernen kann, ‚dafür bieten die Tabellen der Belege genug. So sehen wir bei einzel- 342 XXIII. MicHeL RAVvENEL. nen Männern die Bauchwirbelsäule so sehr sich strecken, dass der früher erwähnte Längenunterschied beider Seiten nahezu verschwindet und in Folge davon auch die Rückseite der ganzen Wirbelsäule der Vorderseite an Ausdehnung gleich kommt oder sie selbst um ein Weniges überragt. Doch fehlen auch Beispiele des Gegentheiles keines- wegs. Die Krümmung männlicher Wirbelsäulen kann so stark werden, dass sie derjenigen von typisch weiblichen nichts nachgiebt. Umge- kehrt nähert sich nicht selten durch zu geringe Krümmung die weib- liche Wirbelsäule der männlichen. Immerhin sind, wenigstens nach unseren Erfahrungen, die extremen Formen sehr geringer Krümmung auf männliche, wie diejenigen sehr bedeutender Krümmung auf weib- liche Individuen beschränkt. Es decken sich nur die am stärksten sekrümmten männlichen und die am wenigsten gekrümmten weiblichen Wirbelsäulen. Der Umfang des gemeinschaftlichen Gebietes entspricht ziemlich genau dem Abstande der Mittelwerthe beider Geschlechter. Die beidseitigen individuellen Gebiete fallen also mit den einander zugekehrten Hälften in-, mit den von einander abgekehrten aus- einander. Es wäre von grossem Interesse, zu wissen, von welchen Momenten die stärkere oder schwächere Krümmung der Lendenwirbelsäule ab- hängig ist und welchen Einflüssen es zugeschrieben werden muss, dass die weibliche Wirbelsäule durchschnittlich in so auffälliger Weise der schärferen Krümmung sich zuneigt. Ich bin leider nicht im Stande, darüber Aufschluss zu geben und muss mich mit dem einfachen Nach- weise der Thatsache begnügen. Nur eigens darauf gerichtete Unter- suchungen können die Frage lösen. Vor Allem ist es nothwendig, den Entwickelungsgang der Wirbelsäule genau zu verfolgen, um zu erfah- ren, ob die Formverschiedenheit eine ursprüngliche oder erworbene ist, und im letzteren Falle, zu welcher Zeit und unter welchen Verhält- nissen sie sich entfaltet. Den ersten Theil der Aufgabe kann ich an der Hand einiger kindlicher Wirbelsäulen schon jetzt erledigen. Machen wir uns zunächst mit deren Maassverhältnissen bekannt. Die Maassverhältnisse d. Wirbelsäule u. d. Rückenmarkes b. Menschen. 343 Maassverhältnisse der Wirbelsäule bei Kindern. I. Absolute Werthe in Centimetern. Vorderseite. Rückseite. ' Hals- | Brust- | Bauch- Ganze | Hals- | Brust- | Bauch- Ganze theil. | theil. | theil. |Länge.| theil. | theil. | theil. |Länge. 1) Neugeborner. I. 5.0 | 93 5.0 19.3 Dome 9:3 5.0 | 19.3 > 712 0.2050 8100 5.0 | 19.0 402.300. 52507 1,190 R IST 200 0002502 | 185 ,| 209 9550. 18:5 Mittel. I AR 2986 os leXg 1 43 oe 0er 2) Knabe von 3 Mo- | | | | naten. 50 oo 5812081245 | 10.22.7502 19.9 3) Knabe von 2 Jah- | | | | ren. 10 |120 | 90 |s00 | 60 | 15.0 | 80 \ 200 4) Knabe von 5 Jah- | | 5 | | ren. 8.0 180 | 1 39.5 — —_ — = 5) Mädchen vou 9 | Jahren. 85 |195 | 150 | 43.0 en — 0 — II. Relative Werthe; Vorderseite = 100. Vorderseite. Rückseite. Hals- | Brust- Bauch- Ganze | Hals- | Brust- | Bauch-| Ganze theil. | theil. theil. |Länge.| theil. | theil. | theil. Länge. 1) Neugeborner. I. 25.9 48.2 | 25.9 100 | 25.9 | 48.2 | 25.9 | 10 ae DE) Bild | 52.6 26.3 100 21.0 52.6 26.3 | 100 3 IE 22186 51.3 27.0 100 21.6 51.3 27.0 | 100 Mittel. Me Be 100 22.9 50.7 26.4 |, 100 2) Knabe von 3 Mo- | | | naten. | 24.0 | A8ı 211.9 100 21.6 49.0 25.0 | 95.6 3) Knabe von 2 Jah- | | | ren. 23.3 | 46.7 30.0 100 20.0 50.0 26.7 | 96.7 4) Knabe von 5 Jah- | | | ren. | 20.3 | 45.6 | 342 | 100 — = EN 5) Mädchen von 9 | Jahren. 19,8. 254 | 8207 em ee Differenz der relativen Mittelwerthe von Neugeborenen senen auf Seiten der letzteren. 1) Vorderseite. Halstheil. Brusttheil. Bauchtheil. a. Männer -Z05 236 + 41 b. Weiber — 1.4 — Ahil 5.5 und Erwach- sanze Länge. 0 0 344 XXIII. MicHer RAvENEL. 2) Rückseite. Halstheil. 3rusttheil. Bauchtheil. Ganze Länge. a. Männer — 1.4 — 2.1 0 — 39) b. Weiber — 2.3 — 2.9 — 4.2 — 9.4 Differenz der Mittelwerthe von Neugeborenen für Vorder- und Rück seite auf Seiten der letzteren. Halstheil. Brusttheil. Bauchtheill. Ganze Länge. 0 0 0 0 Die kindliche Wirbelsäule ist keine verkleinerte Ausgabe der er- wachsenen, sie besitzt vielmehr ein eigenes Gepräge Fürs Erste fehlt ihr zur Zeit der Geburt jeglicher Unterschied zwischen Vorder- und Rückseite Beide sind nach äusserm Umfang und innerer Glie- derung einander durchaus gleich, wie solches dem fast vollstän- digen Mangel an Biegungen entspricht. Ich habe leider ver- säumt, das Geschlecht der Neugeborenen aufzuzeichnen. Nachdem wir indessen erfahren haben, dass männliche und weibliche Wirbelsäulen bei Erwachsenen sich nur durch das Maass ihrer Biegung unterschei- den, so ist der Schluss ohne Weiteres gerechtfertigt, dass mit dem Wegfall derselben überhaupt auch die geschlechtlichen Unterschiede aufhören. Die kindliche Wirbelsäule ist eine neutrale Form, die sich erst später in spezifischer Weise nach verschiedenen Richtungen differenzirt. Die Wirbelsäule des Neugeborenen ist ausserdem eigenartig durch ihre Gliederung. Diese entspricht ziemlich genau derjenigen der Rück- seite beim Manne. Auf der Vorderseite erscheint der Bauchtheil merk- lich verkürzt, und zwar zu Gunsten des Brusttheiles.. Die gesonderte prozentische Berechnung einer jeden Seite bei Kindern und Erwachse- nen lässt diese Verhältnisse noch deutlicher hervortreten. Vorderseite. Halstheil. Brusttheil. Bauchtheil. Ganze Länge. Neugeborne 22.9 50.7 26.4 100 Männer 22.4 47.1 30.5 100 Weiber 21.5 46.6 31.9 100 Rückseite. Halstheil. Brusttheil. Bauchtheil. Ganze Länge. Neugeborne 22.9 50.7 26.4 100 Männer 22.3 50.3 27.9 100 Weiber | 52.4 24.8 100. Die Maassverhältnisse d. Wirbelsäule u. d. Rückenmarkes b. Menschen. 345 Das beweist uns, dass das spätere Wachsthum der Wirbelsäule kein gleichförmiges ist, dass einzelne Theile vielmehr darin rascher fortschreiten als andere. Mechanische Momente zwingen die gestreckte Wirbelsäule sich zu biegen. Der innere Druck erfährt dadurch eine ungleiche Vertheilung. Die convexen Gebiete werden entlastet, die concaven stärker belastet und diess im Verhältniss zur Schärfe der Biegung. In Folge davon wird auch das Wachsthum ein ungleich- artiges. Dort wird es gefördert, hier hintangehalten, beides um so mehr, je stärker die Entfernung von der gestreckten Grundform. Daher das auffällige Missverhältniss in dem Wachsthum der Vorder- und Rückseite bei der zur stärksten Krümmung verurtheilten Lenden- wirbelsäule und das mehr gleichartige Verhalten der weniger gekrümm- ten Hals- und Brustbezirke. Es sind also äussere mechanische Ein- wirkungen, welche die Umprägung der kindlichen Form in die er- wachsene bedingen. Sie ist keine active, von der Wirbelsäule selbst ausgehende, sondern, wenigstens in der Hauptsache, eine passive, ihr von aussen her aufgedrungene. Das ist von Wichtigkeit für die Be- urtheilung der bereits erörterten Formverschiedenheit männlicher und weiblicher Wirbelsäulen im erwachsenen Zustande, was sie auch immer veranlasst haben mag. Unsere Tabelle giebt uns auch darüber einigen Aufschluss, zu welcher Zeit die Umprägung der kindlichen Wirbelsäule beginnt. Der Knabe von 3 Monaten zeigt sie bereits in ganz unzweideutiger Weise. Er wie seine älteren Genossen lassen über deren Ausgangspunkt, nämlich das stärkere Wachsthum an der Vorderseite der Bauchwirbel- sänle, nicht den mindesten Zweifel. Leider fehlt die Rückseite für den 5jährigen Knaben und das 9jährige Mädchen, sonst hätten wir viel- leicht auch etwas über den zeitlichen Beginn der geschlechtlichen Differenzirung erfahren. 346 XXIII. MicHen RAVvENEL. 2. Maassverhältnisse des Rückenmarkes. Messungen des Rückenmarkes sind meines Wissens bisher nur für dessen Gesammtlänge ausgeführt worden. Um seine innere, den Hauptabschnitten der Wirbelsäule entsprechende Gliederung scheint sich Niemand gekümmert zu haben und doch ist diese für die Kennt- niss des Organs unstreitig von grosser Bedeutung. Ich habe an sämmt- lichen Leichen, deren Wirbelsäulen wir soeben behandelt haben, auf sie gefahndet. Das Rückenmark wurde zu diesem Behufe durch Weg- nahme der Wirbelbögen und Spaltung der Häute ohne weitere Verletzung an Ort und Stelle vorerst blossgelegt, dann die Reihe der erforderlichen Punkte durch in die Wirbelsäule eingestochene Nadeln markirt. Die Lagerung des Präparates war eine möglichst genau horizontale und durchaus ruhige. Gemessen wurde die eigentliche Länge des Organs, also mit Einschluss der vorhandenen Biegungen in der Medianebene. Als oberes Ende des Rückenmarkes wählte ich wie bei der Wirbel- säule den oberen Rand des Atlasbogens. Er empfiehlt sich nicht allein als unter allen Umständen sicher und bequem aufzufindender Punkt, son- dern auch als Abgangsstelle des ersten Halsnerven.!) Das untere Ende verlegte ich auf die Spitze des Markkegels, die, nachdem das Nerven- bündel, welches sie umschliesst, vermittelst Nadeln sorgfältig bei Seite geschoben worden, bei einiger Aufmerksamkeit ziemlich genau vom Endfaden sich abgrenzen lässt. Nur bei sehr allmäliger und schlan- ker Verjüngung ist die Sache etwas schwieriger; immerhin handelt es sich auch hier nur um wenige streitige Millimeter, die bei der ver- hältnissmässig beträchtlichen Länge des ganzen Organs als Fehler nicht schwer ins Gewicht fallen. Die Grenzpunkte der einzelnen Hauptab- schnitte konnten verschieden gelegt werden, da die einzelnen Nerven bekanntlich mit breitem Wurzelfächer vom Rückenmarke abgehen. Es schien mir am naturgemässesten, jeweilen diesen ganzen Fächer zu demjenigen Theile des Rückenmarkes zu schlagen, dem der bezügliche Nerv angehört. So wurde denn der unterste Wurzelfaden des letzten Nerven der Hals-, Brust- und Lendengruppe zum Grenzpunkte zwischen Hals- und Brust-, Brust- und Bauch-, Bauch- und Beckentheil ge- stempelt. .So gemessen liefert das hückenmark von Erwachsenen fol- gende Längenwerthe: l) Auch Hente (Nervenlehre. S. 38. Braunschweig. 1871.) lässt das Rücken- mark hier beginnen. Die Maassverhältnisse d. Wirbelsäule u. d. Rückenmarkes b. Menschen. 347 Absolute Maassverhältnisse des Rückenmarkes in Centimetern. Männer. Halstheil. | Brust£heil. |Bauehtheil. [Beekentheil) ze | | ı Länge. | 1 9,5 26.0 4.5 4.0 44.0 9 11.0 27.0 Da 25 46.0 3 11.5 37.0 4.5 3.0 46.0 4 11.5 25.0 5.5 5.0 47.0 5 | 100 27.0 5.0 3.0 45.0 Be 8.5 25.5 4.2 0.7 39.0 7 9.5 De 4.3 2 AT.A 8 9.0 50 6.3 45.7 9 9.5 26.5 7.0 5.0 48.0 10 8.0 25.5 4.5 1.5 39.5 11 10.5 27.0 5.5 3.0 45.0 Mittel. 9.9 26.2 5.1 3.6 44.8 .(8.0— 11.5) (25.0—27.0)| (4.2—7.0) | (0.7--7.2) |(39.0—-48.0) Weiber. rasen Bene Bnehtheil, Beckentheil, are | | Länge. 1 11.0 21.5 5.5 3.0 41.0 2 9.0 23.7 5.9 2,8 41.0 3 10.0 24.5 Ber 44.0 4 10.0 24.3 4.7 va | 20 5 8.5 19.5 6.6 a | a 6 10.0 23.0 7.0 20 20) 7 10.5 24.5 7.0 4.0 46.0 8 9.5 24.5 5.0 3.0 42.0 9 9.0 23.0 55 3.5 41.0 10 BT le 5.0 4.5 37.0 11 100. 230 0, 5.4 3.5 43.4 Mittel. 9.0 a 31 41.3 (8.5—10.5) (18.3—24.5) (4.7—7.0) | (0.2—4.5) | (7.0—46.0) 348 XXI MicHher RAVvEnEL. Differenz des Mittels beider Geschlechter auf Seiten der Weiber: Halstheil Brusttheil Bauchtheil Beckentheil Ganze Länge —0.3 — 3.3 +0.6 — 0.5 — 8.5 Das weibliche Rückenmark erreicht also im Ganzen an absoluter Länge das männliche nicht. Merkwürdiger Weise vertheilt sich der Ausfall auf die einzelnen Abschnitte nichts weniger als gleichförmig. Der Brusttheil wird offenbar am stärksten betroffen. Becken- und Halstheil kommen erst in zweiter Linie. Ganz eigenthümlich gebärdet sich der Bauchtheil, indem er beim Weibe nicht nur nicht kürzer, sondern im Mittel selbst etwas länger ist als beim Mann. Eine pro- zentische, auf die ganze Länge des Rückenmarkes bezogene Berech- nung schafft weitern Aufschluss. Relative Maassverhältnisse des Rückenmarkes. Ganze Länge = 100. Männer. Halstheil. | Brusttheil. | Bauchtheil. | Beckentheil. 1 21.6 | 59.1 10.2 9.1 2 Do en lo 5.4 3 25.0 58.7 9.8 6.4 4 24.5 53.2 1, 10.6 5 200 60.0 lei 6.7 6 21.8 65.4 10.8 1.8 7 20.0 55.7 9.1 15.2 Se 54.7 10.9 13.7 ots 55.2 13.6 10.4 0 64.6 | al 3.7 Me 235 60.0 12.2 4.4 N | 58.5 11.4 7.9 | (19.8 25.0) | (6532—65.4) | (9.1-13.6) | (1.8152) Die Maassverhältnisse d. Wirbelsäule u d. Rückenmarkes b. Menschen: 349 Weiber. | ı Halstheil. Brusttheil. Bauchtheil. | Beckentheil. | | 1 26.8 52.4 13.4 | 1.3 2 21.9 56.8 14.9 | 6.3 3 22.7 55.7 12.3 | 9.3 4 25.5 61.7 12.0 0.8 5 22.8 52.3 16.1 8.9 6 98.1 55.5 17.8 3.6 Da N 0908 52.3 1 8.7 Bon Se 9.7 9 21.9 56.1 je 8.5 10 22.5 50.8 al 12.2 11 23.0 Ba. ea Mittel 23.2 55.4 Ve | 1.6 (21.9—-26.8) | (50.8—61.7) | (11.9—17.8) | (0.8122) Differenz des Mittels beider Geschlechter auf Seiten der Weiber: Halstheil. Brusttheil. Bauchtheil. Beckentheil. SE — ll. LI — Die Gliederung des Rückenmarkes ist eine ganz andere, als die der Wirbelsäule. Der Halsthejl besitzt annähernd denselben Prozent- werth, wie bei dieser, der Brusttheil dagegen erweitert sich auf Kosten des benachbarten Bauch- und Beckengebietes um ein ansehnliches. Er umfasst mehr als die Hälfte der ganzen Rückenmarkslänge. Der Rest vertheilt sich fast gleichförmig auf Halstheil einer-, Bauch- und Becken- theil anderseits, doch immerhin mit geringer Bevorzugung des erstern. Der Bauchtheil ist beiläufig halb so lang wie der Halstheil. Durch- schnittlich am kürzesten, in seiner individuellen Entfaltung aber trotz- dem dem beträchtlichsten Wechsel unterworfen, tritt der Becken- theil auf. Wichtige Ergebnisse liefert der Vergleich männlicher und weib- licher Organe. Ihre Gliederung ist so wenig als die der Wirbelsäule eine parallele. Der Beckentheil allein bleibt neutral. In den Rest des Rückenmarkes theilen sich die drei übrigen Abschnitte beim Weibe 350 XXIII. MiıcHer RAVENEL. anders denn beim Manne. Hals- und Bauchtheil vergrössern sich dort auf Kosten des Brusttheiles, und das Verhalten der kleinsten und grössten individuellen Grenzwerthe liefert den Beleg, dass es sich da- bei nicht blos um zufällige, sondern um wirklich typische Verschie- denheiten handelt. Immerhin muss hervorgehoben werden, dass in dieser Hinsicht die beiden Geschlechter eben so wenig streng von einander geschieden sind, als es bei der Wirbelsäule der Fall war. Individuell werden, den Nachweisen der Tabelle zufolge, Uebergänge vermittelt. Es handelt sich in den beiden Geschlechtern nicht um den völligen Ausschluss der einen oder andern Form, sondern nur um die allerdings sehr entschiedene Bevorzugung der einen, und zwar beim Manne einer andern als beim Weibe. Eine Erklärung dieser gewiss bemerkenswerthen Thatsache vermag ich nicht zu geben. Ueber den Charakter des Rückenmarkes in früheren Perioden ist mir nur wenig bekannt geworden. Einigen Messungen zufolge gewinnt es allerdings den Anschein, als schliesse sich das kindliche Rücken- mark zunächst an das Rückenmark des erwachsenen Weibes an, das heisst, als sei auch in ihm der Brusttheil verhältnissmässig verkürzt. Die Zahl der mir zugänglichen Individuen war indessen eine zu ge- ringe und das an ihnen gewonnene Resultat ein zu ungleichförmiges, als dass ich mich anders denn mit allem Vorbehalt aussprechen möchte. Ich überlasse die Entscheidung weiteren Untersuchungen. Nachstehende Befunde werden die Vorsicht rechtfertigen. Maassverhältnisse des Rückenmarkes bei Kindern. Relative Werthe; Absolute Werthe in Cm. N ganze Länge = 100. Bauch- Bauch- Hals-| Brust- und |Ganze | Hals- | Brust- | und itheil. theil. Becken- Länge.| theil. theil. |Becken- | theil. theil. m | - 1) Neugeborner I. 4.8 9.2 2.5 16.5 29.1 55.8 15.1 5 101E 35 | 95 2.0 15.0 23.1 63.3 13.4 cn Ill. 3.8 | 7.0 4.2 15.0 25.3 | 46.7 28.0 Mittel. 4.0 8.6 2.9 15.5 a | DE 18.7 2) Knabe von 3 Monaten. | 4.0 8.0 3.0 | CO) 23.6 AT. 29.4 3) Knabe von 2 Jahren. 6.7 9.0 83 | 24.5 27.3 36.7 35.9 4) Knabe von 5 Jahren. 35 | 118 8.0 30.0 Aulat Dilac 26.7 5) Mädchen von 9 Jahren. | 6.5 | 15.5 6.0 28.0 23.2 55.4 21.4 Die Maassverhältnisse d. Wirbelsäule u. d. Rückenmarkes b. Menschen. 351 3. Rückenmark und Wirbelsäule. Es ist eine längst bekannte Thatsache, dass das Rückenmark beim Erwachsenen an Länge von der Wirbelsäule ansehnlich überholt wird. Um wie viel jedoch dies geschieht, darüber fehlen genauere Angaben fast vollständige. Man begnüste sich beinahe allgemein damit, die Stellung der Rückenmarksspitze zur Wirbelsäule topographisch zu be- stimmen und fand dabei, dass sie in der Regel in den Bereich der beiden ersten Lendenwirbel falle!) Das Verfahren war zulässig unter der stillschweigenden Voraussetzung, dass alle Wirbel zur Längsachse der ganzen Reihe genau in derselben Weise gelagert seien, oder mit anderen Worten, dass die Gliederung der Wirbelsäule und die Längen- entwiekelung ihrer einzelnen Abschnitte überall ein und dieselbe sei. Wir haben bereits das Gegentheil nachgewiesen. Demgemäss ist auf diesem Wege für die Lösung der Frage nach der relativen Länge des hückenmarkes nichts zu erwarten. Es bedarf vielmehr eines bestimm- ten Maassstabes, und der kann naturgemäss nirgends anders als in der Achsenrichtung des Körpers selbst gesucht werden. C. Feasr?) wählt als solchen die Länge der ganzen Wirbelsäule und findet, dass sich zu ihr die Länge des Rückenmarkes beim Mann wie 1:1.62, beim Weibe wie 1:1.56 gestalte, während bei Kindern vom ersten bis zum dritten Monat im männlichen Geschlecht das Verhältniss wie 1:1.59, im weib- lichen wie 1:1.58 ausfalle. Ausserdem berechnet er noch die Länge des ganzen Körpers auf den Werth des Rückenmarkes im Manne zu 3.76:1, im Weibe zu 3.58:1. Knaben liefern hierbei die Zahl von 3.26:1, Mädchen von 3.20:1. Beiden Berechnungsarten zufolge wäre demnach das Weib mit einem verhältnissmässig etwas längern Rücken- marke ausgestattet als der Mann. Ich muss lebhaft bedauern, dass die Arbeit von Frust mir nur nach dem kurzen Auszuge im Öentralblatte zugänglich war, und dass ich daraus über die Art und Weise, wie ge- messen worden, und namentlich auch darüber, ob an der Vorder- oder Rückseite der Wirbelsäule, nicht das Geringste erfahren habe. Ich sehe mich daher völlig ausser Stand, die Bedeutung und den Werth 1) Man findet vielfach die Angabe, dass durch Streck- und Beugebewegung der Wirbelsäule die Spitze des Rückenmarkes nicht unbeträchtlich verschoben werde. Ich muss dem nach eigener Erfahrung und nach solcher von Prof. Argy auf das entschiedenste widersprechen. Die Spitze bleibt nahezu unbeweglich; einmal maass ich eine Verrückung von 2 Mm. — Frust berichtet dasselbe. 2) „Ueber das Verhältniss der Länge des Rückenmarkes zur Länge der Wir- belsäule“. Inaug. Dissert. 1874 (Russisch). — Centralblatt für die medizinischen Wissenschaften. 1874. Nr. 47. Zeitschrift f. Anatomie, Bd. II. 33 352 XXIII. Michen RAvENEL. der mitgetheilten Zahlen irgendwie zu beurtheilen und sie mit den meinigen zu vergleichen. Ich habe bereits bei der Besprechung der Wirbelsäule die Gründe angegeben, welche es mir als zweckmässiger erscheinen lassen, bei ihrer Verwendung als Maassstab für das Rückenmark den Beckenabschnitt nicht mit in Rechnung zu bringen. Ich brauche daher nicht weiter darauf zurück zu kommen. Daran jedoch muss ich vor Allem erin- nern, dass dieser Maassstab kein einfacher, sondern ein doppelter ist, indem, wenigstens beim Erwachsenen, die Vorderseite andere Längen- werthe besitzt als die Rückseite Die Rechnung, welche die Länge des Rückenmarkes auf die Länge der Wirbelsäule bezieht, muss daher gleichfalls eine doppelte sein. Relative Länge des Rückenmarkes. Vorderseite der Wirbelsänle Rückseite der Wirbelsäule — 100. = 100. Männer. Weiber. Männer. Weiber. 1 32.2 76.2 31.9 1 88 2 71.0 9:3 78.6 82.3 3 73.6 2 77.3 82.7 nn 71.4 71.9 76.4 75.4 5 75.0 ZuleR 76.3 red 6 67.8 70.6 70.9 713 7 33.9 75.4 37.8 80.7 3 ers le 74.3 83.1 84.8 9 | 32.0 Val 80.3 84.5 10 70.5 wlan a2 80.4 11 206.3 Io MOL 86.3 Mile 74.0 78.0 81.6 (67.3—83.9) (70.6— 77.2) (70.9—87.8),(74.3—86.8) Die Wirkung der Doppelrechnung ist auffällig genug. Der Werth des Rückenmarkes ist ein wesentlich anderer, je nachdem ihm die Vorderseite oder die Rückseite der Wirbelsäule zu Grunde gelegt wird. -Dort ist er kleiner, hier grösser. Der Unterschied umfasst im Mittel beim Mann 2.7, beim Weibe sogar 7.6 °/,, also Grössen, die entschie- den ins Gewicht fallen und eine allfällige Vermengung der beidseiti- sen Rechnungsresultate ein- für allemal ausschliessen. Das ist auch Die Maassverhältnisse d. Wirbelsäule u. d. Rückenmarkes b. Menschen. 353 bei der Vergleichung der beiden Geschlechter wohl zu berücksichtigen. Nur jene Zahlen sind vergleichbar, die nach demselben Maassstabe sind gewonnen worden. Das Resultat ist ein eigenthümliches. Beziehen wir das Rücken- mark auf die Vorderseite der Wirbelsäule, so ist es beim Weibe im Mittel um ein Weniges (1.3°/,) kürzer, beziehen wir es dagegen auf die Rückseite, so erscheint es um ein Merkliches (3.6 °/,) länger als dasjenige des Mannes. Die Erklärung ergiebt sich übrigens ohne Schwierigkeit aus dem früher nachgewiesenen Unterschiede zwischen männlicher und weiblicher Wirbelsäule. Bei dieser ist in Folge stär- kerer Krümmung des Lendentheiles die Vorderseite verhältnissmässig länger, die Rückseite kürzer. Jene drückt daher die prozentische Länge des Rückenmarkes herab, diese erhöht sie. Dass hierin in der That der alleinige Grund der Zahlenunterschiede bei Mann und Weib zu suchen ist, davon überzeugt man sich leicht, wenn man diesen ungleichwerthigen Lendenabschnitt ausschaltet und das Rückenmark nur auf Hals- und Brustwirbelsäule bezieht. Beide Geschlechter liefern dann dieselben Werthe, gleichgültig, ob die Vorder- oder Rückseite der Wirbelsäule als Ausgangspunkt gewählt wird. Aehnliches erzielt man, wenn in die weibliche Wirbelsäule ein ihrer absoluten Grösse entsprechender Bauchabschnitt von männlichem Typus eingefügt wird. Die relative Länge des Rückenmarkes wird dadurch wiederum in bei- den Geschlechtern dieselbe, nur eine andere für die Vorder-, wie für die Rückseite der Wirbelsäule. Es spricht also Alles dafür, dass die Verschiedenheit der relativen Längenwerthe des Rückenmarkes in bei- den Geschlechtern nicht in einer Verschiedenheit des Rückenmarkes selbst, sondern in der Verschiedenheit der durch die Vorder- und Rück- seite der Wirbelsäule eingeführten Maassstäbe begründet ist. Die in Mann und Weib verschieden ausgeprägte Lendenkrümmung wird also auch nach dieser Seite hin bedeutungsvoll. — Nicht unbemerkt mag bleiben, dass die individuellen Schwankungen bei Männern weitaus grösser sind (16 und 17 °/,) als bei Weibern (61/, und 12 °/,). Hals- und Brusttheil des Rückenmarkes sind beträchtlich kürzer als die entsprechenden Bezirke der Wirbelsäule Ein Theil des Brust- rückenmarkes kommt daher noch in die Halsgegend und das ganze Bauchrückenmark in die Brustgegend zu liegen. In der Bauchwirbel- säule findet nur der Beckentheil des Rückenmarkes, und zwar in beiden Geschlechtern im Mittel etwa in der Länge von 3 Cm., Unterkunft. Da die Bauchwirbelsäule des Mannes an der Rückseite beiläufig 15 Cm., die des Weihes 12 Cm. umfasst, so wird dort deren oberes Fünftheil, hier deren Viertheil bedeckt. Es wäre indessen übereilt, wollte man 354 XXIII. MicHzL RAvEnE1. hieraus ohne Weiteres die Folgerung ableiten, dass das Kückenmark beim Weibe nothwendig und unter allen Umständen bis zu einem tieferen Wirbel herabreiche, als beim Mann. Arpy!) hat gezeigt, dass nicht alle Lendenwirbel durch die vorhandene Biegung der Wirbel- säule nach hinten keilförmig verjüngt sind, sondern nur die drei un- teren. Die beiden obersten brauchen daher an der Verkürzung der weiblichen Bauchwirbelsäule gar keinen Antheil zu nehmen. In der That habe ich bei genauer Prüfung in der Stellung des Markkegels zu den Lendenwirbeln nicht den geringsten Unterschied wahrgenom- men, ob ich es mit- männlichen oder weiblichen Individuen zu thun hatte. Er kam in beiden Geschlechtern eben so oft dem ersten, wie dem zweiten Wirbel gegenüberzuliesen. FEnst freilich giebt an, dass als äusserste Grenze des Rückenmarkes bei Männern im Allgemeinen der erste, bei Weibern der zweite Lendenwirbel müsse angesehen werden. Meinen eigenen nicht weniger zahlreichen Beobachtungen gegenüber kann ich darin nur das Spiel des Zufalls, das ihm vorzugs- weise tief herabreichende weibliche Rückenmarke verschafft hat, er- blicken, oder aber den Einfluss von Raceneigenthümlichkeiten, deren Möglichkeit, da er an slavischem, ich an schweizerischem Material gearbeitet, jedenfalls nieht ohne Weiteres zurückzuweisen ist. Sehen wir uns nach dem Rückenmark der Kinder um. Seine Länge beträgt nach den beiden Seiten der Wirbelsäule berechnet in Prozenten derselben: Relative Länge des Rückenmarkes bei Kindern. | Vorderseite | Rückseite ı der Wirbelsäule der Wirbelsäule #100: | = 100. 1) Neugeborner IE | 35.9 85.5 5 I. | 79.0 79.0 > IH. s1.1 | s1.1 Mittel. 82.0 | 82.0 2) Knabe von 3 Monaten. | s1.7 | 35.4 3) Knabe von 2 Jahren. 81.7 34.5 4) Knabe von 5 Jahren. 75.9 ? 5) Mädchen von 9 Jahren. 65.1 ? l) Lehrbuch der Anatomie, S. 130. Leipzig. 1871. Die Maassverhältnisse d. Wirbelsäule u. d. Rückenmarkes b. Menschen. 355 Beim Neugeborenen sind beide Seiten der Wirbelsäule vollkom- men gleich. Der Prozentwerth des Rückenmarkes ist daher ein ein- heitlicher. Er entspricht im Mittel demjenigen erwachsener Weiber,!) wenn die Rückseite der Wirbelsäule als Maassstab angenommen wird. Alle übrigen Rückenmarkswerthe von Erwachsenen werden durch ihn übertroffen, am meisten natürlich diejenigen, welche nach der Vorder- seite der Wirbelsäule berechnet sind. Auch für den Knaben von 3 Monaten und von 2 Jahren erhalten sich die Zahlen noch auf gleicher Höhe; erst mit 5 Jahren sinken sie auf das Mittel erwach- sener Männer herab. Wie weit dabei individuelle Verhältnisse mit in Betracht kommen, lässt sich angesichts der immerhin kleinen Zahl von Beobachtungen und der so ansehnlichen individuellen Schwan- kungen bei Erwachsenen nicht bestimmen. — Bei sämmtlichen Kin- dern reichte die Spitze des hückenmarkes bis zum untern Rande des zweiten Lendenwirbels. 4. Allgemeine Ergebnisse. Es dürfte keineswegs unerwünscht sein, die Hauptsätze, wie sie unsere Untersuchungen geliefert und im Einzelnen behandelt haben, hier noch übersichtlich zusammengestellt zu finden. Es sind ihnen durchweg die Mittelwerthe zu Grunde gelest. I. Wirbelsäule. 1. Die Wirbelsäule erwachsener Weiber ist absolut kleiner als die von Männern. 2. Bei der erwachsenen Wirbelsäule sind die Vorder- und Rück- “seite nicht gleichwerthig. Diese ist kürzer, und zwar bei Weibern in höherem Grade als bei Männern. Der Bauchtheil spielt dabei die Hauptrolle. 3. Die weibliche Wirbelsäule unterscheidet sich von der männ- lichen hauptsächlich durch stärkere Lendenkrümmung. I) Feast (a. a.0.) macht dieselbe Angabe. Er würde also hierin, wie in der relativ grösseren Länge des weiblichen Rückenmarkes ganz zu denselben Er- gebnissen wie ich selbst gelangt sein, wenn nur die Annahme gemacht werden dürfte, dass er die Rückseite der Wirbelsäule als Maassstab verwendet hat. — Sollte sich jedoch herausstellen, dass dem nicht so ist, dass ihm vielmehr die Vorderseite der Wirbelsäule als Maassstab gedient hat, dann sind unsere Be- funde durchaus entgegengesetzte und nicht zu vereinen. Oder wäre gar an Racenverschiedenheit zu denken? — 356 XXIH. Mıcner Ravener, Maassverhältnisse d. Wirbelsäule etc. b. Menschen. 4. Die Wirbelsäule Neugeborener besitzt weder Unterschiede der Vorder- und Rückseite noch des Geschlechtes. Ihre Umprä- sung in die erwachsene Form vollzieht sich durch rascheres Wachsthum an den convexen, langsameres Wachsthum an den concaven Stellen. II. Rückenmark. Das Rückenmark erwachsener Weiber ist absolut kürzer als das von Männern. . Im weiblichen und wahrscheinlich auch im kindlichen Rücken- marke ist der Brusttheil relativ kürzer, der Hals- und Bauch- theil relativ länger als im männlichen. . Im Vergleiche zur Vorderseite der Wirbelsäule ist das weib- liche Rückenmark kürzer, im Vergleiche zur Rückseite länger als dasjenige des Mannes. Der Grund liegt in der Verschieden- heit des Maassstabes. Das Rückenmark selbst ist in beiden Geschlechtern hinsichtlich seiner Länge als gleichwerthig an- zusehen. Das kindliche Rückenmark folgt in seiner relativen Länge dem weiblichen, die kückseite der Wirbelsäule als Maassstab angenommen. . Streck- und Beugebewegung der Wirbelsäule ist ohne Einfluss auf die Stellung des Markkegels zu den Lendenwirbeln. XXIV. Das Wachsthum der Extremitäten beim Menschen und bei Säugethieren von der Geburt. Von Hugo Burtscher. (Aus dem anatomischen Institute von Prof. Aegy in Bern.) Angeregt durch meinen verehrten Lehrer, Herrn Prof. Argy, der sich schon vielfach mit den Gliederungsverhältnissen der Wirbelthier- extremitäten im erwachsenen Zustande befasst hatte), unternahm ich es, diese Verhältnisse während der fötalen Periode zu verfolgen. Nach dem Gange der Entwicklungsgeschichte lag ja die Vermuthung nahe, dass sie sich eigenartig gestalten würden, wie, darüber fehlten freilich noch jegliche Nachweise. Ich durfte also hoffen, nicht allein zur Er- weiterung unserer Kenntnisse über die bezüglichen Organismen etwas beizutragen, sondern auch Materialien sammeln zu helfen, die bei ge- höriger Ausdehnung mit der Zeit vielleicht berufen sein werden, uns werthvollen morphologischen Gesetzen auf die Spur zu bringen. Ich unterzog mich der Arbeit um so lieber, als mir Prof. Argy nicht allein die nöthige Anleitung dazu gab, sondern auch die Berner ana- tomische Sammlung zur Verfügung stellte. Mein bester Dank sei ihm dafür ausgesprochen. | Meine Untersuchung bestand zunächst in der Längenmessung der Extremitäten vom Menschen, im Ganzen sowohl, als auch in den ein- zelnen Abschnitten. Ich nahm deren vorerst drei an: Oberarm, Vor- derarm und Hand, Oberschenkel, Unterschenkel und Fuss. Hand und Fuss wurden des weiteren in ihre Hauptbestandtheile aufgelöst: Hand- wurzel, Mittelhand und Finger, Fusswurzel, Mittelfuss und Zehen. Bei der Hand legte ich das Maass an den Mittelfinger als den längsten. 1) Argy, Beiträge zur Kenntniss der Mikrocephalie. Archiv f. Anthropologie. Bd. VI. S. 287 u. 290. 358 XXIV. Huco BURTSCHER, Das Wachsthum der Extremitäten Beim Fusse hielt ich mich an die grosse Zehe, da sie bei jüngeren Früchten allein genügende Sicherheit der Messung bot. Ihre Länge weicht ja auch von derjenigen der Nachbarzehe so wenig ab, dass von einer daraus fliessenden Fehlerquelle kaum die Rede sein kann. Die Extremitäten von Thieren erfuhren ganz dieselbe Behandlung. Am Vorder- und Hinterfuss galt die längste der Zehen als maassgebend. Die Messung bezog sich überall auf das Skelet. Die Länge wurde in der Achsenrichtung der einzelnen Abschnitte genommen und nach den anatomischen Endpunkten bestimmt. Als solche wurden die höchste Stelle des convexen, die tiefste der concaven Gelenkfläche angesehen. Am Oberarm ging ich vom obern Umfange des Schulterkopfes, am Fusse vom hintern Umfange der Talusrolle aus, da hier bei ge- streckter Lage der Anschluss an Schultergürtel und Unterschenkel erfolgt. Hand- und Fusswurzel fanden nach unten in den Mittelhand- und Mittelfussgelenken des bezüglichen Fingers und der bezüglichen Zehe ihre Grenze. — Das Maass wurde mit Hülfe eines genau gra- duirten Zirkels, wo nöthig mit Loupenablesung, genommen. Um die Maassverhältnisse verschiedener Extremitäten von deren Grösse unabhängig und somit unmittelbar vergleichbar zu machen, unterwarf ich sie einer prozentischen Berechnung; die Länge der Ex- tremität diente dabei als Einheit. Um die gegenseitigen Längen- beziehungen beider Extremitäten auszudrücken, wurde der Prozent- werth der oberen mit Zugrundelegung der unteren aufgesucht. Bei der Zartheit vieler Früchte und bei der höchst unvollkom- menen Verknöcherung, worin sich ihre Skelete befinden, taugen zur Untersuchung nur frische oder sorgfältig in Weingeist gehärtete Prä- parate. Durch Austrocknen schrumpfen sie zu unbrauchbaren Kari- katuren ein. — Die Maasse der erwachsenen Menschen und Thiere verdanke ich Herrn Prof. Arsy. Sie sind jeweilen das Mittel aus mehreren Beobachtungen. ordnen. beim Menschen und bei Saugethieren von der Geburt. I. Extremitäten des Menschen. 399 Ich ziehe es vor die 17 Früchte, welche mir vorgelegen haben, statt nach der zum Theil doch etwas unsichern Altersbestimmung, nach der absoluten Grösse (vom Scheitel zur Ferse gerechnet) zu lässigste Grundlage zu gewinnen, Ich glaube damit für meine besonderen Zwecke die zuver- Absolute Länge der Extremitäten in Millimetern. Länge in mm. Obere Extremität. | Untere Extremität. me Geschlecht | Em ae sei | se ne 5 28 | NE ee Ba = Eve GE c 33 23 | 8 = |8: 1| 56 männl. | ı67| 125| 8.8| 38.0| 12.3| 105| 8.2) 36.0 35 140) 10.8| 72320160 113. 87 360 | Be 14.0. 12.0 85| 345| 17.0) 105 65| 340 Aue u 19.5! 15.0| ı3.8| 48.3| 20.0| 16.0| 11.0 47.0 5EAO: &. 20) 2170 16.0,.550|.255| 180) 145 | 580 6 158 weibl. 28.0! 20.0| 16.0| 640| 29.0| 21.5| 165 67.0 7 185 männl. | 32.0) 24.5| 21.0| 77.5| 35.0| 28.0| 21.0 840 8 1202 weibl. | 37.0| 27.0| 23.0| 87.0| 40.0| 28.0) 24.0| 92.0 9 1213 männl. | 37.0| 26.0| 26.5| s9.5| 38.0| 29.5 22.5 90.0 10 [231 weibl. | 40.0| 30.0 24.0 94.0| 445 33.0| 24.5| 102.0 11 [233 männl. | 41.0| 34.0) 29.0 104.0| 45.0| 36.0| 27.0| 108.0 12 12455 41.5\ 32.5| 28.0|102.0| 45.0| 33.5| 28.5 | 107.0 3, 275 2% 49.0, 37.0| 31.5/117.5| 51.0| 48.0| 30.0, 124.0 14 |282 weibl. 43.0| 36.0) 33.8)112.8| 57.0| 42.5 33.5| 133.0 15 283 männl. 48.0) 37.0, 32,5|117.5| 540 39.0, 34.0 127.0 16 [292 , 50.5| 37.0 34.5|122.0| 53.0| 42.0| 36.0| 131.0 17 1405 „ 69.0 50.0| 54.0,173.0| 79.0 62.0| 52.0| 193.0 53 | erwachsen |293.0 215.5| 172.5 681.0|467.3 360.7| 188.0. 1016.0 n= erwachsen 180.2, 201.4| 164.4 | 646.0 395.3 | 806.8 164.9 867.0 + 360 XXIV. Huco BurtscHErR, Das Wachsthum der Extremitäten Relative Länge der Extremitäten in Prozenten der ganzen Länge. Obere Extremität. Untere Extremität. Länge in mm. | - U — ri u. Geschlecht = EN Br Be 2 5 38 = 35 Se der Früchte. 5 25 3 > a® E = =. = 3 = 5 & 7 2 56 männl. | 43.9 32.9 23.1 48.1 292 12218 158 weibl: A370 0312, 25.1 433 3212 m24% 185 männl. | 412 | 31.6 | 272 | 41.7 | 33.3 | 25.0 202 weibl. | 42.5 | 31.0 | 26.5 | 43.5 | 304 | 26.1 9 192413: männl. 74130) .290 7297| 4227 7322877250 10° 23leweibl 7 4105 2.31.97 25.61 043622 32300409 11 |233 männl. | 394 | 32.6 280 | 41.7 | 333 | 24.9 0) es 406 | 318. 276 | 420 | 31.3.0966 13 2 AT a | 96.92 Ale Bar or 14 |282 weibl. | 382 | 32.0 | 298 | 42.8 | 31.9 | 25.2 15: |283 mäml. | 40.8 | 314 | 27.8 | 425 | 30.7 | 26.8 ic oo AA 30.3. 28,3,| 4027 2a 2 im Aus 0 0338 mp8, 31.3. | ao) nen Mittel aus) erwachsen | 43.0 311.6 2353 45.9 35.4 | 185 (42.4 | (380.9 | (24.3 | (44.8 (35.1 17.9 44.6) 325) 25.9)| 46.8)| 35.8) 19.0) Mittel aus erwachsen | 48.3 | 81.1 254 | 455 | 35.3 19.0 (41.4— | (30.4— | (24.6— | (44.0— | (34.9— (18.5 — 4a. 31.8) 20.01 464), 369) 200) Die Tabelle ist zu lang, um sofort einen klaren Ueberblick zu gestatten, zumal auch recht augenfällige Zahlenverschiedenheiten nicht vorhanden sind. Ich berechne daher Mittelwerthe für nach der ab- soluten Grösse der Früchte willkürlich gewählte Gruppen. Das herr- schende Hundert von Millimetern dient als Eintheilungsprincip. 1 20 a7 | 337 | 226 | 444 | 314 | 242 Ba 105 | 347 | 24.8 | 500 | so9 | 191 a 126, 103 31.0 | 28.7 | 225 | 320 | 234 5 6% 40.0 | 309 | 29.1 | 440 | 31.0 | 25.0 6 7 8 beim Menschen und bei Säugethieren von der Geburt. 561 Obere Extremität. Untere Extremität. mju mm 5 ee Ober- Vorder- Ober- Unter- Länge der Früchte. Be ae Hand. Schenkalt schenkel‘ Fuss. 1 56—85 mm. 42.7 89.8 23.3 47.5 90.5 21.9 (40.5— (32.9— (22.6— (44.4— (29.2— (19.1 — 43.9) 34.7) 24.8) 50.0) 31.4) 24.2) 2,121 —185..; 41.3 Silk 210.5 42.9 32.6 24.5 (40.0— (30.9— (25.1— (41.7— (81.0 — (23.4— 43.7) 31.6) 29.1) 44.0) 34.0) 25.0) 33202292, , 40.9 3.3 27.8 42.2 3241 25.7 (38.2— (29.0— (25.6— (40.4— (30.4— (24.0 — 42.5) 832.6) 29.8) 43.6) 34.7) 27.5) 4 405 R 39.8 28.9 32 40.9 321 26.9 5 Erw. Männer 43.0 31.6 25.8 45.9 35.4 18.5 (42.4— (30.9— (24.3— (44.8— (35.1— (17.I9— 446) 32.5). 25.9) 46.8) 85.8) 19.1) 6 Erw. Weiber 43.3 all 25.4 45.5 35.3 19.0 (41.4— (30.4— (24.6— (44.0— (34.9 — (18.5 — 44.0) 31.8). 276), 46.4)7.56.1) 20.0) Das Wachsthum der Extremitäten ist kein in ihren einzelnen Ab- schnitten gleichförmiges. Obere und untere Extremität stimmen in dieser Hinsicht durchaus überein. In beiden nimmt das Endglied, Hand und Fuss, gegen die Geburt hin stetig an relativer Länge zu, das Grund- glied, Oberarm und Oberschenkel, umgekehrt an solcher ab. Die beiden Mittelglieder, Vorderarm und Unterschenkel, stimmen nur insofern überein, als bei ihnen die Längenveränderung keine stetige ist, sondern rasch ihren Abschluss findet. Schon in der zweiten von uns aufge- stellten Gruppe ist ein Längenmaass erreicht, das, individuelle Schwan- kungen natürlich abgerechnet, unverändert bis zur Geburt fortbesteht. Im übrigen schlägt die Entwicklung der beiden Abschnitte eine ent- gegengesetzte Richtung ein. An der obern Extremität folgt das Mittel- glied dem Stammgliede; der Vorderarm verliert gleich dem Oberarm an Länge. An der untern Extremität übernimmt für das Wachs- thum des Mittelgliedes das Endglied die Führung; Unterschenkel und Fuss gewinnen relativ an Länge. Ganz anders gestalten sich die Dinge nach der Geburt. Stamm- glied und Endglied einer jeden Extremität tauschen ihre bisherige Rolle geradezu um. Oberarm und Oberschenkel nehmen an Länge verhältnissmässig zu, Hand und Fuss dagegen ab, letzterer so sehr, dass er unter sein anfängliches Maass herabsinkt. Von den beiden 362 XXIV. Huco BurTscHErR, Das Wachsthum der Extremitäten Mittelgliedern ändert der Vorderarm seinen Werth nicht, der Unter- schenkel beharrt in seinem rascheren Wachsthum. Dieser ist somit der einzige Extremitätenabschnitt, in dessen Ausbildung durch die Ge- burt kein Wendepunkt eintritt, der vielmehr ruhig auf dem einmal betretenen Wege verharrt. Unsere Tabelle enthält kein Individuum. aus den ersten Lebensjahren. Ich muss daher den Nachweis schuldig bleiben, zu welcher Zeit die geschilderten Veränderungen in der Wachsthumsenergie der einzelnen Abschnitte beginnen. Es ist diess übrigens eine Frage, die jenseits des Zieles liegt, welches ich mir ge- steckt habe, deren Beantwortung indessen ungemein wünschenswerth ist. Ich will auch gleich betonen, dass meine Untersuchungen noch nach einer andern Richtung hin der Vervollständigung bedürfen. Die kleinste und wohl auch die jüngste der mir vorliegenden Früchte besass eine Länge von 56 mm. und gehörte also bereits einer ziemlich fortgeschrittenen Entwicklungsstufe an. Wie verhalten sich die Ex- tremitäten vor dieser Zeit? Ihr späteres Gebahren gestattet darauf keinen Rückschluss, ja, wenn wir die Angaben der Entwicklungsge- schichte über die erste Anlage der Extremitäten zu Rathe ziehen, so darf daraus beinahe mit Sicherheit geschlossen werden, dass sich die Sache anfangs ganz anders verhält und dass der Periode des gesteiger- ten Wachsthums von Hand und Fuss eine solche verminderten Wachs- thums vorausgeht. Dem sei indessen wie ihm wolle, so viel steht jedenfalls fest, dass die Längenzunahme der Extremitäten keine in allen Theilen gleichförmige ist, dass vielmehr einzelne Abschnitte anderen voraneilen und dass in diesem Verhalten ein Wechsel stattfindet. Worauf derselbe beruht, darauf fehlt vorläufig die Antwort. Die That- sachen beweisen aber wenigstens soviel, wenn es erst noch eines der- artigen Beweises bedürfte, dass der Versuch, das verschiedene Wachs- thum der einzelnen Extremitätenabschnitte vor der Geburt durch ihre auf- oder absteigende Lagerung in der Gebärmutter erklären zu wollen, eitel Hirngespinnst ist. Uebersichtlich lässt sich der Gang des relativen Wachsthums, wie er geschildert worden, folgendermassen darstellen: Stammjglied. Mittelglied. Endeglied. Oberarm. — Oberschenkel. Vorderarm. — Unterschenkel. Hand. — Fuss. Vor der Geburt: Stetige Abnahme. Erst Abnahme, Erst Zunahme, role nen. dann Gleichgewicht. Nach der Geburt: Zunahme. Gleichgewicht, Zunahme, Abnahme. Wir haben die Hand und den Fuss noch besonders ins Auge zu fassen, um zu erfahren, ob sie hinsichtlich ihres inneren Wachsthums einheitlich vorgehen, oder ob auch hier, ähnlich wie in der ganzen beim Menschen und bei Säugethieren von der Geburt. 363 Extremität, Ungleichartigkeiten auftreten. Im Interesse der Raum. ersparniss glaube ich mich auf die Prozentwerthe der einzelnen Ab- schnitte, die ganze Länge des bezüglichen Organs zu 100 angenom- men, beschränken zu dürfen. Mit Hülfe der ersten Tabelle, welche die absolute Länge für die ganze Hand und den ganzen Fuss enthält lässt sich ja nöthigenfalls die absolute Grösse der einzelnen Abschnitte ebenso leicht wie sicher berechnen. Relative Maassverhältnisse von Hand und Fuss in Prozenten der ganzen Länge. Hand. Fuss. GG —— ——————— . . | \ | | Leönge ın MM. | Hand- | Mittel- | Mittel- | Fuss- Mittel- ı Grosse u. Geschlecht | Be ‚el. and. eer. | wurzel. | fuss. - dee Frucht: wurzel hand finge ] \ fuss | Zehe 1 | 56 mänı. | 207 | 352 | 420. | az.ı | 204 | 235 ZEN, 153 | 41.7 | 43.1 | @3.8) | (88.1) | (88.1) SE ae, So a Ai| A620 N 308231 A lee sg 43501 ,409 181.8 | 27.3 Se a0. sem B>sıc 53.1 | 448 | 20h 205 6 1158 weibl. | 188 | 344 | 46.9 | 45.4 | 303 | 24.2 7 |185 männl. | 167 | 359 | ars | 429 | 28.6 | 28.6 202 weibl. | 152 | 348 | 500 | 41.6 | 292° | 29.2 9 /213 mänl. | 170 | 37.7 ı 453 | 444 | 244 | 311 10 |231 weibl. | 16.7 | 35.4 | 47.9 | 42.8 | 28.6 | 28.6 11 [233 männl. | 155 | 345 | 50.0 | 40.8 | 27.7 | 31.5 ae 125 | 375 | 50.0 | 438 | 26.6 | 297 199275 5, 143 | 367 | 292° | 46.7 | 26.7 | 26.7 14 |282 weibl. | 16.3 | 32.5. | 512 | 44.8 | 26.7 | 28.3 15 |283 männl. | 15.5 | 33.8 | 507 | 412 | 26.5 | 32.3 1622292 7,, 15.6 -\ 203 55.0 | 444 | 264 | 29.2 a A050, as a333 | 519,1 440 288 269 Mittel aus 162 7330. 5022173817 ..253 | 26:5 4 Männern. erwachsen | | (18.8— | (32.9— | (47.7— | (86.9— | (32.3— | (24.4 — 194) 33.9)| 522)| 40.6)| 37.8)| 27.8) Ause au» wachsen.| 16.5. | 385 |.49.9 | 395. | 847 | 25.8 | (13.8 | (81.2— |(48.8— |(38.4— | (82.5— | (24.6— 189)|. 345)| 51.6)| 405)| 36.2)| 27.0) 364 XXIV. Huvco BurtscHErR, Das Wachsthum der Extremitäten Wir ordnen zunächst wiederum nach Gruppen: Hand. Fuss. nn | nen 7 mn en | a echt Hand- Mittel- Mittel- Fuss- Mittel- Grosse anSeRlST ll Ze ürzelX hand. finger. wurzelsfuss! Zıehe. 1 56-83!) 18.6 37.7 44.0 46.6 80.1 23.3 (15.3— (85.2— (42.0— (46.2— (29.4— (23.1— 227) 41.7) ATI). 47.1) 30.8) 23.5) Ds 12i- 3185 rer 34.5 41.8 43.5 29.5 26.9 (16.7— (28.1— (43.5— (40.9— (27.5— (24.2 — 18.8) 39.8) 53.1) 46.2) 31.8) 28.6) 3 202 —292 15.4 34.7 49.9 43.3 26.9 29.8 (12.5— (29.3— (45.3— (40.8— (24.4— (26.7 — 17.0), 32.2). 55.0) 46.0) 29.2), 31.5) 4 405 14.8 333 51.9 44.2 28.8 26.9 5 Mittel aus 4 Männern. 16.2 33.6 50.2 38.1 35.3 26.5 (13.3— (32.9— (47.7— (86.9— (32.3— (44.4— 19.4) 33.9) 52.2) 40.6). 37.8) 27.8) 6 Mittel aus4 Weibern. 16.5 33.5 49.9 39.5 34.7 25.8 (da:8:2 (31.2 (48.8 (384 son pro 18.9) 345) 51.6) 405) 86.2) 27.0) Hand und Fuss folgen bis zur Geburt demselben. Typus des Wachsthums. Finger und Zehe vergrössern sich verhältnissmässig auf Kosten der beiden übrigen Abschnitte Nach der Geburt erleidet die Hand kaum eine merkliche Veränderung, es sei denn, dass man die obigen Zahlen für ausreichend halte, eine geringe Zunahme der Handwurzel und eine entsprechende Abnahme der Mittelhand zu be- fürworten. Der Mittelfinger bleibt jedenfalls unverändert. — Anders der Fuss. Seine Zehe verkürzt sich wieder um ein weniges. Ebenso verliert die Fusswurzel merklich an Umfang. Der Mittelfuss gewinnt dafür an Ausdehnung. Wie die ganzen Extremitäten, so stimmen also auch deren Endglieder in ihrem Wachsthum nicht völlig unter sich überein; ein jedes bewahrt vielmehr seine Selbständigkeit. Nach- folgendes Schema mag diess noch veranschaulichen: Hand. Fuss, Vor der Geburt: Terme Zunahme. Abnahme Zunahme. Nach der Geburt: Farsheeieenanmein)! Gleichgewicht. Abnahme, Zunahme, Abnahme. 1) Beim Fusse ist in der Berechnung des Mittels Nr. 2 der Tabelle ausser Acht gelassen, da bei derselben offenbar ein Fehler der Entwicklung oder der Messung untergelaufen ist. Die Klammern sollen darauf hinweisen. beim Menschen und bei Sängethieren von der Geburt. Wir haben endlich noch bei den Gesammtlängen der Extremitäten zu verweilen, um zu erfahren, ob und inwiefern dieselben im Verlauf der normalen Entwicklung zu einander und zur Länge des ganzen Körpers eine Veränderung erleiden. nungen zusammen. Länge der oberen Extremität 1 56 männl. 105.6 2: SoSe 88.9 sswsg >, 101.5 1, 5 102.5 SEE 1A0NNN „, 94.8 6 158 weibl. 95.2 7 185 männl. 92.2 S 202 weibl. 94.5 9 213 männl. 99.4 10 231 weibl. 92.2 11 233 männl. 96.3 D245..,, 95.3 139219 |: „ 94.8 14 282 weibl. 84.8 15 283 männl. 925 Kom 292.275 93.1 KaA0D: ©, 89.6 Mittel aus 4 Männern. 74.8 (73.6 — 75.3) in Prozenten der unteren. Länge (in mm) und Geschlecht d. Früchte. Mittel aus 4 Weibern. 7a.1 (72.1 78.1) Oder zu Gruppen vereinigt: Länge der oberen Extremität in Prozenten der unteren. Länge der Früchte 6 in mm. 56—83 121—185 202—292 405 Erw. Männer. Erw. Weiber. 98.7 (88.9—105.6) 96.2 (92.2—102.8) 93.7 (84.8—99.4) 89.6 74.8 (73.6— 75.3) 74.7 (72.1 78.1) Ich stelle gleich beide Berech- Länge beider Extremitäten in Prozenten der Körperlänge. Obere Extremität. 67.8 99.7 41.6 39.9 39.3 40.5 41.9 43.1 42.0 40.7 44.6 41.7 42.7 40.0 41.5 41.8 42.7 ? ? Untere Extremität. 64.5 61.0 40.9 38.8 41.4 42.4 45.4 45.5 42.2 44.1 46.4 43.7 45.1 47.1 44.8 44.9 47.6 5 ? Länge beider Extremitäten in Prozenten der Körperlänge. || ——— Obere Extremität. 41.6—67.8 40.4 (39.3— 41.9) 42.0 (40.0— 44.6) 42.7 ? ? Em ———— — nn Untere Extremität. 40.9— 64.3 42.0 (38.8 —45.4) 44.9 (42.2 47.1) 47.6 ? ® 366 XXIV. Hugo BurtscHeEr, Das Wachsthum der Extremitäten Bei den jüngsten Früchten sind beide Extremitäten von gleicher Länge oder es ist die obere selbst um ein weniges länger als die untere. Frühzeitig ändert sich indessen dieses Verhältniss; die untere Extre- mität gewinnt, wenn auch langsam, doch sicher das Uebergewicht. Zu voller Geltung gelangt dieses freilich erst nach der Geburt und beim Erwachsenen ist die obere Extremität um ein volles Viertel kürzer äls die untere. Im Vergleiche zum ganzen Körper sind die Extremitäten der beiden: jüngsten Früchte auffällig lang. Die nächste Periode bringt eine über- raschend starke Verkürzung, die nur ganz allmälig wieder einer Ver- längerung weicht. Diese fällt für die untere Extremität ausgiebiger aus, als für die obere. Ihren Höhepunkt kann sie, dem bereits Mit- getheilten zufolge, erst nach der Geburt erreichen, doch fehlen dafür in unserer Tabelle die bezüglichen Altersstufen. Durch EcKER!) ist unlängst auf die bisher wenig oder gar nicht beachtete Thatsache aufmerksam gemacht worden, dass in der mensch- lichen Hand die relative Länge von Zeige- und Ringfinger sehr beträcht- lichem Wechsel unterliegt. Er hält es von vornherein nicht für wahr- scheinlich, dass eine Differenz in der Länge der genannten Finger bloss eine individuelle, sogenannte „zufällige“ Schwankung sei. Als einiger- massen wahrscheinlich möchte er — jedoch mit allem Vorbehalte — hinstellen, dass sich die relativ grössere Länge des Zeigefingers häu- _figer beim weiblichen Geschlecht als beim männlichen findet und unter den Männern wieder häufiger bei schlanken, hochgewachsenen, als bei kurzen, untersetzten (a. a. O. 8. 71). Mit grosser Vorsicht, und weit davon entfernt, denselben Gewicht beizulegen, zieht er (a. a. O. S. 75) die Schlüsse, dass die relativ zum Ringfinger grössere Länge des Zeige- fingers das Attribut einer höher stehenden Form der Hand ist und dass auch hier, wie in mehreren anderen Verhältnissen, die weibliche Form die morphologisch reinere zu sein scheint. Welches auch der Werth und die Bedeutung dieser Verhältnisse sein mag, die Nothwendigkeit, sie entwicklungsgeschichtlich zu ver- folgen, wird nicht angefochten werden können. Ich habe 16 mensch- liche Früchte darauf untersucht und zwar so, dass ich vom Carpo- metacarpalgelenk des Mittelfingers aus den Abstand sämmtlicher Finger- spitzen genau durch Messung bestimmte. Bei der Kleinheit und oft ungemeinen Zartheit der Objecte war diess das einzige Verfahren, welches mit einiger Zuverlässigkeit des Erfolges sich anwenden liess. Für die vorliegenden Zwecke, die es ja nur mit relativen Grössen zu 1) A. EckER, Einige Bemerkungen über einen schwankenden Charakter in der Hand des Menschen. Archiv f. Anthropologie. Bd. 8. beim Menschen und bei Säugethieren von der Geburt. 367 thun haben, reicht dasselbe auch vollständig aus. Auf allen Alters- stufen war der Mittelfinger der längste. Derselbe bildet daher den passendsten Maassstab für die Genossen. Nehmen wir ihn, den Mittel- handknochen inbegriffen, zu 100 an, so erhalten wir für die übrigen Finger nachfolgende Werthe: Relative Länge der Finger in Prozenten des Mittelfingers Länge (in mm.)u.Ge- kleiner schlecht d.Früchte Finger u uncr Zeigefinger Daumen 5 56 männl. 85.3 92.6 95.5 73.9 2. Dann 32.0 95.0 98.3 82.0 8. Sa 73.0 96.0 96.0 73.0 42 121. „, 82.6 91.3 87.0 65.0 3. 140, 88.4 96.1 Im 76.9 6. 158 weibl. 83.0 96.1 IT 13.2 7. 185 männl. 88.0 Ig7.1 92.5 74.3 8. 202 weibl. 86.7 96.4 91.8 79.0 9. 213 männl. 86.3 97.7 95.4 72.7 10. 231 weibl. 90.0 95.0 92.5 70.0 il. 233 männl. 83.6 99.6 97.9 77.5 Da 245 77.0 93.8 95.9 71.4 92 2275 76.3 89.1 97.4 67.2 A RE 81.8 97.4 96.3 78.1 192.292, 86.6 96.6 95.0 68.3 16% 405... 81.7 94.6 95.7 70.9 Es ist nicht leicht, sich sofort in diesen anscheinend regellos auf- und rn Zahlen zurechtzufinden und irgend welche Gesetz- EEIEHESHEIESHESEHFEFFRESHEREEFFFHE EHE AH EESZEENGEHEN {4 DENE ERREENNEENEER GREBBEE SErannEn ne ee der relativen Fingerlängen nach der Tabelle. I, Daumen; II, Zeigefinger; III, Mittelfinger; IV, Ringfinger; V, kleiner Finger. mässigkeit aus ihnen herauszulesen. Die vorstehende graphische Dar- stellung hilft uns am besten aus und führt am raschesten zum Ziele. Zeitschrift f. Anatomie, Bd, II, 234 368 XXIV. Huwco BUrTscHeR. Das Wachsthum der Extremitäten Sind wir erst durch sie auf gewisse Punkte aufmerksam geworden, so ist es ein Leichtes, denselben in den Zahlenreihen selbst weiter nach- zuspüren. Als besonders bedeutsam tritt uns da vor allem die anfangs durchaus symmetrische Gliederung der Hand entgegen. Bei den jüngsten Früchten, Nr. 1 abgerechnet, dacht sich die Endlinie der Hand von der Spitze des Mittelfingers aus nach beiden Seiten hin in gleicher Weise und in gleichem Grade, langsam bis zum Ring- und Zeigefinger, rascher bis zum kleinen Finger und Daumen ab. Die Finger sind paarweise von gleicher Länge, wobei jeweilen zum Mittelfinger gleich gelagerte Finger der radialen und ulnaren Handhälfte als gleichwerthig zusammentreten. Das anfängliche Schema der Hand nimmt somit folgende höchst einfache Form an, wenn wir die Finger nach ihrer Länge in absteigender Linie ordnen und dabei die gleich langen neben einander stellen: Mittelfinger Konshnoersee.... Zeigefinger kleimersRineer arm ee Daumen. Diese Symmetrie ist nicht von langem Bestande. Sie erfährt sehr bald dadurch eine Einbusse, dass der Daumen im Wachsthum mit seinen Genossen nicht gleichen Schritt hält, sondern hinter ihnen zurückbleibt.. Er geht noch vor der Geburt auf dasjenige Maass zurück, welches, so viel ich beobachtet habe, auch als dem Erwach- senen entsprechend muss angesehen werden. Aus der anfänglichen Handformel wird die nachstehende: Mittelfinger Rinehnserer Zeigefinger klemer@fineergs 2. 2... 2 Die drei übrigen Finger wachsen ziemlich gleichförmig mit dem Mittelfinger, ohne jedoch auf sehr erhebliche individuelle Sprünge zu verzichten. Der kleine Finger und der Ringfinger gehen, wie die Curven zeigen, wenigstens in der Hauptsache, einander parallel. Der zweite Finger dagegen verfolgt mehr seine eigenen Wege, die, wenn sie auch nicht weit von denen des Ringfingers abliegen, sie doch mehrfach durchkreuzen. Einmal nur habe ich beide Finger genau von derselben Länge getroffen. Siebenmal fiel dem Zeigefinger, acht- mal dem Ringfinger das Uebergewicht zu. Beide Formen sind also gleich stark vertreten. Welche Bedeutung ihnen zukommt, lässt sich daraus nicht entscheiden. Auch muss ich dahingestellt sein lassen, ob bloss zufällig oder mit tieferer Bedeutung der relativ längere Zeige- beim Menschen und bei Säugethieren von der Geburt. 369 finger häufiger bei den jüngeren, der ebenso beschaffene Ringfinger häufiger bei den älteren Früchten angetroffen wurde. Ich will schliess- lich nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, wie ausserordentlich gering in manchen Fällen der Längenunterschied der beiden Finger ausfällt, so dass man sehr wohl versucht sein kann, denselben vielerorts auf Messungsfehler zurückzuführen und die Gleichheit der beiden Finger als das wirklich Typische anzusehen. Bei den jüngeren Früchten ent- sprechen je drei und mehr Prozente relativer Länge in Wirklichkeit nur kleinen Bruchtheilen von Millimetern. Dem sei indessen wie ihm wolle, bedeutsam ist jedenfalls die Thatsache, dass die später unsymmetrische Hand symmetrisch ange- gelegt wird, doppelt bedeutsam der Befund, dass der Daumen, der im - Mechanismus der Extremität eine so hervorragende Rolle spielt, seine geringere Länge einer nachträglichen Reduction zu verdanken hat. Es wäre von grösstem, leider nicht so leicht zu befriedigendem Interesse, zu wissen, wie sich zumal in dieser Hinsicht, dann aber überhaupt in der ganzen Handanlage und deren Weiterbildung die Anthropomorphen während der fötalen Periode verhalten. Das, glaube ich, darf man schon jetzt bestimmt aussprechen, dass die Aufgabe des von ECKER angeregten und sicherlich lohnenden Handstudiums weiter gefasst werden muss, als er es gethan hat. Die Schwankungen in der rela- tiven Länge von Zeige- und Ringfinger sind, wenn sie auch am meisten in die Augen springen, doch nur ein Theil davon. Es liegt kein triftiger Grund vor, sich auf ihn zu beschränken. Gebührt, wie diess noch durch weitere Untersuchungen muss nachgewiesen werden, derartigen Schwankungen überhaupt ein allgemeines morphologisches Interesse, so verdienen diejenigen der übrigen Finger sicherlich nicht weniger Theilnahme. Dass ihnen der kleine Finger, sowie der Daumen in nicht geringerem Grade zugänglich sind, als der Ring- und Zeige- finger, darüber gestattet unsere Tabelle nicht den mindesten Zweifel. Ebenso lehrt sie, dass die hauptsächlichsten Schwankungen in der Ge- sammtheit der Finger, wenn auch nicht ganz gleichmässig, zur Gel- tung kommen. Das Studium der Hand zu allgemein morphologischen und speziell anthropologischen Zwecken verlangt also unbedingt, dass ihnen sämmtlich gleiche Berücksichtigung zu Theil werde. Was da- bei sonst noch etwa zu beachten wäre, das zu erörtern ist hier nicht der Ort. 370 XXIV. Huco Burtscher. Das Wachsthum der Extremitäten II. Extremitäten von Säugethieren. Die Gesetze der morphologischen Entwicklung gelten in zu weiten Kreisen, als dass nicht aus den soeben besprochenen Befunden beim Menschen Aehnliches für die Thiere sich voraussagen liesse. Freilich kann solches nur ganz im Allgemeinen geschehen. Die so höchst ungleichwerthige Gliederung der betreffenden Körperabschnitte macht im einzelnen Falle zahlreiche Abänderungen ohne Weiteres wahr- scheinlich. Hier harrt der Bearbeitung noch ein weites, zur Stunde völlig brach liegendes Feld, das manch schöne Frucht zu reifen ver- spricht. Bei der Schwierigkeit, die nöthigen materiellen Grundlagen zu schaffen, steht freilich eine ergiebige Erndte noch nicht so bald in Aussicht. Mir selbst ist es durch die Ungunst der Verhältnisse blos vergönnt gewesen, das Erdreich oberflächlich anzuschürfen und ich würde kaum wagen, meinen geringen Erwerb hier vorzulegen, hoffte ich nicht dadurch die Aufmerksamkeit auf dieses Gebiet zu lenken und Solche, denen die erforderlichen Hülfsmittel zu Gebote stehen, zu weiterer Forschung zu veranlassen. Ueber Messungs- und Berechnungsmethode habe ich dem schon früher Gesagten nichts beizufügen; sie ist dieselbe wie beim Menschen. In die Tabellen habe ich bloss die relativen Werthe aufgenommen, da die absoluten für uns ohne Bedeutung sind. Nur für die Länge der ganzen Extremität machte ich hiervon eine Ausnahme, da sie einiger- maassen einen Anhaltspunkt für das dem Alter nach mir überall un- bekannte Entwicklungsstadiuam der Früchte abgiebtt. Wem daran liest, mag daraus mit Hülfe der relativen Zahlen das Maass der ein- zelnen Abschnitte berechnen. Relative Maassverhältnisse der Extremitä ı Säugethier 5 | äten bei Säugethieren Absolute Länge in Prozenten der ganzen Längefder Extremitäten Vordere Extre- | Hintere Extre- are: \ mität mität 5 ai Vor- | Vor- | Ober- |Unter- Hin- ale || Teen Ober: der- | der- |schen- schen-| ter- \VOrdore |. BumUor arm Extremität Extremität ai 0 | arm | fuss | kel | kel | fuss . | | NE T Fu 1. Kaninchen, Foetus | 41.4 | 31.8 | 26.7 | 30.2 33.0 | 36.8 15.7 18.2 BE ‚ Foetus 37.7 | 35.8 | 26.4 | 30.3 | 81.1 | 38.5 26.9 25.7 — ‚ erwachsen | 3767 85.826,51] 31.7.3694 31R9) 157600 21915 2. Meerschweinchen, Foetus 35.0 33.5 !31.5 | 28.3 | 33.3 138.81 46.3 60.0 — ‚„ erwachsen| 41.3 | 33.1 | 25.6 | 34.5 | 36.3 | 29.2 86.0 119.3 3. Siebenschläfer, Foetus 37.9 | 32.1 | 29.9 | 32.0 | 31.3 |36.6| 22.7 28.1 — ,„ erwachsen 36.8 | 34.4 | 28.7 | 34.4 | 36.2 | 29.4 63.0 87.0 beim Menschen und bei Säugethieren von der Geburt. a7ı Relative Maassverhältnisse der Extremitäten bei Säugethieren | Absolute Länge in Prozenten der ganzen Längelder Extremitäten in mm. Eerdere Bkims> Fintere Exstre- mität mität Vor- | Vor- | Ober- |Unter-| Hin- 3 Ober- d : | Vordere | Hinter Ionen. | ger | der Jan sehe) tn |2Verdee, intern, 4. Wiesel, Foetus 3973038 3013221129, 61 3811 | 31.5 37.2 — , erwachsen 40.6 | 27.2 | 32.2 | 31.6 | 33.5 | 34.8 45.6 57.6 5. Maulwurf, Foetus 34.1 | 32.6|33.3[26.5 33.1 40.3| 13.2 | 151 — ,„ erwachsen 30.3 | 30.0 | 39.5 | 31.0 | 35.0 | 34.0 51.0 68.8 6. Schwein, Foetus 393.8 | 27.2 | 86.91. 32.7 | 27.2) 30.1 19.5 20.2 — ‚ Foetus 38.1 | 27.4 | 34.4 | 33.7 | 28.5 | 37.8 32.8 36.2 ‚ Foetus 35.9 | 26.9 | 37.0 | 32.4 | 30.9 | 36.6 39.0 471.2 — , erwachsen 35.7 26.7 | 37.5 1 35.0 | 29.9 | 35.0] 539.0 690.0 7. Rind, Foetus 28.3 | 26.8 | 45.0 1 28.0 | 26.0 146.0] 171.5 205.5 — ,„ Foetus 27.0 | 28.6 | 44.31 28.1 | 25.3 | 46.6 | 261.5 316.5 — ‚erwachsen 28.8 | 30.1 | 40.8 | 31.4 | 29.7 | 38.6 | 944.0 | 1197.0 8. Schaaf, Foetus 23.8 | 27.6 | 48.6 | 25.5 | 26.7 | 47.6 1 105.0 121.5 — , Eoetus 26.3 127.2 | 46.5 | 26.5 | 30.3 143.11 121.5 145.0 — , erwachsen 27.0 | 28.8 | 44,2 128.7 | 31.9 | 39.2 | 668.0 819.0 9. Gemse, Foetus DIOSOH 200.700 49542 0277.83: |1311° 01 FAs1a1! 37.9 371 — , erwachsen 27.9 | 29.4 | 42.6 | 26.8 | 34.1 | 38.9 | 593.0 742.0 Ein ähnliches Verhältniss wie beim Menschen ist unschwer heraus- zufinden. Das Endglied der Extremitäten beansprucht fast durchweg beim Foetus einen höheren Werth als im Erwachsenen, wenngleich bei den verschiedenen Thieren in wechselndem Grade. Das Schwein allein macht eine Ausnahme, indem bei ihm zwischen Vorder- und Hinterfuss des Foetus und des Erwachsenen Gleichgewicht herrscht. Sonst tritt namentlich beim Hinterfuss das Gesetz in voller Strenge auf. Beim Vorderfuss gestattet es Schwankungen, indem nicht allein das Kaninchen dem Schwein sich zugesellt, sondern bei Wiesel und Maulwurf sogar eine Verkürzung des Fusses Platz greift. Einseitige Verlängerung des Fusses verlangt natürlich entsprechende Verkürzung der übrigen Extremität. Diese betrifft an der oberen Extremität Stamm- und Mittelglied gleichzeitig bei Rind, Schaaf und Gemse. Sie beschränkt sich auf das Stammglied beim Meerschweinchen, auf das Mittelglied beim Siebenschläfer. Entgegengesetzt ist die Wir- kung des verkürzten Fusses. Verlängerung von Stamm- und Mittel- glied bietet der Maulwurf, des Mittelgliedes allein das Wiesel. 372 XXIV. Hvco BurtscHher. Das Wachsthum der Extremitäten Verlängerung des Hinterfusses führt gewöhnlich zur gleichzeiti- gen Verkürzung von Ober- und Unterschenkel. Ihr entgeht indessen der erstere beim Wiesel und bei der Gemse. Im Ganzen ist also die Sachlage für die hintere Extremität einfacher und gleichförmiger als für die vordere. Bringen wir den Zustand der beiden Extremitäten vor der Geburt im Vergleich zu demjenigen beim Erwachsenen wiederum in eine über- sichtliche Formel, so erhalten wir: Stammglied Mittelglied Oberarm — Oberschenkel Vorderarm — Unterschenkel 1. Schwein @leichgewicht Gleichgewicht 2. Kaninchen Gleichgewicht Verkürzung 3. Siebenschläfer - Gleichgewicht — Verkürzung Verkürzung 4. Meerschweinchen Verkürzung — Gleichgewicht Verkürzung 5. Rind. — Schaaf Verkürzung Verkürzung 6. Gemse Verkürzung Verlängerung (?) — Verkürzung 7. Wiesel Gleichgewicht — Verlängerung Verlängerung — Verkürzung 8. Maulwurf Verlängerung Verkürzung Endglied Vorderfuss — Hinterfuss 1. Schwein Gleichgewicht 2. Kaninchen Verlängerung 3. Siebenschläfer Verlängerung 4. Meerschweinchen Verlängerung 5. Rind. — Schaaf Verlängerung 6. Gemse Verlängerung 7. Wiesel Verkürzung — Verlängerung 8. Maulwurf Verkürzung — Verlängerung Einzelne der Ausnahmen dürften wohl durch individuelle Schwan- kungen bedingt sein und deshalb eines typischen Werthes entbehren. Jedenfalls gilt dies aber nicht für alle. An deren Erklärung kann bei der geringen Zahl von Beobachtungen vorläufig nicht gedacht werden. Wir wenden uns zum Vorder- und Hinterfusse und prüfen die einzelnen Abschnitte in ihrem prozentischen Werthe zum ganzen Fusse. Gleichzeitig soll auch die Länge der vorderen Extremität in Pro- zenten der hintern zur Darstellung gelangen. beim Menschen und bei Säugethieren von der Geburt. Bd Relative Maassverhältnisse von Vorder- Relative und Hinterfuss Länge der in Prozenten der ganzen Länge vordern Vorderfuss Hinterfuss IRtremet m —n m > — Hand- Mittel- Längste Fuss- Mittel- Längste in Prozenten wurzel hand Zehe wurzel fuss Zehe der hintern 1. Kaninchen, Foetus DRS ANGE S2600 1.0.9 418521088 85.2 = ‚„ Foetus DONE ADIEZ IB 3A 32836. ,8218 103.1 _ ,„ erwachsen Merz 41.5, 246,872 20:97 40:32 383:6 63.9 180) . Meerschweinchen, Foetus aa Zur alale el re rk real — ME er:wachsenwalsu ADD Aa DAE3TE3E 323 ol 3. Siebenschläfer, Foetus 6023 3:81, AS A 733: 9027425 38:8 80.8 = ‚ erwachsen 14.6 34.5 50.8 22.4 354 42.2 SU 4. Wiesel, Foetus 10:522.36:85.5216, 22:57..39:207422 84.7 — , erwachsen » MD. 8 rar re 19.2 5. Maulwurf, Foetus 13:6, 40:97 7455 24.6, 29:57.45.9 87.4 En ‚ erwachsen 182 aa ke al rl 74.1 6. Schwein, Foetus 33 aaa RD 9 96.5 = ‚ Foetus du Ba 2 ee rl ee 89.3 —_ , Foetus 18:8, 241,12 744.97 913207462 82.7 — „erwachsen 100 2A rl a a 78.1 7. Rind, Foetus ld SS 92 le rl 82.9 — , Foetus . 08. BD Sl 18.6 542. 27.1 82.6 — , erwachsen 10) Bude le le BR 78.9 8. Schaaf, Foetus DEI GG 32 ARZTES 56.4 — , Foetus 10.6 56.6 32.7 1 De 2 83.8 — , erwachsen DEE 3 385 15.1 54.3 30.6 81.6 9. Gemse, Foetus 229(2)168.07° 29:17 216.22 50.67 333 102.1 — , erwachsen 85.80 re le Be 79.9 Hand- und Fusswurzel entziehen sich einem bestimmten Gesetze. Sie sind im Foetus bald kleiner, bald grösser wie im Erwachsenen, bald ebensogross. Es sind dies Unterschiede, welche jedenfalls zum Theil in der Schwierigkeit, so kleine Theile genau zu messen, be- gründet sind und auf welche daher kein grosses Gewicht darf gelegt werden. Mittelhand und Mittelfuss, ebenso vordere und hintere Zehen stimmen in der Länge nur ausnahmsweise beim Foetus und Erwach- senen überein. In der Regel herrscht ein eigenthümlicher Gegen- satz zwischen beiden Gliedmaassen. Die Mittelhand ist, vereinzelte Ausnahmen abgerechnet, im Foetus grösser, die längste zugehörige Zehe kleiner als im Erwachsenen. Für den Mittelfuss und die ent- sprechende Zehe gilt das entgegengesetzte. Die Uebereinstimmung mit dem Menschen ist augenscheinlich. Dasselbe lehrt die relative Länge der beiden Extremitäten zu einander. Der Unterschied, wie er dem Erwachsenen eigen ist, wird 374 XXIV. Huco BuRTscHeEr. Das Wachsthum d. Extremitäten beim Menschen ete. um so kleiner, auf je jüngerer Entwicklungsstufe wir die Früchte auf- suchen. Ich zweifle nicht daran, dass er schliesslich überall völlig verschwinden und einer durchaus gleichförmigen Länge beider Extre- mitäten Platz machen würde. Unsere Tabelle berührt dieses Stadium nur in zwei Fällen, beim Kaninchen und bei der Gemse. Uebrigens sind die verschiedenen Thiere für das Maass des vorhandenen Unterschiedes nicht mit einander vergleichbar, da ihre Altersstufen einander nichts weniger als entsprechen, wie aus der absoluten Extremitätenlänge so- fort ersichtlich wird. Ich bin weit davon entfernt, auf die einzelnen Zahlen als solche, wie sie den Inhalt unserer Tabellen bilden, ein allzu grosses Gewicht zu legen. In ihrer Gesammtheit geben sie uns indessen die Gewiss- heit, dass das Wachsthumsgesetz der Extremitäten im Ganzen und Grossen beim Menschen und bei Säugethieren ein und dasselbe ist. Weiteren, möglichst umfassenden Forschungen bleibt es vorbehalten, eine Erklärung desselben anzustreben. XXV. Beiträge zur Histologie der Haare. Von Dr. Karl Schulin, Assistent am pathologischen Institute zu Rostock. (Hierzu Tafel XVI u. XVII.) I. Das fertige Haar. Das Haar stellt einen soliden eylindrischen, sich in die Tiefe der cutis hinab erstreckenden Fortsatz der Epidermis dar, in welchem sich in Folge einer vermehrten Wachsthumsenergie der an seinem untern Ende gelegenen Zellen ein centraler, ebenfalls eylindrischer Theil von den peripherisch gelegenen Theilen differenzirt und sich als eigent- liches Haar oft in einer bedeutenden Länge über die Oberfläche der Haut erhebt. Umgeben ist der Fortsatz von einer bisweilen sehr wenig ausgebildeten, unter anderen Umständen, z. B. an den Tast- haaren, mächtig entwickelten, Faserscheide, welche einen während der Entwicklung des Epitheleylinders modificirten Theil des Cutisgewebes darstellt. Die Faserscheide trägt an ihrem unteren Ende einen knopf- förmigen Vorsprung, die Haarpapille, welcher den epithelialen Theil von unten her, kappenförmig von demselben überzogen, einstülpt. Die Richtung, in welcher der Epithelfortsatz in die eutis hinab- steigt, bildet weitaus in den meisten Fällen, doch nicht ohne Aus- nahme, einen spitzen Winkel mit der Oberfläche derselben; die Tiefe wechselt sehr, sie steht im Allgemeinen im Verhältniss zur Dicke des Fortsatzes; derselbe erstreckt sich oft bis in das subeutane Gewebe. In Beziehung auf die bindegewebige Hülle habe ich nichts Neues hinzuzufügen. An solchen Haaren, welche einen M. arrector pili be- sitzen, inserirt sich derselbe etwa in der Mitte des Haarbalges oder oft noch höher, ziemlich nahe unterhalb der Einmündungsstelle der 376 XXV. Kıarı ScHuLın. Talgdrüsen auf derjenigen Seite und in derjenigen Ebene, in welcher der Haarbalg den stumpfesten Winkel mit der Hautoberfläche bildet. An das untere Ende der Haarbälge schliessen sich oft Bindege- webszüge der cutis an, welche WERTHEIM!) genauer beschreibt; sie scheinen indess nicht in der Allgemeinheit vorzukommen, wie dieser Autor meint. Ferner inseriren sich bei Thieren unten am Haarbalge oft quergestreifte Muskelfasern, z. B. an der Unterlippe des Ochsen und des Kaninchens. Der epitheliale Theil stellt einen beim weissen Menschen auf dem Querschnitte meist kreisrunden Cylinder dar, welcher im Allgemeinen überall dieselbe Dicke besitzt, aber an einzelnen Stellen Anschwellungen zeigt, besonders entsprechend der Insertion des M. arrector pili, aber auch an anderen Stellen und nicht immer sich über die ganze Peri- pherie erstreckend; dieselben möchten wohl auf mechanische Einwir- kungen, wie Zug u. s. f., seitens der Umgebung zurückzuführen sein. Das untere Ende des epithelialen Theiles ist oft umgebogen, so dass der Längsdurchmesser der Papille mit der Axe des Haares einen Winkel bildet, bisweilen auch geschlängelt. In Beziehung auf den feinern Bau der einzelnen Abschnitte des epithelialen Theiles schliesse ich mich vollständig der von UNNA?) ge- gebenen Darstellung an. Es sind drei Abschnitte zu unterscheiden: Erstens erstreckt sich die Epidermis der äusseren Haut eine Strecke weit in den Haarbalg hinein, bis zur Einmündungsstelle der Talg- drüsen. Dann kommt eine Strecke, wo sich nur ein dem rete Mal- pighii der äusseren Haut entsprechendes Gebilde, die sogenannte äussere Wurzelscheide, findet, welche einer entsprechenden Hornschicht entbehrt; dieselbe verdünnt sich über dem Haarbulbus ziemlich plötz- lich sehr bedeutend und lässt sich als eine einfache Lage sehr kleiner, scharf nach innen abgesetzter Zellen bis an den Hals der Papille ver- folgen. Hierauf folgt, die Papille überziehend, der wichtigste Theil, welcher aus dem Keimlager der inneren Wurzelscheide, und dem des Haares und weiter nach oben aus diesen Gebilden selbst besteht, die zusammen einen, umgeben von der äusseren Wurzelscheide nach oben wachsenden Horncylinder darstellen. Die innere Wurzelscheide ist, wie Unna richtig bemerkt, nicht ganz, oder auch nur zum Theil, als Hornschicht der äusseren Wurzelscheide aufzufassen, sondern diese besitzt keine Hornschicht und jene wächst ebenso, wie das Haar, 1) Sitzber. d. math. naturw. Classe d. kais. Akad. d. Wiss. Bd. L. Abth. 1. Jahrgang 1864. Wien 1865. S. 302. 2) Max Schurtze’s Archiv. Band XII. 1876. Sep.-Abdr. 8. 27. s Beiträge zur Histologie der Haare. 377 durch Verhornung von im Grunde des Haarbalges, seitlich unten an der Papille, liegenden Zellen. UnnA unterscheidet hier von unten nach oben das Keimlager der inneren Wurzelscheide, die in die HEnte’sche und Huxrey’sche Scheide zerfällt, dann das der Wurzelscheidencuticula, das der Haarcuticula und dann das des eigentlichen Haares. Alle diese Gebilde wachsen an der äusseren Wurzelscheide vorbei in die Höhe. Das Haar selbst verschiebt sich wieder in Folge rascheren Wachsthumes mit seinem Oberhäutchen an der Wurzelscheideneutieula vorbei in die Höhe. Die innerste Zellenlage der äusseren Wurzel- scheide ist ausserdem noch, wie UnnA fand, von dem übrigen Theile derselben durch eine regelmässig kubische Form der Zellen scharf unterschieden. Die Haare erscheinen meist einzeln an der Oberfläche der Haut und stehen alsdann in Gruppen und Linien, wie das von ESCHRICHT und VoıGT genauer beschrieben worden ist. Oft aber kommen auch mehrere Haare aus einer Oeffinung an der Hautoberfläche heraus: man spricht alsdann von Haarbälgen mit mehreren Haaren. KÖLLIKER!) beobachtete zuerst solche mit bis neun Haaren, dann sah WeERT- HEIM?) am Mons Veneris zur Zeit der Pubertätsentwicklung regel- mässig in jedem Balge 2—3 und mehr Haare. Zu unterst im Balge sass eins ’auf der Papille, weiter nach oben, etwa an der Grenze des unteren und mittleren Drittels des Balges, erhob sich von der Wand desselben mittelst eines knollenförmigen Gebildes ein zweites mit der Richtung nach einwärts, wenig höher ein drittes und dann noch ein viertes, die alle dem Ausführungsgang zustrebten, ihn aber zum Theil noch nicht erreichten. GÖTTE?) fand mehrere Schalthaare (worüber später) in einem Balge; jedes hatte seinen eigenen Anhang und darin ein Sekundärhaar. Ich fand solche Haarbälge mit mehreren Haaren nach und nach an sehr vielen Körperstellen, aber sehr inconstant und ohne etwas Gesetzmässiges nachweisen zu können. In der Achselhöhle- einer An- zahl Kinder fand ich an der Innenfläche des Armes eine etwa mark- stückgrosse Stelle, an der gewöhnlich sehr viele Haarbälge mit meh- reren Haaren — die grösste von mir beobachtete Zahl ist 6 — vor- kommen; ebenso zeichnet sich die Leistengegend durch das häufige Vorkommen von Haarbälgen mit mehreren Haaren aus. Doch finden sich solche auch vereinzelt am Rücken und der Streckseite der Extre- 1) Mikroskop. Anat. II. 1. Hälfte 1850. S. 153. 2) 1. c. 8. 313. 3) Max Schurtze’s Archiv. Band IV. 1868. S. 302. 378 XXV. Kuarı ScHuuin. mitäten. Im Gesicht fand ich nur einmal, bei einem dreijährigen Knaben, zwei Haarbälge mit je drei Haaren; in der Kopfhaut sah ich sehr häufig zwei, auch drei, selbst vier, Haare aus einer gemeinsamen Oefinung heraustreten. Bei solchen Individuen, wo ich dieses Vor- kommniss erst einmal gefunden hatte, fand ich es stets auch noch mehrere Male oder sehr häufig; doch waren das keineswegs Menschen, die überhaupt zu vermehrter Haarbildung neigten. Im Gegentheil kam es bei einigen Menschen mit sehr spärlichem Haarwuchse über- wiegend häufig vor, während andere mit üppigem Haarwuchse nur einzelstehende Haare aufwiesen. Bei vielen Thieren z. B. Hund, Ka- ninchen, finden sich abgesehen von den Tasthaaren, fast nur Haar- bälge mit sehr vielen Haaren, während z. B. der Ochse nur einzel- stehende Haare besitzt. Die Bezeichnung Haarbalg mit mehreren Haaren ist keine sehr genaue. Das Verhalten ist constant folgendes. Die Haare erscheinen an derselben Stelle der Hautoberfläche, liegen alsdann noch eine ganz kurze Strecke unmittelbar beisammen, treten darauf aber unter einem mehr oder weniger spitzen Winkel auseinander, umkleiden sich jedes mit einem besonderen Haarbalge und sitzen jedes auf einer besonderen Papille. In Fig. 1 (Taf. XVI) habe ich einen solchen Fall aus der Kopfhaut eines zwölfjährigen Knaben abgebildet, wo drei Haare aus einer gemeinsamen Oefinung heraustreten. Ueber das Verhalten der Haarbälge mit mehreren Haaren bei den Thieren- sagt GEGENBAUR!), der gemeinsame Follikel lasse aus einzel- nen Ausbuchtungen mehrere Haare entspringen. Fig. 2 (Taf. XV]) stellt einen Haarbalg mit elf Haaren vom Hunde dar; man sieht auch hier, wie sich sehr nahe unter der Hautoberfläche der gemeinsame Balg in ebenso viele Einzelbälge trennt, als Haare vorhanden sind. Dass zwei Haare von einer gemeinsamen Papille entsprängen, habe ich nie gesehen; zweimal fand ich aber in der Kopfhaut, einmal eines erwachsenen Menschen und einmal eines Schaffötus, dass zwei Haare anstatt, wie das bei Haarbälgen mit mehreren Haaren der Fall ist, nach der Tiefe der cutis hin zu divergiren, von verschiedenen Stellen der Hautoberfläche aus convergirten, und sassen in dem erstern Falle alsdann die zwei Papillen, wie zwei Beeren, an einem gemein- samen »Stiele beisammen, in der Tiefe unmittelbar vereinigt durch Bindegewebstheile der Haarbälge. Hier war, während sonst der oberste Theil des Haarbalges gemeinsam ist, das unterste Ende desselben ge- meinschaftlich. Fig. 3 (Taf. XVI) stellt den Fall vom Schaffötus dar, l) Grundzüge der vergleichenden Anatomie. 2. Aufl. 1870. S. 588. Beiträge zur Histologie der Haare. 379 in welchem die Papillen noch nicht ausgebildet sind, zwei Haaran- lagen aber nach einer gemeinsamen Infiltration der eutis hin conver- giren und dieht neben einander derselben aufsitzen. II. Die Entwicklung des Haares. Ueber die ersten Vorgänge bei der Entwicklung der Haare stehen sich zwei Ansichten gegenüber. Nach der einen, von KÖLLIKER!) aufgestellten, bilden sich zuerst solide warzenförmige Fortsätze des rete Malpighii, welche in schiefer Richtung in die cutis eindringen und hier in den Maschen eines zierlichen Capillarnetzes liegen; um sie herum findet sich noch keine Spur von einer Anlage des Haar- balges. Dann werden die Fortsätze flaschenförmig und zeigt sich in ihrer Umgebung die erste Andeutung der membrana propria. Während die Zellen, aus welchen die Fortsätze bestehen, ursprünglich alle gleichartig rund sind, beginnen jetzt die äussersten, sich senkrecht zur strukturlosen Membran zu stellen. Später verlängern sich auch die centralgelegenen Zellen, stellen sich aber mit ihrer Längsaxe parallel der Achse der Fortsätze, also rechtwinkelig zu jenen; so grenzt sich eine centrale kegelföürmige, unten breite, oben spitze, Masse von einer unten schmalen, oben breiten, Rinde ab. Diese Abgrenzung wird immer deutlicher; der Kegel wird lichter und differenzirt sich in zwei Theile, einen centralen dunkleren, das eigentliche Haar, und einen peripheren hellen, die innere Wurzelscheide; jene Rinde ist jetzt nicht mehr als äussere Wurzelscheide zu verkennen. Gleichzeitig tritt jetzt die schon vorher in Andeutungen vorhanden gewesene Haarpapille deutlicher hervor und wird auch der eigentliche Haarbalg kenntlicher, indem die der strukturlosen Haut aussen anliegenden Zellen der cutis in Fasern überzugehen beginnen. KÖLLIKER hebt alsdann noch besonders hervor (S. 74), dass sich bei der Differenzirung des Haares mit seinen Scheiden aus jenem Epithelfortsatze nicht etwa zuerst die Spitze des- selben und dann der Schaft bilde, das Haar also vom Grunde des Haarbalges aus sich allmählich entwickle, sondern, dass dasselbe so- gleich in der ganzen Länge des Fortsatzes mit Spitze, Schaft und Zwiebel entstehe. m 1) Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie. Bd. 11. 1850. 8. 71. 380 XXV. Kart ScHUuLm. Dieser Darstellung hat sich in neuester Zeit FEYERTAG!) voll- ständig angeschlossen. ; Die andere, zuerst von REISSNER?) aufgestellte, dann von GÖTTE?) weiter ausgebildete, Ansicht lautet folgendermassen. Zuerst bilden sich kleine Höckerchen, von Epidermis überzogene Erhebungen, der cutis; in denselben ist das Gewebe der letztern nur insofern verändert, als nach ihrem Scheitel zu die Zellen sich mehren und die helle Zwischensnbstanz abnimmt. Dann wachsen an ihren Seitenflächen die tiefern Schichten der Epidermis nach abwärts, die Höckerchen, die spätern Papillen, werden oval und sinken in demselben Maasse, als jenes geschieht, in die Lederhaut hinab; es entstehen dabei über den Papillen eylinderförmige Epithelfortsätze, deren untere, etwas ange- schwollene, Enden die Papillen etwa zur Hälfte umschliessen. Die tiefste Schicht der Epidermis besteht gleich anfangs aus Cylinderzellen; diese bilden auch die äusserste Lage der Fortsätze, welche allein an der Umschliessung der Papille betheiligt erscheint; innen bestehen die Fortsätze aus runden Zellen. Indem sie weiter wachsen, wird zu- nächst ihre Richtung eine schräge; dabei schnüren sie sich dicht über der Papille leicht ein, indem sie höher oben spindelförmig an- schwellen. Gleichzeitig wandeln sich die runden Zellen in ein un- klares Gewebe von kleinern Elementen um. Beim Schafe tritt jetzt im obern Drittel der Haaranlage eine Reihe von Fetttröpfehen auf, die sich gegen die Cylinderzellenschicht erstrecken und unmittelbar unter der Oberhaut eine Ausdehnung des Fortsatzes bewirken „ähn- lich, wie sie in späterer Zeit den Talgdrüsenanlagen vorausgeht“; dieses ganze Gebilde schwindet erst, wenn Haar und innere Wurzel- scheide entwickelt sind, was nach GÖöTTE, gegenüber KÖLLIKER, vom untern Ende des Fortsatzes aus geschieht, und zwar folgendermassen. Zuerst füllt sich die Faltentasche um die Papille mit Zellen und er- streckt sich der Faltenrand tiefer über die letztere hinab. Die äussere Lage der Cylinderzellen atrophirt vom Faltenrande an nach abwärts zu einer dünnen Membran, die sich in der Höhe der Papillenspitze allmählich wieder zu den Umrissen der unversehrten Scheide ver- breitert. Die die Papille überziehende Cylinderzellenlage bildet jetzt allein den Nachwuchs, während die atrophische äussere Lage offenbar ganz passiv geworden ist. Die jungen Zellen sind spindelförmig und !) Ueber die Bildung der Haare. Inauguraldissertation. Dorpat 1875. 2) Beiträge zur Kenntniss der Haare des Menschen und der Säugethiere. Breslau 1854. S. 96. SIEHT 2TE. Beiträge zur Histologie der Haare. 38] steigen mit ihrer Längsaxe der Oberfläche der Papille entsprechend empor, so dass sie an der Spitze der letztern von allen Seiten zusam- menstossen. Sie erheben sich zunächst einzeln und unzusammen- hängend, dann in Form eines Kegels, dessen Spitze sich in der obern Hälfte des Fortsatzes zerfasert verliert. Der Kegel ist durchaus nicht identisch mit dem ganzen Inhalte der Cylinderzellenschicht, sondern um ihn herum findet sich noch das ursprüngliche, aus kleinen runden Zellen bestehende Gewebe der Haaranlage. Diesen Kegel hält GörTE übereinstimmend mit KÖLLIKER für die gemeinsame Anlage von Haar und innerer Scheide. Zunächst verhornt seine Spitze, dann der Mantel; dann bildet sich innerhalb des Kegels ebenfalls durch eine von oben nach unten fortschreitende Verhornung auch der Haarschaft, als erstes Zeichen von dessen Bildung allerdings schon vorher in der Kegelaxe unmittelbar über den Cylinderzellen an der Papillenspitze ein kurzer heller Streifen bemerkbar war. In der nicht immer bestimmt abge- schlossenen Kegelspitze erscheint in dem trüben Axentheile ein helles, fadenförmiges und geschlängeltes Gebilde, welches nach unten in den hellen Streifen über der Papille übergeht und kolbig endet; zwischen den beiden hellen Theilen findet sich eine trübe Stelle; der untere helle, kolbenförmige Theil enthält grössere runde und klare Zellen, die beim Aufsteigen länglich werden und jenseits der Trübung zu der hornigen Schaftspitze verschmelzen, an der schon frühe das Oberhäut- chen zu erkennen ist. Jetzt erhält auch die innere Scheide eine feste Grenze und besteht aus einer innern, dunklern, unklaren, und einer äussern hellen Lage: Huxuey’sche und HExte’sche Schicht. Es giebt also eine Periode in der Entwicklung des Haares, wo das- selbe an der Papillenspitze anfängt, ein Schaft ohne Zwiebel vorhan- den ist; die Bildung der letztern erfolgt erst nachträglich. Der Schaft- kolben erstreckt sich allmählich über die Papille abwärts, wobei an Ka- ninchenembryonen oft eine Pigmentablagerung in seinen tiefsten Zellen die Grenze des Vorrückens deutlich bezeichnet. Die unmittelbar die Papille bedeckende Lage von Cylinderzellen bleibt dabei bestehen. Der Haarknopf erreicht aber nicht den Boden des Balges; auch später bleibt das Keimlager des Haares und seiner innern Wurzelscheide getrennt. Die Bildung des Haarknopfes fällt zusammen mit der Ausbildung der Papille; diese ist zuerst konisch, an ihrem Fusse entstehen die Zellen der Scheide, an ihrer Spitze die des Schaftes; nach ihrer Umwachsung schwillt ihr oberer Theil und ändert sich die Production desselben; es entstehen die grössern klaren Zellen des Kolbens, deren Gebiet nach unten zunimmt und dadurch den Haarknopf bildet. So erklärt es 382 XXV. Kurt ScHhuuım. sich auch, dass das Pigment nicht vom Boden des Balges, sondern von der Grenze des Haarknopfes, aufsteigt. Neben diesem Entwicklungsmodus von Haaren, welchen er als primäre Haarbildung (Bildung von Primärhaaren) bezeichnet, beschreibt GÖTTE noch einen anderen Entwicklungsgang etwas differenter Haare, welche er Schalthaare nennt; hierüber werde ich weiter unten, beim Haarwechsel, berichten. Ausserdem beschreibt GörTTE (S. 281) noch genauer die Entwick- lung des Haarbalges. Schon zu der Zeit, wo die Umwachsung der Papille durch die Oberhaut eben begonnen hat, ordnen sich die be- nachbarten Bindegewebszellen so, dass ihre Längsaxen den Flächen des untern 'Theiles der Papille und des hervorwachsenden Fortsatzes entsprechen. Von da an nimmt die Verdichtung der cutis rund um die Haaranlage zu und sah GörtE, kurz bevor die Zellenwucherung beginnt, in einzelnen Fällen eine innigere Verbindung der letztern mit dem jungen Balge durch Gefässe sich bilden. Nach seiner An- sicht lässt sich hierdurch sowohl der darauf folgende Aufschwung in der produktiven Thätigkeit der Papille, als der Umstand erklären, dass das gleichzeitige rasche Wachsthum des Fortsatzes über den noch freien Theil der Papille an ihrer untersten Fläche eine Grenze findet. Die ersten feinern Gefässverzweigungen der cutis verlaufen zwischen den Haaranlagen in die Höhe, so dass wie bei der Papille, so auch hier der feinern Ausbildung der Blutbahnen die Zunahme der näch- sten Theile folgt. Was den ersten Differenzpunkt zwischen KÖLLIKER und GÖöTTE betrifft, den, ob die Papille erst secundär entstehe, oder ob sie eine primäre Bildung sei, so muss ich mich hier für KÖLLIKER erklären. Sowohl bei menschlichen, als bei Kaninchen-, Schaf- und Hundefötus habe ich mich überzeugt, dass das von KÖLLIkER (l. c. Fig. 2) abge- bildete Stadium existirt. Die continuirlich mit dem rete Malpighii zusammenhängenden Epithelfortsätze erreichen eine bedeutende Länge und zeigen schon secundäre Veränderungen, ehe die Bildung der Pa- pille beginnt. Eine Wucherung der Bindegewebszellen der eutis in der Umgebung der Fortsätze macht sich freilich schon in sehr früher Jeit, wenn nicht gar schon vor dem Beginne der Epithelwucherung bemerkbar; diese anfangs runden Zellen werden bald spindelförmig und liegen mit ihrem längern Durchmesser parallel der untern Wöl- bung des Fortsatzes, wie das auch Feyrrrae (Figg. 2—5) abbildet. An etwas längern Fortsätzen sieht man rundum eine dünne Hülle von der Längsrichtung derselben parallel laufenden Spindelzellen, welche unter dem Ende des Fortsatzes in einen compakten Körper Beiträge zur Histologie der Haare. 383 übergeht (Fig. 4a Taf.X VI). In der Kopfhaut des Menschen beobachtete ich schon sehr frühe, ebenfalls vor dem Auftreten der Papille, die Differen- zirung des M. arrector pili, welcher sich als ein schmaler Zug von Spindelzellen etwas unter der Mitte der Haaranlage inserirt (Fig. 4 b). Die erste der schon vor dem Auftreten der Papille sich zeigen- den Differenzirungen bezieht sich auf die Entwicklung der Talgdrüsen. Köruıker (l. c. S. 90) lässt diese erst beginnen, wenn die Entwick- lung der Haaranlagen schon weit vorgeschritten ist und die ersten Andeutungen der Haare in ihnen schon sichtbar geworden sind. Reıssner (l. c. S. 112) sah den Anfang der Entwicklung der Talg- drüsen bei Schaf- und Ziegenembryonen nur selten vor dem Durch- bruch der Haare. Görrs dagegen beobachtete schon vor dem Auf- treten des Haares die oben erwähnten Fetttröpfehen und eine hier- durch bewirkte Ausdehnung des obersten Theiles des Fortsatzes: Er scheint aber diese Beobachtungen. welche ich entschieden bestätigen muss, soweit sie den Fötus betreffen, nicht auf die Entwicklung der Talgdrüsen zu beziehen; denn er sagt, diese Ausdehnung sei ähnlich derjenigen, welche in späterer Zeit den Talgdrüsenanlagen vorausgehe. An der Kopfhaut eines 18 cm. langen menschlichen Fötus kann man von hinten nach vorne alle Entwicklungsstufen des Haares sehen und überzeugte ich mich hier, dass die schon von GÖTTE gesehene, von mir Fig. 4 e (vgl. auch Fig. 3 c) abgebildete, Anschwellung als erste Anlage der Talgdrüsen anzusehen ist, dass die Entwicklung dieser Drüsen der der Papille also vorausgeht. Sımon fand bereits, dass die Talgdrüsen sich ‚vor den Haaren entwickeln und bildet die von GöTTE beschriebene Fetttröpfchenreihe, welche er für einen Schlauch hielt, ab.!) Die zweite Veränderung, welche gleichzeitig mit der soeben er- wähnten, wenn nicht früher, auftritt, bezieht sich auf die vom obersten Ende der primären Haaranlage ausgehende Entwicklung eines zweiten Haares: also die erste Andeutung der Ausbildung eines Haarbalges mit zwei Haaren, wie das in meiner Fig. 4 d dargestellt ist. Die dritte Veränderung endlich bezieht sich auf eine der Inser- tionsstelle des M. arrector pili entsprechende Anschwellung (Fig. & e). Mit der von GörrE beobachteten spindelförmigen Anschwellung scheint mir dieselbe nichts gemein zu haben. Dagegen dürfte sie mit UnwA’s Haarwulst (vgl. dessen Fig. 22 und 23) übereinstimmen, worüber das Weitere unten. Wenn die Papille erst ausgebildet ist, dann sinkt dieselbe ohne 1) Mürter’s Archiv. 1841. 8. 374. Taf. XIII. Fig. 7. Zeitschrift f. Anatomie. Bd. II. 35 384 XXV. KarRL ScHuLın. Zweifel durch das weitere interstitielle Wachsthum der oberhalb ge- legenen epithelialen Gebilde noch eine bestimmte Strecke weit in die cutis hinab, ebenso, wie ja auch die von Anfang an am untern Ende des Epithelzapfens gelegene Zelleninfiltration mit demselben in die Tiefe rückt. Wie bei jenen Epithelzapfen, so sieht man auch bei jungen Haaren das untere Ende derselben von einer Schicht spindel- förmiger Bindegewebszellen umgeben, welche mit ihrer Längsrichtung der Oberfläche jenes Endes folgen. Was den andern Differenzpunkt betrifft, die Frage, ob der ganze Epithelfortsatz sich gleichzeitig in seiner ganzen Länge in das Haar mit Spitze, Schaft, Zwiebel, sowie innerer Wurzelscheide, einerseits, und die äussere Wurzelscheide andererseits spaltet, oder, ob das Haar in dem Epithelfortsatz von unten herauf sich entwickelt, so ist es sehr schwer, hierüber eine Entscheidung zu treffen. Die Uebergangs- formen zwischen dem noch undifferenzirten Epithelfortsatze und sol- chen Bildern, wo man die einzelnen Theile schon deutlich getrennt in der ganzen Länge des Fortsatzes findet, sind allerdings nicht häufig; allein erstens sah ich entschieden in der Kopfhaut des 18 cm. langen menschlichen Fötus Fälle, wo über der eben in Entwicklung begrif- fenen Papille in der Mitte des Fortsatzes sich ein differenzirter Epithel- kegel fand, welcher sich nicht bis zum oberen Ende des Fortsatzes er- streckte, sondern weiter unterhalb mit verlängerten Zellen endigte, an denen ich aber nicht mit Sicherheit die von Unna aufgestellten Uebergangsformen der Verhornung erkennen konnte, welche man in der Darstellung GörteE’s, die doch lange vor Unna’s Arbeit geschrieben ist, so klar wiedererkennt. Ferner sah ich Fälle, wo Haar und Wurzelscheide schon deutlich differenzirt waren, der bulbus aber noch fast ganz fehlte; er entwickelt sich entschieden erst secundär mit der weitern Ausbildung der Papille so, wie Görtz das beschreibt. Dass, wie FEYERTAG (l. c. S. 35) meint, am fundus der Haaranlage die beiden Wurzelscheiden und das Haar in eine gemeinsame Masse über- gingen, sah ich niemals; sobald überhaupt eine Andeutung von Diffe- renzirung, zuerst zwischen jenem Kegel und der äussern Wurzel- scheide, dann in dem Kegel zwischen Haar und innerer Wurzel- scheide, vorhanden ist, lässt sich diese bis ganz unten hin verfolgen; von dort nimmt sie ja ihren Ausgang. Der ganze Prozess hat jedenfalls seinen Grund in dem gleich- zeitig mit der Entwicklung der Papille beginnenden energischeren Wachs- thume der am untern Ende des Epitheleylinders gelegenen Zellen, welches zur Entstehung eines in der Axe desselben in die Höhe wachsenden Kegels führt, der sich alsdann wieder, ebenfalls in Folge Beiträge zur Histologie der Haare. 385 rascheren Wachsthumes der centralen Theile, in innere Wurzelscheide und Haar differenzirt. Im Anschluss an die primäre Haarbildung muss ich noch die Entwicklung der Haarbälge mit mehreren Haaren besprechen. Die- selbe geschieht so, dass sich zuerst eine einzelne Haaranlage bildet und dann vom obern Ende derselben, oder, wenn die Entwicklung erst später beginnt, vom obern Ende der äussern Wurzelscheide aus, oder endlich, wie wir. beim Haarwechsel sehen werden, bisweilen auch von tiefer gelegenen Stellen der äussern Wurzelscheide schon altern- der Haare aus, sekundäre Epithelfortsätze in die Tiefe der cutis hinabsteigen, deren weitere Entwicklung dann ebenso vor sich geht, wie die des primären Fortsatzes.. Während man in der Rückenhaut des erwachsenen Hundes die Haare in der in Fig. 2 veranschaulichten Weise geordnet findet, sieht man in der Rückenhaut des beinahe aus- gewachsenen Hundefötus das in Fig. 5 Taf. XVI) dargestellte Bild: ein schon vollständig differenzirtes Haar, welches die Epidermis schon durch- brochen hat, und daneben, von dem oberen Ende der äusseren Wurzel- scheide des ersteren ausgehend, zwei junge Haaranlagen. Man kann in solcher Haut alle Stadien der Haarentwicklung sehen, immer gruppenweise vereinist und von einem gemeinschaftlichen Punkte der Hautoberfläche ausgehend. Beide Hunde waren von ganz ähnlicher Art. In Fig. 6 (Taf. XVI) habe ich ein Kopfhaar eines 40 cm. langen mensch- lichen Fötus abgebildet, an welchem man alle Theile der Fig. 4 leicht wiedererkennen wird. Auch hier ist am oberen Ende der äusseren Wurzelscheide eine sekundäre Haaranlage sichtbar. Da KÖöLLıkEr!) von der nemlichen Stelle Einmündungen von Schweissdrüsen in den Haarbalg abbildet, habe ich, um dem Einwand zu begegnen, das, was ich für eine Haaranlage halte, sei eine Schweissdrüsenanlage, eine solche, wie sie sich in der Kopfhaut desselben Fötus in reichlicher Menge fanden, daneben abgebildet (Fig. 6 &); dieselbe ist deutlich geschlängelt, endigt knopfförmig und entbehrt der Bindegewebshülle, sowie besonders der später zur Papille auswachsenden, umschriebenen, kleinzelligen Infiltration am untern Ende. Endlich ist an den in Fig. 3 abgebildeten Haaranlagen aus der Kopfhaut eines Schaffötus ebenfalls eine sekundäre Haaranlage zu sehen (Fig. 3 d). 1) Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie. Bd. II. Taf. VII. Fig. 9. 386 XXV. Kart ScHuLin. III. Der Haarschwund. Bis jetzt stimmten alle Autoren darin überein, dass beim Beginne des Haarschwundes das Haar sich von seiner ernährenden Unterlage ablöse und von da an nur noch als eine Art Fremdkörper in dem Haar- balge verweile, aus welchem es auf mechanische Weise entfernt werde. Nur über den Process der Ablösung differirten in nebensächlichen Punkten die Ansichten der Beobachter, welche indessen fast alle nicht den reinen Haarschwund untersuchten, sondern den als Vorläufer des Haarwechsels auftretenden. HEUSINGER!) beobachtete ein Blasswerden der Zwiebel und ein Verschwinden derselben und des unteren Theiles des Haares bis zur äusseren Oefinung des Balges, worauf dann der Rest des Haares ab- falle. KOHLRAUSCH?) beschreibt ebenfalls als Beginn des Haarschwun- des eine Veränderung des Haarknopfes, welcher seine zwiebelartige Form verliere, schlanker, eylindrisch und endlich nach unten konisch “ werde; wenn seine Ernährung ganz aufgehört habe, gehen keine Zellen mehr in ihn ein und werde das Blastem zur Bildung eines neuen Haares verwandt. Unter HEusınger’s Haarzwiebel und KOHLRAUSCH’S Haarknopf ist Papille und Bulbus des Haares zusammen zu verstehen. Als HEuSINGER seine Untersuchungen machte, war die erstere noch nicht bekannt, KOHLRAUSCH konnte sich nur nicht überzeugen, dass sie etwas von der Haarzwiebel getrenntes sei. HEnLE°) beschreibt sie bereits. Als der Unterschied zwischen Papille und Haarzwiebel endgültig festgestellt war, traten zwei Ansichten über die Ablösung des Haares von seiner Unterlage hervor, welche die Forscher bis in die neueste Zeit in ganz regelmässiger Abwechslung theilten. LANGER*) lässt die Papille erhalten bleiben und das Haar mit seiner innern Wurzelscheide sich von derselben abheben. STEINLIN?) dagegen lässt die Papille zu Grunde gehen, wodurch die Ernährung des Haares aufhören und das- selbe seinen Zusammenhang mit dem Haarbalge verlieren soll. MoLL®) 1!) Deutsches Archiv für Physiologie, herausgegeben von J. F. Meckkt. BdSEVEzE18s2227 SH58uu55g 2) MüLLer’s Archiv. 1846. S. 312. 3) Allg. Anatomie. 1841. S. 302. Fig. 14 b. 4) Denkschriften der kais. Akad. d. Wiss. Mathem. naturw. Classe. Bd. I. Wien 1850. Abhandlung von Nichtmitgliedern. 8. 1. 5) Zeitschrift für rationelle Medicin. Bd. IX. 1850. S. 289. 6) Archiv für die holländischen Beiträge für Natur- und Heilkunde. Bd. I. Heft 2. Referat in Zeitschr. f. rat. Med. 3. Reihe. Bd. IX. 1861. S. 103. Beiträge zur Histologie der Haare. 387 meint ebenfalls, der Grund des Absterbens des alten Haares könne kein anderer sein, als Atrophie der Papille. WERTHEIM!) war wiederum dafür, dass die Papille erhalten bleibe und beschrieb zuerst ein wei- teres Stadium des Haarschwundes, in welchem der Haarkolben in die Höhe gerückt und der zwischen ihm und der Papille gelegene Theil der äusseren Wurzelscheide durch die Contraetionskraft des Haarbalges halsartig eingeschnürt sei. HENLE?) trennte zuerst scharf zwischen zwei, auch schon sehr frühe von Andern, wie KOHLRAUSCH, LANGER, KÖLLIKER U. S. f. unterschie- denen, Formen der Haarwurzel, einer offenen oder hohlen, so lange das Haar wachse (Haarknopf), einer geschlossenen oder soliden, wenn dasselbe seine typische Länge erreicht habe und sich zum Ausfallen anschicke (Haarkolben). Er beschreibt die letztere indessen nur von dem Haare, welches sich zum Haarwechsel vorbereitet. Zwischen dem unteren Ende des alten Haares und dem Grunde des Haarbalges ent- steht dabei (S. 24) eine nach oben mit dem ersteren zusammen- hängende Wucherung, welche dasselbe in die Höhe, von der in den gewucherten Epithelien eingeschlossenen Papille ab, drängt; während dieses in die Höhe Steigens verhornt die Wurzel des alten Haares und wandelt sich in der bezeichneten Weise um. Während HEnLE die Umwandlung der hohlen in die solide Form der Haarwurzel erst während und nach der Entfernung des Haares von seiner Papille vor sich gehen lässt, beginnt nach STIEDA?) wiederum der Process mit dem Schwunde der Papille, in Folge dessen eine Um- wandlung des Haarbalges in eine einfach blindsackartige Vertiefung der cutis geschieht und die Formänderung der Haarwurzel sich in loco vollzieht. In Folge der Atrophie der Papille hört das Haar auf, zu wachsen, und verhornen die weichen Zellen seines untern Endes bis auf einen kleinen Best, aus welchem aus sich dann später auf die unten wiederzugebende Weise beim Haarwechsel das junge. Haar entwickelt. Ueber die weiteren Veränderungen des atrophirenden Haares macht STIEDA keine Mittheilungen; er ist der Ansicht, dass von diesem Sta- dium ab die Entfernung des Haares durch äussere Einwirkungen, Kämmen, Reiben u. s. f. geschehe (S. 530). Gegen WERTHEIM's Dar- stellung des Fortganges der Atrophie verhält Stıepa sich ablehnend 1) Sitzungsberichte der mathem. naturw. Classe der kais. Akad. d. Wiss. Bd. L. Abth. 1. Wien 1865. S. 310. 2) Allg. Anatomie S. 308. Vgl. auch Handbuch der Eingeweidelehre des Menschen. Braunschweig 1866. S. 21. 3) Reichert und Du Boıs-Reymonv’s Archiv. Jahrgang 1867. S. 526. 388 XXV. Kurt ScHunin. (S. 538) und führt er sogar, ausser der Form der Papille, die in seinen Figg. 3, 5 und 6 zu sehende Verschmälerung des Balges unterhalb des Haares als einzigen Grund dafür an, dass dieser Theil neugebildet sei (8. 530). Doch schon der nächste Autor nach STIEDA, GÖTTE, erklärte sich wiederum gegen den primären Untergang der Papille GörrE!) ist der erste Autor, welcher den reinen Haarschwund ohne Rücksicht- nahme auf den nachfolgenden Haarwechsel untersuchte. Seine sich indessen nur auf den Beginn dieses Processes erstreckenden Unter- suchungen ergaben Folgendes. Zuerst schrumpfen der Haarknopf und der ihn umgebende Theil der inneren Scheide, lösen sich von der Oberfläche der Papille und dem Grunde der diese umgebenden Falte und rücken in die Höhe, indem unter ihnen die membranartige äussere Scheide sich an die Papille anlegt, auf welcher stets einige Reste des Haarknopfes sitzen bleiben. Fast immer sah GöTTE ausserdem noch einen Abstand zwischen der die Papille einschliessenden äusseren Scheide und dem Balge eintreten, was er für ein Zeichen hält, dass die äussere Scheide, wohl auch durch Atrophie, sich zusammenziehe, wodurch das Haar in die Höhe gehoben werde. So lange der Haarknopf noch über die Papille gleitet, besitzt er nach GÖTTE noch ein stumpfes Ende, ist aber schon längsgestreift, bräunlich und undurchsichtig, ein Beweis, dass die Verhornungsgrenze in Folge mangelnden Nachschubes frischer Zellen bis zum Grunde des Haarknopfes hinabgestiegen ist. Sobald der Haarknopf sich über die Papille erhoben hat, spitzt er sich, offenbar durch das Zusammenfallen der früher von der Papille ausgefüllten Vertiefung, nach unten zu und geht so in die Form des Haar- kolbens über. Eine genauere Untersuchung lehrte GöTTE, dass zuerst das Ober- häutchen und die äusserste concentrische Hornschicht des Haares auf- hört, zu wachsen, so dass die Hornfasern an der Peripherie des Schaftes frei endigen, bei dem Fehlen des zusammenhaltenden Oberhäutchens ihren Verband lockern und endlich gegen die innere Scheide aus- einander fahren. Das wiederholt sich darauf rasch an der nächsten inneren Lage des Haarknopfes, so dass derselbe-bei der Ablösung von der Papille ein besenartiges Aussehen hat. Die innere Scheide trübt sich im Bereiche des Haarknopfes gleich zu Anfang der Ablösung und muss, da sie schon den Haarknopf überragte, auch eine vollständige Hülle des Kolbens bilden. Da sie aber nicht mehr durch das Ober- häutchen von diesem gesondert ist, ragen die faserigen Ausläufer des- D) 1. c. 8. 302. Beiträge zur Histologie der Haare. 389 selben in die innere Scheide hinein und kann man, sobald die Ver- hornung vollendet ist, auch die Reste der inneren Scheide kaum mehr erkennen. An der Grenze von Schaft und Kolben hört aber die Ver- schmelzung von Haar und Scheide auf und setzt sich der glashelle obere Theil der letzteren sehr scharf gegen die trübe Fortsetzung ab. Die Papille schrumpft früher oder später und löst sich bisweilen an der Einschnürungsstelle vom Balge ab. Kurz nach GöTTE veröffentlichte NEUMANN!) Beobachtungen über den reinen Haarschwund, und zwar, soweit ich ermitteln konnte, als der Erste und Einzige über die späteren Stadien desselben. Er fand in Glatzen mitunter vollständige Haarfollikel, die keine Haare trugen und an deren Grunde statt dessen dunkel pigmentirte Klumpen von Zellen sich fanden; von Resten der Papille konnte NEUMANN nichts wahrnehmen. In der grossen Mehrzahl der Glatzen jüngerer Leute fand er Wollhaare, z. Th. mit zersplitterter Zwiebel. Oft fand NEUMANN die Wurzelscheiden, besonders die inneren, zerklüftet, so dass ihre ver- hornten Plättchen abfielen und mit Smegma gemengt einen Detritus darstellten, welcher das noch vorhandene Haar umgab und den Follikel oft ausdehnte. Wenn keine Haare mehr vorhanden sind, verödet nach NEUMANN der Grund des -Follikels, derselbe zieht sich auf den oberen Theil zurück, bis dahin, wo die Taigdrüsen einmünden. Der obere Theil des Haarbalges dient jetzt als Ausführungsgang der letzteren, im unteren findet man nur Smegma. Den bindegewebigen Antheil des Haarbalges sah NEUMANN noch lange nach dem Ausfallen der Haare erhalten, er fand Bündel wellen- förmig zur Tiefe verlaufender Fasern. Er sah die Haarbälge in den Glatzen nie vollständig untergehen, sondern nur entweder bis auf das oberste Drittel zusammenschrumpfen, oder es schwanden die Wurzel- scheiden und blieb nur der bindegewebige Theil zurück, dessen Bün- del nun in breiten Zügen aneinandergereiht waren, die noch im obern Theile das mit Hornzelien gefüllte Lumen erkennen liessen. Im Jahre 1875 verfocht wieder FeyerraG im Anschluss an STIEDA gegen GÖTTE die Ansicht, dass in dem sich zum Schwunde anschickenden Haare keine Spur einer Papille mehr vorhanden sei. In der allerneuesten Zeit sind endlich von Unna noch Beobach- tungen über den Anfang des Haarschwundes erschienen. Derselbe er- klärt sich zunächst wieder dagegen, dass dieser Process mit dem Schwunde der Papille beginne (l. c. S. 50. Er fand, während die 1) Sitzungsberichte der mathematisch-naturwissenschaftlichen Classe der kais. Akademie der Wissenschaften. Bd. 59. Abth. 1. Wien 1869. 8. 52. 390 XXV. Kart ScHunm. Papille noch vollständig in ihrer normalen Grösse erhalten war, als erstes Zeichen der Atrophie eine Verschmälerung der dieselbe um- greifenden Epithelkappe, welche hauptsächlich auf Rechnung eines fast vollständigen Schwindens der matrix der inneren Wurzelscheide kommt und zu einer Ablösung derselben von ihrem Mutterboden führt. Dieser Schwund beginnt, wie er S. 30 genauer ausführt, etwa in halber Höhe, an der breitesten Stelle der Papille, woselbst diese matrix spitz zulaufend endigt (Fig. 10). An die Ablösung der innern Wurzelscheide schliesst sich sodann eine Ablösung des Haares von der Papille und ein in die Höhe Steigen desselben in dem Haarbalge. Dieses in die Höhe Steigen beschreibt UmwA 8. 51 und 52 ge- nauer von Haaren einer Ovariencystee Der Balg soll hinter dem Haare zusammenfallen, nur noch einen der sehr langsam atrophirenden Papille aufsitzenden Zellstrang alter Epithelien enthalten und zum grössten Theile aus der sehr stark verdickten homogenen Membran bestehen. Der Zellstrang umfasst (Fig. 18 A Taf. XVII) noch die Papille mit zwei Zinken und setzt sich nach oben, breiter werdend, in den eigentlichen Haarknopf fort „mit deutlicher Trennung von der aussen anliegenden, etwas aufgehellten, Stachelschicht. Er besteht aus den Resten der matrix für Haar und innere Wurzelscheide und liefert noch während des Aufsteigens ein letztes Material der Verhornung“. Ueber die Ursache des Aufsteigens äussert Unna sich nicht; mecha- nische Verhältnisse können im Innern einer Ovarieneyste doch kaum eine Rolle spielen. Ueber das weitere Schicksal des Zellstranges, welcher zunächst doch noch eine Verbindung zwischen Haar und Papille herstellt, bemerkt er, dass sich später das untere Ende des- selben (Fig. 18 B und C) von der Papille entferne und das obere vom Haarknopfe abschnüre, in Folge des Zusammenfallens des Balges. Erst hiermit wäre also die Abtrennung eine vollständige. Die innere Wurzelscheide soll nun rascher aufsteigen, als das Haar, und „immer mehr Stachelzellen von der Seite her in den Haarschaft hinein- strahlen lassen, wodurch der Haarknopf allmählich das Ansehen eines vollen Besens erhält“. Dabei bröckelt sie im Halse des Haarbalges immer ab. Dieser Process führt aber nach Unna, wenigstens so weit er ihn untersuchte, nicht zur vollständigen Elimination des Haares, sondern dieses bleibt, wenn es mit seinem unteren Ende an eine bestimmte höher gelegene, Stelle des Haarbalges gelangt, worüber weiter unten mehr, sitzen und wächst von hier aus weiter; während dieses in die Höhe Steigens wird auch ein Theil der Stachelschicht mit zum Haar- wachsthum verbraucht, welches aber erst an der höher liegenden Stelle, Beiträge zur Histologie der Haare. 391 wenn das Haar sich festgesetzt hat, wieder eine bedeutendere Inten- sität erlangt. Endlich fand UnsA noch die von Neumann in der Haut der Greise beobachtete glasige Aufquellung an den innersten Schichten der Bälge alternder Haare, verbunden mit Schlängelung und Einwärts- buchtung des Balges in die äussere Wurzelscheide. Meine Untersuchungen ergeben Folgendes: Der Haarschwund leitet sich ein mit einer Veränderung des Haares selbst, welche darin besteht, dass weitaus in den meisten Fällen zunächst das Pigment in der Haarzwiebel schwindet und das untere Ende des Haares eine streifige Beschaffenheit annimmt. Die streifige Zone geht allmählich über in eine solche, wo sich längliche Zellen mit Kernen finden und an diese schliessen sich dann die auf der Papille befindlichen, dem rete Malpichii entsprechenden, jungen Epithelien an. Die innere Wurzelscheide hört als solche etwas über der Gegend auf, zu exi- stiren, wo die länglichen Zellen anfangen; ihr Keimlager schwindet indessen nicht, wie Unna annimmt, sondern verschmälert sich nur und vereinigt sich seitlich einerseits mit der die Fortsetzung der äusseren Wurzelscheide darstellenden einfachen Reihe kleiner Zellen und andererseits mit dem Keimlager des Haares. Wie das Haar bei seiner Entwicklung sich von seinen Scheiden dadurch .differenzirt, dass ein ungleichmässiges Wachsthum in den ver- schiedenen Theilen des ursprünglich durchweg gleichartigen Epithel- eylinders eintritt, so möchte ich den Beginn des Haarschwundes darin suchen, dass die Wachsthumsenergie in Allem, was von dem primären Epithelkegel stammt, von unten anfangend, wieder eine gleich starke, resp. gleich schwache, wird, und dadurch das Haar mit seinen Wurzel- scheiden von unten herauf wieder verschmilzt. Die ganze die Papille umkleidende Epithelkappe beginnt gleich- zeitig, sich zu verkleinern, zu atrophiren; die Papille selbst bleibt zunächst vollständig intakt, höchstens ihre Grösse vermindert sich. Die Form bleibt unverändert, man findet zugespitzte Papillen unter Haaren, welche diesen Anfang von Veränderung zeigen, ebenso häufig, wie unter ganz normalen Haaren. In der Verlängerung des Haares gegen die Papille und deren nächste Umgebung hin findet man jetzt alle Uebergangsformen der Verhornung. Meine Fig. 1 stellt an den beiden in ihrer ganzen Länge in den Schnitt gefallenen Haaren (a und b) den Beginn des Haarschwundes von der Kopfhaut eines 12jährigen Knaben, meine Fig. 15 (Taf. XVII) denselben von der Bauch- haut eines Ochsen dar. Die Vergleichung der Fig. 15 mit der ein auf der Höhe der Entwicklung stehendes Ochsenhaar zeigenden Fig. 14 392 XXV. Kar Schuuim. (Taf. XVII) wird die beim Beginne des Haarschwundes eintretenden Veränderungen am besten klar machen. Im weitern Verlaufe entfernt sich das Haar von der Papille. Während in meiner Fig. 1 der die Verlängerung des Haares und seiner Scheiden bildende Epithelcylinder bis in den Grund des Haar- balges hinein denselben Umfang behält, erleidet derselbe in der von der Kopfhaut eines 6jährigen Mädchens stammenden Fig. 7 (ebenso wie in Fig. 16) dicht über der Papille eine Einschnürung. Die ein- geschnürte Stelle besteht aus weichen, noch nicht verhornten, Zellen, welche sich nach unten in das rete Malpighii der Haarpapille, nach oben in die zur Bildung des Haares sich vereinigenden verhornenden Zellen fortsetzen. Die Papille ist noch, wenn auch etwas verkleinert, vorhanden; die sie überziehende Epithelkappe ist sehr verschmälert und sind die Zellen derselben, besonders nach ihrem unteren Ende hin, bedeutend verkleinert. Der Haarbalg zeigt in hohem Grade die von Unna beschriebene glasige Aufquellung seiner innersten Schichten; auf der linken Seite (d) des Haares hat, vermuthlich in Folge des Kämmens, eine feinzackige Ruptur innerhalb der glasigen Zone statt- gefunden, so dass ein ganz schmaler Theil derselben noch dem Epi- thel anhaftet. Von der Existenz des hier abgebildeten unmittelbaren Zusammen- hanges zwischen dem Haare, dem entsprechenden Theile der Schleim- schicht und der Papille habe ich mich an weit über hundert Haaren in diesem oder einem nahestehenden Stadium überzeugt. Präparate, welche mit der von GörTE geschilderten Ablösung dieser Theile von einander übereinstimmten, erhielt ich dagegen in reichlicher Menge an einer Stelle, an der, wie wohl sonst nirgends am Menschen, die Haare mechanischen Insulten ausgesetzt sind, nämlich aus der unmittel- baren Nähe des Scheitels eines 17jährigen Mädchens, welches nach plötzlich eingetretenem Tode zur Sektion kam. Es fanden sich hier ausser der glasigen Aufquellung der innersten Theile des Haarbalges nirgends Zeichen von beginnender Atrophie. Von etwa 300 Haaren, welche ich untersuchte, zeigte keines die in Figg.1,7,14 (Taf. XVI. XVII) oder den spätern Abbildungen wiedergegebenen atrophischen Verände- rungen, dagegen fanden sich öfters quere, scharfe Abtrennungen des Haares von der Papille oder Querrisse in dieser. In mehreren Fällen war die, die Papille überziehende Epithelkappe quer durchgerissen und sass das Haar noch auf der deutlich gedehnten Papille auf; daneben hatten sich öfters Längsrisse in dem glasig gequollenen innersten Theile des Haarbalges gebildet, wie Fig. 7 (Taf. XVI) einen zeigt, nur weiter klaffend, so dass man deutlich die Wirkung des beim Frisiren ausgeübten Beiträge zur Histologie der Haare. 393 Zuges verfolgen konnte. Die Bilder stimmten oft vollständig mit Unna’s Fig.8 überein. Weilich an andern Hautstücken, die ich genau derselben Art der Präparation unterzog, dieses Verhalten fast niemals, an dieser Stelle aber, wo eine intra vitam einwirkende Gewalt so offenkundig ist, sehr häufig fand, halte ich meine Deutung für wahrscheinlicher, als die Unna’s, welcher den Riss in der glasigen Schicht auf Rechnung der Präparation und die Ablösung des Haares von der Papille auf Rechnung des beginnenden Haarschwundes setzt. Das Vorhandensein des Pigmentes, welches nach meinen Beobachtun- gen beim Beginne des Haarschwundes fast stets fehlt, spricht eben- falls für meine Deutung. Ferner fanden sich hier öfters Haarbälge ohne Haare, welche von Epithel ausgekleidet waren und an ihrem untern Ende eine von Epi- thel überzogene Papille trugen. Dieselben waren verengt und kürzer, als die mit Haaren versehenen Bälge; an die Papille schloss sich nach unten ein kernreicher Bindegewebsfortsatz, worüber weiter unten. Abgerissene Haare höher oben im Haarbalge fand ich nicht; die sie von der Papille, oder zugleich mit dieser, abreissende Gewalt scheint auch die sofortige gänzliche Elimination zu bewirken. Ich glaube nicht, dass man alle die beschriebenen, offenbar künst- lich erzeugten, Fälle als Stadien des normalen, rein atrophischen, Haarschwundes ansehen kann, sondern dass diese allein in den in meinen Figg.1,7,15 u.s.f. (Taf. XVI. XVII) abgebildeten Fällen zu suchen sind. Die weitere Entwicklung dieses allein als normal zu bezeichnen- den Haarschwundes, welcher allein das natürliche Ende des Haar- lebens darstellt, ist folgende. Aus der schmalen eingeschnürten Stelle der Fig. 7 ist in der von der Kopfhaut einer 60jährigen Frau stammenden Fig. 8 ein langer Cylinder geworden, welcher durchweg aus unverhornten Epithelien besteht und sich auf dieselbe Weise wie der Hals der Fig. 7 nach unten in das rete Malpighii der Haarpapille, nach oben in das Zellen- lager fortsetzt, welches das Haar liefert. Die Papille ist noch immer vorhanden, die Epithelkappe ist noch mehr verschmälert, die Zellen sind sehr atrophisch, zeigen aber nichts weniger, als Erscheinungen von Verhornung. Ebenso besteht der die Papille mit dem Haare verbindende Fortsatz durchweg aus Zellen der Schleimschicht, welche hier schon weniger atrophisch sind. Die Dicke dieses Fortsatzes wechselt sehr; in der vom Ochsen stammenden Fig. 17 (Taf. XVII) ist derselbe sehr dick, in der Kopfhaut des Menschen fand ich ihn oft ganz dünn, scheinbar nur aus einer Zellenreihe bestehend. Die ihm zugehörigen verhornten Zellen, soweit solche überhaupt noch geliefert 394 XXV. Kurt Scauuin. werden, sind in dem seiner Verlängerung entsprechenden Theile des Haares zu suchen. Das Haar ist jetzt allerdings von seiner Papille entfernt, aber es hängt doch noch durch eine continuirliche Reihenfolge von Zellen, welche niemals unterbrochen gewesen ist, mit derselben zusammen. Ausserdem hat es aber noch neue Verbindungen eingegangen, indem von dem obern Ende jenes Epitheleylinders aus eine Strecke weit die frühere äussere Wurzelscheide jetzt ihre nunmehr verhornenden Zellen in radiären Richtungen, die untersten nach oben, dann horizontal und die am obern Ende dieser Strecke gelegenen Zellen nach abwärts, wie es meine Fig. 8 darstellt, zusammentreten und in das Haar übergehen lässt. Das Haar wächst jetzt nicht mehr, wie das auf der Höhe seiner Entwicklung stehende Haar, ausschliesslich durch Wucherung und Verhornung von Zellen des rete. Malpighii einer Haarpapille, sondern durch denselben Vorgang seitens einer bestimmten Strecke des Haarbalges, und zwar einer Strecke, welche wandert. Anfangs besteht sie aus der Papille und deren nächster Umgebung (Fig. 1 und 14); dann tritt die Papille und deren Umgebung mehr in den Hintergrund und nehmen dafür höher gelegene Theile der äussern Wurzelscheide an dem Wachsthum des Haares Theil (Fig. 7). Dann treten immer höher gelegene Theile der äussern Wurzelscheide in Thätigkeit, während die tiefern Gegenden von der Papille an immer mehr zurücktreten, in Folge einer unten beginnenden und sich immer weiter nach oben verbreitenden Atrophie. Es entsteht da- durch ganz das Bild, als ob das Haar durch eine von unten nach oben fortschreitende Contraction des Haarbalges in die Höhe gescho- ben würde, wie das auch WERTHEIM!) und BistaDEckt?) annehmen, ohne dass aber eine solche Annahme nöthig wäre. Ein schiebendes Moment scheint mir hier, wie beim normalen Haarwachsthum, nur in der Apposition seitens des Keimlagers zu liegen; diese bewirkt ein absolutes in die Höhe Rücken des Haares, wie es sonst auch ge- schieht, nur unterscheidet sich der hier apponirte Theil etwas von der gewöhnlichen Haarsubstanz: er entbehrt des Markes und gleicht mehr dem Gewebe des Nagels (Unna S. 44). Ganz verschieden davon ist aber das relative in die Höhe Rücken des Haares, d. h. das seines untern Endes zur Hautoberfläche. Dieses geschieht durch das beschriebene Wandern der das Haarwachsthum besorgenden yes ir, anlıl 2) Stricker’s Handbuch der Lehre von den Geweben des Menschen und der Thiere. Bd. I. 1871. S. 612. Fig. 203. Beiträge zur Histologie der Haare. 395 Strecke der äussern Wurzelscheide Dieses Wandern, welches sich über die äussere Wurzelscheide, wie eine Welle über den Wasser- spiegel, fortpflanzt, ist weder. eine Folge nachweisbarer mechanischer Einflüsse, wie einer Contraction des Haarbalges, noch übt es einen Einfluss aus auf die Geschwindigkeit, mit der sich das Haar absolut in die Höhe bewegt, weil diese allein von der Wachsthumsintensität an dem Orte abhängt, wo sich das Keimlager befindet. In der Beschaffenheit des letztern selbst ist keine Bedingung für ein Absterben des Haares gegeben; etwas Anderes ist es aber, ob nicht das beschriebene Wandern desselben zu einem natürlichen Ab- schlusse des Lebens des Haares führt. Nach oben erreicht das Wan- dern seine Grenze da, wo die innere Wurzelscheide an die sich eine Strecke weit in den Haarbalg hinein fortsetzende Hornschicht der Epidermis anstösst. Von hier an verhornen die Zellen des rete Mal- pighii wieder auf die gewöhnliche Weise mit der von Unna geschil- derten Reihenfolge von Stadien. Das Vorrücken des vordern Randes des Keimlagers besteht darin, dass die Zellen der äussern Wurzel- scheide, welche, wie das Unna auseinandersetzt, für die Dauer des Haarlebens nicht verhornen, von unten nach oben wieder unter solche Bedingungen treten, dass der Verhornungsprocess, dessen Produkte hier zu Haarsubstanz werden, in ihnen wieder erregt wird. Das hört natürlich da auf, wo die Verhornung überhaupt nicht unterbrochen gewesen war. Sobald somit der vordere Rand des Keimlagers unseres atrophi- renden Haares sich mit der Epidermis vereinigt hat, hängt das weitere Schicksal desselben allein von dem Verhalten des hintern Randes ab, von der Geschwindigkeit, mit welcher die daselbst eintretende Atrophie sich nach oben fortpflanzt. Theoretisch betrachtet ist zunächst klar, dass auch diese niemals zu einer vollständigen Elimination des Haares - führen kann. Selbst, wenn in Fig. 8 die äussere Wurzelscheide bis an das untere Ende der trichterförmigen Einstülpung der Epidermis in einen solchen dünnen Cylinder umgewandelt sein wird, wird das untere Ende des Haares stets mit den in der Verlängerung dieses Cylinders und deren nächster Umgebung liegenden Zellen in einem gewissen Zusammenhang bleiben und einen, wenn auch noch so ge- ringen, Nachwuchs unten erhalten. Ebenso klar ist aber auch, dass es praktisch nie dazu kommen kann, da das Haar, welches ja in Folge seiner Länge so viele Angrifispunkte für äussere mechanische Ein- wirkungen bietet, lange vorher ausgerissen werden wird; bei irgend längern Haaren würde ja am Ende das blosse Gewicht genügen, sie zu entfernen. Es ist ja aber auch allgemein anerkannt, dass die mei- 396 XXV. KuarL ScHuLin. sten Haare nicht von selbst ausfallen, sondern bei sich im Haarwechsel befindlichen Thieren durch Reiben, Lecken u.s. f, beim Menschen durch Kämmen und dergl. entfernt werden. Das nächste, was wir jetzt zu betrachten haben, ist das weitere Schicksal des in Fig. 8 abgebildeten, an seinem unteren Ende die Papille tragenden, Epitheleylinders.. Derselbe erleidet zunächst eine von einem Hinaufrücken der Papille begleitete Verkürzung. In der Haut des Ochsen, in welcher die Haare sehr dicht, aber einzeln, stehen und alle ziemlich dieselbe Länge haben, fällt es sofort auf, dass die Papillen der atrophirenden Haare der Hautoberfläche näher liegen, als die der anderen. Die Papille setzt sich dabei nach unten fort in einen in der Verlängerung des Haares liegenden bindegewebigen Fortsatz mit sehr vielen länglichen Kernen, welche mit ihrem Längen- durchmesser parallel dem Fortsatze liegen. (Vgl. Fig. 16 und 17.) Dieser Fortsatz ist nicht identisch mit dem WERTHHEIM’schen Haar- stengel, welcher aus Fasern der cutis besteht, wenn auch derselbe beides selbst nicht scharf trennt, sondern er entsteht erst jetzt auf folgende Weise. Die Verkürzung des Haarbalges erfolet nicht durch ein Zusammenwachsen der Wände desselben, sondern, wie das Ver- halten der Papille, die sonst ja zuerst verschwinden müsste, zeigt, durch Verkleinerung der inneren Oberfläche, etwa wie eine runde Abs- cesshöhle oder ein Stück Hautoberfläche vernarbt, nach dem in Fig. 13 dargestellten Schema; dabei entsteht unter der in die Höhe steigenden Papille ein anfangs sehr kernreicher Bindegewebsfortsatz, wie es Figg. 16, 17 (Taf. XVII) und besonders Fig. 10 (Taf. XVI) zeigen. Ferner beobachtete ich spiralige Drehungen des Fortsatzes. Schon in Fig. 8 zeigt die die Papille überkleidende Epithelkappe eine An- deutung von solchen und in Fig. 9 habe ich von der Kopfhaut eines 10jährigen Knaben eine solche ziemlich regelmässige korkzieherartige Drehung abgebildet. Im weiteren Verlaufe nimmt der Schwund des Epithelfortsatzes und das ihn begleitende Hinaufrücken der Papille immer mehr zu. In Fig. 10 ist die Papille bis ziemlich nahe an die Einmündungsstelle der Talgdrüsen hinaufgerückt; sie verlängert sich nach unten in einen sehr kernreichen, spitzzulaufenden, bindegewebigen Fortsatz (f); die Kerne verlaufen alle in der Längsrichtung des Fortsatzes, in der Ver- längerung der Axe des Haares. Der M. arreetor pili inserirt sich in Folge dessen neben und sogar etwas über der Papille an den Bindegewebsfortsatz. Dieser letztere Umstand erscheint mir besonders wichtig, um dem Einwand zu begegnen, dass das Haar überhaupt nicht länger gewesen sei, als es jetzt noch ist; denn an in voller Entwick- Beiträge zur Histologie der Haare. 397 lung stehenden Haaren inserirt der M. arrector pili sich stets eine bedeutende Strecke oberhalb der Papille. Auch haben Haare von der seringen Länge des in Fig. 10 abgebildeten nie eine so bedeutende Dicke und, sofern sie überhaupt Talgdrüsen besitzen, eine so über- wiegende Länge der über diesen gelegenen Strecke des Haarbalges gegenüber dem unterhalb gelegenen Theile. Endlich fand ich öfters unmittelbar neben diesen Grad von Atrophie zeigenden Haaren noch in voller Blüthe stehende, ebenso dicke, Haare, deren Papille in glei- cher Tiefe mit dem Ende des Bindegewebsfortsatzes sass. Nach der Entfernung des Haares, welche also nur durch eine äussere Gewalt geschieht und in den verschiedensten Stadien des Pro- cesses eintreten kann, schreitet, sofern nicht wiederum Haarneu- bildung, worüber später, Platz greift, die Verkleinerung des zurück- bleibenden Epithelfortsatzes weiter. Die Papille bleibt oft noch lange erhalten, in anderen Fällen fiacht sie sich ab und schwindet auf diese Weise, so dass der Haarbalg jetzt einfach blindsackförmig endigt. Nach der Entfernung des Haares findet man auf der Papille öfter wieder unregelmässige Pigmentanhäufungen, welche sich bisweilen auch weiter nach oben in den Haarbalg hinein fortsetzen; vermuthlich rühren dieselben von einer mit dem Ausreissen verbundenen kleinen Blutung her. Beim Ochsen tritt, wie meine Fig. 17 zeigt, dieses Schwinden der Papille durch Abflachung schon früher ein und sieht man dann oft in dem epithelialen Theile bei einer gewissen Einstel- lung eine Anordnung der Zellen, wie sie in Fig. 17e dargestellt ist, welche schliessen lässt, dass sich die Epithelkappe während des Schwin- dens der Papille durch Nachwachsen von unten her ausfüllt. Dass in diesem Gebilde keine Papille mehr steckt, erkennt man durch Um- drehen der Mikrometerschraube, wobei sich die membrana propria als nach unten convexe Linie unter dem ganzen Epithelfortsatz hin ver- folgen lässt. In Figur 11 (Taf. XVII) ist ein sehr hohes Stadium des Haarschwundes aus einer handtellergrossen, ganz kahlen, Glatze einer 61jährigen Frau abgebildet. Man sieht hier als Anhängsel der hypertrophischen Talg- drüsen einen soliden Epithelzapfen, welcher an seinem untern Ende eine kleine Papille (a) trägt, an welche sich nach abwärts ein nur in den oberen Partien etwas kernreicherer Bindegewebszug ansetzt. Kerne und Fasern desselben haben die Verlaufsrichtung der Verlängerung des Fortsatzes. Hierin und in der Kernarmuth des Fortsatzes sehe ich einen Beweis dafür, dass es sich hier nicht um ein sich nach dem embryonalen Typus neubildendes Haar handelt, da man in solchen Fällen am unteren Ende des Fortsatzes Kernreichthum und eine der 398 . XXV. Kurı ScHunin. unteren Fläche desselben parallele Richtung der Längsaxen der Kerne findet. Epithelfortsatz und Umgebung tragen alle Zeichen von Senes- cenz an sich. Der relativ sehr wenig verengte Theil des Haarbalges oberhalb der Einmündungsstelle der Talgdrüsen dient, wie das auch NEUMANN sah, mit als Ausführungsgang derselben. Den Epithel- fortsatz fand ich in anderen Fällen noch kleiner als hier, und bis- weilen unter rechtem Winkel zum oberen Theile des Haarbalges oder gar schief nach oben gestellt. Oefter konnte ich keine Spur von ihm finden, so dass er vielleicht ganz schwindet. In Fig. 12 (Taf. XVII) findet sich in dem kleinen Epithelfortsatze noch ein kleines, von der Papille entferntes, höher oben in der be- schriebenen Weise festsitzendes Häärchen. Ganz ebensolche Epithel- fortsätze, mit oder ohne atrophirende Häärchen, fand ich auch ohne Talgdrüsen unmittelbar von der Hautoberfläche ausgehend. In ganz kahlen Glatzen fand ich Züge von glatten Muskelfasern, welche von Bindegewebsbündel zu Bindegewebsbündel zogen und sich oft an Schweiss- und besonders an Talgdrüsen inserirten. Offenbar rühren diese von Haarbalgmuskeln her, welche durch den beschriebenen Process ihre normalen Insertionsstellen verloren haben. Als Ueber- gang hierzu fand ich Haarbalgmuskeln, welche sich eine ganze Strecke unterhalb des Epithelrestes an den Bindegewehsfortsatz, welcher als- dann oft zur Seite geschoben war, inserirten. Die Hypertrophie der Talgdrüsen in der Glatze, wo sonst alle Theile der cutis hochgradige Atrophie zeigen, hat auf den ersten Blick etwas Auffallendes. Es handelt sich aber, wie die Kernarmuth der Talgdrüsen zeigt, nicht um eine ächte Hypertrophie, sondern nur um eine Vergrösserung durch Ektasie. Der Grund derselben dürfte in Folgendem zu suchen sein. Hxsse (diesen Band dieser Zeitschrift S. 277) machte darauf aufmerksam, dass der M. arrector pili in er- schlafftem Zustande die Talgdrüse schleuderartig umfasst, bei seiner Contraction in Folge dessen einen Druck auf dieselbe ausübt und hierdurch zur Entleerung des Sekretes beiträgt. Diese Wirkung ist, da der Muskel die Drüse zwischen seinem Leibe, wohl mehr seiner Sehne, und dem Schafte des Haares comprimirt, nur so lange mög- lich, als das Haar noch bis zu einer gewissen Tiefe in die cutis hinab- ragt. Wenn dasselbe im Verlaufe seiner Atrophie in die Höhe ge- stiegen ist und der Muskel sich nur noch an jenen bindegewebigen Fortsatz inserirt, fällt das die Entleerung des Sekretes unterstützende - Moment weg und kann leicht Ektasie durch Sekretstauung eintreten. Beiträge zur Histologie der Haare. 399 IV. Der Haarwechsel. HEUSINGER fixirte zuerst die Entwicklung des jungen Haares an den Balg eines alten absterbenden Haares. Die erste genauere Be- schreibung des Haarwechsels rührt von LANGER!) her. Derselbe fixirte die Neubildung zuerst an die Papille des alten Haares. Nachdem der Zusammenhang zwischen dem absterbenden Haare und seiner Papille gelöst ist, rückt die letztere, indem der Follikel sich knospenartig ver- längert, in die Tiefe. Die Verlängerung sondert sich durch eine kleine Abschnürung von dem obern, das Haar enthaltenden Theile des Balges und bildet mit diesem oft einen stumpfen Winkel. Die neue Haar- entwicklung beginnt damit, dass die Papille sich mit einem Aggregat von Pigmentkörnern überkleidet. In diesem Stadium verharrt bei Thieren, welche einen Haarwechsel haben, das Haar den ganzen Winter hindurch und im Frühjahr beginnt die Bildung des Ersatzhaares, indem sich das Körneraggregat spitzig zulaufend verlängert. Während dessen wird die Aussackung des Follikels durch Zurückweichen der Papille immer länger, bis sich das Häärchen bei fernerem Wachsthum an die Seite des alten legt und dessen Ausstossung bewirkt. Schon sehr frühe sah LANGER das konische junge Häärchen von einem hellen Hofe, den er als innere Wurzelscheide deutet, umgeben und um welchen herum er noch ein Follikularepithel als äussere Wurzelscheide unterscheidet. Die innere Wurzelscheide ist (8. 5) nicht gleichen Ursprungs mit der äusseren, sondern „ein Produkt des der Papille zunächst liegenden Theiles des Follikulargrundes“. KöLumer giebt folgende Darstellung: Die Papille bleibt an ihrem ursprünglichen Platze. Die über ihr und in den anliegenden Theilen der äusseren Wurzelscheide gelegenen Zellen gerathen in Wucherung und bilden einen Fortsatz, durch welchen das darüber befindliche Haar in die Höhe gedrängt wird; dieses selbst hört dabei auf, zu wachsen, verhornt auch in seinen untersten Theilen, ist gegen den Fortsatz scharf abgegrenzt und verliert nach und nach seine innere Wurzel- scheide, wahrscheinlich durch Resorption. Wenn der Fortsatz eine bestimmte Länge erreicht hat, differenzirt er sich ebenso, wie KÖLLIKER das für die primäre Haarbildung annimmt, in das Haar und seine Wurzelscheiden. Ausserdem beobachtete KÖLLIKER noch Haare, deren Zwiebeln neben einem grösseren mehrere (bis auf 4) kleinere Fortsätze 1) Denkschriften der kais. Akad. d. Wissenschaften. Mathem. naturw. Classe. I. Bd. Wien 1850. Abhandlungen von Nichtmitgliedern. S. 1. Zeitschrift f. Anatomie. Bd. II. 26 400 XXV. Kurt ScHhuum. besassen, die zum Theil deutlich von der äusseren Wurzelscheide selbst ausgingen. STEINLIN gab hierauf folgende Darstellung: Zuerst stirbt die Pa- pille ab, welche allein den Zusammenhang des Haares mit dem Balge vermittelt und steckt jenes von da an nur noch lose in diesem. In diesem Zustande befindet das Haar sich oft schon lange vor dem Haarwechsel, welcher an Tasthaaren so vor sich geht. Der Haarbalg erleidet eine Verlängerung nach unten, wie daraus hervorgeht, dass er unten nicht mehr gleichmässig oval, sondern mit einer Art Ausstül- pung endigt. Ferner rückt die Eintrittsstelle der Nerven und Gefässe um so höher hinauf, je älter das Thier ist. Die äussere Wurzelscheide erfährt dabei entsprechend der Ausstülpung des Haarbalges eine an- fangs solide Verlängerung. In dieser bildet sich alsdann eine Höhle, welche mit Epithel ausgekleidet ist (nach den Abbildungen Fig. 1 und 2 ist das offenbar eine seitlich geschnittene Papille): SrtEinLın hält die- selbe für die Anlage der inneren Wurzelscheide und bezeichnet sie als Keimsack. Im Grunde der äusseren Wurzelscheide erhebt sich jetzt eine neue Papille und stülpt den Keimsack ein; auf ihrer Spitze ent- wickelt sich das junge Haar, welches anfangs von dem Keimsack überzogen ist und ihn später durchbohrt; durch sein weiteres Wachs- thum drängt das junge Haar das alte in die Höhe. Mor, dessen Arbeit mir im Original nicht zugänglich war, nahm als Beginn des Haarwechsels ebenfalls den Untergang der Papille des alten Haares an, weil der Grund des Absterbens kein anderer sein könne. Als Gründe für die Entwicklung des jungen Haares auf einer neuen Papille führt er an, dass man in wenigen Fällen zwei kräftig wachsende Haare in einem Balge gesehen habe und dass im Grunde des Follikels das junge Haar in der Regel vom alten entfernt liege. Für die Ansicht, dass das neue Haar nach dem Untergang der alten auf einer neuen Papille entstehe, trat alsdann noch STIEDA auf. Nachdem der Haarbalg, wie oben geschildert, in eine einfach blindsack- förmige Einstülpung der Cutis umgewandelt ist, beginnt nach Unter- suchungen, welche Strepa am Rennthiere anstellte, die Entwicklung des neuenHaares damit, dass vom Reste des Keimlagers des alten Haares aus sich eine stark pigmentirte Zellenwucherung, wie ein Fortsatz, in die Cutis hineinschiebt, einen Theil des Haarbalges vor sich hertreibend. Der rundliche oder halbkugelige Abschnitt der Cutis wird zur Papille des neuen Haares, sein Pigmentüberzug ist die Anlage des Haares und seiner Scheiden. Die anfangs halbkugelige Papille wird allmählich kegelförmig und zugespitzt; während sie in die centrale pismentirte Anlage hineinwächst, scheidet sich in der umhüllenden Zellenmasse Beiträge zur Histologie der Haare. 401 eine innere Abtheilung von Zellen, welche durchsichtig und der Länge nach geordnet sind, von einer äusseren Abtheilung, in welcher die Zellen durch ihre Anordnung eine leichte Querstreifung erzeugen. Betrefis der Weiterentwicklung des jungen Haares verweist SrıEpa auf REISSNER und KÖLLIKER. An Srıepa’s Darstellung schloss sich FEYERTAG an. GörTTE beobachtete verschiedene Arten des Haarwechsels und er- fordert seine Darstellung eine ausführlichere Besprechung. Für das Schaaf und das Schwein nimmt er an, dass die alten Haare gänzlich schwinden und in der Umgebung sich nach dem Typus der embryo- nalen neue Haare von der Hautoberfläche aus bilden. Solche Haare nennt er ebenso, wie die embryonalen, Primärhaare Für den Men- schen hält er das Vorkommen dieser Art von Haarwechsel auch für möglich, im Allgemeinen soll der Haarwechsel aber auf eine andere Art vor sich gehen, indem sich nämlich nicht sofort neue auf Pa- pillen aufsitzende Haare bilden, sondern eine andere Art von Haaren, die er Schalthaare nennt und in deren Balge sich alsdann auf die zu beschreibende Weise Papillenhaare entwickeln. Das Görre’sche Schalthaar ist ein Haar, welches nicht auf einer Papille aufsitzt und von dieser aus seinen Nachschub erhält, sondern höher oben mit der äusseren Wurzelscheide in Verbindung steht und von hier aus durch ein radiäres Zusammentreten der Verhornungs- produkte derselben wächst. Unten schliesst sich daran ein solider haarloser Theil des Balges an, welcher schmäler ist und an seinem unteren Ende die Papille trägt (Fig.44). Man sieht sofort, dass dieses Gebilde, welches KÖLLıker und WertHEım bereits gesehen, GÖTTE aber zuerst richtig gedeutet hat, indem er zuerst den Zusammenhang des Haares mit der äusseren Wurzelscheide und das von hier aus ge- schehende Wachsthum entdeekte, identisch ist z. B. mit meiner Fig. 8 (Taf. XV). Diese Schalthaare entwickeln sich nach GörrE beim Menschen auf folgende Weise (8. 296). Zuerst bildet sich ein ebensolcher Epi- thelfortsatz, wie bei der primären Haarbildung, mit einem breiteren oberen und einem schmäleren unteren Theile, welcher letztere die Pa- pille halb umschliesst (Fig. 16); nur darin besteht eine Abweichung, dass sich kein Fett in dem oberen Theile dieses Gebildes findet. Dann schwillt eine etwa in der Mitte gelegene Stelle dieses Fortsatzes an, die verlängerten Zellen wachsen schräg nach innen in die Höhe, der Axe der Anlage zu, und vereinigen sich von allen Seiten her zu einem faserigen Strange, welcher bald die Oberfläche der Haut erreicht. Dann verschmelzen die Elemente desselben und verhornen vollends zu einem 26* 402 XXV. Kurt Schu. . anfangs noch spiralig gewundenen und noch ungleichmässigen, endlich aber geradezu cylindrischen Schafte (Fig. 19). In dem Keimbette hat sich unterdessen als Wurzel des Faserstranges ein helles, aber unklares, Centrum geschieden, in welches die solide Verschmelzung der auf- steigenden Fasern zunächst mit einer dünnen Spitze hineinrast, bald aber über jenes ganze Centrum sich erstreckt, so dass es zu einem hornigen Kolben wird, dessen Peripherie mit radiären Ausläufern be- setzt ist, welche in der Nähe des Schaftes bogenförmig nach oben, in der Mitte des Kolbens beiläufig horizontal, weiter nach abwärts all- mählich in die senkrechte Richtung übergehend, verlaufen (Fig. 44. Vgl. meine Fig. 8). Bilder, wie sie GörrE als Entwicklungsstadien des Schalthaares beschreibt, habe ich auch gesehen. Seiner Beschreibung möchte ich nur eins hinzufügen, nämlich dass, soweit ich sah, dieselben sich stets in einen Bindegewebsstrang fortsetzen, dessen Kerne in der Verlängerung derselben liegen. Der in meiner Fig, 7 neben der Talgdrüse abge- bildete Fortsatz entspricht einem sehr frühen Entwicklungsstadium des Schalthaares. Ich möchte aber die Entwicklungsreihe des GörTE'schen Schalthaares umkehren, sie nicht als eine solche ansehen, die zu GÖTTE’s Fig. 44 führt, sondern, wie ich diese als ein bestimmtes Stadium des Haarschwundes betrachte, so jene als ganz späte Stadien desselben ansehen. Ich glaube, dass GöÖTTE zu der wiedergegebenen Deutung seiner ausser- ordentlich scharfsinnigen Beobachtungen nicht gelangt wäre, wenn er die späteren Stadien des Haarschwundes mit in den Bereich seiner Untersuchung gezogen hätte. Das Leben des Haares beginnt und endigt mit Formen, welche eine gewisse Aehnlichkeit haben, da sie beide solide Epithelfortsätze darstellen. Die Unterscheidung ist, so lange die Merkmale zwischen wachsendem und atrophirendem Epithel noch so wenig sicher con- statirt sind, in dem Verhalten der Umgebung zu suchen. In der Um- gebung des wachsenden Fortsatzes findet man junge kernreiche Binde- substanz, deren spindelförmige Zellen der Oberfläche des Epitheleylin- ders parallel liegen, da sie durch das Wachsthum derselben gedehnt werden; ferner fehlt in so frühen Entwicklungsstadien noch die Papille. In der Umgebung des nach dem Ausfallen des Haares schrumpfenden Epithelcylinders findet man vernarbendes Bindegewebe und eine atro- phische Papille. Interessant ist die Bemerkung Görrr’s, dass er selbst bei Negern die Schalthaare in der Regel ungefärbt fand, während die im Grunde des Balges derselben sich neubildenden Sekundärhaare, worauf ich Beiträge zur Histologie der Haare. 4053 gleich näher eingehen werde, sofort bei ihrer Entstehung reichliches Pigment aufnehmen. In den Haarbälgen, in welchen sich Schalthaare finden, entwickeln sich nach GÖTTE nach einer bestimmten Zeit Papillenhaare, die er im Gegensatz zu den ohne vorausgehende Schalthaarbildung entstehenden Primärhaaren Sekundärhaare nennt. Der Zeitpunkt ihrer Entwicklung scheint allein von der Papille abzuhängen, wobei man sich dessen er- innere, was, wie oben berichtet, Görrz über die muthmasslichen Ur- sachen der gesteigerten Thätigkeit derselben anführte. Es treten in dem die Papille tragenden Anhange des Schalthaares Vorgänge ein, welche durchaus denen bei der primären Haarbildung analog sind, so dass ich hier nicht weiter darauf einzugehen brauche. Erwähnen muss ich nur noch, dass Görtz sich gegenüber Langer beim Reh durch Messungen überzeugte (S. 307), dass hier während dieses Processes die Papille nicht in die Tiefe rückt. GöttE beschreibt alle die erwähnten Verhältnisse sehr genau vom Reh (8. 304). Auf dieses Gebiet konnte ich ihm bis jetzt nicht in genügender Weise folgen; ich habe erst ein Anfangs Oktober getödtetes Reh untersucht, in dessen Bauchhaut ich neben unverändert auf der Papille aufsitzenden Haaren, welche sehr häufig die von GöTTE ge- schilderte Verschmälerung nach der Papille hin zeigten, die verschie- densten Stadien von Atrophie der Haare fand, wie ich sie oben vom Menschen und Ochsen schilderte; ausserdem sah ich öfters Haarbälge ohne Haare, welche geschlängelt und gefaltet verliefen, verengt waren und unten deutlich die Papille zeigten, an welche sich ein kernreicher Faserzug anschloss. Von Haarneubildung konnte ich, weder von pri- märer, von der Oberfläche der Haut ausgehender, noch von sekundärer, in einem Haarbalge, etwas erkennen; ganz frühe und späte Stadien des Haarschwundes habe ich nicht finden können. Jedenfalls dürfte durch meine andern Beobachtungen die Ansicht GörrE's, dass im erwachsenen Thiere eine Haarneubildung unabhängig von alten Haarbälgen, direkt von der Oberhaut ausgehend, vorkomme, sehr in Frage gestellt sein. Das Görze’sche Schalthaar wurde in neuester Zeit durch UmnA einer genauern Untersuchung unterworfen. Derselbe constatirte zu- nächst, dass es Schalthaare giebt, welche oberhalb der Stelle, wo das Haar mit der äusseren Wurzelscheide zusammenhängt, eine innere Wurzelscheide besitzen. Ferner fand er, dass auch manche Schalt- haare in einer bestimmten Entfernung oberhalb dieser Stelle mark- haltig sind, wie Papillenhaare. Hierdurch gelangte er zu der Ansicht, - dass der Schaft des Schalthaares vorher einmal der Schaft eines Pa- pillenhaares gewesen sei, dass das Schalthaar sich nicht, wie GörTE 404 XXV. Kurs ScHuLin. meint, selbständig als solches, sondern aus einem Papillenhaare ent- wickle. Diese Umwandlung des Papillenhaares in ein Schalthaar denkt Unna sich nun folgendermassen. Er beobachtete zunächst, dass die äussere Wurzelscheide ganz verschiedener Haare nicht einen einfachen, überall gleich dicken, Cylinder darstellt, sondern schon in frühen Ent- wicklungsstadien verschiedene Anschwellungen zeigt; von diesen fiel ihm besonders eine, nahe unter der Talgdrüseneinmündung gelegene, durch ihr frühzeitiges Auftreten und ihre Beständigkeit auf. Während von drei Anschwellungen, welche er an Haaranlagen aus den Augen- brauen eines 14 wöchentlichen Fötus beobachtete (Fig. 22), eine, die zu oberst gelegene, sich ihm als eine inconstante und vergängliche Bildung erwies und er eine andere, darunter gelegene, als Anlage der Talgdrüse erkannte (diese würde meiner Fig. 4c. entsprechen), fand er noch weiter abwärts gelegen eine dritte Anschwellung (Fig. 22 und 23 wst, meine Fig. 4e), welche sich bei dem späteren Wachsthume nicht wesentlich änderte, sondern als solche persistirte (Fig. 24 wst, meine Fig. 6e). Da er ausserdem den Zusammenhang des Haares mit der äusseren Wurzelscheide, wie er sich bei dem Görre’schen Schalt- haare findet, nur an der einen, dieser Anschwellung entsprechenden, Stelle beobachtete, brachte er diese beiden Dinge, die Anschwellung und das Görre’sche Schalthaar, mit einander in Verbindung und dachte sich die Entwicklung des letzteren auf folgende Weise. Ein so, wie ich es beim Haarschwunde als Unna’s Ansicht referirt habe, von der Papille abgelöstes und im Haarbalge aufsteigendes Haar soll, wenn es mit seinem unteren Ende in den Bereich dieser Stelle kommt, von hier aus einen sich ihm unmittelbar anschliessenden Nachschub er- halten, von neuem mit dem rete Malpighii des Haarbalges in Ver- bindung treten und abermals wachsen, also nach eingetretenem Ab- sterben in einem neuen Lebensstadium wiederaufleben. Wegen dieser; schon frühzeitig präformirten Bedeutung dieser Stelle für das Haar- leben belegte Unna sie mit dem Namen „Haarbeet“, nannte er das von dieser Stelle aufgenommene Haar „Beethaar“ und unterschied er in Folge dessen zwischen einem Papillenstadium und einem Beetstadium des Haarlebens. Meine Untersuchungen hierüber ergaben nun Fol- gendes: Zunächst muss ich die Existenz des Unxa’schen Haarbeetes genau so, wie er es beschreibt, bestätigen. Ich beobachtete es sogar in einer noch früheren Zeit, als sie Unna’s Fig. 22 entspricht; in meiner Fig. 4 ist von einer Difierenzirung des Haares noch nichts zu bemerken. Ich fand aber, was Unna nicht gesehen hat, gleichzeitig, dass diese Anschwellung der Insertionsstelle des M. arreetor pili ent- spricht, welcher auch in der meiner Fig. 4 entsprechenden frühen Zeit Beiträge zur Histologie der Haare. 405 bereits angelegt ist (Fig. 4f. vgl. auch Fig. 6e.). Ich neige deshalb dazu, diese Anschwellung mit der einen Zug ausübenden Action dieses Muskels in Verbindung zu bringen, Ferner beobachtete ich, wie oben beim Haarschwunde auseinandergesetzt, den Zusammenhang des Haares mit der äusseren Wurzelscheide nicht nur entsprechend dem Unna’schen Haarbeete, sondern auch an allen möglichen anderen Stellen zwischen Papille und Haarbeet. Ich fand das Haar allerdings auch öfters ent- sprechend dem Unna’schen Haarbeete festsitzen, fand aber gar keine Veranlassung, dieser Stelle eine besonders hervorragende Bedeutung für den in Frage kommenden Process beizulegen. Das Unna’sche Beet- haar ist dasjenige Stadium des Haarschwundes, in welchem das Haar gerade an der der Insertion des M. arrector pili entsprechenden ver- diekten Stelle der äusseren Wurzelscheide festsitzt. Die Möglichkeit, dass dasselbe ausser der von mir geschilderten Entstehungsweise auch noch auf die von Unna angenommene entsteht, ist ja zunächst nicht unbedingt abzuleugnen, eine solche Annahme ist aber bis jetzt durch keinen Grund gestützt. Ueber den Haarwechsel äussert Unna sich folgendermassen. An den Cilien und den äusseren Haaren der Nase beobachtete er (S. 58) Fälle, welche er so deutete, dass sich einfach auf der dem Beethaare unten anhängenden Papille ein junges Haar entwickelt habe (Fig. 17). Den Beweis, dass es sich hier allein um den intacten alten Balg und nicht um ein neugebildetes Stück handele oder um eine Verlängerung des alten Balges, findet er in der Verbreiterung der homogenen Mem- bran, der Ablösung des Epithels von derselben und in der eigenthüm- lichen Art, wie sich das Epithel mit Karmin färbt. Für den epithe- lialen Theil hält UnswA es dagegen für möglich, dass dieser ein vom Haarbeete vorgeschobener Zellfortsatz sei, welcher sich eine neue Pa- pille gebildet habe; doch will er keine sichere Entscheidung treffen. An den Wollhaaren von der Schnauze des Kalbes fand Unna Haar- bälge, welche unten mit hellen Zellen erfüllt waren und oben ein Beethaar enthielten. Einige von ihnen besassen ganz kleine, offenbar geschrumpfte, andere dagegen grössere Papillen mit mächtigen ein- und austretenden Blutgefässen und mit einem Belage stark rothgefärbter Zellen, die sich in Gestalt eines kleinen Kegels über die Papille erhoben. Hier stammte also das Zellenmaterial für das junge Haar entschieden von der Papille, wenn auch die letztere vielleicht nicht mehr die alte genannt werden konnte. Endlich glaubt Unna, die Angaben von LANGER, STEINLIN und STIEDA bestätigen zu können, wenn man nur statt des alten, allmählich ganz verhornenden, Haarkolbens, welchen diese Autoren in den alten Bäleen 406 XXY. KARL ScHuuin. voraussetzen, sein Beethaar, und statt der äusseren Scheide sein Haar- beet setzen wolle. Insbesondere der von GörTE erhobene Einwand, dass nach diesen Darstellungen das untere Ende des Haares bald in die subeutane Schicht tief hinabsinken müsse, werde so vermieden, weil, wenn das Haarbeet einen produktiven Fortsatz in die Tiefe sende, der Balg alsdann keine grössere Länge anzunehmen brauche, als das ursprüngliche Papillenhaar schon gehabt habe. Meine Untersuchungen über den Haarwechsel beschränken sich auf den Menschen und den Ochsen. Bei letzterem erhielt ich von der Bauchhaut eines Anfangs Juni getödteten Exemplares eine vollständige Serie, deren einzelne Stadien ich alle vielfach übereinstimmend be- obachtet und in den Figg. 14—19 (Taf. XVII) abgebildet habe. In der Bauchhaut des Ochsen liegen die untern Enden der auf der Höhe der Entwicklung stehenden Haare alle ungefähr in gleicher Tiefe; Figg. 14—19 sind so gezeichnet, dass man, wenn man ihre obern Enden in gleiche Höhe bringt, die relative Lage der untern Enden der abgebildeten Haare zu der Ebene erkennt, in welcher die untern Enden der auf der Höhe der Entwicklung stehenden (Fig. 14) sich befinden. Der Haarwechsel beginnt, wie das auch ausser KöLuıker alle Autoren annehmen, mit atrophischen Veränderungen. Fig. 14 stellt ein normales Haar des Ochsen dar; Figg. 15, 16 und 17 den Beginn und die Weiter- entwicklung des Haarschwundes, von welchem ich hier nur noch einmal die Abflachung und das in die Höhe Steigen der Papille, sowie die Aus- bildung des. Bindegewebsfortsatzes (f) mit längsgestellten Kernen, in das Gedächtniss zurückrufen möchte. In dem in Fig. 17 dargestellten Stadium oder noch etwas später, beginnt die Entwicklung des jungen Haares, indem die Papille sich wieder senkt und ihre Wölbung wie- dererlangt. Fig. 18 unterscheidet sich in folgenden Punkten von Fig. 17. Das alte Haar ist noch mehr in die Höhe gerückt. Wäh- rend der epitheliale Theil der Fig. 17 nur eine Einschnürung zeigt, nahe unter dem Ende des alten Haares, finden sich in Fig. 18 deren zwei, eine unter dem alten Haare und eine noch weiter unten, dicht unterhalb einer ebensolchen epithelialen Kuppel (e), wie ich sie von Fig. 17 beschrieben habe. Unterhalb derselben findet sich in Fig. 18 ein epithelialer Theil, welcher in Fig. 17 kein Analogon hat, ein so- lider rundlicher Epitheleylinder, welcher mit seinem untern Ende weit tiefer in die cutis hinabragt, hier knopfförmig angeschwollen ist und in seinem Innern schon einen kleinen Kegel als erste Andeutung des Haares trägt. Ein wichtiger Unterschied liegt ferner in dem Ver- halten der bindegewebigen Theile. Der in Fig. 17 zu sehende Binde- gewebsfortsatz ist ebenfalls zu sehen, aber geschlängelt (f), als ob er ‘Beiträge zur Histologie der Haare. 407 von oben nach unten comprimirt würde, und ausserdem treten um das untere Ende des Epithelzapfens herum neue sehr kernreiche Züge auf, deren Kerne sämmtlich der Oberfläche desselben parallel verlaufen. Die Papille ist in Fig. 18 wieder gewölbt, aber noch sehr klein. In gewissem Sinne kann man hier allerdings von der Neubildung einer Papille reden, wenn man nur die Wölbung als Papille gelten lässt; der eigentliche Körper aber, in welchen sich jede Papille fortsetzt und der sich schon in den frühesten Stadien der Haarentwicklung zeigt, bleibt derselbe. Ferner tritt diese Abflachung niemals primär auf, sondern stets sekundär im weitern Fortgange der Atrophie und erst während des in die Höhe Steigens. In Fig. 19 ist das junge Haar schon vollständig ausgebildet und ragt mit seiner Spitze neben dem jetzt noch höher hinaufgestiegenen untern Ende des alten Haares in die Höhe, in diesem Falle gestreckt, oft aber gebogen oder gewunden. Unter dem alten Haare findet sich eine massenhafte Anhäufung unverhornten Epithels. Die beiden Ein- schnürungen, unter dem alten Haare und entsprechend der früheren Lage der Papille, sind wenig ausgeprägt; die epitheliale Kuppe ist hier nicht sichtbar; in andern Fällen dagegen sah ich sie in noch weiter vorgeschrittenen Stadien seitlich neben dem Haare in der äussern Wurzelscheide. Die Papille ist jetzt wieder grösser, wenn sie auch noch nicht ihre vollständige Grösse wiedererlangt hat. Das untere Ende des jüngeren Haares enthält noch kein Pigment; dieses ent- wickelt sich erst später, nicht, wie viele Autoren annehmen, primär. In der Umgebung des untern Endes des jungen Haares finden sich noch reichliche, der Oberfläche desselben parallel verlaufende, Reihen von Kernen. Jener in der Verlängerung des Haares verlaufende Binde- gewebsiortsatz ist noch immer zu sehen, aber stark geschlängelt.!) Beim Menschen habe ich den soeben vom Ochsen beschriebenen Modus des Haarwechsels an der Kopfhaut, den Augenbrauen, Cilien und der Lippe beobachtet, nur war der Schwund der Papille nie ein so vollständiger. Besonders schön waren diese Verhältnisse an den Augenbrauen eines neugeborenen Mädchens, in einer sich eben mit !) Eine hiervon wesentlich abweichende Darstellung des Haarwechsels beim Ochsen habe ich in den Sitzungsberichten der Gesellschaft zur Beförderung der gesammten Naturwissenschaften in Marburg 1876 Nr. 7 veröffentlicht. Dieselbe muss ich jetzt für unrichtig erklären. Der von dem untern Ende der äussern Wurzelscheide ausgehende Epithelfortsatz erwies sich mir später als ein in sehr täuschender Weise darüber liegendes Segment der äussern Wurzelscheide eines andern Haares und das Gebilde, welches ich als alte, allmählich atrophirende, Pa- pille beschrieb, als einfach epitheliale Kuppe (Figg. 17 und 18 e). 408 XXV. Karı Scautin. Flaumhaaren bedeckenden Glatze eines 49jährigen Mannes und in der Umgebung von mehreren Epithelkrebsen der Lippe zu sehen. Eine abweichende Form fand ich in der Achselhöhle eines 15jäh- rigen Knaben. Hier gingen von der Stelle, wo das atrophirende Haar mit der äussern Wurzelscheide in Zusammenhang war, mehrere ebensolche solide Epithelzapfen in die Tiefe, wie man sie bei der primären Haarbildung von der Oberhaut ausgehen sieht (Fig. 20 g). Ich besitze dieses Verhalten an zwei einander ganz ähnlichen Präpa- raten, habe aber in Folge von Mangel an Material noch keine Unter- suchungen über die weitere Entwicklung dieser Epithelzapfen anstellen können. Vermuthlich handelt es sich hier um die Entwicklung eines Haarbalges mit mehreren Haaren und dürften die oben erwähnten, von WERTHEIM beschriebenen Fälle vom Mons Veneris wohl spätere Entwicklungsstadien hiervon darstellen. Meine Präparationsmethode bestand darin, dass ich der Verlaufs- richtung der Haare entsprechend gelegte Schnitte von in Alkohol er- härteter Haut mit Hämatoxylin oder Pikrokarmin färbte, diese Farb- stoffe mit Salzsäure in Alkohol oder Glycerin (1:100) fixirte und die Präparate auf die gewöhnliche Weise in Kanadabalsam einschloss. Erklärung der Abbildungen. Tafel XVI. Fig. 1. 3 aus einer gemeinsamen Oeffnung an der Hautoberfläche hervor- tretende Haare von der Kopfhaut eines 12jährigen Knaben; a und b im Beginne der Atrophie. 1/4o. Fig. 2. Haarbalg mit 11 Haaren aus der Rückenhaut eines Hundes. 1/yo. a. Talgdrüse. Fig. 3. 2 Haaranlagen mit einer gemeinsamen Anlage für Papillen, aus der Kopfhaut eines Schaffötus. c. Anlage der Talgdrüsen. d. eine sekundäre Haaranlage. Fig. 4. Haaranlage aus der Kopfhaut über dem Seitenbein eines 18 em. langen menschlichen Fötus. Yiso- b. Die sich eben entwickelnde Papille. c. Talgdrüsenanlage. d. Sekundäre Haaranlage. Beiträge zur Histologie der Haare. 409 e. Anschwellung entsprechend der Insertion des M. arreetor pili (Unna’s Haarwulst). f. M. arrector pili. Fig. 5. Entwicklung eines Haarbalges mit mehreren Haaren, aus der Rücken- haut eines beinahe ausgetragenen Hundsfötus. 1/yo. Fig. 6. Kopfhaar eines 40 cm. langen menschlichen Fötus. Yo. b. Papille. c. Talgdrüse. d. Sekundärer Haarkeim. e. Anschwellung an der Insertionsstelle des M. arrector pili. f. M. arrector pili. g. Schweissdrüsenanlage. Fig. 7. Kopfhaar eines sehr atrophischen 6jährigen Mädchens; Weiterent- wicklung des Haarschwundes. Y/eo- a. Papille. b. Aeussere Wurzelscheide. c. Innere Wurzelscheide. d. Ein Riss in der verdiekten homogenen Membran. - Fig. S. Kopfhaar einer 60jährigen Frau; späteres Stadium des Haar- schwundes. (GöTTE’s Schalthaar.) 1/eo- i a. Papille. b. Aeussere Wurzelscheide. c. Innere Wurzelscheide. Fig. 9. Kopfhaar eines 10jährigen Knaben. Korkzieherartige Drehung des Epithelfortsatzes. Yeo- a. Papille. b. Aeussere Wurzelscheide. c. Innere Wurzelscheide. Fig. 10. Kopfhaar eines 49jährigen Mannes aus der Nähe einer Glatze. 1/yo. a. Papille. b. Talgdrüse. c. M. arrector pili. f. Bindegewebsfortsatz. Tafel XVII. Fig. 11. Ganz spätes Stadium des Haarschwundes aus der Glatze einer 5sjährigen Frau. 1/jso- a. Papille. b. Talgdrüse. f. Bindegewebsfortsatz. Fig. 12. Wollhaar von der Glatze eines 49jährigen Mannes, im Zustande von Atrophie. Yso- a. Papille. b. Talgdrüse. f. Bindegewebsfortsatz. Fig. 13. Schema des in die Höhe Steigens der Papille beim Haarschwunde, 410 Fig. 14-19. Der Haarwechsel des Ochsen. 1/ . Papille. . Aeussere Wurzelscheide. . Innere Wurzelscheide. . Haarkolben. . Epithelkuppe von der Stelle, wo sich früher die Papille befand. f. o Lo a” > XXV. Karv Schurin, Beiträge zur Histologie der Haare. ‚60° Bindegewebsfortsatz. Diese Figuren sollten eigentlich so in der Reihe nebeneinander stehen, dass ihre oberen Enden sich in gleicher Höhe befänden, um die relative Lage der einzelnen Theile zur Hautoberfläche zu demonstriren. Fig. 20. Wollhaar aus der Achselhöhle eines 15jährigen Knaben. Yiso- a. Papille. 5 b. Aeussere Wurzelscheide. C. Innere Wurzelscheide. d. Haarkolben. g. Epithelfortsätze (Haaranlagen). XXVl. Bericht über die anatomische Anstalt in Leipzig. Von Wilhelm His. (Hierzu Tafel XVII u. XIX.) Mit Schluss dieses Wintersemesters vollendet die neue anatomische Anstalt in Leipzig ihr zweites Betriebsjahr. In dieser Frist ist es möglich gewesen zu beurtheilen, inwieweit deren Einrichtungen den an sie zu stellenden Anforderungen genügen und so scheint mir der Zeitpunkt gekommen, um den Fachgenossen einen kurzen Bericht darüber mitzutheilen. Die Frage von der Einrichtung und dem Betrieb einer derartigen Anstalt hängt mit der Frage von der Methodik des Unterrichtes innig zusammen und diese kann durch die öffentliche Discussion sicherlich nur gewinnen. Anweisungen zur Darstellung aller denkbaren anatomischen und histologischen Spezialverhältnisse werden Jahr für Jahr bis ins kleinlichste Detail publicirt. Wie aber die schwierige Aufgabe zu lösen sei, grössere Mengen junger Männer innerhalb vorgeschriebener Frist wirksam in eine, durchaus auf An- schauung beruhende Wissenschaft einzuführen, darüber kann man sich weder in Büchern noch in Zeitschriften Raths erholen. Ein Jeder der jener Aufgabe gegenüber gestellt wird, der hat, sofern er nicht das Glück guter Traditionen besitzt, seine Schule von vorn anzufangen, und, ohne auf gemeinsame Erfahrung sich stützen zu können, muss er zusehen, wie er von sich aus der Schwierigkeiten Herr wird. Ich habe übrigens noch ein persönliches Motiv zur öffentlichen Berichterstattung: In grossartigster Weise hat die königl. sächsische Regierung. die Mittel zur Erbauung und Einrichtung der Anstalt be- willigt, und indem sie eine den Anforderungen der Wissenschaft ent- sprechende Schöpfung verlangte, hat sie die Ausführung ihres Ver- langens durch keinerlei beschränkende Nebenbedingungen eingeengt. Der von ihr bestellte Architekt Herr Gustav MÜLLER, über eine 412 XXVI. WitHeLm Hıs. ausgedehnte Erfahrung gebietend und speciell auch in wissenschaft- lichen Bauten bewährt, hat sich der ihm gestellten Aufgabe mit grösster Hingebung unterzogen, und eine nicht genug zu rühmende Einsicht gerade darin an den Tag gelegt, dass er im Grossen, wie im Kleinen die Bedürfnisse der Anstalt allen andern Rücksichten voran- gestellt hat. So sind die äussern Bedingungen für das Zustande- kommen eines zweckmässigen Baues ungewöhnlich günstige gewesen und auf meine Rechnung hätte ich es zu nehmen, falls das angestrebte Ziel nicht wirklich erreicht worden wäre. Ich gedenke in diesem Berichte offen hervorzuheben, welche von den getroffenen Einrichtungen sich bewährt haben, welche als über- flüssig, oder als verfehlt anzusehen sind. Die Eröffnungsrede lasse ich vorausgehn, weil sie eine Art von Programm darstellt, an das sich die weitern Auseinandersetzungen sachgemäss anfügen. Eröffnungsrede gehalten den 26. April 1875. H. A. Es sind nun etwas über 40 Jahre her, da sah sich die Leipziger medicinische Faeultät durch äussere Gründe veranlasst, über den Stand der damaligen wissenschaftlichen Anstalten in einer kleinen Druckschrift Bericht zu erstatten ). Bescheidene Institutskeime werden uns da vorgeführt. Nur andeutungsweise verlautet die Wünschbarkeit eines physikalischen Laboratoriums. Ein öffentliches chemisches Labo- ratorium, mit 100 Thalern Jahreszuschuss ausgestattet, besteht nur für technische Chemie, der Professor der allgemeinen Chemie ist darauf angewiesen aus seinem Gehalte von 200 Thalern ein Privatlaboratorium zu miethen und zu unterhalten. — Ebenso mager lauten die Berichte über den Stand der naturwissenschaftlichen Sammlungen und über die Mittel zur Mehrung der medieinischen Bibliothek. Ueber die anatomische Anstalt wird uns mitgetheilt, dass sie aus einer Etage nebst Dachetage in einem kleinen Hause besteht. Ein grosser unheizbarer Saal dient als Sammlungs- und als Vorlesungs- raum, und im Winter werden in einem und demselben Zimmer die Vorlesungen und die Präparirübungen abgehalten. Für die Reinlich- keit der Anstalt kann nur durch herbeigetragenes Wasser gesorgt, und zur Belästigung der Nachbarschaft müssen auch alle Abwässer in Ge- fässen nach Aussen hin fortgetragen werden. Heute, meine verehrten Anwesenden, befinden wir uns am Ein- gange einer Strasse, in welcher ein grossartiges Gebäude auf das an- 1) Ueber die Bedürfnisse und Mittel der Universität Leipzig mit vorzüglicher Berücksichtigung des medicinischen Lehrfaches. Leipzig 1833, gedr. bei Staritz. Bericht über die anatomische Anstalt in Leipzig. 413 dere folgt, deren jedes einer besonderen Seite wissenschaftlichen Unter- richts und wissenschaftlicher Arbeit gewidmet ist. Wir finden uns inmitten eines umfänglichen Baues, welcher für den anatomischen Unterricht bestimmt, allein an überirdischen Räumen gegen 40 ent- hält. Helles Licht strömt uns durch lange Fensterreihen, reichliches Wasser aus- allen Wänden entgegen, und die viel besprochene Esse an der Nürnbergerstrasse bietet Gewähr dafür, dass in jeder Jahres- zeit für genügende Durchlüftung und Durchwärmung des Gebäudes gesorgt sei. Der weitherzige Sinn, welchen die Regierung S. verstorbenen Majestät des Königs Johann dem Unterrichte, sowie der Pflege der Wissenschaften und Künste entgegengebracht hat, jener Sinn, welchem auch S. Majestät König Albert treu geblieben ist, und an dessen Segnungen die Universität Leipzig einen so reichen Theil hat, er hat sich von neuem bewährt bei Errichtung der Anstalt, welche heute dem Gebrauche übergeben wird. Der lebhaften Beistimmung aller Universitätsgenossen glaube ich daher gewiss zu sein, wenn ich vor Allem den wärmsten Dank an die hohe Regierung ausspreche, von welcher die Schöpfung ausgegangen ist, sowie den Dank an die hohen Stände, welche deren Entstehung möglich gemacht haben. Erlauben Sie mir, dass ich Ihnen mit wenigen Worten die Ge- schichte der jungen Anstalt vorführe und dass ich im Anschluss daran, Ihnen auseinandersetze, von welchen Gesichtspunkten aus die Anlage des Baues erfolst ist. Jene primitiven Zustände, von deren Existenz in dem alten Locale Sie soeben vernommen haben, haben in der Folge durch einen im Jahre 1858 erfolgten Umbau eine gewisse Verbesserung gefunden. Eingeschlossen zwischen andern Gebäuden konnte das alte Haus aller- dings nur nach oben hin, durch Aufbau neuer Stockwerke erweitert werden, und auch die neuen Räume entbehrten grossentheils des er- wünschten Lichtes und der nöthigen Luft. Aus den engen und dunkeln Räumen heraus sind jedoch durch Decennien hindurch leuchtende Gedanken ausgegangen und grosse Ge- biete anatomisch-physiologischen Wissens verdanken ihren heutigen Grad von Klarheit dem edlen Brüderpaare, welches jene Räume so lange, man darf wohl sagen, beseelt hat. Unter den Bedingungen geistiger Arbeit treten die äusseren nur in späte Linie und wir, die wir die neue glänzende Anstalt beziehen dürfen, würden schlecht mit unserer Rechnung bestehen, wollte man eben nach dem Maass- stabe der äusseren Bedingungen unsere kommenden Leistungen messen. 414 XXVI. WILHELM Hıns. Am 26. April 1869 (heute vor 6 Jahren) wurde die neue, seit- dem schon so segensreich gewordene physiologische Anstalt eingeweiht, und schon am 28. April desselben Jahres erfolgte Seitens seiner Exc. des Ministers von Falkenstein eine Verordnung an die Facultät, worin der Wille der hohen Regierung ausgesprochen wurde, die bis- herige unzweckmässig liegende Anatomie zu Gunsten der Bibliothek aufzugeben und in der Nähe der übrigen medicinischen Institute eine neue, den Anforderungen der Wissenschaft entsprechende Anstalt zu errichten. Die nächsten Jahre wurden mit Entwerfung von Bauplänen ver- bracht, wobei der Gedanke massgebend war, die Anatomie mit der Zoologie in einem gemeinsamen Gebäude zu verbinden. Eine Reihe, theils mehr, theils minder eingehend durcharbeiteter Pläne, die in den Archiven des Rentamtes aufbewahrt werden, legen Zeugniss davon ab, mit welchem Eifer die Facultät den ihr vorgelegten Gedanken er- fasst hat, zugleich aber auch davon, welche Schwierigkeiten sie ge- funden hat, zwei in ihren Anforderungen so selbstständig dastehende Anstalten unter einem Dache zu vereinigen. Nachdem sich vor drei Jahren, gleich nach meiner Hieherberufung Gelegenheit ergeben hatte, Ihren Excellenzen den Herren Minister Dr. von Gerber und Geheimen Rath Dr. Hübel diese Schwierigkeiten vorzutragen, erfolgte, dank deren stets bereiter Fürsorge um Leipzigs wissenschaftliches Gedeihen, die Verordnung, welche den Bau der gegenwärtigen rein anatomischen Anstalt anbefahl. Auf Grund der damals dem hohen Ministerium vorgelegten Skizzen fand nun die Ausführung der Pläne statt und in ununterbrochener Reihenfolge schloss sich daran diejenige des Baues selbst. Unter den vorübergehenden Schwierigkeiten waren die wichtigsten wohl die, welche sich aus der enorm raschen Steigerung der Baupreise im Winter 1872/3 ergeben haben. Es wurde dadurch eine völlige Umarbeitung der vorangegangenen Berechnungen und eine Nachforderung an die hohen Stände erforderlich. In dieser ganzen Zeit habe ich mich glücklich geschätzt, an der Seite zweier so thätiger und so einsichtsvoller Männer wie der Herren Hofrath GrAF und Architekt MÜLLER arbeiten zu dürfen, welche in allen schwierigen Fällen immer wieder Rath und willfährigen Bei- . stand zur Hand gehabt haben. Auch diesen Herren sage ich persön- lich, sowie im Namen der Universität den herzlichsten Dank für ihre unausgesetzt wohlwollende '"T'hätigkeit. Je grossartiger die Mittel sind, welche für die Ausführung eines derartigen Baues beansprucht werden, um so schwerer lastet die Ver- Bericht über die anatomische Anstalt in Leipzig. 415 antwortlichkeit der Anlage und der Einrichtung auf demjenigen, welcher für deren wissenschaftliche Zweckmässigkeit einzustehen hat. Schon die eine Frage von der wünschbaren räumlichen Ausdeh- nung der Anstalt musste ja Sache ernster Erwägung sein. Mit der wachsenden Ausdehnung wächst in steigender Proportion die Sorge des äusseren Betriebes, und über eine gewisse Grenze hinaus wird man Gefahr laufen, einen unverhältnissmässigen Aufwand von Mitteln und von Arbeitskraft auf diese Aeusserlichkeiten verwenden zu müssen. Wo liegt die Grenze zwischen der zu engen, binnen kurzem unge- nügend werdenden und der übertrieben ausgedehnten Anlage? Die in Leipzig selbst und anderwärts gemachten Erfahrungen mussten auf das Bestimmteste davor warnen, zu dicht bei der Grenze des augen- blickliehen Bedürfnisses stehen zu bleiben, und so wurde als Norm für die verschiedenen Raumberechnungen eine Frequenz der Anstalt von 150 Studirenden mit einem eventuellen Maximum von 200 ange- nommen. Die Zahl von 150 wurde bei den Vorlesungen bis dahin nicht erreicht, wohl aber bei den praktischen Arbeiten. Das Maximum von 200 hat meines Wissens bis dahin keine deutsche Anstalt erreicht. In einigen der grossen Sammeluniversitäten des Auslandes wird es er- heblich überschritten. Die dabei zu Tage tretenden Uebelstände er- weisen sich jedoch als sehr schwere }). Ist die Freguenznorm einmal angenommen, so handelt es sich um die Feststellung und Disposition der zu erstellenden Räume. Da ist nun allerdings der individuellen Auffassung ein breiter Spielraum gelassen. Wie in andern Wissenschaften, so pflegen auch in der Anatomie Ver- treter desselben Faches ihre Aufgaben in wechselndem Sinne aufzu- fassen. Dieser concentrirt sich auf die mit unbewafinetem Auge durch- führbare Zerlegung des menschlichen Körpers, jener legt ein Haupt- gewicht auf den mikroskopischen Bau der Theile, ein dritter und vierter gravitiren nach Seiten der vergleichenden Anatomie, nach der experimentellen Physiologie, nach der Entwicklungsgeschichte oder nach der ethnographischen Anthropologie. Jede dieser Richtungen aber wird ihre besonderen Anforderungen an die zu schaffende Anstalt stellen. Nun soll allerdings an einer grossen Anstalt einer jeden dieser Richtungen ihr Recht werden, allein das Maass, nach welchem jeder Antheil zu bemessen ist, das ist ja kein fest normirtes. Und sollten wir wirklich dahin gelangen unter unseren heutigen Fachge- nossen Einigung über die aufzustellenden Normen zu erzielen, so 1) Man vergl. das seitdem erschienene Buch Tu. Bırrrore’s: Ueber das Lehren und Lernen der medic. Wissenschaften. Wien 1875. 8. 262 u. f. Zeitschrift f. Anatomie, Bd. II. SD 416 XXVI. WirHeım Hıs. würden doch sicherlich in 20 und in 40 Jahren unsere Nachfolger zur Beantwortung neuer Fragen Hülfsmittel beanspruchen, auf welche wir heute keinen Bedacht nehmen konnten. Kann unter solchen Umständen eine, auch nur auf eine Reihe von Jahrzehnten befriedigende wissenschaftliche Anstalt geschaffen werden? Ich glaube, dass diese Frage bejaht und verneint werden kann, je nachdem man sie auf die allgemeine Anlage, oder auf die speciellen Einrichtungen bezieht. Letztere, selbst mit Einschluss der Sammlungen, werden immer ein mehr oder minder wechselndes, von der individuellen Richtung der an der Anstalt arbeitenden Männer und von den herrschenden wissenschaftlichen Phasen abhängiges Gepräge tragen. Die allgemeine Anlage aber einer Anstalt muss sich so ge- stalten lassen, dass sie auf lange Zeiträume hinaus den voraussicht- lichen Bedürfnissen sich anpasst. Grundforderung an eine anatomische Anstalt, mag sie eine Rich- tung verfolgen, welche sie will, werden in alle Jahrhunderte hinaus gut gebaute, zum Sehen wohl eingerichtete Auditorien und helle, luftige Arbeitsräume sein. Dass es aber unsern Herrn Architekten gelungen sei, dieser einen Grundforderung in reichlichem Maasse ge- recht zu werden, davon werden Sie sich, wie ich hoffe, bei der nach- folgenden Besichtigung der Anstalt vollauf überzeugen. In dem einen Punkte der grossen Fenster ist bei uns Luxus getrieben worden, im Uebrigen aber werden Sie jeglichen, durch die wissenschaftlichen Zwecke nicht motivirten Aufwand vermissen. Wir sind darin der vortrefflichen Tradition der Leipziger Institutsbauten gefolgt, welche den unwesentlichen Aufwand bei Seite lässt, um dem wesentlichen ein um so volleres Recht zu Theil werden zu lassen. Unsere Anstalt soll, wie ihre Schwesteranstalten, zwei getrennte Aufgaben erfüllen, sie soll der wissenschaftlichen Forschung und dem wissenschaftlichen Unterrichte dienen. Die Forderungen, welche die wissenschaftliche Forschung stellt, sind weitaus die bescheideneren. Der Natur der Sache nach kann an einer und derselben Anstalt die Zahl der als Forscher thätigen Arbeiter stets nur eine mässige sein. Einige einfache Zimmer, die nöthigen Beobachtungsinstrumente und das nach Maassgabe der Arbeit meistens besonders zu beschaffende Beobachtungsmaterial reichen zu jeglicher anatomischen Forschung aus, das Uebrige müssen die Sinne und der Sinn des Arbeitenden selbst hinzubringen. Um so bedeutendere Anforderungen an eine Anstalt stellt der wissenschaftliche Unterricht und über diesen wichtigen Punkt mag es mir vergönnt sein, etwas weiter auszuholen. Bericht über die anatomische Anstalt in Leipzig. 417 Das Problem der richtigen ärztlichen Erziehung ist ein brennen- des, und Jeder, der in der einen, oder in der andern Weise an dessen Lösung Antheil nimmt, hat wohl schon seine schweren Gedanken darüber gehabt. Wir verlangen vom zukünftigen Arzte, dass er eine durchgreifende humane Bildung besitze. Auf naturwissenschaftlichem Gebiete soll er nicht allein allseitig orientirt sein in Zoologie, Bota- nik, Mineralogie, Geologie sowie in dem weiten Gebiete der Chemie, sondern er muss, falls er nicht an den allerersten Fundamenten Noth leiden will, sich eine sichere Herrschaft über jene Grundbegriffe zu eigen gemacht haben, auf welchen das Verständniss aller physischen Vorgänge beruht. Eine gediegene mathematisch-physikalische Schulung wird der Mediciner je länger, je weniger entbehren können. Selbst- verständlich ist sodann die Nothwendigkeit einer genauen Kenntniss von der Körperorganisation nach ihrem gröberen und feineren Detail, sowie von dem, unserer Einsicht zugänglichen Spiele seiner Lebens- erscheinungen. Es müssen dem Mediciner die Veränderungen geläufig sein, welche gröbere und feinere Gebilde des Körpers unter krank- machenden Bedingungen erfahren. Der Zusammenhang dieser Ver- änderungen mit dem Verlauf der Krankheiten, die Mittel zu deren Erkennung, zur Erkennung ihrer Ursachen und zu ihrer Bekämpfung muss er studirt haben, und, da er ja auch mit den Forderungen der allgemeinen Gesundheitspflege vertraut zu werden hat, so soll er ge- nügende Einsicht in den verwickelten Mechanismus bürgerlichen und socialen Lebens erwerben, um zu erkennen, von wo dem allgemeinen _ Wohlsein Gefahren drohen, und wie sie zu beseitigen sind. Neben alle dem hat sich der Mediciner eine Unzahl technischer Fertigkeiten anzueignen: die Technik anatomischer, mikroskopischer, chemischer Untersuchung, die Technik zahlreicher operativer Eingriffe und die täglich anwachsende Menge jener Verfahrungsweisen, welche nöthig sind, um den in der Tiefe liegenden Organen ihre Eigen- schaften abzulauschen, oder abzusehen. Die Zahl der Vorlesungen, Curse und praktischen Uebungen, worin dem angehenden Medieiner diese Kenntnisse und Fähigkeiten beige- bracht werden, ist eine ausnehmend grosse. Eine mässige Zählung der absolut nothwendigen und der wünschbaren unter ihnen in unserem dermaligen Lectionscataloge gibt eine Zahl, welche 50 übersteigt. Auch bei der sorgfältigsten Ausnützung seiner Zeit hat der Studirende Mühe im knappen Rahmen der vier vorgeschriebenen Studienjahre sich durch das nothwendigste seines Pensums hindurchzuarbeiten, und nur ausnahmsweise werden sich receptive Capacitäten finden, welche DE 418 XXVI Wiırnzım His. es zur bleibenden Sicherung des während der vier Jahre eingespeicherten Vorrathes bringen. Mit dem, an sich so erfreulichen Wachsthum unseres allgemeinen Wissensschatzes wächst aber auch die Zahl der zu dessen Darstellung nöthigen Lehrer und die von ihnen zur Mittheilung in Anspruch genommene Zeit. Dies Wachsthum erfolgt stetig und rasch. Wo noch vor wenig Jahrzehnten ein Lehrer ausreichte, da sehen wir heute meistentheils zwei und drei vollauf beschäftigt ihren Gegenstand zu bewältigen. Kaum zu ahnen sind die Dimensionen, welche die Zer- spaltung der Fächer in einem halben Jahrhundert kann angenommen haben. Wollen wir auch die alsdann eintretenden Studiensorgen unsern Söhnen und Enkeln überlassen, so bleibt doch immer für uns die Frage bestehn, wie wir unter den heutigen Verhältnissen unseren Schülern das Bestmögliche bieten können? Das Eine ist klar, dass auch der Bestgeschulte nach Beendigung seiner Studien aufhören muss, auf dem breiten Boden, auf welchem er bis dahin sich bewegt hat, gleichmässig weiter zu schreiten. Er wird sich nach der einen oder nach der anderen Seite hin sein Ge- biet auswählen, auf welchem er sicher zu werden und zur vollen Frei- heit der Erkenntniss und des Handelns zu gelangen strebt. Jetzt erst beginnt die eigentlich hohe Schule für ihn, und seine Lehrmittel sind von da ab die eigene Beobachtung und die kritische Verwerthung der ihm zugänglichen Litteratur. Zu beobachten und zu urtheilen das sind die beiden Fähig- keiten, welche der Mediciner als bleibende Errungenschaften aus seiner Studienzeit ins Leben herübernehmen muss, und diese Fähigkeiten sollen sich anschliessen an einen Kern fester, durch selbstständiges Denken zu eigen gemachter Grundanschauungen. Anatomisches Detail, physiologische Lehren und pathologische Einzelneiten können vergessen werden. Ist aber jener verlangte Kern festsitzender Fundamentalanschauungen und ist das Vermögen selbst- ständiger Geistesarbeit vorhanden, dann hat es auch keine Noth, jeder- zeit nach der Richtung weiter zu bauen, die eben das individuelle Entwicklungsbedürfniss des Betrefienden mit sich bringt. Je breiter unser Unterrichtsstoff wird, um so mehr müssen wir darauf Bedacht nehmen, nicht allein selbst den Stoff in steigendem Maasse zu beherrschen, sondern auch in den Studirenden die Fähig- keiten zu wecken, welche ihn zu dessen eigentlicher Beherrschung zu führen vermögen: die Fähigkeit eigener Beobachtung und die Fähig- keit zu naturwissenschaftlichem Denken. Diese Fähigkeiten sind keine selbstverständlichen, und bei aller Bericht über die anatomische Anstalt in Leipzig. 419 Anerkennung des hohen Werthes einer gründlichen elassischen Bildung auch für die angehenden Naturforscher und Mediciner, kann nicht verkannt werden, dass die aus unseren Gymnasien mitgebrachte Vor- bildung nach einer wichtigen Seite geistiger Entwicklung hin eine ungenügende ist. Das pädagogische Laienurtheil, das sich mir im Verkehr mit den Jungen Anfängern von Jahr zu Jahr wieder aufgedrängt hat, geht da- hin, dass die rein formalen Operationen mit schulmässig festgeformten Begriffen zu sehr in den Vordergrund treten gegenüber der Entwick- lung des Vermögens, frei aus gegebenem Denkstoff sich die eigenen Begriffe zu bilden und diese bei erweiterter Erfahrung aus- und um- zuarbeiten. Selbst bei hervorragenden Männern der Wissenschaft lässt sich die Neigung zur rein formalen Bewältigung des Stoffes als Nachwirkung ihrer anerlernten Denkweise häufig noch in sehr bestimmter Weise erkennen, und der Scharfsinn ist immer noch eine verbreitetere Eigenschaft als der von dem Naturforscher und Arzte vor Allem zu erwerbende Scharfblick. Gleich beim Eintritt in sein Studium empfängt den jungen Mediciner die Anatomie, welche durch ihren eminent positiven Inhalt, sowie durch ihre einfachen klaren Methoden in ganz besonderem Maasse geeignet ist, für ihn zu einer Schule des Beobachtens und des natur- wissenschaftlichen Denkens zu werden, und welche in letzterer Hin- sicht dem noch weiter führenden Einflusse ihrer Schwesterwissenschaft der Physiologie den Weg ebnet. Die Kenntnisse aber, welche der Studirende von der Anatomie entnimmt, sie sind der Boden, auf wel- chem durch alle nachfolgenden Stufen des Studiums hindurch immer und immer wieder weiter gebaut wird und je früher und je fester er sich daher jene Kenntniss zu eigen macht, mit um so mehr Sicherheit und Gewinn wird er sich auch durch alle die nachfolgenden Phasen seiner wissenschaftlichen Entwicklung durcharbeiten. Es ist der Natur der Sache nach klar, dass der anatomische Unter- richt an kleineren Anstalten mit sehr viel geringeren Schwierigkeiten zu kämpfen hat als an grösseren. An letzteren müssen daher alle er- denkbaren Unterstützungsmittel herbeigezogen werden, damit der Stu- dirende nicht etwa nur einen geschriebenen Vortrag mit sich nehme, sondern einen gehörigen Betrag von Anschauungen und ein für Auf- fassung räumlicher Verhältnisse wohl geübtes Auge. Von diesem Gesichtspunkte aus mögen Sie eine Reihe von besonderen Einrichtungen betrachten, welche Ihnen unser Gebäude darbietet, die Einrichtung unseres Auditoriums, die des daranstossenden Demonstrationssaales und anderes mehr. 420 XXVI Wirnserm His. Um auf die Anordnung des Gebäudes einzugehen, erinnere ich zunächst daran, dass an unserer Anstalt zwei getrennte Abtheilungen vorhanden sind, deren eine, Herrn Prof. Braune unterstellt, ausschliess- lich der topographischen Anatomie dient. In gleich durchgreifender Weise ist die Trennung der topographischen Anatomie vom Gesammt- fache bis jetzt nur in Leipzig durchgeführt, und sie setzt allerdings jene nahen collegialen Beziehungen zwischen den zwei nebeneinander arbeitenden Vorstehern voraus, deren wir uns hier erfreuen. Im Prä- parirsaale der topographischen Abtheilung, einem in Leipzig zum ersten Male organisirten Institute, wird den Medieinern späterer Semester, welche nach Anhörung der Kliniken wieder mit ganz anderen Gesichts- punkten an die Anatomie herantreten, mit dem anatomischen Material die Gelegenheit geboten ihre Kenntnisse aufzufrischen und nach kli- nischen Gesichtspunkten hin zu erweitern. Die Räume, welche der topographischen Abtheilung zufallen, finden Sie im vorliegenden Plane in der westlichen Hälfte des Erd- geschosses, sie bestehen aus einem kleineren Auditorium, aus einem Zurüste- und Arbeitszimmer für den Professor, aus der Sammlung und der Assistentenwohnung. An letztere stösst ein Examinandenzimmer an. Im Hintergebäude liegt sodann der topographisch-anatomische Präparirsaal und daneben ein Präparirzimmer für den Professor, die übrigen Räume des Erdgeschosses und die erste Etage des Haupt- gebäudes fallen der Hauptabtheilung der Anstalt zu. Ausser dem 1) Auditorium mit seinen Nebenräumen sind es: 2) Sääle für die praktischen Uebungen der Studirenden an der Leiche, 3) Grössere Mikroskopirzimmer, 4) Sammlungsräume, 5) Laboratorien für die wissenschaftlichen Arbeiten der Anstalts- angestellten und der vorgerückteren Schüler, 6) Assistentenwohnungen und sonstige Nebenräume, 7) Mechanische und photographische Werkstätte. Eine Reihe weiterer Räume, nämlich die Wohnungen für das Per- sonal, die Injectionsküchen, die Waschküche, die Vorrathsräume, der Eiskeller und die Leichenkeller sind im Souterrain angebracht, und in einem besondern kleinen Anbau stehen der Dampfkessel und die Ventilationsanlage. Die allgemeine Gliederung des Baues ist folgende; Das besondere, der Brüderstrasse zugekehrte Gebäude enthält die sämmtlichen Präparirräume und im Souterrain die Leichenkammern, Injeetionsküchen u, s. w. | Bericht über die anatomische Anstalt in Leipzig. 421 Für das Präpariren der Studirenden sind bestimmt: der grosse 16fenstrige Mittelsaal und die 2 Sääle an den Enden des Gebäudes, für dasjenige der Anstaltsangestellten die 3 dazwischen eingescho- benen besondern Zimmer. Von-den Endsäälen ist, wie soeben mitge- theilt wurde, der westliche der topographisch-anatomischen Abtheilung zugewiesen, und derselbe dient während des Sommers auch zu den chirurgischen Operationsübungen. Dadurch, dass das Präparirsaalgebäude weit vom Hauptgebäude abgerückt, durch zwei lange Gänge mit diesem verbunden und ein- stöckig gemacht wurde, ist es gelungen auch der Rückseite des Haupt- gebäudes volles Licht zuzuführen. Im Hauptgebäude ist an das östliche Ende, als das ruhigere von beiden, der amphitheatralische Hörsaal verlegt worden. Der steile, den Sehlinien der Zuschauer angepasste Aufbau seiner Sitze und die Anbringung der Zugänge in zwei Seitenthürmehen sind dem vorzüg- lichen Auditorium unseres, leider so früh verstorbenen Collegen ÜZERMAK entlehnt, während für die sonstige Anordnung unseres Hör- saales dessen besondere Bestimmung maassgebend gewesen ist. Im Anschlusse an das Auditorium finden Sie einen, dem östlichen Verbindungsgange entlang laufenden Saal, den Demonstrationssaal. Bei dessen Construction sind wir von der Thatsache ausgegangen, dass es auch im bestgebauten Auditorium unmöglich sei, bei grösserer Zu- hörerzahl feinere Objecte zur Anschauung zu bringen. Es sollen da- her die Zuhörer zu den Objeeten selbst geführt werden, welche, mit passenden schriftlichen oder bildlichen Erläuterungen versehen, im Nebensaale aufgestellt sind. Die im Demonstrationssaale befindliche Terrasse hat den doppelten Zweck: 1) die Demonstrationsreihe zu ver- doppeln, 2) solche Gegenstände auf erhöhten Tischen aufzustellen, welche besser in Augenhöhe und von vorn her beleuchtet gesehen werden. Selbstverständlich gewähren die zahlreichen und breiten Fenster dieses Saales auch den Raum für ausgiebige Entfaltung von Mikroskopenreihen. Ein, nach der Richtung des Hauptgebäudes an das Auditorium stossender Raum dient als Zurüstezimmer für die Vorlesungen, zum Zusammenstellen der Präparate u. s. w. Ausserdem enthält die öst- liche Erdgeschosshälfte des Hauptgebäudes: das Prosectorszimmer, ein. kleines Geschäftszimmer, eine Assistentenwohnung, eine Hausmanns- loge und auf der Nordseite die Mikroskopirzimmer. In der obern Etage sind die Sammlungssääle, die verschiedenen besondern Laboratorien und Werkstätten für Zeichner, Modelleure und Mechaniker, für feinere Injection und für chemische Arbeiten, ferner 422 XXVI. Wiıraeım Hıs. die Bibliothek, das Apparatenzimmer und das Arbeitszimmer des Vor- stehers. Die leichte Verbindung mit den unteren Räumen ist durch eine kleine Treppe und durch einen Aufzug gesichert. Von den Räumen im und unter dem Souterrain verdienen der Eiskeller und die Heiz- und Ventilationsanlage eine besondere Erwäh- nung. Der Eiskeller liest unter dem Auditorium und fasst etwa 100 Wagenladungen oder 170 Cubikmeter. Sein Gewölbe reicht indess nicht bis unter den Fussboden, sondern es ist von diesem durch ein System zwischen geschobener Kammern getrennt. Es ist hierdurch der Fussboden vor zu intensiver Abkühlung, der Keller vor Erwärmung geschützt, und es sind sehr werthvolle kühle Räume gewonnen zur Aufbewahrung vorhandener anatomischer Vorräthe. Ein besonders wichtiges Organsystem unserer Anstalt ist die Heiz- und Ventilationsanlage. Der treibende Mittelpunkt dieses Systems liegt in dem kleinen Anbau am westlichen Verbindungsgange, hier finden sich zwei mächtige Dampfkessel von denen aus die Heizröhren gespeist und zugleich die luftbringende Dampfmaschine getrieben wird. Weite, der Luftzufuhr dienende Kanäle ziehen sich unter dem ganzen Gebäude entlang und münden mittelst ihrer Zweigkanäle in die zu ventilirenden und zu heizenden Räume des Gebäudes ein. Ein von der Dampfmaschine getriebenes Rad, der sogen. Ventilator, schöpft im Hofe die frische Luft und treibt sie durch das dazu bestimmte Röhren- system. Behufs der Heizung aber tritt die Luft bei ihrer Abzweigung aus den Hauptkanälen in besondere von Dampfspiralen durchzogene Kammern und von hier aus erst gelangt sie in erwärmtem Zustande in die Räume des Gebäudes. Die Einzelheiten der verwickelten Anlage werden diejenigen der verehrten Anwesenden, welche sich dafür interessiren, in den Zeich- nungen dargestellt finden, welche Herr Architekt Müuter im Demon- strationssaale aufhängen zu lassen die Gefälligkeit gehabt hat. Es ist, hochverehrte Anwesende, die Anstalt, zu deren nunmehrigen Besichtigung ich Sie einlade, nach all ihren äusseren Entwicklungs- bedingungen sehr reich ausgestattet. An uns, die wir daran zu arbeiten berufen sind, ist es, dafür zu sorgen, dass das an ihr sich entwickelnde Leben in einem den günstigen Bedingungen entsprechenden Maasse 'sich entfalte. Und so möge denn die neu eröffnete Anstalt eine Stätte strenger Arbeit werden, zum Nutzen der studirenden Jugend und zum Frommen der Wissenschaft! Bericht über die anatomische Anstalt in Leipzig, 423 [> Die allgemeine Disposition des Baues und die wich- tigsten Dimensionen seiner Räume. Das Grundstück, welches der anatomischen Anstalt zugewiesen worden ist, bildet ein Trapez mit abgestutzter, spitzer Ecke. Die beiden langen Seiten messen je 73, die kurzen je 62m., der Winkel, unter dem jene zusammen- treffen 75°1) Nach Süden, Westen und Norden ist das Grund- stück von Strassen, nach Osten von einer öffentlichen Anlage ein- gefasst, und da von den beiden die Langseiten einfassenden Strassen die eine, die westlich gelegene Nürnbergerstrasse, von hohen Häusern besetzt ist, war dieselbe von vornherein als Frontlinie des Baues aus- zuschliessen. | Wie oben schon angedeutet worden ist, so ist es durchaus nöthig, den zu wählenden Dimensionen der Auditorien, Präparirsäle u. s. w. eine bestimmte Frequenznorm zu Grunde zu legen. Die hieraus sich ergebenden Dimensionen jener Haupträume sind weiterhin bestimmend für die übrige Anlage des Baues. Ein Faecultätsgutachten vom Jahre 1869 hatte 100—120 Studirende vorgesehen, indess war schon im Winter 1871/72 die Zahl der Präparanten auf 120 gekommen, und da sie während der letzten fünf Winter zwischen 140—160 hin- und her- geschwankt hat (ungerechnet die Theilnehmer an den besonders abge- haltenen sog. „Uebungen für Kliniker“), so ist allerdings die Norm von 150 gerechtfertigt. Folgende Gruppen von Räumen waren in der Anstalt unterzu- bringen: I. für den theoretischen Unterricht ein amphitheatralischer Hör- saal mit wenigstens 150 Sitzplätzen nebst Vorbereitungszimmer und langem vielfenstrigen Demonstrationssaal, dazu noch ein kleines, nicht amphitheatralisches Auditorium. II. Für die praktischen Arbeiten der Studirenden: genügend grosse Präparirsääle nebst Nebenräumen, Sääle für mikroskopische Arbeiten und ein Zimmer für die Arbeiten der Examinanden. III. Wissenschaftliche Arbeitsräume für das Anstaltspersonal und Werkstätten für Mechaniker, Zeichner, Photographen u. s. w. IV. Sammlungssääle. 1) Die schiefe Gestalt des Grundstückes bildete insofern eine Schwierigkeit für den Bau, als der Rath der Stadt Leipzig anfangs die Concession an die Bedingung knüpfen wollte, dass alle Theile des Gebäudes parallel den um- gebenden Strassen verliefen. Diese Forderung war unannehmbar, und es bedurfte wiederholter Eingaben und Unterhandlungen, um die Zurücknahme derselben zu erreichen, 424 XXVI, WiırHeım Hıs. V. Wohnungen für Assistenten und für Diener. VI. Stallungen, Macerirkammer, Leichenkammer u. s. w. Zu alle dem kamen die Räume für die topographische Abthei- lung, deren Zahl und Ausdehnung nach der Stellung zu bemessen war, welche diese Abtheilung zur übrigen Anstalt einzunehmen hat. Ueber diesen Punkt mögen mir einige Worte gestattet sein. An demselben Tag, an welchem ich meine Ernennung zum Professor der Anatomie in Leipzig erhielt, ist auch ein Ordinariat für topographische Ana- tomie geschaffen und meinem nunmehrigen Üollegen BRAUNE über- tragen worden. Ich habe von dieser Professur erst Kenntniss erhalten, nachdem sie vollendete Thatsache war, und es handelte sich also darum, nachträglich die richtigen Grenzen des beiderseitigen Arbeitsfeldes abzustecken. Vom ersten Augenblicke an haben wir uns geeinigt, das Princip gemeinsamer Arbeit vor Allem hoch zu halten. Dem entsprechend ist unser Verhältniss durch die ganze Zeit hindurch ein ungestört freundschaftliches geblieben. Immerhin sind wir, sowohl was die Sammlungen, als was die Präparir-Uebungen und die Vor- lesungen betrifft, erst nach mehrjährigen Versuchen zu einem geregelten Modus vivendi gekommen, und ich möchte nicht garantiren, dass das gleiche Experiment, öfters wiederholt, stets einen gleich guten Erfolg haben wird. Das Zusammenschieben zweier gleichberechtigter, im Grunde grossentheils sich deckender Professuren im gleichen Institute und ihre Anweisung auf dasselbe Material ist als Organisation gefähr- lich, unl kann nur allzu leicht zur Quelle intensiver, das Anstalts- leben schädigender Conflikte werden. Ich hatte im Interesse scharfer Competenzscheidung Herrn Prof. BrAunE vom Anfang ab vorgeschlagen, eine eigene Sammlung anzu- legen und einen eigenen Präparirsaal zu führen. Im Laufe dieser vier Jahresind wir indess dahin gekommen, die strenge Scheidung sowohl der Sammlungen, als der Präparirsääle fallen zu lassen, weil die eine wie die andere sich als undurchführbar erwies. Es liegt in der Natur der Sache, dass topographische Anatomie, falls sie nicht geradezu von einem praktischen Chirurgen in Verbindung mit Operationslehre und pathologischer Anatomie betrieben wird, von der systematischen Ana- tomie gar nicht zu scheiden ist. Eine systematische Vorlesung ohne genauen Situs viscerum, ohne eingehende Beschreibung von Leisten- und Schenkelkanal, oder ohne durchgreifende Berücksichtigung des Gefässverlaufes ist undenkbar, und was Alles von sogenannter syste- matischer Anatomie in einer Darstellung der topographischen Platz hat, das zeigt am schlagendsten das classische Lehrbuch von LuscHkA, Bericht über die anatomische Anstalt in Leipzig, 495 welches bekanntlich zu allem übrigen Detail die ganze specielle Histo- logie mitumfasst. Streng genommen war durch eine Verdoppelung der anatomischen Professur auch eine Verdoppelung der anatomischen Anstalt geboten. Um indess in der Hinsicht nicht zu weit zu gehen, hatten Herr Prof. BRAUNE und ich uns verständigt, dass ausser Arbeitszimmer, Samm- lungssaal und Assistentenwohnung noch ein kleiner, im Sommer dem Operationscurs dienender Präparirsaal und das kleinere der beiden Auditorien speciell der topographischen Abtheilung sollten zugewiesen werden, unter der weiteren Voraussetzung, dass beide Auditorien nach Bedarf von beiden Theilen benutzt werden könnten. Sämmtliche oben aufgezählte Unterrichts-, Arbeits und Samm- lungsräume bedürfen reichlicher Licht- und Luftzufuhr und so war von vornherein von allen Plandispositionen abzusehen, welche eng- eingeschlossene Höfe oder spitzwinklig zusammenstossende Gebäude voraussetzten. Kein Theil des Baues durfte den andern in seiner Lichtzufuhr beschränken, und ein Hof, falls vorhanden, musste so ge- räumig sein, dass er dieser Bedingung Genüge leistete. Ferner war es im Interesse der Salubrität und des öffentlichen Anstandes geboten, die Präparirsääle in möglichste Entfernung von der Strasse zu ver- legen. Wir sind noch weiter gegangen und haben dieselben auch von dem das Auditorium, die Sammlungen und Laboratorien enthaltenden Hauptgebäude getrennt. Dadurch wurde es nämlich möglich, den in die Tiefe des Grundstückes vorgeschobenen Präparirsäälen von beiden Seiten her Licht zuzuführen, das Hauptgebäude fortdauernd rein zu halten und zugleich dem Auditorium einen mit langer Fensterfläche versehenen Demonstrationssal anzufügen. Der Raum zwischen der Fronte des Präparirsaalgebäudes und der Strasse ist mit Bäumen und Gebüsch angepflanzt. Naturgemäss ergab sich dann weiterhin die Verlegung möglichst aller auf directen Leichenverkehr Bezug habenden Räume in das Souterrain des Präparirsaalgebäudes (Räume für Reinigung und Auf- bewahrung der Leichen, Injectionsküche, Weingeistkisten mit den Leichenvorräthen u. s. w.). Die beiden langen Verbindungsgänge sind so angebracht, dass der eine, zum Öperationssaal und topographischen Präparirsaal führende in der topographischen Abtheilung des Haupt- gebäudes ausmündet, der andere aber neben dem grossen Auditorium, dem Mikroskopirzimmer, dem Prosectorzimmer und an der zum Directorzimmer führenden Nebentreppe. Im Hauptgebäude sind alle Räume, in welchen die Studenten zu verkehren haben, Auditorium, Demonstrirsaal, Mikroskopirzimmer und Prosectorzimmer im Erdge- 426 XXVI. Wırneım Hıs. schoss untergebracht, und die Etage ist den Sammlungen und Labo- ratorien reservirt. Den allerdings excentrisch liegenden Mittelpunkt bildet hier das Directorzimmer, das nach der einen Seite an Bibliothek und Auditorium, nach der andern an Apparatenzimmer und Samm- lung anstösst und dem gegenüber die mechanische Werkstätte nebst dem chemischen Laboratorium und Injectionszimmer gelegen ist. Auch das photographische Atelier ist von hier aus in wenig Schritten zu erreichen und die oben erwähnte Nebentreppe verbindet den Knoten- punkt des ersten Stockes mit dem des Erdgeschosses. Das Hauptgebäude überdeckt bei einer Tiefe von 16,5m. 1155 []m. Das Präparirsaalgebäude bei einer Tiefe von Ilsaes 675 „ Der östliche Verbindungsbau bei einer Tiefe von 9,7 „ 262. Der westliche Verbindungsbau bei einer Tiefe von 3,3 „ 89 „ Im Ganzen sind ausschliesslich des Hofraumes, des Kessel- und des Ventilatorhauses überbaut 2181 Um. Da das Hauptgebäude einstöckig ist, so beträgt die Flächen- ausdehnung der überirdischen Räume einschliesslich der Mauerdicken 3336 Om. So weitläufig auf den ersten Blick die Anlage des Baues aus- sieht, so haben wir uns während dieser zwei Jahre doch Alle recht wohl darin befunden und mit keinerlei aus der Weitläufigkeit hervor- gehenden Uebelständen zu kämpfen gehabt. Die vier Abtheilungen des Baues umschliessen einen viereckigen Hof von 27,8m. Breite und 27,4m. Tiefe mit einem für Thiere be- stimmten Wasserbassin. In ihn tritt von der einen Seite her der nur dem Souterrain angehörige Anbau für den Ventilator vor, von der andern Seite ein schmales zum photographischen Atelier führendes Treppenhaus. Das der Heizung dienende Kesselhaus mit der Dampf- esse ist in den kleinen der Nürnbergerstrasse zugewendeten Hof vor- geschoben. Man hat uns aus ästhetischen Gründen verdacht, dass wir die Esse auf die Strassenseite verlegt haben; hätten wir sie in- dess in den Hof gesetzt so wäre dadurch eine wichtige Reihe von Fenstern in ihrem Lichtbezuge verkürzt worden, ein Motiv, das für uns entscheidend war. Uebrigens hätte ich auch den kleinen, jetzt bestehenden Einbau in den Hof, wenn es möglich gewesen wäre, gern vermieden, denn ich musste mir sagen, dass in einem Anatomiehofe jeder einspringende Winkel Gefahr läuft, zum Sammelpunkt von Un- reinigkeiten zu werden. Ventilation und Heizung. Die Ausdehnung des Gebäudes, die bedeutende Zahl und theilweise die Grösse der zu heizenden Bericht über die anatomische Anstalt in Leipzig. 427 Räume liess nur ein Centralheizungssystem zu, und damit war eine genügende Ventilation zu verbinden. Bekanntlich ist dies ein subtiles Problem an dessen ungenügender Lösung gar zahlreiche grosse Ge- bäude kranken. Ich freue mich, sagen zu können, dass die Techniker bei uns dies Problem in vorzüglicher Weise gelöst haben, indem unsere ausgedehnten Räume sehr gleichmässig temperirt und durchaus befriedigend ventilirt sind!). Allfälligen Nachfolgern zum Nutzen möchte ich bemerken, dass nach meiner Ueberzeugung der einzig zu ergreifende Weg der ist, dass man die Sache mit aller Verantwort- lichkeit einer der paar, in diesem Fache bewährten Firmen übergiebt, nachdem man die Heiz- und Ventilationsforderungen für jeden Raum genau formulirt hat. Ich hatte mir früher auf Grund von eigenem Studium und von Berathungen mit befreundeten Physikern meine Ideen formulirt, allein wie ich mich bald überzeugt habe, so hält ein solches mehr dilettantisches Studium nicht Stich, sobald es sich darum handelt, die Verantwortlichkeit einer so wichtigen und kostbaren An- lage zu tragen. Unsere Heizungs- und Ventilationsanlage ist von Gebrüder SuLzZER in Winterthur ausgeführt. Einen Bericht darüber hat Herr Architekt MÜLLer in dem sächsischen Ingenieur- und Architekten-Verein erstattet), worauf ich in Betreff weiterer "Details verweise. Die gestellten Be- dingungen waren folgende: es sollte von den zu heizenden und zu ventili- renden Räumen (im Gesammtbetrage von 13860 Cubikmeter) ein Theil, die sämmtlichen Arbeitsräume bis 15° bez. 16° R., andere die Cor- ridore und Sammlungen bis 10° gebracht werden. In den ersteren sollte auf jeden darin Arbeitenden mindestens 40 Cubikmeter Luft per Stunde einströmen; in den Sammlungen und Corridors die Luft stündlich dreimal erneuert werden. Kalt zu ventiliren waren die Leichenkeller und zugehörigen Räume. Ferner bestand die Forderung, dass gewisse Raumcomplexe, wie z. B. die Präparirsääle gemeinsam abstellbar und jeder Raum für sich regulirbar sein sollte. Wie schon aus der früheren Ausführung hervorgeht, beruht unser Ventilations- 1) Zu obigem Zeugnisse sehe ich mich um so mehr veranlasst, als die ersten Wochen der Functirung des Apparates unbefriedisende Ergebnisse geliefert hatten; dieselben hatten ihren Grund theils im Mangel an Erfahrung Seitens unseres Personals, theils in der anfänglichen Unvollendung gewisser Nebenein- richtungen, wie der Umwicklung der Dampfröhren u. A. m. Das Auditorium, das anfangs unheizbar schien, bringen wir jetzt mit Leichtigkeit auf die ver- langte Normaltemperatur. 2) s. Protokoll der 84. Hauptversammlung des sächs. Ingenieur- und Archi- tekten-Vereins. 428 XXVI. WiıcHerm Hıs. system auf Pulsion. Ein Ventilator von ca. 3m. Durchmesser schöpft die Luft im Hofe und treibt bei jeder Umdrehung etwa 5—6 Cubik- meter in die unter dem Hause sich verzweigenden Luftkanäle ein, bei 125 Touren pro Minute, somit über 42,000 Cubikmeter pro Stunde. Neben den 1,75m. im Gevierte haltenden Luftkanälen sind an be- stinmter Stelle die von Dampfspiralen durchzogenen Heizkammern angebracht (im Ganzen 10), durch welche hindurch die Luft zu treten hat bevor sie in die innerhalb der Wände senkrecht aufsteigenden Kanäle gelangt. Indem der Dampfzufluss zu jeder Heizkammer für sich abstellbar ist, hat man es in der Hand, einzelne Abschnitte des Gebäudes von der Heizung auszuschalten, während die Regulirung für das einzelne Zimmer durch Klappen möglich ist, welche an Ein- und Ausströmungsöfinung angebracht sind. Desinfeetion. Alle Leichenreste, welche nicht zu Weingeist- präparaten Verwendung finden, werden beerdigt. In die Abzugskanäle kommen somit nur die Spülreste, deren Menge selbst im Vergleich zu den Abfällen eines beliebigen Wohnhauses sehr gering ist!); bei reichlicher Spülung kommen die organischen Stoffe auch so verdünnt in die Kanäle, dass, falls es sich nicht gerade um Macerationsjauche handelt, eine Luftverunreinigung der Umgebung nicht in Frage kommt. Infectionsstoffe fallen ferner so gut wie völlig ausser Betracht, weil unsere Anstalt zum überwiegenden Theil Selbstmörderleichen und nur äusserst wenige aus Krankenhäusern zugeführt erhält. Die Frage der Desinfection der Abwässer ist sonach keine an und für sich wichtige, sie wird es nur dadurch, dass eine inmitten bewohnter Quartiere liegende anatomische Anstalt das Bestmögliche thun muss, um jegliche üble Folgen ihrer Nachbarschaft abzuwenden und auch den Verdacht von solchen zu beseitigen. Es ist für unsere Anstalt das Süvern’sche Desinfectionsverfahren angenommen worden, haupt- sächlich aus dem Grunde, weil es im hiesigen städtischen Kranken- hause angenommen ist, und sich das Vertrauen der städtischen Be- hörden erworben hat. Die Desinfectionsmasse wird theils in kleine Sammelbassins der Schleusen (S. des Planes Taf. XVILI) eingegossen, theils in einen Hauptsammler, welcher vor der Ausmündung unseres Schleu- sensystems in das städtische gelegen ist. 1) Bei den Sectionen im pathologischen Institute werden nach den Bestim- mungen von Prof. Fr. Horrmann im Durchschnitte”pro Leiche 30—40 Liter Wasser verbraucht und mit demselben 74 Gramm feste Bestandtheile weggeführt. Auf 300 Leichen macht dies nicht einmal 23 Kilogramm im Jahre, viel weniger als ein erwachsener Mensch in derselben Zeit ausgiebt. Bericht über die anatomische Anstalt in Leipzig. 429 Auditorium und Demonstrationssaal. Das Auditorium, die Höhe beider Stockwerke einnehmend, enthält in sieben amphitheatra- lisch ansteigenden Reihen 166 Sitzplätze. Ein um die obere Sitzreihe herumlaufender Gang mündet in zwei Gallerien aus, welche durch Neben- thüren mit den anstossenden Zimmern der ersten Etage (Bibliothek, bez. Directorzimmer und Gasbereitungszimmer) verbunden sind. Die Sitzreihen umschliessen den mit dem Demonstrationstische versehenen, nur 2,4m. in der Breite messenden Mittelraum. Ihre Beziehung zu diesem und zu den ansteigenden Treppen ist aus dem Plane Taf. XIX leicht ersichtlich. Zu der obern Reihe kann man ausser durch die vom Mittelraum ansteigenden zwei Treppen durch die beiden ange- fügten Thürmchen gelangen, deren Zugang unterhalb der Sitze sich be- findet. Im Uebrigen ist der von den oberen drei Sitzreihen und dem Rundgang überdeekte Raum zu einer Garderobe für die Studirenden hergerichtet. Von der dem Hauptgebäude zugewendeten flachen Wand ist der amphitheatralische Aufbau des Auditoriums durch einen 2,2 m. tiefen Quergang geschieden, die grösste Breite des Auditoriums misst 15,6 m., seine grösste Tiefe 11,5 m., sein Flächenraum 238,7 [Im. Die Beleuchtung eines solchen Amphitheaters bietet gewisse Schwierigkeiten, welche, wie der Augenschein lehrt, nicht überall mit Glück überwunden worden sind. Im Allgemeinen können die Architekten schwer der Versuchung widerstehen, die von Sitzen freie Wand als Fensterfläche zu benützen, ein Verfahren, das völlig ver- werflich ist, weil es den Vortragenden mit Allem was er zeigen soll zum Schattenbilde macht. Es ist als Axiom für jeglichen Auditoriums- bau aufzustellen, dass die Fläche hinter dem Vortragenden dunkel sei, und dass dieser, sowie die Wandtafeln und sonstige Demonstrations- objecte von vorn her müssen beleuchtet sein. Wo dies nicht beob- achtet wird, da sind die Zuhörer und Zuschauer geblendet und bei Demonstrationen steht der Vortragende sich selbst fortwährend im Lichte. Ueberdies gewährt die fensterfreie Fläche hinter dem Vor- tragenden den einzig richtig gewählten und auf keine andere Weise zu ersetzenden Raum für Wandtafeln, Skelette und sonstige Demon- strationsmittel. Je freier und grösser die Fläche ist um so ergiebigere Entfaltung von Demonstrationsmitteln gestattet sie und um so vor- theilhafter wird sie für den Unterrichtszweck. Nimmt man das Licht nicht von der sitzfreien Wand, so bleiben zur Beleuchtung nur Oberlicht und hohes über den Sitzen einfallendes Seitenlieht übrig. Zur wirksamen Verwendung des letztern ist eine bedeutende Höhe der Auditorien erforderlich. Die Combination dieser beiden Beleuchtungsweisen hat in unserem Auditorium sehr befrie- 430 XXVI. WitHeıLm Hıs.- digende Resultate ergeben. Die drei über den Sitzen befindlichen Seitenfenster messen je 3,8 m. in der Breite, 3m. in der Höhe und ergänzen sehr wirksam das 5,6m. im Geviert fassende Oberlicht. Bei geringerer Zahl der Sitzreihen und geringerem Ansteigen derselben kann an Fensterhöhe gewonnen werden und, wie das vortrefiliche, von uns mit als Muster benutzte Auditorium der anatomischen Anstalt in Freiburg!) zeigt, genügt alsdann das Seitenlicht vollständig für den verlangten Zweck. Ueber die Ansteigecurve der Sitzreihen hat sich ÜZERMAK?) nach dem Vorgange von Lassez in der Eröffinungsrede seines Audito- riums eingehender ausgesprochen. Das Prineip, das befolgt werden muss, lässt sich einfach so formuliren, dass jeder Sitzende über den Köpfen seiner Vormänner weg auf den Demonstrationstisch sehen soll. Die Tafel XIX enthält die Pen che Construction für unser Audi- torium. Die Steigung von einer Reihe zur andern wird dabei aller- dings ziemlich steil und zwar von Reihe zu Reihe steiler, dies ist indess ein höchst untergeordneter Nachtheil gegenüber dem Vortheile, dass auch von den obersten Reihen aus die demonstrirten Objecte gut sichtbar sind. Die Tiefe von einer Sitzreihe zur nächstfolgenden beträgt 80 cm. Bei der Wichtigkeit des Nachzeichnens in anatomischen Vorlesungen sind natürlich vor den Sitzen Tischbretter (24cm. breit) angebracht. Die Möglichkeit des freien Durchgangs ist dadurch gewahrt, dass die Sitze, ähnlich wie im Theater, einzeln aufklappbar sind. Was die weiteren Einrichtungen des Auditoriums betrifft, so wird die Mitte der Rückwand durch zwei übereinander verschiebbare matt schwarze Holztafeln von je 2,2m. Höhe und 3,4 m. Breite eingenommen. Eine grosse, leicht zu behandelnde Zeichnungsfläche bildet ja ein erstes Er- forderniss anatomischen Unterrichtes. Darüber ist, nach Vorbild des CzEerMmAR’schen Auditoriums eine durch Kurbel auf- und abziehbare Querstange, 4,5 m. breit, angebracht zum Anhängen von gemalten Bildern, und noch höher befindet sich eine Walze, welche einen zur Auf- nahme von Projectionsbildern dienenden weissen Vorhang trägt. Beider- seits von den Wandtafeln stehen in Glasschränken ein männliches und ein weibliches Skelett und weiterhin zwei Wasserhähne mit Wasch- becken, während der darüber befindliche Raum zur Anbringung von passenden Statuen und von Büsten benutzt ist. I) Ecker, Das neue Anatomiegebäude der Universität Freiburg. Festprogramm. Freiburg i. B. 1867. 2) CzErmak, Ueber das physiol. Privatlaboratorium an der Universität Leipzig. Leipzig, Engelmann 1873. S. 19 u. f, Bericht über die anatomische Anstalt in Leipzig. 431 Der Demonstrationstisch, dessen Gestell von Eisen ist, besitzt ausser der Drehbarkeit um eine vertikale Axe Bewegung in einem . erossen, nach der Idee von Herrn Architekt MÜLLER ausgeführten Nussgelenk, und so ist es möglich seine Fläche in der einen oder andern Richtung gegen den Horizont zu neigen, eine Einrichtung, die wichtig ist, so bald es sich z. B. darum handelt, Atlanten vorzuzeigen, den Einblick in Körperhöhlen möglich zu machen u. dergl. mehr. Bei seiner verhältnissmässig geringen Grösse (2m. Länge, 70 em. Breite) kann dieser Tisch nur dazu dienen die augenblicklich in Demonstration befindlichen Präparate oder Tafeln aufzunehmen, die Reserve wird auf Rolltischen in den Seitenhälften des Querganges untergebracht, und ist hier dem Vortragenden unmittelbar zur Hand. Die Abendbeleuchtung des Auditoriums geschieht durch vier grosse (allerdings höchst unförmliche) Sonnenbrenner. Eine wichtige Ergänzung des Auditoriums bildet der demselben seitlich angefügte Demonstrationssaal. Seine Länge beträgt 27m. und seine Tiefe 5,5 m., an Flächeninhalt misst er 148,5 EI m., und bei 150 Personen kommt somit auf jede noch nahezu 1 DI m., ein zur freien Bewegung ausreichendes Feld. Die östliche Langseite des Saales hat neun, je 1,6 m. breite Fenster, längs deren ein durchgehender Fenster- tisch genügenden Raum zur Aufstellung von 27 Mikroskopen gewährt. Sollte eine grössere Zahl von Instrumenten nöthig sein, so könnten solche auf den sieben Tischen aufgestellt werden, welche auf einer der Rückwand des Saales entlang laufenden Terrasse stehen !). Ich bin indess bis jetzt kaum im Falle gewesen, von einer Vorlesung zur andern mehr als 20 Mikroskope aufzustellen, und ich habe daher diese zweite Tischreihe für mikroskopische Demonstration niemals nöthig gehabt. Um so werthvoller hat sie sich dagegen erwiesen für Auf- stellung makroskopischer, die Vorlesung erläuternder Präparate. Hier 1) Während der Zeit, da ich im alten Institute keinen Raum zur Mikroskopen- aufstellung hatte, bediente ich mich mit Vortheil der gegen das Licht zu halten- den Handmikroskope. Ich lernte derartige Instrumente zuerst in den s. Z. durch die Gebr. Raprırr in Wabern verbreiteten sogen. Salonmikroskopen kennen, und construirte mir dann ein für wissenschaftlichen Unterricht brauchbares Modell mit grosser Objeetplatte und Scheibenblende. Dasselbe war für die Systeme I— VII von Hartnak eingerichtet, und die Objecte sowohl als der Tubus waren daran feststellbar. Bei festgestelltem Tubus konnte die Einstellung Seitens der Studirenden durch Ein- und Ausziehen der das Ocular tragenden Röhre ge- schehen. Für schwache Vergrösserung leisten STEINHEIL’sche Loupen mit einem gegen das Licht zu haltenden, das Object aufnehmenden Holzgestelle vortrefl- liche Dienste. Meines Wissens sind solche herumreichbare Loupenträger zuerst von J. GERLACH in Gebrauch gezogen worden. Zeitschrift f. Anatomie. Bd. II. 28 432 XXVI. WitHeım His. können in passender Aufstellung eine Menge von Öbjecten den Stu- direnden zugänglich gemacht werden, deren Demonstration im Audi- torium wegen der Feinheit oder der Complication nur unvollkommen geschehen kann, Knochenpräparate aller Art, Gefäss-, Nervenpräpa- rate u.s. w. Durch den hohen Stand der Tische wird es möglich diese Objeete unbeschattet und in richtiger Höhe von vorn her zu sehen. Ferner erlaubt die lange Rückwand hinter den Tischen längs deren ein, mit verschiebbaren Haken versehener Eisenstab läuft, ein sehr ausgiebiges Aufhängen von Abbildungen, während die Kreideerläute- rungen theils auf dem Fenstertische selbst, theils an den schwarzen, zwischen je zwei Fenstern befindlichen Tafeln geschehen können. Es hat sich die Einrichtung dieses Saales im bisherigen Gebrauche sehr wohl bewährt, und ich kann dieselbe für spätere ähnliche Bauten auf das beste empfehlen. Sind gleichzeitig eine grössere Zahl von Mikroskopen und von anderweitigen Objecten aufgestellt, so vertheilen sich auch bei einem besuchten Colleg die Leute genugsam, dass nirgends Gedränge oder Stauung entsteht. Ehe ich Auditorium und Demonstrationssaal verlasse, habe ich mich noch über einige besondere Unterrichtsmittel auszusprechen, die Skeletttafeln und die Projection. Bekanntlich ist von CHr. Lucae warm empfohlen worden, beim anatomischen Unterrichte Tafeln von mattem Glas zu benutzen und denselben Skelettzeichnungen unterzulegen, welchen sodann mit farbiger Kreide die Muskeln, Gefässe, Nerven u. s. w. übergezeichnet werden. Der Studirende hat .diese Darstellungen derart zu copiren, dass er reducirte im Handel zu beziehende Skelettfiguren !) mit Pauspapier über- deckt, und nun auf diesem ebenso zeichnet, wie der Lehrer auf der Glastafel. Ich zweifle nicht, dass in geschickten Händen diese Methode sehr erfolgreich ist. Nach wiederholten früher angestellten Ver- suchen musste ich indess von derselben abstehen. Einmal erlaubt das Material nur eine verhältnissmässig geringe Ausdehnung der Tafel, welche für grössere Auditorien nicht ausreicht. Sodann habe ich immer mit dem weissen Untergrunde zu kämpfen gehabt. Ist einmal ein Strich mit der Kohle oder mit der farbigen Kreide missrathen, so bleibt Nichts anderes übrig, als die Tafel gründlich abzuwaschen, denn jede Correctur wird zur Schmiererei. Es können also nur ab- solut sichere Zeichner saubere Zeichnungen erzielen. Ich habe mir l) Cur. G. Lucar’s Abbildungen des menschlichen Skeletts für Studirende zum Nachzeichnen beim Unterrichte ete. gez. von P. und Fr. Wirsing. Frank- furta.M. Keller 1860, Bericht über die anatomische Anstalt in Leipzig. 433 sodann nach dem Vorbilde anderer Anstalten (Freiburg i. B. und Gratz) in grossem Maassstabe das Skelett und seine Theile auf schwarzen Tafeln mit Oelfarbe aufmalen lassen, und befinde mich dabei aller- dings weit besser,. als bei der Glastafel. Besonders empfehlenswerth für den Zweck ist das sogenannte Schiefertuch der Firma Mayr & FessLER in Wien, ein matter, die Kreide ausgezeichnet annehmender Stoff, den ich vor drei Jahren zum erstenmale in Gratz kennen ge- lernt habe. So brauchbar gut ausgeführte Skeletttafeln für viele Zwecke sind, so ist doch ihre Anwendbarkeit keine so ausgedehnte, als man auf den ersten Blick erwarten sollte, und wo es sich nicht gerade um sehr genaue Topographie handelt, wie z. B. bei Situszeichnungen des Herzens und der Eingeweide gebe ich, wohl in Uebereinstimmung mit den meisten Collegen, den einfachen Kreideskizzen den Vorzug. Der Hauptgrund davon liest darin, dass das Formenverständniss beim Studirenden entschieden mehr gefördert, und dieser weit mehr zum Nachzeichnen angeregt wird, wenn der Aufbau der Zeichnung sich vollständig vor seinen Augen vollzieht, als wenn eine künstlich aus- seführte Tafel den nicht nachzuahmenden Grund der Vorlage bildet. Dazu kommt, dass eine Kreideskizze die wesentlichen Punkte, auf die es bei der vorliegenden Darstellung ankommt, viel mehr in den Vordergrund stellen wird, als die gemalte Tafel, und dass ferner bei letzterer die Einzeichnung der Muskeln, Gefässe u. s. w. nur dann harmonisch ausfällt, wenn sie mit einer im Vortrage nicht erreich- baren peinlichen Sorgfalt durchgeführt wird. Der anatomische Unter- richt aber darf nicht ein Vormalen sein, sondern die Hand des Lehrers muss dabei dem Worte gleichen Schritt halten, und die Zeichnung in derselben Zeit sich vollenden, in der auch die Beschreibung sich vollführt. Die Projection als Unterrichtsmittel beginnt erst in allerneuester Zeit Platz zu greifen, aber ich zweifle nicht, dass ihr auch im anatomischen Unterrichte eine bedeutende Zukunft bevorsteht. Für kleinere Räume mag das im Handel verbreitete Skioptikon ausreichen, grössere Auditorien be- dürfen einer Projectionsvorrichtung mit intensiverer Lichtquelle. Das kleine an das Auditorium anstossende Zimmer Nr. 12 der ersten Etage ent- hält bei uns ein etwa 0,3 Cubikmeter enthaltendes Sauerstofigasometer, von dem aus die Leitung zu der Projectionsterrasse im Auditorium hingeführt ist. Hier wird der durch Kalklicht erleuchtete Projections- apparat aufgestellt und wirft seine Bilder auf eine mit weisser Farbe bemalte Leinwand an der gegenüberliegenden Wand. Die Verdunke- lung des Oberlichtes geschieht in einer für den Zweck ausreichenden Weise durch einen von unten her regierbaren dieken Vorhang, ebenso 28 * 434 XXVI. WirHeım Hıs. sind die Seitenfenster mit Vorhängen zu verschliessen. Unsere bis- herigen Erfahrungen über Projection sind sehr günstig, ich gedenke dieselben in nächster Zeit zu erweitern und dann darüber besonders zu berichten. Die projieirten Bilder zeichnen sich besonders auch durch ihre Körperlichkeit aus und zwar macht sich diese nicht allein geltend bei Projection von Photographien, die nach körperlichen Ob- jecten, sondern auch bei solchen die nach Durchschnitten aufgenommen sind. Ein schräg durchschnittenes Gefäss z. B. giebt den Eindruck als ob man in seine Höhle hineinblickte. Grössere Durchschnitte lassen sich natürlicher Weise direet projieiren. Die Präparirsääle und ihre Nebenräume. Unser grosser Präparirsaal hat beiderseits je 8 Fenster von 1,6m. Breite, seine Länge beträgt 22 m., seine Tiefe 10 m., der Flächenraum somit 220 Om. Der kleine Präparirsaal und der Operationssaal haben je 9 Fenster bei einem Flächenraume von 90 Om. Ohne die drei zwischengeschobenen Präparirzimmer zu rechnen, verfügen wir im Ganzen über 34 Fenster und 400 DIm. Bodenfläche, oder, unter Ab- rechnung des Öperationscurssaales über 25 Fenster mit 310 Dim. Bodenfläche. !) Im grossen Saale sind 12 feste Leichentische aufgestellt. Rechnen wir diese zu 6 Präparanten, die 16 Fenster zu je 2, so ergiebt dies 104 Plätze, die durch Aufstellung von Rolltischen an den freien Enden des Saales leicht auf 120 sich steigern lassen. In Wirklichkeit sind auch in den besuchtesten Stunden nie so viele zugleich (in der Regel nicht über 90—100) thätig, weil von den einer Leiche, oder einem Leichentheile zugetheilten Präparantengenossenschaften immer einzelne wegbleiben. Der kleine Präparirsaal gewährt mit Leichtigkeit Raum für 30 Präparanten. Feste Leichentische sind in ihnen nicht aufge- stellt, sondern, ausser den Fenstertischplatten, eine nach Bedarf wech- selnde Anzahl beweglicher Tische. Der kleinere Präparirsaal wird vorzugsweise von den Nervenprä- paranten benutzt. Dies Zusammensetzen dieser letzteren in nicht allzu grossem Raume hat den unbestreitbaren Vortheil, dass sich bald ein gewisser Wetteifer entwickelt und die besseren Präparanten die übrigen mit sich reissen, so dass feinere Darstellungen wenigstens von Allen versucht, wenn auch nicht von Allen mit Glück durchgeführt werden. !) In Berlin hat der grössere Präparirsaal 210, der kleinere 140 Om.; in Bonn drei grosse aneinanderstossende Sääle zusammen 390 Om., die Länge der letzteren beträgt 50,7, die Tiefe 7,7 m., die Zahl der nach Aussen sich öffnen- den Fenster 15 (überdies gehen sechs Fenster geeen einen kleinen Lichthof). Bericht über die anatomische Anstalt in Leipzig. 435 Anderntheils hat die Trennung der Präparirsääle den Nachtheil, dass dadurch für den Dirigenten die Uebersicht erschwert wird. Würde ich noch einmal zu bauen haben, so würde ich es vermeiden, Zwischenzimmer zwischen die Präparirsääle einzuschieben und ich würde diese durch breite Doppelthüren miteinander verbinden, etwa in der Art und Weise, wie dies in Bonn realisirt ist. Die oben erwähnten festen Leichentische besitzen einen dem Boden aufgeschraubten hohlen eisernen Fuss, in welchem Wasserzu- und Ab- fluss sich befinden. Der obere Theil ist drehbar (pflegt übrigens durch einen, in Händen des Abwarts befindlichen Schlüssel festgestellt zu sein) und trägt eine abhebbare, feste, mit Zink ausgeschlagene Tisch- platte, in deren Mitte eine Oefinung zum Abfluss der Flüssigkeit an“ gebracht ist. Diese zinkbeschlagenen Tischplatten passen genau auf die dem Verkehr ‘dienenden eisernen Rolltische, sowie auch auf den Demonstrationstisch im Auditorium und in die zwischen den Stock- werken angebrachten Aufzüge. Eine sehr beliebte Ergänzung des Prä- parirsaalmobiliars bilden kleine nur 37 auf 32 cm. messende Tisch- chen, welche ich in grösserer Zahl habe anfertigen lassen, damit die Studirenden ihre Instrumente und Bücher darauf legen können. Zwischen je zwei Fenstern sind schwarze, zum Kreidezeichnen dienende Tafeln angebracht und in der Hälfte der Interstitien Wasch- becken mit Wasserhahn. An den freien fensterlosen Wänden befinden sich grosse mit vielen nummerirten und schliessbaren Fächern versehene Schränke, welche den Präparanten zur Aufbewahrung ihrer Utensilien dienen. Der Fussboden ist hier, wie im Auditorium und in mehreren an- deren Räumen, von gefirnisstem Eichenholz. Gegen den manchenorts angewandte Asphalt habe ich eine Abneigung, weil er den Säälen einen kellerhaften Charakter giebt. Nehmen sich überdies die Präparanten, wie ich dies an einer auswärtigen Universität gesehen habe, Stroh- decken unter die Füsse, so leidet vollends die Reinlichkeit und Ord- nung des Saales. Wir haben bis dahin unseren eichenen Boden recht zweckmässig gefunden. Flüssigkeitsansammlungen auf dem Boden werden überhaupt nicht geduldet, und das Ganze sieht stets verhält- nissmässig reinlich aus. Die Wände bildet bemalter Kalkbewurf. Wir hatten eine Zeit lang den üppigen Plan einer Bekleidung mit Porzellanplatten. Die Steigerung der Baupreise in der Gründerperiode bestimmte uns, diesen Luxus fallen zu lassen. Ich habe seitdem im Kopenhagener Präparir- saale eine derartige Bekleidung gesehen und sie sieht in der That sehr sauber aus. Indess ist bei uns dadurch, dass die Pfeiler schmal 436 XXVI WırHzım Hıs. sind und alternirende Waschbecken und Ventilationsöffnungen tragen, die freie Wandfläche auf ein Minimum reduzirt. Indem wir das Licht von beiden (in den kleinen Säälen sogar von drei) Seiten her empfangen, ist die Beleuchtung in unsern Prä- parirsäälen sehr günstig und auch die an den innern Tischenden Ar- beitenden können an nicht allzutrüben Wintertagen ordentlich sehen. Für die Abendstunden ist jeder Präparirtisch durch einen darüber be- findlichen auf- und abschiebbaren Doppelarm zu beleuchten, dessen Licht durch Blechschirme auf den Tisch geworfen wird. Ein Uebel- stand der Arbeit bei Gaslicht liegt übrigens im raschen Austrocknen der bestrahlten Theile. Aufbewahrung der Leichen. Die von der nördlich gelegenen Brüderstrasse her angefahrenen Leichen werden in dem links neben der Durchfahrt liegenden Keller gereinigt, mit Conservirungsflüssig- keit injieirt und bis zu weiterer Verwendung aufgehoben. Für die Aufbewahrung über Eis sind eine Anzahl besonderer Vorrichtungen getroffen. Einmal findet sich, wie der Durchschnitt Taf. XIX zeigt, ein grosser Eiskeller unter dem Auditorium und die darüber befindlichen Kammern sollten, meiner ursprünglichen Absicht nach, als kühler Raum zur Aufnahme von Leichen oder Leichentheilen, oder wenigstens von den grossen mit solchen gefüllten Weingeistkisten dienen. Ausserdem aber ist im Souterrain des Präparirsaalgebäudes nach dem Muster der Gratzer anat. Anstalt eine Abtheilung zu einem grossen Eisschranke hergerichtet (E Taf. XVIII), dessen drei Oefinungen je zwei Leichen auf- zunehmen vermögen. Hier sollten die in Arbeit befindlichen Leichen Abends hingebracht und aufgehoben werden. Ich bin nach der Erfahrung des ersten Jahres dahin gelangt, die ganze complieirte Einrichtung unbenutzt zu lassen. So schön sie in der Theorie ist, so wenig hat sie sich in der Praxis bewährt. Die Füllung des Eiskellers, der hundert Wagenladungen fasst, ist an und für sich enorm theuer; von Benutzung der über denselben befindlichen Kammern musste ich nach längerem Kampfe mit meinem Personale abstehen, weil in diesen aus Rücksicht auf die Eisconservirung der Luftzufuhr entzogenen Räumen Alles schimmelte und verfaulte Auch die Füllung der Eiskästen unter dem Präparirsaale erforderte einen Aufwand an Eis und an Arbeitskraft, welcher mit dem Nutzen in gar keinem Verhältnisse stand. Die Injection der Leichen mit Conser- virungsflüssigkeit (Alkohol, Glycerin und Carbolsäure), wie sie bei uns nach dem Vorgange anderer Anstalten, speziell der Münchener ana- tomischen Anstalt geübt wird, leistet bei richtiger Handhabung weit Bericht über die anatomische Anstalt in Leipzig. 437 mehr, als die zeitweise Einschiebung der Leichen in einen kühlen Raum. Für eigentliche Gefrierversuche hat Prof. Braune die mit G. Taf. XVIII bezeichneten Räume einrichten lassen. Die Leiche wird in einem mit Deckel versehenen Zinkkasten ähnlich wie in einen Back- ofen eingeschoben, und der umgebende abgeschlossene Raum mit Kälte- gemisch angefüllt. Zur Injection der Leichen mit Wachs dienen die Kammern am östlichen Ende des Souterrains. Auch bei deren Einrichtung mussten wir erst einiges Lehrgeld zahlen. Wir hatten eine Einrichtung aus- gesonnen, wobei die Injectionswannen von einem Warmwasserstrome durchflossen wurden, während ein mit den Wannen durch ein Rohr festverbundener, hermetisch schliessbarer eiserner Topf die Masse ent- hielt. Letztere wurde mit Dampf erwärmt und durch den Druck einer regulirbaren Wassersäule in das Rohr und von da mittelst ange- fügten Schlauches in die Canäle getrieben. Nachdem dieser Mechanismus in der ersten Anlage verunglückt war, haben wir die Einrichtung wesentlich vereinfacht. Ein im Vor- raum befindlicher Wasserkessel speist die zwei eisernen mit Deckel versehenen Injectionswannen (W. Taf. XVIII), und die Injection wird, wie von Alters her, mit der Spritze vorgenommen. Zur Abkühlung dient eine dritte im gleichen Raume aufgestellte und mit der allgemeinen Wasserleitung verbundene eiserne Wanne. Die an die Injectionsküche anstossenden Räume des Souterrains enthalten grosse Zinkkästen zur Aufbewahrung des Vorrathsmateriales. Es werden nämlich alle während der Ferien, oder eventuell während des Sommers eingehenden Leichen nach vorheriger Zertheilung, injieirt, oder uninjicirt in Weingeist aufbewahrt. Auf diese Weise bekommen wir das Gefäss- und Nervenmaterial für den ganzen Wintercursus schon vor dessen Beginn zusammen, und wir sind frei in Verwendung aller während des Wintersemesters eintreffenden Leichen zu Muskel- oder zu Vorlesungspräparaten !). Mikroskopirzimmer. Zur Zeit meiner Berufung war der mikroskopische Unterricht völlig an das physiologische Institut über- gegangen, welches besondere Räume hierfür enthält, und an dem eine nominell abhängige, in Wirklichkeit aber nahezu selbstständige, da- mals von Prof. SCHWALBE, z. Z. von Prof. FuechHsıie eingenommene Stelle für Histologie bestand und noch besteht. So gewinnbringend 1) Nach dem Gesammtweingeistverbrauch der Anstalt berechnen sich die Conservirungskosten für eine eingelegte Leiche auf 15—20 Mark. 438 XXVI. WirHeım Hıs. es sicherlich für beide Wissenschaften ist, wenn Histologie und Phy- siologie in einem auch äusserlich festgestellten nahen Verbande zu einander stehen, so wenig darf sich doch ihrerseits die Anatomie von einem ihrer lebenskräftigsten Glieder trennen lassen. Im alten Institute allerdings war wegen der absolut ungünstigen Räume an ergiebigen mikroskopischen Unterricht nicht zu denken gewesen, im neuen da- gegen musste jedenfalls für die Möglichkeit eines solchen Sorge ge- tragen werden. Dies war um so mehr gerechtfertigt, als es der Natur der Sache nach nur vortheilhaft sein kann, wenn die Schüler auf zwei Anstalten sich vertheilen, indem ja mikroskopische Curse im Umfang von Präparircursen kaum durchführbar sind. Als eigentliche Mikroskopirzimmer sind die zwei nördlich gelegenen Zimmer des Erdgeschosses (13 und 14 des Planes, Taf. XVIII), zusammen 19m. lang, in Aussicht genommen worden. Von den 14 schmalen Fenstern sollte je eines ein Arbeitsplatz sein (1,35m. per Platz), und einige grosse Tische im Innern des Zimmers den weitern nothwendigen Raum ge- währen. Es hat sich indess gezeigt, dass für eigentliche Unterrichts- curse diese beiden Zimmer zu eng bemessen sind. Wir benutzen jetzt das eine derselben als Arbeitslocal für vorgerücktere Schüler, das an- dere ist zum Repetirzimmer für Studirende eingerichtet, und es sind daselbst Knochen- und eventuell auch andere Präparate und Kupfer- werke ausgelegt. Für grössere mikroskopische Curse erweist sich der grosse Prä- parirsaal mit seinen zahlreichen breiten Fenstern sehr geeignet. Ein Conflict mit den Präparir-Uebungen ist dadurch ausgeschlossen, dass solche Curse nur im Sommer abgehalten werden. Im Winter sind sie schon deshalb kaum durchzuführen, weil das gesammte Personal durch den anderweitigen strengen Dienst in Anspruch genommen ist. Auch für die Studirenden ist es besser, wenn sie sich nicht zersplittern, sondern ihre verfügbare Zeit entweder der einen oder der anderen Thätigkeit voll zuwenden. Sammlungen. Die Sammlungen für systematische Anatomie und für Entwicklungsgeschichte nehmen den grössten Theil des oberen Stockwerks des Hauptgebäudes ein, für topographische, vor allem für Durchschnittspräparate dient der Herrn Prof. Braunz zugetheilte Saal am westlichen Ende des Erdgeschosses. Die oberen Sammlungsräume messen 333 Om. mit 21 Fenstern, die topographische Sammlung 104 OD m. mit 7 Fenstern. | Sonstige Einrichtungen der Anstalt. Das erste Stockwerk enthält ausser dem Directorzimmer und seinen Nebenräumen und ausser den Sammlungssäälen nebst zwischengeschobener Glaskammer einige Bericht über die anatomische Anstalt in Leipzig. 439 zu besonderen Zwecken eingerichtete Zimmer: zunächst eine mecha- nische Werkstätte, daran anstossend ein kleines chemisches Laborato- rium, dann einen für Vornahme feinerer Injectionen bestimmten Raum und endlich ein kleines, ursprünglich für einen Zeichner bestimmtes Zimmer. Die mit den nöthigen Hülfsmitteln Drehbank, Hobelbank, Werktisch u. s. w. ausgestattete Werkstätte ist einem besondern An- staltsmechaniker übergeben, welchem ausser der Sorge für die Prä- paratenaufstellung und ausser der Anfertigung und Instandhaltung von Apparaten vor allem auch die Oberaufsicht über den Heizapparat zu- kommt, für dessen besondere Bedienung ordnungsgemäss ein Heizer angestellt ist. Das chemische Laboratorium, mit Arbeitstisch, Abdampfcapelle, Bunsen’scher Wasserluftpumpe u. s. w. ausgestattet, enthält zur Zeit auch einen grösseren, auf 200 Eier berechneten Brütofen, der durch zwei kleine Gasflammen sich heizt. Nach dem Vorgange neuerer Brütanstalten liegen darin die Eier unter Schläuchen, in welchen warmes Wasser circulirt, während im Uebrigen der sie umgebende Raum freien Luftzutritt hat. Im Injectionsraume ist ein mit der Wasserleitung verbundener Lupwıe’scher Injectionsapparat für constanten Druck aufgestellt. Die Zimmer des Erdgeschosses ergeben sich, soweit sie oben noch nicht besprochen worden sind, in ihrer Bedeutung aus dem Plane. Das Souterrain enthält im Präparirsaalgebäude ausser den bereits besprochenen Leichenkellern, Injectionsküchen u. s. w. eine an seinem westlichen Ende gelegene Wohnung für den Heizer und eine durch Dampf zu heizende Waschküche. Zwei fernere Dienstwohnungen für den Mechaniker und für einen Diener finden sich unter dem Demon- strationssaale, eine vierte für den Hausmann unter dem Hauptgebäude. An diese letztere stösst noch eine Tischlerwerkstätte an, während eine für die Reparaturen des Heizapparates bestimmte Schlosserwerkstätte in dem kaume vorhanden ist, der den kleinen, den Ventilator treiben- den Dampfmotor enthält. In eben diesem Raume ist auch ein mit Dampfzuleitung versehener Destillationsapparat aufgestellt. Das Souterrain des Hauptgebäudes enthält ferner eine Anzahl von Vorrathsräumen, die zum 'Theil den Dienstwohnungen zugewiesen sind, ausserdem die Thierstallungen sowie den Macerations- und den Ent- fettungsapparat. Diese beiden Apparate habe ich an der anatomischen Musteranstalt des Collegen von PLAner in Gratz kennen gelernt. So viel ich weiss, kommt die Idee dazu von Prof. HrschL und von deren Leistungsfähigkeit geben die Knochenpräparate der normal-anatomischen 440 XXVI. WiıtHeım Hıs. und der pathologisch - anatomischen Anstalt jener Universität einen blendenden Beleg. Der Macerationsapparat besteht aus einer Anzahl von dicht ge- schlossenen, durch Luftröhren mit der Esse verbundenen Trögen, durch welche von einem heizbaren Reservoir aus warmes Wasser geleitet wird. Nach Aussage der Gratzer Collegen dauert die sonst so lang- wierige Operation höchstens drei Tage. Hauptbestandtheil des Ent- fettungsapparates ist ein die Knochen aufnehmender Behälter, in welchen Benzindämpfe eingeleitet werden. Das sich condensirende, das Fett aufnehmende Benzin fliesst in das Abdampfgefäss zurück, um unter Zurücklassung des Fettes neuerdings in Dampfform auf- zusteigen. Wir sind bis jetzt noch nieht im Stande gewesen die schönen Erfolge der Gratzer Anstalt zu erreichen, hauptsächlich deshalb, weil durch ein Missverständniss die Tröge des Macerationsapparates in Eisen gebaut wurden, und den Knochen Rostflecken mittheilen. Wir be- Schäftigen uns damit, durch Umänderung der Tröge diesem Schaden abzuhelfen. Endlich ist noch der über dem Demonstrationssaale befindlichen photographischen Werkstätte zu gedenken, die aus Aufnahmesalon, Dunkelkammer und Arbeitszimmer besteht. Die vielseitige Verwerth- barkeit der Photographie für Unterrichts- und für Forschungszwecke liess eine derartige Einrichtung als durchaus wünschbar erscheine,n und das Atelier befindet sich zur Zeit in den Händen des Herrn Photographen Honikel aus Würzburg, der sich schon früherhin durch wissenschaftliche Aufnahmen für die Herren Proff. von KÖLLIKER und CZERMAK ausgezeichnet hatte. Von seiner Leistungsfähigkeit haben die der Londoner South Kensington Ausstellung eingesandten Bilder beredtes Zeugniss abgelegt, und Herr Honikel, welcher sich ausschliesslich der wissenschaftlichen Photographie und vor allem der Mikrophotographie widmet, hofft seinen Productionen allmählich auch an anderen Anstalten Eingang verschaffen zu können. Einen näheren Bericht über dieselben gedenke ich bei einem spätern Anlasse zu veröffentlichen. In noch freierer Beziehung als Herr Honikel, welcher unser Atelier zur Miethe hat, stehen zur anatomischen Anstalt zwei andere an ihr ein- und ausgehende Künstler, die Herren Gypsmodelleur G. Steger und Wachsmodelleur R. Weisker. Es gewährt unserer Anstalt besondern Vortheil, dass sie im Stande ist, diesen mit der Anatomie Fühlung suchenden Männern Räume zuzuweisen, wo die- selben im fortlaufenden Verkehr mit uns nach der Leiche und nach Bericht über die anatomische Anstalt in Leipzig. 441 Präparaten arbeiten können. Dem gemeinsamen Arbeiten mit Herrn Steger verdanken wir bereits ein ganzes Museum von Ab- und Aus- güssen aller Art und vor Allem eine Reihe höchst wichtiger Situs- präparate, über welche ich demnächst gesondert werde zu berichten haben. Ebenso hat uns die kunstfertige Hand des Herrn Weisker um mehrere werthvolle Unterrichtspräparate bereichert, unter denen ich ein in Lebensgrösse sehr sorgfältig gearbeitetes Modell des sym- pathischen Nervensystems speciell hervorhebe. XXVl. Beitrag zur Morphologie des Gehirnes. Von Dr. E. Zuckerkandl, Prosector der Anatomie in Wien. (Hierzu Tafel XX.) An die Entwirrung der Faserung im Gehirne, und an die end- gültige Bestimmung der Leistungen der verschiedenen Gehirnbezirke, knüpfen die Physiologen Hoffnungen, von denen nur zu wünschen wäre, dass sie auch bald in Erfüllung gingen. Der Physiologie muss natur- gemäss eine detaillirtte Kenntniss des betreffenden Körpers durch anatomische Untersuchung vorausgegangen sein, und daher ist auch in den letzten Jahrzehnten, wo man mit vereinten Kräften daran ging, den Schleier zu lüften, der die Physiologie der Gehirnorgane dicht umhüllte, der Morphologie des Gehirnes die Aufmerksamkeit der Anatomen unablässig zugewendet worden, und der grosse Erfolg den die Morphologie errungen, lässt uns hoffen, dass ein nicht min- derer denen beschieden ist, die mit Zuhülfenahme der letzteren, die Herde der qualitativ differenten Gehirnleistungen zu eruiren sich bestreben. Das Vorausgeschickte möge mir als Entschuldigung dienen, wenn ich es unternehme, eine Stelle des menschlichen Gehirnes zu ver- zeichnen, der weder in den Handbüchern der Anatomie noch in den Specialwerken über Bau des Gehirnes eine Beachtung zu Theil wurde. — Um die erwähnte Stelle bloszulegen, möge man sich folgenden Verfahrens bedienen. — An einem aus der Schädelhöhle genommenen Gehirne, welches auf seine obere Fläche gelagert werde, entferne man den grössten Theil des Gehirnstockes; jedenfalls soviel, dass die untere Fläche des Splenium corporis callosi, das Gewölbe mit seinen hinteren Schenkeln, und deren Eintritt in die Uuterhörner der Seitenventrikel XXVIlI. Dr. E. ZuckErkanpL. Beitrag zur Morphologie des Gehirnes. 443 zu Tage liegen. Sodann löse man vom Subiculum cornu Ammonis — überhaupt von den nachbarlichen Windungen des Unterhornes die Hüllen ab — um rein präparirt die Region übersehen zu können. Ist dies geschehen, und untersucht man nun die Gegend des aufgesetzten Wulstes von vorne her, so zeigt sich folgendes: Um das Splenium corporis callosi schlägt sich rechts wie links der Gyrus fornicatus herum, der an der unteren Fläche des Schläfelappens Gyrus hypo- campi genannt wird; doch findet sich im Bereiche des Splenium cor- poris callosi eine tiefe, der beschreibenden Anatomie längst bekannte Furche, welche den hinteren basalen Schenkel der Bogenwindung in eine hintere und vordere Partie theilt. — Erstere ist kleiner, vorne mehr zugespitzt auslaufend, und schiebt sich unter die zweite bedeu- tend grössere, die mit dem Namen Gyrus hypocampi oder Subiculum cornu Ammonis hinlänglich ihre topographischen Beziehungen kenn- zeichnet. — Jene Flächen der genannten Hirnwindungen, die gegen das Unterhorn gerichtet sind und zum grossen Theile auch deren basalen Flächen zeigen nicht mehr die charakteristische Farbe der Gyri, sondern besitzen einen mattweissen Beleg von Marksubstanz, dessen genaue Kenntniss wir ARNOLD zu verdanken haben. In einiger Entfernung von den Bogenwindungen, mehr gegen die Mittellinie vorgeschoben, schlingen sich ferner beiderseits die platten Ausläufer der gezahnten Bänder um den aufgesetzten Wulst des Balkens herum (Fig. 1 der Taf. XX), und zwar, entweder einfach bogenförmig oder leicht Sförmig geschlungen. Sie erstrecken sich bis auf die obere Fläche des Balkens und schliessen hier ab, oder hängen daselbst mit den Bogenwindungen in folgender Weise zusammen. — Die Bogenwindungen setzen sich oft gegen den Balken nicht scharfkantig ab, sondern an den Stellen, welche wir als ihre unteren Ränder bezeichnen, verdünnt sich die Rindenschicht der Gyri ganz ausnehmend, etwa bis auf das Maass einer feinen Papierplatte und diese verdünnten Ausläufer, welche sich vom Splenium bis unter das Knie des Balkens erstrecken, bedecken lateral dessen obere Fläche in sehr verschiedener Ausdehnung. Hebt man einen Gyrus fornicatus vom Balken ab, so reisst sich seine das Corpus callosum zum Theil deekende Schicht von diesem ab und zieht sich gegen die Bogen- windung zurück. In diese graue Deckschichte des Corpus callosum geht die Fascia dentata Tarini häufig über, und das Balkenstück der- selben, welches Faseiola cinerea genannt wird, unterscheidet sich von jenem am Ammonshorne haftenden durch den Mangel einer Zähnelung. Es ist nun wesentlich zu bemerken, dass die Fasciola cinerea nicht unmittelbar der Bogenwindung anliegt, sondern durch ihre 444 XXVII. Dr. E. ZuckERKANDL. mediane Stellung etwas abseits vom Gyrus fornicatus verläuft; da- durch etablirt sich zwischen dem letzteren und der Faseiola einerea ein bis über lcm. langer und gegen 2—4mm. breiter Raum, und die Ausfüllung des letzteren will ich mit dem Folgenden einer kurzen Beschreibung unterwerfen. Es ist jedenfalls eigenthümlich, dass, während wir über die bisher beschriebene Ansicht des Gehirnes, zum Theil selbst ganz ausgezeich- nete Abbildungen in F. Arnouv’s!), ©. F. Burpaca’s?), M. Fovırne's®), J. Henue's®), Fr. Leurer’s®), G. B. Reıcherr's®), Ph. C. Sappey’s’) und Vıcq. D’Azyr’s®) Werken antrefien, gerade die von mir bezeich- nete Stelle des Gehirnes, die doch auch in die Ansicht der Zeichnung hineinfällt, nirgends einen Platz gefunden hat. Die erwähnte Stelle wird eingenommen von 1 bis 4 mehr oder minder halbkugelförmigen, durch deutliche Furchen von einander ge- schiedenen Wülsten, die überdies auch noch gegen die Fasciola cinerea, das gezähnte Band und den Gyrus fornicatus durch deutliche Rinnen sich abgrenzen. Ihre freien, den Unterhörnern zugewendeten convexen Flächen sind mit bläulichweisser Marksubstanz bedeckt, während der Durchschnitt lehrt, dass dieselben dem Hauptantheile nach aus grauer Gehirnsubstanz zusammengesetzt sind. Bei Gegenwart mehrerer Wülste sind diese klein, eine bis zwei sitzen gewöhnlich noch auf der unteren Seite des Balkenwulstes, und die übrigen erst auf der Ventrikelfläche des Gyrus hypocampi. Sind ihrer nur zwei oder gar einer vorhanden, so gehören sie dem An- scheine nach dem letzteren an und zeichnen sich diesen Falles durch ihre stattliche Entwicklung aus. An einem Präparate sah ich die- selben durch schräg gerichtete Stränge mit der Fascia dentata Tarini im Zusammenhange stehen. Zuweilen bemerkt man nichts von einer gewulsteten Stelle; aber es fehlen in diesem Falle blos die Convexitäten; denn zwischen der Faseiola cinerea und dem Gyrus fornicatus zeigt sich klar und deut- lich ein mehr oder minder breites (bis 5mm.), im inneren graues 1) Handbuch der Anatomie. Freiburg im Breisgau 1850. 2) Vom Bau und Leben des Gehirnes. Bd. II. Leipzig 1822. 3) Traite complet de Anatomie, de la Physiologie et de la Pathologie du Systeme nerveux cerebro-spinal. Atlas. Paris 1844. %) Handbuch der Anatomie: Nervenlehre. 5) Anatomie comparee du Systeme nerveux. Paris 1839. 6) Der Bau des menschlichen Gehirnes. Leipzig 1861. 7) Traite d’Anatomie descriptive. Bd. III. Paris 1871. 8) Traite d’Anatomie et de Physiologie. Bd. I. Paris 1786. Beitrag zur Morphologie des Gehirnes. 445 Band eingeschaltet, dessen freie Fläche mit mattweisser Marksubstanz belegt ist. Auch kommt es gar nicht selten vor, dass diese Formation sich mit der von Wülsten combinirt; ist dem so, dann liegt das Band am Balkenwulst und demselben (dem Bande) folgen eine bis zwei Wülste. Ich erwähne an dieser Stelle, dass ich die eben beschriebenen Wülste und deren Nebenformen als constante Gebilde bezeichnen muss; ihre Grösse und Anzahl unterliegt wohl einigen Variationen, aber selbst in dem Falle, wo sie zu fehlen scheinen, ist es stets leicht den Beweis zu führen, dass an der correspondirenden Stelle das Subi- culum cornu Ammonis eine leichte Verdickung und Kräuselung, als Andeutung einer accessorischen Windung, zeigt. — Ich habe auch noch beizufügen, dass dieselben Formationen auch schon im Neuge- bornen vorkommen; wie und wann sie im Embryo auftreten, konnte ich leider wegen Mangel an Gelegenheit nicht constatiren. Es soll nun entschieden werden, ob die Wülste in der That dem Rindensysteme, und speciell dem des Subiculum angehören, und schliess- lieh ob sie zum Ammonshorne in welche Beziehungen treten. Es ist klar, dass nur Durchschnitte und die mikroskopische Untersuchung hierüber Aufschluss geben können. Bevor man jedoch an die Beantwortung der gestellten Frage schreitet, ist es nothwendig zu wissen, in welcher Art das Ammons- horn seinen Anfang nimmt. Ueber das vordere und mittlere Stück und die Durchschnittsfigur des grossen Seepferdfusses besitzen wir eine genügende Anzahl von ganz vortrefflichen Abbildungen; über das hintere Ende derselben hin- gegen habe ich in keinem der Werke über Gehirnanatomie eine ge- nügende Zeichnung gefunden, und dies wird um so unangenehmer vermisst, als gerade die Kenntniss dieser Stelle für das Verständniss des Ammonshornes von grossem Werthe ist. — Um hierüber klaren Aufschluss zu erhalten, habe ich an gut gehärteten Gehirnen das ganze Ammonshorn durch Entfernung der dasselbe bedeckenden Mark- substanz rein dargelegt. Da zeigt sich denn, dass dasselbe nach hinten im Höhen-, Tiefen- wie Breitendurchmesser schrittweise abnimmt, so dass sein vorderes Ende zum hinteren sich nahezu so verhält, wie der Kopf des Streifenhügels zu dessen Schweife. An Stelle des Balkenwulstes ist vom Ammonshorne nur mehr ein dünnes Plättchen zugegen, welches sich der Bogenwindung an- schliesst, während sein Hauptkörper diesen Ortes von der Fasciola einerea gebildet wird. — Für die bereits beschriebenen Wülste ergiebt sich an einem in der angeführten Weise ausgearbeiteten Objeete, dass 446 XXV]ll Dr. E. ZucKERKANDL. dieselben mit dem Ammonshorne nichts gemein haben, sondern viel- mehr, wie auch die Durchschnittsfigur zeigt, dem Subiculum anzuge- hören scheinen, womit auch das Ergebniss der mikroskopischen Unter- suchung insofern übereinstimmt, als auch sie aus Elementen der Rinde aufgebaut sind. — Die folgende kurze vergleichende Skizze wird aber zeigen, dass wir es hier mit den verkümmerten Theilen einer am Balkenwulste unter dem Gyrus fornicatus ge- lagerten Windung zu thun haben. Nachdem nämlich die Anatomie der Wülste sicher gestellt war, ging ich daran zu untersuchen, ob und in welcher Form sie bei an- deren Thieren auftreten. Es standen mir Gehirne vom Hund, Hasen, Kalb und von der Katze zu Gebote, und ich beginne mit dem des Kalbes, weil an diesem Thiere die in Rede stehenden Theile am mächtigsten entwickelt sind (Fig. 4, Taf. XX.). Entfernt man beim Kalbe den Gehirnstock, um in die nor phie der Ventrikel Einsicht zu erhalten, so zeigt sich vorerst, dass der Gyrus fornicatus, am Balkenwulste, aus dem Confluxe mehrerer — man kann sagen dreier — Windungen hervorgeht. Von diesen bilden nur zwei die Bogenwindung, während die sogenannte dritte sich etwas complicirter stellt. Es beginnt nämlich an der oberen Fläche des Corpus callosum ein sich im Verlaufe gegen das Unterhorn verstärken- der Windungszug, der sich auf die untere Fläche des aufgesetzten Wulstes vom Balken legt und sich so weit am Eingange ins Unter- horn vorstreckt, dass die Fascia dentata Tarini, welche bei all’ den angeführten Thieren diesen Namen nicht verdient, weil sie völlig glatt ist, vom Balkenrand und der Bogenwindung ganz besonders stark weg- gedrängt wird. — Dieser Windungszug nun giebt die dritte zugleich schwächste frontal gelagerte Wurzel für den Gyrus fornicatus ab und seht mit dem Reste in drei Wülste über, von denen die zwei lateralen sich unter das Subiculum cornu Ammonis schieben, und an Grösse, Farbe und Lage völlig denen im menschlichen Gehirne gefundenen gleichen. Dem Vergleiche nach muss also gesagt werden, dass im Menschen der unter dem Gyrus fornicatus gelegene Windungszug sich blos auf die Wülste, zuweilen noch auf einen glatten grauen Strang zwischen Gyrus und Fasciola cinerea reducirt, während am Kalbe dieselben Verhält- nisse nach unserem Materiale die höchste Blüthe erreichen. Besieht man daher in der Seitenansicht das Splenium corporis callosi des Kalbes, so liegt auf demselben unmittelbar die weit vorne zart beginnende sich allmälig verdickende Fasciola cinerea, ober- halb dieser als zweite Etage der beschriebene Windungs- Beitrag zur Morphologie des Gehirnes. 447 zug und jetzt erst folgt als dritte Etage der Gyrus for- nicatus. Der Durchschnitt des Windungszuges lehrt, dass der Gyrus hypo- campi vor seiner Einrollung drei Windungen beschreibt, die ich hier- mit schematisch versinnliche, davon ist 1 der eigent- liche Gyrus fornieatus, 2 der oben erörterte Windungs- zug und 3 einer von den Wülsten. Lateral, wo der Windungszug nicht mehr vorhanden ist, verhält es = sich genau so wie an der correspondirenden Stelle des Menschengehirnes, wo in dieser Weise sich das Subieulum zum Ammonshorne einrollt. Im Hunde (Fig. 5, Taf. XX) stellt es sich so, dass die gewulstete Region zu einer zungenförmigen Windung zusammengebacken erscheint, die als unmittel- bare Fortsetzung des Gyrus fornicatus imponirt, sich weit gegen das Unterhorn vorstreckt und die Fascia 2) dentata Tarini vor sich herschickt. Im Hasen (Fig. 6) und der Katze tritt auch ein Zapfen, jedoch von mehr rundlicher Form und kleiner auf, und insbesondere im ersteren ist das vorderste Ende desselben durch eine ziemlich markirte Furche gegen den Gyrus fornicatus begrenzt. Der Durchschnitt dieser Zapfen stellt ausser Zweifel, dass dieselben analog sind dem beschrie- benen Windungszuge des Kalbes und den Wülsten an der Ventrikel- fläche des Subiculum cornu Ammonis im menschlichen Gehirne. Ich will diese Notiz nicht schliessen ohne vorher noch die Ana- tomie der Decke des Unterhornes und eine Anomalie im Bereiche des Gehirnbalkens kurz besprochen zu haben. Eröffnet man das Unterhorn von der Gehirnbasis aus und besich- tigt dessen Decke, so erscheint auf derselben freiliegend die Cauda des Streifenhügels. Sie erreicht das vordere Ende des Unterhornes und setzt sich häufig durch einige graue Schleifen mit dem Mandel- kerne in Verbindung. — Dieser Verlauf des Corpus striatum im Unter- horne ist bereits von A. HALter!) angedeutet worden. C. F. Burpach ?), der Begründer der neueren Gehirnanatomie, hat diesen Verlauf sehr eingehend studirt, denn er schreibt darüber: „der Schwanz des Streifen- hügels (Cauda corporis striati) ist hinten zwei Linien breit und noch nicht ganz so dick, erstreckt sich mit nach oben gewendeter Wölbung am äusseren Rande des Bodens der Seitenhöhle, wo dieser mit der Decke desselben einen Winkel bildet, am äusseren Rande des Seh- 1) Elem. phys. Bd. IV. 2) 1. c. Zeitschrift f. Anatomie. Bd. I. 29 448 XXVII Dr. E. ZUCKERKANDL. hügels, nicht nur um einige Linien weniger weit nach hinten, als Letzterer, schlägt sich dann nach hinten und unten um und läuft an der Decke des Unterhornes nach vorne, und lässt sich bis in die Spitze des Unterlappens verfolgen.“ Vor ihm hat im Jahre 1814 dasselbe auch schon J. DÖLLINGER !) beschrieben und an einem sagittal durchschnittenen Gehirne, wie später Leurer ?), bildlich dargestellt, während der Verlauf des Corpus striatum im Querschnitte erst durch Reichert’) in ausgezeichnetster Weise illustrirt wurde. Dieser Schilderung nach ist es nicht nothwendig, über den Ver- lauf des Streifenhügels im Unterhorne noch etwas zu sagen; es finden sich aber im Verhalten dieses Nervenknotens einige Variationen und diese glaube ich kurz verzeichnen zu müssen. Ich fand das Corpus striatum zuweilen in der Mitte des Unter- hornes oder gar wie beim Hunde schon am Eingange in dasselbe auf- hören und 10mm. weit vor demselben einen frei auf der Decke liegen- den, bandförmigen, sich verbreiternden, grauen Kern nach vorne ziehen; oder es fanden sich mehrere kleinere Kerne oft auch neben- einander gelagert, von denen der vorderste mit Fortsätzen des Mandel- und Linsenkernes, selbst mit dem Claustrum durch schmale, graue Stränge in Verbindung stand. Die übrigen Kerne sind selbstständig. Es dürfte seine Richtigkeit haben, wenn man behauptet, dass die lose gelagerten grauen Kerne als isolirte Stücke der Cauda corporis striati anzusprechen sind. — Nach Alldem sehen wir also, dass für sewöhnlich die dem Gehirnmantel angehörenden Ganglien insgesammt zusammenhängen. Auch die Stria cornea läuft auf der Decke des Unterhornes vor- wärts, um die graue im vordersten Ende des Unterhornes convex vor- tretende hintere Fläche des Mandelkernes unvollständig zu bedecken. Insbesondere deutlich ist dies zu sehen an ödematösen oder hydro- cephalen Gehirnen, deren Ependym und Marksubstanz gelockert sind. 1) Beiträge zur Entwicklungsgeschichte des menschlichen Gehirnes. Frank- furt am Main. 2) 1. c. 3) 1. c. BEN Beitrag zur Morphologie des Gehirnes. 449 Ueber eine Bildungsabweichung in dem Gehirne eines 12jährigen Knabens. An diesem Präparate gehen 4—5mm. vor der Mitte des Corpus callosum, sowohl von dessen Raphe, wie auch von den Striae longitu- dinales, stärkere und schwächere Markbündel hervor, die zusammen- gefas st ein über lem. breites. Nervenband darstellen, welches vertikal zur Pia mater und Arachnoidea der Bogenwindung aufsteigt und hier ganz deutlich mit groben Endspitzen abschliesst. Krklärung der Abbildungen. Tafel XX. Fig. 1. Gehirnbasis des Menschen nach Abtragung des Gehirnstockes. a b. C. d . Splenium corporis callosi. Fimbria (hinterer Schenkel des Gewölbes). Subiculum cornu Ammonis. . Fasciola cinerea. e. Die zwischen Faseiola und Subiculum gelagerten Wülste. Fig. 2. Unterhorn eines menschlichen Gehirnes von oben gesehen. do @& er Ammonshorn wie es vorne anschwillt und rückwärts immer substanz- ärmer wird. ‘ . Subieculum cornu Ammonis. . Fascia dentata Tarini. . Die Wülste; um zu zeigen, dass sie einerseits dem Subiculum aufsitzen, und andererseits direet nichts mit dem Ammonshorne zu thun haben. Fig. 5. Durchschnittsfigur der Wulstregion. a b & d . Subiculum. . Durchschnitt eines Wulstes (Fig. I. e). . Uebergang des Subiculum ins Ammonshorn. . Markbelag des Wulstes. Fig. 4. Gehirnbasis des Kalbes nach Abtragung des Gehirnstockes. a. b. & Fimbria. Subieulum cornu Ammonis, welches sich am Balkenwulste aus drei Win- dungen constituirt. . Fascia dentata Tarini. ‚ Windungszug der die dritte Wurzel des Subiculum abgiebt und sonst drei Wülste bildet. »9* 450 XXVH. Dr. E. Zuckerkanpe. Beitrag zur Morphologie des Gehirnes. Fig. 5. Linke Gehirnhemisphäre eines Hundes nach Abtragung des Ge- hirnstockes. a. Fimbria. b. Subiculum. ce. Fascia dentata Tarini. d, Zapfenförmiger Fortsatz der Bogenwindung, der morphologisch ınit den Wülsten übereinstimmt. Fig. 6. Linke Hemisphäre eines Kaninchens nach Abtragung des Ge- hirnstockes. a. Subiculum. b. Fimbria. c. Fascia dentata Tarini. d. Zapfen des Gyrus fornicatus, der sich gegen letzteren durch eine leichte Furche begrenzt und den Wülsten analog ist. XXVIN. Besprechungen. Die Leitungsbahnen im Gehirn und Rückenmark des Menschen auf Grund entwicklungsgeschichtlicher Untersuchungen dargestellt von Paul Flechsig. Mit 20 Tafeln. Leipzig 1876. W. Engelmann. Besprochen von W. His. Ein alter schweizerischer Spruch sagt: „Nit nahlah gwinnt‘“ (Nicht nach- » lassen gewinnt). Die Wahrheit desselben haben wir zwar bei wissenschaftlichen Arbeiten oft genug Gelegenheit zu erproben, an wenig Orten aber tritt sie uns neuerdings in so schlagender Weise entgegen, als in den Arbeiten über Bau und Leistungen der nervösen Centralorgane. Die zähe Ausdauer, mit welcher während dieser letzten Jahrzehnte immer und immer wieder dem spröden Stoff zu Leib gegangen worden ist, hat, unter successiver Eröffnung neuer Angrifispunkte uns langsam zwar, aber stetig weiter geführt. Der Zerklüftungsmethode der älteren Anatomenschule folgte in Srıuuıe’s bahnbrechenden Arbeiten die Einführung der successiven Schnitte, dann traten die Tinctions- und Macerationsmethoden in die Reihe. Auf vergleichend-anatomischer Betrachtung baute sich sodann die früher vernachlässigte, für Physiologie und Pathologie so bedeutsam gewordene Windungslehre auf, und mit den rein anatomischen Methoden combiniren sich mehr und mehr die experimentelle Forschung und die scharfe Analyse patho- logischer Befunde. Noch sind wir weit vom Ziele weg, in seinen letzten Endpunkten ist es wohl überhaupt unerreichbar, allein es weht ein muthiger Hauch durch die Hirnforschung, der zu den bereits erreichten Erfolgen weitere nicht minder ungeahnte verspricht. — Versuche, wie der von MEYNERT 452 XXVIII. Besprechungen. unternommene, ein Gesammtbild der Hirnorganisation zu entwerfen, sind sicherlich noch auf lange Zeit hinaus hoffnungslos, allem den einen Werth kann man ihnen nicht absprechen, dass sie, von gewandter Hand durch- geführt, mächtig anregen und die für fernere Fortschritte erspriessliche Ord- nung des weitläufigen Materials herbeiführen helfen. Unter den rein anatomischen Methoden ist in neuerer Zeit keine so sehr in den Vordergrund getreten, wie die Schnittmethode. Die bezügliche Technik ist nunmehr, durch Einführung der grossen Mikrotome, auf einen Höhepunkt gebracht worden, den man noch vor wenigen Jahren kaum er- hoffen durfte, und an der Hand derselben sind wir jetzt im Stande eine ge- naue Topographie der Centralorgane, eine bis ins Einzelnste gehende Dar- stellung von der grauen und weissen Substanz, von der Anordnung der Zellen und für die einzelnen Distrikte auch von der Verlaufsrichtung der Fasern zu geben. — Zu einer tiefergehenden Erforschung der Hirn und Rücken- marksorganisation reicht indess die Schnittmethode als solche nicht aus, denn ihre Ergebnisse sind überall da vieldeutig, wo Faserzüge umbiegen, wo sie sich zerklüften, oder wo sie in graue Substanzmassen eindringen. Die schon von Srrruıc viel benutzten Flächenmessungen werden zwar noch Manches, zur Zeit 'schwankende sicherer stellen, allein zu einer eingehenderen und zuverlässigeren Feststellung der Faserverknüpfungen wird die Methode an und für sich niemals ausreichen. So ist man trotz derselben über einen der am frühesten aufgegriffenen und einfachsten Abschnitte der Organisations- lehre, die Lehre von den Nervenkernen noch bis heute zu keinem Abschlusse gelangt, und vollends bei verwickelteren Fragen lässt sie uns bald im Stiche. So wird sich auch jeder Unbefangene sagen, dass zu so complexen Ver- knüpfungen, wie z. B. den von MeEynerr für den Verlauf der Corpora resti- formia gegebenen, die durch die Oliven und durch die Raphe hindurch in den Hinterstrang geleitet werden, die Grundlagen nicht entfernt ausreichen. Sollen wir in der Organisationslehre um einen wesentlichen Schritt weiter kommen, so müssen wir Mittel finden die Faserzüge mit bestimmten Marken zu versehen, die denselben Zug auch bei anderer Vertheilung und. in anderer Umgebung wieder zu erkennen erlauben. Diesem Desiderate würde z. B. ein Farbstoff abhelfen, der längs der Fasern sich ausbreitete, ohne je- mals von den einmal gefärbten Fasern auf ihre Nachbarn überzugreifen. Einen solchen Farbstoff besitzen wir allerdings nicht, dagegen giebt es, wie wir nunmehr wissen, gewisse, durch das Auge wohl verfolgbare Prozesse, welche von gegebenen Endpunkten aus ganz bestimmte Faserzüge er- greifen, und längs derselben bis zu deren vorläufigen Endpunkten sich aus- breiten. Der eine von diesen Processen, den die Arbeiten Tür&’s vor mehr als einem Vierteljahrhundert aufgedeckt haben, ist die sogenannte secun- in. XXVIII. Besprechungen. 453 däre Degeneration, der andere, auf dessen Tragweite wir eben durch die Arbeiten FrLecHsıg’s aufmerksam geworden sind, der Process der Mark- scheidenbildung. Bekanntlich hatte TÜRK bei seinen Untersuchungen gefunden, dass nach Zerstörung von Streifenhügel und Linsenkern gewisse Faserzüge in absteigender Richtung degeneriren und durch Anhäufung reichlicher Körnchenzellen äusser- lich sich kennzeichnen, während bei Verletzungen des Rückenmarkes andere gleichfalls scharf sich zeichnende Bahnen in aufsteigender Richtung sich ver- ändern. TÜürk’s Ergebnisse, obwohl von späteren Forschern insbesondere von . BoucHARD bestätigt, haben, wenigstens von Seiten der Anatomen und Phy- ‚siologen nie den Grad von Beachtung gefunden, den sie, wie sich jetzt herausstellt, wirklich verdienen, und ebenso war es bis in die allerneueste Zeit hinein Niemandem geglückt, der bei peripherischen Nervenverfolgungen wohl bewährten WALtEr’schen Methode für das Centralnervensystem brauch- bare Ergebnisse abzugewinnen. Erst im verflossenen Jahre hat SCHIEFER- DECKER in einer fast gleichzeitig mit Frechsie’s Buch erschienenen Arbeit, die degenerativen Folgen beschrieben, welche die quere Durchschneidung des Rückenmarks nach sich zieht, und seine positiven Ergebnisse finden sich in erfreulichster Uebereinstimmung mit den von Türk und BoucHARD einer- seits und von FLEcHsIıG andererseits auf anderem Wege erhaltenen. FrecHsie bezeichnet den von ihm eingeschlagenen Weg der Markanalyse als den entwicklungsgeschichtlichen, die Grundlagen auf welchen er aufbaut, sind folgende: die 'Theile des Gehirns und Rückenmarks, welche aus Nerven- fasern bestehen und die beim Erwachsenen von blendend weisser Farbe sind, sind beim Fötus bis in die Mitte der Schwangerschaft hinein noch gallert- artig durchscheinend; die von da ab beginnende Markbildung erstreckt sich nun aber nicht gleichzeitig über die gesammte Fasermasse, sondern sie be- trifft zunächst das eine, dann andere Fasersysteme und so zeigen sich bis zur Zeit vollendeter Markbildung d. h. bis ungefähr zum 5. Lebensmonat ” auf Durchschnitten durch das Rückenmark und das Gehirn neben einander weisse und blasse Faserterritorien scharf von einander abgegrenzt. Die Be- stimmung der Territorialabgrenzung durch die Reihenfolge der Schnitte hin- durch, gewährt das Mittel, verschiedene Hauptbahnen ihrer Länge nach zu verfolgen und klar von ihrer Umgebung zu sondern. Den ersten Theil seines Werkes widmet FLEcHsIG der chronologischen Beschreibung seiner Befunde. Die Reihenfolge in der das Markweiss auf- tritt ist folgende: *) SCHIEFERDECKER, Ueber Regeneration, Degeneration und Architektur des Rückenmarks. VırcHow’s Archiv. Bd. 67. S. 542. 454 XXVII. Besprechungen. 1) in dem äusseren Theil der Hinterstränge bis in die Höhe der Oli- ven (Früchte von 25—30 cm.). 2) in den Vordersträngen mit Ausnahme der an die Fissur anstossen- den Zone (Früchte von 35 cm.) und zwar zuerst im oberen Halsmark später im untern Hals- Dorsal- und Lendenmark; in den hintern Längsbündeln der Medulla obl. Auch die Nervenwurzeln von oculomotorius, facialis und acu- sticus, dann die aufsteigende Wurzel des seitlich gemischten Systems: glosso- pharyngeus, vagus und accessorius, sowie trigeminus, trochlearis, abducens und hypoglossus kommen an die Reihe, während der N. opticus bis nach der Ge- burt grau bleibt. 3) In den Seitensträngen hellt sich zuerst die vordere Hälfte auf, sowie die substantia reticularis und eine schmale peripherische Schicht. Ein von oben nach unten abnehmendes in der hintern Hälfte liegendes Feld bleibt grau. In der Medulla oblongata und Brücke werden weiss: die Schleifenschicht, die vordere Abtheilung des innern motorischen Feldes, sowie Verbindungszüge vom Oberwurm zur Brücke und zu den Vierhügeln. 4) Bei Neugebornen von 44 cm. werden nun auch die Govv’schen Keil- stränge des Rückenmarkes weiss, sodann im Cerebellum der Rest des Ober- wurms, die Flocke und das Innere der Nuclei dentati, ebenso die Verbindungs- wege der Haube zwischen Gross- und Kleinhirn, die pedunculi cerebelli ad corpora quadrigemina, die brachia posteriora, die commissura posterior, die Bündel vom ganglion habenulae zur Haube. Später nimmt im Kleinhirn die weisse Masse in der Art zu, dass sich um die nuclei dentati herum eine immer dickere Schicht bildet. 5) Beginnt nach der Geburt die Markentwicklung der Hemisphären zunächst in der capsula interna, in den laminae medullares nuclei lenti- formis, und in der hinteren Centralwindung!), gleichzeitig im äussern "Theil der Basis pedunculi und in einzelnen Längsfasern der Brücke. Dann tritt 6) ein von der innern Kapsel aus in den Hinterhauptslappen strebender Zug auf, dem sich in der Folge Abzweigungen in den Schläfen- lappen anlegen. Auch dem in die Centralwindungen aufsteigenden Zuge legen sich vorn sowohl, als hinten neue Fasermassen an. 7) Erscheinen in der Hemisphärenrinde dicht unter der grauen Masse weisse Bogenfasern (Associationsfasern), zuerst wiederum in den Centralwindun- gen, dann im Schläfenlappen, und es bildet sich weisse Substanz im Balken, wobei die Verbindungsstücke bereits weisser Hemisphärentheile auch zuerst weiss werden. !) Ueber die Faserzüge im Grosshirn s. die vorläufige Mittheilung von FrecnasiG (Med. Centralblatt 1877. Nr. 3, S. 35) und den Aufsatz im Archiv für Heilkunde. Bd. XVIII. Ueber Systemeıkrankungen im Rückenmark. XXVII. Besprechungen. 455 Bei Kindern von 49—51 em. sind die Stränge des Rückenmarkes und der Medulla oblongata, die Brücke und der grössere Theil des Kleinhirn- markes entschieden weiss. Am längsten widersteht der Umbildung das Mark des Stirnlappens, das wie der Fornix und die Basis pedunculi erst nach Ablauf des vierten Monats gleichmässig weiss geworden ist. Der zweite Theil des Werkes giebt eine eingehende mikroskopische Analyse des benützten Materiales und er präcisirt genauer einen grossen Theil der im ersten Abschnitte gemachten Angaben. Ausser der Entwicklung der Leitungsbahnen wird auch diejenige des Zwischengewebes behandelt. Das Auftreten des Markes in den Fasersträngen fällt, wie dies auch schon frühere Beobachter bemerkt haben, zusammen mit dem Auftreten reichlicher grossen- theils fettkörnchenhaltiger Zellen, dieselben ordnen sich zwischen den Fasern in Reihen an und bilden unvollkommene Scheiden der Bündel. In den noch marklosen Strecken sind diese Elemente, vorab die fetthaltige sehr sparsam vorhanden, die Fasern liegen hier in einer (durch Gerinnung?) feinkörnigen weichen Zwischenmasse, die Bündel sind jedoch auch jetzt schon durch kleine Septa geschieden, welche aus Blutgefässen und fasrigem Bindegewebe bestehen und mit Endothel bekleidet sind. Aus dem Complex der Längsstränge von Medulla obl. und Rückenmark scheidet sich am schärfsten die Pyramidenbahn aus, deren Geschichte von FuecHsie sehr vollständig mitgetheilt wird. In der Medulla oblongata des 11—12 cm. langen menschlichen Fötus ist noch Nichts von Pyramiden zu sehen, und die der Mittellinie naheliegenden Oliven sind durch eine schmale Zwischenschichte geschieden; dagegen sind die Pyramiden beim Fötus von 25 cm. bereits vorhanden, obwohl noch marklos. Ihren Markgehalt bekom- men sie erst gegen die Zeiten der Geburt (bei einer Körperlänge von circa 49 cm.) und da die übrigen Längsstränge des Markes mit Ausnahme eines kleinen Theils der C. restif. schon weit früher ihr Mark erhalten haben, so zeichnen sich die Pyramiden und ihre Fortsetzung ins kückenmark während der Zwischenzeit (35 bis 49 cm.) äusserst scharf von ihrer Umgebung ab. Die Fortsetzung der Pyramiden, und darin sind FrecHsie’s Erfahrungen mit denen der Pathologen in absoluter Uebereinstimmung!), ist eine doppelte, ein Theil der Fasern tritt gekreuzt in den hintern Abschnitt des entgegen- gesetzten Seitenstranges, der andere bleibt im correspondirenden Vorderstrang, und bildet in diesem eine schmale der Fissur anliegende Platte. Das Ver- hältniss beider Portionen der Pyramidenbahn- zu einander ist kein festes, !) Es darf hier daran erinnert werden, dass auch die älteren Anatomen schon zu dem Resultate gekommen waren, dass die ungekreuzten Pyramiden- fasern dem Vorderstrang derselben Seite, die gekreuzten dem Seitenstrang der entgegengesetzten angehören vergl. ArnoıD, Anat. I]. 2, S. 703, 456 XXVIII. Besprechungen. bald ist der Seitenstrangantheil grösser, bald geringer, als der Vorderstrang- theil, es kommt auch zu assymmetrischer Vertheilung, und in einem einzelnen Falle sah FrecHsig, bei völligem Fehlen der Pyramidenkreuzung, die ganze Bahn in den Vorderstrang, in einem anderen die ganze Bahn in den Seiten- strang übergehen. Vollständiges Fehlen der Pyramidenbahn wurde beobachtet in einem Falle von Zerstörung der Hirnschenkel und bei Acranie. Die Pyramidenbahn erstreckt sich, von oben nach abwärts im Durchmesser ab- nehmend, bis in den oberen Theil des Lendenmarks. Die Abnahme erfolst rasch im Halstheil, langsam im Rückentheil und dann wieder rasch im Len- dentheile, ein Verhalten, das darauf hinweist, dass die Pyramidenbahnen das Fasersystem sind, welches den Hirnschenkelfuss, bez. seine beiden Ganglien ınit der grauen Substanz des Rückenmarks verbindet. Wo diese entwickelter ist, findet reichliche Abzweigung statt. Das Mark der Pyramiden entwickelt sich von oben nach abwärts fortschreitend, anfangs nur in sehr dünner Schicht um jede Faser herum. Nachdem einmal die Pyramidenfasern markhaltig ge- worden sind, bleiben sie anfangs noch sehr fein, und sind durch ihr feines Kaliber während geraumer Zeit von den benachbarten Faserzügen zu unter- scheiden. Eine zweite, scharf sich ausscheidende Längsbahn ist jederseits im hin- tern Theil des Seitenstranges nach Aussen von der Pyramidenseitenstrangbahn gelegen. FLecHsıG nennt sie die Kleinhirnseitenstrangbahn. Sie er- hält ihren Markgehalt beim Fötus von 30—32 cm., früher als die Pyrami- den, aber später als der vordere Theil der Seitenstränge (FLecaHsiıg’s Seiten- strangreste), zeichnet sich aber bald durch das bedeutende Kaliber ihrer Fasern von der Umgebung aus. Zu dieser Bahn gehören, wie dies SCHIEFER- DECKER’S Versuche bestätigen, zahlreich zerstreut liegende Fasern mit. Auch diese Bahn erstreckt sich nur bis in den Beginn des Lendenmarkes. Hier ist sie Anfangs durch einzelne Fasern vertreten, dann nimmt sie zu, und ist bis in das Corpus restiforme verfolgbar, dessen oberen Abschnitt sie bildete. TÜRK und SCHIEFERDECKER haben diese Bahn nach aufwärts de- seneriren sehen, halten sie sonach für eine centripetal leitende. Die dritte scharf sich abgränzende Länesbahn ist die der Goun'schen Keilstränge die ihren Markgehalt später erhalten, als der übrige Theil, der sogenannte BurpachH’sche Keilstrang, oder das Grundbündel des Hinter- stranges. Für die Goru’schen Stränge sind die Querschnittsverhältnisse weniger ausgedehnt zu übersehen, weil sie erst vom obern Dorsalmark ab sich scharf abgränzen; von hier aus bis ins obere Halsmark, findet von unten nach oben Zunahme des Querschnittes statt. Alle übrigen Längsfasermassen des Rückenmarks die sog. Grund- bündel der Vorderstränge, die Seitenstrangreste bestehend aus der vordern gemischten Seitenstrangzone und der seitlichen Grenz- XXVIII. Besprechungen. 457 schicht der grauen Substanz sowie die BurpAcH’schen Keilstränge haben das gemein, dass ihr Querschnitt, entsprechend der Zahl der ins Rücken mark eintretenden Nervenfasern in verschiedenen Höhen ab und zu nimmt, woraus der Schluss zu ziehen ist, dass diese Fasern nicht auf lange Strecken in der weissen Substanz verlaufen, und dass sie entweder aus aufsteigenden Wurzel- fasern, welche später in die graue Substanz eintreten, oder aus vertikalen Commissuren bestehen. Zu den Wurzelfasern gehören die Fasern der Hinterstränge und ein Theil der Vorderstrangfasern.?) Bei der ferneren Discussion seiner Ergebnisse sucht FuLecasıe, zum Theil an der Hand der Literatur den Zeitpunkt zu bestimmen, in welchem die einzelnen Fasersysteme auftreten, und er kommt zum vorläufigen Ergebniss, dass die Nervenfasern nicht nur in systemweiser Gliederung markhaltig wer- den, sondern auch systemweise entstehen, und dass ferner ein Parallelismus besteht zwischen dem ersten Auftreten der Bahnen und dem Auftreten ihrer Markscheiden. Beide Vorgänge scheinen im Allgemeinen durch einen Zeit- raum von ca. 4 Monaten geschieden zu sein. Speciell für die Pyramiden theilt der Verfasser mit, wie er sich die Bildung der ersten Fasersysteme denkt. Er ist gleich dem Referenten Anhänger der Auswachsungstheorie, und wenn Referent die Ansicht formulirt hat, dass die auswachsenden Nerven- fasern (ähnlich den wachsenden Gefässanlagen) den Bahnen geringsten Widerstandes folgen, so kommt auch Frecasıe zu ähnlichen Ergebnissen, wie sich besonders bei seiner mechanischen Erklärung der‘ Pyramidenkreu- zung herausstellt. Die Geschichte der ersten Faserbildung bildet übrigens zur Zeit ein dringendes Desiderat, das bei genügendem Material unschwer zu erfüllen sein dürfte. ?) Einen Anhang zum zweiten Theil des Werkes bildet die Vergleichung der aus der Entwicklung erschlossenen Systemgliederung des Markes mit den 1) Für ausschliessliche Wurzelfasern hält SCHIEFERDECKER die äussere, wie die innere Abtheilung der Hinterstränge, und er stützt seine Annahme auf einen Fall von Lane, in welchem Zerstörung der Cauda equina im Lendentheil des Rückenmarks vollständige Degeneration der Hinterstränge zur Folge gehabt hat. Bei seinen Markdurchschneidungen fand ferner Sch. dass die Grundbündel der Vorderstränge und die vordere gemischte Seitenstrangzone weder in auf- noch in absteigender Richtung degeneriren, was auf einen beiderseitigen Zusammen- hang der fraglichen Fasern mit Nervenzellen hinweist. 2) Ein Argument für die Auswachsungstheorie, das ich bis jetzt Nirgends ins Feld geführt finde, ist der Bau der in Amputationsstümpfen vorhandenen Nervenknoten; dass diese aus einem Faserknäuel bestehen, ist kaum anders ver- ständlich, als durch ein fortgesetztes Auswachsen der zerschnittenen Fasern, 458 XXVIII. Besprechungen. Ergebnissen der Pathologie, ein Capitel über das sich FLEcHsıG neuerdings noch besonders ausgesprochen hat.) Das Buch von Frecusıe ist, ähnlich anderer grösserer Monographien, nicht aus einem Gusse geschrieben, sondern allmählich unter den Händen des Verfassers gewachsen, so dürfen wir uns nicht wundern, wenn das zweite Buch das erste, und das dritte wiederum das zweite weiter ausführt und er- gänzt. Zunächst greift Frecasıe im dritten Theile seines Buches wieder auf die Pyramidenbahn zurück; zahlreiche Messungen geben über die grosse Variabilität in der Vertheilung dieser Bahnen und über ihre allmähliche Ver- Jüngung Auskunft. Mit Recht weist der Verfasser darauf hin, wie sehr die individuellen Schwankungen in der Strangvertheilung auf mechanische Ent- wicklungsmotive hinweisen, und er verknüpft in ansprechender Weise mit seinen bezüglich der Pyramidenbahnen gemachten Erfahrungen die Angaben über Fehlen des Chiasma opticum und über Fälle von gleichseitiger Lähmung bei Verletzung einer Hirnhemisphäre. Mit Hülfe einer modifieirten Gold- methode verfolgt er sodann die Pyramidenstrangfasern bis in die Nähe der vordern Commissur, wo sie plötzlich wie abgeschnitten aufhören. Ueber das endliche Schicksal derselben lässt sich dagegen nichts bestimmtes ermitteln, eine nachträgliche Kreuzung derselben innerhalb der Commissura anterior hält Frec#sıe nicht für wahrscheinlich. Dieselbe Goldmethode bestätigte den schon von früheren Forschern (KÖLLIKER und GERLACH) gesehenen Zusammenhang der Kleinhirnseitenstrangbahn mit den CrLArke’schen Säulen, und es wird hiernach wahrscheinlich, dass jene die mittelbaren Fortsetzun- gen hinterer Wurzeln sind, eine Annahme die nach seinen Erfahrungen auch SCHIEFERDECKER für die wahrscheinlichste erklärt. Die Fasern der vorderen gemischten Seitenstrangzone sind theils vordere, durch die graue Substanz direkt hindurch getretene Wurzelfasern (KÖLLIKER), theils stammen sie aus der vorderen Commissur und aus der Gegend der Zellen des Vorderhorns. Andere seiner Fasern entwickeln sich aus dem Ge- wirre feinster Fasern das in der grauen Substanz vorhanden ist. Die Fasern der sogenannten seitlichen Gränzschicht der grauen Substanz, sehr fein von Kaliber, lassen sich bis in die Gegend der vordern Commissur verfolgen, die sie jedoch nicht erreichen. Die meisten in den Seitenstrangrest eintretenden Fasern biegen sich in der weissen Substanz nach aufwärts, ein kleiner "Theil nach abwärts. In der Medulla oblongata gehen nach vorheriger Zerklüftung die Fasern des seitlich gemischten Systemes in die Längsbündel der Formatio reticularis über. Die Vorderstranggrundbündel bestehen aus feinen und stärkern Fasern. Letztere stammen zunächst aus der vorderen Commissur, aus Wurzelfasern und !) FLECHSIG im oben erwähnten Aufsatz im Archiv für Heilkunde. XXVIII. Besprechungen. 459 aus der grauen Substanz der andern Seite, die feinen Fasern aus der grauen Substanz derselben Seite. Die Goun’schen Stränge bestehen aus Fasern die zu den OLArke’schen Säulen und zur hintern Commissur verfolgbar sind; nach oben enden sie in den Kernen der zarten Stränge, den sogenannten Clavae. Die Burpacr’schen Keilstränge (hintere Grundbündel) sind grösstentheils, vielleicht sogar sämmt- lich aufbiegende Wurzelfasern, und endigen in den Kernen des Keilstranges der Medulla oblongata. Die nun folgende kritische Discussion der Medulla oblongata mag an Ort und Stelle nachgelesen werden, sie räumt mit einer Anzahl bisheriger Vorstellungen und, in einer vor allem einschneidenden Weise, mit dem Mry- NERT'schen Organisationsschema auf. Die positiven Angaben des kurz ge- fassten Abschnittes können offenbar erst als Abschlagszahlungen angesehen werden, denen später eine eingehendere Behandlung zu folgen hat. Die FuecHsie’sche Schrift erhebt nicht den Anspruch die Organisations- lehre der nervösen Centralorgane zu erschöpfen, aber sie führt uns einen sehr wesentlichen Schritt vorwärts und bringt Klarheit und präcise Methode im Gebiete, die derselben bis dahin entbehrten. Sie verräth darin auch ihrer- seits den Geist der Anstalt, an welcher der Verfasser thätig ist. 2. W. Henke, Zur Anatomie des Kindesalters.. GrrmArp’s Handbuch der Kinderkrankheiten. I. S. 227—302. Mit 32 Holzschnitten. Tübingen 1877. Laupp. Besprochen von G. Schwalbe. Die Anatomie des kindlichen Körpers, die Geschichte der jugendlichen Formen und ihrer allmählichen Umbildung ist bis jetzt von der Forschung nur sehr stiefmütterlich behandelt worden. Mit Ausnahme weniger Kapitel, wie der Anatomie des Gefässsystems, vor allen Dingen aber des Skelets liegt noch so unvollkommenes Material vor, dass ohne neue auf den spe- ciellen Zweck gerichtete Untersuchungen an eine übersichtliche, befriedi- sende Darstellung nicht zu denken ist. HENKE ist sich bei der Lösung seiner Aufgabe dieser mangelnden Grundlage in den meisten Kapiteln wohl bewusst. In seiner Darstellung der kindlichen Formen nimmt deshalb die 460 XXVIII Besprechungen. Beschreibung der Skeletverhältnisse den meisten Raum ein und nur ein kurzes Schlusskapitel (8. 294— 302) ist den Gefässen und Eingeweiden gewidmet. Diese durch das mangelnde Material zunächst gebotene Ein- schränkung hat nun aber dem Verfasser Gelegenheit geboten, desto inten- siver das kindliche Skelet und seine Wandlungen zu den erwachsenen For- men zu behandeln. Hier liest ja ein Gebiet vor, in welchem schon viel- fach gebaut wurde, in welchem nicht nur das rein descriptive Material nahezu vollständig beigebracht ist, sondern schon mancherlei Versuche angestellt sind, den Ursachen der Umbildungen der kindlichen Formen näher zu treten, ja den Wachsthumsbedingungen selbst nachzuspüren. Dies ist auch das Ziel der Untersuchungen Hrnkr’s. Auch er erstrebt eine Erklärung der Form- erscheinungen, bescheidet sich aber den Umbildungen weit entwickelter For- men bis zur definitiven Gestalt in ihren nächst liegenden controlirbaren Ur- sachen zu folgen, im Allgemeinen den von W. Hıs uns vorgezeichneten Weg betretend, auf welchem wir von einer gegebenen Form und gegebener Wachs- thumsintensität ausgehen, welch letztere aber „durch äussere zum 'Theil be- stimmbare Einflüsse modificirt oder mitbedingt werden kann“ Volltönende Schlagworte und gewagte Hypothesen, wie sie der dogmatisch ausgebauten phylogenetischen Erklärungsweise angehören, sind dem Verfasser fremd. Der speciellen Beschreibung der Skeletverhältnisse des Kindes schickt Henke ein allgemeines Kapitel über das Wachsthum des Skelets und seine Bedingungen voraus. Was zunächst den Modus des Wachsthums betrifft, so stellt sich Verfasser in dieser, in den letzten Jahren soviel dis- cutirten Frage entschieden auf die Seite der Anhänger des Appositionswachs- thums, erkennt ebenso eine physiologische Resorption als bestehend an. Die Versuche von LiEBERKÜHN und WEGNER sind in dieser Beziehung voll- kommen überzeugend; auch den Ausführungen des Referenten über die Ur- sachen der Richtung der Ernährungskanäle und Havzrs’schen Kanäle des Knochens und den daraus für das Knochenwachsthum gezogenen Folgerungen stimmt Henke bei. In Betreff der Abhängigkeit der äusseren Knochenform von den Muskeln wird auf L. Fıick’s schöne Versuche verwiesen. Mit Bezug auf die vielfach angenommene Entstehung der Fortsätze und Kanten unter dem Zuge der hier sich inserirenden Muskeln macht Hrxke mit Recht darauf aufmerksam, dass an anderen Stellen Kanten entgegen der Richtung des an ihnen wirkenden Zuges wachsen (Kamm des Brustbeins der Vögel, des Schä- - dels der Raubthiere). Auch das Längenwachsthum der Extremitätenknochen, der Wirbelsäule findet in einer Richtung statt, in welcher ein bedeutender Druck der Vergrösserung entgegensteht. Entgegen der Auffassung JAEGER’S (Ueber das Längenwachsthum der Knochen. Jenaische Zeitschrift Bd. V), nach welcher dieser Druck als ein das Längenwachsthum befördernder Reiz anzusehen wäre, hält Verfasser diesen Druck für ein Hinderniss des Längen- XXVIII Besprechungen. 461 wachsthums, dem durch andere Einrichtungen entgegen gearbeitet werden muss. Diese Einrichtungen sind die Gelenkknorpel, welche den Druck von dem hinter ihnen liegenden Knochengewebe abhalten, resp. die noch nicht verknöcherten Epiphysen, welche wie Schutzknorpel zwischen Gelenk und Dia- physe sich etabliren: „Die Anordnung der Zellen im Knorpel und ihr An- schluss an die Markräume im Knochen ist eine Einrichtung, wodurch der Effect des Druckes als Hinderniss des Auswachsens der Diaphyse in die Länge unwirksam gemacht wird und sogar insofern die Fortsetzung dieses Längenwachsthums begünstigen muss, als er die Össification der Knorpelfuge selbst noch verhindert.“ Aus diesen Voraussetzungen ergeben sich auch Ge- sichtspunkte für eine Erklärung des von OLLIER und Humpury nachgewie- senen ungleichen Längenwachsthums der langen Röhrenknochen. Grosse Epi- physen, die längere Zeit isolirt bleiben, werden den Diaphysenenden mit stärkerem Längenwachsthum entsprechen (oberes Ende des Humerus, unteres des Femur); andererseits werden wir das geringste Längenwachsthum und die unbedeutendste Epiphysenbildung da finden, wo zu dem allgemeinen Drucke noch eine neue, die Gelenkenden zusammenpressende Kraft hinzu kommt. Dies ist nach Henke der Fall für das untere Ende des Humerus, das obere der Ulna das untere der Tibia.!) Ellbogen und Sprunggelenk stehen unter einem ihre Gelenkflächen gegen einander drückenden Muskelzuge, von Muskeln, die die Gelenke überspringen und demnach auf die Bewegung derselben keine Wir- kung haben, während an anderen Gelenken die das Gelenk in Bewegung setzenden Muskeln auf die Gelenkflächen nur alterirend einen Druck ausüben können. — Am Schluss des Kapitels finden sich einige Bemerkungen über die Bildung der Gelenke bei Kindern und deren spätere Veränderungen, welche sich im Wesentlichen auf des Verfassers eigene frühere Ermittlungen, sowie auf die Arbeiten von Hürer und L. Fıck beziehen. In einem zweiten Abschnitte finden Rückgrat und Brustkorb eine Berücksichtigung. Einer Aufzählung der Knochenkerne folgt eine kurze Aus- einandersetzung über das Zustandekommen der Wirbelsäule-Krümmungen, die auch nach Henke beim Neugeborenen noch unfertig sind. Die Angaben über die Verschiedenheiten in der Form des Thorax beim Kinde und beim Er- wachsenen stützen sich vorzugsweise auf Hürer’s Ermittlungen. In der Er- !) Referent bemerkt hierzu, dass nach eigenen Untersuchungen das Wachs- thum der Tibia am unteren Ende keineswegs ein so geringes ist, vielmehr bis zum ersten Lebensjahre sogar das des oberen Endes übertrifft, aber auch später nur um ein Geringes dem des oberen Endes nachsteht; vergl. die Arbeit des Referenten: Ueber die Ernährungskanäle der Knochen ete. Diese Zeitschr. Bd.I. S. 325. Genauere numerische Angaben der Wachsthumsverschiedenheiten an bei- den Enden der Diaphysen des Röhrenknochen werden bald in einer grösseren Arbeit des Referenten erscheinen, 462 XXVII. Besprechungen. klärung der Thatsache, dass beim Kinde die Querfortsätze der Brustwirbel und mit ihnen die Rippenhälse mehr frontal, beim Erwachsenen mehr nach hinten gerichtet sind, weicht dagegen Hrskz von Hürer ab. Während letz- terer diese Umformung aus dem sagittalen Effecte eines von vornher (wegen anfangs an der Seite des Thorax frontal gelegener Verbindungsfläche mit dem Knorpel) wirkenden Wachsthumsschubes erklärt, leitet Henke jene Verschie- bung der Spitzen der Querfortsätze nach hinten vielmehr aus einem transver- salen Schube ab: „Wenn das Wachsthum an der Grenze von Knochen und Knorpel das vordere Ende des ersteren seitwärts drängt, während das hintere an der Wirbelsäule befestigt ist, muss dies wie eine Drehung um diesen Befestigungs- punkt wirken und damit der Hals der Rippe gegen den Querfortsatz des Wirbels angedrängt werden, und so kommen sie beide, sei es mehr durch eine Verbiegung oder durch Vorgänge von Apposition und Resorption in die mit dem Seitenende rückwärts gerichtete Gestalt und Lage.“ Das Anliegen der langen Rückenmuskeln bedingt das Auftreten des Angulus seitlich von ihnen. In dem dritten längsten Abschnitte: Der Schädel mit den Zähnen findet sich zunächst eine Zusammenstellung der bekannten Verschiedenheiten, welche zwischen der Gestalt des Schädels bei Kindern und bei Erwachsenen bestehen, sodann eine Aufzählung der einzelnen Ossificationspunkte der Schädel- knochen. Für die Knochen des Schädeldachs wird ein appositionelles Rand- wachsthum an den Näthen und eine Auflagerung an den Flächen „und zwar wohl an beiden“ angenommen. Dieser Modus des Wachsthums wird nach Hen&k& durch die Beschaffenheit der Nähte illustrirt. Ausser der von HEnLE hervorgehobenen inneren und äusseren Zone findet Verfasser vielfach auf der Grenze zwischen ihnen noch eine dritte Art, nämlich eine feine Reihe spitziger Zacken wie kleine Nägel. Letztere sind nach ihm Ueberreste oder die weiter ausgewachsenen Fortsetzungen der Spitzen, mit denen die anfangs dünnen, strahlenförmig auswachsenden Ränder der Knochen zuerst bei ihrer Berührung: zwischen einander hineingestossen sind. Die äussere und innere Schicht sind dagegen Periostablagerungen. In den Seitentheilen der Kranznaht in der Schläfe verlieren sich beide äussere Zonen und nur die innere bleibt zurück, indem hier wahrscheinlich durch den Druck des M. temporalis eine äussere Auflagerung verhindert oder sogar eine Resorption bedingt wurde. Als Cor- rectionen, welche die Flächenkrümmung des kindlichen Schädeldaches in die des fertigen überführen, nimmt Hexke wie bei der Ausweitung des Thorax Appositionen und kResorptionen an. — Zu bemerkenswerthen Ergebnissen führte ferner eine Untersuchung des Wachsthums und Hervortretens der Zähne wit Rücksicht auf das Wachsthum des Ober- und Unterkiefer. Für die 20 Milchzähne ist abgesehen von den Eckzähnen der Raum schon auf der Linie der Alveolarränder beider Kiefer beim Neugeborenen gegeben; es ist also nur der Ort für je drei grosse bleibende Backzähne zu schaffen, und XXVIII. Besprechungen. 463 » dies geschieht durch Anwachsen des ganzen Knochentheils, in dem sie sich entwickeln, an das hintere Ende der schon vorhandenen Alveolarränder; im Unterkiefer schieben die Zähne sich einfach horizontal, einer hinter dem an- deren vor, im Oberkiefer dagegen wächst jedesmal der nächste Zahn oberhalb des vorhergehenden und drängt sich dann allmählig zwischen ihm und der engen Verbindung des Kiefers mit den anstossenden Knochen hervor. Es ist also hier an beiden Kiefern ein Wachsthum durch Apposition in deutlichster Weise zu erkennen. Nun ist aber beim Auftreten des Milchzahngebisses für die Eckzähne nicht jedesmal von vornherein Platz auf dem Alveolarrande vorhanden. Es kann zuweilen durch ein. Auswachsen dieser Zähne nach der äusseren Seite des Alveolarrandes Platz geschafft werden; auch die Sutur, die vom Foramen ineisivum zur Alveole des Eckzahns verläuft, könnte durch Randwachsthum eine Vergrösserung des für den Eckzahn bestimmten Raumes schaffen, wenn sie nicht gerade hier unterbrochen wäre. Hier statuirt nun Hen®# doch eine gewisse Expansion oder Zerrung, Dehnung, Sprengung (so zu sagen diffuse Zerreissung) „aus welcher, wenn sie sich dann wieder con- solidirt, eine Art diffuser Apposition an der Stelle des auseinander gespreng- ten Gewebes resultirt.“ Damit bringt Verfasser die Schmerzen, die Reizungs- erscheinungen beim Auftreten jener Zähne in Verbindung. Die Formentwicklung des Oberkiefers, welche ja die ganze Gesichtsbil- dung beeinflusst, ist einer der complieirtesten Processe. Die Ausbildung des Mittelstücks und die Bildung der Kieferhöhle, welch’ letztere beim Neuge- borenen nur aus einer kleinen Ausstülpung vom vorderen Ende des mittleren Nasenganges besteht, halten nicht gleichen Schritt. Erstere ist letzterer vor- aus und geschieht vorzugsweise durch Ansatz von schwellender, markreicher Knochenbildung, ähnlich wie an den Enden der Diaphysen langer Röhren- knochen, so hier an der Verbindungsfuge mit dem .‚Jochbein in der Richtung nach hinten und oben. Dadurch wird dann auch die Lage der unteren Wand der Augenhöhle eine andere: aus der schräg nach aussen abschüssigen wird eine horizontale, indem die mediale Seite des Oberkieferkörpers nicht in dem- selben Masse an Höhe zunimmt. Zu diesem Wachsthum des Körpers, dessen Höhle durch Resorption vergrössert wird, kommt ein Auswachsen seiner Fort- sätze nach allen Richtungen; die Alveolen wachsen in die Höhe mit den sich aus ihnen hervorschiebenden Zähnen. Im Betreff des Wachsthums des Unter- kiefers schliesst Verfasser sich an die Angaben von LIEBERKÜHN an. K Am Schlusse des Kapitels über den Schädel untersucht Henke die Be- dingungen des Schädelwachsthums. Für die Formung der Schädelkapsel ist die Spannung maassgebend, in welche dieselbe durch den Druck ihres In- halts versetzt wird. Man kann sich vorstellen, dass die fortdauernde Span- nung das Wachsen der Knochen an den Rändern ebenso begünstigt, wie der Zug eines Muskels an seiner Sehne das seines Insertionsfortsatzes, Ein Zeitschrift f. Anatomie. Bd. Il. 30 464 XXVIII. Besprechungen. zweites Moment ist die Existenz des M. temporalis, welche auf die Seiten- wand des Schädels verdünnend wirkt (Versuch von L. Fick). Die Bildung des Gesichtsschädels steht unter dem Einfluss der verschiedensten Be- dingungen. Von diesen spielt das Zahnwachsthum und die Ausdehnung der Kieferhöhle nur eine geringe formgestaltende Rolle. Die Zähne begün- stigen bei ihrem Wachsthum nur das Wachsthum der Ränder ihrer Al- veolen; die Kieferhöhle bewirkt eine Vorwölbung gegen eine freie Fläche, gegen Stellen des geringsten Widerstandes, ohne auf die Vergrösserung des Oberkiefers im Ganzen einzuwirken. Die Hauptursachen des Wachsthums am Gesichtsschädel sind vielmehr, wie L. Fick schon experimentell er- mittelt hat, die Wirkung der Kaumuskeln und die Wachsthumsenergie der Nasenscheidewand. Die gegenseitige Abhängigkeit der Entwicklung der Schädelbasis und Gesichtsbildung wird schliesslich im Wesentlichen nach den Ausführungen Vırcmow’s (Untersuchungen über die Entwicklung des Schädelgrundes) dargestellt. Der vierte Abschnitt der Hexke’schen Abhandlung: Extremitäten be- handelt vorzugsweise das Auftreten der Ossificationskerne. Eine allgemeinere Bemerkung ist aus den speciellen Einzelheiten hervorzuheben, dass nämlich die Grenze der Diaphyse gegen den Epiphysenknorpel vielfach der Krümmung der Epiphysengelenkflächen ähnlich ist (unteres Ende des Humerus, unteres Ende des Femur, unteres Ende der Tibia). In Betreff der Verschiedenheiten welche die Gelenke in der Ausgiebigkeit der Bewegung bei Neugeborenen und Erwachsenen zeigen, führt Henke einmal die Hürzr’schen Beobachtungen über die Umgestaltung der Fussgelenke an. In anderen Fällen kommt beim Erwachsenen eine Reduction der Bewegungen dadurch zu Stande, dass die Fleischfaserbündel später nicht mehr proportional der erfolgenden Bewegung zunehmen. Dies gilt besonders für zweigelenkige Muskeln, z. B. für die Mm. semitendinosus, semimembranosus und den langen Kopf des Biceps, deren Spannung eine vollkommene Streckung im Kniegelenk bei starker beu- sung im Hüftgelenk verhindert, während beide Bewegungen beim Kinde noch leicht combinirt werden können. In dem letzten Kapitel: Gefässe und Eingeweide finden zunächst die Circulationsverhältnisse des Kindes kurz vor der Geburt eine Besprechung, sowie die Ursachen, welche den fötalen Kreislauf nach der Geburt m den definitiven umwandeln. Bei der Beschreibung der Eingeweide des Kindes er- wähnt Verfasser einen zwischen den hintern Rändern der von oben nach unten zu den Mundwinkeln convergirenden Muskeln und dem vorderen Rande des Masseter gelegenen breiten runden Fettklumpen, der offenbar einen beim Saugen ventilartig wirkenden Deckel für die Lücke zwischen den hinteren Theilen der Alveolarränder bildet, wenn die Warze vorn dazwischen steckt. Aus den übrigen kurzen Bemerkungen über die Eingeweide heben wir nur ie nn XXVIII. Besprechungen. 465 noch hervor, dass der im Verhältniss zum sehr entwiekelten Halse sehr un- entwickelte Körper des Uterus statt nach vorn gegen die hintere Wand. der Blase geneigt ist, ein Verhältniss, welches durch die Abbildung eines Sagit- talschnittes des Beckens von einem neugeborenen Mädchen illustrirt wird. L. Ranvier’s technisches Lehrbuch der Histologie übersetzt von Dr. W. Nıcarı und Dr. H. v. Wyss in Zürich. 1. und 2. Lieferung. Leipzig, 1877. F.C.W. Vosen. Besprochen von W. His. Ranvıer’s Traite technique d’Histologie hat sich in Deutschland rasch seine Freunde erworben und mit Recht. Ein begabter Forscher führt uns da in durchaus origineller Weise durch das Gebiet der Histologie, von Demon- stration zu Demonstration, von Versuch zu Versuch fortschreitend, uns viel- fach Neues, oder doch Bekanntes in neuem Lichte zeigend. Ueberall folgen wir mit Interesse, und was noch mehr werth ist, mit dem Gefühle, einen zu- verlässigen Führer vor uns zu haben. So leistet das Buch im Grunde an- deres und jedenfalls weit mehr, als man nach seinem anspruchslosen Titel erwarten sollte. Man ist darauf gefasst, eine bequeme Sammlung von Re- cepten, eine Art wissenschaftlichen Kochbuchs nach dem Vorbild anderer, ähnlich betitelter Bücher zu erhalten, und findet statt dessen ein Werk, das nach seinem Grundcharakter wohl am ehesten als demonstratives Handbuch der Histologie zu bezeichnen sein dürfte. Rein technisch ist nur die Ein- leitung, während gleich der erste Special-Abschnitt über die Lymphe des Ver- fassers eigenthümliche Behandlungsweise in hellem Lichte zu Tag treten lässt. Bei den angegebenen Bigenschaften ist eine Uebersetzung des "Traite technique wohl gerechtfertigt. Neben den vorzüglichen Handbüchern der Histologie, die wir bereits besitzen, und die soeben durch W. Krauss um ein neues vermehrt worden sind, wird das RAnvırr’sche Buch stets seinen eigen- thümlichen Werth behaupten. Zur Uebersetzung haben sich zweckmässigerweise ein romanischer und ein deutscher Schweizer vereinigt, dieselbe ist, soweit sie bis jetzt vorliegt, correct und fliessend ausgefallen, die Abbildungen erreichen allerdings nicht die Zartheit der Originalausgabe. 30* Schlusswort der Redaetion, Mit dem nächsten Bande erfährt die Zeitschrift für Anatomie und Entwieklungsgeschichte eine Aenderung ihres Titels und ihrer Erscheinungsweise. »ie wird nämlich von nun an als Archiv für Anatomie und Entwiecklungsgeschichte erscheinen und eine selbstständige Abtheilung des altbegründeten Archives für Anatomie und Physiologie bilden. Es hat sich die Verlagshandlung von Verr & Comp. (H. UREDNER) in Leipzig, die Besitzerin des bisherigen Archives, entschlossen, das- selbe in zwei getrennten Abtheilungen, einer Anatomischen und einer Physiologischen, erscheinen zu lassen, und, nachdem uns von derselben der Vorschlag gemacht worden ist, die von uns redigirte Zeitschrift mit dem Anatomischen Theil zu verschmelzen, haben wir die darge- botene Gelegenheit zu grösserer wissenschaftlicher Sammlung nicht zurückweisen zu dürfen geglaubt. Die Verlagshandlung des „Archives“ gedenkt hinsichtlich der würdigen Ausstattung hinter derjenigen der „Zeitschrift“ nicht zurück- zubleiben. Unsere bisherigen Herren Mitherausgeber wollen uns ferner- hin ihre Theilnahme schenken, und so dürfen wir darauf zählen, dass auch die kommenden Bände ihren Antheil an der Entwicklung der Wissenschaft behaupten werden. Unserem bisherigen Herrn Verleger aber hat die Redaction beim Scheiden den wärmsten Dank für seine aufopfernden, von freundschaft- lichster Uneigennützigkeit geleiteten Bemühungen auszusprechen. Leipzig, den 20. März 1877. Druck von Metzger & Wittig in Leipzig. Taf.l. Zeitschrift f Anat. u. Entwickelungsg. Ball. Braune praep Nruck von Kürth Verlag von FEW Vogel heipzig Foedisch. del Zeitschriftf-Anat.u.Entwickelungsg Ball # & Takll. ig. 3raune. praep Foedisch. del Zertschritt für Anatomie u. Entwickelungsgeschtchte Ball. Tafel iugad: Verlag v. F.C.W. Vogel . Lith Anst. v. J. &. Bach, Leipzig. EN Ye Deitschrift _ Anatomie u. Entwickelungsgeschichle. Bd.I. Tafel IV. Fig. d. E 3 H.Strasser et R.berster del. E Gersten, Lympfgefälse des Hodens.. | A : Verlag von F.C.W.Vogel, Leipzig. -lith, Anstv.).6.Bach, Leipzig. = En EEE a En ae Da Zeitschrift F Anatomie u. Entwickelangsgeschichte, Ba II Tafel V. Fig 7. Claptieula Zuckerkandl, das tere Halsdreieck Verla@ vECW Vogel Leipzig ithAnstwJG& Bach, Leipzig | Tafel VT. Zeitschrift # Anatomie. u. Entwickelungsgeschichte. Bal. 11. wm Ä 3 Ve C.W. Vogel, I Lith, Anstıv...6 Bach leipzig ib; er. vi . Yogel, Leipzu mann, p. lag on |. g pzıq Holl, Nervus hypoglossus en keiten: ER AST RR EEE EEE Tafel. FIT. RR mm. Aaafsstab £ Fig 1-8. 9 10 mm. Taaysstab £ Fig. 9. rn nnd nn m Tafel VII Yoitschritt E Anatomie u Entwick [> m —- on RÜW. Vogel Zeitschrift [ Analomie u.Entwickelungsgeschichte Bd. II. Rüdinger, del Rüdinger, Aguaeductus vastibuli Verlag v FC/WVogel, Leipzig lien, Anstv. ).G.Bach Leipzig Eye Zee F | Zeitschrift F. Anatomie u.Entwickelungsgeschichte. Ball. Fig.A. chwalbe, Kenntniss des elastischen Gewebes. NEN Verlag von B.OW.Vogelin Leipzig, Tafel AL. 5 ED > SEBER De ger a =S I 4 TA EZ: = DT II Fr Liih\Anstiv.E.AlFunke) Lepzig, Bar u ” Zeitschrift £. Anatomie u. Enbwickehmgsgeschichte Ball. Tafel XII. } ° DI 6 05 | >u Hesse del. TLilh.Anstv B.A.Runke, Läpzig. Verlasun F.CW.Vogel in Lenzig, Die ne . Jeilschrift £ Anatomie u. Kntwickelungsgeschichte Bd. Tafel XII. Fig.%. ne SL ne SIN \y Bi l WEM Chappuis, Kopfmuskeln Verlag v.F.C.W.Vogel in Leipzig. Lith.Anst.v.J.G.Bach. Leipzig Tadel XIV Zeitschrift 1. Anatomie u.Entvickelungsgeschichte BALlT. B. Tubenlonsille des Menschen. ; Verlag von F.C.W. Vogel in Leipzig, Lih.Anst v.E.A Funle, Leipzig, Zeitschrift. E Analomie u.Entwickelungsgeschichte BUT. Tafel X. Wildermutli, Nebenräume des Mittelohres Verlag v. FC.W Vogel, Leipzig L ng en Tafel XV. Zeitschrift £ Anatomie u. Entwickelungsgeschichte BIT schulin ad rat. Al RC.W. Vogel öchulin, Ilistologie der Haare Schuln, Histologie der Haare Verlag von R.C.W.Vogel in ne ar re rn en [ei] [33] Praeparirsaal Auditorium 102 San! ER Vorberaug; Su3 Zimmer \ [>] Praeparir- [es] E= Saal [85] [eu Audi - forium 1 6, 1 er er nl- ci : 2 Vorder”, Corridor Operations =] [5 je} „.Lopograpk isch 5 I RER] Sammlung Strasse Waisenhaus Taf XV. Souterrain. IS — —— =: —-m u” — Inreh. Wehnde nf, des il Zu a en Wasser Bassin Abthedlung AL Danıpfmotor en IN F. Ventilator 5 EL. Luftkanale D. Destillirapparat N“ Wannen zur Wachsinjection B Apparat zur Bereitung K. liessel zu deren Füllung der Desinfectionsmasse A. Aufzüge E S. Schleusensammiler E. Ziskasten R. Reservoir zur Desinfection 6. Gefrierapparat \ re ee m 0 En EN RR Taf: XIX. Zeitschrift £_ Anatomie u. knumwickelungsgeschüchte Bd Erster Stock ms T be Fhoto amer | ‚graphie Arbeits: Zimer ı FA Gallerie Terasse Rolle mit Profectionsrorhang Stange mu Wandtafeln c Schwarze Wandtafel P Projectionsterasse ji u ee nd L Luftkanal wabomie Wehände in Meeimig. Tafel XX Zeitschrift Ü Anatomie u. Bntwickelmgsgeschichte BiLIl on EOW.Vopel Zuckerkandl,, Morphologie des ET IE ee 1A ae