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FÜR

DEUTSCHE PHILOLOGIE

BEGRÜNDET von JULIUS ZACHER

HERAUSGEGEBEN

HUGO GERING OSKAR ERDMANN

VIERUNDZWANZIGSTER BAND

HALLE A. S.

VERLAG DER BUCHHANDLUNG DES WAISENHAUSES.

18 92.

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ZEITSCHRIFT

FÜR

DEUTSCHE PHILOLOGIE

BEGRÜNDET von JULIUS ZACHER HEßAUSGEGEBEN

VON

HUGO GERING und OSKAR ERDMANN

VIEKUNDZWANZIGSTER BAND

HALLE A. S.

VERLAG DER BUCHHAISrDLUNG DES WAISENHATJSES.

18 92.

Soö3

INHAL T.

Seite

Sigfrid und Druiihild. Beitrag zur geschichte der Nibelimgoiisage. Von ]J. SiJ tiions 1

Iber die „neutralen ongcl" liei Wolfram und l>ei Dante. Von .T. Seeber . . '.i2

Beiträge aus Luthers sehriften zum dtnitscheu wörterbuche. Von J. Köstlin 'dl. i2~}

(Naehtriige von M. Spanier, F. Beeli, .1. Peters 285)

In bns forreptam eine anfrage. Von (}. Kaworau 42. 424

T/tete das, thef , thäte gleich mhd. cntete. Von A. Birliuger 43

l'redigtlitteratur des 17. Jahrhunderts. Von I. Zingerle 44. 318

Beiträge zur deutsehen inythologie. I. Der todesgott ahd. Heniio Wotan = Mer-

eurius. IL Tliings und die Alaisiagen. IIL Zur Illudauae- Inschrift . 14,"). 433

Zum (jaitga iindir jaräaniicn. Von M. Pajtpenheim 157

Zum Spruch von den 10 altersstufen des menschen. Von A. Jeitteles u. IL Lewy IGl

Zur entwickeluug der mhd. lyrik. Von 0. Streicher 16G

Neue belege für thäte gleich mhd. entete bei Luther. Von G. Kawerau . . 201

Ein brief Gottscheds an den Königsberger profossor Flottwell. Von G. Krause 202

Die liauptgöttin der Istvaeen. Von H. J aekel 289

Aar und adler. Von H. Kluge 311

l angedruckte briefe Herders und seiner gattiu au Gleim. Von .1. Pawel . . 342

Bruchstücke aus dem Willehalm Ulrichs v. d. Tüi'lin. Von 11. Suchier . . 401

Zu Reinke vos. Von H. Damköhler 487

Zum mittelalterlichen badeweseu. Von K. Kochendörffer 492

Goethes verse über Frieslaud. Von H. Jaekel 502

Het (jethan im bedingungssatze. Von E. Wolff 504

Zur geschichte des begräbnisses „more teutonico". Von R. Röhricht . . . 505

Zu Goethes Faust. Von R. Sprenger 500

Zu H. V. Kleists Hermannsschlacht. Von demselben 510

Nekrologe.

Konrad Hofmann. Von W. Golther 04

Arthur Reeves. Von K. Maurer 142

Hermann Oesterley. Von E. Se.elmaun 142

Hermann Frischbier 508

Miscellen.

Ein brief Schillers. Von J. Minor 129

Bericht über die Verhandlungen der deutsch -romanischen section der philologeu-

versamlung in München. Von K. Borinski 213. 509

Rose. Von L Zingerle und H. Fischer 281. 426

Ein gedieht aus dem 15. Jahrhundert. Von H. Holstein 283

Ein brief Jacob Grimms. Von E. Wolff 284

Üribolde scheren. Von M. Pappenheim und Th. Siebs 284. 567

Zu Wielands werken. Von Minor. (Dazu berichtigung von Seuffert) . 285. 430 Dramatische aufführungen im 10. und 17. Jahrhundert. Von J. Minor . . . 285 Bericht über die 10. jahresversamlung des Vereins für niederdeutsche spraciifor-

schung in Lübeck. Von H. Jellinghaus 308

Zum Düdeschen Schlömer. Von H. Brandes 425

Zu W. Grimms kleineren schritten. Von R. Steig 562

Litteratur.

0. Frauke, gruudzüge der Schriftsprache Luthers, angez. von J. Luther . . 07 Reeves, the finding of Wineland the good, angez. von H. C-ering .... 84

IV INHALT

Seite W. Wisser, Verhältnis der minneliederhandscbriften B und C zur quelle, angez.

von F. Vogt 90

H. Hayn, tugendhaffter Jungfrauen zeit-veiireiber, angez. von L. Fränkel . 94

J. Höser, Syntax in he Domes Da^e, angez. von B. Nader 95

E. H. Meyer. Yöluspa, angez. von F. Kauffmann 96

A. Wagner, lautstand der muudart von Eeutlingen, angez. von F.^Kau ff mann 114

F. Kauffmann, geschichte der schwäbischen mundart, angez. von K. Boh-

nenberger HG

L. Tesch, zur entstehungsgeschichte des evangelienbuches von Otfrid I, angez.

vou 0. Erdmann 120

H. Schröder, zur waifen- und schifskunde des deutschen mittelalters, angez.

vou A. E. Berger 122

E. Joseph, ausgäbe von Konrads von Würzburg Engelhard, angez. von K. Ko-

chendörffer 128

L. Fulda, Übersetzung des Meier Helmbrecht, angez. von R. Sprenger . . 132

G. Radke, die epische formel im Nibelungenliede, angez. von E. Kettner. . 133

G. EUinger, Berliner neudrucke I, 3, angez. von J. Bolte 135

H. Paul, gruudriss der germ. philologie I, 3 fg., angez. von E. Martin . . 221

R. Braudstetter, geschichte der Luzerner mundart, angez. von L. Tobler . 231

H. Blattner, mundarten des kantons Aargau, angez. von A. Socin .... 234

Balg, comparative glossary of the gothic language, angez. von E. Bernhardt 236

F. Saran, Hartmanu von Aue als lyriker, angez. vou F. Vogt 237

F. Keinz, die lieder Neidharts, angez. von F. Vogt 245

W. Uhl, unechtes bei Neifen, angez. vou F. Vogt 247

Th. Hampo, quellen des Strassburger Alexander, angez. von K. Kinzel . . 255

E. Kettaer, Untersuchungen über Alpharts tod, angez. von K. Kinzel . . . 258

W. Cordes, satzbau bei Nicolaus von Basel, angez. von K. Tomanetz. . . 259

0. Mensing, ahd. und mhd. concessivsätze, angez. von H. Wunderlich . . 260

Neuere schritten über Hans Sachs, angez. von M. Rachel 262

M. Herrmann, Albrechts v. Eyb ehezuchtbüchlein , angez. von E.Matthias . 269

G. Kaufmann, geschichte der deutschen Universitäten, angez. von W. Schum 271

E. Wolff, prolegomena der litter.-evolutionistischen poetik, angez. v. G. Roethe 273. 428

B. Litzmann, F. L. Schröder, angez. von C. Heine . . 275

0. Koller, Klop.stockstudien , angez. von F. Frosch 279

A. Schultz, das höfische leben, 2. aufl., angez. von J. Meier . . . . 371. 524

F. Liesenberg, die Stieger mundart, angez. von Kauffmann 401

W. Müller, zur mythol. d. griech. u. deutsch, heldensage, ang. v. F. Kauffmann 403

H. Kuhlmann, concessivsätze in mhd. volksepos, angez. v. H. AVunderiich . 405

R. Wolkan, Böhmens anteil an der deutsch, litteratur, angez. v. A. Jeitteles 406

E. Schröder, Jacob Schöpper von Dortmund, angez. von H. Holstein . . 409

K. Weinhold, gedichte von Lenz, angez. von 0. Erdmann 410

R. Lehmann, der deutsche Unterricht, angez. von 0. Erdmann 411

W. Cosack, materialien zu Lessings dramaturgie, angez. von 0. Carnuth . . 420

Hermann und Szamatolski, lat. litterat.-denkm. I HI, ang. v. H. Holstein 420

Goethes werke, Weimarer ausgäbe, angez. von H. Düntzer 513

E. Martin u. E. Schmidt, Elsässische litterat.-denkm. IV, ang. v. E. Matthias 555

L. H. Fischer, J. L. Frisch's schulspiel, angez. von J. Bolte 559

Wustmann, sprachdumheiten , angez. von 0. Er d mann 560

Neue erscheinungen 139. 287. 430. 568

Nachrichten 142. 288. 432. 568

Register von E. Matthias 569

SmFRTD UND BEUNllILD.

KIN BEITHAÜ ZUK ('rES( ÜIICIITK DER iNlHELUNGENSAGE.

I.

Die iiordiselK' nbcrlieferuiii;.

J)eii firun(ll(',u(Mi(l('ii arhcitcn Jjacliniamis und Müllcnliotrs verdan- ken wir die einsieht, dass die Nibeluni^ensaye in ilirei- aus der ver- gleieiiung- der verschiedenen üherlieterungen ersehliessbaren gTundgestalt eine \er.seliniel/.uug liist(»i'iseher sage mit anders gearteten bestaiidteilen voraussezt, ^velebe man als mytbisebe zu bezeicbnen pflegt. Die bistu- risehe Burgundensage ist iu ibrer entstebuug und ausbiklung in allem wesentlieben klar. Dagegen bietet die m\lbiselie Sigfridssage der for- scbuug bedeutende sclnvierigkeiten , einmal weil sie in ibrer volständig- keit niebt rein, sondern nnr mit der gescbicbtlicben sage von den Burgunden eontaminiert eriuilten ist, sodann aber aueb, weil offenbar sowol die nordisebe sage Avie die deutscbe sage in ibrer dreifacben trailitiun liier manebe alte züge geopfert oder in neuen zusammenbang- gebracbt baben. Man ist darüber ('invei'standen , dass die Burgunden- sage, die dicbterische Überlieferung von dem Untergang der (libiebuii- gen dui'eb Attila und der raclie, welebe diesen dafür tritt, in ibrei- ältesten, dem ursprünglieben verbältnismässig sebr nahe stebendeii fas- sung in der altnordiseben gestalt vorliegt. Es ist deswegen metbodiscb nur zu billigen, wenn ancb für die in unserer Überlieferung mit der BurgLUidensage verbundene Sigfridssage die untersucbung von den alt- nordiseben quellen ausgebt: nur gewicbtige gi-ünde, wie sie beispiels- weise für den teil der sage, welcber Sigfrids geburt und kindbeit erzäblt, tatsäcblicb vorbanden sind, dürfen uns bestimmen, v()n diesem grundsaize abzugeben. Der forderuug, dass jede betracbtuug der Sig- fridssage die nordisebe Überlieferung zur grundlage zu uebmen, dabei aber die deutscbe sagenform unablässig im ange zu bebalten babe, lässt sich, wie mir scbeint, gegründeter Widerspruch nicbt entgegen- stellen.

Neuerdings macbt sich das streben geltend, die nordisebe mytben- und sagendicbtung zu discreditieren. Ihren poetischen wert lässt man

ZEITSCHRÜT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXIV. 1

unangetastet, aber gegen ihre ursprünglichkeit und glaubwürdigkeit häufen sich die angriffe, ßugges genialität verdanken wir in den „»Stu- dier over de nordiske gude- og heltesagns oprindelse. Forste rsekke" (1881/89) eine arbeit, deren ergebnisse wenige überzeugt haben, deren bedeutende Vorzüge aber auch demjenigen einleuchten, welcher sich iliren blendenden reizen zu entziehen vermochte. Dass es an Jüngern und nachfolgern nicht fehlen würde, war zu erwarten. Fühlte Bugge (Studier s. 15) sich angesiclits der schöpferischen kraft der vikinger an Shakespeares Verhältnis zu seinen quellen erinnert, so erklärt jezt Gol- ther die nordische Nibelungen sage für „eine volkommene neudichtung, in der das original erst bei scharfer betraciitung widerziierlcennon ist" (Germ. 33, 478). In einer reihe von arbeiten hat G-olther die uiit- fassung vertreten, dass die nordische Nibelungensage wesentlich ein produkt der vikingerzeit sei; nach mehreren Schwankungen hat er zulezt diese ansieht so formuliert, dass die alte fränkische, im (i. Jahr- hundert entstandene sage von den Nibelungen erst im 9. Jahrhundert zu den Skandinaviern gelangt sein soll, und zwar unmittelbar aus Frankreich nach Island. Auf dieser Wanderung bildete Irland eine Station, und die von Zimmer nachgewiesenen merkwürdigen entleh- nungen der irischen heldensage sollen nicht, wie dieser gelehrte meiner meinung nach, mit vollem rechte annahm (Ztschr. f. d. a. 32, 327 fg.), als Symptome einer ZAveiten einwanderung der deutschen sage in den norden gelten dürfen, sondern „die erstmalige, mit der deutschen form noch ziemlich übereinstimmende sagenentlehnung, die von späteren nordischen zudichtungen noch frei war" (Germ. 33, 476) repräsentieren. Unter den bänden der phantasiereichen nordleute sei die Nibelungensage eine völlige neuschöpfung geworden. Yon der richtigkeit dieser und anderer resultate seiner forschungen ist Golther offenbar so überzeugt, dass er, nachdem er sie wissenschaftlich zu begründen gesucht^, auch bereits eine auf weitere kreise berechnete

1) ^Süidieu zur gerinanischea sagengeschichte. I. der valkjTJeuinythus. II. über das VHrliältnis der nordischen mid deutschen form der Nibelungensage" (Abhandl. der bayr. akad. I. CI. XVIII. bd. II. abt., s. 401— 502): im folg. citiert als ., Studien" nacli dem Separatabdruck (München 1888). ^iI^iG Wielandsage und die Wanderung der fränkischen heldensage": Germ. 33, 449 480. „Norddeutsche und süddeut- sche heldensage und die älteste gestalt der Nibelungensage" : Germ. 34, 265 297. Über die nordischen Volkslieder von Sigurd handeln zwei aufsätze desselben Verfas- sers in der Ztschr. für vgl. litteraturgesch. n. f. 2, 205 fgg. 269 fgg. Vgl. auch die einleitung zu G's ausgäbe des Hürnen Seyfrid (Braunes neudrucke nr. 81/82) s. XXII IV.

STGFRin UND BUUNHILD. I

rlarstellimg derselben geben zu können geglaubt hat (Beilage zur Allg. Ztg. vom 1. märz 1890, nr. 60).

Es liegt niciit in meiner absiebt. (Iultliers ansiebten über die ent- stehung der Nibelungensage, speciell ihrer nordischen foi-m, einer zusammenhängenden prüfung zu unterziehen. Vielmehr soll an einem einzelnen punkte, und zwar an dem ausgangspunkte der Golthersclien forschungen, der nachweis versucht werden, dass Golthei- in seiner beurteilung der nordischen Überlieferung und ihres verhiUtnisses zur deutschen von unrichtigen praemissen zu unrichtigen Schlussfolgerungen gelangt ist. Es sei ausdrücklich betont, dass ich den fleiss und den Scharfsinn des Verfassers anerkenne und seinen arbeiten manche anre- gung und förderung im einzelnen verdanke, wenn ich auch weder sei- ner kritik der quellen zustimmen, noch seinen Schlussfolgerungen den Vorwurf der Übereilung ersparen kann.

Nur im vorübergehen deute ich eine klippe an, an der Golthers datierung der einwanderung der Nibelungensage in den germanischen norden scheitert. Finnur Jönsson hat kürzlich nüt recht darauf hin- gewiesen (Arkiv f. nord. fil. 6, 154 fg. 280 fg.), dass schon die älteste norwegische skaldendichtung wesentlich dieselbe mythologie voraussezt wie die späteren isländischen quellen. Dasselbe gilt für die Nibelun- gensage. Bereits der älteste historisch bezeugte norwegische skald, Bragi der alte, au dessen wirklicher existenz zu anfang des 9. Jahr- hunderts zu zweifeln nach den neueren Untersuchungen ^ ebenso wenig- berechtigt ist, als die echtheit der unter seinem namen überlieferten Strophen zu verdächtigen, bezeichnet das gift als Vqlsunga dreJd-a (21* Gering) und, Avas noch mehr ins gewicht fält, nent Sorli und Ham{)er Gjüka nipjar (6-). Leztere Umschreibung sezt die specifisch nordische anknüpfung der Ermenrekssage an die Nibelungensage voraus, die selbstverständlich erst verhältnismässig lange nach der Überführung die- ser sage in den norden zu stand« gekommen sein kann. Die folge- rungen ergeben sich von selber. Wer die einwanderung der Nibelun- gensage in den germanischen norden und zwar nach Island in die vikingerzeit verlegt, hat zuvörderst die unechtheit der ältesten norwegischen skaldendichtung zu erweisen, und zwar mit ganz anderen gründen, als dies bisher versucht worden ist.

1) Vgl. besonders Sn. E. HI, 307 fgg. Gering, Kva?l)a - Brot Braga ens gauila, 1886, s. 5 fgg. E. Mogk, Paul -Braunes Beitr. 12, 391 fg. F. J6nsson, Ark. 6, 141 fgg. Bugge hält allerdings noch 1888 daran fest (Paul - Braunes Beitr. 13, 201), dass die dem Bragi Boddason beigelegten verse erst im 10. Jahrhundert gedichtet sein können; er hat diese ansieht aber nicht näher begründet.

1*

SIJMONS

Wenn im folgenden ein einzelner teil der Sigfridssage einer näheren betrachtung unterzogen werden soll, so darf darin keine zn- stinimung zu dem verfahren gesehen werden, der Sigfridssage von vorn- herein die einheitlichkeit abzusprechen, sie in eine reihe einzelner, zur dichtung verwachsener motive zu zerfasern. Was uns als ganzes überliefert ist, müssen wir zunächst als ganzes zu verstehen suchen, wenn sich auch im verlaufe der Untersuchung herausstellen kann, dass die einheit des Stoffes nur eine scheinbare ist und die analyse ihr gutes recht beansprucht.

Sigfrids Verhältnis zu Bruuhild-Sigrdrifa tritt uns in der Über- lieferung als ein einzelner akt der geschichte des beiden entgegen. Eine genauere betrachtung desselben, zunächst losgelöst von den anderen teilen der Sigfridssage, scheint aber wünschenswert. Auch Golther hat diesen teil der sage zum ausgangspunkt seiner Unter- suchungen genommen (Studien s. 42 73), und in der tat ist die ent- scheidung der bestrittenen frage nach dem Verhältnis des beiden zu Brunhild-Sigrdrifa von grosser bedeutung auch für die beurteilung anderer puiikte, wie Golther s. 42 hervorhebt. Yor allem komt es an auf die richtige auffassung des Verhältnisses der nordischen quellen unter einander, sowie zur deutschen Überlieferung, und gerade für sie ist die erörterung unserer frage besonders lehrreich. Auszugehen ist von der nordischen Überlieferung. Hier sind streng genommen zwei fragen zu unterscheiden: 1. Sind in der nordischen dichtung Brynhildr und Sigrdrifa ursprünglich als zwei verschiedene gestalten aufgefasst und erst in den spätesten quellen zu einer zusammengeworfen, oder beruht die doppelheit auf misverständlicher Spaltung einer ursprüng- lichen figur? 2. Wie hat die nordische dichtung das Verhältnis der Brynhildr, oder der Brynhildr und der Sigrdrifa, zu Sigur|)r ursprüng- lich aufgefasst? „Ursprünglich" ist hier zunächst immer zu verstehen von der ältesten nordischen Überlieferung. Die behandlung beider fragen kann aber nicht streng getrent werden, sie greifen ineinander

über.

1.

In der Vqlsungasaga, der einzigen altnordischen quelle, welche zugleich zusammenhängend und ausführlich über Sigur|)s Schicksale berichtet, linden wir bekantlich folgende darstellimg:

Nach der erschlagung des d rächen und der er Werbung des hortes erweckt Sigur|3r die auf Hindarljali schlafende Brynhildr; nachdem sie ihn runen und Weisheitsregeln gelehrt, schwören sie sich ewige treue (('. 20. 21). Der held j-eitet weiter zu Heimir, Brynhilds schwager imd

SIGFRID UM) BRÜNHII.n. I 5

pflegei", findet sie duit in oincni tuim mit weiblichen arbeiten beschäf- tigt iiiul verhibt sich ahcrnials' mit ihj- (c. 2.'). 21). Darauf gelaugt er an liji'ikis hof; durch einen vergx'sscnheitstrank, den die zauberkundige (Ji'imhildr ihm reicht, vergisst er Brvnhild und hält hochzoit mit (jru[)- nin (c. 2()). (iunnai'r beschliesst um Brvnhild zu werben. Er und Sig-ur|)r reiten znci'st zu ihrem vater Bu[)li, (hwauf zu ilirem ])tleg-cr Heimir, die beich^ der Brynhikl di(^ freie wähl lassen zu nehmen, Aven sie wolle. Ihr saal , sagt IcztiM'ci', sei nahe bei, ot lern) fm/ l'UUHjfi dt juDni ei im iiiKiidi hon cigd ri/Ja, rr ri/)/ rhi hrrinuiinhi , er slcfihrii. rr Hin sa/ hc.iiiKir. Sie kommen zur flammenumloderten bürg; verge- bens sucht Gunnarr erst sein eigenes ross, dann Grani durchs teuer zu ti'oiben. Erst, nachdem sie die gestalten getauscht, trägt Grani seinen hei-i-n durch die lohe. Die saga citiert hier zwei schöne Stro- phen, die den flammenritt anschaulich schildern-. Die lohe erlischt, und im saale findet Sigur[)r. Brynhikl, gepanzert und den heim auf dem haupto. Er neut sich Gunnarr G;jvikason; sie stuzt, fühlt aber, dass sie ihrem gelübde treu bleiben muss, dem manne zu folgen, der das teuer durchritte. Drei nächtc teilt 8igur[»r ihr lager, durch ein nacktes scinvert von ihr gotrent. Als Brynhildr wider zu Heimir komt, erzählt sie ihm was vorgefallen: „Er durchritt die waberlohe und sagte, er sei gekommen sich mit mir zu vermählen; er nante sich Gunnarr. Ich aber meinte {sar/pa „sagte mir"?), dass SigurjH' allein das volbrin- gen wäirde, dem ich eide schwor auf dem berge, und er ist mein erster gatte". Heimir aber erklärt, es müsse nun dabei sein bewenden haben (c. 27).

Die darstelhmg der V(;;lsungasaga, so wichtig auch die einzelnen teile der erzählung, namentlich c. 27, für die erkentnis der sage sind, ist in ihrem Zusammenhang das ergebnis der combinierenden arbeits- weise des sagaschreibers (Paul-Braunes Beitr. 3, 255 262. 272 fg. 277 fgg.). Es unterliegt keinem zweifei, dass die doppelte Verlobung mit Brynhikl auf dem berge und bei Heimir sein werk ist, während seine hauptquelle, die noch volständige liedersamlung, zwei frauengestal- ten unterschied: Sigrdrifa und Brynhikl. Die identificierung beider

Ij ok at'nrpu nd dpa af nyja c. 24 (Bugge lo8-''), vgl. Paul -Braunes Beitr. 3. 272 fg.

2) Es ist natürlich völlig wilkürlich , wenn Golther, der den beweis zu führen sucht, dass der vafrlogi durch unberechtigte Übertragung von Sigrdrifa an Brynhikl gekommen sei, behauptet (Studien s. 53 a. 2): „es ist gleicbgiltig, wo diese verse jezt stehen, bei Brynhikl oder bei Sigrdrifa, jedenfals stammen sie aus der Sigrdrifasage . . . ." Es ist vielmehr von gröster bedeutung.

durch den Verfasser der Vs. ist also für die beurteilung der sage ohne belang. Wir dürfen vielmehr mit bestimtheit behaupten: die Vols- ungasaga, obgleich sie Brynhildr und Sigrdrifa zusammenwirft, weist durch die ganze art ihrer darstellung und manche einzelheiten (a. a. o. 272 fg. 279 fg.) noch deutlich darauf hin, dass ihr Verfasser sie in seinen quellen getrent vorfand. Er hat sich im wesentlichen darauf beschränkt, den namen Sigrdrifa durch Brvnhildr zu ersetzen, sowie zwischen der Verlobung mit Sigrdrifa auf dem berge und der Verlobung mit Brynhildr bei Heimir einen notdürftigen chronologischen Zusam- menhang herzustellen. Auch der NornagestsI)ättr c. 5 (Bugge 65*) nent die auf Hindartjall erweckte valkyrie Brynhildr, ohne dass sich daraus für die ursprüngliche nordische Überlieferung etwas ergäbe.

Die Spaltung in Sigrdrifa -Brynhildr, welche die Y^lsungasaga beseitigt hat, wird in ihrer quelle, tler liedersamlung, denn auch wirklich bestätigt. Der samler, welcher um 1240 oder 1250 die ihm bekanten mythologischen und heroischen lieder zu einem grossen cor- pus vereinigte, hat für die Sigur|)slieder offenbar eine biographische anordnung angestrebt. Trotz der gerade in diese partie fallenden grossen lücke des Codex Regiusi wird dieses princip der anordnung sowol aus der reihenfolge der erhaltenen lieder wie aus den capiteln 23 29 der Vglsungasaga (s. Beitr. 3, 286. Edzaixli Yolsunga- und "Ragnars-Saga, 1880, s. XXI fg.) zur genüge klar. Wahrscheinlich existierte dieser teil der samlung d. h. die lieder, welche den abschnitt der sage von Sigur^js geburt bis zu Brynhilds tode behandeln, mit zusammen- hängender und chronologisch fortschreitender prosa untermischt bereits früher für sich- und wurde als ganzes vom samler seiner liedersamlung einverleibt (Edzardi, Germ. 23, 186 fg. 24, 356. 362 fg.; vgl. Ztschr. f. d. phil. 12, 111 fg.). Der samler kante neben Brynhildr Bu|3ladöttir eine valkyrie Sigrdrifa. Diesen eigennamen verwendet er in dem prosastücke vor Sgrdr. 5^ (Bugge 229 1. ^K -^). Auf Hindar- fjall erblickt Sigur]ir ein helles licht, svä sem cldr hrynni, ok Ijömapi

1) AVol aber verbietet die lücke, wie mir scheint, die aufstellung der gruiid- sätze, welche E. M. Meyer, Ztschr. f. d. a. 32, 402 fgg. für die anordnung der eddischeu heldenlieder nachzuweisen sucht.

2) Als Sigurparsaya? Ansprechend erklärt Edzardi durch diese annähme die berufung des N|). c. 5 (Bugge 65^) auf eine saga Sigurpar, womit keinesfals die VQlsungasaga gemeint ist, wie MüUenhoff Ztschr, f. d. a. 23, 113 u. a. wolten. Für die Brynhild-Sigrdrifafrage ist aber der umstand, dass der Nf). gelegentlich dieses citates von Brynhildr auf Hindarfjall spricht, ohne belang.

3) Die Eddalieder eitlere ich stets nach Bugge und zwar nach dessen kurz- zeilen.

SICtFKID UNO HHrNlllLD. I

(if lil himiiis. Trotz dci- unklaiin'it drs aiisdriicks, wuhoi sich auch die V(dsung'asagH c. L'O (Hii,i;;i;'c 1 L' I -"' fi;.) hcnihi,^t. kann niii' dci' vatV- log'i i^Piiipiiit sein. Ohne sch\vicrii;kcito]i ^'cht ah(M' dci- iicld in die schihlbiiru', dort tiiidct ci- die schlafende -anz ^ewafnete juiiutVau. Kr ninit ihr den iiehii \<ini haupte, schli/J. ihi' den jianzei- aul' mit seinem Schwerte (iram und zieht ihn al). Da ei'wacht sie. So erzählt (hjr samlei- odiM- (h-r vert'assei' {\vy Sii;urjtarsai;a in (h'in prosastücko

(Bn,ui;-(> '-'27), das in den ausi^'ahen die oinhutuni;' zu (h'u soii;ontinten Siuivh'ifumel liihh't. in d<'r handschiift al)er olme jede trennun,^' auf die schiussprosa zu bVd"nism(}l foli^t. In einem weiteren prosastücke (r)Ui;g'e 229) nent die erwachte valkyrie sicli Sip-drita; sie erziihlt ihre <;'eschichte. Dieses prosastück ist unbestritten aut'lösun,i;' von verson, deren Wortlaut dem sandei' bis auf einen luibcdeutenden rcst nicht mehr in ^\ov eriniierunu' war oder deren Avörtlicho aufzeichnunji;' er sich ersparte, weil sie in (h'r Helrei]> S 10 in wesentlich derselben fas- suni;- erhalten waren. Dass aber in der alten poetisclien form der ei'zjihiunu- der valkyrie von ihrem i^escbick dieselbe 8ig-rdrifa genant war, darf natürlich nicht ohne weiteres angenommen werden, um so weniger, als die nelrei[) dasselb(^ von Brynhildr erzählt. Diese frage wird uns mjcli zu beschäftigen haben. Wie der samler si("h die weitere entwicklung des Verhältnisses zwischen 8igur[)r und Sigrdrifa dachte, bleibt dahingestelt, da mitten in Sigrdrifas Weisheitslehren die liicke des Codex Regius begint. Hier genügt es festzuhalten, dass die liedersamlung als solche eine valkyrie Sigrdrifa, welche 8igur[>r aus dem zauberschlafe erweckt, von Brynhildr Bu[)lad(')ttir nnterscheidet, welche er für üunnarr erwirbt. Für die in der samlung enthaltenen oder einstmals enthalten gewesenen lieder ist damit selbstverständlich nicht das mindeste entschieden.

Wie die Volsungasaga, so steht auch die erzählung von den Nibe- lungen in der ausführlicheren redaction der Skäldskaparmäl c. 39 42 unter dem einflusse der liedersamlung, wie ich in dieser ztschr. XII, 103 fgg. gezeigt habe (s. auch Müllenhoff, DA. V, 1, 185 Igg. 232). Snorris nrsprünglichem werke gehört nui- die in U enthaltene erzählung an, welche mit der ermordnng Hreilimars durch Fäfnir und Reginn, allerdings etwas gCAvaltsam, schliesst (c. 100 Jh Sn. E. II, 359 fg. = c. 39. 40": Sn. E. I, 352 356i'"). Dieser teil ist frei und unabhängig, während die fortsetzung, die zu einer volständigcn Über- sicht der sage wurde, in der Überarbeitung (hier fast allein durch r vertreten 1) unter benutzung der liedersamlung hergestelt ist. Bei die-

1) Li W fehleu c. 39 42. Ein nicht ganz kleiueri stück bietet das fragment

ser Sachlage, die auch Golther anzuerkennen scheint (Studien s. 73 fg.). muss es auffallen, dass dieser gelehrte der fassung, welche die erzäh- lung der überarbeiteten Skspm. von Sigurps Verhältnis zu Brynhildr- Sigrdrifa bietet, so grossen wert beimisst. Der bericht lautet bekant- lich: Sigurpr erweckt auf dem berge die valkyrie Hildr; hon er kql- lup Brynhüdr ok var valkyrja. Er reitet weiter an Gjiikis hof, ver- mählt sich mit dessen tochter Gu|)rün und schliesst blutbrüderschaft mit Gunnarr imd HQgni. Dann gewint er für Gunnarr und in dessen gestalt Brynhildr Bupladüttir, Atlis Schwester, die auf Hindafjall sizt, von einem flammenwall umgeben, und geschworen hat, nur demjenigen gehören zu wollen, der denselben zu durchreiten wagt. Am morgen nach dem keuschen beilager gibt er ihr den Andvaranaut zur morgen- gabe und erhält von ihr einen anderen ring tu minja. Der Verfas- ser unterscheidet also, wie der samler, eine valkyrie, die er aber nicht Sigrdrifa, sondern Hildr- Brynhildr nent, von Brynhild Bu})lis tochter, die bei ihm auf Hindafjall wohnt. Die waberlohe haftet an lezterer. Eine frühere Verlobung Sigur|)s mit Brynhild erwähnt er nicht, und somit durfte auch der liebes- oder vergessen heitstrank fehlen. Den ringwechsel erzählt die Snorra Edda anders und besser als die VqIs- ungasaga c. 27 (Beitr. 3, 280 fg. Golther, Studien s. 74). Aus die- sem umstände darf man jedoch „die Selbständigkeit der Snorra Edda" der liedersamlung gegenüber schon deswegen nicht folgern, weil die VQlsungasaga hier offenbar eigenmächtig geändert hat und es keinem zweifei unterliegt, dass das beiden berichten zu gründe liegende, durch die lücke verlorene lied den ringwechsel gerade so dargestelt hat, Avie es die Snorra Edda tut. Dass eine frühere Verlobung und damit auch der zaubertrank in der darstellung der Snorra Edda fehlen, wird noch im verlaufe unserer darstellung genügende erklärung finden: es war eben die sagenform des zu gründe liegenden liedes, desselben, auf Avel- chem der kern des c. 27 der YQlsungasaga beruht. Aus einem der durch die lücke verlorenen lieder wird auch die sonst unbekante Gjü- katochter Gu|)ny stammen (Sn.E. I, 360 1''), ebenso GotI)ormr als Gjükis Stiefsohn, wie im Hyndluliede 27 (MüUenhoff, Ztschr. f. d. A. 10, 155. DA. V, 1, 186). So werden wir auch bei dem namen Hildr, „die Bryn- hildr genant wird", für die in der samlung als Sigrdrifa auftretende valkyrie zunächst an Helrei}) 7 zu denken haben: heto iiiik aller i Hlymdqlom Hilde und hjalme, hverr es kunne.

leß oder richtiger (s. Katalog over den Arn. häudi^kriftsaml. I, ö) cod. AM 748, 4" (Sn.E. II, 573 fgg-), der einen älteren text als ;• enthält.

SIGFKID UNI) BRUNllILD. T 9

Was bedeutet alicr dei' /ii^atz: Jxiii i'r /,q///(J) Jir//nhildr? Jedeafals nichts anderes, als dass der liherarbeiter der Snorra Edda der Schei- dung;' zweiei- frauengestalten, wclclie er im anschliiss an die liedersani- hinfi' v(»i-nalun, selber nur sehr be(Ungt l)eiptlichtete. Und in der tat fraiit man erstaunt, Avas nach seiner darstelluni;- (Ue (M'wcckung der Ilildr ül)erhaupt soll, welcheu portisclien zweck sie crt'ült. In der lie- dersauüung, d. Ii. in der uns üb(n'liet'ertcn ini(M'polierten und am schluss abbrechend*Mi i;'estalt d(>r Si<;rdrit'umol , lehrt die erwachte vaJkyrif^ (\en jungen hehlen wenigstens runcn und spri'u'he (h;r w(Msheit. In der Snorra Edda fehlt sogar dieser, freilich äusserst wirkungslose, zweck des besuchs. Wenn (lolther, »Studien s. 45 äussert: „die wenigen auf die Zusammenkunft mit Hildr sich beziehenden werte kiinten leicht ausfallen, oIhk^ dass der handlang dadurch ii-gcndwie ei ntrag geschähe", so hätte ihn diese unzweifelhaft richtige bemerkung zur einsieht füh- ren müssen, dass eine so überflüssige, nichtssagende episode nimmer- mehr alte sage und dichtung widerspiegeln kann. Beruht also die erzählung von den Nibelungen in der überarbeiteten Snorra Edda nach- Aveislich auf der liedersamlung, wobei natürlich stets die lücke des Regius in anschlag zu luingen ist, und trägt die bemerkenswerteste abweichung das deutliche gepräge des unursju'ünglichen , so haben wir durchaus nicht das recht, diesem berichte selbständige oder gar ent- scheidende bedeutung beizumessen. Mit MüUenhoÖ', DA. V, 1 , 186 haben wir darin nur „eine zw^ar eigenmächtige, aber wohl bedachte combination" zu erblicken.

Unter den heldenliedern der Edda ist die (xripisspä das einzige, welches die schlafende Jungfrau auf dem berge deutlich unrl unzwei- deutig von Brynhildr Bu[)lad6ttir unterscheidet. Die (iripisspä ist anerkantermassen ein junges Übersichtslied über die Öigur|»ssage in gestalt einer prophezeiung, das der samler nicht ohne guten grund an die spitze der lieder von den Nibelungen stelte. Sie sezt ausser Reg- insniQi, Fäfnismöl und Sigrdrifum()l die lieder voraus, welche dem Verfasser der Volsungasaga für c. 23 fg. 26 29 zu geböte standen, kann also kaum viel älter sein als die liedersamlung und ist am wahr- scheinlichsten um die scheide des 12. und ] 3. Jahrhunderts anzusetzen. Ich sehe keinen zwingenden grund, mit Edzardi (Germ. 23, 325 fgg. vgl. 27, 399 fgg.) anzunehmen, dass die Gripisspä in älterer gestalt mit Str. 23/24 abgeschlossen habe, brauche aber in diesem zusammenhange nicht auf die frage einzugehen. Reine wilkür aber ist es, Avenn Gol- ther (Studien s. 47) die altQ Gripisspä mit str. 18 enden lässt, die „einen offenbaren abschluss" enthalten soll, wovon ich nichts spüre,

10 SIJMONS

fals man nicht Nus pvi lokef 18' talsch übersezt: „damit ist die sache abgetan" und den übrigen inhalt der strophe unberücksichtigt lässt. Nimt man das gedieht wie es vorliegt, so ist die reihenfolge der bege- benheiten folgende: 1) Erschlagung des drachen und Regins und erw er- bung des hortes 11. IH^^''. [2) Besuch bei Gjüki 13 ^•'^, sonstiger Überlieferung (doch s. u.) widersprechend und von Bugge Fornkv. 415'' wol richtig erklärt als misverständnis von Fafn. 40 fg.]. 3) Erweckung der schlafenden Jungfrau auf dem berge, die SigurJ) runen und heil- kunst lehrt 15 18. Ihr nanie wird nicht genant {f'ijlkcs dötter hjqrt i hrynjo)^ die waberlohe nicht erwähnt \ von einer Verlobung ist nicht die rede. 4) Besuch bei Heimir, wo sich Brynhildr , Bu[)lis tochter, Heimirs föstra befindet. Sigurpr verliebt sich in sie und verlobt sich mit ihr 19 ^-\ 27 31'^ 5) Nach einnächtlichem aufenthalt bei (Ijüki vergisst der held, durch Grlmhilds betrug betört, die Brynhild geleisteten eide; er erwirbt dieselbe für Guunarr (blutbrüderschaft zwi- schen Sigurl3r, Gunnarr und Hogni 37^-^^ gestaltentausch 37 ^ 39-*, keusches beilager 41) und vermählt sich selber mit Gulu'ün 31-^ 43. Doppelhochzeit. Yon der waberlohe ist auch hier keine rede ^ Bemerkenswert ist in dieser darstellung die strenge Scheidung zwischen der (ungenanten) schlafenden Jungfrau auf dem berge und Brynhildr Bu|jladöttir, die Verlobung mit lezterer bei Heimir, die nichterwähnung der waberlohe soavoI bei der erweckung der Jungfrau d fjaJle als bei der erwerbung Brynhilds.

Die Gripisspä ist der älteste uns bekannte versuch, SigurJ^s lebensgeschichte in chronologischen Zusammenhang zu bringen; sie zuerst hat aus dem nebeneinander verschiedener sagenformen ein bio- graphisches nacheinander hergestelt, das für den samler und damit auch für den Überarbeiter der Snorra Edda und den Verfasser der Volsungasaga bestimmend geworden ist. Die trennung der Jungfrau auf dem berge von Brynhildr, ihre auffassung als besondere figur, ist,

1) Bugge Fornkv. 412 sucht die waberlohe in der verderbten halbzeile IS'* ept(ir) bana Helga, wofür er vorschlägt mid bana seljo. Die conjectur hat mehr- fach Zustimmung gefunden, und Golther Studien s. 52 benuzt sie sogar zu seinem beweise, dass der vafrlogi ursprünglich nur zu Sigrdrifa gehörte. Bugges besserung hat für mich nichts überzeugendes, da der fehler vermutlich mit in bana steckt, das in z. 8 noch einmal c. gen. gebraucht ist.

2) Edzardi, Germ. 27, 402 glaubt, dass eine hinweisung auf die waberlohe bei der Schilderung der Werbung um Brynhild ausgefallen sei. Auch diese Vermutung ist sehr fraglich: der dichter der Grip. kann den tlammenritt absichtlich fortgelassen haben, da er nach der Spaltung der Brynhildr - Sigi'drifa uugewiss war, wo derselbe anzubringen sei.

SIGFRID UND BRUNHILD. I 11

soweit die uns vdrliegendcn (juelleii ein urteil gestatten, das "sverk des dichters der Giipisspä.

2.

Dass die ältere nordische Nibelungendichtuug die identität von Brynliildr und Sigrdrifa ausdrücklich oder stilschweigend voraussezt, ist die ansieht der meisten älteren deutschen forscher gewesen. Gele- gentliche äussorungen Jacob und Wilhelm Grimms ^ lassen keinem Zweifel räum, auch Lachmann muss diese auffassung geteilt haben. Müllen hoff (Ztsclir. f. d. a. 10, 155) äusserte: „Brynhildr heisst im norden bekantlich auch »Sigurdrifa" und betrachtete beide namen als aus der deutschen sage herübergenommen. „Als Brunihild, Bellona loricata, ist die Walküre die doppelgängerin der nibelungischen Grimhild, der Bellona larvata oder galeata; als Sigutriba .... aber ein dem echten, lichten göttersolme, d. i. dem Walsung Sigufrid gleichartiges wesen'".

Auch ^Y. Müller- (Myth. der deutschen heldens. s. 81 fgg.) sah in Sigrdrifa nur einen anderen namen für Br\"jdiild, nahm aber an, derselbe sei speciell nordisch, wie denn überhaupt nach der ansieht dieses gelehrten die Verlobung bei Heimir ursprünglich, die Verlobung mit der Jungfrau auf dem berge ausschliesslich nordische dichtung wäre.

Andererseits hat es nicht an stimmen gefehlt, die eine trennung der beiden figuren von altersher befürworteten. Die wichtigsten der- selben hat Golther, Studien s. 49 gesammelt. Von skandinavischen for- schem vertreten u. a. F. Magnussen (Lex. myth. s. 414), Bugge (Fornkv. s.XXXYIII), Grundtvig (Edda^ s.230='), Rosenberg (Xord- boernes aandsliv 1, 289 fg.) diese ansieht. Rydberg (Undersökningar i germ. myth. 1, 732. 2, 272 fgg.) betrachtet „Segerdrif\^a" als eine in die heldensage übertragene mythische figur, die ursprünglich mit Brj^i- hild Buplis tochter nichts zu schaffen hatte. Die weitere ausführung dieses gedankens, wonach erst „redaktören af FafnersmaL' die weit älteren Sigrdrifumol in den SigurJ)scyclus gezogen und dem beiden, der Sigrdrifa erweckt und von ihr runenweisheit lernt, den namen des Sigurpr Fäfnisbani gegeben haben soll, ist so phantastisch, dass ich auf eine Widerlegung verzichten darf. In Deutschland haben sich in neuester zeit Heinzel mid Golther für die Scheidung erklärt. Heinzel in seiner inhaltreichen und gelehrten schrift über die Nibelungensage (aus den Sitzungsberichten der Wiener akademie, phil.-hist. cL, CIX,

1) S. z. b. J. Glimm, Myth. ■'351. 111, 119. Xl.sclu-. 2, 276 fg. AY. Grimm, Hds. 349.

2) Auch schon in seinem „Yöi'such einer unihol. erkläruug der Nibelimgen- sage" (1841) s. 63.

12 SIJMONS

s. 671 fgg.), Wien 1885, s. 22 fgg. entscheidet sich für die ursprüng- lichkeit der sagenform, welche zwei valkyrien kent, die valkyrie SigurJ)s Hildr oder Sigrdrifa und eine andere, „welche Brünhild heisst und Günthers gemahlin wird". Auf Heinzeis vorzugsweise ästhetischen gründe wird noch einzugehen sein. Golther hat in den „Studien" s. 44 fgg. der frage eine eingehende Untersuchung gewidmet, als deren ergebnis sich herausstelt, dass in den Eddaliedern die valkyrie Sigr- drifa oder Hildr überall scharf getrent wird von Brynhildr Bupladöttir. „Nirgends wird ein näheres Verhältnis zwischen Sigurd und Sigrdrifa, ein Verlöbnis erwähnt; Sigrdrifa verschwindet, nachdem sie Sigurd runen gelehrt hat" (s. 49). In seinem aufsatze in der beilage der Allg. Zeitung 1890, nr. 60 wird diese ansieht so formuliert, dass „in der nordisclien dichtung diese Sigrdrifa von der Brynhildr durchweg unter- schieden wird und erst die spätesten -quellen des 13. Jahrhunderts den imglücklichen versuch machen, die beiden gestalten in eine einzige zusammeniliessen zu lassen."

In den Beitr. 3, 255 fgg. habe auch ich, ohne die ursprüngliche mythische einheit der Sigrdrifa -Brynhild anzufechten, die ansieht auf- gestelt, dass, soweit wir auf quellen zurückgehen können, eine Spal- tung eingetreten sei, die sich als sehr alt erweise durch feststehende charakteristische züge. Dieser ansieht hat sich Edzardi (Übers, der YqIs. s. 92** u. ö.) angeschlossen. Wie sich aus dem bisher erörterten bereits ergeben hat, kann ich dieselbe nicht mehr als richtig anerken- nen. Vielmehr bin ich durch eine neue erwägung der fi'age und fort- gesezte beschäftigung mit den Eddaliedern zur Überzeugung gelangt, dass erst der Verfasser der Gripisspä die Spaltung der Brynhildr in zwei gestalten vorgenommen hat^. Die berechtigung zu dieser auffas- sung muss sich zugleich mit ihrer näheren begründung aus einer ana- lyse der eddischen heldenlieder ergeben. In betracht kommen nament- lich die Schlussstrophen der Fäfnism^l, die Sigrdrifuni(»l und Helrei|) Brynhildar.

In den Fäfnism()l str. 32. 33. 35. 36. 40 44 sind uns frag- mente eines liedes aus dem SigurJ)scyclus im fornyrpislag überliefert. Demselben liede mögen auch Reg. 13 18. 26, sowie Sgrdr. 1. 5 nebst der halbstrophe im prosastücke vor 5 angehört haben. Ähnlich urteilen Ettmüller, Germ. 17, 13; Edzardi Germ. 23, 319 fgg.; G. Vigfüsson,

1) Dieselbe ansieht äussert, wie ich erst später bemerkte, W. Eanisch in der ersten der hinter seiner dissertatiou „Zur kritik und metrik der Ham{)ismal " (Berl. 1888) abgedruckten thesen: „Brynhildr und Sigrdi-ifa sind erst durch den dich- ter der Gripisspä als zwei verschiedene pei'souen gefasst".

SIÖFKIU UND BRliNHJLM. I 13

Cpb. 1, 157 Igy. und h\ Joiissoii in seiner ausgäbe. Nach der t(itung Rogius erteilen die vögel dem Sig-ur{tr ratsciiliige: ■10 /)'/// Jui, Si(/r(ti/t/\ h<(ii<i<i raiijKi!

rsd LoiiKHfih'kt lirijxi /t/oiyo:

///(// rcilk cina iiilklo fcfirslu^

(/(>//< i/(')(/(/(t , ."/ (/(f(t Hurllcf. ■1 1 I-'iHilj" lil ({ji'ih'ii jiröudr Urin(f(')\

l'niiu r/s// .s/,(>j) j/)lhl/p(ti//l/)ii/ ;

h/fr /l/'/rr l:/n/i////ir /lülh/r ali//i,

!>// Il//tl/l , ^^i'Jf'i' f"'i inKii/lc l>/l.//j)/l. In sti'. 41 ist von (ifujirrui die rede; ob die vorhergehende stii»phe sie oder Hrynhild meint, liisst sich mit Sicherheit allei-dings nicht entschei- den. Die herausgeber und commeutatoren schwanken; es mag genügen auf die enirtei'ungen Bugges (Furnkv. 41;")) und Edzardis ((rem]. L*;), v!22 fgg.) zu verweisen. Mit di(>sem bin icli geneigt, auch in der Jung- frau, von welcher die vTjgel in sti'. 40 singen, (iu|ii'ün zu erblicken, nicht Br\nhild. Es ist an sich natürlicher, in str. 41 eine furtsetzunc des gedankens der vorhergehenden strophe zu sehen. 'Die „mit gold ausgestattete maid" erinnei-t an (ru|)rüns \voi'te (Ui|>r. 11, 1''' "^i /mx 11/ iJ: (Iji'/k/' [/(/!//■ r/i ['])/■ , ///>///' r/'i ['[)/•, (j/if Slijv/'rjtr; nach Sig. sk. 2 wird dem heldeu mit der jnngfrau mcijnna fjr)lp geboten. 8odann führt die aufforderung der vögel 40 \ die roten liuge zusammenzubinden, tVdge- reelit zu der prophezeiung 41'. dass er sie brauchen wird nm (Ju|)rüu mit dem maischatz zu kauten. In den werten r/' ficf/i iiu'ett/'r 40 '^ liegt kaum, wie Bugge meint, ein hinw^eis darauf, dass das Schicksal 8igur|) nicht gestatten werde, sich mit der Jungfrau zu vermählen, viel- mehr eine ermunterung: ,, suche sie zu erlangen!" (s. Edzardi a. a. o, 824 a. 2). Dei- gewolte Zusammenhang der beiden Strophen scheint dieser zu sein: „Binde zusammen, SigurJ}, die roten ringe! Nicht ist es königlich, viel zu fürcliten; eine w'uuderschöne Jungfrau kenne ich, goldgeschmückt, köntest du sie erlangen! Zu Gjüki führen gi'üne wege, vorwärts weist das Schicksal den recken^; es hat der edle könig eine tochter gezeugt, die wirst du mit dem malscbatz erwerben". Es folgt die schlafende Jungfrau auf dem bei-ge: 42 Scflr's d hövo Hindarf jalle,

allr es ütan ekle sveipemi,

1) fulldipqndum 41'* dat. pl. soll heissen: „umlierzielionde reckeu, wie du''. De^r plural in dieser algemeinen sentenz gestattet die anweiidnng auf den vorliegen- den fall. Ähnlich steht der plural Sig. sk. 14'', etwas abweichend (Jlu|)r. IT, .'>*'. Helg. Hu. II, 46'*, vgl. Bugge Fornkv. 249 ^ K. Oislason Njala 11, 562 fg.

14 si.BroNS

])ann hafa hoi'sker haier of gqyvan ör ödekkoni ögnar Ijöimi.

43 VeHk d fjallc folkvUt sofa, ok leikr yfer lindar vdpe; Yggr stakk Jwrne aj>ra felde hQ?rjefn hale, an hafa vilde^.

Auf Hindaiijall im flammenumloderten goldenen saale schläft eine valkyrie, die ÖJiinn mit dem schlafdorn gestochen hat, da sie andere männer getötet hatte, als der gott ihr befohlen. Die einzelnen züge sind wesentlich dieselben, wie in der prosa vor Sgrdr. 5 und Helr. Brynh. 8 10, nur absichtlich in unsicherer märchenhafter beleuch- tuug, wie sie der Situation angemessen ist. Zweimal wird die schlä- ferin in str. 48 umschrieben, ihr name wird nicht genant, so wenig wie Guf)runs in str. 40 fg. Nun aber heisst es weiter:

44 Kndft, tnqgr, sea mey und. hjaliue, päs frd vige Vi7igskorne- reip; mät sigrdrifa(}j svefne hregpa, skjqldunga riipr, fyr skqpom. )iorna.

In der zweiten halbstrophe bietet die Überlieferung sigrdrifar, wäh- rend Bugge Fornkv. 415'' Sigrdrlfa änderte. Jedenfals versteht Bugge mit recht skjqldimga nipr als anrede, wie mqgr z. 1, nicht als Subjekt zu indt. Denn, wenn F. Jonsson Eddalieder 2, 126 unsere stelle erläutert: „wenn der vogel sagt, dass Sigrdrlfa niemals erwachen kann, so ist es ein versuch, SigurJ)r vom schlafenden weibe fern zu halten'', so liegt es nahe dagegen zu bemerken, dass der vogel diesen zweck einfacher und kürzer hätte erreichen können, wenn er der valkyrie überhaupt nicht erwähnt hätte. Keinesfals aber durfte der vogel behaupten, dass Sigurpr ihren schlaf nicht zu brechen vermöge, ohne eine wissentliche Unwahrheit zu sagen. Der held wird die behelmte maid schauen, die (oder, wie sie?) auf ihrem streiti'oss aus dem kämpfe ritt. Ihr schlaf kann nach dem ratschluss der nornen nicht gebrochen werden: dass der skjqldunga nipr, Sigurpr, allein dies vermag, wird verschwiegen, wie es der haltung dieser prophezeiung wol entspricht 3.

1) 43** ** nach der überzeugenden lierstellung oder richtiger deutimg der Über- lieferung vonGrundtvig und Bugge. R liest: ap'a feldi liavrgefa hali e hafa midi. Ergänzung von es vor a^ra ist unnötig und metrisch nicht empfehlenswert.

2) 44* vingscornir B; Vingskorne lesen mit recht die alten Kopenhagener und die neueren herausgeber seit Bugge.

3) G. Vigfiisson Cpb. T, 158 übersezt richtig: „Sigrdrifa's sleep eanuot ])e bro- ken, thou son uf the Shieldings, becauso of tlie Fate's decrees". Es geiit nicht an,

SIGFKII) TWIl RRTTNUILn. I

Ob mit der liaiulschrift sijirdnfar oder mit ßugge siyrdrifa gelesen wii'd, ist für den sinn freilicli gleichgültig. Die Überlieferung Hesse sich syntaktisch wol verteidigen, aber der gQn. sigrdrifay sezt einen nom. '■Siiinhif voraus, der sonst nicht überliefert, wenn auch sehr wol deidvbar ist (s. unten); für Bugges änderung dürfte ferner die ana- logie von 8grdr. 1 -, 2 ■'■ '^ sprechen. A''on grösserer bedeutung ist aber eine andere frage, die sich an dieses wort knüpft, für unseren zweck von entscheidender.

8igrdrifa()j ist bisher wol algemein als elgenname verstanden worden. Ich lial)o wenigstens nirgends eine andere auffassung ange- deutet gefunden und verdanke selber die anregung zu meiner jetzigen, in Pauls Grundriss II, 1, 28 bereits angedeuteten, hier näher zu be- gründenden auffassung einer brieflichen bemerkung meines freundes H. Gering. Es wäre das einzige mal, dass Sigrdrifa in den Eddalie- dern genant würde; ihr sonstiges vorkommen beschränkt sich auf die prosa vor str. 5 der Sgrdr. (Bugge 229 1- ^^- ^i). Str. 40. 41 reden von Guprün, ohne sie zu nennen; in str. 42. 43 Avird von der flamnien- umgebeneii valkyrie gesungen, ohne dass ein name genant wird; auch str. 442 spricht nur von der behelmten maid: auffallend wäre es, wenn plötzlich am Schlüsse der name der dreimal umschriebenen hervorträte, um sonst nirgends in den liedern Verwendung zu finden! Sieht man zunächst ab von anderen Überlieferungen und betrachtet unsere Stro- phen für sich, so liegt es näher, sigrdrifa appellativisch zu verstehen als eine neue poetische bezeichnung der valkyrie, die stilistisch nicht bedenklicher wäre als foJkvitr. 43-, hqrgefji 431 Die fornyrpislag- strophen der Fäfn. verwenden kenningar in ziemlich ausgedehntem massstabe: SigurJ)r heisst spiller hauga 32 "\ hildemeipr 36-, skjqldunga nipr 44'^ (dazu kommen Yngva konr Reg. 14 3, hrynpings npaldr Sgrdr. 52), das gold ögnar Ijöme 42 8, ^^^ fQxxQT Undar vdpe 43^, das herz fjqrsege 32' (das schiff Ecevels kestr Reg. 16 2, seglvigg 16^, väg- 7narr 16^, scetre 17'-, hlunvigg 11'^). Auch hers japarr Fäfn. 36-^ (baue Sigmundar Reg. 26 3, hilmes arfe 26^) gehören einigermassen in die- sen Zusammenhang. Eine Umschreibung sigrdrifa für die valkyrie Brynhildr wäre dem stile unseres fragmentes gewiss nicht zuwider: vgl. Edzardi Germ. 23, 320 fg. Der samler hätte aus der appellativi- schen bezeichnung einen eigennamen gemacht, und Sigrdrifa, sei es nun als zweiter name der Brynhildr, sei es als name einer besonderen

skjqldunga n/pr (als Subjekt zu j/idf) von anderen königssöhnen (im gegeusatz zu SigurJ)!-) zu verstehen; nocli viel weniger kann fyr sl:qpom. noma beissen .,eli die uoruen es fügen" (Simroek).

16 SIJMONS

figur, würde auf einem misverstäudnis beruhen. Die mögliclikeit eines solchen misverständnisses dürfen wir getrost behaupten: hat doch der samler in der prosaischen einleitung zur V0hindarkvij)a sich nachweis- hch einen ähnlichen irtum zu schulden kommen lassen^.

Nach Golther Studien s. 37 wäre tSiyrdrifa eine Zusammensetzung mit drifa „Schneesturm, schneetrift". Weit richtiger hatte bereits J. Grimm Myth.^ 741 in Sigrdrifa „die nordische Victoria oder Nlk^j^'- gesehen und Müllenhoff Ztschr. f. d. a. 10, 156 hatte an ahd. wig trt- han Graff 5, 482 erinnert. Mit altn. drifa in der bedeutung „schnee- trift" ist nichts anzufangen. Allerdings wird dieses wort in der skal- densprache zu Umschreibungen für kämpf verwant: so ist hjqrdnfa in der Gräfeldardräpa des Glümr Geirason (Hkr. U. 136-^") eine leicht verständliche kenning „schwert(schnee) stürm = kämpf" (vgl. hjqrregn, hjqrgräp Lex. poet. 348 fg.); vgl. ierner hjcdmdrifa [lijalmdrifo vipr Sighvatr Hkr. U. 307 21], hlemmidnfa Hüdar Hatt. str. 54 » Mob., loptdrifa Fms. I, 170, pingdrifa [Jringdrifo me/ui Sighvatr Hkr. U. 522 2*"' „die zur voiksversamlung strömenden menschen"]. Die mhd. volksepik liebt es, die geschosse oder die heerschaaren mit schnee zu vergleichen (W. Grimm zu Athis E 146 = Kl. sehr. 3, 306; Jaenicke zu Bit. 10193), und die nordische skaldendichtnng tut wesentlich das- selbe, nur dass sie den vergleich in eine kenning zusammendrängt. Damit ist aber für sigrdrifa wenig gewonnen, man müste denn mit Golther DLZ 1890, sp. 333 annehmen, dass eine kenning für kämpf als bezeichnung für die valkyrie gebraucht sei. Aber näher liegt eine andere deutung des namens.

Die quantität des zweiten /" von sigrdrifa (r) Fafn. 44'' ist mit Sicherheit nicht zu bestimmen. Ich fasse die halbzeile mdt sigrdrifa (/j als den Sievers'schen typus 0 3 ( X -^ 1 ^ X ) und das i von -drifa, demnach als kurz. In sigrdrifa hätten wir ein weibliches nomen agen- tis mit n- Suffix, zu welchem das masculinum -drife vorliegt in hring- drife Akv. 31 ^^ [frohi hringdrife, d. i. -i | jl -^ X typus D 2), mit regiüärer schwächster vokalstufe, wie liveldripa , inyrhripa : haldripe usw. (vgl. Hj. Falk Beitr. 14, 14 fgg.). Neben -drife kent die altn. dichtersprache -drifr (mit praesensvocal), so mit liri^igd/rife gleichbedeu-

1) Die Sache liegt dort wol folgendermasseu. Der uom. sing, alvitr u^uja 10' (über akrltr s. Sievers Beitr. 12, 488) verführte den samler dazu, auch 1'^ und 3" den gleichlautenden nom. plur. als sing, zu behandeln und demgemäss ungar durch unija zu ersetzen. In seiner prosa hat er dann ahntr als beinamen der Hervcjr ange- sehen, ebenso vielleicht svanhinf 2-' als beinamen der Hla]jgul)r. Allerdings ist 4'" svanhvito der tonn nach eigeimame: stand hier ursprünglich svanhvUre'^

SIGFRID UNI) URTTNHILI». I 1*7

teiul hriit(i(h'ifr (Lex. poet. H!l()), bauijdrlf)- [baniidrif vom li. Olaf Geisli 17'' nach Bergsbok ^ hrainhlrif V\i\i.\^ fornor qrdrifr Korni. s. str. 55' Mol). \Jij<)rdnfr Cod., hringdrlfr? F. -lonssoii bei Möbius s. 147J. Wie hr'uHjdiife oder lirhigdnfr den milden tursten als (k^n „ringspen- der'' bezeicbnet, so s'njrdnfii (oder sigrdrif) die valkyrie als die „sieg- speuderin". Die bildiingen schliessen sich an drifd in der bedentnng- „stauben, streuen", einer specialisierung der ursprünglichen b(!deutung des germanischen verbums dr/'han „in eilige bewegung versetzen". Styrdrifa als bezeichnung der valkyrie erinnert an sigrmeijjay (Fms. Y, 246), sijjrfljop {(/jöpovf ■'^'f/r/ljojx/ „den raben" Eyrb. 1864, 114 2): ist es doch das amt der valkyrien, des sieges zu walten {räpt slyri Gylf. c. H6: Sn. E. I, 120. II, 275). Wenn in dem bekanten ags. bienen- segen der ausdruck si^eirif auffallender weise auf schwärmende bienen angewant wird (Grein -Wülker 1, 320; vgl. Zupitza Anglia 1, 189 fgg.), so wird man annehmen dürfen, dass er ursprünglich valkyrien bezeich- nete und erst später auf bienen bezogen wurdet

Als ergebnis dieser erörterung glaube ich aufstellen zu dürfen: sigrdrifa in Fäfn. 44 ist appellativische bezeichnung der valkyrie, die nicht genant wird, aber unter der nur Brynhildr verstanden Averden kann. Die prophezeiung der ig[)ur kent also mir zwei frauengestalten, die in Sigur[)S Schicksale eingreifen werden: Guprün, die er heiraten, und Brynhildr, die er aus dem zauberschlafe durch den tlanmienritt erwecken wird. Diese reihenfolge ist, wie sich ergeben wird, nicht wilkürlich. auch nicht mit Bugge Fornkv. 415 und Edzardi Germ. 23, 323 so zu deuten, dass die vögel zuerst die hauptbegebenheit, dann die frühere begegnung mit der schlafenden valkyrie hervorheben, son-

Ij (jalten etwa bienenscliwärmt} dem ausziehendeu krieger als gutes onieu und daher die bienen als „siegspendende frauen" (si-^eivtf)? Ich kann die frage nur auf- werten, mache aber darauf aufmerksam , dass im märchen die bieneukönigiu sich auf den mund ihres günstlings sezt (KHM. nr. 62. Myth.-* 579). Den Eömern galten frei- lich im algemeinen bienenschw.ärme als üble Vorzeichen, sowol im lager (Liv. 21, 46. Valer. Maxim. 1, 6, 12j, als auf dem markte in der stadt (Liv. 24, 10. 27, 23) und so uocli bei Ammian. Marcell. 18, .^, 1 im jähre 359 n. Chr. Auf eine andere auffassung könte allerdings Plinius n. h. 11, 55 deuten: scdere (apes) in caitlris Dnisi imperatoris, ckhi prosperr pwjnaiuDi apud Arhaloiin)! est, haud quacpMui perpetna harnspicum conjectura, qui dirum id ostentmn existimant semper. Diese auffassung steht vermutlich unter griechischem einflusse. Als Dionysius I. von Sici- lien einmal die band in die mälme seines pferdes schlug, um dasselbe zu besteigen, und ein bienenscliwarm sich darauf niederliess, erklärten die Wahrsager, oti tuOtu ^loi'HQyiuv S>]}.oi (Aelian. Yar. Hist. 12, 46 = Cic. de div. 1, 33, 73. Plin. n. h. 8, 158); vgl. auch Diodor. 19, 2, 9. Bei diesen nachweisen haben mich prof. Yaleton in Amsterdam und mein liiesiger College prof. Boissevain ft-eundlichst unterstüzt.

ZEITSCHRIFT F. DEUTSCirE PHILOLOGIE. Bl). XXIV. 2

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dern nach der einen der beiden ältesten nordischen sagenfassungen auch chronologisch richtig.

Hinsichtlich der Sigrdrifumöl kann ich mich in allem wesent- lichen den ausfiiln'ungen Müllenhoffs DA. Y, 1, 160 fgg. anschliessen. Die kritische analyse dieses „liedes", d. h. der Strophen, welche die samlung ohne andeutung ihres verschiedenen Ursprungs als ganzes bie- tet und die ausgaben unter dem titel Sigrdrifumöl zusammenfassen, führt zu folgendem ergebnisse. Den grundstock bilden bruchstücke eines gedichtes in Ijöjjahättr (A), dessen stoff die erste begegnung Sig- urj)s und seiner valkyrie bildete: str. 2 4, zu lesen in der reihen- folge 3. 4. 2 (Miülenhoff s. 161), 20. 21. (22. 23. 24. 26. 28. 29. 31. 32. 33. 35. 37, von denen gleich näher die rede sein wird). Bereits in der mündlichen recitation verschmolzen mit diesem gedichte Stro- phen eines anderen liedes aus dem Sigurf)scyQlus in fornyrpislag (B), dem möglicherweise auch Reg. 13 18. 26. Fäfn. 32 fg. 35 fg. 40 44 angehörten (s. oben s. 12. dazu aber auch unten s. 30 anm.). Der aufzeichner hatte nur noch str. 1 und 5 im gedächtnis, die erzählung der valkyrie von ihrem geschick war in ihrer alten poetischen fassung bis auf einen geringen rest (die halbstrophe in der prosa vor 5) ver- gessen. Eine jüngere einschaltung, die aber die Verbindung von A und B voraussezt, da sie offenbar veranlasst wurde durch die erwäh- nung der gamanrünar 5^, ist das rünatal str. 6 13'^. Daran haben sich in der Überlieferung angeschlossen verschiedene bruchstücke alter gedichte: str. 13-*~^°. 14. 15 17 (eine zwölfzeilige jHila). 18.

19 (leztere strophe wol als abschluss des runenabschnitts und Überlei- tung zu 20 fgg. gemeint). Endlich haben sich an die lebensregeln der valkyrie str. 22 fgg. einige verwante geheftet (str. 25. 27. 30. 34. 36), die schon Bergmann, Die Edda-gedichte der nord. heldens. s. 89 fgg. als jüngere zutaten ausschied.

Für unseren zweck komt die strophenreihe A vorzugsweise in betracht. Die aus langem zauberschlafe erwachte valkyrie fleht in zwei herlichen vlsur den tag und die nacht mit ihrer sippe um sieg an, die äsen und asinnen und die segenspendende erde um redegabe, Weisheit und heilende bände für sich und den berühmten geliebten beiden. Darauf leitete die strophe Le7ige svafk usw. die erzählung ihres geschickes ein, deren weiteren verlauf die prosa, wie sich aus der vergleichung von Helr. 8 fgg. ergibt, im ganzen treu bewahrt. Nur den namen der valkyrie hat der samler hinzugefügt, die „siegspende- rin" von Fäfn. 44 wurde zu Sigrdrifa, und diese namengebung ist für

SICiFRID UNI) BRüNini.n. I 49

die auffassune,- dos liodes vorhiini;-nisv()ll g'owordon. Mit Müllenhoft' müssen wir das ii'matal und die sich anschliessenden strophen (0 19) sclionun£csh)s entfernen. Krst str. 20 und 21 g^eliören wider dem alten gedichte an. Hrynhild, zur strafe für ihr eigenmächtiges eingreifen in schlaf versenkt, hat dem gotto verheissen oder wol richtiger nach Hell-. 5) ihm das versprechen abgerungen, keinem sich zu vermäh- len, der sich fürchten krtnne. Der furchtlose erwecker, der ihr bestirnte bräutigam, ist erschienen: in glülienden worten hat sie glück und sieg herabgefleht auf den geliebten mann und sich selber. Und wozu soll diese vielversprechende einleitung dienen? Damit Sigrdrifa runenleh- ren und sprüche der Weisheit auskramen könne, um dann spurlos 7a\ verschwinden! Dies mag bereits die ansieht des samlers gewesen sein, wie es die ansieht neuerer forscher ist: der alte dichter unsres Bryn- hildliedes, wie man die Sigrdrifumul richtiger zu nennen hätte, bezweckte anderes. In str. 20 sagt die valkyrie:

„Nu skaÜ kjüsa, per's kostr of hojtrint, hrassa vnipna hlynr!

sqgn epo pqgn haf per sjalfr l hug, oll ero )»ein of meien". Welche wähl stelt sie dem beiden? Die antwort kann nur z. 8 geben: sqcpi cpa pqgrt , d. h. sprechen oder schweigen. Über die bedeutung dieser ausdrücke an unserer stelle gibt Sigur|)s erwiderung in str. 21

auf klärung :

,,]\Io)ikak floja, pöt mik feigjon viter,

euiküh mep hlegpe horemi; dstrqj) phi vilk qll Imfa, sra lenge seu/ ek life". Wenn der held emphatisch beteuert, er w-olle nicht fliehen, wenn er auch dem tode verfallen sei, denn er sei kein feigling, so ist es undenkbar, dass der dichter damit die folgenden durchaus uncharak- teristischen lebensregeln einleiten wolte. Diesen standzuhalten war allerdings etwas gedukl, aber weder mut noch todesverachtung erfor- derlich. Folglich kann 20^ unmöglich bedeuten: „überlege dir, ob ich weiter reden oder schweigen soll", vielmehr soll Sigurpr sprechen oder schweigen, d. h. er soll sich entscheiden, ob er der eben erlösten, ihm zur braut bestimten Jungfrau entsagen oder ob er ihr CAvige treue schwören will. Aus seiner antwort darf man schliessen, dass Brynhild ihn in verlorenen Strophen darauf gewiesen hat, dass aus ihrem bunde Unheil entspriessen und Zerwürfnisse sich entwickeln werden, die den tod des beiden herbeiführen. Nur durch diese annähme wird die erste

2*

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hälfte von str. 21 verstäudlioh; ihre zweite hälfte bringt SigurjDs ent- scheidung-. Hier macht nun freilich der ausdruck ästrqp Schwierig- keiten. Die bedeutung, welche das wort dsträp sonst hat, „liebevoller, freundschaftlicher rat ", ist hier unpassend. Der Zusammenhang erfor- dert, wie Müllenhoff mit recht hervorgehoben hat, dass Sigurpr einfach sagt: „deine liebe will ich ganz haben, so lange als ich lebe". Man könte auf den gedanken verfallen, die stelle habe ursprünglich gelau- tet: äst pina vilk aUa hafa, und erst die Interpolation von str. 22 fgg. habe die änderung veranlasst. Wahrscheinlicher aber ist der umge- kehrte Vorgang: wie die zufällige erwähnung der gamanrünar 5 die einschaltung von str. 6 fgg.^ so konte die falsche auffassung der ästrqp die anfügung der sitten- und lebensregeln str. 22 fgg. veranlassen. Kann ästt^qp pln dem dichter von str. 21 als „die ehe mit dir der geliebten" gegolten haben (vgl. göpra räpa Grip. 45*. Brot 3^ und Oxf. dict. s. V. rää II, 3)? Sind nun aber die ratschlage der valkyrie str. 22 fgg. ein jüngerer zusatz, so kann der alte, durch die grosse lücke des Codex Regius verlorene schluss des alten Brynhildliedes kein anderer gewesen sein als das strophenpaar, dessen prosaauflösung die Volsungasaga am schluss von c. 21 (B. 133 ^^~i5) bewahrte Sigur[u' und Brynhildr schwuren sich ewige treue. So nimt Müllenhoff a. a. o. s. 161 mit recht an gegen Bugge Fornkv. 235*' fg. und mich Beitr. 3, 255 fgg. Der Inhalt der sogenanten Sigrdrifumql, den die kritische Zergliederung und Säuberung der unter diesem namen herkömlicher weise zusammengefassten strophenmasse mit Sicherheit ergibt, war dem- nach die erweckung der Brynhildr durch SigurJ) und ihre Verlobung.

Yon hervorragender Wichtigkeit für unseren zweck ist das viel- fach misverstandene lied HelreiJ) Brynhildar. Bekantlich hat Sv. Grundtvig (Edda^ 230) die Strophen 6. 8 10 (Bugge) ausgeschieden als dem gedichte ursprünglich nicht angehörig und sie in die Sigrdrifu- m^l verpflanzt. Dieser ansieht hat sich Bugge nachträglich ange- schlossen (Fornkv. 416". 423), und Golther (Studien s. 37 fgg.) ist noch einen schritt weiter gegangen, indem er auch str. 7 als interpoliert betrachtet und somit Helr. 6 10 auswirft. Eine etwas modificierte ansieht über unsere Strophen vertrat Edzardi (Germ. 23, 413 fgg.), der aber auch str. 8 10 einer anderen fassung der Sgrdr. zuwies. Wenn neuerdings Mogk (Pauls Grundriss II, 1, 88) sagt, in der Helrei{), die

1) Völlige treue der paraphrase soll damit nicht behauptet sein. Namentlich erregt der ausdruck engi fmnx per vitrari maßr bedenken, er sezt die vorausgehen- den Weisheitssprüche voraus und ist wol nicht ursprünglich.

SIGFRID UND BRUNHILD. 1 21

er als „eine rein nordische pflanze späterer zeit" charakterisiert, sei Brynhild vom dichter mit der Sigrdrifa zusammengeworfen, so scheint er Avesentlich derselben ansieht zugetan. Fragt man, was den Urheber dei-selben zu seiner ausscheidung bewogen hat, so wird die antwort lauten müssen: weil in den betreffenden Strophen der HelreiJ) von Bryn- hild erzählt Avird, was sonst (d. h. in der prosa der Sigrdrifumöl) von Sigrdrifa ausgesagt wird. Grundtvig erklärt ausdrücklich: „es verdient besonders hervorgehoben zu werden, dass, sobald man anerkent, dass diese Strophen von rechtswegen zu Sgrdr. und nicht zu dem gedichte von Brynhild gehören, jede stütze in den alten liedern selber für die identität der beiden personen wegfält". Offenbar eine petitio princi- pii! Sehen wir zunächst zu, ob wir mit der Überlieferung fertig wer- den können, ohne unsere z\iflucht zu so verzweifelten mittein zu neh- men. Ich sehe davon ab, dass die erzählung in der oben besprochenen prosa vor str. 5 der Sigrdrifa nicht in jedem einzelnen zuge genau übereinstimt mit den entsprechenden Strophen der Heireif). Soll aber eine Interpolation glaubhaft gemacht werden, so muss der nach weis gefordert werden, dass die verdächtigten verse den Zusammenhang stö- ren oder sich durch äussere kenzeichen als fremdartiges einschiebsei herausstellen. Dieser nachweis ist in unserem falle weder versucht noch zu erbringen. Ein machtspruch erledigt die sache nicht. Wenn wir das gedieht nehmen, wie es vorliegt, und die erzählung an und für sich, ohne vorgefasste meinung von der sage, zu verstehen suchen, so ergibt sich der folgende Inhalt.

Auf ihrer todesfahrt berichtet Brynhildr einer riesin die lu'sache von ihrem und Sigurps tode. Str. 6 ist schwer verderbt (vgl. diese ztschr. XYIII, 110 fg.); ich sehe von ihr imd der halbstrophe 7 zunächst ab. "Wegen ihres eigenmächtigen eingreifens in Öpins ratschluss ist Brynhildr von dem erzürnten gotte in schlaf versenkt, in eine schild- burg eingesclilossen und durch einen feuerwall umgeben. Nur der furchtloseste held {es hverge lands hrdpask kyntie 9 ^" *), der ihr Fäfnirs gold bringt, soll sie erwecken, d. i. Sigurf)r (str. 8 10). Der erlöser komt auf Granis rücken, allein, statt mit ihr die Verlobung zu feiern, behandelt er sie wie seine Schwester:

12 svqfom ok unpom i sceing einne,

sem minn hröper of borenn voere;

hvdrtke kndtte hqnd of annat

ätta nötto)n okkart leggja. Es ist Sigurpr in Gunnars gestalt. Brynhildr fügt sich in die umstände, bis ihr dunkler argwöhn sich durch die vorwürfe der Guprün (str. 13)

22 SIJMONS

als gegründet ausweist und es sich herausstelt, dass nicht Gunnarr, sondern Sigur|)r, der ihr bestirnte bräutigani, sie wirklich erlöst hat: varpk pess vis, es vildegak, cd velto mik i verfange. Da beschliesst sie mit dem geliebten beiden zu sterben, da sie nicht mit ihm leben kann. Die hier gegebene deutung des Zusammenhanges ist, obgleich sie zuversichtlich auf widersprach stossen wird, meines erachtens die einzige, welche der Überlieferung gerecht wird^ Diese ist nur ergänzt, soweit der sprunghafte stil des liedes es notwendig machte. Es blei- ben aber Schwierigkeiten übrig, die meiner deutung entgegenzuhalten ich nicht erst andern überlassen will.

Die in der Helr. auftretende sagenform, an sich logisch und poe- tisch unanfechtbar, ist nicht in Übereinstimmung mit allen anderen nordischen quellen. Ihr zufolge wird der ritt durch die waberlohe nur einmal unternommen, und zwar sogleich für Gunnarr. Folgende sagen- fassung ergäbe sich als dem gedichte zu gründe liegend : SigurJ)r Fäfn- isbani ist der der Brynhildr bestimte erlöser und bräutigam, er erwirbt sie aber nicht für sich, sondern für Gunnarr, mit dessen Schwester er sich vermählt hat. Das scheinbar eigentümliche dieser sagenform liegt nun darin, dass SigurJ)r nicht bei Brynhildr gewesen ist, bevor er sie für Gunnarr erwirbt. Der flammenritt ist hier also durchaus begrün- det und keine müssige widerholung. Zugleich aber erklärt sich aus dieser sagenform die oben (s. 17) noch unerklärt gelassene reihenfolge in der vogelprophezeiung am Schlüsse der FäfnismQl. Diese wurzelt gleichfals in der anschauung, dass Sigur|)r nach der erschlagung des drachen und der erwerbung des hortes sofort an Gjükis hof zieht und sich mit dessen tochter vermählt, dann erst die valkyrie aus dem zau- berschlafe weckt '^. Andererseits ist die deutsche sage, wie jedem sofort einleuchtet, die erwünschteste bestätigung der hier vertretenen ansieht über die ursprüngliche gestalt der nordischen Überlieferung. Es scheint aber, im interesse einer leichteren Übersicht und um zusammengehö- riges nicht zu trennen, besser die betrachtung der deutschen sage einst- weilen noch aufzusparen.

Aber in der HelreiJ) selber, so klein das denkmal ist, finden sich Widersprüche. In str. 11 3- * wird sehr auffallender weise die

1 ) Zu rneiuer freude ersah, ich aus einer brieflichen niitteilung von dr. R. C. Boev, dass er zu derselben auffassung der Helr. gelangt ist.

2) Dagegen vermag ich in der oben (s. 10) besprochenen Ordnung der begeben- heiten in der Gripisspä, wie gesagt, nur ein misverständnis oder richtiger ein mecha- nisches nachschreiben der schlussstrophen von Fatu. zu erblicken. Jedenfals fehlt dem jungen liede alle beweiskraft. Ygl. auch das faeröische Brinhildlied str. 64 fgg. Heinzel Über die Nibs. s. 25.

SIGFBID UND BRUNHILn. I 23

begegniing zwischen Sigur[> und Brynhild nach Heimirs wohnort ver- legt, pars föstre minn fletjom styrpe. Heimir, den älteren quellen sonst fremd , ist in der Gripisspä und der Vqlsungasaga Brynhilds pflege- vater und, wie algemein anerkant, ein später aus wuchs der sage. Nach Strophe 7 "^ wird Brynhildr / Hli/nfdqlom erzogen; Hlymdalir aber ist nach der Vqlsungasaga (vgl. auch Sn. E. I, 370^. Landnäma, Vidba3ttir: Isl. SS. 1843, I, 324 fg.) Heimirs wolmsitz, und auch dem dichter der Helr. muss diese auffassung geläufig gewesen sein. Es stimmen demnach die halbstrophe 7 und str. 11 in ihrer sagenform überein, und schon dieser umstand hätte Golther^ von der athetese der halb- strophe 7 abhalten sollen. Aber auch in str. 6 spielte wol Heimir eine rolle. Ich habe in dieser ztschr. XVIII, 110 fg. eine Vermutung aufgestelt über die stark verderbte, im N}). in sehr abweichender ge- stalt überlieferte strophe, die ich in der hauptsache auch jezt noch aufrecht erhalte. Brynhildr scheint auch in ihr auf ihre erziehung in Heimirs hause hingedeutet zu haben. Mit dieser auffassung würde auch für die von Grundtvig ausgeschiedene str. 6 die Zusammengehö- rigkeit mit str. 11 erwiesen werden. Es bleibt nur die annähme, dass in unserem liede eine sehr alte und ursprüngliche sagenfassung mit einer jüngeren Vorstellung verquickt ist. Mit der einzig der alten sage entsprechenden anschauung, welcher der flammenritt als die bedingung galt, deren erfüllung den freier zur Brynhild dringen lässt, ist natür- lich die rolle eines die Jungfrau hütenden pflege vaters unvereinbar, womit die durchreitung des feuerwalls zum kinderspiel herabsinkt. Die Helreip mag immerhin in ihrer auf uns gekommenen fassung ein jun- ges lied sein, wie auch die einführung Heimirs andeutet; dies braucht nicht auszuschliessen, dass ihr ältere lieder vorgelegen oder alte Über- lieferungen zu geböte gestanden haben können, und uns nicht irre zu machen in der Überzeugung, dass die in ihr auftretende form des Ver- hältnisses zwischen Sigurpr und Brynhildr nicht weniger ursprünglich ist als irgend eine andere in den nordischen quellen vorkommende.

Die übrigen heldenlieder der Edda haben zwar für unsere frage verhältnismässig nur untergeordnete bedeutung. Doch sind einige anga- ben derselben nicht ohne wert. Das in betracht kommende soll hier in kürze geprüft werden.

Die eingangsstrophen der Sigur])arkvipa en skamma (str. 1 5) sind mehrfach dem ursprünglichen gedichte abgesprochen worden

1) Was Golther Studien s. 39 fg. für den mythischen Ursprung des namens Hlymdalir vorbringt, ist in keiner weise überzeugend.

24 SIJMONS

(s. Beitr. 3, 260. Edzardi Germ. 23, 174 fg.). Sicher ist, dass diesel- ben, mögen sie nun dem alten dichter oder einem bearbeiter zufallen, eingehende beachtung verdienen. Wenn es zu anfang heisst:

Ar vas pats Sigvqrp?^ sötte Gjüka,

Vqlsungr unge, es veget hafpe, so lässt sich diese angäbe wol niu- unter der Voraussetzung verstehen, dass Sigurjir an Gjükis hof gelangt unmittelbar nach dem drachen- kampfe (es reget hafpe). Also die Voraussetzung von Fäfn. 40 fg. und der Helreiji! Der junge held schliesst blutbrüderschaft mit Guunarr und ÜQgni (l ^-s^, vermählt sich mit Gudrun (so ist 2 ^-^ doch not- wendig zu verstehen), verweilt bei Gjüki lange zeit in freude und freundschaft (25-8): diese reihenfolge entspricht dem c. 26 der VqIs- ungasaga. Dann die Werbung um Brynhildr str. 3:

Un% Bry7ihildar hipja foro,

svät peim Sigvqrpr reip i sinne;

Vqlsungr unge, ok vega kunne,

liann [1. ha7ia?\ of dtte, ef eiga kncette. Mit Bugge Fornkv. 248* u. a. verstehe ich vega als inf. praes. Zwar hat Bugge in den nachtragen seiner ausgäbe s. 419 mit rücksicht auf die stelle der Jidrekssaga c. 226, wo Sigurd zu Gunnarr sagt, dass er alle wege (allar leipir) zur Brynhild kenne (Unger s. 208^3)^ der schon von Grimm angedeuteten auffassung von vega als acc. plur. den Vor- zug erteilt, aber sein grand ist nicht stichhaltig. Eddastellen aus der niederdeutschen Überlieferung ^ zu deuten, geht nicht an, und der Yqls- ungasaga ist dieser zug fremd: c. 26 (Bugge 144 2-3). Der relativische gebrauch von ok ist aus anderen Eddastellen bekant (Gering Gloss. 123"): den altgermanischen sprachen ist diese eigentümlichkeit, ein rest älte- rer parataxis, überhaupt nicht verwehrt, und mhd. beispiele sind jedem zur band 2. Die alte Übersetzung der Kopenhagener „qui pugnare sciebat" triff demnach den richtigen sinn der stelle. Eine frühere bekantschaft Sigurps mit Brynhild, bevor er in Gunnars gestalt zu ihr komt, braucht aus ihr nicht gefolgert zu av erden, und darf es nicht, weil str. 1 dieser anschauung widerspricht. Auch der allerdings dunk- len Schlusszeile: kann [l.hana?] of dtte [ätte F. Jönsson gegen die hs.],

1) Dass der betreffende abschnitt der I's. deutscher Überlieferung entstamt, ergibt sich aus der Übereinstimmung mit Nib. 367, 3: die rehten tvazxersträxe sint mir ivol bekant. Wie Bugge auch Zupitza Ztschr. f. d. ph. IV, 446, ich selber Beitr. 3, 259 und neuerdings F. Jousson Eddal. 2, 128. Heinzel Nibs. 25 entschei- det sich nicht.

2) Aus ags. prosa gibt Kern Taalk. Bijdr. 2, 207 beispiele.

SIGFBID UND BRÜNHILD. I 25

ef eiga kncktte, lässt sich wol nur bei dieser annähme ein sinn abge- winnen. „Er hätte sie (zur ehe) gehabt, wenn er sie hätte haben dür- fen", mit andern werten das Schicksal verweigert ihm die braut, die es ihm doch bestirnt liat und die seiner hart. Str. 4 schildert dann das keusche beilager, in Übereinstimmung mit Helr. 12. Brot 18 fg., vgl. auch Sig. sk. 28. Ys. c. 27 (B. 146 « fgg.).

Einer sonderbaren version begegnen Avir im hauptteil desselben liedes (Sig. sk. 34 41)i. Die Ys. c. 29 (Bugge 150^ fgg.) und c. 31 (Bugge 160 ^ fgg.) berichten auf grund dieser sti'ophen Avesentlich das- selbe; über das quellenverhältnis hat man verschieden geurteilt (Bugge Fornkv. 253. Hildebrand Edda 227 fg. Yerf. Beitr. 3, 284 fg. Edzardi Germ. 23, 176 fg.). Es müssen mit Hildebrand und Edzardi str. 36 38 als einschub aus einem anderen liede erklärt werden; sie wider- sprechen dem schon vorher gesagten und der auffassung der sage in unserem gedichte. In str. 34. 35 berichtet Brynhildr dem Gunnarr von ihrem unbesorgten, freien leben in ihres bruders hause (34 5—») und ihrem entschlusse, unvermählt zu bleiben (Ne viklak pat at mik verr ceite). Als aber die Gjukunge zu ihr geritten kommen, pri7' d hestom pjqpkmmngar, da (sti-. 39 Bugge = 36 Hildebrand) gelobt sie sich dem volkskönige, der mit dem golde auf Granis rücken sizt, d. h. dem töter Fäfnii's. Nicht das gold lockt sie, sondern an Fäfnirs gold glaubt sie den ihr bestimten bräutigam zu erkennen, der durch die erschlagung des drachen sich als furchtlos erwiesen hat und ihrem eide somit genügt (vgl. Helr. 9). Dass Sigurpr der erlöser ist, dafür scheinen ihr auch seine strahlenden äugen und sein aussehen über- haupt zu zeugen (39 5-« Bugge = 36 5- s Hildebrand, vgl. Ys. c. 29: Bugge 152--). Es kann meines erachtens gar nicht die rede davon sein, den überlieferten Zusammenhang von str. 35 und 39 (36) zu zer- stören. Ja, wenn in der Überlieferung die str. 36 38 dazwischen ständen, so müste die trennung beseitigt werden. Man lese die beiden Strophen nur im zusammenhange:

35 Ne vüdak pat at mik verr cette, äp7' Gjükimgar at garpe ripo, prir d hestom pj6pkonungai% en peira fqr pQrfge vcere.

1) Nach Bugge. lu E ist clie reihenfolge der Strophen 34. 35. 39. 36 38. 40. 41 , ivnd in Hüdebrands ausgäbe ist dieselbe mit recht wider zu ehren gekommen. F. Jonsson schliesst sich Bugge an. Meine hemerkung Beitr. 3, 285 anm. 3 nehme ich zuiück: s. Edzardi Germ. 23, 187 fg.

2& SIJMONS

39 peim hetomk pjöpkonunge (36)

es mep golle sat d Grcma hogom;

vasat hann i augo ypr of glikr,

ne ä enge hliit ät älitom.

[p6 pgkkesk er pjöpkonungar.] Diese version lässt sich mit derjenigen, welche die soeben besproche- nen eingangsstrophen der Sig. sk. voraussetzen, wol vereinigen. Yon einer früheren Verlobung ist keine rede. Sigur|)r erwirbt Brynhildr für Gunnarr, während sie in ihm den ihr bestimten erlöser zu erken- nen glaubt. Aber die alte fassung ist schon verdunkelt, wenn Bryn- hildr bei ihrem bruder Atli flete bröpor 34 ^'') erzogen wird und un vermählt bleiben will (35^). Dass der flammenritt fehlt, wird nur dem einschub von str. 36 38 zuzuschreiben sein, wodurch ältere Stro- phen verdrängt wurden. In dem liede, das der Verfasser der Y^lsunga- saga für sein c. 27 benuzte, und das wesentlich auf derselben stufe der sagenentwickelung stand als die Sig. sk., wurde das durchreiten des vafrlogi mit grosser lebhaftigkeit geschildert. Auch dieses in Ys. c. 27 paraphrasierte lied sezte keine frühere bekan tschaft zwischen Sigurpr und Brynhildr voraus, wie sich namentlich aus der erzäh- lung vom Wechsel der ringe (Bugge 146 ^^ fgg.) klar ergibt (Beitr. 3, 279 fgg.).

Ganz andere sagenauffassung atmen die eingeschobenen Strophen 36 38 des kurzen Sigurpliedes. Ihnen zufolge erzwingt Atli die Ver- mählung von seiner Schwester, um sich vor den angriffen der Gjuk- unge und Sigur|)s zu schützen. Atlis bürg wird bestürmt. Er sucht Brynhildr zur freiwilhgen Vermahlung zu bestimmen, indem er andern- fals ihr das erbe zu entziehen droht. Sie ist schwankend, was sie tun soll: nachgeben 1 oder kämpfen. Schliesslich wählt sie die Vermählung, durch Sigurps schätz geblendet. Wesentlich dieselbe auffassung finden wir in Oddrünargrätr 17 fgg. Auch nach Gut)r. I, 25 fg. wird dem Atli die schuld alles unheils zugeschrieben; die stelle ist aber dunkel und bleibt besser aus dem spiele. Es setzen also die Interpolation der Sig. sk. und Oddr. eine gewaltsame erwerbung der Brynhildr voraus. Namentlich Oddr. 17 fg. deutet mit gröster bestimtheit auf kämpfe bei Brynhilds erlösung oder bezwingung. Sie sizt stickend im gemache (vgl. Ys. c. 24: Bugge 136 ^^ fgg.). Da, heisst es, erdröhnte (düsape,

1) vega 37" ist jedenfals verderbt: Rask schlug vceffj'a vor, was Grundtvig aufnahm (dagegen Bugge s. 421), F. Jönsson ändert ansprechend rcr eiga. Eben die von Bugge hervorgehobene häufigkeit der Verbindung von vega und vaJ fella erklärt die corruptel.

SIGFRID UND liRUNHILD. I 27

s. Bug;go Foinkv. 427'' fi^.) hinimel und erde, als der toter Fäfnirs die Imi-^- (Ml)lickto. Und weiter:

pci ras ly'u) rcf/ef vqluko svcrJ)C, ok borg hrofni, s?'(s Br///i////(/r <i/fr. ^'ün einer ,,anspi('lunü- auf den valVIogi", die (iijlthei' Studien s. 55 im anschluss an Buggo u. a. in'Al'" '' findet, steht nichts (hi. Das rrdi'öhnen von hinniicl und (M'de ist e})ischer ausdruclc für die i^üwalf tloi^ ang'riiles, wie ahnlieh ailt^ bei'ge erzittern beim herannahen I'('»rs liok. 551, wie die oidc erbebt, als o]»in zu lEcIs hause reitet J^dr. 8'' und 8kirnir sich (iymirs gehöften naht 8km. 14 '. Aaelmehr ist in der Version, der wir in Oddi-. 17 fg., Sig-. sk. oG 88 (Vs. c. 29: Eugg;e 150'' fg-g.: e. Hl: ßugge KiO '^ t'gS-)' vielleicht auch in (iul>r. 1, 25 fg., begegnen, der tlammenritt durch kämpfe ersezt. Denselben zug kent ['s. c. 168 in anderer Verwendung, nämlich kämpfe, welche 8igur[)r in Brynhilds bürg bei der erkiesung Granis zu bestehen hat, während bei dei- Werbung um Brynhild für Gunnar c. 227 weder flammenritt noch kämpf eine rolle spielen. Mit Golther Studien s. 55 fgg. Germ. 84, 267. 274 fgg. ist c. 168 als eine erfindung des Überarbeiters dei- l's. zu betrachten; die kämpfe luit den Wächtern gehörten ursprüng- lich zur Werbung und sind von ihm in falschen Zusammenhang ge- bracht. Auch dem Verfasser dieses capitels war also eine Überlieferung bekaut, die die Averbuug der Brynhild nicht mit dem flammenritt., sondern mit kämpfen verknüpfte. Dass er dabei nordischer sage folgte, ist wahrscheinlich, muss aber einstweilen dahingestelt bleiben. End- lich findet sich auch in dem faeröischen liede von Brinhild str. 77 fgg. (Hammershaimb s. 23) bei der erwerbuug Brinhilds, mit dem flammen- ritt verbunden, die spur von kämpfen. AVenn hier 8jürdur mit seinem Schwerte die hei/gsdijr erbricht, so kann direkte beeinflussung des berichtes der I^s. vorliegen, welche dem Schlüsse des liedes ja unstrei- tig zu gründe liegt (Golther Studien s. 57. Ztschr. für vgl. litteratur- gesch. n. f. 2, 279 fgg.), während der daneben behaltene flammenritt nordischer Überlieferung, speciell der Volsungasaga, entstamt.

Die nordische sagenfassung, die Brynhilds Werbung mit anwen- dung- von gewalt voraussezt, ist als eine jüngere Umgestaltung leicht kentlich. Sie hat den flammenritt durch kämpfe ersezt: nur Vs. c. 29 (Bugge 150 ^'^ fg.) ist beides durch contamination des sagaschreibers verbunden. Fäfnirs gold ist nicht mehr, wie in der älteren sage, das merkmal des erwarteten erlösers, sondern das lockmittel, das die Jung- frau gefügig macht (Sig. sk. 88. Gu|)r. I, 26; vgl. Germ. 23, 177). Atli erzwingt ihre Vermählung, er ist gewissermassen an die stelle des

28 SIJMONS

erzürnten gottes getreten. Nimmermehr darf man daher in dieser sagengestalt mit Golther (Studien s. 58) „einen älteren stand der nor- dischen sage" mutmassen, wo vielmehr alles auf eine verflachung und Verwischung des alten mythus deutet.

3.

Es erübrigt, die resultate der vorstehenden Untersuchungen über die formen, in denen das Verhältnis Sigfrids zu Brunhild in den nor- dischen quellen für die Mbelungensage erscheint, kurz zusammenzu- fassen.

1. Der eigenname Sigrdrifa^ den der samler der Eddalieder für die von Sigur{)r aus dem zauberschlafe erweckte valkyrie verwendet? findet seinen Ursprung in mis verständlicher auffassung von Fäfn. 44 5, wo sigrdrifa eine appellativische bezeichnung (kenning) für Brynhildr ist (oben s. 15 fgg.).

2. In keinem der Eddalieder, mit einziger ausnähme der Gripisspä, kommen zwei valkyrien neben einander vor oder findet sich eine deut- liche bezieh ung, aus welcher sich entnehmen liesse, dass sie die auf Hindarfjall schlafende Jungfrau, welche Sigurpr erweckt, als ein von Brynhildr Bupladöttir, welche SigurJ)r für Gunnarr erwirbt, verschie- denes wesen aufgefasst haben.

3. Die aufstellung der schlafenden Jungfrau auf dem berge als einer besonderen, von Brynhildr verschiedenen figur, rührt ver- mutlich vom dichter der Gripisspa her, in der wir den ersten uns bekanten versuch erblicken dürfen, aus dem nebeneinander der ver- schiedenen sagenformen, in denen Sigurps Schicksale der nordischen dichtung geläufig waren, ein biographisches nacheinander herzustellen (oben s. 9 fgg.). Der samler der Eddalieder (resp. der Verfasser der „Sigur{)arsaga") ist auf diesem wege weiter gegangen, indem er der in Gripisspä noch namenlosen valkyrie den misverständlich erschlos- senen namen Sigrdrifa erteilt (s. 6 fg.). Der Überarbeiter der Snorra Edda, welcher eine valkyrie Hildr, auch Brynhildr genant, von Brynhildr Bujjladöttir unterscheidet, bietet in seiner unter dem einflusse der liedersanilung stehenden erzählung eine zwar geschickt angefertigte, aber eigenmächtige combination ohne selbständigen sagen- geschichtlichen wert (s. 7 fgg.). Der Verfasser der Yqlsungasaga end- lich beseitigt zwar die doppelbenennung widerum, unterlässt es aber, die aus diesem schritte sich ergebenden consequenzen zu ziehen und gelangt somit zu einer doppelten Verlobung Sigurps und Brynhilds, bevor jener sich in Gunnars gestalt ihr naht (s. 4 fgg.).

SIGFRID UND BRUN'IIII.n. T . 29

Ich möchte an dieser stoHe dem einwände bcgejo-nen. den Heinzel in (hn- »il)en s. 11 angeführten schrift (Über die Nil)s. s. 27) gegen die hier begründete auffassnng des entwickehnigsganges erhebt. Heinzel meint, es sei von vornherein waiirschoiniich, dass die sagenform, welche zwei valkyrien unterscheide, (his iiltrre bewahrt habe, „da allerdings, sobald die sage zu biographischer behandlung vorschritt, sich eine ästhetische veiiudassung ergab, aus den zwei Walküren eine zu machen, d. i. die in t\('\- leb(>nsgeschichte Siegfrieds ganz isolierte Sigrdrifa mit l!i\nhil(lr zu verschmelzen, nicht abei- aus dei- einen Brvnhildr, wenn dies das urspi'üngliche ist, zwei wulküren zu machen". Ich glaube zuniichst, dass diese argumentation des ausgezeichneten forschers das gegenseitige Verhältnis und den dadurch bedingten w^ert unserer quel- len nicht genügend lierücksichtigt. Ferner betone ich den wesentlichen unterschied zw^ischen der von Heinzel vorausgesezteu und abgelehnten aimahme, dass die doppelheit der valkyrien dui'ch bewuste Spaltung einer urspiiinglichen figur entstanden sei, und der meinigen, dass sie auf Vereinigung abweichender sagenformeu zu biogi'aphischer darstel- luug beruhe. Vor allem aber, welche „ästhetische veranlassung" konte für die alte sage und dichtung vorhanden sein, ihrem lieblinge eine tat beizulegen, die für seiu ferneres Schicksal jeglicher bedeutung ent- behrte und somit keinem einzigen poetischen zwecke entsprach? Lässt es sich der alten sage wol zutrauen, dass sie Sigrdrifa bloss dazu ein- geführt haben solte, um sie nach ihrem erwachen spurlos verschwänden zu lassen (vgl. oben s. 9. 19 und Literaturbl. für germ. und rem. phil. 1890, sp. 217)?

■1. Die älteren Eddalieder kennen zwei hauptformen des Ver- hältnisses zwischen Sigurjtr und Brynhildr. Beiden geraeinsam ist der name der valkyrie Brynkildr oder Hüdr (Helr. 7 ^, vgl. Sn. E. I, 360 1») i,

1) Es ist bekantliuh gerni. und weiterhin idg. brauch, statt des zusammen- gesezten eigeunamens nur das eine der beiden glieder zu setzen. Die kürzung gescliah zwar in den meisten fällen durch weglassung des zweiten gliedes, aber auch das erste glied wird zuweih^n gespart. Es ist Hildr also blosser kurzname für BrynkUdr, wie Bcra Kostbera Atlm. .34 ^ 53»; vgl. pj6fr = Frippjöfr Fas. 11, 91 fgg. [Brugnianu Grundriss II, 1, 33 führt aus Jord. Get. c. 54 an Vulfits =: Him-ulfus, aber nach Mommsens kritischem apparat (Mon. Genn. Auct. antiq. V, 1, 130) ist uuidfo verlesen aus unulfo in den handschriften der zweiten klasse = hun- ulfo A].

Eine Hildr Bupladöttir kent die Asniundarsaga kappabana (Fas. II, 463 fgg.). Nach der Egilssaga ok Äsmundar (Fas. III, 36.ö fgg.) hat könig Heiiryggr von Russ- land zwei töchter, die beide Hildr heissen. Die ältere rar kqllup Brynhildr; koin ßaf tu Jji'ss, af hnn iHindi\ vip riddaru ipröttir. Die jüngere nam hamiyrpir oh

30 SIJMONS

ihre erlösung durch und ihre liebe zu SigurJ)r, sowie zauberschlaf und flammenritt, die in der alten sage tatsächlich unzertrenlich zusammen- gehörten. Die wichtige abweichung zwischen beiden hauptformen aber ist diese:

a) SigurJ)r erweckt die schlafende valkyrie durch den flammen- ritt und verlobt sich mit ihr [Sigrdrifumql , ergänzt durch die para- phrase der Y^lsungasaga c. 21 (oben s. 18 fgg.)]-

h) Sigurl)r erweckt die ihm bestimte schlafende valkyrie durch den flammenritt, erwirbt sie aber nicht für sich, sondern für Gunnarr, dessen Schwester er geheiratet hat. Der tragische conflict entsteht nicht durch Sigurps treulosigkeit, sondern durch den betrug bei der erwerbuug [Helrei|) Brynhildar (s. 20 fgg.), das lied, von welchem die Vs. c. 27 zwei Strophen bewahrt (s. 26); vorausgesezt wird diese sagen- form in Fäfnismol 40 ^44 (s. 12 fgg.)^ und vermutlich auch in Sigurjj- arkvipa sk. 1 4. 34 fg. 39 fg. (s. 23 fgg.)].

5. Diesen beiden hauptformen treten in den Eddaliedern spuren von zwei neben formen zur seite, deren kenzeichnende eigentümlich- keiten folgende sind:

c) Brynhildr wird bei ihrem bruder Atli [in Sig. sk. 34 mit b verbunden (s. 26); die Vs. c. 31 (Bugge 160*^) hat Atli durch Bryn- hilds vater ersezt] oder bei ihrem schwager Hei mir erzogen [in Helr. mit b verbunden (s. 22 fg.); selbständig erscheint diese fassung in dem Vs. c. 23. 24 zu gründe liegenden liede].

Dass in dieser sagenform jüngere speciell skandinavische Umbil- dung vorliegt, bedarf keines beweises. Ist doch das verwantschaftliche Verhältnis zwischen Brynhildr imd Atli, der Guprün zur sühne als frau erhält, ein wenig glücklicher versuch der nordischen sage, zwischen der Sigfridssage und der Burgundensage ein bindeglied herzustellen. Als das Verständnis für die alte mythische sage verblasste, fand der norden in Atlis oder Heimirs pflege eine neue form für Brynhilds geschieh te, die weiter ausser betracht bleiben kann. Erst für den ver-

sat i sketmnu, ok var hon Bekkhildr kqllup. Vermixtlich eine reminiscenz der Vs. c. 23 (Bugge 135 i^-^o): vgl. Golther Studien s. 12 fg.

1) "Wenn, wie oben angenommen wurde (s. 12. 18), die fornyrJ)islag- Strophen derSgrdr. demselben liede angehörten, wie Fäfu. 40fgg., so muss mindestens Sgrdr. 1 bei der Verbindung der fornyrl)islag- und lj61)ahättr- Strophen eine Umgestaltung erfahren haben. In der sagenform b nante der erlöser sich nicht Sigurl)r (Sgrdr. 1 ^- *). sondern Gunnarr (wie Vs. e. 27 : Bugge 145 '"). Die jetzige fassung von Sgrdr. 1 ist in Übereinstimmung mit der in den Ijöljahattr-strophen der Sgrdr. herschenden sagen- form a.

SIGFRIP UND DRUNHILD. I 3-1

tasser der Volsun_i;a-Ragnarssag-a (vi^l. Heitr. 8. 199 fg'fx. Heinzel Nibs. 4 aiun.) \\ iirde Heiinir eine b(Ml(>iituii2,svolle persrnilielikoit, da ihm Aslaug zur (M-zielmng übergeben wird.

d) 15ryiihildr wird von Atli (dafür: Ijii|»li Vs.) zin- Vermählung bestirnt und (hnch anwcndung von gewalt erworben [die interpolation der Sig. sk. 3() HS; Oddrünargrätr 1 7 fg.; (iuj>rünarl<vjj)a T, 25 fg. (?) vgl. Ys. c. 29. 81 (oben s. 26 fgg.)|.

Inwieweit diese form einer erneuten beeintlussung der nordischen sage durch die deutsche zu verdanken ist, mag einstweilen dahingestelt bleiben.

H. l)i(^ älteste uns bekante biogi'aphische darstellung von Sigurps Schicksalen in der (iripisspä beruht nachweislich auf einer reihe von liedern, die dem dichter in einer ähnlichen pseudo- chronologischen folge vorlagen, wie die durch Volsungasaga ergänzte liedersamlung sie aufweist (oben s. 9 und dazu Edzardi Germ. 23, 325 fg.). Er fand also in seinen quellen hintereinander vor die sagenformen rt (Sgrdr.), c (das durch die lücke in R verlorene lied von Sigurps besuch bei Heimir = Vs. c. 23. 24), b (das gieichfals bis auf zwei Strophen ver- lorene lied von der erwerbung Brynhilds durch Sigur|) für Gunnarr = Vs. c. 27). Diese drei abweichenden sagenformen für ein und dasselbe factum verarbeitete er zu einer chronologischen aufeinanderfolge von drei verschiedenen begebenheiten, indem er gleichzeitig die eine figur der valkyrie in zwei spaltete (s. unter 3). Das misliche einer doppel- ten vorverlobung (auf dem berge und bei Heimir) konte ihm natür- lich nicht entgehen: diese wunderliche erzählung blieb dem Verfasser der Vqlsungasaga vorbehalten (Beitr. 3, 2(52). Der Verfasser der Grip- isspä vereinigt die drei sagenformen in der weise, dass er Sigur}.is veriiältnis zu der bei ihm namenlosen erweckten Jungfrau auf dem berge auf belehrung beschränkt, die begegnnng bei Heimir aber als eine vor- verlobung auffasst, so dass der held, um Brynhild für Gunnarr erwer- ben zu können, erst vergessen muss, dass er ihr eide geleistet hat. Diesem zwecke dient der betrug der Grlrahild (sti*. 33): der vergessen- heitstrank wird freilich nicht geradezu erwähnt und kann also auch erst vom Verfasser der \"olsuugasaga nach anderen zaubertränken, von welchen die sage berichtet (Golther Studien s. 60), eingeführt sein. Wenn nicht alles täuscht, trägt der dichter der Gnpisspä die schuld an der bedenklichen Verwirrung, welche nicht nur die jüngeren skan- dinavischen prosabearbeitungen, sondern auch die heutzutage geläufigen Skizzen der nordischen form der Nibelungensage entstelt. Die Spaltung der valkyrie in Sigrdrifa-Brynhildr ist dabei nicht das schlimste: da

32 SMMONS, SlGVRID UND BRUNHILD. I

sie ergebnislos blieb und den verlauf der sage nicht weiter berührt, so ist sie harmlos in vergleich mit der weit wesentlicheren neudichtung einer früheren Verlobung. Denn diese tastet den ethischen gehalt der sage an. Die reinste und edelste heldengestalt, welche die germanische phantasie erschaffen, erniedrigt sie zu der rolle des treulosen liebhabers, oder sie lässt ihn, unter dem verhängnisvollen banne eines minne- tranks, zum willenlosen Werkzeuge herabsinken, dem unsere mensch- liche Sympathie versagt bleiben muss. Wie sehr auch die erhabene gestalt der Brynhild an tragischer grosse verliert, wenn sie den beiden kent, der sich für Gunnarr ausgibt, ihm sogar ewige treue geschworen hat, bedarf keiner ausführung. In diesem punkte schliesse ich mich ganz den erörterungen Golthers an (Studien s. 64 fg.). Durch die annähme einer früheren Verlobung wird aus dem grossartigen drama, welches die gigantische macht des Schicksals verkörpert, ein schwäch- liches intriguenstück. Nur zeihe man nicht die alte nordische sage einer entstellung, die erst dem Ungeschick und der verstand nislosigkeit eines späten dichters zur last fält. Die beiden alten formen der nor- dischen sage (a und b) spiegeln vielmehr die ursprüngliche fränkische sage im wesentlichen getreu und unverfälscht wider. Zu ihrer recon- struktion bedarf es zunächst einer prüfung der deutschen sagengestalt in ihren verschiedenen traditionen^ sowie einiger quellen, welche die als a bezeichnete form der nordischen sage in anderem zusammenhange überliefern. Diese nebst den sich ergebenden folgerungen bleibt einem zweiten artikel vorbehalten.

GRONINGEN, WEIHNACHTEN 1890. B. SIJMONS.

ÜBEE DIE „NEUTEALEN ENGEL" BEI WOLFEAM VON ESCHENBACH UND BEI DANTE.

Der gralmythus hat bei Wolfram bekantlich folgende von den übrigen grallegenden abweichende gestalt. Der gral ist ein kostbarer stein etwa in der form der patene , welcher sich in der hut jener engel befand, die einst im kämpfe Lucifers gegen gott sich indif- ferent verhielten:

Parz. 471, 15 di neivederhalp gestuonden, da strtten hegunden Lucifer und Trinitas, swaz der selben enget was,

.1. SEKBEK, NEUTKALE ENliEI, 33

die edc/eti mit die ircrdcii muosen üf die erden XHO demselben steine, der stein ist i})))ner reine, ieii enn:ei\ , op (jot itf si rerkus, ode ob ers fürl)a\ verlos, ircis dax sin reJd, er na in se nider. In l)r/u,u' auf die strafe kerrigiort sicli (\('y dichter, indem er Tre- vrizent an einer späteren stelle (798, (5 ig.) sagen liisst, die neutralen engel seien ewig \-crloren.

]\Ian mag, \nn sicli die entstehung dieses gralmytlms zu erklären, einerseits an die er/iddung im „Wartburgkrieg'' denken, wonach der gral ein aus Lucifers kröne gebrochener edelstein ist, andererseits annehmen, dass Wolframs (xewährsmann Kyot eine jüdisch -moham- medanische sage von einem heiligen stein als Unterpfand alles glückes benüzte die frage nach den „neutralen engein" ist damit nicht erledigt. Redet doch auch Dante davon, wenn er Infeiiio o, oT fg. sagt: Vermischt sind, sie mit jenem feic/en eliorc Der enget ^ welelie nicht empörer nriren, Xoc}/ (jott (jctren , für sich gesondert lileiliend. Er versezt sie in eine art vorhölle und geselt sie der verächtlichen schar jener bei, die einer fahne im ewigen kreislauf nacheilen müssen: Nicht seinen glair, \n triitjot, sties.s der liiiiuin't Sie ans, urjch nin/t sie auf die tiefe liölle, Weil sinnier .stol: auf sie doch blichru /:ö//ten. Es liegt nahe, in der alten theologie nach dieser anschauung zu forschen. Die Scholastik des mittelalters vertritt die lehre, dass der stolz die Ursache vom stürze Lucifers und seines anhangs gewesen sei (Tho- mas Aquin. summ. th. P qu. 03, 2); dieser stolz aber begründete nach scholastischer auffassung eine begehungssünde, peccatum commis.siotris, schloss daher jede blosse Unterlassung, pnira omissio, jede sogenante neutralität von vornherein aus. Also konte von „indifferenten engein" im sinne AVolfi'ams und Dantes nicht die rede sein.

Indessen findet sich doch bei einem jüngeren hauptvei-treter der Scholastik, bei Suarez, eine erwähn ung von indifferenten engein, frei- lich, in ablehnendem sinne. Es hatten nämlich einige theologen wie Hervaeus, Cajetanus, Eerrara, Aegidius und Bussolis eine abwei- chende erklärung von Lucifers sünde versucht und waren dadurch genötigt worden, diese als ein peccatum omissionis., als unterlassungs-

ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXIV. O

34 .7. SEEBKR

Sünde zu fassen (Suarez, tom. 2 de augelis, 1. 7 c. 10, n. 16). Gegen diese wante sich nun Suarez und erklärte (ebd. c. 18 n. 24): nidlus angelorum fuit quasi indifferens , sed omnes fuerunt aut honi aut mali; und n. 25: quod autem in illo initio secundae morae nidlns fuerit quasi indifferens, prohari potest, tum quia praeceptum Dei pro illo momento urgebat, et ita non statim obedire esset resistere et pec- care, quod 7ion per omissionem puram, sed per superbiam factum est.

Die lezte bemerkung- richtet sich auch gegen Bonaventura (in 2. dist. 5. a. 2. qu. 2), der behauptet hatte, die von Lucifer verführten engel ^audientes Ludferum (eius suasionem) potuerunt non statim Uli consentire, sed prius circa sibi proposita recogitare et postea con- sentire''''.

Daraus ergibt sich, dass die Scholastik der ansieht von neutralen engein durchaus nicht günstig war^ die oben berührte controverse aber immerhin für Dante, den theologen unter den dichtem, gelegenheit bot, den „Neutralen'" im Inferno einen platz anzuweisen. Gilt dies auch von Kyot- Wolfram?

Mir scheint die (Parz. 471, 15 fg.) eigentümliche strafe und die später widerrufene rettung der indifferenten engel darauf hinzu- weisen, dass die theologischen anschauungen hiemit nichts zu tun hat- ten. Zwar stelte Origines die lehre auf, dass auch die dämonen einst gerettet werden; er zog aber den satz nach der reprobation desselben zurück, und seitdem sprechen die theologen einstimmig von der ewigen Verwerfung der gefallenen engel. Wir müssen uns also nach einer andern quelle für Wolframs darstellung umsehen. Diese meine ich in der deutschen volkssage gefunden zu haben und folgere daraus, dass der gralmythus, wie ihn der deutsche Parzival bietet, Wolfram selbst und nicht seinem gewährsmann angehört. Ich bringe folgende belege bei.

In Tirol besteht der glaube, „dass nicht alle engel, welche dem Lucifer anhingen und vom himmel gestürzt wurden, in die hölle kamen. Yiele, die sich nur hatten aufreden lassen und nicht eigentlich böse waren, blieben im stürze an bergen und bäumen hängen und wohnen noch jezt in hohlen räumen. Sie müssen bis zum jüngsten tage auf der erde bleiben". (Zingerle, Sagen, märchen und gebrauche Tirols, s. 39). Alpenburg erklärt (Mythen und sagen Tirols): „Die volkssage bringt die entstehung der zwerge mit dem falle der engel in beziehung", und teilt ähnliches über die „Pütze" mit.

Aus der Schweiz berichtet A. Lütolf (Sagen, brauche und legen- den. Luzern 1865) speciell über die entstehung der erdleutchen " :

NEUTRALE ENGEL 35

Als Lucifer fiel, wurde ihm und seinem anhange von gott eine trist gesezt, in der sie in der höUe ankommen solten. Da fielen die ein- stigen engel so dicht wie Schneeflocken; aber nicht alle waren, da die trist verstrichen, schon in der hölle angelangt. Die andern blieben zwischen himmel und erde hängen und wurden die „erdleutchen".

Daraus ist ersichtlich, wie die heidnische sage von den zwergen oder, wenn wir uns an die klassifikation von Grimm und "Wolf hal- ten, die sage von den döckalfar noch bis heute im volke fortlebt, nur im christlichen gewande. Die vergleichung der Tii-oler- und Schwei- zersage ergibt zugleich, dass man bemüht war, den christianisierten mythus nun auch aus der christlichen lehre zu entwickeln. Den an- knüpfungspunkt bot wie von selbst der fall der engel, namentlich die stellen Ephes. 11: .^prindpem potestatis ae'ris huius^' imd I. Petr. V: ^^adversarius fester diabolus, tamquam leo rugiens circuit quaerens, quem devoret"-, was Augustin (Sup. Genes. 1. 3, c. 10) in den satz zusammenfasst : „aeV caliginosus est quasi carcer daemonibus usque ad tempus iudicii''^.

Nun kann ich eine parallelstelle aus dem 14. Jahrhundert anfüh- ren, die nach der einen seite den Übergang von den obigen volkssagen zu Wolframs auffassung bildet, nach der andern diese in engere bezie- hung zur theologie bringt. Die stelle findet sich in der chronik, welche Hans Sentlinger im auftrag seines herrn Niklas dem Vintler auf Run- kelstein geschrieben und „einen teil gedichtet" hat (1394) i. Er be- schreibt:

1) Lucifers sünde: Bl. 4^ col. 2, z. 31 fg.:

Do tut unz die gesckr'ift chunt

dax, Lucifer ein hMhew stunt

in dem hi7nel aldo wa%

in seiner schon ein Spiegel glaz.

sein hochvart in niht mer da Hex,

die in in die hell stiez

und all sein volgar

in immer werndew sivar.

2) Die neutralen engel: Bl. 4'', col. 1, z. 30 fg.:

etleich engel tateyi schein daz si gedahten m irm müt, swer under in daz pest tut,

1) Der pergamentcodex befindet sich im besitze des berni Fi-iediicb v. Vintler in Bruneck.

36 J. SEEBER, NEUTRALE ENGEL

da süll wir pei beleiben. wer onag ünx dann üstreibe?i? die selben warn Zweifler, da von tvam si immer dem vil hoch gelobten got. da von si Uten grozzefi spot.

3) Ihre bestrafung: Bl. 4^ col. 2, z. 1 fg.:

Ufid da got dax icort vol sprach, die engel man do vallen sah auz dem him^melreich all gemainleich.

die mit Lucifer tvarn an der schar, die sah man 7nit im vallen gar. Mit im si verstozzen sind, da von si sind der hell chind.

Und auch die zweiflar die sint got vil unmar, wan si sind verstozzen mit andern im genozzen von got ewicleich. ez regent von dem himelreich drei tag nnd drei nacht alz im got het gedacht Nicht wan teivfel her ze tal ditz waz ein jamerleicher val. si vielen in der hell grünt, do in ward ach und we chunt immer in der hell glüt ...

Die verse: ez regent von dem himelreich usf. schliessen sich eng an die ausführuiig der Schweizersage an, sodass man wol schliessen darf, die „neutralen engel" der chronik seien direkt aus den erdleut- chen, norgen und putzen der volkssage entstanden; dasselbe scheint mir umsomehr von den „Neutralen" im Parzival zu gelten, weil Wolf- ram noch zwei ursprünglichere züge des zwergmythus bewahrt hat.

Die zwerge sind die hüter verborgener schätze; im Parzival haben diese engel den gral, das kostbarste kleinod, zu hüten, welches allen menschen verboigen bleibt, ausser denen, die in geheimnisvoller weise dazu berufen werden. Die zwerge, erdleutchen, norgen usf. werden gerettet, ebenso Wolframs „Neutrale". Später allerdings wider-

KÖSTl.lN, HEITKA'IK /.TK F.KKLÄ I.T.Ni 1 LriUKIJS 37

nit't (lies (lor (lichter, und zwar in einer form uiul ^■edaiikenvorbindun^', die es wahrscheinlich nuirht, dass seine erste darstcllung tad(;l und Widerspruch gefunden habe (so auch Bai'tsch, Ausg-. III, 178). Parz. 798, 6 heisst es: du reit (iblvitciis /ist habe Trcvi-izcnt geloj^en.

MÄlunSClI WEISSKIKCllKN. JOSEF 8EEBER.

BElTElGE AUS LUTHEES SCHRIFTEN ZUM DEUTSCHEN

WÜRTERBUCHE.

1. Mit lungon auswerfen.

In der vorrede, welche Luther der ausgäbe seines Grossen kate- chisnuis vom jähre 1580 beigab, redet er von nutz und frucht des göttlichen wertes, fragt dann „Und Avir solten solche frucht so leiciitfertiglich verachten ?" und fährt fort: „So solt man uns doch mit hunden aushetzen und mit lungen auswerfen" usAv. (Luthers Averke, Erl. ausg. bd. 21 s. 29).

Was heisst „mit lungen ausAverfen"?

Die alte, nicht von Luther selbst abgefasste Übersetzung, Avelche in der ofticiellen samlung der lutherischen bekentnisschriften , dem concordienbuch, aufnähme gefunden hat, sagt dafür nui" „digni sane essemus qui canibus etiam exagitareraur". Hat sie das Avort von den lungen nicht verstanden oder aus anderer Ursache Avegge- lassen?

Mir sind keine älteren deutungen des Avortes oder erörterungen darüber bekant^. Es mag dies damit zusammenhängen, dass ältere und AvunderlicherAveise auch noch neuere und heutige theologen unse- ren katechismus, auch in gelehrten deutschen abhandlungen und büchern, lateinisch zu eitleren, also avoI auch nur in jener Übersetzung zu lesen pflegen.

Endlich neuestens, in der ausgäbe von Luthers Averken für das christliche haus, BraunscliAveig 1890 (bd. 3 s. 130), hat der bearbeiter des katechismus, W. Bornemann, die erklärung versucht: „mit der kraft der lungen ausAverfen, ausspeien". Ich selbst, damals über meine meinung gefragt, Avolte erklären: „einen verfolgen und hetzen mit

[1) Das Deutsche \YÖi-tL'rljiicli (VI, 1304), welches ausser deu beiden von Köst- lin besprochenen stellen noch eine dritte, ebenfals aus Luther (Hauspostille, festteil, bl. 58"), beibringt, hat eine deutung nicht versucht. Red.l

38 KÖSTLIN

einem geschrei, mit dem man sich die langen ausschreit". Ein mit der spräche jener zeit vertrauter germanist, dem ich die sache vortrug, stimte mir bei.

Seither aber ist ein ganz gleichartiger ausdruck aus einer andern Schrift Luthers an den tag gebracht worden, nämlich aus der schritt „Dass diese werte, das ist mein leib, noch feststehen" vom jähre 1527, Erl. ausg. bd. 30 s. 33:

„0 das wäre ein kühner held, den man solt' anspeien und mit lungen zum dorf auswerfen".

Mit dem beisatz „aus dem dorf" muste mir meine erklärung, die mir schon vorher seltsam schien, vollends unwahrscheinlich werden. Und hier haben wir nun eine alte Übersetzung in dem 1558 erschie- nenen, durch eine vorrede Melanchthons vom jähre 1556 eingeführten 7. bände der Wittenberger lateinischen ausgäbe von Luthers werken. Sie übersezt (s. 384''), offenbar mit dem bestreben, genau zu sein: „Heros sane fortis et egregius, dignus qui foedatus ora vultumque sputu et pilis ex stercore equino confectis e pago ejiciatur". Ohne allen zweifei hat sie also unter den lungen dasjenige verstanden, was wir rossbollen oder pferdeäpfel nennen, und unstreitig passt dies vor- treflich in den Zusammenhang. Nicht zu verwundern ist dann auch, wenn der Übersetzer des katechismus die werte ebenso verstand, aber aus einem katechismus lieber wegliess.

Wie selten aber „lungen" zu dieser bedeutung gekommen sein? Mein herr kollege Sievers, der die frage getreulich mit mir überlegte,' wies mir den weg, den ich unter seiner Zustimmung auch noch andern fachmännern hier zur erwägung vorlegen möchte. Man vergleiche dazu namentlich die angaben im Grimmschen wörterbuche.

Fest steht die bedeutung von klunge = knäuel; so schweizerisch: fadenklung. Daraus wird „lunge" in jenem sinne (= belle) geworden sein, und zwar zur zeit und an orten, wo der sonstige gebrauch des wertes klunge in abgang kam.

Wir haben hieran um so weniger zu zweifeln, da „klung" und „lung" auch sonst eigentümlich nebeneinander herläuft und ineinander übergeht. So hat „lungel" neben der bedeutung „lunge" (lat. pulmo) auch die bedeutung „liederliche weibsperson" und hiemit eben dieselbe bedeutung mit „klungel, klüngel", was 1) knäuel, quaste, 2) lieder- liches Weibsbild und schlingel heisst. Ferner steht nebeneinander „klungern" = sich faul herumtreiben, und „lungern", herumlungern.

Ganz ähnlich steht im englischen noch heute nebeneinander „clump" und „lump" = klumpen, stück (woher der neuere deutsche name „lumpenzucker" stamt).

BEITRÄGE Zn{ EKKLAHrNd LT'THERS 39

Auch an aiuleni bcispiokMi dafür IVlilt os nicht, dass an die stelle eines Wortes, das in al),i;'ani;' kam und nicht niciir recht verstanden wurde, ein viel f^-ebrauchtes gleichklin<;-endcs anderes wort trat, dessen eigentliche bedeutung doch eine ganz andere war und blieb. Ja merk- würdiger weise bietet gerade hiefür auch wider das wort lunge mit noch ganz anderer Verwendung sich als beispiel dar. In gewissen gegenden Deutschlands nämlich reden gebildete und ungebildete von „lungenbraten". Sie meinen damit lendenbraten. Ihrer wnnderlichen l)enennung aber liegt ohne zweifei zu gründe das wol nur wenig mehr im Volk fortlebende wort „lummel" = lendc.

2. Spielen tragen = aufziehen.

In (>ben derselben gegen Zwingli und Ökolampad gerichteten Schrift sagt Luther im Schlussabschnitt (a. a. o. s. 149):

„Es trägt mich auch ihre rotte spielen mit solchem urteil, dass, weil ich wider die bauern geschrieben habe, sei der geist von mir gewichen, dass ich verstockt nicht möge verstehen die helle Wahr- heit usw."

Mir wurde, als ich über den sinn dieser worte von den heraus- gebern der oben genanten Braunschweiger ausgäbe befragt wurde, die Vermutung vorgelegt, das tragen könte hier den sinn des lateinischen ferunt haben: „sie (die rotte) berichten"; und was sie von ihm sagen, wäre das, dass er mit ihrem urteil spiele.

Nie aber hat Luther „tragen" so gebraucht. tJberdies zeigt auch die alte Übersetzung, dass nicht von Luther gesagt sein kann, er spiele mit dem urteil. Sie lautet: vestrae haereseos asseclae me hoc quoque nomine et judicio passim calumniantur, quod Spiritus a me dis- cesserit. Sicher gehört vielmehr „spielen tragen" zusammen, ebenso Avie wir sagen: spazieren fahren, ein kind spazieren tragen.

Was dies bedeute, wird freilich durch jene Übersetzung noch nicht näher erklärt. Man möchte zunächst denken: herumtragen wie ein Spielzeug, einen als Spielzeug gebrauchen mit gerede über ihn. Nach der analogie mit „spazieren tragen" möchte mau aber erwarten, dass der getragene selbst irgendwie zum spielen kommen werde.

Auch hier hat nun Sievers weiter geholfen durch hinweis auf die reichen mitteilungen in Schmellers Bayer. Wörterbuch ed. Frommann bd. 2 s. 664. Hiernach heisst „einen ausspielen": ihn zum scherz und spott nachäffen. ,, An der Um", sagt Schmeller, „ist besonders zur fastnachtszeit üblich das leut- ausspielen, Avobei einzelne lächerliche bege- benheiten, die sich das jähr über im orte ei-eignet, im kostüme und

40 KÖSTLIN

mit den gebärden derjenigen, die sich dabei biosgegeben haben, zur belustigung der Zuschauer scenisch vorgestellt werden". Schmeller führt auch an: „aufspielen über einen ihn zum gegenständ der Unterhaltung, gewöhnlich der boshaften, nehmen". Ferner erwähnt er ein aschermittwochgericht der zwölf jungfi-auen zu Burgebrach (in Oberfranken, Baiern) über eine ausgestopfte figur".

Hiernach Avird Luthers sinn klar sein: die gegner verhöhnen und lästern ihn hin und her, wie man bei solchem brauch einen in effigie umhertrag, vorführte, spielen liess, lächerlich machte mid wol auch aburteilte (vgl. jenes aschermittwochgericht). Dazu passt auch, dass Luther das urteil bezeichnet, das eben hiebei die gegner über ihn spre- chen. Auch dass er diese gerade hier eine rotte nent, wird im Zusam- menhang damit bedeutuug haben: sie gleichen den mutwilligen und boshaften aufführern jener spiele, die haufenweise herumzogen.

Yon hier aus wird endlich auch die herkunft der bedeutung von „aufziehen" = sich über einen lustig machen, festzustellen sein. Grimms Wörterbuch 1, 784 denkt an ein „ziehen auf die spötterbank", daneben auch an eine gieichbedeutung mit aufhalten, hinhalten; M.Hey- nes deutsches Avörterbuch 1, 704 fg. ans leztere. Dabei steht fest (vgl. bei Grimm und Heyne), dass man nach dem älteren Sprachgebrauch einen nicht bloss „aufzieht", indem man ihm selbst etwas vorhält, um sich über ihn lustig zu machen, sondern ganz algemein, indem man ihn um irgend einer sache willen und in irgend einer Situation zum gegenständ des lachens macht. Als einfachste erklärung aber bietet sich nun gCAviss der ursprüngliche sinn dar: man zieht ihn auf auf jener spottbühne; noch bestimter: man zieht ihn dort auf wie die am faden oder draht hängenden spielpuppen.

3. Quecksilber in den teich werfen.

Keine entscheidung, sondern nur eine Vermutung oder frage wage ich mit bezug auf einen anderen, offenbar sprichwörtlichen ausdruck, den Luther in jener schrift s. 19 fg. gebraucht hat. Er führt dort aus: dem teufel zum trotz habe er mit saurer arbeit im gegensatz gegen die menschengebote wider die heilige schrift hervorgebracht usw\; jezt habe dagegen in seine und der seinigen mitte der teufel leute ein- gemengt, die seine lehre nicht dazu aufnehmen solten, um ihm in jener arbeit und jenem kämpfe beizustehen, sondern um, w^ährend er und die seinigen vorne stritten, in ihr beer von hinten einzufallen und sie so zwischen zwei feinde zu bringen und desto leichter zu verderben.

ISEITK.'UiE ZVH KK'KLAIirNi; I.nHERS 41

„Das'', sagt Luther, „licisst (moin' ich ja) qnccksilbcr in den teich geworfen ''.

Die hiteinische Übertragung sezt an die stelle dieser worte ein otfenbar auch sprichwörtlich gewordenes lateinisches bild: ,,Hoccine est floribus immittore austros". Sie kann damit nur heissc Südwinde mei- nen, welche den blumen verderben bringen.

Im (Trimmschen Wörterbuch (7, 2836) worden die Avortc Luthers auf die bewcglichkeit des quecksilbers und seiner unendlich vielen küg(>lchen bezogen. Was soll aber diese in jenem zusanuuonhang? in ihm han(h?lt es sich ja jodenfals um eine verderbliche Wirkung, die das (juecksilbei- im teich üben soll. Man müsste nur etwa an einen aberglauben denken, wonach das quecksilber dort mit seiner beweg- lit'hkeit verderbliche bewegungen oder stürme hervorbringen solte. Yon einem derartigen aberglauben ist mir wenigstens nichts bekant.

Eben dort lesen wir aber, dass das quecksilber, und zwar nament- licii nach Paracelsus, auch als gift diente, wobei dahin gestelt bleiben mag, in welchem zustand oder w^elcherlei Zubereitung es so gebraucht wurde. Hat es nicht diese bedeutung auch hier? Es wird heim- tückisch und heimlich in eiuen teich geworfen, um seine fische zu verderben. Man denke an die damals so zahlreichen fischteiche.

4. Wenn thät.

In bd. XXIII, 41 und 293 dieser Zeitschrift wurden fünf belege mitgeteilt für die bedeutung von „thet" = „entete'^ = „nicht thäte, nicht Avirksam oder vorhanden wiire'^ Hier folgen zwei weitere aus Luther i.

In der schrift wider Hans Worst vom jähre 1541 (Neudruck her- ausgegeben von Knaake bei Niemeyer 1880, s. 54; Erl. ausg. 27, 55) sagt Luther von den Papisten: Es ist nun dahin kommen, „dass sie das licht unverschämt scheuen, ja viel ding selbst itzt lehren, das sie zuvor verdammt, dazu nichts zu lehren hätten, wenn unsere bücher theten''.

In Luthers Bibelübersetzung 1. Kön. 21, 7 ist es zwar üblich geworden zu drucken: „Was wäre für ein königreich in Israel, wenn du so thätest^', und hiefür ist dann in der „revidierten Bibel'', soge- nanten „Probebibel" vom jähre 1883 (Halle, buchhandlung des Waisen- hauses) gesezt worden: „wenn solches geschähe". Bei Luther aber hiess es: „wenn du thätest". Mein herr College Burdach, mitarbei-

1) Vgl. dazu noch s. 43 dieses heftes. Red.

42 KAWERAU, IN BUS CORREPTAM

ter an der superrevision jener bibel, hat mich darauf aufmerksam ge- macht als auf ein neues beispiel jener eigentümlichen ausdrucksweise, die also Luther ohne bedenken dort, bei einer rede der schlimmen königin Jesabel an ihren gatten Ahab, ohne bedenken auch fürs deutsch seiner Bibel verwante. Eigentümlich ist dort das Verhältnis Luthers zum hebräischen grundtext. Dieser besagt nämlich eigentlich: „Du, nun übe königsmacht (dasselbe wort im hebräischen mit königreich) über Israel!" oder fragend: „du, übst du nun königsmacht usw.?" Und zwar ist dieses „üben" mit dem gewöhnlichen worte für „thun" (nip^-n) aus- gedrückt. Es fragt sich, wie weit Luther, der hier jedenfals selbstän- dig, ganz abweichend von der falsch übersetzenden Yulgata, und zu- gleich frei übersezt hat, hiebei die einzelnen hebräischen worte genau verstand. Und hiebei mag ihm nun das „thun" im grundtext ein besonderer anlass gewesen sein, sein „Wenn du thätest" in der Über- setzung anzuwenden, so sehr auch dessen sinn von dem des „thim" im hebräischen abweicht. Jedenfals aber wird er es in ebendemselben sinne, wie in den zuvor ausgehobenen belegsteilen gebraucht haben.

HALLE A. S. JULIUS KÖSTLIN.

„IN BUS COEEEPTAM'^ EINE ANFEAGE.

Luther ruft 1530 in seiner „Vermanung an die geistlichen ver- samlet auff dem reichstag zu Augsburg" (Erl. ausg. 24 2 s. 363) den deutschen prälaten in erinnerung, wo sie wol nach dem Wormser reichstage geblieben wären, wenn damals ein prediger das volk zur gewaltsamen Vertreibung der geistlichen aufgestachelt hätte: wäre nur ein prediger aufgestanden, der dazu geraten hätte, wo weitet ihr geistlichen itzt sein? In bus correptam!" Ebenso lesen wir in den tischreden (Erl. ausg. 61, 282) in einer Schilderung des todes des Wiedertäufers Hetzer: „Als er nun gerichtet werden und sterben sollte, da führe er auch in bus correptam. Denn das war sein leztes wort gewesen: Herr Gott, wo soll ich hin etc." An beiden stellen ist es also sichtlich sprichwörtlicher ausdruck für ein ende mit schrecken, ja wie es scheint, gradezu für die hölle. An der zweiten stelle gibt eine neuere ausgäbe es sachlich zutreffend wider mit „in des teufeis rä- chen". An der ersten umschreibt es J. Ficker in seiner bearbeitung der Schrift für die Braunschw. Luther -ausgäbe III, 353 mit: „zu schar- fer busse, zu Züchtigung". Weder du Gange noch Dietz geben aus- kunft und anhält für das Verständnis dieser sprichwörtlichen redeweise.

BIRLINCtEH, thfli' 43

Ich möclitr daher die aufmorksainkcit auf diesoll)(> loukon und fragen: kann jcniand ihn aiisdnu'k sonst nocli in (h>r littoratur na(•h^v(Mson? kann jemand den schhissel zur sprachlichen und sachlichen erklärung bieten? Dass an einen druckfehler nicht zu denken ist, beweist das vorkommen in zwei ganz verschiedenen Schriften.

KIEL. KAWKRAU.

THETE DAS, THET, THÄTE = MHD. ENTETE.

Die Studien über Luthers spräche und die revision des bibeltex- tes lenkten auf das kaum beachtete fhei, thlit = mangelte, fehlte das, wiire das nicht vorhanden. Ich habe bd. XVI, s. 374 dieser Zeitschrift, aus Sebastian Francks spiichwörtersamlung und Conrad Dieterichs pre- digten über das buch der Weisheit eine anzahl beispiele mitgeteilt, was den Verfassern der beiden artikel ztschr. XXIII, 41. 293 entgangen ist. Dieser gebrauch ist süddeutschen denkmälern durchaus fremd. Die- terich war ein Hesse, von Hayna oder (rmunden, von 1614 1639 in Ulm. Ich füge zwei weitere belege hier bei. Boltes ,, Der bauer im deutschen liede 1890" hat einen liederdruck von 1647 s. 15; str. 12:

König, fürsten und herren

Muss er mit gott ernehren,

Schlösser vnnd städt die weren nicht.

Hatten nicht zu verzehren

Wenn der bawer nicht thet. Älter, wol noch in die zweite hälfte des 15. Jahrhunderts gehö- rend, ist „Der bawrn lob" s. 109 fgg. nürnbergisch, v 55 fgg. :

Ich lob dich, du edler bawr

Für alle creatawr,

für alle herrn auf erden

Der kayser muss dir gleych werden.

Dir scholt nymer geschehen kain layt,

Das sprich ich auf!' meinen ayt

Thestn, so müst mancher in sorgen allda. Bolte fügt bei: etwa thetestu nit.

Ygl. Verwys-Verdam mittehiederl. woordenboek II, 240: ruclor^ endfde (en dact = en dadc hei), en hadde gedae/i wenn (eine person oder Sache) es nicht getan hätte, nicht gewesen wäre, es nicht gehin- dert hätte".

BONN. ANTON BIRLINGER.

44 ZINGERLE

PEEDIGTLITTEEATUE DES 17. JAHEHUNDEETS.

I.

Die katholische predigtlitteratur des 17. Jahrhunderts ist viel zu wenig beachtet und gewürdigt und doch erschliesst sich, beson- ders in den predigten der volkstümlichen Franziskaner und Kapu- ziner eine reiche, frische quelle für kultur- und Sittengeschichte ^ Die spräche ist meist für das volk berechnet, an treffenden gleichnissen, derben vergleichen und an hunior fehlt es diesen kanzelrednern nicht. Für die gebildeten zuhörer gibt es citate aus lateinischen Schriftstellern oder stellen aus der alten mythologie. Da kehren gewisse fornieln wider, die sich bei den Kapuzinern bis in die mitte dieses Jahrhun- derts erhalten haben. Nachdem aussprüche der kirchenväter für die Sache angeführt worden, wird als höchster beweis ein spruch eines griechischen oder lateinischen Schriftstellers gegeben mit den werten „und selbst der blinde beide Ovidius" oder „wie der blinde beide Cicero" sagt. Die citate werden zuerst in lateinischer spräche, dann in deut- scher gegeben, stellen aus lateinischen dichtem oft in gereimten ver- sen. Ich habe mir einige verschollene predigtsamlungen aus jener zeit erworben, die ich mit vergnügen las. Eine führt den titel: „Cande- labru7n apocalypticum Septem lu7ninaribus coruscans ode?^ Äpocalyp- tischer Leichter mit sibefi Liechtern und Facklen flammendt, das ist: Sibenfache Predigten durch siben Jahrgang, auff alle Sonn- und Feyrtäg ieglichen gantzeri Jahrs aiißgetheilt. Ersten Leichters oder ersten Jahrs Dominical oder sonntäglicher Theil. Verfasst und be- schriben, wie auch mit nutzlichen Marginalien und viererley Registern aufs beste versehen. Durch R. P. F. Joannem Copistranu7n Brin- zing, S. Fra7icisci Ordens, der strenger7i Observanz', Straßburger Pro- vintz Priestern 7md der Zeit ordinari Pfarrprediger7i bei U. L. Frawen in Ba7nberg. Stüfft Ke7npten, get7'uckt durch Rudolff Dreher, im Jahr 1677. 4^. 451. s. Die register nicht eingerechnet. Der zweite teil: y,Erste7i Leichters oder ersten Jahrs Festivalodenden feiertäglicher TheiV" Kempten, im jähre 1681. 4*^ hat ohne register 544 selten. Der erste teil ist „Dem Hoch würdigsten des H. Rom. Reichs Fürsten und

1) Einen Kapuziner -prediger aus dem 17. Jahrhundert behandelte auf meine anregung mein freund Adolf Hueber in der schrift: Über Heribert von Salurn. Beitrag zur künde deutscher spräche am ende des 17. Jahrhunderts. Innsbruck, Wagnersche Universitätsbuchhandlung. 1872. Birlinger hat schon seit 25 jähren diese litteratur gepflegt, und viele kapuzinerpredigten, wie werke der Franziskaner für spräche, sittenkunde, mythologie ausgebeutet.

l'KEDKiTI.ITTERATUR DES 17. .IHS. ' 45

HpiTii, Herrn Pctro riüli])])!), .l^ischoHV'ii zu Banibere,- und Würtzburg, Hertzogen in Fraucken", der zweite dem „Reverendissimo et celsissimo S. R. T. Principi Domino Domino Rupcrto AW)ati ('ampidononsi, Augu- stissimae Imperatricis Arcliimarschallo" gewidmet.

Der erste teil ist in demselben jähre ei'seliienoii, in dem Abra- iiam a Santa C-lara liofpredlgrr in Wien wurde. Beide sind geistes- verwante redner ihrer zeit. Auch Bi'inzing ist „volkstümlich und von mächtiger darstellungskraft" \ auch er sieht in seineu predigten auf elVckt und iiutcihaltung, liebt derbe spässe und Wertspiele, geschich- ten und sclnvänke, prunkt nicht selten mit gelehrsamkeit, und man begreift, dass damals die lente lieber zu den kurzweiligen predigten giengen, als heutzutage zu den huigweiligon erbau ungsreden, die lei- der alzuoft von politik durchzogen sind.

Schon die inhaltsgaben im ersten register sind für unsern P. Jo- hannes bezeichnend, z. b. : „Wie erschröcklich am Jüngsten tag in dem förchtigen tiial Josaphat das letste gericht seyn werde", „warheit bringt feindschaft", „wie man lebt, so stirbt man", „die weit ist eine betrogene wüste", „ein böses weib ist das grösste übel von der weit". „Am sontag Quinquagesimae. Thema: sepeliatur sepiütura asini Je- rem. 22, 19. Er soll in des esels grab begraben werden. Jerem. 22, 19. Innlialt. Leiclipredig Bacchi deß Faßnachtgotts". „Das vertrunekne Elend", „Jetziger Welt Politic ist des Teuffels Hauß-Regel", „Großer Reichtunib, großer Untergang", „Ein Geitziger ist einem Wassersüch- tigen gleich". Im festteile ist der Inhalt ernster und weniger volkstüm- lich angegeben. Charakteristisch ist die „Leichpredig Bacchi" I, s. 116 125, eine wahre fastnachtspredigt voll hunior und derben witzen.

In der erwartung, dass ein P. Franziskaner das gedächtnis seines redemächtigen mitbruders durch eine ausführliche besprechung und Würdigung dieser predigten ehren wird, beschränke ich mich zunächst darauf, das Sprichwort in diesen reden zu verzeichnen und anderes darüber mitzuteilen.

I. teil.

„Die Wahrheit sagen bringt Ungunst" s. 4.

„Der wolf artet den hofleuten nach" s. 17.

„Gar zu grob, wenn man es greiften kau" s. 17.

„Wie man lebt, so stirbt man" s. 21.

„AVann das kind stirbt, so hat die gevatterschaft ein end" s. 57.

1) W. Scherer, Geschichte der deutschen litteratur 338.

46 ZINGERLE

„So muss man die fiichs fangen" s. 59.

„Böse weiber sind bissiger als die hund" s. 60.

„Alles verthon vor meinem endt Macht ein richtigs testament" s. 24.

„Beim wein ist es gut lustig sein, sprechen die durstigen brü- der" s. 150.

„Wenn den esel das futter sticht, so gumpt er" s. 155.

„Fürwitz wird theur bezahlt" s. 163.

„Man lebt wie hund und katzen" s. 177.

„Gleich und gleich geselt sich geren. Der wolf sucht wölf und flieht den beren" s. 199.

„Da ligt der haas im pfeffer" s. 202. 297. 430.

„Der wolf grabt ihme selbsten ein gruben" s. 205.

„Der loser an der wand Hört seine eigne schand" s. 205.

„Untreu schlägt sein eignen herren" s. 206.

„Stärker ist das gelt. Als sonst die gantze w^elt" s. 208.

„Außwendig schön, inwendig faul Yerführt das aug, betrügt das maul" s. 329.

„Der fux wüste wol, wo der has im pfeffer lag" s. 362.

„Du gehst auß oder ein, So steht der tod und wartet dein" s. 374.

„Wer sich mischet under die klew, Den fressen die säw" s. 395.

„Wer die Wahrheit geiget, dem zerschlagt man die geigen am köpf" s. 395.

IL teil.

„Was die alten sungen. So zwitzern die jungen" s. 6\

„Je böser der mensch, je besser das glück" s. 89.

„Zu hoff leben ist ein gefährlich leben. Lang z' hoff, lang z' höll" s. 257.

„Es ist keen messer, das schärpfer schirt. Als wenn ein betler zum herren wird" s. 263.

„Auf leid folgt freud" s. 282.

„Wo der teufel nit kan, so schickt er ein böses weib" s. 287.

„Wo der teufel nit hin kann, da schickt er ein böses weib" s. 309.

„Böse weiber sind ärger als der teufel" s. 287.

1) „Kegis ad exemplum totus componitur orbis" s. 5 wird damit glossiert.

rREDlOTUTTF.RATn? DKS 17. .IHS. 47

„Der Tcutsch sagt im spricliwort: Der neid wird zu hott' gcbuh- i-cn. in düsteren auferzogen und stirbt im spital" s. ;>87. „Das glück will einen neider haben" s. r>38. „Der unschuldig muss leiden" s. 338. „Glück und glas. Wie leicht bricht das" s. 344. „Wer auf gott traut, hat wo! baut'' s. 425.

Häufiger begegnen lateinische sprüche und versus memoriules, oft mit ül)ersetzung in reimen.

I. teil. „Tempus gemma pretiosius omni.

Die zeit ist das theurest auf der weit, Wird nimmer kauft umb alles gelt" s. 38. „Die zeit verschwiudt Wie rauch im wind. Zergeht behendt, Wirdt nimmer gweudt" s. 40. „Sine crux et sine lux, ohne reu und laid, ohne buss und belebt" s. 58.

.,Qui tetigerlt plcem, inqulnabitur ab ea. Wer mit bech umb- geht, der besudelt sich leichtlich" s. 77.

.,Figulus figulum odit, der hafner neidet den liafner" s. 85. „Etiam capillus unus habet suani umbram, auch ein kleines liär- lein hat seinen schatten" s. 88.

,,Anserum convivia sunt gratiora, mit den gänsen ist es gut essen" s. 150.

,,Quod cito fit, cito perit, was bald wird, das vergeht bald" s. 165. ,,Ut enim avis cantii, sie bomo loquela notatur, dann gleichwie der teutsche poet singt:

Den vogel am gsang. Den hafen am klang. Die Jungfrau am gang" s. 199. „Ex uihilo nihil tit, sagt der Lateiner im sprichw^ort: Auß nichts wird nichts, als w^olt er mit dem Teutschen sagen: Arme leute haben nichts, wer nacher geht, der findet nichts" s. 262.

„Felix quem faciunt aliena pericula cautum, \\o\ dem, der an anderer leuten schaden witzig wird.

Wo so vil gefallen, Kan mir nit gefallen" s. 359. „Omue trinum perfectum, alles was sich dreiet, das ist volkom- men" s. 394.

,.<-. V- r.

y^'T^-^v

46

„So miiss man die füchs fangen" s. 59.

„Böse weiber sind bissiger als die hund" s. 60.

„Alles verthon vor meinem endt Macht ein richtigs testament" s. 24.

„Beim wein ist es gut lustig sein, sprechen die durstigen brü- der" s. 150.

„Wenn den esel das futter sticht, so gumpt er" s. 155.

„Fürwitz wird theur bezahlt" s. 163.

„Man lebt wie hund und katzen" s. 177.

„Gleich und gleich geselt sich geren, Der wolf sucht wölf und flieht den beren" s. 199.

„Da ligt der haas im pfeffer" s. 202. 297. 430.

„Der wolf grabt ihme selbsten ein gruben" s. 205.

„Der loser an der wand Höi't seine eigne schand" s. 205.

„Untreu schlägt sein eignen herren" s. 206.

„Stärker ist das gelt. Als sonst die gantze weit" s. 208.

„Außwendig schön, inwendig faul Yeiführt das aug, betrügt das maul" s. 329.

„Der fux wüste wol, wo der has im pfeffer lag" s. 362.

„Du gehst auß oder ein, So steht der tod und wartet dein" s. 374.

„Wer sich mischet under die klew, Den fressen die säw" s. 395.

„Wer die Wahrheit geiget, dem zerschlagt man die geigen am köpf" s. 395.

IL teil.

„Was die alten sungen. So zwitzern die jungen" s. 6^.

„Je böser der mensch, je besser das glück" s. 89.

„Zu hoff leben ist ein gefährlich leben, Lang z' hoff, lang z' höll" s. 257.

„Es ist keen messer, das schärpfer schirt. Als wenn ein betler zum herren wird" s. 263.

„Auf leid folgt freud" s. 282.

„Wo der teufel nit kan, so schickt er ein böses weib" s. 287.

„Wo der teufel nit hin kann, da schickt er ein böses weib" s. 309.

„Böse weiber sind ärger als der teufel" s. 287.

1) „Regis ad exemplmn totus componitur orbis" s. 5 wird damit glossiert.

tfzm

PRRmOTLITTF.RATin? DES 17. .IIIS.

47

„Der Teutsch sagt im Sprichwort: Der ncid wird zu hoff geboh- ren, in clösteron auforzogon und stirl)t im spital" s. 887. „Das glück will einen neider haben" s. 888. „Der unschuldig muss leiden" s. 338. „Glück und glas. Wie leicht bricht das" s. 844. „Wer auf gott traut, hat wol baut'' s. 425.

Häufiger begegnen lateinische sprüche und versus memoriales, oft mit Übersetzung in reimen.

1. teil. „Tempus genima pretiosius omni.

Die zeit ist das theurest auf der weit, Wird nimmer kauft umb alles gelt" s. 88. „Die zeit verschwindt Wie rauch im wind, Zergeht behendt, Wirdt nimmer gwendt" s. 40. „Sine crux et sine lux, ohne reu und laid, ohne buss und beicht" s. 53.

„Qui tetigerit picem, inquinabitur ab ea. Wer mit bech umb- geht, der besudelt sich leichtlich" s. 77.

.,Figulus figulum odit, der hafner neidet den hafner" s. 85. „Etiam capillus unus habet suam umbram, auch ein kleines här- lein hat seinen schatten" s. 88.

„Anserum convivia sunt gratiora, mit den gänsen ist es gut essen" s. 150.

„Quod cito fit, cito perit, was bald wird, das vergeht bald" s. 165. ,,Ut enim avis cantu, sie homo loquela notatur, dann gleichwie der teutsche poet singt:

Den vogel am gsang. Den baten am klang. Die Jungfrau am gang" s. 199. „Ex uihilo nihil fit, sagt der Lateiner im Sprichwort: Auß nichts wird nichts, als wailt er mit dem Teutschen sagen: Arme leute haben nichts, wer nacher geht, der findet nichts" s. 262.

„Felix quem faciunt aliena pericula cautum, wol dem, der an anderer leuten schaden witzig wird.

Wo so vil gefallen, Kan mir nit gefallen" s. 359. „Omne trinum perfectum, alles was sich dreiet, das ist volkom- men" s. 394.

48 ZINGERLE

„Deliberandum est diu, quod statueudum est semel, was eimuabl muss geschehen, das soll zuvor wol erwogen sein" s. 436.

IL teil. „A Jove principium" will mit dem Teutschen sagen: „Der erst geht voran" s. 2.

„Qualis rex, talis grex: Wie der könig, also die imderthanen, wie der pfaff, also die pfarrkinder, wie der hirt, also die schaff, wie der pfeiffer, also die dantzer" s. 4. „Wie der hirt also sinnd die schaf, wie der pfaff, also die pfarrkinder" s. 5.

„Non est conveniens cantibus ille color:

Traurig sein und schwartz sich kleiden Tauget nit, wo lauter freuden" s. 78. „Volat irrevocabile verbum:

Das wort fliegt fort,"kombt nit mehr her, Nit haben gredt, oft besser wer" s. 172. „Qui cito dat, bis dat: Wer gschwind gibt, der gibt zweimal" s. 203.

„Non est in pota saepe salute salus:

Gesundheit trinken Machet hinken" s. 223. „Yil getrunken. Hart gehunken" s. 223. „Insanire facit vel sanos copia vini:

Auch die weisen werden narren. Fahren auf dem schellen -karren, Wann des weins zu viel genossen, Wann das glas oft eingegossen" s. 223. „Finis coronat opus: Avans end gut ist, so ist alles gut, oder mit dem poeten zu singen:

Wol geschlossen, Gut geschossen" s. 231. „Exeat ex aula, qui cupit esse pius:

AVillst bleiben fromm, Gen hof nit komm" s. 257 u. 308. „Omnia vincit amor:

Die lieb ist stark und überwindt, Die lieb die ist, so alles bindt" s. 260. „Conveniimt rebus nomina saepe suis:

Was die sach von selbsten ist. Zeigt der nam oft zu der frist" s. 262. „Hast du auch nomen et omen?

Ist dein nam Wie dein fam?

Ist dein prob Wie dein lob?" s. 264.

PREDIGTI.ITTERATUR DES 17. .THS. 49

„Fortunao comes iiividia ^agt der Lateiner im spriicliwort, will mit dem Teutschon sag-en: Das o-lück will einen neider haben''' s. 277. „Andaees fnrtuna jnvat, timidus(|ue i'epellit: j-^iscli n'ezuekt ist halb ,i;etbchteu" s. 324.

„Ubi nil potest h3onina, assuatur pellis vulpina, saj^t der poli- ticus: Kannst nichts mit gwalt außrichten.

Vorteil kann den liandel sehlichten, Wo des lewon zoni niclits ist, Gebrauch dich dos fuchsen list" s. 324. „8(datiuin est miseris, socios habuisse dolorum, sagt der Lateiner im spriiehwort, will mit dem deutschen poeteu singen: Muss ich leiden und soll es sein. Freut michs doch, bin uit allein" s. 34L „Parturiunt montes, nascetur ridiculus mus: Yil geschrei und wenig woll, Außen liier und innen lioL' s. 378. „Nnnqiiam deorsuni' Nimmermehr under sich: In der höh bei meinem gott Halt ichs stet in freud und spot s. 40 L

„Graviora non tiniet amor:

Dieß und noch vil mehr dazu Acht die lieb vor lauter ruh" s. 459. Ich gebe noch eine reihe anderer stellen, welche freie Übertra- gung zeigen.

I. teil.

„Lautam statim intulit coenam, quam non paraverat: Er hatte alsobald speiß und trank genug ohne koch und keller'' s. ()3.

„Misit eum in carcerem: es half nichts dafür, er nuißte fort ins nobishaus" s. 69.

„Fortuna patitur invidiam, sagt dei- Lateiner im spiiiclnvort, als wolt er mit dem Teutschen sagen: das glück muss einen neidei- haben: oder mit dem poeten singen:

Gleichwie auf d' freud folgt gwisses leidt. Also wirdts glück mit haß verneidt" s. 79.

„Tollatur ergo e medio causa et cessabit elTectus: So werf man dann ein solch stinkendes todten-aaß, einen solchen glüenden höUen- brandt auß der gemain hinauß in ein kothlachen, so wird das übel aufhören" s. 223.

ZEITSi HK'n^T F. DEUTSCHE rilll.OLOraE. P.D. XXIV. 4

50 ZINGERLE

„Mortis inevitabile fatum

Aequa sorte destinatum

Mihi, tibi, omnibiis.

Pomp und pracht,

Hoffart und macht,

Gelt und gut,

Freud und muth

Führt der todt ins grab am strick" s. 267.

„Natat in aquis et saltat in terris:

Es schwimmt im wasser wie ein fisch. Und springt auf erden wie ein hirsch" s. 299. „Mel in ore, fei in corde, das ist: Honig im mund, gall im her- tzen, als wolt er sagen:

Süß in Worten und conversieren.

Aber schau, thues hertz probieren,

Für das hönig gibt er gallen,

Laß dir, freund, solch vögl gfallen" s. 330. „Plus dare non habes, plus petere nequis:

Mehr zu schicken ist nit mein.

Mehr begehi-en ist nit dein." „Plus dare non habes, plus petere nequeo:

Mehr zu geben ist nit dein.

Mehr begehren ist nit mein.

Nemb mir mein hertz, gib mir das dein.

Laß beede hertzen ein hertz sein" s. 391.

„Nimb du mein hertz, gib mir das dein.

Laß beede hertzen ein hertz seyn" H, 19. „Tibi soll: Dein allein Soll alles seyn" s. 393. „Dulcis amor patriae, quem non bona patria mulcet, saxeus est adamas, bestia, nuUus homo:

Gleich dem vich Halt den icli,

Härter als ein adamant,

Wie ein stein Muß der sein.

Der nit liebt sein vatterlandt" s. 446.

n. teil. „Ad omnia utilis:

Alles, was kann nützlich seyn,

Hat der palmbaum gantz allein" s. 100.

PKEDIGTLITTEItATUl; DES 17. JUS. 51

„Niiiniiiis umbra:

(iottos wcscii al)i;t'nialilt Zeii;t <lie tatel so o-ostalt" s. 144. „(j)iii(l (lico, iiiinus dico:

Was icli sag, ist alls nit i^mig, Wer soll reden liior mit fui^? Aber was ralits? soll leb schweigen? Gnug' hier rechni kan nit seyn, Gar stillsciiweigen ist nit fein'^ s. 179. ,.Fraeiia pati discant et (hirnni qnodqiie subire: Juneti uiio pariter t'oemiiia virqne jugo: Lelirne meiden, lehrne leiden. Der du wilst im ebestand seyn, Dann alldorteu aller Sorten Findest schmertzen, creutz und pein'' s. 234. „Quantum potes tantum aude:

Mach es nur wies dir gefällt. Tragt es ein, so ists schon recht. Alles ist in dich gestelt, Fi'age nur nach keinem recht. Kanstu dirs zu nutzen machen, Laß die weit darwider pochen. Du must trutzen, du must pochen, D' weit politic rieht solch sachen" s. 317. „Nusquam honestius moriar quam hie:

Nirgends werd ich besser sterben. Nirgends grössers lob erwerben" s. 41ü. „0 suavis sors, o bona mors:

0 süsses glück! o guter tod, 0 schöner sieg! o gnad von gott!" s. 411. „Ümnia amato.

Nichts ist mein. Alles sein" s. 449. Unser prediger liebt es, mit klassischen Schriftstellern zu prun- ken und seine kentnis der alten litteratur mit historien und versen zu zeigen. Er wirkte ja zur zeit der renaissance, welcher der jüngere klerus mit besonderer hebe huldigte. Im „Elenchus alphabeticus aucto- rum, quorum potissimum opera in hoc de sanctis tomo sum usus" sind folgende schriftsteiler des altertums verzeichnete

1) Er macht die bemerkung: „Notes tarnen veliiu, Lector caiulidissime , quod iiuUateuus rae iactitcm, quasi omnes legissem ego propriis in opei'ibus, cum ob hbro-

4*

52 ZINGERLE

„Aelianus, Aristoteles, Aiilus Gelliiis, Herodotus, Homeriis, Ho- ratius, Juvenalis, Liicaniis, Martialis, Mela historicus, Ovidius Naso, Pausanias, Plato, Plautus, Plinius, Plinius junior, Plutarcbus, Seneca, Solinus, Siietonius, Yalerius Maximiis, Yirgilius Maro''.

Den aus lateinischen dichtem entlehnten versen gibt er eine gereimte Übersetzung oder Umschreibung bei. Ich gebe beispiele davon.

I. teil. „Virgilius: Quid non mortalia pectora cogis Auri Sacra fames? All hertzen zwingt. All gmüther gwint Deß golds sehr grosser hunger, Das gelt die weit Steiff gefangen helt,

Ist stärcker als der donner usw." s. 108. „Quisque suum nomen portabat, quivis honorem: Ein jeder gott sein namen hett, Ein jeder trug sein anibt. Was jeder zu verrichten hett, Miecli (sie!) ihn der weit bekannt" s. 173. „Audaces fortuna juvat timidosque repellit: Frisch gezuckt ist halb gefochten. Es fällt kein aich Vom ersten straich" s. 201. „Horat. I. epic. fJ. Et genus et formam regina pecunia donat. Adl, gstalt, form, auch was da liebt die weit Bringt bey, bezahlt und gibt das gelt" s. 208. Hör. I, ode 37. „Nunc est bibendum, nunc pede libero pulsanda tellus etc.: Bald essen, bald trinken. Bald frölich Ju schreyen,

Bald hupfen, bald springen, Bald führen ein reyen etc."

s. 240. „Grandia concessit überaus pondera mundus: Alles, was ich hab begehrt. Hat die weit mir geben: Schöne gaben hats beschert, Darzii auch langes leben" s. 209. „Est anior ingratus, si non sit amator amatus: Lieben und nit geliebt werden Ist der gröste schmertz auff erden" s. 277.

rum defectuiii fei'ine ordiiiarium vix lülus modoi'uoriun scriptoriim hoc sibi ari'Ogare ausit; inultos taiiien lej^i, ast ])hii'ps ab aliis liiuc iude citatos reperi et iuserui".

PK'EIlIOTUTTERATUK 11ES 17. .IHS. 53

„Virg-ilius, (ItH' Piditur könii;'. i\[ille triihens varios opposto solo colores: Tausend tarhii;- liocli£2,'eziehrot

Braii^'t am iiiniinel au%efiiliret In dem f;wiilck der reji^-enbog'on Von der sonnen glantz ci'zogen" s. 291 '. „Oninia si jierdas, taniani servai'C momonto: Geht alls /u nTund Tn böser stund, Schau, bhalt (hnu clir Dir wird nit mehr" s. 303. .,(-^,uo plus sunt |)otae, plus sitiimtur aquae: Wer da vi! hat, noch mehr beii;ehrt, Durchs trinken wird der durst vermehrt'' s. 376 u. 378. „Facilis descensus Averni etc.:

Zum uiidergang' ist breit der steg, Ins lu'Hlish feur ist baut der Aveg" etc. s. 403. „Post nubila phoebus: Nach regen wirds gern schön, oder: Es ist nun wahr, Kunclt, offen bahr, Auff trübe zeit Folgt fröligkeit" s. 410. 411.

IL teil. „Et via sublimis cnelo manifesta sereno lactea nomen habet: Am fii'mamont ein weg sich weißt Von milch, schön über d'massen, Den potcntaten allermeist Zum hiramel zeigt die Strassen" s. 5(3'-^.

„Diesem Ludovico hätte der poet Martialis wol mögen jenen vers vorsingen, den er in seinem 4. buch Epigrammatum 8eptimo innter- lassen: 0 nox quam longa es, quae facis una senem?

Wie lang bistu, o tolle nacht.

Die junge haar so graw gemacht" s. 129.

1) S. 2'J3 gibt er die reime über den regeubogen:

„Will zwar was seyn, Ist doch nur scliein. Außwendig schön, Inwendig nichts. Verführt das aug, Spott des gesichts.

1j') Über die milchstrasse sagt er s. 55: „Die milchstrassen, von dem gemeinen manu aber Via sancti Jacobi: Sanct Jacobs Straße. S. 56. Endtlich fingieren die poeten, es sey via lactea dia Jacobsstrassen deßwegen genennt, weilen die himm- lische Juno an selbigem ort Ilerculem und Mercurium die götter mit ihrer milch getränkt und solch schöne farl)en hinderlassen. Andere aber als wie Ovidius und Maro sagen: Es sey die Strassen, durch welche könig und kayßer, fürsten und poten- taten gen himmel fahi-eu''.

54 ZINGERLE

„Foecundi calices, quem non fecere disertum? singt zwar Hora- tius Flaccus, der Yeniisinische poet:

Wer trimcken hat vom siessen wein Soll dessen zimg ja bredt gniig seyn" s. 143. „Unde? Tam subito corvus, qui modo cygnus erat: Woher? Ein schwartzer rapp und jener mann, Der weisser war, als nie kein schwan" s. 258. „Magnum iter ascendo, sed dat mihi gloria vires, Non juvat ex facili lecta corona jugo hat unser betler mit Propertio dem poeten gesungen: Kaucher weeg steht noch bevor, Förcht mir nit, der glory thor Steht mir offen, Das macht hoffen, Leichter streit Verdient kein freud" s. 366. „Ovidius der poeten printz imd könig in seinem buch de arte amandi singt so:

Qui non vult fieri desidiosus, amet: Lieb, so wirstu nimmer trag. Lieb, so hastu gschäfftig tag" s. 401. Heiter stimt folgende stelle, bei der am rande Homer e. 5 I(l)iad steht:

„Hermenides, der berühmt kunstvoll trojanische baumeister, wie Homerus singet, ward also sehr von Minerva, der königin, geliebt, dass sie ihm einst anerbotten, er solle von ihre begehren, was er immer wolle, so werd ers erhalten. Worauff er lüstiglich: Lingua ferat regimen, supplimat ipsa necem: Meiner zungen gib die kraft, Ubern todt, daß hab sie macht. Welches er auch glücklich erlangt; Mieche (sie) alsobalden die prob, eilete zu dem verblichenen todten-cörper Latoma seiner holdschafft, (welche die eifersüchtige Jnno umbs leben gebracht), berührt selbige mit seiner zung. Et ecce und nemmet wahr! Jussa redire parat: Sie lebt, steht auff, geht heim nach hauß, Danckt ihrem mann schön überauß" s. 166. II, s. 3 beruft der prediger sich suf Diodorus 6. buch und erzählt: „Gandericus der Wandalische könig fragte einest bei einem panquoth oder mahlzeit Socraten den weltweisen, was er darvon hielte, Avem ein monarch, ein könig, ein kaiser, ein obrigkeit von füglichsten zu ver- gleichen wäre? Auf welchs Socrates: Oculo; einem aug."

rKEDTfiTLITTEHATUR DES 17. .IIIS. 50

An iüinlichcii aiiacluduisincn und irtümorn fehlt es bei dvn cin- g-efüg-ten „historien^^ nicht. So liest man 1, 1.7: „in der weltborühnib- ten insel Ponto. in w(>lelier Cicero sein exiliuni und elend außst(;hon niulJte^\ und I, 419 „Rosiniunda, könig Heinrichs in Engehindt ange- hende ges])(>ns und braut, wie Aulus (iellius schreibt, l)rannte der- massen in feuriger liebe aufV gegen ihrem gemael könig Heinrichen, daß sie sich nicht gesclieuet, aiter und giff't auß seinen wunden mit iln-eni eigenen mund herauB zu saugen usw."

Noch einige beisi)iele dvv Übertragung aus spiltern lat. gedichten:

„Mille annis jam peractis

Nulla fides est in pactis,

Mel in ore, verba lactis,

Fei in corde, fraus in factis:

Schon über tausent jähr man zehlt,

Daß man kein glaub noch trew mehr hält,

Sieß wort im nuind, doch lauter lug,

Im hertzen gall, im w^erck betrug." I, s. 295.

„0 felicem sortem

Talern occumbere mortem,

0 wie ein grosses glück

Bringt ein solch letster augenblick" I, 247. „Wer sollte da nit billig auffspringen und mit dem newen poeten weinendt singen:

Eheu! quid homines sumus?

Et pulvis et cinis et fumus.

Unser leben kürtzlich besteht.

Wie der rauch im wind zergeht" I, 369. Dass hymnen und Sequenzen vom prediger benüzt wurden, ist selbstverständlich. Jedoch gebraucht er dieselben seltener, als man vormutet. Einige beispiele:

„Vagit infans inter arcta conditus:

Eingefätscht in windelein

Weint das kleine kindelein" I, 315.

„Loquens magnis parvulis

veritatis jaculis

aeque feriebat:

Allem z'gleich, arm und reich

Hat die warheit er gesagt.

Niemand gscheudt, alle gmahnt.

Blibc immer unverzagt" I, 431.

56

„Qui Paraclytus diceris,

Doniim Dei altissimi,

Föns vivus, ignis, charitas

Et spiritalis unctio.

Du wirst der tröster recht genant,

Ein gab vom hohen himmel gsandt.

Du bist die lieb, der brunn, das feur

Uns armen auff der weit zur steur" II, 115.

„Veni Creator Spiritus

Mentes tuorum visita,

Imple superna gratia

Quae tu creasti pectora:

Komb heiiger geist, erforscher der weit.

Besuche die gmüther, wies dir gefält,

Erfülle mit gnaden vom himmel herab

Die hertzen erschaffen durch deine genad" II, 122.

„Mors est malis, vita bonis.

Yide paris sumptionis

quam sit dispar exitus:

Todt und leben

Kan es geben

Beden eins zu gleicher frist.

Nutzt dem grechten.

Schadet dem schlechten,

Schaw, wie ungleich dises ist" II, 154.

„Sacra beato conjuge,

Sacratior e filia,

Nepote sacratissima:

Heilig ist sie durch den mann.

Höher bringts die tochter an.

Das größte lob doch ihr entsprießt.

Weil Jesus ihr enkel ist" II, 234. 238. 244.

„Ave maris Stella

Dei Mater alma:

Sey gegrüßt, o meeresstern.

Grosse mutter unsers herrn" s. 271.

„Ergo vivit, Nam adivit, Aeternao vitae gaudia:

TREDIGTLITTEKATUK DES 17. .IIIS. 57

So lebt er (hinn Der seelig mann, Weil gott ihm geben Das ewig leben'' II, 3(36. Ähnliches I, 1 H>, II, 10l>, 149. Das alte kirehenlied:

„Christ ist erstanden

Von seiner inarter alle Deß sollen wir alle froh seyn,

Christus will unser trost seyn. Alleluia" l)il(let den schluss der osterpredigt. II, s. H7.

Einigemal wird ein doutselier poet angeführt, /.. b.: ,Jch aber beschließ es mit dem teutschen poeten, sag und sing dir also: Mein rath will ich dir geben, Bitt, sey mir nit entgegen. Lieb gott mehr, als die weit. Das bringt allhier die grösto freud Und dort die ewig seeligkeit: Laß die weit fahren Bey deinen jähren'' I, 27 L „Du bist anß jener leuthen zahl, von welchen der teutsche poet singt: Yiel schmeichlen und liebkosen,

Sie reden zucker und rosen,

Seynd unter äugen gut, Beynebens ist ihr hertz ein schalck, Gefüttert mit dem katzenbalck. So vorneu freundlich lecken Und binden hecken" I, 297.

„Was der teutsche poet singt:

Wir streben auff der Avelt

Nach vilem gut und gelt,

Und wann wir solches erwerben

So legen wir uns nieder und sterben" 1, 373. Der schlussvers lautet I, 375:

,,So fallen wii- nieder und sterben". „Lingua Deorum! Das ist die zungen der götter! oder wie es der teutsche poet vertiert:

Weil die himmel uns betrohen,

Ghorchen wir gar gern all.

Diese stimmen seynd vom hohen

Unser götter zorn schall" II, 173 175.

58 ZINGERLE

„Auf gott und unser liebe frawen

Steht all meine hofthung und vertrawen: singt der einfeltige teutsche poet" II, s. 269.

„0 schöne gottes hand,

Wie bist allhier zu land

So schmerzlich zu gedulden,

Ach, wie muß man so theur

In diesem strengen feur

Bezahlen alle schulden" II, s. 375, wobei am rande steht: „Der teutsche poet in einem bekannten gesang". „Die viertzigste predig. Am vierzehenden sontag nach pfingsten" I, 362 -67 schliesst mit den reimen:

„Mein rath will ich dir geben,

Bitt, sey mir nie entgegen:

Lieb gott mehr als das gelt,

Das bringt allhier grosse freud

Und dort dir ewig seeligkeit.

Laß gelt und gut fahren

Bey deinen jähren. Amen", diawol dem prediger angehören. Die reime:

„Yor geübt Macht beliebt" I, 436

und: vJuiig "^011 jähren Schön von hären,

Schmal von landen. Weiß von bänden usw." I, 437 sind vermutlich entlehnt.

Den alten spruch: „Trink und Gott nicht vergiß", ändert er in: Trink und Gott vergiß. Verschwitz deine ehr Dir wird nicht mehr" um das lateinische: „Ede, bibe, lüde, post mortem nulla voluptas" zu geben.

ObAvol Brinzing die meisten seiner historien und exempel der bibel oder der mythe, legende und geschichte entlehnt, so bringt er auch volkstümliche anekdoten und orzählungen bei. So z. b. II, s. 83 die bekante geschichte von einem besoffenen bauern, die man in ,„G. Görres und Fr. Pocci's festkalender " in versen findet. Am rande steht: „Ein schöner schimpf von einem vollen bauern", im register: „Philippus mit dem zunamen Bonus stelte einst einen lächerlichen bossen mit einem bezechten bauern an. NB. ist ein gutes ostermährl. Historia lepidissima." Ich gebe dies exempel volständig zur probe: Philippus, mit dem zunamen Bonus, der gute, königliche gubernator

riiKDlGTLlTTEKATCK DES 17. .IIIS. 59

ul)cr die s|);mis<'lii' Xidci-hind , der hat ciiiost (.'inen lächerlich- doch driikwiii'dii^cii schiinpIT anucstclll. Ks fände di(>ser hertzoi;-, als er (üiis- mals hey srhoii anbrecheiider nacht heiiiib iiacher holT fahren woltc, anfV der elfeniMi Strassen dort lii;'en einen toll, [)litz, |)lat/,, sternvollon l)anr(M), \veK'lier mehr ttxlt als lebendig- /n seyn schine, wo ihn nit (laß helle scdniai'chen noch eniptindtlieh zu sein veri'athen hette: volu- tatns in luto ae serdibns, (juas \(»inuerat: sag'en die autheres: (>r sey in d()[)])leteni koth und nin'ath ^■eleij;-en, theils in jenem, so die i^-asson von sieh hiitte, theils in dem, so er Selbsten i^-omacht. Dison nun b(>filcht der fürst, solle man als])ald auffheben, in ein caroschen wcrf- W'n, und mit nacher hotf biüiii^-en: dictum factum: was der herzog befohlen, das wui'd gehoi'sani liehst vollzogen, usw. Der gut toll- und volle Hensa, kam nun nacher hoff, wie der Pilatus ins credo, wußte aber so wenig von sich seibsten, als ein stock aufl" der gassen, man müßt ihn aus der gutschen hellen, ihre vier die stiegen hinautf tragen, und wäre vonnothen gewesen, man liätt darzu gesungen: 8chau Hensa schau! Bist du nit ein sau? Da trägt man (Tsau die stiegen auf!', Wers sehen will, der schnauff und laufl': Schau Hensa schau. So bald nun dises newe hoffschwein (sit venia verbo), hal) wollen sagen, diser noAve hoff'junker, doch seiner selbst unwissendt, in das zimmer gebracht, Avürd er auß befelch des hertzogs außgezogen, säuberlich gereingt, auff hochspaniscii, mit einem stolzen knöbelhart barbiert, und also in dem allerscht'inst- und kostbahrlichsten zimmer deß gantzen pallasts, in das herrlichste beth einlogiert. Es hat diser gute höffling nit vil wiegens, noch zu singen gebraucht, dann, somno vinoque sepul- tus, er schliefe so numter uund schnarchte so holdseelig, daß es schine, auß der hoö'haltung war giUiling ein rauschendto schneidtmühl worden. Jetz hört wunder! Zu morgens nit gar früh, sonderen in dem die schöne sonn schon wol einen zimlichen zirkel ihres creises abge- messen, und unser newer hoif-cavalier den rausch allgemach außge- schlafi'en, da erwacht er endlich, sieht hin und wider, verkehrt die äugen, als wie ein kalb im stattelbogen, verwundert sich nit wenig, daß sein, sonst so harter strohsack, in ein so weiches federbeth ver- wandlet; greift auff den köpft', und ziecht herab ein ülu'rauß kostbahre, mit gold und perlein gestickte schlaö'hauben , trähts in den liäuden oft'termahls herumb, Jean den handel nit genugsamb fassen, setzt doch wider auff', und fragt sich seibsten voller frewden: sumne ego vel alius?

60 ZINGERLE

bin ichs, oder bin ichs nit? die kunstvoll- und überkostbahre vorhäng an dem betli, der gantz pur vergulte himrael der bethladen, die schön planiert nnd kunstlich außgemachte stöhlen und säulen machen ihn allgemach glauben, er sey einmal kein baiu* mehr, sonderen entweders in die zahl der götter mit der Minerva verzuckt, oder in einen könig, wie Diomedes , verwandlet. Endtlich springt er voller frewden auß dem beth, siebet noch mehr schönes an den tapezereyen, schillereyen , ge- mählten usw. ünder andern aber einen Spiegel, der das gantze zimmer gleichsamb in einem epylogo oder kurtzen begriff kunstlich repraesen- tierte: vor disem stund nun unser Gouemier mit so begihrigen äugen, daß er schine gar verzuckt zu seyn. Nichts aber auß allem, was er darinn gesehen, gefiele ihm besser, als sein spaunischer hart, schrye deßwegen nimmer zweifflendt, sonderen voll deß glaubens auft: Mein aydt ich bins. Ja du bists, aber -was? der alt bauren Hensa, und sonst gar nichts. Indessen, ex condicto & jussu principis, lieffen der diener, der laqueien, der bagi, der edelknaben, der hoffjünkeren so vil zu, daß das zimmer angefüllt wurde; einer brachte pantofel, der ander hosen und wammes, der dritte kragen und handdezel, der vierdte etwas anders; warteten dem frembden printzen nit änderst auff, als war er ihr natürlicher herr und fürst: Aller aber reden und anbringen war insgemein: sie erfrewen sich hertzlich, daß ihro durchl(aucht) die ver- strichene nacht so süeß geruhet und so glücklich passiert hette.

Nach disem allem, in dem er angekleydt, der regierung nun würklich sich undernommen, sagt Archimedes Christianus: so hab er sich also maisterlich in den handel geschickt, daß mäuiglich hett glau- ben sollen, er wäre ein gebohrner printz: tot felicitatibus beatus, tot honoribus affectus, in aulä se habuit, non ut rusticus, sed ut heros herum, ut eorum princeps: dann durch so vil gluckseeligkeiten groß gemacht, und durch so vil ehreutbietungen angefrischt hat er sich zu hoff nit als ein baur, sonderen als ein fürst eingefunden: bey der taf- fei, nach der taflfel, under tags, ja die gantze zeit seine grandeza also spaunisch spendieret, daß er bey sich selbsten , und alle, so deß spüs unwissendt, vermeynt, ja geschworn hätten, hie est: der ists: allein mit anbrechendem abeudt, under wehrendten nachtessen name auch sein regiment ein endt: dann der hertzog Philippus in persohn, als andere cavalier, so schon darzu underrichtet waren, deckten den guten bau- ren, so der zeit einen regenten, wenigsts bey sich selbsten und seiner einbildung nach vertretten, also mit trinken in dem allerkostbähristen Avein zu, daß er, wie deß anderen tags, abermal plitz, platz, stern voll worden, in jenes orth, wo er gestern gefunden, mit seinen alten bau-

PRKDIGTT.ITTEHATTIR DES 17. .7HS. 61

1011 kicxdcrcii i;('tr;ij;(Mi, in (l<'in kotli \(H-liel) iicliiucn inürßte, usw. Dil lictt (hiiiii {\i'y spnl^ ein ciul, das regimcnt ,>;\vanii ein loch, der hol!" war voller laclicns, und <l('i- t;iito l)aiir wußte ait wie vil es ü,eschliii;vn, usw. Die cinhilduiii;' allein von seiner i^-eweseuon gluck- seeliii'keit blibo noch in der ineinori, wie er aber dar/u und darvon kunnncn, wußte er weniger, als der esel von der lauten.

Unter di^n vielen histurien und fabeln, di<' nicht fremd sind oder verbreitet waren, kann ich nur folgende nennen: Historia faceta oder liicherliche geschieht von einem doctor medii-inae mit siiiuem gumpeten niaulesel 1, löl. Histori von dreien Studenten und einem teufel,

weicher ihren diener vertreten 1, 162. Lustige histori von einem Schalksnarren und seinem glückshafen auf dem reichstag zu Regensburg 1, 19(3; im zweiten teile: die weitverbreitete legende, wie eine kloster- juugfrau sich die schönen äugen ausgestochen habe, um einen in sie verliebten Jüngling von böser liebe zu heilen I, s. 300, die bekante legende von Theophilus 11, s. 205, der eine ähnliche legende von einem Jüngling in Kegensburg folgt s. 205. Von Skanderbegs säbel, der so gut, dass er einen geharnischten mann entzwT^ien kihmen s. 170.

Unser prediger greift aber auch zu fabeln, um Sittenlehren zu geben, so z. b. „Fabel vom kranken löwen, ehrabschneiderischem wolf und dem lustigen fuchs" I, 205. „Fabel vom löwen, baren, wolf und fucthsen, wie der fuchs sich hr>fflich entschuldigt, daß er nit in deß Itiwen holen möchte" I, 859. ,, Fabel abermahlen vom löwen, büreMi und fuchsen, Avie sie mit einander auf die jagt gezogen und den raub geteilt haben" I, 393.

Für kulturgeschichte, alte brauche gibt der prcnliger auch einige beitrage. So berichtet er über das bliudeniausen " (blinde kuh) fol- gendes: „Das blindemausen macht mir den eingang! wer es nicht kann, den will ich es lehren; merkt wol auf: beim blindemausen, welches die kinder, die buben, die niägdlein, die Jugend vor all anderer kurtz- weil gern treibt und oft spilt, da linden sich ein dreierlei Sorten der leut und persohnen. Erstlich sein die zuseher, Avelche da nit mit spi- lon, doch aber kurtzweil halber dem spil gegenwärtig seynd und zu schawen: hernacher ist der jenig, weicher den blinden führt und mit verbundenen äugen suchen muß; und letstlich seyn die, welche in das spil gehören, mit machen, sich verbergen und suchen lassen. Wann nun der gute tropf, welcher zum suchen verdampf ist worden, sein ambt zu verrichten allgemach anlangt, hin und wider mit blind ver- l)undenen äugen und außgespanten armben seine mitspiler suchet, so muß er sich in der warheit nur zui' gedult richten, des zupfens, des

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rupfens, des vexierens, des verlachens, des anfübrens ist kein end; bald ertapt ibn einer beim armb, ein anderer beim haar, der dritte beim küttel, der viert beim fuß, der fünft oder sechste anderstwo und muß sich also nur darein schicken, biß er einen erwischt; under des- sen aber hat er vil gefahren und elend zu gewarten, er stoßt als ein blinder binden und vornen an, er lauft an stül und bänk, an tisch und Öfen, an mauren und wand, ja büeßt so oft ein, daß ihme das suchen verlaiden möchte, doch hilft nichts darfür, so lang und viel muß er der sucher seyn, biß er endlich einen ertapt, an sein stell brino-et und erlößt. Und was noch das ärgist und elendest ist, weil nit alle im spil, die gegenwärtig, sondern theils leut auch nur Spec- tatores und zuseher seynd, so bekommt der blinde tropf oftermals den unrechten, ergreift einen, der nur zusieht und nit mitmacht, vermeint der handel seye gewonnen, hebt ihn freudig stark, thut die larven eilends herunder, aber spürt erst am end, wann er die äugen aufthut, daß es gefählt ist; da lachen ihn alsdann auß seine gesellen und gespi- len, seine mit-consorten und zuseher, mit einem wort, er wird zu schänden, muß den spott zum schaden haben und entweders auf ein newes vorthun und wider anfangen oder aber gar vom spil ausgeschlos- sen seyn und hinder den ofen schlieffen. Dieß ist und heißt blinde- mausen, ist also in diesem spil nit alles gold, was glantzet, nit alles aigen, was man erhascht, nit alles gewinn, was man fangt". I, 167. 68 1. Auf den totentanz beziehen sich I, 374, 375 die stellen: „Du gehest aus oder ein. So steht der tod und wartet dein". „So komt der tod und heisst: Vade mecuni: S'ist auß mit dir, Komb her mit mir. Leg ab den crantz Zum todtentanz". In der ersten predigt des zweiten teiles bespricht er neujahrs- wünsche und geschenke und weist diese sitte schon bei den alten Rö- mern und Cretensern nach. S. 2. Ausführlicher spricht er s. 222 fgg. über das gesundheittrinken. (Am rande steht: „Vor alter hat man auch schon dapfer gsundheit trunken" und er beruft sich auf den h. Basilius, den hönigflüssenden kirchenlehrer Ambrosius und Augustinus

1) In ähnliclier weise beschreibt P. Conrad vou Salzburg das bliudemauseu in einer predigt: Fidus salutis monitor (Salzbui'g 1083) s. 120. Icli habe die stelle in meiner schrift: Das dentsclie kindersi)iol im mitt<dalter (Tnnsbruck 1873) s. 44 mitgeteilt.

rRKDUn'MTTF.RATl'H HES 17. .TKS. 63

den ii'i'ossoii), wie iib(>r die I u ftniMsfcr. Xiclit alle vci'stossonc eng(d sind in di'i \u>\\. soiidcni deren \il sind hei nns in d<'r well, in dein Infi" nsw. I, S'). S(». Aneh iilter die Sai; i tta ri i , die pt'eiiscliützen, die mit hüte des tent'els InnseliieKeii nnd den eidt'ernfsten verwunden, maeld er ^rt'issere mitteiluniz,' II, l.')7. Es sind dies die s(»i;eu;inteu „treisein'itzen".

IJei (\('v so hiiuti^'en vorfiihrnnt;' von ansspi'ü(dien der apostel, kirelienviiter und dichter nsw. hisst er es an riiinnliehen ej)itheta, (h'i' antoren nicht fehlen, /,. I). „Der weltpivdi^-ei- l'aulns" 11, 1, ,,l)er ti'i'osse welt|)ic(lii;'ei' l'auius'' il, ',V.V,i. i\lath;ins, der joeheime seci'etai'ius (h'r adei-heiHi^sten dreifaltii^-keif' I, "201. „Der hr)nigflie- Mende Anihi'osins" 1, LJ79. „Der Iir)nigflieli5en(h' Dernardus" II, 74. ,.Daniel (h>r (JohltVoninie'' I, 4'J7. Auch die heidnisclien schriftsteHer nent er niciit blind, sondern gibt ilnien ehrende bezeichnungen, z. b. „Der römische wolrednei' Cicero", II, 1. „Der weise Seneca'' II, 'JO. „Ovidius der poeten printz nnd JcTuiig" II, 401. „Der bei-idimte poet nnd gewaltige reimendichtei' Martialis'' I, 191 usw. Esopns nent er aber den „wunderbarlichen Eabelhans" I, 7(S.

Ein frisclies leben gewinnen diese predigten durch die anreden an die zuliörer, mit (h'nen er manclunal gespräche führt. Die gewöhn- lichen formein sind: „Werthiste zuhörer'', „Andächtige zuliörer'', „Liel)- ste Zuhörer", „Herzliebste zuhörer", „Andächtige, außerwählte, aller- liebste Zuhörer", „Außerwöhlte, andächtige Christen, allerliebste zuhöirer", „Andächtige briider und Schwestern", „Andächtige hertzen", „Außer- wehlte hertzen", Allerliebste hertzen". Eine stehende forinel ist „Ewre liel) nnd andacht". Oft benent er aber auch seine zuliörer „sünder". „Hast du es gehört, mein sünder?" I, 7. 11. „Da merkt auf, ihr Sün- der und Sünderin, da spitzt ewere obren, ihr kinder der weit" I, 23, vgl. I, 41. 67. 70. Er wendet sich aber nicht nur an seine zuhörer, sondern in apostrophen an heilige und andere personen, z. b. „Holla, weiser Salomon, ein andere gleichnuli her!'' I, 279. „Pfui dich, Da- vid!" I, 317. „Aber holla, Pilate, gemach an, gemach an, wo liinauß?" I, 432.

Zum Schlüsse noch eine probe: „Bey den durstigen zech- und Saufbrüdern ist ein algemeines spricliwort, welches also lautet: Anse- rum convivia sunt gratiora, das ist: Mit den gänsen ist es gut essen; wollen sagen: gleichwie die gäns auf faiste waiden, langes gras, gutes fueter und grüne beiden nit lieben, achten noch verlangen, es sey denn darbey ein nasse pfütz, kühler bronnen oder wasserstrom, in welchem sie ihre durstige zungen zum ofterinahlen befeuchtigen, al)k üblen, ein-

64 GOLTHER

netzen und laben können; also und auf gleiche weis lieben sie die- jenige tisch, häuser, mahlzeiten, bruderschaft und Zusammenkünften am eifrigsten, wa der weihbronner hier oder wein ist; wa der geseng gott herr wirth ist, wa der schenk ein Juncker keller ist, und Ava der trinkauß Jungfrau köchin ist. Mit einem woi't sagen die saufbrüder, da ist es gut gast seyn, wo das tranks ein mühlrad treibt, wa der trukne tisch abgeschafft ist, wa der gläser und kannen so vil auf der tafel, als stund im sommerlangen tag" I, 150.

GUFmATJK. IGNAZ ZINGERLE.

KONEAD HOFMANN.

Am 30. September 1890 starb iii Waging bei Trai;nstein, wo er sich ia den sommerferieu zur erholung aufzuhalten pflegte, K. Hofmaun, professor für altdeut- sche und altromanische spräche an der Münchener hochschule.

Alberich Konrad Hofmann war geboren am 14. november 1819 in der ober- fräuMschen Benediktiner - abtei Banz in der nähe von Bamberg. Sein vater war her- zoglicher rentamtmann daselbst. In Banz inmitten einer schönen natur verlebte er seine kinderjahi-e. In Bamberg durchlief er die 6 klassen der dortigen vorbereitungs- schule in drei jähren und wurde 1830 ins gymnasium aufgenommen, das er 1837 absolvierte. Hofmann bezog zunächst die Münchener Universität, ohne sich über die wähl seines künftigen lebensberufes völlig klar zu sein. Von 1837 43 hörte er philosophische, medicinische, endlich philologische Vorlesungen. Durch Massmanu imd Schmeller erhielt er die ersten anregungen für die germanische philologie. Nach- dem er sich endgiltig zum Studium der philologie entschlossen hatte, besuchte er Erlangen, Leipzig und Berlin. Er trieb namentlich orientalia, sanskrit, zend, ara- bisch und palaeographie. Am 29. Januar 1848 promovierte er in Leipzig mit einer abhandlung über eine upanishad; die dissertation wurde aber nicht gedruckt.

Im jahi'e 1850 51 hielt er sich in Paris auf. Die französische reise übte eine nachhaltige wh'kung auf seinen ferneren studiengang aus, indem er hier zum ersten mal dem romanischen nahe geführt wurde. Auf den bibliotheken lernte er das französische mittelalter direkt aus den (quellen kennen, von denen er eine grosse anzahl in eigenhändigen abschritten besass. Er kehrte nunmehr wider nach München zurück. Schmeller nahm sich seiner an und gewann ihn für die universitätslaufliahn. Noch wähi'end seiner aktlvität schlug ihn Schmeller der fakultät als nachfolger vor, indem er selber von seiner professur zurücktreten wolte (vgl. J. Nicklas, Schmollers leben und wirken s. 163 fg.). Der tod SchmeUers am 27. juli 1852 erledigte die stelle rascher, als aUe beteihgten es gedacht. 1853 wurde Hofmann ao. professor an der imiversität; 1853/54 war er zugleich als praktikant an der hof- imd Staatsbibliothek tätig und benüzte diese zeit dazu, den von Schmeller so musterhaft geordneten hand- schriftenschatz , vornehmlich den deutschen teil dui'chzuarbeiteu. 1853 wurde er auch ao. mitglied der akademie der Wissenschaften zu München. 1856 erfolgte seine ernennung zum ordentlichen professor, 1859 zum ordentlichen mitglied der akademie. 1857, 1858, 1859 machte er mit königlicher Unterstützung wissenschaftliche reisen

KOXRAD HOFMANN 65

nach Paris, London. Oxford, St. Ciallcn und liorn. nni Studien auf doni i;-el)ii'to der gennanisflion und romanischen spraclien anzustellen (vgl. (j(^lehrte anzeigen der k. bayer. ak. d. wiss. bd. r)0, ISüO. nr. 43 4G). In seinen vorlosungeu uinfassto er anfangs ein sehr weites gebiet, indem er neben romanisch und germanisch bis J.SG4 auch iibiM' sanskrit und pahK^ographie vortrug. Am lü. Oktober 1860 wurde er ofli- ciell nelten dem altdcutsclien auch mit der vm'tretung des altromanischen an der ^Iihichener hochschule betraut. ]5is zum Schlüsse des lezten sommer.scnK-sters hielt er collegicni, und zwar jjllegte er meistens im Semester zwei grosse vierstündige und zwei kleine, zwei- oder einstündige Vorlesungen aus beiden gebieten zu halten. iSTl war er zum mitglied der königl. dänischen altcrtumsgeselschaft eriiant ■woi'den.

Aus llofmanns privatleben ist mitzuteilen, dass er sich ]S.")3 zu?n ersten male v(M'mähIte mit Mario K'rause. der tochter des philosoi)hcn Krause. Siciben kinder entsprangen dieser ehe, drei von ihnen giengen dem vater im todc voran. 1884 gieug Holmanu eine zweite eh(^ ein.

ITofmann cntfaltet(> namentlich in der ersten zeit seiner akadenüscben laufbahn eine rege schriftstellerische tätigkeit. Von seinen toxtausgaben sind zu nennen Amis et Amiles und .Tourdain di' Blaivies 18.')2; 2. aufl. 1882; <'iirai-tz de Txossilho ISöf) 1857; Primavera y tlor de romances 1856 (mit Ferd. Wolf zusammen); .Toufrois 1880 (mit Munckerl; xrnvollendot blielien eine ausgäbe der (,'hanson de Roland nach der Oxforder und Yenediger handschrift und Karls des grossen pilgerfahrt anglonormän- nisch. kimrisch und englisch, beide im vorlag der k. bayer. ak. d. wiss. 1866, aber nicht im liuchhaudel ausgegeben. Von deutschen texten fülire ich au das Hildebrands- liei] 18.")0 (mit Vollmer); Lutwins Adam und Eva 1881 (mit Wilh. Meyer); unvollen- det wider Reinaert de Vos nach der Brüsseler und Comburger handschi-ift. Zahl- reiche textkritische und litterarhistorische aufsätze veröffentlichte Hofmann in den Abhandlungen und Sitzungsberichten der Münehener akademio; in den Denkschriften erschienen Giüllaume d'Orenge (abh. VI. 3. 18.ö2); ein katalan. tiere]ios von Ramon Lull (abh. XII. 3. 1871); Zur textkritik der Nibelungen (abh. XIII; 1, 1872); Die altburguudische übersetzimg der predigton Gregors über Ezechiel (abh. XVI, ], 1881). i'ber Schmeller hielt er 1885 eine rede, welche in den Denkschriften der akademie vom selben Jahrgang veröffentlicht ist. Schon früher hatte er in den rielehrteu anzei- gen der akademie bd. 40, 1855 nr. 14 16 über des sei. Schmeller amtliche tätigkeit an der k. Staatsbibliothek, und nr. 33 ülier Schmellers litterarischen nachlass bericli- tet. Von Schriften Hofmanns, welche der geschichte, nicht der philelogie im engeren sinne zufallen, nenne ich <^?uellen zur geschichte Friedrichs des siegreichen, bd. I Matthias von Kemnat und Eikhart Artzt; b. II Beheim und Eikhart Ai-tzt, erschienen in den Quellen und erörterungen zur bayer. und deutschen geschichte II u. HI 1862 und 1863; dann das Spruchgedicht des Hans Schneider über Ulrich Schwarz von Augsburg in den Sitzungsberichten der akad. 1870 I. Nelien diesen grösseren arbei- ten, deren blosser titel ohne weiteren kommentar bereits wol ein genügend deutliches liild von Hofmanns Vielseitigkeit und weitumfassenden Studien gibt, laufen noch viele kleinere artikel her, die in den Gelehrten anzeigen und Sitzungsbei'icliten der akade- mie, in VoUmoellers Roman, forschungen, in der Zeitschiift für deutsches altertum usw. A'eröffentlicht wurden. Ein Verzeichnis dieser oft sehr wertvollen schritten findet sich im Almanach der königl. bayer. akad. d. wiss. für das jähr 1884 s. 192 fgg. Bemerkenswert ist noch Hofmanns rede über die gründung der Wissenschaft altdeut- scher spräche und litteratiu", erschienen im vorlag dm- akad. 1857.

ZKITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIP:. RP. XXIV. 5

66 OOLTHKK

An Hofmanns textkritisclion arbeiten wird sein Scharfsinn in entzifferung schwie- riger handschriftensteilen und bei herstellung des verderbten Wortlautes gerühmt. Bei seinen litterargeschichtlichen Schriften gab ihm seine ausserordentliche Vielseitigkeit und seine grosse belesenheit oft die mittel zur erklärung der quellen fast spielend an die hand; namentlich besass er eine eingehende kentnis der realien des mittelalters ; er kante genau diejenige litteratur jeder gattung, welche im mittelalter verbreitet war. So gelang es ihm denn auch, manche verdeckte anspielung in den denkmäleru aufzufinden und zu erläutern. Ganz besonders zeigte sich dies bei seiner erklärung Wolframs von Eschenbach, der ihm unter den alten dichtem der liebste war. Das veiii'autsein mit dem altfranzösischen einerseits, mit den algemeinen mittelalterlichen Verhältnissen in allen ihren zweigen andererseits sezte ihn in stand, das geistige leben Wolframs, seine seltsamen Umformungen und Verarbeitungen der ihm zu gebot stehenden und von seiner zeit dargebrachten wissenschaftlichen kentnisse zu verstehen und zu deuten. Leider nur hat Hofmaun gerade von seiner Wolframforschung fast nichts veröffentlicht. Ein hauptsächlicher vorzug seines Schaffens liegt überhaupt darin, dass er bei der erklärung der alten denkmäler sich ganz und gar in die zeit ihrer entstehung zurückzuversetzen vermöchte und demnach vermöge seines reichen Wissens auch alle die verschiedenen einüüsse, unter denen das wei'k möglicher weise gestanden haben könte, rasch und sicher zu bestimmen wüste. Hinsichtlich derKyot- frage glaubte Hofmann entschieden an eine reine fiktion Wolframs, dem seiner mei- nung nach nur Christians unvollendeter Perceval vorlag.

Einer Zersplitterung der kräfte, einem blendenden geistreichen vielwissen redete Hofmaun durchaus nicht das wort; er wüste sehr wol die grenzen zu bemessen, über die ein einzelner nur schwer hinausgelangt, und im hinblick auf ein tiefes gründliches wissen, auf eine selbständige kritik des forschers schien ihm die teilung ins mittel- alter und in die neue zeit als eine notwendige. Dagegen selten bei einer arbeits- teilung nun auch auf dem einzelnen gebiet die weitesten anforderungen ihre erfül- lung finden. In diesem sinn verlangte er namentlich vom deutschen philologen mit entschiedenheit eine selbständige kentnis des romanischen, insbesondere des altfran- zösischen; denn ohne diese sei ein richtiges urteil in Sachen der mhd. litteratur- geschichte schlechterdings unmöglich. Die Vereinigung der altromanischen und alt- germanischen Studien, insbesondere die klarlegung der Wechselbeziehungen zwischen den führenden germanischen und romanischen Völkern im mittelalter war sein lieblingsgedanke, für den er besonders im colleg mit grosser wärme eintrat; er ver- stand es auch, dem schüler und hier wider insbesondere dem germanisten die richt- punkte aufzustellen, nach denen man zumal unter seiner leitung in kurzem sich zurecht zu finden vermochte. So wie Hofmann es meinte und betrieb, war die Ver- einigung des altromanischen und altgermanischen keine Zersplitterung der Studien des einzehien, keine ausbreituug und Zerstreuung des wissens in die weite, sondern eine durchaus einheitliche harmonische Vertiefung, eine von den tatsachen gebotene for- derung.

Hofmanns wissenschaftlich - schriftstellerische tätigkeit findet ilire notwendige ergänzung in seiner lehrtätigkeit. Nicht allein in den Vorlesungen, die er frei imd ungezwungen, oft humoristisch und drastisch, wie es der augeublick gab, zu halten pflegte und in denen er sich an kein festes thema band, sondern auch im gespräch kam stets seine ganze volle Individualität zum ausdruck, dem einzelnen gegenüber ebenso wie im kreise seiner schüler. Wer ihn so aus seiner lehrtätigkeit oder aus persönlichem Umgänge kennen lernte, der konte lebhaft bedauern, dass Hofmann als

KONRAD IIOFMANX 6?

Schriftstolli'i' y.n keinem urösstnvii . systeiiiatiseli aiiuclenten uml uusf;-enilirteii werke gekomiiieii ist, wie viele themata er aiieh, uml zwar liäufiii' von ganz neuen gesidits- jiunkten aus, lichtvoll lieiuuulolt hat. (jerade liei seinem umfassenden wissen hätte er etwas bedmitendes und grosses leisten kdmien, wenn er einmal halt gemaehl und die orgelmisse soiner lorschung methodisch dargestelt liättu. Wir meinen damit nameutlich t'Uie grössiMv^ littorai'geschiehtliehe arl)eit, di(> ersdiriplend einen gencm- stand. sei es nun einen zeitalisehnitt oder eine bestimte piTsitnlichkeit i)eiiandelt hätte. Seiu geuialer eigenartiger gedankenreiclitum wäre dann zur klai'en oljjektiven verai'- beitung gelangt. Aber dal'ür hat llofmami manche schöne wichtige; uidernehmunt: anderer angeregt; ich neiuie hier nur die ausgäbe des Christian vou Troies dundi Foerster. welche aut llofmanus veranlassung und zum teil untiir seiner persönlichen mitwirkung entstand.

AVer, wie ich selb>t, llofmann erst in seinen lezten jähren kennen gelernt liat, dürfte schwerlicli mehr eleu vollen eindiaick sidner bedeutung für die Wissenschaft so recht empfangen haben. Zwar seine regsamkeit und frische hat er auch in seinen alten tagen nicht eingebüsst; aber ich stelle mir sie noch ganz anders voi- in den Jahrzehnten, in welchen er eine so ungewöhnlich fruchtbare und vielseitige schrift- stellerische tätigkeit entfaltete untl überall selbständig in das werden und wachsen der Wissenschaft eingriff, ja oft selbei- den fortschritt hervorrief. Hofmanns neigung war mehr aufs greifbare gerichtet; die quellen, ihre Verfasser, ihre zeit kante er durt/h und durch. Weniger sagten ihm rein sprachwissenschaftliche Studien formaler art zu. Zwar etymologie und worterklärung liebte er uml war mitunter glücklich darin; doch den Sprachstudien, wie sie in den arlieiten der jüngeren generatiou hetiieben w^erden und umgestaltend auf die alten theorien wirkten, stand er fernei- und hat sie nicht mehr mittätig begleitet.

Den begriff der „schule" hat Hofmaim strengstens verpönt Er liess der freien Individualität seiner schüler stets ihren lauf und suchte nur durch geistige anreguno- auf sie einzuwirken. Auch verlangte er keineswegs ein jtirare in rerha magistri: eine von seiner eigenen abweichende ansiclit eines schülers hat nie eine feindselige gegnerschaft zur folge gehabt. Sein Wahlspruch war, wie er oft es aussprach: nrioii cognoscere causas.

Mit Hofmaun gieng wider einer jener männer dahin, welche an die germa- nische und romanische philologie in ihrer frühzeit herantraten, ihren gewaltigen auf- schwung miterlebten und mit ihm gross wurden. Stets werden beide disciplinen dankbar und mit Verehrung Hofmauns namen unter ihien ersten Vertretern nennen.

MÜNCHEN, OKTOBER 18'.)0. WOLFGANa GOLTHER.

LITTEEATUE.

Grundzügo der Schriftsprache Luthers. Versuch einer historischen grammatik der Schriftsprache Luthers von dr. €arl Frniike. Gekrönte preisschrift. (Separat -abdruck aus dem Neuen Lausitzischen magazin bd. LXIV.) Görlitz, E. Römers buchhandlung. 1888. XV und 307 ss. 8.

Vorliegende Untersuchung ist der erste versuch c'iner umfassenden darstellung der Sprache Luthers; in drei teilen behandelt der Verfasser die laut-, wort- und Satzlehre; der erste teil enthält auch einen abschnitt über die rechtschreibung.

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Der Verfasser hat ein reiclios r|nellenniaterial bennzt und ist bei der ausbeutung desselben mit grosser besonnenheit zu werke gegangen. In lezter bezieliuug sucht er sich in den einleitenden paragraphen mit der Stellung des Luthergrammatikers sei- nem quellenmaterial gegenüber auseinanderzusetzen, und komt dabei im § 6, 2 (s. 8) zu dem resultat, dass für die feststellung der laut- und formenlelu'e sowie der rechtschreibung Luthers" sowol seine manuscripte als die drucke seiner Schriften zu berücksichtigen, von diesen aber imr Wittenberger, von Luther selbst besorgte aus- gaben, zu benutzen seien. Von den beiden genanten arten der überliefeiTing bieten jedoch dem Verfasser die drucke, soweit von diesen anzunehmen, „dass Luther ihre koiTektur gelesen" (s. 3) ein zuverlässigeres bild für die grundsätze der Schreibweise Lu- thers, als seine manuscripte; denn in diesen seien unzweifelhaft Schreibfehler vorhanden, die Luther „später auf dem korrekturbogen berichtigt oder deren berichtigung er wenigstens gebilligt" habe (s. 2). Den korrekteren gesteht Franke nm- ein allerbeschei- denstes mass von einfluss auf die gestaltimg des textes zu; mehr vielleicht noch im anfang von Luthers schriftstellerischer tätigkeit, aber spätestens von 1524 an habe Lutlier durch jene bei Christoph Walter [i. j. 1563!] erwähnten „schärferen anwei- smigen" diesem einfluss em ende gesezt, so dass von dieser zeit an „eine genaue koiTcktur der von Luther selbst besorgten ausgaben durch ihn oder docli nach mit ihm vereinbarten grundsätzen anzunehmen, und ihrer Schreibweise vor derjenigen der manuscripte der vorzug zu geben" sei (s. 3). Franke tadelt hierbei Dietz und Wülcker, die den korrekteren und setzern einen grösseren einfluss auf die gostaltung des tex- tes beimässen. Aber der einfluss der drucker und korrekteren bleibt trotz Fraukes gegenteiliger ansieht auch nach 1524 bestehen. Ich will nur einen fall herausgreifen. Im Anz. f. d. a. XV (1889), s. 332 fgg. hatte ich in dieser beziehung einige bemer- kungen über die anwendung der umlautszeichen in Wittenberger drucken Lutherscher Schriften gemacht. Ich hatte dort auf die grossen Inkonsequenzen, die sich nicht nur in den dnicken verschiedener officinen gegen einander, sondern auch in den drucken einer und derselben officin unter sich finden, bis zum jähre 1525 einschhesslich hin- gewiesen. Doch auch nach dieser zeit dauert die Unsicherheit fort, ja sie erhält sich bis in Luthers lezte lebensjahre. Wenige beispiele mögen dies zeigen. Nickel Schirlentz druckte im jähre 1541 die „Vermanuuge || zum Gebet / || Wider den || Türeken. || Mait. Luth. i| Wittemberg. 1| MDXLI. Am ende: Gedrückt zu Wit- || tem- berg / durch 1| Nickel Schir jj lentz. Anno || M. D. XLI." und widerholte denselben di-uck im folgenden jähre: „. . . M. D. XLII. Am ende: Gedruckt zu Wit- || tem- berg / durch || Nickel Schir- |1 lentz. Anno || M. D. XLII." Beide drucke stammen also aus der gleichen officin. Hier findet sich nun die angäbe der stelle bezieht sich, wo nicht ausdrücklich anders angegeben, stets auf den erstgenanten druck; länge und kürze der vokale sind, weil für den vorliegenden zweck unnötig, nicht geschieden gülden in dem ersten druck (Bj^) gegenüber gfdden in dem zweiten, furchten (Biij* zweimal, Bäj"") gegenüber fürchten, in funden (Biij*') gegenüber in fihiden, muffen (Bilij*") gegenüber muffen, und umgekehrt erxürnet im ersten druck (Aij") gegenüber erxurnet im zweiten, erfüllet (Aij'') gegenüber erfüllet, fcMildig (Biiij'') gegenüber fchiddig; ferner können (Bij'') gegenüber können. Das schwanken findet sich aber auch im texte eines und desselben druckes. So steht in dem zwei- ten druck erfüllen (Aij^) neben dem oben erwähnten erfüllet, müffe^i (s. o.) neben muffen (Aiiij^), fürchten (Bij "^ Bij »•) neben furchten (Bij"), vnfcMddigen (Biij '^) neben fchuldig (s. o.). In beiden ausgaben schwankt die Schreibung des woiies gül- den (1541: Bj% Bj'' dreimal; 1542: Aiiij'' dreimal, Bj'' zweimal) neben guldeii (1541:

ÜHKH KHANKK, UKAMM. IJEK SI'JIRIKTSPKACHK LUTHERS 69

Bj" l>j''; ir)4L': Aiii.j") usw. Aüurdiii'^^s inusV liL'UH'i'kl, wcrdi'ii, dass von don liinr ilborhauiit in betnu'ht- kDinincndcii würtern du; weitaus iilx-rwie^ciido an/.ahl mit uiiilautszciclH'ii versohou ist. Viel nierlvwürdij^^er unteiselu'ideii sicli zwvi dru< ke aus der (iffieiii des ,Iosei)li Klu-: .,Vormaimn^- an Ij die IManher inn !1 der Supcratten- dentz der li Ivirehen zu Wittern- |1 Ijerg. P Anno 1513. Am ende: (iedruekt zu Wit- temhcr-? / Duri'li .Joie]ili H Klug. Anno M. D. XLiij." und „. . . Anno. M. D. XLlll. Am ende: »iedruekt . . .'", also beide im jähre 1543 gedruekt. Wähi-end in dv.m ersten dieser drueke die umlautszeiclien durchweg auwcndung fuidm. leiden sie in dem zwei- ten ül)orwiogend häufig. leh lulirt! folgende beispiele an: Kiirffirfl im ersten druck (Aij") j:^egpmihvv Kio-f/o-ß im zweiten (dagegen in beiden drucken i'V^r/i'c/i Aij'^ Aii.j''), m/'iffcn (Aij'^ Ai.j'' Aiij") gcgenübei- vinffcn, Tiirck (Aij'') gegenüber Turck, Tiirrkeu (Aij'' dreimal, Aiij^' zweimal) gegenüber 7>(!/t/,y!« (dagegen iu beiden drucken 7K/t/.-^/j Aij" zweimal), ftiicl.- (Aij'') gegenüber ftiick, Sünden (Aiij") gegcnüljcr Sundrn , cnt- frliiUiliiit (Aiij'') gegcnülier cntfcliiddigt , (jcdrücU (impressus, Aüj'') gegenübei- (7c- dmclä; t'erncr huren (Aij" Aij*") gegenüber hören (dagegen in beiden drucken hören Aiij''). auff hören (Aiij") gegenüber auffhoren, hofen (Aiij") gegenüber bofen, vujch- tcn (Aiij'') gegenüber mochten, können (Aiij") gegenüber können, schliesslich ver- mofjcns (Aiij") gegenüber rermuijens. Auch Hans Lufft, der, wie ich a. a. o. s. 334 gezeigt habe, im jähre 1524 noch sehr selten, aber schon im jähre 1525 über- wiegend die Umlautszeichen zur anwendung brachte, schwankt noch später, wie dies iieispielsweise die im jähre 1539 in zwei autlagen aus seiner presse hervorgegangene Schrift Luthers „Wider|| den Bifchoff zu||Magdebm-g|lAllirecht Car-||dinal.!|D. Mar. Luth.|| 1539. Am ende: Gedrückt zu AVit- 1| temberg durch j] Hans Luift. || M. D. XXXIX. " (titel und Impressum beider ausgaben stimmen in der beschreibung überein) ersehen lässt. Es findet sich hier z. b. wurde im ersten druck (Bij") gegenüber ivürde im zweiten (dagegen in beiden drucken mirde als conj. prt. Diiij"), ^cfunder (Aiij'') gegen- über (jefimder (dagegen in Ijeiden drucken r/e//^/?f/er Cij '') , fchuldig (Diiij") gegenüber fchiddUj; umgekehrt Ä'o«/r/ (Aiij" Aiiij") gegenüber A'o«««/ (dagegen iu beiden drucken Konige Aiiij"), können (üij'') gegenüber können (dagegen in beiden drucken können Diij* Diij'' Düij"). An Schwankungen im texte eines und desselben druckes und zwar finden sich diese beispiele jedesmal in beiden ausgaben führe ich nur noch an fehuldirj (Aij" Aiiij '^ Düij'') neben [ch fddig (Bij''), fchoii (pulcher, Aiij") neben Schone (Aiij''), gehört (Bij"), cniierhort (Diiij") neben ^eÄoW (Ciij") usw. Man sieht, auch Hans Lufft schwankt noch lange; aber doch gehören diese Schwankungen bei ihm mehr und immer mehr zu den ausnahmen gegenüber der anwendung des umlauts- zeichens. und es hat, soweit ich sehe, allerdings den anschein, als ob dieser drucker sich zulezt in der tat zu fast konsequenter durchführung der umlautszeichen auf- geschwungen habe. Alle hier sowol wie früher a. a. o. berücksichtigten drucke sind derart ausgewählt, dass sie die möglichste gewähr für Luthers eigene korrektur oder w^euigstens für den energischsten einfluss seinerseits auf dieselbe bieten. Und da hiesse es doch in der tat das sprachliche wollen des reformators einer bedenklichen beleuchtung preisgeben, wolle man annehmen, dass alle diese Schwankungen unter seiner ausdrücklichen gonehmigimg in den druck gelaugt seien. Dieser Schwierigkeit für die erklärung der schwankenden umlautsbezeichnung war sich auch Franke bewust; aber er hilft sich daraus, indem er meint (s. 8), „dass Luther sich nie recht klar über den umlaut geworden'' sei, und dass er erst „wol nach dem vor- gange der noidostthüiingischen kanzleien und einiger AVittenberger druckereien, wie der von Grunenberg, Schirlenz und Hans Lufft, die umgelauteten formen für- gemein-

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deutsche bestandtcilc" gehalten habe. So wenig nun ein diesbezüglicher einfluss der drucker auf die autoren im algemeinen geleugnet werden soll er muss im einzel- nen fall immer erst nachgewiesen werden , so müste es doch auffallen, dass Luther sich erst so spät jener erkentnis erschlossen hätte, die umgelauteten formen seien „gemeindeutsche bestandteile " ; denn die oben beigebrachten beispiele stammen aus den Jahren 1539 bis 1543. Vielmehr wird nach alle dem auch Franke sich der anerkennung jener tatsache nicht verschliessen können, dass die drucker auch ohne Luthers genehmigung den text, sei es unabsichtlich, sei es in ihrem buchhänd- lerischen Interesse wilkürlich änderten. Ausführlich bespricht diesen gegenständ F. Kluge Von Luther bis Lessing (Strassbui'g 1888) s. 54 fgg. Nicht zum wenigsten macht gerade dieser umstand die darstellung der spräche Luthers wie überhaupt sprachliche arbeiten über jene zeit so schwierig.

Verfasser nent seine grundsätze einen „versuch einer historischen grammatik der Schriftsprache Luthers", und sucht diesen zusatz durch widerholte heranziehung sowol des mhd. und md. als des nhd. zu rechtfertigen. Die vergleichung mit dem mhd. resp. dem md. führt der Verfasser zwar im algememen, aber nicht konsequent durch, mid mit dem aufhören dieser vergleichung hört auch die historische darstel- lung auf; denn eine Schilderung des Verhältnisses zum nhd. ist für eine historische grammatik der Schriftsprache Luthers nicht erforderUch. Auch muss eine darstel- lung der spräche Luthers als grundlage stets den sprachstoff, wie er sich in den Schriften des reformators bietet, betrachten, und darf erst von diesem aus zu einer vergleichung mit dem stände der deutschen spräche in einer anderen periode schrei- ten. Aber auch dieses geschieht bei Franke nicht. Er verfält vielmehr in den lei- digen fehler der meisten bisherigen Luthergrammatiker, welche die spräche des refor- mators im algemeinen mit dem nhd. identificieren , ihr wesen daher im algemeinen als bekant voraussetzen, und nunmehr sich ledigHch auf die herzählung von abwei- chungen beschränken, ein fehler, der dadurch nicht an härte verliert, dass Franke auch ältere sprachstufen zur vergleichung heranzieht. So gibt Franke z. b. folgende darstellung von dem vorkommen des kurzen * bei Luther: 1) kurzes i bei Luther, dem mhd. entsprechend, für nhd. ?Y, auch nhd. ie 26), 2) kurzes i bei Luther, dem md. entsprechend a) für mhd. kurzes e in stamsilben 27) und in bildungs- und flexionssilben 28), b) für mhd. km'zes ü 29). Für eine Luthergrammatik historischen Charakters, wie sie Franke beabsichtigte, muste die frage vielmehr so gestelt werden: in welchen fällen findet sich bei Luther kurzes i 1) in Überein- stimmung mit dem mhd., 2) abweichend vom mhd. a) in Übereinstimmung mit dem md., b) event. weder aus dem mhd. noch md. stammend. Erst dann hätte das nhd. unter 1. anmerkungsweise herangezogen werden dürfen mit der bemerkung, dass in einigen dieser Wörter, die im mhd. und noch bei Luther kurzes * haben, im nhd. ie oder auch ü eingetreten wäre; ebenso hätte dann aber auch unter 2a. hinzugesezt werden können, dass diese wörter mit i bei Luther = md. i = mhd. e auch im nhd. e hätten. Noch etwas bedenklicher ist die darstellung des kurzen e. Sie wird folgendermassen durchgeführt: 1) kurzes e bei Luther, entsprechend mhd. kurzem e, für nhd. ö (§35), dasselbe für nhd. *, vielleicht auch nhd. e 36). Dann komt als nr. 2) der § 37 mit einem e, welches nach der ansieht des Ver- fassers im mhd. gar nicht, bei Luther nur- „erst in spärhchen spiu-en", wohl aber im nhd. in ausgedehntem masse vorhanden ist; es ist dies dasjenige e, welches sich zwischen den diphthongcn ei au eu und r in nhd. Wörtern wie feiern mauer feuer u. dgl. findet. Darauf folgt 3) kurzes e bei Luther = md. e = sonstigem *

l'BKK FRANKE, (iK'AMM. liKK S( lIRII'TSl'KArllK LITIIERS 71

(jj US), mul als iinhaii.!;' liiiTzu i'iiic viM'Wci.siiiig für tUi> umlauts-r auf ilic dar- sU'lluiii;' lies kui'/A'ii a. Dio aiiortinuiij;' kmitc kaum luilopscliur ^clroireii wcnlcii. Audi liior liättt! zuiiäehst r hi'i IjutlnT nilul. r hotracliti't wi-nlon iniisseu. uiitcr- aliti'ilungcn wiiivii ilalur ald's <■ urnl uinlauts-r uvwcsi'ii ; lici ilcin Irzii'ii. für wol- clu's ;iucli Sil rino vcrwcisuHij; auf iliu ilarstvllunt;' iIcs Umlaufs wünli; t^vuiitit lialiuu, hätte wie äliulii'li iilicu licim / zusat/.wcisc dir imtiz |ilatz liuilcn kimncu, dass oiiiiji:e diosiT Wörter iiu nlid. ö lialieu. denn im prinei]! hat nur das umlauts-r diesen ühci'- i^aiii;' erfaiiren. I'aul ,Mhd. .i;r.'' >; '-'7. 1 führt allerdim;s au<-h mhd. itH'siIiiii und Irirc. alsi» zwei heispieh' mit altem ;■'. fiir den ülier;^an,n in i'> an; aher diese kennen inejit, als heweismitt(d i^e^en die ursiniiniilielie lii.'selir;inkun,i; dieses xokulwandi'ls auf das uinlauts-r' gelten, da mhil. I'i'in' ^owol als iehnwnrt als aueii we.i^cn di^s dciui r UA- ,i:vnden ir eine Mini|erst('llunn- eimnmt. Ihm crlrsi-lnii da,t;'e;;(.>n nui- i'ine vermiseluing mit dem frans, mhd. Iisdicti . weleiies undaufs-r hat, ein.L;i>tivten ist; vt;!. für den lezten fall autdi (irimm llW'h. VI. sp. 1177. An diese darsfellun^ des c bei J>uthei' mhil. (■'. c hätte sieli dann zunächst die des r hei Luther md. c = soMstij^em / am rieht i.usten an^esehlossen, und ei'st luunmdii', fals P"raid\'eH ansieht riejitiu ist, der iidndt des ij :!7 nut einem c liei LutlieT, w(dehes im mhd. iiecli nieht \(irhanden izewoen. si'iniMi platz ;j,efandi.'n. AImt dies leztLi'enanti' r war auch sidion ndnl. vnrhauden, v,uL z. h. AN'eiidiiilil .Mhd. i,n-. -' i; f'J'.l, und es hätte somit in die erste untorahteilung des kurzen r hei I>uther gehört, wenn diese ersehcinung üher- liauiit au dieser steUe liesendfus hervergehdlien werden selte, und nicht vielmehr, wie auch Weitdiold das a. a. o. getan, riehtiger liei den diplitlnuigen, oder gar bei den liijuiden. denn mir dureji (h^i eintluss der lozteren, im vorliegenden falle des r, ist diese „zerdehmmg" eingetreten, hätte erwähnt werden müssen. Weiterhin fmdet das kurze a hei Luther üherhaujit nur erwälmung, insofern e.s =^ md. a ist und ent- weder mhd. kurzem '/ l§-il) "der sonstigem r 4'J) entspricht, nehst hinweis auf unterhleilien des umlauts. In ähnlicher weise geht es liei di.'r darstellung des voka- lismus fort. Den diphthongen widmet Franke allei'dings einen einleitenden Paragra- phen, in wehdiem er erwälint. dass sie entweder schon aus dem mhd. stamten oder aller (Mst durch diphthongisierung alter längen entstanden wären, gibt indessen für die lezteix' erseheinung nur wenige, abei' sehr wenige, bidege aus Luthers Schriften, während die erstere allein für mi. liei Luther (= mhd. oii) lielegt winl. Bei der folgenden einzelbesprechung der di[ihthonge treten dann jene olieu gerügten mängel der darstellung nur um so krasser hervor.

Was in dieser bezieliung über den vokalismus gesagt ist, gilt in voller aiis- dehiumg auch für die darstellung des k<jnsonautismus.

Etwas anders liegt die saehe für Luthers wortseliatz. Bei diesem kijnnen sieh die „grundzüge'" allerdings eher auf die dai-stellung gewisser differenzen, die der Ver- fasser im § Ljlj näher liezeichnet, beschi'änken, da hiei- die lexikographie in ihre rechte tritt.

In dem abschnitt über Wortbildung (ii§ 141 17(1) wird zwar sowol in dem einleitenden paragraphen 141) als auch sonst widerhelt dos mhd. geda<;ht, aber das nhd. muss gar oft als alleiniges vergleicliungsoVijVdit dienen, z. l:i. in den §§ 142. 144, 1. 3. 14G, 1. 154. 155, 2—4. 1.56 00. 163 usw. Häufig felilt auch diese ver- gleichung; und das würde einer objektiven darstellung immer noch näher kommen.

Dagegen führt der Verfasser in dem nun folgenden abschnitt über „wortbie- gung'' usw., §§171 252, dio vergleichung mit dem mhd. ain konsequentesten durch. Nur ganz vereinzelt, wie im §244 bei der darstellung des riu:k umlauts oder im § 251

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bei der besprecliuug des gebrauchs von „haben" und „sein" ziu' bildung des perfekts und Plusquamperfekts, vergisst er auch hier das mlid. heranzuziehen und beschränkt sich auf eine vergleichung mit dem nhd. Einen besonderen vorzug verleiht der Ver- fasser diesem abschnitt namentlich vor der darstelhmg der lautlehrc dadurch, dass er hier auch die regel bei Luther zu worte kommen und ihr in der aufsteUung von paradigmaten (§§ 175. 179. 180. 198. 212. 235) gerechtigkeit Aviderfahren lässt. Warum, was hier getan, nicht auch in der lautlehre durchführen, die doch gewiss dasselbe recht darauf hat?

Die Syntax dagegen muss sich wider an einer ganz minimalen berücksichtigimg früherer Sprachperioden genügen lassen, trotzdem gerade hier die vom Verfasser so sehr betonte Volkstümlichkeit der spräche Luthers durch solche vergleichung hätte interesse bieten können. Ein um so grösserer räum ist dafür der vergleichung mit dem nhd. zu teil geworden, häufig wider so, dass nur die zwischen Luthers spräche und dem nhd. vorhandenen differenzen in der darstellung platz gefunden haben. Selbst da, wo Franke sich hauptsächlich auf die darstellung des Lutherschen Sprach- gebrauchs beschränkt, ohne vergleichung mit dem sprachstand in früherer oder spä- terer zeit, findet man gelegentlich nur ausnahmen erwähnt. So enthält das vieiie kapitel der syntax (§§ 271 280), in welchem nur ganz vereinzelt in den §§ 277. 278. 280 das nhd. verglichen wird, die „abweichungen in der Übereinstimmung der abhängigen sazteile im numerus, genus und kasus", und zwar die abweichun- gen von der regel innerhalb des Lutherschen Sprachgebrauchs; aber von der regel selbst, die doch gewiss auch einen ansprach auf berücksichtigung hat, finden wir keine spur.

Ein Vorzug des buches ist es dagegen, dass der Verfasser der rechtschrei- bung Luthers eine von der des lautstandes grundsätzlich gesonderte darstellung zuteil werden lässt; denn die nichtbeachtung dieser Zweiteilung ist auch eine von den Sünden, der die meisten Luthergrammatiker bisher gefröhnt haben. Fi-anke ver- wirklicht seinen „grundsatz" (§6, 4), indem er am Schlüsse der lautlehre einen beson- deren abschnitt der rechtschi-eibung widmet. Einleitend sucht er hier Luthers Stellung in dieser frage dahin zu charakterisieren, dass derselbe im wesentlichen mit der kur- sächsischen, in einzelnen punkten aber abweichend von dieser „mit der uordostthürin- gischen oder der kaiserlichen Schreibweise" übereinstimme 116). Schon in dem jähre 1520 beginne eine Umgestaltung der rechtschreibung bei Luther sich geltend zu machen, die dann von 1523 an „ganz deutlich wahrzunehmen sei" (§117); dies würde damit übereinstimmen, dass Luther spätestens im jähre 1524 den druckern jene schon oben erwähnten „schärferen anweisungen" gegeben habe, von denen Christoph Walter, allerdings erst im jähre 1563, spricht. Bei der nun zunächst folgenden aus- führung über die darstellung der vokale nehmen die dehnungszeichen " den löwen- anteil (§118 = s. 89 98) in ansprach. Besser würde der Verfasser diesen Para- graphen die graphische darstellung langer vokale betitelt haben; denn er behandelt ausser denjenigen Wörtern, in denen durch ein äusseres kenzeichen die länge des vokals angedeutet ist, auch diejenigen in diesem paragraphen, in denen kein sogenan- tes dehnungszeichen die länge des vokals kentlich macht. Die vielbesprochene Stel- lung des h in seiner eigenschaft als dehnungszeichen charakterisiert der Verfasser dahin, dass dasselbe „nur" bei einem dem betreffenden laut folgenden «, /• oder ira auslaut nach dem vokal stehe, bei vorangehendem t oder r aber vor denselben trete. Von diesen beiden behauptungen ist zunächst die erste inhaltlich unrichtig. Denn ausser bei folgendem n, r oder im] auslaut für diesen fall führt Verfasser übri-

ÜBER J-'KANKK, UKAM.M. UKK SCJimi'TSl'KACllE LUTilKKS 73

gous kfiiiDii lit'lfg an limlut sich // iiui-li ilcin vnkal aurli Ikm t'olgciidoiii / uml ///. Man nuis indessen, wie es selieiiif , auch in iJiesiM' fraLi,'e (.'ine sciieidung der druckcr vdrneliincn. So linden sicii z. ii. tAcrade für das li nach dem vokal l>ei folgondein / und /// in der von Melclijor Ldttiiei- nvdriickten sei>toml)orhil)ol i'olgen(h3 belege: nidlil (nihd. iin'tl) Jud. 3, aniKilniicti (inhd. i/i'ni/o/) A]). gesch. 7, 45, ani/rnrl/u/ (nihd. [/e- iKfme) JjUC.I, 24, Köm. If), lü. .'il. l'hil. 4, 18, aiifjcnclimc Lue. 4 , 1!), aHiptrhui 1. Tim. '). 4, iji'tirliDirii 11. ('er. »i, 2. fiiDicItnißcn Ap. gesell. 17, J. 2'). 2, fi(rnfh- iiiißcH A|i. gesell. 2S. 17, (iHlfnrliiiirn (mhd. ii(Onr}i) Ap. gesch. 18, 27-', dazu mit, mild, noch kurzem vokal nilwlilicli Khr. 11. 12, laln)/ Ap. gesch. 15, 2, lalniini .loh. f), ;}, All. gesell. 8, 7, (iitlf)iulnii. .lae. 2, 2,5, nchiiicii Math. 1 , 20. ä, 40. 2'], 12, Marc. S, 11, .loh. 10, 14. 15. 22. 24, unnchmeu Joh. 5, 43, vernehmet Marc. 7, 14. S, 17, Hchiinft .loh. 17, 1,5, nclim Älare. 15, 36. Alle dies»; belege linden sieh bis aiil' ///^'/ .lud..'!, fiiniriNfffen A\). ^i)H(i]i.2S, 17, iie7i/cii M'Mv.H, J4, /«6V//c Mar(!. 15, 3(j und lihniir ,loh. Ki, 22 auch in dei' aus der gleiehcu drucdau'ei hei-vorgegangonen <lecembcrl)ibel vom Jahre 1522. Etwas ijfter fehlt das h der vorgenaiiten belege dann in dem folio- druck des neuen testaments von Melchior Lotther dem iungeni aus dem Jahre 1524. aber in einem andern drucke desselben Jahres von Melchior und Michel Lotther gei)rudcr tritt es wider etwa mit derselben häufigkeit wie in der decemberbibel auf. Hagegcn verzichten drei von mir verglichene drucke des Hans Lufft aus den Jahren 153G, 1541, 1544/45 gänzlich auf das dehnungs-/? an den angeführten stellen. Auch, was gleich hier erwähnt werden möge, für das in den obengenanten Lotthorschen drucken sieh findende herald (jussit) res]), befahl (nur der zu dritt erwähnte druck mit dem impressum Melchior Lotthers des iungern aus dem Jahre 1524 hat befal) Math. 2, 12, sowie für hcrvhl res]i. befehl Math. 2, 22 in sämtlichen vier Lotther- scheii drucken hat Hans Lufft in allen drei ausgaben die formen bcfalli und hcfclh. Für iiichh Math. 13, 33 in den vier Lottherscheu drucken hat Hans Lufft 153'j zwar ebonfals inclds, 1541 und 1544/45 aber Mclhs. Auch das h in Jhcrufalem, welches anfangs in der Lottherscheu druckerei zuweilen vorkomt. z. b. Math. 5, 35. 21, 10. 23, 37. 1. Cor. 16. 3 in der September- uiid der decemberbibel vom Jahre 1522, für den ersten dieser Ijelege auch noch in der ausgäbe der gebrüder Melchior und Mif:hel Lotther vom Jahre 1524, hat Lufft wenigstens an den augeführten stellen der erwähnten ausgaben nicht. Für den beweis seiner zweiten behauptung, dass das h liei einem dem vokal vorangehenden t oder r vor denselben trete, führt der Verfas- ser unter seinen belegen das noch fruhd. tliurftlfj (audax) und das substantivimi thuru tJainn. (turris) an, mit der ausdrücklichen Überschrift, dass das h lüer „vor mhd. noch kurzen vokalen'^ stände. Ist der vokal von thunn denn heute lang, und nimt der Verfasser länge des vokals für das frnhd. thurftiy an':" Franke dreht die alte mähr vom tli , die er in seiner behauptung widergibt, nunmehr um, und meint augenscheinlich, dass nach anlautendem /// nun auch stets langer vokal stehen müsse, wie er derm auch das h. in dieser Verbindung vor diphthongen als „überflüssig" bezeichnet, §. 126, 1. Er lässt sieh überhaupt weder auf eine erklärung des Ji als dehuungszeichens im algemeiiicn noch in seiner stellimg beim / und /• im besonderen ein. Und so wenig auch dies viedleieht in dem rahmen des vorliegenden buches erforderlich war, es hätte doch möglicherweise den Verfasser vor Jenem bedenklichen Schnitzer bewahrt, dass auch das // in dem häufig vorkommenden werte Jhefns deh- nungs-Ä für das ihm folgende e sein solle (s. Ü3). Nein! das h verdankt hier seinen Ursprung lediglich einer falschen transskription der griechischen Ijuchstaben IHZ als Jhs, woraus dann h als solches weiter übernommen wurde imd in der Schreibung

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Jhesuü eine ganz gewöhnliche erscheinimg des mittelalterlichen lateiu ist. Das ist eine bekante tatsache der paläographic , vgl. z. b. Wattenbach Anleitung zur lat. pal. (Leipz. 1869) autogr. s. 20, von neueren etwa Prou Manuel de pal. (Paris 1890), s. 49 eine tatsache, die auch schon Grotefend in seiner bekanten abhandlung über Luthers Verdienste um die ausbildung der hd. Schriftsprache (Abhandlungen des Frankfm-tischen gelehrtenvereiues f. d. spr. I, 1818, s. 112) erwähnt, und diese schrift befindet sich unter den von Franke „benuzten" abhandlungen (s. VI). Auf rein äusserlicher Über- tragung aus Jhefus beruht dann das //. in Jherufalem, welches wort sich in dieser gestalt, wie schon oben angegeben, zuweilen in Lottherschen dmcken findet.

Diese Sonderbehandlung der rechtschi'eibung, wie sie Franke vorgenommen hat, ist für die Luthergrammatik, wie bereits oben angedeutet wurde, zweifellos ein fort- schritt. Indessen ist der Verfasser von seinem „grundsatz" noch nicht genügend durchdrungen gewesen, um der rechtschreibungslehre nun auch jeden nähereu ein- tritt in die darstellung der laute zu verwehren. Im gegenteil sündigt er gegen sei- nen eigenen gi'undsatz hier in sehr bedenklicher weise. Der erste abschnitt der laut- lehre betrift „algemeines über den lautstand Luthers." Unter dieser Überschrift wird im §7 die „Schreibweise" der kanzleisprache kurz erörtert, §8 handelt über die „einwirkung der Schreibweise der verschiedenen kanzleien auf Luther." Überein- stimmend mit dieser Überschrift des §8 werden darin ausser mehreren wirklich laut- lichen erscheinungen die bekanten Schwankungen im schreiben zwischen ai und ei resp. ey, die Schwankungen in der „bezeichnung des Umlaufes von o und m", das eintreten der längenbezeichnung von ie für mhd. «', der Wechsel zwischen i, j und y, dd und d, die drei lezteren pimkte sogar ausdrücklich als erscheinungen „rein graphischer natur", sowie „die graphische bezeichnung des langen e durch ee" behandelt. Im § 16 des folgenden abschnittes gibt Franke belege für die bei Luther bereits durchgeführte dehnung im mhd. noch kurzer silben. Statt hier die art der längenbezeichnung {ie für 2, doppclschreibung, sogenantes dehnungs-A) als bekant vorauszusetzen oder doch in dieser beziehung auf den abschnitt über recht- schreibung zu verweisen, wo das allein hingehört, und dann entweder durch behandluug der einzelnen vokale oder durch eröiterung ihrer jeweiligen stellmig, sei es im auslaut, sei es vor bestimten konsonanten, übersichtlich zu zeigen, in welchen fäUen sich der eintritt der dehnung nachweisen lässt, teilt Franke diesen paragraphen umgekehrt nach der art der längenbezeichnung, also nach rein orthographischem princip ein, und muss dann unter jedem dieser drei punkte alle diejenigen vokale behandeln, deren länge in der betreffenden weise angedeutet wird. Auch das im § 60 über die wenigen bei Luther vorkommenden tie gesagte, deren e Franke selbst für ein zeichen „wol nur rein graphischer natur" hält, und welches sicher nur noch den vielleicht unbewussten wert eines dehnungszeichens hat, hätte in der abhandlung über die rechtschreibimg seinen platz finden sollen, etwa nach der besprechimg des ie als i. Dazu würde auch das wort faet (mhd. sät) Marc. 2, 2?. zu stellen sein, welches sich in den vier oben (s. 73) genanten Lottherschen drucken aus den jähren 1522 imd 1524 findet, während Hans Lufft in den an gleicher stelle genanten drucken faat einsezt. Über dieses e (oder i) nach vokalen im Frankfurter dialekt handelt Wülcker in Paul -Braunes Beitr. IV, s. 30 fg. In dem aufsatz über „die umlautserscheinungen bei Luther" 18 fgg.) war es gleichfals nicht nötig, der graphischen darstellung des Umlauts einen so grossen räum zur Verfügung zu stellen, da strenggenommen das graphische element auch dieser erscheinung in dem abschnitte über die recht-

ÜBEH l'HANKE, liKAMM. DER SCHKIFTSl'IJAl'UE LUTHERS 75

scIii'L'i billig- liäiti' iM'lKUitlclt wi-nlcii nuisM'ii. Doch liisst sich dii' iiikunsc([Uoiiz hier eher cutschukli;^'(Mi.

Pioscii orrirtcruiip'ii alj^cinciiicivr art. die mir l'iir die VDrlieo-eiidc l)esiiieehiiiii;' zuiiiiclist die haiiptsaciie waren, müii'eii ciiiino s]ieciclhM'(' l)Oinerkuiii,a!n r()lü;(>n. Ich \vill nur nocli vorau.sscliiciicn. dass der grosso tlciss, mit dem der vcjrf'asscr dio hclego für dio oinzolnon bohauptungen aus einer umfassen<b'n reihi^ rjutJiorseiior sclirif- ten horboigoscliaft hat. volle anerkennung verdient. T.eiiler stehen dem aUcrdings auch eine roiho vimi schwachen gegenüber.

In dem bereits oIkmi (s. T-l Ig.) br-rührten aufsatz ülier ..die rd:d. Verlängerung der mild, kurzi'n stainvnkale voi' einfachen koiisonanten" beschränkt sicii iler Verfasser im i; IG darauf, fälh; anzufiihnii. in dem/n dui'ch die bekanten hilfsmittel, die sogenan- ten dehnungszeielum, länge des vokals angedeutet wird. Es liegt zum teil an der schon oben inisbilligten anordnung der lielege, dass der v«M'fasser nicht den naehw('is zu führen vi'rsuclit. in welchen fällen di'nn TiUther wirklich langen \okal, in welchen aller er die alte kürze liewalirt hat. und dii.' mügiiehkeit dieses nachweisos ist kei- neswegs ausgeschlossen. Namentlich die starken verba der /-reihe bieten in dieser beziehung ein wertvolles material. Diese hatten im mhd. in allen |)rätoritalformen ausser dem singular des imlikativ 1. Hierfür findet sich hei lAither ich beschränke mich hierbei auf die spräche Luthers in der septemberliibel / und ie, ersteres in di'ujenigen fällen, in welchen dem stamvokal ein ch , ff\ ff, also toidose doppelspi- rans, oder tt folgt, ghüchviel ob leztoi'es allen formen des lietrehenden verlmms eigen ist. oder in grammatischem Wechsel sonstigem d eutspi-icht, ic dagegen dann, wenn dem Stammvokal ein b, //, )i , li folgt, oder der stamm vokalisch ausgeht. Man vergleiche etwa folgende belege: (/c/rii-I/ci/ .^n]\. 7). i:5. Off. 18, 14, f/n'ffcn Math. 14^ 3. 2G. öü, Miriffen Ap. geseh. Iß, 2L\ '_'3, 10, ftriticii Ap. gesoh. 23, 9, etiiUcn Math. 27, 1!), Marc. 5. 2G neben (jefclirirhni Math. 2, fj. 4, 4. 0. 10, ftiniru Luc. ö, 10. Ap. gesch. 1, 13, crfcliieiicit ]\Iath. IT, 3. rcrlicliDi vorrode z. Rom. abs. 1, fclirkhen Math. 8, 29. 9, 27; das // in fdi riehen ist nur hiatusfüllend, ich habe aber die form in dieser Schreibung als beleg gewählt, weil sie so die obige behauptung besser illustriert; es finden sieh auch die Schreibungen fchrien Joh. 19, ß und fchnjen Job. 19, 12. Die rogelmässigkeit dieses wechseis im auftreten von / und ic beweist, dass in den lezten fällen, also vor einfachem tönenden konsonant und im auslaut, der vokal gedehnt ist, dass er aber vor tonlosem doppclkousonanteu seine früln.'re kürze bewahrt hat. Über die dehnungsfrage in mhd. zeit spricht sich Weinhold Mhd. gr. - an verschiedenen stellen aus, so § 15, 24, 32, 51, 55 usw.; zum oben behandelten fall vgl. liesouders § 354 schluss, ferner Bartsch zur Erlösimg 2739, Riegor in der einleitung zur Elisabeth s. 24 fg. u. a. m. So leicht nun von der anwendung der delmungszeichen auf die länge des vokals geschlossen werden kann, so schwer oder noch schwerer lässt das unterbleiben dieser bezeichnungsart auf erhaltene kürze oder gar auf mögliche kürzung schliessen, wenn nicht wie in dem oben erwähnten fall eine sol(;he schroffe gegenüberstellung von Ijelegen möglich ist. Auch die resultate, die sich aus den beobachtuugen über etwaiges unterbleiben der diphthougierung der alten längen l li iu ergeben könten, haben für den vorliegenden zweck weing oder gar keine beweiski'aft. Trotz der anerkennung dieser Schwierigkeiten versucht Franke im § 17 aus dem fehlen der dehuungszeichcn für einige fälle erhaltene alte kürzen nachzuweisen, stelt diese jedoch selbst zum grösseren teile als fraglich hin, nament- lich wenn der heutige obersächsische dialekt, den er zur feststellung dieser tatsachen herbeizieht, ebensowenig wie die jetzige Schriftsprache den kurzen vokal bewahrt hat.

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und auch in der erwägung, dass der vokal mancher wörter wie z. b. des nhd. jähr zwar von alters her lang ist, aber bei Luther stets „ohne dehnungszeichen" erscheint; Dem aufsatz über die dehnung folgt der über den umlaut. Das unterbleiben des Umlauts von a in einigen Wörtern belegt Franke zwar mit einer reihe von beispie- len, ohne jedoch auf den grund dieser erscheinung einzugehen; alte flexionseigentüm- lichkeiten, folgen alter Wortbildung, schliesslich auch die Widerstandsfähigkeit gewisser dem umzulautenden vokal folgender konsonantengruppen , über die für das ahd. Braune in Paul-Br. Beitr. FV, s. 540 fgg. handelt, konten zur erklärung leicht herbeigezogen werden; siehe auch Franke §190. Nicht nur „anfänglich" (Franke § 20) findet sich offetiberlieh bei Luther, sondern auch später noch, z. b. in dem Lufftschen druck „Kurtz bekentnis D. Mart. Luthers vom heiligen Sacrament", ... Wittemberg 1544, bl. Bij*; ebenda klerlich bl. Bij ''. Soll e in erbeit und den zugehörigen Wörtern bei Luther wirk- lich imilauts-e sein? Im ahd. hoisst das wort araheit; und die Zusammenstellung mit dem stamme von erbe, mhd. erbe, ahd. erbi arbi, got. arbi, die schon Grimm DWb. I, sp. 539 machte, und die auch Weigand DWb. ^I, s. 70 und Dietz "Wb. zu Luthers deutschen schritten I, s. 111 fg. übernommen haben, ist von Kluge EWb. s. 9 energisch in frage gezogen worden. Lexer Mhd. wb. I, sp. 88 hält die form erbeit eben- fals für- umgelautet, ohne jedoch dies zu begründen, belegern, belegerung, jezt belagern, belagcriing , die Franke gieichfals für formen mit umlauts-e gegen den jetzigen gebrauch hält 22), haben mhd. e, vgl. Lexer IVIhd. wb. I, sp. 171 und Wei- gand DWb. I ^, s. 183 u. 1047, dazu mhd. leger, ahd. legar. Hier hat die vergleichung ndt dem nhd., welcher der Verfasser zweifelsohne diesen irtum verdankt, unheilsam gewirkt. Im §23, „unterbleiben des umlauts von «?*", hätte eine trennung zwischen altem cm = mhd. ou, und dem erst aus il neuentstandenen gemacht werden sollen, da dies für die spräche Luthers nicht ohne belang ist; namentlich eine genaue und umfassende beobachtung der umlautung von au = altem ü könte aufschlüsse über den umlaut der dunklen vokale bei Luther und im md. überhaupt geben. Das geschieht aber bei Franke nicht. Bei der erörterung des umlauts von o und u haftet der Verfasser völlig an der äusseren darstellung desselben durch die schritt. Zwar war er schon im § 18 am schluss seiner algemeinen betrachtungen über den umlaut für die spräche Luthers in der bibel von 1545 zu dem resultat gekommen, dass, da hier die umlautsbezeichnung von o und u auch in fäUen stehe, wo ihn die jetzige Schriftsprache nicht habe, „im grossen und ganzen der umlaut von o und u in ihr fast in demselben masse vorhanden" sei als jezt. Aber diese folgerung beruht auf einer plötzlichen identificierung von umlautsbezeichnung und dem Vorhanden- sein desselben. Diese beiden punkte müssen aber in drucken jener zeit streng getrent gehalten werden; das erfordert das grosse schwanken der umlautsbezeichnung sowol bei den verschiedenen druckem als in den drucken einer und derselben officin. Die notwendigkeit einer trennung der druckerfirmen bei der besprechung dieser frage sieht auch der Verfasser ein und nimt deshalb eine dahin zielende sonderung im § 25 verschiedentlich vor; man vgl. dazu meine oben s. 69 und früher im Anz. f. d. a. a. a. o. gegebenen belege. Gerade diese Schwankungen in der bezeichnung zwingen uns, für das Vorhandensein resp. die ausdehnung des umlauts noch andere quellen in ansprach zu nehmen. Eine eingehende Untersuchung der rad. reimdenk- mäler muss hier den boden bilden, auf welchem weiter zu arbeiten wäre. Dem von mir im Anz. f. d. a. XV, s. 335 angeführten Wortspiel zwischen bdtel und bottel will ich hier ein anderes zufügen aus Luthers schritt „Wider den Bifchoff zu Magdeburg Albrecht Cardinal. D. Mar. Luth. 1539". Wittemberg, Hans Lufft, bl. Cj'': Oleich

f'BER FRANKE, r.RAMM. DER SCIIRTFTSPRArHE LUTHERS 77

irir der lirllifcli<- ... Card/ital nicht (/n/n/ Indtc j d(it< er SrJn')>//:'.r)/ rrnnrrdrt j S())i- ilcrn niufte cmcli alle feine giilcr nentcn / urie jm die Se//e])])cn rnd Vniuerfi- Icten haben gefprücken j als er fich rli/iinet j Aber es fei/ Seheji])s oder Bock . . . I da fragt der Jiöheft Riclitcr nirhts nach . . . Das erste wort ist inhd. seheffe scJ/epfe. alul. seeffin seaffin, das andcn'c inlul. sehöps sehopz, aus dem slav. oiitlehiit, czecli. skopce. Audi die schrcilnmg Scliepps mit e statt o weist schon auf unilaut hin. Wenn scliliesslich Frauke im ij 25, (! beiiauptot, dass seihst noeh in d(,'r liibel von lölö, in welcher die lungelauteteu formen „ganz htMicutend" überwiegtMi, dei" ,,unilauf von o und n „regolmässig'' unterbleibe, sobald im anlaut r i'ür v^, resp. die majuskeln statt der minuskeln stünden, so ist dies wider nur eine vei'wechselung zwischen dem unterbleiben der umlautslxizeichuuni;- und dem Vorhandensein; in den Iczterwähnten fällen liegen sicher nur typographische eigenhoitcn voi'.

Nuunu'hr geht Franko auf die behandlung der einzelnen vokale über. Im t> 27 werden beispiele gebracht, in denen Jjuther md. kurzes / für mlid. kui'- zes c in stamsilben hat; aber iiirf'Jnifft ist jnhd. In'rsclnift mit r, und für liir- fchcn schwankt das mhd. zwisclieii iicrscn und hi'rscn, ahd. hcrisön. Eine sub- sumierung dieser Wörter unter die Überschrift dieses paragraphen war dabei' nicht gerechtfertigt. Zu § 30, 4 sei bemerkt, dass neben leinen nicht nur linnad mit / vorkoint, sondern aucli Igneii. linci/ Ap. gesch. 10, 11, Luc. 24. 12 in der septomberbibel. Franke will das / in linn-ad durcli niögliclu'rweise . . . infolge der konsouantenliäufung " eingetretene „Verkürzung" erklären, „wie ja auch das jetzige schriftdeutsche linnen =- mhd. linin hat"; Kluge im KWI). sucht viel- mehr zur erklärung des nlid. linnen niederdeutschen einfluss herbeizuziehen. s^ 32 behandelt „mhd. langes [sie!] ie für nhd. //"; als belege dienen die beiden verba nhd. lügen, trügen, mhd. liegen, triegcn, mit den dazu gehörigen stamverwanten. Hier liegt aber kein spontaner lautwandel vor, sondern lügen ist eine neubilduug von lag, lüge, nach gewöhnlicher annähme uutei- einwirkung einer beabsichtigten ditle- renzieruDg von liegen (jacere), vgl. Heyne in (jrimin DWb. VI, sp. 1273, Weigand I)Wb. P, s. 1111, und trügen ist dementsprechend gebildet. Im §39 bespricht Franke md. e bei Luther für mlid. und nhd. ei, führt dabei aber auch xivenxdg = mhd. x/veinxec, nhd. xicanxig als beleg auf; übrigens ist auch xn-enx-ic mhd. Im § 40 behauptet Frauke die Identität der ausspräche von e, = altem (■', und e, dem Umlaut von a, für Luthers spräche. Sein einziges beweismittel ist der tatbestand in der jetzigen Schriftsprache. Da aber in mhd. zeit ein solcher imterschied imbesti'it- ten vorhanden war, so kann natüiiich dieser alleinige hinweis auf das nhd. nicht genügen. Die angäbe im §41, dass adder (= oder) in der septemberbibel „nui- noch 4 mal" vorkomme, hat Frauke jedenfals aus Dietz Wb. zu Luthers deutschen Schriften I, s. Vll. Es mag erwähnt werden, dass es in Wirklichkeit sieh dort noch fünf mal findet, ausser an den angegebenen stellen nämlich noch Ap. gesch. 3, 12. Im § 43 wird das schwanken zwischen mhd. d und nhd. e bei Luther erörtert, und dabei auch die imperative gang und ftand als beh'ge aufgeführt. Diese formen haben aber niemals <l gehabt und geliören deshalb nicht in diesen paragra- phen. — Als einziges beispiel für mhd. o bei Luther = nhd. u wird im § 46 das wort nntulicorff = mhd. moUmorf angeführt. Aber es gibt im mhd. auch die form molttverf molttverfe, deren vokal etymologisch wol der ursprüngliche ist, neben anderen formen wie nci'dicerf u. a. , die ebenfals c haben; ahd. finden sich ■>noltiverf und mnlt/nrrf. Das beispiel ist also höchst unglücklich gewählt. Zu Frankes ansieht von dem „mutmasslich" erhaltenen o für nhd. ö in Wörtern wie wol

78 LUTHER

iconen geftolen verweise ich auf das oben bei besprechung der dehnung im algemei- nen gesagte. § 51: ö bei Lutlier, mhd. uo, nlid. ü entsprechend findet sicli auch in dem werte wermot Off. 8, 11 in der September- und der decemberbibel; von da ab steht icermut. § 52, 2 sagt Franke, dass u in fun (filiusj sich bis 1520 finde; ein beleg, allerdings ganz vereinzelt, ist aus dem jähre 1522 in der septemberbibel Ap. gesch. 9, 20. Im §53 wird nhd. taugen auf mhd. tugen tilgen zm'ückgeführt, und hieraus durch dehnung des u zyy ü und darauf folgende diphthongierung des lezteren erklärt. Das wäre ein für die chi'onologie dieser spraclilichen erscheinungen recht interessanter fall. Leider stamt der diphthong aber aus dem schon mhd. vor- handenen schwachen verbum tougen tongete touhte, vgl. Weinhold Mhd. gr. "^ §420, wie auch von tugen präs. ind. sing. 1. 3. touc lautete. Warum solte auch die diph- thongierung nur das verbum und nicht auch das subst. mhd. tugcnt, nhd. tilgend betroffen haben? Vorsichtiger drückt sich der Verfasser später im § 234 aus, wo er sagt „für unser taugen steht [bei Luther] noch das praeterito - praesens tilgen.'^ Im § 59 nimt Franke für das sehr seltene uff bei Luther = mhd. üf, nhd. auf Franke belegt vffm und tiff'erftentniß langes u in ansprach, während er im § 54 für das bei Luther sich findende fufftxen luff't'X,en, neben dem schon seit frühester zeit nebenformeu mit eu, einhergehen z. b. feufftxen Ap. gesch. 7, 34, erfeufftx,et Marc. 8, 12 in der septemberbibel , mhd. siufoen sniften, ahd. süfton süftjön, kurzes u resp. ü ansezt. Die geringe betonung der präposition lässt aber eine kür- zung, wenn wir solche überhaupt annehmen woUen, für dieses wort mindestens ebenso wahrscheinlich sein wie für das genante verbum. Bei der besprechung des diphthougs ei und seines Vorkommens bei Luther, Franke § 63 65, fehlt ganz die erwähnuug jenes ai ei, welches aus altem, noch mhd. vorhandenem -age- -ege- her- vorgegangen ist, und das sich bei Luther schon allein in der septemberbibel in magd Luc. 1, 38, meydlin Math. 9, 24, Marc. 5, 41. 6, 28, meydlyn Marc. 6, 28, meydle Math. 14, 11, megde (plur.) Luc. 12, 45 neben magd Marc. 14, 69, Luc. 1, 48, megde (plur.) Marc. 14, 66, Ap. gesch. 2, 18, mhd. maget, ahd. magad, sowie in getreyde Ap. gesch. 7, 12, mhd. getregede, ahd. gitragidi findet; für getreyde s. wei- tere belege bei Dietz Wb. zu Luthers deutschen schritten II, s. 109. Über dieses ei spricht sich schon Fabian Frangk in seiner „Orthographia . . ." Wittemberg 1531, bl. Dj'^ aus: Der Meichffner nimpt auch das oy. der Schießer aber das ay / für ag odder age / Als / wenn der Meichffner fpricht / die mögt foyt / der woyn zSyl nnnd noyl le j Sagt der Schlefier / die mayt fayt / der tvayn xayl vnd nayl :c / für j Die magt fagt / der wagen fMgel vnd nagel :e. Neuerdings hat Hermann Fischer Zur geschichte des mhd. (Einladungsschrift der imiversität Tübingen 1889) ausführlich hierüber gehandelt, dabei auch die geographische ausdehnung dieser erscheinung festzustellen gesucht; das lezte natürlich nicht, ohne sich von selten des Sprachatlasses oder derer, die ihm nahe stehen, den bekanten warnungsruf „abwar- ten" zugezogen zu haben. Diese warnungsrufe , besonders aus der DLZ., sind höchst ungerechtfertigt; im gegenteil müssen wir, so lange das material des Sprachatlasses dem wissenschaftUchen publikum unzugänglich ist, für jede dialektgeographische arbeit dankbar sein, auch wenn sie zu anderen ergebnissen gelangt, als sie dermaleinst der Sprachatlas erzielen wird.

' Mit den diphthongen schliesst die besprechung der vokale und der Verfasser

geht im § 67 zu den kousonanten über. Ich werde mich im folgenden etwas kürzer zu fassen suchen.

ÜBER FRANKK, r.RAMM. DER SCHRIKTSI'KACIIE LUTHERS 79

Fraiiki' lielniiidclt in dorn kaiiili'l ülicr die kousonantoii /.usaniinciiliilngend nur „das iiihd. auslautsgesetz", d. li. die üLerrcsto des alten regelmässigen wechseis zwi- schen aus- und inlauten<lein l<uns()nant(,'n, soweit sie die scliriltliche widergahe von Luthers spräche noch erhalten iiat, der im iniid. auch in di'r sclirii't encrgiseli her- vorgeliuben wurde, während er sieh im idul., soweit er hier überiiauiit noch vorhau- deu, in dv.v sehrift gänzlich verloren hat. Andere algemeincrc zusammcnfassungeu, wit^ etwa hetrachtungcn über die reste grammatischen weclisels btji Liithei', macht Fraidie inclit. Im übrigen b(!S})riclit er in althergebrachter klassificierung die lijipen -, Zungen- und gaumeid<nnsonanten; / und /• rechnet er den zungenkousonanten zu. Unrichtig ist, wenn Frauke im J; (iS sagt, dass hi henhf (caput) und seineu Zusam- mensetzungen inlautendes /> „(jhue ausiiaiime^ stehe; allein aus der septemberbibel führe ieii dagegen an liaivptjiians Luc. 7, 2, hcicptnmu Aj). gesch. 21 , .'57, nitcr- InirphiKOi .Vp. gesch. 22, 2."). rhcritr/rjific/ftlei/ Ap. gesell. 2.5, 23, vb/rhe/cjit/inni .loli. 18, 12. cittluirj)t(i ]\Iath. II, 10. Zu dem schwanken zwischen .^clnrchcl und sc/urc/rl n. dgl., für das Franke keine erklärung gibt, ist zu crwilhnen, dass U. .läiücke l'ber die niederdeutschen demente in unserer Schriftsprache (progr. I), Wriezen 1869, s. IG in den formen mit /' niederdeutsche lautstufe erhalten glaubt, indem er allerdings aus Luthers spräche a. a. o. nur die .Schreibung schnebrl anführt; Paul Mhd. gr. - §81 sieht in dem nüid. schwanken zwischen /• und b auch in den dopjielformeu s/rerel i</(i'bel ülierbleibsel gramnuitischen wechseis. In §7Üb findet sich unter der für eine historische gramniatik höchst kuriosen Überschrift „fehlendes b wie mhd.'- angegebeu, dass sich bei Luther öfter r/cl = nhd. gelb fände. Es hätte vielmehr darauf hin- gewiesen werden müssen, dass gel, welches mhd. in den oblii]uen kasus ein dem / folgendes /c hatte, bei Lutlier überwiegend mit einfachem / vorkonit, zuweilen aber au stelle des /c ein // aufweist, vgl. die belege bei DietzWIj. 11, s, .59; dieses b drang auch iu die nonünativform. vgl. Dietz a. a. o. Derselbe fall liegt vor bei dem ad], färb, mhd. rar ranrea, bei Luther nur noch in Zusammensetzungen, vgl. Dietz a. a. o. I, s. 631, ferner s. v. „buntfarb~ Dietz I, s. 362, dazu rofynfarb rofynfarben Off. 17, 4. 3 iu der Septemberbibel, später rofiitfarbtn. §.71, 2, „die einschiebuug \(m b oder p zwischen m und (/ oder t usw.-, gehört bei exakter darstellung iu die lelire von der rechtschreibung. Denn b oder p in worten wie frembd bcrionbt bcräntpt itititpf bmipt ist nur die graphische bezeichnung desjenigen lautelemeutes, das auch heute noch au dieser stelle sich in der ausspräche findet. Nur die analogieschreibuug, die auch die sjtrachliche Verschiedenheit zwischen dem tonlosen auslauts- imd tönenden inlautskonsonauteu in der schritt ignoriert, hat iu den fällen genanter art das b oder p beseitigt. Durch die herscheude unglückselige vergleichung mit deni rdid. kom- men unter den lippenlauten Wörter, die unverschobenes p bewahren, wie napen u. dgl. neben /raffen, ferner l/'ppe f'foppeln, die sich bei Luther finden, gar nicht ziu' erwähnung; nur f'eJ/Hiippen wii'd im § 72, der „uuverschobeues pp für nhd. 2^f~ überschneben ist, hervorgehoben. Dass später bei der erörterung des Wortschatzes in der algemeiuen Übersicht §136 erwähut wird, dass lipjje ein nid. wort sei, wone- ben die obd. form lefxe bei Luther nicht vorkomme, macht jene Unterlassung in der lautlehre nicht ungeschehen. Ln § 78 behauptet Franke, dass Luther „stets'^ die form befein = nhd. bef'en habe , und belegt auch nui' auslautendes )n ; auslautendes u iu diesem worte führt aber Dietz I, s 275 schon aus dem jähre 1522 au. Zu § 101: selten die neben einander vorkommenden formen flöhe und flöge u. a., die Franke durch die „ausspräche des // als reibelauf", „für das verdichtete /* geschrieben'", erklärt, nicht besser als reste des grammatischen wechseis zu betrachten sein? Die-

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selbe erklärung gilt für § 111; indessen findet sich Ihier der Verfasser mit der tat- sache eines Schwankens zwischen „mhd. h und nhd. g^ in gewissen Wörtern, uhd. schlagen und ziehen, ab. In § 113, 1, „abfall des li im anlaut", muste ausser dem h im anlaut „unbetonter" silben auch dieses abfals im subst. er (dominus) gedacht werden; belege von 1520 ^1530 gibt Dietz I, s. 552. Über die geschicke dieses er in der rechtssprache hat neuerdings A. Stölzel Fünfzehn vortrage aus der branden- burgisch-preussischen rechts- und Staatsgeschichte, (Berlin 1889) s. 3 fg. gehandelt. ^ § 114 bringt als belege für den „antritt von h im anlaut" die formen her (ille) und hunden; das anlautende h dieser W'örter ist aber für beide ganz verschiedenen ui'sprungs. Wurde hunden erwähnt, so musten auch formen wie hcmssen neben aussen, auch hynnen neben ymien jilatz finden.

Die abschitte „wertschätz" und „Wortbildung" waren im algemeineu schon oben s. 71 fg. kurz besprochen. Ich will mich mit einzelheiten hier nicht mehr auf- halten; ausserdem geben diese abschnitte im einzelnen weniger grund zu aussetzuu- gen wie diejenigen über das lautsystcm. Namentlich bietet Franke vielfach gute und ausführliche worttabellen , die füi' manche selten der Sprachgeschichte von Wichtigkeit sind. Im § 147, 7 rechnet Franke zu zusammengesezten hauptwörtern auch das wort ferge (= fährmann). Falsch ausgedrückt ist es jedenfals, wenn der Verfasser im § 148, 3 unter den adjektiven, welche die eudung -en für mhd. -tn haben, wie hultxen elffcnbeincn u. dgl. , schliesslich harin als „noch mit der mhd. endung w" behaftet aufführt. Das könte den schein erwecken, als hielte der Verfasser dieses i in harin noch für lang, wie es im mhd. war; aber es ist bei Luther genau so kurz wie etwa das i in ofßfibar neben offenbar, welches sich häufig genug findet, und das auch Franke im § 28 erwähnt. Die elision der nach- tonigen e in den mit -e/-, -ew-, -er- abgeleiteten verben behandelt der Verfas- ser im § 161, 2. Es ist bekant, dass in diesen verben bald das flexions-, bald das ableitungs-e synkopiert wird. Im lezten falle meint der Verfasser, es fehle bei den mit -en abgeleiteten verben sowol im Infinitiv als auch bei den andern formen auf -en diese endung „dann gänzlich". Es geht aus dieser äusserung nicht mit Sicherheit hervor, wie sich der Verfasser den betreffenden Vorgang denkt; aber es hat nach andern gleich zu erwähnenden behauptungen des Verfassers in der tat den anschein, als glaube er hier an den abfall der endung -en. Betrachten wir dieses scheinbare fehlen der endung im zusammenhange mit anderen gleichartigen erscheinungen , soweit der Verfasser dieselben im laufe seiner darstellung noch erwähnt, so stelt sich in der hauptsache dabei folgendes heraus: Die endung -en schwindet scheinbar 1) wenn sie, wie in dem vorliegenden falle, an die mit -en abgeleiteten verbälstämme tritt 161, 2), 2) im dativ pluralis der feminina auf -in 189), 3) wenn sie sowol in der schwachen als in der starken deklination an substantiva oder adjektiva tritt, die schon auf -en ausgehen 202, 5). Ferner: die endung -es fält scheinbar fort 1) im gen. sing, von Substantiven, die auf-s auslauten 176,1, § 181, 2); „regelmässig" tritt dieses ein „bei den sächlichen hauptwörtern auf -nis"- 181, 1). Hierzu gehört 2) die erscheinung, dass die pronorainalform es häufig in nebensätzen mit dass oder als fehlt, „ohne dass es sich aus dem hauptsatze ergänzen Hesse" 265, 4 b). "Weiter: „im gen. sing, und dat. sing. fem. und im gen. plur. aller drei geschlechter hat Luther nacli mhd. regel bei den besitzanzeigenden fürwörtern unser und euer die endung -er gewöhnlich und zuweilen auch bei ander sowie bei kompa- rativen nicht" 202, 7). Und schliesslich fält die verbalenduug -et bei verben, deren stamm auf t oder d endet, scheinbar „oft ganz" fort (§225 g). Diese erschei-

ÜBRR IRANKE, riljA:\i;\t. DEIt SrilinFTSl'KAfllK I.TTTIIF.RS 81

iiuiij;vii lii-nont der vi'rtassor v(M-schi(Mli'iitli(!li an di'ii angegeboiiou stellen als „alii'all'' (idor .,\vef;rall- der lietrcfrciidon endmi^eii, i'osp. ^weglassung-'' jeniM- prdMoniinaltbnn. Davon kann alior natürlich keine ivde s(Mn. Vielmehr liegt hier einfaeh eine synkepe des oiiduiigsvokals und daranf t'olgenth! lautliche vereiniachung des endkonsonantiHi \or. Auf diese weise wird aus dei- vollen form brf/rrjpurn zunächst hrf/rf/rnt? und dann hn/ct/cii nelien dei' tonn />r(/rf/>irii mit syidcoiiiei'tem ahleifuiigsvokal; oder aus xcicliemn zunächst \rirli('iui und daini \ri('ltn/ , wie es sich etwa in dem sulistantivnm xeirhenunferrifht nc.dieii •.riclnicumiirn-irlit , oder wie sich solch nebeneinaiuhu-stelien auch in dem werte rcclicuhrfl nel)en reclmcnlieft noch heute fliulet und schon mancliem schulkinde Schwierigkeit in der entscheidung bereitet hat. Pas scheinbare fehlen der lironominalform rs nacli (htsx und ah betont schon Wimderlich ITntersu(-hungen ülier tlen sat/cliau Lutliers 1 (Miinehi^n i8S7) s. 31; über den scheinbaren ausfall dei' prono- niinalforni er nach snixlmi. \nid oilrr vgl. ebd. s. 17 ;';- und dazu sowie iilier die ultMelie erseheiiumg hei dem artikel den nach den präpositiouen mt und in die bemer- kungen im .\nz. f. d. a. XIV (1888), s. 25G fg. und s. 258. Wie kernt v/r/w« (= hin und hei' liewegcn) dazu, unter die „mit pi'äfixen versehenen und zusammeugesezten tiirigkeitswörter" des § 1(!4 gerechnet zu werden? vgl. die bomerkung zu § 147. § r7o. Die ausdrücke „der al)fall des auslautenden r'.s [sie!]", „diese al>werfung des r'x |!J" ki'mnen unmöglich als schön gelten; ebensowenig im §231, 2 „der wegfall des auslautenden es [!]", § 178 „als rest des alten n's [!]". Dass der gen. sing, des pronomens dn gewi'ihnlich d'^iii und nur r'inmal deiner 5. Mos. 13, 17 laute, hat schon Grimm DWb. II, s. 148.'. und nach ihm Dietz I, s. 4G0 behauptet. "Wir haben aber dieselbe form auch in deij/ier lialhcn Aj). gesch. 28, 21 in den Lottherschen drucken des neuen testameuts von 1522 (sei)t. u. dec), 1524 und 1520, während Hans Lufft (1530, 1544 45) de hui halben dafür oiusezt. Im § 225 hätte Franke bei bespre- eluuig der syukopieruug des „r in den alten praeseusendungeu -est und -et"- die fälle der zweiten persou, in denen sich das prouomen du (IteyftM hetriihftn) an die enduug lehnt, von denen scheiden müssen, in deneu das nicht geschieht, denn der antritt dieser pronomiualform und die dadurch eintretende Verlängerung des wortes üben auf den tonwert der verbalen endung bestimmenden einfluss. Im § 227, II, 3 stelt Frauke die imperativformen des singular ftand und ftehe neben anderen formen wie halt lullte als beispiele für em schwanken zwischen erst, dem mhd. entsprechend, endungs- loser, später alter mit endung versehener impei-ativform. Soll das verbum stehen hier überhaupt belege abgeljen, so köute es sich doch nur um einen gegensatz zwi- schen steh und stehe, nicht alier zwischen den zwei genanten, verschiedenen verbal- stilmmen angehörigen fonncn handeln. Ebenso war schon im § 227, II, 1 gany nicht als beleg anzuführen. Am schluss des §243 wird „das unregelmässige [!] verb sein^ besprochen. Dem })articipium praesentis ist in der darstellung der „koujugationsendungen" § 223 fgg. eine besondere behandlucg uicht zu teil geworden; es beschränkt sich auf ein bescheidenes erwähntwerden im ])aradigma § 235. Und doch bietet auch das part. praes. ein specielles Interesse durch die lautliche Umge- staltung seiner endung in -en. Ich gebe hierfür folgende belege, zunächst aus der Septemberbibel; der lateinische text entstamt der ausgäbe des Erasmus Basileae 1519. Nach „werden'': Mofes edier irart xittern vnd thnrfte nieht anfehaiven (t ren/efa etits auteni Mofes, non aiidebat attendere) Ap. gesch. 7, 32; (er) n-art zittern (tremef actus) Ap. gesch. 16, 29; nach „sein": ich bijn furchticj vnd zittern (expauefaetus fmii , ar tremehundiis) Ebr. 12, 21; nach „kommen": dn aller das trcyb fahe / das nitt rerparejen /rar I kam fie gittern rnd fiel für yhn

ZErrSCHRIFT F. DEUTSCHE PIIILOI-OGIE. BD. XXIV. ^

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(videns aittoii vinlier, quod non latuiffet, tremens uenit ac procidif. mite jJedes) Luc. 8, 47; deyn konig Icompt reytten auff eyncm c felis füllen (rex tuns uenit fedens fuper ptillnm afincp) Job. 12, 15. Vielleicht gehören hierher auch beispiele wie: wie yhr ylin gefeiten habt gen hymel faren {quem ad inodum- uidißis cum euntem in coelum) Ap. gesch. 1, 11 neben imd als fie yhm nach fnJien yn den hymel farend (cimique effent defixis in coehmi ocidis, ettnte illo) Ap. gesch. 1, 10; vnnd fnnden heydc Marian vnnd Jofeph vnd das kind ynn der krippen ligen (et inuenenint Mariam et JosepJi, et infantem pofituon in pr(pfepi) Luc. 2, IG neben vnnd fand ... die toehter auf dem bette ligend (repcrit ... filiam iacentem fuper Iccttim) Marc. 7, 30 und dazu yhr tverdet finden das kind ynn windet ge- tciek eilt / ffid ynn cyner kripjjen ligen (inuenietis infantem fafeijs inuolntum, pofitiim in 2^r(ef(ipi) Luc. 2, 12; f7id, fand fie fchlaffen (reperit eos dormien- tes) Luc. 22, 45 neben vnd fand fie fchlaffend (reperit cos dormientes) Math. 26, 40; fiinden fie yhn ym tempel fitxen (inuenerunt illum in teniplo fedentem) Luc. 2, 46 neben vnnd fimden den menfchen ... fit%end %u den ftiffen Jhefu (et inuenerunt hominem fedentem ... ad pedes Jefu) Luc. 8, 35. Zu diesen belegen nach der septemberbibel verhalten sich die ausgaben von Melchior und Michel Lotther 1524, Michel Lotther 1526 und Hans Luift 1536 folgendermassen : zittern Ap. gesch. 7, 32. 16, 29 bleibt in allen drei ausgaben, für Ehr. 12, 21 bleibt es 1524 und 1526, während Hans Lufft 1536 dafür gibt ich bin erfchrocken vnd gittere, für Luc. 8, 47 bleibt zittern nur noch 1524, während 1526 und 1536 die stelle lautet ka?n fie mit zittern; reytten Job. 12, 15 bleibt noch 1524, dann heisst es rei- tende; faren Ap. gesch. 1, 11 bleibt in den drei ausgaben, für Ap. gesch. 1, 10 bleibt faren 1524 und 1536, während 1526 farend sich findet; ligen Luc. 2, 12. 16 neben ligend Marc. 7, 30, fchlaffen Luc. 22, 45 neben fchlaffend Math. 26, 40 und fitzen Luc. 2, 46 neben fitzend Luc. 8, 35 bleiben in dieser Verschiedenheit in allen drei ausgaben. Diese assimilation, die, lautlich niederdeutschen urspriuigs, aiich in Mitteldeutschland verbreitet war, machte das participium in der form dem Infinitiv gleich. Beispiele dafür hat F. Bech im programm von Zeitz 1882 zusammen- gestelt. Man vgl. hierzu übrigens noch Behaghel Die deutsche spräche (= Das wis- sen der gegenwart, bd. 54) Leipzig und Prag 1886, s. 208 fg. Diese erscheinung hätte eine erwähnung gerade in der wortbiegungslehre sicher verdient, auch wenn mau, wie Frauke es später in der syntax im § 324 tut, zwar jene formen auf -end als participien bestehen lässt, diejenigen auf -en aber als Infinitive innerhalb der kon- struktion des accusativus cum infinitivo betrachtet. Ob aber gerade das oben gezeigte schwanken mcht mehr gegen die annähme des Infinitivs spricht als dafüi'?

Die mängel in der darstellung der syntax sind ebenfals schon oben (s. 72") kurz hervorgehoben. Nur weniges sei hier noch erwähnt. Es ist nicht in der Ord- nung, wenn der Verfasser für die syntaktischen erscheinungen in der spräche Luthers den bei weitein grössteu teil seiner citate der bibel hauptsächlich dem neuen testamcnt , also der übersetzungslitteratur entuimt, wenn er auch im § 255 her- vorhebt, dass Luther „selbst in seinen Übersetzungen . . . sich . . . von dem direkten einflusse fremder sprachen fast ganz freigehalten" habe, „so dass es schwer hält, ihm volständig undeutsche konstruktionen nachzuweisen". Einflüsse fremder spra- chen sind nun einmal in der sjmtax Luthers vorhanden: solche des lateinischen führt Wunderlich Untersuchungen über den satzbau Luthers I, s. 57. 66. 69 an; dazu vgl. man Rückert Gesch. der nhd. Schriftsprache II, s. 122 fgg. Franke selbst gesteht für den periodenbau (§255) diesen einfluss unumwunden zu, für den gebrauch der par-

i'BKR FRAXKK, ORAMM. DER SniUIFTSITxArm-. I.ITTI[F,I!S 83

ticipieii § .')2r), 4, des acc. c. int'. § '.Vli. beim zouuiua § :!;?."), für „t'iui^e külmc ellipseu" § BöO, ;">. xVucli riatzliolV, Lutliers erste iisalincnüliorsctzung spraclnvis- sonscliaftlicli uiitorsucbt (diss. Halle 1887), s. 36 spriclit sii-li trotz eiiorjiischster bctoimug von Luthers Übersetzungskunst für die satzbilduiig in dm }isalinon vor- siehtig dahin aus, „dass jAitlier auch l)ci diesoi- sich liiugst nicht immer durch den I hebräischen] gruudtext binden liisst". Es wäre zweifellos bosser gewesen, die belege für die syntax aus Luthi'rs eigenen, urspi'ünglich in deutscher spraclu- abge- fassten sidirifton zu wäidiMi, um von hier aus durch oine verglei(;liung mit den syn- taktisclicn erscheiiumgen in seinen Übersetzungen zu zoigon. wie weit oder wie wenig beide darin auseiunndergehcn. Audi kann der umstand, dass „die verschiedenen ausgaben dt>s alten und neuen testamonts'^ in bezug auf den satzhau „^venig variieren'-, unmüglii-h a primi als alleiniger mid strikter beweis dafür gelten, dass Lutiier „während seiner ganzi-n schriftstellerisehen tätigkeit nur wenige Veränderungen" im satzbau vorgenommen habe (Franke §250). Im § i.lG, 10 liie- tet Franke einige belege zur cntwickelung des jiei'iodenbaues in der spräche lAitliers. Er üliernimt dabei, allerdings ohne quellenangabe, jenen irtum über Jac. .">, 4 aus A.Lehmann Luthers spräche in seiner Übersetzung des neuen testaments (Halle 1873) s. 141 , den auch der sonst in seineu belegen durchaus selbständige A^''uuderlieh a. a. o. s. 04, aber mit i[uellenangal)C aufnahm, und über den ich im Anz. f. d. a. XIY, s. 259 fg. mich ausführlicher ausgelassen habe. Solto Lehmanns buch, welches nui' die syntax' der spräche des neuen testaments behandelt, dem Verfasser vielleicht als vorliild gedient haben, auch seinerseits, wie schon erwähnt, eine unverhältnismässig liohe anzahl von belegen für die syntax dem neuen testament zu entnfdimen? Im § 313 .,der reflexivi' gidivaucli der dative ihn/ ilir iltnoi^ behauptet Franke zu anfang, .,im mitti'lhochdeutschen wurde von dem i'eflexiv seiner, sich noch kein dativ auf [!] sich gebiblet" und wenige Zeilen später „Lutlier . . . gebraucht . . ., wie teilweise auch schon in der mittelhocli deutschen pcriode geschah, sicJi l)esouders bei Verhältniswörtern als dativ'". "Wo hat Frauke mit seiner meinuug vom mhd. nun recht, zu anfang dieses absatzes oder zu ende? Übrigens komt die form sicli für den dativ schon bei Notker vor, vgl. Weiuliold Mhd. gr. - §475; IL Han- sel i'ber den gebrauch der pronomina reflexiva bei Notker (diss. Halle 187G), s. 5. l'l)er die von Franke im § 324, 3 gegebenen belege für den accusativus cum inflni- tivo nach finden vgl. das von mir oben ül>er die eudung -oi des part. pracs. gesagti?. Franke fasst tintz der daneben vorhandenen zweifellosen partieipialformeu auf -cnd doch die formen auf -cn als iniiuitive auf.

Der Verfasser hat das muss nocinnals ausdriii/klich liervorgehoben werden grossen fleiss auf die ausarbeitung seiner schrift vei'want; die auswahl des quellen- materials ist sorgfältig, die lienutzung desselben umfassend gewesen. I^eider ent- spricht der erfolg rncht der aufgewanten mühe; auf den anfänger kann das buch viel- fach nur verwirrend wirken. In der beschreibung der benuzten drucke hätte mehr bibliographische geuauigkeit bewiesen werden können, namentlich vermisst mau die angäbe der drucker. Die litteratur über Luthers spräche ist im ganzen volstäudig; es fehlen H. Wunderlich Untersuchungen über den satzbau Luthers I. teil: die ]U'oncniina (München 1887), sowie zwei Hallenser dissertationen dessellien Jahres: IL Platzhoff Luthers erste jisalmenübersetzung sprachwissenschaftlicli untersucht und J. Luther Die spräche Luthers in der septemberliibel [I]. In dem auf- satze: Bestrel)ungen anf dem gebiete der Luthergrammatik im 19. Jahrhundert, in dieser Zeitschrift XX (1888), s. 37 49 suchte ich die diesbezüglichen bis dahin

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erschieneuen Schriften zu charakterisieren. F. Kluge Von Luther bis Lessing (Strass- hurg 1888) war bei der herausgäbe von Frankes schrift noch nicht erschienen. Ganz neuerdings haben sich F. Kauffmanu Oeschiclite der schwäbischen mundart (Strass- burg 1890) luid K. v. Bah der GrundLagen des nhd. lautsystems (Strassburg 1890) über verschiedene hierhergehörige probleme ausgesprochen. Einen iudex hat Franke seinem buche nicht beigegeben.

BERLIN IM SIÄRZ 1890. JOHANNES LUTHER.

The finding of WineLand the good. The history of the Icelandic diseo- very of America, edited and translated from the earliest records by Artliui' Middleton Rceves. With i)hototype plates of the vellum mss. of the sagas. London, Henry Frowde. 1890. VIII, 205 s. 4». 40 sh.

Die isländischen quellen, die von der zu acifang des 11. Jahrhunderts erfolgten entdeckung des amerikanischen continents durch nach Grönland ausgewanderte Islän- der berichten, sind, seit sie 1837 und 1838 in den Autiquitates Americauae und Grctmlands historiske mindesmserker seht unkritisch ediert worden waren, noch nicht wider gedruckt worden, und es war daher ein verdienstliches unternehmen von mr. Eeeves, eine neue ausgäbe zu veranstalten. Diese bringt ebenso wie die beiden erwähnten älteren werke sowol den doppelt (in der Hauksbok und in AM. 557, 4") überlieferten I^orfiuns Jjattr karlsefnis* wie die zwei nur in der Flateyjarbok erhaltenen erzählungen: Eiriks J)attr rauda und Groeulendinga {)attr (gewöhn- lich zusammeugefasst miter dem titel Eiriks saga rauda). Der in den genanten drei handschriften bewahrte text der beiden sagas ist von Eeeves auf 55 phototypier- ten tafeln, deren ausführung das höchste lob verdient, volständig widergegeben wor- den; gegenüber steht ein 'zeileugetreucr abdruck, der jedoch leider was doch sonst in facsimile - ausgaben nicht üblich in normalisierte Orthographie gekleidet ist. Wir hätten lieber gesehen, wenn der herausgeber seinen tafeln einen kritisch berichtigten text (diesen natürlich normalisiert) angehängt hätte: dass er dies unter- lassen, ist um so weniger begreiflich, als er in der von ihm beigefügten englischen Übersetzung eine art von textkritik zu üben versucht hat, indem er beim I*oifnins |)ättr die beiden handschriften benuzte und in der Eireks saga rauda eine lücke aus der jüngeren Olafs saga Tryggvasouar ergänzte. Er hat jedoch in der auswahl der Varianten aus Hauksbok und AM. 557, 4" (ich bezeichne diese beiden handschriften im folgenden mit A und B) das richtige nicht immer getroffen und zu seinem scha- den auch die hilfe verschmäht, die hier und da aus anderen denkmälern, uameutlicli aus der Landnämabok, zu gewinnen war, eine hilfe, die um so wilkommener ist, als aus den beiden membi'anen des I^jrfinns {)attr ein befriedigender text sich nicht überall herstellen lässt. Beide nämlich stammen allerdings nicht in allen paitien von einer und derselben handschrift ab, aus der sich gemeinschaftliche fehler in beide vererbt haben". A 93 ^ .30 fg. = ß 27^, 28 fg. steht in beiden handschriften fol-

1) Warum ilor lierausgobor dio beiden liss. einer und derselben saga durch vorschiodeiio titel unterscheidet (er nont den text der Hauksbok I'orfinns Jättr karlsefnis, den des AM. 557, 4" dagegen Eiriks saga rauöa) verstehe ich nicht. Es empfiehlt sich, um nicht unliebsame misverständ- nisso zu veranlassen , bei der alten , wenn auch nicht recht passenden bezoichnung zu bleiben , also für den in der Hauksbok und in AM. 557, 4" erhaltenen bericht nach wie vor den namen I'orlinns Jattr zu verwenden, für dio ,,Vinlandssaga" der Flateyjarbok dagegen den namen Eiriks saga rauöa.

2) Damit ist denn natürlich auch über Finn Magnusens törichten vorsuch, die verschiedonlieiten von A und H dadurch zu erklären, dass beide unabhängig von einander alte lieder in j^rosa aufgelöst

ÜBER KEEVES, ■\VINKI.ANn 85

gendcs: ])rir EiriLr iirdii sckir </' Ihirsi/csliii/i/i. Ifaini /ijVi s/,/)/ (.s///adii. I!) i Eir- ih'srdiji, in Kijj<'lfr Icijnd! Iionuiii i Diiinditirniiii . iitcihiii J)cir pan/ts/j- /c/'f/id// haus /an cijjdriKir. Ifdi/ii sin/di pciii/, n/ Ihuui alhidi ut Icilu /mids ficss er Guimbjnni, San Ulfs Irdlm, sd usw. Diese .stelle, die licoves s. 30 nach dein texte von A 1> wilrtlieh übersezt, ist natürlich vecdi'riit, denn pc/'in lässt sich auf ni(;hts anderes beziehen als auf /r/r pmu/rsfr. die feimli.' Kiriks, wähivnil es klar ist, dass dieser die rede nur an seine freunde und bi'sehützer hat rieliten können. Schlai^'on wir nun die Landn;inia auf, die für den aiifaiiij,' des I'orünns |i;Lttr zweifellos die i|uelle gewesen ist, so linden wir doli im M. kapitcl des 2. l)uclii's (Islend. sögur 1'-', iOI) einen volkomiuen tadeUoseii text: /hir Kiriln' //rd/i sc/:/r d piJrsitcspiiifji. Ihiiu/ hji'i sl;iji I E/'r/l.'snii/i . Eiijolfr liijndi hninmi i Vninnmynhji . iiirdau Jnir J'oi- ijcslr Icihidii I/iiiis inii i'jijar. pc/'r }>ii rl)iiir ii. nie Eiijnifr <il: Sljirr fuhjdit EiriLi dt II III ct/jar: Ikiiih smjdi Jxliii usw. Die' gespeil gedruckten wurte wai'en in der gemeinsamen (juelle von A und 1!, die mit ;' bezeichnet werden mag, zwar lacht verloren wir lesen sie in A Ul", 1. 2, in ]> 27'', .33 fg. aber sii' stan- den sclion dort an einem fals(dien ulatze, was nur dadurch sich erklärt, dass der schreilier einer noch ältei'eii handsclirift (,;) beim copicreu seiner vorläge («) von ilem ersten cnjtir auf das zweite abgeirt war und iiifolg(^ dessen die dazwischen stehenden Worte ausliess. die er aber, sobald er seines fehlei-s iune wurde, am rande nai^htrug; von hier hat sie dann ein jüngerer eopist (;' oder der Schreiber eines zwischen / und j-; liegenden Zwischengliedes) in df.'U text zurückvcrsczt, wenn auch an eine unrichtige stelle. Zieht man den ]iarallelbericht der Eirikssaga (Fiat. 222'') und der jüngeren (Jlafs saga (Fnis. II, 214) hinzu, der ebeufals auf der Laiidminia basiert, den text derselben aber wesentlich verkürzt hat, so wird die richtigkeit unserer annähme bestätigt, denn auch hier heisst es: er ha im (Elrikr) rar luiiiiii, fnl'j(li(' [leir Sti/rr honniii dt um cijjar; Eirilr sagäi Jirim, at liauii a-lladl at hita lands usw. Die vergleichung einiger wenigen zeilcn von A, B und Landuäma ergibt also schon ein für die tcxtgeschichte des I'orfinns |);ittr incht unwichtiges resultat, das ich für aufmerksame leser nicht näher zu formulieren brauche.

Eine zweite stelle, an der die Vernachlässigung der quelleuschriften si(di gerächt hat, steht ebeufals im 2. kapitel des IVrlinns {.ättr (A 93'', IG fg. = B 27'', 13 fg.). A liest: Elrikr fehl: pd J>nrhildar. duttiir Jiiruialar Atlasviiar (jI,- parhjaiyar Iniarr- arbrliti/ii er pd d tf l J'orbjnrii hinii liaitkdalslrl ; B hat statt der gespertcn Worte: cit pd dtti dar. A bezeichnet somit den I'orbjijrn als den zweiten gatteu der I'or- bjorg, während m' nach B ihr erster war. Reeves, der iu seiner Übersetzung (s. 29) der lesart von B folgt (who had bcen married before to Thorltiorn of the Haukadal family) hat damit einen schweren kritischen fehler Ijegangeii, da die fassung von A durch die Landnäma (Isl. sögur I-, 103; 130, n. 11; 3.j0), die widerum von Flateyj- arbok (222, 4) und von OsT (Ems. II. 213) secuudicrt wird, bestätigung erhält. Übrigens war die priorität von A auch ohne vergleichung der übi'igeu (juellen leicht zu erkennen, da die lesart von A durch den uachfolgendeu satz direkt als die allein mög- liche erwiesen wird: Ee\ Elrikr pd, iiontan ok ruddi land i Haukadal uk hjd d Elriksstndiiii/ hjd ]"af:hnrii{. rörhildr leiste demzufolge, als Eirikr um sie freite, bei ihrem Stiefvater Dorliji^irn im llaukadalr, und der wünsch, seinen Jiuumehrigen verwanten jiäher zu sein, war ohne zweifei die veranlassung, dass Eirikr seinen bis- hätten — eine hyputliese , durch die sich wuiidorbarer weise selbst MObius (Cal. 1.j3j blonden lioss das urteil [gesprochen.

86 GERING

herigen wohnsitz Draugar iu den Vestfirctir aufgab und nach dem Hvammsfjordr über- siedelte. Die Worte Rex Eirikr Vatxhorni muste ich nach B geben, da A hier einen ganz verwirten und unverständlichen text bietet. Reeves hat denn auch dies- mal mit recht seiner Übersetzung A zu gründe gelegt, dem hier die Laudnäma, Fiat, und OsT bestätigend zur seite stehen. Es ergibt sich aus dem gesagton, dass A und B von einander unabhängige repräsentanten des verlornen archetypus sind, dass bald die eine, bald die andere zuweilen aber auch keine von beiden die echte lesart überliefert hat.

Im algemeiuen erweist sich jedoch die ältere haudschrift A auch als die bes- sere und sorgfältigere, B als die minder gute und nachlässigere. Namentlich hat sich der Schreiber von B eine reihe von auslassungen zu schulden kommen lassen. 94'', 27 steht in A: pat finni per mi, at fe tnitt pverr er slik rää gefiä mer die gespert gedruckten unentbehrlichen worte fehlen in B. Weitere Kicken finden sich z. b. 95% 1 {fyrir lausafjär sakir); 23. 24 (ok väru allar sjjdkonur); !)ü% 10 {en i vetr); 26. 27 (en peir vistuäu hdseta med böndum); 96'', 6 {sjd at sinu rdäi); 97", 1. 2 (su7n tre ski2)flaki] die erzählung wird durch diese auslassung ganz unverständlich); 97'', 11 {u7n hausUt til nafna shis); 23 (fQrn vit mi, Ouä- ridr); 98% 33 {liimini dcmäa)\ 98'', 15 18 {Maar skipi: das äuge des abschrei- bers war von skipi z. 15 auf das gleiche z. 18 widerkehrende wort abgeirt); 28. 29 {varning hafa pttrfti); 99% 12 {i fdtoeku landi); 99'', 34 {eptir pvi sayt)\ 100% 25 {peir hqfäu skinn: auch hier erklärt sich die lacune dadurch, dass zwei Sätze hinter einander mit peir beginnen) ; 29 {pd svd smdtt) ; 30 {sem dar) ; 100'', 1. 2 {skrcelingar siäan)\ 4 {pvi ncer sauäarvqmb); 9. 10 {Pviat konia)\ 28 30 {tok upp tök ein ok: widerum abspringen von tök z. 28 auf das gleiche wort z. 30); 101% 11. 12 {alt rjöär i); 26. 27 {ok pat vegna)\ 29 {ok stöä uro: hier haben zweifelsohne die kurz nach einander vorkommenden Wörter vdrti und uro den ausfall verschuldet); usw. usw. 101", 5 liest A: vdrto par fyrir alls gnöttir pess er Peir purftu at hafa; B hat statt dessen nur: er par aus konar, hat also das Subjekt hinzuzufügen vergessen (Reeves sezt aus A gnöttir ein, obwol die incongnienz zwischen prädikat und Subjekt zwar nicht beispiellos, aber doch äusserst selten und an uusrer stelle höchst unwahrscheinlich ist). Eine schlimme Verwirrung hat der liederhche Schreiber von B 34'', 28 fgg. (r= A lOP, 16 fgg.) angerichtet. Die stelle lautet in A: porvaldr Eiriks son raiiäa sat vid styri, ok skaut Einfoetingr qr i smdparma honum. porvaldr dro üt qrina ok mcelti: „Feitt er um istruna^, gott land hqfum ver fengit kostum, en pd mcgnin ver varla njöta". In B lesen wir statt dessen: Porvaldr son Eiriks hins randa. pd mcelti Porvaldr: „Gott land hqfum ver fengit". pd hleypr Einfaitingrinn d brott ok nordr aptr ok skaut ddr i smdparma d porvaldi. Mann drö üt qrina. pd mcelti Porvaldr: „Feitt er um istruna". (!!) Eine ähnliche gedankenlosigkeit ist wenige zeilen später zu finden (B 35% 2 fg. = A 101% 29 fg.). A liest: par kom til hit fyrsta haust Snorri son Karlsefnis ok var hann pd prevetr er peir föru brott. Statt der gesperten worte finden wir in B: par pann, eine lesart, die ganz unsinnig ist und schwerlich durch conjectur hätte geheilt werden können. Von leichteren flüchtigkeitsfehlern seien angemerkt: Sl**, 28 vigda B statt ovigda A; 37 vigri B statt övigdri A; 32% 22 ügladr er B statt ogladari en A, usw.

1) Ob liier niclit bewuste nachahiniuig der bokanten crzcählung von dorn endo dos t'ormöör Kol- brunarskäld (Hkr. U. 498 "*) vorliegt?

ÜBEU REEVKS, -WINELAND 87

Srltenci" sind ilcin jivgiMiübcr die nUlo, in drncii 1] di'ii vniv.u;;' vrixlieiit. Einer dcrsolbeu hat ohen schon orwiihnung gefunden; icli luge iioeli einige weitere lielegc iiiuzu. A Ü4", 3 = 1)28% 2 inuss man der leztcrcn liaudschrift iulgen: Krc?^ Eiriln- fii'/)it sI:iiI(Ih rrräd at prilikii fransli sein (A: ef) Ikdui »uef/l srr rld /:<)ii/((. cf f)cir /://n)// (A: o/c /,i/iui/ fwir] liaiis af Jixrfic denn JiciliLii ert'urdert als eorrela- liv unbedingt ein ,sr/«, nicht ein <'f, vgl. /.. li. X.jäla 134'-': cl: ninn . . . reifa per s/ikt liä seilt ek ind incr rhl I:niii(i. A liest 97% 29 fg.: ])d iikiUI Eirihr: ..Kdtdri siijldii vir i sioiiar i'il or /irdiiiKiii. cii iin cru cfr. B31% Ki fg. luit zwar aus naehlässigkeit die werte Jhi Kirilr ausgelasst'u , gibt aber den feigenden satz zweifellos in richtigerer gestalt: Kdtari rdr/i prr i s/nuiir er [>r r fi'inid dt or jirdiiniiii rii iid cr/r per. Die' fassung von ]> würde uns zu der annahnn' nötigen, dass Eirikr trotz der schweren Verletzung, die er sich auf dem -wcgo zum schiffe durch den stürz vom pferde zugezogen hatte, wirklich an bord gegangen sei und die cxiieilitien mitgemacht habe, einer amuahme, die selbst (uist. Storni ( Aarl). 1887. s. 3 11) für möglich gehalten hat. wie sie auch Ki'eves in seiner Übersetzung (s. 37j aeceiitierte. Dass die uidu'itiseheu herausgcber von AA und GhM an der ül)erliefe- rung in A keinen anstoss genommen ha!)en. ist weniger wunderbar. 97'', 2-1 fg. finden wir in A den nachstehenden passus: 17/r pd porsfcinn liorfinn lieniii; pnfd Im im ddr litift liafa sriiui i lieridi o/r rllja l)erja lidif. B dagegim bietet (31'', Ifg.): ]'ar pd ()/: re r/:sfj'') r i n )i i/nr/iuii, er lienni pütit dar liafa sripu i heiidi w^w. Es kann keinem zweifei unterliegen, dass auch hier die von B überlieferte lesart, die diesmal auch von Eeeves der ül)ersetzimg zu gründe gelegt ist, in den text eingesezt werden muss, denn es ist klar, dass dem ül)el berufenen i-crhsfjdriGnv^Y. di;r zuerst der epidemie erlegen ^var und dessen leiclie siiiiter auf auordnuug f'orsteins ver- bi'ant werden muste, und nicht diesem die schuld an den naidifolgenden todesfällen und der s[iukerei der verstorbenen {liann re/dr nlluiii (iiitrijiinijiiiii peiin sein- her liafa rer/f i vetr A 98% 24 B 31'', 30) zugeschrieben ward. In AA und Gh]\[ ist natürlich wider die unsinnige lesart von A im texte belassen. Ferner gehöirt hierher die stelle A 101", 13 fg. = B 35% 37 fg. Sie lautet in A: Aunat sui/nir c/iti'r fi'ir K'tr/sefiii til Islands ol,- Gadridr med humiiii , eil: für heim i Ii^e/jiiisiies. Mikh/r haus pnttl sein henni hcfdi litt til hostar fckif, ol: rar d uär idr eigi heiiita enii fijrsta retr. En er hon jirdfa i af (Jirlridr rar l:rcinisl:nrnnijr inihill , für hon heim ol: rdru samfarar peira (judar. In B dagegen L'sen wir: Annat sinnar rptir jdr Karlscfni til Islands oh Snorri ii/eä honuiii, ol: [til] hds sins i Ueijni- ncs. Mödnr haiis pofti sein hanii hefdl litt til kosfar tehit, ol: rar lion eiyi hcimfaj par hinii fijrsta retr; ol: er hon reijndi at (liidridr rar sl:<>rni>(jr inihill. für hon heim, ol: rdrn sainf/edr [Schreibfehler statt samfdreir] pciret tjodar. Dass die im ersten winter von Karlsel'uis hause sich fernhaltende, dann aber dahin ziu'üekkehrende, eine und diesollie person, und zwar seine mutter, nicht seine frau. sein muss, bat den herausgeberu von AA und GhM nicht einleuchten wollen, obwol sie doch soviel sahen, dass in der üljcrlieferung von A eine Schwierigkeit vorhanden war, die sie freilich in der dänischen Übersetzung durch ein kleines tascheus[iieler- kuuststück Ijeseitigt haben (för hou heim wird gegelieu: tillod hun hende at drage hjemü). Reeves hat mehr einsieht besessen und sich dieses fehlers nicht schuldig gemacht: nur hätte er auch darin B folgen sollen, am anfange des besprochenen liassus Snorri statt Gadridr in seine versiou zu recipieri-n. Endlich sei uorh einer stelle gedacht, wo durch vergleichung beider handschriften jedem methoilisch geschul- ten Philologen die herstellung des echtim ohne besondi'rn aufwand von Scharfsinn

hätte gelingen müssen. Es handelt sich um die dem forhallr veiclimactr zugeschrie- bene Visa A99'', 27 fg. =; B33'', 13 fg., die ich buchstabengetreu nach A widergebe:

Hafa kvadv niik meidar

malmj)i«gs er ek ko^M hingat;

mer sam«V \and iyr lydu??z

lasta diyckiii bazta.

billdz hattar verdr bvttv

beidityr at styra,

helldr er sva at ek kryp at kelldv

ko>//ad vin a grou mina.

B hat folgende abweichimgeu : z. 2 fehlt ek; 3 litt statt land; 5 hattr statt hattar; veräek statt verdr; byttu statt bidtu; 6 rciäa statt styra; 8 komit statt koinaä. Es versteht sich, dass der text von B au ein paar leichteren gebrechen leidet {hattr und komit) ^ zu deren heilung es der hilfe von A kaum bedurft hätte; dagegen wird z. 6 die lesart von B zu bevorzugen sein, da avoI das verbum reiäa, schwerlich aber styra von der handhabung eines schöpfgeßisses gebraucht werden konte und überdies derselbe ausdruck in einer lausavisa der Magnus saga berfcetts (Hkr. U. 652^" '-') sich widerfindet. Z. 3 ist in beiden handschriften hendingalaus , also fehlerhaft, übeiiie- feii, doch ist B insofern dem ursprünglichen näher geblieben, als es in litt den durch den reim geforderten vocal bewahrt hat. Ändert man das wort in lip, so ist die zeile in Ordnung. Austoss erregt dann allerdings noch das erste visuord, weil es nur einen studill enthält {mik kann natürlich als unbetontes wort nicht in betracht kommen). Der fehler kann nur in hafa stecken, das also durch ein mit m anlau- tendes verbum ersezt werden müste, und es bietet sich hier, soweit ich sehe, kein anderes als mcera, das auch dem sinne nach vortreflich passt, weil es seiner bedeu- tung nach den direkten gegensatz zu lasta bildet und im ersten visuhelmingr durch die scharfe autithese die enttäuschung des I'örhallr weit kräftiger zum ausdruck gelangt. Die Strophe würde demnach folgende gestalt gewinnen:

Maera kv('^{)umk mei{)ar malm{)ings, es kvamk hingat, (mer samir lij) fyr ly|)um lasta) drykk enn bazta; Bilds hattar ver{)r byttu beij)i-Tyr at rei{)a, heldr's at krypk at keldu, kvamat vin a grgn mina

in prosaischer Wortfolge: malmpinys meipar kv<)pu, es ek kram hinyat, mik mcera enn baxta drykk: mer samir (at) lasta lip fyr lypiim; Bilds -hattar beipi-Tyr verpr at reipa byttu: vin kvamat d yri^n mina, heldr es at ek kryjj at keldu, d.h. „die bäume des kampfes (die mäuner) sagten, als ich hierher kam, dass ich den ausgezeichneten trank loben werde: (statt dessen) muss ich das nass vor den leuteu tadeln; der den hut dos zwerges (den heim) begehrende mann (der krieger, d. h. ich) muss das schöpfgefäss handhaben wein kam nicht auf meine lippe, vielmehr muss ich zur quelle kriechen".

Die vorstehenden ausfüliruugon haben , denke ich, zur genüge erwiesen, dass eine kritische bearbeitung der Yinlandss(jgur, vor allem des toiünns |)ättr, nach wie

fUEU REEVES, T^INELANH 89

vor ein bedürfnis ist: lioffentlich wird diu soeben von dem Koi)onhageuer Sanifuud IUI gekündigte neue ausgäbe allen berechtigten anforderungen genüge leisten. Sie wird beim I'orfinns \>aÜv den text der llauksbök zu gründe legen, diesen aber aus AM. 537, 4" und den parallolbericliten (Landnäma, Olafs saga Tryggvasonar usw.) emen- dieren müssen. Freilicli reicht dies recept nicht überall aus. Es ist schon oben (s. 84) angedeutet, dass das Verhältnis, in dem die texte A und B zu einander ste- hen, nicht durchweg ein gleichmilssiges ist. Während nämlich in dem grösseren teil der saga beide handschriften zweifellos von einer gemeinsamen vorläge abstammen und so nahe zusammengehen, dass eine controle der einen dui'ch die andere möglich ist', ist in einem abschnitte die Verschiedenheit so gross, dass sie auf die wilkür eines abschreibers nicht zui'ückgeführt werden kann. Der betreffende abschnitt reicht von A99% 14 = B 32% 30 bis A99% 26 = B 33 '\ 12. Hier wird daher der künf- tige herausgeber dem beispiele der Autif^uitates Americauae folgen und den text bei- der Codices zum abdi'ueke bringen müssen.

Es erübrigt noch, ein paar werte über die einleitenden kapitel zu sagen, die Reeves seinen texten vorausgeschickt hat. Als hauptzweck des Verfassers ergibt sich aus denselben die absieht, die tatsache der vorcolumbischen entdeckung Amerikas, an der man seltsamer -weise in den Vereinigten Staaten noch bis auf den heutigen tag zu zweifeln scheint, gegen diese übertriebene Skepsis sicher zu stellen. Er sammelt daher alle stellen der isländischen litteratur, die zur bekräftigung jener tatsache die- nen können, und sucht vor allem zu beweisen, dass aus inneren und äusseren grün- den dem t'orfl.nns |)attr, der sicherlich auf berichten von augenzeugen basiere, ein hohes niass von glaubwüi-digkeit zu vindicieren sei, während er die erzählungen der Flatoyjarbök, die man früher in den Vordergrund zu stellen pflegte, nur als eine vielfach getrübte mu\ unzuverlässige quelle betrachtet. Wir haben um so weniger Ursache, dem Verfasser liierin zu widersprechen, als Gustav Storm in seinen tref- lichen Studier over Vinlandsreiseme (Aarboger 1887) zu denselben ergebnissen gelangt ist. Die ausführungen von Reeves sind im wesentlichen nur eine wenn auch in einzelheiten weiter ausgeführte reproduction von Storms Untersuchungen. Diesem folgt er auch m der chronologischen fixierung der grönländischen entdeckuugsfahrten nach Amerika und in der hypothese über die geographische läge der im 11. jalir- hundert aufgefundenen und betretenen landstriche. Die litteratur über die Viulands- reisen ist jedoch selbständig und einsichtig benuzt. Sorgfältige anmerkungen zu den texten und ein register beschliessen das buch, das, als erstlingsarbeit betrachtet, eine recht tüchtige leistung ist, der sicherlich reifere fruchte gefolgt wären, wenn nicht ein jäher tod den herausgeber der Wissenschaft und und seinen freunden vorzeitig ent- rissen hätte.

KIEL, MÄEZ 1891. HUGO GERING.

1) Bekantlich ist bei der altnord. prosalitteratur ein verfahren, wie es der kritische herausgeber bei einem klassischen autor oder einem mhd. dichter anwendet , in vielen fällen unmöglich. Die hss. weichen nämlich oft so bedeutend von einander ab , dass zwar einzelne fehler durch vergloichung sich auffinden und beseitigen lassen , eine durchgängige herstellung des ursprünglichen textes aber unausführ- bar ist, da die abschreiber, wenn sie auch an dem tatsächlichen nichts änderten, an den Wortlaut der vorläge nicht ängstlich sich banden. Es bleibt daher häufig nichts anderes übrig, als die relativ beste hs. zum abdruck zu bringen und nur offenkundige fehler mit hUfe der andern zu berichtigen. Auf diese aufgäbe wird auch der herausgeber des I'orflnns Jiättr sich beschränken müssen.

90 F. VOGT

Wilhelm Wisser, Das verhiiltnis der miuneliederhandschriften ß und C zu ihrer gemeinschaftlicheu quelle. Programm des gymnasiums zu Eutin. Ostern 1889. 42 s. 4.

Scherer hatte iu den Deutschen studien II s. 15 anni. 1 eine abhandlung in aussieht gestelt, in der er es unternehmen wolte, die den handschriften B und C zu gründe liegende liedersamlung so genau wie möglich herzustellen, und eine ähn- liche Untersuchung kündigte Apfelstedt Germ. 26 , 229 an. Beidon war es nicht ver- güut ihren vorsatz auszuführen, und so bietet denn die vorliegende schrift den ersten versuch, das bisher nur mit bezug auf diesen oder jenen einzelnen dichter erörterte Verhältnis jener beiden nächstverwanten sammelhandschrifteu im zusammenhange dar- zustellen und so zugleich ein bild von ihrer gemeinsamen quelle zu geben.

Die in B von der ersten band geschriebenen 25 dichter kehren auch in C wider, teilweise iu derselben reihenfolge; bei ihnen allen ist die Übereinstimmung der beiden handschriften so gross, dass man in jedem einzelnen falle eine gemeinsame quelle für sie voraussetzen müste, wenn B und C jedes nach freier auswahl jene 25 zusammengestelt hätte. Nähme man dieses an, so müsten also B und C in aUen 25 fällen unter den verschiedenen samlungen, die sich von den liedern eines dichters in Umlauf befanden, immer gerade auf ein und dasselbe Uederbüchlein geraten sein; das ist gewiss nicht wahrscheinlich, und so zieht denn Wisser den schluss, dass bei aUen 25 dichtem ein und dieselbe gemeinscliaftliche quelle den handschriften B und C zu gi'unde gelegen habe. Für die bestimmung der art und weise, wie B und C mit dieser ihrer quelle (Q) verwant seien, genügt es daher seiner meinung nach, das Verhältnis der beiden an einem der 25 dicliter zu prüfen, da, was für ihn nach- gewiesen werde, auch für- die übrigen als teile desselben ganzen gelten müsse.

Von diesem gesichtspunkte aus untersucht Wisser die äussere überHeferung der gedichte Friedrichs von Hausen. Bekantlich stimt hier, abgesehen von einer Versetzung der strophe MF 46 , 39 in B , die reihenfolge der Strophen in beiden hand- schriften überein. Nur werden die zu einem tone gehörigen und in B aufeinander folgenden Strophen MF 42, 1 27. 43, 10 27 in C dm-ch 14 Strophen (zwischen MF 42, 27 und 43, 10) unterbrochen, von denen nur die erste (MF 43, 1) demselben tone, die übrigen aber 5 anderen tönen Hausens angehören. Und ähnlich werden später die nicht nur zu einem tone, sondern auch zu demselben Hede gehören- den in C aufeinander folgenden Strophen 47, 25 32 und 47, 17 24 durch 12 Stro- phen unterbrochen, welche jedoch nicht Hausen, sondern Eeinmar und dem mark- grafen von Hohenburg zugehöreu. Nach der bisher herschenden annähme wurde diese erscheinung darauf zurückgeführt, dass einmal C, das andere mal B an der betreffenden stelle in Q eine einlage vorfand, die der eine wie der andere ohne rück- sicht auf den Zusammenhang mit abschrieb. Wisser prüft die Stichhaltigkeit dieser aufstellung, indem er ein büd von dem format der handschrift Q zu gewinnen sucht. Da sowol die erste als auch die lezte der in B C zwischen den beiden fraglichen stellen stehenden neun Strophen durch die einlagen von einer strophe des gleichen tones getrent wurde, der sie zuvor doch ohne zwischenraimi gefolgt oder voraus- gegangen sein wird, so müsten jene 9 Strophen in Q gerade ein von anfang bis zu ende beschriebenes blatt ausgemacht haben. Gegenüber diesem 9 Strophen umfassen- den blatt von Q steht aber die erste einlage als ein blatt von 13 oder 14, die zweite als ein solches von 12 Strophen; und wie die strophenzahl, so geht auch die gesamt- heit der Zeilenlängen bei den vermeintlich eingelegten blättern erheblich über die einem blatte der handschrift Q zukommende hinaus. Da somit das format dieser bei-

ri3EK WISSKK. LIKDEIillANUSClllillTEX 91

ileu ciiilagen ein anderes gewesen sein inüstc als das der handsclirift, (^>, so liiilt der Verfasser jene liypotheso für unniöglieli. Er meint, ]] und C können nicht unmittel- bar aus einer gemeinsamen vorläge abgeleitet werden, vielmehr sei jedem der l)eidcu eine mittelstufe (b untl c) \i»rausgegang(!n. Die äussere bescliafTenheit dieser vcimit- telndeu liandsehriften sucht nun der Verfasser vermutungsweise herzustellen; er bemüht sich wahrscheinlich zu machen, dass die mehrstroplicu, welche zeigt, in b ursiirüuglich auf dem lezten, für nachtrüge bestirnten blatte der die lieder Ihiusens enthaltenden läge aufgezeichnet, dann aber durch blatte -r vertausch ung an die stelle geraten seien, wo sie in B vorliegen, während die C eigentümlichen strophcn CT) 17 schon in (^. und zwar als lezte stroiihen der ganzen samlung enthalten waren; in c fülten sie dann gerade das lezte lilatt, welches nun widerum durch vertauschung au die stelle geriet, wo es in C abgeschrieben wurde (zwischen MF 43, 0 und lOj; in li kam das blatt, welches sie enthielt, au einen platz, wo es leicht ül)ersehen werilen koute und von U übersehen wurde.

Mit so minutiöser Sorgfalt diese Untersuchungen auch geführt sind die summe der Zeilenlängen des einzelnen blattes wird bis auf den millimotei' berechnet ! ich glaube doch nicht, dass sie zu irgend sicheren und praktisch verwertbareu resul- tatcu geführt haben und führen kouten. Zunächst ist es meines orachtens dem vei- fasser nicht gelungen, Müllenhoffs hyi)othese über jene beiden einlageu endgültig zu widerlegen. Er verfährt, als ob Müllenhoff behauptet hätte, dass sie aus je einem lilatte bestanden hätten, während er doch vorher selbst Müllenhoffs woiie angeführt hat, nach denen die in B überlieferten plusstrophen, als B abschrieb, der vorläge „als ein zufällig eingelegtes doppelblatt " einverleibt waren, die fraglichen mehrstrophen der handsclirift 0 aber ursi)rünglich ein lieder büchlein für sich bildeten^, wel- ches ähnlich wie jenes doppelblatt in die ältere samlung eingefügt und so von C vorgefimdeu wunle. Es waren also demnach zwei selbständige, zufällig in die sam- lung geratene blattpaare, und diese konten am Schlüsse ebensowol einen liclieliigcn unbeschriebenen räum für nachtrüge enthalte]!, wie nach AVissers annähme die Hau- sens heder umfassende samlung in b; sie konten also auch, wenn man das wirklich für erforderlich halten will, sehr vrol dasselbe format haben, welches nach Wissers annähme die handsclirift Q hatte. Aber dieses format lässt sich für Q gar nicht ein- mal so sicher erweisen. Jene 9 durch die beiden späteren cinlagen nach vorne und hinten abgegrenzten strophcn der handschrift Q, nach denen der Verfasser den blatt- unifang dieser handschrift bestirnt, brauchen in ihr-, da sie verschiedenen tönen ange- hören, keineswegs alle unmittelbar aufeinander gefolgt zu sein, sondern es könteu zwischen dem schluss eines tones und dem beginn eines neuen lücken ganz unbe- stinibaren umfanges für nachtrage freigelassen sein, wie das in (_' so liäufig geschieht.

Erscheinen somit A\'issers einwürfe gegen die ältere hypothese als nicht aus- reichend begründet, so lässt sich nun bezüglich seiner eigenen aufstellung mit bestimtheit nachweisen, dass der Sachverhalt nicht so gewesen sein kann, wie er ihn sich versteif. Die Voraussetzung für seine erklärung des einschuhos der strophcn .5 17 in C ist bei ihm die, dass in c str. 1 4 auf dem ersten blatte, 18 53 auf den 3 folgenden und 5 17 auf dem lezten gestanden halien. Nun konten aber die Strophen 1 4 weder ein blatt noch eine seite einer handschrift des formates, wie es der Verfasser nach jener berechnuug für c voraussezt, auch nur annähernd aus- füllen. Er erklärt das daraus (s. 14 anni. 3), dass (entsprechend der annähme Lehfelds Paul-Br. Beitr. li^ 352) c ebenso wie Q und b eine Sammelhandschrift war, in der den liedern Hausens die eines anderen dichters unmittelbar vorausüienaen. Dieses

92 F. VOGT

ist aber sicher nicht der fall gewesen. Zunächst vor den liedern des dichters muss vielmehr in c sowol wie in Q und in b sein bild gestanden haben; die Übereinstimmung der abbildung Hausens in B und C macht das zweifellos. Hätte dieses bild nun über den str. 1 4 noch auf derselben seite gestanden (was übrigens dem in B und C beobachteten brauche widersprochen haben würde), so müste das format von c ein viel grösseres gewesen sein, als "Wisser aunimt; stand es dagegen auf der Vorder- seite, so war die ganze rückseite durch jene 4 Strophen ausgefült, und das einzelne blatt jener handschrift hatte dann einen geringeren umfang, als es nach der aufgestel- ten berechnung der fall gewesen sein müste. Damit stürzen aber auch die auf diese gegründeten folgerungen.

Es zeigt sich hier, was Wisser s. 4 anm. selbst zugegeben hat, dass eine ent- scheidung der fragen, die er aufwirft, ohne heranziehung der in B und C vorliegenden abbildungeu nicht getroffen werden kann. Diese kommen auch schon in betracht, wenn es sich darum handelt, ob wir als gemeinsame grimdlage von B und C überhaupt eine einzige handschrift anzunehmen haben oder nicht. "SVisser sezt das ohne genü- genden grund voraus. Die Übereinstimmung von B und C erklärt sich an iind füi* sich doch ebenso gut, wenn Q eine handüchriftensamlung, als wenn es eine sammel- handschrift war. Und die reiheufolge der dichter in B und C spricht keineswegs für das leztere. Sie zeigt mehr abweichung als Übereinstimmung; das bringt die Über- sicht, die der Verfasser s. 7 gibt, nicht zur geltung. Übereinstimmend folgen in B und C nur auf einander: 1. Hausen, Rietcnburg, Seveüngen; 2. Muuegur und Rute; 3. Heinzenburc und Seven, denen an und für sich wie in B so auch schon in Q Rubin gefolgt sein könte, der in C nur durch den in B nicht enthaltenen AValther von Metz von Liutolt von Seven getrent wird; doch ist das aus anderen gründen nicht eben wahrscheinlich. Dagegen mögen (4.) Singenberg und Künzich (in C durch Sahsendorf getrent) schon in Q vereinigt gewesen sein, ebenso wie endlich (5.) kai- ser Heinrich und Rudolf von Feuis, zwischen die nur in C neun in B nicht über- lieferte fürstliche dichter eingeschoben wurden. Dass B und C übereinstimmend durch den kaiserlichen minnesinger eröfjiet werden, ist begreiflich genug. Dass aber im übrigen jene einzelnen complexe von 2 bis 3 dichtem sich verschieden auf die sam- lung verteilen und dass die übrigen dichter einzeln in ganz abweichender anorduung dazwischen stehen, würde unerklärlich sein, wenn ein codex mit feststehender reiheu- folge der einzelnen sänger die gemeinsame grundlage gebildet hätte; es lässt sich durchaus kein grund erkennen, aus dem C oder B oder C und B sich die mühe einer so durchgreifenden umordnung des vorgefundenen gemacht haben selten. Andrerseits aber kann Q auch nicht aus einer anzahl von liederbüchern ganz ver- schiedenen Ursprungs bestanden haben, es muss vielmehr eine einheitlich angelegte samlung gewesen sein. Dies geht eben vor allem aus dem umstände hervor, dass sie bereits mit den nach einem gemeinsamen Schema angelegten abbildungen der dichter und ihrer wappen geschmückt gewesen sein muss. Leider sind die Krausschen nach- bildungen der miniatui-en von C nicht in färben ausgeführt; das ist besonders in bezug auf die wappen zu bedauern, umsomehr als v. d. Hagcns angaben in diesem punkte unvolständig sind. So viel ich aus ihnen aber entnehmen kann, zeigt die kolorierung der gesamten bilder in B und C zu viele ab weichungen, als dass man sie auf eine gemeinsame vorläge zurückführen könte. Dagegen ist eine solche für die Zeichnung mit geringer eiuschränkung zweifellos anzunehmen. Ohne weiteres ist das klar bei Bl Cl kaiser Heinrich, B2 CIO Fcnis, B3 C41 Hausen, B8 C 27 Eist, B9 C60 Hartmann, Ell C44 Rucke, B12 C16 Veldecke, B13 037 Reinmar, BIT

i'HEI! WISSER. I.IKnKRUAXliSi IIK'Il -TKN

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C7S Muüi"<,nur. DIS ('70 I>uto. I520 ('.")(! Küiizidi, IVJn ('ir. Waltlicr: wenn ;uir!i boi 2 (10), 12 (Ki) uiiil 25 (1.')) (' das wappoii vur I'. voraus liat und S (27) in (" volst;iiidii;-er ausgeführt ist als in I!. Ferner /.eigen dann die miniatureii 15 ä Ci:! (Sevolinii-en) , J'. Ifi ('.")."> (Jlerheini), ül!) ('IS (Singenborg) unter üljereinstininiendeni ■\vai)penschild und holm jedesmal die beiden liebenden, weini auch in abweichender Stellung, ebenso B 10 0 50 (Joliannsdorf) wenigstens unter der gleichen darstellung des lielnies. Auch liei 15 7 C öS (Bligger) blickt nicht nur in der v()llig gleichen zeicluuuig von sehild undiielm. sondern aucli in der (U'S ilicihters nocli dieselbe vor- läge durrh, weiuigleicli Üligger in 11 seine liedeirnlle selbst hält, widirend ov sie in (! vom lioten schreiben lässt. 1) 23 0 52 (Scven) stimmen wenigstens insofern iil)erein. als der dichter beiderseits zu pferdc mit dem porgamiMit in der band dargestelt ist. und der Schild, den er in V> am arme trägt, währeml derselbe in C i\vm gewöhn- licbenMi lirauche gemäss über dem eigi'ntlichen liilde steht, zeigt das gleiche Wap- pen, danz abweichende üguivn zeigen bei ül)ei-einstimmung des wappensehibbss und des helmes B4 ('42 (Kogeusburg), BG ('14 (Botenlaulien), B 14 »'32 (dutenburg), l'>22 C51 (Heinzeuburc); doch ist bei 4 und ß in B das fortbleiben der zweiten figur und die dadurch bedingte abweichung dei- darstcdlung offenliar durch den umstand xcranlasst, dass B hier mit dem räume kai'gte, indem es die beiden bilder noch unten auf den zum grossen teil schon bi'schriebeuen Seiten 18 und 23 anl>rachte die beiden einzigen fälle, wo dem bilde nicht eine besondere Seite eingeräumt ist. Dagegen mag bei 14 und 22 nur erst die zeichimng des Wappenschildes und des hel- mes in di'Y vorläge gestanden haben. Bei B 21 t'4G (Schwangau) trägt der dichter auf dem übi'igens gleichfals ganz abweichenden bilde in 0 wenigstens am kleide das- selbe waiijien, welches B, der gewöhnlicheren weise entsprechend, in dem l)esonders dafür abgeteilten oberen fehle bringt, (lanz verschieden ist das bild zu BIG ('34 (Morungen), wo C das richtige. B ein nach dem nameu des dichters erfundenes wapiien bietet; gleichwol hat sich die figur, welche B gibt, schon in der vorläge befunden: sie ist vou C für (Uiers benuzt. So ist B 24 C 54 (Rubin) schliesslich die einzige miniatxir, bei der sich weder im wajipen noch im liilde irgendwelche borüh- rung zwischen den beiden handschriften findet, und gerade hier, boi Rubin, weicht in B und (.' aucli die reihenfolge und der bestand der Strophen in einem grade ab, wie bei keinem anderen dichter. Trotzdem weisen einzelne übereinstimmende text- verderbnisse in B und C auch hier auf eine vom original verschiedene, abgeleitete ipiidle der beiden hin. Al:)er diese muss hier anders geartet gewesen sein als in den übrigen fällen; sie l.)estaud vielleicht noch aus einzelaufzeichuungen, denen noch nicht, wie den liedern der ülirigen dichter, das liild des Verfassers beigegeben war. Und so scheint Q überhaupt noch einen unfertigen charakter getragen zu haben, als B daraus abgeschrieben wurde. Es wird eine im wesentlichen einheitlich ausgeführte, nüt Zeichnungen versehene samlung gewesen sein, die jedoch noch aus einzelnen losen abtoilungen bestand und überall der erweiteruug fähig war. Enthielt sie damals noch nicht inehr als was in B aufgenommen wurde, so wird sie nachher noch in dem- selben Stile fortgesezt und schon beträchtlich vermehrt gewesen sein, als sie die grundlage vou (.' wurde. Bafür spricht die nicht unerhebliche anzahl von liildern iler handschrift (.', welche in B nicht enthaltene dichter darstellen und doch den alten, einfacheren, einem beschränkteren räume entsprechenden tyitus dei' B und C gemeinsamen abbildungen aufweisen, nicht den der gestaltenreicheren, gleich für ein grössei'es format com])onierten übrigen miniaturen in C.

94 FRÄNKEL

Sollen nun ausser jener alten illustrierten samlung Q aucli noch zwei oder gar noch mehr andere bilderhaudschriften , als mittelstufen von Q zu B und zu C, exi- stiert haben, die ebenso wie Q selbst spurlos verloren gegangen sind? Ohne zwin- genden grand wird man sich zu dieser annähme nicht entschliessen , und einen solchen beizubringen ist dem Verfasser der vorliegenden abhandhmg meines erachtens nicht gelungen. Zu einer erschöpfenden behandlung dieser frage würde es freilich auch nötig sein, auf die texte selbst einzugehen, eine aufgäbe, die der Verfasser hier so wenig in den liereich seiner arbeit gezogen hat wie im zweiten hauptteile, einer vergleichung des strophenbestaudes und der strophenfolge in B und C, die er übii- gens auf s. 15 fg. in einer recht wilkommenen tabellarischen Übersicht veranschaulicht hat. Überhaupt hat er die äusseren Verhältnisse der textüberlieferung sorgfältig geprüft und dargelegt, nur hat er zu viel aus ihnen gefolgert.

BRESLAU. F. VOGT.

Tugendhaffter Jungfrauen und Jungengesellen Zeit-Vertreiber. Ein weltliches liederbüchlein des X-VII. Jahrhunderts aus v. Meusebachs samlung in der Berliner öffentl. bibliothelc. Nachweisungen der quellen, aus denen die 201 lieder geschöpft sind, von K. II. O. Freiherr von Meusebaoli (f 1847). Als beitrag zur geschichte des deutschen Volksliedes herausgegeben von Hugo Hayii. Köln a. Rh. , vorlag von Franz Teubner. 1890. 24 s. 1,50 m. Der durch eine reihe von Veröffentlichungen zur kuriosa - bibliogi'aphie be- kante Spezialist Hayn legt hier in verbesserter gestalt eine arbeit vor, die bereits 1870 im lezten (31.) jahrgange des Serapeum nr. 10 11 sehr- fehlerhaft gedruckt worden war. Die hier dargebotene neuausgabe hatte Hayn schon 1885 in seiner „Bibliotheca Germanorum erotica" (2. aufl. s. 179), diesem äusserst inhaltsreichen, wenn auch teilweise nicht völlig zuverlässigen hilfsmittel, angekündigt^. Nunmehr tritt sie in sehr übersichtlicher gestaltung und typographisch vortreflich ausgestattet vor den freund und kenner des älteren neudeutschen Volksliedes. Der genaue titel des zu gründe liegenden werkchens, dem bisher nicht die gebührende rücksicht gewidmet wurde, lautet: „Tugendhaffter Jungfrauen und Jungengesellen Zeit-Vertrei- ber Das ist: Neu -vermehrtes, und von allen Fan -tastischen groben unflätigen und Ungeschick - ten Liedern gereinigtes, "Weltliches Lieder -Büchlein, Bestehend in vie- len, meistenteils Neuen, zu vor nie im Truck ausgegangenen lieblichen und anmu- thigen Schäferey- Wald- Sing- Tantz- und keuschen Liebes -Liedern. Alle, von bekannten annehmlichen Melodeyen, in ein ordentlich verfastes Register zusammen getragen, Dm-ch Hilarium Lustig von Freuden -Thal. Gedruckt im gegenwärtigen Jahr". Als entstehungszeit dürfte etwa 1690 anzunehmen sein; doch steht über die äusseren umstände der Veröffentlichung nichts fest; datum, druckort usw. sind unbe- kant, auch ist der Verfasser bisher noch nicht entlarvt. Das haudexemplar Meuse- bachs auf der königl. bibliothek zu Berlin (Yd 8" 5111) umfasst 100 blätter ohne Sei- tenzahl, A bis Ny signiert. Der titel steht in einfassimg, mit einem holzschuitte, der eine musicierende geselschaft von sechs köpfen darstelt. Der text enthält 201 lieder, „gesetzweise" gedruckt. Auf diese bezeichnung gründet Meusebach seine aller- dings nur mit grenzen benante Zeitbestimmung. Seine handschriftliche notiz in jenem

1) Neuerdings hat Hayn noch eine „Biblioüieca Germanorum nuptialis" folgen lassen (Köln, F. Teubner, 1890. 89 s. Preis 4m.); vgl. Fränkels anzeige i. Centralbl. f. bibliothekswesen YIII 57 f.

Eed.

i'HKIJ IIAYiN, LIEDEl!BiiriII,EI\ 95

excnii)lai' l)(>sat;t: ^Dass diese lieilersaiiiluiit;- iiadi Opitz luul FleiiDiiinjj,- ,i;eiiiaclit wor- den, zeigen dii^ daraus geiioinineiicn stücke; dass aljer noch im XVII. jalirhuMderf, zeigt z. Ij. hier am eude des 17G. li(>des der ausdruck ^desetz' für ^Strale'^. l>er atidnick, dow nun Ilayn von den dem Iiierzu gefertigten regist.(>r heigegchenen qucl- leiHiacliweisungcn Mensebaclis besoi'gt, ist geziemend ein diplomatiscli getreuer nach ilcn 4S liandsehrii'tliehen hlättern, die besagtem cxemplar angelmnden sind. Die aus ,\leusehaclis samlung in die königl. bibliothek zu IJerlin gelangten origiiialdrueke. die er selbst also völlig ausgenuzt hat. sind hier recht gut durch gospcrten (h'uck her- ausgeholten, llcsondere aufmei-ksamkeit verdiiMit das s. 2.) fg. von IFayii hereingczo- geni- liederhuch ^Gantz neuer Hans guck in die Welt, Das ist: Neu- vermehi'te welt- lichi' 1/ast- Kannner. In welcluM' mehr als sii/henzig ausbündige neulichst ei-snnnene artige Schiifferey- Welt- Spali- Y(;xir- Täntz- und andere kurtzweiligo Liech'r liey- samn\(^n getrag(Mi zu finden. Allen besehendonen .lungengesellcn und züchtigen Jung- ti-auiMi Iie(|ueiner Zeit uinl Gelegenheit, ehrlicher (iemüts- Belustigung erlaubet zu gehrauchen. Anjetzo mit vielen Neuen Liedern vermehret worden. Zufinden bey Job. Jon. Felseckers sei. Erb(>n". (Nürnl)erg, etwa neuntes .labrzehnt des 17. jlis.) Ks enthält unter Signatur A bis G 79 nummcricrte liedei-, darunter eine grosso anzahl mit unsei'em liederbuche gemeinsam. Vielleicht hilft ein tätiges uachforsehen, etwa gar (h'r fand eiiu'S dedikationsexem])lars auf die spur unseres auonymus. Dem cxem- plar der konigl. bibliothek zu Berlin (Yd 5110) fehlt übrigens bogim 8.

Auf einzi'lheiten der nachweise sei hier nicht des näheren eingegangen. Hof- fentlich luimmeu sie den bearbeitern des nuu wider fleissig bebauten feldes der litte- raturgeschichte des 17. Jahrhunderts gelegen, ebeuso dcir forschern auf den fluron dos deutsehen liedes. Man kann Hayns urteil unterschreiben: „si(j weixlen am besten Zeugnis von dem rastlosen, stillen und resignationsvollen fieisse luid der unübertrof- fenen sachkentnis des grossen samlers und ausgezeichneten kenners deutscher litteratur ablegen". Vgl. Meusebachs Fischartstndieu hg. von Wendeler (1879) s. 20. 25 ff. u. ö.

HELGOLAND, FFINGSTEN 1890. LUDWIG FHÄNKEL.

Johannes llöser, Die syntaktischen erscheinungen in Be Dnmcs Dcr^c. Halle a. S. 1889. 8. 70 s.

Eine lleissigc syntaktische Untersuchung, von der man nv^r bedauern kann, dass sie sich auf ein so wenig umfängliches denkmal beschränkt. Die 304 versz eilen, aus deneu Bc l^uincs D/r^c besteht, lassen den Verfasser um so weniger zu durch- weg festen ergobnissen gelangen, als der toxt mancherlei Schwierigkeiten bieti't.

Einiges in der vorliegenden arbeit gehört nicht in die syntax; dies gilt z. b. mehr oder weniger von den abschnitten, in denen die adverbia und die pronomina lieliandelt werden. An einigen stellen hätte strenger geschieden werden sollen, so wäi'cn § 5. 2. Ij) die fälle, in denen das prädicative adjectiv bei intransitiven steht, zu trennen gewesen von jenen, in welchen es zu einem passivum gehört; in v. 107 wird übrigens sfcdelcasc besser als attributives adjectiv gefasst. § 5. 3. ))) a) wird gelehrt, dass das particip des Präteritums bei sein und icerden zur Umschreibung der zusammengesezten zelten des activs intransitiver verba verwendet werde; das ist alier insofern ungenau, als ja das futurum (fals es nicht durch ein präsens ausgedrückt ist) nicht auf solche art umschrieben wird. ITiei- möge beiläufig auf den übelstand liinge\^'iesen werden, der aus der bildung alzu langer paragraiiheu mit vielfältigen

96 NADER, ÜBER HÖSER, SYNTAX IN BE DOlffiS D.EGE

Unterabteilungen entspiingt: rasches und sicheres auffinden von citaten ist dadurch fast unmöglich gemacht, und die Verweisungen selbst werden ungemein schwerfällig.

Von dem, was ich mir bei der durchsieht der abliandlung angemerkt habe, sei noch folgendes angeführt. § 5. 3. a) «) Wenn auch fMan sonst nicht in reflexiver bedeutung belegt ist, so würde das nicht verhindern, dass es v. 130 so gebraucht sei; mir scheint aber tvearä gegen fedend zu spreben. Ebd. /3) ctceäan ist kein intransitivum. § 8. In ue. aJl of us, seven of them liegen ebenso wenig partitive genetive vor wie im lat. umis ex iis. § 18. Dass der instrumental des pron. se vom dativ verschieden ist, hätte schon deshalb angeführt werden sollen, weil dies in BDD der einzige erkenbare instrumental ist. In § 136 gehört v. 132 pe tvdron unter 2 (relativsatz eingeleitet durch se pe) ; dorthin ist auch v. 300 zu stellen : ^tf tville sec^an soä posm Pe frineä. Ich glaube nicht, dass der Ver- fasser recht hat, wenn er §53, c) ß) u. ö. diesen relativsatz für einen un verbundeneu erklärt. Ebenso unwahrscheinlich ist mir, dass, wie § 36. 1. a) ß) gesagt ist, „die relativpartikel pe [der relativsatz?] als Substantiv seinem beziehungsworte vorangestelt ist" in v. 290 pe ealle Uet . . . pcet is Maria; es bezieht sich das relativum vielmehr auf das vorausgehende, und zwar entweder nominativisch auf beortost, was das siu- gemässere wäre, oder accusativisch auf wereda, was dem lateinischen text (agmina, quae trahit alma Bei genetrix) entspräche. Im § 50 liest man, dass das histo- rische präsens im angelsächsischen überhaupt selten sei. Komt also doch irgendwo in einem ags. denkmal ein präs. bist, vor? Ausser Beowulf 1879, wo ein sehr auf- fälliges präsens steht, das man zur not als ein historisches erklären könte, ist mir kein sicheres ags. präs. bist, bekant. Es unterliegt keinem zweifei, dass, wie Höser vermutet, in BDD v. 15 und 17 ondrSde = ondr&dde als präteritum zu fassen ist. §54, 2, b) Ob cwade als conjunctiv zu gelten habe, lässt sich durch v. 12 nicht entscheiden; das veralgemeinernde eall vor swylce scheint allerdings einen couj. zu begünstigen. §54, 2. c) f). Es wäre auch der indicativische folgesatz anzuführen gewesen. § 94, 2. a) In v. 277 wird man hliäe besser als nachgesteltes attribu- tives adjectiv auffassen, wie deren im § 96 mehrere aufgezählt sind.

Schliesslich noch eine kleine bemerkung, die eine stelle in meinem aufsatz über den dativ und instrumental im Beowulf angeht. Der herr Verfasser scheint §16, c) zu zweifeln, dass Heyne forwyrnan mit dem dativ ansetze; ich kann nur widerholen, dass Hej'uo dies in der 4. aufläge (unter woruld-rcvden s. 283) iind wol auch in den früheren (weingstens in der 2., die mir ebonfals vorliegt) wirklich tut.

WaEN. E. NADER.

Elard Hug-o Meyer, Völuspa. Eine Untersuchung. Berlin, Mayer und Müller. 1889. 8. IV, 298 ss. 6,50 m. ^

Zwingt es uns nicht ein überlegenes, selbstzufriedenes lächeln ab, wenn wir einen chauvinistischen hetzpriester von der edlen sorte eines Julius Firmicus Mater- nus in seinem liber De error e profanarwu reUc/iomim die heidnischen mysterienculte aus dem alten testameut herleiten sehen? Der tractat ist herausgegeben von Halm im "Wiener Corpus Script, eccl. lat. vol. H, 73 fgg. und mag etwa im jalir 347 ent-

1) Die Verleger haben für dio ausstattung- des buches so gut wie nichts getan , papier und druck sind aussergewrihnlich schlecht; ich kann mir auch nicht denken, dass der heiT Verfasser für die unge- wöhnlich mangelhafte currectur voraiitwnrtlich gomaclit werden dürfte.

KAUFFMANX, ÜBER MEYKR. VÖLURPA 97

standeu sein. Nicht bloss hat Habacuc 3, 3 5 (comua in maiiibus eins erunt) die quelle nstelle für (voT di'xeQug &i\uün(^e (c. 21) geliefert, in derselben weise ist der liaunicultus in sacris Frygiis, in Isiacis sacris, in Proserpinae sacris nichts ande- res als teuflische uachbikUmg der christlichen Symbolik des lobens- resp. kreuzes- bauinos (c. 27). Doch hatte auch er bereits ernsthafte Vorgänger, wenn schon nach Justinus Martyr der an den weinstock gebundene esel im segeu Jakobs (1. Mose 49, 10) der hellenischen Bachusmythe oder mittelst Verwechslung des esels mit einem pferdo der sage von Bellorophon imd Pegasus zu gründe liegt, ferner das psalmwort 19, G die motive der sage von den Wanderungen des Herakles abgegeben hat u. a. Ans dem, wie mir scheint in unsern fachkreisen zu wenig l)emerkten, lehiTeichen buche von 0. Zöckler, Geschichte der beziehungen zwischen theologie und naturwisseiischaft mit besonderer rücksicht auf die Schöpfungsgeschichte (Erste abteilung, Gütersloh 1877) Hesse sich zu diesem capitel noch mancherlei beibringen. Solche in der theo- logischen litteratur späterliin sehr beliebte Spielereien haben bekantüch in dem Scan- diiiavien des mittelaltcrs uachtreter gefunden; ich brauche bloss an Formali und Eptir- mäli zu Gylfagiuuing zu erinnern, denen es mit Brimis salr = hqll Priamns, ()I:iip6rr = Hector, ragnarokkr = trojanischer krieg usw. sehr ernst gewesen ist. Die von den neueren gefundenen entstellungen der alten namen empfehlen sich nicht immer so leicht. Es ist mir nicht möglich, zu gunsten des heutigen Verfahrens einen unterschied zu entdecken, wenn auf der einen seite die cormta des alten testa- ments für den .hövvoog TuvQÖy.tQwg oder ßovxitywg, andererseits in gleich unbedach- ter weise die cormm crucis für das Gjallarhorn {hqtt hhpss Heimdallr VqI. 46, 3) verantwortlich gemacht werden. Die Umwandlung der cornua crucis in die tuba des gerichts erfordert einen salto mortale, zu welchem meine phantasie nicht fähig ist. Man ist doch almählich gegen die versuche abgehärtet, bresche auf bresche in die alte götterburg der Germanen zu legen. Die Situation der mythologischen for- schung ist nicht so ungemütlich und unbehaglich, wie dies Meyer s. 1 8 zu schil- dern sucht. Wol haben widerholt kenner unseres germanischen alteiiums einspräche gegen unberufene Störenfriede erhoben. Aber nicht mag „leidenschaft, heisse liebe zur vaterländischen dichtuug" (s. 8) die Überlegenheit ihres geistes geblendet haben: ein P. E. Müller (den Meyer nicht übergehen durfte), J. und AV. Grimm, Uhland, R. Keyser, Petersen, Müllenhoff waren- doch wol mit anderem rüstzeug versehen, um wie liebhaber nach lust und neigung ihre entscheidung zu treffen. Man wird allerdings nicht mehr auf grände wie Mythologie I*, 81 verweisen dürfen.

Es war von vornherein zu erwarten, dass der rücksichtslose fonnalismus der Norweger, die sucht, in den alten liedern einzelne Wörter oder phrasen aufzuspüren, die als Übersetzung kirchen- oder dogmengoschichlicher schultermini gedeutet werden könten, in Deutschland eine selbständige entwicklungsphase nicht erleben werde; und so ist denn auch das vorliegende buch E. H. Meyers in etwas anderem stile gear- beitet. Bugges schwächen werden verschiedentlich beleuchtet, „einfalle von Bug- gescher kühnheit" sind mit der arbeitsmethode , wie sie in Deutschland tradition geworden ist, nicht verträglich. Was sollen wir aber dazu sagen, wenn Meyer trotz- dem vorsätzlich und alles ernstes Buggesche läppen ansezt und den Buggeschen sog. Volksetymologien die gleicliungeu Hrymr = Gharon (s. 196), Hcener = HenocJi (s. 226) hinzufügt? Es kann uns bei dieser wilfährigkeit aufzuraffen, was irgend die wankende säule zu stützen vermöchte, nicht verwundern, dass Meyer statt mit Qnrmr mit Cerberus rechnet und Bugges herleituug des Iparqllr aus Eden anspre- chend findet (s. 175 anm.), ohne davon zu reden, dass schon die Vorstellungen der

ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILIOLOGIE. BD. XXH'. 7

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kirchenvätcr von der goograpliischon läge des gartensEden (Zöcklor a. a. o. I, 128 fg.) einen vergleich mit dem felde der götter ausschliesseu. Ich will nicht davon reden, dass die Nordleute die paradiesvorstellung durch den Odainsakr ausgedrückt haben (Notae uberiores zu Saxo I, 160. Maui'er, Bekehrung II, 370) ; bezüglich des namens wird man berechtigt sein, an den Ida filitis Eohha bei Nennius c. 65 zu erinnern. Meyer hat sich nicht vor der stilverirnmg gescheut, die durch solche fremdartige auswüchse in den aufriss seines buches geraten ist. Einflüsse griechisch-römischer mythologie will nämlich Meyer in der V(jl. nicht widerfiuden, sondern er betrachtet dieselbe „als eine in der skaldischen mythensprache des heidnischen nordens vor- getragene christliche heilslehre", sie soll eine „summa christlicher theologie" enthal- ten (s. 293 fg.); das ganze des gedichts habe in gewissen christlichen littoratur- werken seine Vorbilder und Vorläufer gehabt (s. 246). "Was sich Meyer unter der skaldischen mythensprache eigentlich gedacht hat, ist mir aus dem buche nicht deutlich geworden-, eine geschichtliche betrachtung der poetischen diction wäre aber erste Voraussetzung für seine litterarhistorischc kiitik gewesen. Schon die, allerdings unzulänglichen, resultate E. M. Meyers (Die altgerman. poesie, Berlin 1889) wollen sich schleclit damit vertragen.

Im III. kapitel fasst Meyer die ergebnisse seines buches zu einer neugestal- tung des VglospQ - textes zusammen, die sich etwa folgendermassen ausuimt:

1) Einleitung v. 1. 2 (E). Statt iuipiur (H), ivipi (E) 2, 3 wird ivister conjiciert (s. 46 fg.); das wort soll gerade an unserer stelle „die unterweltliche wohn- statt im iunern der erde" bedeuten. Ich glaube nicht, dass auf die Verantwortung Meyers hin unsere lexicographen diesen Zuwachs verzeichnen werden. Als quellen werden für die beiden Strophen die sibylUnischen Orakel und Honorius von Augusto- dunum angcsezt.

2) Schöpfung V. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 16. 17 (E). hjupom yppo (bjofwm um E) 4, 1 soll nach s. 65 dem sibyllinischen ovqkvuv Inpioas entsprechen und in dem sehr zweifelhaften bjöpom sollen, wie ich übrigens schon bei Finn Magnusen (Lex. Mythol. 533) lese, die cireuli codi (himmelssphäi-en) in "Wilhelm von Conches philosophia mundi oder die orbes in Ambrosius Hexaemeron stecken; ich verweise auf Beda, de natui'a rerum c. 9 (de circulis mundi), ferner J. Giimm, Mythologie nachtr. zu s. 464. V. 5, 3^ 5. 6, 1 2 (ausserdem Mio ok viipjan day , undorn). 8, 3. 4. 16, 5. 6 (E) sollen interpoliert sein. Das in E v. 9 15 überlieferte sog. dvergatal hatten bereits frühere „mit recht als späteres einschiebsei ausgestossen" (s. 72 fg. 74). "Wahrscheinlich bilden v. 11 15 (E) einen ursprünglich nicht an diese stelle gehö- rigen zwergkatalog ; aber v. 9 und 10 bringen einen zu bestirnten Inhalt, als dass man diese Strophen so leicht überspringen könte. Das Interesse heftet sich an das gemein- germ. wort manlicon (E), mmilikan (H), vergleiche got. manleika, ags. vianlica, ahd. erine tnanalilmn (statuas ereas) Alid. gl. II, 762 u. ö. Nach J. Grimm Mytho- logie I*, 465 bildeten Mötsogner und Durcnn eine menge menschenähnlicher zwerge aus der erde. Das widerstreitet der angäbe in v. 9, wonach die drott der zwerge ur Brimes blope ok 6r Blaens leggjom geschaffen werden soU; vgl. dazu Yaff)!!!})- nesm. v. 21. Grimnesm. v. 40. Dagegen gibt uns v. 10 ausreichende antwort auf die frage, woher Askr und Einbla stammen, welche die göttertrias vorgefunden hatte. Offenbar sind von den zwergen (aus holz?) geformte manlicon damit gemeint. Für die scliöpfungsgeschichte hat der dichter der VqI. Genesis imd Genesiscommentar von Ambrosius, Isidor und Honorius, Hiob und Fred. Salomon. benüzt, ferner hat der leser ags. Domesdaeg 106 und "Wunder der Schöpfung 95 zu vergleichen.

VBER MEYER. VÖLUSPA 99

3) l)or süiuloiit'ull der iiieiischcu und seiiio folgen. Unter diesem tit(>l werden die Strophen 18. 21. 22. 23. 24. 25. 2G. 27 (R) voreinigt, v. 19. 20 (R) sollen interpoliert sein, ausserdem 22, 2 (R). Für den text haben Genesis, Ambro- sius und Houorius die grundlage gebildet.

4) I)ie erlösung der sündigen seele durch den gekreuzigten = V. 28. 29. 30. 32, 1. 2. 34, 3. 4. 35 (R). Die zwischeuliegendeu Strophen 31. 32,3. 4. 33. 34,1. 2 (R) werden wegen ilires vordringlichen prunkens mit mytholo- gischen namcu, ihrer tondenz die heidnische färbuug zu verstärken (valkyrienepisode), wegen ihres unsichern und unbeliolfenen ausdrucks {mistiUeinn) mit verblüffender kühnhcit weggeschnitten. Für den text hat sich der mysteriöse Verfasser sein mate- rial aus Honorius imd andern kirchenschriftstellern, sowie aus der apokalypse zusam- nicngeklaubt.

5) Hölle und paradies. Hier soll sich die christliche visionslitteratur nebst einfluss Ezechiels in den Strophen 36 38 (R) bemerkbar machen; nur v. .38, 3 ok panns annars glepr eyrarüno wird trotz der „bis auf den überraschenden siugular hin wörtlichen übersetziuig " von Ezechiels unusquisque uxorem proximi sui polluit (s. 1C9 fg.) ausgenommen, wegen Hqvam. 115, 5.

Gj Die Vorzeichen des jüngsten gerichts in der uatur sind, wie die Strophen 39 43 (R) sie überliefern, vorwiegend germanische personificationen unheil- droliender naturereiguisse (s. 179); mit andern werten „nach einem ungeheuren um- schweif durch die christlichen vorstellungskreise kehrt der Verfasser jezt zur hei- mischen bahn zurück" (s. 175) und doch sollen die termini ragnarqk und ragnarekkr eher christlicher als heidnischer prägung sein [dies judicii, respera mmuli). Die heidnisch - christliche zwitternatui- des gedichts (wie reimt sich das zu der anläge einer christlichen heilslehre?) hat es zu verantworten, dass wir mit str. 44 (R) „plötz- lich mitten aus dem bunten treiben einer überwiegend germanischen mythenweit " herausgerissen werden. Da es für Meyer fraglich ist, ob überhaupt die weltunter- gangsidee eine einheimische gewesen, nnd da er andererseits bis hieher nachgewiesen zu haben glaubt, „dass unser dichter fast ausschliesslich fremde ideen vorträgt, da ferner die annähme nahe liegt, dass ihm, als geistlichen, gerade mehrere derjenigen Schriften bekaut sein musten, in denen dieselben zustände mit der christlichen ten- donz aufs jüngste gericht geschildert werden und da wir endlich die art der darstel- luug des sittenverfals nicht als specifisch germanisch anerkennen können, so müssen wir auch hier uns fragen, ob nicht auch hier fremde muster l)enüzt worden seien"* (s. 183). Heisst das nicht, die einfachsten, elementarsten grundsätze historischer kri- tik preisgeben?

So hat denn also unser dichter das evangelium und die propheten

7) in den Vorzeichen des jüngsten gerichts auf erden und am himmel ausgeschrieben v. 44 (ohne zeile 4. 5). 45 (R) -f 40, 3. 4 (H). 41 H = 49 R. 44 (R).

8) Beginn des jüngsten gerichts: ansturm und kämpf der dämonen mit der gottheit und weltbraud aus der apokalypse und den propheten geschöpft: v. 47.48 (Heljar statt muspellz). 50. 51. 52. 53, 1 R -f 58, 1. 3 H. 53, 3 55 (R).

9) Die neue weit und ankunft Christi zum jüngsten gericht gleich- fals nach der apokalypse und den propheten gearbeitet, die Strophen 5G. 57 -j- 53, 3. 59. 60, 61. 58 IL 62 umfassend. \. 58 habe schwerlich irgend welchen volkstüm- lichen oder litterarischen Ursprung, sei vielmehr ein nicht gehörig motivierter und unbeholfener breiter ausfluss der 7. strophe, den möglicherweise ein interpolator in bewegung sezte (s. 218).

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Meyers gründe für seine textkritische herstellung einer ursprüngliclieu compo- sitioii dos gedichtes sind nirgends überzeugend. Es niusten andere matorialien bei- gebracht werden, ehe unser interpret gerechtfertigt sein konte, eine von ihm zu- sanimengestelte stroplienreihe als VqIospq auszugeben und dieses stück jüngster Eddakritik als christliche heilslehre zu deuten. Selbst der hinweis auf die Eireksnic^l und Hakonarmql (s. 2G2 fg.) kann auf grund der damaligen zustände in Norwegen nur ein weiteres zeugnis für die unerschütterte festigkeit des glaubens liefern. Ge- wiss waren die betreffenden liofdichter vom schlag eines Jarl Sigurdr, den seine hochsinnige treue zum getauften könig niclit hinderte, zugleich einer der eifrigsten Verteidiger des alten glaubens zu sein (Maurer, Bekehrung I, 151 fgg.).

Es ist nicht unmöglich, dass sich empfängliche gemüter finden, die dem küh- nen Schwung des führers folgen gewiss wird es für sie eine befriedigende abrun- dung und Vollendung des ganzen sein, in Sa^mundr dem weisen den Verfasser der E. 11, Meyerschen VQlospc'j kennen zu lernen (s. 275 fgg.). Wenn überhaupt jemand, kontc er als solcher genant werden: hat ihm ja die legende manches ungeheuerliche angedichtet, vgl. z. b. hier einschlagend Yita Saemundi s. XXVII, 87 (dazu Zöckler I, C5). Er ist 1133 oder 1135 gestorbefl. Die von ihm benüzten Schriften des Ho- norius Augustodunensis „waren kaum schon alle im ersten viertel des 12. Jahrhun- derts auf Island bekant" (s. 272 fg.). Kurz vor seinem tode muss also der verdiente pastor Oddensis der nachweit die grosse mystifikation zugeeignet haben, die für den 1170 geborenen Snorre schon als altes gedieht gegolten und im Zeitalter der schritt nicht bloss die entsteUimgen in Snorra Edda, sondern auch die in cod. H. erfahren haben solte.

Ssemundr, eine hauptstütze der kirche (er ist z. b. 1097 bei der einführung des zehnten beteiligt), nach allem was wir wissen ein volksmann bester sorte, der die Vergangenheit seines volkes kante und studierte Sremundr traue ich anachro- nismen, wie die Meyersche VglospQ sie enthält, nie und nimmer zu. Man verzeihe die abscli weifung, aber unwilkürlich wird es einem inr Meyerschen buche zu mute, als Ijewegte man sich in der inoderneu mytlienfabrik, die das publikum mit dem Bacon - Shakespearemythus in Spannung gehalten und die sjjitzfiudigkeiten Bugges und Meyers auf den markt geworfen liat. Die fabrikmarke ist hier wie dort dieselbe, die mache gleich unhistorisch.

Ich verzichte darauf zu widerholen, was Müllenhoff, Iloffory, Jessen, Bugge ül)er das alter der überlieferten Vijlospö beigebi'acht haben. Es sind nunmehr die littei'arischen parallelen zu prüfen, die Meyer in seiner untorsucliuug aufgestelt hat. Icli constatiere zunächst, dass v. 42 44 und dazu gehörig v. 20 (von Meyer gestri- chen) nach s. 180 „ohne zwcifel" echt germanischen Inhalts sind, nur der höUenhund Garmr soll antik zugestuzt sein = Cerberus. Im vorbeigehen füge icii an, dass der- selbe ja leicht, z. b. aus Bedas bei'ühmtem bricfe an Ecgbert zu haben war: ille triceps inferorum canis, cui fabulae Cerberi nomen indiderunt (Haddan and Stul)bs, Councils and ecclesiastical documonts III, 325). Im stil der herschendon mythendeu- tung bricht, nachdeni die wolkonfrauen herangeschwebt sind und der wind seine nocli fröhlichen weisen angestimmt hat, das gewitter los. Allein der dichter der Volospü habe die schlimmen germanisclien wettermytheu nur zum aufputz seiner heilsgesehichte vorwendet. Icli zweifle nicht, dass die Ijctreffenden Strophen ihre ausuahmestellung nur den lieblingsideen E. IL Meyers veixlanken.

Für uns andere, die wir tuis unmöglich entscliliessen können, die religions- geschiehte der Germanen in eine gewitteruacht mit winddämonen und blitzheroen auf-

ÜBER MEYER, VÖLUSPA 101

/Ailusen, iu vorblcndctcr riiiseitigkcit dio uiiscliauung des mitiirlolicns zu hypostasicren uiul allü andern lebeusbedinguugon unsorov vorfahren auf sieh beruhen zu lassen, 1 Reiben derartige einfalle Jiöclist gleichgültig. Solte man es bei ruliiger Überlegung für möglich oder auch nur denkbar halten, dass mau unsere vorfahren über dio natur- vo]-gäugo grübeln lässt, während uns doch die formen des rechtslcbens und der sitte, die mit den Individuen so innig verschmolzenen nationalen Institutionen der Germanen die bedürfnisse der gemütor so anschaulich widerorkenncn lassen? Es ist liier nicht der ort, ein programm zu entwickeln und meinen in arbeit genom- menen untersuchungeu über germanische religionsgcschichte vorzugreifen. Hängt es nicht mit den in ganz falsche bahnen gerateneu grundanschauungen zusammen, wenn auch E. H. Mej-er widcrum meteorologische Vorgänge als germanische mythenstoffe anerkent, dagegen dio Zerrüttung des volks- und familienlebens (v. 45) verdächtigt? V. 43 mit ihrer Unterscheidung von Hol und ValhcjH wäre leichten kaufs durch eine anleihe bei Schullerus Beitr. XH, 235 aus der Originalfassung der VcjlospQ auszu- schliessen gewesen; was zeichnet die strophc vor der Baldrepisode aus, dass diese getilgt, jene erhalten ist? Es fehlt dem buche, an dessen resultate wir nun im ein- zelnen heranzutreten haben, all das, was uns bestimmen könte, wo wir zweifeln, seiner entscheidung zu folgen und wo wir überrascht werden, aus ihm zu lernen.

Vielleicht befriedigt es den einen oder andern, wenn ich für die meirc nk iitinnc mngo Ilcimdallar (v. 1) an die forniel der päbstlichen kanzlei erinnere, die adresse magnis et parvis, ingenitis et servis Zacharias papa, welche der aus dem jähr 748 stammende 68. Bonifatiusbrief (Jaffe s. 195) trägt, oder wenn ich die vielleicht dem eingang der 5. strophe zu gründe liegende naturerscheinung auch aus Jordanis III, 20 ((luod nobis videtur sol ab imo surgere, iUos [Scandza] per terrae marginem dicitur circnii-e) belege. "Weitere gelegentliche lesefrüchte stelle ich später zu nutz und frommen zusammen. Lassen wir zunächst einzelnheiten aus Meyers buch revue passieren. AVas Meyer s. 15 fgg. über Heimdallr mythologisiert, „ein offenbar jünge- res und sonst nicht besonders angesehenes mythisches wesen", von dem nicht zu begreifen sei, wie er zu der hohen ehre eines städtegrüuders gelangt sein solte, beschäftigt sich mit der symbolischen deutung des regenbogens und seiner färben. Die biblische regenbogenscene nach der sintflut und die sich anschliessende stände- sonderung (bei Honorius, imago mundi: hujus [Noe] tempore divisum est genus humanuni in ti'ia: in liberos (de Sem), milites (de Japhet), servi (de Cham)) scheine ein nordischer gelehrter vielleicht nach irischem vorbild in eine art inneren Zusam- menhangs gebracht und so auch diese dem heidnischen gott des regenbogens über- wiesen zu haben. Weil die grüne färbe des regenbogens die erde, die blaue das Wasser bedeutete, wird der im anfang geborene (mit Christus verschmolzene) gott des regenbogens genährt durch der erde kraft und durch das kalte wasser und end- lich durch den sonardreyri. Dass hier für das zu erwartende feuer das blut eintritt, gerade das bezeuge den christlichen einfluss am unwiderlegiichsten (s. 30). Gemeint ist einfach das blut Christi, des sohnes {sonardreyri)^ als ob kenningar wie fnprgjqld jqtna Sn. E. II, 306. I, 244 nicht existierten. WiU Meyer geck kann til sonar blöts, tu frettar Heimskr. 1, 24 (Uhland Schriften VI, 213) ebenso deu- ten? Das misverständnis Meyers hat schon der rationalistische compilator der VqI- sunga saga verschuldet, vgl. Bugge zu Gu{)rünarkv. II , 21. Die rote färbe des regen- bogens werde auch auf das unsere sünden sülmende blut gedeutet, das dem herrn nach dem speerstich aus der Seite floss. Durchzudenken hat Meyer seine annähme wol selbst nicht vermocht, wenn er a. a. o. meint, die Charakteristik spiele zwischen

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den erinnerungen an den alten regenbogengott Heimdallr und den neuen eindrücken der erscheinung des heilandes hin und her. Sind für das 12. Jahrhundert die ein- drücke der ersclieinung des heilandes noch „neu" gewesen?

Nach s. 85 ist L6{)orr der heilige geist. Nach s. 127 war es ein kühner aber geschickter griff miseres dichters, dem heiligen geist noch einen andern heidnischen namen, nämlich den des Mimer zu geben. Unter solchen Voraussetzungen habe ich auch nichts dagegen, wenn Meyer s. 190 behauptet, in v. 46 vertrete Heimdallr nicht den heiland, sondern einen engel, „wahrscheinlich weil er nach engelart das himlische Wächteramt bekleidete und nach Apokal. 10, 1 einer von den englischen verkündern des jüngsten gerichts, eine Iris, also das zeichen des regenbogens auf dem haupte trug". Ich wüste nicht, dass mir irgendwo in meiner wissenschaftlichen erfahrung eine solche nachgiebigkeit des autors gegen seine tendenzen aufgefallen wäre, die vor dem gewalttätigsten nicht zurückschreckt. Mir ist nur bei einem coufusionarius wie Honorius von Augustodunum (gelegentlich von Zöckler so genant) etwas begegnet wie: leo sirjnificat aliquando Christum, aUquando diabolum, aliquando siiperbu))i principem (Bibl. Max. XX, 1179 E). So weit ist Meyer von seinen einfallen befan- gen, dass er uns zumutet, ein corim eruois, den verborgenen teil des kreuzes Christi, mit der tuba, die Heimdall bläst, zu verwechseln. Ich habe darauf bereits hingewie- sen. Allerdings lassen sich anspielungen auf das gericht gottes beibringen. Ich lese z. b. bei Schönbach Altd. pred. 11, 181 fg. aus Ven. Hildeb. Cenomanensis: iwofunditas id est pars illa qtiae latet profunda mysteria judicioruin Dei, während es bei andern die oceidta gratia Dei zu bedeuten pflegt. Dass aber dabei nicht an das jüngste gericht gedacht werden darf, stellen die worte bei Schönbach s. 184: occidta voluntas Dei et incomprehensibilitas judiciorum ejus unde ista gratia in honiines venit usw. ausser zweifei. Hat einmal einer der mittelalterlichen mysticisten die cornua crucis etwa durch die cornua lunae symbolisiert oder umgekehrt? Auf christlicher Überlieferung beruhend ist hörn Sn. E. I, 48 verwendet worden, worüber unten weiteres zu sagen sein wird. Wenn eine skandinavische phantasie dazu fähig war, einen kreuzesbalken als posaune blasen zu lassen, dann allerdings würde ich gerne darauf verzicliten, das plastische auschauungsvermögen der nordleute zu bewundern und eine dichtung wie die VqIospq zu verteidigen.

Str. 27 Veit Heimdallar hljöp of folget

und heipvqnom helgom bapme Str. 46 en injqto'pr kyndesk

at eno ga.mla Ojallarhorne

h(}tt bkess Heimdallr horns d lopte . . . Der deutung dieser strophen s. 116 fgg. ist die anerkennung scharfsinniger combina- tion nicht vorzuenthalten. Ich kann es mir versagen, für die schon so vielfach seit Jac. Grimm belegte anschauung des kreuzes als des lebensbaumes weitere citate zu häufen, sie liegen alüberall am wege. Die arme des kreuzes, die sich nach den vier regionen erstrecken , werden bekantlich als cornua bezeichnet und bilden durch ver- mitlung Alcuins die vorläge für Otfrid V, 1, 19 (thes kruces horn)^ worauf seit J. Grimm Mythol. II, 665 und Holtzmann, Mythol. s. 188 wieder Bugge, Studien s. 473 aufmerksam gemacht hat. In dem bereits erwähnten traktat des Julius Fir- micus Maternus heisst es c. 21 : cornua nihil aliud nisi venerandum signum cru- cis monstrant. hujus signi uno extenso ac directo cornu vmndus sustcntatar , terra constringitur et e duorum quae per latus vadunt covtpagine oriens tangitur, occidens sublevatur, ut sit tottcs orbis tripertita stabilitate firmatus eonßxiqtce

i'BKR MEYER, VÖM'SPA 103

oprris ißi//>/ii)iiil//)/is rinliclhus fninUuncnhi iriiccuiiiir. c. L'ö lliiiunii cra/ hi para- ihfxo Ay. \t;l. uiK'h c. 'J7. Iiitcrossanturü stellfii sind ;uis Tcrtullian ln'i/.uln'inp.'ii /.. Ii. iidvL'r.s. .Iiulai'us (cd. Odder) s. 11015: quid iiiain'fcsliii^^ . . iil <iiii)il jicrleral (iliiii per liiiiitiiii in Addiii , id. rrstihicnii(r per liijinini (''lirisli. Iloc Hijiiuin sihi et ls(((ir. . . (id s(/(;ri/iciu/it ijisc jidiidbat . . rl Isaac cum liijiHi r('sn-r(üi(.-< es/, (irictr. <ihl((ti) i)i rejire (■(ii-i/ibi/s Inicrodc et Cl/ris//(s ti/tis IfiiipdriliKs li<iin(m hininris suis portaril iidiucniis coriiiliKs cnicis roroiia spiz/cfr in cdpilc eins cirvnuidiila. Adv. Maa'ioucm 1. III. c. 18. I!). 22 u. a.

Es wäre des Nonlliinders dii'htrnsclior kral'i nicht unwürdig;- mit //y'^/'z/^/' /.////'/r.sV,- at OK) (jdDila (IjallariKirnc liclitL'l'foktc in der inanirr eines <!al)riel Max unter die vorzeiclieii seines ragnanskkr aulgeiKjninien zu ]ial)cn, weini der zusainmeidiang dos Verses, wie M. will, bedeuten könte: der heilaud Icuehtct au jenem altb(,'rüliinten kreuz. Das st-hniettei'nde (ijallarliorn Ileinidalls kaini ein coruu crucis, aueh wenn wir die niysiiiikatinii weit treiljen weiten, nicht vortreten; M.'s ei.g'eno werte (s. 11!): .Ji/ji'/) das sunst seludl, .geliiu' usw., wie hörn bedeutet, verwendete der hier g-anz besonders niysteritise Verfasser für das einfaeho horu") .g'emahnen an Bugge, der ad hoc mir einen Shakespeare zu vergleichen wüste.

A\'ie leicht wir mittelst der biblischen terminologie auch tlie dunkelsten an- dcutungen der Vid. aufzukliircn vermögen, zeigt namentlich, was M. s. 120 ff. iiliei' die Worte

1/ s-('r a/isasl- aitrr/oni forsc af repc Valfopor beigeliracht hat. Das pfand Walvaters ist Christus der gekreuzigte. Dass die pignura rn/cis in der mittelalterlichen litcratur reliquieu meinen, kann ich nicht verschweigen. A"(in diesem pfände ergiesst sich lilut und wasser, als Christi soitc mit dem speerstiche geöffnet wird. Wollen wir uns auch gefallen lassen, dass der ausdruck fars kaum übertrieben erscheinen könne, wenn man sich die kunstdarsteUungen der sceuo ver- g(\genwäi1:ige, so last uns auch M. im stich, wenn wir fragen, wie unser christlicher dicht.i'r das in diesem Zusammenhang in erster liuie wichtige Idut vergessen konte! AN'as langen wir damit an, wenn gelegentlich die formel gebraucht wird: ex hifcrc fniis saf/ifis iiosfrac eiiiaiiat, oder bi/i Ezzo 25: der gntes pr/inuo isi da\. phtot, wenn M. bchau[itct, diesen l)runnen habe auch Xql. 29 zur grundlageV Schliesslich ist ,,das in dem ijuell verpfändete augo AValvater (Jdins das im quell aller dinge, gott, ruhende pfand, Christus, aus dem sich vom paradiesesbaum her das wasser des lebens ergiesst und der hüter, der jeden morgen daraus trinkt. Mimer, kann nun kein anderer sein, als der hl. geist'' (s. 127). Der altgermanische custos fontium, in dem M. früher einen gandharvcn gesehen hatte, muste solch ungeahnte mctamorphose erdulden! Ich begreife nicht, wie M. auch jezt noch seine ansieht (s. 124) damit zu vereinigen wüste, dass Mimer zu deu altertümlichsten gestalten gennanischen glau- l)ens gehöre. Wir sind indessen nach dem bisherigen auch auf solche auswoge vor- bereitet; nnt leichter beschwingter {ihantasie lässt sich die vorstelliuig vielleicht nach- denken.

Dass H(>fu{)lausn v. 21 unseru mythus wahrscheinlich voraussezt (Beitr. Xll, 3!J0. XllI, 107), hcätte all solche speculationen im keim ersticken sollen. Doch im gegen- teil. Im bannkreis seiner einfalle erhebt M. deu akt, dass Mimer jeden morgen mct trinke, zum abbild des täglichen messopfers. Hier verzichte ich darauf die philologische lupe anzusetzen und frage nur, ob es denkbar ist, dass eine derartige heidnische vermummung des allerheiligsten sich irgendwo mit dem gewissen eines Christen ver-

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tragen konte! Traut M. eine solch frivole profanatiou seinem priester von Oddi, dem besten kleriker Islands, zu? Mich würde es nun nicht mehr wundern, wenn jemand mit der behauptung aufträte, auch die himmelsköuigin Maria sei in der alten liedersamlung nachweisbar, wenn Ht'^v. 146 von der pjöpans kona und dem mantu^ mqgr (menschensohn?) in geheimnisvollem Zusammenhang die rede ist. Solche witz- lose schnurren sind ebenso billig, als sie ernste, eindringende historische kritik per- siflieren.

Parallelen, die mich überrascht haben und ein sorgfältiges eingehen erfordern, bringt M. s. 94 ff. zu den strophen 21 ff., die Schicksale und person der GoUveig sowie den Vanenkrieg betreffend. Auf die nordischen Spiegelbilder des sechstagewerks folge die scenerie des sündenfalls und engelsturzes. Hiergegen ist sofort der entscheidende einwand zu erheben, dass nach algemeincr ansieht der stürz der engel entweder dem sehöpfuugsakte vorausgieng oder am ersten schöpfungstag spielte (Zöckler I, 420). Der stürz der engel konte von unserem dichter eventuell nur im Zusammenhang mit der Schöpfungsgeschichte behandelt werden. M. hat nicht einmal daran gedacht, gründe für die Umstellung, die unser dichter vorgenommen haben müste, beizubringen.

Meyer citiert Ambrosius de paradfso c. 15. Hier wird etwa folgendes über den Sündenfall dargelegt: serpentis tyjnim accejnt delectatio corporalis: midier symbolunt, seiisus erat nostri, vir meiitis . . . delectatio sensum, scnsus autem men- tem captivam facere eonsuevit. Schon im 12. cap. hiess es, die delectatio sei divino aversa mandato et inimica sensibus nostris . . . si autem ad diabolmn referas, vertcs inimicus est generis humani. Qiiae autem causa inimicitiarum nisi in- vidia? . . diabolus . . invidit hotnini eo quod ftguratus e linio nt incola paradisi esset, electus est . . dicens: iste de terris müjrabit ad caelum, cum ego de caelo lapsus in terra sini . . . Itaque machinatus est, itt non primo Adam adoriretur, sed Adam per mulierem circumscribere conaretur . . . Cognoseens igitur hoc loco tentanienti genus, plurima etiam aliis locis teiitamenti genera reperies. Alia sunt per principem istitis miindi, qui qioaedam, vcnena sapientiae in hune mundmn evomMit, ut vera putarent homines esse quae falsa sunt et specie quadam hominum caperetur affectus .... sunt quaedam potestates quae amorem Simu- lant, gratiamque praetendant, ut paulatim cogitationibus nostris venenum suae iniquitatis infundant a quibus oriuntur illa peccata quae vel ex deleetatione vel ex quadam mentis facilitate nascuntur. Sunt etiam aliae potestates quae col- luctantur nobiscum. Hernach werden ministri diaboli genant, qtii et cordis et voeis suae infectas veneno veluti verborum suorum jactant sagittas. Der kirchenvater komt im verlauf zum Schlüsse: Viderint alii quid sentiant mihi tarnen videtur a midiere coepisse Vitium. Es ist nirgends davon die rede, dass Eva durch dreierlei infectae sagittae diaboli bezwungen worden sei (s. 94), sondern Ambrosius zählt zwei arten von versucliung auf und sagt schliesslich: multipUcia tentamenta sunt diaboli. Die an zweiter stelle genanten potestates, quae velut col- luctantur nobiscum lassen sich durch eine stelle aus dem 2. cap. illustrieren, wo es heisst: nemo enim nisi qui legitime certaverit coronatur. Joseph quoque casti- monia numquam ad nostri memoriam pervenisset, nisi midier domini ejus contu- bernalis ignitis diaboli spiculis incitata tentasset ejus affectum, nisi postremo affecfasset ejus interitum , quo clarior esset castimonia riri qui mortem pro casti- tate contemserit. Sind wir der sache und ihrem Zusammenhang nach berechtigt, wie M. tut, jene infectae sagittae diaboli der Versuchung im ])aradies mit den ignita diaboli spicula zusammonzuschweissen, die in der brünstigen lüstornheit des weibes

ÜBER MEYER, VÜLUtiPA 105

den unschuldigen bedrohend Wieso ist die siniionversuchung des Josepli dem an- griff des toufels auf Evas nascliliaftigkcit „älinlieh" "? Was sagen wir vollens dazu, wenn die dreifache Versuchung Jesu in der wüste (als laqueus gidac, jactantiae, avaritiae atquc ambitionis Ambrosius de Cain et Abel lib. I. c. 5) die dreizahl stützen soUV Zu prijsvar horna ist indessen auch MüUenhoff DA. V, 1, 310 anm. zu beachten. Ähnlichlieiton, die tatsächlich nicht bestehen, bilden die brücke zu M.'s werten (s. 95), Ambrosius rede von einem weibe, das im paracUese durcli drei feurige Speere getroffen worden sei. Mit diesem weibe habe aber imser mysticus nicht die Eva gemeint, son- dern das faustische: duac cnim mulieres unicuique nostrum eohabitant inimicitiis ae discordiis disidenies vchit qiiibusdam xelotypiae contentionibus nostrac rcplentcs anivii do/iiuvi. Una earum nobis suavitati et amori est, blanda conciliatrix gra- iiac qiiae vocatur voluijtas. Ilanc nobis opinmnur sociam ac domesticcmi, illani aftcram immitem, aspcram, ferani credimus, cid nomen virtus est. lila igitur, »leretrieio proeax tuotti, infracto per delieias incessu, nutantibus ocidis et ludcntibus jaculans palpebris retia quibus pretiosas juvemim anitnas capit focidos enim meretricis, laqioeus peecatoris) qioemeii'mque viderit dubio sensit practerenntem in augtilo transitus domus suae sermonibus ado- ritur gratiosis, faciem jiivenum volare corda domi inquieta, in plateis vaga, oscidis prodiga, pudorevilis, amictu dives, genas p)icta. Etenim quia verum deco- reni naturae habere non jjotest, adidtcrinis fiicis aff'ectatae pidehritiidinis lenoci- iiatur speciem non veritatem. Vitiorum suceineta comitatu et quodam nequitiarum choro eireuinfusa, dux criminum talibus verborum machinis muriim mentis aggrcditur himtanae. Mit berufung auf Prov. 7, 14 ff. heisst es weiter: Hane enim per OS Salonionis speciem fornicariae videmus expressam . . . opprobriosae frau- dis vclamine operit corporis sui stratimi ad sollicitandos juvenum animos . . . thesauros demonstrat, reg na promittit, amorcs spondet continuos, inexploratos concubitiis pollicetur . . . confitsa omnia, nihil naturae ordine. Illic . . repleta vomitu bibentiiim poeula majore odore ebrietatis quam si recentia tantum vina flagrarent. Ipsa in medio sians: Bibite, inquit, et inebriamini, ut cadat unusquisque et non resurgat. . . Ille mihi gratior qiii sibi nequior. Galix aureus Babylonis in manu mea inebrians omnem terram a vino meo biherimt omnes gentes .... His auditis veliit cervus sagittatus in jecore haeret saucius. Quem miserans virtus et casurum cito videns improviso occurit . . . palam inquit apparui tibi non quaerenti ine. Ne fallat imprudentem et circum- veniat te mulier effrenata et luxuriosa quae non novit pudorem: sedet in fori- bus domis in sella, palam in plateis advocans praetereuntes ... tzc aidcm accipe potius disciplinam . . . veni ad convivitim sapientiae etc. (Ambrosius de Cain et Abel lib. I. c. 4. 5). In Warnungen vor der libido oder fornicatio und der avaritia klingt die grossartige Schilderung aus. Ich setze noch zur Charakteristik folgendes her: inflammat anitmim, igne suo pascit cum . . . elementa concidit, mare sidcat, terram effodtt, caeluni vutis fatigat, ncc sereno grata nee nubilo, condemnat provcntus annuos fetusque terrarum arguit. Es ist die gier nach dem gokle, deren völkerzerstörende leideuschaft auch die phantasie der Germanen zu den eindruckvoll- sten büdern aufgewühlt hat.

An einer andern steUe (de Elia et jejunio c. 15) ruft Ambrosius es nimt sich humoristisch aus, nach dem was in meiner darstellung vorausgegangen, doch ist das nicht beabsichtigt ein dreifaches Vae ! über die, welche manc ebrietatis potum requirunt, qiios conveniebat Deo laudes referre . . . Vix diluculum et jam cursatur

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per tabernas, vinum quaeritur, excutiuntur tapetes, accubitiivi festinant sternere, lagenas argenteas, aiiratos caliees exponunt. Calix atireus in manu domini inebrians omnem lerram. A vino ejus bibcrunt onmes gentes, ideo com- motae sunt. Et subito cccidit Babylon et contrita est. (Jerem. 51,7). Calix ergo aureus contritus est, quia Babylon contrita est quae est calix aureus . . . deniquG divina indignatione conteritur. Qua ratione calix atireus? Qtionimii qui veritate deficitur quaerit illeeebrant, , ut species sattem pretiosa ad bibendum aliquos possit illicere . . . Non te inducatit atirea vasa et argentea . . Vas apostolicum fictile est, sed in eo thesaurus est Christi. Vae siceram niane sectan- tibus. Aureuin est hoc vas, poculum est, et in co 2}oculo veneuum mortis, vene- num libidinis, venenum ebrietatis.

Noch, besteht der altbewährte erfahruogssatz jeder historischen forschung zu recht, dass die chancen zu irren grösser werden, je mehr einzelne data der Über- lieferung aus ihrem gegebenen Zusammenhang gerissen und isoliert oder gar in wil- kürlich geschaffene ordnuugsreihen gestelt werden. Man vergleiche wie von M. die soeben ausgehobenen partien aus den ambrosianischen tractaten zerstückelt und mit ganz fremdartigen bruchstücken contaminiert worden sind. In dieser hinsieht ist M. leider nicht über Bugges äusserliche citatenhäufung hinausgegangen. Man lese das 4. und 5. cap. in Ambrosius de Cain et Abel I. fortlaufend, wie der Verfasser sie componiert und seinen lesern vorgelegt hat. Ist es denkbar, dass nach der bachan- tischen aufreguug der Voluptas der faden abgeschnitten werden darf? Bricht sich der grelle strahl der das gemiilde beleuchtet, nicht erst zum versöhnenden milden glänz in der Schilderung der Virtus?

Und ich frage wieder: hätte ein christlicher heilsprophet es vor sich selbst rechtfertigen können, abgerissene citate aus dem 4. cap. sich zu notieren und das für die heilslehre viel wichtigei'e 5. cap. zu überspringen'? Aber auch wenn wir im ein- zelnen uns zurecht finden weiten: bei Ambrosius ist wiederholt hervorgehoben, dass die verführuugskünste der Voluptas gegen die juvenes gerichtet sind. Was mochte den Isländer veranlast haben, die juvenes durch junge frauen zu ersetzen? Die figur der Voluptas, in der Zeichnung des Ambrosius, wirkt in der geselschaft junger frauen geradezu widersinnig, absurd. "Wir müssen uns also höchst bedenkliche gewaltsam- keiten gefallen lassen, bis wir dazu gelangen, nun voUens die Voluptas mit der babylonischen hure und diese mit dem calix aureus ==: Gollveig zu identificieren. „Der ganz nordisch klingende weibername Gollveig (D. A. V, 1, 95) und die von Bugge behauptete Verbindung von ags. wcc^c becher und an. veig getränke wrd aus diesem ideenzusammenhang besonders deutlich" (s. 96). Es fält auf den Salzburger kleriker ein eigentümliches licht, der den calix aureus der babylonischen hure verdeutscht und einem seiner beichtkinder als christlichen ehrenuameu beigelegt hat. Die sprach- lichen bedenken MüUenlioffs gegen die Identität Gollweig, Choldimaih (Salzburger Verbrüderungsbuch 103, 17) sind bekautlich nicht zu rechtfertigen. Ich rede nicht von den an. Sölveig, Hallveig, pörveig etc., inzwischen hat Bugge" selbst seine ansieht, an. veig sei aus dem ags. entlehnt, zurückgenommen (Studien s. 574). Aisl. veig bedeutet eben nun und nimmer becher, sondern getränk (veig betyder en jäsande saß Eydberg, Undersökniugar I, 176, vgl. auch N. M. Petersen, Mythologi s. 219). Mit dem hinweis auf Sn. E. 11, 489, wo reig unter den kvenna heiti ukend aufgezählt ist, können wir uns hier über das geheimnis der namenbildung beruhigen. GoUveig ist eine gemeingermanische namensform (ganz analog verhalten sich Heiprän und Chai- deruna Beitr. Xn,264) und kann nach bedeutung der compositionsglieder aus calix

ÜBER MEYEK. VÖLUSPA. 107

aureus nicht hergeleitet werden. Ferner möchte icli daran erinnern, dass das treiben der Gollveig-nei})r sieh durch die bcstimmungen der ags. gesetze gegen die horcwenan veranschaulichen last. In den gesetzen Edwards und Gudrums (c. a. 906) heisst es c. 11: loiccmi oiMc ici^leras, mdnsicoran oääe moräivyrhtan oääe fule, äfylede fehfcrc horcwcnan ahwar on lande ivuräan a^ytene ponne fysie hie man of earde and cldnsie pd pcode etc. (Schmidt' s. 118). Iiörcivenan sind ausserdem in Aethol- reds (a. a. o. s. 228) und in Cnuts gesetzen (s. 272) erwähnt. Diese hörciccnan sind die oi'gane gewesen, welche die deoßicau ^aldorsansas, snldorcrcrftas usw. (^if hica tviccije ynibe ceni^cs mannes litfe) beim weibervolke colportierten , worüber uns das Poenitentialo Ecgberti archiepiescopi Eboracensis (Ancient laws and Institutes of Eng- land ed. B. Thorpe s. 343) interessante einzelnhoiten überliefeii hat, die allerdings nur im zusannnenhang der abendländischen poenitentialordnungen gewürdigt werden können, worüber ich bald andern orts handeln werde. AVas die bestrafung solcher Personen betritt, so verweise ich auf R. Keyser, Normaindenes religionsforfatning (Samlede afhandlinger) s. 371.

So löst sich auch diese verlockendste partie des M.'schen buchcs, die verführe- rische deutuug der Gollveig durch den biblischen calix aureus der babylonischen hure, in eine selbtstäuschung auf. Es wird aber trotzdem wegen des folgenden notwendig, uns die Verschmelzung der Voluptas mit der babylonischen hure zu besehen. Ambro- sius de Cain et Abel I. c. 4 gibt den calix aureus Babylonis der Voluptas in die liand. Excerpieren wir aus De Elia et jejunio c. 15 die werte Babylon contrita est quae est calix aureus, so sind wir immer noch nicht so weit, dass die Voluptas durch den calix aureus resp. Babylon hätte vertreten werden können. „Wider ist Honorius unser nothelfer" (s. 97). Die vorliegenden dunkeln stellen der VqI. empfangen ihr voUes licht erst aus der Expos itio in cantica canticoruin Honorii; ohne sie und vor ihi- ist die VqI. nicht denkbar. Wir haben schon gesellen , dass wir des dem be- ginnenden 12. jahrh. angehörigen Honorius nicht bedürfen. Ich möchte aber doch, um M. ganz gerecht zu werden, zusammenstellen, was für die Gollveig -episode in betracht kommen könte. Ich halte mich dabei möglichst unabhängig von der M.'schen darstelhmg und gebe meine eigenen auszüge aus der merkwürdigen dichtung des rätselhaften mannes.

Im prolog werden die grundvoraussetzungen erläutert: fdia regis Babylonis (id est diaboli) est gentilitas in confusione idololatriae natu. Sed liaec facta rcyina aiistri venit ad Salomonein quia spiritu sancto quem auster signifleat illustrata venit in coelis regnatura ad verum pacificum Christimi. Last sich dies auch nur entfernt mit den Schicksalen der Gollveig vereinigen? Nach dem altgeprägten Schema werden die einzelnen positionen historice, allegorice, tropologicc, anagogice umgedeutet (ich bezweifle, ob eine vermengung dieser categorien zulässig war); und so ist die braut Christi die angelica et humana natura . . a paradiso expulsa . . hanc gigantes quasi latrones . . in devium äeduxerunt et mtdtis vitiorimi sordi- bus polluerunt. Cujus miseria sponsus coiulolcns hostes ejus diluvio delevit. Iitsam vero Noe quasi paedagogo eustodiendam tradidit. Sie ist dann unter Sara, Rebecca etc. zu verstehen; immer ist ihr freund und bräutigam schützend ihr zur seite, bis er sie in caelestem aulam coronandam addtceet. Es heisst von ihr mtdtis ?)ialis cam tyrannus et aevmla ejus saepe tentavertont , quot modis quot dolis qtiot insidiis quot artibus eani ab amore sponsi avertere conati sunt et non valuerunt . . per gigantes tnulta nefaria ei intulenmt . . adhuc sub antichristo eorum omnibus modis tentationem instabunt . . habet in comitatu omnes, qui sub praedicatione

108 KAÜFF3IANN

Heliae et Enoch et sub persecutione Antichristi pro Christo sanguinern fiiderint. Sie weiss selbst, dass sie alles füi' Christus erduldet; formosa dicitur quia forma osa, id est, propter formam odiosa. Fonnum quipipe est ferrimi in ignc candens iinde dicuntur formosi . . ideo dicitur ecclesia formosa quia in igne tribulationis excocta martyribus rubescit, virginibus albescit . . . adver sitatibus mundi deni- grata, interitis gemmis virtutum ornata, oder, wie es an anderer stelle von der sapientia heisst, ut aurura pura et in Camino tribulationis excocta. Sie ist sich bewusst: ego quidem sunt nigra quia huic inundo p>ropter passiones quos stistineo dcspecta . . quasi sim de furibus et latronibus nigris in pecca- tis. Diese latroncs identificieii Honorius mit den daemones, unter denen wir nach kii-chlicher lehre sogar die heidnischen götzen verstehen dürfen. Sie ist die verfolgte ecclesia, welche tanto odio est habita ut nidlus ei locus manendi tutus esset, sed semper de civitate in civil ateni fugiens miyraret, einzig dui'ch das be wust- sein aufrecht erhalten: non pro furto vcl aliquo crimine sed pro Christo kaee patior . . . sol (auch fervor) pcrsecutionis me obfuseavit. . . . Persecutio dicta est meridies fsolis fervor) in quo solis ardor fervet in quo ecclesia aestuabat mit andern werten : cris tu ecclesia amica mea inter gcutes fdias Babylonis . . . quae te mtcltis spinis cruciatuum pungcnt et Dtultis imenis lacerabimt, a carnißci- bus ut lilium a spinis lacerata. Im «chatten des lebensbaumes , des hl. kreuzes sezt sich die fidelis aninia dum aestum- specularis vitae declinans in requie spiri- tualis vitae refrigerari desiderat. Leider sind es zunächst die propheten, von denen gesagt ist: qui in altam contemplationcm sublcvati Christum et ecclesiae mysteria a lotige prospexerunt ; doch sagt Honorius auch von der ecclesia: sciens patris secreta. .Wer konte darauf verfallen, die ecclesia in coclis rcgnatura mit Babylon zu identificieren , von dem es heisst: cccidit et coutrita est?

Im fortgang des commentars wird dann die mortalitas als originale peccatum mit einer mauer verglichen. Quem rnurum coepit Adam aediflcare, et omnis poste- ritas eius laborat eimi consummare. Vielleicht konte an diese periode der Verfol- gung die Schilderung angeschlossen werden, die Honorius an späterer stelle von den kämpfen beim Weituntergang gegeben hat. Die gesamte Weitentwicklung überschaut er von da aus noch einmal, und alles dulden fasst er zusammen in einer langen reihe von kriegen. Im reich der gnade, d. h. seitdem das erlösungswerk volbracht ist, zählt er 6 kiiege: Primum bellum fuit inter Christum et diabolmn etc. Voraus liegt die algemeine friedensruhe unter Augustus, die eine sechszahl der kriege vor dem erscheinen Christi beschlicsst. Die vorchristhchen kämpfe eröffnet das primum bellum {civile bellum sagt Honorius in seinem Speculum) inter tyrannum et impe- ratorem . . . quando tyrannus . . similis altissimo esse voluit . . victus a rege Deo cum omnibus suis de aula coeli cccidit et carceris inferni supplicium subiit. Secundum bellum fuit sub gigantibus . . tertitim bellum fuit sub aedißcatoribus ttirris . . quartum bellum fuit sub patriarchis etc. Das erste bellum civile (folkvig fyrst V(jl. 21) solto der dichter aufgenommen, die folgende liste nicht einmal auge- deutet haben?

AVenn Schcrer, dessen fleiss wir Germanisten nächst Diemor unsere bisherige be- kantscliaft mit Ilonoiius zu verdanken liabcn (vgl. Zeitschr. f. österr. Gymnasien 1868 s.5671f.j in den Denkmälern-' s.418 anm. sich ausdrückte, die person des Honorius behalte etwas rätselhaftes für uns, so gilt diciS heute noch ebenso. Mau ist in den fachkreisen der historiker geneigt, ihn nach Augsburg zu versetzen (siehe Watteubach, geschichts- quellenH^, 182); sei dem wie ihm wolle, Schönbach's 2. bd. altdeutscher predigten hat uns

ÜBER MEYER, VÖLITSPA 109

wider gezeigi, dass Müllcnlioff recht zu haben scheint, wenn er von Honorius sagte (Denkm.- s. VIII), dass er für die deutsche theologie seiner zeit besonders erfolgreich tätig gewesen sei. Erst E. H. Meyer hat es gewagt, die in unserer mythologisclicn iiboiiieferungeu so nicrkwürdig anklingende darstelluug in unmittelbare abliängigkoit von demselben zu setzen; die bearbeitcr der Denkmäler liatten bei gelegenheit von s. 418, 16 noch nicht an die esche Yggdrasels erinnert, wie jezt M. s. 116 ff. Es musste verlocken „in der dreisten travestie (??) der heiligen geschichte das Schicksal der Gollveig-Hei|)r, die verstossung aus dem himmelreich und ihren bösen lebens- waudel auf erden widerkehren zu sehen" (s. 99); um so verlockender, als sich aus Honorius mittelst überspringung weitläufiger erörterungcn auch eine deutung für das folkvig fyrst gewinnen zu lassen schien. Es gehörte zu einer solchen deutung erstaunlich viel kühnheit. M. erkent ausdrücklich in den Strophen 23 26 heidnische grundvorstelluugen an, glaubt aber trotzdem, es handle sich um den mythus der aus dem paradies verstossenen menschenseele, der braut Christi und den damit verknüpf- ten aufrulir der engel gegen gott, den ersten krieg der weit.

Bei dem mysteriösen dunkel, in das für uns die VQlospo gehült ist, müssen wir anerkennen, dass berechtigung vorliegt, mit denkprocessen zu rechnen, bei denen nicht alles an der straff gerade gespanten richtschnur abläuft. Das ungewöhnliche hat vorerst noch ein besonderes anrecht auf Wahrscheinlichkeit. Es wäre unbillig, dar- legungen zu verlangen, wie sie bei unserem Verständnis zugänglichen quellen zum wissenschaftlichen stil gehören. Aber es gibt doch auch hier grenzen. Diese grenzen werden zumal durch die Überlieferung selbst gesteckt, andererseits gelten auch für schlussfolgeningen , bei denen die prämissen erst zu reconstruieren sind, die alge- meinen logischen gesetze und es ist nicht statthaft, sich durch petitio principii fangen zu lassen.

Wie ein vergleich meiner excerpte aus des Honorius Expositio in cantica can- ticorum mit den von M. s. 98 ff. gegebenen citaten zeigt, ist die auswahl bei ihm sehr wilkürlich. Und was M. beibringt, bedarf der historischen begTÜndung, ehe es gestattet sein könte, aus demselben zeugenstimmen für seine sache zu entnehmen. Im Specu- lum des Honorius (Migne patrolog. 172, 941 C) ist von dem lumen vulhis Dei (i. e. Christus) die rede: per hoc quijyje sumus a inorte reconciliati, i^er hoc supernae curiae sunt damna restaurata; was aber mit diesen damna gemeint ist, deutet der parallelsatz an: per hoc anglorum agminum gaudia duplicata. Die einbusse (damna), welche die superaa cima durch den stürz des Lucifer erlitten hat, kann nicht deutlicher ausgedrückt sein. Nichts desto weniger müssen wir die sich anschlies- sende Wendung: Bens namquc o)]mipotens caelestis Hicrusalem palacium ad Umdem sui S2^lcndifltiis ordiuibus angelortim plcnitcr instntxit, sedjit'i- vnis archangclus a Deo recedens hoc nequiter destruxit im citatenschatz unseres vermeintlichen skandinavischen Interpreten des Honorius als quelle für VqI. 24 (bro- temi ras borpveggr äsa) verzeichnet sehen. Es ist für mich ein ding der Unmöglich- keit, einen christlichen kleriker den gedanken hegen zu lassen, Lucifer und seine getreuen hätten das palacium des himmels zerstört. Vernünftigerweise können die werte des Honorius doch nur besagen, dass die Ordnung der himmelschöre durch den abtrünnigen zerstört worden sei. Hier rächt sich bitter die methode Meyers, immer nui' mit abgerissenen citatenfetzen zu operieren.

Weil wir über die Vanen nicht sonderlich viel wissen, so soll nach s. 104 ihr mythus ein kunstproduct späterer gelehrter skalden und geistlicher sein, zu dem sie dui'ch die ags. poesie angeregt sein mochten, die gerade den aufruhr der engel und

110 KAUFFMAKN

die damit verbundeueu stoffe sehr liebte (Gen. 25 if.). Schon die Eireksmi'^l sind um- eine nachahmung des descensus Christi ad inferos im Nicodeniusevaugelium. Die gefallenen engel, Satan an der spitze, seien mit namen von göttern belegi worden. Sitifjqtli wird zu einem ags. helden gestempelt, trotz seines gut skaudinavischen namens. Manches erbauliehe fält im detail ab, nur kann z. b. weder die rückkehr Baldrs noch die äusserung Odins : ser ulfr hinn h^svi d sjqt gopa (von anderem ab- gesehen) nicht untergebracht werden. Ich hätte es nicht gewagt, nach den tatsachen, die z. b. K. Maurer, Bekehrung I, 172 f. über den zwangsweisen übertritt des Eirekr zum Christentum verzeichnet, in so bestirnter form von dem Christentum des dichters zu reden, wie dies s. 105 geschieht. Vollens die anspielung auf den schwedischen Ericus ist flickwerk; oder meinte M., der verf. der EireksuK^l habe die vita Anskarii gelesen? Die zweifellos heidnischen Hakonarmul, in denen die heidnischen götter mit stolz genant sind, sollen nach christlichem muster gedichtet sein? Ich sehe keine veranlassung mich weiter mit den einfallen unseres autors zu plagen. Gegen ende des buches steigert sich die combinationsfreudigkeit immer mehr, Weltuntergang und welterneueiimg werden zu bunter mosaik zusammengewürfelt. Ich möchte zum schluss nur noch die Schöpfungsgeschichte eines bhckes würdigen.

Es handelt sich um VqI. 3 6, Strophen, in denen schon lange biblische oin- flüsse gewittert worden sind. M. ist auch hier seiner boweisführung volständig sicher, die ganze strophenreihe 3 19 folge im wesentlichen der Genesis. Der nordische Schöpfungsbericht habe durchaus keinen germanischen oder gar indogermanischen character; auch den iranischen erzählungen, an welche man immer mit Vorliebe erinnert hat, scheine ein Zusammenhang mit der Genesis nicht abgestritten werden zu können. Mau habe sich indessen mit der kirchlichen exegese vertraut zu machon, um den Zusammenhang zwischen dem biblischen Genesis- und dem nordischen VqIospq- texte ganz zu begreifen, dabei aber eine gewisse freiheit der auffassung, auswahl und widergabe dem nordischen dichter von vornherein zuzuerkennen. Er habe giimd gehabt seine abhängigkcit zu verhüllen. So? Ymor war in der tat ein echt nordischer riese, ja er gehörte sogar dem idg. dämoneukreise an; dagegen sei es oberflächlich an den indischen Purusa zu denken, aus dessen gliedern hiramel, erde und sonne usw. geschaffen wurden. Und doch wird s. 52 capital daraus ge- schlagen, dass schon der heidnische Ymer wie der indische Purusa seinen schädol zum himmel und sein blut zur see hergegeben hat. Es Verstösse aufs sclu'offste gegen alle altindogermanischen Vorstellungen (wie sie nämlich in M's Idg. Mythen I, 210 ff. dar- gelegt sind), dass aus der band so junger gebilde, wie die götter es seien, die Schöpfung hervorgegangen sein könne. So ist denn Ymer bewohner der wettei-wolke , die kuh Au{)umla gibt nur eine andere anscliauung derselben gewitterwolke wider mir wii'd jedesmal in solcher Umgebung so gewitterschwül, dass mein anschauuugsvermögen versagt.

Ymer ist abei' auch das chaos der Genesis, mit dem ginnnngagap gleichfals identisch ist. Die terra inanis et vacua und die aquae von Gen. 1 , 2 verwandelte unser dichter in die negativen, aber bestimmteren vasa sandr ne srer ne upphimenn. Hat M. die svalar unncr vergessen ? Und wie weiss er mit der terra inanis et vacua das jqrf) fannxk a:va zu vereinigen? An der massgebenden stelle ist keine der for- mein genant. Die facics ahyssi gal) Veranlassung zu der bildlichen darstellung eines abgruudriosen : ein wilder mann mit widerwärtigem köpfe. Der erste akt der bibli- schen Schöpfung, die Scheidung von licht und finsternis kümmerte unsera Verfasser, der sich überhaupt auf das allernotwendigste beschränkte, nicht er liess ihn fort.

VllFAt MEYER. VdUJSPA

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Gegen die cimnischuii;^' der Snorresi'lieii tassuiic;, sowii' der iilierlieferunj;' anderer lieder in die darstellunj,' der Vc>l. li\^v ich narhdriicklicii vcrwalii'unt;- ein; von einer gleichstellung Yniers mit Adam (siehe Zdckler a. a. o. I, (>'). !:!!). 220. 187 f.) ist in der V(jl. so wenig eint> simi' /ji linden, als vun ihn' miselanig der gegensätzlichen elemento (Züeklor I, 173) oder der zerteilung des mikrokosmisehen urri(^s(Mi. V. 4 hjojiom i/pßi) entspreeho dem 2. tagvwcrk, der erseliaffung des firmaments. Die zahl der in der V(d. anl'tretenden sehüprer werde kcMnen anstnss errrenen (iil)er di(! hetei- lignng der trinität s. Züekler I. l'.\7>. 171 n. ö.). Wohei' hat nnser Verfasser al)er die beuemunig Bors st/i/rr'f Der ausdruek seil alieniings von hliehst zweitelhafter eeht- heit sein. AVcnn dann die sonne auf die .,grundstein(! des (n'densaales" herahseheint. um sie zu trocknen, um die /nrhu rirriis lii>rvorzul)ringen (.3. tagewerk), so begehe der Verfasser den ülirigens verzeihliehen Verstoss, die soinie scheinen! zu lassen, ehe sie noch geschaffen. Was unserem dichter diesen tadel zug(vogen, ist wol andern ebenso unerfindlich wii' mir. ich selie von der urliehtstJieoi'ie der kirehenväter ab und verweise dafür auf Zöckler I, 17:5. :ii)(5. 401. Aml)rosius He.xaem. lib. 1H. c. G zieht die streuge Schlussfolgerung als glaubcnssatz: sricoit oiimcs soloii (iiirtorcm //())/ r.v.sv nascciitiu'»! , J/on'or rsf hcrhis. junior foevo. Dil). IV. c. 3: coite solem htrri qiiideni snl 'lioii rcf/i/(/rf dies <[iil<( (iiHpIhis unmiiiv }>/ er i d I a iio solc rcsplcu- dct , mit merkwürdiger ül)ei'einstimmung zu si(i)))an A"i)l. 4; vgl. c. 7 Jiiun als coii- sors et f rater solis. Ich lial)e mir die sache immer so gedacht, dass dii' sonne längst geschaffen, der dichter nur nicht geschwätzig genug war, auch das natüiiichste im einzelnen zu erzählen, pcir ea ii/ißr/arp u/o'rrt» sküpo wird mit stilschweigen übergangen, denn die beizielunig von des Kosmas /} ntat] leisti't nichts. Die vulgat- ansicht der exegeten von der kugelgestalt der erde (Zf'jcklei- T, 123) ist mit den nor- dischen vorstelhuigen nicht vereinbar. Ich weiss wol, ilass einzelne väter die erde sich als scheibenförmig Hache, vom ocean rings umflossene läudermasse gedacht haben. AVas gerade Kosmas betritt, so lehrte er eine viereckige olilonge gestalt der erdober- fläcbe im anschluss an die vier zipfel oder ecken der erde. Aw iiüpgarjyr ist man versucht zu denken, wenn man sieli dii^ mittelaltei-liche gäocentriscln^ auffassuug des Planetensystems gegenwärtig hidt (terra in rnedio omniuv)): vgl. auch diese Zeit- schrift X, 37.

V. 5. G. sind mit ]\Iüllcnlioff u. a. spätere Zusätze oder wahrscheinlicher in eine Strophe zusammenzuziehen (s. o.), die sich volkommeu im rahmen des 4. tagewerks bmvege. Sie vergesse freilich die sterne. Dii' deutung Hoft'ory's, die auch M. unab- hängig gefunden hat, wird preisgegeben, nicht \\'eil sie luirichtig ist, Sendern weil sie nicht in den liericht der Genesis passt. Dass nun alier mit v. 7 nicht das 5. tage- werk, die tierschopfuug, ci'zählt wird, bezeichnet endlich auch M. aufrichtig als bedeutende abweichung. ITuser mysticus hätte sich als blossen nachahmer der Gene- sis (wie ja bekantlich viele andere) sofort vijllig blossgcstelt so lautet die vielleicht andern lesern einleuchtende entschuldigung. AVas M. sonst noch weiss, muss ich bitten l)ei ihm selbst s. 72 ff. nachzulesen. Es haben wider einmal die berge gekreist, es ist aber nicht einmal ein mausgrosser gewinn für die A'"ol. zu tage gekommen. Dagegen für Suorre. AVir In'auchen mis fernerhin keine skrupel mehr darüber zu machen, wo bei Snorre (II, 255. I, 38) Ymer geblieben ist. Der gute christ hat erbarmungslos die lehre der kii'che zur seinigen gemacht und mit seinem ekki das nichts an den anfang dei' dinge gestelt, vgl. Alüllenhoff, de carm. AVessof. s. 9. Ich acceptiere diese zweifellos richtige erklärung als sicheren gewinn. Es herscht, wie Zöckler I, 137 hervorgehoben hat, bei allen kirchcuväteru weseat-

112 KAUFFMANN

liehe Übereinstimmung darüber, die heidnische und jüdisch -liellenistische annähme einer nngftschaffenen materic, die coätcrnität oder gar priorität des weltstoffs mit der gottheit zu verwerfen. Sehr interessant ist in diesem Zusammenhang die polemik Tertullians in seiner Streitschrift gegen Hermogeues (Zöckler I, 156 f.). Wer sich die viel verzweigten ströme vergegenwärtigt, die in der christliclien Hexaeme- ron-literatur zusammengeflossen sind, der wird vielfach geneigt sein, wenigstens den gedanken anklingen zu lassen, ob nicht Urverwandtschaft in einzeln teilen vorliege. Die orientalische kosmologie bei einem manne wie Ephraem, hat, wie es den auschein hat, aufgesogen was von ur zeitlichen Überlieferungen erreichbar gewesen ist; von den nachweislich starken einüüssen der griechischen philosophenschule nicht einmal zu reden. Der menschliche Organismus ist nach der naturphilosophic der Stoa das mikrokosmische abbild des alls (Zöckler I, 47), für die Stoiker wie für die anhänger riatons ist die materie als das gestaltlose chaos von anbeginn der dinge (Zöckler I, 52 f.); an den massgebenden einfluss eines Philo brauche ich nicht zu erinnern. Doch ist nicht aus dem äuge z\i verlieren, dass die Schöpfungsberichte verschiedener nationalitäten leicht unabhängig zusammentreffen, da es sich stets um die herkunft ungefähr derselben guter des lebens liandelt. So, meine ich, könte auch die scenerie von Vgl. 4 auf eine anschauungsweise zurückgehen , wie sie vielfach von den exegeten des 1. Gonesiscapitels vorausgesezt wird. . Die erde war ursprünglich vom meer über- strömt und wird aus den wassermassen emporgehoben. Die sonne leuchtete durch das wasser auf den festen meeresboden {d salarstcina'^ : vgl. den nameu der Salier als der meeran wohner und die späteren Salgau, Salland?), und es wächst der grüne rasen, nachdem die wasser eingcdämt sind. Die deutung Hoffory's auf dem meeresboden halte ich für zweifellos richtig, nur die berufung auf lat. soh;m ist bedenklich. Ich lerne aus Zöckler I, 248, dass gerade Beda sich mit der anschauung getragen hat, wonach das neugeschaffene urlicht durch die den erdball rings umgebenden wasser bis zur Oberfläche der erde durchgedrungen sei, wie die taucher es verstehen, in den tiefen des meeres das wasser um sich her heller zu machen. Ambrosius Hexaem. in. c. 2 sagt: tractavimus invisihilem ideo fu/'sse ferram, quod aquis operta tegc- retur . . post congregationem aquae, quae erat super terram, et post derivationem eius in maria, apparwisse aridmn. lib. I. c. 8: solis radius, qui solet et suo aquis latentia declarare.

Was weiten wir dagegen sagen, wenn jemand beliauptete, die geheimnisvolle mythologie der runen, wie Sigrdrifa sie kent und lehrt, sei nichts anderes als der gedanke eines Origcnes, Athanasius und anderer, dass die uns umgebende creatur nur eine Zeichenschrift des allerhöchsten sei, buchstaben in seinem Schöpfungsbuche? Nach Gregor von Nazianz eine grosse und herrliche schrift (aroi/fTov) gottes, wodurch dieser wie durch eine stumme Zeichensprache verkündigt werde; ähnlich bei Basilius, Chrysostomus, Augustin u. a. (Zöckler I, 113 f.). Es ist so sehr leicht anklänge au die nordischen berichte aufzuspüren : wenn in der Genesisdichtung des Spaniers Juven- cus der cherub als eine art von waberlohe um das paradies her dargestelt wird (Zöckler I, 257); ab horto jjaradisi qui dieittir undique igneo muro esse eonelu- sus . . vi homines inde prohiheat ignis sagt einmal Honorius von Augustoduuum (a. a. 0. 1181 D); oder wenn beim Massilioten Claudius Marius Victor das eiskrystall- artige firmament als ein kühlender schild für die erde gegen die hitzc der ätherregion aufgcfasst wird (Zöckler I, 261 f. 378): man erinnert sich dabei des himintarga SnE. I, 292, des Svalenn stendr solo fyrer sJcjqldr, sMnanda gnpe : hjnrg ok brim reitk at

1) Vgl. nol■we_^^ soll grundstock (Aasen').

illil'.R MKVKR. YtimsrA 113

brinna slciila cf hioni fcllr i frd (ii-imiicsin. MS. Si.nrili'irmii. lä. W'i'uii (_»|)iiiu und Frigg in der (>iiii!,aiii;'S|iV(isa zu den (Irimnesni. siilti i lilifisL-jalfH (wie Xm'v vVn'Cryog';) ok sd UV) licivia alln, so Iioisst es auch von gott in der allen, icüivdii'li von Ewald herausgegebenen, in England entstandenen, soiir weif vnllen Vita (iregm-ii: Deu (imiiia ex (ircc stni sprc/tliD/lr pro/- ii/i'nfri//ff' (Kcsischiilt für <<. Wailz s. fil), wohl nach Ps. 13, 1 il(i»ii)iiis (If i'dclii jinis/ic.rt/ st/jicr /ilios h(iiiiiiiiiiii : vgl. aneli .laFie, Mon. Mog. p. 44, 1 ff. Für d(>n halsschniurk dei- Freyja künti' man des niiniilf gcdenki'ii, von dem wii' liei llonnrius lesen: iiionllc, unml {vi-i'U'^iani) nniiil cl nnuiil jiectns. fs/ xii/i/Niu riri//in's (/rs/KUiisiitiir . i/r (iduUrr iinlldl iiudunii ni siinim alniKic a. a. o. llli.'{ F. Als i'iiii' schildlmfg wird die larr/'s Darid geseliildi'i't : j/u'/lc t////iri pi-iiilod ex Cd a. a. o. 1177 F; und die au/ti citcli iinii rccipit iillitiii pcccdli iiKtciihiiii , \\\r llaldis wolmung a. a. o. IISO 1!.

Die üherrinstininiungrn werden alier ei-nsthal't(M'en eharalcters. snhald wir uns d(M' liherlieferung in Snnri'i-'s cinniiendium niUiern. A\'it' daiikhar wären wir gewesen, wenn M.s lleissige hand eine iiucllenkund(^ der Snorra Edda uns besi'hert liättrl So lange wii' eine solche nicht bi'sitzen, ist es nicht statthaft orziUilungen für das heiden- tum in anspruch zu mdimen. füi' widdie nur Snori'o und sein ki'ois die gewähi's- männer stelt. Ich keime nur aus Sn. E. 11, 2S1. 1, 142 jene komische geschichti', die [tiu'!' i>assiei'te. als e]' seine luM-ke geschlachtet hattr und sie am aiidei'n morgen jnit seinem hammer wider helehte. wovon Hymeskv. 37. 3S nichts weiss. Dazu gibt es aus iler wuudergeschichtc d(^s Brittena[»ostels ('«ei'maiuis ein veiiilüfi'endes seitenstück, das uns wenigstens gegen die noi'dische überliefei'ung (zu dei- übi-igons 11. Petersen, (iottesdienst s. .'iS zu vergleiehen ist) versichtig machen muss.' Sie sticht bei Neninus s. 32 und ausführliciier in der Acta SS. zum 31. .Tuli (s. 272). (iermamis war bei i'inem ai'inen Kidudots n'i/is an einem stürmischen wiutertag eiugekelirt; die kleine familie besizt nur eine rai-ca nelist nfuliis. Dieser wird dem gaste zu ehren gesehlachti't : cociki cxjdicitd hi'dliis (IcniHiniis nndicrni/ vnx-ni, inipvniUiiic /d assa r/'f/di eol/ectd d/l/t/cid üts s//jicr jicil/cnldii/ ('/'//s aide iindroii in jiracsfpin cnu/jio- iial. (jiio fdctd (mij'dni dii-tii <ju()d vstj rif/rlns dl/s<j/ic iiinrd ndrrcxil , iiid1ri(juc rnadsfaiis pahidiiiii cdrprrc cuepit. Dagegen bei Nennius (Mon. Ilist. Ih'it. 1, 03): rHidinii dccidli , cnxif et pasiiif didc svrruiii Dei ractrrd^qtic sdcio!< ejus, tj/n7t/(f< S. (Icniidinis prdvfcpit . itt nmi cdiij riiKiercfur "S- de dssihds eil/di. ef sie pictuiii esf. Ii) eraff/itifiii rit/ilds i/ireidds est dide iiiafreiii sitdiii saiids ef r/n(s. Iiieo- l/nt/isij/te dei //riserieordid ef nndiuiie S. (leniidiii. Amdi übei'cinstimmungeu wie die von Maurer Bekehrung 1. 4()8, UU und Jac. Grimm, iiiyth. ' l.")7 f. 753 anm. 2 erkanten dürfen erwähnt wenlen. AVähi'cnd Vaf|n'ü{inesm. 30. 37 auf die fragi^ Ojjius an den riesen. woher doi' wiml koinnu'. die antwort gegclien wird: Ilmsrelur l/eifer es siff d lii»iens endd jutiDHi in dnnir Intin . df i/dits r<eii(jjoiii l'rejxi riiid h(niid iilld ineiui yfer, weiss Snorre II, 2r)7. I, 48: rjerpo hiiieinti oh- seffd _///lr jorpina med IUI skaiäiim (d{ i/iidir I/rerf hiini seffn pcir drer;/ ÄHsira , \'estrd, Noipru, Stipfd , zwerguamen, die amdi litu-eits in dem interpolierten katalog der V(^)l. stehen. ,1. Grimm hat Myth. ' s. 382. 525 in denselben die bezeichnung der vim' haujitwinde gesehen, was nii'gends überliefei't ist, der Sache nach aber das ilehtige hei'ausgehobeu hat. In solchem falle kann nur blinde Voreingenommenheit ehi'istlichen einfUiss ver- kennen, vgl. Apocaly[ise 7,1: pusf J/aee ridi qtiafuur aii(jelns sfd//fes super (ludfiior augidos fcrrae (= skduf, doch ist zu der Wortbedeutung Buggc. Studien s. 205

1) Nachträglich sehe icli, dass bereits Moni' und Wnlt daraal hiiiL;('\vii"-i.'ii lialicii, vgl. Mannhardt, üerm. Mythen s. 57 ft'. Vu;!. auch Grimm, Myth. 151.

ZEITSCHKIFT F. DEUTSCUE PHILOLOGIE. BD. XXIV. 8

114 KAUFFMANN, tJBER MEYER, VOLUSPA

anm. 3 zu bcrücksiehtigen) tencntcs qnataor renton terrae, ne flarent super ferrani neque super mare neqtie in uUam arborem. Es sind die mundi eardines, e quibtis ventortim potens quaternio (F. Oeliler corp. haeret. I, 131) oder die quatiior partes, distitiGtiones mundi, welche die cornua crucis umfassen: orientem seilicct et occi- dentem, aquilonem et meridiem (in derselben reilienfolge wie im nordischen text gegen YqI. 11). Eine deutlichere spur als der termiuus hörn der Eddastelle ist nicht zu verlangen (doch vgl. landshorn Yigfusson Dict. s. 279), und es liegt auf der band, dass in demselben christlichen boden die poetischen jaräarslaut, heimsskaut wurzeln. Ob dagegen eine termiuologie wie Honorius Augustod. de imagine mundi I. c. 5G: dieuntur autem nubes quasi nimhorum naves die quelle für vindflot Alvism. 18 gebildet hat, kann zweifelhaft sein. Ich habe mich Beiti'. XV, 195 ff. dafür erklärt, dass bereits unsere töltesten mythologisclien lieder von dem kulturstrom berührt sind, der im sonnigeren Süden entsprungen war. Diese berührungen nachzuweisen, ist eine ernste aufgäbe, an der schon manche kraft sich erschöpfte. Wie tiefgreifend das römische recht die germanische nationalität gefährdete, muss hier nachdrücklich her- vorgehoben werden; es ist notwendig an den ergebnissen der rechtsgeschichtc den blick zu schärfen, wenn es gilt, die Wandlungen der religions Vorstellungen auf christ- lich-römische einÜüsse zurückzuführen. Seitdem ITsonors Eeligionsgeschichtliche Unter- suchungen (I. II. Bonn 1889) erschienen sind, selten auch wir gelernt haben, wo und wie der spaten angosczt werden muss, um an die wurzel der volksbräuche zu gelangen. An verwegenen verlorenen einfallen haben wir jezt reichlich genug erlebt. Die mythologische forschung hat jezt als nächste aufgäbe, aus dem bunten bilde der Überlieferung die factoren auszuscheiden, die dem religiösen leben der einzelnen germanischen stamme angehören. Auf der grundlage des religiösen lebens erhebt sich der labyrinthische bau der religiösen dichtung. Ich zweifle nicht, dass die religiösen anschauungeu,. ceremonien und Symbole, die das gesamtvolk be- herrschen, wie ein Ariadnefaden uns durch die übeilieferten dichtwerke die richtige bahn führen werden. Die Scheidung zwischen der kunstleistung des individuellen dichters und dem festen fonds des volkstümlichen glaubens ist die Vorbedingung für die behandlung der frage nach der herkuuft der dichterischen Stoffe. Die einzelneu formen der volkstümlichen religiösen ceremonien haben gleichfals ihre geschichte, an deren aufhellung wir zu allererst werden zu arbeiten haben. Ausgangspunkt kann aber nur- der zustand des germanischen heidentums unmittelbar vor dem bekehruugs- werke der christlichen missionare sein, wenn wir- historisch zuverlässige resultate erwai-ten. Ich arbeite seit längerer zeit in dieser richtung und bin von ganz anderer Seite der frage nach der kulturberührung der Germanen mit der romanischen weit nahegetreten.

MARBURG, 8. FEBRUAR 1890. FRIEDRICH KAUFFMANN.

A. Wagner, prof., Der gegenwärtige lautstand dos schwäbischen in der mundart von Reutlingen. Er.ste hälfte. Reutlingen 1889. (Festschrift der kgl. realanstalt zu Reutlingen zur feier der 25jährigcn regierungszeit sr. majestät des königs).

Für den verf. ist die nähere bestimmung seiner abhandlung, die gegenwär- tige lautform der Rcutlingor Ma. zur darstoUuug zu bringen, wesentlich. Denn auch er huldigt der ansieht, dass wir im stände seien, den proccss der lautveränderung zu

KAUFFMANN. i'BER WAOXER , REUTLIXGER MUNDART 115

belauschen und die richtung- derselben vorauszusagen. Das ist ein durch die engli- schen Phonetiker nach Deutschland verpflanzter irtum. Von den schriftsprachlichen einflüssen wie ac statt qe (aeclrks i^ohört aber nicht hierher, ahd. ccjidchsa) , ö statt ao u. a. abgesehen, bedarf es nur der koutuis der älteren spräche, um isolierte reste wie (Is^ot (zehnte ans zöhendo > *zehede), ßrcllaeno (entlehnen aus verlehenen), qemots (irgendwohin aus *naiswaze) u. a. als besonders altertümlich zu schätzen; von einem vorschwinden der nasalierung kann vernünftigerweise nicht die rede sein. Die Reutlinger ma. hat in der alt(Mi reichsstadt zweifellos genau dasselbe Schicksal gehabt, wie der scliwäbisehe dialekt in weniger exclusiven bezirken und ist in ihrem laut- bestand seit jahi'huuderten fest geworden. Durch zerstreute boeinflussungen von selten der gemeiusprache wird derselbe im gründe nicht berührt.

Die Schreibweise schliesst sich im ganzen den von mir gebrauchten zeichen an. Es ist zu bedauern, dass der herr verf. darin nicht consequenter gewesen ist und da- durch sein scherflein zur herstellung einer gleichmässigen dialektorthographie bei- getragen hat. Aus verschiedenen gründen wäre ä statt u vorzuziehen gewesen; warum der verf. die fast algemein recipierten e, o (statt dessen m, o) verschmäht hat, ist nicht einzusehen. Das griech._;if können wir auch sehr leicht entbehren, wenn wir neben x noch x einführen etc. Es ist geradezu pflicht, in dialektdarstellungen klein- liche Sonderinteressen zu opfern, um dem leser das Studium dadurch zu erleichtern, dass man die Systeme älterer arbeiten beibehält.

Die abhandlung enthält s. 3 20 eine sehr gehaltvolle phonetisclie analyse der laute , die in einzelheiten von meiner darstellung abweicht. Fremdartig ist mir nament- lich die airfstellung eines kieferwinkels 5. grades für ä; aus meiner erfahrung wüsste ich nichts zur bestätigung desselben beizubringen. Ferner soll, was jeder beobach- tung meinerseits zuwiderläuft, der kieferwiukel für ^ und q derselbe sein; ich muss an der absteigenden reihe o, a, (p festhalten. Im übrigen haben indessen unsere unabhängigen beobachtungen zu volständig übereinstimmenden resultaten geführt (namentlich was den schwierigen diphthong di) betritt, so dass wir behaupten dürfen, die schwäbische lautbildung sachgemäss erläutert zu haben. Widerspruch muss ich gegen "Wagners steigende diphthonge (s. 11) erheben. Man mag die Verbindung ja als steigenden diphthong betrachten (dessen erstes einsilbiges element nicht als * sondern als e anzusehen wäre); die termiuologie ist aber nicht empfehlenswert, schon weil sie auf w übertragen, zu Ungeheuerlichkeiten führt, ic in iva ist überhaupt kein halbvocal mehr, wie Wagner schon von Winkler hätte lernen können, folglich ist seine Umschreibung H «e etc. in hohem gTad irreführend. Ausl. -e, -o sind nicht mit dem nasalzeichen zu versehen, es sei denn, dass nasenresonanz vorausgeht.

Sehr dankensweii ist nun aber, dass uns hier zum ersten mal in philologischer darstellung experimentelle messuugen der Quantitäten vorgelegt worden sind. Wagner hat mit dem Grützner -Marey'schen apparat gearbeitet (vgl. jezt Phonet. Studien IV) und die quautitätskurven auf tabellen beigelegt. Ich benutze die gelegen- heit, auf den artikel von herrn William Martens in Kiel: Über das verhalten von vocalen und diphthongen in gesprochenen werte n. Untersuchung mit dem sprach- zeichner in der Zeitschrift für biologie, herausg. von W. Kühne und C. Voit (N. f. VII. bd. 1889 s. 289 ff. , mit sehr wei-tvoUeu tabellen und tafel I) die aufmerksamkeit zu lenken. Herr Martens hat nüt dem apparat von prof. Hensen (vgl. Zeitschrift für biologie, N. f. bd. V.: über die schrift von schallbewegungen) gearbeitet (wie neuer- dings noch eingehender Pipping). Es empfiehlt sich jedoch bei widcrholung der ver- suche, vorsichtiger zu verfahren. Wenn ruis Wagner s. 5 als resultat seiner vocal-

116 KAUKFMANN, ÜBER WAQNKR, REUTLINUER MUNDART

messnugen mitteilt, dass die (|uantit;it der langeu vocalc zu der der kurzen sich wie 3:2 verhalte, so weiss ich damit wenig anzufangen, wenn ich über die termini „lang- und „kurz" ohne aufklärung bleibe. Die oxperimente von Martens ergaben z. b. eine maximaldauer von 0,549, eine minimaldauer von 0,038 Sekunden. Sehr schön sind dagegen die resultate bei den consonanten s. 13 ff. Auffallend bleibt mir nur, dass dem verf. der lautwert auslautender lenis entgangen ist : inlautende lenis wird in aus- lautstellung zu aspirierter fortis: rap nicht rah rabe, rappe etc. Möchten doch die physiologischen experimente auch auf andern dialectgebieten recht sorgfältig widerholt werden! Es ist keine frage, dass die wissenschaftliche, tatsächliche ergebnisse liefernde dialectforsohung erst mit hilfe von apparaten ihren zweck erfüllen wird, wie ja selbst- verständlicli die iuteressen der phj'siologen ihre notwendige wissenschaftliche unterläge erst erhalten, wenn sie nicht mit einer abstracten, sondern mit der individuell mund- artlichen aussprachsform operieren. Der Edison'sche phonograph wird walirscheinlich unseru zwecken nicht die erhofften dienste tun. Kreisen, welche die technischen erfindungen mit Interesse verfolgen, mache ich noch eine in Deutschland, wie es scheint , nicht beachtete Untersuchung von Adrien Guebhai'd namhaft : Nouveau procode phoneidoscopique par les anneaux colores d'interference in der Association Francaise pour Tavancement des sciences. Paris 1879 (Oongres de Montpellier.) Vielleicht haben andere mit der Wiederholung der experimente mehr glück, als ich.

S. 20 ff. erhalten wir eine sehr reichhaltige, auf idiotismensamlung angelegte Statistik, zunächst die vocale umfassend; diphthonge und consonanten werden in aus- sieht gestelt. Ich möchte den Verfasser dringend dazu ermutigen. "Was kentnis der älteren formen anlangt, so werden zwar am schluss der abschnitte aus den Urkunden des städtischen archivs materialien verzeichnet, aber in sehr äusserlicher form. In diesem stück bleibt viel zu wünschen. Auch die gruppieruug der (juantitäten ist verfehlt.

MARBURO, DECEMBER 1889. FRIEDRICH KAUFFilANN.

Kautrinanii, Friedr., Gcschiclite der schwabischen mundart im mittel- alter und in der neuzeit, mit textproben und einer geschichte der Schrift- sprache in Schwaben. Strassburg, Trübnor, 1890. XXVIII, 355 s. 8°. 8m.

Das buch enthält eine behandlung der lautlehre des schwäbischen , in welche verwobon ist, was der verf. über flexionserscheinungen gesammelt hat. Wie von ihm zu erwarten, gibt der verf. eine von den gruudsätzen heutiger Sprachwissenschaft ausgehende und denselben völlig genüge tuende arbeit. Aber, was mehr heisseu will, er komt auch zu ganz hervoiTagenden ergebnisseu. Manche partien schwäbischer lautlehre werden für absehbare zeit zur hauptsache nun fertig gestelt sein, andere sind hier ganz erheblich gefördert. AVas der verf. an historischem material aus den denkmälern von den ältesten lU'kundlichen nameusformen an abwärts bis auf die dia- lektdichter des 18. Jahrhunderts zusammengetragen hat, führt vielfach zu ebenso über- raschenden als fest begründbaren resultaten. Und mag das hier gegebene, was sich heute kaum völlig übersehen lässt, in manchen punkten noch in ausschlaggebender weise ergänzt werden, ao bildet es doch jedesfals für jede weitere arbeit ein ausgezeiclmetes hüfsmittel. Bedeutend weniger genügend ist das material aus der lebenden mundart. Hier musste verf. mehrfach die mundart eines einzelnen punktes, des Städtchens Horb a. N. als förmliche grundlage benützen. Dazu konte er fügen, was er aus seiner heinuvt Stuttgart kent, was er selbst sonst erreichen konte und was

BOHNKNBEKCiER, ÜßEIt KArFFMANN, OKSril. VKU SnnvÄB. MUNÜART 117

neben einigen engere gel)icte oder einzelne erscheinungeu behandelnden kleinereu publicationen uuscro oberamtsbeschreii)ungen bieten. Horb hat nun wohl für einige erscheinungcu eine ganz besonders günstige läge, aber es erscheint als Städtchen schon nielirfach von der gebildetensprache beeinflusst. In Stuttgart ist kaum mehr etwas von bedeutung zu holen. Die oberamtsbeschrcibungen aber, auf welche es für die grossen weiten gebiete des dialocts ankäme, sind hierfür ganz unzureicliend. Ein- gehenderes und brauchbares material liefern nur die alleracusteu , Babingen, Tuttlingen und Ellwangen. Somit vermögen dieselben nur über begrenzte gebiete im n.o. und im s.w. zu untcrriehteu , alles andere fehlt. Und selbst das bei ihnen gegebene bedarf der controlle. Gut steht es wider dank BirHugers arbeiten um das oberschwä- bischc. So mag es sich aus diesem mangel an material und einer daraus sich erge- benden Unsicherheit u. a. auch erklären, dass verf. auffallender weise im gebiet der lebenden mundart dem von ihm selbst als absolut unumgänglich anerkanton grund- satz, die gesetzmässigeu bildungen als solche zu bestimmen, mehrfach nicht oder nur ungenügend nachkomt, sich mit aufführung der neben einander hergehenden ver- schiedenartigen entsprechunjjen begnügt und selbst nicht volkstümliches als gleich- berechtigt einreiht. Oft worden auch den im text aufgeführten durcliaus gleich- berechtigte entsprecliungen in der anmerkung abgemacht, offenbar weil sie einem dem verf. weniger naheliegenden dialectgebiet angehören. Damit bin ich auf das formale gekommen. Wer auf guten sprachlichen ausdruck, richtige Stoffverteilung in absätzen, Paragraphen und abschnitten, corrcctes anbringen der paragraphen- und absatzziffern sieht, wird andere anforderungen machen, als der verf. an sich gestelt hat. Über dem bestreben pointiert und eigenartig zu reden, wird der verf. manchmal auch dunkel und unverständlich. Weite er uns aber vor die wähl stellen, ob wir lieber das buch, wie es ist, mit seinen formalen Unebenheiten und seiner unvolständigkeit in Verarbeitung der lebenden mundart annehmen, oder erst länger warten möchten, bis er gelegenheit gefunden, diesen mangeln vollends abzuhelfen, so würde der fachmann zweifellos doch ersteres vorziehen.

Das Vorwort benüzt der verf. , persönliches und sachliches verknüpfend , zu principiellen anseinandersetzungen. Gegenüber der von Paul aufgestelteu erklä- rung der sprach Veränderung sieht verf. deren grund in einer bestirnten, zeitlich begrenzten und aus konkreten anlassen hervorgehenden änderung der function der Sprachorgane. Wer mm auch diese aufstellung des verf. anerkent, wird eine wesentliche modifizierung der ansichteu der Sprachwissenschaft nur dann darin sehen, wenn ihm dieselben früher mit den aufstelluugen Pauls, nun mit denen des Verfassers völlig zusammenzufallen scheinen. Da seit dem 14. jahrh. keine Verände- rung der lautbildung nachgewiesen werden kann, die Stabilität des lautbestandes viel- leicht aber noch älter sei, so sieht der verf. die vorauszusetzenden functionsändemngen der Sprachorgane, veranlasst durch die einwanderung des Stammes in seine heutigen sitze, und gibt als gesichtspunkte veränderten luftdruck, gänzlich andere bodens- und lebensverhältnisse. Aber was ist diesen Verhältnissen bei ihrer Verschiedenheit in oberschwäbischer ebene und Schwarzwald , in Alb und Neckarthal gemeinsam gegen- über den Verhältnissen der alten heimat? Würde verf. wirklich versuchen, in ein- zelnen aus solchen veränderten Verhältnissen die functionsveränderungeu der sprach- organe zu erklären, so würde er wol, um bestimte Ursachen zu erhalten, gezwungen sein einzelne Verhältnisse herauszugreifen, welche niu- für einen grösseren oder gerin- geren kreis, nicht aber für sämtliche stamniesangehörigen gelten konten. Damit wäre anzunehmen, dass sich die einen dem beispiel der anderen anschlössen; wir hätten

118 BOHNENBERGEK

also hier psychische gründe, und die functionsveränderung hätte dann bei beiden teilen durchaus verschiedenartige Ursachen. Diese aus psychischen gründen hervorgehende bewegung müsste dann aber ebenso ausnahinelose gesetze geschaffen haben, wie die aus mechanischen gründen gegebene, und sie wäre zu trennen von der secundären, welche analogicbildungen schaft. Aus gleichem gründe geht meines eraclitens verf. zu weit, wenn er für die hd. lautverschiebung das bild der Wellenbewegung für un- statthaft erklärt und vielmehr jede einzelne mundart den process selbständig durch- machen lässt. SoU damit gesagt sein, dafs auch das Individuum ohne psychische abhängigkeit von anderen denselben vollzieht? Mag man mit verf. darüber einver- standen sein, dass noch andere Umwälzungen der gleichen zeit angehören und dass womöglich ein alle zusammen erklärender einheitlicher grund anzusetzen ist, so wird es doch auch hier, fürchte ich, bei der grossen Verschiedenheit der Verhältnisse der einzelnen sehi- schwer sein, irgend welchen zustand in der weise für das ganze gebiet der Verschiebung gleichartig zu denken, dass derselbe allenthalben wesentlich gleich- zeitig dieselbe funktionsveräuderung der sprachorgane bewirken könte. Immer werden zum mindesten inseln bleiben, innerhalb welcher gerade in den fraglichen Verhält- nissen Verschiedenheit oder wenigstens ])edeutende abstufung herscht. Diese müssten dann die funktion der Umgebung angenommen haben. Und damit wäre räum für irgendwelche art der ausdehnungsbewegung. Ob aber dabei zum mindesten eine an- zahl von h au pt Zentren als ausgangspunct der Verschiebung, oder nur ein einziges hauptgebiet anzunehmen, darauf will ich nicht weiter eingehen, zumal der Vorgang selbst heute überhaupt noch unerklärbar erscheint.

Hauptabschnitt I, phonetik, gibt die nötigen phonetischen gesichtspunkte und charakterisiert den lautphysiologischeu bestand der mundart. Dieser wäre als die haupt- sache noch mehr hervorgetreten, wenn manches der algemeinen phonetik angehörige gekürzt oder gestrichen worden wäre. Ueberhaupt kann man sich bei diesem ab- schnitte mehrfach fragen: für leser welcher art ist dies geschrieben V Wenn verf. in betreff der geräuschlaute angibt, dei- versuch mit einer Wassersäule in einer glasröhre von 7 mm durchmesser ergebe bei lenis ein steigen von 1 '/, cm , bei fortis von 2Y, cm, so verliert ein solches experiment dadurch ziemlich an wert, dass man dasselbe nicht wohl durch den die mundaii redenden mann machen lassen kann. Und dann wäre das experiment auch auf die aspirierte fortis anzuwenden gewesen, ob diese nicht noch stärkere explosion aufweist.

Hauptabschnitt II gibt eine Orientierung über namen von stamm und Sprache, Stammesgrenze, merkmale der nachbardialecte , teilung des schwäbischen in östliches und westliches gebiet. Unbeschadet aller kürze solte man aber, nachdem ort und zeit richtiger bestirnt sind, nicht mehr von der „sog. Schlacht bei Zülpich a. 496" reden.

Den hauptteil der arbeit bildet abschnitt HI, die lautstatistik. Hier werden die einzelnen laute in ihrer geschichte von den ältesten nachweisbaren, vom verf. aus den denkmälern meist überreich belegten formen an bis in die heutige mundart vor- geführt, die gesetze wie die zeit der Umbildung bostimt. In dieser beziehung ist allenthalben das ergebnis, dass seit dem 14. jh. keine wesentliche änderung in der mundart mehr statgefunden hat. Aus der benützuug der denlcmäler ergeben sich ganz interessante grundsätze füi' deren Verwertung, z. b. für che bedeutung der „um- gekehrten Schreibung", für beurteilung der Schreibart in Übergangszeiten, wo das tra- ditionell gegebene von dem der ausspräche entsprechenden zeichen verdrängt \\ird, für Charakterisierung der Schreiber, welche je nach stand und bildung mehr der traditio- nellen Schreibart anhangen oder den lebenden laut geben. Was die vocale betrift, so

ÜBER KAUFl'MANN, GESCH. DEK SCHWAB. MUNDART 119

beabsichtigt verf. zuerst durch behaudluug der oinzelvocalc einen ausweis des bestan- des zu den verschiedenen zeiten zu geben; in einem nachfolgenden cap. „Geschichte des vocalismus" werden die wirkenden gosetzo eruiert und die zuvor nacligowicsenen Vorgänge erklärt. Ich gebe der küi-ze halber nur, was ich aiiszusetzen habe. Durch- gehend sind bei behandlung der alten kürzen die quantitätsverhältnisse zu wenig genau gegeben. Es wäre rnit rücksicht auf die einzelnen gebiete der mundait genauer zu untersuchen gewesen, welche beispiele dehnen und welche die kürze erhalten. Das gleiche gilt in betreff der diphthongisierung alter kürze, und hier wäre besonders noch zu beachten, wo dieselbe vor nasal -]- spirans consequent durchgeführt ist, und wo nur zum teil. Ferner wie weit heute noch die Vertretung c > ej und e "> de durch- geht. Was hierüber §69, 2, b und § 72 gesagt ist, ist z. t. selbst für Horb anfecht- bar. Dasselbe gilt vom wandel ö > äo und oc > de. Bei den Vertretern von mhd. iu ist eingehender als geschehen der versuch zu machen , diejenigen der beiden ursi)rüng- lich verschiedenen laute auseinander zu halten und genau anzugeben, in welchen bei- spielen und wo der diplitliong als ui, t, ü erscheint, oder dafür mit dem Vertreter des Umlautes von ü zusammenfallend oi auftritt. Das gebiet von ü ist ausgedehnter, als verf. meint. Eingehend sind die vocale der nebensilben behandelt und sehr in- haltreich die belege aus den denkmälern für endsilbenvocale der ahd. und mhd. zeit. Ob die frage über das Verhältnis pe : po als Vertreter von cd durch den ohnedies etwas unbestimt algemeinen hinweis auf verschiedenen nachdrucksgrad (§110 A 3j gelöst ist, bleibt mir fraglich. Soll hier gesagt sein, i in ai sei direct zu a geworden? Und wenn so, wo bietet sich hiezu eine parallele? Dies fiUu't auf die erklärung der gegebenen vocalveränderungen hinüber. Hier stimme ich im princip der darlegung des Verfassers bei, dass bei schwachgeschnittenem accent tieftonigkeit des stamsilbenvocals mit zum höchsten laut aufsteigender betonung für das schwäbische sich womöglich zweigipfliger accent und dehnung ergibt. Wenn aber verf. diese Wirkung auf die geschlossene silbe beschränkt, dehnung iu offener silbe auf ausgleiclmng beruhen und umgekehrt jede silbe in pausastellung sich dehnen lässt, daher auch ebenso kurze einsilbige formen auf ausgleichung zurückführt, so kann ich diese annähme nicht für das ganze schwäbische gebiet teilen. In einer anmerkuug weist der verf. die rück- sicht auf den charakter der folgenden cousonanz kurzweg ab. Stände ihm mehr ma- terial zur Verfügung, so wäre er wol anderer ansieht. Es lässt sich in bestimten gebieten ganz genau nachweisen, wie vor bestimter consonanz dehmmg bez. für e diphthongisierung stathaben kann, und wie dieselbe vor andern unterbleiben muss. Wenn dann innerhalb bestimter grenzen wider einzelne cousonanzen wie z. b. aspi- rierte fortis oder b -j- cons. verschiedene quantität des vorgehenden ursprünglich kurzen vocals zeigen, wenn ng anderen stand zeigt als nk, german. h anderen als der Vertreter von germ. k, so ist diese interessante erscheinung auch bei der bestim- mung der articulation der betreffenden cousonanteu zu beachten. Dass zwischen den verschiedenen consequent bildenden gebieten Übergangsgebiete entstehen, kann nicht auffallen. Somit sage ich: zum mindesten in einem teile des schwäbischen gebietes tritt organische dehnung auch ein, wo der vocal die silbe schliesst, und es gibt bestimte, die dehnung aufhaltende consonauzen. Bei der erklärung der diphthongisierung wäre auf grund des zuvor bei der darstellung der einzelnen laute eingehender zu gebenden materials zu fragen gewesen, warum gerade die nasalvocale anderen voran sein konten, und warum auch unter ihnen ein teil zurückblieb. Dann wäre der satz, dass der homogene geschlossenere vocal erzeugt wird, wenn bei überlangem vocal kehlkopf und Zungenrücken sich heben, specieller auf die einzelnen erscheinungen anzuwenden. AVie

120 BOHNENBERGER , ÜBER iCAUFFMÄNN, GESCH. DER SCHWAB. MUNDART

wird ostschwäbisch ö zu da unclczup? Soll p über ei geleitet werden (§140, 2. a)? Parallel 03 aus 0 geht es doch wohl direct auf e zurück. So war wol auch e, wo es als ea erscheint, zunächst durch dehnung zu e geworden, so dass für das gesamt- gebiet diphthongisierung des offenen e zu ea nachzuweisen wäre.

Bei darstellung der cousonanten schliesst sich an diejenige der einzelnen ge- räuschlaute eine sehr eingehende behaudluug der lautverschiebung au. Zumeist liandelt es sich dabei um eine mit grosser bestimthcit und geuauigkeit diu'chgeführte auseinandersetzung mit der Schreibung der denkmäler. Doch zeigt sich dabei wider aufs neue, wie verwickelt die Sachlage ist, besonders bei ph, eh. Aber auch für die sachliche fassung, welche man im grossen mid ganzen als feststehend anzusehen jiflegt, führt die Untersuchung desverf. noch zu mehrfachen genaueren bestimmungen. Es ergibt sich z. b. , dass germ. dentaler reibelaut schon um die wende des 7. und 8. jh's. zum verschlusslaut wurde, dass dieser leztere stumm war, da < mit rf wechselt, und dass die auftretenden th nicht letzte spuren oder graphische fortsetzung des alten reibelautes sind, sondern erst jünger und gleichwertig mit ^. Die aufstellung Kögels, dass ausl. fortis explos. zunächst affricata wurde, hat verf. in der hauptsache abgewiesen. Im gebiet der Sonorlaute wäre § 181, 2 wider über das eindringen von ff nach z bez. cons. -j- ^ bestimtere angäbe zu machen gewesen.

Ein anhang behandelt in guter spraehe und von gemässigtem Standpunkte aus die geschichte der Schriftsprache. Hier werden selbst strengere Verfechter einer mhd. Schriftsprache ein gut stück mit dem verf. gehen können. Zur trennung wird es kommen, wo er die reinheit der i'eime der mhd. classiker betont; wo er darülier weg- geht, dass nach H. Fischers nachweis Rugge saelekeit : freit reimt; wo Hartmann definitiv ausserhalb Schwabens im engeren sinne lokalisiert werden soll. Beim buch- druck weist verf. mit recht auch auf die frage nach der heimat der druckenden gesellen und auf die bedeutung der messen hin. In betreff der nachlutherischen drucke kann er sagen, dass er über umfänglicheres material verfügte, als seine Vor- gänger.

Als abschluss sind die textpi'oben, beginnend mit einei' solchen aus demL^>. jh. und herabgehend auf die heutige mundart, von wert.

TÜBINGEN. K. BOHNENBERGER.

Zur entstehungsgeschichte des Evangelienbuches von Otfrid I. Von L. Tescli. Grcifswald, diss. 1890. 60 s.

Der Verfasser sucht die entstehungszeit der einzelnen kapitel des Otfridischen Werkes zu bestimmen. Als kriterien für frühe abfassung gelten ihm (s. 57) : häufiges auftreten des part. praes. mit sin, häufige nachstelluug des attributiven adjcctivs, alliteration , widerholtes fehlen der Senkungen (leider ist die crörterung dieser beiden metrischen fragen nicht mit abgedruckt!), Vermeidung fremder eigennamen, benutzung der evangelien ohne commcntar, gliederung in strophen von je 4 langzeilcn, abrun- dung der einzelnen kapitel zu selbständigen liedern ohne anknüpfung an das vorher- gehende und an das folgende. Dem resultate (s. 42 fgg.), dass aus dem ersten buche namentlicli die kapitel 4. ö". ü. 7. 9. 10. 11*. 12 -f 13. 17*. 23*. 25* zu den ältesten bostandteilon des evangelienbuches gehören, kann man zustimmen; die aus- scheidungen späterer zusätze, welche Tcsch aus den nüt * bezeichneten unter diesen kapiteln versucht, beruhen aber doch auf subjectiver Vermutung, deren Wahrschein- lichkeit von der stärke der bcwciskraft abhängt, die man den von Tesch in jedem

KKUMAXN. fnKK TKsCJl . i:NTSTK!irN(iSil l-XIl. \<V> KVANIi. Ill rilK> VOX MTl'RHi. 121

falle vorgebrachten ,i;ründoii /AigestcJion wird, rhcv die i^licilcruiii;' in ali^cluiitti' von je 4 laugverscn z. 1). urteilt Tcscli zwar unisiclitigor und l)csonuonor. als Olsen in seinem aufsatze Z. d. f. a. 31 . l'OS fi;. ; aber er geht doch vielleicht zu weit, wenn er anninit, ein an den nieisti'n stelh'ii vierzeiligc abrundung zeigendes kajütel müsse eine sdlciic an allen stt-llcn ursprünglitdi gehallt haben. Kr vermutet aus diesem gründe z. b. hinter den verscn 1,-1,9.10 ausl'all (idtsr s|);itere absichtliehe auslassung zweier alten vers«; (für I, 4, (i.'>. (34 und GO. 70 si'heint er keine Störungen d(>s vi(U'zei- ligen al)schlusses anzuerkennen), und hält anderseits aus demselben gründe !,:"), 21.122 für später zugesetzt, zu einer zeit, in widedier Otfrid die vierzeilige alirumlung nicht mehr erstrebt hal)C. Ich habe mir die sache immer so gedacht, dass Otfrid vier- zeilige (in anderen lallen sechszeilige) gliederung zwar oft erstnjbt und in manchen kapiteln auch ausuahmides dureligefUhrt hat, dass er sie alier zu keiner zeit für unbe- dingt oi'ford(n'lich hielt, und dass er also auch 2 in sich abgcschlusscm^ langvorso zwis(;ben vierzeiligen (oder sechszciligen) gruppen stehen lassen konte, wc!ni ihm keine passende erweiteruug oder füUung einüel. Ausscrlich bezeichnet ist ja (abgesehen von den fällen, in denen ein refrain' in gleichen abständen auch dem äuge auffal- len muste) d'w vier- oder sechszeilige gliederung in keinem falle in den handscliriftcn.

Übrigens hat die frühe abfassung der bisher genanten ka[utel des i'rsten bnches, mögen sie nun zum teil spätere Überarbeitung erfahren halicn oder nicht, l)ishcr wohl niemand bezweifelt.

In der annähme siiäterer abfassung für 1, '.i und I, 27 stimme ich Tesch (s. 'u) liei. Inwieweit er für die einreihuiig der ülnigon teile des evangelienbuehes in die flrei jterioden der entstehungszeit, die er s. öS f. charakterisiert, bestimte uml wahr- scheiuliche neue resultate gewonnen hat, ist aus dem bisher veröffentlichten teile der arbeit noch nicht ersichtlich. Mit anerkennenswerter ofl'enheit gibt er zu, dass aus der s. 29 fgg. angestelten untersuehimg über „volkstümliches im evangelionbuch" sich keine residtate nach dieser riehtung gewinnen lassen; liestrebungen dieser art treten in jüngeren wie in Jüteren bestandteilen gleich stark hervor. Die Verwendung seltener Worte oder abweichender wortformen (wie z. b. hirinncs nur 11, 0, 57 statt des sonst stets gebrauchten hirun, zugleich der einzige fall einer form auf -;;/r« ohne adhorta- tive bedeutuDg; gebrauch des inf. wcsan oder shi; 2. sg. auf -.y oder auf -.s7) hat er nicht für die zwecke seiner arbeit verwendet. Ich liillige diese enthaltsamkeit ; deim liei der anzunehmenden formellen Überarbeitung des ganzen Werkes, deren leztes Sta- dium in den correcturen und Zusätzen der haudschrift V uns noch vor äugen liegt, dürfte es sehr bedenklich sein, aus derartigen differenzen Schlüsse auf die abfassungs- zeit der einzelneu teile zu machen. Zu s. 19 liemerke ich, dass der uannj Jesus nie in fremder form vorkomt, weil //ci7«/<< als entsprechende Übersetzung galt, vgl. 0.1,8,27 nach Mt. 1, 21 und <). 1, 14, 4 nach Luc. 2, 21; auch im Tatian steht an den entspre- chenden stellen 5,8. 7, 1 (und ebenso 3,4) das deutsche wort, und nur später ist ein- mal 82, 8 Jliesus in den text gesezt (fehlt bei Sievers im namensverzeichnis). Durchaus unbegründet ist die Vermutung (s. 51 note), dass die ka[iitelüberschriften und marginalien nicht von Otfrid selbst herrühren sollen. Der corrector der haiulsehrift V hat sie ebenso durchgesehen und stellenweise ergänzt, wie den deutschen text.

Die Widmung an könig Ludwig Ijczieht sich offeidiar auf das ganze volli-ndete werk Otfriils; gilt dassell)e auch von den beiden Zuschriften an Salomo von Konstanz und

1) Ich wüiilo lionii (Ir. Tesch ilaiikbar yowoscn sohl, wenn er dio lio-rüniluiiv, ^eincr zwoilou thoso ,,Erilmaiiiis ansichten über dio Verwendung dos refrains in OtlVids ovangelienbucli sind nicht cünsei|iient " mii- freundlichst mitgeteilt hätte.

122 BERGER

an die St. Galler raönche, oder begleiteten diese zunächst niu- einzelne teile des noch nicht vollendeten Werkes V Die erste meinung wurde von Olsen (Z. f. d. a. 29,343) ausgesprochen, die zweite vorficht jezt Tesch in der ersten these seiner dissertation. Mir ist bei der Zuschrift an Salomo die zweite, bei der an Ilartni. und "Werinbert die erste annähme Avahrschoinlicher; aber volle Sicherheit darüber wird man kaum ge- winnen können es sei denn, dass ein beweisendes äusseres zeuguis aufgefunden werden solte, wie etwa eine neue Otfridhandschrift, die niu- einen bestirnten teil des Werkes mit nur einer widmuug enthielte.

Ich komme bei dieser gelegenheit auf eine von mir schon öfters benuzte ana- logie zurück. Für Klopstocks Messias kenneu wir ja das jähr, in welchem jeder gesang zuerst erschien'; wir wissen ausserdem durch äussere Zeugnisse, dass die rei- henfolge der abfassuug nicht immer mit der der Veröffentlichung übereinstimt, dass z. b. lange stücke aus dem 1773 zuerst gedruckten XVIII. und XIX. gesauge schon zwischen 1748 1752 abgefast sind (vgl. R. Hamel, Klopstockstudien 3, 56 und desselben commentar in der ausgäbe DNL. 46). Würde wol jemand ohne die äus- seren Zeugnisse diese stücke (für die zum teil auch mehrfache Überarbeitung bezeugt ist) aus inneren gründen mit Sicherheit als ältere bestandteilo erkant haben? Schwer- lich! Und deshalb wird man sich auch hüten müssen, den resultaten, welche herr Tesch aus seinen beobachtungen mit anerkennenswertem fleisse und Scharfsinn gewon- nen hat, mehr als einen gewissen grad von Wahrscheinlichkeit zuzuerkennen.

KIEL. 0. ERDMANN.

Zur Waffen- und schiffskunde des deutschen mittelalters bis um das jähr 1200. Eine kulturgeschichtliche Untersuchung auf grund der ältesten deut- schen volkstümlichen und geistlichen dichtungen. Von Heinrich Schröder. Kiel, Lipsius & Tischer. 1890. 46 s. 1,50 m.

Der Verfasser der vorliegenden schrift, einer Kieler dissertation, hat sich ohne zweifei eine dankbare aufgäbe gestelt. „Eine kulturgeschichtliche Untersuchung" nent er sie gewiss nicht mit unrecht; man muss dabei nur im äuge behalten, dass die realienkunde , um die es sich hier handelt, zwar ein unentbehrlicher teil der kultur- geschichte ist, sich aber keineswegs mit ihr deckt, wie es nach einem leider noch nicht ausgestorbenen lässigen sprachgebrauche den anschein hat. Der realienkunde des deutschen mittelalters ist bisher weit mehr der eifer von archäologen, kunsthisto- rikern, kriegsschriftsteUern, geistlichen und mancherlei dilettanten, als von eigent- lichen pliilologen zu gute gekommen; die schriftliche Überlieferung ist dabei über ge- bühr vernachlässigt und weder stofflich erschöpft, noch überhaupt streng methodisch verwertet worden. Die schwierige aufgäbe, mit einer volständigcn beherschung des erhaltenen anschauungsmaterials die alseitige durchforschung der mittelalterlichen Ur- kunden, geschichts Schreiber und prediger zu verbinden, beides gegen einander zu halten, zu vergleichen und daraus die geschichtlichen Wandlungen zu entwickeln, ist nach wie vor ungelöst.

Für die waffenkunde hat bekautlich San Marte einen derartigen versuch ge- macht: er hat die schriftlichen berichte fleissig excerpiert und auf gräberfundo und abbildungen vielfach rücksicht genommen; nur leider völlig kritiklos, so dass sein buch nicht mehr geworden ist, als ein übersichtlicher katalog, in dem es eine ent- wicklung überhaupt nicht gibt, aber belegstellen etwa aus dem Beowulf oder Euod- lieb mit solchen aus dem Wigalois oder Lohengrin friedliche nachbarschaft halten.

i'liEK .^rilRÜDEi;. ZUK WAFFEN- UNU SCilirFMCUMlE 123

In einem begrenzten Zeiträume, von ]]')() 1;50(\ übcriialun das verdienstliclie, aber sehr überschäzte werk v(in Alwin Sdiultz diesell)i' leistuni;-: eine reichiialtige mato- rialsamlung, sehr ileissig, aber sehr iiusserlich angeordnet, ohne wirklieh liistorische gesichtspuukto. Die frage, wie, woher und seit wann die hijfisclie liildung almählioh vordrang, wie sie sidi naeh und narli niii der i'irdii.>iniisch('n auseinandersezti.', wie- viel sie von dieser autnahin. umbildete, verdrängte, bekämpitc! usw.. wiitl in diesi;ni werke gar ni(>.ht aufgewurtcn ; niclit nur l)erichto, welehe etwa hundert jahi'i' ausoin- anderliegen, aueh Iranzösisehe luid deutsehe quellen werden zi('ndieh sorglos kom))i- niert, und vielfaeh werden ganz vcu'einzelte belege dun-li ein voreiliges „gewiihnlieh", ,,geru'' oder dgl. fälsehlieh veralgcmeiniM't.

Schröder geht von der riehtigen l'orderung aus, dass „die versehiedenlieiti'n naeh ort und zeit'' sorgfältiger beaehtet werden müssen. Nach dem titel seiner sehi'ift hat er sich das Jahr 1200 als grenze gcsezt und fügt hinzu: „eine kulturgeschichtliche Untersuchung auf gi'und der ältesten deutschen volkstümlichen und geistliehen dich- tungen". Leider führt dieser titel irre, denn auf s. 5 erfährt man, dass noch eine besehräukuug nach rückwärts hinzutritt: es handelt sich keineswegs um die „ältesten deutschen volkstümlichen und geistlichen dichtungen'- also nicht etwa um die reiche ausbeute aus Ilildebrandslied, lleliand, Otfrid, Waltharius usw. , sondern lediglich um „die zeit von ca. 1100 (Exodus) bis ca. 1217 (Kudrun)'', uml aus dieser zeit nur um „deukmäler, die noch keinen französischen einiluss zeigen". Das hätte schon im titel angedeutet werden sollen.

Schröders arbeit fusst auf neun gedichten: Rother, Morolf, Brendel, Nibelimgen, Kudrun, Anuolied, Kaiserchrouik , Exodus, jüngere Judith. Warum die gedichte von Oswald und herzog Ernst nicht bcnuzt sind, hätte wenigstens gesagt werden müssen. „Das Rolaudslied und das Alexanderlied musten, weil auf französischer quelle be- ruhend, ausgeschlossen werden." Daraus ergibt sich die wunderliche tatsache, dass nach annähme des Verfassers die begriffe „auf französischer quelle beruhend" und „französischen einiluss zeigend'* dasselbe besagen; denn die genanten neun gedichte haben keine französischen (|uelleu, folglich so scheint er zu schliessen zeigen sie auch keinen französischen einiluss. Glaubt denn aber der Verfasser wirklich, dass es nur einen „einiluss" von buch zu buch, dass es nicht andere und viel wichtigere wege der culturübertragung gibt? weiss er nicht, dass der französische eiutluss in der geschichte uusrer bildung schon mit dem 11. Jahrhundert ganz deutlich wird und eine erschciuung wie der „Kuodlicb" ohne die Voraussetzung einer aus Frankreich immer entschiedener herüberwirkendeu ritterlichen cultur nicht zu verstehen ist? Und wenn Schröder nur den wortsidiatz seiner neun gedichte ansah, so sprachen doch schon aus- drücke wie hi'iitff, hantasch, pan\icr, ijnhUut, l-Drertiurf usw. unzweideutig genug für „franzi isischen einiluss " !

Mag man übrigens dem Verfasser immerhin, ganz abgesehen von seiner Ijcgi'ün- dung, eine solche einschränkung seines themas zugeben, so hätte er sich doch jedes- falls nicht begnügen sollen, das rohmaterial einfach vorzulegen, damit sich jeder, so gut es geht, selbst damit abfinde: er hätte es vielmehr für seine pflicht halten müssen, dem leser auch den Standpunkt zu bezeichnen, von welchem er das material zu be- urteilen habe. Er hätte liei jedem caiiitel über alter, gestalt. vi/rwendung, liozeich- nung, bearbeitung usw. der einzelnen waffeu einige kui'zeu historischen andeutuugen geben müssen und dann erst die frage aufwerfen sollen: wie stellen sich diese neun gedichte dazu? wieweit stimmen ihre angaben zu den verhiütnissen der voraufliegen- den zeit"? wo weichen sie von diesen al)V und wie sind diese abweichuniren zu er-

124 BERG ER

klären V Mit hilfe der bekanten werke von Liudeuschmitt, Max Jahns, v.Peucker, Demmin usw. wäi'e das auch für einen aufiinger nicht zu schwer gewesen. Aber freilich scheinen alle diese vorarbeiten dem Verfasser nicht bekant geworden zu sein: nach s. 6 sind jene neun gedichte, die genanten werke von Alwin Schultz und San Marte, Pfeiffer's abhandlung über das ross im altdeutschen und zwei arbeiten von Jänicke sein ganzes rüstzeug. AVenigsteus noch das in seiner art ausgezeichnete werk von G.Köhler „Die entwicklung des kriegswesens und der kriegführung in der ritterzeit" hätte er einsehen müssen. Er hätte beispielsweise daraus lernen können, dass die halsberge ursprünglich nichts war als ein halsband (monilia), eine Verbesse- rung der römischen rüstung. welche zwischen heim und panzer den hals noch unbe- schirmt Hess; dass die halsberge spätestens seit 813 hinten am heim befestigt, später von einer unter dem heim befindlichen kapuze getragen wurde und über die brünne hinübergriff, von der sie bis etwa 1150 als besonderes waffenstück völlig getrent war. Als dann im 12. Jahrhundert halsberge und brünne, beide aus kettengeflecht hergestelt, fest mit einander verbunden wurden, gieng der ausdruck li aisberge auf die ganze rüstung über; wo sich dann halsborgc und brünne aufs neue trenten, ergab sich die sonderbare begriffsverschiebung , dass man die brünne vorzugsweise als halsberge bezeichnete. Hätte der Verfasser seine quellen nicht mit ganz anderen äugen ansehen müssen, wenn er diese und andere ausführungen gekaut hätte? Die genaue diu'ch- forschung eines eng abgegrenzten gebietes einer eutwickluugsreihe hat doch nur einen sinn, wenn man von der ganzen reihe eine anschauung hat; sonst muss man im einzelnen notwendig irren. "Wer die ergebnisse der Schröderschen Untersuchung an- sieht, wie sie auf s. 45 zusammengestelt sind, der bemerkt alsbald, dass den Verfasser genau derselbe Vorwurf triff, wie Alwin Schultz: falsche veralgemeinerung einzelner Zeugnisse. Wir wissen doch ganz bestimt, dass in der bewaffnung des mittelalters beständig sich Wandlungen volzogen haben, dass man nicht einmal in einem einzigen beliebigen Zeitpunkte die rüstungen, etwa wie unsere uniformen, als etwas wesentlich gleichartiges beurteilen darf. Vielmehr bestand nachweishch neben einander eine aus- serordentliche mannigfaltigkeit der ausrüstung. Auch auf diesem gebiete hatte die mode ihre geltung; aber an allen ihren neuerungen konten sich eben die wenigsten betei- ligen, weil das sehr kostspielig war. Deshalb fristete sich manches alte fort; neues wurde hier und da aufgenommen; einzelne stücke, erst kleinere, dann grössere, altes und neues wurde neben einander gebraucht, mit einander vermittelt; jeder suchte almählich dem andern nachzukommen usw. Daraus ergab sich eine grosse Schwierig- keit für den Sprachgebrauch, und die vorhandenen technischen bezeichnungon wurden keineswegs überall in dem gleichen sinne gebraucht.

Was soll man nun unter solchen umständen mit einem ^resultat" wie diesem machen: y^Aas panzier war, wenigstens in uascrer pcriodo noch, aus ringen gefertigt" V Diese beliauptung stüzt sich auf eine einzige belegstelle: ein guot panxier, die ringe wären toix, und cluog Morolf 361. Woher weiss denn aber der Verfasser, was seine quellen zufällig verschweigen? konten nicht neben den riugpanzieren auch platten- panzierc bestehen? Wenigstens \\issen wir, dass brusti)latten schon am ende des 12. Jahrhunderts vorkommen (Köhler III, 1, 41). Wenn Schröder ferner erklärt, „das panzicr wurde auch von ritteru getragen", so wurde ja das von A. Schultz durcli- aus nicht bestritten, der nur angab „weniger von den rittern als von den leichtbe- waffneten" (Eöf. leb. IP, 49). Ein drittes „resultat" lautet: y,sehiUve%%el ist nicht der riemen zum tragen des Schildes, sondern der fass-, griffriemen". Dem sind doch aus des Verfassers eignem material entgegenzuhalten Nib. 415, wo Brüuhikls schild-

f'BEK Sl'lIRÖllER, '/AM \V.\KKEN- UN'Ii SCHIFFSKUN'DE 125

fessel ein edel borte geuaat wird, dar üf Ulyeu steine yrüene ahani ein (jras] 1959 man n/iios in hi dem vex%el wider xichen dan; 1505, wo Ilageu mit oiiiem schild- fossel ein schiff aul)iudet. Diese Iczte stelle hat der Verfasser übersehen, wie seine samluugeu überhaupt nicht volständig sind. An jenen drei stellen und an zahl- reichen anderen im sonstigen rahd. ist ganz zweifellos überall der lange umhänge- rienien gemeint, an dem der schild um den hals getragen wurde (sonst auch schilt- riemc genannt), nicht aber der kurze griffriemen, durch den man hand und arm steckte. Wie komt also Schröder zu seiner zuversichtlichen bohauptung, dass schilt- re'Kxel den griffriemen bedeute? Lediglich auf eine einzige stelle hin, Nib. 1875, wo Dankwart sich zum losschlagen bereit macht: den schilt niete er hoher, den rex/xel nider bax. Hier sei, meint der Verfasser, der griffriemen gemeint, „der sonach be- weglich sein musste" (s. 18). Ich möchte wol wissen, wie sich der Verfasser das vor- gestelt hat. Das hochrückeu des Schildes, ein typischer ausdruck für die bereitschaft zum angriff, geschieht durch emi)orheben des durch die griffiiemen gesteckten armes; wie soll es also jemand fortig bringen, den schild emporzurücken und zugleich die griffriemen , durch die das eben ermöglicht wird , herunterzuziehen V und welcher Wider- sinn, von einem beweglichen griffriemen zu reden wie hätte man dann über- haupt den schild fest fassen können? Da bei dem vezzcl an der angeführten stelle an den schwertfessel wol auch nicht zu denken ist, so bleibt nur eine erklärang übrig, die schon v.d. Hagen angedeutet hat: der schildrexxel, d.h. der tragriemen, musste beim hochrücken des Schildes notwendig am halse schlottern; um das zu vermeiden und ihn wider straff zu machen , knüpfte man das eine seiner enden am oberen schild- rande ab und befestigte es an einem weiter unten, am seitenrande, angebrachten ringe oder haken. Ich weiss augenblicklich nicht, ob für eine solche auffassung noch andere belege vorhanden sind; füi' unsern fall scheint sie mir die einzig mögliche. Es ist übrigens nicht unwahrscheinlich, dass irgend einmal dem sehiltrieme ^ dem tragriemen, der schildvexxel als das armgestelle oder der riemen zum fassen des Schildes gegen- über gestanden hat; nur hielt sich der Sprachgebrauch an diese norm durchaus nicht. Ganz ähnlich steht es mit der kovertiure. Der Verfasser erklärt: „Die kovertiure konte sowol von eisen als von zeug sein; sie unterscheidet sich nur durch ihren grös- seren umfang von den älteren pferdedeckeu." Damit glaubt er die sache entschieden zu haben, denn bisher waren „über die bedeutung des wertes kovertiure sich die ge- lehrten nicht einig" (s. 37) weil eben der Sprachgebrauch kein einheitlicher war! Aus Köhlers buche hätte Schröder entnehmen können, dass die panzerdecke (etwa seit der mitte des 12. jahrhundeiis) das frühere war, zu dem die zierdecke erst später hinzutrat, wodurch das wori korert iure eine doppelte bedeutung gewann. Zu der an- nähme, dass unter kovertiure „die grosse bis zu den füssen herabhängende decke" zu verstehen sei, hat den Verfasser widerum eine einzelne stelle geführt: tvax man guoter decke und kovertiure vant Kudr. 1148, 2; da der hier bezeugte unterschied nicht im material liegen könne, so müsse er in der form liegen (s. 37 f.). Aber es handelt sich hier um gar keinen unterschied, vielmehr sind solche doppelungen von synonymen im Mhd. gar nichts seltenes; auch Martin fasst die beiden ausdrücke an dieser stelle als gleichbedeutend auf. Noch einmal begegnet es dann dem Verfasser, dass er aus seinem beschränkten material einen zu vorschnellen schluss zieht: ^ruoder wii'd mhd. noch nicht in der bedeutung , Steuer' gebraucht", und nach s. 43 zwingen auch die von Lexer gegebenen belege zur annähme dieser bedeutung nicht. Von der Verbindung dax rnoder nach dem nnnde wenden (Koloczaer codex 182, 938) möchte ich das aber

126 BERG ER

doch bestirnt beliaiipteu ; uud eutscbtudend ist, dass (jubeniaciiluiii mit ruoder glos- siert wird (Diefenbacb gloss. 270*^).

In drei punkten wendet sich Schröder gegen frühere ausführungen von mir. "Wenn er den von mir gelegentlich erwähnten bedeutungswandel von rant (ursprüngl. = Schildbuckel, media pars clij)ei; dann = margo) auf s. 16 einfach für „gegen- standslos" erkläi't, so weiss er eben nicht, hätte sich aber zuvor darüber belehren müssen, dass rant zunächst, genau dem lateinischen timbo (vgl. griech. (ijußbjv, o/tKiukog) entsprechend, die erhöh ung auf der mitte des Schildes, welche auch zum stossen benuzt wurde, bezeichnete, dann erst den schild überhaupt, schliesslich nur die ein- fassung des Schildes, woraus sich die endgiltige bedeutung entwickelte; den anlass der bedeutungsverschiebung dürfte das eintreten des auf lat. bucciila, afrz. boele zu- rückgehenden buclcel in die iirsprüngliche function jenes wertes gegeben haben. Ein rest der alten bedeutung ist vielleicht noch heute vorhanden, ich meine das zuge- hörige ramft oder (jüngere) ranft^ welches noch gegenwärtig im obersächsischen und vielleicht auch anderwärts nicht etwa die rinde am brote bedeutet, sondern vielmehr das scharf gebackene ende oder gewissermassen den buckel vom brot, welchen man sonst auch knust oder knollen usw. nennt. Beachtenswert ist übrigens in diesem zusammenhange, dass diesem ranft am brote im niederdeutschen der kanten ent- spricht; es ist nämlich sehr wahrscheinlich, dass bei dem woiie kante eine ganz ähn- liche bedeutungsent Wicklung wie bei rand vorliegt. Mhd. ist es bekantlich noch iu dem sinne von „schildrand" bezeugt, als eigentliche bedeutung komt ihm aber offen- bar zu: „spitze, ecke oder buckel" (vgl. afrz. cant = ecke, dann winkel, dazu die Weiterbildung canton, cantone = eine ecke landes, kantig = mit scharfen ecken versehen, Brüsseler kanten = spitzen, von der zackigen form, besonders aber das erwähnte nd. kanten = buckel am brot; auch die seekante meint zunächst nicht den Strand überhaupt, sondern die felsig vorspringende küste). Auch hier also ein ganz entsprechender bedeutungswandel von dem begriff „ecke, vorspringende spitze, buckel" bis zum „säum" (vgl. nhd. kante als säum am tuch oder linnen, an der ta- pete als einfassung, ebenso an blumenbeeten; in Berlin hört man kante für den ge- brochenen rand am papier, welcher beim schreiben frei bleibt). Ursprungsverwant ist gewiss kante (neben kanne) als ursprüngl. „ausgeschweiftes gefäss" ; beide worte füli- ren auf eine Wurzelsilbe kan-^ die etwas eckig hervorspringendes bezeichnen muste. Dies um- beiläufig!

Der Verfasser sucht weiterhin meine datierung des Orendel durch zwei beden- ken anzufechten. Ich möchte keineswegs alles, was ich in jenen vor vier jähren ab- geschlossenen untersuch imgeu mit der Zuversicht des anfängers hingestelt habe, noch heute verteidigen, wenn ich mich auch nach wie vor zu dem grundsatze bekenne, dass unter so verwickelten Verhältnissen die entschlossene durchführung einer klarge- fassten ansieht lehrreicher ist, als die gewissenhafteste registrierung aller im wege stehenden Schwierigkeiten. Vogt hat in dieser Zeitschrift (XXII, 484 f.) u. a. mit recht gerügt, dass ich gewissen kulturgeschichtlichen kriterien zu wenig achtung ge- schenkt hatte. Auf seine anregung gehen wol auch Schröders einwände zurück, dass die ausführliche scliilderung der hehnzimiere (v. 1222 1260) und die erwähnung der bis auf den boden reichenden zierdeckc des elephanten (v. 1202) auf eine spätere ent- stehungszeit des gedichtes als 1160 deuten. Ich will diese beiden bedenken natürlich nicht geradezu von der band weisen, möchte aber doch darauf aufmerksam machen, dass die betreffende Schilderung gar nicht zwingt, eine reiche ciitwickluug des helm- zimier für jene zeit vorauszusetzen: kunstwerke mit musicierenden vögeln waren ja

ÜnET? SfllKÖDER, 'AVU WMTFA"- INIi SCUirKSKTNIiK 127

seit dem lü. jalirliuiukTt aus l^yzan/., aucli vnii den Ai-alicin Iht Itükant uiul wiirdcu min von den wuiidorsüchtigen spielUnitvn (nnihfli auf die vcrscliirdcnstcn dini^e über- tragen, nicht nur auf den lielin, sondern doeh aucli auf den sjieer, wie in Virgiual oder ■/.. li. im < ircndel auch, auf i'ingv, auf den scliihJ. Solche hlicrtragungen kouteii sich ganz von selbst volziehen, ohne dass dem in der wirklieidioit etwas zu entspre- clieu brauchte. Elieuso steht es mit dem zweiten einwände des Verfassers. Die pan- zerung der [ifei'de ist walirscheinliidi clienso aus (h'Ui Orient, von Persm'n und Araliern übernommen, wie die sitte, sie mit l'arliigeii decken auszusiatten (Weiss, Kostüm- kunde, mittelalter lOf). '2öC)\ Prutz, Kulturgeschichte di'r kn'uzziige 1S4). Ol) diese herabhängenden decken also in Deutschland um IIGO üblich waren od(n- nicht, ist eine ziemlieh belanglo.se frage. Im Orient waren sie jedesfalls vorhanden und man hatte sie dort gesehen; das war für einen siiielmanu ausreichend, um davon zu reden.

Mit d(>n übrigen ivsultaten seiner abhandluiig wird der Verfasser recht haben. „Die stange der i'ieseu dachte man sich nicht aus massivem stahl oder eisen, sondern nur mit einem stahlbeschlage'^ (s. 45). Dass sie sich z. b. auch Wolfram von holz mit metallbesehlag dachte, lehrt Willeli. 19.j, 30f. 318, 27 ff. 41G, 28. 429, 22. Auch der unterschied zwischen boi/e und an//f/ritst ist auf s. 28 f. gmviss richtig angegeben, gegen San-Marte und Schultz; zu s. 29 ist zu Itemerkeu, dass es nach Köhler (III, l, 1J3) stahlbogen erst seit dem 1."). jalirJmndert gegeben hat. Die hemerkung über die anker s. 43 giebt eine zutreffende bericlitigung einer der vielen flüchtigen behaup- tungeu von Alwin Schultz. Ganz ohne ertrag ist demnach die Untersuchung nicht geblieben.

Der Verfasser hätte sicli mehr dank verdienen können, wenn er sein material unter einen liistorischen gesichtsiiunkt gestellt und si(di nicht liegnügt liätte, aufzu- zählen, wo und wie die einzelnen ausrüstuugsgegeustände in seinen quollen erwähnt werden, sondern den versuch gemacht hätte, von der beziehung der einzelnen teile zu einander, ihrem gebrauch und ihrer beschaffenheit überall ein in sich zusammenhän- gendes, anschauliches hild zu gehen. Eine nachlese der üliorgangenen belege will ich an dieser stelle nicht geben. Unter den nichtritterlichen waffen vernüsse ich ein capitel über die slüigc (z. b. Kehr. 196, 9) und die gc/'sel (z. b. Nib. 4ü3, 3; Grendel 2480). Zu Seite 12 verweis? ich die hornrüstuugen betreffend auf Raumer, Geschichte der Hohenstaufen V, 500. Noch eins aber hätte der Verfasser durchführen sollen, wozu er ein paar mal einen ansatz macht: ich meine die, soweit seine quellen das zuliessen, erschopfemle feststellung des spracligebrauchs füi- jeden einzelnen begriff. Auf s. 40 hat er für die ausdrücke sc//?'f und kiel die vorkommenden beiwörter auf- geführt und eljenso s. 10 die adjectiva, welche die scharfe, härte, stärke, breite und den glänz der Schwerter bezeichnen. Er hätte das auch für hcliu , brünnc usw. durch- führen und nicht nui- die beiwörter, sondern alle Wendungen, in denen diese begriffe gebraucht werden, sammeln, klassifizieren und erklären können: das wäre auf diesem bescliräukteu gebiete nicht alzu mühsam , aber sehr dankenswert gewesen. Mindestens Verbindungen, die einen ganz feststehenden sinn haben, wie „den sohild an den hals hängen, über den rücken werfen, sich auf den schild lehnen, den schild vor die füsse stellen" usw. hätten auf s. 19 nicht fehlen dürfen.

So lässt die Untersuchung Schröders mancherlei zu wünschen; dass sie in ihrer weise fleissig, sauber und gewissenhaft gearbeitet ist, wird man ihm mit den oben ge- machten einschränkungeu gern zugestehen. Vielleicht entschliesst er sich, da er die lohnende aufgäbe einmal in angriff genommen, in einer späteren Untersuchung manches in der oben augedeuteten riclitung nachzuholen.

BOXN, 28. OKTOBER lÖHÜ. ARNOLD E. BERGER.

128 KOCHENIJÖRFFER

Eugolhard. Eine erziihluug vou Kourad von Würzburg mit aumerkungen von Moriz Haupt. 2. aufläge besorgt von Eugen Joseph. Leipzig, S. Hirzel, 1890. 8°. XVI u. 320 s. 5 m.

Mit Lachmanns und Beneckes Iwein - und Haupts Eroc - ausgäbe ist der Engel- hard trotz allem, was seit ilrrem erscheinen die forsch ung neues zu tage gefördert hat, die noch unersezte gruudlage für die erkentniss der mhd. dichtersprache geblieben. Wer sich mit den dichtungen der mhd. zeit wissenschaftlich zu beschäftigen im sinne hat, kann sich auch heute nicht von dem genauesten studium dieser drei bücher ent- binden. Durch ihre eigenart sind sie vor dem veralten gesichert. Ja neben Haupts Engelhard lässt sich überhaupt keine andere kritische ausgäbe dieses gedichtes denken. Deshalb war eine neue aufläge des 1844 erschieneneu und schon lange vergriffenen buches wünsch und pflicht der deutschen philologie. Die art der ausführung war ge- geben; diese selbst konte, je nachdem der herausgeber zu der arbeit gerüstet war, verschieden ausfallen. Wii' dürfen uns und dem Verleger, dessen verlagswerke als muster guter ausstattung bekant sind, glück wünschen, dass er in Eugen Joseph einen gelehrten gefmiden hat, der mit völliger beherschung des Konradschen sprach- und versgebrauchs, wovon er in der Klage der kunst den beweis geliefert, besonnenen takt, und mit der schuldigen pietät gegen seinen grossen Vorarbeiter Unbefangenheit des Urteils in hohem masse vereinigt. Das register der textänderungen weist die statliche zahl von 426 nach. Zu ihnen haben in erster linie beigetragen die von Haupt selbst mitgeteilten emendationen von ihm. Lachmann und Wackernagel; ferner die Verbesse- rungsvorschläge, welche Bartsch in seinen beitragen zur (Quellenkunde gemacht hat. Auch einzelnes von andern forschern gelegentlich beigebrachte ist berücksichtigt, und eine anzahl guter konjekturen sind Edward Schröder zu verdanken, der den heraus- geber bei der correktur beraten hat. Den löwenanteil der besserungen hat Joseph selbst mit genau zwei fünftein beigesteuert. Was ihnen das gepräge der grösten Wahrscheinlichkeit verleiht, sind die zahlreichen belege aus Konrads werken. In den anmerkungon, die von 70 auf 100 seifen angewachsen sind, werden Haupts ausfüh- rungen teils ergänzt, teils mit hülfe neuen materials berichtigt. Von bedeutung war dabei die neuvergleichung des alten druckes, durch die nicht nur einige versehen Haupts sich rektifizieren Hessen, sondern für die bessernde band eine reihe bisher imberücksichtigt gebliebener kriterien sich bot. So halte ich die neue ausgäbe, die glaub' ich auch Haupt freude gemacht haben würde, in der tat für eine verbes- serte, und die wenigen bemerkungen, welche ich schUesslich noch zu machen habe, dienen dazu mein urteil zu bestätigen.

Nur in einem punkte habe ich gegen die grundsätze, welche den herausgeber leiteten, eine einwendung. „Der alte text Haupts", heisst es im vorwort, „ist in den amnerkuugeu stets angeführt, im falle der neue nicht von ihm selbst herrühi-t oder gebilligt ist." Diese ausnähme kann ich nicht loben. Denn abgesehen davon, dass mir jede lesung Haupts des Studiums wert erscheint, da er bei seiner mnigen Ver- trautheit mit der mhd. litteratur und seinem ausgebüdeten sinne für das typische und individuelle nichts aufgenommen oder geändert hat, was er nicht an den kriterien des Stiles und verses seines autors geprüft hätte, meine ich auch, es müsse in jedem falle sogleich festzustellen sein, was in der ersten ausgäbe gestanden und warum davon abgegangen ist, ohne dass mau diese selbst nachzuschlagen nötig hätte. Das ist aber jezt oft unmöglich. Wenn die zeile 1447 lautet dax in triuwen ie geschiht, der alte druck liic hat und in der aum. steht: ie Wackernagel, so ist freilich der schluss leicht, dass Haupt dem drucke gefolgt war. Aber ratlos steht man vor solchen

ÜBER KOXnAI) V. WÜRZBURG ENGELHARD'-' ED. JOSEPU 129

stelleu , wo er geändert hatte imd in der neuen ausgäbe die lesart des druckes vvider- hergestelt ist. So heisst es 1347 bei Joseph mit ein üf iuch gcvalkn; der druck hat dasselbe. In der anm. steht: mit ein "Wackernagel, ohne dass man einen grund dafür einsieht. Erst die vergleichung der alten ausgäbe lehrt, dass Haupt ein in im geändert hatte. Oder 351 liest man alle stne gesellesehaft , in der anni. s1uc TTaupt. Da keine abweichung des druckes angegeben ist, so erfälirt man erst durch die erste ausgäbe, dass Haupt ursprünglich sin geschrieben hatte. Bei andern gelegenheiten fallen Haupts konjekturon ganz unter den tisch, ohne dass man auf sie aufmerksam gemacht würde. 1990 hat der druck ivan si gehet, jm käme hifs; Josepli nach Wackernagel lean si g'ahte, im kmme bax., Haupt las wem si gegen im küme sax, wovon aber der leser der 2. aufläge nichts erfährt.

153 hat Haupt gegen den druck, der hoher schreibt, hohen in den text gesezt (mit herxen und mit munde wil ieh von hohen trimren sin wdreK mcere erniuwen). Joseph belässt es bei dieser änderung. Haupt muss wol ich kann wenigstens keinen andern grund finden die schwache form von triuu-e als dem dichter ungemäss be- trachtet haben; er hat deshalb auch 105, 169, 181 das überlieferte treu7ven in triuwe geändert. Aber zunächst ist klärlich hier der singiilar von hoher trimven besser als der plural und entspricht dem Singular 181 dax ich von hoher triuwe sc(ge, wo Haupt dies- mal nicht das adjectiv, sondern das Substantiv dem druck ziuvider geändert hat. Sodann aber gehört triuwe wie minne, erde u.a. sicherlich zu den Wörtern, die Haupt zu Engelh. 366 im sinn hat {„gold. schmiede 433 schreibe ich noch jezt kerne, da K. von mehreren Wörtern starke und schwache form nebeneinander braucht"). Haupt selbst hat auch sonst im Engelhard an der schwachen form keinen anstoss genommen. FreiUch kann luau für gewöhnlich der form nicht ansehen, ob sie Singular oder plural ist. AVo aber die majuskel die Personifikation erkennen liisst, wie 63 der Triuwen zange, 6295 der Triuwen klüse, 6332 der Triuwen böte, da ist der plural ausge- schlossen. Ich möchte also das überlieferte hoher für unbedenklich halten. In der anraerkung zu 191 stelt Haupt verschiedene verse zusammen, in welchen die form dis für disiu erscheint, z. b. dis arxenie, und bemerkt, dass dazu auch Silv. 1857 er leite h1 der selben rrist blank und wtxiu kleider an gehöre. Ich glaube, der fall ist anders aufzufassen. Die beiden durch und verbundenen adjektive sind dem sinne nach eine komposition, in welcher das beiden gemeinsame, hier die endung, nur ein- mal ausgedrückt wird. Substantivische kompositionsformen dieser art haben wir heut- zutage zahlreich (zeit- und Streitfragen), aber auch die adjektivischen fehlen uns nicht. In der poesie sind sie natürlich seltener als in der Umgangssprache. In dem gedichte „An Rosetten" sagt Christian Günther: „ich untersteh mich dir, galant und treues kind, ein schlecht geseztes lied verwegen darzubieten; s. Erdmann, Orundz. d. d. Syn- tax §57. Pniower vergleicht Anz. 13, 2 mit recht das Goethesche froh- und trüber xeit (dem sich klein- und grossen weit, alt- 2ind neuen %eit aus den Antworten bei einem geselschaftlichen fragespiel zur seite stellen) und führt aus der Exodus ver- schiedene beispiele an: 2760 iunch unde altiu, 1370 breit unde lengiu, 2093 alt unde iungiu. Aus Schachinger, Die kongruenz im mhd. s. 114 setze ich hierher: Walther 15, 32 est al eiti, sieht und ebener danne ein zein; Parz. 57, 18 u-iz imd swarxer rarwe er schein; Trist. 14, 32 arme und rtehe hceten in lieb und werden. Derlei bildungen darf man in der altern spräche bei glättung der verse gewiss öfters zu hülfe nehmen, wie mir z. b. die von Pniower a. a. o. mitgeteilte einschiebung von grox. in der Exodus 2431 f. muox er gesehen xeiehen grox unde inäriii, die Diemer vor- geschlagen hat, höchst einleuchtend erscheint. 453 halte ich Josephs ergänzung

ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXIV. 9

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disen für in, wie Haupt ergänzte (wan eine forme rander an in beiden, sirer si sack), für falsch. Der hiiiweis auf 487, wo dise beide steht, kann nur lehren, dass es 453 in heissen muss. Denn während 487, nachdem Dieterich und Engelliard bo- schrieben sind, das demonstrativuin am platze ist, eignet sich an unsrer stelle nur das Personalpronomen. Der dativ in beiden entspricht dem nominativ si beide 450, dem genitiv ir beider 406. Auch graphisch empfiehlt sich in mehr als disen. 1128 muss ich Haupts emendation tvan daxsi getvaltie mhi beide tverden ?nüexen gegen die bemerkung Josephs (der daz aber si g. m. schreibt), dass sie ganz unver- ständlich erscheine, in schütz nehmen. Allerdings ist nicht, wie Joseph wol gemeint hat, wan da% zusammenzufassen und der damit eingeleitete satz vom vorherigen ab- hängig zu denken; ■ivan gehört vielmehr zu 11.30 dax, sol den cdelen süexen sm verxiyen, nämlich dax si beide getvaltie nun werden müe^-.en. Ich möchte zur er- läuterung Nib. 2310 anführen ich cnkan iu niht bescheiden leax sider da gescJiach: wan riter trnde vrowen tveinen man da sach. Der lezte satz würde, wenn man das object durch einen nebcnsatz ausdrücken wolte, unbeschadet des sinnes lauten können ivan dax riter tmde t^rowen weinten man da sach und damit ein analogon Inlden zu dein unsrigen. Bös verderbt ist im alten drucke die bcschreibung von Engelhards rüstung 2534 ff. Haupts text ist zwar aus dem gröbsten herausgearbeitet, ohne jedooli völlig zu befriedigen. Wenn ich hier meine lesung mitteile, so muss ich im voraus bemerken, dass sie keineswegs das ursprüngliche zu treffen prätendiert, sie macht auch nicht den anspriich besonders hübsch zu sein, sondern versucht nur klarer zu veranschaulichen, was Konrad nach meiner meinung hat ausdrücken wollen. Ich denke mir, dass Engelhards rüstung in derselben art gewesen ist wie die des königs von Tenemark, Turn. 336 ff.: reht als die nushen xiechen rvas ex mit golde wol durch- nät . ex- was ein rtlich pliät, der xiveier hande vartcc erschein . sich konde an im wol under ein rot unde grüene mischen, tmd was dar üf enx.ivischen xerncrjet tvol xatn unde ivilt. Engelliards waffenrock war demnach blau und rot geteilt; auf dem blauen stück waren vögel, auf dem roten vierfüssige tiere von gold aufgenäht. Ich lese also:

si waren beide wol xernät 2535 mit maneger hande bilde.

beide %,ani und wilde

stuont dar an ein tcunder

von tiurem golde drunder.

strtfehte wärens etewä: 2540 in einem velde läsürblä,

dax oiich von siden was geweben,

stuonden als si sollen leben

diu vogelUn an maneger stat.

durchliuhtie als ein rosen blat 2545 dax velt in rotem schme bran,

da von golde ivären an

diu -wilden tier genät.

Die samluug der reime 2537 f. ist zwar bei Konrad selten , doch nicht ausge- sclilossen. Vgl. z. b. 2750 von golde eins lewen täpen fuorte ein ritter kiiene in sinem schilte grüene. 2560 hat .loscpli di?f selbe decke in den text gesezt nach einer Vermutung Haupts in den aumerkungen. Aber die Überlieferung des druckes,

ÜBKR KONKAl) V. WÜRZRURG ENGELHARD^ ED. JOSEPH. 131

der Haupt gefolgt war, der selben decke vil (oder wol) geslal/t ivas über stueu schilt gezogen, d. h. von demselben zeuge war aucli der Überzug des Schildes, ist unan- stössig und besser als der uominativ. Joseph hätte den verschlag W. Grimms der stnchcn decke (Athis s. 49 [393] anm.) erwähnen können , worauf Zs. f. d. a. 28, 250 liingewicsen ist. 25(35 ist Haupts änderung an für umbe niclit gut. niht wan. einen borten guot fiiorte er umben hehn sm ist beizubehalten, denn der borte ist um den heim gesclilungen. Vgl. En. 1729 einen huot, ein borte ivas al umbe dran. Die beschwerung der vorlezten silbe hat nach den auseinaudcrsetzungen s. 229 nichts störendes. 2502 f. er luHe dar von lidse gefüeret stner frouwen kus vorstehe ich nicht. Es hat docli wol nicht, worauf man aus der falschen interpunlvtion der fol- genden zeile, hinter der ein kolon zu stehen hat, schliessen köute, eine symbolische beziehuug zwischen dem kuss und der Zweiteilung des Schildes angenommen werden sollen? Für er ist in zu schreiben. Benival turniert eben auch um fraucnminne. 2G28 %£m wähle kerte er wider m und tet sich aber under liest Haupt mit dem alten drucke, tet sich under ist an sich gut und findet sich auch bei Walther 58, 28 dar, (kleine vogelUn) tet sich under. Aber gerade dieses beispiel lässt mich die anwen- dung des ausdruckes im Engelhard bezweifeln, da eine gewisse ängstlichkeit, ein schutzsuchen darin liegt, wovon bei Engelhards absonderung keine rede sein kann. Ich schlage sunder für under vor, wodurch auch die tautologie in den beiden zeilen vei-mieden wird, und erinnere an Parz. 700, 26 mit tvenec Unten er simder trat. 2G87 f. möchte ich unter näherem anschluss an den druck lesen drüf lac ein eover- tiure, diu bran von golde in fiure. In dieser wendung sind Ursache und Wirkung vereinigt, die in den in der anmerkung angezogenen beispielen 2 4 getrent vorkom- men. — An der Überlieferung von 2716 f. dirre den und jener discn begundc rennen ahehant, die Haupt unbeanstandet gelassen, hat Bartsch Beiträge zur r^uellenkunde 161 anstoss genommen mit der frage: „Wie kann davon der acc. abhängig sein?" Joseph hätte sich nicht von Bartsch verfühi-en lassen sollen. Dass rennen mit acc. statt mit Präposition verbunden ist, berührt nicht seltsamer als die gleiche konstruk- tion von sprengen, das in allen bedeutungsübergäugen mit jenem kongruent ist. Die- selbe konstruktion von sprengen aber begegnet Serv. 1016 daz got wil Verheugen den hei den, daz si sprengen bediu Hute unde lant. Dass wir in der rektion des verbums, namentlich in der wechselseitigen Verwendung von transitiven und intransitiven, nicht mehr die beweglichkeit des mhd. haben, ist bekant. Wir können heutzutage aucli nicht mehr das verbum /reinen aktiv brauchen, wie es im mhd. so überaus häufig geschieht und auch Engelh. 5820 vorkomt. 3089 hat der druck das man das Thuch nic/it erkos. Haupts konjektur dar obe für das Thuch und Wackernagels besserung des Hauptschen textes des daches, wofür sich Joseph entschieden hat, waren unnötig, da des tuoches guten sinn gibt. Zu 3650 bemerkt Joseph sehr richtig: „Bartsch geht von einer modernen empfindung aus, wenn er verlogen wegen der widerholung in vers 3653 durch vermeldet ersetzen will. Die mhd. dichter scheuen durchaus nicht sachgemässe widerholi;ngen", es entgeht ihm dabei, dass auch Haupt diese empfindung gehabt liat, wenn er 3766 das verlogen seines textes in vermeldet ändert, „da ver- logen nach gelogen 3764 ungeschickt ist". Joseph hat auch gewiss nicht dieserhalb vermeldet aufgenommen, sondern weil es hier in den Zusammenhang besser past. Für obene: ze lobene 4697 f. kann noch angezogen werden Parton. 13552 gesteines genuoc, des mich bevilt, was drflf geströuwet obene ein bilde n-ol xe lobene. Mit noch näherem ausclilusse an den druck könte man vielleicht 4696 f. lesen der decke was (/euch qetdn dax rjcinirhtc enobcne, indem man dann irdpenklcit als covertiure

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132 SPRENGER, ÜBER HELMBRECHT, ÜBERS. VON FULDA.

auffasst (uud hinter frech komma sezt). Aus Konracl liaLe ich allerdings für diese bedeutung keinen beleg, aber Ulrich von Lichtenstein 161, 23 schreibt dar lix man tnir drl decke sncit üf minni ors xe icüppenkleit.

Einige druckfehler mögen hier noch verbessert werden. 181 /. hu/ier. Nach 608 La. ist einzuschieben: 609 reinlich. 2655 1. icas. 4557 La. 1. bot] für gaj)]. 5660 1. Übe. Nach 5977 La. ist einzuschieben: 5978 dax fehlt. S. 225 z. 1 v. o. ist 441 zu streichen. (Vielleicht ist 1469 gemeint.) S. 280 z. 6 v. o. 1. kursit, die von goldc strehctcn der statt des.

Ich scheide von der neuen aufläge des Engelhard mit dem gefühle, dass die herausgäbe der kleineren gedichte Konrads, die hoffentlich nicht zu lange auf sich warten lässt, in die richtige band gegeben ist.

KIEL. KARL KOCHENDÜRFFER.

Meier Ilelm brecht von Wem her dem gärtncr. Eine deutsche novelle aus dem XIIL Jahrhundert. Übersezt von Liidwig' Fulda. Halle, Otto Hendel. 0,25 m. Über die berechtigung von Übersetzungen aus dem mittelhochdeutschen ist viel gestritten worden. Allerdings wäre es wünschenswert, dass die gebildeten unseres Volkes unsere ältere litteratur in m'sprünglicher gestalt kennen lernten. Leider stehen wir aber der Verwirklichung dieses Wunsches jezt um so ferner, nachdem der Unter- richt im mittelhochdeutschen, wenigstens auf den preussischen gymnasien und i'eal- schuleu, aufgehoben ist; im späteren leben werden die wenigsten zeit und lust haben poetischen genuss durch Sprachstudien zu erkaufen.

Der Übersetzer, welcher sich über seine fassung der aufgäbe in der vorrede ausspiicht, hat mit recht den weg freier Übertragung gewählt, indem er auch hi der erneuerung der alten vierhebigen reimpaare eine Variation angewant hat, durch welche sie unserem obre weniger einförmig erscheinen. In der einleitimg, welche die frage über die heimat des gedichtes und die person des dichters behandelt, schliesst sich der Verfasser den forschungen von Keinz an. Er hat die umgegend des jezt ober- österreichischen dorfes "Wanghaiisen selbst durchstreift und noch einige notizen gesam- melt, welche die annähme von Keinz bestätigen. Bekantlich war Pfeiffer der ansieht, das gedieht sei österreicliisch, hatte also die Ortsangaben der handsclirift a, da das altbairische Innviertel erst iti unserem Jahrhundert an Österreich übergegangen ist, ver- worfen. Er hatte diese ansieht besonders auf die verse 445 f. gestüzt, wu der vater dem söhne die annehmlichkeiten der heimatlichen lebensweise aufzählt:

dat%' Osterrtclie clamirre,

ist ex jener ist ex cHrre.,

der tumbe und der wtse

hänt tx. da für Herren sptse. Fidda gibt diesen versen zuerst die einzig richtige erklärung, dass der vater dai-auf hinweise, dass clamirre, das heimatliche bauerngericht, im benachbarten Öster- reich algemein für ein herrenessen angesehen werde. Nicht besser konte in der tat der vater die Vorzüge der heimatlichen kost hervorhoben! Die person des dichters betreffend tritt F. ebenfalls einer vermutimg von Keinz bei, dass derselbe ein pater gärtncr des Idosters Ranshofen gewesen sei. Dem hatte bekantlich C. Schröder wider- sproclien, der in bczug auf die verse 849 f. sagte, dass ein mönch, der bauern in der kücheugärtiierei untenichtete, wohl nicht über schlechte aufnähme habe klagen dürfen. Hierzu bemerkt F., dass die verse nur dazu dienen soUcn, um die glänzende aufualime

E. ICETTNKU, IJBEH R.i.DKE, KriSCllE FOKMEL Dl NIBL. 133

Helinlirechth itu vatorbausc recht licrvorzuhcbcn. Ich vergleiche dazu noch die ähn- liche stelle bei Kourad von Fiissesbrunnen 2232 ff., einem dichter, der jedenfalls nicht zu den fahrenden geiiört.

Nun noch einige bemerkungen zu einzelnen stellen. V. 1388 hat F. die sichere konjektur von Jaenicke (banne statt arme) nicht angenommen. Die stelle ist dadurch unklar geworden und dürfte in einer neuen aufläge zu bessern sein. Falsch erklärt F. V. 591 in enhalf et nicht sin lere. Pannier übersezte richtig: „Dem Vater half die Lehre nicht". Das soll doch wol heissen: „Er hatte mit seiner ermahnung keinen erfolg". Nun bezieht aber F. in auf Helmbrecht, srn auf den vater, was dem mhd. spraehgcbraiu'h entgegen ist. Gegen den heutigen S[)rachgcbrauch Verstössen die vcrse 1331 ff. :

Gefüllt hab' ich den einen (Sack)

Mit unverschnittncn Leinen,

Von denen, wer sie auch begehrt,

Die Elle fünfzehn Kreuzer wert.

Das leinen = leinenzeug kann nui' im Singular gebraucht werden. Auch diese stelle ist leicht zu iüidern. Ein blosser druckfehler ist wol 148 aw seinem (st. an seinen) leib. Nicht richtig ist es ferner, wenn in der anm. zu 1191 zu dem namen Miischcn/iclch behauptet wird, niüschen, welches sonst zermahnen bedeute, heisse hier offenbar' „bei seite bringen''. Es ist vielmelir an das zerdi-ücken, zerschlagen der (silbernen) kelche zu denken, was geschieht um sie unkentlich zu machen und ein- zuschmelzen. Die verse 1651 1668 hält Fulda mit Pfeiffer für eingeschol)en. Ich kann dem nicht beipflichten. Denn erstens kann ein reim wie ringest: minnest bei einem bairischen dichter dieser zeit nicht auffallen. Zweitens wird 1632 gesagt, dass Gotelind bei einem zäune gefunden wird. Sie ist also wol genötigt die räuber zur richtstätte zu begleiten, und dem widerspricht es nicht, wenn Helmbrecht an der wegscheide von ihr abschied nimt. AVas die belastung der diebe mit rindshäuten be- trifft, so haben wir uns wol diu diuhe, das gestohlene gut darin verj)ackt zu denken.

Ich schliesse mit dem wünsche, dass das bei ausserordentlich geringem preise schön ausgestattete liändchen dem wimsche des herausgebers gemäss dazu dienen möge, recht viele „von der ewigen Jugend der dichtung "Wernhers zu überzeugen".^

NOETIIELM. ROBERT SPRENOER.

G. Radke, Die epische formel im Nibelungenliede. Kieler dissertation , zu- gleich Programm des gymuasiums zu Fraustadt. 1890. 62 s. 4".

Die abhandlung zerfällt in zwei teile : der erste s. 3 20 enthält erörtorungen ülier das vveseu und den zweck der epischen form ein, über die eigentümlichkeiten im gebrauch der einzelnen gattungen innerhalb des Nibelungenliedes und der ihm näher stehenden vorangehenden und folgenden epen, sowie über che hierbei hervortretenden Verschiedenheiten zwischen den einzelnen teilen des Nibelungenliedes; der zweite teil s. 21 62 besteht aus umfangreichen beispielsamlungen, die auch auf andere epen, besonders auf die Gudnm, die im DHE. enthaltenen und die Spielmannsepen sich ersti'ecken.

Der Verfasser unterlässt es das wesen der epischen formel genauer zu bestim- men. Daher komt es, dass er einerseits zufällige oder auch algemein gebräuchliche

1) Über die mittlerweile erschieneue neue übersetzuiiir des Meier Helmbrecht durch G. Bot ticher berichten wir kurz unter den „neaen erscheinungen " . Red.

134 E. KETTNER, ÜBER RADICE, EPISCHE FORMEL IM N'IBL.

Wortverbindungen und phrasen der gewöhnlichen spräche, auch ausdrücke mit rein sachlich bedingter gleichartigkeit in seiner samlung anführt, anderseits umfangreichere, nur den Nibelungen eigentümliche übereinstimmimgen zu den algemein epischen for- mein rechnet. In ihrem gebrauche sucht er beabsichtigte, berechnete poetische Wir- kungen, wodm'ch er sich öfter zu ziemlich gegenstandslosen ästhetischen raisonucments verleiten lässt; vorzugsweise aber erklärt er sie aus der „ehi-fiu'cht vor dem alther- gebrachten", so dass nach seiner meinuug ihr häufiges vorkommen ein vorzug einer dichtung wai' und den beifall des pubükums finden muste. Er vergisst hierbei, dass gerade in den rohesten volksepen die formelhaftigkeit am weitesten geht, und dass die gestaltung unseres Nibelungenliedes in eine zeit fällt, wo die aufkommende höfische epik, die nach möglichst individuellem ausdrack strelit, ungeteilten bei- fall fand. In dem bemühen, unterschiede zwischen den echten und unechten Stro- phen Lachmanns zu konstruieren, hat er den eigentümlichen inhalt der einzelnen teile und die ausdehuung der verschiedenen lieder zu wenig berücksichtigt, wodurch seine Statistik für die kritischen fragen ziemlich wertlos wird. So führt er öfter ohne weitere bemerkung das XX. lied mit seinen beinah 300 Strophen als durch ein häu- figeres vorkommen gewisser bildungen ausgezeichnet an , das nm* Schilderungen üusser- licher Vorgänge enthaltende XII. lied dagegen als eigentümlich wegen des mangels ge- wisser typen für die einfühnmg der rede. -

Wenn R. auch die stärkeren spraclüichen überemstimmungen , wie sie sich namentlich in den darstellungen höfischen lebens finden, als algemeine e])ische formein ansieht (vgl. dagegen in dieser ztschr. bd. XVII s. 410 fg.), so bedenkt or dabei nicht, dass es völlig gleichgiltig ist, ob sich die parallelen in einzelne gleichartige, auch in anderen open vorkommende formelu zerlegen lassen, wie 222, 3. 4 und 1590, 3. 4; dass ferner z. b. für die Verbindung hiehten, | man schuof in guot gemach 127, 3, knehtc, \ si heteu guot gemach 1600, 3 nichts erklärt ist dui'ch den nachweis von einem anderweitigen vorkommen der phrasen hete guoten gemach, hicx in schaffen guot gemach, oder für die merkwürdige ähulichkeit der ganzen Strophen 1600 und 1742 diu'ch die anführung von ein paar Wendungen mit nam er W der hant, und gienc. Im gegensatz zu dieser seiner anschauung bemerkt er ganz richtig: „ohne zweifei haben die Schilderungen höfischen lebens im Nibelungenliede etwas eigen- artiges; sie unterscheiden sich sogar von den ihnen am nächsten kommenden dar- stellmigen der Kudrun nicht unwesentlich." Diese beobachtung hätte ihn davor be- wahren sollen, diese so gleichartigen, aber nie völlig gleichen Schilderungen aus einem überlieferten Schematismus zu erklären. Der wäre dann eben nur den dichtem des Nib. bekant gewesen, nicht aber denen der anderen volksepen. Es zeigen ja nur die Schilderungen der Gudrun mit denen des Nib. eine nähere verwantschaft, und gerade der dichter oder bearbeiter der Gudrun hat ganz besonders für diesen gegenständ das Nib. als sein muster benuzt (vgl. in dieser ztschr. bd. XXIII s. 145 fg.). Übrigens wird auch dui-ch dieses abhängigkeitsverhältniss, wozu noch das des Biterolf komt, der wert der aus diesen epcn herangezogenen parallelen zweifelhaft.

Der erste teil der beispielsamlungen enthält eine Zusammenstellung der formein nach grammatisch - stilistischen gesichtspunkten (zu § 2 8), der zweite teil nach dem inhalt (zu § 9 14). Im ersten teil ist manches unwichtige matorial zusam- mengetragen, im zweiten hätte durch weglassuug von ganz natürlichen oder zu schwachen analogien räum gewonnen werden können für wichtigeres, welches über- gangen ist. Für manche abschnitte, besonders für §§ 13. 14 (kam[)fesschildcruugen und darstellung höfischen lebens) wäre eine genauere einteilung und übersichtlichere

BOLTK, ÜBER UERLINKR NEUDRUCKE I, 3 135

auoriluuug zu wuubrheij. Immerhin uiitliält die samlmif^ ein reiches niaterial vuu formelu uud parallelen, so dass dieser hauiitteil der abhandlung, wenn er aueli noch der Sichtung bedarf, füi' die boiuieilung des epischen stilcs seinen wert hat.

MÜULUAUSEN IN THÜRINGEN. EMIL KETTN'ER.

Nicolaus Fcuckers AVolkliugeudo pauckc (iü50 75) uud drei Singspiele Chri- stian Reuters (1703 und 1710). Herausgegebon vou Georg Eiliiigcr. Berlin, gebrüder Paetel 1888. XXH^, 71 s. 8°. 3 m. [= Berliner neudruckc, 1. serie, band 3].

Schnell ist dem bd. 22 s. 381 besprochenen volksliederalmauach Nicolais eine auswahl von Berliner gelegenheitsgedichten aus der zeit des grossen kurfürsten uud köuig Friedrich I. von der hand desselben kundigen herausgebers gefolgt. Die beiden dichter, auf die seine wähl gefallen ist, sind keine Berliner von gehurt, sondern aus Schlesien und Sachsen zugewandert und schon ihrer lebensstellung nach verschieden: Peucker ein wohlbestalter stadtrichter, der sein publikum meist in den bürgerlichen faniilien findet, Reuter ein gewesener studiosus der theologie und rechtsgelehi-samkeit, der an dem jungen königshofe sein glück zu machen hofft. Peuckers andenken hat die 1702, 28 jähre nach seinem tode, veranstaltete samluug seiner gelegenheitspoesien lebendig erhalten; Reuter ist erst neuerdings durch Zarnckcs mühevolle forschuugen als Verfasser des in Leipzig entstandenen satiiischen romans Schelmufsky uud einiger ebeufals satirischer lustspiele bekant geworden.

Dies jüngst erwachte litterarhistorische Interesse für den taleutvollen Leipziger Studenten ist aber auch der einzige grund, durch den man den abdruck seiner drei für Berliner hoffestlichkeiteu abgefassten Singspiele: 1) Die frolockende Spree, zum 18. Januar 1703, 2) Mars und Irene, zum 12. Juli 1703, 3) Das frolockende Charlot- teuburg, zum 12. juli 1710, rechtfertigen kann. Denn Reuter hält hier keineswegs, was seine früheren dichtungen versprachen; seine Singspiele sind ganz flache und farb- lose gelegenheitsreimereien in leidlich flüssigen versen ohne irgendwie neue gedauken.

Viel anziehender wirken die aus den jähren 1646 1673^ stammenden 100 ge- Icgenheitsgedichte Peuckers, aus denen Elhnger zwölf ausgewählt hat, auf den leser. Niclit als ob der Zeitgenosse des grossen kurfürsten mehr dichtertalent besessen hätte. Aber er hat die gahe, einen fliessenden vers zu bauen, und ist um einen treifeudeu ausdruck selten verlegen; er besizt volkstümlichen humor und verwertet imd vermehrt die mittel, die eine langgeübte techuik der gelegeuheitsdichtung an die hand gegeben hatte. In der samlung von 1702 sind die leichencarmina und gebui'tstagsgratulationen nur diu'ch wenige exemplare vertreten, den hauptinhalt bilden hochzeitsgedichte. Doch der naheliegenden gefalir der widerholung und einförmigkeit weiss Peucker meist glück- lich zu entgehen. Meist knüpft er an den namen der braut und des bräutigam zarte oder derbe Wortspiele an, er verherrlicht ihre heimat, die Jahreszeit, er wirft einen blick auf den eben beendeten dreissigjährigeu laieg oder das bauernleben, deutet die blumen des brautkranzes oder den gesang der vögel, gibt den gasten ein rätsei auf (ein im 17. und 18. Jahrhundert weitverbreiteter brauch), verspottet die modische Schüferpoesie in einem nd. Hede oder geht auf den an die Andreasnacht geknüpften Volksglauben ein.

1) Der titel sagt ungenau; 1650 1675.

136 BOLTE

Der herausgeber würdigt in seiner vortreflichen einleitung ausfüluiich Peuckers Stellung in der litteraturgescliichte und sein Verhältnis zu Joli. Frauck, H. Held, "W. Scherffer und zum Volkslied. Auch ein vergleich mit Greflinger, dessen gelegeu- heitsgedichte "Walther im Anzeiger f. d. altert. 10, 73 (vgl. 13, 103) eingehend be- sprochen hat, wäre nutzbringend gewesen; über die gattung der hochzeitsgedichto er- warten wii' von M. v. Waldberg eine arbeit. Auf die von Peucker verwanten sang- weisen, die für ihn und die Berliner geselschaft seiner zeit charakteristisch sind, hat EUinger schon s. XVII hingewiesen; es wird sich jedoch verlohnen, ein volständiges Verzeichnis davon zu geben.

Die geistlichen melodieen finden wir sämtlich in der 1648 zuerst erschienenen und seitdem häufig gedruckten Praxis pietatis melica des Berliner Organisten Johannes Crüger. Ich benutze die 12. ausgäbe, Berlin 1666. -4°.

Ach icie elend ist unser xeit s. 176 und 426 der Originalausgabe (1702). Text von Joh. Gigas ("Wackernagel 4, nr. 260). Crüger nr. 577 nach der melodie: Es ist das heil uns kommen her. Eine parodie in einem fl. blatte v. j. 1677 (Berlin Ye 1881): Ach wie elend ist unser zeit allhier in diesem dorffe.

Allein gott in der höh sey ehr s. 335. Text von Nie. Decius. Crüger nr. 282.

Als Jesus Christus gottes söhn S. 319. Text von M. "Weiss. Crüger nr. 274.

Nun last uns Oott dem herren s. 277. Text von L. Helmbold. Crüger nr. 486.

Nun lob, mein seel, den herren s. 453. Text von Joh. Poliander. Crüger nr. 302.

Schwerer auszumitteln sind die weltlichen weisen, welche Peucker anführt.

Ach, du hertAchen schöne, in wie langer xeit s. 74.

Chyni de begunt to grinen s. 444.

Coridon der ging betrübet s. 428. Text von Opitz, Deutsche poemata 1625 s. 176 (über die nachahmungen vgl. M. v. "Waldberg, Die deutsche renaissancelyrik 1888 s. 115 f. 219). Komponiert von C. Kittel, Arien und cantaten 1638 nr. 3.

Daphnis ging vor wenig tagen s. 49. 324. J. Eist, (xalathee 1642 Bl. Bjb mit melodie. Abdruck bei C. F. Becker, Lieder und weisen vergangener Jahrhunderte 1, 26 (1849). Serapeum 1870, 149 nr. 35. Veuus- gärtlein 1659 s. 299. Gantz neuer Hans guck in die weit, Nürnberg, Felsecker (um 1690) nr. 4. Die melodie ward auch für kirchenlicder benutzt: Brandt og Heiweg, Den danske psalmedigtning 1, 327 nr. 408 (1846). J. Neucrantz, Davids psalterspiel 1650 s. 11.

Der edle schäfer Coridon s. 3. J. H. Schein, Musica boscareccia 1, 11 (1621). Serapeum 1870, 149 nr. 8.

Doris ging in ihren garten 9. 406. Venusgärtlein 1659 s. 3. Serapeum 1870, 150 nr. 134.

Du bist meines herxens tconne s. 456.

Es fing ein schäfer an xu Magen s. 136. 346. 528. H. Albert, Arien 5, 17 (1642). Vgl. G. Neumark, Poetisch musikalisches lustwiiUlclien (1652) s. 74.

Falscher schäfer, ist das recht s. 42. 70. 238. 341. 362.

flSEi; ÜKKLINKIi NKUIiKrrKK I , :'.. 137

Cr. Voigtläudor, Allfiluind odon und liodor (Ißl'i) iir. (ia. Auch im Berliiior mscr. germ. quart 720, nr. 38. Soraponm 1870, 152 ur. 10.

Hertxlich thut »lich erfreuen s. 275. r.olimc. Altdeutsches liedcrbuch (1877) ur. 142.

///;• sehivnrtxeii aufjcii, Ihr s. 122. Opitz 1G25 s. 200. Oft nachgealnnt; vgl. .M. v. WaldlM-rg s. 218 ( Fiiick.dthaus, Sciioch, Schirmer). Sorapeum 1870, 151. Ifaiis gmk in die weit nr. 08. Adam Krieger, Arien (1657) 5, 3. Konipuniert von Greg. Iviliel, .\ricn (lOK!) nr. I und .1. M. K'ubert, Arieu I, 10 (1647).

Lxn'dnr liiil einst die seliaf s. 45. Vcnusgäi'tli'in 1651) s. 166. Fl. lilatt der Ijerliner hihliothek (Ye 1779). Serapeum 1870, 162 nr. 102. Hans guck in die weit nr. 29.

Litstiy, ich liabe die licönle beko/iniien s. 400. Reraiieum 1^70, 162 nr. 43. Hans guck in dir weit nr. 25.

X/oi schleif, niei)i liebes kindclcin s. 17. 23. Böhme, Altdeutsches liederbuch ur. 403. Dänisch bei Brandt ng ILdwi'g, Den danske Psalmedigtning 1, 200 ur. 363 (1846).

0 Lesbiu, du hirtciilust s. 108. 130. A.Hammerschmied, "Weltliche öden 1, 10 (1612). Text von Homburg, Sclümplf- uud crustliaö'te Clio 2. auü. 1642 bl. Q 2 b.

0 tcaincnhawu , o tanucnbeium , du bist s. 415. Böhme, Ad. liederbuch nr. 491.

Wann wird denn unser aufltruch seijn s. 484. Birlingers Alemannia 12. 77 nach einem 11. blatt von 1635. Eine geistliclie unidich- tung (um 1G50) auf einem tl. blatt iu Berlin Yd 7854, 8 und einem andern Yd 7011, 53, 1.

Wehe, wiiulchoi, u:ehe s. 420. Böhme, Ad. liederbuch nr. 507.

Wil sie nicht, so nicuj sics lassen s. 524. r. Flemings Gedichte s. 435 imd 763 ed. Lapiienliorg (1863). Komponiert vim A. Hammerschmied, AVeltl. öden 1, 16 (1612). Nachgeahmt von Fiukelthaus, Lustige lieder 1645 nr. 28, komponiert von Dedekind, Aelbianische Museulust (1657) bl. G2b.

Zeuch, fahle, \euch s. 418. Böhme, Ad. liederbuch ur. 510. Alonatshefte für musikgeschichte 17, 92. Bolte, Korr. blatt d. Vereins f. niederdeutsche sprachf. 10 (3) 30.

Die von Ellinger getroffene aus wähl von 12 gcdichten vergegenwärtigt vortref- lich den charakter der reui;kerschen dichtung. Hier und da wären freilich erklärende anmerkuugeu erwünscht, namentlich bei dem s. 0 abgedruckten wiegenliode für den kiu'prinzen Karl Emil v. j. 1655, wo übiigens Nicolai (Berlinische l)lätter 1707, 3, 65 96) und Louis Schneider (Schriften d. Vereins f. d. gcsch. der stadt Berlin 11, 126. 1874) gute bemerkungen zu dem hier entworfenen bilde der residenzstadt geboten hätten. Da Peuckers gcdichte überhaupt für die lokalgeschichte besondern wert be- sitzen, so hätte der herausgeber denjenigen seiner leser, die sich für die geschichte r)erlins unter dem grossen kurfürsten interessieren, die biographischen nachrichten über Berliner familien in einem aliihabetischen verzeichins aller gedichto leichter zu- gänglich machen können.

Zum Schlüsse mögen noch einige biogra])hisuhe und bibliographische nachtrüge folgen. Das goburtsjahr Peuckers 1619, das s.V nicht angegeben wird, teilt G. G. Kü-

138 BOLTE, tSKR RKRLIN'ER NEUDKüCliJi; I, 3

ster, Altes uucl neues Berlin 4, 470 mit: „rcuckcr f a. 1674, aetatis 55".^ Die von E. Friedländer herausgegebene matrikel der Universität Frankfurt a. 0. 1, 752a verrät uns, dass „Nicolaus Peucerus Jaurauus Süesius" im herLst 1642 immatrikuliert wurde.^ Dass er 1644 noch in Frankfurt weilte, ergibt sieb, aus einem an den abreisenden studiengenossen Martin Friedrich Seidel aus Berlin gerichteten gedichte: „Drewcstu schon wegzuziehen"-'. Wann er nach Berlin kam, scheint ungewiss; woher Ellingers angäbe s. VI: 1641 oder 1642 stanit, vermag ich nicht zu sagen; nacli dem eben bemerkten ist sie mindestens fraglich. Im jähre 1654 wurde er zum stadtrichter in Colin ernant; vgl. das im Bär 1, 78 (1875) abgedruckte gedieht.

Von einzeldrucken Peuckorscher gedichte bosizt die Königliche bibliothek zu Berlin vier nummern:

1) Paucke. Berlin, Christoff Runge 1650. 4 bl. (= Samlung von 1702 nr. 1).

2) Lämmerknecht. Ebd. 1652. 4 bl. (zur hochzeit von Joh. lleinzelman und Sophie Zieritz. = 1702 s. 339).

3) Arm und Eeich. Guben, G. Schnitze. 1664. 2 bl. (auf den tod von Hed- wig Marie von Haake, geb. Schlabberndorff): „Stirbet heut ein Lazarus."

4) Der Fuchs kreucht zu Loche. Kölln, G. Schnitze 1674. 2 bl. 4" (zur hoch- zeit von Paul Fuchs und Luise Friedeborn): „Dem churfürst Friedrich Wilhelm trawt."

Ausserdem verdanke ich der gute des-herrn schulvorstehers F. Budczies noch die mitteilung mehrerer gedichte P.'s, die sich in den leichenpredigten der bibliothek des gyranasiums zum Grauen kloster finden: 1) auf den tod der Jungfrau Eva Cath. Brun- nemaun (1651), 2) auf den des amtskammerrats Reichard Dieter (1655), 3) auf den des oberzeugmeisters Elias Francke (1660); vgl. die grabschrift bei Küster 4, 483, 4) die lateinisch - deutsche grabschrift des advokaten Krause (1656).

BERLIN. JOHANNES BOLTE.

MISCELLEN.

Ein l>rief Schillers.

Weimar 17. Jenn. 1802.

Ich habe an Opitz geschrieben, dass er Dir auf Dein Ansuchen Abschriften von der M[aria] St[uart] und der J[uugfrau] v[ou] 0[rk'ans] verabfolgen laßen könne. Du hast Dich also delihalb unmittelbar an ihn zu wenden. Ich will Dir, außer die- sem, eine Abschrift von meiner neuesten Arbeit, der Turaudot, die ich nach Gozzi neu bearbeitet habe, zusenden, sobald ich eine Abschrift davon habe. Dafür aber erbitte ich mir, als einen gegendienst, daß Du für den jungen ELölzlin, der sich beim Theater zu Mannheim aufhält, etwas thun mögest. Seine armen Aeltern haben mir bei meinem Aufenthalt in Mannheim Freundschaft [b] erwiesen, sie sind jezt in Übeln Umständen, die arme Mutter hat sich an mich gewendet, und ich wünschte herzlich gern etwas zu ihrer Erleichterung beizutragen. Laß uusre Freundschaft, die jezt wieder neu auflebte und wie ich sicherlich hoffe ununterbrochen fortdauern wird,

1) Audi 3, 398 nomit Küster 1674 als todes.jahr; somit ist wol die 3, 463 gonauto zalü 1675 ein druckfeliler.

2) Ebenda 1, 749b (sommer 1642) findet sich „Heinricus Ileldt üuranus Silesius."

3) Propomptica , quibus M. F. Soidolio Berolinonsi ex inclyta patriae acaderaia in exteras aca- doiuias atquo rogionos studia sua transl'orenti bono ominabantur fautoros , convictores atque amici 1644. 4^ (im Berliner Mscr. boruss. fol. 200). Atich Heinrich Hold imd Joh. Francus , mit denen Seidel eine poetische geuossenscliaft gestiftet hatte, sind hier durch ein deutsche.s und lateiuisclies gedieht vertreten.

SUSCKLLE.V 139

duicli die guteu Wünsche einer Familie, die uns beiden ilu'e Vcrljcswerung dankt, eingeweiht und versiegelt werden.

Die Turandot, die Du wahrscheinlich aus Gozzi schon kennst, ist ein Stück, welches auf jeder Bühne und hesouders bei einem frühlichen sinnlichen Publikum, Glück machen wird. Auch ist in dem Stück, da es in China spielt und bloß fabel- hafte Verhältnisse behandelt, nichts woran auch das reizbarste Publikum Anstoß neh- men könnte, [c] Sie wii'd bald in Dresden gespielt worden, dieß ist in Absicht auf Oeusur etc. alles gesagt.

Es thut mir sehr leid, daß Du Dich über I[fflaud] zu beklagen hast. Freilich mögen die Verhältnisse, die ihn treiben und drängen, seine Stimmung verändert haben. Er hat als Director d[es] Th[eators] ein böses Schiff zu regieren, er ist als Schauspieler und als Dichter im Kampf mit dem Partlieigeist und dem Zeitgeschmack, er will erworben und reich werden, und es federt schon den ganzen Mann, sich im Besitze zu erhalten. Das kann ihn däucht mir bei einem nachsichtigen Freund entschuldigen, wenn er sich nicht immer gleich bleibt; aber eine Jugendfreundschaft wie die eurige ist unzerstörbar und ich zweifle nicht, ihr werdet einander wieder finden.

[d] Charlotte Kalb hat Lust wieder von Erlangen weg und nach "Weimar zu ziehen. Ich weiß nun zwar nicht, ob sie sich hier wieder gefallen wird; aber ich freue mich doch sie wieder zu sehen und wünsche zu Ihrem Wohlbefinden etwas beitragen zu können.

Deinen Vorschlag wegen einer Reise nach Mannheim wünschte ich ausführen zu können, aber in dem nächsten Frühjahr kann es noch nicht geschehen, eher im künftigen Jahr wo ich eine Reise nach Schwaben und der Schweitz damit verbinden möchte.

Lebe recht wohl, empfiehl mich Deiner Frau und erhalte mir Deine Liebe.

SCHILLER.

Den oben abgedruckten brief verdanke ich herru Rudolf Valdek, schriftsteiler in Wien. Er ist an Heinrich Beck in Mannheim gerichtet und wurde von diesem am 8. felniiar 1802 beantwortet; s. Speidel und Wittmann, Schillcrbilder (Berlin und Stuttgart, Spemann o. J.) s. 171 fgg. minor.

NEUE ERSCHEINUNGEN

Bötticher, G. mid Kiuzcl, K., Denkmäler der älteren deutschen litteratur für den litteraturgeschichtlichen Unterricht au höheren leh ranstalten. IL: Die höfische dichtung des mittelalters. 2: der arme Heinrich und Meier Helm brecht. HaUe a/S., buchhandlung des Waisenhauses, 1891. 124 s. 0,90 m. Dieses bändchen ist ebenso wie die anderen bereits erschienenen der samlung vortrcflich geeignet, dem auf dem titel angegebenen zwecke zu dienen. Eine knappe , aber scharf charakterisierende einleitung orientiert über Hartmann von Aue ; besonders dankenswci-t ist, dass charakteristische proben aus mehreren seiner werke, sowie die bekante äusserung Gottfrieds von Strassburg über ihn im mhd. original beigegeben sind; ebenso eine (vielleicht zu sehr zusammengedrängte) Inhaltsangabe des „Iwein" und „Erec". Den „armen Heinrich" hat der herausgeber mit dem sichtlichen bestreben übersezt, bei einer im wesentlichen treuen widergabe des

140 NEUE ERSCHEINUNGEN"

Sinnes doch zwanglos Üicsseude nhd. verse zu gehen; manche feinheit des Originals muste freilich dabei geojifert werden. Sehr gut gehuigen ist die Übertragung des „Meier Heinibrecht". Die den beiden werken beigegebenen anmerkungen geben klare sachliche erläuterungen und regen zum nachdenken an. o. e.

Brate, E. och S. Bug'ge, Ruuverser. Undersökniug af Svoriges mctriska runiuskrif- ter. Stockholm 1891. 442 s. 8.

Burkhardt , C. A. H., Das repertoire des Weimarischen theaters unter Goethes leitung 1791 1817. (Theatergeschichtliche forschungen, herausgeg. von B. Litzmann. I.) Hamburg, Leop. Voss, 1891. XL u. 152 s. 3,50 m.

Die einlcitung schildert die inneren ixnd äusseren Verhältnisse des Weiniarischen theaters und gibt die quellen au, die dem herausgebor vorlagen. Es folgt: A. Chro- nologisches Verzeichnis sämtlicher nachweisbaren aufführungon (mit einschluss der vom Weimarer theater in Erfurt, Halle, Lauchstädt, Leipzig, Rudolstadt ge- gebenen gastvorstellungen). B. Alphabetisches Verzeichnis der di'amen (mit einschluss der opern), ballette, musikaufführungen , prologe und epiloge. Die auf den theaterzotteln oft fehlenden verfassernamen sind vielfach ergänzt.

Drescher, Karl, Studien zu Hans Sachs I. Hans Sachs und die heldensage. Berl. 1891. (Acta Germanica H, 3.) VEI, 105 s. 8.

Goldbeck -Löwe, A. , Zur geschichte der freien verse in der deutschen cüchtung von Klopstock bis auf Goethe. (Kieler diss.) München, A. Buchholz, 1891. 82 s. 2 m.

Hartmauu von Aue, Iwein herausgegeben von Emil Henrici. Erster teil: text. (Germanistische handbibliothek Vni.) Halle a/S., buchhandlung des Waisenhauses, 1891. 388 s. 8 m.

Der text ist nach vergloichung aller handschriften in neuer recension gegeben. Am raude ist in genauen zahlencitaten auf die entsprechenden verse aus Christian von Troyes verwiesen; unter dem texte steht der volständige kritische apparat, so- wie m besonderer abteilung die abweichungen des Lachmannschen textes. Wir be- halten uns vor, nach erscheinen des zweiten bandes (einleitung und erläuterungen) die kritischen und exegetischen fortschritte dieser ausgäbe eingehend zu besprechen. Auf der Müncheuer philologenversamlung hat Henrici über seine kritischen grund- sätze vertrag gehalten.

Ilerrinanowski, dr. Paul, Die deutsche götterlehre und ihre Verwertung in kunst und dichtung. Berl. 1891. 2 bände. IV, 284 und VI, 278 s. 8.

Heusler, Andreas, Zur geschichte der altdeutschen verskunst. [Germanistische ab- handlungen herausgeg. von K. Weinliold. VIII.] Breslau, ^Y. Koebner, 1891. VIII u. IUI s. 5,40 m.

Hirzel, L., AVieland und Martin und Regula Künzli. üngedruckte briefc und widcr- aufgefundone aktenstücke. Leipzig, G. Hirzel, 1891. VI u. 240 s. 5 m.

Die Veröffentlichung von 16 briefen, welche Wioland zwischen 1750 und 1759 von Zürich aus an Martin Künzli (Ichrer an der Stadtschule in A\'interthur) und dessen Schwester Regina (geboren 1718) richtete, wird eingeleitet durch eingehende mitteilungen über den lebensgang und die schriftstcllerisclie Wirksamkeit Küuzli's, sowie über das geistige leben des damals um Bodmer sich scharenden kreises. Auf die Stellung dieser männer zu den litterarischen bewegungen in Leipzig und Berlin, sowie auf Wielands leben unter ihnen fält manches neue licht. Im an- hange veröffentlicht Hirzel unter anderem einen nicht uninteressanten brief Gleims an Wieland vom 10. märz 1755, sowie einen von Klopstock noch am 12. decbr. 1752

NEUE ERSnrEINUNOEN 141

aus Kopeiiliagcii an Bodmcr genchtetoii brief (weshalb diesen mit auslassungenV), über den Künzli höchst philisterhaft aburteilte (s. 145).

Iljclmqvist, Thcortor, Natui-skildringarna i dou uorröna diktningen. Stockh. 1891. IV, -218 s. gl-. 8.

Jahresbericht über die ersclicinuugcn auf dem gebiete der germanischen philologie hrg. von der geselscliaft für deutsche philologio in Berlin. 12. Jahrgang. 1890. 1. abt. Lpz. 1891. 128 s. 8. Dies trefliche bibliographische lülfsmittel, das den facligelehrtcn längst unentbehrlich geworden ist, sei auch weitereu kreisen, namentlich den licrren direkteren höherer schulen, warm empfohlen.

Jelliii;?haus, H. , Armiuius und Siegfried. Kiel und Leipzig. 1891. 38s. 8. Im. Der herr Verfasser, der sich durch seine arbeiten auf dem gebiete der nieder- deutschen Sprache und litteratur wolverdient gemacht hat, betritt hier mit weniger glück den boden der deutschen heldensage, indem er den hofnungslosen versuch unternimt, die hypotbesen von GuSbr. Vigfüsson und Scbierenberg (!) zu stützen. Die Nibelungensage in eine politische allegorie aufzulösen, ist nicht minder ver- fehlt, als in ihr eine darstellung chemischer processe zu erblicken.

Kettiier, E. , Untersuchungen über Alphaiis tod. Gymn.-progr. Mühlhausen i. Thüring. 1891. 52 s.

1. Algemeine Vorstellungen und anschauungen des dichters. 2. Epische tocluiik. 3. Stil. 4. Stellung des Alphart iunerlialb der volksepik.

Leitzmauii, Albert, Uutersucliuugen über Berthold von Holle. Habilitationsschrift. Jena 1891. 48 s.

Seegers, H. , Neue beitrüge zur textkritüv von Ilartmanns Gregorius. Kieler diss. 1891. Leipzig, G. Fock. 47 s. I,ö0 m.

1. Die lateinische dichtung Arnolds von Lübeck und ihr Verhältnis zum deut- schen original. 2. Die von Schmeller edierte lateinische Gregordichtung zfda. 2, 486 fgg. 3. Über die einleitung zu Hartmanns Gregorius. Die lesarten der Konstauzer handschrift sind durchweg berücksichtigt.

Vglsuiiga saga. Nach Bugges text mit einleitung und glossar herausg. von Wilh. Ramsch. Berlin 1891. XVni, 21G s. 8. 3,G0 m.

Weiuhold, K., Mittelhochdeutsches lesebuch. Mit einem metrischen aiihang und einem glossar. 4. aiiflage. Wien, W. Braumüller, 1891. IV u. 28G s. 4 m. Der abriss der grammatik ist fortgeblieben, weil durch Weinholds kleine mhd. grammatik (2. aufl. 1889) ersezt; das bixch ist dennoch gegen die 3. aufläge um 10 Seiten stärker geworden durch einige neu aufgenommene lesestücke (Parz. 224,1 248,8; Neithart ed. Haupt .57, 24 58, 24; stücke aus der Limburger Chronik als proben eines md. dialektes), sowie durch erweiternde Umarbeitung der eiuleitungeu , der anmerkungen und des glossars. Das buch ist zur einfülirung in mhd. lektüre auch für Studenten sehr geeignet, namentlich wegen der manuigfaltig- keit seines Inhaltes.

Zeliine, A. , Über bedeutung und gebrauch der hülfsverba. I: soln und müe^en bei Wolfram von Eschenbach. Halle, diss. 1890. 55 s. Leipzig, G. Fock. 1,50 m.

Zinzow, Adolf, Die erst sächsisch - fränkische , dann normannische Mimiannsage nach Inhalt, deutung und ui'sprung. Progr. des Bismarck - gymn. zu Pyritz. 1891. 20 s. 4..

142 NACHRICHTEN

NACHRICHTEN.

ARTHUR REEVES f. In der nacht vom 27. auf den 28. februar 1. j. gieng mir aus Richmond, Indiana, Vereinigte.staaten von N.-A., ein telegranim zu mit der kurzen meidung: Aithur Keeves kQled railroad accident", und heute erhalte ich durch die gute des lierrn professors Ed. P. Evans, viceconsuls der vereinigten Staaten dahier, eine nunimer des Boston Weekly Transcript's vom 27. februar, welche berichtet, dass am 25. abends auf der fahrt von Chicago nach Cincinnati ein eisenbahnunfall eingetreten sei, bei welchem der genante mit mehreren anderen pei'souen verunglückte. Im vorigen jähre hat A. Reeves unter dem titel „The Unding of Wineland the good" (London, Heniy Frowde) eine vortrefliche ausgäbe der auf die entdeckung Vinlands bezüglichen (juellen mit facsimile's der haudschriften , Übersetzung, sowie sehr beachtenswerten vorberichten und anmerkungen herausgegeben, ein werk, welches im anschlusse an G. Storm's grundlegende Untersuchungen (Aarboger for nordisk oldkyudighed og historie, 1887) der zumal in Amerika noch hei'schenden Verwirrung der ansichten über die Vinlands- fahrten der alten Nordleute ein ende zu machen geeignet ist. Zulezt war er mit einer englischen Übersetzung der Laxdsela beschäftigt gewesen, von der ich dahingestelt lassen muss, ob sie bereits zum abschlusse gediehen ist. In der schule des um die altnordischen Studien hochverdienten professors W. Fiske herangebildet, schien der ebenso liebenswürdige als arbeitsame junge mann noch eine lange reihe tüchtiger lei- stungen auf diesem gebiete zu versprechen; das unerbitlichc Schicksal hat diese hof- nungen abgeschnitten und nur dem wünsche rauni gelassen, dass dem zu früh ge- schiedenen die erde leicht und bei seineu fachgenossen ein ehrendes andenken gosicliert sein möge!

MÜNCHEN, DEN 18. RlCrZ 1891. K. MAURER.

Am 2. feliruar d. j. verschied zu Boppard a/Rh. an den folgen einer gehirnge- schwulst der langjährige bibliothekar an der Breslaucr universitäts - bibhothek prof. dr. Hermann Oosterley. Geboren zu Göttingen am 14. juui 1833 als söhn des spätem bürgermeisters und neffe des im frühjahr 1891 ebeufals verstorbenen hannoverschen hofmalers, zog ihn seit friihester Jugend die musik so mächtig au, dass er in kind- licher einbildungskraft ein „zweiter Beethoven" zu werden ersehnte und sich nach- mals an der Universität Kiel für musik und deren geschichte habilitierte. Nach einer mehrjährigen Wirksamkeit (1858 62), der es an anerkennung nicht fehlte eine glänzende empfehlung für die stelle eines kgl. hofkapolmeisters war die folge trat er indessen zum bibliotheksberuf über. Im Oktober 1862 hilfsarbeiter an der damals bedeutendsten bibliothek Norddeutschlands, der Göttinger, rückte er 1866 zum seci-etär daselbst vor, kam als custos 1872 nach Breslau und hat hier (seit 1876 mit dem titel bibliothekar, seit 1882 auch mit dem professortitel) bis wenige monate vor seinem abscheiden gewirkt.

Oestorley's litterarische tätigkeit war umfassend und vielseitig. Seine doctor- dissertation (1855) war ein „Ahriss der geschichte der philosophischen beweise für das sein gottes". Dann veröffentlichte er schritten über theorie der musik und über liturgik, sowie eine reihe philologischer und historischer werke. Hier interessieren: Die dichtkunst und ihre gattungen. Mit einer vorrede ron Karl Goedeke (1870); Niederdtsch. dichhmg im m.-a. Als XII. buch der dtsch. diehtung im m.-a. ron K.Qoedeke bearbeitet (1871). Zahlreiche ausgaben älterer texte und scliriftsteller ver- anstaltete er und stattete sie mit zum teil sehr umfangreichen einleitungen und

XACHRirilTEN 143

anhängen aus. In der bibliothek des iStiittgaiter litt, veroins gab er heraus: Panli's Schimpf H. Ernst (1800); H.W. Kirehhof's Wemlemmd I—V {ISmilO); Steinhöwel's Aesop (1873); Sinioii Dach (1870). Eine kloinoro ausgäbe des leztgenanten erschien fast gleichzeitig als lul. IX der Goodeke-Tittniann'schcn Dichter des IT.jhdfs.

A^^n andein ausgaben seien genant: Shakespeare' s Jest Book (London 1800); Ro)hhIu.'<. Die paiaphrasoi des Phaednis it. die aesopische fahel im vi.-a. (1870); Qesta Romanorum (1872); Bibliothek orientalischer märchen utul erxählimgcn I. Baital Pachisi (1873); Johannes de Atta Silva Dolopathos sire de rege et VIT sa- picntilnis (1873). Leztgcnanter text, die vorläge zu dem altfranz. Dolopathos des Herbert V. Metz, war von den romanistcn, namentlich Adolf Mussafia, jalire lang ver- geblich gesucht worden. Oostorley hatte ihn in der Athonacums - bibliothek zu Luxem- burg wieder aufgespüi-t. Freilich liat die flüclitigkeit der ausgäbe gerade dieses textes das verdienst des horausgebors stark verdunkelt.

Auch neueren autoren hat er seine aufmcrksanikeit zugewaut: er ist niitarl>eiter au der Goodeke'schen grossen kritisclieu »Sc/^ ///er -ausgäbe gewesen und hat Seume's Spa-.icryang nach Sgrakns neu veröffentlicht. Eine grosse zahl Zeitungsartikel, auf- sätze u. dgl. mag hier nur vorübergehend erwähnt werden.

"Was Oesterley auszeichnete, war eine bewundernswerte spankraft und Intelli- genz, die ihn befähigte die verschiedenartigsten materieu zu umfassen und schnell zu durchdringen, sowie eine frische und klare ai;ffassung, wie sie polyhistorisch oder bibliothekarisch veranlagten naturen nicht eben eigen zu sein pflegt. Was ihm abgieng oder doch in folge äusserer lebcusumstände niclit zu.r geltung kam, war sinvolles verweilen auch bei dem kleinen und einzelnen. Damit hängt es zusammen, dass einem teile seiner arbeiten der Vorwurf ungenügender ausreifung niclit ganz erspart werden kann, wäbrend sonst der umfang und die Vielfältigkeit seines wirkens in hohem grade acbtung verdient.

(Nach freundlichen mitteilungen von dr. Emil Seclmann in Breslau.)

Am 3. februar starb zu Kopenhagen der ehemalige rector der kathedralschule zu Aarhus, di". G. E. Y. Lund, Verfasser einer altnordischen syntax (oldnordisk ord- föjningslfere) und eines Wörterbuches zu den altdänischen gesetzen, 70 jähre alt.

Am 20. april verschied im 04. lebensjahi'e zu Kiel prof. dr. Gottfried Hein- rich Handelmann, direkter des Schleswig -Holsteinischen museums vaterländischer altertümer, Verfasser einer reihe von schritten über altertumskunde und Sittengeschichte.

Am 25. mai verschied zu Bonn der ausserordentliche professor dr. Karl Gustaf Andresen (geb. 1. juin 1813 zu Ütersen). Die Zeitschrift für deutsche phi- lologie, die in dem dahingeschiedenen einen langjährigen, treuen mitarbeiter betrauert, wird ihm ein dankbares augedenken bewahren.

Der ord. professor dr. M. v. Lexer in Würzburg folgt einem rafe nach Mün- chen. An der Universität Jena hat sich dr. Albert Leitzmann für germainsche Philologie habilitiert; ebenso in Bern dr. S. Singer, in Halle dr. John Meier, in Berlin dr. Max Herrmann.

Die „Beiträge zur geschichte der deutschen spräche und litteratur" werden unter fernerer mitwirkung ihrer begründer vom 16. bände ab von prof. dr. E. Sie- vers in Halle a/S. herausgegeben werden.

144 XACHRICHTEX

Im Verlage von M. Nicmeyev in Hallo a/S. wird unter dem titel Saga- bibliothek eine samlung der wichtigsten altnordischen prosadcnkmäler mit deut- schen, erklärenden anmerkmigeu erscheinen. Die redaction haben dr. Gustaf Ceder- schiöld in Lund, prof. dr. Hugo Gering in Kiel und dr. Eugen Mogk in Leipzig überiionmien. Zunächst wei'deu herausgegeben werden: Droplaugarsona saga (G. Mor- genstern); Egils saga (Finnur Jünssou); Eyrbyggja (H. Gering); Flores saga ok Blan- Mflür (E. Kölbing); Gunnlaugs saga (E. Mogk); Hallfredar saga (Th. Wisen); Halfs saga (Er. Kautfmann); Häkonar saga (G. Storni); Isleudiuga bok (W. Golther); Joms- vikinga saga (C. af Petersens); Mägus saga (G. Cederschiöld) ; Ragnars saga lodbrokar (R. C. Beer); Sverris saga (G. Storni); Vglsunga saga (B. Sijmons); Qrvar-Odds saga (R. C. Beer). Als notwendige hilfsmittel werden der saga-bibliothek hinzugefügt werden: ein kurzgefasstes altnordisches Wörterbuch und ein handbuch der nordischen alter tum er. Die bearbeitung des ersteren Werkes hat Palmi Päls- son in Reykjavik übernommen.

Beneke'sche preisaufgabe für das jähr 1894. Gewünscht wird eine geschichte der deutschen kaiserlichen kanzleisprache von ihren anfan- gen bis auf Maximilian, die in angemessenen, zeitlich begi'enzteu abschnitten das constante und das schwankende in den laut- und flexionsverhältnissen , sowie mög- lichst auch in wortI)ildung und Wortwahl zur anschauung bringt und mundartlich er- läutert. Eine beschränkung auf das lautliche MÜrde nicht genügen; benutzuug unge- druckten materials wird nicht verlangt. Äussere Verhältnisse, wie der wechselnde sitz der kanzlei, heiniat und litterarische beziohuugen der kaiser und kanzleivorstäude, die herkunft der Schreiber, der einfluss wichtiger reichstage, etwaige rücksicht auf die mundart der adressaten sind eingehend zu beriicksichtigen und darzulegen. Auch das Verhältnis der kaiserlichen kanzleisprache zu den anfangen einer oberdeutschen xoivrj im 14. und 1.5. Jahrhundert darf nicht ausser acht bleiben: namentlich wird zu unter- suchen sein , ob die spräche der Nürnberger kanzlei auf die der kaiserlichen eingewirkt habe, oder umgekehrt. Erwünscht ist es endlich, dass an der spräche der Urkunden und der ältesten drucke einiger ausserbairischen litterariscben centren Süddeutschlands die bedeutung der kaiserlichen kanzlei für die milderung der mundaiilichen gcgensätze im 1.5. Jahrhundert geprüft werde: neben Nürnberg käme etwa Augsburg, für das vor- arbeiten vorliegen, und Strassburg in betracht.

Bewerbungsschriften in deutscher spräche sind bis zum 31. augnst 189H mit einem spruche auf dem titelblatte an die philosophische facultät zu Göttingen einzu- senden mit einem versiegelten briefe, welcher auf der aussenseite den Spruch der ab- handlung, innen namen, stand und Wohnort des Verfassers anzeigt. In anderer weise darf der name des Verfassers nicht angegeben sein. Auf dem titelblatte der arbeit muss forner die adresse bezeichnet sein, an welche die arbeit zurückzusenden ist, falls sie nicht preiswürdig befunden wird.

Der erste ju-eis beträgt 1700 m., der zweite GBO m. Die zuerkennung erfolgt am 1 1 niärz 1894. Die gekrönten arbeiten bleiben unbeschränktes eigoutum der Verfasser.

Halle a. S. , Buciuh uckerei des Waisenhauses.

BEITiiÄGE ZUR DEUTSCHEN MYTliULOGTE.

1. Der todesiiott alul. liciiiio Wotaii = 3loreurius.

Die niytli()!()i;-ischo foischung- hat bis auf unsere tage der gescliichto des kaltes geriug-e beachtung geselieukt. S(Mtdem aber die hohc^ Wich- tigkeit dieser geselHeiitHcheu grundhige gewürdigt wird, ist i'eiclier erfolg der lohn. In Weinholds abhandlung „über den niytlius vom Wanenkrieg" ^ erscheineu unklare Verhältnisse durch die övt- liclie und zeitliehe scheiduug der kulte geläutert. Auf solchem wege nur kiinnen wir dahin gelangen, die niannigfaclKni Widersprüche zu lösen, die in den deutscheu göttergestalten unseres mittelalters her- schen. Weiuhuld hat die ausbreitung des Wödanglaubeus verfolgt uud den zusammeustoss des Anseukultes mit dem Wanenkidte als kämpf der chthonischen mächte gegen die götter des lichtes erwiesen. Dieser kiieg hat zu einem religionsfriedeu, uämüch zur aufnähme der Waneu unter die Anseu geführt. Einerseits wird die erscheiuung der götter im lichte dieser auffassung einheitlicher und klarer, denn sie erlaubt uns, viele verAvirrende züge auszuscheiden 2; anderseits aber werden wir dem seeleuglauben luid totenkult der Germanen, dessen reste sich in- sage, sitte und brauch bis heute bewahrt haben, in höhe- rem masse als bisher gerecht, wenn wir in dem ursprünglichen, dem himmelsgotte *Tiirax gegenüberstehenden "^'Woilrmax eine macht der erde, den gott des todes und der finsternis, erkennen. ZAveifel an die- ser auffassung könte erregen, dass bisher in keiner bezeichnung des höchsten gottes, weder in dem hauptnamen ^Woäcütcc (vgl. lat. rotes, altir. f/ifJi) noch in seinen vielen beinamen eine tatsächliche anknüpfung an den todesgott erwiesen ist, denn in Requalivalian , Y(jf/r, Ygg- jüngr und IMhlindi ist doch höchstens eine indirekte beziehung zu sehen. Diesen zweifei zu beseitigen, ist die aufgäbe meiner abhandlung.

1) Sitz.uugsberiehto der köuigl. prcuss. fikadeniie. PhildS. -histor. klassu XXIX (1890), Gll fgg.

2) "Weiuhold scheint mir durebaus nicht zu veruciiien, dass gottev oder dämo- nen der finsternis den göttei'n des lii'lites im Waneukult gegenülier gestanden liahcn; es soll wol nur gesagt sein, dass hier die lezteren die hcrschende stelle hattoii.

ZF,TTSrni!TFT F. PKITTSIIIK PIULOI.O'ilK. r.H. XXI\'. 10

146 SIEBS

1) Wenn Tacitus in der Germania (c. 9) berichtet, dass die Ger- manen als ihren höchsten gott den Mercurius verehren, so meint er damit den kult des Istwaz = Wöäanaz bei den westlichen Deutschen. Die gieichsetziing Hermes = Mercurius = Wodan ist nie bestritten worden, und sie ist nicht nur stichhaltig für die zeit, da Wodan als der gott alles geistigen leben s gilt, sondern auch in dem Verhältnisse beider götter zu den toten liegt eine ähnlichkeit: Wodan nimt die freilich nach jüngerer auffassung von den Walküren zu ihm gelei- teten — toten auf, und auch dem Hermes ilwyo/tof.i7r6g w^erden die Seelen der verstorbenen übergeben. Durchaus sichergestelt wird schon für sehr frühe zelten die Identität Merkurs mit dem deut- schen todesgotte durch eine Inschrift, die im frühjahr 1872 zu Rohr bei Blankenheim im oberen Ahrtale gefunden ward. Ein altar, von dem nur der obere teil erhalten ist, trägt die werte:

MERCVRI CHANNINI

Freudenberg (Bonner Jahrbb. des Vereins von altertfrd. im Rheinide 53, 172 fgg.), der die inschrift zuerst erklärt liat, sah in Mermiri einen votivgenitiv ; in dem Schlussbuchstaben der zweiten zeile weite er den rest eines E und in dem somit sich ergebenden Channine den ersten teil des namens der Canninefates erkennen. Mit gutem rechte klar erweist das der name di^^ Kemiem,erlandes hat Much (Ztschr. f. d. a. XXXV, 208) erklärt, dass jener name nie und nimmer mit C/i hätte anlau- ten können, da wir mit germanischem /lzu rechnen haben: es sei des- halb Mercurio Channini zu lesen und in dem zweiten werte der germ. dativ eines beinamens Hmi7io (er vergleicht griech. yMvveiv) zu erkennen. Freudenberg (a. a. o.) berichtet, dass für ein dativ -o in der ersten zeile kein räum sei ; in solchem falle müssen wir die möglichkeit gibt Freu- denberg zu in dem C der zweiten zeile ein 0 erkennen und Mercurio Hannini lesen. Es fragt sich nun, wie dieser name zu erklären ist. JSTach dem gesetze der westgermanischen konsonantendehnung erweist das nn, dass (C) hannini aus *(C)hanjini entstanden ist. Zu diesem dativ haben wir einen nom. sing. germ. Vianje *ha7iJ6'^ (ich lasse das strit- tige, für unsere zwecke gleichgiltige C des anlautes weg) anzusetzen, und diese formen sind lautgesetzliche Vorläufer eines altsächs. althochd. *hcnno (got. *Imnja}^ angelsächs. altfries. *henna. Ich behaupte nun, dass mit diesem w^orte der todesgott bezeichnet ist. Wie zahlreich überhaupt die votivsteino sind, die erklärlicherweise gerade den todesgottheiten errichtet wurden, das werde ich demnächst in anderen

BEITRÄGK ZUR DEUTSCHEN MYTHOLOGIE. I 147

arbeiten dartun. An dieser stelle soll zuerst die etymologische deu- tung, sodann die geschiebte des Hoino gegeben werden.

Wir kennen eine indogerni. wurzel kcn, welche in der hochstufe 1x011, in der tiefstufe hi lautet und „stechen, schlagen, vernichten, töten" bedeutet: altpers. vi-Qan heisst töten, avest. <}dna Vernichtung; griech. y.alvio aorist tvMvov /Mvelv töten, xorrj (Hesychius) mord. Die entsprechende germ. wurzel muss in der mittelstufe hen, hochstufe Juin, tiefstnfe hnn lauten; je nachdem wir nun ein nomen agentis mit Suf- fix -an- oder -jan- von der mittel- oder hochstufe bilden, erhalten wir alid. "^'lieno *hinno oder '^hano *hc7i/io in der bedeutiing „vernich- ter, tod", personificiert „gott der Vernichtung, todesgott". Im mittel- und neuhochdeutschen haben wir Henne bzw. Hinne Han(n)e zu erwarten; auch finden wir die tiefstufe mit hime, hunne vertreten.

2) Nunmehr muss es unsere aufgäbe sein, die geschichte des deut- schen todesgottes Henne zu verfolgen. Die Germanen verehrten ihre götter in heiligen hainen. Ein solches heiligtum hatten die Friesen dem Henna und zwar dem kämpf- und todesgotte, dem Baduhenna (gen. Baduhennae)^ geweiht. Tacitus (Amial. lY, 73) erzählt: „w?ox compertum a transfugis, nongentos Romanorum'^ apud lucum, quem Baduhennae vocant, pugna in posterum extracta confectos''^ . Die frü- heren erklärungen dieses wortes als Badiüine usw. glaube ich hiermit widerlegt zu haben. Zu den ausführungen Jaekels (Ztschr. f. d. phil. XXII, 257) bemerke ich, dass sie mir ebensowenig wie die erörterun- gen über die Alaesiageti und Hlüdana stichhaltig erscheinen, weil sie auf einer sprachlich unzureichenden grundlage erbaut sind; damit fal- len auch die weiteren kombinationen zusammen. Z. b. sagt Jaekel von Baduhenna: „der name gehört, wie sein zweiter bestandteil -henna zeigt, der form nach zu den namen der auf römisch -germanischen inschriften aus dem Rheinlande so häufig genanten matronen wie Albiahenae usw. und zu namen wie Nehal- ennia und zu dem auf unserem votivaltar ^q- WMiiQw Fbnmil- ene'''' . Niemals aber erscheinen meines wissens matro- nennamen mit 7in des suffixes, niemals solche auf -eniae neben -enac; dennoch werden die -henna, -ennia .^ -ene und -Äew«c - formen kur- zerhand ohne jeden grund identificiert, damit sich „beweisen" lässt, „dass das h und die Verdoppelung des n im namen Baduhenna unorganisch, nur vom römischen munde eingeschoben ist" usw. Will man sich die werte behufs einer erklärung in solcher w^eise mund-

1) Solten diese ich äussere das nur als eine gewagte Vermutung dem Badu- henna geopfert sein? Weder conßcerc noch die grosse zahl der getöteten erregt bedenken, vgl. Weiuhold, Sitzgsber. d. kgl. preuss. akad. phil.-hist. cl. XXIX (1891), s. 564fgg.

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148 SIEBS

gerecht machen, so gibt man den ansprach auf, über die reichlich vorhandene seit Jahrzehnten aufgespeicherte hypothesenlitteratur hinaus- zul\ommen.

3) Darauf, dass bisweilen He7ine (ahd. Henno vgl. Graff, ahd. Sprachschatz IV, 960) als mannesname erscheint, will ich kein gewicht legen, weil hier auch andere etymologische zusammenhänge denkbar sind. Ebenso sind die mannigfach auftretenden oi^tsnamen viie Henn- hofcn, Hennau, Henndorf, Henneherg (vgl. Förstemann, Ortsn.^ 730 fgg.) nicht als sicheres material zu gebrauchen. Freilich fordern ja namen wie Wodensherg, Gudensberg, Wodetisholte u. a. (Grimm, Myth.* 127 fgg.) zum vergleiche heraus, vor allem wenn sagenumwobene stat- ten wie der Henneberg und der Heigraben in volkstümlicher Überlie- ferung neben einander genant werden (vgl. Panzer, Beitr. z. d. myth. 1, 114).

4) Begreiflichei-weise braucht Henno nicht immer in der ursprüng- lich ihm eigenen Wirksamkeit des todesgottes aufzutreten, sondern in späterer zeit ist er völlig gleichbedeutend mit Wodan. Er ist, nach- dem der uralte *Ti?vaz aus seiner stelle verdrängt ist, der himmels- gott, der gott des neuerwachenden lichtes, des tages, des frühlings; sein äuge ist die sonne. Dem neu erwachenden lichte ruft man ent- gegen: ^^Heimil wache! '■'' He7inil aber ist diminutive koseform zu Henno und dem sinne nach zu beurteilen wie die nordfries. anrede des Wodan mit Wedke, Wedki {Yg\. Müllenhoff, Schleswig-holsteinisch - lauenburgische sagen 167). In den märkischen sagen wird berichtet, (Kuhn s. 330): „Ein alter förster aus Seeben bei Salzwedel erzählte auch, dass man an diesen orten früher die gewohnheit gehabt habe, an einem bestimten tage des Jahres einen bäum aus dem gemeinde- walde zu holen, den im dorfe aufzurichten, darum zu tanzen und zu rufen: Hcnnil, Hennil, wache!" Ich vermute, dass das am läng- sten tage geschah in dem sinne, Hennil solle stets so früh und so lange wachen, wie an jenem. Oder war es etwa ein ruf zur winter- sonnwendzeit? Dafür möchte die vergleichung der gebrauche zur zeit der zwölften {tvo'pelröd, im Saterlande, wovon ich demnächst be- richten werde) mit einer erzählung des Ditmar von Merseburg sprechen (zum jähre 1017). Sie lautet: ^/mdivi de quodam baeulo, in cuius smnmitaie nianus erat, ununi in se fei'renm teneyis circulum, quod cum pastore illius villae Silivellun (Selben), in quo is fuerat, 'per omnes domos has singulariter ductus, in primo infroiiu a porti- tore suo sie salutaretur, ^^vigila Hennil, vigila!^'- sie enim rustica vocabatur lingua, et epulantcs ibi delicate de eiusdem se tueri custodia stnlti autumubani^'- . Die Zusammenstellung dieser rusticä linguä

BKITHÄGK ZT'R DF.UTRCHKX MYTHOLOGIE. T 149

gosproclieiu'ü wurte mit doin ungarischen hiijiKil und (Miicni slowakisch- bölimiscluMi liirtongotto, wie Jakol) (iriiniu (Mytli. s. O^H) sie gegeben hat, erscheint niif nnnitiglich; ich glaube, dass durch in(!ine deiitung alle Zweifel gidtist sind. (I)ei' i'ut eiinneit an <his i'ilinische Mars rlfjiht I)

5) In niittelhechdiMitsehen (hnikniährn finden wir eine höchst auttallige in tcn'jektien: ,J <'i licinic '. "^ die -lakub (iriniin (Deutsche grainm. III, .'507) als ganz unerkliirbar be/eichnet. Altd. wiihler IJT, 208 heisst es: diu rlin'i sprach ,Ja J/cin/r.'^^ Das ist abei- niclits anderes als „türwahr, l)ei Wödan!" So mag auch vielleicht iu der Weiterbildung ,,yV/ l/c/n/n/hirc/ '•'■ eine altheidnisclie erinnerung an einen totenberg (VaüioJI) liegen. Die werte er.scheinen in der Franen- zueht, „Yen Sibot'' (von der Hagen, Gesamtabentener I, 52. 30). „,yV'", i^pnicli si , .Jluniciihcrl:!^' und späterhin (50, 74) als antwort darauf: „/rc/ isl m) inirir llemicubfrk?'''' Als eine blosse entstellung infolge mangelnden Ycrständnisses ist das hanauische .^sjnih lioninici!'''' anzu- sehen. Man kühlte geneigt sein, diese fUiclu^ direkt an ein Avort hcniio = tod anzuknüpfen: flucht man doch auch ])oi uns „tod und teufel!'' Dass Avir sie aber bis auf den deutschen gott zurückzuführen haben, lehrt uns die in Niederhessen gebräuchliche interjektiou ^^gott IIou/.c' '■^ Ptister im Nachtrag zu Vilmars Idiotikon (Marburg 1886) s. 100) äussert sich darüber folgendermasson. ,,Gott Ilcinx', wofür in Oberhessen allerdings auch cl du Ilcnnc! gehört Avird; nicht jedoch, dieser mundart angemessen, ei du hl wird heute in mannigfachster abstufung der gemütsbewegungen gebraucht: von ängstlichem klagen, scheuem Ycrwundern bis zu trotzigem bedauern. Die Spaltung von lunnic und In ist wichtig. Das mi'k'hte nun immerhin seine bewandnis haben und Hesse etwa in allen graden doch an gekürztes: fulir hin, fulirc CS (hil/iii! noch denken. Nun stellet sich aber jenem gott Ilennc ebeuAVül ein gotl Henucberg zur seile, von dem man zunächst nicht Aveiss, ol) es drei oder ZAvei Avörter seien. Was Aväre gott llcunchrrg?''^ Ob in dem l/l die oben besprochene mittelstufe '^hoi -\- -jau- sufhx zu erkennen ist, bezAveifle ich.

6) „Am weg von A¥esterhausen nach Thale", so erzählen Kuhn und ScliAvartz (Nordd. sagen s. 167. 481)), „hegt gleich hintei'm dorf an einem mit saudsteinklippen überdeckten berg die Hinnemut- terstubo, eine höhle in stein. Darin sizt die Hinnemutter, ein Avil- des Aveib; aber Avie sie hineingekommen, Aveiss kein inensch. Einige sagen zwar, sie sei nicht mehi- daiün; aher die kindei' Avissen das bes- ser, denn wenn sie nicht artig sind, so sagt man: ,Avai't, dii' Hinne- mutter Avird gleich kommen und dich holen!' und sie mögen noch

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so unartig sein, das hilft gewiss". Die Hinnemutter ist natürlich Fru Hinne, und diese verhält sich zu Henne gerade so wie Fru Gode oder Frau Gaude, Fru Wode zu Wode (Grrimm, Myth. 209. 771 fgg.). Die Hinnenniutterhöhle ist also nichts anderes als der Wo- densbery, d. h. der borg, in dem Wodan hauset. Wie bei dem erwähn- ten Hermil und Wcdke, so finden wir auch hier die koseform belegt, nämlich Hinniche. „In Tilleda am Kyffhäuser (vgl. Kuhn und Schwartz a. a. 0. s. 395) sowie in der ganzen umgegend lässt man, nachdem aller roggen abgemäht ist, eine garbe unabgemäht stehen. Die ähren derselben werden darauf ungeknickt mit bunten bändern unterwärts gebunden, so dass das ganze die gestalt einer puppe mit einem köpfe bekomt, und nachdem diese fertig ist, springen alle der reihe nach

darüber fort; das nent man ^^üher schäinichen springe n,'"'- In

Hohlstedt sagt man ^^iiber schinnichen springen'-^ [übersch hinnichen sp ringen '■'■ \ vgl. das altenburgische „e^V?e scheune bauen'-'-). In Butt- städt hatte man bei der flachsernte" ähnliche gebrauche also in allem und jedem die Identität des Henno und Wodan. Die vokalverschie- denheit zwischen hainichen und hinnichen hat, Avie Avir unten sehen werden, manche analogicn.

7) Auf Wodan weisen vermutlich züge einer mocklenbui-- gischen sage hin (vgl. Bartsch, Mecklenb. sagen I, 305). Sie handelt von Otto von Plön, der bei Sülstorf hauste und als raubritter gehasst und gefürchtet war. „Aber der bösewicht entgeht seiner strafe nicht. Der hirte von Eieps, Häne, verriet es den von Schwerin kommen- den feinden, dass der ritter auf seiner bürg sei und versprach ihnen, sie in die bürg einzuführen; als lohn bedingt er sich aus „brot bis in den tüd!" Und glücklich war der zug; die bürg wird erobert, Otto erschlagen, die beiden söhne werden mit fortgeführt. Auch dem Ver- räter wird wort gehalten: noch auf dem zuge wird er erhängt und höhnend ihm zugernfen, nun habe er ja brot gehabt bis in den tod. Auf dem Riepser felde stand eine alte eiche, daran ward er gehangen, und das land heisst noch der Hänenbrook". Der hirte als Wegwei- ser (Härbardsljöd str. 50. Skirnisf^r str. 11), das betteln um brod, das erhängen (Odhin an der weltesche) das alles sind Wodans in so vie- len sagen widerkehrende züge; und da zu ihm gar noch der name Häne stimt, ist mir die Identität wahrscheinlich.

8) An die wilde jagd klingt eine sage an, die Panzer (Beitr. z. d. myth. I, 178, vgl. Mone's Anzeiger VII, 52) überliefert. „In dem Schönstelwald zwischen Aufstetten und Strüth geht ein gespenst in kalbsgestalt um, welches man das Hennekalb nennt. Einem Jäger,

BEITUÄGE ZUR DEUTSCHEN MYTHOLOGIE. I 151

der nachts (Uircli diesen wald gieiig-, sprang- es auf den rücken und zwang ihn, es bis gegen morgen herumzutragen. Au dem ort, wo es alsdann von ihm gewichen, Hess der Jäger einen stein setzen, worauf er mit dem kalb auf dem rücken abgebildet, und der heute noch dort zu sehen ist". Solche sagen sind mir sonst nicht von Wodan bckant, wol aber ähnliches vom teufol. Der ritt weist im vorliegenden falle auf den aus Ilcniio-Woda)! hervorgegangenen teufol hin; die kalbs- gestalt, die beim teufel nichts auffälliges hat (vgl Kuhn und Schwartz s. 204), scheint aus nichtgöttlichen elemeuten des lezteren hinzugekom- men zu sein. Der name Hennekalb ist für die beziehung der sage auf Wodan beweisend. Zweifelhaft aber ist mir eine aus der Obor- pfalz von Schönwerth (Sitten u. sagen a. d. Oberpf. Augsb. 1857. I, 272) berichtete sage: Erdhennl sei ein todesbote, der unter dem stuben- boden wohne. Wir haben hier eine der zahllosen sagen, in denen bahn und henno eine bisiier unerklärte, wichtige rolle spielen. Ich bin über- zeugt, dass viele auf eine alte kontamination des gottes- und tiernamens zurückführen, die natürlich im einzelnen falle stets hypothese bleiben wird.

9) Dass die altheidnischen götter unter dem einflusse des christ- lichen kultes zu unholden werden, ist eine bekante tatsache. Man denke nur an das fränkische taufgelöbnis. Dass Wodan, der höchste der heidnischen götter, mit der gestalt des teuf eis verschmilzt, lehren uns manche züge und auch beinamen des teufeis (z. b. hellejager, Od- diiicr vgl. Grimm, Myth. 851). So darf es uns nicht wundern, wenn auch Henne als name des teufel s erscheint. In Agricola's Sprich- wörtern (1560) 322'' heisst es: „er sihet eben, als hob er hohäpfel ges- sen -wie Henn der teufeV'-. Der teufel auch scheint gemeint zu sein, Avenn ein vers lautet: ^^Hansl, Hans, Hennamist, Dcar de alten Wciba frisxP'- (vgl. Frommann, Mundarten III, 316). In diesem falle hat möglicherweise eine kontamination des na)is Mist, der bei Brant und Muruer genant wird, mit dem Henne statgefunden. In Bruder Hansens Marienliedern 3708 (Lexer, Mhd. hdwörterb. 1222) lesen wir: „50 nioes der langeswanste heyn sin saget slaen ztvischen sin beijn''''.

10) Wir sind heute gewohnt, unter Hein den tod zu verstehen. Niemals aber hätte, wie im oben erwähnten verse, der tod „laugge- schwänzt" genant werden können: hier kann iieyn natürlich nur den teufel bedeuten. Da nun in der älteren spräche heyn und henn, wie wir gesehen haben, für den aus dem uralten todesgotte unter durchgang durch Wodan entwickelten teufel gebraucht werden; und da ferner, Avie Avir erweisen werden, henn und henne (vielfach auch als kein hci)ie auftretend) bis auf unsere tage den tod bedeuten: so wer-

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den wir nunmehr auch „freund Hein" gewiss nicht mehr als eine im jähre 1774 gemachte erfindung des Matthias Claudius oder gar als einen auf einen Hamburger arzt gemachten namenswitz ansehen wollen. Die form hein neben kenn und hann findet sich in dem mecklenburgischen werte für „storch". Bartsch (Mecklenb. sagen H, 168) bemerkt, der heisse in derPriegnitz und einem Ideinen teile von Mecklen- burg Hainotte oder Hannotter, und in Stuck und Strass bei Eldena heissen die aprilschauer Hannottcrsclnire. Danneil ("Wörterb. der altmär- kisch-platd. mdart. Salzwedel 1859 s. 74) nent Hannotter und Hcinoiter für storch. Der name ist sehr unsicher. Steht -otte, -otter für adcbar, oder ist es, wie Ottey-ivehr (Grimm, Myth. nachti*. 193) vermuten Jässt, nur das erste kompositionsglied des wertes äclehar? Und könte, wenn ersteres der fall ist, in dem Hein-, Hann- eine erinnerung an die sage liegen, dass die storche verAviesene menschen seien, dass tote in Storchgestalt umgehen? (vgl. Kuhn und Schwartz 400; Kuhn, Westfäl. sagen II, 69); oder ist er gar der' dem Henno heilige vogel?

11) Die bezeichnung des todes durch Henne hat sich in man- chen gebieten unseres Vaterlandes bis auf den heutigen tag erhalten. „In Augsburg spielt der Hennadon e eine grosse rolle (Birlinger, seh wäb. - augsburg. wörterb,, München 1864, s. 227). Zum Heniia- done heisst auf den gottesacker: ^^dean trägt ma7i xiim Hennadone^'- . ^^Znm Hcnnadone kommen'-^: sterben, wie in München zum St. Steffej kommen, d. h. zum St. Stefan oder zu St. Christof, zu dessen bilde, das an gottesackern , leichenhäusern angebracht war als mittel gegen den gäben tod. Der Hennadone mag eine persönlichkeit gewesen sein, die sich dort aufhielt. In A. gab es eine Stadtpersönlichkeit dieses namens. Scheiffele (Gedd. in schwäb. mdart, Heilbronn 1863) „TFa« alle Welt 's Laxiera haut und bald xnni Hennadone gauP''. 'm He?i- nadone 's fueter liefrat'-'-. Birlinger hat das misverstanden. In He?in(a) ist der begriff des todes enthalten; vielleicht haben wir Henn-adone zu trennen und im zweiten teile St. Antonius zu erkennen; oder ist Hennadone für Hennadode = gevatter Tod {dote pate) gesagt? Mög- lich ist auch, dass Henna nicht mehr verstanden und durch ein wei- teres wort {dode tod) erklärt ward.

12) Im Codex Heidelbergensis 341 bl. 370" wird folgendes er/ählt. Einem ritter wird durch urteil des kaisers statt seiner längst gestorbenen mutter ein altes Aveib, das ihn für ihren söhn ansieht, als mutter zugesprochen. Als ihm alle entgegnungen nichts nützen, sagt er: „woZ her, lieldu muoter min!

ir sult mir wiUekomen stn.

BEITI^'VGE ZUK DEUTSCIIEX MYTHOLOGIE. I 153

doch cnrriesch ich solher »ucre nie,

(ki% also lange ein vroiiicc ic

hincnpr/ten si gcfrescn

und aLsn,s niance jnr genesen.

si sol uns dcnnocJi sagen me

wie ex, in jener werlde sie'-'-. Wackcrnagcl (Ztsclir. f. d. a. VI, 192) deutete das l/incnprihii als ///// en Priten „fern von hi(H' in Britannien" und be/üi^- sieh auf Prokop (de b(>ll() (iotli. n'. 20). naeli dessen ani^-abo die seelen (]er vei"storl)pncn von dt'r ncrdküste Galliens narli einer insel bei lirillia überi^-cfahren ^vürdeu. Aber es ist dueh undenkbar, dass diese vorstelluni;- plüt/lieli im 18. jaiirhundert in solchem zusammenhange und in solcher form auftauchen solte. Ein ritter des 13. Jahrhunderts solte in solchem ernste der Situation dem glauben worto leihen, dass die toten in Eng- land weilten! Und formell: wie kann das goiesoi jenem wirklichen todo ontgegengestelt werden? Der ritter will auch gar nicht sagen, dass die mutter ti»t gewesen sei, sondern /c/^ hörte noch nienidls, dn.ss einer fron lörper so lange ro)t der seele liätte verlassen sei)i köniien'-^. Es ist auch uohl nicht ohne bedeutung, dass es heisst ,^ei)/ vrouu-e'-'- \ denn dandt wird auf den algemein verbreiteten aberglauben von den Maren oder Wiilridershot bezug genommen , bei denen die seele eine Zeitlang den körper wie tiit zurücklässt und die gestalt eines anderen Wesens annimt. A^on diesem aberglauben an die Hinnenb ritten han- delt Schmeller (Bair. wortei'b. I, 372. llLs. II, 103S), ohne den namen jichtig zu verstehen. In bruder Berchtolts predigten (Codex germ. Monac. 1119 bl. 30"'') heisst es: ,,.... die da glanbcnt an periehien mit der eisinin ra/scn, (rn. l/erodiadis und an dgatui die haid/u'sehen. göttin (an pilhis, an. die peg nacht rarent. an die he a pretigen . an. ehroten, an alpen . an elben und an u:a\ srjgleielu'r cltranchait und ungelmdjcns ist)'-'-:. Cod. germ. -ITö bl. 2*' „cy;? die ruiciit raren., an die pilu-eiscn , an die hg imepritten, an dg traten, an dg scliretlen, an dg unhulden, an u-cru-olf, an den alp oder u-a-. solichs ujtgelauhens /6-^"; Cod. germ. 269 bl. ^ hat statt dessen ^^hennpredigoi^'-; Cod. germ. 4594 bl. 15 .^Ju'nuirtigcii'-^; Cod. germ. 4591 bl. 121'' „an die J/an tiper (dieses Avort ausgestrichen) jyrcdigen. Das prittoi, britten. predigoi erklärt Grimm als „entrückt, verzückt", vgl. ahd. irprottan zu brettan. „Es ist der zustand jener ekstase, wenn der leib in starrem schlafe liegt", der zustand, wie er auf das genaueste beim gestaltAvechsel Odins in der Ynglingasaga cap. 7 beschrieben wird. In dem ^Jiinnc'-'- wolte Schmeller „von hinnen" erkennen, doch wider-

154 SIEBS

sprechen dem die genanten e-, n- und ?/- formen (vgl. auch „/y< liün- nebrüdefi gelegen'"'' in Lachmanns Niederrhein, gedd. s. 9). Wir haben in hinne, hen, hynne den begriff des todes zu sehen: hinnepritten sind die durch den tod entrückten seelen, welche andere gestalt angenommen haben und Avie Maren, Alben oder Wälridersken einher- fahren — gegenstände des zu bekämpfenden Unglaubens. Der aus- druck ^JiinnehrittencV'- (vgl. Grimm, Wörterb. IV, 2. 1457) Avard spä- terhin nicht mehr verstanden und durch y^kinbrüten^'- ersezt.

13) Das wort kenne, hene in der bedeutung „tod" linden wir im deutschen mehrfach, auch ohne dass eine Personifikation ersiclitlich ist. Der Avechsel ZAvischen heniie und hinne fährt zum teil auf alte nebeuformen zurück, zum teil erklärt er sich durch mundartliche laut- verhältnisse, wie auch kenne und hinne = gallina vorkomt. Die öfters belegte form heln- mag, wenn sie im neuhochd. erscheint, auf älteres z, das in offener silbe dehnung erfahren hatte, zurückAveisen (vgl. auch Hinenberg bei Frischbier I, 290); in den meisten fällen aber ist das ei als mundartliche Weiterbildung eines älteren e oder durch volksctymologische anlehnung des nicht mehr verstandenen kenne an vorhandene begriffe zu deuten. Ein in sächsischen und friesischen landen verbreitetes Avort ist Jienneklcd totenkleid. Es lautet im mit- telniederd. kenen- oder kenneldet (Schiller- Lübben, Mnd. Avörterb. II, 239), und sein erster bestandteil kehrt im platdeutschen text der Em- sigoer rechtsquellen Avider (Richthofen, Fries, rechtsquellen 206, 12): Van testametiten. Waer eyn man oftc wyf calt up oer kenbedde in koer kranclikeyt, ende man den preester kaelt'" usw. Es bedeutet hier ,, totenbett". Ich Aveise das gleiche Avort auch dem fries. texte zu, dessen Schreiber es nicht vorstanden und klcnbcd daraus gemacht hatte: ^^Hiversd en mon iefta en wlf uppa tket Jienbed fall and ikene papa kalatk'-'- usav. (ebenda). Strodtmann (Idioticon Osnabrugense) bie- tet für totenkleid keinenldeed und kemdelieed. Auch erscheint kennekosf „todeskost, abendmahl". Das Avort kenne in der bedeutung „mör- der" scheint ferner in dem namen desHeJinarsknugJt auf Amrum enthalten zu sein. Bei Johansen (die nordfries. spräche, IueI1862, s. 231 fgg.) Avird die sage von der ermordung des königs Abel erzälüt, und da heisst es: „Wessel Hummer, auch Henner der Friese genant, als landsmann ein PelAvornier, seines handAverks ein rademacher, hatte sich hinter der brücke verborgen , vertrat dem könige den Aveg und spaltete ihm den köpf

mit der axt Als fischer und küstenfahrer fing er nun an, sein brod

zu crAverboii; bald s.ah man sein fahrzeug im Avatt, bald ihn selbst auf Hennerslioog, er war unstät und friedlos, ob ihn gleich niemand jagte"

BKITRÄGE ZUR DKtJTSCHEN MYTHOLOGIE. I 155

USW. Hemier (aus Jictine unter anfüguug des -er der nomina agentis gebildet) ist nur der beiname jenes niannes und bedeutet ,, niörder".

14) Neben diesen formen nun finden wir auch die form der tiefstufe germ. liiui mehrfach belegt, z. b. liimneiikkl (Drenthe), hu7i- ncclcdc (Nordfriesland, s. Outzen's w()rterb.). Wie Avir es von der tief- stiife zu erwarten haben, bedeutete alid. *hHHO nicht sowol tod im aktiven sinne wie das nomen agentis '^Jieinto, sondern „der tote". Daher bezeiclniet Jmniicl)cdde nichts anderes als „totenbett, grab- stätte". Dass späterhin die tiefstufe der germ. ^|hen mit der gleich- lautenden tiefstufo der germ. fheun gleichgestelt und unser Itun- als zu linn klun gehörig empfunden ward, ist begreiflich: daher die aus- drücke hünenbett, heuneubett, heunenkleid (Stürenburg, Ostfrs. wörterb.), die zu so vielen misverständnissen anlass gegeben haben.

15) HiDie bedeutet in älterer spräche „der tote". In einem Braunschweiger testamente von 1398 heisst es: „OA: ghcve ek to S. Martoie Y2 i^ici^'k to den huiieii''". Ich glaube, das meint: „den armen seelen". Übrigens wird auch die tiefstufenform Hüne als name des personificierten todes gebraucht. Kuhn (Mark, sagen XII) sagt: „Erwähnenswert ist noch, dass in einer altmärkischen schulweihepre- digt (s. Pohlmanu und Stöpel, Geschichte von Tangermünde s. 293) den hartherzigen gedroht wird, sie würden doch zulezt alles Hans Hünen überlassen müssen. Offenbar ist das ein name des todes, der als hüne, riese wie der lange mann in der mordgasse zu Hof (Grimm, D. sagen nr. 167) erscheint; ist daraus vielleicht der bei Claudius zu- erst auftretende fremid Hein (zunächst also hochdeutsch Hanne, Heim) entstanden?" Lezteres habe ich bereits unter 10) klargestelt.

16) Aus der soeben genanten bezeichnung Hans Hüne sowie aus dem Hans, Hansl, Hennamist {vgl. unter 9) ist ersichtlich, dass ge- bräuchliche namen wie Hans, Heinrich u. a. auch abstrakten begriffen beigelegt werden. Ebenso ist ja bekant, dass sie leicht in appellativa übergehen, z. b. Jan und alle nmnn, Hinz und Kunz. Unter die- sem gesichtspunkte ist es gewagt, in werten, die allerdings auf den namen Henna, Hano zurückzuführen scheinen, bei denen jedoch die beziehung zu Johann, Hans, Hei^irich nicht ausgeschlossen ist, eine erinnerung an Wodan zu sehen. Der volständigkeit halber führe ich eine grössere zahl solcher benennungen an, überlasse aber den lesern <lie beurteilung völlig. In Bremen redet man von Hannke in der nood; das Bremer wörterb. I, 591 sagt: .^.^Hannke ist ein Avort, das viel im gebrauch, dessen bedeutung aber unbekant ist. Hannke in der nood ein nothelfer, einer dessen hülfe man sich nur aus not bedie-

156 SIEBS

not, weil man keinen besseren hat". Ähnlich ist das hambiirg-ische (Richey, Idiot. Hamburg, s. 93) ^^He7ineke vor allen holen'"'' zu beur- teilen d. h. ein mensch, der aus vorwitz hinter allem her ist, vgl- holsteinisch ^^Hintz vor alle hÖgc^\ unser ^,Hans in allen gassen^''. Es wird vom ^^starken Heji^ieV" erzählt sowol als vom starken Hans (Grimm, Myth. nachtr. 223); im niederländ. findet sich ,, Henneken Alleman'-'' neben „Jr«? Allemann^'-. Das leztere würde ich hier gar nicht erwähnt haben, wenn nicht auch ndl. Jan hen vorläge, eine komposi- tion, die doch hen als nicht mit Hans zusammenhängend erweist. Mir ist nicht unwahrscheinlich, dass Henno in christlicher zeit zu einem schimpf- und spotnamen herabgesunken ist. In mittelniederd. spräche bedeutet kenne einen narren. Kaysersberg sagt in der pre- digt über das narrenschüf: ^^Der, ivelcher gott straft, der heisst Henn von Narre)ihcrg'-^ . Ebenso ist nach Oudemans, Bijdrage tot een middel- en oudnederlandsch Woordenboek (Arnhem 1872. III, 29) im ndl. Hanne = \di^Q vent, hoorndrager,'Jan hen; ebenda s. 92: heiine he7i- nen scholdnaam, Jan hen, onnoezele bloed. Und die gleiche erschei- nung bieten lebende mundarten. In den tirolischen nachtragen zu Schmellers Bayr. wörterb. wird henn als Schimpfname augeführt (From- mann, Mdarten VI, 149), furchthcnyi, clerfrorne henn; herineler ist foigling. Höfer (Österr. wörterb. II, 27) bemerkt: he)ipärl (söhn der Henne; ^jf//'Z = barn ist aber wol kaum glaublich), hjenperl ein Schimpf- wort, wodurch ein feiger und verzagter mensch verstanden wird. Vil- niar kent (Idiot. 164) in Hessen: henn ein alberner mensch, schmä- hende, sehr übliche oberhessische bezeichnung; dazu Pfister (Nachtrag s. 100): „heute gilt kenne in Oberhessen als bezeichnung eines tropfes". Er zweifelt, ob das wort = gallina, oder ob es aus Hans oder Hein- rich abzuleiten sei. Ich habe diese dinge das betone ich noch- mals — nur der volständigkeit halber angeführt: ich halte hier zum teil eine beziehung zu dem namen des deutschen gottes für möglich, aber für unerweisbar.

Auffällig mag erscheinen, dass ich das englische und nordische nicht erwähnt habe. In dem wertschätze dieser sprachen und in der höheren mythologie habe ich keine anknüpfnng an Henno gefunden; ältere orts- und personennamen habe ich grundsätzlich aus dem spiel gelassen, um der hypothese nicht zu viel räum zu geben; die eng- lischen und neunordischen ortssagen mögen manches bieten, doch sind sie mir leider nicht zugänglich.

Ich glaube aber durch das gebotene hinlänglich erwiesen zu haben, dass die Deutschen zu Tacitus' zeit den todesgott germ.

T'APrKNirKIM, OANGA UNDIR .lAKDARMRN 157

(C) TTanj('("^ =- Mci-cui'l iis vorohrtoii; dnss dieser nnmo aus iiussoroii und auch ;ius inneren i^ründen grösseren nnsprucli darauf hat, \'ür den /u jener zeit gebräuchlichen nanieii des giittes zu gelten, ;i 1 s der erst sj)ät erscheinende naiiK; ]Vn(l(/- i///\; dass sich die erinnerung an d(Mi luuiioii des gott(!s im Volke I)is auf unsere tag-e bewahrt hat.

GinorFSWALD, MAI 1S!»1. TIIKODOK' S[EI!S.

ZUM CtANGA ttndtr jarbarmen.

In seiner g<*haltv(>llen uiul anregenden abhcandluug' über den lap- |)eid);iinn (kludetra'ct) in 1x1. I der Üania, tidskrift for fulkemal og fol- keminder ( K'ejx'idiagen 1S90) gelangt Kristoffer Nyrop auch zur besprechung des altiioi'dischen ganges unter den rasen streiten. Er schliesst sich der von inir (Die altdiinischen sehutzgilden s. 21 fg-g.) gegebenen deutung desselben insofern an, als auch er darin die sym- bolische darstellung eines geburtsaktes erblickt, l)ei welchem die erde als mutter, der unter (]Qn rasenbogen gegaugene als im nuitterleibe befindlich erscheint. Im übrigen aber weicht Nyrops ansieht erheblich von der meinigen ab.

Walirend ich den gang under den raseustreifen in engste bczie- hung zu der eingehung der blutsbrüderschaft (dem sverjask i fosfhnf- (?/■(/!(/(/) setzen und ihn im einklang mit der blutsvermischung und dem verbrüderungseide als symbolischen ausdruclc der unter den künftigen f6stbr(f(lr zu schaffenden verwantschaft verstehen zu müssen glaubte und glaube, erblickt Nyrop in der symbolischen widergeburt „wesent- lich" „eine geistige (oder leibliche) reinigungsceremonie". „Dies ver- trägt sich ja", meint er (a. a. o. s. 25), „vortroflich mit der anwendung des brauchs bei eingehung einer blutsbrüderschaft; erst reinigten sich die betreffenden von allen Sünden des früheren lebens, darnach misch- ten sie ihr blut, wurden blutsbrüder, und endlich legten sie den feier- lichen eid ab". Also nicht um auch äusserlich als im leibe einer mutter befindliche brüder zu erscheinen, sondern um durch eine wider- geburt gereinigt ein neues leben zu beginnen, unterziehen sich die künftigen l)lutsbrüder der symbolischen darstellung des geburtsaktes. Es erhelt, dass bei dieser auffassung der gang unter den rasenstreifen nicht in einer inneren bezieh ung zur eingehung der blutsbrüdei-schaft steht. Denn wenn auch der lezteren die reinigung der beteiligten durch widergeburt vorangehen könte, so würde doch eine solche rei- nigung auch in vielen anderen fällen als geboten oder erwünscht

158 PAPPENHEIM

erschienen sein. In der tat begegnet ja auch bekantlich das ganga undir jaräarme7i noch in zwiefacher anwendung im altnordischen leben, einmal in der Verwendung behufs gewinnung eines gottesurteils (Laxdeela c. 18; s. meine Schutzgilden s. 23 fgg.), sodann als eine demütigende art der busseleistung (Vatnsdtxila c. 33; s. Schutzgilden s. 25 fg.)i. In beiden fällen erblickt Nyrop in dem ganga u. j. eine reinigung durch widergeburt, deren eigentliche bedeutung jedoch bereits zu der zeit, wo die betreffenden Vorgänge spielten, in Vergessenheit geraten war. Nyrop versucht also widerum wie Jakob Grimm und Konrad Maurer eine einheitliche erklär ung des ganges unter den rasenstreifen in sei- nen verschiedenen anwendungsfällen , während wir unsererseits eine nachträgliche Übertragung des brauches von dem sverjask i fösthroeära- lag auf die anderen fälle annehmen musten, eine Übertragung, bei welcher der eigentliche gedanke jenes symbolischen aktes nicht zur Verwendung gelangen konte.

Die ursprüngliche bedeutung des brauches glaubt Nyrop (s. 26) aus der Yatusda^la entnehmen zu können. „Hier wird ja hervorgeho- ben, dass der brauch geübt wurde, wenn man eine missetat begangen hatte, und hierunter kann wol nur verstanden werden, dass man ein neuer mensch werden soll, dadurch dass man sich von seiner Übeltat reinigen und dieselbe sühnen soll". Allein Nyrop selbst muss anerken- nen, dass aus dem berichte der Yatnsdsela derartiges nicht mehr her- auszulesen ist. Er betont, die ursprüngliche bedeutung des brauches sei hier ganz vergessen, indem derselbe als eine demütigende handlung aufgefasst werde, „da man sich ja bücken muss, um unter die erd- streifen zu gehen"'-. Unter diesen umständen kann unseres erachtens nur versucht werden, die erzählung der Vatnsdeela mit den berichten über die sonstige anwendung des ganga u. j. zu vereinigen, aber nicht, aus ihr die eigentliche erklärung des lezteren zu gewinnen.

Ganz ebenso verhält es sich mit der Verwendung des ganga n. j. im dienste des gottesurteils, von welcher die Laxdfela berichtet. Auch hier orkent Nyrop an, dass zur zeit der niederschreibung der sage der brauch „ganz veraltet und ziemlich verwischt" war. „Ursprüng- lich ist das Verhältnis wol das gewesen, dass, wenn einem manne

1) Über das (/mn/a undir jaränrmen iu der Njala s. Schutzgilden s. .35 note 1. Die behauptung von G. Daist (Der gerichtliche Zweikampf nach seinem Ursprung und im Rolandslied s. 7 note 2 des sep.-abdr.), der dem Skapti füroddsson von Skarp- iijedin geniaclite Vorwurf sei von mir mis verstanden, ist zu wenig substanziiert, um eine Widerlegung möglich oder nötig zu machen.

2) S. dazu Schutzgilden s. 34 fg.

OAXGA UNDIR .TARDARMEN 159

niclit auf sein wort gog-laubt wurde, er seine aussage mittelst einer feierlichen Versicherung bekräftigen solte, aber bevor diese abgegeben wurde, muste er „unter den rasenbogen gehen"! d. h. von seinen Sün- den gereinigt werden; denn natürlich muss die Versicherung eines sün- denfreien menschen zuverlässiger als diejenige sein, welche von einem sündigen menschen abgegeben wird". Für die zeit der Laxda^la bemerkt Kyrop, dass nicht dieser gedanke massgebend war, sondern der, dass man „in dem Zusammenbruch des erdstreifens eine äusse- rung der misbilligung seitens der götter erblickte"^. Demnach kann jene ausser ung über die vermutlich ursprüngliche auffassung ebenfals nicht aus der LaxdcTla selbst begründet werden. Sie stelt vielmehr nur einen versuch dar, den bericht der lezteren mit einer anderweitig gewonnenen ansieht über die bedeutung des (janga undir jaräarmen zu vereinigen.

Obwol demnach Nyrop den gang unter den rasenstreifen in sei- nen verschiedenen anwendungsfällen auf einen und denselben grund- gedanken zurückführen v^dll, bleibt doch auch für ihn die eingehung der blutsbrüderschaft der einzige fall, in welchem jener gedanke noch direkt quellenmässig erkenbar sein soll. Aber vergeblich sehen wir uns in dem hier keineswegs spärlichen material nach irgend welchen spuren um, w^elche auf die auffassung des gcmga iL. j. als einer rei- nigungsceremonie hindeuteten. Nyrop hat, Avie schon angeführt, eine solche als vortreüich verträglich mit der eingehung einer blutsbrüder- schaft bezeichnet. Allein mit welcher wichtigen, zumal mit welcher für die persönliche Stellung der beteiligten personen wichtigen, feier- lichen rechtshandlung wäre der gedanke einer vorgäugigen reinigungs- ceremonie nicht veiiräglich? Warum hätte er sich gleichwol nur eben l)ei der eingehung der blutsbrüderschaft, nicht auch z. b. bei adoption und legitimation , bei eheschliessung und freilassung^ in jener eigen- artigen gestalt anerkennung zu verschaffen gewusst? Dies scheint doch mit entschiedenheit darauf hinzudeuten, dass wir es hier nicht mit einem der blutsbrüderscliaft entnommenen und deshalb ursprünglich auf sie beschränkten gedanken und seiner symbolischen darstellung zu tun haben ^.

1) S. Schutzgilden ,33 fg.

2) Diese käme hier um so mein- in betracht, als sich bekautlich im altgerma- nischen rechte die auffassung der volfreiLassung als einer widorgoburt tatsächlich nachweisen lässt. Vgl. Pappenheini, Lauuegild und Oarethinx s. 44 fg.

8) Das einzige den quellen entnommene positive avgument Nyrops für seine ansieht wird alsbald zu würdigen sein.

160 PAPPENHEIM, GANCtA Vi^mn JARDARMEN

Wie Nyrop selbst hervorhebt \ muss die von ihm angenommene reinigungsceremonie als der abschliessung der blutsbrüderschaft voran- gehend gedacht werden. Denn mit dieser lezteren soll ja für die von ihren sünden gereinigten ein neues leben beginnen. Dazu stimt aber der formalismus des sverjask i föstbrmäralag durchaus nicht. Aus den quellen ergibt sich, dass die blutsvermischung und die eidesleistung unter dem rasenbogen von den in die grübe getretenen vorgenommen wird. In dem augenblick, wo beide statfinden, ist demnach der akt der widergeburt noch nicht vollendet. Denn hierzu gehört und dies kann naturgemäss auch in der symbolischen darstellung nicht entbehrt werden , dass ein austreten des betreffenden aus dem mut- terleibe statgefunden habe 2. Dieses erfolgt in unserm falle durch das heraustreten der zu brüdern gewordenen aus der grübe; so lange sie in derselben sind, erscheinen sie als im mutterleibe befindlich. Dem- nach ergibt sich, wenn Nyrops auffassung der widergeburt als einer reinigungsceremonie angenommen' wird , dass die leztere , die doch an- geblich der eingehung der blutsbrüderschaft vorangehen soll, in Wahr- heit erst auf dieselbe folgt. Durch die beruf ung auf die Schilderung des sverjask i fostbroeäralag , wie sie die I'orsteins saga Vikingssonar enthält, scheint uns Nyrop seine Stellung nicht gefestigt zu haben. Er meint (s. 25)'', dort werde erst die blutceremonie und darnach der gang unter den erdstreifen erwähnt und erblickt in dieser anordnung eine hindeutung darauf, „dass der brauch als eine reinigungsceremonie auf- gefasst werden muss, der man sich unterwirft, bevor der eid geleistet wird". Aber einmal ist der bericht jener sage, wie schon anderweitig^ hervorgehoben, nicht zuverlässig, dann aber sagt er ausdrücklich, dass auch hier der eid von den noch in der grübe stehenden, d. h. also noch nicht widergeborenen geleistet wurde ^. Endlich ist nicht zu erkennen, wie es für und nicht vielmehr gegen Nyrops auffassung sprechen solte, wenn die durch blutsvermischung und eidesleistung erfolgende scliaffung der bruderschaft zu einem teile nicht nur vor dem abschluss, sondern sogar vor dem beginn der ihre Vorbereitung bilden- den „reinigungsceremonie" statfände.

Lässt sich demnach der uns überlieferte ritus des sverjask i föst-

1) S. oben s. 157.

2) Das bestätigen die sämtlichen von Nyrop selbst beigebrachten beispicle wirk- lich(}r Verwendung der syinbolisehen widergeburt im dienste ceremonieller reinigung.

?>) Dies das oben s. 159 note 3 erwähnte argument.

4) Schutzgilden s. 81.

5) Verba: qciniii iiudir jaräfirmm nk snrv pnr ciäa (rorst. s. Vikgssnr. c. 21).

.lElTTKI.KS, ZUM srin.'CII VON DKN ZKIl^f AI.TKliSSTTJFKN 161

hnnh-dldji mit der erklänini;' dos (jniiga /nulir jaräanncn als einer zu V(ti;i;iiiii;iycr cei-eniunicllor reiniguui;- bestiinten wi(lorii,-eburt nicht in ein- klang- s(>tzen, so g'estaltot sicli alles auf das eintaehste, wenn man in dem i;ani;- unter den rasenstreif'en leilii^licli di(! darstelhnii; dos zur künstlichen Schaffung- von hrüdcrn dienenden gehurts- aktes erblickt. Der gesamte formalismus des srcrjdsk l fo^tbnvdnihHj erscheint dann in seinen drei bestandtoih'n als von demselben gcdan- kcn boherscht. Di«^ blutsvermischung dient der künstlichen hcrstollung der l)lutsgemeinscliaft, die eideslcistung bietet die feierliche und ver- bindende form für die erklärung <W'^ auf Schaffung eines brüderlichen Verhältnisses gerichteten willens. iJeide finden statt, während die kiiid- tigen Schwurbrüder als gemeinsam im mutterleibe weilend dargestclt werden. Als fremde schreiten sie unter den rasenstreifen; aber nicht früher verlassen sie die grübe, als bis jene übrigen handlungen vor- genonunen worden sind und sie nun als brüder wider geboren werden können. So erklärt es sich nicht nur, sondern erscheint es als not- wendig, dass das (j(nt(ja uiuUr jdrildiiiioi die übrigen teile des ganzen formalismus in sich einschliesst, wiihrend es nach Nyrops auffassung denselben voranzugehen hätte.

KIEL. MAX PAl'PENHEIM.

ZUM SPEUCH VON DEN ZEHN ALTEESSTÜFEN DES

MENSCHEN. I.

In der in bd. XXHI, 385 fgg. dieser Zeitschrift enthaltenen nach- gelassenen al)handlung Z achers über die sprichwörtliche und bildliche bezeichnung der zehn altersstufen des menschen hat der lierausgeber, herr E. Matthias, eine fassung des bezüglichen Spruches unerwähnt gelassen, die von mir in der „Grermania" XX, 30 veröffentlicht wurde und wegen ihrer eigenartigen form meines erachtens besondere berück- sichtigung verdient. Ich glaul)e daher im Interesse der loser der Zeit- schrift zu handeln, wenn ich sie hier widerhole vuid ihr Verhältnis zu den von Zacher gesanmielten kurz bespreche. Sie steht auf dem vor- setzldatte des der Grazer Universitätsbibliothek gehörigen exemplars von Paniphilus Gengenbachs ,,Die zehen alter der weit". S. 1. 1534. 8 und

lautet:

Die x,elicn alter.

Zehen jdr ein kiitt, xwainxig jar iviz und si/f.,

ZKITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXIV. H

162 JEITTELES

dreissig jar ein erwagsener man, vierzig jar luol gethan, funffxig ja?^ stille stan, sechzig jar ein iveiser man, sihentxig jar widter ahe lan, achtzig jar an khruckhen gan, ncimtxig jar der khinter spott, Clin hundtert jar genadt dier gott.

Wie man sieht, ist die form eine von sämtlichen bei Zacher -Matthias angeführten Versionen mehrfach verschiedene. Für die 2. und 6. 8. altersstufe werden originelle, aber höchst bezeichnende schlagworte ge- wählt: statt „Jüngling" ist iviz iiiid sin, wovor vielleicht ^^volV- zu ergänzen, gebraucht; statt „abgan" oder „geht das alter an": ein wei- ser man; statt „ein greis" „aus der weis" oder „nimmer weis" mit den bezüglichen Varianten: -tvider abe lan an hrucken gan. Die für das zweite jahrzehent bestirnte formel klingt an die unter den allegorischen darstellungen des spruchs in der Münchener handschrift (Zacher a. a. o. 404) begegnende verderbte und unverständliche textie- rung „er von kainer tvicz halt'''' an, obwol sie das gegenteil davon auszusprechen scheint. Ebenso befindet sich der der 8. altersstufe ent- sprechende ausdruck „an krucken gan" mit den bildlichen darstellun- gen der lebensalter in Übereinstimmung.

Allerdings fragt es sich, ob durch die für die 6. und 7. alters- stufe gewählten ausdrücke die anschauung von dem auf- und absteigen der lebensbahn, die, wie Zacher gewiss mit recht annimt, dem Spruche zu gründe liegt, nicht verrückt und die betreffenden verse etwa unter einander vertauscht sind. Doch ist das wol nur scheinbar, denn auch die vorliegende form gibt einen guten, mit jener ursprünglichen auf- fassung übereinstimmenden sinn: wenn man nämlich annimt, dass mit dem beginn des 60. Jahres der mensch gewissermassen auf dem liöhe- punkte der gewonnenen lebens Weisheit angelangt ist, während auf der nächsten altersstufe durch das auftreten von gebrechen und Schwach- heiten widerum ein sinken von der erstiegenen höhe bomerkliar wird. Eine Steigerung der im 7. vers angedeuteten abnähme der kräfte wird dann durch das für die 8. stufe gebrauchte bild „an krucken gan" in sinfälliger weise ausgedrückt.

Diese auffassung gewint an Wahrscheinlichkeit, wenn man die in vielen Versionen für die jähre 70 80 gebrauchte textgestaltung mit den ausdrücken „ein greis nimmer weis" in betraclit zieht, wovon

ZUM SPRUCH VON DEN ZEHN ANTERSSTUFEN 163

(lor erste den eintritt des verfals der körperlichen kräfte bezeichnet, der andere nur so verstanden werden kann, dass die im 60. jähre erreichte und bis zum 70. jalire behauptete lebensweislieit wider abnimt. Nach der vorliegenden fassung- des Spruches wäre mithin für den stil- stand der erreichten volkraft ein Zeitraum von zwei Jahrzehnten, das 50. 70. lebensjahr, bemessen.

Ob der spruch in der so beschaffenen form algemeinere geltung hatte, steht freilich dahin. Auch mir scheint die ursprüngliche gestalt des Spruches ungefähr die zu sein, die Zacher XXIII, 401 nach mut- masslicher annähme ansezt; nur will mir nicht einleuchten, dass die bloss einmal belegte unlebendige und mehrdeutige formel aus der weise das richtige treffen soll. Die anschauung, dass auf der einen Seite Jugend und torlieit, auf der andern alter und Weisheit synony- misierend zusammengefasst wird, wohnt meiner ansieht nach unserem Spruche keineswegs inne^; denn in den allegorisclien darstellungen und bildern sind zwar für das knaben- und Jünglingsalter kitz, kalb und bock, hingegen für die eigentlichen mannesjahre stier, löwe, fuchs, tiere, die doch nichts weniger denn als sinbilder der torheit gelten können, und für die beiden lezten altersstufen esel und gans, die doch gewiss nicht im geruche der Weisheit stehen, typisch angewendet. Wahrscheinlicher erscheint mir die annähme, dass für das 80. jähr die formel nimmer weis als die am häufigsten vorkommende ursprüng- lich gegolten hat oder dass sie wenigstens neben der formel aus der weise gleichberechtigt einhergieng. In der im heutigen volksmund gangbaren gestaltung des noch allenthalben, insbesondere auch in Öster- reich, ungemein verbreiteten Spruches hat sie dann dem ausdruck seh nee weiss grossenteils platz gemacht. Für diesen scheint ein älte- rer, aus früheren Jahrhunderten stammender beleg in der tat nicht zu bestehen. Aus diesem gründe (kaum aber wegen der reimbedenken, die Zacher s. 399 geltend macht) verbietet sich die annähme der ursprünglichkeit dieser formel; denn dass der spruch wirklich bis ins 13. Jahrhundert hinaufgerückt werden müsse, dafür dürften sichere anhaltspunkte vorerst wol schwerlich gefunden werden.

WIEN. ADALB. JEITTELES.

1) Wfickeriiagel, dessen Schrift „Die lebensalter " für diese auffassung von Zacher angezogen wird, spricht an der betreffenden stelle (s. 1.3) nur im algemeinen von der in der spräche und littoratur geltenden identität von alter und Weisheit, Jugend und unerfahrenheit.

11^

164

LKWY

II.

In band XXIII s. 385 fgg. dieser Zeitschrift steht eine lehrreiche abhandlung- „Die zehn altersstufen des menschen" aus dem nachhisse von Julius Zacher, für deren veröjffentlichung dem herausgeber E. Mat- thias dank gebührt.

Zu dem Spruche finde ich dem Inhalt wie der form nach ein merkwürdiges seitenstück aus viel früherer zeit in der Mischna, dem älteren, um 200 n. Chr. niedergeschriebenen teile des Talmud, und zwar in einem satze des Jchuda ben Tema, welcher in dem ethischen trak- tat Ablioth (V, 21) enthalten ist. Ich stelle denselben zur vergleichung neben die von J. Zacher zeitschr. XXIII, 401 erschlossene ursprüng- liche fassung des deutschen Spruches, fünfjährig: zur Bibel.

zehnjährig: zur Mischna. dreizehnjährig: zu den geboten. - fünfzehnjährig: zum Talmud, achtzehnjährig: zur hochzeit. zwanzigjährig: zum streben, dreissigj ährig: zur kraft, vierzigjährig: zum verstände, fünfzigjährig: zum rate, sechzigjährig: zum alter, siebzigjährig: zum greisenalter. achtzigjährig: zum mächtigen alter, neunzigjährig: zum bücken, hundertjährig: wie tot und hinüber und aus der weit entschwunden.

tehen jär: ein ki/nt.

'xweinxec jär: ein jungelmc. dris,ec jär: ein man. vierxec jär: wol getan. vü?ifzec jär: stille stän. sehxec jär: abe (jän. sibenzee jär: ein grise. ahtxec jär: üs, der ivise. niunxec jär: der kinder spot. hundert jär: genädc got!

Der hebräische spruch bietet einige Zwischenstufen, welche in dem deutschen sich nicht finden und auch nicht finden können, weil sie auf eigentümlichen altjüdischen anschauungen beruhen. Die Verschiedenheit beim 10. jähre kann danach nicht auffallen. Beim 20. und 80. jähre zeigt sich Übereinstimmung; ebenso beim 40., da ivol getan bereits richtig erklärt ist = „steht jezt in der ganzen fülle seiner körperlichen und geistigen kraft". Beim 50. bietet der hebräische spruch etwas neues, nämlich die erfahrung, welche zum raten befähigt. Beim 60. und 70. herscht wider Übereinstimmung; ebenso in beachtenswerterweise beim 80. jähre, wo die deutung von üs, der ivise auf ein seltenes und ungewöhnliclies alter durch den hebräischen spruch bestätigt wird, der geflissentlich das in Psalm 90 v. 10 gebrauchte wort anwendet. Beim

Zl'M sri;K('lI VON' 1>KN ZKIIN ALTEHSSTUFKN' 165

90. jähre ist nur der ausdruck vorschiedoii : der g-ebückt gehende alte erregt den spott der kinder. Der jüdische gesetzeslehrer konte die spottenden kindor niclit erwähnen, (Ui in solchem verhalten eine Verletzung- des gesetzes Levit. XIX, 32 gefunden worden wäre. Er konte auch aus religiösen gründen beim 100. jähre gott nicht anrufen, ohne dass indessen sein urteil über diese alters'stufe für abweichend von dem in dem deutschen spruche zu halten wäre.

Der hebräische spruch geht über die im psalm gegebene höchste lebensdauer von 80 jähren hinaus, ohne doch die in der Bibel erwähn- ten noch höheren lebensalter der patriarchen zu berücksichtigen. Es ist mir daher wahrscheinlich, dass Jehuda benTenia einen klassischen spruch benuzt und durch einschiebungen in jüdischem sinne vervolständigt hat. Es ist weiterhin möglich , dass der deutsche spruch selbständig auf die- selbe quelle welche aber nicht mit Poet. lat. minor, ed. Baehrens IV, 257 (vgl. diese ztschr. XXIII, 386) gleichzusetzen sein würde zurückgeht.

Andererseits möchte ich es nicht für ausgeschlossen halten, dass der bis ins 15. Jahrhundert zurückzuverfolgende deutsche spruch auf irgendeine weise bekant sind ßeuchlins Talmudstudien, allerdings etwas später aus dem hebräischen entstanden ist, unter weglassung der ausschliesslich jüdischen beziehungen. Diese Vermutung scheint mir durch eine andere unterstüzt zu werden.

K. Meyer, Der aberglaube des mittelalters s. 143 und 230, erwähnt nach älteren q^iellen eines noch heute wenigstens im scherze häufig aus- gesprochenen Satzes, dass reisende personen vom geistlichen stände ein zeichen baldigen regens seien; den Ursprung dieses satzes vermag er nicht zu erklären. Nun ist in gewissen jüdischen kreisen, und zwar ebenfals scherzhaft, das wort gang und gäbe: „Wenn die chäsldwi (d. h. die frommen) wandern, wird es bald regnen"; und dies soll auf einer Verwechselung mit der femininform chäsldöth „storche" beruhen: wenn die Störche sich auf die Wanderschaft machen, so ist die herbstliche regenzeit nahe. Man Avird diesen satz unbedenklich als den ursprüng- lichen annehmen dürfen; aus den „wandernden frommen männern " sind die „reisenden personen vom geistlichen stände" geworden.

Solte der deutsche spruch von den zehn lebensaltern wirklich auf den hebräischen zurückgehen, so könte vielleicht in diesem beim 90. jähre neben der richtigen lesart mu;> „zum bücken" die paläographisch sehr ähnliche Variante pin\Db „zum spotte" vorhanden gewesen sein, zu wel- cher „der kinder spott" auch wörtlich stimmen würde.

MtJLHAUSEN IM ELSASS. HEIKEICH LEAVY.

166 STKEICHER

ZUE ENTWICKELUNG DER MHD. LYEIK

Richard M. Meyer hat Ztschr. f. d. a. XXIX, s. 121 fgg.i ähnlich, wie vor ihm Wibnanns zur inhaltlichen vergleichung mit "Walther, so vom formalen g-esichtspuiikte und in ungefähr historischer reihenfolge die ausserordentlich zahlreichen parallelstellen unserer minnesänger bis auf Walther sehr sorgfältig zusammengestelt und die ansieht ausgespro- chen, dass sie auf anlehnung nicht innerhalb dieser poesie selbst, son- dern an alte, algemein verbreitete und zwar volkstümliche lieder zurückzuführen und somit als ein urkundliches zeugnis für das Vor- handensein einer volkstümlichen liebesdichtung vor dem minnesange anzusehen seien.

Sind sie das wirklich? Und lässt sich über Vorhandensein einer volkstümlichen liebesdichtung vor dem minnesange und über ihre eigenart nach Inhalt und darsteilung vielleicht aus den vorhandenen denkmälern der mhd. lyrik ein urteil gewinnen? Endlich: welche stelle gebührt Walther in der entwicklung der dichtung? Mit diesen fragen beschäftigen sich der reihe nach die abschnitte dieser arbeit.

I. Bedeutung der formeln in der si)r{iclie des niinnesangs.

Auch in der modernen deutschen lyrik lassen sich hunderte über- einstimmender stellen auffinden, von denen nach abziig aller aus zufall oder infolge der algemeinheit der betreffenden sache und der geläufig- keit des verwendeten ausdrucks gleichlautenden, sowie der offenbar beabsichtigten entlehnungen eine sehr grosse menge in der tat der art ist, dass man sie für bewusste oder unbewusste nachklänge vorhan- dener formeln zu halten berechtigt ist. Indes ist unternimt man einen versuch das immerhin eine mühsame arbeit, und mehr als immer etwa fünf mehr oder minder gleicher verse lassen sich in ziem- lich weitem umkreise überhaupt nicht leicht finden, während bei den

1) E. Tb. Walters ausführlicher versuch, die ansieht Meyers zu widerlegen (Genn. XXXIV, s. 1 fgg. : Über den urspriuig des höfischen niinnesangs und sein Ver- hältnis zur volksdicJituug) bat ihm eine scharfe und, wie mir scheint, in bezug auf die hauptsacho ungerecbtfertig-te zurückweisiuig eingetragen (Ztschr. f, d. a. XXXIV, s. 146 fgg.: Volksgesang und ritterdichtung). Das ist die veranlassung gewesen, die folgenden bereits 1885 entstandenen bemerkungeu über dieselbe frage auch nach "Wal- ters aufsatz noch zu veröffeutliclien. Bezüglich der wenigen einzelheiton, in denen wir ausser dem gemeinsamen Widerspruche zusammentreffen, erkläre ich, weder von ihm noch aus Meyers entgeguung eine nachträgUche entlehuung gemacht zu haben.

Zri; K.NTWirKKLUNCi DKK MUH. I.YKTK 107

miniiosäu^-oni l)is je z\viin/i,i; in die auL;en fallen. Meyer schliesst alle Sprichwörter und kleineren lormeln, die nie einen ganzen vers ausfül- len, ans: und doch weist seine tabelle Hausens, lvui;;i;'es, Morungens uanien ja mehr als HOnial auf, Keinniar und Neithard sind anderthalb- huiuiertnial, von Walthei' soi;ar übei' 100 verse (wenn auch nicht alle, wie Meyei' selber weiss, mit uleiehem rechte) genant, die er selbst widerholt oder mit andern gemein hat. l)al>ei begegnen aber unter den 00 bez. öO aus .Meinloli und Dietmar angeführten stellen je 22 hier /um (n'sten male, Aviihrend auf Hausens, ilugges und Morungens omal ca. 00 in sunnna nur lo, auf die oben genante an/ahl lieinmars 8, auf die AValthers 5 und Xeithards auch nicht mehr neulinge kom- men: ein Verhältnis, das durch erweitcrung der sanduiig zwar Verän- derungen erfahlen würde, im rahmen der gebutencn Übersicht aber schon für die dauernde bewahrung und algemeine benutzung des ein- mal eingebürgerten bezeichnend ist. Und wenn nun, wie nicht zu vergessen, die doch gewiss noch grössere masse der uns verlorenen dichtungen jener zeit, da niinnesiugen einen akt im geselschaftliclien verkehr, einen bestandteil ritterlicher woln'ezoa-enheit ausmachte, sicher- lieh keine andere spräche führte, als die aufbewahrten, so Avird man Meyer unbedingt zugeben, dass Zufälligkeit in einzelnen fällen wol mög- lich sei, jedoch für die ausserordentliche fülle der erscheinung, Avie sie dem leser von Mt^ sich von selbst aufdrängt und von neuem ein- driniilicher durch diese sandun»- zu gemüte geführt worden ist, keine ausreichende erklärung bietet.

Wird man aber die annähme unabsichtlicher oder unbcAvuster anlehnung und unvermerkter oder unabgewehrter anziehung, Avie sie Meyer vorgeschwebt hat, aus den gleichen erwägungen nicht ebenfals zurückweisen müssen? Ich meine, ja! Denn es erscheint undenkbar, dass sich jene verse und formeln in solcher masse „eingeschlichen", dass ihr tonfall und wortgefüge unvermerkt gewirkt und andere nach sich gezogen habe, so dass diese sänger etwa erst durch einen kri- tischen leser auf die erscheinung zu ihrer Überraschung hätten auf- merksam gemacht Averden können. Es geht auch nicht an, bloss einen von dem unsrigen abweichenden geschmack anzunehmen und jenen dichtem eine heutzutage in diesem masse nicht erlaubte harndosigkeit gegenüber fremdem gute zuzutrauen oder es als betjuemlichkeit gelten zu lassen, die jener kunstübung bei ihrer Verbreitung fast notAvendig, anfangs Avenigstens ganz natürlich gCAvesen wäre. Vielmehr Avird man sich angesiclits der ungemeinen häutigkeit und der dauerhaftigkeit die- ser formeln nicht der einsieht verschliessen, dass hier keine unbewuste.

108 bTREICHER

sondern eine beabsichtigte, erstrebte gleichförmigkeit der sprach- lichen form vorliegt.

Wie steht es dann aber mit der ansieht, die erscheinuug finde ihre erklärung aus dem Zusammenhang mit älteren Volksliedern? Der ritterliche spielmann und war's selbst ein mann von dem freien blicke Walthers, der dazu selber zwei Jahrzehnte lang fast ein spiel- mannsleben führte wendete sich doch stolz von den genossen ab, die getragene ivät nahmen, und die vornehme geringschätz iing volks- tümlichen treibens hat in sein schönes maienlied (51, 13) ein störendes odi profanum gebracht (51, 25). Die gleiche gesinnung spricht aus Neidharts spöttischer muse, lehrte aber auch bereits Veldegges dame ihre abwendung von dem ehemals geliebten mit den charakteristischen Worten (57, 30 32) rechtfertigen, die seinem benehmen als herbsten Vorwurf den des bäurischen machen. Und dem geselschaftlichen kreise, in welchem solche anschauungen herschten, solte man von anfang bis zur zeit der höchsten blute seiner ihm allein eigentümlichen kunst, während doch vermutlich die abschliessung zunahm, die gleiche Ver- trautheit mit den weisen des volkes, die ini volke selbst doch auch noch hätten leben müssen, und die unausgesezte, bereitwillige hingäbe an ihre eindrücke zutrauen dürfen? Eher würde dann mit der vol- leren entfaltung der neuen, höfischen kunst eine immer zunehmende abkehr von nachklängen der älteren dörperllchen zu erwarten sein. Auch erscheint eine in dem masse algemeine, gleichmässige Verbrei- tung derselben vermeintlichen Volkslieder in fast ganz Deutschland, wie sie Meyers annähme zur Voraussetzung hat, für jene zeit unwahr- scheinlich, weil es ein so wie das rittertum in spräche, anschauung, lebensform gleichgeartetes Volkstum nicht gab. Entscheidend aber ist der umstand, dass ihrem Inhalte nach eine ganze reihe jener angeb- lichen reste alter, volkstümlicher gesänge sicherlich weder alt, noch volkstümlich sind. Denn dass z. b. das aus CB. 116" (Meyer s. 137) ange- führte Vroive ich hin dir undertdn mit seiner sippe, ebensowenig wie die Wendungen tvan oh ich hän gedienet (MF. 13, 31) oder swaz sie gehiutet, daz da% allex, si getan (15, 16) mit den von Meyer dazu (s. 149 und 151) gebotenen verwanten auf dem alt bebauten boden einer Volksdichtung, sondern dem neu bestelten felde des höfischen frauendienstes gewachsen sind, kann wol keinem zweifei unterliegen. Und wem gehören sonst die im bewusstsein redlichen Verdienstes um lohn stammelnden bitten frowe lät mich des geniexen usw., die zu CB 116a (s. 137) aufgezählt sind, als dem minnenden ritter? Dem höfischen minnesang allein die reflexionen über die erziehliche wii'kung

ZUK KNTWICKELUNG DEK MUD. LVKIK 169

ungelohnter minne, von der sie sagen, dass sie kan (jcbot huken muot, du hast getiuret mir den vmiot und was dergl. zu MF 3, 13 und 33, 26 auf s. 134/5 genant wird. Und sollen die seit Hausen (42, 9) unaufhörlichen liebesbeteurungen an die eine für cllkc wip volkstümlichen Ursprungs sein? Alle diese und andere formein tragen vielmehr so ganz deutlich den Stempel der erst mit dem jninnesange entstandenen Verhältnisse der ritterlichen geselschaft, wie andere den jener merkwürdigen unten noch näher zu beobachtenden anschauungs- Aveise dieser poesie. Denn mir rdtent vitne sinne oder 7nir gap ein sinnic herxe rät u. dgl. (Meyer s. 149 zu MF 13, 25) wusste vor der zeit der minnesänger kein ritterlied und kein Volkslied zu sagen. Lied- chen, die verse dieser oder jener art enthalten hätten, wären keine vollis-, sondern ritterliche minnelieder gewesen; und eine diclitung, die, wie Meyer will, fast nur aus seinen formein gebildet gewesen wäre, würde sich vom minnesange vielleicht durch den strophenbau, in wesent- lichen dingen aber durchaus nicht unterschieden haben. Hat es aber vor dem minnesange lyrische dichtung gegeben, so ist sie auch von ihm verschieden, ja, wie sich zeigen wird, grundverschieden gewesen.

Wenn nun nicht aus Volksliedern, woher sonst jene formein? Meyer selbst lässt sich darüber (s. 166) so vernehmen: „Der Ursprung aus der Umgangssprache ist klar. Aber diese formein, behaupten wir, müssen in feste, dichterisch brauchbare gestalt schon vor der zeit der ältesten uns erhaltenen lieder" soll sagen, in der zeit des Volks- liedes ■ „gebracht worden sein". Dass sie das aber ganz und gar nicht müssen und die ansieht, gestaltung und festigung von formein im Zeitalter des minnesanges selbst sei undenkbar, eine blosse behaup- tung bleibt, ist durch die oben erwähnten ihres Inhaltes wegen sicher- lich erst mit und im minnesange entstandenen und doch auch darin fest gewordenen Wendungen bereits erwiesen. Und wenn gefragt wird, Avie ohne die bereits überlieferten formein zwei in „art und form" so verschiedene dichter wie Gutenburg und Walther auf so ähnliche verse wie der yedhige tnot rnir wol und doch tnot mir der gedinge icol (MF. 76, 35. W. 92, 7) allein durch die Umgangssprache hätten kommen können, der dabei doch die phrase: „diese hofnung tut mir wol" nicht abgesprochen wird , so möchte maii in dem falle fast mit der umge- kehrten frage entgegnen, wie sie unter dieser Voraussetzung für den gleichen gedanken im gleichbewegten versmasse einen v^erschie denen ausdruck hätten finden sollen!

Somit bleibt die Umgangssprache ohne eine so Aveitgehende Vorarbeit früherer dichtung im algemeinen allein die quelle jener for-

170 STREICHER

mein, und was Meyer s. 165 fg^. Aveiter dagegen geltend macht, kann ich nicht als stichhaltig anerkeimen. Die form und fassung derselben soll mit ihrer entstehung aus einer blossen Umgangssprache unverein- bar sein. Worte wie in minem herzen ich si trage oder sune ivirde ich niemer frö passten wol zu Moliereschen precieusen, seien aber im munde der damen des 12. Jahrhunderts, in der Unterhaltung der „eiser- nen" ritter einfach undenkbar. Nun, ein unangemesseneres epitheton als eisern, selbst in gänsefüsschen , hätte man für den ritter jener zeit im verkehr mit der frauenweit, aus dem und für den allein seine lie- der entstanden, wirklich nicht herbeiziehen können! Die Unterhaltung der ritter und frauen war eben keine „prosa des tages", und es herschte da kein „altäglicher gesprächston " ; denn mit der redeweise der höfi- schen geselschaft in festlicher Stimmung haben wir's zu tun; einer geselschaft, in welcher der stolz des mann es sich freiwillig auch der laune des weibes zum spiele bot, sein lied Unterhaltung schafte durch Verkündigung von gefühlen und empiindnngen, die eigentlich nur einer galten und nur ihr gesagt sein selten, seine gedanken sich oft in den unbescheidensten wünschen ergiengen, deren Verwirklichung die doch so demütig und fast scheu verehrte frauenwürde in den staub gezogen haben Avürde. Es ist die spräche einer geselschaft, aus der man ohne Verwunderung schon nach einem halben Jahrhundert die misgestalt eines Ulrich von Liechtenstein hervorgehen sieht. Wie hätte sie sich natür- lich und al täglich ausdrücken sollen? Taten es auch die allongeperücken im 17. Jahrhundert?

Die innerlich widerspruchsvollen Verhältnisse hatten nur bestand durch äusserliche, bis ins einzelnste ausgeprägte, fest verpflichtende formen, nach deren strenger beobachtung in allen lagen man gesel- schaftlichen takt und gute sitte bemass. So gieng ein gewisses mass vu]i formelwesen vor allen in die spräche als ausdruck und mittel die- ser gcselschaftlichen beziehungen ganz naturgemäss über und stelt sich daher auch in den dichterischen erzeugnissen als wesentliches kenzei- chen jenes Verkehrs und lebens dar. Mochten jene sänger ihren stolz darein setzen, für ihre weisen neue töne zu erfinden dem guten tone unterwarfen sich im gcselschaftlichen leben, wie auch im poeti- schen ausdruck, soweit minnedienst und minnesang verbreitet wurde, alle so bereitwillig, dass selbst persönliche besonderheit in jener kunst nur sehr selten und schwach zur geltung kam. Und die so entstan- dene gleichmässigkeit des ausdrucks bis ins kleinste konte keinem sän- ger oder Zuhörer anstössig sein, weil jenem, wie später den meister- singern ihrer tabulatur gegenüber, das gefühl der Unfreiheit seiner

ZUK ENTWKKELUNÜ .UEK MllD. LYKIK 171

bewef^ung al)g'ieug- und beide den g-ebraucli regelrechter umgangstbr- meln, je häutiger er sieh l)ut, um so mehr als Vorzug an/Aiseheu sieh gewöhnten. Für die keiitnis der hr)hs('lifn Umgangs- und dichtersprache wäre also zu wünsehen, dass ]\Ieyer seiner sandung die erwähnte ein- seliräukung nicht auferlegt hätte.

II. Verhältnis zwisclien mann und IVau und diclitt'risclic anscliauunu in <1<m' mlid. lyrik.

Meyer bezog sieh auf einen aufsatz Burdaehs (Ztsehr. f. d. a. XXVU, s. o-to fg.), der, gegen Wilmanns' entgegengesezte meinung gmiehtet, naeiizuweisen suehte, dass es vor der zeit des höfischen niinnesanges in Doutseiüand eine weitverbreitete, volkstündichc lioboslyrik gegeben hal)e. Ich unterlasse es, sowol im einzelnen bedenken gegen seine l)ewt'isführung zu äussern, wie auch im ganzen den gleichen gang zu nehmen, um die })unkte der üboreinstimmung und des widers[)ruehs zu bezeichnen. Ich wiinsche vielmehr durch die betraclitung der erhal- tenen denkmälcr ndid. lyrik einen gesichtspunkt in helleres licht zu setzen, von dem aus sich dann ein urteil über die Meyer und Bur- dach gemeinsame ansieht und vielleicht nebenher für das vei'ständnis dieser poesie ein auch den darum verdienten gelehrten nicht unwil- kommener beitrag ergeben dürfte. Icii meine die bekante, aber, Avie mir scheint, nicht hinreichend gewürdigte, durchschlagende Verschie- denheit der in MF vereinigten dichtungen in bezug auf das gegensei- tige Verhältnis von mann und frau und die dichterische anschauung. Und ZAvar sondern sich in dieser hinsieht von der grossen fast schablo- nenhaft gleichartigen masse ab die lieder Küreubergs und mehrere Meinlohs und Dietmars, endlich einzelne unter den namenlos überlie- ferten und denen der Ijciden burggrafen von Eegensburg und liieten- burg; die meisten durchaus, einzelne nur mit einzelnen zügen.

Da erklärt die dame noch ohne Zimperlichkeit und Ziererei, mit natüi'licher oflenheit und überzeugender Innigkeit (4, 36), dass er ihr der aUeiiiebesic »/an sei; dass keiner in aller weit ir besser gefalle (4, 3-f); dass sie es nicht im zorne übers herz bringe zu sagen: es sei ihr iciucn alsc licp (18, 5); sie ruft sogar gott zum zeugen an, dass sie ihm wahrhaftig diu holdeste sei (4, 7). Mht fruide de\ nnKiiist ist uinh (die ander man, er und kein anderer ist ihres herzens freude (7, ]7); und dass ers mit ihr ebenso halte, bittet eine betrübten sinnes gar zärtlich den geliebten, der ein leichter vogel zu sein scheint (37, 23): min trat, da soll yclonben dieh anderrc n:(be: wan , liclt, die soll da

172

STREICHER

miden. Doch dass keine andere zuvor in seinem herzen gewolnit habe, und dass sie, die seiner liebe jezt sich freut, gerade von anbeginn die erste und einzige gewesen das zu verlangen sind sie nicht engher- zig, es sich einzubilden nicht schwärmerisch genug. Nein, mit liebens- würdiger naivetät macht sich da eine über ihre arme Vorgängerin gedanken (13, 35): sivelhiu sme?i willen hie bevor hat getan, verlos si in von schulden, der wil ich niht ivi%e7i, sihe ichs unfroelichen stän. Und ebensowenig glaubt eine andere selbst ein hehl daraus machen zu müssen, wenn auch ihr herzenskämmerlein der jezt geliebte nicht zuerst erschlossen hat; vielmehr spricht sie es unbesorgt aus (4, 37): du bist in rninen sinnen für alle, die ich ie gewan. Vor- wurfsvoll aber beschwert man sich über andere frauen, die nicht übel lust haben, sich der beneideten zum trotz ihren ritter einmal näher anzusehen (4, 33); oder wir hören gar bitre klagen, wie unstaetiu ivip manch kindeschen man nur betrügen, ihm den sinn verwirren (4, 1), was oft reiner liebe bund zerstöre.' Was hilft ihr es dann, dass sie selbst ir dcheiner tj'ütes doch auch nicht zu begehren mit schmerz- lichem scherze beteuert (37, 17)? So eine vergessene konte nie fro irerden sit (7, 26); den lügenaere aber, den störern ihres glucks, wird nichts gutes gewünscht (9, 17). Auch die unbequeme hiiote macht gar mancher schmerz, wunderliche, eigensinnige leute, die einer solchen liebenden seele zumuten, von dem freund zu lassen, desgleichen sie doch keinen findet auf erden (36, 5), und die auch gehässige reden nicht verschmähen (13, 19). Nur selten freilich ruft dies sanftschmerzliche klagen hervor (32, 3), meist schlagen die vermahnten trotziglich ent- schlossen die Warnung in den wind. Ich laxe in durch ir niden niet. si fliesent alle ir arebeit: er Irin mir niemer icerden leit, heisst's da (18, 6); oder (16, 12): nnd laegen si vor leide tot, ich wil im iemer ivescn holt, si sint betwungen äne not; und noch stärker: staechens ü% ir ougen, mir rätent mtne sinne an deheinen andern man (13, 24). Ja eine herzhafte, die erfahren hat, dass kein weib es jemals der weit recht machen kann, verdamt es frischweg als verwerflichen klein- mut, solcher Weisung gehorsam zu sein (33, 11): siver sin Uep darambe IM, daz kumet von sivaches herxen rat. Kleinmut aber und scliwäche ist den frauen dieser lieder allerdings fremd. Eher gewaltsam könten sie erscheinen, wenn z. b. eine von leidenschaftlicher liebe zu einem ritterlichen sänger erfasst ihm kurz die wähl stelt: entweder wird er mein, oder er hebt sich aus dem lande (8, 7). Sogar einer derbheit sind sie im augenblicke der erregung nicht unfähig, und wir brauchen nicht zu erstaunen, wenn wir einen wenig beherzten liebhaber, der

ziTR ?;ntwickklunct der Mirn. lvrik 173

wiü Wilhelm ^rüllor's wandercr sich f^'cschout (h'ii schlaf der hohlen zu stören, oh dieser nach ihrer nieiiuiii^i^- gar nicht angebrachten zarten riicksicht nnhütlicli genng aus tVauonniunde mit diesen kräftigen Worten danken hören: des (jeltax/xe (jot drii dhirn lip! jd cit/rcts ich niht ein her /rildc, der dich autgefressen, wenn du mich g(nveckt: liätte sie fortfahren müssen, wenn uns des säng-ei's hötliciikeit nicht den rest iln-es wilkommens verschweigen gewolt (8, 15).

Ollen und unvei'stelt, natürlich und iniumwunden, wie Jieb(! und Jeid. so äussert sich eben auch ihr unmut ungehindeit, unverhült, keck und derb; ob die erzählte scene sich zwischen eheleuten oder iniverheirateten abspielt, ist dafür gleichgiUtig. Daher bildet mit die- sem handfesten ausbruch des Unwillens wol einen grellen koutrast, aber keinen unvereinbaren Widerspruch das liebliche bekentnis schä- migen errötens in einem gedichte des Kürenbergers, einer wahren perle unter diesen schätzen (8, 17): Sivenne icli sbhi alciiic in mlnon licmcde mid ich (jedoike ane dich, rittcr cdele, so crhlücjct sich nilti vance nis ruse an dorne tuot. Und widerum tritt die ganze Zartheit, Innig- keit, Sanftmut und herzlichkeit weiblicher art zu tage, Avenii eine die- ser fraiien um den fernen geliebten sorgt, da\ er sieh n-ol bchücte (82, 22); wenn eine andere sich mit zweifeln quält ob seines langen ausbleibens: sn/ider ane ))itnc scJinlt fremedet er mich nuinegen tetc (34, 13) und darüber schon den ganzen wiuter lang, seit die blunien welkten und die vögel verstumten, in grossem Jammer zu leben bekent; wenn wider eine den oöenbar grollenden an liebe werte erinnert, die er einst zu ihr gesprochen, und seinem boten aufträgt: hite in, dcix, er mir holt si, cils er hie vor nrts (7, 6) oder ihm ins gedächtnis ruft, wie sie sonst ihm lieb war, do dd mich erst saehe (37, 26). Ebenso w-enn eine den segnet, der ihr den erzürnten geliebten wider versöh- nen werde (9, 19); wenn sie ihre ungeduldige sehnsuclit, als ob sie sich ihrer ein wenig schäme, gar artig so versteckt: ane selunides lei- des lidn ich vil, da\, ich im selbe (jerne Ikujcn- wil (33, 5); wenn rosenblühen und vögleinsingen, das doch allen herzen freude bringt, und alle sanicnrunne für sie nicht da ist, so lauge ihr holder geselle fern bleibt; wenn sie uns ihr geheimnis erzählt von vergeblichem bemü- hen um das, was sie nicht gewinnen kann und, was das sei, uns dann mit wehmütigem scherze deutet: jem mein ich yolt noch silbcr: e\ ist den liutcn gclich (8, 31); wenn sie den talken beneidet, wie er frank und frei auf den ast im walde tliege, der ihm wolgefalle: .so nrjl dir, valke, dax du bist! du fliugest sicar dir liep ist, während ihr den erko- renen mann andere frauen nicht so unbestritten lassen (37, 8); wenn

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ähnlich eine verlassene, der ihr liebster wie ein falke auf und davon geflogen, fromm und zart ihre saclie dem anheimgibt, der trennen und vereinen kann: got sende si zesamene, die gerne geliehe wellen stfif (9, 11). Wie einfach und innig sind auch die bekanten werte, die das mägdlein von Tegernsee ihrer schwungvollen lateinischen liebesepistel anhängt! Dann wider leuchtet der helle stolz aus den werten glück- licher, die sich der liebe ihres beiden sicher fühlen: Du zierest mine sinne unde bist mir darzuo holt, spricht die eine (5, 12); die andere empfindet es mit erhebender befriedigung : Ich tnuoz, von rehten schul- den ho trage?i daz herze und al die sinne, sit miclt der allerbeste man verholn in stme herzen minne (38, 5); die dritte sont sich im glänze des geliebten: der sich mit manegen tugenden guot gem,achet al der werlte liep, der mac ivol hohe tragen den muot (16, 5). So das weib in diesen liedern.

Der mann erscheint seiner natur nach abgemessener, besonnener, ruhiger. Wol kent auch er die zarte" regung der Sehnsucht : mir tuot dne mdze we, daz ich si so tätige tnide (32, 15), klagt er, und dass aller vög- lein singen nichts ihm gelte um ihre liebe; aber während sie beim aus- einandergehen nach seligen stunden die trälmen nicht zurückhalten kann, tröstet er sich, wenn es nun einmal nicht anders sein kann, kurz mit dem alten spruche: lie]) dne leit mac niht gesin (39, 24). Er ist sich seiner Überlegenheit bewusst: ivlp unde vederspil, meint einer sogar etwas verwogen, die werdent lihte zam: siver si zs rehte kicket, so suochent si den man (10, 17). Und wir finden ihn freilich nicht so oft, wie die frau, in sehnsüchtigem trauern und schmerzlichem vermissen, aber bei gelegenheit doch nicht weniger innig, warm und zärtlich, als jene. Vor dem walde eine linde und ein singender vogel darauf lassen ihn an einen andern wald und eine linde gedenken, wo auch ein kleiner vogel sang. Da sieht er die rosebluomen blühen, und die, vertraut er uns, manent mich der geda?ike vil, die ich ?d?i zeiner frouwen hdn (34, 3). Seine liebe ist ihm heiliges geheimnis, niemand soll drum wissen ausser ihm und ihr, wiez u?idr ihnen z.wein ist getan (10, 8). Ja wo er erst jubelt: Aller wtbe wünne diu get noch megetin, zweifelt er hinterher schüchtern an seinem erfolge: in iveiz, wiech ir gevalh: mir wart nie tvlp also liep (10, 15); ein schluss, der die den anfangs- worten widerfahrene abweichende auslegung zu verbieten scheint. Ge- radezu zaghaft aber fehlt ihm einmal, wie wir oben hörten, das lierz, seine schlummernde schöne zu wecken. Komt es aber darauf an, so fehlt ihm mut und Selbstvertrauen so wenig wie aufopferungs- fähigkeit, und mit dem wip vile schoene, das er (9, 21) aufruft mit

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ihm zu ziolieii. ist er auch ciitschlosscii, fiTiidc und leid zu trih'U, "was komiucu mai;-.

So z(Mi;('n dies(^ li(_'(h'r ein Verhältnis zwischen mann und weil), wie es dem natürlichen wesen Ix'idei' u'cst-hl echter anü,('inessen ist. Nach den äussei'un^'en von juhel odei' schniei'z erscheint die fran als der teil, il(>r mehr zu i^cwinnen nder zu vei-lieren hat; sie wii'd durch si'ine liebe lieglückt und mit stelz eifült, sie uaclit mit äiii^stliclier sorge dai"über. Kr hat die stiirkere, iilx'rlegeiie i'olle, lässt sich dnrcii die leidenschaftliche lieheserklärung i\i'<. energischen weihes nicht im gei-ing- sten entilanmien. zeigt gelegentlich selbst iil)erinütig das bewnstsein seiner macht al)ei' \nn der h;ii't(> und rehheit, (he man an ihm bemerkt hal)en \vill, tinde ich nichts, und von l)egehi'liehkeit nicht so viel wie bei der scheltenden li'aii (S, 14). Wol scheinen manche fraiien- lieder auf untreue oder vorübergelKjnde al)wendung des maiuies zu deu- ten. Sie l)eklagen ihn durch dei' h'i(/rNacrc riH verleren zu haben (7. 24. !). lo); sie l)itten ihn bei ihren ti'ähnenden äugen, sich andei'ei- trauen zu begeben (87, 18), erflehen verlorene liebe zurück (7, 1), trauern um vergebliche liebesmüh (8, 25), sehen den falken, (\<;\\ sie ti'eulich gehegt, in ein anderes land entfliehen und noch unnvunden mit ihren seidenen bändern an ihnen Avider vorülierziehn. Sind sie nicht wirklich hart, die mannei', die arme lieberfültc frauenseelen so lietrüben können? Aber es darf nicht vergessen Averden, dass Avii- Avirklicli aus mannesmunde selbst nur ein einziges mal ein woi't der abweisung vernehnu'U, el)en jenem stürmischen weilie (S, 7) gegenüber: .S7 )nno\ der )))ii)rr iiiiinie icnnT darhciidr sii/ (9, 35). Sonst steht in miuinerstrophen nirgends auch nur eine silbe davon, dass einer ein zu ihm drängendes herz hart und kalt von sich gestessen habe. Dass ein mann seine färbe wechselt, komt wol vor, da wir sicherlich keinen grund haben, den Avorten jener triumphierenden giMiebten zu mistrauen, die (li), H7) ihrer verdrängten Vorgängerin schmerz mitleidig am eignen glücke mass. Aber dürfen wir allem jenen klagen und flehen l)lind glauben und darauf hin die männer, denen es galt, als hart und kalt verdannnen? Oder werden die mädchenherzen damals in der herzlichen behütung ihres köstlichsten Schatzes weniger emsig als heutzutage dabei gewesen sein, mit ängstlicher hast den blick eii:er andern, mit grü- belnder aufmerksam keif misverstiüidliche werte des geliebten aufzufan- gen, bei langem ausbleilien nur selten ihn zu entschuldigen, um so eifriger aber mit allerlei grümlen und gi-ündchen sich schliesslich ein- zureden, dass er nicht konnnen wolle, um sich dann mit törichten schmerzen und ihn mit unnötigen vorwürfen zu quälen? Einmal Avenig-

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stens (34, 11) tritt uns, glaube ich, eine solche selbstquälerin iinver- kenbar vor äugen. Es ist tief im winter, denn blumen sah sie längst nicht mehr, noch hörte sie der vögel sang; der geliebte ist fern, so fest wahrscheinlich durch stürm und schnee in seine bürg gebaut, wie sie in die ihrige; man kann ihr also die Sehnsucht nicht verdenken, auch nicht, dass sie die zeit, seit sie in seinen armen lag, wol tausend jähre dünkt. Warum sie ihm aber mit den vorwurfsvollen werten runder ane tnine schult fremedet er mich absichtliches ausbleiben schuld gibt, ist nicht zu verstehen, wenn uns nicht das reizende ge- dichtchen eben eine solche zärtliche seele in ihren törichten sorgen zeigen wolte. Und gewiss ist ebenso ein guter teil jener klagen aus frauenmunde zu erklären.

In schroffem gegensatze zu dem dargestelten Verhältnisse der bei- den geschlechter steht nun dasjenige, aus dem mit ausnähme der weni- gen bisher besprochenen gedichte die uns erhaltene mittelalterliche lie- beslyrik ganz hervorgegangen ist. Freilich versichert es Eeinmar zu widerholten malen hoch und teuer, der einzige zu sein, dem der ver- diente lohn der liebe von seiner dame verweigert werde (z. b. 189, 35. 171, 22), und meint (176, 16, vgl. 155, 34), von seiner herrin so gelitten zu haben, da% nie man durch sin liejJ so vil erleit. Aber hören wir nur die andern! Da möchte Horheim (115, 13) es auf seinen eid neh- men, da% nieman (jroexern lamiber hat noh niene wart so trüric man; Gutenburg, der einst andrer meinung war, erkent nun (78, 3) seinen irtum: ich ivände ienian so hete missetän, suocht er genäde, er solte si vinden: daz muox, leider an mir eiyieii xergän; und Hausen brauchte es nicht ein grözez wimder zu nennen, dass er (52, 17) zu klageu hatte: cliech aller serest minne, diu was mir ie geve. Wer unter sei- nen genossen hätte sich eines besseren Schicksals zu erfreuen? Auch graf Rudolf minte, die ihn hazxet sere (81, 9 wie Reinmar 166, 31) und muss sich der torheit (83, 11) anklagen: ich htm mir selberi ge- machet die sivaere, daz ich der ger, diu sich mir wil entsagen. Rugge schilt sich gar (104, 1): ich mac tvol sin vo7i gouches art und jage ein ü'ppecliche vart: tören sinne hän ich vil, daz ich des ivtbes minne ger, diu mich ze friunde niene wil. Heinrich von Morungen will's auf seinen leichenstein schreiben lassen (130, 1): ivie liep si mir waere und ich ir unmaere. Alle wie Reinmar, der mit schmerzen erkent (159, 10): si ist mir liep, und dunkel mich, daz ich ir vollecMche gar unmaere st Und so ist das gleiche Schicksal aller minnesänger von Hausen und Yeldegge an und das immer widerkehrende, fast einzige thema ihrer lieder: liebe ohne lohn. Wenn wir also in diesen liedern

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selten etwas anderes von den niiiunorji hören als klagen und von den frauon versagen, so sieht es wirklich fast aus, als hätten beide ihre rollen gewechselt; nur dass wir bei jenen rittern oben trotz gelegent- lichen Übermutes die herzenshärtigkeit nicht finden könten, unter der alle diese sich jammernd zu winden scheinen. Doch gleichen auch wider diese weibischen männer den trauen dort nicht, denen nichts weniger angestanden haben würde als die widorholten beteurungen, z. b. Hausens (50, 11), Johannsdorfs (1)0, 16), Morungens (134, 31. 13(5, 11), rou liuule, oder wie Hartmann noch lächerlicher übertreibt (206, 18) Sit der stwnt, da er üfem stabe reit, nur einer minne gedient zu haben. Man veruimt sogar das feierlich tonende gelübde (86, 1): Min m'ste liehe, der ich ie hcgan, diu selbe muox, an mir diu teste sin; und ähnlich rühmen alle ihre staete, triuwe, slaetekeit unaufhörlich, lioffen von ihr, versichern und beweisen sie oft bis zu einer Zudringlichkeit, die sich mit der leidenschaft jener frau auf der burgzinne nicht ver- gleichen lässt. Die treue des mannes, in jenen liedern der gegenständ ängstlicher sorge, der grund höchsten stolzes für die liebende fi'au, scheint in diesen fast zur strafe für ihre hartherzigkeit geworden zu sein ^

Es ist bekant, dass diese verwandeluug in erster linie die folge einer Veränderung in den formen des geselschaftlichen lebens war, die es durch fremdländische beeinflussung erfuhr. Natürliche anläge und geselschaftliche zustände hatten bei den unsern vorfahren in der ausbildung äusserer lebensformen vorausgegangenen westlichen nach- barn ein dem natürlichen in gewissem sinne entgegengeseztes Verhält- nis im verkehr zwischen beiden geschlechtern, ein unterwürfiges werben des mannes um die gunst wol meist verheirateter und an rang höher stehender trauen ausgebildet, in dem sich wirkliche liebesregung, hier natürlich voll feuriger, verzehrender leidenschaft, mit blosser galanterie und förmlicher höllichkeit eigentümlich mischte. Als nun die kreuzzüge

1) Es erfrischt unter den weichniütigen klängen den kräftigen ausbrach empör- ten stolzes zu vernehmen, mit dem Friedrich v. Hausen (48, 1) seinem flehen ein ende macht: ich waer ein gouch, ob ich ir tumplieit haete für gicot: ex enyescliiht mir niemer me, oder der gelehrige schüler der troubadours (142, 15): des dank- losen dienstes nämlich bin ich worden lax, also da% ich. vil schiere gestinde in der helle gründe verbrünne , e ich ir ieiner diende, ine wisse itmbe waz; und die unorbitliche sogar bedroht (145, 33): Ich tvil eine reise . . da ivirt manic iveise. diu lant diu tvil icli brennen gar. Ja auch Hartwig von Rute,s rninnender tcnsifi (117, 33) wirkt woltätig zwischen dem minnenden sinnen jener klagelieder. Viel- leicht, dass hier fälle wirkliclier leidenschaft vorliegen. Aber es sind nur die aus- nahmen, imerheblich für eine betrachtiuig über das wesen der dichtung.

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und besonders der von Konrad III. und Ludwig VII gemeinsam unter- nommene die engste und nachdrücklichste berührung der beiden nach- barvölker hervorrief, trat diesseits des Kheins eine, "svie wir annehmen müssen, sehr rasche Umgestaltung des ritterlichen lebens nach dem Vorbild des französisch -romanischen rittertums ein, eine Umgestaltung, die in der eigenart unseres volkes keine wurzel hatte. Denn wenn auch schon Tacitus von den alten Germanen berichtet, wie ihnen die frau geradezu als ein verehrungswürdiges, heiliges wesen erschienen sei, und später der Marien cultus auf diesem gründe erwuchs, so bemerkt der Römer doch ausdrücklich, dass jene Verehrung von kriechender Schmei- chelei fern war; und der dienst der mutter gottes kante wol glaubens- volle anbeter und eine milde, gütige, trost und frieden spendende Jungfrau, und hätte, seine gewalt dahin zurückgebend, woher er sie empfangen, eine Verehrung der frauen überhaupt, des weiblichen ge- schlechtes herbeiführen können, aber die unaufhörlichen lobpreisungen der einen und einzigen vor alFen andern, die demütig -knechtische erniedrigung, die immer hofnungslose und doch nie ungeduldige anbet- telung unserer minnesänger so wenig wie die unerbitliche hartherzig- keit ihrer damen. Allein es fand in dem vielgegiiederten reichskörper, wo immer grosse vasallen über kleinere, kleine über kleinste lehns- leute und ministerialen geboten, die neue, fremde mode den geeignet- sten boden. Nach dem fremden muster ward nun die frau in die geselschaft eingeführt, der sie bisher fern gewesen, und wie durch eine stumme Verabredung der gegenständ achtungsvolster aufmerksam- keit, das ziel anbetenden dieustes und lobpreisenden gesanges. Ganz natürlich war es, dass sie dabei neben eigner Schönheit und liebens- würdigkeit häufig den vorteil höherer Stellung, macht, des reichtums ihres gemahls genoss. Denn so viel ritterpferde auf seinen ruf zum Sammelplatze ritten, so viel häupter neigten sich im saale anbetend vor ihr, so viel sänger sangen ihr lob, jeder zwar ohne ihren namen zu nennen, aber in beständigem Wetteifer mit den übrigen. Dass es ein dienst übertriebener lobpreisung wurde, war natürlich; dass es trotz alledem im algemeinen gewiss ein dienst ohne lohn blieb, konte eben- fals nicht anders sein.

Und doch nicht ganz ohne lohn. Denn dass es, wie oben gese- hen, trotz allem auch ein dienst unzerreisslicher geduld und unver- änderlicher treue blieb, lag weder bloss daran, dass sich die ehren- tugend des deutschen volkes aus dem herren- auf den frauendienst über- tragen mochte, noch daran, dass sich das conventionelle Verhältnis gewiss auch in Deutsehland ab und zu mit ernstlicher, natürlicher leidenschaft

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vermischte. Sondern der miimende fand glück und erfolg seines dienens reichlich in einem andern lande, wo ihn kein niitwerbender kümmerte und kein hindernis auch dem kühnsten begehren im wege stand. Offenbar so kam z. b. eine liebesgeschichte zu stände, wie sie ein unter Dietmars namcn überliefertes gedieht in der richtigen reilien- folge der strojihen (nämlich von hinten nach vorn gelesen) bietet. Da klagt nämlich in der ersten (39, 11) ein ritter, dass ihm em edeliu frouive also vil xe leide tuot, weil sie will gedenken niht der mangen sorgen sein, wie wilfährig er ihr auch gedient; nach der zweiten (39,4) aber erweisen sicli diese seine klagen doch als grundlos, denn sie ver- rät uns selbst, den ritter giiot, von dem sie vil der tilgende sagen gehört, dne nüke ins herz geschlossen zu haben; und die dritte (38, 32) zeigt ihn gar am ersehnten ziele: mt ist ez an ein ende komen, dar nach mtn kerxe ie ranc, daz mich ein edeliu frouive hat genomen in ir getwanc. Ein erlebnis des dichters? Schwerlich; wenn nicht der hauptgegenstand aller jener dichtungen, die ungelohnte liebe, eine unerklärliche nichtigkeit sein soll. Aber in der anfangs (39, 11) gege- benen Stimmung wünscht er, die gefeierte möchte sich so vernehmen lassen und er grund haben so zu jubeln, wie es ihn die regsamkeit seiner phantasie in den folgenden Strophen wirldich hat hören und aussprechen lassen. Ganz ähnlich gewiss, wenn in einem Hede Hau- sens (54, 10) die frau von seiner treue rühmend spricht, seinen kummer fühlt, eingesteht, dass er ihr liep und lieher vil, als sie immer im vil liehen manne sage, wenn sie bekent, nur aus sorge um sein leben und ihre ehre seine klagen nicht zu stillen, darauf sich aber seufzend doch mit neuen zweifeln plagt (54, 19 27): oive taeie ich des er gert, wie würde mirs ergehen, läze ich ab in ungewert, daz ist ei?i Ion der guotem Tnanne nie geschach, um vorläufig noch zum entschlusse zu kommen: ich entars in niht gewern, im dritten liede aber (54, 37 55, 5) seinen vollen erfolg auszusprechen: des ist er vo7i mir gewert alles sives sin herze gert und solte ez kosten mir den Up. Kein roter mund hat diese worte erst zögernder, dann rückhaltloser hingäbe zum dichter gesprochen; aber vernommen hat er sie doch im wundersamen weben seiner träume zu hoher im liede widerstrahlender beseligung. Wünschen und wollen des dichters ist der quelbrmmen seiner freuden. Erfährt er auch fort und fort Zurückweisung, er glaubt nicht daran. Daz si mich alse univerden habe, als si mir vor gebäret, so weiss sich Reinmar (166, 34) zu trösten, daz geloube ich niemer; so Rugge (100, 19): doch denke ich si versuoche mich, ob ich iht staete künne stn; imd Gutenburg scheint seiner sache so gewiss , dass er sivüere ivol, ez waer

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h- leit, wenn nur einer da wäre, der ihm xe relitc solde staben (77,1). Gerviuus hat in seiner aasgezeichneten darstellung- dieses eigenartigen Zeitabschnittes unserer dichtung sie zutreffend mit der sinnigen, sehn- suchtsvollen, träumenden und schwärmenden, von phantasiegebilden und wahngestalten wimmelnden Übergangszeit, wo der knabe zum Jüng- ling wird, verglichen, in der liebesfreude und liebesleid mehr ersonnen als erlebt wird. Nicht wirkliche begebenheiten gaben jenen dichtem den Stoff ihrer lieder, sondern süsse Selbsttäuschung einer wundersam erregten und gegen die tatsachen der aussenwelt verschlossenen phan- tasie; Selbsttäuschung, wie es notwendiger weise die ihnen allen gemein- same, so oft widerholte und stark versicherte Überzeugung war, der einzige unbelohnte liebhaber zu sein. Bloss von innen komt ihr dich- ten, unbewegt von äusserem geschehen; heisst ihre liebe doch auch 7}iinne, was Morungens werte (138, 21) bedeutsam so erläutern: dass er so JierxecUche sei (in si verdäht (vgl. 147, 17 lanc hin ich geweset vcrdäht)^ wozu Hausen 46, 6 noch eine bemerkung fügt, wie sehr dies seine aufmerksamkeit äusseren vergangen entziehe: ich was so verre an si verdäht, da% ich mich imderwilent niht versan, und swer mich gruoxte, daz ichs niht vernan. Und weiter: ein liehe}- tvän tröstet Hartmann (208, 23) über erlittenes ungemach, der ungeduldige Fenis boscheidet sich schliesslich doch damit (84, 9), dass yenuoc gröx. her gewesen sei seine vröude von wunc, und Reinmar gibt sich freilich weniger freudig so zufrieden (180, 1): ich ivas 7ntnes muotes ie so hcr^ dax. ich in gedanken dicke schone lac. Mit solchem lohne sich zu begnügen ist sein stolz: .so vil so ich gesanc nie inan, der anders niht enhaete ivan den hlöxen wem. Oeditige hat dem einen (Rugge 104, 33) das herz gemachet wunneclichen frö, dem andern (Morungen 125, 30) ist komen ein hügender tvän und ein tvünnecltcher tröst, der ihn froh machen wird. Mit gedanken ich die xtt verirtbe, als ich beste kern sagt Hausen (42, 10); bei Reinmar (151, 33) kumet etesivenne ein tac, dax er vor vil gedanken niht gesingen nocli gelachen mac, und doch ist ihm vil lihie ein vröude 7iähe bi. Min leben, heisst es an anderer stelle (153, 7) bei ihm, dunkel mich so guot; imd ist es niht, so ivaene ichs doch; und doch klagt er auch (163, 18), dass ihm V07i gedanken ist also unmäzen tve, behauptet sogar (174, 24) nie ivart groexer un- gemach, claime ez ist der mit gedanken umbegät, wie Rugge es (101, 36) bedauert, sich Verlan zu haben xe verre uf den wän. Mit gedankoi klagt ein sänger der herrin seine sorgen von fern (52, 1); ein anderer (125, 21) schwebt, als ob er fliegen künne 7nit gedanken ienicr umhe sie. So geben gedanken, wdn, gedinge dem dichter den lohn seiner

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licbesniüli, die eroignisse seines liebelebens und selieinen fast seine ein- zige bcschäftigung- und geselscliaft zu sein, seine freunde, seine ratgeber, seine boten. Und das alles durchaus nicht als l)l()sse redewenduug oder bildlicher schmuck, sondern als die ganz ents[)nH'hen(le äusserung Innerlicher voi'gänge, das klare s[)iegelbild eines ganz eigentündich gestalteten Seelenlebens, so lel)liaft, so wesenliaft und wirklich, dass diese (/cfhn/Lr//, oft als ein besonderes weseii nicht in, sondern geradezu ausser dem dindvcnden vorhanden scheinen. Wenn z. b. Hausen ein vor der kreuzfahrt gedichtetes lied (47, D) l)egint: Mi// hcrxc und mhi Jip (li)i ireneiif scJicidcii , diu niilciiiaiidcr rariil iiü ii/dinjc ■,it. dir lip tril (jcrue rchlcn im dir hiiihii. si) Inif icdorh da-. Jicf.r mrrli viii u'ip, so sucht er nun das herz von seinem vorhaben abzubiingen und ent- lässt es nach dem vergeblichen bemühen wie einen eigenwilligen freund, der abschied m'hmend vor ihm steht: *S'// irli dielt, hcrw, nihl u-ol iinic enrendoi , diot irdli'st mir]/ ril frnrrrJirJim hin, so hitr irlt i/of , r/c/.r er dich ruorJic sci/dr/i uti ciiir siut ^ du Jinin dirli icnl rnipfi}. Und oicr, fährt er mit gleicher lebhaftigkeit fort, irir so] r\ aniirii dir rnji'n!.' irir fors]rs] rine (in so]]ir itof crnrtidrnY irrr so] dir diiir sonje lidfen cndrii i/tit sidlien ]rin/rr// ajs ir]t iinn (jeldn':' (vgl. 109, 11). Ganz ähnlich bei der gleichen veranlassung Reinmar (INI, 13): Des ficjrs, do idi dir. i.'riic.r m/u/, so berichtet er, <]o ]/i/ofe id/ der ijedu/üw u//it .... iiu u'd]e)/ts a]/rr i/' /ri]]r/i I/di/ /au] ]i'ded/<-]/r ran/ als r ; wozu er bezeichnend bemerkt: ilii/ sonje di/ist ////// ri/irs /liri: si i/io] oud/ i//rrc ]i//teu irr. Ist er bereit gott zu dienen, so wollen die (jrduu]:e tohe/i und zurück au (]iu idteu uuirre, seine minne natürlich. da\- iceiidc, fleht er darum zur muo]cr uiide luayr] , ai] id/s in uiiit rrr- hide/i miic. Dann erlaubt er ihnen doch drsiroiur dar i/ud (dier iridrr sd xd/atit und sezt sich am ende mit den plagegeistern ohne viel ver- trauen auf ihre Zuverlässigkeit so auseinander: sös unser ]jcider friuiidc dü/i ijcijriir-.eu so ]:rrru dau und lidfen mir die sünde ])i(exen , und si in u]]rx da\ vergeben sira\ si u/ir l/aljr// ]/rr i/e]iin. Sähe man solche stellen zuerst aus ihrem zusammenhange ausgehist, wer würde erraten, von wem oder mit wem der dichter spricht? Doch wer wird sich auch noch wundern über die neigung zu solchem phantasiespiele bei leuten, die im rausche hoher kampfesziele auf ihren weiten kriegs- zügen sich durch hunger und alle schrecken der Wirklichkeit nicht abhalten Hessen, zu vielen tausenden zusammen innner wider das apostelkoUegium und alle heiligen vor dem beer einherschwebeu zu sehen, ^lei'kwürdiger Widerspruch: inmitten einer bewegten glänzenden geselschaft steht der minnende unbekünnnert um sie, das äuge für

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Vorgänge der aussenwelt wie verschlossen, ganz in seine innenweit ver- sunken und nur mit sich selbst beschäftigt zum grossen unterschied von den dichtem jener altertümlicheren liedchen, die der unmittelbare, natürliche ausdruck wirklichen erlebens waren und immer ein bild, einen äusseren Vorgang von einleuchtender Wahrscheinlichkeit darstel- ten. Da sprach eine frau zum davonreitenden geliebten (4, 35), dort (39, 18) aus dem träum geweckt von einem vogellin su ivol getan, daz ist der linden an daz zivi gegän, rief sie den noch schlummernden gesellen wach. Oder sie stand im kämmerlein allein im weissen hemde, das gesiebt von glühendem rot bedeckt, weil sie des geliebten mannes dachte, lauschte von der burgzinne heraufdringendem gesange, und als von der gewalt der töne die leidenschaft zu dem wolbekanten sänger überwalte, rief der für solche glut unempfindliche nach ross und tseu- gcivant^ sich davon zu machen. Oder sie schaute einsam harrend über die beide nach dem geliebten aus, und statt seiner kam ein falke geflo- gen, dem die sehnsuchtsvollen ge'danken nun folgten (37, 4). In der fremde weilend gab ein ritter der freundin botschaft, und sie antwor- tete (32, 13. 21). Ein vogel sang in lindenzweigen und erneute in ritterlichem herzen Sehnsucht und erinnerung (34, 3). Ein verzagter schlich sich vom lager der schlafenden geliebten usf. Auch Zwiege- spräch, wirkliches, d. h. von mensch zu mensch wurde vernommen, Avenn auch nur aus der gegenrede; denn wir erraten seine mitteilung, der sie antwortete (7, 10): Wes manest du mich leides, min vil liehex, liep? unser xiveier scheiden müez ich geleben niet; und wenn sie (10, 1) den rat erhielt, sich wie der abendstern zu verbergen und um das geheimnis zu bewahren, die äugen statt auf ihn auf andere zu rich- ten, so hatte sie sich ähnlich beschwert wie die (4, 30): daz nklcnt ander vromven und habent des haz und sprecheM mir ze leide , daz si in wellen schouiveu. In den späteren liedern hören wir zwar gele- gentlich von Hausen, Horheim, Rugge, Reimar, dass sie in der fremde, auf dem kreuzzug waren, von lezterem, dass seine unaufhörlichen kla- gen den freunden misfielen, von ßugge, dass er ungemachen gruoz empfieng; Hausen sah die angebetete im träume, ein anderer küsste sie, einer stand und wagte sie nicht anzusprechen. Aber es wird das alles nur erwähnt, nur zum ausgange, nicht zum mittelpunkt und gegenständ des liedes. Dort geschah vor unseren äugen und obren, hier lässt sich ein geschehen nur gelegentlich als veranlassung einer gedankenreihe erkennen. Selten auch, dass einer dieser sänger die dame anredet (87, 21. 147, 4, 176, 5) oder sich etwa mit der Ver- sicherung seiner aufrichtigkeit an die zuhörer wendet (88, 7. 70, 2.

ZUK KNTWICKKLX-NG DKU yilW. LYKIlv 183

7G, 28. 127, 2), wubfi es (laiiu ubor sein bewciKlcu liat. Demi wirk- liclies leben <^-e\vint weder diese noch jene bezic'hung; nie sind wir getrieben, uns dt^n siini^'er etwa in einen kreis von trauen oder jnän- nern tretend vorzustellen. Beschäftigt er sich mit sich selber, seinem J/ciwc, seinen (jt (hinken, so bleil)t diese beziehnng oft g(;wahi-t und wie lebhaft, haben wir oben gesehen; redet er dagegen andere, lel)endigc menschen an, so ist das nichts als eine redewendung ohne entspre- chende Vorstellung, wechselt daher leicht unter verschiedenen personen, die nicht wol zugleich anwesend sein kilnnen, oder wird unversehens wider aufgegeben. Nur eins von den sehr zahlreichen beispielen. In den eingangsstrophen eines liedes (128, 10 fgg.) behandelt Morungen die damo als abwesend: j\[hi rrsfc iiiiiJ oiich min Jrsle fröidc was r/n frqj . . . H'aer fr mit )nh)ic stonjc wo! , so sunye ich ir, und wendet sich dann nach einander an eine anscheinend um ihn versammelte franenschar mit der bitte: .V/7 ruient, liehe frejmvcn, /rr/i ich siiujen viüge so (lax ex. ir tilge, und abermals an die spröde selbst, aber jezt als gegenwärtige: 17/ iciplich n-ip, nu n:ende niine sende klenje, um sie zulezt Avider als abwesend zu betrachten: leli sihe ivol, dir, min frouH-e mir ist vit gehet-.. In der grossen masse der dichtungen aber fält auch diese rhetorische belelning fort, und der dichter vermeidet selbst den anschein, für anderes als seine gedanken und empfiudungen ein äuge zu haben. Diesen minncsang mit jenen älteren liedchen ver- glichen, glauben wir dort überall in den hellen Sonnenschein wirk- lichen lebens, hier in das weiche heldunkel des traumes zu blicken, dort menschen, hier schatten zu sehen, dort ereignisse, hier erfindung, dort das du, hier immer nur das ich.

Ergebnis. Die tiefgehende sachliche ungleichartigkeit der in „Minnesangs frühling" vereinigten dichtungen liegt am tage und beruht irten Avir nicht im wesentlichen auf der dargestelten zweifachen wande- lung der ritterlichen geselschaft und des deutschen gemütslebens, einer von aussen hereingetragenen, fremden und eijier naturgemäss aus innerer Ursache erwachsenen, heimischen, solte diese viel- leicht auch gleichzeitig bei einem nachbarvolke eingetreten sein. So gross aber ist der unterschied der vor- und nachher entstandenen dich- tungen, dass beide unmöglich als einer gattung zugehörig betrachtet, mit einem gemeinsamen namen bezeichnet und etwa jene, wie es geschehen, als die bescheidenen, nur unentwickelteren anfange dieser auf- gefasst werden dürften. Sondern es scheiden sich hier scharf, d. h.

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mit anscheinend kurzem, raschem übergange zwei nach stoff und gestal- tung wesentlich verschiedene Zeitalter deutscher dichtung, von denen allein dem jüngeren, aus einer überfülle von denkmälern uns genau bekanten, der name des minnesanges mit recht zukommen dürfte. Von dem älteren sind nur spärliche reste auf uns gekommen. Wir verdan- ken ihre erhaltung vermutlich dem umstände, dass ihre Verfasser, wie der Kürenberger, jener Wandlung nur zeitlich nahe gerückt waren oder sie innerlich erlebt und mitgemacht haben, wie besonders Dietmar und Meinloh, in dessen oben angeführten versen z. b. {staechens üx, i?' ougen, 7nir rätent vnine sinne usw. 13, 24), der gedanke der älteren, der aus- druck der jüngeren epoche angehört. Dass es aber nur reste eines reicheren Schatzes sind, scheint durch den grad ihrer Vollendung, der eine längere Übung sicherlich voraussezt, hinreichend erwiesen zu wer- den. Und w^olte mau dagegen einwenden, dass der verlust dieses reichtums bis auf so wenige überbleibsei unwahrscheinlich sei, so bedarf es dieser annähme ja gar nicht. 'Denn wer weiss, ob sie nicht zum grösten teil überhaupt unaufgezeichnet geblieben oder doch nicht öffent- lich bekant gemacht worden sind, so ganz auf einen besonderen fall und an eine bestirnte person gerichtet, wie sie ursprünglich waren, während die für die ritterliche geselschaft berechnete poesie der minne- sänger natürlicher weise zur Veröffentlichung und schriftlichen aufzeich- nung führte. So wird man der annähme einer vor dem minnesange Verbreiteten lyrischen dichtung ganz beistimmen, auch gegen ihre benen- nung als einer volkstümlichen, insofern sie von der fremdländischen geselschaftsordnung unberührt geblieben, nichts einzuwenden haben; der behauptung aber, der minnesang habe sich durch blosse entwick- lung der in der älteren dichtung bereits vorhandenen keime daraus erhoben, muss man als einer durchaus irrigen entgegentreten.

Noch eine frage möge hier besprochen werden, die durch die vorgetragene anschauung von der art und entwicklung der mittelalter- lichen l_yrik eine neue und wie es scheint befriedigendere lösung erhält, als trotz der verschiedensten erklärungen bisher. Sie betriff die bekanto tatsache, dass unter jenen altertümlichen liedchen eine grosse zahl zu den sogenanten frauenstrophen gehört. Die einen der erklärer las- sen nämlich, für die älteste zeit wenigstens, das frauenlied auch als frauonwerk gelten, indem sie den Widerspruch der Überlieferung und die auffällige häufigkeit weiblicher poeten wol oder übel zu erklären wissen; die andern, denen diese gründe nicht genügen, sehen sich genötigt, beweggründe des dichters zu der vermeintlichen Selbstver- leugnung ausfindig zu machen. Der sänger, so hat man daher gemeint,

ZUK ENTWICKKLUNC HKi; MUH. LYKIK

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suiist (liircli die l)csf('li('ii(lcii verliältnisso ^nMiütif^i, das weil) liai-t und kalt dai-/us(('llcn, lialx' mit fnuidcii die tonn dos tVaiicnlicdcs i^cwählt, um von dem zwaiii^c frei auch die natürliche Zartheit uiul liin,i;(>l)uni;' dos i;-osclilo('lits zur erschoinun^- zu hrin^cn. Aber von anderer soito ist doni horoits enti>-Ci;-net worden, dass voraussetzuni^,- und folfi,-orunij,- dieses ü-edankens in fi-loiclier weise (h>m tatl)estande widerspi'echon; denn hei den diclitern jener zahlreiclien frauenlie(ler ,i;'ibt es keine harte, stolze trau; und wideruni, wo das der fall, da ist die zahl dieser lieder sehr klein. Darum soll dei' i'ittor vielmehr anfaui^s, d. h. docli wol in Küi'cnher^'s zeit, uui' aus scheu das i;'eständnis (ug-ener zarter emptindunii,-, (\vn ausdi'uck sehnsüclitii>-or liebe der frau überlassen haben, für die ei- ihm an;j,-emessener erschienen. Die sprachliche form der betref- fenden stelle ktinte uns in zvveifel versetzen, ob wir danach die lieder für wei'ke von trauen ansehen solh'U, oder der mänlich(5 dichter darin der iVau tlon ausdruck seines gefühles', oder ol) er ihr den des ihri,yen ül)erlassen. Ernstlicli aber kann man nach dem zusammenhange nur zwischen den beiden lezten auffassungen schwanken. Im ersten falle liesse der dichter also seine eigene selbstompfundene Sehnsucht weil er sich schämte sie einzugestehen durch fraiienmund aussprechen; dann wäre man versucht, um die in jenen gedichton dargestelten hogeb- nisse der Wirklichkeit entsprochojid aufzufassen, die rolle der liebenden zu vortauschen, was sich bei einem liode Avie ich -.nrh nur ei neu val- ke// u. ä. allenfals, unmöglich aber bei dem vom weibe auf der zinne, vom zagenden liebhaber und dem prächtigen fc/p rile srliunc machen liesse. Oder der sängor brächte die onipfindung der eigenen brüst zum ausdruck und befriedigte dadurch den poetischen drang, dass er statt seiner die geliebte frau von der ihrigen sprechen liess. Ja, aber nicht aus scheu mit seinen eigenen emphndungen herauszutreten welche Vorstellung dichterischen gemüts! sondern weil er sie zu beobachten und darzustellen weder iieigung noch fähigkoit besass. Man hätte nie die frauenstrophen eines Kürenbergers und eines Hausen auf eine stufe stellen und mit gleichem masse messen sollen, da doch ihre entstohung in gewissem sinne fiist entgegengesezte ursachoji hat. In denen der eigentlichen minnesänger, so hat man sehr wol bemerkt, hndet fast ausnahmolos die in den männerstrophen ganz vermisste liolx'ndo hin- gäbe der frau ihren ausdruck. Und warum? Das ist eigentlich Ijoreits oben ausgeführt. Denn was des dichters ohr in der regel nicht zu hören bekam, das erschuf sich sein sinnender goist, der das drängen seiner wünsche verstand. Wie die besungene sprechen kr)nte, solte, wie sie ihre Zurückhaltung erklären, ihm gewährung verheissen, ja

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geben möchte: das ist in den frauenstrophen des der weit der tatsachen abgewanten minnescängers niedergelegt, fast könte man sagen, weil es dieser weit nicht angehört. Es gibt leute, die gehen mit bewegten lil^pen, ja zuweilen laut redend auf der Strasse; wer hätte es nicht an anderen bemerkt, Aver sich nicht selbst eimnal in lautlosem gespräche betroffen, wenn er auf wichtigem gange sich die anrede zurechtlegend darauf den erwünschten oder befürchteten bescheid im voraus vernimt und rede mit gegenrede wechselt, oder eine freudige gäbe heimtragend den dank vorher hört; oder wenn ihm, einen Vorwurf im sinn, die leb- hafte entgegnung des beschuldigten schon durchs ohr klingt, oder wie er eine mislungene Unterhandlung auf dem heimwege glücklicher noch einmal führt. Solches nachsinnen wurde dem minner, der darüber nicht rechts oder links sah, zum erleben und zur dichtung. So ent- standen Hausens, Keinmars und ihrer genossen frauenlieder. Ganz an- ders die früheren, als die phantasie mit diesem träumen und grübeln noch nicht vertraut, der dichterische sinn nur auf die aussenwelt gerich- tet, das dichtende gemüt nicht mit sich und seinem treiben, sondern allein mit den ereignissen und wesen der sinlichen Wirklichkeit beschäftigt war. War aber die späterhin so üppig fliessende quelle jenen älteren noch unersclilossen, regte sich ihnen noch der drang nicht zum künst- lerischen ausdruck dessen, was im herzen vorgieng; so konten sie auch diese bcAvegungen selbst nicht zum gegenstände ihrer darstellung machen, sondern griffen notwendig nach aussen, zu den äusseren dingen und Vorgängen, die ihnen das herz zu freude oder leid mit allen Zwischen- stufen erregten. Und wodurch wäre das ebenso oft geschehen, wie durch die werte der geliebten? Was wunder also, wenn neben liebes- versicherung, mahnung, neckerei des ritters selbst ganz besonders die klagen und bitten der geliebten, ihre sorgen und schmerzen, wie ihr stolz und ihre freude, geständnis und botschaft, nachdem sie ihn ge- rührt oder erfreut, ergözt oder betrübt hatten, als dichtung und zwar in eben der gestalt, wie er sie aus ihrem munde vernommen, wider seinem bewegten gemüte entsprangen? Und die erklärung liegt so nahe, indem wir nur zu glauben und zu veralgemeinern haben, was uns für einzelne fälle vom dichter selbst eingestanden wird, der dem Spruche der fi-au durch die Avorte (su) sprach dax (minnecUche) wip (5, 6. 8, 16) selbst die angäbe der Urheberin hinzugefügt.

ni. Waltlier im Verhältnis zum miiiiiesaiiii und zu der älteren

lyrik.

Darstellung äusserer Vorgänge mit dem natürlichen Verhältnisse zwischen mann und Avcib war der Inhalt der ältesten deutschen liebes-

ZUR KNTWirKELUNG I^KK ^UW. LYKIK 187

liedcr; innere zustände und vor^-iing-c eines fast überreizten Seelenlebens iuif dem hintere-runde unnatürlieh zuc,es[)izter verkchrsforinen sind i^-egenstand des s})äteren, romanisierenden, liüHsclien luinncsani^-es. Es erhebt sieh die ti'age nach der stellunu' Walthers von der Vüi^-el- Aveido zu Ix'ideii riehtunccMi.

Als er die laufliahn betrat, hatten auch in seinem vci-mutliehen vaterlande Österreich die alten weisen der Kürenberi^e dem neuen i^v- sehmacke weichen müssen und mit Reinniar der hüüsehe minnesan;;' i^'erade hier am h()f(> der kunstliebenden Habenberi;-er seinen Inihepunkt erreicht. Hier lernte Walther sini;-en und sauen, und es ist dahei' natürlich, dass er als nachahmer Keinmarischer kunst begann, deren hewunderer er nach dem Zeugnis seines kostbaren klageliedes auf den tod des meisters in gewissem grade auch späterhin geblieben ist. Da- her versenkt auch er sich in die eigentümliche schattenweit der gedan- ken; er macht sein inneres zu einem sonderweseu, das sich \vn ihm trennen und zur angebeteten dame begeben kann: J//// scl/ii/ ist Jiic )H)il/: SU ist ir (I/r. Itcrxr inhi hi (98, D und ähnlieh -i-i, 17). Ohne äugen sieht er sie doch, denn das herz schickt äugen hin; die über sein rätselhaftes wert verwunderten hörer erhalten den bescheid (99, 27): iccit ir iriwoi, ira\ di/i o/u/ch sin, <i<i mit icii si sil/c diir ettiii tniitY r\ sind dir tjrdaid.-c des Itrrxru min: du mite sihc ich dnr innre nnd onel/ dnr nfii/f. Möchte ebenso aucli die herrin niidern-ilent bei ihm Aveilen! Hoft er ja doch zuversichtlich, dass sie gleich ihm (14, lö) ril dich' itle/n/e mit </ednnl:e// sei; und schon bei

der l)lossen einl)ildung, dass sie ihn sil/f ii/ ir (jedanken,

an, muss er aufjauchzen. Wenn doch anstatt des herzens er auch selber einmal leibhaftig l)ei ihr einkehren dürfte: J/ei solten si ',esn- nieiic kamen, min tip, inin (nämlich bei ihr weilendes) her\e, ir Ixidcr sinne! (98, 12). Su kann auch er von sich sagen: .\en-nre nränschen uinJe n:arneu , dcc, Inli midi dielte fro (jemachet (185, 9) und nach trü- ber crfahrung sich trösten (95, 22): sn-ie rit icli trostes ie leiiiir: su init iclt doch .\c früiden ?rn)/. Was ei// saetic ///nn roJIe/idc// i//ac, war auch ihm versagt; al)er mit fast rührender genügsamkeit fügt er diesem bekentnis hinzu (92, 7): dejcl/ t/tejt ///ir der gedi/ige irul /(//d der /ritte, de// ich J/d//, deich \ //och erirertien sut. Fort uml fort ge- denkt er ihr zu dienen (94, 6) /}f de// n/i////ect/r]/r// irü// und ver- sichert (119,5): d</\ e//tcil//de //ie//ia/t ///ir (jerdte// da: icl/ sd/iede rui/ de/// /rd//r. Und was ist der grund solcher hofnungy Mi// f/edi//(/r ist, lautet die antwort des minnesängers (14, 14), dr/- ich t/i// hutt ///it reht.cn iriuirc/i, daxs oucli n/ir da\ selbe si. Auch die kehrseite, die

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klage über die quelle seiner leiden fehlt nicht. Er ist des hangens und bangens müde, wie sein meister Reinmar (41, 35): Hexen mich (/eclanke frt, son iviste ich niht umh ungemach.

Ganz natürlich, da doch auch sein Verhältnis zur dame, seine Schicksale und erlebnisse in diesem punkte die des minnesängers sind. Eigenlichen will er ihr undertän bleiben sein leben lang (120, 16), sie hat allezeit über ihn gewalt (109, 5), vermag ihm (109, 6) wol trüren wenden unde senden fröide mannicvalt. Ja cd min f7'öide lit an einem ivibe (115, 14) und wider min fröide und cd min heil, dar- xiio al min werdekeit niht wan an dir einer sidt (97, 15), so singt er mit Reinmar und Hartmann. Aber gross ist die Zuversicht auf diese fröide auch bei ihm nicht, er betet daher (120, 32): müexe ex got gef liegen so daz ich noch von iväreyi schulden werde fro, indem er vorläufig zugesteht: noch, min fröide an xtvivel stät und zufrieden ist ZU wissen, dass diu, guote ihm seine not mac vil tvol gebüexen: ob sis willen hat. Auch an sie selbst richtet sich seine bitte (97, 21) doch soll du gedenken, saelic ivtp, dax ich nü, lange hniiber hän und mit berufung auf seinen dienst (97, 32) du soll mich, froive, des ge- niexen lun, daz ich so rehte hän gegert. Aber das freilich alles nur von ferne; denn er gesteht uns (121, 26) swie dicke ich ir noch bi gesaz, so ivesse ich minner danne ein kind (vgl. 115, 26). Heisst es daher auch bei ihm (121, 3): ich kan cd) endes niht gewinnen ein grund für weitere, neue hofnuug findet sich noch immer: darumbe u'acre ich verxagei, ivan daxs ein wenic lachet so si nur versaget. Dann kommen ihm seine gedanken zu hülfe und bauen das ganze luftschloss auf diesem felseogrunde auf, bis er am ende das verheissungs- volle bekentnis der vermeintlichen geheimen Zuneigung seiner dame aus ihrem munde zu erlauschen glaubt (113, 33): Ich minne einen ritter stilk; dem enmac ich niht versagen nie des er mich gebeten hat:

tuon ichs niht, mich d^inket, dax niin nietner werde rät dax

ichx iemer einen tac sol fristen, dest ein klage, diu mir ie bi dem herxcn lac. Erwacht aus dem tröstlichen wahn wünscht er dennoch (119, 17) Got gebe ir ietner guoten tac und laxe mich si noch gese- hen, diech mifine und niht erwerben mac; und was Hausens (z. b. 47, 1) und Reinmars stolz war, kein böses wort gegen die hartherzige zu sprechen, des rühmt er sich auch (71, 31): ein ander man ez Hexe: volg ab ich, swie ich es niht geniexe. sivax ich darumbe swaere trage, da enspriche ich niemer iU)el xuo, wen, so vil dax ichz klage. Ja er Übertrift sie noch fast durch die frage (97, 1): tver sol dem des iviz- xen danc, dem von staete liep geschiht, nitnt der staete gerne ivar?

zu« ENTW!OKET,TT.\(t DKR MIHI. I.YIi'IK 1S9

(lein (111 slai'lc nie (iihiiic, oh nidii den ni slaclc sihl , seht, des slaclc ist li'ilcr (jdf. Mit itllcn (licscii züi;eii, (Iciii wiilincii und simicii ciiior- seits, (Iti- hilflosen liingebung an die i^'ütc, der iuispruclisloscMi eri^(!- I»im,^' in die liürtc einer aiii;'C beteten lien-in, dem i^'an/en kultus uni^-e- leiintei' liebostreuc andrerseits steht der diehler diireliaus auf dem boden liötisclien lebens und seiner p()(^si(\

(ianz anders i^-eartet sind die beder, denen w'w uns nunmehr zuwenden. Da beklai;'t der (Hehter (7;'), 2")), dass (He bunte weit i;'i'au, die vui;'el stunuu i;e\vui-den und nni' die nelx'ikrähe noch schreie. Wo (U- im soniiiuu' i;-esessen auf ^i'iinem lasen uiul bhnnen und klee zum kränze sprossten, ihi liei;e nun reif und sehnee. Der arme mann Itesehwei'e sieli idter (Vw wiuterkidte. Der säng-er aber selbst liegt ver- diussen daheim und murmelt nüirriseli: <■ <J(r. ich hiinje lit scihcr dn) lichlniniicl Hitcrr, als icli hin iiu, ich irnnh' r niihich \c Tohcrli). Uiul uidei' klagt ei- (HS), 1): Uns liät <h'r iviiihr (i<sch(i(hi iihcr al , sehnt sieh naeh dem frühlin.ge mit seinen freuden : snchc ich die mc<i(h' an (Ur s/n'r.r (h'n hal irerfcii! so Ir/cntc uns der voijeJe seimig und nKk-hte drum rersh'ifen des winters .\if, tröstet sich aber damit, dass ja aiu-h der weichen müsse: /rei\</of er h'/f doch dem nieien den strit: so lise ich hht(nnen (h) r/f'e i/n h't. Und wenn der niai gekommen, noch mächtiger als der winter, und pfaffen und laien ausgehen, ihn zu l)egrüssen, da bleibt auch er nicht zui'ück, traurige weisen anzustim- men, sondern ruft (51, 2?>) ziun tanzen, lachen und singen und Jubelt mit allem volke dem '.otthentere entgegen: Wol dir, iin-ie, /cie dn scj/ei- dest (dh'\ dne J/a\ ! n:ie nud du die hau nie Ideidest nnd die lieide hü\! Wie er geheissen und im winter herbeigesehnt, so scharen sich nun die mäd- chen auf dem plan, den ball zu werfen und den reihen zu schwingen, und der sänger ist unter ihnen. Einen kränz von blunien in der band ist er unter sie getreten, ihn einer n-olgetdnen nntget mit freundlichen Avorten darzurei(dien. Nicht vergeblich ! Nicht vergeblich auch hebt er die haiul zur l)eteurnng empor, dass er ihr lieber gold luid edelstein aufs haupt sezte; denn das mägdlein verschmäht die gebotene gäbe nicht ujid dankt gar anmutig und sitsam gleich einem edlen fräulein, errötend wie die rose, die neben einer lilie steht, und gewährt ihm k(istlichen lohn. Es wird ihm so selig, wie niemals noch. Da tagt es, er erwacht und die herlichkeit ist dahin: sie war ein träum. Aber die hofnung, dem traumgesicht im leben wider zu begegnen, lockt (Vni munteren träumer den sommer lang hinaus auf den plan, wo sich jenes heitere, bunte leiten abspielt. Ob die gesuchte darunter ist? Welcher Jubel, wenn er sie erschauen solte, mit seinem kränze geschmückt!

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Rucket üf die Miete ruft er drum unter die tanzenden. Und er wird die seine wol gefunden haben. Unter die linde auf der beide sind sie gegangen, wo die nacbtigall sang, er vor ihr, sie ihm nacli, und er hatte inzwischen bereitet von bluomen eine hcttestat und sie mit tau- send küssen empfangen. Niemand hat die beiden bei einander gesehen, aber gebrochene blumen und gräser zeigen noch die stelle, wo ihr haupt gelegen, dem zum heimlichen ergötzen, der desselben pfades geht. Welch mannigfaltig buntes, heiteres leben in diesen bildern! Da ist kein klagen und jammern, das uns teilnahmlos lässt oder gar ver- driesst, kein hoffen und trösten, dessen nichtigkeit wir durchschauen. Niclit schattenhaft schweben hier unsichere gedanken durch mauern und wände, sondern lebendiges, fröhliches volk tummelt sich in früh- iingslust auf grünem plan. Kein demütiger, wehmütiger minner steht im geiste vor seiner harten herrin, die oft unsern beifall erwirbt, wenn sie ihn abfallen lässt, sondern ein munterer sänger schreitet durch den kreis froher tänzerinnen, guckt allen vast imder dougen und bringt seinen kränz zu unserer befriedigung nicht umsonst, während das mäd- chen zwar nicht den geliebten abzuweisen versteht und nichts von den grübeleien und bedenklichkeiten weiss, unter denen jene damen ihre hingäbe versagen oder erklären, aber dafür wie des Kürenberges mägd- lein schamhaftes erröten kent. Als er vor sie tritt mit dem liebeszei- chen, heisst es (74, 32): do erschnmjjten sich ir Hellten ougen. Nicht wahnfreude webt im trüben dämmerschein grübelnden sinnens ihre bil- der, nicht halb unterdrückt wagt sich die, sei es ängstlich verhaltene oder bloss eingebildete, unwahre, immer aber zurückgewiesene, ein- geschüchterte empfindung einer zimperlichen, in den zwang unnatür- licher formen gebauten geselschaft hervor, sondern keck wird begehrt und lieblich gewährt, und ungehemt entquilt die jubelnde lust dem herzen freier, leichter menschen im hellen Sonnenlicht des wirklichen lebens. Kurz es erscheint hier erstens das wesen der geschlechter und ihr gegenseitiges Verhältnis natürlich und unbeeinflusst von ritterlicher verkehrsform und sodann der dichterische sinn nicht auf sich allein, son- dern auf die aussenwelt gerichtet; d. h. die beiden kenzeichen des eigent- lichen minnesanges fehlen, und es berühren sich vielmehr solche lieder mit jenen vor dem minnesange entstandeneu. Berühren sich aber frei- lich auch nur; denn wie hoch hat sie Walthers durch die schule des minnesanges gegangene kunst darüber hinausgehoben ! Dort der schlichte, treuherzige ausdruck nicht ohne unbeholfenheit, der gedankengang oft unterbrochen, sprunghaft bei ihm die klarste folge und eine gCAvante, spielende, anmutige spräche; dort ungenaue reime und härten des vers-

Zint KNTWICKKI.UNC HER MIID. I.VKIK 191

l)aues hier die feinsten, bio^'sainsten nidodicHMi; dort nur ein oinzolnes biidt'hon, /uwcilcn melir angedeutet als ausgeführt hier ('ine sieh entwickehule, an gestalten und fai'l)eii reiehe handlung; dort halb unbewussfe hier die berechnendste kunsf.

Und was ergiljf sich aus dem bisherigen für Walthers dichterischo entwicklung? Dass man die (hirstellung unserer licchMiiandsein'ift, die ihn auf grund des bekanten gediehtes (8, 1) mit übereinander geschhi- genen Ix'incn zeigt, das liaupt gedankensclnver in die band gestiizt, die äugen vor sich hin gerichtet, mit inn'echt als sinbild seiner dicbtimg ansehen würde. Denn so allein, in nachdenken verloren, den l)lick nicht hinaus, sondern hiiu'in in die selbstgeschafne traumweit seines herzens gc^beftet, mit sich und für sicii allein dichtend zeigt sieb nicht W'alther, sondern die minnesäugor vor und zu seiner zeit. Ihr blick sah nui- (li(^ iKMigefundene enge weit des eigenen Innern, und dahinein schienen sie sich wie auf ein weit entfei'ntcs, einsames oiland mit d(M' tVeude der ersten ontdecker ganz geflüchtet zu haben. Walther nicht el)enso! Denn war auch ihm sein herz einmal eine solche stille Zuflucht gewesen, so fesselte sie ihn doeh nicht auf die dauer und lag dem fest- lande näher, wohin sich daher sein wideraufgeschlagenes äuge wendete; l)ald stand er sell)st mitten im getümmel. Peinige gewiss im anfange seiner tiitigkeit entstandene lieder zeigen ihn noch ganz von dem Zau- ber befangen, der die minnesänger im umkreise ihrer innenweit gefan- gen hielt; die zulezt angeführten deshalb aber natürlich nicht not- wendig die jüngsten bilden in dieser hinsieht den gegensatz. Er gibt die richtung an, die Walthers entwicklung nahm, und bezeichnet seine stelle in der geschichte der dichtung. Während nämlich die dich- tung bis in Kürenbergs zeit nur objektiv darzustellen vermochte, die minnesänger aber sich den bereich des subjektiven erschlossen und mit einer Avundersamen hingäbe pflegten, ist Walthers blick für den engeren wie den Aveiteren kreis offen; nicht als ob er, ein äusserlichei-, nur kunstreicherer uachahmer des älteren von dieser l)etrachtungsweise zu jener zurückgekehrt sei, sondern indem sein dichterischer geist beide fähigkeiteu als nur verschiedene äusserungen seiner kraft in sich ver- band und, seitdem sich seine eigenart herausgebildet, zu gleicher zeit in anweudung brachte. Das bezeugen die bei weitem meisten aller seiner dichtungen, von denen man daher bei mangelhafter Überlieferung wol dies oder jenes einem Reinmar, keines einem Meinloh, Dietmar, Kürenberg beizulegen in Versuchung kommen könte.

Verfolgen wir die durchdriugung dieser Innerlichkeit und äusser- lichkeit, und die anrede des mägdleins in dem lieblichen gedichte

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Unde7' der linden: da muget ir vinden schone beide gebrochen hluo- men unde gras möge der aiisgangspunkt der beobachtuiig sein. Yon dem Unvermögen des minnesängers , sich trotz der bestimmung seiner lieder für den vertrag in ritterlicher geselschaft in eine lebendige bezie- hung zum hörerkreis zu setzen, ist oben ausführlich die rede gewesen. Solte hier einmal Walther und leider in einem der anziehendsten lie- der der gleichen unbekümmertheit oder nachlässigkeit verfallen sein? Denn bedeuten die angeführten worte mehr als eine leblose wendung und soviel wie eine aufforderung des mädchens an zuhörer, hinzugeiien und die stumredenden zeugen ihres bekentnisses zu suchen, müste dann nicht dem dichter entgangen sein, dass ein solcher aufrnf nicht nur mit natürlicher Verschämtheit überhaupt, sondern auch mit ihrem so reizvollen und zarten ausdrucke in der schlussstrophe einen unverträg- lichen widersprucli bildet? Er ist ihm entgangen, sonst wäre er ver- mieden worden. Aber nicht ein mangel an beziehung zum liörer kann ihn veranlasst haben. Denn gerade die lebhaftigkeit derselben unter- scheidet Walthor von den minnesängern , und hierin stelt sich ein ein- dringen des Objektes in das subjektive dar. Treten auch bei ihm nicht immer nur lebendige menschen auf, ihn selbst sehen wir fast stets vor solchen stehen, mit ihnen sprechen, was seinen dichtungen in beson- derer weise den schein der Unmittelbarkeit, des lebens verleilit. Er spricht von seinem tröste, nein, einem Ideinen troesteUn, das ihn in seinen zweifeln erfreue, und fügt zaudernd hinzu (66, 3): so kleine, sivenne ichz iu gesage, ir spottet ))ihi. Er fragt in den kreis hinein (69, 1): Saget mir ienian, wax, ist nmine? . . der sich hax denn ich versinne, der berihte mich ..! gibt sich dann selber den bescheid minne ist minne, tnot si ivol: tuot si 2ve, so enhevxet si niht rehte niinne und bedingt sich nun, willens diese antwort zu erklären, zuvor im falle des ein Verständnisses die Zustimmung der hörer dazu so aus: Obe ich rehte raten hilnne, wa% diu minne st, so sprechet denne ja! Ein andermal wird frauenschönheit über frühlingspracht gepriesen, und die anwesenden mit der behauptung überrascht, wenn eine edeliu fronive schoene reine durch die menge schreite, so Hessen sie alle lilumen stehen, um das iverde ivip zu schauen. Und da man doch nicht recht einverstanden scheint, so fordert er, für seine person über die wähl im reinen, auf, es alsbald zu probieren (46,21): Nil ivol dan, weit ir die urlrheit schouwen! gen wir xuo des meien huhgexite! Wider vergleicht er die Schönheit der lierrln mit einem köstlichen gewand, das sie angelegt; und als könne ihr in den sinn kommen, ihn wie einen fahrenden zu belohnen, erklärt er, gegen seinen gebrauch solch

ZUR ENTWICKFLUNG DER MIID. LYRIK 193

ein getragen kleid fürs leben gern anzunehmen, dem zu liebe spielmann zu werden, auch ein kaiser nicht erröten würde (63, 5). Vor ihm aber sass gewiss, als er dies zuerst sang, der kaiser in der tat; denn um die Wahrheit seiner Versicherung zu erweisen, ruft er: da, heiser, spil! und man meint den angeredeten aufstehen und nach der hingehaltenen leier greifen zu sehen; da bereut der sänger das gefährliche spiel und zieht sie bestürzt zurück: nein, herre heiser, anderswä! Diesen verkehr mit der Zuhörerschaft, an deren ohr sein lied klang, hat kein minne- sänger vor Walther gekaut. Schienen sie blind vor ihr zu stehen, so sieht ihi- AValther in die äugen, bemerkt ihr fragen und verwundern, zustinunung und Widerspruch und kann nicht anders, als sich an sie wenden. Meist erhöht dies den reiz seiner dichtung, in dem gedieht vom mägdlein unter der linde tut es ihm entschieden eintrag. Was des mädchens herz beglückend erfült, vernimt niemand; nur der dich- ter hört es, weil er den Vorzug hat, auch ungesprochene werte zu deu- ten. Er will andere mit dem erlauschten geheimnis erfreuen und das Selbstgespräch widergeben, wie ers gehört. Allein die Selbstverleugnung gelingt ihm nicht ganz ; denn offenbar spricht aus den werten der anrede statt des mädchens der dichter selbst, der sie vorträgt. Und so scheint das mädchen statt des dichters aus ihrer stillen kammer als declamatorin unter einen zuhörenden kreis versezt; oder, anders aus- gedrückt: der sänger hat die Wirklichkeit seiner läge beim vortrage einen augenblick deutlicher und lebhafter gefühlt als die erfindung sei- nes gedichts.

Der misgriff ist eine lehrreiche ausnähme. Immer glücklich aber bezeugt sich Walthers objektives anschauungs- und gestaltungsvermögen, indem es die von früheren minnesängern auch wol, aber nur schatten- haft begrüsste Minne, desgleichen die Staete, die Maxe, den Meie und andere phantasiegebilde belebt. In einer betrachtung über den harten druck ungelohnter treue entringt sich ordentlich der gequälten seele die flehentliche bitte (96, 35): Lät mich ledic, liebe min frö Staete! Der mai, als habe er sich wirklich eingebildet mit seiner pracht selbst frauenschöne zu überstrahlen, muss den spott hören (46, 30) her Meie, ir müexet merze sin, e ich min froiven da verlür. In liebesnot macht der dichter mit beweglichen werten die minne zu seiner fürbitterin (109, 25): Süexe Minne, sagt er, stt ?iäch diner siiezen lere mich ein wip also betivungen hat, bite s^, dazs ir wiplich güete gege?i mir kere; er bewirbt sich um ihre bundesgenossenschaft (98,36): froive Minne, htm si minnecUchen an, diu mich twinget und cdso betivun- gen hat. Frau Minne wohnt in seinem herzen, hat den sin daraus

ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXIV. 13

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vertrieben und zur herrin gesant, darüber beschwert der dichter sich bei ihr (55, 12): tvie Imnde ich mie sin genesen? du wonest an siner stat, da'r inne solte wesen: du sendest in die tveist wol ivar. dan mac er leider niht erwerben, fi'mve Minne. Seufzend macht er ihr drum

den Vorschlag: du soltest selbe dar erdringest du da dhie stat, so

lu mich i7i, dax, wir si mit ein ander sprechen, und so dringend ruft er: Oenäde, froive Mmnef ich wil dir umbe dise boteschaft gef Hegen dines willen vil: wis ivider mich tugeiithaft, so vorwurfsvoll fragt er: GenaedecUchiu Mi?ine , Ul: war umbe tuost du mir so we? lockt sie mit versprechen und fasst sie schliesslich bei der ehre, um sie aufzu- reizen exn ivart nie sloz so manicvalt, daz vor dir gestüende, diebe 7neisterinne. tuo üf! sist wider dich ze balt. Dies gedieht ist dafür besonders lehrreich, indem es den engsten Zusammenhang Walthers mit der bisherigen minnepoesie aber auch seine eigenart, die anschau- liche lebhaftigkeit seiner erfindung deutlich aufweist. Das gebild sei- ner Phantasie erscheint nicht wie sonst z. b. in Hausens sich zum vergleich bietenden kreuzfahrtsliede (47, 9) bloss als des dichters inne- res neben dem dichter, sondern neben dichter und innerem (sin) als ein drittes, ursprünglich auser ihm vorhandenes. Man erkent die Ver- schiedenheit des dichterischen Vorgangs, dort das Unvermögen, eine andere, hier die absieht, gerade diese gestalt zu erfinden; er konte ja auch die treue, konte etwas gewiss ausser ihm liegendes den mai, konte auch fremden liaz und iiit ebensowol als persön- liche wesen darstellen. Diese beiden werden einmal angeredet (59, 5) ir spehere, so ir niemen staeten ynilget erspehen, den ir verkeret, so hebt iuch hein in iuiver hüs. Auch das ihm unfreundliche glück wird verkörpert als frö Saelde, die ihm immer den rücken zukehrt und ihn nicht ansehen mag. Loiif ich hin umbe, ich bin doch iemer hindcr ir, heisst es da (56, 1); und das anschauliche bild wird bis zu dem schalkhaften wünsche festgehalten: ich ivolte, daz ir ougen an ir nacke stüenden: so müest ez an ir dank geschelien. Denselben sinn für anschaulichkeit bezeugt die vor Walther unbekante ausführlichkeit über weibliche Schönheit und die äussere erscheinung der frau, wie in der deutlichen Schilderung der einherschreitenden (46, 11), wie sie ivol- gekleidet unde ivol gebunden . . . zuo vil Hüten gilt hovelichen höh- gemuot, niht eine, umbe sehende ein ivenic under stunden.

Auch in seiner Stellung zur besungenen dame und zur dame der geselschaft überhaupt ist Walther in dieser mehrzahl seiner höfischen üeder kein minnesänger im älteren sinne, und sein selbstbewustsein erinnert viel- mehr an den mann in den frühesten liedern. Er bleibt ein Verehrer der

ZUR ENTWICKELUXG DER MIID. LYRTK 195

frau, doch seine «praclie gogen sie liat die füi^-sarae unterwürfig-keit (>inos Hansen nnd Keinmar abg'elogt. Wenn jene Jinr schiichtern die bittcnik vcriuutuiig gewiigt, der scliooie ihi'cr herrin werde (joidde anoli zugescit sein, si» tritt der ähidiche gedaida^ bei ihm als eiitschie- dcnc mahnung anf (121, b): Sl sd/c, dd-.s innen sich bcirnr si silii- ncl n\cn friildotriili - (hr.s (tu den siUii 1hl irre rnr^ die er ihr als hiilhehe erwartimg ins gesieht \vi(h'rii(ilt (Sß, 1): häl li\ als icii iiiiih veriv(n')t(', iiiictr hi (Ur ifohichiciic , ic<t\ diuntc (in in einer ti'en lil! Er hütet sieh vor grossem h>be, ja kent t'eider an ilir; nnd bestehen sie aneh nur (hirin, (hiss (öl), 20) si sclnidet ir rinden irild und tnot ir friniiden in', so hat er (hx-h auch anss<M' sclioene und e/v keine tagend zu preisen. Tnd im get'ühl, wedei- ihr noch andern damit genug zu tun, sehliesst ei' kurz nnd fest: ich seil in (jerne Insent: im ist niJil nie da .... nur, iril si nn'rcY hiesl irul (jelohl : lohe nn- dersiri). Sell)st vollen tadel müssen sieh die sonst so hocligelobten gefallen lassen (!;)1, 1): Li'il niicJi .\i(o den, froniren (/(in: so ist düK min (liier ineisle Ihnje , so ich. ie inerc xiiiiie hCin.^ so icli ic niinrc irerdeheil h(j(((/e (vgl. 48, 25). Für die sanftere änssernng dieser selbst- gewissen Überlegenheit besonders bezeichnend ist das hübsche lied ((52, 2(3), in dem er einen aussprneli seiner dame gegen sie selbst wen- det: Sirc)- mir hesicnerc inineii '/nind, dn:. ich den nniche irider frd, sagt Ihr zn mir, nnn diu h're, oh si mit triaivcn sl, dax scJiinc an in. icli, frönirc incJi, ir hesiraerct -mich: des schämt iuch , oh ich;. reden i/ehir, hit inirer irort niht velsclicn sich und ircrdet giiot: so hdht ir in'tr. Man merkt überall, dass ihm die sache gar nicht so erschrecklich tief geht, wie es die minnesänger von sich ohne anfhören nnd angenscheinlich aufrichtig versichern. Der ernst nnd die selbst- bewnsste würde dieses mannes striinbte sich offenbar gegen die oft läppische guadenl)ettelei nnd sein auf Wahrheit und natürlichkeit gerich- teter sinn gegen die unnatur des geselschaftlichen frauendieustes. Treue ohne Wandel, Avenn auch ohne lohn war der Wahlspruch des miune- sangs; die zu lieben, die ihn wider hasste, das immer von neuem lieklagte loos des einen wie des andern. AValthers stolz kent solche liebe nicht, und seine meinung- lautet vielmehr (69, 10): Minne ist xweicr hcr.^eii iriinne: teihnt si gelicJie , sijst diu minne dd , ohne das aber nicht; denn (51, 7) eines friiuides minne diit ist niht, du cnst ein ander bi. minne entoue niht eine, si sol sin, gemeine. Und ist ihm das glück so wenig hold wie jenen, dass die vielgeliebte und viel- gelobte seine lieder doch nicht erhilren will, so fragt er unmutsvoll (69, 23): icacnet si , da\ ich ir tiep gebe wnibe leit? sol ich si dar

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U7nhe iinren, dar.. si% wide?' Jcere an mine imzverdekeä? oder erkent empört (40, 22) owe danne, so hän ich getobet, dax, ich diu getiuret hau und mit lohe gekroenet, diu mich ivider hoenet. Nicht einmal lange warten mag er, sondern drängt (69, 16): ivellest du mir helfen, so hilf an de?' zit. si ab ich dir gar unmaere, dax sprich endeliche: so lax ich den strlt unde wirde ein ledic man. Mass er aber eifer- sücliteleien von ihr hören, so stelt er sie vor die wähl (71, 7): wil si, da% ich andern wibeji tvidersage, so laxe ir min rede ein ivenic hax gevallen; denn sein grundsatz ist hier wie in andern dingen (49, 16): sivä ick niht verdienen han einen gruox mit mime sänge, dar her ich vil herscher man minen nac od ein min umnge. dax Mt: mir ist umbe dich, rehte als dir ist umhe 7nicJi und er komt zum beschluss: ich tüil min lop keren an wtp die ktinnen danken: wax hdn ich von den Überheren? Und wirklich hat sich ja der sänger zeitweilig ihnen abgewant, um die köstlichen lieder zu singen, von denen oben die rede gewesen ist.

Sein gegensatz zur herschenden richtung war kein ihm unbewuss- ter. Das beweisen zahlreiche stellen. So, wie es scheint, gleich die erklärung (95, 27): Muox ich sin nach iväne frö, son heize ich niht xe rehte ein saelic man, ohne zweifei aber die häufige rechtfer- tigung seiner abkehr vom höfischen minnedienst. Er nirat gelegenheit, den tadel derer abzulehnen, die ihm verwixent, dass er seinen sang so nidere ivende (49, 31): da% sie niht versinnerit sich, wax liebe si, des haben undanc! sie getraf diu liebe nie. die ndch dem guote und nach der schoene minnent, ive ivie minnent die? Er bestreitet das recht, ausschliesslich die froutve, die dame von edler geburt zu ehren, weil manche den namen führe, die den namen ivtp nicht verdiene, während jedes ivip auch froutve zu heissen wert sei (48, 38). So hebt sich sein liebeslied vom dienst einer herrin zur Verehrung der ivipheit (49, 1), reiner Weiblichkeit, der frauenwürde, des ganzen weiblichen geschlechts ^. Alle frauen zu ehren ist erst die aufgäbe von Walthers

1) Denn wir hören die Vorgänger Walthers, einen wie den andern, immer von neuem versiclieni, dass ihn die eine des lierxen . . . heroubet gar für elliu wtp (MF 42, 9)., dass er um ihretwillen nichts frage nach allen andern frauen (103, 5), dass sie allein ihm vor allen andern tciben im herzen sei tag und nacht (114, 37), dass er vür si nie kein ivtp erkös (160, 11), doch sie mir elliu tctp (43, 14. 197, 4. 47, 12. 50, 31. 103. 12), und Eeinmar verteidigt das recht solcher versicherang. Dergleichen äusserungen sind aber so überaus zahlreich man braucht jezt niu" auf die Zusammenstellung bei Meyer Ztschr. f. d. a. XXIX, s. 157 zu verweisen dass die wenigen stellen, wo Fenis (81, 25) dii7~ch si yuoten tviben zu dienen meint, Adeln- bui'g (148, 13) ebenfals um ihretwillen wiU eren elliu wip und Reinmai" (183, 27

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gerciftoni und ab£>-ekläi-tom nüiuiogosaiiij,-, dcni die oinschriiiikuiiti,-, die (juolci) roll den hösoi (58, 35) zu schoidoii, wol anii-emcsson erscheint. Mit diesem vorbehält wird es dann als htsun^ ans^cucbcn (90, 11): d((.y^ man clliii irip so/ rrc/i loid Icdoch dir h(strii hir,. Diese gesinnung sprieiit auch aus der erkliiruni;- (Jö, II): irlni (jclo/ic .si nionrr alle, sivic. dm losen niisseral/e, sine n:erden olle (jiiot. Xiclit sei ne //wrc, sondern die t'raucn. (jnoliii iri]), beh'hi't, ermahnt, tadelt er, wie er alle kd)t, allen dient; an sie lieisst er den gedenken, di'r in heindiehen sorgen sei; um ihretwillen erteilt er die wiMsnng (i)."), 11): er liio d/ir einer iri/len so, da: er den (indem n'ol helnnje, und mit hoehgefiihl spricht er selbst von seinem lobe deutscher trauen. Und auch das gehört zu den punkten, wo sich Walthers objcddivitiit den minnesän- geru gegenüber betiitigt; ptlegte ihre phantasie, um andere unbeküm- inert. nur den dienst der einen, so folgt AValthers lied seinen äugen, die sich von einer zu andern und allen richten. Spottet er nicht im hinblick auf die Versicherungen der minnesänger, wenn er ungelohnter liebesmühe überdrüssig einmal die abweisende fragt (71, ö), was es ihm deiui nütze, dass er sie miuue ror in oUen''f Sehr wahrschein- lich, dass auch das streitgedicht (111, 2:!; Keinmar MF 159, 1 fgg.) gegen solche Übertreibung gerichtet ist und die noch nicht ganz auf- geklärten werte tler unmässigen an der konventionellen härte der dame danklos al)prallenden lobrednerei der minnesänger den ihm ohne diese zu teil werdenden liebeslohn entgegensetzen. Derselben gewohnheit unverständigen lohes galt sein kurzes i/ie ist ned (/elold , lohe andersn/d, besonders aber der scharfe spott (Gl, 24): ich iril lip und ere ttud cd 7Jiin heil rcrsircrn: wie Jcdndc sicii dehciniu dannc min crwern? Yon selbst fallen einem die so exaltierten betenruugen, wie Albrechts von Johansdorf (MF <S7, 9) ein: su'ennc ich rejn scinilden crarne ir 'Aorn, so hin ich rcrrlnociict ror ijote ah ein hcido/ : aber auch die widerholten aufrichtigkeitsversicherungen Reinmars (165, 19. 170, 21). Wol mit recht hat man in einer solchen eine ausdrückliche entgegnung auf den erwähnten angriff Walthers gesehen, und sie ist geeignet, die-

vgl. 202, 35) verlangt in'r siili/ alle froifcn crcii (doch vgl. 183, 24) oder sich trö- stet, wenn sem dienst unnütz sein ^YÜ^■dl', !<('i sin doch gcrct elliii /r/p, dass diese ausnahmen nicht für die i'cgel gilten dürtV'ii und es ein irtum war dies ell/'it /dp ereil sogar das Stichwort der liöfischen siiugrr zu ni'inn'n, während es dum minnesang ebenso wenig m'sprünglieh angchijrt wie die tröstliche betrachtung über die erzieh- liche Wirkung des minnedieust(_^s und eine blosse cinbildung und pjhrase ist, wie die algemeine lilag(! über den alleinigen miserfolg. Wie könte sich Eeinnuir mit recht rühmen trotz lauter undank von /r/beii nie übel, immer wol zu sprechen, da er ja doch niu" einer dient, nur von einer den undank erfährt V

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STREICHER

sen zu erläutern. Reinmar sagt nämlich (197, 3): ivaz unmdxe ist daz, ob ich des hän gesivorn, daz si mir lieber si dan elliu wi-p? an dem eide ivirdet niemer här verlorn: des setze ich ir ze jJ fände minen Up und lässt raten, an wen sich seine frage y/enclet, denn er fährt fort: si jehe?it die höhgemuoten nent sie der demütige anders- wo (165, 19) daz ich ze vil gerede von ir und diu liebe si ein lüge diech von ir sage. Aber ihm und seinesgleichen entgieng ja eben das unnatürliche und auch bei offenbarer aufrichtigkeit doch im gründe genommen unwahre ihrer beteurungen, Walther empfand es und das gab ihm das bewustsein des gegenwärtigen gegensatzes. Aber im unkla- ren über die volzogeue Umwandlung seiner eigenen poetischen an- schauung hält er freilich nunmehr das für unaufrichtig und miwahr, was doch auch ihm ehemals aus dem herzen gekommen war. Das ist die Unwahrheit, deren trägern als lügenaeren das testament des dich- ters seine sivaere verschreibt (61, 3): min unsinnen schaff ich den die mit velsche minnen, während den'frauen statt des wolgefallens an sol- chen diensten nach herzeliebe senendiu leit zugedacht ist. Denselben lügenaeren galt die schwere beschuldigung (44, 30): unstaete, schände, Sünde, tmcre, die rätent sie sivä man sie hoei'en tvil . . . daz wirt noch maneger frowen schade. Man sieht, er hat auch die sitlichen wider- spräche in dem gedankenkreis des minnesängers erkant und glaubt von sich sagen zu dürfen: ich sanc von der rehteii minne, daz si waere Sünden fri; und das ist die, die er oben den frauen zu hinterlassen wünscht. Von diesem Standpunkte Walthers war übrigens nur ein schritt zu Wolfram von Eschenbachs lobe der eigenen hausfrau. End- lich werden auch Walthers oft widerholte beschwerden über das aus- sterben der freudigkeit in der weit und die endlose traurigkeit auf eine algemeine Verstimmung und bedrücktheit zielen, die als eine folge des undankbaren dienens und singens eintrat. Die rührende klage (120, 10): outve deich niht vergezzen mac, wie rehte frö die Hute wären könte dann vielleicht als zeugnis dafür dienen, dass der dichter in seiner Jugend noch die ausklänge des älteren, natürlicheren, leicht- lebigeren gesauges vernommen hat.

So wendete sich Walthers minnelied vom träumen zum leben. Aber das leben bot seiner dichtung viel mehr als nur minne. Wenn er einmal als bedingung für die widerherstellung seiner lebensfreude die beiden punkte nent, dass iverdent Husche lintc wider guot iinde troestet si mich, diu mir leide tuot (117, 5), so ist das schon eine für Reinmars dichterischen gedankenkreis unmögliche zusammenstelhing. Geradezu verletzend aber muste diesem die geringe Wertschätzung des

Züi; ENTWU.KELUXü DKR MIID. l.YKIK

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f;i('ii'lieii ,i;'Oi;'cnstan(lcs ^•(tl•k(ln^n(•Il, die ^\v>< (liclitcrs oi'kläruiii^' an l'raii Minno ausspricht (r)S. !•)): si bcsKochc , n-<} dir schsc sin : ron mir h('il>^ in der /röche ir den sihcndcit hir. So hat sich in (h'r tat AVal'thcrs dichtiini;' vom (,'nn'<'n kreis des cii;('ncii wcltvci^j^-osscncn, minnendoii inncivn vmv hchaiidUinu- der sitlicheii und ])oJitischen dini^e und hegc- l)enheitcn ei-\veitert im natiii-lichen lorUauf der Ix'ohachteten entwick- hini;-. Tiid (h"e iuii-e^'unu' da/ii t'aml <'r niclit allein in Avv ihm eiu'enti'nnlicheii l)ei;';d)uni;-, somh'rn nicht zum i;'ei'ini^s(en auch in den ^vamlelun^■e^ seines iiusseren lehens. >,'ach hei'/oi;' Friedrichs tode aus uidtekiintcii ui'iiiuh'ii \oin listen'cichischen liefe vei'stosseii , ans hehag- licliei' soruiosiukeit und einer zu heschaulichem insicdiseibstverseidcen einladenden i-iihe lierausuvrissen , hei^ann WaJthei' im gogensatz zu Roin- mar und , so\ iel hekant, aHen ii'üjieren minuosängern ein unstates zic- iien und wandei'ii, reich an mühen, sorgen, entbehrungon, enttäusclum- gen, das wol geeignet war, ihn nachdrücklich mit den gestalten vmd ereignissen der wirklickeit in berührung zu bringen. Er hat am hole könig i*hili|)|)s geweilt, ist mit kaiser Otto gezogen, hat Friedrich IL begleitet; er ist bei liei'mann von Thüringen und Dietrich von Meissen eingeki'lu't, wider nach AYien gekommen, hat den graten von Katzen- ellenliogen aufgesucht, ist beim Passauer bischof gast gewesen, hat au die klosterpforte in Tegernsee geklopft und wer weiss wo überall noeh, worülier uns keine nachricht geblieben ist. Mehr als zwanzig jähre sahen ihn in dieser läge, heimatlos von land zu land, ja von burghof zu buighof ziehend und gewiss oft am morgen !n)ch zweifelnd, oi) er zur )iacht freundliche herborge linden werde. So glich sein leben dem eines fahrenden sängers, Avie ihrer viele damals, mänuer aus dem volkc und nicht ritterbürtigen geschlechts, im lande umherstreiften, in städten und di'irfern gern gesehen, auch auf bürgen ritterlicher herren zuwei- leji nicht nnwilkommen. Sic spielten zum tanz auf, priesen die gön- ner, schalten die feinde und trugen sätze einfacher lebensweislieit vor, sich zum trost oder andern zur mahining. Dieselben miüiseligkeiten und freuden wie sie, reizten auch Walther zum poetisclien ausdruck lind schufen eine spruchdichtung, die, au geist und edler kunst Sper- voge! und Hergers sänge natürlich weit überlegen, erst recht das volle widers]3iel zu der sich in sinnen und träumen verlierenden über- schAveuglielikeit des luinuegesanges ausmacht. Gleich dem fahrenden singt er am frühen tage seinen morgen- und reisesegen (24, 18), wie ihrer aus späterer zeit viele auf uns gekommen sind, preist wie meister Spervogel (MF 26, 20. 27, 12) des wirtes glück und klagt die not des gastes. Er bittet hier und bittet dort um gastliche aufnähme oder um

V

198 STREICHER

seil zu erläutern. Reinmar sagt nämlich (197, 3): ivax uinndxe ist dax, ob ich des hän gesivorn, daz si mir lieber si dan elliu ivip? an dem eide tvirdet 7iiemer här verh?m: des setze ich ir ze i)fande minen lip und lässt raten, an wen sich seine frage wendet, denn er fährt fort: si jehent die hdhgemuoten nent sie der demütige anders- wo (165, 19) daz ich ze vil gerede von ir und diu liebe si ein lüge diech von ir sage. Aber ihm und seinesgleichen entgieng ja eben das unnatürliche und auch bei oft'enbarer aufrichtigkeit doch im gründe genommen unwahre ihrer beteurungen, Walther empfand es und das gab ihm das bewustsein des gegenwärtigen gegensatzes. Aber im unkla- ren über die volzogene Umwandlung seiner eigenen poetischen an- schauung hält er freilich nunmehr das für unaufrichtig und unwahr, was doch auch ihm ehemals aus dem herzen gekommen war. Das ist die Unwahrheit, deren trägern als lügenaeren das testamcnt des dich- ters seine swaere verschreibt (61, 3): min unsinnen schaff ich den die mit velsche minnen, während den'frauen statt des wolgefallens an sol- chen diensten nach herxeliebe senendiu leit zugedacht ist. Denselben lügenaeren galt die schwere beschuldigung (44, 30): unstaete, schände, Sünde, unere, die rdtent sie sivä man sie hoeren wil . . . daz wirt noch maneger frowen schade. Man sieht, er hat auch die sitlichen Wider- sprüche in dem gedankenkreis des minnesängers erkant und glaubt von sich sagen zu dürfen: ich seine von der rehten minne, daz si waere Sünden fri; und das ist die, die er oben den frauen zu hinterlassen wünscht. Von diesem Standpunkte Walthers war übrigens nur ein schritt zu Wolfram von Eschenbachs lobe der eigenen hausfrau. End- lich werden auch Walthers oft widerholte beschwerden über das aus- sterben der fi'eudigkeit in der weit und die endlose traurigkeit auf eine algemeine Verstimmung und bedrücktheit zielen, die als eine folge des undankbaren dienens und singens eintrat. Die rührende klage (120, 10): outue deich niht vergezzen mac, ivie rehte fro die liute wären könte dann vielleicht als zeugnis dafür dienen, dass der dichter in seiner Jugend noch die ausklänge des älteren, natürlicheren, leicht- lebigeren gesanges vernommen hat.

So wendete sich Walthers minnelied vom träumen zum loben. Aber das leben bot seiner dichtung viel mehr als nur minne. Wenn er einmal als bedingung für die widerherstellung seiner lebeusfroude die beiden punkte nent, dass iverdent Husche liute ivider guot undc iroestet si mich, diu mir leide tuot (117, 5), so ist das schon eine für Reinmars dichterischen gedankenkreis unmögliche Zusammenstellung. Geradezu verletzend aber muste diesem die geringe Wertschätzung des

ZUK K.NTWU'KELU.Na DKli Mim. LYRIK 199

p;-leicluMi g-egc]i stau des vorkoiniiieii, die des dieliteis erklariiiii;' an trau ]\Iimie ausspricht (öS, 19): si bes/ioeJic, irn die schsc sin: nni niir häts in der n-ochc ic dtii silirudcii lac So hat sich in (h'r tat A\'al'thcrs dichtung- vuiu engen ki-cis des eigenen weltvergessenen, niinnendeii inneren zui' hehandhmg (h'r sitlicheu und pelitischen dinge und hege- benlieiten erweitert im natiii'h'chen lertlaut' (h'r heohachteten t'utwick- hmg. Tiid die anregung (hizu fand er nicht allein in ih^v ihm eigeiitiindichen hegaluiiig, sendein nicht /um geringslen auch in den wan(h'lungen seines üusseren iehens. Nach herzog Friedrichs tode aus unhekanten gi-iimh'ii \(iin (österreichischen hofe Verstössen, aus behag- licher soi'giosigkeit und einer zu Iteschaulichem insichselbstverseuk('U einladenden ruhe hei'ausgerissen, liegann Walther im gegensatz zu Ilein- luar und . soviel bekant, allen t'riiher('n nunuesängern ein unstätes zie- hen und wandern, reicli an midu:'n. sorgen, eiitbelirungen, enttäusehun- gen, das wdl geeigni't war, ihn nachdrücklich mit (hm gestalten und ereignissen (h'j' wirklickeit in beridirung zu l)ringen. Er hat am hofe k(hug l*hilip[)s gew(nlt, ist mit kaiser (_)tto gezogen, hat Friedrich 11. begleitet; er ist bei Uei-nianu von Thüringen und Dietrich von Meissen eingekehrt, Avider nach Wien gekommen, hat den graten von Katzen- ellenbogen autgesucht, ist beim Passauer bischof gast gewesen, hat an die klostei'pforte in Tegernsee gekl(»pft und wer weiss wo ülierall noch, worüber uns keine nachricht geblieben ist. i\lehr als zwanzig jähre sahen ihn in dieser läge, heimatlos von land zu land, ja von bnrghof zu burghof ziehend und gewiss oft am morgen noch zweifelnd, ob er zur nacht freundliche herbergo linden werde. So glich sein leben dem eines fahrenden siingers, Avie ihrer viele damals, männer aus dem volkc und nicht ritterbürtigen geschlechts, im lande luiiherstreiften. in städten und dörfern gern gesehen, auch auf bürgen ritterlicher herren zuwei- le]i nicht nnwilkommen. Sie spielten zum tanz auf, priesen die gön- ner, schalten die feinde und trugen sätze einfacher lebensweisheit vor, si(di zum ti'ost oder andern zur mahnung. Dieselben miUiseligkeiten und freuden Avie sie, reizten auch A\'alther zum poetischen ausdruck nnd schufen eine spruchdiehtung, die, an geist und edler kunst Sper- vogel und Hei-gers sänge natürlich Aveit überlegen, erst recht das volle Aviderspiel zu der sich in sinnen nnd träumen verlierenden über- scliAveuglichkeit des minnegesanges ausmacht. Gleich dem fahrenden singt er am frühen tage seinen morgen- und reisesegen (24, IS), Avie ihrer ans späterer zeit viele auf uns gekonuuen sind, preist Avie meister Spervogel (MF 26, 20. 27, 12) des Avirtes glück und klagt die not des gastes. Er bittet hier und bittet dort um gastliche aufnähme oder um

200 STREICHEE

lohn für seinen gesang, bei kaiser Otto und Friedrich um ein lehen; er dankt dem Bogner, dankt dem Meissner für empfangene gäbe und jubelt kaiser Friedrich dank, als der ihn belehnt. Er verständigt sich mit dem herzog von Kärnthen, der ihm mehr versprochen, als er hal- ten konte, trift mit herbem spotte den abt von Tegernsee, bei dem er wenig gastfreundlich aufgenommen worden war, verlangt energisch und selbstbewusst lob vom Meissner, den er zuerst gelobt habe: nach dem grundsatze des spielmanns (MF 21, 13. 21), dass ein narr sei, wer dem kargen manne, da ex, une Ion helihet, diene. "Wie der bürgerliche Sän- ger es halbes lob nent (MF 20, 1 21, 4), wenn einer draussen gibt und zu hause geizt, einen toren schilt (21, 31), swer guot vor eren spart, wie er (22, 5) erklärt swem. daz guot xe herxen gut, der givmnet niemer ere: so mahnt "VValther die herren in Ostreich (36, 1), die im sparen ihrem herzog gefolgt waren, da es an der zeit war, nun nach- dem jener freigebig geworden, sein beispiel auch nicht zu vergessen; so rät er dem vom kreuzzug zurückkehrenden Leopold (28, 70) auch daheim zu sorgen, daX' iemaii spraeche, ir soldet sin beliben mit eren dort; so lehrt er (103, 10): maneger schinet vor den frömden guot und hat doch falschen 7nuot. ivol im ze hove, der heime rehte tuot\ so end- lich singt er wider und wider den segen edler freigebigkeit. Aber auch hier geht Walthers beobaclitung vom engen ins weite, vom eig- nen ins algemeine. Die üblen zelten, da die (24, 10) jungen frecher Zungen pflegent und schallent tinde scheUent reine froutven, da das guot höher gilt, denn ere und gottes huld, der vater hi dem kinde untriuwe vindet, der hruoder shiem bruoder liuget, geistlich leben in kappen triuget (21, 34), da friede und recht darnieder liegen, geivalt vert üf der sträxe und untriuwe auf der lauer liegt (8, 24), rufen seine mah- nung zu strenger, weiser kinderzucht, sein gebet an gott um bessere söhne für die schlechteren väter hervor. Durch himmelszeiclien von angst vorm lezten zorne erfült, lässt er sein lautes ml wachet unter die schlafende menschheit erschallen. Hübsch bescheiden und nicht zu hoch hinaus, ist seine lebensregel; die sechs soll sich nicht zur sieben machen wollen. Manlichiu tvtp, ivipUche man, pfafliche ritter, bit- terliche pfaffen sind ihm gleichermassen verhasst. Drei dinge machen die grundlage menschlichen glückes aus: gut, weltliche ehre, gottes huld (83, 27. 20, 25), eine lehre, aus der man den minnesänger nicht mehr erkent. Wenn menschenwert in frage komt, so gilt bei ihm: armen man mit guoten sinnen sol man für den riehen minnen (20, 22). Er preist den, der sich selbst zu bezwingen vermag und alliu siniu lit hl huote bringet; er wird ein warmer lobredner der freundschaft.

ZUK ENTWICKKLUNÜ DKK MUl). LYRIK 201

Überall spricht eine reiche und reife erfahruDi;-, der hciiif^ste eifer für die saclio, der ernst eines grossen, edlen, für die wahren guter des lebens erschlossenen geistes. Die schönsten und lebensvolstcn erzeugnisse seines geistes aber gelten dem nach sciiKM- schiitzung höchsten der guter, der irdischen wenigstens, seinem seit l<aiscr Heinrichs tode von unauf- hörlichem liürgerkriegc zerrissenen vaterlande.

^'on dem engen halbdunkeln gcdankenlcreise der minnesänger gieng Walther aus, um ihn durch (dfrige beziehung auf den hörer und die fülle und sinlicho anschaulichkeit von dingen und gestalten den eigentümlichen Vorzug dei' früiiesten epoclie lyi'iseher dichtung zu belo- ben, zu bereichei'n und zu erhellen, seine kunst im bcwussten gegeusatz mehr und mehr aus den schranken geselschafllichen gebrauchs zu natür- lichen Verhältnissen zurückzuführen nnd ihr endlich statt dos bisher allein üblichen gegenständes neue aus dem ganzen bereich des sitlichen wie des politischen lebens zu erschliessen.

In der entwickelung unserer lyrik geschah von Kürenbei'g zu den älteren minnesängern der erste, von ihnen zu AValther dei' zweite schritt. Es ist schwer zu sagen, welches der bedeutendere gewesen; aber das unterliegt wol keinem zweifei, (hiss Walther mit den früheren minnesängern mehr gemeinsamen boden luiter den füssen hat, als diese mit ihren volkstündichen Vorgängern.

BERLIN. OSKAR STREICHER.

KEUE BELEGE FÜE DEN GEBKALTCII VON TRÄTE = MHD. ENTETE BEI LUTHEK.i

1) Luther Wider Hans Worst 1541 bl. M" (in Knaakes neudruck Halle 1880 s. 54): „</« riel diugs [unsre gegner] selbs jtxt Icveii, das sie xuuor voxJampt, daxu. niclds xu leren Itetten, wenn vnscr Bücher fheften''. Die Braunschweiger Volksausgabe bd. IV 1890 s. 312 um- schreibt richtig: ^^icenn unsere Büclier nicht daicären'-''] während der sonst in der litteratur des 16. Jahrhunderts wol bewanderte pf. Bessert in seiner besprechung dieser ausgäbe im Theol. litt, blatt 1891 sp. 164 in unkentnis der jüngst über diesen Sprachgebrauch geführten Ver- handlungen — hier völlig irre geht-.

2) Auslegung von Joh. 6 8 (1530 fgg.) Erlangcr ausg. 47, 230: ^^Denn wo die Verfolgung nicht thüte, so würdert n'ir n'ohl so arg

1) Vgl. diese zeitschr. XXIII, 41. 293. XXIV, 41. 43. 2) Bei der kovrektur werde ich gewahr, dass diese stelle inzwischen auch von Köstliu XXIV, 41 mitgeteilt ist.

202 KAWERAU, Tli-iTE = ENTETE BEI LUTHER

mid böse sein, als unser Widersacher '•'• . Diese schrift erschien gedruckt zuerst 1565 im IL bd. der Eislebener supplementbände Aurifabers; das ^^nicht'-'- ist vielleicht erst zusatz des bearbeiters und herausgebers. 3) Yermahnung an die geistlichen, versamlet auf dem reichstag zu Augsburg 1530, Erl. ausg. 24^ s. 362 fg. ^^ünd hätten tvir ge- than, ich sorge ivahi'lich, cur Gelehrten irären der Sachen zu schiva^h gewesen ". Auch hier ist zu erklären: Und wären wir nicht da gewesen . Dies beispiel ist besonders dadurch interessant, dass hier diese bedeutung des verbums tun mit ausgelassener negation, die in allen bisher nachgewiesenen beispielen nur für den einfachen conj. prät. belegt war, auch in dem conj. der plusquamperfectumschreibung vor- komt, die ja almählich in bestirnten fällen für das einfache präteritum sich eindrängte.

KIEL. G. KAWERAU.

EIN BKIEF GOTTSCHEDS AN DEN KÖNIGSBEEGEE PEOFESSOE FLOTTWELL.

Auf dem archive der hiesigen, nun fast ein und ein halbes Jahr- hundert blühenden königlichen deutschen geselschaft befinden sich in einem fascikel „Acta die vermischte Correspondenz der Gesellschaft ent- haltend. Vol. I" (von mir fortan K. Y. C. I. citiert) 17 briefe Gott- scheds an den Königsberger professor der weltweisheit und deutschen beredsamkeit Coelestin Christian Flottwell, der seit 1750 zugleich das amt eines rektors an der kathedralschule bekleidete und am 2. Ja- nuar 1759 starb. Der erste jener briefe führt das datum des 21. august 1743, der lezte ist am 19. juli 1752 geschrieben; mit ausnähme von dreien gehören sämtliche stücke den jähren 1744 und 1745 an. Dass diese briefe nur einen kleinen bruchteil einer sehr lebhaft geführten correspondenz darstellen, beweisen die zahlreichen schreiben Flottwells es sind weit über hundert , die über fast alle bände der gewal- tigen, auf der Leipziger Universitätsbibliothek aufbewahrten Gottsched- schen briefsamlung verteilt sind. Der lezte brief von Flottwells band ist datiert den 20. September 1756 und berührt bereits den einmarsch der Preussen in Sachsen. Mit diesem jähre schliesst überhaupt die 22 folianten umfassende Leipziger samlung. Dass aber trotz aller kriegs- unruhen Gottsched mit dem Königsberger freunde noch in fernerem brieflichen verkehr gestanden hat, dafür ist ein Zeugnis jenes an Flott- well gerichtete merkwürdige schreiben Gottscheds vom 22. okt. 1757

KRAUSE, BEIKF GOTTSCHEDS AN FLOTIWELL 203

mit einem postskript vom 1. noveraber über die widerholten und ein- g-elienden unteiTcduiigen, deren ihn könig Friodricli der grosse im Oktober dieses Jahres wenige tage vor der schlacht bei Rossbach gewür- digt hatte. Dieses hochbedeutsame dokuraent, welches zuerst in den Neuen Preussischen provinzial- blättern 3. folge bd. lY. (Königsb. 1859) s. 295 301 nach einer auf der Stadtbibliothek zu Elbing aufbewahr- ten, von dem rektor Joli. Lange (f 1781) herrührenden kopie zum abdruck gelangte, konte von mir in meiner schrift Friedrich der grosso und die deutsche poesie (Halle 188-4) s. 87 fgg. leider wider nur nach jener, einige Schreibfehler enthaltenden abschrift mitgeteilt werden. Yer- gebens habe ich auf dem archiv der hiesigen deutschen geselschaft und an anderen stellen dem original nachgespürt.

Flottwell, ein mann ohne geistige Selbständigkeit und schriftstel- lerische erfindungskraft, war ein unbedingter anhänger Gottscheds. Sein evangelium war die „Critische dichtkunst", deren regeln auch in weiteren kreisen zur geltung zu bringen, er sich eifrigst bemühte. Um in diesem sinne wii'ken zu können und um sich zugleich an der Universität ein grösseres ansehen zu verschaffen, hatte er noch als magister legens im jähre 1741 eine deutsche geselschaft gestiftet, die seit 1743, mit einem staatlichen. Privilegium ausgestattet, den titel einer „königlichen" führte. Flottwells beziehungen zu Grottsched waren die engsten. Wol gegen niemand hat sich dieser in seinen brieflichen mitteilungen so wenig zwang auferlegt, wie gegen seinen Schildknappen in Königsberg, da er seiner imbedingten ergebenheit gewiss war. Andrerseits berichtet auch Flottwell seinem meister und freunde mit der grössten Offenheit, was in den kreis seiner Interessen und sorgen tritt; insbesondere versorgt er ihn aber mit neuigkeiten aus der hauptstadt Ostpreussens , die stets mit lebhafter teilnähme entgegengenommen werden. Diese oft sehr umfangreichen berichte gewähren einen tiefen einblick in das littera- rische und geistige leben, in die geselschaftlichen und akademischen zustände der Pregelstadt. Aus den briefen Flottwells und denen zahl- reicher anderer Königsberger gelehrten und Schöngeister an den berühm- ten landsmann in Leipzig weht dem leser recht eigentlich die geistige luft entgegen, welche die Albertina vor der Kantischen epoche erfülte. Übrigens sei hier noch bemerkt, dass Flottwell, was bei einem gelehr- ten jenes Zeitalters gewiss auffallen muss, mit verliebe fragen der hohen politik berührt. Eine besondere anregung dazu gab ihm wol sein ver- kehr mit vornehmen, im diplomatischen dienste tätigen personen.

Als Danzel in seinem buche „Gottsched und seine zeit" den lit- terarliistorischen schätz hob, der in dem zu Leipzig' befindlichen Gott-

204 KRAUSE

schedscheii briefwechsel ruhte, hat er die nach Königsberg reichenden beziehungen, als ihm zu fern liegend, nur flüchtig gestreift. Gottsched hing an seiner heimat Ostpreussen mit aufrichtiger liebe, in diesem punkte zeigt sich der sonst so steife lehrmeister bisweilen von einer menschlich liebenswürdigen seite^. Auch als er auf der höhe seines ruhmes stand, waren seine gedanken und wünsche dorthin gerichtet, wo seine wiege gestanden. Aufs eifrigste war er bemüht, seinem „vaterlande" und seinen landsleuten zu ansehen draussen im reiche zu verhelfen. Neue nahrung gewann diese anhänglichkeit , als er im juli 1744 die heimatsstadt mit seiner „freundin" von Danzig aus besuchte. Das gelehrte paar genoss damals die gastfreundschaft Flottwells, der mit seiner mutter und seinen Schwestern einen gemeinschaftlichen haus- hält hatte.

In Königsberg wurden Gottsched und seiner gattin so viele ehren- bezeugungen und beweise der freundschaft von seinen landsleuten zu teil, dass die erinnerung an diesen besuch bei beiden stets mit dem gefühl der dankbarkeit gepaart blieb. Am 10. august 1744 schreibt Gottsched unter dem unmittelbaren eindruck der Königsberger tage aus Danzig an Flottwell: „Ob ich übrigens gleich Preussen verlassen habe, so habe ich doch eine erneuerte und verstärkte Liebe gegen mein Va- terland, und eine wahre Hochachtung gegen den guten Theil meiner werthesten Landsleute mitgenommen. Diese werde ich bis in mein Grab zu erhalten wissen, und bey aller Gelegenheit mündlich und schriftlich blicken lassen". (K. V. C. I.)

Andrerseits hielten die Königsberger freunde noch an ihm fest, als sein ansehen in Deutschland bereits völlig gebrochen und sein name den meisten ein gegenständ des hohnes und der Verachtung ge- worden war. Noch am 20. april 1756 versichert Flottwell den Leip- ziger freund seiner unwandelbaren treue: „Die jungen herrn hüpfen

1) Man vergleiche aus seinen gedichten z. b. die 1728 seinem vater zum 60. gebui-tstage übersante ekloge (abgedruckt in der Grit, dichttimst^ s. 407), in welcher der durch ein „seltnes Schicksal" in „Sachsens Paradies, das fette Meissnerland " gebrachte fi'emde hirt Prutenio in folgenden „strengen Seufzern" sich ergeht: 0 dass mich doch kein Wind nur einen halben Tag Zu dieser Hiilen Zahl in Preussen führen mag! Wie munter würde da mein treues Herze springen! Wie würde mir die Lust durch Mark und Adern dringen! Wie eifrig wollt' ich da durch alle Hütten gehn Und mündlich überall die Gunst und Huld erhöhn, Die mir vor hunderten, die meines Gleichen waren, In Proben mancher Art, zehn Jahre wiederfahi'en. 0. E.

BRIEF GOTTSrHEDS AN FLOTTWELL 205

zwar um uns ältere herum, wie die Spechte. Sie verfolgen uns mit Neid, mit Spott, mit neuen Gedanken; und Gott weiss, dass so wie aus der Jurisprudenz in Preussen, so besonders nunmehr aus der gan- zen Philosophie eine wächserne Nase gemacht wird . . . Wer nun weder Zeit, noch Jahre, noch lust hat, diese Tändeleien zu erforschen, der heist ein Ignorant. Und dennoch bleibts daboy: Dieses ist die beste Welt. Bleiben Sie nur mein alter Gönner und Vertheidiger, so soll mir diese obgleich unter Arbeiten u. Ketten saure Welt allezeit die beste bleiben". (Gottschedsche briefsamlung in Leipzig bd. XXI. Ich bezeichne sie fortan mit L.) Auch in der deutschen geselschaft blieb Gottscheds einfluss im ganzen bestehen, so lange Flottwell ihr als direk- ter vorstand (bis zum Januar 1758). Yergebens hatten sich einige mit- glieder bemüht, einen neuen geist einzuführen.

Um eine probe der zwischen Gottsched und Flottwell geführten correspoudenz zu geben, teile ich das lezte jener 17 auf dem archiv der hiesigen deutschen geselschaft erhaltenen schreiben Gottscheds mit. Es ist vom 19. juli 1752 und eignet sich besonders zur Veröffentlichung, weil es einen in sich geschlossenen Inhalt bietet. Es betrift nämlich die bekante dichterkrönung des baron von Schönäich, dessen im jähre 1751 erschienenes plattes epos „Hermann, oder das befreyte Deutsch- land" von Gottsched ausersehen war, den Messias Klopstocks zu ver- drängen. Der brief, am tage nach der feier verfasst, ist ein unmittel- barer gefühlserguss des krampfhaft nach einer stütze suchenden diktators und darum von eigenartiger Wirkung. Er ergänzt mehrfach die dar- stellung des aktes im „Neuesten aus der anmuthigen Gelehrsamkeit" IL bd. (1752) s. 627 630.

Hochedelgebohrner und Hochgel. insonders hochzuehr. HE. Professor sehr werther Herr Gevatter ^ Nun muss ich E. H. eine entsetzliche, merkwürdige, erstaunliche und so lange Leipzig eine Universität ist, d. i. 343 Jahre her, uner- hörte Neuigkeit berichten, die sich kein Mensch noch vor drey Wochen, oder 14 Tagen so arg träumen lassen, und die ich dennoch zum Yer- gnügen der Stadt und aller Wohlgesinneten glücklich ausgeführet habe. Was meynen Sie wohl? Ich habe was gethan, das noch keiner vor mir in Leipzig gethan hat: und Salomon mag sagen was er will, so ist doch gestern was Neues unter der Sonnen geschehen. Kurz und rund, ich habe einen Poeten gekrönet und zwar öffentlich, prächtig, mit vielen Solennitäten, und Anstalten, ja cum paucis et Trompetis, dass die ganze Stadt dabey rege geworden ist. Und nun rathen Sie

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einmal, wen? Ich weis nicht, werden Sie sagen. Aber Sie kennen ihn, und er geht ihnen so nahe an, dass Sie mir dafür danken müs- sen. Ich? Ja freylich Sie, nebst der ganzen kön. D. Gesellschaft: Denn es es {sie!) ihr Mitglied, ihr Ehrenglied, ihre Zierde und Krone, der HE. Baron von Schönäich!'^

Da haben Sie nun die kurze Geschichte: mehr werden Sie aus meiner Einladungsschrift, Rede, und den Gedichten vernehmen, die nun zusammengedrucket, und mit einer kleinen Erzählung begleitet werden sollen^. Nur eins müssen Sie noch wissen. Es war gestern der hohe Geburtstag unsrer Königi. Clmr-Prinzessinn, einer grossen Beschützerion der Musen, ja der zehnten Muse selbst ''^. An diesem Tage nun, kam alles was von unsrer Generalität, von Hof und Kam- merräthen u. s. w. galant seyn wollte, ins philosoph. Auditor: und die Menge der Zuhöhrcr von allen Facultäten, sonderl. der Studenten war so gross, als hie noch nie, weder bey Magister Promotionen, noch bey der Buchdrucker Jubelrede 1740. so gross gewesen. Ein junger Baron Seckendorf, ein Neffe des Eeldmarschalls Grafen von Seckendorf, der ihn studiren lässt, und in meine Aufsicht gegeben, vertrat des abwesen- den Dichters Stelle, und las nicht nur seine Danksagungsode ab, son- dern sagte auch auswendig einen Glückwunsch an denselben auf der obern Catheder, mit guter Parrhesie her*^. Kurz mein ganzer Actus, ist, ringentibus licet collegis quibusdam paucioribus, et multa mala ex parte Studiosorum minantibus, mit der grössten Stille, Aufmerksamkeit und Ordnung vorgegangen*^; so dass sie nunmehr alle beschämt sind, und sich ärgern. Sonderl. war mir der itzige Rector Prof. Christ, Prof. Poes, zuwider^; hauptsächl. weil er in der Facultät. da ich es als Decanus vortrug, nicht zugegen war, und ob er gl. Prof. Poes, ist, um die Krönung eines Dichters nicht eher was gewusst, als bis ich schon die Anstalten dazu machete. Hier half nun sein Einwenden nichts: ich hatte die Pluralität, ja, ausser iluu, die Einhälligkeit, und liess mich nichts irren, obgleich noch Sonntags vorher, der Senior Facultatis durch ihn auch furchtsam ward, und mirs rieth die Sache 8. Tage zu verschieben, bis man aus Dresden vom Ober Consist. Ant- wort einholen könnte. Allein ich gab nicht nach, weil ich es für lächerlich hielt anzufragen, ob wir etwas thun dörften, wozu uns der König selbst als Vicarius Imperii, 1741. die Kaiserl. Vollmacht gege- ben hatte ''^. Die AVahrheit zu sagen: so war dieses von uns, auf mei- nen Antrag, als ich auch Decanus war, gesuchet worden'^ und nun habe ich auch in der Krönung selbst die Jungferschaft dieses Rechtes davon getragen.

BIUKF GOTTSCirEDS AN KI.dTTWELT, 207

Da nun diese f^-anze Sache der Von. 1). Ges. /n Kön. liaupts. mit zu Ehren gereicht; da der Baron iiir Khrc machet, und noch ferner machen wird, da er sie so scIk'Ui beschenlcet hat^": so wäre es wohl nicht unrecht, wenn man ihm einen (üiickw. im Namen dei- Kön. (ies(>llschaft iibei'schiekte. den icli mit /u (h'i' Samndung köimte (h-ucken hissen. Dieses ist die Haupt Absicht meines Briefes, den K. II. geneigt zur Kiiülhing zu hringen bedaclit se\ n werch'ii: und zwar je elu.M-, je lieber, demi die kleine Sammhing muss hier innerhalb 1 Wochen fer- tig sevn". Man kann unmaassgeblich darinn darauf dringen, dass Lorberki'än/e sonst von Kaisern mit eigener Hand gegeben woi'den, und im griissten Ansehn g(>stan(len. Nachmals hätten die Comites I?a- latiiii sie zwar durch den 3Iisbrauch vei'ächtlich gemachet*. Daher die Fürsten sie ganzen Corporibus zu verwalten aufgetragen hätten: wie denn die Phil. Fac zu Wittenb. unter unseres sei. Krmiges Vicariate es erhalten, in (idttingen aber die ganze Universität es erhalten, und selbst vor 2 Jahren in Gegen Avart des Königes ausgcübet. Aber mit solcher Anstalt und Herrlichkeit als wir es gemachet, pro diguitate et antiquitate Academiae nostrae, ist es noch nirgends geschehen i*. Ma- chen Sie doch dem würdigen HEn Präsidenten i'' ihrer Gesellsch. und allen Mitgliedern meine Empfehlung. Versichern Sie HEn. D. Hart- mannen meiner Ergebenheit, mit dem Vermelden, dass ich noch nichts gewisses von der Verkaufung des Cabinettes sagen kann, aber noch immer Hoffnung bekomme, es anzubringen i''. Man imiss der grossen Herrn ihre gute Stunde erAvarten: denn bisAveilen ist es ein blosser Eigensinn, wenn sie was thun. das gut und klug ist.

An die wertheste Fr. Gevatterinn, und mein liebes Pathchen bitte ich mich ergebenst zu empfehlen i'. Die wertheste Mama, und Frau Schwester, nebst dem HEn Bruder finden hier auch von mir und mei- ner Lieben, die das kalte Fieber gestern zum dritten male gehabt, die Versicherungen, von unsrer Hochschätzung ^*: ein gleiches ergebt, an das vornehme Sahmische ^■' und Lestockische Haus-*^'. Auf mein neu- liches ])itte ich mir auch Antwort aus'-i. Alle Ihre Mitglieder seuf- zen nach Antworten, und dem Drucke Ihrer Schriften. "Wie? AVenn die Gesellschaft vierteljidnig kleine Sammlungen von 0. Bogen her- ausgäbe. So käme jährlich ein Bändchen vom Alphabethe auf unsre Messe --.

*) Dalier hätte ick beynali gestern, (wii' IIE. D.Qu.'- bey der Introductioii des n. Lysius Seu. im Lübeiii(^ht) '•' das Lied siiigeu lassen: O Herre Gott Dein güttl. Wort ist lang usw.

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Ich bin, und beharre aufrichtigst

E. Hochedelgeb. Meines hochgeschätzten Herrn Gevatters Leipz. d. 19 Jul. treuergeb. Diener

1752. Gottsched.

NB. Die gestr. Solennität kostet über 30 Thl. und kostet dem Bar. keinen Pfennig. Die Facult. thut es theils gratis, theils trage icli, theils Breitkopf^^.

P. S. Machen Sie doch an den würdigen Übersetzer meiner Rede von Wien einen ergeh. Empfehl. Ich verdiene die Ehre nicht, die er mir gethan; ich habe aber die Zeit noch nicht gehabt sie ein wenig zu übersehen. Ehestens antworte ich ihm selbst mich zu bedanken ^'t.

Aumerkung'eu.

1) Gottsched war pate der tochter Flottwells, Johanna Cölestiue, die ihm, nachdem er sich im jähre 1746 mit jiTiigfer Maria Lovisa Lübekin vermählt hatte, 1749 geboren war. In einem briefe vom 25. sept. 1749 teilt er Gottsched dieses ereignis mit und fügt folgende werte hinzH: „2 Tage darauf [nach der geburt] nahm ich mir die freyheit in das Taufbuch nebst rmseren HErrn Ober Marschall [d. i. Johann Ernst von Wallenrodt, geh. etats- und triegsminister und obermarschall, von 1743 bis 1766 protektor der deutschen geselschaft] und Oberhofprediger [d. i. D. Jo- hann Jacob Qvandt, 1743 1772 präsident desselben Vereins, s. unten anm. 12] als zweenen gegenwärtigen Johannes, den dritten in der Person E. M. aufzeichnen zu laßen, und meine Tochter wurde Johamia Cölestina getaufet". (L. XIV. bd.)

2) Schönäich war auf anregung Gottscheds am 13. april 1751 zum ehrenmit- gliede der geselschaft ernant worden. Von seiner hand finden sich auf dem archiv derselben vier an Flottwell gerichtete briefe aus den jähren 1751 und 1752 (K. V. C. I) sowie eine dichtung „Friederich Wilhelm", welche in Königsberg zimi druck befördert werden solle. Schönäich feiert darin den haushälterischen und tätigen könig Friedrich AVilhelm I. und stell diesem den ersten preussischen könig gegenüber, des- sen Verschwendung und eitelkeit er in der weise der Memoires de Brandenbourg scharf tadelt. Flottwell konte für dies poetische machwerk in Königsberg nicht ceu- sui" erhalten und schickte es an die Berliner akademie der Wissenschaften. AUein Mons. Pelloutier (der bibliothekar der akademie) antwortete mir: er glaubte, die Ge- sellschaft wolle die Acad. in Versuchung führen, daß sie auf den Grosvater ihres Stifters gesalzene Asche streuen wolle: die Memoires wären du main de Maitre und Keiner würde an eine Censur denken wenn das nicht wäre". (Brief Flottwells an Gottsch. 26. dec. 1752. L. XVII. bd.)

3) Noch im jähre 1752 erschien bei B. Chr. Breitkopf in Leipzig „Der Lor- berkranz, welclien der Hoch- und Wohlgebohrne Herr, Herr Christoph Otto, des H. E. R. Freyherr von Schönäich, von E. lubl. philosophischen Facultät zu Leipzig feyerlichst erhalten hat". 4" (von J. J. Schwabe). Der Inhalt dieser samlung ist folgender: 1. Die lateinische cinladungsschrift Gottscheds, des damaligen decans der philosophischen fakiütät, vom 16. juli nebst der deutschen Übersetzung. Gottsched gibt mit aufwand grosser gelehrsamkeit eine geschichte der dichterkrönungen und teilt das

BRIKF GOTTSCHEDS AN FLOTTWELL 209

diplom mit, durch welches köuig und kurfiust Friedrich August als reichsvicar am 28. december 1741 „dem iihilosophischeii Orden zu Leipzig" die volmacht erteilt „geschickte und in der Poesie vortreffliche Personen . . durcli Aufsetzung des Lor- berki-anzes und Uebergebung des Ringes zu gekrönten Dichtern zu machen und zu erklären" (s. 41). Elf jähre habe das recht geruht; da sei der freiherr von Schönäich wegen seines heldcngedichts Ilermann, das Gottsched Tassos befreitem Jerusalem und Voltaires Heiiriade an die seite stelt, von der fakultüt des lorbeers für würdig befun- den worden. 2. Die von Gottsched bei der feier am 18. jiüi gehaltene rede, latei- nisch und deutsch. Hierin sucht Gottsched die behauptung zu erweisen, „daß unsere Muttersprache mit Recht unter die gelehi-ten Sprachen zu zählen, und wo nicht für gelehrter, doch gewiss für eben so gelehrt zu achten sey, als die griechische zu Alexanders, und die römische zu Kaisers Augusts Zeiten gewesen" (s. 68). Zum schluss ruft er den baron v. Schönäich feierlich „zu einem kaiserlich gekrönten Poe- ten" aus. 3. Vier auf die feier bezügliche gedichte, deren erstes die „Dauksagungs- Ode des neugekrönten Dichters" ist, ein herzlich schwaches poem.

Im Neuesten aus der anmutigen gelehrsamkeit 1753 s. 46 57 erschien eine inhaltsangabe jener festsamlung und s. 57 50 zu ehren des gekrönten barons eine lateinische ode von D. Erdm. Kupitz. Im 2. bände derselben Zeitschrift (1752) findet sich s. 627 30 der bericht „Zuverläßige Nachricht von der den 18ten des Heumo- uaths geschehenen ersten poetischen Krönung in Leipzig". Schönäich (f 1807) erlebte es noch, dass das fünfzigjälmge andenken dieser ki'önung im jähre 1802 zu Leipzig feierlich erneuert wurde (K. H. Jördens Lexikon deutscher dichter und prosaisten, 4. bd. s. 607 8 anm.).

4) Das lob, welches Gottsched hier imd an anderen stellen dieser fürstin spen- det, war keine servile Schmeichelei. Maria Antonia "Walpurgis, eine tochter des kai- sers Karl VII., geb. am 18. juH 1724 in München, seit dem jähre 1747 mit dem edlen sächsischen kurprinzen Friedrich Christian vermählt, war eine ausserordentliche, von den Zeitgenossen viel bewunderte fimi. An ihr fanden künste und Wissenschaf- ten eine eifrige gönnerin, ja sie trat auf dem gebiete der musik und dichtkunst mit eigenen erzeugnissen hervor, so dass die arkadische schäfergeselschaft zu Rom sie unter ihre mitglieder aufnahm. Daneben zeigte sie für Staatsgeschäfte Verständ- nis und geschick und hat in der politischen geschichte Sachsens eine nicht unbe- deutende rolle gespielt. Gottsched ha,t sich um die gunst der kiu-prmzessiu und ihres gemahls durch überreichmig von büchern und gedichten unausgesezt bemüht und sah diese bemühungen von erfolg gekrönt. Vgl. Danzel, Gottsched und seine zeit s. 314 fgg.

5) Das glückwmischgedicht des barons von Seckendorf (in der festschriftensam- lung „Der lorberkranz" s. 98 101) feiert zum schluss nach Gottscheds anweisung die kurpriuzessin :

„Doch, welch ein lichter Glanz umgiebt mich auf einmal?

Mich dünkt, Minerva selbst erhellet diesen Saal!

Es ist was göttliches, und streuet Licht und Schimmer:

Antonia erscheint, der Preis von Frauenzimmer!" usw. Der grund, weshalb der dichter des Hermann nicht persönlich in Leipzig anwesend war um die ihm zugedachten ehren entgegenzunehmen, lag an der eigen- tümlich kläglichen Stellung, die ihm von seinen eigensüchtigen und launenhaften eitern zugewiesen wui'de. Er wurde wie ein unmündiger knabe behandelt und in a!len seinen schritten überwacht, so dass er an eine reise nach Leipzig nicht zu den-

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Ich bin, und beharre aufrichtigst

E. Hochedelgeb. Meines hochgeschätzten Herrn Gevatters Leipz. d. 19 Jul. treuergeb. Diener

1752. NB. Die gestr.

Gottsched. Solennität kostet über 30 Thl. und kostet dem Die Facult. thut es theils gratis, theils trage ich,

Bar. keinen Pfennig, theils Breitkopf '^3.

P. S. Machen Sie doch an den würdigen Übersetzer meiner Rede von Wien einen ergeb. Empfehl. Ich verdiene die Ehre nicht, die er mir gethan; ich habe aber die Zeit noch nicht gehabt sie ein wenig zu übersehen. Ehestens antworte ich ihm selbst mich zu bedanken 2^.

Anmerkungen.

1) Gottsched war pate der tocMer Flottwells, Johanna Cölestine, die ihm, nachdem er sich im jähre 1746 mit jiTngfer Maria Lovisa Lübekin vermählt hatte, 1749 geboren war. In einem briefe vom 25. sept. 1749 teilt er Gottsched dieses ereignis mit und fügt folgende werte hinzn: „2 Tage darauf [nach der geburt] nahm ich mir die freyheit in das Taufbuch nebst ujiseren HErrn Ober Marschall [d. i. Johann Ernst von Wallenrodt, geh. etats- und triegsminister und obermarschall , von 1743 bis 1766 protektor der deutschen geselschaft] und Oberhofprediger [d. i. D. Jo- hann Jacob Qvandt, 1743 1772 präsident desselben Vereins, s. unten anm. 12] als zweenen gegenwärtigen Johannes, den dritten in der Person E. M. aufzeichnen zu laßen, und meine Tochter wurde Johamia Cölestina getaufet". (L. XIV. bd.)

2) Schönäich war auf anregung Gottscheds am 13. april 1751 zum ehrenmit- gliede der geselschaft ernant worden. Von seiner hand finden sich auf dem archiv derselben vier an FlottweU gerichtete briefe aus den jähren 1751 und 1752 (K. V. 0. I) sowie eine dichtung Friederich Wilhelm ", welche in Königsberg zum druck befördert werden solte. Schönäich feiert darin den haushälterischen und tätigen könig Friedrich Wilhelm I. und stelt diesem den ersten preussischen könig gegenüber, des- sen Verschwendung iind eitelkeit er in der weise der Memoires de Brandenbom-g schai'f tadelt. FlottweU konte für dies poetische machwerk in Königsberg nicht cen- snr erhalten und schickte es an die Berliner akademie der Wissenschaften. AUein Mens. Pellüutier (der bibliothekar der akademie) antwortete mir: er glaubte, die Ge- sellschaft wolte die Acad. in Versuchung führen, daß sie auf den Grosvater ihres Stifters gesalzene Asche streuen wolte: die Memoires wären du main de Maitre und Keiner würde an eine Censur denken wenn das nicht wäre". (Brief Flottwells an Gottsch. 26. dec. 1752. L. XVII. bd.)

3) Noch im jähre 1752 erschien bei B. Chr. Breitkopf in Leipzig „Der Lor- berkranz, welchen der Hoch- und "Wohlgebohrne Herr, Herr Christoph Otto, des H. R. R. Freyherr von Schönäich, von E. löbl. philosophischen Facultät zu Leipzig feyerlichst erhalten hat". 4" (von J. J. Schwabe). Der Inhalt dieser samlung ist folgender: 1. Die lateinische einladungsschrift Gottscheds, des damaligen decans der philosophischen fakultät, vom 16. juli nebst der deutschen Übersetzung. Gottsched gibt mit aufwand grosser gelehrsamkeit eine geschichte der diehterkrönungen und teilt das

BRIEF GOTTSCHEDS A^ FLOTTWELL

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diplom mit, durch welches köüig und kurfiü'st Friedrich August als reichsvicar am 28. december 1741 „dem philosophischen Orden zu Leipzig" die volmacht erteilt „geschickte und in der Poesie vortreffliche Personen . . durch Aufsetzung des Lor- berkranzes und Uebergebung des Ringes zu gekrönten Dichtern zu machen und zu erklären" (s. 41). Elf jähre habe das recht gerulit; da sei der freiherr von Schönäicli wegen seines heldengedichts Hermann, das Gottsched Tassos befreitem Jerusalem und Voltaires Henriade an die Seite stelt, von der fakultät des lorbeers für würdig befun- den worden. 2. Die von Gottsched bei der feier am 18. juli gehaltene rede, latei- nisch und deutsch. Hierin sucht Gottsched die behauptung zu erweisen, „daß imsere Muttersprache mit Recht imter die gelekrten Sprachen zu zählen, und wo nicht für gelehrter, doch gewiss für eben so gelehrt zu achten sey, als die griechische zu Alexanders, und die römische zu Kaisers AugTists Zeiten gewesen" (s. 68). Zum schluss ruft er den baron v. Schönäich feierlich „zu einem kaiserlicb gekrönten Poe- ten" aus. 3. Vier auf die feier bezügliche gedichte, deren erstes die „Dauksagungs- Ode des neugekrönteu Dichters" ist, ein herzlich schwaches poem.

Im Neuesten aus der anmutigen gelehrsamkeit 1753 s. 46 57 erschien eine inbaltsangabe jener festsamlung und s. 57 59 zu ehren des gekrönten bai'ons eine lateinische ode von D. Erdm. Kupitz. Im 2. bände derselben Zeitschrift (1752) findet sich s. 627 30 der bericht Zuverläßige Nachricht von der den 18ten des Heumo- naths geschehenen ersten poetischen Krönung in Leipzig". Schöniiich (f 1807) erlebte es noch, dass das fünfzigjährige andenken dieser krönuug im jähre 1802 zu Leipzig feierlich erneuert wurde (K. H. Jördens Lexikon deutscher dichter und prosaisten, 4. bd. s. 607 8 anm.).

4) Das lob, welches Gottsched hier mid an anderen stellen dieser fürstin spen- det, war keine sei"\'Lle scbmeichelei. Maria Antonia "Walpurgis, eine tochter des kai- sers Karl VII., geb. am 18. juli 1724 in München, seit dem jähre 1747 mit dem edlen sächsischen kurprinzen Friedrich Christian vermählt, war eine ausserordentlicbe, von den Zeitgenossen viel bewundeiie fi'au. An ihr fanden künste und Wissenschaf- ten eine eifrige göunerin, ja sie trat auf dem gebiete der musik und dichtkunst mit eigenen erzeugiiissen hervor, so dass die arkadische schäfergeselschaft zu Rom sie unter ihre mitglieder aufnahm. Daneben zeigte sie für Staatsgeschäfte Verständ- nis und geschick und hat in der politischen geschichte Sachsens eine nicht imbe- deutende roUe gespielt. Gottsched ha,t sich um die gunst der kiu'prinzessin und ihres gemahls durch Überreichimg von büchern und gedichten miausgesezt bemüht und sah diese bemüh ungen von erfolg gekrönt. Vgl. Danzel, Gottsched und seine zeit s. 314 fgg.

5) Das glückwmischgedicht des barons von Seckendorf (in der festschiiftensam- lung „Der lorberkranz" s. 98 101) feieii zum schluss nach Gottscheds anweisung die kurpriuzessin:

„Doch, welch ein lichter Glanz umgiebt mich auf einmal?

Mich dünkt, Minerva selbst erhellet diesen Saal!

Es ist was göttliches, und streuet Licht und Schimmer:

Antoiüa erscheint, der Preis von Fi"auenzimmer ! " usw. Der grund, weshalb der dichter des Hermaim nicht persönlich in Leipzig anwesend war um die ihm zugedachten ehi'en entgegenzunehmen, lag an der eigen- tümlich kläglichen Stellung, die ihm von seinen eigensüchtigen und launenhaften eitern zugewiesen wui'de. Er wurde wie ein uimiündiger knabe behandelt und in allen seineu schritten überwacht , so dass er an eine reise nach Leipzig nicht zu den-

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ken wagte. In seinen briofen an Gottsched gibt er bisweilen seinem Unwillen über die luiwürdige behandlung bitteren ausdruck. Vgl. Danzcl a. a. o. s. 377. 378. 379. 381.

6) Li dem dem Neuesten aus der anmuthigen gelehrsamkeit 1752 eingefügten festberichte heisst es auf s. 630: „Die ganze feyerliche Ceremonie ist mit der schön- sten Ordnung, bey ungemeiner Stille und Aufmerksamkeit einer unzählbaren Menge von Zuhörern, darunter einige vor großer Hitze fast in Ohnmacht gesunken, voll- zogen worden, und hat beynahe zwo Stunden gewähret".

7) Johann Friedrich Christ (1700 1756), besonders bekant durch seine lei- stungen auf dem gebiete der archäologie, bekleidete seit 1739 die ordentliche profes- sur der dichtkunst an der Leipziger Universität.

8) Vergleiche anm. 3.

9) Davon steht in den für die öffentlichkeit berechneten berichten nichts.

10) Da nach den gesetzen der Königsberger deutschen geselschaft die Membra honoraria verpflichtet waren, „ein schönes zui' deutschen Sprache gehöriges Buch zur Geselschafts Bibliothec einzuliefern", so hatte Schönäich Chr. G. Jöchers Allgemeines gelehrten -lexikon (4 bände in 4". Leipzig 1750 51) eingesant. Dies „prächtige Geschenk" wurde am 22. april 1752 der geselschaft von ihrem direkter übergeben (protokoU). Noch heute steht das schöiie, in braunes leder gebundene exemplar in der geselschafts - bibliothek.

11) Dieser aufforderung wurde sofort entsprochen. Schon am 7. august mel- det Flottwell: „Ich eyle gehorsam zu seyn und die freude der Gesellsch. in beylie- gendcm gedieht zu bezeugen". (L. bd. XVII.) Der „Glückwunsch der königl. deut- scheu Gesellschaft zu Königsberg an den Freyherrn von Schönäich als ihr werthestes Ehrenglied" ist der samlung „Der Lorberki-anz " iisw. eingefügt (s. 102 104) und findet sich wider in „Der Kömglichen deutschen Gesellschaft in Königsberg Eigene Schriften". Erste samlung. Königsberg 1754. S. 368 71. Der titel des gedichts stamt von Gottsched. Das gedieht erhebt sich in nichts über den durchschnitt der poetischen macliwerke, welche aus dem kreise der Gottschedianer hervorgiengen. Hier mögen die lezten, in eine ahnungsvolle hofnung ausklingenden verse stehen:

„Die Muse feure dich, gekrönter Dichter, an.

Schwing dich noch hoher auf, so hoch, als Marc kann. Dein seltnes Beyspiel wird noch manchen Geist entzünden. Und Leipzigs weise Hand mehr Lorberzweige winden. Sagt, späte Zeiten! ihm dafür den ächten Dank! Sein blühender Parnaß erhöh der Dichter Rang. Der edelste Geschmack wird ferner sich verbreiten. Wer weis, was bald geschieht? = = = Auf, schafft uns

neue Seyten!" Der Verfasser war der senior der geselschaft, M. Johann Gotthelf Lindner, spä- ter rektor in Eiga. Er kehrte im jähre 1765 als professor der dichtkmist nach Königs- berg zurück und eröfnete am 25. Januar 1766 die seit 1758 infolge der russischen occupation aufgehobene geselschaft als deren direktor wider. (Protokoll der ges.)

12) Gemeint ist D. Johann Jacob Qvandt, preussischer oberhofprediger und erster professor der theologie zu Königsberg, geb. 1686, f 1772. Er war Prä- sident der deutschen geselschaft und mit Gottsched schon von dessen Königsberger zeit her bekant und befreundet. Er wurde von seinen Zeitgenossen als kanzelredner viel bewundert, besonders, weil er sich bemülite, in einem reinen und fliessenden

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deutsch zu predigen. Friedrich IT. erklärte ihn noch 1781 für den einzigen redner Deutsehlands. Vgl. L. E. Borowski, Biographische nachrichten von dem denk- würdigen preussischcu thcologen D. Johann Jacob Qvandt usw. Königsberg 1794. G. Krause, Friedrich d. Gr. und die deutsche poesio s. 96.

1.3) In der ersten hälfte des vorigen Jahrhunderts lebten in Königsberg zwei thcologen namens Lysius, vater und söhn. Der ältere, D. Heinrich L. (1670 1731), wurde im Jahre 1721 theologus primarius an der Albertina und erhielt zugleich das pfai-ramt der Löbenichtschen kirche; vgl. D. IT. Arnoidts Historie der Königsbergischen Universität. IL teil. (Künigsb. i. Dr. 1746) s. 168. Über des Lysius theologische Streitigkeiten s. Arnoidts Kirchengcschichte des köuigreichs Preussen (Königsberg 1769) VIII. buch. 13. kapitel. Wenn Flottwell am 7. august 1752 nach Leipzig schreibt: (D. Qvandt) „hat ihr Gedächtniß recht bewundert, daß Sie noch an Lysii Einführmig gedenken" (L. bd. XVII), so wird man das in-stauneu des oberhofpredi- gers über Gottscheds gutes gedächtnis gerechtfertigt finden.

14) Diesen anweisungen Gottscheds in bezug auf den Inhalt des glückwunsch- gedichtes haben die Königsberger nicht entsprochen. Das von M. Liudner verfasste gedieht ergellt sich in mehr algemeinen redewendungen zum preise Schönäichs und seines Aristarchs. In jenem bereits angeführten schreiben Flottwells vom 7. august 17,52 (L. XVII. bd.) heisst es: „hätten wir mehr Zeit gehabt, so hätten wir eine kleine historie der Preuß. gekrönten Dichter hinzugefügt; doch dieses bleibt auf eine andre Zeit ausgesetzt". In der 1754 herausgegebenen ersten Samlung eigener Schrif- ten hat die geselschaft dies versprechen eingelöst; hier findet sich s. 372 402 ein stück „Kurzgefaßte Nachricht von den gekrönten Poeten in Preußen".

15) D. Qvandt.

16) D. Melchior Philipp Hartmann, professor primarius der medicin an der Kömgsberger Universität, geb. 1685, -f-1765, war hausarzt der alten mutter Gottscheds und der Flottwellschen familie. Er war im besitz kostbarer samlungen „von Müntzen, Naturalien, Börnstein und andern curiosis in Auatomicis und Botanicis", die zum teil noch von seinem vater, dem 1707 verstorbeneu professor der medicin Philipp Jacob H. stamten. Pekuniäre Verhältnisse hatten M. Ph. Hartmann genötigt, so schwer es ihm ankam, an den verkauf der ausserordenthcli wertvollen und mit grossen kosten und mühen zusammengebrachten samlungen zu denken, und er hatte sich, da Gott- sched so viele vornehme bekantschaften besass, an diesen mit der bitte gewant, den verkauf zu vermitteln. Diese angelegenheit durchzieht seit dem jahi"e 1745 immer wider die briefe Flottwells an Gottsched, bisweilen stelt sich auch Hartmann selbst mit einem schreiben ein. Trotz aller bemühungen und ti'otzdem im Neuen büchersaal der schönen Wissenschaften u. freyen künste IX. bd. (1750) s. 362 368 eine „Nach- richt" von diesen samlungen erschien, gelang es Gottsched nicht, den wünsch des „preussischen Galens" zu erfüllen. Da verkaufte im jähre 1754 Hartmann selbst sein bernstein - kabinet für 800 taler nach England (br. Flottwells an Gottsched 25. juni 1754 L. XIX. bd.) und im folgenden jähre das münz -kabinet und die uaturaliensam- lung- nach Petersburg (br. Flottwells an Gottsched 25. nov. 1755 L. XX. bd.). In I). H. Arnoidts Fortgesezte zusätze zu seiner histoiie der Königsbergschen Universität usw. (Königsberg 1769) findet sich auf s. 13 bei der erwähnung der Hartmannschen samlungen bemerkt, dass die naturalien an die akademie in Moskau verkauft seien.

17) Vergleiche anm. 1.

18) Vgl. s. 204. Von den beiden Schwestern Flottwells w^ar die eine im anfange des Jahres 1749 gestorben, die andere hatte sich in eben demselben jähre mit dem

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„Köü. Eatli liofgerichts Secret. u. Botheumoister Saud" vermählt. Über die lebeos- stellung seines bruders, der Theodor hiess, habe ich nichts genaueres ermitteln kön- nen, obgleich er auch sonst in dem briefwechsel zwischen Gottsched und Flottwell erwähnt wird.

19) Reinhold Friedrich von Sahme (1682 1753) gehörte seit dem jähre 1751 dem neuerrichteten perpetuii'üchen tribunal- und pupillencoUegium an, nachdem er vorher erster professor der juristischen fakultät und direkter und kanzler der Univer- sität gewesen. Er hatte sich des Vertrauens von drei preussischen königen zu erfreuen gehabt und wichtige und verantwortungsvolle ämter bekleidet. Eine reihe juristischer Schriften ist von ihm verfasst worden. Sein haus und das des professor Hartmann hatte sich Gottsched und dessen gattin bei ihrem besuche in Königsberg im jähre 1744 besonders freundlich erwiesen. In beiden familien muss ein anregender, geistig gehobener ton geherscht haben. In beiden bildeten anmutsvolle, höheren geistigen bestrebungen zugängliche töchter die hauptzierde. Frau Gottsched hatte sich dersel- ben bei ihrer anweseuheit in Königsberg mit besonderer teilnähme angenommen, was ihr durch eine schwärmerische Verehrung vergolten wurde. Die vornehmen fräulein hatten eine art akademie gebildet und lagen aufs eifrigste der musik und der dicht- kunst ob. Flottwell hatte als ein berufener Apollo diese lieblichen museu geleitet, bis Hymens band den bund nach und "nach auflöste.

20) D. Johann Ludwig L'Estocq (1712 1779), krieges- und Stadtrat, profes- sor der rechte und ehrenmitglied der Königsberger deutschen geselschaft. Er war seit 1745 mit „Maria Eleonora Hintzin verwittibte Eeussnerin" vermählt, deren erster gatte Johann Friedrich Reussner der Inhaber der hof- und akademischen buchdruckerei gewesen. L'Estocq hatte sich das alte Reussnersche Privilegium übertragen lassen, aber schon 1750 die officin an den hofgerichtsrat Cabrit verkauft, vgl. (Meckelbui'gs) Geschichte der buchdruckereien in Königsberg (Königsberg 1840) s. 35. L'Estocqs frau war Gottsched zu grossem danke verpflichtet, da dieser nach dem tode ihres ersten mannes in einer seinem herzen ein höchst rühmliches zeugiiis ausstellenden weise bemüht gewesen war, mit hülfe Breitkopfs ihr die weiterführung und Verbes- serung der druckerei zu erleichtern. Ihre briefe an Gottsched bekunden eine gescheute, klar denkende frau. Der bekante ostpreussische patriot und schriftsteiler Johann George Scheffner, der als student eine zeit im hause L'Estocqs gelebt, rühmt ihr „eine für ihre Zeiten ganz ausgezeichnete Bildung" nach; vgl. Scheffner, Mein leben usw. (Leipzig 1823) s. 61.

21) Gottsched bezieht sich hier auf ein schreiben vom 3. mai 1752, auf wel- ches einzugehen mich zu weit führen würde.

22) Erst im jähre 1754 erschienen bei Johann Heinrich Härtung in Königsberg „Der Königlichen deutschen Gesellschaft in Königsberg Eigene Schiiften in ungebun- dener und gebundener Schreibart. Erste Sammlung.'' 8". Allerlei Schwierigkeiten, welche der Verleger bereitete, hatten den druck sehr verzögert. Die dem buche vorausgeschickte widmung an könig Friedrich IL hatte Gottsched auf bitten Qvandts und Flottwells verfasst. Der leztgenantc schrieb am 8. märz 1754: „Wegen der Dedic. werfen wir uns in Dero Ai'me; Sie kennen den hoff, und wir wollen mit ihi-em schönen Witz wuchern". (L. XIX. bd.) Gottsched wagt sich in dieser widmung mit einem leisen tadel gegen des königs litterarischen geschmack hervor: „Eure Köuig- liclio Majestät geruhen aUerguädigst, dieß alleruntertliänigste Opfer einer einheimischen Gesellschaft, mit eben so heitern Blicken anzusehen, als diejenigen sind, deren sich ausländische Musen zu erfreuen haben".

BRIEF GOTTSCHFDS AN FI.OTTWF.LL 213

2.'5) Schluss der scitii; zu crgiiiizoii ist uatih-lii'h : (lio Kostou. Das nocli fol- gende postscriptüin sti-Iif; am raiide derselben soito.

24) Ein mitglied der Xünigsberger doutsehen goselschaft, Christopli Heinrich von Sehröderß, liatto die lateinische rede Gottscheds „Singularia Vindobonensia" usw. übersezt. FldttNvcll liattc die arlieit nach Leipzig mit folgender iKiinerkung gesant: .,IIK. V. Selii-üderl) .. hat l»ey ÜeilÜgcr [^esung Dero Seiiriften sieh besonders in die trelliclu' i\'ede und Keisebeschi'eibung von AVien vorliebct. Kr liat sie, wie es scheinet, mit vich'ni (leill übersetzet, und er \v;ir feurig genug, si(^ sogieicji auf S('in(! K'ostiMi druckiMi zu lallen, wenn ei' niclit Norlier die Erlaubnis vom Vater des Kindes iiab(_'n müste und wenn er nieiit befürchtete, dali der unschuldigste Lol)Spi'uch auf Eramns- cum in Preufien verdächtig wäre". (Brief Flottwells v. 11. mal 1752. L. XVIl. bd.)

KÖNICISBERO I. l'i;. Ct. KRAUSK.

BEl?l('nT irP,Ei: DIE VERHANDLUNGEN DER DEUTSCH -ROMANISCHEN

SECTIUN DER. XXXXI. VERSAMLUNG DEUTSCHER PHILOLOGEN UND

SCHULMÄNNER IN MÜNCHEN.

Erste Sitzung.

1. Die deutscli- romanische sectiou constituierte sich doinierstag den 21. mai, vormittags; an (hm Sitzungen beteiligten sich im ganzen etwa 30 mitglieder.

Die zu gesonderter sectionssitzung nicht in erforderlicher anzalil erschienenen Ronuanisten lassen durch herrn prof. Freymoiid erklären, dass sie deu anschluss an die germanische sectiou dem an dii} neuspraclüiclic vorziehen. Es erfolgt die wähl der herren prof. dr. Brenner und i)rivatdücent dr. (iolther zum ersten, bz. zwei- ten vorstand und der herren dr. K. Borinski und ih'. R. Otto zu Schriftführern, von denen sich der lezte das romanische gebiet vorbehält. Auf den Vorschlag des herrn prof. Osthoff wird für den nachmittag eine genniünschaftliche Sitzung der sec- tiou mit der indogermanisclien angesczt und danach di(j reihenfolge der angemeldeten vortrage bestirnt.

2. Vortrag des herrn dr. B. Kahle „über den altnordischen vokalis- nuis auf grund der skaldeu reime'' (abschnitt aus einem demnächst erscheinen- den werke über die spräche der skalden auf grund der binnen- und endreime). Der vortragende orientiert über das material, ausgaben (Gislason, Wisen, Unger, Gering) und chronologische begrenzung (800 bis mitte des 14. jh.), erörtert die für den lautstand in frage konnnendcn Verhältnisse der skaldenmetrik gleiche vocale und conss. (adalhending) in den binnenreimen der geraden zeilen, gleiche conss. (skothcnding) in den binnenreimen der ungeraden und geht alsdann auf die erscheinungen des u- (r)- Umlauts ein. u (r) ist erhalten oder geschwundmi in der historischen zeit (bci- spiele mit geschwundenem n nom. n. pl. von «- stammen: haiid : ntiidtt jI'j('i{)olfr or Ilvini]; nom. sing. v. fem. ff -stamm: liall : (lUa)) [Sighvatr]; beispiele mit erhal- tenem n: dayr : fagnon [Sighvatr], alls : si/Jalhitj/ [Eiuarr Skulason]. Bei densel- ben dichtem formen mit umlaut im reim, wie nud/fri/ops : I/niid/fni [tjcSliolfr]).

Die frage nach dem umfang des auftreteus des unilauts beantwortet Paul (B<utr. VI) für das gesamtgebiet des nordischen und ei-klärt die ausnahmen durch analogie. Kock (Ark. IV = Beitr. XIV) unterscheidet zwei poriodmi. In der älteren bei geschwumdenem h überall eingetreten, wird er in den ostnord. sprachen stark durch analogie verdunkelt. In der jüngeren wird der umlaut durch ein noch daste-

214 BOEINSKI

hendes u bewirkt. Island und gewisse gegenden Norwegens erhalten den umlaut. Dagegen wendet sich "Wadstein (in „fornnorska homiliebokens Ijudlära"), indem er den älteren mnlaut gleichfals im gesamten gebiet des nordischen annimt. Anders ist die Sachlage bei erhaltenpm u. Bietet Dänemark ganz wenige umgelautete formen, so werden sie im ostnorwegischen zahkeicher, im westnorwegischen und isländischen ist der umlaut so gut wie ganz durchgeführt. Er weist auf die analogen umlauts- verhältnisse im ahd. bei *', j hin, wo in einzelnen dialekten gewisse consonanten hindernd einwirken, in anderen nicht. Die hindernden consonanten im altn. hierfür anzugeben, sei man nicht in der läge.

Der ansieht Wadsteins ist zuzustimmen. Hinsichtlich des materials sei es zweifelhaft, ob gewisse hss. rein norwegisch sind oder isländische eiuüüsse enthalten. Füi' die spätere zeit sind die im Diplomatarium norwegicum" befindlichen akten- stücke (testamente u. ä.) für die wirklich gesprochene spräche von Wichtigkeit. In den kanzleien hätte sich isländische tradition bilden können. Auffallend Verbindungen mit verschiedener behandlung des a {qllum : mannuni, dagegen aUum : mqnnuni). 7 aktenstücke haben nur <?, 13 nur a. Diese aktenstücke sind aus dem westlichen Norwegen.

Brenner im Altnord, handbuch meint, der unterschied sei als flexionsmittel bedingt. Wadstein schliesst sich dem -im wesentlichen an. Den tatsächlichen Ver- hältnissen entspricht das nicht ganz, wie das vorkommen von acc. plur. = nom. sg. beweist.

Lyngby (Tidskr. f. phil. II, 296 fg.) widerspricht, dass die ausspräche des a der Schrift gemäss angenommen werde; a sei graphische darsteUung für q. Ähnlich Bren- ner a.a.O. Wie man sich auch entscheiden mag, ob für altes oder analogisch wider- hergesteltes a, man muss annehmen, dass die reime auf a auch wirkliches a enthal- ten. Unreinheit der reime ist ausgeschlossen wegen fülle der beispiele auch bei form- strengen dichtem.

Unterschied zwischen altisl. und norw. skalden besteht nicht. Noch bei Einarr Skulason, mitte des 12. Jahrhunderts finden sich a- formen. Nach ihm schwinden die nicht umgelauteten formen gänzlich. Norwegische einflüsse sind ausgeschlossen, da grade damals die «-formen in Norwegen durchdringen und das plötzliche aufhören dieses einflusses nicht zu erklären wäre. In Island um 1000 entstandene verse der Kristni-saga bringen a für q bei erhaltenem ti.

Für den umlaut von ä finden sich nur wenige fälle-, (^'-umlaut unsicher s. Noreen Altn. gr. §71). Bei e ist es das verdienst Lefflers auf den unterschied von v- und M- umlaut hingewiesen zu haben. Sowol altes e als umlaut -e wird zu o. Gegen die frühere meinung, dass vi oder vj den umlaut bewirke, wies Leffler (aus isl. und norw. hss.) die gesonderte wirkmig erst des i- und dann des «j-umlauts nach, o ist überhaupt ein seltener laut, i'- umlaut auf e zeigt sich erst nach 1151 in den gedich- ten des Einarr Skulason. (sverps : gerpu [Eilifr GuJ)runarson] , gekk : stelckva [BJQrn h. krapphendi]). *, wurzclbeginnend vor ng und nk zeigt zuweilen umlaut, zuweilen nicht (>2/)- Sichere beispiele für «-formen vom 10. 14. jahrh. Daher ist * wider einzusetzen in den von Gislason {om helrim) gebrachten beispielen im röim auf tyggi.

Für brechung bringt Noreen (Gr. d. germ. phil. I, 446) beispiele aus west- norw. und isl. handschriften , io nicht iq (Wadstein aus der Orthographie des Norw. homilienbuches). Brate (Beitr. X) zeigt chronologisch, dass im 9. jh. die brechung noch nicht eingetreten sei. Zimmer (Ztschr. f. d. a.) belegt aus irischen Ulster -annalen 847 crcll, 892 ierll, 917 iarla. Die ältesten sicheren beispiele ende des 9. jahrhun-

rilILOLOGKNVEi;SAMI.UiNG 1891 215

derts lcikhh(])S : /'j"[>nir. okhjqrn : Mnrim |T'Ji'»l)oltV. |, woraus zuglcioli ofsatz des o durch o edielt. Eiulluss dor cous. (r, / Noreeu) auf hnicliung unsicliLT, da diese an und für sicli häufig' an diesen stellen sind.

in einem excurse am schluss glaubt der vortragende eine praetei'italform mit c nachweisen zu können (Iiclt : vcUan [I'orkell Slcallasim, lleimskringla 021, •_l2a]). An eine kürzung in i-cltan glaubt vortr. nicht.

in dor discussion bringt jirof. Fisclier an dem vorknmineii von dupiielfor- men bei denselben dichtem die analogen vcr]üiltniss(! im nihil, zur spräche. Dr. Alogk interpelliert hinsichtlich einer frühen Verkürzung bei rcttait.

Zweite Sitzung.

1. Am 21. niai nachmittag 3"., uhr hielt vor der Vereinigung der deutsch - romanischen und di'i- si)rachvergleichonden scction herr prof. dr. Osthoff einen ver- trag ^ülu'r eine bisher niclit erkaute praesensstaiubi Idung im in<loger- man i sehen '■ '.

Kr geht von den germanischen formen 'Kstai/ddH (got. as. aUnidaii , ahd. sfan- laii. aisl. sfanda, ags. Rtoiidan), ■/n'iidaii (got. as. /r/i/daii, ahd. loiidaii, aisl. cin- il(i)^ " sicinddii (ags. s/r/udnii, ahd. s^'/nfcoi) und '' sl/i/d((ii (got. fraslindau , ahd. ^liiil(iii) aus, die er in * sta-iid-an. * /n'-i/d-tn/ , '■' s/r>-i/d-ni/ und '' sli-i/d-(üi zerlogt und der reihe nach mit den wurzeln "sfä- in lat. .'<fa-rc. gr. i^-arij-r, "in- in lat. ri-crr. vi-iiicii, ahd. /r/-da „salix'\ gr. i-if-'i'., *.s/r7- in alid. siri-nan, n,p. siri-iiia, ■iilai- in gr. ).((i-i(6^ /.(tf^-Tfia verbindet. Bei sfandaii Aveist auf eino, solche Zer- legung noch das practeritum got. sto-p, altisl. sto-ä, ags. as. sind. nlul. (liei Tatian) sl/ni-f und das altisl. jiarticip sfa-dciui hin, wiihrcnd bei den ül)rigeu Wörtern die liraesensstamform auf die ausser})raesentischen verbalformen übertragen, bei sliiiduii und iriiidaii sogar als i'eine verbalwurzol angesehen und auch zu nominalen ueubil- dungcn wie ahd. mhd. sinnt, got. icandus, altisl. roiulr bcnuzt wird.

Zu diesen 4 bcispielen treten einige alileitungen von ;/- wurzeln, die aber in weniger durchsichtiger gostalt vorliegen. Germanische praesentien wie lat. niiiipo iinidi) piiiKjn mit ii -\- nasal -{- consouans und dem al>laut -uiix- -kux -kx (wo x einen l)cliebigcu gcräuschlaut bezeichnet) wurden nämlich entweder im anschluss an die verba der klasse '■'beiidü (got. biiida), mit denen sie im praeteritum und partici- liium gleichen ablaut hatten, durch formen juit -c/i- ersezt, für * rnii>b(j trat also '■■rcubö ein (altisl. 1 plur. rj/lfoiii}] oder es wurde, nachdem der nasal aus dem prae- sens in die ausserpraesentischen formen versclilept und die reihe *n(»/b- ''raKb- *n(b- durch 'ridiib- ■'')•(! iiib- ■'■rioiib- ersezt war, eben von diesen nasalierten neubildungen aus nach dem muster der klasse '"bind- 'iicotd- '*bund- i auch ins praesens eingeführt und *riujihö zu *rimhö umgestaltet. Gerade diese veralgemeinerung von i auf kosten von n zeigt sich im germ. Ja öfter bei praesensbildungen, die wie die sk-, die mv-, die nasalinfigierenden und die aorist ''- praesentien von hause aus tiefstufigkeit der Wurzel erforderten. So erklart sich. üh^l. trdan , ags. as. tredan als neubildung neben got. trudan, altisl. froda, ahd. (bei Otfr.) //rsjt/niit neben ags. ahd. spnrnan, got. dn-rj/jinan, ags. ä-^/nnan , ahd. as. Ij/'-ij/ in/an neben mnl. bcghomioi (idg. *kj,>w-, auch in abg. -cin-q <; -c/nirr)^ got. ags. ahd. icinnan neben vorauszusetzendem germ. *ivHnnan (*idg. n-ijiv-^ vgl. altind. vanufi), got. as. ahd. rinnaii neben mnl. rönnen (vgl. altind. rnöti rnrati, gr. onwia), ags. runc und got. runs sind dem- nach in einer zeit entstanden, wo das praeteritum ''ran lautete an stelle von älterem

1) Don boriclit über diesen Vortrag verdanken wir- liorni dr. L. Sütterlin.

216 BORINSKI

*ar und jüngerem rann , ahd. in-trinnan neben *trunnan, von der idg. wurzel der- in altind. drnäti dadära^ got. tairan iar, und endlicli got. priskan, ahd. dres- can neben einem zu erschliessenden , mit lat. tero verwanten germ. *ßrn-skan. In dieser weise werden nun auch zu nasalinfigiei'enden praesentien mit n neue formen mit i geschaffen. So trat ags. ivrin^an, ahd. ringan an die stelle eines älteren germ. *ioru-n-gö, dessen wurzel *wurg = idg. *tvrgh in ahd. tcurgen, mhd. tvürgen, abg. vrügq und dessen praeteritum und particip in mhd. erivarg ericorgen vorliegen. Wurzelhaftes, nicht aus r entwickeltes u wurde dagegen in got. stigqan „stossen" und in ags. ärintan „schwellen" ersezt, da stigqan zu altind. tiij- „schlagen" und S/rintan zu altisl. prutenu „geschwollen", got. prütsfill „aussatz", mhd. nhd. strotzen gehört.

Darnach lassen sich auch einige germ. praesentien auf -indü als Umgestaltun- gen älterer zu ?<- wurzeln gehörenden formen auf -undö auffassen, bei denen -nd- wie bei standan praesensbildung war. Das gilt von ags. äindan „schwellen" neben lat. tu-meo, gr. n'-Aof, germ. ''tmdan „zünden, brennen" (got. tundnan tandjan, ahd. Tiunten) neben gr. Saio} St-Sav-fxevog^ altind. dunoti und der an die stelle eines älteren *tunnan eingetretenen nn-h\[Amig mhd. binnen, endlich ags. hrindan, altisl. hrinda „stossen" neben gr. xqovo) xqoch'vü).

Die in diesen 7 germanischen beispielen vorhandene praesensbildung -nd- geht nach ausweis anderer idg. sprachen auf ursprachliches -nt- zurück. Zu den erwähnten germ. formen gesellen sich nämlich zunächst 3 aus den slavisch-litau- i sehen. Lit. j-u-nt-ü „durch das gehör gewahr werden" gehört, da es prothetisches j hat, zu gr. «/w, abg. u-mü, got. ga-umjan, lit. pu-nt-ü „schwellen" zu lett. pu-ns „aixswuchs am bäum", abg. kretq, das sich aus krq(t)nc{ti „drehen" erschliessen lässt, zu lat. cnrvtis, gr. xoqojvös xvQTÖg. Aus dem indoiranischen endlich sind altind. kr-nt-dti, av. kere-nt-aiti „schneidet" neben gr. y.eiQO)^ ahd. sceran sowie altind. kr-nät-ti „spint" zu erwähnen, mag dieses krnätti nun zu dem eben ange- führten abg. kr^ftjnqti oder zu lat. colits, gr. yXtoOo) zAoicrxoj zu stellen sein.

Die flexi on scheint auch bei unserer praesensklasse ursprünglich nicht ganz einheitlich gewesen zu sein. Denn altind. kr-ndt-ti weist auf athematische flexion und einen Wechsel idg. *stn-net-ini *stn-nt-mes hin, während altind. kr-nt-ä-ti, av. kere-nt-ai-ti und lit. ju-nt-ü eine thematische flexion mit -o- -e- voraussetzen. Mit den nasalinfigierenden praesentien müssen die «eif - praesentien in enger berüh- rung gestanden haben. Einerseits wurde das t der endung -net- wurzelhaft, indem man nach dem muster von fällen wie altind. vavarja neben vr-n-j- z. b. zu kr-nt- auch ca-karta schuf. So erklärt sich wol auch das p in got. stö-p (für *sto) neben sta-nd-an. Andererseits aber kam bei der sogenanten nasalinfigierenden klasse neben dem lautlich allein berechtigten und erst auch allein vorhandenen eingeschobenen nasal n eine stärkere „infixsilbe" ne auf: nach dem Verhältnis *ici-nt-mes zu tvi-net- mi bildete man zu *U-n-q-mes auch li-ne-q-mi. Ursprünglich lautete die starke form des praesensbildenden dementes bei der 7. altind. klasse ganz anders. Nach dem nebeneinanderliegen von n-n-d-a und ud-en- Hesse sich vermuten, dass neben li-nq- diese stärkere form liq-en gelautet habe. Aber armenische verba wie eUanem „verlasse" und die griechischen auf -dvw wie hfinävo) zeigen, dass vielmehr -an- die starke form des praesensbildenden dementes dieser klasse gewesen ist.

In unserer ^ici - praesensklasse ist aber das suffix mcht auf diese bis jezt allein erwähnte form beschränkt. Vielmehr findet sich entsprechend dem Wechsel von tenuis und media im wurzdauslaut vgl. lat. pando und jxäeo, j^ango und pacis-

PHILOLOGEXVERSAMIATNG 1S91 217

cor neben -net- -ut- aurh ilor aus^ang -)>r(l- -i/d-. Lautgesetzlidi berechtigt wird dieses d nur in der schwachen form -»(/- gewesen sein, da sicli die wurzelsehlies- sende tenuis wol nur zwischen nasalen, hier also nur in fülli'H wie 's(ii-»f-)N<'s, in die media verwandelte (;*sl)UHl-}iirs). Dann wurde >/ in die starke i'orin iicl über- tragiMi. So lassen sich meliren- verlia aulTasseii: altind. truädmi tnidinds ,,durch- liuhre'" von wurzel (rr- in gi'. inji-'o Kinf-fv; altind. chiiiddiiii cliiiidiiids „aViliaui'n", lat. sri.i/du von würzet nl,-///- in lat. d('-sr/-sru\ altind. hliiinidiin hhiiidiinis „siialte*^, lat. I'iiidu von würzet ^hht- in ahd. hi-lial „beil". gr. iinnu^, lat. fi-ii/'s; avi.'st. iiinrc- Tidat „tötete" von würzet tiirr- in lat. iiinrinr^ gi-. h/.-<f/.i ){(iaM ,, bri'cjie auf^ (von geschwüren) neben (jah') f//.rrt), lat. Ilua: lat. fioido m'ben altind. dhionUi ^schüt- telt", gr. (hvvtc) Ovo), alt.isl. d.'ljo; h'tr. f^idn „verschwinde^ (aus ^ fiiiidii) neljen lit. xil/rn „komme um'"; ahg. /"ida^ (aus //H-iid-oii/-) neben gr. (/rffj. lit. />/(h\ abg. hi/fi.

Aus diesen praesenticn auf -/ni- -nf- und -/trd- -iid- etitwii/kelten sich, wie sehoii teilweise ausgeführt wurde, in folge des einfkisses der nasalinligierendi'n klasse häufig kürzere formen auf -/ und -d. die wie ixüne verbalwurz'dn verwendet wurden. f liegt abgesehen von dem schon oben erwähnten got. .^tofi, altisl. stadrnii z. b. vor in gr. y.Hn-oao.; (für y.Hn - auo^ durch beeiuflussung von rouög „schneidend'" i, lit. L-niii , altind. ca-kar/a (perf.) neben In;-iit-uti und gr. y.ei'o(»\ in got. skaidai/, ahd. sceidni neben altind. clihxidiiii . lat. sriiido; d dagegen ist enthalte]i in altind. hhc- ditli. got. hrifcDi und /ni/frs. lat. /idi neben altind. hhi)iddiiii. Auch wo kein prae- sens auf -}if- odt'r -iid- in den einzelspraclien wirklich mehr nachweisbar ist, kann wurzelschliessendes t oder d in der angegebenen weise entstanden sein; so vielleicht in g:oi:. tjh(-tit» . ahd. .7/0 um neben gr./«fj, altmä. Jidtöff] in ahd. flio-\aif, ags.fleö- ian. \lt phisf/f }dd-dait nelien ahd. ir-flror-t)/ „sjüilen. waschen", gr. 7///w, lat ]ilN/f, abg. jdi)r([\ ferner in ahd. .di(r,(iu. lat. chni-dn neben lat. r/uris. gr. y.lti^, in gr. y'/i\l('). got. Idutrs neben lit. s-J/'/Jn. lat. clot/ra. altlat. >-luo; in mnd. ))N}fii „das gesiebt waschen'-, gr. ui'6'og neben abg. »njj'i' l<^tt. inaiijii\ möglicherweise auch in gr. TtvS«), lat. iondrn neben icmnn. Hierher gehören zum sehluss wol auch die nur in einer spraidie vorhandenen gr. /yi'h'i yj.iSiao neben yji") //.ic.iv«) und lat. endo neben ahd. lidHu-aii. abg. koni. lit. Liiiiju.

2. Es folgt sodann ein vertrag des herrn dr. Borinski (]\Iünchen): Grund- züge des Systems der artikulierten phouetik'. Der vortragende erörtert die notwendigkeit rein methodischer Untersuchungen, wie sie für die natui'wissenschaft längst eingeführt seien. Er liesiiriidit die princi]üelle Unsicherheit der iihilologie und historischen Sprachforschung hinsichtlii'h ihres niaterials und seiner Wirkungen, sowie die ptlicht der forschung hier einzusetzen. Es handle sieh nieht um aufstellung eines lieliebigen subjectiven Systems, sondern um kritische darstellung der die phonetischen ausdrucksmittel ermöglichenden Systematik. Hier ti'itt zunächst hervor die notwen- digkeit einer auseiuandersetzung mit dem melisch-[ihonetischen ausdruck (musik); ferner der abgrenzung vom thierischen schrei, vorwürfe die den alten harmonikern und grammatikern viel geläufiger waren. Auf die natur des artikulierten ausdrueks eingehend, erörtert der vortragende die Ursachen einer speciellen lautfoi'schung, ihres prolilems und der in ilir zu unterscheidenden richtungen , der grammatischen, laut- jihysiologischen (anatomischen) und physikalisch -akustischen. Er nimt die gramma- tische als naive auffassung iles lautmaterials gegen manche der ihr von den phone- tikei'n gemachten vorwürfe in schütz, zeigt das dilemma, in das die lautphysiologische

1) Der Vortrag erscheint volständig und von specialisierten anmerknngen begleitet im verlago der G. J. Göschen'schen bucliliandlaDg in Stuttgart.

218 BORINSKI

richtiuig bei ihroQ beobachtungen gerate, iind dass sie gefahr laufe, die linguistischen aufgaben vergessend, sich in eine algemeine Charakteristik im Baconschen sinne zu verlieren. Die akustische richtung, deren geschichte und resultate kurz beleuchtet werden, sei bisher in der linguistischen debatte der lautphysiologischen gegenüber im nachteil gewesen, obwol sie den vorzug zu den kriterien der lautauffassung hinzu- leiten schon äusserlich aufweise. Von Helmholtz' und seiner Vorgänger bekanton Untersuchungen über die der tonempfindung innewohnenden Wahrnehmungskriterien ausgehend, erörtert er die bez. stellimg der spec. lautempfindung und gelangt nach musterung des Standes der physiologischen und psychologischen forschung zur Vor- legung einer methode, die herausbildung des Schematismus qualitativer momente in empfindungsreihen (skalen) überhaupt zu fixieren. Vermittelst dieser theorie beleuch- tet er nun die Verhältnisse der lautskala und stelt dem die bisherigen auffassun- gen mit ihren für theorie und praxis gleich verderblichen consequenzen gegenüber. Ferner weist er auf die möglichkeit von hier aus den phonetischen controvcrsen im sinne des ausgleichs beizukommen, sowie auf den gewinn für die wissenschaft- liche Charakteristik der laute und ihrer graphischen fixierung.

Hieran schliesst sich im zweiten teile des Vortrags die erörterung der erschei- nungen des lautwandels. Auch hier vom laute als ausdrucksmittel ausgehend zeigt er, wie dem laute ebenso wie dem tone- das streben zu neuen stufen überzugehen, innewohne. In parallele mit der darauf sich gründenden strengen musikalischen setz- kunst erörtert er die weniger leicht zu fixierenden aber in ihrer beschaffenheit durch- aus gleichen normativen lautbeziehungen (lautgesetze) , mit denen die Sprachwissen- schaft auf schritt und tritt operiert, ohne doch die objective formel für sie so leicht finden zu können. Die gesetzlichkeit im lautwandel wird nun auf durchgehende, mechanische bezw. organische gesetze zurückgeführt und im Interesse ihrer reinen erfassung gegen die anwendung des terminus „lautgesetze" für die einzelnen tatsachen der historischen Sprachänderungen einsprach erhoben. Vortragender weist sodann die in der lautänderung wirksamen anstösse in der tönung (accentuieruug) auf, skizziert ihre hauptsächlichen erscheinungsformen und zeigt wie der streit über die ausnahms- losigkeit ihrer Wirkung sich von selbst erledige. Das analogische princip glaubt er scharf hiervon abtrennen zu müssen und reiht es den architektonischen principien der Sprachbildung als leztes und mächtigstes au.

Die Sprachbildung als solche stelle den dritten teil der aufgäbe dar. Man könne an ihr nicht vorüberschleichen und das falsch gestelte in ihren problemen nui- methodisch aus der debatte hinausschaffen. Vortragender zeigt, wie sie sich der historischen Sprachwissenschaft unablässig aufdrängen nicht blos in dem sie gefähr- denden wissenschaftlichen unkraut, sondern auch in ihren eigenen unentbehrlichen hülfsmitteln (wurzeln, erschlossene formen, Ursprache, neubildungen). In engem Zusammenhang stehen die schon die alten lebhaft beschäftigenden fragen nach den facto ren des veränderten wortgebrauchs. Vortragender zeichnet die hierbei mass- gebenden grundanschauungcn und findet ihren wissenschaftlichen boden in der früh hierfür berechneten disciplin der algemeinen poetik. Er schliesst mit einem hinweise auf den wert der Wahrscheinlichkeitsbeweise und der beobachtung der lebenden spräche selbst in ihren niedrigsten oder individuellen erscheinungen für das begreifen historischer sprachiüiderungen in ihi'er continuität.

In der discussion weiss dr. Sütterlin sich mit dem vortragenden in dessen auseinanderlegung der gesetzlichkeit im lautwandel eins, gibt die notwendigkeit einer strengen und durchgreifenden rücksichtnahme auf die akustische Wertung zu und

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nimt schliesslich die spec. indogermanische Sprachforschung hinsichtlich ihrer horan- ziehung imaginärer stützen, sowie einiger als veraltet zu betrachtender werke lingui- stischer palaeontologie (Pictets Origines) in schütz.

Dritte Sitzung.

1. Dr. E. Honrici (Berlin) machte hei beginn der sitzung einige mittcilungen ü1)er den „Jahresbericht über die erscheinungen auf dem gebiete der germanischen Philologie", welcher bei C. Reissner (Leipzig) erscheint und jezt im 12. Jahrgang vol- lendet ist. Zu einer gedeihliclien fortführung des Unternehmens seien drei dinge erforderlich: eine erhöhte abonnentenzahl, weil die gesteigerten herstellungskosten in den lezten jähren den schon geringen ertrag noch mehr vermindert haben; die regel- mässige Zusendung aller neuen publicationen , weil die beschaffung derselben den ein- zelnen mitarboiteru oft recht schwer falle; endlich der zutritt neuer mitarbeiter, weil die bearbeitung zu grosser gebiete durch einen referenten bedenklich erscheine. In allen drei beziehungen erbat der redner die teilnähme der fachgenossen wie der Verleger.

2. Alsdann spricht derselbe redner über „einige grundsätze der Iwein- kritik". Die für eine textherstellung notwendige Untersuchung des handsckrifton- verhältnisses ist nach Lachmann (1843) von Paul (1874) und Oscar Böhme (1890) unternommen worden. Der leztgenante geht von einer vergleichung mit dem Wigalois aus und gelangt zu der meinung, dass Wiruts handschrift das original für alle vor- handenen sei. Der vortragende zeigte dem gegenüber, dass auf grund des vorhan- denen materials sich zwar das Verhältnis einzelner handschriften zu einzelnen aber nicht aller zum original Hartmanns feststellen lasse, weil jede an einer stelle sichere kombination durch die beobachtung an anderen widerlegt werde. Während aus gemeinsamen Zusätzen sich Bb, H, ab, br, cf, pr, EJap als gruppen erweisen und ebenso aus starken änderungen Eapr, Bz, DJbc, also stets majuskel und minuskel gemischt erscheinen, treten 7695 7702 alle älteren handschriften (vor der mitte des 14. Jahrhunderts) zu einer gruppe zusammen und gegenüber den jüngeren Jabdlpr, welche die bezeichneten verse hinter 7716 stellen; cfz fehlen an der stelle. Eine ähnliche allen beobachteten Verhältnissen zuwiderlaufende gruppierung findet sich 3998, ADEfl gegen Jabcdprz, während B beide lesarten vereint! Auch 3944 und 3945 48 durchbrechen alle Ordnung; bemerkenswert sind ferner 3372. 4110. 4583. 4590. 4795. 6919; die lezte stelle kehrt wider alles sonst gesicherte um. Der vor- tragende ist daher der Überzeugung, dass bei der behaudlung der sinnvarianten Lach- manns bevorzuguug von A wol berechtigt war luid noch die meiste gewähr gibt, des dichters fassung wider zu erlangen. Ganz anders steht die sache mit der spräche; dass Lachmann auch diese auf A gründete, war ein verhängnisvoller fehler, wie schon Paul richtig bemerkte: denn A ist mittel-, zum teil sogar niederdeutsch. Dass seine Schreibung wertlos sei, zeigte der voi'tragende an einem beispiel. Lachmann grün- dete auf A die Unterscheidung von und, tont, uncle; aber die handschrift selber sezt vn, ^'•», vnd, vnde, vnt je nach dem räume, der noch auf der zeile war, oder ganz wilküiiich, wie 691 lehrt: hier sezt A vnde angestlicher für unangestlichen, es löste also das in der vorläge gefundene nn oder vn eigenmächtig zu vnde auf. Von den übrigen alten handschriften sind EJK oberdeutsch mit verschiedener dialekt- färbung, D vielleicht böhmisch, CG- mitteldeutsch, M niederdeutsch; nur BFHNO bieten des dichters spräche in sich und mit den reimen übereinstimmend. Es kann daher kaum ein zweifei sein, dass i?, die einzige volständige handschrift der lezten

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gruppe, die grundlage für die sprachliche -widerherstelliing des gedich- tes sein niuss. Diese handschrift hat der vortragende deshalb auch seiner soeben (Halle, Buchhandlung des Waisenhauses) erschienenen ausgäbe des Iwein zu gründe gelegt.

3. Es folgt ein Vortrag des herrn dr. "Wunderlich (Heidelberg) über: ,,die deutsche syntaxforschung und die schule" ^ Die syntaxforschung ist ein Stiefkind der philologie. Die textki-itik hält die roheste satzstellung zu gunsten der versglättung für angezeigt. Es fehlt zwar nicht an schulprogrammen und ebenso- wenig an dissertationen über syntaktische fragen. Aber es bleibt meist bei statisti- schen erhehungen ohne positive resultate. Dabei steht im gespräch und selbst in Zei- tungen sprachliche polemik in blute, ebenso das schelten auf die schule. Der deutsche Unterricht aber korat in ihr zu kurz. Die Orthographie ist zum teil geregelt, laut- und forraenlehre kann durch germanistische lehrer im einzelnen normiert wer- den; schwieriger aber ist es den grossen Zusammenhang in der syntax aufzuhellen. Die syntaktische Schulung der lehrer lässt zu wünschen übrig. Die kläger selbst sind in ihrem Sprachgefühl oft sehr unsicher.

Der vortragende geht auf die unter dem titel Sprachdumheiten " in den „Grenzboten" erschienenen artikel ein. Der Verfasser dieser aufsätze, offenbar ein erfahrener schulmann, betrachte die spräche als kunstwerk.

Demgegenüber tritt der, der die spräche als Verkehrsmittel auffasst. Den Vorwurf der „papiersprache" teile der Verfasser mit 0. Schröder. Allein man dürfe rede - und Schriftsprache nicht als völlig gleich behandeln. Die leichte form der rede ist, wenn sie aufs papier gebaut wird, durchaus nicht immer so leicht lesbar. Die natürliche rede arbeitet nicht mit vorausgedachten gedanken. Pausen zu vor- und rückschau sind ihr meist nicht möglich. Sie bevorzuge daher die parataktische satzfügung; die Schrift dagegen könne zur periodischen greifen. Wenn man eine Wortfügung, die das äuge verlezt, vorliest, so gew<ährt das keine stichhaltige vei-teidigung. Das ohr prüft flüchtig, das äuge nachhaltig. Der vortragende begründet dies im einzelnen hinsicht- lich mehrerer pronominal- und partikelformen, berücksichtigt die begleituug der geber- densprache, die verschiedeuartigkeit der korrektur. Der redende kann nur nachtra- gen (nachtragsfügungen). Es gebe mehr stilformen, als man gewöhnlich annehme. Auf Verschiedenheit der stüformen beruhe z. b. komische Wirkung. Ein hauptunter- schied sei der zwischen mündlicher und schriftlicher mitteilung.

Was das Sprachgefühl im algemeinen anlangt, so könne man ihm nicht so enge schranken ziehen. Wenn es sich z. b. gegen die flexionsunterlassimg in der appo- sitionellen bezeichnung bei titeln auflehne, so könne man dies gelten lassen. Gegen den Vorwurf aber, dass man statt der alten präpositionen Umschreibungen gebrauche, müsse man erinnern, dass auch die alten, sich abnützenden praepositionen Umschrei- bungen gewesen seien. So strenge Scheidungen im wortgebrauche, wie zwischen her und hin lassen sich nicht durchführen, da hierbei das jeweilig herschende Interesse den ausschlag gebe. Gegen die gelenkigkeit der spräche der kinder wird bei pedan- tischer strenge in solchen dingen gesündigt, die freiheit der ausdrucksweise gefähr- det. Das eigentümliche in der mundart werde syntaktisch zu wenig berücksichtigt (vgl. Binz, Zur syntax der Basler mundart, diss. Basel 1888). Das buch von Franke, Reinheit und reichtum der deutschen spräche sei vom Sprachverein gekrönt, ohne dass es das syntaktische berühre.

1) Der Vortrag ist in erweiterter gestalt abgedruckt in der boilago zur Algemeinen zeitnng nr. 139 vom 18. juni 1891. Red.

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In dieser frage frische mit vernünftiger strenge zu paaren, sei Sache der pädar gegen. Dazu gehöre aber, dass die deutsche schulgrammatili ihre aufgäbe besser erfasse. Sie führe oft sprachungeheuer an zur illustration von regeln und ausnah- men. Den frülieren Schriften zur Schulreform fehlte es noch an einer darstellung der deutschen syntax. Nun aber sei das ebenso sehr angegriffene als ausgenüzte buch von Oskar Erdmann vorhanden, von dem die anreguug zu grösserer tiitigkeit auf diesem gebiete erhoft werden könne.

Der vortragende schliesst mit einem hinblick auf die nötige abgrenzuug gegen- über fremdsprachUchen eintlüssen (lateinisch schon bei Otfrid). Im französischen und englischen Unterricht seien die principiellen unterschiede hervorzuheben.

In der discussion interpelliert pro f. Brenner über die deklination des wertes hcrr als pronomen in schwäbischen Urkunden; dr. Hermanowsky über „echte und unechte" praepositionen. Ausserdem erfolgen bemerkuugen über die Stellung des finiten verbs und die auslassiing der hilfsverba.

4. Vortrag des herrn dr. W. Golther: „Are I*orgilsson und seine werke". Im gegensatz zu Björn Magnüsson Olsen (Aarböger f. nord. oldkyndighed og historie 1885, 341 fgg. u. Timarit hins islenzka bokmentafelags 10, 214 fgg.) vertrat der vortragende die ansieht, dass Are nur zwei werke, eine verlorene, umfangreiche ältere Islendingabök , aus der die Laudnäma und Kristnisaga flössen, und die erhal- tene Ib. verfasst habe. Gerade die von Olsen beigezogenen stellen zeugen hiefür, indem Stuiiimga kap. 12 und Landnäma V, 12 (Islendmgasögur I, 312 fgg.) zusam- men den inhalt der älteren Ib. repräsentieren, aus welcher durch kürzung die zwei stellen der erhaltenen Ib. (bei Möbius s. 4, 26 und s. 13, 30) hervorgiengen. Olsens hypothese, dass der Wortlaut von 3 quellen (der alten und jüngeren Ib. sowie einer besonderen Laudnäma Ares) vorliege ist nicht stichhaltig. Abgesehen von gezwun- genen und unrichtigen auslegungen im einzelnen sind die drei stellen von Olsen in falsches abhängigkeitsverhältnis zu einander gesezt. Herr prof. v. Maurer erklärte seine Zustimmung zu den ausführungen des vortragenden imter hinweis auf seine demnächst in der Germania (30, 61 fgg.) erscheinende abhandlung über Are und seine werke. Der Schriftführer der section

MÜNCHEN. DR. KARL BORINSKI.

LITTEEATUR

Grundriss der germanischen philologie, herausgegeben von H. Paul.

I, 3 5 (s. 513 1024). E, I, 2 4 (s. 129 496). II, II, 2 (s. 129—256).

Strassburg, Trübner 1890. 1891. 12 m.

Die früher erschienenen hefte dieses Unternehmens hat referent in dieser Zeit- schrift XXn, 462 fg. XXni, 365 fg. besprochen; die seitdem veröffentlichten sechs behandeln gegenstände, welche zu den hauptfächern der deutschen philologie gehören. Die di'ei hefte des ersten bandes bringen die gi'ammatik zum abschluss. Auf Noreens geschichte der nordischen sprachen folgt die geschichte der deutschen spräche von 0. Behaghel. Sie fasst in knapper und doch sehr reichhaltiger darstelluug die grammatik der hoch- und niederdeutschen sprachen einschliesslich der mundarten zusammen, so dass von einem construierten urdeutsch aus die einzelnen sprachlichen kategorien verfolgt werden. Diese darstellungsweise sezt freilich beim leser ein ziem-

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liebes mass von keutnisson und von aufjnerksamkeit voraus, gewähii aber auch viel- fach lehn'eiche Übersichten. Bei so viel umfassendem Inhalt kann es nicht fehlen, dass einzelnes bedenklich erscheint. Eeferent möchte zunächst zwei punkte von tief- greifender bedeutung herv'orheben.

S. 541 heisst es: „Den meisten ansprach tonangebend [für die bilduug der mittelhochdeutschen litteratursprache] gewesen zu sein, hätte das ostfränkische; denn es lässt sich wol kein fall nachweisen, wo an stelle einer angeborenen sprach- lichen eigentümlichkeit eine solche erschiene, die jener mundaii fremd wäre". Hier ist ein gegenzeuge anzuführen, der aber auch wol völlig ausreicht: Wolfram von Escheubach. Die eigenheiten seiner spräche sind doch gewiss als seiner ostfränkischen muudart augehörig anzusehu: jene Vermischung von i und ie, u und uo, die aus den reimen hervorgeht; jene Verwendung von tcenic, wofür einige handschriften liityc-el einsetzen ; jene construction von gein mit dem accusativ (Pai'z. 452, 28) usw. Dass er in vielen dieser abweichungen vom gewöhnlichen mittelhochdeutsch mit dem neuhoch- deutschen übereinstimt , bestätigt nur ihre mundaiiliche herkunft; denn das uhd. richtet sich ja wesentlich nach dem mitteldeutschen, wo es die mittelhochdeutsche, d. h. alemannische grundlage verlässt: Dass das alemannische wirklich der boden des mhd. war, fühlen heute noch die am Oberrhein heimischen: sie empfinden beim ler- nen des mhd. beständig die verwantschaft ihrer mimdart mit der mhd. Schriftsprache: das wird jeder gehört haben, der einmal Schweizer, Elsässer, Badenser im mhd. zu unterrichten hatte. Diese verwantschaft zeigt sich nicht nur in den lauten, sondern auch im genus der substantiva, in Wortwahl und wortgebrauch, in der syutax. AVas wollen diesen zahkeichen Übereinstimmungen gegenüber die paar volvocalischen endungen alemannischer Urkunden besagen, die man zum hebel gebraucht hat, um die von selbst sich aufdrängende, schon von Bodmer ausgesprochene erkentuis von der alemannischen grundart des mhd. umzuwerfen!

Auf derselben s. 541 wird von der kanzleisprache , als dem ausgangspunkt der neuhochdeutschen sprachentwicklung gesprochen, dabei aber völlig verschwiegen, dass dieser nhd. charakter zuerst und zwar in den hauptpuukten durchaus entschieden um 1350 in Böhmen auftritt. Das hat Müllenhoff mit volgiltigen belegen gezeigt; referent hat weitere beweismittel beigebracht. "Wo ist diese denn doch sehr wesent- liche tatsache widerlegt worden? Die widerspruchsvollen bemerkungen von v. Bahder, Grundlage des nhd. lautsystems s. 3 fg. sind doch keine Widerlegung. Referent muss diese klage um so mehr betonen, als sich bereits stimmen hören lassen, welche geradezu die Vertreter der angeführten wissenschaftlich begründeten ansichten ver- höhnen. Prof. Brenner in einer recension meiner mhd. gi'amm. nebst wöiierb. zu der Nib. not sagt in den Blättern für das bayerische g-jannasialschulwesen 1890, 480: „Martin hat sonderbare dinge stehen lassen: das alemannische am Oberrhein soll dem mhd. am nächsten gestanden haben; am Main wurde statt tio ü gesprochen, in Böh- men habe die deutsche bevölkerung einen mischdialekt ausgebildet ..." Da die redaction dieses bajTischen schulblattes eine entgeguimg nicht berücksichtigt hat, so möchte ich die gelegenheit nicht vorübergehen lassen öffentlich zu einer wissenschaft- liclien Widerlegung oder zur anerkennung der auch von mir vertretenen annahmen aufzufordern.

Noch ein priucipieller punkt bedarf der erörterung. S. 598 sagt Behaghel: „Die theateraussprache von t als tenuis aspirata ist ein reines kunstprodukt " ; s. 588 wird das etwas deutlicher und vorsichtiger erläutert. Es ist ja möglich, dass das bestreben, den orthographisch überlieferten unterschied von d und t auch phonetisch

VliER PAUL, CiRUNDRISS DV;R GERM. I'HIL. I. II 223

geltend zu inaiheii, aul' die asiuration dos .lulautondeii / hiugcwiikt hat; aber dio theaterspracho hat dies bestreben gewiss iu keiner weise gefördert, geschweige denn liervorgerulen. Überhaupt wird der bülmensprache viellaeh eine weit übeilrie- bene bedeutung beigelegt. Von irgend einem einfluss auf die Umgangssprache, von irgend einer mustcrgiltigkeit kann höchstens seit Lessings auftreten, also rund von 1750 ab, als von einer möglichkeit geredet worden. In Wahrheit abc;r hatte noch Goethe um 1800 als theaterdirekter sein(; li(;be iiet (hunit den srhauspielcrn di»; aus- spräche der gebildeten kreise beizubringen: sielie z. b. CJui'thcs gesprileiie herausg. von W. freiherrn v. liioderinann 1, 219. Von ausdrücklieheii fostsetzungen üljer die biihneuaussprachc z. b. des (j wüste icli erst aus den 70er jähren unseres Jahr- hunderts. In jedem fall folgt das theater der spräche der gebildeten kreise erst nac'h. Auf diese und auf das ganze Volk hat vielmehr ein anderer faktor mass- gebend eingewirkt, dei- wcnigstriis lici üi'haghel nicht genügend hervorg(.'hoben wird, die kanzel. ^Man kann sagen: von lUfiO bis 15.50 ist das neuhochdeutsche kanz- leisprache; von da bis wenig.stens 1750 ist es kanzelspraehe. Der schulunterriclit schloss sich der kanzel au. Ein beispiel ihrer Wirksamkeit ist das nhd. vafcr mit langem rr, neben ijerdller mit kurzem. Der oberdeutsche spricht muudai'tlich futrr, und noch Goethe sprach so, wie aus Goethes gespr. 8, 344 zu entnehmen ist. Die Vermutung liegt nahe, dass das lutherische Vater unser die dehuuug auch nach Süd- deutschland brachte; so wird auch das gieh sein J erhalten haben. Übrigens soll nicht geleugnet werden, dass gerade im ernsten Schauspiel die dialektische aussiirache besonders störend erschien, wofür i'in lieispiel die iu Dauzels Gottsched 266 berührte Strassburger aufführ ung gibt; nur dass nicht vou Gottscheds Cato, sondern vom Po- lyeuct der frau Link die rede ist (s. Jahrbuch des Vogeseuclulis VII, 118). Auch mögen die Wanderungen guter truppen oder gastspiele hervorragender schausiiieler zur Verbreitung der neuhochdeutschen musteraussprache beigetragen haben.

Vou streitigen einzelheiten Ijerühre ich nur noch auf s. 009 irdnächaffrii , das allerdings auch Lexer mit d schreibt. p]s ist, wie die belege zeigen, aus dem nie- derdeutsclien entlehnt, wo ivaii- vielfach als negations[iartikel erscheint: iranliöde Vernachlässigung, ivanhüp, /rainiie//(/c/t usw. und solte ebenso wie iranirit\e mit kurzem a bezeichnet sein.

S. 530 ist boische einwandcruug wol für slawische e. gesezt. Ebenda ist die behauptung irrig, dass seit der Hussitenbewegung das deutsche iu Böhmen fortdauerud rückschritte gemacht habe: der anschluss der böhmischen brüder an Luther hat das deutschtum in Böhmen gefördert, die gegenreformation seit 1620 hat das tschechische unterdrückt, und zwar mit gew'alt und mit fast volstäudigem erfolg, soweit es sich um die litteratur handelt.

S. 531 wird von den deutschen eigenuamen in Urkunden gesagt, dass sie ausser St. Gallen in den deutschen stamlanden erst seit dem 9. Jahrhundert erscheüieu: AVeissenburg uud Mui-bach bieten sie doch schon um 700. Die s. 335 angegebene abgränziuig des niederdeutschen vom mitteldeutschen weicht sehr stark ab von der durch Eichard Andree im Globus LIX n. 2 und 3 (mit einer sehr hübscheu karte) bestirnten: wo das richtige liegt, ist vielfach wol noch zu untersuchen. S. 625 wäre für die genusübergänge wol zu bemerken gewesen, dass zwischen mhd. und nhd. der unterschied öfters auf andere mundartliche grundlage zurückgeht: z. b. hhane ist fem. im nhd. wie bei Otfrid, mhd. masc. Vergleiche hierfüi- namentlich die reichen samluugen in Weinholds Mhd. gramm. § 309 311.

224 MARTIN

Von druckfehlern notiere ich die folgenden: s. 527 ScJimierlach st. Sehnier- lach, 539 Telft st. Telfs, 560 Stväbe st. Swäp, ebd. kürzung von st. Idirzung vor, 596 hwartum st. hwurbum. Öfters ist ä für d gesezt worden.

Als 6. teil des V. abschnittes scbliesst sich an: Geschichte der niederländischen spräche von Jan te Winkel, also von einem Niederländer, dem zunächst die cor- rectheit des deutscheu ausdrucks lobend nachzusagen ist, abgesehen von wenigen hollaudismen , wie auscjeiviclicn für (jeflücläet , blieb über anstatt blieb übrig u. ä. Hunde s. 688 ist druckfehler. Die anordnung lässt zu wünschen übrig; von den ver- schiedenen orthographischen Systemen ist s. 641 fgg. und wider, aber ausfülii'licher, s. 658 fgg. die rede; ebenso wird der einüuss des französischen mehrmals behandelt. Dies liegt zum teil an der erweiterung des gesichtskreises , in welchen von te Winkel auch Wortbildung und syntax hineingezogen werden, während sonst meist nur laut- und flexionslehre behandelt worden sind. Diese mannigfachen gegenstände erscheinen allerdings öfters in einer unerwarteten Verbindung imd reihenfolge behandelt. Bei den differenzen zwischen holländisch und flämisch ist das leidige confessionelle element, welches auf die trennung und auseinanderhaltung besonders hingewirkt hat, nicht angeführt. Einzelnes erscheint unrichtig. S. 648 „In stnoel neben mtiil haben wir wol ein späteres westfälisches oder rheinisches lehnwoii; mit nicht verstandenem s aus das mül"-. Hier wäre schon das anstatt dat auch für die nächsten nachbarn der Niederländer nicht anzunehmen. Vielmehl- haben wir ja in schmollen, mhd. smielen das vprb, zu dem das nl. Substantiv gehört. S. 670: „Sehr eigentümliche imperative sind im mnl. sich von sisn, lach von laen neben taten, divach von dwaen, stach von slaen, doch von doen, ganc von gaen, stant von staen"-. Hier hätten doch wol die aus älteren, im hochd. erhaltenen formen ganz leicht ei klärbaren sich usw. von den beiden analogieformen lach (auch mhd.) und doch getrent werden müssen. S. 682 werden die weiblichen bildungen graefnede, sivaesenede und gesetnede auf Zusammen- setzung mit altsächs. ides zurückgeführt: schwerlich mit recht; lautlich entsprechen vielmehr völlig ableitmigen auf mlat. ata, wie mansionata auch mesneda ergibt (s. Ducange). 685 ^,oorlog (aus tirlugi) bedeutet das flamme verursachende; vgl. ags. ortege, mhd. urtüge . . ."; diese mhd. form ist erst in jungen quellen und ver- mutlich mit langem ü überliefert; auch ist die bedeutung des verursachens abzuleh- nen, da mhd. tir- (= got. us) in den nomina dem mhd. er- in verben gleichsteht, also nur hervorgehn aus etwas gemeint ist. Dies zu s. 684; ebenda fehlt die ver- wendimg des praefix tvan zur negation, wie in tvanconnen. 686 wird minne als verstümmelt aus minnemoeder bezeichnet; aber auch das mhd. hat minne ohne wei- tere Zusammensetzung für grossmutter oder mutter; ebenso steht es mit den meisten übrigen Wörtern, die nach dem Verfasser verstümmelt sein sollen. 704 wird der kel- tische Ursprung von lign und Nymwegen mit imrecht angezweifelt. Falsche formen fremder sprachen s. 701 Friggadagr und 709 n'exceptee jjersonnc.

Widerum auf laut- und flexionslehre beschränkt sich 7. die geschichte der friesischen spräche von Th. Siebs. Der nicht eben reiche Sprachschatz des frie- sischen wird klar und übersichtlich, vielleicht etwas breit dargestelt, mit vorsichtiger betonung des sicheren und des ungewissen. Der volksname wird aus got. fraisan erklärt: „die in gefahr (d.h. in wassergefahr) schwebenden"; warum nicht die erprob- ten? oder die kühnen? der uralte name wird doch wol ein auszeichnendes lob sein; und nach den Zeugnissen der alten lebten die Chauken noch mehr als die Friesen in gefährdeter läge.

ÜBER PAUL, GRUNDRISS DER GERM. PHIL. I. II 225

Um SO reicher erscheint dem friesischen gegenüber die geschichte der eng- lischen spräche, von Khige bearbeitet, dem für die geschichte der französischen bestaudteile 1). Behrens, für die syntax E. Eineukel zur seite getreten sind. Es ist eine überaus grosse fülle an tatsaohen und, wie Kluge selbst hervorhebt, eine noch grössere fülle von anregungen zu weiterer forschung, die sich liier darbietet. Für das mittelenglische ist namentlich ten Brinks buch über Chaucers spräche benuzt worden. Ein paar mal scheinen nicht alle möglichkeiten erwogen worden zu sein: wenn (s. 840) der niangol der palatalisierung in aengl. sco/ darauf zurückgeführt wird, dass lat. scola erst später als scrinium {shriiie gegenüber von school) u. a. eingeführt worden sei, so lässt sich doch wol auch denken, dass der beständige gebrauch des fremden wertes in der klosterschule auch die fremden laute geschüzt habe. Widerholungen sind auch in diesem beitrage Kluges nicht vermieden: s. 870 wird sogar dieselbe belegschrift z. 9 und z. 14 angeführt. Der abschnitt über die Syntax ist übermässig knapp: s. 911 heisst es, dass stielte usw. „ihr gescldecht ändern'^; welches sie vorher hatten und nachher erhalten haben, wird nicht gesagt. Schriften von Rosenbauer, Dubislav usw. werden ohne jede nähere angäbe citiert. Zum vergleich mit den syntaktischen eigentümlichkeiten des älteren engUsch, wofür übrigens wesentlich niu' auffallende Verwendungen von pronom^ina und partikeln angeführt werden, dienen altfranzösische, von A. Tobler vermerkte; dass germanische sprachen, insbesondere die niederländische, aber auch das nihd., viel ähnliches zeigen, hätte in einem grundrisse der germanischen philologie wol gesagt werden können.

Als anliang zur Sprachgeschichte folgt die bearbeitung der lebenden mundarten. Algemeine grundzüge schickt Ph. "Wegener voraus, mit berücksichtigung des Mag- deburgischen für die beispiele und mit praktischem sinn für die anleitung zu diesen forsehungen. Für die deutschen mundarten gibt F. Kauffmann eine sorgfältige bibliographie. Die skandinavischen behandelt J. A. Lund eil, die englischen J. Wright, beide mit eignen methodologischen bemerkungen über geschichte und umfang der mimdarten. Vielleicht wäre es nicht unmöglich gewesen, irgendwo die germanische schifferkoine zu behandeln, von der s. 937 mit recht die rede ist und welcher eine gemeinsprache der romanischen Seeleute gegenüber stehen soll. Auch das juden- deutsch hätte doch wol berücksichtigung verdient, w^elches aus kulturhistorischen veiiiältnissen erklärlich auch auf das gaunerdeutsch eingewirkt hat. An litteratur für diese beiden leztgeuanten fehlt es bekantlich nicht.

Den schluss des ersten bandes bildet die mythologie, welche eigentlich mit der heldeusage zusammenhängen und mit dieser den litte rarhistorisch eu teil eröfneu solte; räumliche rücksichten haben wol die abgrenzuug der bände bestirnt. Die mythologie, von Mogk bearbeitet, liegt bis jezt nur zum teil veröffentlicht vor, so dass ein urteil über diesen ganzen abschnitt besser noch ausgesezt wird. Nur einzel- heiten mögen schon jezt zur spräche kommen. Von Müllenhoffs arbeiten, die nach dem mieil des referenten die wege zu einer wissenschaftlichen behandluug der deut- schen mythologie überhaupt erst eröfuet haben, fehlt auf s. 99.5 die zulezt, allerdings nach dem tode des Verfassers erschienene: Frija und der halsbandmy thus , ztsclir. f. d. a. 30, 217 260. S. 100.5 heisst es: „Interessant ist im hinblick hierauf [auf den glauben von dem vorleben der seele] die Vorstellung, die der Schwede im mit- telalter von der menschlichen seele hatte: er stelte dieselbe dar als kleines kind, das der sterbende aus dem munde hauchte . . Die Seelen können also als kiuder wider- geboren werden". Die augeführte Vorstellung ist algemein christlich und dui'ch mit- telalterliche bilder in Deutschland und Italien häufig bezeugt: im Hortus deliciarum

ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHII.OLOGIE. ED. XXFV. lO

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der Herrad von Laudsberg (in Straubs ausgäbe der bilder pl. XXXIII); drei Jahrhun- derte später bei Diebold Lauber (Geffcken, Bilderkateehismus des lo.jahrh., tafel XI und XII) ; auf dem bekanten ^Triumph des todes" im Campo Santo zu Pisa, der Orcagna zugeschrieben wurde, und noch später auf itaUänischen bildern (Denkm. der kunst, volksausg. tafel 62). Zu s. 1014 y,valr = die leichen, toten, valkyrja, väl- eyrie totenwähleriu " durfte nicht verschwiegen werden, dass es sich bei ival nach allen Zeugnissen (wie es ja jezt noch in „"Walstatt" der fall ist) um die im kämpfe gefallenen handelt; dass ferner die verwantschaft einerseits mitwählen, andrerseits mit wälzen und wallen auf die Vorstellung von den im gewaltsamen tode sich ura^^'äl- zenden, sich übereinander wälzenden sterbenden hinweist. Die Verbreitung der Wör- ter ival, wie sie zumal durch den gebrauch in zusammengesezten namen sich kund- gibt, und der Zusammenhang mit dem kriegerleben geben auch dem begriff der Walküre im alten Germanenglauben eine vorzügliche stelle, und es ist wol grund vorhanden anzunehmen, dass erst mit dem verblassen dieser Vorstellung sich die vielleicht an sich älteren Vorstellungen von dem geistergesindel der maren, tru- den, hexen usw. wider in den vordei'grund gedrängt haben. Den griechischen keren vergleichbar, stehen die walküren recht mitten in der heroischen Weltanschauung; die nornen erscheinen ebenfals in solcher besonderer beziehung zu kämpf und tod, so dass sie wol als veralgemeinerung jenes schicksalsbegriffes gelten dürfen.

Von Mogk ist auch die geschichte der norwegisch -isländischen litteratur ver- fasst, mit deren beschluss das 2. heft desl. bandos, I. abteilung begint. S. 136 erhält Gautier, der dichter der lat. Alexandreis, mit unrecht noch den vornameu Ph(ilipp?).

Hieran schliesst sich die Geschichte der schwedisch -dänischen litteratui' von H. Schuck. S. 149 ist Genoveva wol ein Lapsus calami für Griseldis. Die geschichte dieser an sich weder durch Inhalt noch durch form anziehenden litteratur hätte viel- leicht durch die besondere rücksicht auf deutsche, natürlich meist niederdeutsche Vorbilder und pai'allelen noch einen eigenen wert erhalten kömien; dazu wäre s. 151 bei den Dyre-rim (vgl. s. 432), dem Broder Eus (vgl. s. 431) und sonst gele- genheit gewesen.

Für deutsche leser tritt mit der althoch- und altniederdeutschen litteratur, deren geschichte Kögel geschrieben hat, wider das heimatliche Interesse hervor. Kögel hat die dürftigkeit und lückenhaftigkeit der quellen durch ki'itische behandlung aufzuheben gesucht, auch manches neue geboten, dem jedoch referent keineswegs durchweg zustimmen kann. S. 163 heisst es vom Wiener liuudesegeu , es sei dabei nicht an einen hirten zu denken . . „Auch bleibt der hirtenhund bei der herde und läuft nicht durch wald und feld". Hier gibt aufschluss, was bei Schmeller B. wb. II ^, 902 über die wolfssegen mitgeteilt wird und auffallender weise auch von Müllenhoff in den denkmälern nicht beuuzt worden ist. In diesen wolfssegen wird das vieh vor wolf und Wölfin sowie vor dieben in schütz genommen, wenn es 7iu holex und xtt veld . . XU waid und zu wasser geht. Für die Aveidenden tiere ist also der wolfs- segen bestirnt, und die einfüguug der hunde und Iiündiunen ist eine Verdrehung des echten textes, die allerdings wol ein Jäger (oder ein hundezüchter?) vorgenommen haben mag. Dass der h. Martin als hirte genant wird, stimt zu einem lateinischen liedcheu bei Du Meril, Poesie du M. A. 111: 0 Martine., pastor egregie, Nos a lupi defendas rabie Saerientis. S. 165 fehlt der Züricher milchsegen: Germ. 22, 352 fg. S. 166 ist die Vermutung, dass die Germanen in der schlacht den rhyth- mus ihrer gesänge durch anschlagen der Schwerter an die schilde markiert hätten, dui'ch die angeführten Tacitusstellen schwerlich gerechtfertigt. Dagegen hätte bei

ÜBER PAUL, GRÜXDRISS PER GER>r. rifTL. I. 11 227

aiifühnmg von Tac. Germ. 3 der barditus wol auch erwiUiiit und erläutert werden kiiuueii. S. 168 wird die annähme von germanischen klageliedorn an der bahre vor der bestattung durch die griechischen, römischen und slavisclieu beispiele nicht genügend gestüzt, zmnal Tacitus ausdrücklich den gegensatz gegen die römisclie toteu- feier hervorhebt. Nach s. 171 „liatte Notker der Deutsche über undankbare klo- sterschüler zu klagen, die verslein auf ihn machten"; aber Henrici QF. 29, 187 zeigt, dass die als zusatz Notkers bezeichnete stelle schon bei Augustinus steht. Auf der folgenden seite ist die Übersetzung von ersaxta durch „sezte an", die MüUenhoff gege- ben und durcli beispiele gestüzt hatte, sehr burschikos durch verweis auf das setzen („pouieren") doi- Studenten abgetan worden. Für die spotlieder hätte auf Ztschr. f. d. a. 18, 2G1 fg., 33, 437 fgg. verwiesen werden sollen; ebenso wegen der rätsei und Sprichwörter auf Voigt Ztschr. f. d. a. 30, 260 fgg. 352, sowie auf dessen ausgäbe (,1er Fecunda ratis von Egbert von Lüttich (Halle 1889). Besonders ausführlich ist das Hildebrandslied behandelt; aber refereot bedauert sagen zu müssen, dass er gerade hier viel zu beanstanden jBndet. Zunächst hätte unter den hilfsmitteln hier wie sonst auch das facsimile in Könnekes bilderatlas angeführt werden sollen. S. 176 behauptet Kögel: „Die herschende meinung ist seit Holtzmann, dass ein Niederdeut- scher habe hochdeutsch schreiben wollen". Referent kann versichern, dass alle ihm persönlich bekanteu germanisten diese meinung nicht geteilt haben; und wenn K. auf die inzwischen gestorbenen keine rücksicht nehmen will, so leben doch noch Rieger, Heinzel u. a., die sich für den niederdeutschen Ursprung des liedes aus- gesprochen haben. Kögel uent Müllenhoifs beweisgründe für diesen Ursprung dürf- tig: uns schienen sie sclilagend. Was sonst schon Lachmann über die niederdeutsche syntax des liedes gesagt hat, verschweigt er; ebenso die behandluug des lautstandes und Wortvorrats durch Socin, Schriftsprache s. 54 fgg., während doch bei diesem mit recht auch das bemerkt ist, was vom sächsisch -niederdeutschen ab- und auf einen grenzdialekt hinweist. Dazu komt übrigens noch der gebrauch der praep. in, die as. durch an vertreten ist. Kögel behauptet, dass urhettun als „kämpfer" aus dem ahd. nicht verständlich sein würde, wol aber aus dem niederdeutschen sprachkreise, wenn es aucli im as. zufällig rdcht belegt wäre. Warum soll nun das fehlen der bedeutung im ahd. nicht auch zufall sein? Die in den Gl. Ker. 251, 29 überlieferte bedeutiuig von urheizTio = suspensus kann übngens doch nur ebenso tropisch verstan- den werden, wie in dem unmittelbar vorhergehenden pikeizit = susj)endit, pollicehtr; oder wie soll die sinlichc bedeutung von „hängen" dem mit heixxan zusammengesez- ten werte zugekommen sein? urheixxo, als „kämpfer" gefasst, führt auf den begriff des woxdi. he it strenrija, worüber Grimm, RA. 900 zu vergleichen ist und wovon, ohne die speciell nordischen formen, Beowulf 676 fgg. ein beispiel gibt. "Wie es aber mög- lich war, diesen begriff lat. durch suspensus wider zu geben, darüber möge eine Vermutung gestattet sein. Manche ausdrücke und gebrauche des germanischen fech- terwesens sind uralt und können schon bei den römischen giadiatoren üblich gewesen sein, welche grossenteils Germanen waren. (Seneca sagt ep. 70 §20 in einer überaus drastischen, hier nicht mitteilbaren geschichte: in Indo hestiariorum unus e Germa- nis cum ad matutina spectacula pararetur). Ein beispiel für diesen Zusammen- hang bietet der iimstand, dass, wie der besiegte gladiator um sein leben flehend einen linger emporreckt, so auch im rosengailen die besiegten riesen es tun: Grimms ausg. 1174 11 f recket im die fmger der rise Püsolt. Ebenso könte es auch altgerma- nischer brauch sein , den ich freilich nur aus ritterlicher poesie (Uhich Lanz. 5429 fgg.) nachweisen kaim, dass der sich zuni kämpf erbietende einen schild aushängte, wie

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noch später die meistersiuger zum wctsingen aufforderteu , indem sie einen kränz aushängten (Wackernagel LG.- § 74, 13). So würde der urheizxo insofern stispen- sus genant, als er einen schild oder ein sonstiges zeichen der herausforderung auf- gehängt hat; und ebenso würde sich die giosse piheizit = suspcndit erklären. Vgl. übrigens auch unten II, 2, 185, wonach der dingfrieden durch einen aufgehäng- ten Schild bezeichnet; als „ding" wurde ja auch der gerichtliche Zweikampf auf- gefasst (ivchadinc). Ich könte schliesslich mich noch auf die heutige Studenten- sprache berufen, welche „mit einem hängen" von einem zum duell bestimten ge- braucht; ich würde damit dem beispiel Kögels folgen, dessen deutung von ersaxta s. 172, wie oben bemerkt, sich ebenfals auf die heutige Studentensprache stüzt. S. 177 heisst es zu v. 20, dass bür- als „kammer, frauengemach" nicht hochdeutsch sei. Aber hat es hier diese bedeutung? Kann es nicht bedeuten: haus (so übersezt Lachmann, Kl. sehr. s. 425) oder auch wohnort? vgl. zu der lezten annähme He- iland 196 barn an burgun und 205 M. Für z. 2G vonnutet Kögel dehUsto mit Verweisung auf ahd. glossen derotus = kideht; also liier soll das ahd. für das nie- derdeutsche mit gelten. Allein wie erklärt sich kideJtt etymologisch? Graphisch leichter ist auf jeden fall die conjectur dcncJnsio, welche Scherer, Ztschr. f. d. a. 20, 380 eingehend begründet hat, und deren ableitung keine Schwierigkeit bereitet. Zu s. 35 dat bemerkt Kögel: Dass-säfze ohne vorhei-gehenden hauptsatz begegnen zwar auch sonst, aber nicht in dem hier durch den Zusammenhang geforderten sinne". Demgegenüber verweise ich auf Lachmanns anmerkuug, die ich Ztschr. f. d. a. 34, 281 mitgeteilt liabe, und wozu, wie J. Stosch mich mit recht erinnert, ich auch auf Beneckes anm. zu Iwein7928, Haupts zu Erek 4068, sowie auf Priestereid (Denkmäler - LXVIII) besonders mit dem schluss der dazu gehörigen anmerkuug mich hätte beziehen sollen. Auch die heutige Volkssprache kent Versicherungssätze mit „dass" ohne vorhergehendes verbum: Arnold Pfingstmontag III, 2 (Bcrwcl) dass ich ne ivurr verwitsche ! IV, 5 (Lizeuziat) dass ich als %eUe wäj rJ Nachts nimm iviirr gehn! IV, 6 (Mehlbrüh) dass ich's (jewiss nit lyd. Die textveränderung Kögels huat ist somit übei-flüssig. Noch weniger zu billigen ist die freilich schon von anderen vorgeschlagene abänderung der alliteration in v. 48 r'tclir : recclieo. Mit sol- chen gewaltsamen mittein die folgerung Lachmauus, dass das lied in einem nieder- deutschen grenzdialekt gedichtet sei, beseitigen ist nichts als eine petitio princi- pii. In bezug auf die sage vermutet Kögel s. 180, dass Theodorich als verbauter an die stelle des von Odoaker abgesezten Eomulus getreten sei: aber wenn selbst die grösten römischen kaiser und feldherrn von der deutschen heldensage volständig ver- gessen worden sind, so hatte sie für eine derartige puppe doch erst recht kein gedächtnis. Schliesslich wird das gespräch von Hildebrant und Hadubrant als das tragische gegenstück zu dem von Glaukos und Diomedes bezeichnet: wem ist mit sol- chen ganz fern abliegenden vergleichen etwas gedient?

Bogreiflicherweise kann im übrigen Kögels litteraturgeschichte nicht ebenso eingehend kritisiert werden. Nur noch zu den ältesten und wichtigsten deukmälern seien folgende bemerkungen gestattet. Für den altsächsischen Ursprung des AVesso- brunner gebets wird s. 196 geltend gemacht, dass ahd. want nur paries bedeute, nicht wie as. '''went grenze, wofür als beweis as. giivand angeführt wird. Aber aus mild, (jeivende neben getvande „ackermass" ist für das ahd. simplox dieselbe bedeu- tung zu erschliessen, und das aus den Nib. 1280 bekante wende komt ebenfals in betracht. So ruht der beweis Kögels für den mittelteil des denkmals auf schwacher stütze. Für das Muspilli wird s. 212 trotz des im as. überlieferten mudspelli

i'UEK r.M'L, GRIXDRISS DKR ÜERM. l'IUI.. I. II 229

eine Zusammensetzung des \vortes mit »iti- angenommen, das sonst nur in ludiccrf mauhvurf erscheint und wofür keinerlei verwantschaft nachzuweisen ist, so dass auch hier zweifei bleiben. Uass das gedieht vom muspilli rein bairischen dialekt habe (s. 212), ist auch zu viel behauptet: s. Piper, Ztschr. f. d. pb. XV, 89 fgg. und jezt II. Garke, QF. 69, 33 fg.

Bei Otfrid ist in der anm. zu s. 210 der gel)raueh grammatist-li falscher for- men im reim den Schreibern zur last gelegt worden: aber da eine handschrift sicher, zwei andre vermutlich untei' den äugen des dichters entstanden sind, -durften sich die Schreiber da wol solche wilkür erlauben'.-' Die auf derselben seite (nach Olsen) beliauptete gleichzeitigkeit der drei rhythmischen Widmungen wird dadurch sehr in frage gestelt, dass die widmung an Salomo gleich der an könig Ludwig das akrostichon aucli in den schlussconsonanten der vorlezten reimzeile durchaus rein iiiilt, während die au die S. Galler ungenau bindet: 42. 62. 108 thax, tvas, 48 in finiim, 72. 130 ein heim, 129 forn fol. Das deutet doch auf ältere abfas- sung; oder soll es Otfrid mit der metrik seinen freunden gegenüber minder genau genommen haben, als gegen seine vorgesezten? S. 216 soll Otfrid seine freunde in S. Gallen sicher besucht haben: woher wissen wir das? kennen lernte er sie ja in der klosterschule zu Fulda. S. 217 heisst es: Otfrid habe („nach fremdem muster, wie man jezt glaubt") die zahl der hebungen des halbverses auf vier erhöht: das man ist doch nur von einem teile der germanisten zu verstehen. "Wenigstens rcferent hält die Lachmannsche lehre von der ursprünglichkeit des vierhebigen kurz- vei"ses für durchaus nicht erscliüttert und weiss sich auch hier mit vielen fachgenos- sen eines sinucs. Endlieh ein beispiel, wie Kögel sogar die in dem grundrisse selbst ausgesproclienen ansichteu und angaben anderer, vielleicht unabsichtlich , über- sieht: s. 186 wird mit berufmig auf T\'attenbach ° I, 319 fg. die bekante stelle der Quedlinburger annalen über die sage von Ermanrich und Dietrich als wertloses zeugnis abgewiesen, während s. 34 Sijmons doch schon bemerkt hatte, dass die angefochtene echtheit von H. Lorenz (Germ. 31, 137 fgg.) mit guten gründen verteidigt worden sei.

Mehrere, allerdings kleinere und minder wichtige denkmäler sind ganz über- gangen worden: so das Abecedarium Nortmannicum MSD. V, die Baseler recepte MSD. LXn, der ordo ad d au dam poenitentiam MSD. LIIT, Ztschr. f. d. a. 21, 273 fg., der piiestereid MSD. LXYIII, die Hamburger und "Würzburger markbeschrei- bnng (eb. LXIII. LXIY), die Essener und Freckenhorster heberollen. Die über- gehung der glossenlitteratur wird man ebenso bedauern. Geschahen diese aus- lassungen zur raumersparnis? Aber dann hätte doch lieber s. 189 der jezt volkommen gleichgiltig gewordene streit über die z. 56 des Ludwigsliedes übergangen werden sollen, deren lesung längst vöUig sicher gestelt worden ist. Ebenso hätten von den lateinischen gedichten historischen inhaltes aus der Merowinger- und KaroUngerzeit (s. 191) diejenigen wegbleiben können, die keine deutsche grundlage, nicht einmal einen deutschen dichter haben.

S. 199, z. 4 ist anstatt: .,zu Yorkshire geboren" zu lesen „in Y. g." S. 200 heifst es von Eeinwald, er sei durch sein freundschafts Verhältnis zu SchiUer bekant; warum nicht kurz: Schillers Schwager? Die frage, von wem die Glossae Lipsianae Ztschr. f. d. a. 13, 335 fgg. herau.sgegeben seien, ist durch den hinweis auf den dama- ligen herausgeber der Zeitschrift selbst leicht zu beantworten.

Den erwaitungen , die wenigstens der referent einem grundrisse gegenül)er hegt, entspricht die behandkmg besser, welche F. Vogt der mittelhochdeutschen litteratur hat angedeihen lassen (s. 245 418). Knapp und doch anschaulich werden die resultate

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der bisherigen forscliung vorgelegt und durch den hinweis auf eine gut ausgewählte zahl von belegsteilen und belegschriften die einzeluntersuchung weiter gewiesen. Die Stellung, die der Verfasser den einzelnen Streitfragen gegenüber einnimt, könte refe- rent nicht immer teilen; doch freut er sich namentlich darüber, dass Vogt in der frage nach dem ursprünglichen text der Nibelungen die handschrift A bevorzugt (s. 316): damit ist ein gemeinsamer boden gefunden, von dem aus die verschiedeneu hypothesen über die entstehung dieses gedichts, unter denen referent die Lachmaims und Müllenhoffs noch immer für die einzig wahrsclieinliche hält, gegen einander abgewogen werden können. Hoffentlich nimt Paul in einer späteren neuen aufläge des grundrisses (bei s. 133 des I. bandes) rücksicht auf die Stellung seines mit- arbeiters.

Nur auf zwei stellen möchte referent kritisch eingehn. S. 251 wird die ent- stehmig des Annoliedes bald nach dem tode des heiligen (1075) angesezt. Referent hält die zuerst von Kettner eingehend begründete annähme einer abfassung im jähre 1106 für sicher. Die absieht des dichters ist unzweifelhaft, die nach dem uuervvar- teten tod Heinrichs IV. zur Unterwerfung unter die geistliche Obergewalt gezwimge- nen Kölner mit diesem loos auszusöhnen. Daher wird die Stadt Köln und Anno zugleich gepriesen; ja der einzige fleck, der die brüst des heiligen verunziert hat, ist sein unversöhnlicher hass gegen die stadt. Der schwung des liedes entspricht der edlen grossmut, welche der dichter seiner siegreichen partei anempfiehlt, eine gross- mut, welche gewiss zugleich die höchste klugheit genant werden muss. So lange Köln noch kämpfte, wäre eine solche milde leicht als zeichen der schwäche erschie- nen; auch müste, bei früherer abfassung, irgendwo eine bcdingung ausgesprochen sein, irgendwo das subjektive moment der meinung des dichters hervortreten. Zu diesem zeitansatz passt es nun auch vortreflich, dass v. 505. 6 Mainz als ort der königsweihe bezeichnet wird: nicht bloss Eudolf von Schwaben ward hier gekrönt, sondern auch Heinrich V. erhielt hier 1106 die reichsinsignien und ward von den legaten noch besonders durch handaufleguug geweiht: Giesebrecht, Kaiserzeit 3'*, 747.

Sodann behauptet Vogt s. 325, dass die lyrik der vaganten erst mittels der lyrik der vulgärsprachen, der deutschen volksmässigen wie der französisch -pro venza- lischen die ausbildung erfahren habe , in der sie uns aus der Beurener handschrift ent- gegentritt. Man wird unterscheiden müssen: einzelne lateinische stücke, auch solche die bereits die volle kunst zeigen, sind sicher älter, und sie müssen uns als Zeugnisse dienen für die priorität der lateinischen lyrik, die von der kii-chlichen dichtung aus- gegangen, an den mustern der antike sich entwickelt hatte. Doch das bedarf wei- terer ausführung, als sie hier möglich ist. Für jezt nur noch die bemerkung, dass Vogt s. 326 mit unrecht die Strophenform des Eckenliedes als vorbild für die latei- nische Carm. Bui'. nr. 180 bezeichnet. Abgesehen davon, dass die Übereinstimmung, wie Vogt selbst hervorhebt, nur „fast ganz genau" ist: warum soll nicht das umge- kehrte Verhältnis obwalten V die bildung der Strophe stimt weit mehr zu lateinischen, französischen, niederländischen formen als zu deutschen. Ähnlich sind z. b. in Bartschs Pasturellen 135, 22. 306, 1. Zwei punkte sind dabei massgebend: einmal die reimstellung aabccb, von welcher F. Wolf, Scijuenzen und leiche s. 33 sagt: „Natürlich gieng eine so durchaus volksartige form auch sehr bald von der mittel- lateinischen in die vulgarpoesie über und erscheint aucli hier, was wol zu beachten ist, am häufigsten in geistlichen moralisch -ascetischeu und volksmässigen gedichten". Die deutsche volkspoesie hat sie auf jeden fall erst später und gewiss durch die dichtungen in anderer spräche erhalten; und zwar liegt es weit näher an die latei-

ÜBEK PAUL, GRUNDRISS DER GKRM. l'HIJ-. I. II 231

nische, geistliche zu denken als an die romanische, ritterlii-he. Zweitens ist das ein- schiebsei der jambischen dipodie vor der lezten reimsilbe der lateinischen Strophe in der lateinisch -romanischen dichtung Ijcliebt und ursprünglich, nicht aber in der deutschen; man begreift, dass der deutsche dichter sie durch eine dreihebige, klin- gende zeile ersezte.

Die mittelniederdeutsche litteratur ist von II. Jellinghaus bearbeitet worden (s. 419 452), der mit recht darauf hinweist, dass er sich kaum auf Vorgänger stützen kann, wenn er das ganze reiche, aber nur selten ästhetisch wertvolle Schrift- tum Niederdeutschlands zusanimcnfasst. Die abluingigkeit von Oberdoutschland, vom Verfasser fast unwillig geschildert, macht ein einheitliches bild ziemlich unmöglich. Um so nützlicher wird für die weitere einzelforschung die gebotene Übersicht sein. S. 430 war anstatt Jan Deckers zu lesen: Jan de Clerc (oder Boendale : s. 471). S. 451 wird Eulenspiegel „der die Städter verhöhnende abenteurer aus dem bauernstande " genant: ist nicht vielmehr anzunehmen, dass die spässe über die einzelnen hand- werke aus der misgunst dieser selbst gegeneinander herstammen?

Für die von Jan te Winkel geschriebene geschichte der niederländischen lit- teratur lagen dagegen zahlreiche und teilweise vortrefliche vorarbeiten vor. Das 16. Jahrhundert ist hier mit in den kreis der darstellung hineingezogen worden, wie schon die mnd. litteraturgcschichte (und diese zwar noch in weitergehendem masse) die neuzeit einbegriffen hatte.

Mit dem anfang der friesischen litteratur, deren geschichte Th. Siebs über- nommen hat, schliesst das 4. heft des IL bandes, 1. abteilung ab.

Von der 2. abteilung des II. bandes ist inzwischen nur ein heft erschienen, worin zunächst Amira das recht zu ende bringt (s. 129 200): eine reichhaltige, wolgeordnete arbeit, für den ref. sehr lehrreich. Zu s. 137, wo als isländischer aus- druck für kinder der geschwisterkinder „andere bräder" angeführt wird, kann bemerkt werden, dass auch das Elsässische (gegend von Colmar) 's anderc(n) kinder für das- selbe Verhältnis gebraucht.

Dagegen ist der XII. abschnitt: kriegswesen von A. Schultz überaus sum- marisch behandelt worden (201 207). Das empfohlene buch von Jahns dürfte phi- lologisch betrachtet nicht befriedigen.

Der XIII. abschnitt: sitte fasst zunächst die skandinavischen Verhältnisse ins äuge (208 252). Der Verfasser dieser abtheilung. Kr. Kälund, bringt ein reiches material zusammen, bei dem man nur gern die einzelnen Zeiträume noch mehr unter- schieden sähe, da nur so der wert der einzelnen nordischen Zeugnisse für die erkent- nis der urgermanischen zustände geprüft werden kann. Und auf diese ergänzung scheint doch die 2. abteilung, worin A. Schultz die deutsch - englischen Verhältnisse bespricht, sehr zu rechnen, da er nach wenigen Vorbemerkungen nur auf die ritter- lichen Zeiten näher eingeht. Vielleicht bringt auch die fortsetzung noch die wün- schenswerte darstellung der altgermanischeu sitte nach.

STRASSBURG. E. INIARTIN.

Prolegomena zu einer urkundlichen geschichte der Luzerner mundart, von dr. ß. Brandstetter. Einsiedeln 1890. 88 s. 8.

Der Verfasser der vorliegenden schritt hat im jähre 1883 in seiner dissertation „Die Zischlaute der mundart von Bero- Münster" (kanton Luzem) behandelt. Diese schritt bewies bereits gründliche kentnis des weitern gebietes, das nun gegenständ

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der vorliegenden ist und eine noch ausführlicliere behandlung erfahren soll. Die Pro- legomena zeigen, dass der Verfasser auch der grössern aufgäbe, die er sich stelt, durchaus gewachsen ist, und erwecken günstige erwartungen von dem künftigen werke, dem der Verfasser vielleicht nur etwas zu viel schon vorweggenommen hat; denn er bespricht nicht nur plan, methode und quellen desselben, sondern er gibt auch schon zahlreiche proben des Stoffes und der bearbeituug und einen ausblick auf ziele und resultate (s. 80 88). Wir kennen die dimensionen und proportionen, in denen der bau errichtet werden soll, noch nicht, möchten aber dem Verfasser raten, denselben nicht zu weitläufig anzulegen und auszuführen; denn wenn vor kurzem Kaufmann über die geschichte der schwäbischen mundart ein buch schreiben konte, so handelt es sich hier um ein viel engeres gebiet. Andrerseits kann freilich ausführliche behandlung eines solchen um so gründlicher und erschöpfender sein und einzelheiten von besonderm Interesse ans licht ziehen; nur wird es ratsam sein auch beim kleinsten immer das Interesse der gesamtwissenschaft im äuge zu behalten und in der fülle des Stoffes zufälliges von wesentlichem zu unterscheiden.

Beschreibung lebender schweizerischer mundarten haben wir seit 15 jähren eine ganze reihe erhalten, darunter sehr gute, aber vorläufig wol auch genug; ge- schichte einer mundart noch keine. Es ist also ein wirkliches verdienst, einmal das Verhältnis aufzusuchen und darzustellen,' in welchem die gesprochene Volkssprache der gegenwart zu der geschriebenen der altern zeit steht. Dabei erhebt sich aber sogleich die frage: wie kann aus schritten der altern zeit die damalige (jeweilige) mundart herausgelesen werden? welches sind die quellen, aus denen die ältere mundart geschöpft werden kann, und nach welchen grundsätzeu müssen sie zu jenem zwecke verwertet werden? Die art, wie der Verfasser dabei zu werke geht, ver- dient volle Zustimmung durch die vorsieht und umsieht, die er anwendet (s. 64 fgg.); denn dass wir auf einem unsichern boden stehen, verhehlt sich der Verfasser keinen augenblick. Vor allem muss in der geschriebenen spräche der altern zeit eine kanz- 1 e i Sprache (s. 29 fgg.) unterschieden werden von Schriftstücken oder stellen , in denen Volkssprache mehr und weniger unmittelbar zu tage tritt oder zu gründe liegt. Es sind darnach primäre, secuudäre und tertiäre quellen der ältei'n mundart zu unter- scheiden (s. 39 fgg.).

Richtig und wichtig ist innerhalb der mundart die Unterscheidung zweier schichten, algemein üblicher und bloss von den gebildeten gebrauchter Wörter (s. 14). Weniger tiefgehend ist der unterschied zwischen gewöhnlichen und euphemistisch entstelten oder nur in formelhaften Verbindungen vorkommenden Wörtern (s. 15 fgg.). Bemerkenswert sind die angaben über eine absichtlich entstelte sprachweise, welche vom Verfasser (s. 17) Rotwelsch genant wird, dergleichen doch auch in harmloser weise bei kindern vorkomt.

Die ältesten sichern belege von mundart findet der Verfasser (s. 26) in Orts- namen aus dem ende des XII. Jahrhunderts; die mundart soll aber „natürlich lange vorher bestanden haben" (s. 28). Dieser zusatz hätte wol wegbleiben dürfen, da zeit und art jenes altern bostaudes uns unbekant sind. Die erste periode der mundart soll von dem genanten Zeitpunkt bis gegen ende des XIV. Jahrhunderts reichen; die zweite von da bis auf die reformatiou; die dritte bis heute. Diese ausätze mögen aus algemein geschichtlichen gründen richtig sein; was der Verfasser von sprach- lichen merkmalen anführt, würde kaum genügen. Den auffallenden mangcl an abstrakten Substantiven in der heutigen mundart erklärt er (s. 27) als folge der Stag- nation und verrottung aller Verhältnisse im XVII. und XVIII. Jahrhundert; aber

ÜBER BKANDSTKTTEK, LUZICRNEK MlTNIiAKT 233

jenor niangel liegt wol im woseii dvv iiuuuiart und di's gcinoinoii vullvslolicns über- liauiit. Zwischen vulks- und kaiizli'is|iracli(' soll (naidi s. iiO) /.u aiirn zciicu „ciiio tiefe klid'f' bestanden halien und doeb (nai'h s. .'il ) eine stai'ke gegenseitige bceintlus- stmg - was kaum viM'i'inbar ist. K'ielilig wird sein, dass die kanzleispracho der mittcliioeiideutsrhen srliriftspraejic (wi'uii edei' snweil eine selelu; bestand s. .'iL', vgl. 1)^) näber stand als der mundart. IM-kunden des XIII. jahriiuiideils zeigiMi nueli endungen mit \ eilen \rd<a!en, \\;ihi'end diesi' in andern abgeseliwädit sind; sebrill- stüeko der ersteu art liaiien zuglei(;li mehr luundartlieln'n Charakter. Fein beobaclitet und wichtig sind die für die vokale dev liildungssilben aut'gestelten gesetzo (s. öOfgg.); (h'nnncli \ei'h;ilt sieh diT Verfasser zu dei' IVage der lautgesetze uneiitsi-birden (s. lil), wie er denn aueh s. 17 in der Luzerne'i' mundart zwei furnie'n und s. (i'J zw(M vokale nelien einander lii^steliend lindet. S. öf) gibt ein hübsches l)eisjiiel eines rücksidibis- ses von vfdiahiuahtät auf consouantische. Merkwürdig ist die auch in anderu inund- arteii vorkommende schwäcliuug von vokah'n liaupttoniger silbeu im ersten teil von Zusammensetzungen; dagegen sclieiid das -.v als durchgängige ('ndung des gen(^tiv auch im plural und weiiilicher Wörter der Luzernisidien mundart eigen (s. 71).

Zum schluss einige orgiinzuugen und vielleicht berichtigungcn. Der Verfasser zeigt scharfe phonetische iinterscheidungiMi, z. Vi. s. 10 ä stufen von fortis, welche ihm nicht jedermann leicht uachempiinden wird; wenn er (s. 11) in nhd. iiacli))iitt(iti alle ;> Silben gleich starktonig findet, kann ich ihm nicht Iieistiuimen, da ich dii' dritte merklich stärker finde als die zweiti'. Das auf s. '_'(^ in frage gestelte wort tlnotlicriiig kann wol nur den thuufisch l»edeuten, der vom liäi'ing zwar in der grosso sehr verschieden ist, aber wie jener eingesalzen schon im XV. jahiinmdert importiert worden sein wird. trau s. 4*2 ist das verkürzte nihd. iraiitlc^ weil. S. 48 wird ristcr als nelieuform von ct'sfii/ genommen und riiisilar eine ungeheuerliche form genant; abei' s. 7(1 wird dies richtig dem nhd. hin/tcn/i/r gleich gesezt, und wir haben im Idiotikon |I, i')32) keine andere erklärung zu geben gewusst. S. ü8 wird das -is von rrr(jch/.s dem von I/iirbscI//s gleichgestelt , und in der tat ist es beide mal aus -nies entstanden, doch mit dem unterschied, dass im ei'sten der geuetiv eines part. [irät. zu gründe liegt, im zweiten der des infiuitiv, also eigentlich -ciiiics. Üb flcfrcJd z= lärm (s. 7(3) auf mhd. (jcrrlite beruht, ist fraglich; s. Id. I, (544. S. 8(3 werden (fsfoloi und (/'s/nliii;/ dop|)elforinen des part. perf. genant; aber das zweite ist doch nur erweiterung des ersten dui'ch -///, in adjecti vischer bedeutung. 8.87. ^^'arum die ausspi'ache ai von a/f in hlati. ;/r</H usw. einst herschend gewesen sein müsse, verstehe ich nicht. Die erklärung von (jrliifjclle s. 77 fg. scheint mir sehr fraglich, bzw. der unterscliied der Schreibung mit l oder 11 nicht unwesentlich. Im l-'ei'ner oberland wird allerdings das / der diminutivbildungcn verdoppelt, aber für die Luzeruer mundart gilt dies nicht. Ich sehe in dem fraglichen wert eine Zusam- mensetzung mit dem im Idiot. II, '210 besprochenen alten ijcUe , pcUcx. 8.81. fn •.'hrat tönte '. allerdings =^ (h, das sein, wo der artikel wirklich so lautet, nicht zu blossem s verkürzt ist. Da aber die foiincl -.'best rede auch in niundartcn vor- komt, wo der artikel nur '.s lautet (z. li. in Zürich), so muss die annähme der prä- [losition offen bleiben; der casus wäi'e aufzufassen wie in \'lefsi, zulezt. S. 82 scheint der Verfasser wirkliche Umschreibung des dativ durch die präposition //a anzu- nehmen; ich verweise aber auf Idiot. 1, 200.

ZÜRICH, OKTOBER 1890. L. TOBLER.

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Blattner, H., Über die mundarten des kantons Aargau. (Leipziger disser- tation.) Brugg 1890.

Die vorstehende abbandliing zerfält in drei teile: einteilung der mundarten des kantons Aargau, pbonetik, voealismus der Scbinznacher muudart. Die niundart des ortes Scbinznach, aus welchem der Verfasser stamt, repräsentiert ihrer geogi'aphiscbeu läge nach ungefähr das mittel unter den dialekten des kantons Aargau. Der Verfas- ser unterscheidet sechs gi'uppen, deren umfang ein übersichthch gehaltenes kärtchen veranschaulicht. Die südwestliche gruppe, die mit dem dialekt der angrenzenden kantone Bern und Solothurn ziemlich übereinstimt, teilt Blattner dem deutsch - bur- gundischen" sprachstamme zu; er glaubt sogar, es könte aus den heutigen mund- arten ein beweis für oder gegen die Zugehörigkeit der Burgunden zu. den Ostgermanen erbracht werden. Von den sechs charakteristica, die Blattner s. 17 für das aleman- nisch - burgundische aufführt, können indes fünf ebensogut rein alemannisch sein, und es bleibt als wesentli<;h nur die vocalisierung des / zu ii. Aber diese komt auch anderwärts vor: sie ist nichts als eine folge schwerfälliger articulation. Ich muss gestehen, dass ich mich gegen die methode, aus diesem moinent, wie Blattner es tut, einen schluss auf altgermanische dialektverhältnisse zu ziehen, skeptisch ver- halte. Auch die möglichkeit, jene palatalisierung durch romanischen einfluss zu erklären, ist principiell abzuweisen. Die Sprachgeschichte lehrt, das es schon weit gediehen sein muss mit der gegenseitigen durchdringung zweier sprachen, bis das lautsystem davon inficiert wird. Die westlichen dialekte der deutschen Schweiz sind nun aber durchaus keine bastardsprachen, sondern im gegenteil sehr altertümlich.

Blattner scheint die beiden arbeiten von Ludwig Tobler: „Ethnographische gesichtspunkte der schweizerischen dialektforschung " und Die lexikalischen unter- schiede der deutschen dialekte" nicht zu kennen. Hier ist ganz besonders der eigen- artige Wortschatz der schweizerischen südwestgruppe herausgehoben; aber auch er ist nicht durchschlagend für die annähme eines deutsch- burgundischen sprachidioms.

Wir wollen damit nicht a priori die möglichkeit von der band weisen, dass eine deutsch - burgundische spräche sich wirklich entweder rein oder mit dem ale- mannischen vermischt erhalten habe; aber vom boden der heutigen dialekte aus ist dieser beweis nicht zu führen. Erst wenn uns aus der geschichte, aus dem recht, aus gewissen gruppen von orts- und personennamen und namentlich aus dem häuser- bau die notwendigkeit dargetan sein wird, für die deutsche "Westschweiz burgimdische elemente anzunehmen, können wir uns dazu verstehen, auch ihre sprachlichen abwei- chungen, sofern sie sich als alt erweisen, auf diese quelle zurückzuführen. Dass man aber gar noch für die Scheidung von ost- und westgermanisch hieraus material gewinnen könne, ist eine utopie. Die altburgundischen sprachreste geben ims ja nicht einmal einen sicheren bescheid, und es scheint mir, dass, abgesehen vom nordischen, seit dem 6. Jahrhundert die Unterscheidung von ost- und westgermanisch überhaupt gegenstandslos geworden ist.

Im zweiten abschnitte „phonetik" unterscheidet Blattner für die Spiranten f, s, seh, ch die drei stufen lenis, longa, fortis. Das verhalten der Frickthaler mundart (s. 36 und 37) zeigt, dass es besser gewesen wäre, in Übereinstimmung mit anderen dialektai'beiten zu sagen: lenis, fortis, geminata. „Die longae stehen ohne rück- sicht auf die quantität des vorhergehenden vocals im Innern der silbe als erste com- ponenten doppelter oder dreifacher consonanz, z. b. luvd, ha«d, rosd, rosd, wa/d, rä/d". Richtiger und iimfassender ist dieses gesetz von Heusler: „Consonautismus von Basel -Stadt" §27 formuliert worden: „Treffen zwei oder mehr stimlose laute

ÜBER HLATTNEK, AARUAUKK MUNIiAKTKN 235

zusammen, so crhalton ihre rirtiimlationi'n ciiii' ^fwissc itiitlcrc intonsiliit, kräftiger als die der leiiis. .scliwiiclicr als die der Inrtis. Wir kiuincii für diese lauto die hezeichniing neutrale lirauelien". Die sonoren ii, in. I ninit llrusirr alli'rdinus von dieser rcgel aus; es kaini da dialektverseliiedenheit \or!iet;;cn.

Manches zum kaiiiti'i di'r piioneük kiinte p'lci'nt werden aus der lieuliaddung der art und weise, wie dir von L-Hit|iliysiiilnuiselii>n tlieni-ien uiilieeintlusstcn dialekt- sehriftsteller sicli die inuiidartlirlie ortiiouraiihii' /.nrc.'idit inarhi'n; eiienso aus dun typischen schreibefi'iilern der schiiljuyvnd. aus dci' landcsülilirheii ausspracdie des selirii'tdeutsehen, lateiniseh(>n usw.

Der ..voealisnuis '• endlieh i;iiit zu wcniu' und zu viel. Zu weni^^, wenn man iliu mit dei' i^icichzeitiii,' ersriiicnrncn disscrfation von K. liol'fmann: ., Dri- muml- artliehe vocalisinus von IJascd -Stadt" vi'r.uleieiit - don voealisnuis dei- unbetontiMi sill)en tut ülattner auf zwei si'iten ali - -; zu viel im liinMick dai'anl'. dass doi- \iic;i- lismus der Seliinznaeiiri- mundarl sirli von di'mji'ni'j,en , dm Winteler und Stii-kellier- i;er dargestelt halien, nicht wcsentlidi utitcrschcidct. lüaftnci' liiittc venlii'ustlii'hcr getan, von <lcr ganzen lautlehre nur das aliwcichcndc anzugehen und (hd'iir die fle.xions- odei' die wortiiihlungslelire ausluhrlich zu lieliandeln. Dass auf (hesen g(;hie- ieu noeli wenig liand angelegt worden, ist um so he(lauerlichi'r. als gerade hier die mundart in raschem zerfall liegriffcn ist.

A'on einzellieitcn liabe ich folgendes notiei't: der ausdruck s. S rii/u's iiiul s/ii- /lis ..mit stumpf und stiel" kaiui nicht aus .,rauchi'nd und staubend" erklärt werden; die synonyme wendiuig in anderen dialekti.'u „mit rinnpf uml stumjif" düi'ft<^ auf die riclitige fährte füiiren. S. II: die [lalatalisierung des eh zum /V7/-iaute im <lialekt des westlii'lu'U liernci' obei'landes erfolgt nicht nach vocal, sondern im anlant: / fli'inm ich koinnu', rhia kann (Stalder, iMalektolouie s. (i'J), (h'acs käse, ch'iirchl, knccht (üachmann, tiutturallaute s. 11). S. 13: das spätere bui'gundische gebiet hat sieh weit über das .■\aretlial hinaus erstreckt, dcmi im lO./ll. Jahrhundert wai" nach dem Zeugnis Wi|)po's Basel eine l)urgundisehe stadt. S. 17: In iUs „uns", n'/.sr"- „un- ser" ist /;■/ doch ei'satzdehnung, wie die zwischenfoi'm Uns lieweist, deren umlaut von der ai/cusativform /nisih herzurühren scheint. S. lil: rri-ii/i>il,-rii und rcrsrlnui'ii- hr'i- sind zwi'i ganz verschiedene werter; das erste hängt mit iiifiiflichi zusannuen, das zweite mit nihd. rersuiicijcii. 8.27 z. 7 v. u. lies ..nachfolgende'' st. „vorange- hende"'.

S. fjlj: aus ilem offenen h in sinitiinr ,,s(unmer" lässt sich nicht schliessen, dass tlie längung der consonanz in diesem werte besondei-s früh ci-folgt sei. da Ja alle mhtl. i'i zu i( geworden sind. S. 72: .,erulung -/ aus ahd. -ida" seheint irtüm- lich in den te\t gei-aten zu sein.

S. 73: iqAs aus rfrn-.xz ei-klärt sich nicht aus analogie, s<uidern aus einer eigentümlichen alemannischen erliöhung von nebentonigem c zu / wie in der dui'ch das unterscheidungsbedürfnis erhaltenen form Irhfi <i. lehrlr rircrcf. Vgl. über die- ses gesetz die eitierte abhandlung von Hoflinann § 222 fgg.

S. 74: ein Wick in AVeinholds mhd. gramm. und auf den angienzenden dialekt der landsidiaft Basel hätte dem Verfasser sofort gezeigt, dass die Verwendung der conjuncti\-form ,s^//^ für siiit längst etwas ganz gewöhnliches ist.

Die Untersuchung moderner dialekte hat luich unserer anschauung vor allem zwei Zielpunkte ins äuge zu fassen: 1) in principieller hinsieht aufschluss über die bediugungen, unter denen die Sprachentwicklung sieh volzii^ht; 2i in h istoi'ischer hinsieht rückschlüsse auf fnihere sprachperiodeu. Es ist klar, dass das Studium der

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BERNHARDT

lautphysiologischen Untersuchungen von Winteler, Kräuter, Sievers, Trautmanu hie- für allein nicht genügt. Wie man, ohne sich auf i^honetische subtilitäten einzulas- sen, aus der vergleich ung der heutigen mundart mit der urkmidensprache über- raschende resultate für die Sprachgeschichte des mittelalters gewinnen kann, zeigt die [s. 231 fg. besprochene Red.] ausgezeichnete Schrift von E. Brandstetter: „Prolego- mena zu einer lu-kuiidlichen geschichte der Luzerner mundart" (Einsiedelu 1890). Der Verfasser unserer abhandlung verrät durch seine einleitenden bemerkungen über das schwinden echt mundartlicher redeweise, über die eigenheiten der einzelnen dia- lektgruppen, über zufällige einflüsse auf die lautgestaltung eines ortes, über den unterschied von stadt- und landmundart 13) eine scharfe beobachtungsgabe; aber es mangelt ihm noch an kentnis der eigentlichen philologischen litteratur und an belesenheit in den älteren Sprachdenkmälern. Für das historische hätte er unbedingt Jahn 's „Geschichte der Burgundiouen " und die Fontes rerum Bernensium benützen sollen. Werden diese lücken ausgefült, so soll es uns freuen, ihm auf dem felde der mundai'tenforschimg wider zu begegnen.

BASEL, DEC 1890. ADOLF SOCIN.

A comparative glossary of the G^otliic language, with especial refe- rence to English and German, by ii. H. Balg, Ph. D. With a preface by Prof. Francis E. March. Mayville, Wisconsin 1887 1889.

Dies buch, ein statlicher band von 667 selten in vorzüglichem druck, liefert einen erfreulichen beweis, dass jenseits des Atlantischen oceans das Studium germa- nischer Sprachgeschichte im aufblühen begriffen ist.

Prof. March sagt darüber in seiner vorrede folgendes: ,, T/iis ylossary is largely occupied ivith comfarativ etyvwlogy, but it should not he judycd as a scientific dietionary 7nerely, but also as a practical handboolc to illtistrate and ground the study of English by etymological study of its Gothic relations, and to aid in making comparativ filology interesting. Hense the large niimber of English deri- vativs fully explaind, the cxplanation not being eonfii/ed to the Gothic elemcnts of the Etiglish words".

Die einrichtung des buchs wird diu-ch ein beispiel am besten dargelegt wer- den. Unter hiaifs werden zuerst von 56 bibelversen und stellen der Skeireins, wo das wort erscheint, 12 in der reihenfolge der biblischen Schriften angeführt. Sie ent- halten belege für sämtliche casus, auch für die zwei nominativformen hiaifs und hJaibs; ein beleg für den accusativ hlaib wird vermisst; auch ist die nominativform hlai/js nicht erwähnt. Der dativ und accusativ des plurals sind je dreimal belegt. Nun folgen die entsprechenden alt-, mittel- und neuenglischen, sowie die alt-, mit- tel- und neuhochdeutschen formen; altnord. hleifr ist nicht erwähnt. Sodann wer- den die englischen Zusammensetzungen hldf-irard = lord, hläf-dige = lady, hläf- mresse = lamnias besjjrochen. Das lezte wort gibt dem Verfasser anlass zu einem excurs über nuesse, neuengl. n/ass, nhd. messe, lat. missa. Die zweite bedeutung des deutschen messe = Jahrmarkt führt ihn auf engl, fair, feriae, feicr.

Am Schlüsse des buches sind zehn Verzeichnisse der besprochenen griechischen, lateinischen, alt-, mittel-, neuenglischen, altnordischen, altniederdeutschen, alt-, mittel-, neuhochdeutschen Wörter beigegeben.

Das glossar ist gewiss geeignet das Verständnis des englischen zu fördern und die teilnähme an diesem Studium zu beloben und zu verbreiten, und der von dem

ÜiKi; liAI.C, GLOSSAKV Ol" TIIK liuTlIir I.ANOUAGK 237

Verfasser auf seine sainluu^eii verwaute lleiss venlicut um so mehr auorkennung, da die boschalfunf; der Iitteraris''lu'n liiilfsmittel für ihn mit grossen sdiwicrigkoiten ver- Ijuiidt'ii war, s. lutroductory remarks s. XI.

Für uns in Iteutseliland wäre oline zwi'Hcl i'in neues gotisdics glossar mit vol- stäudigen belegstollen, oindrinp:ndcr lieliandinng dei- wortliedeutungen, anf/.itliiuug der entsprechenden wnrtfurmen in dm ülnigcn germanischen sjirachen eiiu; erwünschte gahe. Solclie rnrdi'runi;iMi erfült nun fVeilirh Ualgs (ili)ssary nii'lit in ausreichendem luasse. Die helegstellcn sind, wie wir sahen, iiidit v<dstiuidig aufgefüiiil; in der zweiten hälfte des Werkes (von \\i> anV) sollen sie i's nadi des Verfassers angäbe nu^ist ifiir Ihr ///us/ jtriii.'i sein; ersl ein für später vi'rsprdclii'ncr anhang s(.ill die fehlenden eitate naelihringen. Was die iM'handlung dei' wui-tbi'dcntungen betriff, so versichert der Verfasser gi'osse niüiu; auf genaue Übersetzung der gotischen Worte verwant, ausser den vui-liandenen lexikalischen hüll'smittehi den gi'iechischeu text, sowie die englischen und deutsclien bilielül)ersetzungen zu rate gezogen zu haben. Das lezte wai' eine üliertlüssige mühe; neben dem griecliisciu;n toxt kommen zur feststellung der Ijcdeutungen mir die Itahr und A'ulgata, einige kii'(dienv;iter, und hiiciistens noch die ältesten deutsclien versioncsu resp. (;vangeli(uduarmoiiien in Ijctracht. Kin tieferes eindringen in die liedeufung der gotischen wolle vermisse i<-h nicht sel- ten. Was bedeutet z. b. af m <ifi/r/n//:ji/ . (ifVfJd. iiiip in inlfisutjait I. Kor. XIII, 2? Wie kommen fninininn , iixii'niinu zu den bedeutungen „verzehren'^, biten •' und der dativrection? Wie liäiigen die lieiilen bedeutungen von dis in dixlairnn , (//n- 11/11/111/ zusammen'.-' Was bedeutet i//i/r/i//'li/"f

Die aufzäliluug der entsprechenden werte in den übrigen germanischen spra- chen iiedarf ebenfals der vervolstäudigung. AV^ir sahi'ii dien, dass zu l/btlß das alt- nordische l/lcifr \\\c\\i angegeben ist; zufällig ist mir uoch das fehlen von altnord. fii(ll luiter f/ifil'-i aufgefallen; im buchstaben P. vtu'misse ich die altnoi-dischen paral- leji/n zu hitdi. (ii/(Uii/l/l.'< . hn'/njui/, hi/'/rijul/ii , hu/irijH, hulrl/ts, h/n/ji/ , husl, l/af/\(i, hiiljd// usw.

Die vorstehenden bemerkungeii würden ihren zweck verfehlen, wenn sie den Verfasser entmutigten. Müge iliin erfulg und amu'kennung in seiuer heimat nicht fehlen und eine neue ausgäbe des (Uossary recht bald die vorhandenen mängel beseitigen !

ERFURT, IM SKPT. 1S!)0. E. liERXHARUT.

Hartmaiin von Aue als lyriker. Eine litterarhistoriscli e Untersuchung von F. Saniii. Halle a. S.. Niemeyer. ls89. 112 s. 2,40 m.

An litterarhisturischen Untersuchungen über Hartmann von Aue haben wir eher überlluss als maiigel. Die wenig zahlreichen und wenig sicheren anhaltspuukte, die für den lebensgang des diditers und die reiiienfolge seiner werke, insbesondere auch der lyrischen, bisher in lietracht kamen, sind so vielfach bespi-ochen und so ver- schieden verwertet, dass wd alles vorgdiracht schien, was einen für diesen oder jenen Standpunkt, vielleicht auch für die überzc^igung einzunehmen vermochte, dass wir über das, was der eine so, der amlere so entschieden zu haben meinte, über- haupt nichts wissen können. Eine neue behandlung dahin gehöriger fragen wird daher ihre berechtigung vor allem durch die beibringung neuer, bisher nicht bekanter oder wenigstens nicht beachteter tatsachen zu erweisen haben. Solciie aufzudecken und auszunutzen hat sich der Verfasser der vorliegenden schritt bemüht. Im vorhanden-

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sein oder fehlen des auftaktes bei den lyrischen, der Senkungen hei den reimpaar- gedichten glaubt er ein kriterium für die spätere oder frühere abfassungszeit der ein- zelnen werke Hartmanns gewonnen zu haben.

Die Zeitbestimmung der lieder geht natürlich von den auf den kreuzzug bezüg- lichen aus, wobei angenommen wird, dass Hartmann sich der fahrt Barbarossas angeschlossen habe, da für diese nach des Verfassers meinung auch die beziehungen zwischen den betreffenden liedern und den predigten sprechen , welche gerade zu die- sem 3. kreuzzuge auffordern. Das beim antreten der fahrt gedichtete ick var mit iuivern hulden MF 218, 5, in welchem der auf Saladin bezügliche vers nun natür- lich im anschluss an Grimm und Paul gedeutet wird, gehört demnach in den anfang des Jahres 1189; vor ihm liegen die einzelne kreuzzugstrophe 211, 20 und die imter dem frischen eindruck der kreuznahme gedichteten Strophen 209, 2öfgg., die etwa in den april des Jahres 1188 zu setzen sind. Vor diesen widerum ist str. 206, 10 ver- fasst, welche den tod des herren erwähnt, jedoch ohne das ereignis schon mit dem entschlusse zur kreuznahme in Verbindung zu bringen. Zugleich wird in ihr der auf- lösung eines liebesverhältnisses gedacht, auf welche sich auch die übrigen strophen desselben tones beziehen; und da die erste unter ihnen im winter abgefasst sein muss, so wird die eutstehung des ganzen tones in den winter von 1187/88 zu verweisen sein. Auf das nächste verwant sind diesen strophen die MF 207, 11 mitgeteilten, welche die aufsage des minnedienstes in einer weise behandeln, die voraussetzen lässt, dass sie nicht lange vor den ersteren verfasst wurden; und da nun endlich andi-erseits die str. 207, 11 eine direkte beziehung auf eine strophe des tones 206, 19 207, 10 enthält (vgl. v. 207, 11 mit 206, 28), so wissen wir, dass 206, 19 fgg. vor 2(>7, 11 fgg. gedichtet sein muss, und wir haben somit für 6 töue eine bestimte, vom beginn des Jahres 1189 rückwärts zu verfolgende reihe gewonnen. Dieser rei- henfolge nun entsjjricht eine almähliche Veränderung in der behandlung des auftak- tes: in dem lezten gedichte (218,5) fehlt dieser nirgends, in einigen der früheren fehlt er schon hie und da; augenscheinlich ist hier eine almähliclie vervolkonmung der kuust des dichters festzustellen, welche geeignet ist, auch auf die reihenfolge der ausserhalb jener gruppe von 6 tönen liegenden lieder hcht zu werfen. Sie alle zeigen in dieser bezieliung erhebhch mehr Unregelmässigkeiten als eben jene kurz vor den kreuzzug lallende gruppe, und andrerseits lassen sie auch widerum unter sich beträcht- liche abstufungen wahrnehmen. Darauf gründet der Verfasser ihre chronologische bestimmung. Das Verhältnis der fälle, in welchen innerhalb eines tones der auftakt fehlt, zur gesamtzahl der verse dieses tones drückt er in procenten aus, gibt eine genau nach diesen procentzahlen geordnete tabellarische Übersicht über Hartmanns sämtliche lieder, nimt an, dass ihi-e abfassungszeit ganz dieser Ordnung entspreche und sucht dann schliesslich in einem besonderen kapitel auch den dichterischen ent- wickelungsgang imseres Sängers durchaus diesem Schema gemäss zu konstruieren.

Die Untersuchung ist zunächst recht geschickt an einen festen punkt angespon- nen; aber sie verliert sich schliesslich in so unsichere combinationen , wie sie nur je über die reihenfolge der lieder Hartmanns angestelt sind. Das mathejnatische aus- sehen, welches die grundlage der chronologischen aufstellungen des Verfassers zeigt, darf über den grad ihrer Zuverlässigkeit nicht täuschen. Einmal sind schon die zah- len, auf welchen die procentberechnungen fussen, viel zu gering, als dass diese ein richtiges bild von dem wechselnden gebrauche des auftaktes bei unserm dichter geben könten. Es ist ja schon verwirrend, wenn z. b. von dem nur 7 verse enthaltenden liede 211, 20 fg. gesagt wird, die zahl der auftaktlosen verse betrage hier O,00prozent;

i'l!EK SA1;AX, If.VKTMANN V. AUK ALS LVKIKKU 239

di'iiu iiiflit auf 100, SDinlorn auf 7 vcrse limlrt sicli Iüit kein vers uliiu' auftakt, und nuxu kann durc-haus nicht beliaupten, dass der dichter, AvtMui er dios lii'il auf 100 verse gebracht liütto, audi den iihrigeii 9'.", versen stets den auftakt gegeben liabeu niüste, nur deshalb, Aveil er ihn den 7 ersten gali! Damit hiingt zusamnieii, dass die dittercuzen zwischen den einzehien gediehten naeli dei- tal)elie des Verfassers viel grösser orsc'heinen als sie tatsjlehlich sind. So stehn in ilir den O,0O proeent des genanten tones 2,2'J proei'iit des 1. tones gegenülicr; alicr iii(tht diese zaid, sotidern die zaid 0, iil würde die diiferenz der beiden im gebrauch der auftaktlesi^n versi^ aus- liniekeu; denn da in dem \') vers(i undassenden !. tone zweimal der auftakt fehlt, so würde das gleiche veriiiiltnis in einem gedi(;hte von 7 versen imaginär dunjh die ange- gebene zahl, faktisch eher durch das fehlen als durch das vorkommen eines solchen fal- les seinen ausdruek linden. Den erwähnlen L','-- [ireeeut des 1 . tones (iMFL'Or), 1) folgen als näciisthriehste zalil !t,00 proeent des 10. tones (MF 214, 12). l)(>r Verfasser sieht darin .,einen ganz auffaUeniliMi Sprung, der nach di^r sonst zu beoliaehtenden stetigen zunähme der proecntzahlen in(dit natiirlieli unil organisch sein kann"'. Kr glaubt, these Kicke in der fortschreitenden kunst des dieiders dadurcli ausfüllen zu müssen, dass er vielleicht die abfassuug d(.'r verlorenen, von (Jliers ei'wiihuten leiche, „ohne zweifei" aber das 1. büchlein (soweit der Verfasser dasselbe für e(;lit hält) zwischen die der so sehr verschiedenen beiden tone sezt. Und woi'in bestellt denn nun tat- sächlich dieser grosso, ganz auffallende unterschied? In den 45 vei'sen des einen tones fehlt der auftakt zweimal, in den 22 versen des andern fehlt er auch zweimal! Dies das wirkliche Verhältnis, weL'hes lediglieh dundi die hier ganz ver- fehlte proceutrechnung zu dimensioneii aufgebauseht wird, die den Verfasser wie den leser in die irre führen.

Aber damit uocli nicht genug; der Verfasser hat bei der aufstellung seiner taltelle entweder ganz vergessen, dass dieselbe die fortschreitende regelung des auf- taktes veranschaulichen soll, oder er sieht tliese regelung ausschliesslich in dem gleich- massigen setzen, nicht auch in dem gleichmässigeu fehlen des auftaktes, und elienso- wenig in dem bestirnten Wechsel von versen mit und ohne auftakt; denn nach seiner Übersicht steigen unterschiedslos mit der zahl der auftaktlosen verse eines tones auch jene proceutzahlen, deren almälüiches anwachsen uns immer weiter zurück auf die stufen geringerer kuustfertigkeit des dichters führen soll; die denkbar niedrigste stufe derselben würden wir demnach mit der denkbar hiichsten procentzahl erreichen, d. h. in einem eonsei|uent ganz ohne auftakt gebauten gedi(;hte! Ein solehi.'S findet sich nun allerdings bei Hartmann nicht, wol aber gebraucht er stropheuschemeu, welche das fehlen des auftaktes an bestirnter stelle erheischen. So erfordert das grund- scliema des tones 213, 29 augenscheinlich 4 auftaktlose stollenverse, während von dem siebenzeüigen abgesang gleichfalls 5 verse ohne auftakt bleiben, 2 dagegen, nämlich der zweite als der einzige zweihebige und der schlussvers, sich durch auf- takt abheben. Die erste strophe zeigt diese reguläre form (denn z. 37 statt des handschriftlichen (la\ ni(;ht mit Haupt deich, sondern mit Saran i/<i\ si einzusetzen, haben wir keine veranlassung); die zweite weicht darin ab, dass sie ausser den ange- gebenen auch zwei anderen versen des abgesanges noch den auftakt verleiht; das auftaktschema wird also hier in einem liede von 22 versen zweimal vernachlässigt; das ist genau dasselbe Verhältnis, wie es in dem vorhin besprochenen liede 214, 12 vorlag. Nach des Verfassers berechnung steht dagegen 213, 29 mit nicht weniger als 68,20 proeent als ein gedieht, in welchem „das gefühl für die bedeutung des auftaktes noch gar nicht existiert", ganz am anfang, 214, 12 nüt 9 proeent ganz am

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ende der vor der „grossen liicke" liegenden liederreihe. Und so wie hier werden denn auch in einem gedieh te, welches regelmässig verse ohne und mit auftakt wech- seln lässt, die auftaktlosen ganz mechanisch zu einer zahl zusammenaddiert, die uns den grad der Unregelmässigkeit des auftaktes veranschaulichen soll. Es ist das lied 212, 13, dessen versanfänge folgendes streng geregelte Schema zeigen: -^, X— , , X-^; _^, x-i, x-i, x-i. Die einzige imregelmässigkeit zeigt die dritte strophe (die nach dem Verfasser übrigens ganz selbständig sein soll) darin, dass sie im anfange des abgesanges den vers mit auftakt dem auftaktlosen nicht wie in den beiden ersten Strophen folgen, sondern vorangehen lässt. Das kann uns, bei der im übrigen beson- ders künstlichen gestaltuug des auftaktes, natürlich nicht hindern, dies lied imter diejenigen zu zählen, in welchen der dichter dem auftakte am meisten aufmerksam- keit zugewant hat; es würde von dieser seite aus gar kein bedenken dagegen vor- liegen, das gedieht noch hinter die kreuzzugsheder zu setzen. Nach des Verfassers tabelle dagegen folgt es mit 87 procent auftaktloser verse unmittelbar auf die beiden töne, in welchen sich noch gar kein gefiUil für die bedeutung des auftaktes vorrät! Die beigebrachten proben werden genügen, um zu zeigen, dass des Verfassers berech- nungen und die auf diese gegründete hypothese von der reihenfolge der Hartmann- schen lieder durchaus verfehlt sind. Gewiss wird es richtig sein, wenn man die lie- der mit strenger regulierung des auftaktes für jünger hält als die mit freier behaudlung desselben; aber Illusion ist es, wenn man glaubt, dass man auf grund eines ganz minimalen mehr oder weniger in der einen oder in der andern richtung nun auch jedem einzelnen gedichte seinen bestimteu platz in der gesamtreihe anweisen könne. Und wenn man , von der Chronologie ganz absehend , lediglich zur vei'anschaulichung der grösseren oder geringeren regelmässigkeit des auftaktes eine übersichtliche reihe der lieder aufstellen wolte, so müste diese doch ganz anders ausfallen als die vom Ver- fasser construierte.

Neben dem fehlen des auftaktes kommen nach dem Verfasser noch zwei (in seiner tabelle jedoch nicht berücksichtigte) metrische Unregelmässigkeiten in betracht: zweisilbiger auftakt und zweisilbige Senkung. Beides stelt er in näherem anschluss an die handschriften gegen Haupts text mehrfach her. Ich bin gewiss weit davon entfernt, diesen nicht für verbesserungsfähig zu halten, und sicherlich verdient beson- ders die frage erwogen zu werden, ob die metrischen rücksichten, welche Lachmann und Haupt veranlassten, von der Überlieferung abzuweichen, überall berechtigt sind; aber es muss zu diesem zwecke im zusammenhange geprüft werden, welchen grad von zutrauen denn die handschriften bei den hier in betracht kommenden dingen verdienen, inwiefern sie sich durch verschiedenen gebrauch in analogen fällen selbst corrigieren usw. Nur so lassen sich sichere grundsätze gewinnen, imd diese müssen dann consequent angewendet werden. Aber in dieser beziehung lässt des Verfassers verfahren gar manches zu wünschen übrig. Warum stelt er z. b. 210, 33 den auf- takt ich ivil gegen Lachmann im anschluss an die Überlieferung her, nicht dagegen 209, 36 der sin und 210, 2 beid/u? gerade in dem vom Verfasser hergestelten verse haben BC sicherlich nicht an zweisilbigen auftakt, sondern fälschlich an 4 hebungen statt dreier gedacht, ebenso wie in den beiden unmittelbai' vorangehenden 210, 31/32; so gut wie diese war auch 33 zu bessern. Hält auch der Verfasser den vers diu werlt lachet mich triegent an metrisch für unmöglich, da er er hier stilschweigend die änderang hinnimt? eine bemerkung darüber schiene doch notwendiger als die, dass hier trieyende mit elision des e zu lesen sei. AVarum schliesst er sich nicht den handschriften auch da au, wo sie eine Senkung fehlen lassen, wie 205, 4; und

ÜBER SARAX, IIARTMANN V. AUE ALS LYRIKER 241

warum stelt er die zweisilbige Senkung, die sich doch ITartmann gestatten soll, so wenig cousequent her wie den zweisilbigen auftakt? Zu 217, 21 ist gegen Haupt und gegen das motruin iraTc angeblich nach C liorgestelt, aber in C steht Haupts ir<vr entsprecliend wer; auch zu 218, 2G ist eine das metrum versclilcchternde lesart als aus C stammend aufgenommen, während dort tatsächlich etwas ganz anderes steht usw. Alles in allem fühlt man sich bei den kritischen bemerkungon des Ver- fassers — trotz der Sicherheit, mit der auch sie vorgebraclit werden doch nicht auf sichererem boden als bei seinen aufstelluugeu über die reihenfolge der lieder.

Das auseinanderlegen der strophen eines toucs in verschiedene einzelne lieder treibt dei' Verfasser sehr weit; entschieden zu weit, wenn er abgesehen von äusseren kriterion mehrstrophige lieder nur da anerkennini will, wo (;in klarer und ungezwungener gedankenfortsehritt statfuulet, dagegen niclit, wo sich oline sol- chen die einzelnen strophen eines toues um denselben gedanken drehen. Die wider- Iiolung eines und desselben gedankens in verschiedener form ist nun einmal der alten dichtkunst, der epischen sowol wie der lyrischen, in weit grösserem umfange geläufig, als es dem inoderuen geschmack entspricht; sie diesem zuliebe durch allerlei kritische mittel möglichst einzuschränken, ist ein zwar herkömliches, aber darum noch nicht berechtigtes verfahren. Anders steht es natürlich, wenn die strophen eines tones ganz verschiedene dinge behandeln, augenscheinlich aus imvereinbaren Situationen entsprungen sind usw.; doch muss mau auch hier behutsamer als der Verfasser zu werke gehen, der an der vermeintlichen Verschiedenheit der strophen ebenso oft ohne grund anstoss nimt wie an ihrer Übereinstimmung. Was er z. b. über abweichende Voraussetzungen in den einzelneu strophen des liedes 206, 19 fg. sagt, ist entscliie- den hinfällig. Mehrfach hat er in der abtrennung einer und der andern strophe schon Vorgänger gefimden, und er treibt dann durch isoliermig jeder einzelnen strophe die Sache auf die spitze, während ich in einigen fällen schon jene teilweise loslösung für unbegründet halte. So z. li. bei diMU sechsstrophigen liede 207, 11. Hier hätte nicht eitunal die 6. strophe abgetrent werden sollen, wie es in MF geschehen ist; deim diese palinodie der 1. strophe bildet meines erachtens gerade die schlusspointe, zu welcher sich die almählich fortschreitenden gedanken zuspitzen. (1) ,,Mein verspre- chen, ihr mein ganzes leben zu widmen, kann ich nicht halten; ich halie mein herz von ihr gewendet; von einem unbesonnenen gelübde muss man sich befreien, ehe man in nutzlosem ringen seine jähre verzehrt; so auch ich; ich räume ihr das feld und werde in Zukunft meinen dienst anderswohin wenden. (2.) (Man darf mich des- halb nicht treulos schelten:) untreue wai- mir stets verhasst; lediglich meine treue liat mich nicht schon eher, soviel ich auch zu leiden hatte, aus ihrem dienste schei- den lassen. Jezt schmerzt mich, dass sie mich ohne lohn lassen will; und doch will ich auch jezt nichts als gutes von ihr reden; ehe ich sie betrübe, will ich lieber zum schaden auch die schuld auf mich nehmen. (3.) "Was solte ich auch der jezt böses nachsagen, die ich bisher immer nur gelobt habe? Ich kann ja meinen kum- mer klagen, ohne sie deshalb schlecht zu macheu, meinen kummer, dass sie viele jähre meinen dienst hinnimt und meinem werben um ihre minne doch nur mit feind- seligkeit antwortet. Dass ich nie erfolg bei ihr hatte, muss ich mir selbst zum Vor- wurf machen; hätte sie mich dessen für würdig erachtet, so würde sie mir besser gelohnt haben. (4 = 207, 33) Da ich also auf lohn von ihr, der ich doch so lauge gedient, verzichten muss, so bitte ich gott, dass er mir doch eins gewähre: dass es nämlich ihr stets wol ergehen möge; das sei meine räche, dass ich bessere wün- sche für sie hege als irgend ein anderer, ihr leid betraure, ihres glückes mich freue.

ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXIV. 1"

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(5 = 208, 20) Jene jähre, die ich ilir gewidmet habe (vgl. 208, 12 fg. 207, 18) sind doch nicht verloren: fehlte mir auch der minnelohn, so tröstete mich doch freundliche hofnuug. Ich wünschte nichts weiter, als dass ich sie wider wie ehedem meine herrin nennen möchte! manchem manne geht's so bis an sein ende, dass ihm niemals liebes widerfährt, dass ihn aber doch immer die hofnung darauf froh macht. (G) (Nun so will ichs denn auch so halten:) um ihretwillen, der ich bisher gedient habe, will ich froh sein, wenn mir der dienst auch nichts geuüzt hat; ich weiss, dass meine herrin edel ist; wer die seine fahren lässt, der mag das haben: ilm ver- driessen die nutzlos verzehrten jähre; wer so minnet, ist falsch; ich habe es besser im sinne, ich will niemals von ihr lassen". So wird hier das gedankeuspiel von der aufkündiguBg des dienstes aus durch eine Stufenleiter versöhnlicher betrachtungen hindurch zur förmlichen zurücknähme jener aufsage geführt. Str. 207, 23 ordne ich wie Paul und Biu-dach ein. Str. 208, 23 wird (st. tröstet A froestet BC) zu lesen sein tröste, denn es geht aus den vorhergehenden wie aus den folgenden versen her- vor, dass es sich um den zustand des dichters in den vergangenen, jezt zurück- gewünschten Jahren vergeblichen und doch hofnungsfrohen dienstes handelt. 208, 39 schliesse ich mich (wie Saran) der handschriftlichen Überlieferung an; aber die jähre sind nicht als die zukünftigen, sondern als die verflossenen aufzufassen: diese ver- driessen den, welcher den dienst (wegen mangelnder gewährung) aufgibt, natürlich weil sie nun vergeblich hingebracht sind, während sie demjenigen, der, wie jezt der dichter, zur ei'kentnis gekommen ist, dass nicht nur die gewährung, sondern scliou die hofnung beglückt, und der deshalb auch den dienst festhält, vil imverlorn sind.

Ein weiteres eingehen auf des Verfassers auflösungsversuche muss ich mir hier versagen; so weit wie er wird in dieser beziehung schwerlich sonst jemand gehen. Übrigens schi'änkt er selbst in einer nachträglichen anmerkung seine ursprüngliche aufstellung etwas ein, indem er die Strophen, welche sich ohne gedankenfortschritt um dasselbe thema drehen, wenn auch nicht ein lied, so doch einen strophenkreis bilden lässt, dessen einzelne teile sich der entstehungszeit nach nahe standen, nach- her auch alle zusammen vorgetragen sein werden (also doch wol auch von den her- ausgebern als zusammengehörig zu bezeichnen sind? dass bei den so bezeichneten deshalb die gedankenentwickelung und strophenverknüpfuug dieselbe sein müsse wie in der neueren kunstlyrik, hat doch niemand behauptet?). Freilich meint der Ver- fasser, dass auch die ganz verschiedenen Situationen entsprungenen, untereinander unvereinbaren Strophen eines toues sich zeitlich doch immer wenigstens insofern nahe standen, als Hartmann zwischen solchen niemals strophen eines anderen tones gedich- tet hätte. Daraus leitet der Verfasser auch das recht ab, bei seinen Untersuchungen über die auftaktverhältnisse jeden ton als ganzes zu betrachten, auch wenn er alle seine strophen als selbständige einzellieder ansieht. Das war allerdings notwendig, wenn eine bestimmung der Zeitfolge der lieder auf grund der behandlung des auf- taktes möglich bleiben solte; denn zwischen jenen kleinen einzelliedern dessel- ben tones würden sich in dieser beziehung nach der vom Verfasser angewendeten proceutrechnung teilweise ganz riesige differenzen ergeben, welche, auf entsprechende differenzen in der abfassungszeit zurückgeführt, ein sehr wunderliches chronologisches durcheinander von einzelnen bestandteilen verschiedener töne zur folge gehabt haben würden. Aber wenn die abweichungen im auftakt zwischen den einzelnen liedern desselben tones für deren zeitliches auseüianderliegen nichts beweisen, welche beweiskraft bleibt ihnen dann in dieser beziehung noch für die verschiedeneu töne? So dichtet z. b. Hartmanu im ersten tone vier einstrophige neunzeilige liedchen mit

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regelmässig aiisgefültein auftakt, eines dagegen, in welchem zweimal der auftakt fehlt; müsten wir demnach nicht das leztere von den vier anderen zeitlich noch weiter abrücken als das zweistrophige lied 214, 12, in welchem auf die 22 verse der bei- den zusammengehörigen Strophen nur 2 verse mit fehlendem auftakt kommen? Aber in einem falle sollen sich die liedcr trotz jener difforcnz zeitlich nahe stehen, im andei-en falle wird ihr so grosses gewicht beigelegt, dass sie nur durch eine längere Unterbrechung in Hartmanns lyrischer dichtung erklärt werden kann. Nach des Ver- fassers weise würde die nicht zu berücksichtigende differenz sogar durch die procent- zahlen 0 gegen 22, die berücksichtigte durch 2,22 gegen 9 auszudrücken sein. Auch von dieser seite zeigt sich wider, wie wilkürlich und haltlos dieser ganze chronolo- gisclie aufbau ist.

Besser steht es mit der Statistik der in den reimpardichtungen fehlenden seu- kmigcn, insofern hier die zahlen gross genug sind, um eine geeignete gnuidlage für procentberechnungen abzugeben und nicht alzugrossen zufalsschwankungen ausgesezt zu sein. Mit recht unterscheidet der Verfasser dabei, ob die Senkung zwischen zwei verschiedenen werten oder zwischen zwei silben desselben wortes unterdrückt wird. Er sieht in dem ersten falle eine grössere härte, welche von den genaueren dichtem mehr imd mehr gemieden, von einzelnen schliesslich ganz beseitigt wird, während sie sich die zweite freiheit noch gestatten. So lässt sich auch von Hart- manns epischen dichtungen eine reihe aufstellen, in welcher die erste freiheit etwas, die zweite verschwindend wenig abnimt, nämlich: Erec, Iwein, Gregor, armer Hein- rich. In dieser folge sind deim auch nach des Verfassers meinung diese gedichte entstanden.

Vom ersten büchlein betrachtet der Verfasser den in reimpaaren gehaltenen hauptteil für sich; derselbe würde nach der gesamtzahl der fehlenden Senkungen hinter sämtliche epen gehören, nach der zahl der zwischen zwei Worten fehlenden zwischen Iwein und Gregor, so dass also natürlich der andere faU, das fehlen der Sen- kung zwischen zwei silben desselben Wortes, widerum seltener ist als in allen epen. Das stimt nun allerdings nicht zu des Verfassers sonstigen chi'onologischen Voraus- setzungen; denn er sezt, wie wir bereits sahen, diesen echten teil des ersten büch- leins mitten zwischen die lieder in jene „grosse lücke", die gesamte lyi'ik Hartmanns aber sezt er noch vor den Erec. Aber jener widersprach lässt sich nach seiner meinung durch die annähme ausgleichen, dass Hartmann sich in dem büchlein mit seinem nicht der epik, sondern der lyrik aufs nächste verwanten inhalt durch die glättere form des minnegesanges beeinflussen liess. Ich halte nun zwar diese datierung für entschieden unrichtig; denn was es mit jener grossen lücke auf sich hat, haben wir gesehen, und Hartmanns lyrik auch in ihrer am meisten ausgebildeten kunst- form für älter als sein episches erstlingswerk halten, heisst meines erachtens auf die Verwendbarkeit der zwischen den einzelnen werken waltenden kunstunterschiede für die bestimmung ihrer Zeitfolge verzichten. Dennoch kann man ja an sich dem Verfasser zugeben, dass ein gedieht wie das erste büchlein auch im versbau dui'ch die lynk beeinflusst werden konte; nur muss dann dieser einfluss von vornherein in viel höherem grade in dem lezten teile dieses gedieh tes vermutet werden, der nicht nur inhaltlich, sondern in der künstlichen reimweise und in der gruppierung der verse auch formell schon der lyrik näher steht als der epik. Es kann uns daher gar nicht wundern, wenn in diesem stücke die Senkungen überhaupt und ganz insbeson- dere die Senkungen zwischen zwei verschiedenen Worten seltener fehlen als in allen übrigen gedichten Hartmanns; und es ist ungerechtfertigt und entspricht jener vom

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Verfasser bezüglich der metrik des ersten teiles gegebenen erklärung keineswegs, wenn er hier diesem umstände eine so hervorragende bedeutung beimisst, dass er allein schon die iinmöglichkeit beweise, Hartmann als Verfasser dieses Stückes anzuneh- men. Auch was sonst für die annähme beigebracht wird, dass dies ^schlussgedicht" (v. 1645 1914) nicht von Hartmaun verfasst, ja mit den versen 1 1644 nur durch Zufall zusammengeraten sei, hält nicht stich. Der Verfasser meint, die verse 1645 fg. könten unmöglich, wie Haupt meinte, als rede des leibes zu denken sein, der 1642 fg. vom herzen aufgefordert war: nu solt du Itp hin %ir unser für spreche sin; das beweise v. 1679 min Up vor leide nach versivant und v. 1911 ich hän in dtnen geicalt ergeben die sele %uo dem libe, die emphäh . . . (vgl. auch noch 1903 fg.); denn hier rede doch sicher nicht der leib, sondern der dichter, und der den versen 1 1644 ZU gTunde liegende gedanke von einer trennung des leibes und der seele und von einem dialog zwischen beiden als selbständigen personen verrate sich im Schlussgedichte nirgend. Dem gegenüber ist zu bemerken, dass nach den ausdiück- lichen Worten der verse 1642 fg. der leib ja von jezt an eben nicht mehr ausschliess- lich als leib, sondern als Vertreter von leib und herz, also im namen der gesamten persönlichkeit sprechen soll ; es ist also keine sonderliche ungenauigkeit , wenn Hartmann ihn schliesslich nicht anders reden lässt, als wenn er, der dichter, selbst spräche. Aber selbst in dem vorangehenden dialog v. 1- 1644 ist die trennung keineswegs in dem vom Verfasser angegebenen sinne durchgeführt. Denn erstens steht ja dem leibe keines- wegs die seele, sondern das von dieser ausdrücklich unterschiedene herz gegenüber, und zweitens deckt sich der Itp hier durchaus nicht mit dem begi-iffe „körper", son- dern er umfasst auch einen teil der geistigen kräfte mit; ja wie im gewöhnlichen sprachgebrauche Up die ganze persönlichkeit bezeichnen, mi7i Up für ich gesagt wer- den kann, so spricht auch Hartmann in jenem dialoge oft genug einfach selbst, wo der Up das "wort hat. So sagt denn der Ujj: ich bin ein freudeloser man 334, wird vom herzen ebenfals man genant 595, spricht öfter dem herzen gegenüber von sei- nem muot und gemüete, von den (jedanken, mit denen er der geliebten nahe ist, 132 fg., von seinem sin 1086, seiner ctrmen sele 1431 ja er spricht sogar von seinem leibe: dax ich .(der Up!) üz al der werlt ein zvrp xe froioen über mtnen li]) für st hcete niht erkorn 107 fg. Damit dürfte jenes bedenken wol endgültig beseitigt sein. Dass 1644 einen befriedigenden schluss gebe, kann ich niclit im min- desten zugestehen; die aufforderung 1642 fg., in der fürspreche nur als fürsprecher, Wortführer verstanden werden kann, hat nur zweck, wenn sie die Schlussapostrophe einleiten soll, zu der sich nun herz und leib verbinden und die widerum mit dem hiuweis auf die Vereinigung der beiden im dienst der geliebten (1903 fgg.) passend endigt. Was endlich die abweichungen des Schlussgedichtes von Hartmauus sonsti- gem spracligebrauch betrift, so erklären diese sich wol ausreichend aus der imgewöhn- lichere ausdrücke und Wendungen heischenden reimhäufung.

Auch das zweite büchlein erklärt der Verfasser füi' unecht, indem er die schon von anderen für diese ansieht vorgebrachten gründe hauptsachlich widerum durch seine die fehlenden Senkungen betreffenden beobachtungen zu verstärken sucht. Nach diesen würden die Senkungen, besonders zwischen zwei verschiedenen Worten, im zweiten büchlein weit seltener ausgelassen sein als in allen übrigen dichtungen Hart- manns (s. 51 fg). Ich bin zu einem anderen ergebnisse gekommen. Nach meiner Zäh- lung fehlt die Senkung in den 826 versen des zweiten büchleins zwischen zwei ver- schiedenen werten 88 mal, zwischen zwei silben eines wertes 138 mal; in den 826 ersten versen des ersten büchleins komt der erste fall 87 mal, der zweite 91 mal vor.

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Danach zeigt sich also in jenem sogar eine inerkwiirdigo üljoi-eiustiminiing zwischen den beiden büchloin; in diesem dagegen stellt das zweite büclüein dem Gregor und Iwcin näher, wo in der gleichen verszahl zwischen zwei silbcn eines wertes die Sen- kung llOmal beziehungsweise 141 mal unausgefült bleibt. Icli kann also in diesen Verhältnissen keinen griiiid gegen die abfassung des zweiten büclüeins durdi Ilart- mann finden. Vielmehr halte ich dieselbe nacli wie vor für das wahrschcinliclLste, weil das gedieht für einen plagiator zu gut ist, weil sich auffällige übereinstimnuin- gen mit .sicher llartmannischem eigentum auch in iiebendingcn zeigen, l)ei denen an entlchuuug niclit zu denken ist, und weil die entlchnung aus Ilaiimanns sämtlichen werken (und nicht allein aus seinen epcn, sondern auch aus seiner keineswegs wie jiMie mafsgebenden lyrik) in augenfälliger weise statgefunden haben müstc, während von anderen diciitcrn, insbesondere auch von den grösten und bekantesten lyrikern, nichts entlehnt worden wäre; deim dass die verse büchlein 720/20, auf deren über- einstinnnung mit lUirkhart v. IIoluMifels ^ISII I, 205 str. 3 Saran hinweist, ursprüng- lich niclit dem l)üchlein, sondern lUirkhart gcliören, kann man natürlicli nur aiinoli- inen, wenn man den siiäteren ursiirung des büclilciiis schon aus anderen gründen für erwiesen hält.

Von den licdern werden 212, 37fgg. , 214, 84 fgg. , 320, 1 fgg. auf ihre echt- heit untersucht luul die beiden Icztcn Hartmann abgesjirochen; eine sehr wesentliche riille spielt daliei wider des Verfassers olien gekcnzeichnetc auffassung der auftaktver- iiältinssc. Ein aljscluütt „/.ui' textkritik dos schhissgedichtcs und des (2.) liüchleins " enthält einige liemcrkiMiswerte licsserungsvorschläge. Dankenswert ist der nachträg- liche, zur erklärung von sclpiccyc dienende hinweis auf Rud. Credm^rs beobachtuu- gen über eine ähnliche üuterscheiuung, die an der Üstseeküste der seebär genant wird.

BRESLAU. F. VOÜT.

Die lieder Neidharts von Reuenthal auf grund von M. Haupts herstel- lung, zeitlich gruppiert, mit erklärungen und einer einleituug von Friedrich Keiiiz. Mit einem titelbilde. Leipzig, Hirzel. 1S89. 14G s. 2,8(1 m. Es war ein sehr dankenswertes unternehmen, Haupts grosser Neidhartausgabe eine wolfeile, nur mit den notwendigsten beigaben versehene textedition zur Seite zu setzen. Durch eine kurze einleituug, welche die in den Müuchener Sitzungsberichten von ISSTy'SB veröffentlichten Xeidhart- Untersuchungen des Verfassers voraussezt, wird der leser zunächst über Neidharts lebeu und die gattungen seiner dichtuug in klarer und knapper form unterrichtet. Dann folgt der text in einer von Haupt abweichen- den anordnung. Die lieder werden in sechs verschiedene gruppen gesondert, die der von Keinz angenommenen entstehungszeit gemäss aufeinander folgen, nämlich: I. Ju- gendlieder, n. Jiutel und ihre gespielinnen. III. Kreuzlieder. lY. Friderun. Y. Bai- rische lieder der späteren zeit. YI. Österreichische lieder. Dieser Ordnung fehlt ja nicht ilie tatsächliche gruudlage. Wir wissen, dass Neidhart einige lieder auf dem kreuz- zuge, dass er andere in Baiern und dass er widerum andere später als diese in Öster- reich dichtete; wir können ferner einigen wenigen der bairischen zeit mit bestimtheit entnehmen, dass sie vor, einer weit grösseren anzahl, dass sie nach dem Zerwürfnis mit Engelmar verfasst sind, ein ereignis, dessen dann auch in österreichischen liedern noch gedacht wird. Aber darüber hinaus wird der boden sehr unsicher. Es besteht meines erachtens kein genügender anhält dafür, gerade die unter I gebrachten lieder und nur sie als Jugendgedichte zusammenzufassen, die unter n gesezten alle um ein liebes ver-

246 F. VOGT

hältnis zu Jiutel (ein name, der auch, nachher in einem österreichischen gedichte (m-. 63) vorkomt), die unter IV um ein Verhältnis zu Friderun zu giaippieren ; in nicht wenigen fällen sind auch die grenzen zwischen V und YI nicht sicher, und seihst oh die kreuzlieder aus dem jähre 1219 chronologisch gerade uuter III au der rich- tigen stelle stehen, ist zweifelhaft. Mit recht ist schon im Litterar. centralbl. 1889 s. 477 das bedenken erhohen, dass hei der von Keinz angenommenen Zeitfolge Wolf- rams bekante beziehung auf Neidharts dichtung ("Willehalm 312, 11), für die doch nach 1219 entstandene lieder nicht mehr in betracht kommen können, keine aus- reichende erklärung finden würde. Die dem gegenüber von Keinz im nachtrag zu seiner ausgäbe^ s. 6 aufgeführten stellen aus liedem seiner zweiten gruppe (18, 11 und 21, 11), in denen Neidhart seine freunde einmal wegen des tanzlokals, das anderemal wegen des gegen seine geliebte zu beobachtenden benehmens um rat bit- tet, kann doch Wolfram nicht im sinne gehabt haben, wenn er sagt, Neidhart würde es seinen freunden klagen, sähe er ein so ungefüges schwert wie das des Kenne- wart über seinen gauhügel ti'agen. Das sezt schon Neidharts feindschaft gegen die bauern voraus, klagen über die plumpen und gewalttätigen dörper, wie sie nur in lie- dern der V. und VI. gruppe, an stellen wie den a. a. o. angezogenen (46, 45. 49% 58. 58, 63) sich, finden. Aber noch mehr: dass Wolfram gerade bei der beschreibung von Rennewarts riesenwaife auf diese bemerkung kam, lässt sich nur erklären, wenn er an ein Neidhartsches lied dachte, in welchem ausserdem auch die Schilderung eines besonders ungeschlachten Schwertes vorkomt. Nun wird aber überhaupt in kei- nem der lieder aus Ks gi'uppe I IV ein schwert erwähnt; erst in gruppe V und VI geschieht es mehrfach. Die eingehendere Schilderung eines besonders grossen Schwertes zugleich mit der klage an die freunde aber findet sich nur in dem einen liede K 42 (gnippe V). Hier wünscht Neidhart den rat seiner freunde in dem bit- tern leide, das ihn bedrückt: die geliebte ist ihm feind; die meiste schuld an seinem Unglück trägt ein getclinc mit einem gewaltigen Schwerte, so gross wie eiue hanf- schwinge; dies noch weiter beschiiebene sch.wert bildet den mittelpunkt einer durch zwei Strophen hingezogenen scene, und dann folgt wider die klage lät in mere kün- den mmer su-cere, die tumben getelinge tnont mir aller leidecUcli. Ich glaube daher, dass Wolfram auf dieses ganz bestimte lied Neidharts anspielt; in ihm aber wird V. 28 fg. der raub von Frideruns Spiegel , also auch die feindschaft mit Engeknar schon vorausgesezt. Bedenklich ist doch auch die beschränkung einzelner perioden hier auf sommerlieder, dort auf winterlieder, so dass in gruppe I und IV nur die erstere, in gruppe V dagegen mu- die leztere gattung vertreten ist. Soll denn Neid- hart in der doch 10 jahi-e umfassenden lezten bairischen periode nur noch im winter gesungen haben? oder sollen aus einer periode alle sommerlieder, aus einer anderen gerade die winterlieder verloren gegangen sein? Ich glaube, diese bedenken nicht zurückhalten zu sollen, da sich in unserer litteratm-geschichte traditionen über die Zeitfolge von werken leicht in fällen festzusetzen pflegen, in denen clironologische anhaltspimkte erwünscht, aber im gründe nicht vorhanden sind, wobei denn auch wol imterschiede der gattung auf solche der abfassungszeit übertragen werden. Dagegen will ich nicht behaupten, dass die vorliegende ausgäbe durch die gewählte an Ordnung etwas an brauchbarkeit eingebüsst hätte; der hauptsache nach steht in den einzelnen gruppen verwantes beisammen.

1) München 1889. 8. 18 s. Keinz sozt sich hier mit. dorn kritiker des litterarischen centralblattes und mit ü. Puschmanu (die liedor N'oidharts v. R. Stofsborg i. Westpr. Pragr.) auseinander.

ÜBER .NEIDHART ED. KEINZ 247

ßezüglicli (1er vcrliültuismiissig weuigcii stelltMi, an wclchmi Keinz einen ande- ren text bietet als Haupt, kann ich ilim meist zustimmen; so auch in der strophcn- ordnung von nr. ~)2 und (34; niclit dagegen in derjenigen von nr. '2'2, sowie in der lesung von 52, ()3. Gl', 37 (so zu lesen statt 35 in den lesartrn, wo aucli die angäbe felilt, dass Haupt hier K folgt). Xr. 32, 2 scdieint mir doch die von AVilmanns befürwortete lesart von c strichen st. ttclioi ganz zweifellos. Der zu 20, 32 fg. erwähnte besserungsvorsehlag Pauls b(>steht nur darin, dass man hier den haml- schriften C lic/.w. c folgen soll, und das scluMut mir in der tat das richtige; wenig- stens wäre die mitteilung dieser lesai't hier, wo Keinz sell)st bemerkt, dass der sinn des nacli nau[it widorgegebencn textes unklar sei, docb angezeigt gewesen. Ebenso hätt(> auch zu der im texte unausgcfiilt gebliebenen zeile 22, 50 der Wortlaut der liandsciiriften angegeben werden sollen. In einzelnen fällen, wo Keinz bemerkt, (hiss in einer handschrift stroplien fehlen oder dass die strophenordnung in der hand- schriftlichen Überlieferung oder bei Haupt aliweiclit, iiätte ohne belastuiig des kri- tischen apparates angegeben werden kiMinrn. welebi? struphen dei't fehlen , liezw. wie die stropluMi dort geordnet sind. Sonst kann ich ivcinzs enthaltsamkeit in der angäbe von Varianten nur billigen. Für (b.'u .,weit"i'en leserkreis", auch für die näidisten zwecke der studierenden, genügt, was er gibi ; für kritische Übungen aber muss man doch den volständigen ap])arat herbeiziehen, wie ihn Haupts in jeder Seminar- und universitätsbililinthek vorhandene ausgäbe bietet.

Das für den „weniger geübten loser'' bei'echnete Wörterverzeichnis, welches ursprünglich nur das Xi'idhart eigentündiche umfassen solte, winl bei einer zweiten auJlage um wöiier wie hu(\ tricL liuppcr, \ügelbycclic, vcrr'tiloi, yüffcn (37, 44), (jrjiltiKf'fc und einige andere zu vermehren sein; auch den von anderer seitc schon ausgesprochenen wünsch nacli einem namenverzeichuisse (natürlich mit volständigen stellenangabeu) werden wir dann hoffentlich erfült sehen. Möchte eine schnelle Ver- breitung des verdienstlichen werkchens dazu beitragen!

BRESLAU. V. VOGT.

Unechtes bei Xeifen. Von dr. 'Wilheliii Ulli. Paderliorn, Schöningh. 1S88.

222 s. 3 m. (Tiöttinger beitrage zur deutschen philologie herausg. von M. Heyne

und AV. Müller IV).

Für dii' Scheidung von echtem und unechtem bietet die ülierlieferung der gedichtc Gottfrieds von Xeifen insofern keinen anhält, als diese, von 8 in späteren bandschriften vorliegenden Strophen abgesehen, bekantlich allein in C auf uns gekom- UK'u sind. Alicr die beschaff enheit dieser handschrift selbst lässt nach Uhls meinung gewisse stücke der Xeifenschen liedersamlung schlechter beglaubigt erscheinen als andere. In der regel ist nämlich hinter denjenigen liodorn, welche weniger als 5 Strophen umfassen, vom Schreiber ein räum freigelassen, der gerade ausreichen würde, um sie auf 5 strophen zu bringen. Das ist bei 20 liedern der fall\ Avährend andere 20 wirklich füufstrophig sind. Aus dieser saclüage schloss man l:>isher, dass jene ei'steren unvolstäudig überliefert seien, dass aber <J durch jene zwisi/henräume für ihre dereinstige ergänzung aus reicheren ijuellen Vorkehrung getroffen habe. Uhl

1) Xicht bei 10 , wie auch Thl noch nach Hanpt anijibt. Nach Apfclstoilt (Germania XXVI, 216) sind nach 20, 24, wo Haupt (einleitunic s.VIi das Vorhandensein einer lüclve leut,'uolo , 8 zeilon freigelas- sen. Unrichti'j; ist es auch, -womi Uhl s. 6 von 21 fönJstrophiLi-en liodorn in C spricht; es ist da 28, 17 igg. mitgcrochiiet , dessen 5. stropho nicht in C , sondern nur in p überliefert ist.

248 F. VOGT

dagegen hält die fraglichen lieder für volständig und meint, dass die auf sie folgen- den lücken nicht für die nachtragung echter, sondern für die aufnähme neu hinzu zu dichtender Strophen bestirnt waren, durch welche dem von dem saniler der hand- schrift C, nicht aber von Gottfried als bindend erachteten princip der fünfstrophigkeit rechnimg getragen werden solte. Daraus folgen dann aber weiter bedenken gegen die echtheit der lezten strophen derjenigen lieder, welche nach der Überlieferung wirklich jenen vorschriftsmässigen umfang haben; bei ihnen allen ist von vornherein mit der möglichkeit zu rechnen, dass sie der normalzahl zuliebe schon Zusätze erhal- ten haben, wie die anderen sie noch erhalten selten, und daran lässt sich dann die Untersuchung von Interpolationen anderer art anschliessen.

Diese neue hypothese mag von vornherein natürlicher erscheinen als die alte; dass sie aber besser begiündet sei, bezweifle ich. Uhl fragt: „wenn der Schreiber der handschrift C wüste, dass dies oder jenes lied fünfstrophig war, so hatte er doch die fünf strophen desselben schon einmal hinter einander gelesen oder singen gehört; was hinderte ihn nun, das ganze lied mit seinen 5 strophen niederzuschreiben"? Dagegen ist denn doch zu bemerken, dass jemand, der ein lied einmal volständig gehört hat, bei einer unvolständigen niederschrift desselben sehr wol wahrnehmen kann, dass eine und die andere strophe fehlt, ohne dass er deshalb im stände zu sein braucht den Wortlaut des fehlenden zu ei-gänzen. Aber hier bei Neifen liegt die Sache noch viel einfacher. Der Schreiber oder sein auftraggeber braucht nur gewust oder auf grund einer in sängerkreisen herschenden tradition geglaubt zu haben, dass der berühmte dichter die regel der fünfstrophigkeit befolgte; grund genug um anzu- nehmen, dass lieder, die in der vorläge diese zahl nicht erreichten, unvolständig seien und sich einst aus anderen quellen ergänzen lassen würden. Dass mm C im algemeinen seine jeweilige hauptvorlage möglichst aus anderen handschriften zu ver- volständigen bemüht war, ist ja eine bekante tatsache, die Uhl bei seinen algemeinen ausführungen über die entstehung der samlimg C hätte berücksichtigen sollen. So ist es doch erwiesen, dass C beim abschreiben der älteren, bereits mit bildern ver- sehenen samlung BC, deren Uhl freilich auch mit keinem werte gedenkt, nicht nui" ganze lieder, sondern auch einzelne strophen aus einer anderen alten, A verwanten samlung einschob. Danach ist es schon an sich höchst wahrscheinlich, dass die lücken in C für entsprechende vervolständiguugen ausgespart wurden; und das wird zur gewisheit, wenn wir z. b. sehen, wie einerseits C hinter 2 strophen Ulrichs von Singenberg, die unmöglich ein volständiges lied luklen können, für 3 weitere strophen räum lässt, und wie andererseits diese 3 strophen in der älteren handschrift A sich wirklich vorfinden (MSH str. 47. 48. Pfeiffer str. 36. 37. 39). Dies beispiel ist auch insofern lehrreich, als wir daraus ersehen was freilich schon in der natur der sache liegt dass wir den ursprüughchen platz der in C fehlenden stro- phen keineswegs nur da suchen dürfen, wo C die lücke für sie lässt, nämlich hin- ter den mitgeteilten, sondern ebensowol zwischen oder auch vor diesen; so enthalte in diesem falle nur die 3. und 5. strophe des liodes. Dass also die lücken in C durchweg lediglich für nachdichtungen offen gelassen seien , ist sicherlich eine unrichtige annähme; dass sie teils für solche, teils für quellenmässigc nachtrage bestimt waren, ist möglich, aber nicht sonderlich wahrscheinlich ; man darf vermuten, dass sie ursprünglich durchweg durch die er Wartung lezterer veranlasst wui'den. Damit ist natürlich weder gesagt, dass die lieder, welche der Veranstalter der samlung C für unvolständig hielt, wii'klich in jedem einzelnen falle unvolständig sein müssen, noch dass die strophen, die er von vornherein oder als nachtrage aufnahm , durchweg echt sind ; nur bietet jene

ÜBEH UUL, UNECHTES BEI NEIKEN

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besondere einrichtung der handschrift keinen anhält für die aiuialunc von interpola- tionon, und für die ermittelang solcher ist man eben lediglicih auf form und inhalt der betrofTendon lieder selbst angewiesen. Der iidialt aber bietet bei der eiuförmig- iveit der thomen des minnegosanges, bei der algemeiidieit seiner godankon und bei dem lockereu Zusammenhang der stropiien des einzelnen licdi-s wenig sirhcrlieit; und auch bezüglieh der birm lilriht /u ei-wägen, in\vii;\V(;it, gewisse ungleielunilssigkeiton derselben etwa einer aus ungU'ieliweriigen (|uellen gisllossenen Überlieferung zuzu- sehreiben und durcli enuMidation zu beseitigen sind, und in\vi(!\veit sie andererseits auch aus der verseliiedenheit der vom dichter duiN'lilaui'enen kuuststufen (u-klilrt wer- den kr)nnen. Ulli zieht meines eraelitens den kriMs dessen, was man Xeifen an gedunken und formen zutrauen kann, zu eng. !<(> soll Neifcn liestimte formkünsto innneriuxlb eines liedes entweder konseiiue'nt durcli füll i-en oder sie gar ni^dit anwen- den. Es wird daher beanstandet, wenn in eiiic'm drei- (mIhi' nielirstrophigon gediclito nur einmal der schluss einer stro[)ho durch den iibiiliclien woiilaut der folgenden widei- aufgenommen wird, wie 30, 20 fg. 4o, 35 fgg. soviid ieh sehe nur deshalb, weil sich in einem nach Uhl echten, dreistrophigcn Heile eine solche widcraufnahme zweimal findet (51, 27 fgg. 35 fgg,); denn dass bei andern dichbM-n die vereinzelte form dei'selben oft genug voi-komt, ist ihm doch wol bekant (vgl. z. l'. MF. 124, 38_40. 125, 1). Ähnliches gilt liezüglich der bedenken gegen die lieschi'änkuug der anai)licr auf einzelne strojihen eines liedes (2S, 18 fgg.) und gegen sporadisches auftreten di'S rülirenden reimos in einigen fällen, wahrend dassellie in anderen zuge- lassen wird (27, 17. 27 usw. 34, 22/25. 39, 1. 4, wo ülirigons unrichtig bemerkt wird, lieiJ (^adj.) : lothcil (^subst.) sei eigentlich gar kein rührender, sondern ein iden- tischer reim; vgl. s. 170 71 über den gehäuften reim und Neifen 3, 1 : 5); auch daran, dass Neifen verstreute grammatische reime unl^edenklich anwendet, sei gegen die forderung der konsequenz im gebrauch ungewöhnlicher reimformeu erinnert. Aber dies und ähnliches hat noch keine entscheidende l>edeutung; aucli nielit der umstand, dass der Verfasser die autorität der handschriftlichen Überlieferung doch mit gar zu ungleichem niasse uiisst, wenn er z. l». au 10 kori'espondiereuden vorscn des fiinf- strophigeu echten liedes 19, 32 fgg. acht emeudationen voruimt, während er sich gelegentlich der Verderbnis eines nach seiner meiuung unechten liedes darauf beruft, dass sonst bei Neifen kaum auf 10 stropheu eine emendation niitig sei (s. 178). Das wesentlichste kriterium für echt oder unecht ergibt sich dem Verfasser doch, wenig- stens in den meisten fällen, aus der beoliachtung der beschaffenheit, rles zusanimeu- hanges und des ausdruekes der gedanken. Diese werden denn bis ins einzelnste zergliedert, und dabei werden an ihre präcision, ihre logische Verknüpfung, ihren poetischen gehalt und ihre einkleidung forderungen gestelt, welche liäulig mehr dein individuellen geschmack des Verfassers als dem charaktcr des miimegesanges eut- s[irechen. Nicht selten verliert er sich dabei in grüboleicn und Wortklaubereien, welche die richtige auffassung eines liedes nicht fördern, sonder liindcrn. Andererseits ist er doch auch bei aller eindringenden Sorgfalt seiner Untersuchung nicht immer sachlich genug verfahren, um alle mittel der auslegung zu orseliöiifi>n, elie er dieses und jenes für schlecht, unverständlich oder unsinnig erklärt; imd in einzelnen fällen ist sein absprechendes uiieil sogar lediglich darauf zurückzuführen, dass er den text misverstanden hat.

Der nachweis, dass unter den liodern, welche TJhl als eclit gelten lässt, auch diejenigen, hinter denen sich in der handschrift lücken finden, volständig seien, fusst uaturgemäss auf einer noch weniger sicheren grundlage. Nur bezüglich des drei-

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strophigen liedes 37, 2 kann ich ihm unbedingt recht geben; dagegen halte ich 24,21. 42, 21. 48, 9 entschieden für unvolständig, und bei den übrigen ist che möglichkeit, dass dies der fall sei, nicht abzuweisen. Man muss nur festhalten, dass, wie oben bemerkt wurde, die betreffenden Strophen durchaus mcht gerade am Schlüsse des liedes zu fehlen brauchen.

Die begrändung der unechtheit ist am besten bei den fünften strophen der lieder 3, 1; 5, 25; 7, 15; 15, 6; 40, 25; 49, 14 gelungen, da des Verfassers ausfüh- rungen hier durch auffällige metrische Unregelmässigkeiten, welche die betreffenden stroplien im gegensatze zu den übrigen aufweisen, gestüzt werden. Seinen übrigen athetesen mich anzuschliessen, hindern mich meist die oben geäusserten bedenken. Im ganzen erklärt er 10 lieder mit 34 strophen und 26 einzelne strophen für unecht. Leztere finden sich meist hinter den echten, wobei jedoch vielfach die angestrebte fünfstrophigkeit noch nicht erreicht ist. Der nachdichter ist da nach Uhls meinung mit seiner arbeit nicht fertig geworden; für ihre fortsetzung blieb noch räum zur Verfügung. Hie und da aber stehen die Interpolationen auch zwischen den echten strophen. Schon auf grund dieser fälle hätte Uhl zugeben müssen, dass doch nicht alles, was er für unecht hält, erst nachträglich in lücken der handschrift C eingefügt sein kann; auch bezüglich der ganz unechten lieder lässt sich diese auf- fassung nur gegen alle Wahrscheinlichkeit und im Widerspruche mit Uhls eigenen bemerkungen (auf s. 15 und 16 o.) durchführen.

Im einzelnen mag zu den athetesen folgendes bemerkt werden. Bei lied II (4, 27 5, 24) lässt sich gegen die 5. Strophe nichts einwenden, als dass sie an unrichtiger stelle steht. Giske hat in dieser ztschr. XX, 198 fg. meines erachtens als ganz zweifellos erwiesen, dass sie zwischen 2 und 3 gehört, denn ihr anfang knüpft an den Wortlaut des lezten verses von 2 an, während ihr eigener schluss widerum durch den 1. vers der 3. strophe aufgenommen wird. Das kann doch unmöglich ein zufälliges zusammentreffen sein, noch dazu in einem liede, in welchem schon ein ganz entsprechendes Verhältnis zwischen schluss und anfang der strophen 1 und 2 besteht; dass dasselbe nicht auch zwischen str. 3 und 4 (nach richtiger ordnimg 4 und 5) statflnden kann, liegt in der natur der Sache, da 4 (5) einen selbständigen Schlusssatz bildet, dessen eingang ausdrücklich auf alle vorangegangenen zusammen- fassend zurückweist. Und schliesslich ist nun noch die angeblich unechte strophe ausser in C [auch noch in ik, und zwar hier wirklich hinter str. 2 (3. 4 bezw. 4. 5 fehlen ik) überliefert. An dem „inneren Zusammenhang" der strophen ist bei dieser reihenfolge nichts auszusetzen, und sehr mit unrecht wirft Uhl Giske Tor, dass er denselben hier „wie immer" unberücksichtigt gelassen habe. Weit mehr scheint mir gegen eine bemerkung Uhls einzuwenden, welche gegenüber allen jenen arguraenten schliesslich noch die einzige stütze seiner auffassung bildet: wenn der dichter der fragliclien strophe ausruft Minne , fessele auch die geliebte oder lass mich los ! " so „begebe er sich dadurch nicht nur von vornherein jedes anspruchs auf gegenliebc, sondern es sei sogar eine grobheit, der geliebten so etwas vorzutragen"! (vgl. z. b. Bartsch SMS VIII, 8, 21 26). Wir haben in diesem liede einen der fälle vor uns, wo ein nachtrag aus einer bei der ersten niederschrift nicht zugänglichen quelle in die nur mit rücksicht auf den gesamtumfang, nicht auf die stropheufolge des lie- des gelassene lücke wirklich schon eingefügt ist.

Zu IX (12, 33 14, 3) ist gegen str. 5 nichts stichhaltiges vorgebracht. Einen widersprach zum vorhergehenden kann ich nicht bemerken; denn von „froher hof- nung auf erhörung" ist da nicht die rede gewesen; vielmehr hat der dichter nach

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der klage über unerwidorto liebe nur die minne um bülfo gebeten und gesagt: „wie glücklich würde ich sein, wenn die liebste mir ti'ost spenden woltc; bei den frauea ist ja die höchste herzenswonne zu finden" usw. Daran schli.'sst sieli untadelig an: „minniglich habe ich der liebsten und der miime gesungen, und docli lässt sie mich traurig dastehen; so muss iehs deim lassen, muss mich von ihr scheiden; aber bes- sern lohn hätte icii doch verdient".

In III (1(), 9—17, IG) stört die f). sirn|ihi' nur an diesei' stelle; als zweite ist sie ganz am i)latze; wir erhalten dann in '_' und ;> mw elienmilssigo stcigiM'ung in der darstellung der minnefreuden: treundlii'hes liirln'ln uml Micken, kuss, umbevanc, ermel flehten bein verschrenkcn deini wenn f'lil meint, den Icztgenanten aus- liruck müsten die zuhörer wol auf den tanz und nur die geliebte auf etwas anderes di'utiMi, so hält er doch die zuhfn'iM' für gar zu harndus; vom tanz ist in der ganzen Strophe niclit die rede. Dass in der 5. (richtig 2.) str(i])lii' nach ^rihrs ijiicfc (z. 8) später (z. 12) fortgefahren wii'd d'm n'l rnsrrt/r/rcr n/Ni/i mit beziidumg auf irij), hat doch nichts bedenkliches. Eine „misli(Oie aposiojiM'si!" sieht Uhl in dim versen 12 14 nur, weil er Haupts Interpunktion niclit beachtet hat; nach ihr ist zu über- setzen: „dein rosiger mund würde, wenun er lieblich lachen wolte, blühen wie die rose inr tau".

A'on XYIII (23, 8 24, 21) werden str. 4 und 5 für unecht erklärt. Ehe der Verfasser v. 24, 3 als sinlos und v. 24, 4 G als ganz unverständlich auf grund einer Übersetzung bezeichnete, welche Haupts Interpunktion widerspricht, hätte er sich doch mit dieser abfinden müssen. Nach ihr sagt der dichter 24, 1 3: „sie kanu mir wol hülfe senden. Da ich in vielem schmerzlichen verlangen (natürlich „nach ihr") lebe, so ist mein weg zu ihr gebahnt". Es ist also durch die sehnsüchtigen gedanken, welche der sänger zur geliebten wandern lässt, ein weg von ihm zu ihr gebahnt, auf welchem sie nun ihrerseits ihm hülfe senden kann. Dies bild vom wege schwebt ihm auch im folgenden noch vor : da ich ihr nun mein immer durch die minne gefesseltes herz sende, sehet, so würde ich noch fröhlich werden, wenn es geschehen möchte (wenn das der erfolg dieses sendens wäre), dass ich sie umfinge und sie es gut aufnähme". Zum senden des herzens vgl. auch noch MF 47, 27 fg.; seine fesselung durch die minne bezeichnet dei' Verfasser als ein „falsches bild"; Neifens herz werde nur verwundet, aber nicht gebunden! Metrisch ist v. 24, 13 nicht anstössiger als 23, 37. V. 24, 16 ist natürlich zu lesen dl/c iintinjent hat si rcrbor». Die leere und ■Weitschweifigkeit der verse 24, 11 15 darf man bei einem liedc nüt so schwieriger formkünstelei nicht zu sehr urgieren.

Aus XXI (27, 15 28, 17) sucht der Verfasser ohne genügenden grund die durch reim mit der 1. und 3. verbundene 2. und 4. stroiihe auszuscheiden. 27, 25 ist keineswegs unverständlich; es heisst „mii' war frcude erblüht"; das war in der 27, 15 17 geschilderten, jezt längst entschwundenen frühlingszeit geschehen; daher die dem Verfasser unerklärliche „form der Vorvergangenheit". 27, 28 ircrr min sane erklungen ir „hätte sie meinen sang gehört"; dann wäre der erfolg der gewesen, dass der dichter (vor freude, durch liebesglück) wider jung würde, während er jezt in sorgen alt geworden ist. Die frage des Verfassers zu 27, 31 fg. „was heisst das: frau minne, gib mir deinen rat, oder ich lebe in sehnsuchtspein? " brauche ich wol nur als beispiel dafür anzuführen, wie weit der Verfasser seine bedenken gegen die ausdrucksweise der ihm verdächtigen Strophen treibt. Zu 28, 11 ist das Subjekt aus ir V. 8 und herxeJiehe v. 10 zu folgern: „und wenn sie die liel>c auf sich nähme und nicht davon abliesse". Zu 27, 35 fg. hat der Verfasser (s. 104) Haupts inter-

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punktion falsch verstanden; zusammengehöriges so da>^ scheidet Haupt nicht durch komma; es heisst: „ich habe nach dem so lieblichen und leuchtend roten munde gerungen, ohne dass mir je meines herzens wunde geheilt wäre".

XXII (28, 18 29, 35) umfasst in C 4 strophen, in p 5, von denen eine jedoch einem andern liede Neifens angehört (34, 6 15); statt ihrer fehlt in p eine der in C überliefei-ten strophen (3), während andererseits wider eine der in p vor- liegenden (str. 5) in C fehlt; doch ist in C für eine fünfte strophe räum frei gelassen. (Reihenfolge in C: 2. 3. 1. 4. lücke; in p: 1. 2. 5. 34, 6—15. 4). Die nächstlie- gende annähme ist liier sicherlich die, dass p und C sich gegenseitig ergänzen, dass uns also auch in p diejenige strophe vorliegt, für welche C die lücke liess. UM dagegen meint, es seien überhaupt nur 2 strophen dieses liedes echt (28, 18 29, 2), 2 seien in C zugedichtet. Eine fünfte hätte sich C vorbehalten, wäre aber mit ihi* hier wie so oft nicht zu stände gekommen. Die nur in p überlieforte sti'. 5 wäre eine auf gruud der von C zugesezten str. 4 verfasste nachdichtung. Aber die not- wendige Voraussetzung für- diese künstliche annähme wäre doch, dass p aus C floss, und das ist oifenbar nicht der fall; die abweichungen im texte wie in der reihenfolge der Strophen sprechen deutlich genug dagegen, imd statt der 3. strophe überliefert ja p sogar eine zu einem ganz andern liede Neifens gehörige. Es ist also tatsache, dass eine von C unabhängige version, bei "der es ganz gleichgültig ist, ob sie später als C aufgezeichnet wurde oder nicht, zu einem liede, bei dem C räum für eine mehrstrophe frei lässt, wirkKch eine solche überliefert; das ist widerum eine bestä- tigung für unsere auffassung von der bedeutung der lücken in C. Bezüglich der gründe, mit welchen der Verfasser die unechtheit der fraglichen strophen zu erwei- sen sucht, gelten die oben gegen sein verfahren im algemeinen geäusserten bedenken. Zudem würde die 2. strophe keineswegs einen befriedigenden abschluss bilden; man erwartet entschieden die wideraufiiahme des in sti*. 1 angeschlagenen persönlichen motives.

Von XXin (29, 36 31, 36) sollen str. 2. 4. 5. 6 unecht sein. Soll auch für (Ues lied Uhls lückenhypothese gelten, so müste C hier von vornherein eine erweiterung auf sechs strophen vorgesehen haben, was doch, ebenso wie die einrich- tung von 27, 15 auf 4 strophen, der gr und Voraussetzung des Verfassers widerspricht, dass die nachdichter die fünfstrophige form herzustellen beabsichtigten. An str. 5 wird getadelt, man merke erst in der 3. zeile, dass das nu lache, womit sie begint, auf den roten mund und nicht auf die frau bezogen werden soU; aber schon die lezten 4 verse der vorangehenden strophe hindurch ist ja niemand anders als der rote mund angeredet! Zu z. 9 so wirde ich scnder fröiden vol wird sendin fröide für eine „gedankenlosigkeit des naclidichters" erklärt; wai'um zieht dennUhl sender nicht zu ich? Wenn der dichter str. 2 sagt, dass zwei in der minne einmütige herzen sich nur besamen und niht besunder fi'euen, so sieht UM da ein „grobes hendiady- oin", welches „die ungeschickte band des nachdichters verrät". Str. 4 sind dann die frmltch stendiu owjen „zu tadeln", wird hete ich iuicer ndnnc mid da% ich bl iu ivmrc als „zu algemein und wenig poelisch" beanstandet usw. Str. 6 wird mit Strauch als ein durch str. 2 hervorgerufener sprach aufzufassen sein, der aber doch wegen der beziehung auf 2 und wegen der stilistischen Übereinstimmung mit str. 5 bestimt gewesen sein mag, im anschluss an das lied vorgetragen zu werden. Dass ihn Neifen selbst nachträglich verfasste, scheint mir wol möglich.

Den inneren Zusammenhang der widerum für unecht erklärten 4. strophe des XXV. liedes (32, 14 33, 32) hat UM nicht erfasst oder wenigstens nicht zur- geltung

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gebracht. Die ganze strophe dreht sich um die bildliclic darstellung des minüelohncs als eines wirklichen soldes, eines gutes, welches die frouire dorn werhonden verleiht. So hat er denn schon geglaubt, dass er ganz und gar von der klasse der armen gesclüedeu wäre, jczt aber wird er gewahr, dass sie gar nicht daran denkt, ihm lohn zu geben; jeden morgen muss er um gut sorgen (wie einer der jedesmal mit uahrungssorgen für den anbrechendcu tag aufwacht), er muss minne borgen das steht seiner herrin doch gewiss übel an. V. 26/27 sind ganz falsch aufgefasst; in den werten si teil lönes hin mich in senden sorfjcn liegt weder die ungewöhnliche konstruktion einen eines dinrjes Idn noch ein merkwürdiges ihib y.oivov^ sondern eine ganz gewöhliche Verbindung vor: sie will mich in bezug auf den lohn in sehn- suchtsvoller sorge lassen. Auch graf Kraft von Toggeuburg bringt übrigens sein minnewerben unter das bild vom streben nach gut; dabei wird teils die fromce selbst, teils was sie verleiht als (jiiot gefasst (Bartsch, SMS. VI, 6, 10 fgg. 7, 8 fgg.).

Von dem dreistrophigcn liede XXVI (33, 33 34, 25) wird die lezto strophe für unecht erklärt. Bezüglich der gegen den grammatischen reim in 34, 22 25 vorgetragenen bedenken (s. 126) bemerke ich, dass der dichter in dem worte niinnen- clich doch sicher nicht lieh, sondern minnc als stamm empfunden hat; lieh gilt ihm hier als suffix, in yellch dagegen als stamm, also Variation ein und desselben Stammes liegt hier nicht vor. Zu der ., hässlichen widerholuug " in v. 22 fg. vergleiche die widerholung au der entsprechenden stelle der vorhergehenden strophe.

Gegen die echtheit der lezten der beiden Strophen des XXXV. liodes (42, 1—20) wird kein irgend annehmbarer grund vorgel^racht. Wenn der dichter seine liebste bittet, sie möge es ihm zu gute kommen lassen, dass er sie höher als alle weiber schäzt, sie einzig und allein im herzen träg-t, so wird das ein seltsamer gedanke genant, denn „dieser ausbedungeno reale lohn der erhonmg kann unmöglich für blosse gedanken vmd die kundgebung derselben in ansprach genommen werden". Dass minnencUch gedingc und lieber irdn neben einander gosezt werden, wird geta- delt, da beide dasselbe bedeuten (vgl. Walther 92, 10. Hartm. 2. Büchl. 93). Zu den werten d(t\ diu süexe minne ficinge so dax tnir an in (jelinge wird bemerkt: „welche grobheit, das seiner herrin selbst vorzuhalten!" usw. Ganz wimderlich sind die gegen dar an z. 20 vorgebrachten bedenken; natürlich geht es auf den ganzen voraugegaugenen satz, worauf ja auch widerum Haupts Interpunktion hinweist.

XXXVni (43, 26 44, 19): ein dreistrophiges lied, von dem nicht mir die 2. und 3. Strophe, sondern auch die beiden lezten verse der ersten unecht sein sol- len ! Dadurch wird dann der pausenreim dieser strophe mit seiner auseinanderreissung des Wortes uup lieh (: llp) Neifen aberkant. Aber eben der umstand, dass an der betreffenden stelle nicht einmal wortschluss vorliegt, macht es doch höchst unwahr- scheinlich, dass sich ein nachdichter gerade hier zur einführung eines pausenreimes solte veranlasst gefühlt haben. Des Verfassers aussteUungen betreffen besonders die aii und weise, wie der z. 29 fgg. ausgesprochene vergleich der eigenschaften der geliebten mit einem kleide in den folgenden versen und strophen ausgespounen wird. Der gedankengang des ganzen liedes ist etwa folgender: „Der mai hat die natiu' mit schönem gewande bekleidet, so hat auch meine herrin wonnige kleidung angelegt: es ist ihre gute. Schönheit, ehre, reinheit; bei dieser kleidung ist ihr trauter anmu- tiger leib zu finden. Ach, könte ich doch diesen kleidern nahe sein! dann wäre ich voller freude ; so aber muss ich in janimer sterben , voll sehnsuehtskummer nach den kleidern, die ihr so schön stehen. Will sie meinen kunimer stillen, so sende sie mir die kleider durch ihren ti-auten leib! Dann ist all mein leid dahm". Dass

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der dichter sich danach sehut, aller der Vorzüge seiner geliebten sich in persönlichem beisamineusein erfreuen zu können, dass er dabei mit dem bilde von den kleidern spielt, die liebste auffordert sie ihm zu senden, aber so, dass ihr holder leib selbst der Überbringer sei, hätte nicht als unsinn u. dgl. bezeichnet werden sollen. Zu 44, 3 wird Haupt getadelt, dass er hier das ,,flickwort" denne (welches für „einen eines Neifen unwürdigen lückenbüsser" erklärt wird) in den text aufgenommen, wäh- rend er in den gleichen füllen 39, 13 und 43, 16 so etwas nui" durch eine anmer- kung anzudeuten gewagt habe. Aber die fäUe sind nicht gleich; hier machte das vorangehende vröuden den ausfall eines folgenden denne graphisch wahrscheinlich.

Von den 3 Strophen des XLV. liedes (47, 10 48, 8) wird zwar keine für unecht erklärt, aber in jeder wird ein vers gestrichen, wodurch widerum ein pausen- reim beseitigt und unter zuhülfenahme weitgehender versversetzungen ein ganz ande- res metrisches Schema erzielt wird. Da zu so durchgreifenden äuderungeu kein aus- reichender grund vorliegt (str. 1 ist der überlieferte text entschieden besser als Uhls herstellung !) , da es ferner ganz unerfindlich ist, wie der träger der Überlieferung auf eine so verwickelte Umformung der Strophen gekommen sein solte, so vermag ich in des Verfassers construction nichts weiter als ein übrigens geschickt ausgeführtes kri- tisches spiel zu sehen.

Dass die 5. und lezte strophe des liedes XLVIII (50, 7 51, 19) mit den vorhergehenden nicht zusammenhängt, hebt Uhl mit recht hervor. Ob sie Neifen abzusprechen ist, wage ich nicht zu entscheiden. Es ist ein im tone des vorangehen- den liedes verfasster streitspruch gegen die falschen zungen, der immerhin hinter jenem aus besonderer Veranlassung vorgetragen sein kann. Z. 15 diu (zunge) ralschet in ir herxen und mit sinne C gibt auch nach Haupts änderung in ir herze und in ir sinne keinen befriedigenden sinn. Ich möchte beidemal mit statt Haupts in lesen; der sinn ist dann: „zugleich mit ihrem herzen, ebenso wie ihr herz (von des- sen falschheit schon die rede war) ist auch ihre zunge falsch". Z. 17 fg. hat Uhl ganz misverstanden und lediglich deshalb dem „nachdichter" grobheit, geschmacklosig- keit und anderes vorgeworfen. Die werte oh mich diu sücxe reine wil meinen, als ich meine si liehen alterseine heissen natürlich nicht „wenn mich die süsse reine im herzen tragen will, wie ich sie ganz allein zu lieben vermeine]", sondern „wie ich sie, die liebe, ganz allein im herzen trage".

Für volständig unecht hält der Verfasser die lieder XVII. XXVHI. XXIX. XXXII. XXXHI. XXXVII. XLI. XLHI. (22, 15 fg. |35, 17 fg. 36, 4 fg. 38, 26 fg. 39, 35 fg. 42, 35 fg. 45, 21 fg. 46, 17 fg.). Dazu kommen dann noch die von ihm als Volkslieder bezeichneten XXXIX (44, 20 fg.) und XL (45, 8 fg.). Auch hier steht die beweisführung auf recht unsicherer grundlage. Besonders unzulänglich scheint mir, was gegen 45, 21 fg. vorgebracht wird. Nicht richtig ist die bemerkmig auf s. 205, dass Haupt diese Strophen „für ein lied mit fehlendem ausgange" gehalten habe. Das wäre eine unbegründete annähme, denn ein anderer abschluss des abeu- teuers als der durch str. 3 gegebene ist nach den eingangsversen nicht zu erwarten. Haupt hat nur bemerkt, das lied sei sicher unvolständig. In der tat wird zwischen der freundlichen begrüssung , welche das mädchen in str. 2 , und der derben abfer- tigung, welche sie in str. 3 dem dichter zu teil werden lässt, eine strophe mit begehrlichen werten des leztereu fehlen. Auf diese bezog sich dann auch das in der vorliegenden gestalt des gedieh tes unverständliche hien ist der wtbe nicht: „solche weiber (wie ihr sie da im sinne habt) gibt es hier nicht". Vers 39, 3 des XXXII. liedes sieht Uhl „eine unübei'windliche Schwierigkeit, zu deren erklärung weder

VßER l.HL, UNECIITKS BKI NEIFKN 255

Haupt iiDcli sonst jon\aii(l einoii versuch ^cuiaclit hat"; es stfh(> nämlich dort (dax. ir cjüctß mich (jcircr,) /rer ist der »lich drs rcrbuiidr ! Mit dorn „verbinden " weiss er nichts anzufangen, auch venjiindc zu conjicieren golni niclit an, so meint er denn, der nachdichter halic dies verbünde oline rücksiclit auf den sinn einer stelle wie etwa 13, 23 entlehnt. Aber weder in der handschrift noch in den texten steht mich, son- dern überall utirl Und bekantlich heisst nicht allein rcr(j/ni)ien, sondern au(^h rerhun- nen misgöunen; an verliinden ist natürlich nicht zu dcnki'u; der conj. [iritt. alier ist hier, wo es sich um ein irreales verhi'iltnis handelt, durchaus nicht uiirichtii;. So war also an dieser stelle gar nichts zu erkliiivn; sie lnüsst: „(dass ihre gute mir gewährung zu teil worden lasse,) wer ist der mir das misgonnen solte!".

Zu 4(3, 2G fg. bemerkt der Verfasser: „es gibt doch keinen siim: fürwahr, mich muss danach verlangen, dass ihr roter mund mir die freude nicht ni(diren will"! Gewiss, aber deshalb ist eben )iiivU iinio\ des hehtinjcn hier anders aufzufas- sen; es hels.st: „die zeit uuiss mich zu lange dünken, dass" usw.

\\'ie viel an den beiden volksmässigen liedoru 44, fg. und 45, 8 fg. Neifen wirklich zu eigen ist, wird sich nicht entscheiden lassen; jcdesfals liegt kein grund gegen die annähme vor, dass er sie selbst mit unter seine lieder aufnahm; denn mit dem Volkslied ist vx vertraut, mid lieder wie 45, 21 fg. und das Wiegenlied 52, 7 fg. sind der gattuug nahe genug verwaut. Das wicgeulicd nimt Uhl viel zu tragisch; in der sentimentalen liebes- und kinderstubengeschichte, die er davon zu erzählen weiss, ist seine phantasie auf seltsame abwege geraten. Nicht ein hauch „rührender Wehmut", sondern leiehtfertigeu humoi-s liegi auf dem liedehen. Die junge nuitter verwünscht die kinderwirtschaft, die sie vom tanze fernhält; sie gibt das kiud der auime, damit diese es stille und sie selbst des Verdrusses ledig werde.

BRESLAU. F. VOGT.

Theodor Hampe, Die quellen der Strassburger fortsetzung von Lam- jirechts Alexander und deren benutzuug. Bonner dissertation. Bremen, Ed. Hampe. 1890. 110 s.

Ein weiterer schritt zur Verteidigung und ausführung der Bonner hypothese, dass Lamprechts Alexauderdichtuug keinen grösseren umfang gehabt habe, als die Überlieferung in der Vorauer handschrift aufweise. Wie der titel der arbeit zeigt, hält der Verfasser es bereits für ausgemacht, dass der Strassburger bearbeiter des Alexanderliedes auf grund lateinischer quellen eine selbständige fortsetzung desselben verfasst habe. Der beweis gilt ihm für erbracht durch Alwin Schmidt in dessen ebeufals auf anregung von Wilmanns verfasster dissertation „Über das Alexanderhed des Alberic von Besangon und sein Verhältnis zur antiken Überlieferung" (Bonn 188G). Meine dagegen ausführlich in dieser Zeitschrift XX, 88 97 dargelegten einwendun- gen werden beiläufig zurückgewiesen. Da ich dieselben durch Hampes arbeit nicht als widerlegt ansehen kann, niemand aber in eigener sache richter sein soll, so ver- weise ich auf dieselben und überlasse die entscheidung andern.

Hampes arbeit zeugt von euigehender, gründlicher beschäftigung mit dem gegenstände. Er liat nicht nur die lateinischen unmittelbaren quellen, darunter eine neire version der Historia (I nobili fatti di Alessandro Magno ed. Giusto Grion, Bo- logna 1872), sondern auch die französischen, die spanische und die Alexandreis des Walther von Chatillon in den bereich seiner imtersuchimg gezogen und zeigt überall

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eine klare luicl besonaeue auffassung. Aber die ergebnisse, zu deuen er gekommen zu sein glaubt, sind zu unbedeutend, als dass sie an dem stände der sache erheb- liclies zu ändern vermöcbteu, obgleich doch jeder, namentlich jeder jugendliche for- scher geneigt ist, seine resultate möglichst voll und rundlich erscheinen zu lassen.

Die durchforschung der ziüezt genanten quellen ergab nur ein negatives resul- tat. Der Verfasser erkent an, dass man sich nach dem bis jezt zu geböte stehenden material bei der betrachtung der Verhältnisse der deutschen dichtung zu den franzö- sischen epen auf einem recht schwankenden gmnde bewegt und den sicheren boden beinahe völlig unter den füssen verliert, wenn man das Verhältnis derselben zu dem spanischen gedieht ins äuge fasst. Auch eine eigentliche, bewuste benutzung des gedichts "Walthers von Chatillon ist nicht nachweisbar. 80 bleiben wir auf die schon bisher berücksichtigten lateinischen quellen beschränkt.

Hier hatte nun schon meine ausgäbe festgestelt, einmal dass neben der Histo- ria Julius Valerius benuzt sei, dann dass das deutsche gedieht YS anfangs mehr der Hist. III, später mehr der Hist. I folge. Schmidt hob hervor, dass für V Valerius hauptquelle gewesen, während die Historia nur nebenbei in betracht gekommen sei, Hampe betont, dass Valerius später mehr zurücktrete, und construiert aus der in S sichtbaren bevorzugung von Hist. I einen hauptgrund dafür, dass S im zweiten teil selbständiger fortsetzer, nicht bloss Überarbeiter sei. Seine worte lauten: „Sowol an zahl, wie auch einige wenige fälle ausgenommen an gewicht stehen die in der tabelle aufgeführten stellen den im ersten kapitel gegebenen Übereinstimmungen von S mit der Hist. I nach; und eben diese tatsache bildet eine weitere stütze für den satz: die handschrift der Historia, welche dem deutschen gedieht (S) zu gründe hegt, stand der Hist. I bedeutend näher, als der Hist. H. III, wenn sie sich auch das dürfen wir ebenfals aus dieser tabelle schliessen mit keiner der beiden uns bis- her bekanten handschriften der Eec. I (B u. M) gedeckt haben wird".

Es ist klar, dass bei dieser überaus schwierigen läge der dioge ein sicherer schlus nicht zu ziehen ist. Der mögiichkeiten , die man ins äuge zu fassen hat, sind zu viele, und keine lässt sich zu einiger wahi'scheinlichkeit erheben. Möglich ist sogar, dass derselbe Verfasser verschiedene recensionen der Histoi'ia gleichzeitig, neben all den andern nacb gewiesenen quellen, wie Valerius, Curtius usw. benuzt; so die wei- teste • annähme. Möglich auch, dass er diese Verschmelzung schon in einem latei- nischen buch vorfand, wie Lamprecht im Alberich; so die engste annähme. Dies eine unhaltbare Vermutung zu nennen, wie Hampe s. 66 tut, wo er selbst sich recht ratlos zeigt, ist etwas zu kühn^ Genug, wir wissen es uns vorläufig nicht zu erklä- ren (wie noch vieles andre die quellen des Alexanderliedes betreffende!), dass das- selbe anfangs mehr beziehungen zu Valerius und Historia III, im zweiten teile mehr zu Historia I und Valerius zeigt , während in diesem teile daneben Hist. HI reichlich, bis auf den Wortlaut benuzt ist.

Grade dies lezte könte man zur stütze der ansieht verwenden, dass S den ganzen Lamprecht, überarbeitet, enthalte. Denn wenn S von vers 2038 den Lam- precht selbständig fortsezte und hierzu Hist. I zu grmide legte, warum folgte er dann an einer grossen auzahl von stellen doch der Hist. III, imd zwar auch an solchen, wo es sich gar nicht um den Inhalt, sondern um ganz nebensächlichen Wortlaut han- delte, wie z. b. 3690 toider des waren zwene man = erant enivi quidam ex prin-

1) Auch Wernlier von Elraendorf, der jüngst noch als compilator eigener erfindung verteidigte, ist keiner, sondern nur Übersetzer! Ztschr. f. d. a. 34, 55.

ÜBER HAMPE, QUELLFN DES STRASSE. ALEXANDER 257

rlpihua? TTnd derselbe bearbeiter hat doch in dem teil, welcher die vergleichung ermöglicht, ebenfals Zusätze gemacht, welche sich vorläufig nur aus Hist. HI erklä- ren lassen, wie vers 287 und 504! Wählte er also gerade so wie Alberich -Lamprecht ganz nach belieben aus verschiedenen lateinischen quellen seinen stoff aus, so sieht mau nicht ein, wie aus diesen abwoichungeu ein solcher gegensatz zwischen V und S construiert werden kann.

Und dies ist unseres erachtens dem Verfasser auch im zweiten teile seiner arbeit nicht gelungen, welcher auf gi'und der von Schmidt kühn aufgebauten Charak- teristik von V, was die behau dluug des Stoffes anbetrift, eine wesentliche Verschie- denheit beider teile feststellen will. Diese frage hängt eben mit der quellenfrage aufs engste zusammen und kann vorläufig ebenso wenig entscheidend beantwortet werden.

Bleibt das Iczte hindernis, aber das schwerste: der schluss von V. Auch hier scheint es auf eine individuelle entscheidvmg ankommen zu sollen. Werfen wir noch einmal darauf einen blick.

Zunächst ist doch die tatsache nicht wegzuschaffen, dass V seine quelle wil- kürlicli, ohne grund verlässt. Ein Alexandergedicht, das mit des beiden gebmi begint und mit der tötung des Darius durch Alexander gegen die geschichte und die benuz- ten quellen schliesst, ist ein torso. Darüber könte eiuigkeit herschen unter den unbefangenen. Aber vielleicht ist dieser leib ohne köpf vom dichter beabsichtigt? Schmidt hat dies nachzuweisen versucht, unseres erachtens ohne überzeugende kraft. Die lezten 40 verse von V behalten für uns den schein eines gewaltsamen Schlusses. Aber auch dies könte man ja als absieht des dichters erklären, wenn nur nicht die fortsetzuug da wäre, in welcher jene schlussverse später, an andrer stelle in rechter Verwendung erscheinen! In rechter Verwendung? Dies bestreitet eben Hampe Ihm scheinen sie in S an sehr unpassender stelle eingeschoben zu sein.

Sehen wir zimächstY an: nachdem die Schlacht am Granicus von 1209 1384 ausfürlich erzählt worden ist, heisst es: Als Alexanders wunden geheilt waren, rückte er gegen Darius vor und eroberte Sardes. Der perserkönig droht übermütig, Alexan- der aufzuhängen, und besendet seine vasaUen. Er war der gewaltigste könig: 32 könige, 270 grafen, 803 herzöge und viele tausend beiden folgten seinem ruf aus aller herren Länder. Achtzig verse werden auf ihre aufzählung verwant. Als Alexan- der dies hörte, ritt er ihnen entgegen nach Mesopotamien, wo es zum kämpf kam. Keine seitdem geschlagene Schlacht lässt sich mit dieser vergleichen. Das feld war mit toten bedeckt. Als Alexander durch das Schlachtfeld brach, wie viel beiden lagen da tot! Und wie fniher, so muss es jezt ergehen. „Ihr solt jezt den zins erhalten, den ihr gefordert habt; ich habe ihn euch in das land gebracht". Mit die- sem werte schlug er ihm (dass Darius in der Schlacht war imd hier gemeint ist, muss man erraten !) das haupt ab. Da endete der kämpf. So sagt uns meister Albe- rich und der gute pfaffe Lamprecht. Das lied ist wahr und recht. Hier schien es ihnen beiden genug. Jezt ist es zeit aufzuhören.

Führen wir uns nun den verlauf der erzählung in S vor. Bis zu der oben durch gedankenstrich bezeichneten stelle herscht Übereinstimmung. Dann heisst es:

Und als Alexander vernahm, dass Darius mit einem beer Persien gegen ihn verteidigen weite, berief er seine mannen, die von Macedonien, und überschritt den fluss. Darius schickte einen brief mit einem wagen mohn an ihn. Alexander ant- wortete durch eine band voll pfeffer und kehrte zunächst unter kämpfen zu seiner kranken niutter heim. Auf der rückkehr hat er widerum verschiedene kämpfe aus- zufechten. Als Darius von seinen siegen hört, will er auf den geforderten zins

ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXIV.

258 KINZEL

verzichten, doch seine ratgeber sind dagegen. Alexander rückt vor und erkrankt in folge eines bades. Übergang über den Eufrat. Auch des Darius beer rückt vor. Schlacht bei Issus. Des königs angehörige fallen in Alexanders hcände. Briefwechsel des Darius mit Alexander und mit Perus. Alexander geht als böte zu Darius. Darius überschreitet den fluss Strage und bereitet sich zm- schlaclit. Schlacht bei Arbela. Alexander, wie ein gott gewafnet, greift an. Die geschosse fliegen dicht wie schnee. Heerhörner vmd trompeten erschallen. Alexander ermahnt seine Soldaten und rückt vor. Am Strage auf der aue stossen die beere zusammen. "Wo sie zusammen kamen, war das feld mit toten bedeckte Mit Schwert und lanze wird gekämpft voll hass. Keine seitdem geschlagene schlacht lässt sich mit dieser ver- gleichen, wo Alexander dem Darius den zius bezaJilte. Dass man je an diesen zins gedacht hatte, reute manchen, der im blute lag. Schilde werden zerschlagen, helme durchschnitten. Darius bedauert sehr, dass er von Alexander den zins verlangt habe. Viele wurden erschlagen, viele ertranken im fluss. Darius floh usw.

Ist es wahrscheinlich, dass ein dichter, welcher selbständig Lamprechts gedieht fortsezte, diese schlussverse so gewant hier einfügte? Oder ist es annehmbarer, dass ein vorschnell schliessender Schreiber den schluss, welcher allen in den quellen überlieferten tatsachen ins gesiebt schlägt, aus den betreffenden verseu kurz zusam- menstoppelte?

Wir glauben vorläufig noch bei der annähme beharren zu sollen, dass Lam- precht die ganze Alexandergescliichte in deutsche verse brachte und dass uns die zweite hälfte dieser schätzenswerten dichtung nur in der ziemlich selbständigen und verständigen bearbeitung von S erhalten ist.

FBIEDENAU, NOV. 1890. KARL KINZEL.

Emil Kettiier, Untersuchungen über Alp bar ts tod. Beilage zum programm des gymnasiums zu Mühlhausen in Thüringen. Ostern 1891. Programm nr. 236. 52 s. 8.

Die abhandluug des durch verschiedene kritische arbeiten wol vorbereiteten Verfassers zeichnet sich durch klarheit der auffassung und ruhe der darstellung aus. Sie wendet sich gegen die ergebnisse der bislierigen Untersuchungen einerseits Mar- tins und V. Muths, welche aus dem überlieferten gedichte einen älteren kern aus- scheiden wolten, andrerseits Fr. Neumanns, welcher eine Verschmelzung dreier texte nachzuweisen versuchte. In drei abschnitten handelt Kettner über die algemei- nen vorstelhmgen und anschauungen des dichters, die epische technik und den stil des gedichts. Er sucht nachzuweisen, dass weder in den beiden durch die lücke getrenteu teilen der dichtung, noch innerhalb derselben in den als unecht bezeich- neten stellen ein unterschied vorhanden sei. Dass ein älteres volksmässiges lied unserm epos zu gründe liege, gilt auch Kettner mit recht für ausgemacht; aber der Überarbeiter liat nach Kettners meinung niclit bloss den überlieferten stoif mit seiner poesie umgeben, sondern ihn in derselben aufgehen lassen. Aus der betrachtung „ergeben sich nicht so wesentliche unterschiede zwischen dem ersten und zweiten teile , dass sie ihre absonderung von einander rechtfertigen , wol aber solche Überein- stimmungen in den algemeinen anschauungen wie auch in einzelnen vorstolluugeu und äussorungen, die auf die einhcit des Verfassers schliessen lassen. Hierbei eriu-

1) Die gesperten worte sind dieselben, wie in V.

ÜBER KETTNER, ZU ALPHARTS TOD 259

nei-t manches an die in der spielniaansepik herscheiiden anschaiumgen; ja zu man- chen der besprochenen stellen liesscn sich parallelen aus einzelnen spiclmannsopen beibringen. Alior wiilii'cMid die spielleute sich mit Vorliebe an die alten märchenhaf- ten Stoffe halten und tlas ^nu^derbarc und abenteuerliche oft bis zum absurden über- treiben, waltet hier ein psychologisch - ethisches Interesse vor, welches das algemein menschliche in den Vordergrund treten luid das ganze epos aus einer sitliclion idee herauswachsen lässt".

Kann man liislioi' dem Verfasser unbedingt beipflichten, so scheint er doch darin zu weit zu gehen, dass er jede mögliclikeit, jüngere bestandteile zu erkennen und auszuscheiden, ableugnet und alle auffallenden Unebenheiten und Widersprüche damit zu erklären versuclit, dass der dichter bloss mit dem mündlichen vortrage und einem hörenden publikum gerechnet habe. Es ist zwar sehr verdienstlich, dass Kett- ner auf diese lezte tatsache wider einmal nachdrücklicher hinweist imd hervorhebt, dass in solchen für den Vortrag vor einem grossen publikum ausschliesslich bestirnten gedichten manche erscheinungeu auf den leser oder gar kritiker einen wesentlich anderen eindruck machen müssen, als auf die hörer; aber es ist nicht zuLässig, die kritik dadurch überhaupt unterbinden zu wollen.

Als abfassungszeit der uns vorliegenden dichtung nimt Kettner 1250 GO an.

FRIEDENAtr, JUNI 1891. KARL KINZEL.

Dr. Werner Cordes, Der zusammengesezte satz bei Nicolaus von Basel. Leipzig, Gustav Fock. 1889. XI, 236 s.

Im wesentlichen hat Cordes dieselbe arbeit für Nie. von Basel geliefert, wie Eoettekeu für Berthold von Regensburg. Auch die anorduung berührt sich natürlich vielfach, nur dass Cordes bei der aufstellung mid gruppieruug der nebeusatzarten den bislierigen gebrauch beibehalten hat. Ferner hat Cordes die Satzverbindung, also die Verbindung gleichwertiger (haupt-) Sätze als eigenes kapitel an die spitze gestelt. Dann erst folgen die Verbindungen von haupt- und nebensätzen, denen sich die Ver- wendung von Infinitiv und particip auschliesst; mit der darstellung des gebrauuhes des particips geht er ebenfals über Eötteken hinaus. Im einzelnen werden modus - und tempusgebrauch bei jeder einzelnen nebensatzart eingehend erörtert, hin und wider wird die Wortstellung berücksichtigt. Da hätte ich nun den wünsch auszu- sprechen, dass zum Schlüsse ein zusammenfassendes kapitel modus- und tempus- gebrauch, wort- und satzstelluug bei Nicolaus behandelt hätte. Der den stoff beher- schende autor hätte leicht zusammenstellen können, was sich der leser mühsam aus den einzelnen kapitelu zusammensuchen muss; damit wäre auch demjenigen, der uns die Syntax des zusammengesezten satzes schreiben wird, ein wesentlicher gefallen geschehen. Aber auch dadurch, was ich besonders bei Cordes vermisse, dass auf die einschlägigen vorarbeiten beständig rücksicht genommen worden wäre. In der einleitung s. II werden wol einige syntaktische arbeiten citiert, die der Verfasser beuuzt hat\ (ich vermisse darunter den IV. band der grammatik, der ja auch für den zusammengesezten satz manches bietet); in der darstellung selbst wird aber höchst selten auf die resultate anderer forscher hingewiesen. Es wäre aber doch höchst wünschenswert gewesen, wenn Cordes wenigstens immer auf Eötteken bezug

1) Sonderbarerweise heisst es da: „Von anderen arbeiten auf dem gebiet der syntax habe ich. benuzt usw."; es geht aber keine nennung irgend einer syntaktischen arbeit voraus.

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260 TOMANETZ, ÜBER CORDES, SYNTAX DES NIC. VON BASEL

genoninien und verglichen hätte, ob das, was er bei dem mystiker gefunden, mit dem Sprachgebrauch Bertholds übereinstimme. In diesem falle hätte eine einfache Ver- weisung auf den betreffenden paragraphen bei Eötteken genügt, im entgegengesezten hätte die divergenz besonders hervorgehoben werden müssen. Eötteken unterlässt es nicht, stets auf Erdmann oder Bock zu verweisen, obwol auch bei ihm eine rück- sichtnahme auf die altdeutsche prosa, für die freilich noch keine erschöpfende syn- taktische darstellung vorliegt, sich noch mehr empfohlen hätte als die auf Otfrid. Cordes hätte durch die gewünschte hinweisung auf die resultate Eöttekens seinem buche einen viel grösseren praktischen wert verliehen. Durch eiue genaue Inhalts- angabe ist allerdings demjenigen, der die resultate dieser arbeit mit anderen ein- schlägigen arbeiten in Verbindung setzen will, die sonst mühevolle arbeit in etwas erleichtert worden; wie denn die ganze arbeit an sich höchst dankenswert ist und hauptsächlich dadurch, dass sie einen prosaisten zum gegenstände hat und dessen Sprachgebrauch so eingehend und sorgfältig darstelt, einen höchst erwünschten beitrag zur kentnis der mhd. syntax des zusammengesezten satzes i-epräsentiert.

ANNENHEIM AM OSSIACHER - SEE , SOMMER 1890. KARL TOMANETZ.

0. Meusing, Untersuchungen über die syntax der concessivsätze im alt- und mittelhochdeutschen mit besonderer rücksicht auf Wolframs Parzival. Kieler dissertatiou 1891. Leipzig, G. Fock. 80 s. 2 m.

Schon das ziel, das der Verfasser sich in dieser arbeit gesezt hat, ist freudig zu begrüssen. Es ist fast das erste mal, dass versucht wurde, durch den ganzen Zeitraum, den die alt- und mittelhochdeutsche syntax umspant, einen solchen längs- schnitt zu ziehen. Der kiu'zschnitte haben wir ja mehr; aber die erkentnis des geschichtlichen Zusammenhanges haben sie nicht immer in erwünschtem masse gefördert.

Der concessivsatz , enge verwaut mit causal- und conditionalsatz , pflegte bis- her meist nach ihnen und erst an dritter stelle behandelt zu werden, wenn die kraft an den ersten beiden satzverhältnissen sich erschöpft hatte, und wenn über das interesse an der begründung mannigfaltiger Spielarten einer erscheinung der wünsch, zum abschlusse zu kommen, den sieg davon trug. Da war es schon dankenswert, eine ungebrochene kraft von vornherein ganz den problemen des coucessivsatzes zuzu- wenden. Ausserdem hat der Verfasser in der fülle von stoff^, die er zusammenge- tragen hat, eine rühmliche arbeitsfreudigkeit bewiesen und bekundet in der beher- schung der einschlägigen litteratur eme sachkentnis, die nicht bloss bei einer erst- lingsarbeit erfreuen wüi'de.

So konte dem Verfasser denn auch der erfolg nicht ausbleiben, dass er unsere kentnis des concessivsatzes in ganz bestimten punkten entschieden gefördert, in einigen vielleicht für absehbare zeit abschliessend bestirnt hat. Die entwickelungsgeschichte der Partikel doch imd ihres späteren ersatzes durch so wie so, mhd. szvie dürfte hier für lange die form gefunden haben; auf die fügungen mit al und alein, al eine fält hier überhaupt zum ersten male helleres licht. "Weniger glücklich ist die darstellung der

1) Die von Mensing nur beiläufig behandelten concessivsätze im mhd. v o 1 k s o p o s waren gleich- zeitig von einem anderen mitgliedo des Kieler gormanistischon sominars , horrn 11. Kuhlmann, in angriff genommen , dessen dissertation raitlorweile obenfals erschienen ist.

WUNDERLICH, ÜBER MKNSING , CONCESSIVSÄTZE IM AllD UND MHD. 261

conjunctiousluscu fügiuigon ausg(!falleii. Hier hat wol die oben gerühmte energie, mit der der Verfasser auf den coucessivsatz sicli l)eschränkt hat, nachteilig gewirkt, liier v(»i' alhMu galt es, den coucessivsatz siclu-r von undereu satzverhältnisson abzu- grenzen, conuessivcn iulialt und cüncessive formen (wenn der ausdruck erlaubt ist) zu scheiden; dazu war eine vollere kentnis vor allem des conditional- satzes nötig. Ausserdem war für diese darstellung die auffassung, die ^lensing vom conjunctiv im coneessivsatzo gewonnen hat, verhängnisvoll. Mensing leitet ihn (vgl. s. 7) für das ganze satzvcrhältuis im gründe aus einer i|uellc ab, aus einer ver- bhissten Unterart des jussiv eil oi)tativs, die auf dem piM'sönlichon Interesse" des redenden an der verl)altiitigkeit beruhe. .Man darf dieser auffassung wol den Vor- wurf niclit ersparen, dass sie im bestreben, einen einheitliciien ausgangspunkt zu gewinnen, den verkelirten weg einschlage, niiinlich den endiamkt zimi ausgangspuukt luache. Sinlicho kraft komt ja docli dem bedeutungsgchalte der formen ursprüng- licli zu; erst im gelirauchc nützen sie sieh ab und vorblassen, so da-ss für ganze gruppen die einigi.'nde formel möglich wird. Es wäre vorfehlt, vom Verfasser ver- langen zu wollen, dass er uns aus der älteren deutsclien syntax, die so sehr auf lateinischen füssen steht, den ganzen Vorgang in historischer entwicklung heraus- schäk^ Aber verdienstvoll wäre es gewesen, wenn er die ersichtlich jussiven fas- suiigen, die er für den concedierten satz zu verzeichnen liat (vgl. die imperative auf s. 11 u. a.), zunäclist von den ersichtlich hypothetischen fassungeu geschie- den und dann in schärferer gliederuug der conjunctionsloscu (•onjunctivc die miter- sucluing gewagt liättc: in wie weit liabeu auch sonst der willo oder die reflexion das persönliclie Interesse'' des redenden im concessivsatze beeiutlussty Auf diese weise wäre auch die gliederuug der ganzen arbeit vielleicht übersichtlicher geworden.

Der Verfasser begiut nacli kurzen Vorbemerkungen, in denen vor allem seine litteraturkentnis voll befriedigt, mit der definitiou des concessiv Verhältnisses, die eine etwas breite fassung erhalten hat. Die concession ist aUordings ein Zugeständnis, aber es wird nicht zugestanden, „dass das eintreten eines ereiguisses seiner uatur iiai'h im stände gewesen wäre, das eintreten eines andern zu verhindern"; vielmehr wird dem einen satzinhalt eine gewisse geltung eingeräumt, deren grenze der zweite satzinlialt feststelt. Das besondere liierbei ist, dass beide sätze auch in einem gewissen causalverhältnis stehen; nach dem gesetze der causalität scheint der eine satz den andern auszuschliessen, aber trotzdem wird gerade für den zweiten die forderung der realität erhoben. Hieraus ergeben sich dann für den ersten satz zweierlei mögliclikeiten : entweder seine realität überhaupt wird durch den zweiten erschüttert; oder die fol gerungen, die aus ihm gezogen werden können, werden negiert. Wir seilen also, der concessivsatz enthält neben der concession eine com- bination von adversativen, causalen und hypothetischen momenten.

Diese momente hätte referent gewünscht, in breiter darstellung auseinander gelegt zu sehen unter straffer abgrenzung des concessivsatzes von den übrigen Satz- arten. Damit hätte sich kap. I „Algemeine bemerkungen über satzform und modus der concessivsatze" mit kap. II „Coujunctionslose concessivsatze" zu gemeinsamer darstellung vereinigen lassen, während die folgenden kapitel dann entsprechend den kapiteln III VI bei Meusing die partikelu und pronomina einzeln behandeln konten, die in das concessivgefüge ül)ergetreten sind: dodi , sircr und seine ableitungeu, al resp. aicin, conditionale, causale, comparative partikelu. Das VIT. kapitel „Histo- rische übersieht über den cebrauch der verschiedenen formen des concessivcn neben-

262 RACHEL

Satzes" hätte dann allerdings auch etwas andere gestalt gewonnen; aber es ist schon in der jetzigen eine sehr dankenswerte leistung.

Noch manches hätte referent beizufügen: kleine ausstellungen wie gelegent- liche Ungleichheit in der reihe der belege (sie springen manchmal vom ältesten ahd. gleich ZU Parzival über, s. 40 oben) oder versuche einer anderen erkläruug, als Men- sing sie gegeben hat (so zu § 62). Aber es wäi'e das beiwerk geeignet, die mit vol- ler Überzeugung dargebrachte anerkennmig in schiefes licht zu rücken. Und anerken- nung gebührt dieser fleissigen imd fördernden ai'beit in reichem masse!

HEIDELBER&, APRIL 1891. H. W^ÜNDEELICH.

NEUERE SCHRIFTEN ÜBER HANS SACHS.

Neben den zahlreichen volkstümlichen darstelluugen von dem leben und wir- ken des Hans Sachs ist die wissenschaftliche litteratur über diesen gegenständ noch nicht zu einer der bedeutung des maunes entsprechenden entwicklung gekommen, weil die Vorbedingungen dazu bisher nur sehr unvolkommen erfült sind. Vor allen dingen ist die gesamtheit seiner werke nicht leicht zugänglich. Die wichtigste grund- lage einer algemeinen beschäftigung mit-Hans Sachs wird erst gelegt sein, wenn die von A. von Keller begonnene und von Edmund Goetze fortgesezte ausgäbe des litterarischen Vereins vollendet sein wird. Diese ausgäbe, zunächst niu- geplant als Widerabdruck der Nürnberger folioausgabe, ist gegenwärtig mit dem 18. bände bis zum beginn des 5. (lezten) bandes dieser ausgäbe gediehen, dessen abdruck noch den 19. und 20. band füllen wird. Der 21. band soll die bisher ungedruckten mei- stersäugerischen stücke und diejenigen enthalten, die in der Nürnberger ausgäbe kei- nen platz gefunden haben. Mit dem 22. bände wird die ausgäbe vollendet werden. Dieser soll die ausführlichen register, eine zeitlich geordnete auf Zählung sämtlicher werke, also auch der meistergesänge mit den erreichbaren bibliographischen angaben bringen. Diese aufzählung und Zeittafel wird eines der wichtigsten hilfsmittel zur beurteilung der dichterischen tätigkeit des Hans Sachs sein; und sie wird wol auch den von Goedeke gewünschten abdruck der Sachsischen meisterlieder in der hauptsache entbehrlich machen.

Wenn dann die vollendete erneuerung der folioausgabe den zugang zu dem gesamten text des Hans Sachs (abgesehen von den meisterliedern) in freilich auch immer noch beschränktem masse ermöglicht, dann werden auch die aufgaben, die der Sachs - forschuug noch gestelt sind, mehr in angriff genommen werden können. Das ist zunächst eine grammatische und lexikalische bearbeitung des sprach- stoffes, der uns erst dadurch, dass die neue ausgäbe vom 13. bände an soweit mög- lich auf die handschriften zui'ückgeht, in zuverlässiger form geboten wird. In dieser beziehung ist so gut wie alles noch zu tun. Karl Frommann muste sich in sei- nem „Versuch einer grammatischen darstellung der spräche des Hans Sachs" (Nürn- berg 1878. 1. teil: lautlehre) auf drucke beschränken; denn auch die ersten bände der KeUerschen ausgäbe begnügen sich mit einem Widerabdruck der ziemlich fehler- haften ersten folioausgabe. Ei'st Goetze hat in seiner ausgäbe des hüi-nenen Seufried und in den 7 bändchen der fastnachtspiele (Hallesche neudrucke 1880 1887) so wie in der grossen ausgäbe soweit möglich die handschriften zu gründe gelegt. From- manns arbeit ist daher mehr als ein beitrag zur kentnis des Nürnberger dialekts im 16. Jahrhundert, mid insofern als eine Vorarbeit zur Sachs -forschung zu betrachten.

SC'HRIITE.N" ÜHEK HANS SACHS 263

Für die lexikalische bearhoituug liegt eine uiiscliätzbare grundlage im Schmoller- sclieu Wörterbuche vor; doch kann dies natürlich bei dem ausscrordeutlichon xunfangc der Sächsischen werke nicht erschöpfeiul sein und lässt einer genaueren bearbeitung noch breiten spicli'aum; auch feiilt noch man<'hes wort.

Verhältnismässig am meisten angebaut ist das gebiet der 4uellen Unter- suchungen. Hierher geiiürl zunächst die sehiift vun Fr. M. Thou, Das veriullt- nis des Hans Saclis zu der antiken und liu nianistiselien koinüdie. Halle a. S. 1889. Freilieh enthält der gedruckte teil der dissertatiou, in deren inhalts- aiigabe zwei hauptteili! mit je vier unterabteilungmi genant sind, nur die ersten bei- den abschnitte des ersti'ii hauptteiles. Thun führt in d(!m ersten dieser abselinitte den gedankon von Oervinus weiter aus, dass das l't. und IG. Jahrhundert das Aristo- plianisehe Zeitalter unsi'i-er littoratur sei. JJesonders Tührt er die zahlivieheu alle- gori(>n des Hans Sachs, die form der kampfgospräehe und klagroden auf Aristophanes zurück; sie seien ihm durch die luimanisten Bebel, Erasmus, Hütten, und diesen wider durch des .\risfniilianes nachahmor Lukiani's vermittelt worden. Im zweiten aliselnntt weist Then nach, tlass di(^ .,Cunicdia. darin die göttin Pallas die fügend und die gdttin Venus die Wellust verhebt", vom '.'>. felir. 1530, auf der „Voluptatis cum virtute disceptatio" des Benedictus Chelidonius, der als Benediktiner im Aogidien- kluster dei' Vaterstadt des Hans Sachs lebte, beruht; sowie dass das kloine spiel, das der Schweizer Jaenli Funckelin in sein spiel vnm i-eiciieu nuinn und armen Lazarus einlegte, nicht, wie (iüedeke meinte, eine naclialimung des Sächsischen stüekes ist, sonilern gleichfals auf die disce(itatio des Ciielidonius zmiickgeht. Dagegen ist das im jähre 1536 von Georg Khaw in A\'ittenberg gedruckto „Lustspiell vnn vast ehr- liehe Kurtzweile", das den gleichen Inhalt hat und dessen Verfasser sich, einen „vleis- sigen elirliebcnden Studenten" nent. weder eine neue aufläge noch ein nachdruck, Sendern ,,einc lüderliche aliselirift und teilweise i)eri])hrase der Sachsischen komödie". Dazu kann der Student allerdings nur eine auf unbekante weise in seine bände gekom- mene, selir eilfertige, lückeu- und fehlerhafte abschrift des Sächsischen mauuscriptes l>enuzt haben. Wie sich Haus Sachs mit der lateinischen spräche des Originals abgefunden hat, darüber kijnnen wir nur Vermutungen hegen. Thon uimt als wahr- scheinlicli an , dass er mindestens ein glossiertes und überschricbenes exemplar der hiteinischen komödie benuzt habe; denn ganz ohne gelehrte bcihilfe habe er sieher nicht übersetzen können. Sii.dier nicht; alter darin hat Thou wol recht, dass er nicht wie manche z. l.i. lieim Hekastus wollen lediglicli eine Übersetzung l)cnuzte; auf eine unmittelbare benutzung des lateinischen textes lässt z. b. eine stelle im Hecastus v. 1053 schliessen, wo der teufel den tod „Schwester" nent. In einem excurse gil.it Thon ein Verzeichnis der personificationen und belebungen von abstraktis, fugenden, lästern, zuständen usw. bei Hans Sachs; wir ersehen daraus, wie gross die allegorisierungslust des dichters war. In einem zweiten excurse wird des Beroaldus Declamatio contra scortatorem et de ebrioso Aleatorem als quelle des kampfgespräches zwischen buhler, Spieler und trinker angegeben. Ein anderer excurs gibt nachweise über ilas vorkommen des dreireims schon vor Haus Sachs und macht es wahrscheinlich, dass die Reuchlinsche vorläge zum Henno der anlass war, dass Hans Sachs wenige tage nach abfassung des Henno im Pluto den dreireim im prolog und an den aktschlüsseu consequent anwante. Hoffentlich findet Thon noch gelegeu- lii'it, auch die übrigen teile seiner schritt zu veröffentlichen; sie ist ein wertvoller liidtrag zur frage nach den von Hans Sachs bonuzten quellen und föri.lert die erkeut- nis seiner art zu arbeiten.

264 RACHEL

Karl Drescher veröffentlichte als Berliner dissertation 1890: Studien zu Hans Sachs. I. Hans Sachs und die heldensage. Abschnitt I und VH. (39 s.) Der erste abschnitt behandelt „den hürnen Seufried". Bemerkenswert ist beson- ders die Untersuchung über den 7. akt. Für das ganze ist die quelle das Siegfrieds- lied und das gedruckte heldenbuch; aus diesem ist der 6. akt entnommen, und zwar aus dem rosengarten. Bezüglich der abweichungen des 7. aktes von der quelle weist Drescher darauf hin, dass bei Hans Sachs gewisse personeutypen , Situationen, ein- kleidungen regelmässig widerkehren und dass er oft auch entferntere andeutungen seiner vorläge aufgreift, um ihm geläufige Schemata zu entwickeln. Die Wendung, dass Siegfried schlafend im walde ermordet werde, gehe auf eine am-egung aus dem heldenbuch (Gedicht vom tode kaiser Ortnits) zurück; das schlafen im waldo kehrt bei Hans Sachs in einleituugeu , einkleidungen häufig wider. Für das verhalten der überlebenden gattin sei ebeiifals diese vorläge massgebend; das auffinden der leiche durch die gattin sei vielleicht einem von Hans Sachs vielfach behandelten stoffe, Der ermördt Lorenz " (nach Boccaccio) nachgebildet. Die Untersuchung wirft auch ein hübsches licht auf die schaffeusarbeit des Hans Sachs, und zeigt namentlich, wie er mit dem stoffe ringend die von ihm hineingetragenen anschauungen nicht immer festzuhalten vermochte (z. b. die Seufrieds als eines misratenen sohnes), und wie er andrerseits mancherlei durch freie gestaltang verbesserte.

Der andere abschnitt beschäftigt sich mit der sage von der königiu Teutelinde, von Hans Sachs zweimal behandelt (Meistergesang: Die königin mit dem meer- wunder vom 15. sept. 1552 und spruchgedicht : Historie, königin Deudalinde mit dem meerwunder vom 25. mai 1562). Der meistergesang hat als quelle wol einen einzeldruck, der später in Kaspars von der Roen heldenbuch aufgenommen wurde; das spruchgedicht stelte Hans Sachs lediglich aus dem meistergesange her und gibt darin wol aus misverständnis der lezten verse; „das es niemant erfm'e im Lamparter lant tut die cronica sagen" die Lamparter chronika (ITI. buch der dän. chronik von Albert Kranz) als quelle an. Als gruud, warum Kaspar von der Eoen in seinem heldenbuch den namen der Teutelinde nicht nent , vermutet Drescher die rücksicht darauf, dass Teutelinde als schützerin des katholischen glaubens in Ita- lien in der kirche in hohem ansehn gestanden habe und dass daher die erzählung eines so schimpflichen abenteuers von ihr hätte anstoss erregen können. Dem in aus- sieht gestelten nachweise, dass die gedieh te des Kaspar v. d. Roen und Hans Sachs litterarische fixierung alter sagen seien, sowie überhaupt der fortführung der umsichtig geführten Untersuchungen Dreschers darf man mit guten erwartungen entgegensehen.

Ebenfals mit einer vergleichung einer dichtung des Hans Sachs mit ihrer quelle beschäftigt sich Max Herrmanu in seiner ausgäbe der deutschen Schriften des Albrecht von Eyb (2. band: Dramenübertragungen, Berlin 1890). Den nachweis, dass Hans Sachs zu seiner komödie Monechmo die Eybsche Übertragung als vorbild gehabt habe, hat schon Günther in seiner dissertation (Plautus - erneueruugen in der deutschen litteratui- des 15. 17. Jahrhunderts. Leipzig 1886.) geliefert. Herrmann gibt noch genauer den illustrierten druck des spiegeis der sitten vom jähre 1518 als vorläge an und zeigt in einer genau durchgeführten vergleichung beider stücke, dass Hans Sachs das stück durch sehr bedeutende kürzuugen und auslassungen wesentlich geändert und ihm einen ganz andern charakter gegeben hat. Es kam ihm offenbar darauf an, viel sinnenfällige handlung zu geben, und er tat dies auf kosten der fein- heit des dialogs. Nicht mit unrecht nent daher Herrmann das stück eine der ver- fehltesten Schöpfungen des Hans Sachs.

SCHRITTEN ÜBEK HANS SACHS 265

Aucli für die forschung nach den quclleu und der arhcitswcise des Hans Sachs wird die für den 22. band der Tühinger ausgal)o geplante zusainincnstelliing ein ausser- ordentlich befiuenies hilfsniittel l>ieten.

Das ausführlichste zusammenfassenile werk über Hans Saclis, das wir gegen- wiirtig üi)erliau|it lii'sitzon, stamt aas einer IVanziisiseiien ftidei'. Es ln'isst: 11 n iioöto alleniand au XVI'' sieele. Etudo sur la vio et Ics ueuvres do Hans Sachs par eil. Schweitzer, professeur aggrege de l'univiM'site, doetcur de lettres. Paris 1887 [ausgegeben erst 188!) |. XXI und I7',l s.

Schweitzer schreilit für einen fi-anzusisrliLui leserkivis und hat daher sein Ituch auf viel lireiterer gruiullage angelegt, als z. b. .1. L. Ildfl'inauu, der ja die seinem buciie über Hans Saclis (Nürnberg 1817) zu gi'unde üi^gendcn vnrii-äge vor Nürnijer- ger horern gehalten hatte. Aber Sehweitzcr hat sehr richtig geselui, dass es mit Hans Sachs ähnlich ist, wie ndt seinem um drittehalb jalirhunderte jüngeren landsmanu Cirübel. Von dessen gedichten sagte Gü(;the in der Jenaer Alg. litt. -zfg. 180") (Hem- pels ausg. "JO, 415): „Um sie vüllig zu geniessen, muss man Nürnberg selbst ken- nen, seine alten grossen stiidtisehen anstalteii, kirclien, rat- und andere gemeinde- Läuser, seine Strassen, platze und was S(Kist iilTentliches in die äugen fält; ferner solte man eine klare ansieht der kuiistbemühungen und des teehnischen treibens gegenwärtig haben, wodurch diese stadt von alters her so l)i'rühmt ist, und wovon sich ji'zt noch ehrwürdige leste zeigen". Dabei' lässt Schweitzer dem ersten ka[iitel, das einen lebeusabriss des diehtcrs gilit, sogleich im zweiten kapitel eine ausführliche Schilderung des alten Nürnberg folgen, während sieh das dritte mit der reformation und das vierte mit den ])olitischeii Verhältnissen und ereiguissen der zeit befasst. Auf diesem hiutergruude schildert Schweitzer dann immer in engem anschluss an die einschlägigen erzeugnisse der Sachsischen musi.' die gestalt des wackeren X^ürnberger bürgers, der seine Vaterstadt warm liebte und begeistert ihr lob saug; des mann- haften und erfolgreichen vorkämiifers der neuen lehre, der dabei doch mit milde und bcsonncuheit vor überhebuug und unnötiger schärfe warnte; endlich des vatciiands- liebeuden manues, der mit heller stimme zum kämpfe gegen die türken mahnte, der die inneren zwistigkeiten aufs tiefste beklagte und gegen die vertret(.'r und verüber der gewalt seine kampflieder ertönen Hess. Nach einer zusammenfassenden Übersicht der werke des Hans Sachs und ihrer hauptsächlichen arten (kap. äj folgen in einzel- nen abschnitten: der Sittenprediger, der meiste rgesaug, der humoristische dichter, die moral der humoristischen dichtuugen, das fastuachtspiel , biblische und weltliche Schauspiele und verschiedene arten von gedichten. Ein schlusskapitel (das 1.3.) gibt eine zusammenfassende darstellung des gewins der betrachtung. Ein anhang luetet den Wortlaut des im 9. kapitel angezogeneu schwanks: Der ainfeltig müller mit den spitzbuljen, der um seiner länge willen hierher verwiesen ist, \vähn?nd sonst die zugehörigen textstücke in fussuoten gegeben sind. Dann f(jlgt noch eine anzalil uugedruckter stücke, und zwar: Der maier mit dem thuinprobst nach einer Dresdner handschrift als spruchgedicht; und ebenso als meistergosaug und als Spruchgedicht gegeuübergestelt: Die gertnerin mit dem pock; ferner mehrere siiruehgcdichte nach Dresdner, Zwickauer, Berliner, Leipziger handschrifteu. Beigegeljen ist eine pho- tographische nachbildung eines handschriftlichen blattes (Anfang des meisterliedes Die gertnerin mit dem pock) und ein abdruck der melodie der Silberweis nach dem zweiten bände der meisteiiieder zu Zwickau. Dem ganzen voraus geht ein Verzeichnis der benuzten haudschrifton und liücher, an das sich (.'ine geschichtliche nachncht und eine Übersicht des gesamten handschriftlichen bestandes sowol der von

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Hans Sachs geschriebenen wie der abschriften anschhesst. Den schluss des buches bildet ein abschnitt über spräche und mctrik des Hans Sachs, auf den später noch zurückzukommen sein wird.

Schweitzer zeigt in seiner darstellung die umfassendste kentnis, das beste Ver- ständnis und eine warme liebe für den von ihm geschilderten dichter; ebenso ist ihm eine sorgfältige benutzung aller vorarbeiten nachzurühmen. Mehrfach geht er selb- ständig über seine Vorgänger hinaus. Er bricht erstens ganz entschieden mit allen Überlieferungen über das leben des Hans Sachs, die ihre quelle nur in einleitungen oder einkleidungen seiner gedichte haben; bisher war man teilweise nm" sehr zaghaft an die ausmerzung derselben gegangen. So bestreitet Schweitzer z. b. die teilnähme des Hans Sachs am feldzuge Karls Y. nach Prankreich und seine dienstleistung als Jäger bei kaiser Maximilian in Innsbruck (Einleitung zu dem spruchgedicht „Die unnütz frawSorg"), an welchen noch Goedeke-Tittmauns 2. ausgäbe festhielt. Auch den einleitungen gegenüber, aus denen man schliessen zu sollen meinte, dass Hans Sachs trotz seiner drei häuser in Nürnberg in der vorstadt Wöhrd gewohnt habe (das Gesellensteclien, Historia von dem keiserlichen Sieg in Aphrica, Hans Unfleiss), verhält sich Schweitzer mit recht durchaus zweifelnd. Dagegen nimt er an, dass das buhlscheidlied vom 1. sept. 1513 (Ach ungelück, wie hastu) aus per- sönlicher erfahrung hervorgegangen sei und den ausdruck wirklicher empfindung ent- halte. Dieses lied aber ist so wenig individuell, so algemein gehalten und findet seine seitenstückc an so viel andern ähnlichen liederu, dass man es doch wol rich- tiger für eine schulübung hält, wie so viele andere. Aus ihm zu folgern, dass auch Hans Sachs, wie andere grosse dichter, seine lieder mit seinem herz blute gesclirie- ben habe, heisst wol seinem poetischen Ingenium alzugrosse ehre antun.

Zweitens hebt Schweitzer sehr richtig hervor, dass Hans Sachs der dichtkunst vom meistergesang aus gewonnen worden ist, dass er also in erster linie meistersin- ger war; die gründe, warum er trotzdem seine meisterlieder nicht veröffentlicht hat, gibt Schweitzer sehr richtig an: die hauptsache war wol das verbot einer drucklegung durch die meistersingergemeinschaft. Dass er sonst möglichst für Verbreitung seiner lieder in den kreisen der Schulfreunde bemüht gewesen ist, sehen wir ja, wie Schweitzer hervorhobt, daran, dass er sie selbst vielfach abschrieb und so verbrei- tete. Für grössere kreise geeignete stoffe bearbeitete er dann auch sehr häufig in spruchform. Ob er sie der form nach seinen spruchgedichten für gleichwertig gehal- ten liabe, wird sich schwer entscheiden lassen; jedenfals sind sie es nicht. In den spruchgedichten, wo er nicht u.nter dem zwange eines oft gekünstelten metrums steht, gestattet er sich die freiheiten viel weniger, deren er sich in den meisterlie- dern so häufig bedient: zerschneidung eines wertes am versende (gebrochener reim) oder anfügimg eines unorganischen e (z. b. bei den starken praeteritis) , um einen klingenden ausgang zu erzielen (anhang) und andere wilkürlichkeiten , die zwar durch die tabulatur verboten waren, aber doch bei Hans Sachs nicht selten sind.

Bezüglich der drameu macht drittens Schweitzer die sehr treffende bemerkung, dass Hans Sachs vom biblischen drama aus zum weltlichen drama gekommen ist, als dessen Schöpfer man ihn ansehn muss. Dadurch erklären sich viele mängel sei- nes weltlichen dramas. In den biblischen stücken standen die Charaktere von vorn- herein fest; jede der dort auftretenden personen hatte feste umrisse. Die aufgäbe des dichters lag daher weniger in der Charakteristik, als in der führung der handlung. Indem nun Hans Saclis diese grundsätze auf das weltliehe drama übertrug und die Charakteristik den geschehnissen gegenüber zurücktreten Hess, bekamen seine dramen

SCHiUl'TEN ÜBER HANS SACHS 267

otwas skizzenhaftes, unfertiges, nur angedeutetes; die hefriodigung des stofhungers der Zuschauer stantl zu sehr im Vordergründe. Dabei muss aber docli iiervorgeholjeu werden, dass die dranieii aucii dos Hans Sachs durch die aufführung wesentlich gewonnen haben müssen; denn gerade solche nur den umrissen nach angedeuteten gestalten sind einer volleren ausf'iihruiig durcli die darstidlung nicht nur bedürftigs sondern auch in geschickten händeu in hohem grade laliig. Und wiMin es nun auch bloss liebhaber, handwerksgeuosseii und l)iirgerssöhiu; waren, die ilie stüeki' di.'s Iluns Sachs aufführten, so ist doch andererseits sicher dei' umstand den ausfülii-ungen zu gute gekommen, dass der dichter selbst in den meisten füllen siückc und rollen ein- übte. Freilich sind ja die grenzen (U's di'amatischen schaFfuugsvermögens des Hans Sachs ziemlich eng; aber Seliweitzer hat volkommen i-eeiit, wi'im er darauf hinweist, dass jede zeit sich bei der darstellung vergangenei- Zeiten in einei' Zwangslage befin- det. Auch die scheinbar objektivsten, die nach genauestem erts- und zeitkolorit streben, tragen in die darstellung verga-ngencr zelten stets etwas subjektives hinein, l'm so mehr ist das der fall bei der naiven anschauung ilc;s Ui. jahrhundm'ts, das die schlachten des römischen altertums durch landskneehlo illusjrieii,, die mit trom- meln und fahnen gegeneinander vorrücken. Der naive (behter wird au('h schliesslich keine andern menschen darstellen kiinnen als die er selber kent. Und so sind es denn auch stets ehrsame Nürnl)erger bürgersleute , die wir bei llans Sachs antreffen, auch wenn es gilt, konige, ritter und beiden der vorzeit darzustellen. Das mus, freilich mitunter komisch wirken; aber mit recht eriumni Schweitzer daran, dass auch Kacines gestalten nur Icutc sind, wie er sie kent, Iierrcn vem hofe lAidwigs XIV; aber eben da diese den höchsten geselschaftskreisen entstamten, war er dadurch für seine dramatischen Schöpfungen, die auch grosse herren vorführten, im vorteile».

In bezug auf die auffiilirungen der Sachsisclien stücke durch den dicliter selbst ist Schweitzer der erste, der die von K. Genee in seinen lehr- und wanderjahren des deutschen Schauspiels gegebenen nachweisungeu beuuzt, di»; dicsi'r den mitteilun- gen des dr. Wilhelm Loose aus den Nürnberger ratsprotokolleu verdankt'. Neu ist auch die mitteilung, dass der ,">. band der spruehgedichte, der sieh in Ijcilin l)ehn- det, saphica, d. h. lyrische strophen cnthidt, die bestirnt waren, in den pausen der Vorstellungen der Griselda und der tragödie Gismunda gi'sungen zu werdi'ii. Bei den allegorieu endlich, denen Schweitzer wol mit recht im ganzen wenig dichterische bcdeutung beilegt, macht er vielleicht im anschluss an Lucä (Preussische Jahrbücher bd. ö8) die ansprechende bemerkung, dass die phantasie des Haus Sachs, die ja in diesen stücken, den allegorien, kampfgesprächen , Personifikationen usw. am freiesten sich ergehen kann, sich wahrscheinlich an den werken Alljrecht Dürers geschult und beflügelt habe.

Weniger vertraut als mit dem Inhalt der dichtungen ih's Hans Sachs und wenige)' glücklich als in deren dichterischer Würdigung ist Schweitzer bei darstellung der spräche und metrik des Hans Sachs. Bezüglich der spi-ache liegen allerdings noch wenig vorarbeiten vor. Eine erschöpfende darstellung erkliirt Schweitzer auch gar nicht geben zu wollen; nur eine algemeine Vorstellung von dm- spräche des dich- ters will er seinen lesern verschaffen. Oi) dieser zweck zweckmässig ist, und ob er durch die etwas zusammenhanglosen bemerkungen über ]ihonetik und grammatik des Hans Sachs erreicht wird, darüber Hesse sich wol streiten. Jedi^sfals hat sich

1) Diese Nürnberger ratsverlässe hat V. Micliols neuerdings bearbeitet uml die ergebnisse im dritten bände der Vierteljalirsscluift für litteraturgeschiclite verülfentlicht.

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Schweitzei', obwol er geborener Elsässer ist, doch nicht genügend mit der «älteren deutschen spräche beschäftigt; es finden sich daher manche mis Verständnisse und irtümer. Unvolständig ist z. b. das über die bedeutung von ue bei Hans Sachs gesagte, und die beispiele sind teilweise unrichtig, ue steht für den umlaut von u (tlmer, dueekj oder für mhd. uo (clucg, gcniieg) oder für mhd. üe, den umlaut zu tio (dnecher, piiecher). Diese lezten worte bringt aber Schweitzer s. 458 als beispiele dafür, dass ue = iio sei. In dem vocabularium gehen nürnbergische idiotismen, mundartliche formen, alte woiie und solche, die auch heute noch gebräuchlich sind, bunt durcheinander. Auch hier laufen irtümer unter: gaden heisst nicht tor, fron ist weder adj. noch heisst es heilig; sturt7^el darf nicht so ohne weiteres = ivurzel gesezt werden; entwiht ist nicht = entweiht (ein irtum, den Scliweitzer vielleicht von Arnold, dem herausgeber der auswahl in der Kürschn ersehen nationalhtteratur, über- nommen hat), sondern eine andere form für eniviht, niivilit, niht = nichts; siechten und heint werden als gleichbedeutend hlngestelt (la nuit derniere), während das zweite auch und zwar wol meistens die auf den heutigen tag folgende nacht, die nächste nacht, bezeichnet. In der syntax ist als beispiel der ellipse des artikels angeführt: an liopf schlagen, er schaut in xettel. Hier liegt aber nur zusammen- zielumg vor, wie bei Goethe in Götz von Berlichingen : in tiirm toerfen. Beim gene- tiv ist ausser acht gelassen, dass er häufig von der negation bedingt ist; dahin sind die unter andere rubriken gebrachten beispiele zu ziehen: ich hin sein nimmer; sie sach sein nit; auch wol ich hab nie gelcx,, doch erklärt sich der partitive genitiv hier auch ohne negation. Überhaupt sind die in der syntax angeführten beispiele schwer zu beurteilen, da sie ohne Stellenangabe stehen und daher nicht nach- geprüft werden können; vielleicht dürfte sich manchmal eine andere erklärung als besser ergeben. Das s. 475 angeführte beispiel eines anakoluths erscheint nicht als solches, wenn man den voraufgehenden relativsatz in konditionalem sinne nimt.

Die bemerkungen über die verskunst des Hans Sachs stützen sich auf Som- mer (Eostocker diss. 1882). Bei der heranziehung des mhd. zui- erklärung des umstandes, dass Hans Sachs auch ableitungssilben betont, lässt Schweitzer ausser acht, dass dort die ableitimgssilben neben den stamsilben betont werden, während Hans Sachs die stamsilben in den schwachen, die ableitmigssilben in den starken vers- teil sezt. Die haupterkläiixng liegt wol darin, dass wie auch Schweitzer ausführt durch die Vortragsweise der meistersinger der unterschied zwischen betonten und unbetonten silben sehr verwischt und dadurch almählich das ehr für den unterschied unempfindlich wurde. Bezüglich der gleitenden reime scheint Schweitzer anzimehmen, dass sie wie klingende gesprochen wurden: adelich = adlicli, belcydigen = helcy- ding. Doch lassen andere gleitende reime, z. b. mechtigcf, brechtiger (K. -G. VIII, s. 856) eine derartige zusammenziehung nicht zu; hier musten drei silben hörbar sein. Die lezte bemerkung in der metrik, dass Schiller sich die alte gewohnheit des dreireims in seinen dranien angeeignet habe, beruht wol auf dem misverständ- nisse einer stelle aus dem von Schweitzer angeführten programme des unterzeichneten über reimbrechung und dreireim im drama des Hans Sachs. Schiller hat in Wallen- öteins lager die reimbrechung und in verbindmig damit den dreifachen und vierfachen reim sehr mannigfach verwendet; auch hat er längere ungereimte reden in seinen dramen durch zwei gereimte zeilen abgeschlossen (wie vor ihm Shakespeare) und dadurch eine ähnliche Wirkung erreicht wie Haus Sachs durch den dreireim am Schlüsse seiner reimpaare.

sciiRiriKN vm:n iians sai iis 269

Ti'otz dieser kleinen aiisstellungcn am auliaiig des buclies nuiss das gesamt- urteil docli daliin abgegcl)en werden, dass das Sehweit/.eriselie l)U(;h das beste und ausführlichste ist, das wir über Hans Sachs besitzen. Wenn auch in sprachlicher beziehung niclit auf der hüiie stehend, gibt es doch von der iiorsiWilichkeit des Hans Sachs und seiner dichterischen Wirksamkeit eine auf reicher l)elesenh(>it fassende, umfassende, in den hauptzügen richtigf!, in der form so fesselnde und ich möchte sagen liebenswürdige darstellung, dass wir uns nur freuen kijmien, einen so kun- digen und beredten herold unseres dicliters in Frankreich gefunden zu balien. Vor allem ist die liebevolle Versenkung in unsere Vergangenheit und das richtige Verständ- nis dafür sehr erfreulich und schätzenswert.

Nocli seien drei kleinere deutsche arbeiten über des ITans Saclis loben erwähnt. In der Algem. deutschen biograi)hi(^ hat Edmund Goetze auf 15 selten die gesicher- ten ergebnisse kurz zusammcngefasst. Er räumt nach dem vorgange Schweitzers mit den aus den eiuleituugen und oinkleiduugon genommenen liiographischen angaben gründlich auf und gibt eine übersichtliche geschichte der Sachsischen dichtung. Von den ausgaben werden die Nürnberger, die Kemptener und der Stuttgarter neudruck besprochen. Die über den lezten gegebenen mitteiluugen sind ol)en schon augeführt worden.

In zweiter aufläge, aber mit durchgreifenden Veränderungen, ist erschienen: Hans Sachs, Sein leben und seine dichtungen von E. K. Liitzelberger, neu bearbeitet und vermehrt von Karl Fromraann. Nürnberg 1891. 283 s. 8. Die Schrift ist ihres Charakters als gelegenheitsschrift (zur eiuweihnng des Hans Sachs- denkmals) jezt entkleidet und hat durch die bessernden und erweiternden Zusätze an wert und Zuverlässigkeit gewomien. Frommann ist bei den texten überall auf die ältesten zugänglichen i[uellen zurückgegangen und hat dadurch manche stelle gebes- sert; oll die beibehaltung der alten Schreibweise für die zwecke dieser ausgäbe sich empfahl, konte zweifelhaft erscheinen. Unter den Vorgängern dos Hans Sachs im fastnaclitspiel wird auch Peter Probst genant. Für die darstellung der dramen ist Genee benüzt, der von früheren herausgeberu , z. b. Arnold, unverdienter weise unberücksichtigt geblieben war.

Endlich ist als 19. band der Bayerischen bibliothek ein Hans Sachs von Edmund Goetze erschinen, mit Zeichnungen von Peter Halm (Bamberg 1890. 7G s.). Durch ausführliche aualysen wird eine auschauung vom gedankenkreise und der entwicklung des dichters gegeben. Litterarische nachweise und excurse sind in die anmerkuugen am ende des büchleius verwiesen. Unter den deutschen Schriften über Haus Sachs ist diese, soweit nicht proben gewünscht werden, die ausführlichste mid unterrichtendste. Auch die abbildungeu (bildnisse des Hans Sachs, gleichzeitige Stadtbilder, eine singschule, ein kurzes autograph des dichters) bilden schätzbare ergäuzungen.

FREIBERG. M. RACHEL.

Schriften zur germanischen philologie, herausgegeben von dr. Max Roe- tlig'er, IV. heft: Deutsche schritten des Albrecht von Eyb, heraus- gegeben und eingeleitet von Max Herrmanu. I. Das Ehebüchlein. Berlin, Weidmann 1890. LH und 104 s. G m.

Vorliegende ausgäbe des Ehebüchleins, welchem laut angäbe auf dem

umschlage demnächst die Dramenübertragungen desselben Verfassers (Plautus,

270 MATTHIAS

Ugolino, Pisaui) folgen werden, ist um so freudiger zu begrüssen, als bisher ein vol- stäüdiger neudruck dieses für die kentnis der deutschen prosa vor Luther überaus wichtigen buches überhaupt nicht vorhanden war. Denn die zierliche, 1879 bei Max Fassheber in Sondershausen erschienene, von Karl Müller besorgte ausgäbe des Ehe- stand sbü oh leins, wie es hier genant wird, ist für jenen zweck nicht zu verwen- den, da sie eine für ein grösseres publikum berechnete sprachliche erneuerung des alten druckes bietet, von demselben auch nur etwa */s enthält, indem namentlich solche stellen übergangen sind, „deren Inhalt für die heutige leserweit nicht recht geeignet erschien", wie die Albanuslegende (s. 91 fgg. des Herrmannschen neu- druckes). Die einleitung behandelt ausschliesslich fragen bibliographisch - textkri- tischer natur, indem alle übrigen offenbar ihre erledigung finden sollen in der eben- fals auf dem umschlage als künftig erscheinend angekündigten monographie des herausgebers : Albrecht von Eyb und die frühzeit des deutschen humanis- mus. Eine tabelle veranschaulicht zunächst (s. VII) das abhängigkeitsverhältnis der 12 bekanten drucke, die von 1472 bis 1540 reichen, sowie der 5 vorhandenen hand- schriften. Die von s. VIII XXII reichende besprechung beider kategorien komt zu dem resultate, dass von den 5 handschi-iften keine das original ist, welches Eyb am 1. Januar 1472 dem magistrate von Nürnberg widmete, dass vielmehr 4 davon abschriften erhaltener drucke, für die kritik also wertlos sind: drei Münchener (m^, mg, nig) und eine handschrift der fürstlich Lobkowitzischen bibliothek in Rauduitz (Böhmen, = r), und nur eine in betracht komt, die bisher völlig unbekante abschrift der Berliner bibliothek (b); von den 12 drucken sind ohne wert: 1. M, 1475, von Conrad Mancz aus Blaubeuren; 2. H, s. 1. et a. kaum vor 1520; 3. N, niederdeut- scher druck aus dem jähre 1493; 4. L, s. 1. et a. von Martin Schönsperger in Würz- burg; 5. 0, 1517, von Silvan. Othmar in Augsburg; 6. B, 1474, von Joh. Bämler in Augsburg; 7. S, 1482, von Hans Schönsperger in Augsb.; 8. St., 1540, von Heinr. Steiner in Augsburg; 9. Seh., 1495, von Hans Schobsser in Augsburg; wert haben nur 3 aus dem jähre 1472 stammende: C, von Eritz Creussner, K, von Koberger, beides Nürnberger, und Z, von Günther Zeiner in Augsburg. Die vier in frage kom- menden quellen der Überlieferung, die handschrift b und die drucke CKZ, zerfallen in zwei gruppen, von denen C die eine, KbZ die andre vertreten. Aus der flüch- tigkeit des druckes C, sowie aus anderen gründen schliesst der herausgeber, dass jener nicht direkt nach Eybs verlorner handschrift («), sondern nach einer abschrift davon veranstaltet worden (/i), die auch verloren. KbZ gehen, wie aus Übereinstim- mung iu den fehlem deutlich wird, auf eine gemeinsame vorläge ()') zurück, die eine abschrift des originales ist, und zwarZ direkt, Kb durch vermitlung einer zwei- ten abschrift (cF). Eine kritische herstellung des urtextes ist demnacli unmöglich, da 0 und KbZ oft derartig einander gegenüberstehen, dass eine entscheiduug zu gim- sten einer von beiden lesarten nicht zu treffen ist. Da auch au eine rekonstruktion nicht zu denken ist, so hat sich der herausgeber consequenter weise für den abdruck desjenigen textes entscheiden müssen, welcher ihm den ursprünglichen am treusten bewahrt zu haben schien; er hält dafür den Kobergerschen druck (K), obgleich der- selbe vom original nachweislich durch zwei mittelglieder getraut ist. Es kommen eine reihe äusserer gründe hinzu, welche die wähl von K als gerechtfertigt erscheinen lassen: Der umstand, dass Koberger seine tätigkeit auch sonst mehrfach im auftrage des rates ausgeübt hat, ferner, dafs der neffe Eybs, der bischof Gabriel von Eyb, dem im jähre 1517 von ihm veranstalteten nachdrucke des ehebüchleins (= 0), gerade K zu gründe legte, dadurch also diesen druck gewissermassen als officiellen

fnF.R F.Vn, KIIKIÜV'llLF.IN' KU. IIKK'KMANN 271

aucrkante. Es folgen soilanii (XXV XXXT) zusaiiimoiist(^lluiigoii ln'treffoiul vev- schiedeiiliciteii in der intcrpunktion, in (Ion abkürzungeii und im abteihuigsvcrfahren des alten druekes, die auf betciligung mehrerer setzer iiinweiseii: sind dieselljcn im neudrucke getilgt, so sind dagegen die auf gleiche weise zu erklärcnd(in Schwankun- gen im lautsysteni und der Orthographie getreu Ijoilichaltcn \vor(k'n. S. XXXT bringt ein Verzeichnis der beseitigten druckfehler. Für die unzald von füllen, in denen C allein der klasse ;■ (KhZ) gegonübcrstantl, hat sich dei- herausgcl)er der unsäglichen mühe unterzogen, Eybs lateinische vorlagen zu vergleiclu^n, wie er selbst gesteht, ohne entsprechenden erfolg (s. XXXll). Es folgen weiti'r (XXXIII XXXV) Ver- zeichnisse über die lesarten von (', von denen nicht zu eidscliciden, ol) sie ursprüng- licher sind, als in ;■, sodann über irrungen von (", endlich über abweichuugen des druckcs Z (XXXVI XL), dieses niciit aus textkritis('h(!in interessc, s(jndcrn weil sie wichtig sind für die beurteiluug der bchandlung des textijs von seiten der s»!tzer, umsomchr, als es sich bei Z um die wichtige Zeiucrsche officin handelt.

Da alle vorgenonuneui'n Untersuchungen sich nur auf die textdi'ucke, auf die behandhing des textcs in der Kobergerschen, Ui'oussnersclien, Zei- nerschcn drnckerei beziehen, so gibt der herausgeber auf s. XLT LH ein von ihm aufgefundenes, von Eyb verfasstcs und geschriebenes deutsches rechtsgutachten (aus einem Eichstätter cod.), um ein urteil über die bchandlung des toxtes von Seiten jener druckereien zu ermöglichen, inilem er ausführlichere untersuclumgen für die oben angeführte monographie versiiart. Da sich jedoch eine ganze reihe von sätzen des rechtsgutachtens mit Sätzen des W. kaiütels dos ehebüch- leins nach dem Kobergerschen drucke sprachlich wie orthogra[)hisch fast volständig deck(Mi, so lässt sich schon jezt erkennen, dass der herausgeber diesen, als dem originale am nächsten stehend, mit recht seind-r ausgäbe zu grun<le gelegt hat. S. 3 99 bringen einen getreuen alidruck des textes von K, indem am fusse der Seite diejenigen abweichungen der drei übrigen texte (CbZ) angid'ülirt werden, von denen anzunehmen, dass sie in a gestanden, indes K geändert hat. S. lOO 103 folgt ein namenregister, 104 endlich ein, den Manczschen druck (M) beti'effender naiditrag.

NORDIIAUSEN. K. MATTHIAS.

Die geschichte der deutschen Universitäten von CJeorg' Kaiifinaini. Bd. I:

Vorgeschichte. Stuttgart, (.'otta. 1S8S. XIV und 442 s.

Anc'li für eine einleitung in die geschichte der deutschen Universitäten ist von diesen selbst in dem vorliegenden bände zu wenig die rede. Was uns in demselben geboten wird, ist vielnndir eine geschichte des westeuropäischen untei'richtswesens vom anfange des mittelalters bis zum fi'ühen 14. Jahrhundert; sie gipfelt in dem nachweise, dass bis weit in das 12. jahi-hundert hinein eine schrankenlose lehr- und lornfreiheit herschte und erst seitdem in folge einer ahucählich sich volziehenden Umbildung eine reihe angesehener privater unterrichtsuntei-nehmungen und einzelner lehraustalten, die sich an ältere stifts- und klosterschulen anlehnten, zum ansehen und nameu von geueralstudien " kamen. Das 14. Jahrhundert l»ildet in dieser ent- wickluug insofern einen weiteren tiefgreifenden einschnitt, als sich nunmehr der gruud- satz einbürgerte, dass es zur errichtung eüies generalstudiuins oder zur anerkeunung einer bestehenden schulanstalt als solches eines päpstlichen piüvileges und eines kai-

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seiiiclieu oder köuigliclien stiftuiigsbriefes bedürfe. Die schildenuig, die uns Kaiif- manu von diesen überaus verwickelten, in ihren anfangen schwer ergründbaren vergangen gibt, ist ebenso gründlich wie umfassend und muss jeden leser durch lebendige frische und anschaulichkeit der darstellung fesseln. Überall tritt warme hingäbe an den stoff und völlige geistige beherschung desselben dui'ch den Verfasser zu tage; bei aller schärfe ist die von ihm geübte kritik in massvolle formen geklei- det. Vorteilhaft unterscheidet sich Kaufmann hierin von H. Denifle, der, gestüzt auf ihm zuerst zugängliche schätze des vaticanischen archives, schon 1885 mit dem ersten bände seiner „Universitäten des mittelalters bis 1400" an die öffentlichkeit trat. So viel neues und bemerkenswertes man auch aus diesem werke entnehmen kann, so dürften sich doch nur wenige durch die vom herausgeber beliebte breit- spurige gelehrsamkeit angezogen, \ie\e dagegen durch die hochfahrende, gehässige polemik, die daselbst sogar an verstorbenen, auerkant hochverdienten forschern geübt wird, geradezu abgestossen fühlen.

Nur nach einer richtung hin kann ich Kaufmann nicht völlig beipflichten: auch er sucht noch zu sehr aus der mannigfaltigkeit der erscheinungen ein gesetz, wel- ches die gesamte entwicklung beherschte, herauszuklügelu und trägt nicht genügend dem geiste der Sonderbildung, der das innerste wesen des mittelalters ausmacht, rechnung. Zwar war es überall die kirche, die in der schrankenlosen bewegungs- freiheit des an umfang und bedeutung unablässig zunehmenden gelehrtenstandes die grösten gefahren für den bestand ihrer lehrmeinungen erblickte und daher zur einführung eines geordneten befähigungsnachweises für das lehrarat drängte; zwar waren es dieselben fragen des wirtschaftlichen Verkehrs und des rechtslebens , die die grossen schaaren meist fremder lehrer und schüler zu einem genossenschaftlichen zusammen - und abschluss gegen die ansässige , nicht gelehrte bevölkerung zwangen aber alle abhülfemassregeln , in denen wir die keime zu einer hochschulverfassung zu erblicken haben, erfolgten ganz auf grund örtlicher Sonderverhältnisse; diese haben sogar vielfach die ihnen innewohnende kraft behauptet und geäussert, wenn man sich auch bei jüngeren Schöpfungen absichtlich an ältere Vorbilder anlehnte und auswärts bestehende einrichtungen nachzuahmen suchte. Man kann getrost behaupten, dass bis zum 14. Jahrhundert keine Universität der andern in ihrer äusseren Verfassung völlig gleich gewesen sei. Bologna, Paris und Neapel sind nur die generalstudien, an denen die drei verschiedenen hauptrichtimgen der entwicklung zum vollendetsten ausdrucke kamen; je nachdem, wie an erster stelle, die städtischen behörden die als unabhängig anerkante Scholarenkörperschaft sich mehr selbst überliessen oder, wie an den beiden anderen orten, die leitung der Universitätsgerichtsbarkeit entweder einem kirchlichen Würdenträger oder einem königlichen beamten übertragen wurde, muste auch die Weiterbildung eine andere werden. Neben und zwischen jenen drei haupttypen erscheinen die äusseren verfassuugsformen aller übrigen italienischen, französischen, englischen und spanischen Universitäten nm- als Übergänge und Zwi- schenstufen. Kaufmann gibt selbst die einzelnen anhaltspunkte für eine solche beobachtung, nur unterlässt er es dieselbe an geeigneter steUe bestirnt zu formu- lieren. Weit deutlicher und schlagender zeichnet Kaufmann hierauf das zusammen- wirken der verschiedenen umstände und Ursachen, die es zu wege brachten, dass trotz der oft erheblichen abweichungen in der äusseren Verfassung der Universitäten sich doch im wesentlichen gleiche grundsätze und gebrauche für die lehrmethode und die Unterrichtsordnung aller orten ausbildeten. Mit recht erblickt er den höhe- punkt dieser entwicklung darin, dass ungeachtet des von einigen selten geleisteten

ÜBER KAUFMANN', flESrn. T)KR T-NTVF.RSTTATEN 273

widerstandos dor gnindsatz algonieiii durchdrang, die an einer Tiniversiiiit erlaugte lelirl)('fiUiigung müsse von allen übrigen als giltig auerkaut werden.

Weiter auf den inhalt des Kaufinauuselien l)uclics einzugehen, ist mir leider durch den räum nielit gestattet; nelieu den ausl'ührungen, die für die erörterung der oben aiigedtniti'ten liauptpunl<tc unbedingt erf(irderli(^h sind, wei-dcn aucii manclie fi'agen, die nur in loekercm zusammenhange mit jenen stehen, lierülirt. So gut wie Kaufmann ist es wol noch niemand gelungen, in eintu- auch weittMvn kreisen gewiss zusagenden form das wesen der Scholastik, iliro gcscliichte und ihre wissen- schaftlielien leistungen zu schildern; aber das diesem gegenstände gewidmete einlei- tende kapiti'l besizt eiiuin im verhältuis zum ülirigtMi zu grossen umfang. Das soll uns indes nicht gegen den Verfasser einnehmen, wofei'ii er uns nur den für unsere luunuitliciie g(^s('hichte wichtigeren zweiten liand seines werk(>s nicht zu lange vor- enfliält.

Anders urteilt natiirlicii Denille; ei' lässt in (siner anzeige im Historischen jahr- buche 10, 72 98, wie man zu sagen pflegt, kein gutes liaai- an Kaufmanns arbeit. Darülier braudit man sich fieiiicli nicht zu wundern; ist docli ein mann wie Saviguy sclioii in ■ihnhcliei- weise von Denitlo behandelt worden. Man sieht nur zu deut- licii, dass auch jezt misgunst und errcguug aus ihm sprechen; er kann nicht ilarüber hinweg kommen, dass sein werk nicht von Kaufmann auf jeder seite min- destens melii'ore male citiert wird, dass die von ilnn vermeintlicli zum endgiltigeu abscliluss gebrachten fragen von Kaufmann erneut behandelt und zum teil in anderer, von der wissenscliaftlicheu weit beifälliger aufgenommener weise beautwoi'tet werden. Pas einzige, was man Denifle allenfals zugeben kann, ist, dass Kaufmann ein oder das andere, die gesamtauffassung keineswegs erheblich beeinflussende litterarische Zeugnis übersehen hat; daneben handelt es sich vielfach nur um kleinliche rechthabe- reien, die bei dem stände unseres quellenmateriales und der ganzen art der mittel- alterliclien auscliauungen keine bestirnte entscheidung nach einer oder der anderen Seite zulassen, z. b. um die frage, ob eine schule in irgend einer italienischen oder französischen provinzialstadt, die später völlig aus der geschichte der hochschulen verschwindet, einmal als generalstudium gegolten hat oder nicht. Auf eine replik Kaufmanns hat Denifle eine duplik folgen lassen, doch artet die erörterung hier erst recht in ein leeres Wortgefecht aus.

KIEL. W. SCHUM.

Prolegomena der litterar - evolutionistischen poetik. Von dr. Eugreii Wolff. Kiel und Leipzig, Lipsius und Tischer. 1890. 32 s. 1 m.

Unter dem anspruchsvollen titel liirgt sich eine reihe von bemerkungen über den rechten weg, poetik zu treiben, die, ihrer gespreizten fassuug entkleidet, ziem- lich harmloser natur sind und dem Verfasser wahrlich nicht das recht geben, von einer „neuen methode" zu reden. Von der richtigen erkentnis ausgehend, dass die poetischen ideale bei verschiedeneu Völkern und in verschiedenen zeiten verschieden seien, verlangt Wolff eine inductive poetik, die eine geschichte der poetischen gat- tungeu und stile gibt und aus einer mijglichst grossen litteraturkontnis das gemein- giltige zu abstrahieren sucht. Das ist eine forderuug, die ims längst geläufig ist und an deren erfüllung die litteraturgeschichte seit Jahrzehnten arbeitet; und auch für die poetik im allerengsten sinne bringt sie nichts irgendwie neues, zumal es tatsächlich zum glück auch bei Wolff wesentlich auf das liofragen klassischer beispiele heraus-

ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXIV. J 8

274 ROETHE

liiuft: die grosse Wahrheit, dass die iuduction um so sicherer sei, je grösser und luanoigfacher ihr material ist, bedurfte schwerlich noch nachdrücklicher betouung. Selbst der begriff des evolutionistischen wird nicht von AA'"olff zuerst auf die poetik angewendet und passt obendrein für seine auffassung derselben erheblich schlechter als etwa für die poetik Scherers, die Wolff zwar als „naturwissenschaftlich" recht einseitig und schief charakterisiert, die aber allerdings z. b. die dichtungen der natur- völker ernsthaft in den kreis ihrer betrachtung zog, während der evolutionist Wolff ihnen keinen wert für die poetik beizulegen scheint. Bei Wolff ist das evolutio- nistische vorwiegend schminke: er gefält sich darin, allerlei parallelen zwischen der gescliichte der poetischen gattungeu und der entwicklmag der natürlichen arten zu finden; ich vermag aber in diesen gesuclitcu und unerlaubt hinkenden vergleichen nur eine irreführende Spielerei zu sehen, deren stärkste leistung wol „der interessante chemische process" ist, durch den aus dem „französischen drama Gottscheds -\- eng- lischen epos der Schweizer" durch veiiauschung der adjectiva das „englische drama Lessings (-]- romantische epik Wielands?)" wird (s. 15). Ich kann nicht leugnen, dass micli dieses coquettieren mit der naturwissenschaft, nur weil sie modern ist, recht verdriesst: eine lediglich iuductiv geschichtliche ])oetik brauchen wir doch wahrlich nicht erst von Darwin zu lernen. Ist es denn schon so ganz vergessen, was unser Jahrhundert dem aufschwung der histDrischen Wissenschaften verdankt? Und grade das naturwissenschafthche gebiet, auf dem der poetikforscher wirklich viel zu lernen hat, die experimentelle psychologie, scheint in Wolffs Interessen nicht im Vor- dergrund zu stehn.

Eine probe seiner methode gibt Wolff nun s. 15 23 an einem überblick über die deutsche tragödie. So flüchtig er ist, so lässt er sich doch hören und ist nach meiner meinung die lesenswerteste paiiie des schriftchens. Das resiütat freilich (s. 20), das wesen der tragödie sei es, durch erschütternde Vorstellung menschlichen leidens eine möglichst grosse entladung und damit erleichterung von immanenter Wehmut, von immanentem trähnenreiz herbeizuführen, lässt manches zu wünschen übrig und wird dui'ch die Seitenblicke a\d die definition des Aristoteles, die mit ihrer medicinischen yddaQaig auf das Wolffsche ergebnis unverkenbaren einfluss geübt hat, nicht eben gehoben. Für form und mass, für die bedeutung der tragischen schuld und für manches andere findet Wolff in seiner auffassung keinen platz: man hat sehr mit recht ihm entgegen gehalten, dass, da die derbste erschütterung die stäi'kste ent- ladung herbeiführe, die raffiniert effektvolsteu schauer- und rührdramen nach seiner definition den triumph tragischer kunst bilden müsten. Hier rächt es sich vielleicht doch, dass Hans Sachs und die englischen komödianten neben Lessing und Goethe als zeugen für das wesen der tragödie erscheinen durften.

Aber Wolff dehnt seine entladimgstheorie weit über die tragödie aus. Als ein denkbares ergebnis seiner „methode" erscheint es ihm z. b. s. 24, das epos bewh-ke „entladung von immanenter bewunderung", und er wiU in diesem hypothetischen ergebnis sogar ein zeugnis für die ursprünglichkeit des epos sehn, weil die bewun- derung dem religiösen gefülil am nächsten stehe, religiöse dichtung aber gewiss die älteste war. Auch die lyrik soll uns „von eignen, in uns schlummernden empfin- dungen" entladen s. 24; ja die erleichterung ist ihm so sehr der zweck der poesie, dass die anregung dahinter zurücktritt. Es widerstrebt mir, an diesen tastenden ein- fallen kritik zu üben. Nur ein paar fragen! S. 19 scheint Wolff, so verstehe ich ilin wenigstens, für die rechte entladung eine katastrophe nötig: soll die nun auch für epos, für lyrik, für didaktik notwendig sein? soll etwa auch der roman, der

ÜBER WOLFF, FROLEGOMENA DER POETIK 275

erbo des epos, uns von be^mudol•ung entladen? und ist die entladung von trähneni'eiz wirklich nur der trfigödie eigen? Ich nniss gestehn, dass mir die fruchte dieser poetik so unreif und so dürftig erscheinen, dass sie gegen die methode die schlimsten voi'urteile erwecken müsten. Aber ich glaube freilich, die schuld liegt mehr an der ilüchtigen anweudung als im wesen dieser inductiven poetik, die in ihrem kern gewiss berechtigt, nur nichts weniger als neu ist.

Es will mir scheinen, als ob Wolft' weder durch kentnisse noch durch for- schererfahrung berufen war, einer „neuen" poetik die wege zu weisen. Meinte er, neue bahnen gefunden zu haben, so mochte er uns eine ernsthaft durchgearbeitete probe davon an einem bestirnten thema geben; dass die billigen, undurchgeführten skizzen und gedanken des vorliegenden schriftchens die Wissenschaft ernstlich weiter bringen weixlcn, erwartet er wol selbst nicht. Wolff ist offenbar wenig philologe. Das ist gewiss kein Vorwurf. Wenn ich mir aber die dinge ansehe, die er z. b. über das epos verkündet, so kann ich das gefühl nicht unterdmcken , er würde sich von die- sen teüs oberflächlichen, teils geradezu falschen und wilkürlichen constiiiktionen nicht befriedigt, er würde sich zum Columbus dieser neuen poetik nicht bestimt gefühlt haben, wenn er den ernst imd die straffe anspannuug streng philologischer arbeil. genügend kennen gelernt hätte: ich glaube nicht recht an die litterarlüstoriker, die nie Philologen gewesen sind. Die tri\'ialitäten , mit denen er sich s. 9 fg. für die epische grundform der poesie entscheidet \ und die beweisen, dass er den Schwierigkeiten dieser auch meiner meinung nach noch nicht erledigten frage nie näher getreten ist, die angäbe s. 12, dass die didaktische poesie bei den neuern Völkern zaerst als tier- epos aufgetreten sei; die sätze, die er s. 13 über volks- und kunstdichtung aus- spricht — all das zeigt, dass "Wolff jedesfals noch nicht der mann dazu ist, aus der fülle reichen wissens und erkennens kurze prägnante, das wesentliche sicher heraus- hebende Skizzen unsrer litteratur zu geben, welche die poetik wirklich fördern kön- ten : dazu fehlt ihm noch die ruhige , sichere auffassung der tatsachen , dazu die Vertiefung und bescheidenheit des geschichtlichen urteils und auch manches andere. Ich glaube freilich, wenn er das alles in höherem grade besessen hätte dies büch- lein wäre zunächst nicht geschrieben worden.

GÖTTINGEN, 5. APRIL 1891. ROETHE.

Friedrich Ludw^ig Schröder. Ein beitrag zur deutschen litteratur- und theatei'- geschichte von Berthold Litzmauii, prof. a. d. univ. Jena. Erster teil. Hamburg und Leipzig, Leopold Voss. 1890. IX u. 350 s. gr. 8". 8 m.

Der erste teil von Litzmanns Schröder -biographie reicht bis zum jähre 1767, d. h. bis zu dem jähre, in welchem der junge Schröder, durch den vertrag seines Stiefvaters mit dem Hamburger konsortium stellenlos geworden, sich von der Acker- manuschen truppe trente. So umfasst dieser band ungefähr den 4. teil des zu bewäl- tigenden Stoffes. Es stand ja zu erwarten, dass in den siebzig jähren, welche seit dem erscheinen von Meyers, mehr von herzlicher freundschaft, als von kritischem geiste getragenem: „Beitrag zur künde des menschen und künstlers", verflossen sind, genug neuen materials aufgefunden sei, um eine neue biographie gerechtfertigi er- scheinen zu lassen. Litzmann muss aber über unerwartet reiche schätze gebieten können. Der grosse fortschritt dieser neuen biographie und ihr Schwerpunkt liegt

1) Die entgegengesezte ansieht stamt übrigens von Miillenhoff , nicht von Scherer her.

18*

276 HEINE

jedoch uiclit allein iu einer fülle präziser naclirichten imd der breiten gruudlage sicherer arcliivalischer forschung, sondern hauptsächlich darin, dass sie uns überall reiche litterarhistorische xmd kritische ausblicke gewährt; und da der Verfasser, wie frühere arbeiten schon bewiesen, in der periode, in welche Ackermanns und Schröders wii'k- samkeit fält, ganz besonders zu hause ist, so ist er um so mehr in der läge, diesen Standpunkt fruchtbar auszunutzen.

Die einteilung des Stoffes ist klar und übersichtlich; nur glaube ich, dass der anfang des zweiten buches („Auf der fahrt ins eiternhaus"), der sich inhaltlich und chronologisch eng au den voraufgehenden („Auf eigenen füssen") anschliesst, auch äusseilich zu diesem hätte geschlagen werden, mid das zweite buch erst mit dem folgenden kapitel („Eückblick, die fh;cht nach westen") hätte begonnen werden sollen.

Gleich das erste buch bringt im ersten abschnitt (s. 3 41), der sich mit Schröders eitern beschäftigt, eine neue auffassung von Schröders rechtem vater, dem Organisten Johann Diedrich Schröder, den die ältere tradition als braven Organisten, Litzmann aber als ziemlich vei'kommenen trunkenbold schildert, von dessen „künstler- blut" (s. 5) wenig zu spüren ist. Auch für Sophie Schröders lebensgeschichte sind zu den bekanten dateu, die zum teil erst richtig gestelt werden musten, neue hin- zugekommen; ihre erste bekantschaft mit Ekhof jedoch, und ihr entschluss, sich dem theater zu widmen (s. 7) bleibt noch immer unaufgeklärt. Eine eindringliche Schilderung der Schönemannschen bühne zeigt, dass verf. auch aus dürftigen nachrichten etwas zu machen weiss; solte aber Schönemanns verzieht auf das austrommeln des theater- zettels (s. 18) nicht richtiger auf eine polizeiverordnung , als auf die Vornehmheit dieser truppe zurückzuführen sein? Auch möchte ich bemerken, dass solche truppendichter, wie Ad. Gottfried Uhlicli (s. 11) nicht nur erscheinungen, „jener zeit", sondern bereits im 16., 17. und 18. Jahrhundert regelmässig vertretene typen sind. Mit sicherem m'- teil sondert verf. aus den widersprechenden nachrichten über den streit der Sophie Schröder mit Schönemann das wahrscheinliche aus und schildert dann anschaulich die überstürzte gründuiig des neuen Schröderschen unternehmeus , den almählichen verfall und völligen nun desselben.

Auch liier schon ist auf die litterarischen bezüge bedacht genommen und das Verhältnis der beiden bühnen zu Gottsched und seiner schule einsichtig hervorgehoben ; ob es aber möglich ist Dreyers anzügliches Vorspiel (s. 23) nicht auf Gottsched zu deuten, möchte ich bezweifeln. Auch der auffassung des verf. bezüglich des harle- quins in der regelmässigen komödie (s. 36) kann ich nicht beistimmen. Eine figur, die nahezu fünf Jahrhunderte lang allerdings in verschiedenen masken, aber doch in ununterbrochener aufeinanderfolge auf der bühne erschien, möchte ich nicht als einen „oindringling" betrachten. Übrigens finden sich die als neu aufgeführten harlequin- charaktere: z. b. als Schornsteinfeger, als politischer ehemaun, als betrogener und (aus)gestopfter harlekin bereits in Veltens und lioffmanns repertoir.

Der folgende abschnitt (s. 42 101) „Erste kiuder- imd wanderjahre" enthält in bezug auf Schröders lebenslauf wenig neues, nur ist auf grund der aufzeichnungen der Schauspielerin Caroline Schulze mancherlei, besonders der Charakter der iutriguanten Clara Hoffmann klarer gestelt worden. Doch bleiben die gründe für die gleich anfäng- lich platzgreifende entfremduug zwischen mutter und söhn noch immer im dunkeln. Ich denke, dass eine erklärung dafür nicht ganz fern liegt. Solte der mutter, der in misslicher zeit, in der sie sich kaum selbst durclizubringen vermochte, so unerwartet und plötzlich eine nachkommenschaft aufgebürdet war, nicht eine unbarmherzige strenge

VRFIR I.ITZMANX, SrHRÖHKK" 277

von der angst zudiktiert sein, der solni kihine sonst alzuleidit den lästern des vaters verfallen, zumal das kind doch schon friili allei'lei unliehsaine neigungen verriet?

Besonders interessant sind ausser der sclüldorung der erlebnisse der Ackor- mannschen Wandertruppe die Charakteristiken von .loliann Karl ])i(>trich (s. 4,")), der allerdings mehr i'in spid<ulant. als ein harndusi'r thratci'- narr gewesen zu sein scheint; von I^auson (s. 0.")) und diMu gcnial-licdiTlichcn .luhann Christian Ast (S. 72). Ks drängt sich uns ein iMMJaiK.'rn auf. dass dii' vei-niittlcr zwisclicn littcratur und liiihm' au(di hier wieder Icute zweifelhaften schlagi'S sind. Hei diMi vortrcfflirhcn ausITih- i'iuigcn iihei' das eindringen des hürgvrlii-heii dramas (s. Sl If. ), das mit recht Fiir iti'utschland eine vors(dHde .•<Iiak(>speares gi-nant wird, ist ah'^r die hi^mcrkung. dass tragödien in prosa eine neue errungenseliaft jener zeit sei(>n . ein Irrtum.

l»ie driM kapitel „Im kellegiuni FrideriiManuni" s. !()■_' IID. ..Auf eigenen fiissen" s. 11() ■i:!:!, ., Auf di'r fahi't ins eiternhaus'-, s. l'.V.] 114 hcsehäftigen sich ausschliesslich mit Sehrinlers ei'lelinissen. In grossen zügen hatte schon Meyer an der liand vnn SrhriHleis autohiographie danilwi' lierii'ht{>t. lliei- werden sir alier di'tnil- lierter hi^handelt und dui'i'h mamdies iH'Ui' Zeugnis gestiizt. Die ganze erziihhing erinnert lehhalt an i'omane wie i\foritz's ., Anton K'eiser". zumal auch hier pietistiselie erzitdmng, aussidiweifende phantasie und geldmangel hauptfaktoi-eu sind. Pie klarstid- lung der romautisclien erscheiinmg der >Jtuai1s und eine musterhafte dai'legung di'r Ver- hältnisse des Kollegium Fiidericianum vcrli'ihen der sergfältigen \iiid ausl'iihi'liidien darstellung diesei- knahenschicksale einen hesonderen wrl. Au(di in d«'m daraul' fd- genden niekhlirk auf die tiitigkeit der Aekermannsehen truppe in der zwiselu.'nzi'it. und in d<u' besehreil)ung der Schweizer- und Elsässei'-periode (s. 145 IDOl sind gliiek- lii'lii' neue funde geschickt verwiTtft: die gleichzeitigen herichte aus verschiedenen lagern, der eines predigers und der einer sehauspieliTin . gehi'u ein vielseitiges und klares liild von dem damaligi'ii zustand der tiiip]ie. .Mit sicheren strichen ist der stuh'uweise niedeigang der geselsehaft gesehildert. die sich audi noch in diesem zu- stand durch die darstellung iliT _.Tohainia di-ay" auf der AVinterthunu- Inihne i/in lileihendi's viu'dienst ue'wami. Ihirch eine glüi/klicbe [larallele dieser darstellung mit der der Sara Saiii])son erhält die erste eint.' gerechte Würdigung. I'anelien werden Schröilers schiclcsale weiter verfolgt: seine widervereinigung mit den eitern, seine tätig- keit auf der hühne. die neuen zwistigkeiten und die mancherlei verirrnngcn, die er sich zu schulden kommen liess. Das näi-listc kapitel (s. T.JO 240) hegleitet die wan- derzüge der Ackermanuschen truppe his zu ihrer ankunft in Hamlnirg. Zwei für Schrodi.'r liesonders wichtige momente sind hier sorgfältig herausgeholien : seine bekant- schaft mit der AVielandschen Shakespeare -üliersetzuug und Ekhofs eintritt in die Aekermannsche gi.'Sellschaft. fhi' Wichtigkeit beider endgnisse für Schrödei' ist richtig ei'kant: afier während verf. ülier das ersti.-. zunächst wenige]' folgenreiehe rascher hinweggehen kann, lümt er ln'i dem zweiten Veranlassung sehr einliHnditende und lehrndi/he liemci'kungen über den unterschied der beiden (lamals herschenden schau- spielerischen rii;htungen anzuknüpfen. Ekliof. der veitr(.'ter der Schonentanuschen schule, vertritt die tradition der deklanuatoriscli- idealistischen richtung, die junge Aekermannsche schule ist empirisch und U(_'igt zu realistischer auffassung.

Der lezte abschnitt des Ijuches .,Ackernurnn in Ilamluirg" (s. 247 350) gibt dem verf. gelegenheit. seine gründlichen kentnisse der llamluirgischen litteraturverhält- nisse auszunutzen. So schildert er denn in dem „Die Stadt und ihre bewohner" be- titelten ersten kajiitel (s. 247 OS) den Charakter d''s Hamburgers und besonders richtung und einlluss von Kichey, Brockes, Hagedorn und Lamprecht, dem schüler

278 HEINE, ÜBER LITZMÄNN, SCHRÖDER

Richeys. Eine gleiche ausfülii-lichkeit wäre für eine rekapitulation der Hamburger theaterverhältnisse -wünschenswert gewesen, zumal die Hamburgische oper einen viel weitgehenderen einfluss gerade auf die ausbildung des Schauspiels gehabt hat, als verf. anzunehmen scheint. Bei den Wandertruppen Deutschlands war um die wende des siebzehnten jahrh. eine ganz ungeheure nachfrage nach Übersetzungen ausländi- scher dramen; durch die texte der Hamburger oper, die zum grössten teil aus solchen Übersetzungen aus dem spanischen, italienischen und holländischen besteht, ward der bedarf gedeckt, so dass der einfluss der Hamburger operntexte bis in die mitte des 18. Jahrhunderts zu spüren ist. Das zweite kapitel (s. 268 291) bringt eine aus- führliche, auf vielfache zeitgenössische berichte gestüzte Charakteristik der damaligen Zusammensetzung der Ackermannschen truppe; Lcssings kritiken der Schauspieler, die ebenfals hinzugezogen sind, werden bei dieser gelegenheit einer sehr feinsinnigen analyse unterworfen. Nach der schauspielerischen physiognomie wü'd das repertoir untersucht (s. 291^300). Das ergebnis führt den verf. zu der betrachtung der gleich- zeitigen dürftigen litterarischen produktion, deren haupt Vertreter unter den äugen Les- sings ein Weisse sein durfte. Nur das ballet unter Schröders leitung stand in blute. Den schluss dos bandes bildet die geschichte der gründung des national - theaters in Hamburg. Ackermann hatte mit den Willersschen erben, den besitzern des opern- hofes, einen sehr verschieden beurteilten vertrag geschlossen. In folge dieses Ver- trages, den verf. vorzüglich zu motivieren vorstanden hat, erl^aute Ackermann ein neues theater; gleich nach eröffnung desselben begann ein intriguenspiel, das bisher ziemlich unaufgedeckt geblieben ist. Verf. weist nun mit vortrefUcher klarheit nach, wie die fäden desselben in der band Löwens zusammen laufen, und wie die Hensel, vielleicht auch Eckhof wilkommene und wilfährige Werkzeuge des ehrgeizigen mannes wurden. So sehen wir zum schluss des buches Ackermann diesen vergangen zum Opfer fallen und Schröder in einem augenblick von Ilambiu'g vertrieben werden, als Bodos freundschaft und Lessiugs protektion seinem leben eine neue richtung zu geben im begriff waren.

Dem vorzüglichen Inhalt des buches entspricht die form; nur vereinzelt findet sich eine stilistische Unebenheit: „so erkläre ich mir jedenfals die Vorgänge" (s, 37); „Aber eben gerade weil also die Schauspielkunst" (s. 83); oder ein woii wie „fixig- keit" (s. 315). Über die bedeutung des wertes „redlich" hat ja Börne schon ge- stritten; ich würde es nicht so wie verf. (s. 117) anwenden. Unangenehm aber fält ein Widerspruch bei der Charakterisierung Hagedorns auf; s. 256 heisst es oben: „ganz auf eignen füssen" habe Hagedorn gestanden, wenige zeilen weiter unten aber: „er ist immer auf der suche nach Vorbildern, hat das bedürfnis bald hier, bald da sich anzulehnen . . "! Endlich möchte ich mir noch die bemerkung erlauben, dass der ausdruck amphitheater " (s. 319) wohl die zwei ränge umfassen sol und nicht auf einen dritten rang hinweist.

Solche kleinen ausstellungen können aber den wirklichen bedeutenden wert des vortref liehen buches nicht beeinträchtigen. Es ist eine freude, wieder einmal eine biographie zu lesen, die über trockne lebensgeschichtliche aufzeichnungen hinausgeht und mit vortref liebem erfolge die zeitgenössischen litteratur- und kulturgeschichtliclien momente und die Wechselwirkung der einzelnen gruppen in den kreis ihrer bctrach- tungen hineinzieht. Hoffentlich erfreut uns bald die fortsetzung!

HALLE. C. HEINE.

FROSCH, ÜBER KOLLKR, KLOPSTOCKSTUDIEN 279

Klopstoekstudieii. 1. Klopstock als jnusikaliscliur ästliotiker. 2. Klop- stocks beziehiiüoen zu den zcitgenüssisulioii musikoru. Von Oswald Koller. (Jahresbericlit dvv huidcs-ober-realscliule.) Krcnisior, IL Giisek, 1889. 55 s.

Die beiden wertvollen aufsätzc bereiclicru in erfreulielicr weise die Klopstock- litteratur.

Aus Klopstocks theoretischen ulihandlLing(.'n und einigen seiner öden liisst sich sein System der ästhetik ohne grosse mühe aufbauen. Versucht man, demselben seine historische Stellung anzuweisen, so muss es au den endpunkt der bewegung, welche die Schweizer kuustkritiker des vorigen Jahrhunderts veranlasst haben, und in das vorlessingische Zeitalter verlegt weiden. Es ist eine höchst merkwürdige tat- sacho, dass Klopstock nicht bloss im greisen-, sondern auch im kräftigsten mannes- alter bloss den anschauungen und erinnorungen seiner Jugend lebte. Für ihn exi- stierte weder der Goethe -Schillersche klassicismus, noch die philosophie Kants; aber nicht einmal Lessings kunstansichten konten auf den mann einwirken. Bloss Lessings Laokoou scheint, wie der Verfasser der vorliegenden studicn (s. 3 fg.) zeigt, auf ihn einen nachhaltigen eindruck gemacht zu haben; dagegen gieng die Hamburgische dramaturgie an ihm spurlos vorüber, und alles ernstes behauptet er: „zwischen der epischen und dramatischen dichtung ist kein wesentlicher unterschied; die leztere wird nur dadurch eingeschränkt, dass sie darstelbar sein muss". Wol aber befindet man sich aller orten in dem fahrwasser Bodmerscher und Breitingerscher meinungen. Sein ganzes leben lang hält Jüopstock an dem principe fest, dass die poesie nicht nur ergötzen, sondern auch erbauen müsse; darum sei ihr w^ert nach ihrer sitlichen Wirkung zu veranschlagen. Der in der abschiedsrede von Schulpforta zunächst aus- gesprochene gedanke, dass jener poesie, die das Christentum noch nicht gekant habe, das lezte zur volkommenheit fehle, nimt bald die gestalt an, dass religiöse poesie der gipfel aller dichtkunst sei. Dieser grundsatz enthält bekantlich für eine reihe von Jahren das programm der Klopstockschen dichtung. Von den jüngeren ästheti- kern scheint nur Sulzer, der in so vielen punkten mit den Schweizern übereinstimt, seinen beifall erlangt zu haben.

Der Verfasser fand es mit recht für nötig, in seinem ersten aufsatze zunächst im algemeinen den ästhetischen Standpunkt des dichters zu charakterisieren, schon aus dem gründe, weil im vorigen Jahrhundert die musikahsche ästhetik überhaupt nvu" im engsten anschlixsse an die ästhetik der dichtkunst behandelt wurde.

Schiller („Über naive und sentimentaUsche dichtung") sagt von Klopstock: „Was nur immer ausserhalb der grenzen lebendiger form und ausser dem gebiete der iudividualität , im felde der Idealität zu eiTeichen ist, ist von diesem musika- lischen dichter geleistet So eine herliche Schöpfung die messiade in musi- kalisch poetischer rücksicht, nach der oben gegebenen bestimmung, ist, so viel lässt sie in plastisch poetischer noch zu wünschen übrig, wo man bestimte, und für die anschau ung bestimte formen erwartet". Koller hat in seiner abhand- lung (s. 10) an diese stelle, obschon er sie dort nicht erwähnt, angeknüpft und fügt manches bei, was Klopstocks aii genau schildert. Nach Klopstocks ansieht ist pas- sende wähl des ausdi'ucks die hauptaufgabe des dichters; er tut im streben danach in seinen späteren öden sogar zu viel und opfeii: in dem bestreben, für die empfin- dung den richtigen ausdruck zu linden, gar oft die wärme der empfindung auf. Der ausdruck selbst ist ihm aber ein ziemlich äusserlicher, denn „er sucht ihn nicht in der anordnung imd Verknüpfung der gedanken, sondern lediglich in rhythmischen

280 FROSCH

und sprachmusikalischen beziehungen. Nicht das wort, insofern es das bild einer anschauung, eines begriffes ist, gilt ihm als ausdracksmittel, snnderu sofern es dui'ch seinen sinlichea klangreiz wirkt". Der dichter unterscheidet in beziehung auf den ausdruck ein vierfaches: wolklang, tonausdruck, zeitausdruck, tonverhalt.

Sehr bezeichnend ist, dass Klopstock in seinen Untersuchungen zwar mit Kaut darin übereiustimt , dass er erkent, das schöne habe seinen grund in formverhältuis- sen, mass, Übereinstimmung und Zweckmässigkeit, aber nicht findet, dass das gefal- len allein durch den einklang zwischen iuhalt und ausdruck bedingt ist, ohne rück- sicht darauf, ob dem inhalt an sich ein besonderer wert zukomme. Es ist vielmehr ganz im sinne der didaktischen betrachtungsweise der Schweizer und Sulzers, wenn er als lezten grund der Schönheit eine stofliche betrachtung des Inhaltes aunimt. Infolge dessen „kann er den sprachliclien ausdruck nicht mehr in vergleich setzen mit dem Inhalte, weil dem wertvolleren moralischen Inhalte auch ein volkommcner ausdruck entsprechen müste. Das geht nicht; daher bleibt ihm nichts übrig als den sprachlichen ausdruck widerum absolut zu betrachten. Daher kernt er in seiner ästhetik über stofliche Wertschätzung nicht hinaus. Er betrachtet, nachdem ihm das vei'hältnis zwischen iuhalt und ausdruck diu'ch den zu ersterem hinzugetreteneu stof- lichen wert incommeusurabel geworden ist, wie er früher den inhalt für sich betrach- tete, so jezt den ausdruck für sich. Daher verliert er sich in etymologische und grammatische Seltsamkeiten, daher betrachtet er die spräche nur, insofern sich der rhythmus äusserlich im verse und im wolklang offenbart, nicht insofern sie inner- lich ihrem gehalte nach mit dem darzustellenden congriüeii. Er schreibt keine poe- tik, nicht emmal eine Stilistik, nur eine rhythmik; er betrachtet die spräche nur als laut, nach melodischen und rhythmischen kategorien, nicht nach psychologischen, er betrachtet die spräche nur vom musikalischen, nicht vom poetischen Stand- punkt".

Wenn es sich darum handelt, die rangordnung der künste in Klopstocks ästhetischem Systeme festzustellen, so wird dies nun mit rücksicht auf den morali- sierenden Standpunkt nicht schwer sein. Die poesie, welche allein moralische Wir- kungen ausübt, komt zuoberst, ihr zunächst steht die musik, welche das herz mehr rühren kann, als die bildenden künste. Ganz richtig ahnt Klopstock, dass die bezie- hung der musik zur aussenwelt in nichts anderem bestehen kann, als in dem abbild dynamischer und rhythmischer Vorgänge, erst in zweiter linie in der darstellung psy- chischer ereignisse. „Aber die macht und stäi'ke der begleitenden associationen vor- leitet ihn, diese für die hauptsache zu nehmen. Er sezt den zweck der musik in die erregung von gefühlen". Aus diesem gründe sezt er aber auch die Vokalmusik, welche allein eine sitliche wirkimg haben kann, über die Instrumentalmusik, für welche ihm das Verständnis fast ganz abgeht. Es war schon oben davon die rede, dass Klopstock nur der uuisik neben der dichtkunst beachtung schenkt und daher ihre volkommenste Wirkung in der Vereinigung mit der dichtkunst, also im gesange, findet. Der gesang ist ihm aber nichts weiter, als genauere, durch masse geregelte deklamation. Die doklamation kann sonach den gesang vertreten, ja sie ist vorzüg- licher, weil sie, wenn auch nicht so bestimt, so doch viel modulationsfähiger imd abwechselungsreicher ist. Klopstocks anschauuugcn über die musik sind in dieser beziehung volkommen unrichtig, denn er vorlangt von ihr etwas, was eigentlich ausserhalb ihrer sphäro liegt; er findet das wesen dieser kunst einfach im empfiu- dungsvoUen vortrage. Der Verfasser sagt mit rücksicht hierauf folgendes: „Ist der gesang in parallele zu stellen mit der deklamation, so ist auch das durch denselben

ÜBER KOLLER, KLOPSTOCKSTUDIEN 281

dargestelte musikalische kunstwcrk in parallele zu stellen mit dem dichtwerk. Wie aber hier Klopstock die rühretido ompfiiiduug für das ästhetische hau])tinomeut hielt, so rausto er eine ähnliche wirkuug auch für die musik annehmen. Die poesie arbei- tet mit bostimten Vorstellungen und begriffen; die musik hatte keine solchen, sondern nur „ihr weniges aJgemeines". Die Wirkung der poesie gieng auf moralische quali- tät, auf bestirntes wollen und handeln, die der musik nur auf unbestimtes empfin- den; die i)oesie solte sitlich erheben, die musik wenigstens rühren". „Aber eben weil sich Klopstock von der stoflichen Wertschätzung nicht frei zu machen weiss, komt er mit seiner musikalischen ästhetik nicht weit. Er sucht auch hier stoflichen w^ert und findet ihn nicht, müht sich ali, ilm zu suchen, und muss geste- hen, dass er in der musik nicht existiert. Das erscheint ihm als fehler, und so bleibt ihm als wesen der vom texte losgetrenten musik nichts übrig als die geord- nete bewegungsform, der blosse rhythmus. Und darum lässt er in der musik nur die beiden extreme gelten: den gefühlsinhiilt, der die musik volständig aufgehen lässt in der poesie, den gesang in der deklamation; und das rhythmische element, das an sicli noch keine musik ist. Daher concentrieii sieh sein ganzes Interesse an der musik schliesslich darauf, metrische Schemata für seine dichtungen aufzustellen und sie von seinen freunden mit tönen ausfüllen zu lassen; und so entspraclien die mage- ren Gluckschen compositionen seiner odeu schliesslich allen anforderuugen, die er an die musik stellen zu müssen glaubte".

Kürzer kann sich der referent über den zweiten aufsatz fassen; denn obschon dieser reich an einzelnen interessanten details ist, so werden in ihm doch keine fra- gen principieller uatur wie in dem vorausgehenden erörtert. Der Verfasser schildert die musikalischen anregungeu, welche Klopstock in Kopenhagen und Hamburg erfuhr, und berichtet über die berührungen, die zwischen Klopstock und musikern des vori- gen Jahrhunderts statfanden. Dabei wird die einschlägige fachlitte ratur, besonders die briefwechsel, sorgfältig benüzt und manches neue, insbesondere den litterarhisto- rikeru fern liegende, herangezogen; besonders ausführlich wird das Verhältnis zu Gluck behandelt. S. 50 enthält einen nachtrag über eine von Teleraann componierte ungedruckte cantate aus dem Messias, 51 55 ein die bisherige kentnis wesentlich bereicherndes Verzeichnis der compositionen Klopstockscher dichtungen, soweit sie dem Verfasser bekant sind.

Kollers schätzbare arbeit führt, einzelne kleinere versehen abgerechnet, in der hauptsache zu unanfechtbaren resiütaten.

WIEN. F. FROSCH.

MISCELLEN.

Rose.

In den mhd. Wörterbüchern wird rose einfach als nhd. rose widergegoben. Dieses ist aber nicht ganz richtig. „Eose" bezeichnet blume überhaupt und im engern begriife erst unsere nhd. rose. Die bauern in den deutschen dörfern des Monsberges , im Ennsinathale , in Lusenna gebrauchen heutzutage noch den ausdruck „dia roosen" für „die blumen" ^.

J. A. Schmeller in: „Cimbrisches Wörterbuch oder Wörterbuch der deutschen spräche, wie sie sich in einigen der VII und der XIII gemeinden auf den alpen von

1) Roase, jede blume. Hcrbcsiroasc , zeitlose. ]Vnemroasc , primel , jirimula (jfficinalis. Eoascn von Hcrroii, lliess^^^l^ze , liolleborus iiiger. Mein Luzoruisches -Wörterbuch" (lunsl)ruck 1869) s. 47.

282 MISCELLEN

Vicenza uud von Verona erhalten hat", Wien 1855 (Sitzungsberichte d. phil-hist. klasse XV. bd.), sagt s. 223: t,Ros; roas f. rose, blume überhaupt, fiorc"-.

Dass „rose" blurae überhaupt bezeichnete, bestätigen uns die nhd. composita: alpenrosen (rhododendron), steinröslein , windröslein (anemone), weihnachtsrose, scharnrose (niosswurz) und viele andere im volksmunde. So heisseu in manchen gegenden der Etsch und des Eisacks die narzisseu „gelbe rosen".

Im Kreuterbuch des Adam Lonicerus, Frankfurt 1630 finde ich folgende com- posita s. 125: „Eschrößlin, sorbus torminalis. Eschrößlin, arresel imd wild sper- gerbaum". S. 211: Feldrößlin oder feldanemone. Am ende des meyen bringt es ein kleines gelbes blümlein mit vier blättern, wie die klapperrosen". S. 207: „Klap- perrosen, papaver erraticum. Klapperrosen oder kornrosen nent man auch feldmaysonnen, gruudmayen". S.347: „Sammetrößlin, flos indianus. Sam- metrößlein wirdt ihrer schönen sammeten färb halben also genannt.

S. 403: „Perninn rosen, heißen sonsten auch benininnrosen , königsrosen, gichtwurtz, vennedischroscu, benedicteni-osen , pfingstrosen, freysonnrosen".

S. 424: „Narcissenrößlein, narcissus. Das narcissenrößlein wird graece narkios, latine narcissus und ital. narcisso genant. Deren sind fürnemlich zwei geschlecht. Erstlich das gele , so mau geel hornungs - oder mertzenblumen nennet . . Darnach sindt die weiße narcissenrößlin 'latine narcissus candidus" usw. Überdiess begegnen: s. 356 „Ernrosen oder herbstrosen, winterrosen, römisch bappel, latine malva arborea, malva hortensis und rosa transmarina". S. 358: Sigmarswurtz, alcea, Venediger wette rrößlein, malva Veneta. Ungerkraut, herba ungarica".

S. 317: „Gliedweich, lychnis silvestris. Das gliedweich, graece hyvig uynia, ist auch ein morgenrößlein, wird wild morgenrößlein genant, zum unterschied des zamen, von welchem sie bevor unter den wuUkräutern ^ gesagt ist". Es heisst s. 313: „Auch wird unter die wuUkräuter gezehlt das morgenrößlin oder frawenröß- lin, sammetrosen, damastenrosen".

Im Eisackthal heisst „ein rösl schenken" eine blume oder ein blumensträuss- lein als zeichen der gewogenheit oder liebe geben, wenn auch kein einziges röslein dabei ist.

Bei Walther von der Vogelweide 40, 7 fgg:

Do hct er gcviachet

also riehe

von bluomen eine bettcstat,

des ivirt noch yclacliet

innceliche,

kund icmeyi an da>u selbe pfat.

bi den rosen er icol mac,

tandaradei,

merken, ivä mirx, houbet lae"'. Da kann rosen nur bluomen bezeichnen. Wenn Knurad v. Würzburg sagt:

Den hof mac er florieren,

sam rosen tuont ein ouive. Troj. kr. 3383,

1) Für das „wullkraut , verbascuiu " , gibt Loniconis die noch teilweise heute fortlebonden namen: „kortzenkrau t , uuhohlonkorlz , himmolbrandt , broniikraut, königskertzeii , fold- kertzen" s. 312,

MISCKLLEN 283

SO können unter rnsrn nur Mumen vorstanden wenlen , wie audi au folgenden stellen: ,sfi Haren da hl spriiiijr/idc

rdseii rät durcli (jriionii l:lr. Kuycihard s. ij-KJ. Der /rase ir(d </fhl/ir/ur/ h/r ihK r'nil lind iiiil rose//. Ti'uj. kr. lOnilJ.

Wenn Stricker Karl den grossen Prs i/i/oz/ln/t il/i /-i'isr neut (Karl !I75()), so steht

/•ose für hl/(n//ie. wie liei l>ertiiold 1, UiG, 111: l)<r ri/ie hkj isl li/ide als itfe/rer.

hiit/i/<il /i/id s/dr /(//(/ ((/s ri'isr/i : und wenn TanhusiT '.',i (11, !Hi'') dm mai der ln'idi.'.

)//(i///<jir //(///de rosi// gclicu lässt, so sind lilunicn iiu algi'iufifu'u zu versjcli(;n.

Hat das lulid. n'isr mui dio weitiTo Ix'deutung /h/s, sn cntspn'elien sich ihis

mild, n'ise)/ hrecl/r// und das lat. i/r/hini/y . wnfiir ww hhid/in/i lintht// auch linden.

Hei Walther von der Vngrhveide sind lilii<i///<// hnrl/r/i 7S, 10 und rusc// lesen

112, o g'leichbedeuteud.

CiUXaDAUN, SKi'T. 18'JÜ. KINAZ ZINOEULE.

Ein aodielit aus dein ende des 1"». Jalirlinnderts über die /.errahrenlieit

der stände.

(Cod. hist. S f. '-'Ol'' (Irr univcrsitats- hihliothck /.u rpsala.) l>euorat agrimlaiu n'\, rcguni tyro, sed illiuu Ysui'atnr edil, niunachus si'd dcunrat illuni. At niouai'liuin uicn'frix, mcrctric'i'Ui Icuo rrmunlct, Leuonein c'auiio, seil cauiioueni [larasitus, Illum sesiiuipedcs, i[uos denium syniea tor<|uct.

])er her frissi't den puren,

das lest siidi khiin hetureu

dei' ritter vnd fiisset den lierrn,

der ritter mag sich nit erweiii,

der Wucherer thüt in verschliuden,

den wacherer weiss der niütich zu linden,

der frissot in gantz vnd gar,

des münchs nyin[)t das hürlin war

vud verschlint den münch fürt,

die dem rüffigon dau gebürt,

der si'll) dei' thut sie fressen,

der wirf nymts yngemesseu,

bys er den rüfligon euch verhei-t,

der wirt darnach wurt verzert,

den fressen die wyububen,

so bissen die ufs gi'oss gruben

in die sell.ieu wynauecht,

so kumjjt die lust dem äffen recht:

also get is hamauber (?) wandeleu

vnd frisset ie einer den andern. Hec mundi leges, hee iura volubilis orbis In(|ue vicem cedunt iiia sors fortunaißie seua. Nil est periietuum, quod nobis fata miuistraut, Dant, raiiiunt, tollunt, comuiutaut, decinia reddunt

284 jnSCELLEN

Et sudore graui postr[uain sublimia scandunt Auctorem proprii nouerunt omnia danini.

WILHELMSHAVEN. HUGO HOLSTEIN.

Jacob Grimm an ? (könig' Ludwig von Bayern?)

[Cassel, februar 1826.] [Ah(/eselniif/cii] den zweiten Tlieil meiner deutschen Grammatik vorzulegen, in dessen Vorrede ich eine Hoffnung auszusprechen gewagt habe, deren Erfüllung alle Deutschen erfreuen würde. Die Herausgeber vaterl.ändischer Sprachdenkmäler bedür- fen des Beifalls der Regierungen. Man sollte meinen, dass in Deutschland, das so viele Fürsten zählt, alles, was unsere Muttersprache betrifft, sicherer geborgen und leichter ans Licht gezogen sein würde. Allein die Wahrheit ist, dass bis heute noch kein einziges Gedicht weder des 13. Jahrhunderts noch der älteren Zeit mit höherer Unterstützung im Druck erschienen ist, wenn ich Wolframs Wilhelm den heiligen ausnehme, den Landgraf Friedrich, des jetzigen Kurfürsten Grossvater, auf seine Kosten hat bekannt machen lassen. Einleuchtend hat die Herausgabe der vorhan- denen wichtigen Monumente den grössten Einfluss auf das gründliche Studium der deutschen Geschichte und Rechte.

[abgeschnitten] unterthänigster Diener Jacob Grimm Bibliothecar. Concept. Handschrift der Eutiner gymnasial -bibliothek, deren autographensam- lung durch Schenkungen von Abraham Voss begründet und vom oberregierungsrat Hell- wag erweitert ist. Ort, tag und Überschrift abgeschnitten! Ort und zeit bestimmen sich nach dem erscheinen des 2. teils der grammatik. „Unterthänigster Diener" nennen sich die brüder Grimm gewöhnlich nur von fürsten und allenfals noch von ministem. Nun lautet die einzige stelle der vorrede, auf welche sich die hindeutung am anfange des briefes beziehen kann (s. X): „Die evangelienharmouie in München sieht der erlösung aus ihren banden seit der regierung könig Ludwigs getroster entgegen, eines fürsten, der sich, wir hoffen es, auch einmal vaterländischer spräche und altertümer annehmen wird". Im k. haus-archiv zu München ist ein brief J. Grimms allerdings nicht vorhanden.

KIEL, EUGEN WOLFF.

Dribolde scheren.

Den prolog zum Richtsteig Landrechts (herausgegeben von Homeyer s. 85) schliesst Johann von Buch, von den „unrechten" sprechend, mit den Worten:

Wen se haten uns büken, wente wi ivolden oft ii:i mochten en afsprckcii, und afsehriven Uff gud und ere. Und dat wi en to oier bekantnisse dri- bolde mochten schere 7t und se mit eime heten iserne mochten dorch de tenc (var. : backen) bernen, tippe det me de guden bekande, dar icolde wi mit ir/l- len tein jar desto er umrne sterven. Das wort driboldc eine handschrift hat: enen drijbolt sucht man in den Wör- terbüchern vergeblich. Der sache nach handelt es sich um ein scheren in bestimtcr weise, welches dazu dienen soll, die unrecJiteu für jedermann kentlich zu machen. Anscheinend wurden geisteskranke auf diese art bezeichnet. Wenigstens haben andere handschriften (Homeyer a. a. o. anm. 75) an stelle der werte Und scheren :

MISCELLKN 285

iDid »loclilc ich s// J)ci-\ciclin> (ilh'ii fninirit hilcii iniil iiiiti'hi ich s// I>c seh c rc it (jh'ich (l()i lorcii iils niiiii iillit ('.>< lim ihn icchlcii loiiii. Sonst isl: lit'kaiitlicli j^vscIuh-i'iics liaiif /.cii-luMi dci' kiiiTliiscIiafl, sclicivii des liaart'S daher Ijcscliiiiipreiide slial'o oder syiiilinl dci' mitri-wcii'iiiii;' f.l. ( i ri in in , l.'A. 1 H) ly'., 339, 702). Vielleicht vcrinni; ein h'ser dieser zeitsehrifl iilier das (/r/ha/dc scheren weitere aut'kläruug zu geben.

KIKL, S. JULI 1891. M.\.\ |-.\1'1'I;MIK1M.

Zu Wielaiuls werken.

In die Henipelsclie ans-ahe dn- werke Wiehmds iiat Düni/.er (XXXIII, S!» fgg.) einen autsal/. ans dem 'IVnischen Merkur (iTTi; 111, KiT \'v:i':.) anrij,enuininen, widdier ratsehhigt^ für die ,, lÄegierungsknnst nder uiiterrieht eiin'S alten persisi^hen inonareheii an seinen sehn, nach dem englisehen " und ,, Zusiit/.e zu den mit sternehen bezeich- neten stellen dieses stiiekes" enthält. Auch Smitfert in der Vierteljahrssehritt II, 581 hiilt an der auterseliaft Wielands h^st und lindet darin „tM'hi, Wielandisehe gedanken", trutzdem er a. a. e. I, ').")."i den einlluss ven Maliers Usoug auf Wi(.'land untersucht hat. Aus d(.'m llallerischen remane sind aber die „Ratschläge" würtlieh entlehnt, und nur die widerspi'eidienden „zusätzc" gehören AYieland und enthalten dessen eigene gedanken. Wieland verändert den ilallerischen text, um den liezug auf Persien zu veiwischeu und keine orinnerung an Jlaller aufkommen zu lassen. Die Varianten zu verzeichnen üLerlasse ich anderen. minor.

Dramatische aulTühruiigeii im XVI. und XVII. jahrluiiulert in Stuttg-art.

P). Hang, Schwäbisches magazin 1779, s. '}¥J:

a) „ir)72 im julio hat die bürgerschaft iu Stuttgard vor dem herzog Ludwig von Würtemberg die biblische geschichte von Joseph im schloss durch lauter bürgerskiuder aufgefüh rt" .

b) „In eben diesem jähr ist diese komüdio wider gegeben worden, und zwar öffentlich, in der stadt auf dem markt, worzu der herzog den kindei-n 30 reichsthaler verehrt hat".

c) „1607 hat die bürgerschaft in Stuttgard durch ihre kiuder die historie vom erzvater Abraham auf dem öffentlichen markt aufführen lassen".

Über das auftreten di^r englischen komötUanten iu Stuttgart vgl. Trautmann im Archiv für litteraturgeschichte XV, 211 fgg.

Die obigen nachrichten hat Pfaff in seiner Geschichte der stadt Stuttgart 1845 I, 110 gekaut; diesen citiert von Weilen, Der ägyptische Josef im drama des XVI. Jahrhunderts, AVieu 1887 s. 115.

Die aufmerksamkeit war durch die Beiträge zur geschichte der deutschen Schaubühne" im Deutschen musoum 1776 I, s. 752 fgg. und 1781 II, 359 fgg. auf ältere aufführungen gelenkt worden. minor.

Naehträg'e zn Köstlins Lutherstnilien in dieser Zeitschrift XXIV, 37 fg:.

1) Die richtigkeit der iu dieser Zeitschrift XXIV, 37 fg. von heri-n prof. Köst- lin gegebenen erklärung der Wortverbindung „mit hingen ausweifen" (= mit ross- äpfeln werfen) bestätigt folgende im Deutschen Wörterbuch nicht angeführte stelle ans Muruers narreubeschwörung 68. 40:

286 inSCELLEN

^"\Vie mau riefet in eiin walt, Glich also das selb wider schallt. Mit lungen ich ouch werfen kan, Wann du mit ki;tlen fahest an. Wann wir schon würfen beide sanien Mit kat und wüst ernstlichen zamen, So bschißen wir uns alle beid Und würd letst uns selber leid".

HEIDELBERG. M. SPANIER.

2) Zu der in dieser Zeitschrift XXIV, 39 40 besprochenen stelle aus Luthers werken: Es trägt mich auch ihre rotte spielen mit solchem urteil fgg. hat J. Köst- lin richtig vermerkt, dass spielen tragen zusammengell öre. Es konte hier auf ana- loge Wendungen älterer zeit hmgewiesen werden wie helialden tragen (Mhd. würterb. in, 71% 36 fg.; Meleranz 3003; Salomon und Morolf ed. Hagen 1964^), begraben tragen im Passionale K. 538, 28, släfen tragen in den Gesta Rom. ed. Ad. Keller s. 108 und 110. Was hier aber spielen ursprünglich zu bedeuten habe, wird sich vielleicht mit mehr Sicherheit erörtern lassen aus der vergleichung folgender stellen, die ich mir aus der lektüre behalden getragen habe. In der handschrift nr. 26 (= LXXXV) der Zeitzer domherrenbibliothek , einem handelbuche aus der zeit und der kanzlei Dietrichs von Buckendorf, aus dem ich in den hiesigen schulprogrammen der jähre 1875 und 1879 längere abschnitte mitgeteilt habe, findet sich folgende stelle auf fol. 374'': sulch geruchte nicht hcxjmlichen sundir offinbar ist, so dasz (= da, insofern dieses) gemeynlichen egn yderman speien treit in der stad cxu Herezberg. Ferner heisst es in einem briefe Walthers von Schwarzenberg an den Stadtschreiber Joh. Brun zu Fi-ankfurt a/M. aus dem jähre 1474, mitgeteilt von E. Wülcker in dem Neujahrsblatt des Vereins für gesch. u. altertumskunde zu Frank- furt a/M. 1877, s. 23 24 man liget (lügt) so fast (beziehentlich der falschen geruchte vom kriegsschauplatze vor Neuss) xti Kolln, da% ich die logen Spillen dragc so lange, daz ich us% sieben logen xu zitten kume eyn warheit kan gemachen. Soviel ist aus diesen beispielen klar, dass die betreffende redensart nicht den sinn gehabt haben kann von: „einen verhöhnen und hie und da lästern" oder gar: „ihn aufzie- hen auf der spielbühne wie die am faden oder draht hängenden spielpuppen". Nach meinem dafürhalten hat spielen (speien., Spillen) hier ursprünglich nicht den sinn von lat. ludere, sondern hat sich aus dem alten sjjcllen, ahd. spellon, got. spillon = erzählen, schwatzen entwickelt; vgl. darüber Schmeller- Frommann 11, 662. Spil und sjjcl sowie sinln und spellen sind bekantUch sehr früh schon mit einander ver- wechselt worden. Wenn aber spellen gehn (nach Vibnar Idiot. 391, vgl. Mittelnie- derd. gedichte von A. Lübben s. 3, v. 68 und 75) oder spielt gehen (nach Reinwald Henneberg, idiot. 1, 154) soviel bedeutete als „zu einem nachbarlichen besuche, ver- traulichen geplauder gehen", so ergibt sich daraus für spellen tragen die bedeutung: austragen durch weitererzählen, ins gerede bringen, ausplaudern, vermaeren; und dies solte wol auch durch die alte Übersetzung passitn cahimniari ausgedi'ückt werden.

ZEITZ, IM JULI 1891. FEDOR BECH.

3) Das s. 39 fg. dieses bandes besprochene spielen tragen wird wol anders, als dort geschehen ist, erklärt werdenm üssen. Wenn die in der bewusten Streitschrift

1) Dieselbe redensart wol auch im Pass. K. 433, 2 fg. ex sint, sprach er (= der teufel) sande Maniges menschen, die ich jage (hs. trage) Und üf in (oder irm? hs. ire) behalden trage (hs. ja^e).

NEUE ERSCHEINUNGEN 287

Luthers gouieinto rotte ihn mit falschem iiiieil xpiclcn irüijt, so ist dieses wert mei- nes erachtons au das im mittel- wie im niederdeutschen verbreitete sirillcn oder spcllcn, speien (jehen = zu besuch uud gcplauder gehen anzuschliessen. Zur etymologie dos wertes und bezügiicli des Vorkommens sehe mau den artikel Kirch.- sjiiel im DWB. 5, 825 nach; Vilmai' bemerkt im Idiot, von Kurhessen unter spel- len: „in Mittelhesson wie in Thüringen uud llenneberg, in der grafschaft ITohnsteiu der ausschliesslich für solche besuche gebräuchliche ausdruck". "Weitere nachweise bieten Ivogel, Ruhl. muudart 271; Spiess, llenneberg. idiot. 2.37; Lieseuberg, Stieger uumdart 201. Das wort kann Luther schon von Eisleben her gekant haben, wenn wir es auch in Jechts "Wörterbuch der Mansfelder mundart vermissen.

Wie nun aber dies spülen, spcllen, sjjelen in Verbindung mit den vorben gehen, kommen, sein gerade so vorkoint, wie das anderwärts verbreitete synonyme hutKen (s. besonders Neubauer, Altdeutsche idiotismen der Egerländischen mundart s. 72), so stelt sich auch das im Egerer fronleichuamsspiel (Ausgabe von Milchsack, Bibl. dos litter. Vereins 156, v. 2465) gebrauchte hutzen tragen, d. i. ursprünglich: zum hutzeu, in die hutzenstube austragen, zu jenem „spielen tragen" bei Luther. Die verleumderischen reden trägt die rotte beim spielen (d. i. spülen, spellen) gehen von iiaus zu haus; vgl. im Tristan 18394: ;rc spelle machen über ho f und über lant; im Reinfriod 5235: sM ir towjenUche spellcnt iif min ere; ähnlich in Schmellers Bair. Wörterbuch 1 -, 939 : si verriUcnt iucli an ir I/cingartcn = tradent vos in concüiis snis.

LEITMERITZ. IQN. PETERS.

NEUE ERSCHEINUNGEN.

Böttü'her, 0., und Kiiizcl, K., Denkmäler der älteren deutschen litte- ratur für den litteraturgeschichtlicheu Unterricht an höheren lehranstalten. I, 1: Hildebrandslied und "Waltharilied, nebst Zaubersprüchen und Mus- pilli, übersezt und erläutert von G. Bötticher. 2. autl. VIII u. 63 s. 0,60 m. I, 2: Kudrun, übertragen und erläutert von H. Löschhorn. 126 s. Halle, buchhandlung des Waisenhauses. 1891. 0,90 m.

Aus der Kudrun hat Löschhorn 744 Strophen metrisch übertragen und durch sachliche anraerkungen erläutert. Die Übersetzung liest sich gut; nui' ist nach mei- ner meinung zu viel von der eigentümlichkeit der mhd. strophe aufgegeben. Die lezte halbzeile hat bei Löschhorn nur 3 hebungen und fast überall stumpfen reim, wodurch selbst Fruote zu Frut geworden ist 341 =56! o. e.

Elnvald, R., Emil Braun's briefwechsel mit den brüdern Grimm und Joseph von Lassberg. Gotha, F. A. Perthes. 1891. XH uud 169 s. 3 m. E. Braun (geboren als söhn eines forstmeisters 1809 in Gotha, gestorben 1856 als Sekretär des archäologischen Institutes in Rom) hatte sich in seiner Jugend mit germanistischen Studien beschäftigt imd auch den plan zu einer habilitation für dieses fach gefasst; doch ist keine seiner germanistischen arbeiten zur Veröffentlichung gekommen. Den brüdern Grimm ist Braun schon in Kassel im jähre 1829 nahe getreten; bei ihrer Übersiedelung nach Göttingen war er noch dort als eifriger Schü- ler Kail Otfrid Müllers, bezog jedoch bald die Universität München. Von dort aus hat- er mit Massmann im jähre 1830 zum ersten male den freiherrn von Lassberg auf seinem schlösse zu Eppishusen besucht. Der briefwechsel mit den brüdern Grimm

288 NACHRICHTEN

umfasst^r2 briefe aus den jali)-en 1829 1833, der mit v. Lassberg 24 aus den Jah- ren 1830 1336. Die anmerkuugeu des liei'ausgebers geben manche wüuscheuswerte erläuterung; einen zusammenhängenden biographischen abriss vermisst man.

Heyne, Moriz, Deutsches würterbuch. Dritter halbband: h licht. Leipzig, Hirzel. 1891. 640 sp. 4«. .5 m.

Die lierausgabe dieses bedeutenden werkes (vgl. diese Zeitschrift 23, 562) wird mit erfreulicher rüstigkeit gefördert.

Kelirbaeh, K., Mitteilungen der geselschaft für deutsche erziehungs- uud Schulgeschichte. Jahrgang I, heft 1. Berlin, 1891. 106 s.

Kollmaim, Artiir, Deutsche Puppenspiele. Erstes heft. Leipzig, F. "W. Gru- now. 1891. 111 s. 1,50 m.

Herr dr. med. Kollmann hat durch vieljährige bemühuug eine reichhaltige samlung von textbüchern und theaterzetteln der Puppenspielunternehmer hergestelt. Er begint jezt mit der Veröffentlichung interessanter stücke. Das vorliegende heft enthält ausser einem anziehend geschriebenen algemeinen vorwort das stück: Judith und Holofernes, dem eine sehr genaue Übersicht älterer bearbeitungen dieses Stoffes seit dem 16. Jahrhundert vorangeht; sodann eine reihe neuer mitteilungen zum Pup- penspiel vom doctor Faust.

Kiililiiiaiui , Hcriiiaim, Die conoessivsätze im Nibelungenliede und in der Gudrun, mit vergleichung der übrigen mhd. volksepen. Kieler diss. 1891. Leipzig, G. Fock. 60 s. 1,50 m.

Die arbeit bildet eine fortführuug und ergäuzung der Untersuchungen Meusings

(vgl. s. 260 fg. dieses heftes).

Paschke, Paiil, Über das anonyme mhd. gedieht von den sieben weisen meistern. Breslauer diss. 1891. 54 s.

Weiuliold, K., Beiträge zu den deutschen kriegsaltertümern. Sitzungs- berichte der königl. preuss. akademie der Wissenschaften XXIX. 1891. 25 s.

Ziiigerle, Igiiaz V., Sagen aus Tirol. Zweite vermehi-te aufläge. Innsbruck, AVagner. 1891. XX und 738 s.

NACHRICHTEN.

Am 15. juni 1891 verschied zu Bonn der ausserordentliche professor dr. An- ton Birlinger (geb. 14. Januar 1834 zu "Wurmlingen) , rühmlich bekant als keunor alemannischer muudart, Volksdichtung und sitte, herausgeber der Zeitschrift „Aleman- nia". Audi unsere Zeitschrift iietrauert in ihm einen langjährigen und fleissigen mit- arbeiter.

Der ausserordentliche professor dr. A. Sauer an der Universität zu Prag ist zum Ordinarius ernant.

Halle a. S. , Buchdiuckerei Jos Waisenhauses.

DIE HAUPTGÖTTTN DER TSTVAEEN.

Unter „Istvaeen" kann man zweierlei verstehen. Nach Plinins iiiul Tacitns bezeichneten sich diejenigen durch nachbarschaft sowie durch gemeinsamkeit der abstammung und der religion verbundenen ger- manischen Völkerschaften als „Istvaeen", welche ihre sitze am weitesten nach Westen vorgeschoben hatten und um den anfang unserer Zeitrech- nung am Rheine, etwa von Coblenz bis zu seiner mündung, wohnten. Dagegen fallen nach einem jüngeren, lediglich gelehrten gebrauche des Wortes die Istvaeen mit den Franken, jenem seit dem 3. Jahrhun- dert genanten Völkervereine, zusammen, und in diesem weiteren sinne wird der name heutzutage gewöhnlich von den deutschen altertums- forschern verwendet^. Eine mythologische Untersuchung, welche sich, wie die nachstehende, auf den festen grund der römisch -germanischen inschriftonsteine des Rheinlandes und auf die nachrichten des Tacitus stüzt, kann mit dem namen „Istvaeen" natürlich nur den sinn ver- binden, welchen derselbe bei den Germanen des Plinius und Tacitus hatte. Welche Völker im algemeinen zu dieser gruppe gehörten, ist klar; nur inbetreff der einen oder anderen rechtsrheinischen Völker- schaft herscht gegenwärtig noch streit, ob sie zu den alten Istvaeen zu rechnen sei oder nicht. Was die Völker angeht, deren weibliche liauptgottheit hier behandelt werden soll, so ist ihre Zugehörigkeit zu den Istvaeen unbestritten. Es sind dies nämlich 1) die westistvaeischen Ubier, Batawer, Kanninefaten, Marsaker, Sturier und Fri- siawen und 2) diejenigen Völkerschaften, w^ eiche die alte marsische Istvaeengruppe bildeten. Diese Völker nanten ihre hauptgöttin verschie- den, so dass unsere Untersuchung zunächst voraussetzen muss, dass es mehrere verschiedene istvaeische hauptgöttinnen gegeben habe, und erst durch eine analyse des wesens dieser göttinnen ihr gegenseitiges Ver- hältnis zu bestimmen hat.

I. Nehaleiiiiia. 1. Denkmäler und Inschriften.

Von einer göttin Nehalennia weiss man erst wider seit dem

5. Januar 1647. Um den anfang dieses Jahres hatten sich an den

1) Ygl. z. b. Rieger in der Zeitsclir. f. d. a. 11, 180; Müllenlioff ebenda 23, 4 und 154.

ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXIV. 19

290 JAEKEL

küsten der zeelänclischen iiisel Walcheren heftige ost- und noi-dost- winde eingestelt, welche die dünen arg zerzausten und die see zu ungewöhnlicher höhe türmten. Yoni stürme zerwühlt und von den wogen unaufhörlich gepeitscht schwand der fuss der dünen mehr und mehr zusammen. Als dann an jenem tage unter dem wehen eines starken Ostwindes eine auffallend niedrige ebbe eintrat und sich das meer weit vom lande zurückzog, erblickten die bewohner von Doom- burg, einem städtclien an der nordwestküste der insel, hart an der gewöhnlichen uferlinie eine grössere anzahl von steinen und anderen gegenständen, die bis dahin vom sande bedeckt gewesen waren. Bei näherem zusehen erkante man trümmer von antiken säulen, fragmente von statuen, altäre und eine beträchtliche menge meist gut erhaltener kapeichen (aediculae). Im ganzen waren es 45 fiindstücke. Davon trugen mehr als die hälfte Inschriften, und die altäre und kapelchen zeigten fast durchweg reliefdarstellungen von gottlieiten. Aus den inschriften gieng zunächst hervor; dass die überwiegende mehrzahl der kapelchen einer dea Nehalennia geweiht seien, dass also das lieilig- tum, dessen Überreste man vor sich hatte, ein Nehalennia-tempel gewesen sein müsse. In der unmittelbaren nähe des heiligtums wur- den sechs merovingische münzen, ferner eine erhebliche anzahl römi- scher kaisermünzen aus der zeit von Vespasian bis Tetricus, sodann becher, gefässe und andere derartige gegenstände aufgelesen.

Der fund erregte ungemeines aufsehen, und die künde davon verbreitete sich schnell. Die Niederländer beeilten sich, ihren berühm- ten altertumsforscher Petrus Scriverius um eine erklärung der entdeck- ten altertümer anzugehen. Schon am 14. jan. 1647 gieng aus Doom- burg ein schreiben an ihn ab, in welchem über den fund berichtet und fünf von den inschriften mitgeteilt wurden. Nach diesem schrei- ben machte dann Lotich im Y. bände des Theatrum Europaeum, der 1647 erschien, die entdeckung in Deutschland bekant (s. 1298) und teilte jene fünf inschriften ebenfals mit. Die Zeichnungen und beschrei- bungen der fundstücke, die man aus Doomburg dem prinzen Friedrich Heinrich von Oranien gesant hatte, Hess dieser durch seinen secretair, Constantin Huyghens, am 15. februar ebenfals an Scriverius schicken, den dann Huyghens am 23. februar um rücksendung der Zeichnungen sowie um erklärung der altertümer bitten lässt^. Noch in demselben jähre machte der bekante kupferstecher H. Danckerts die fundstücke,

1) Die drei schreiben teilt Antouius Matthaeus in seineu Veteris aevi mialecta VI, 391 fg. mit (== III-, 095 fgg.).

HAin^TGiiTTIX DKi: ISTVAKEN 291

soweit sie noch in Doonilniri;- voihaiulcii waren, unter dem titcl: „All- beel(linü;'0 van do (ncroude rariteyten aan (\o strandt onitrent l)()nd)uifli i^'ovonden dm .'>. jnnuarij 1017" (Ha,t:;ae Comituni 1(517) nach /ricli- nnni;('n \iin II. \an S('liuyleid)uri;li auf I.'! platten hckant'. Kiliiufi'rndc lii'nici'kungen iibci' d(Mi t'imd wai'cn doi' publikation nicht beit;('ij;('l)en. Der erst«' öfl'entlicilc hivricht übor die (M'st(> (uddockiinü,' wur(h:' von ni(v d(M'i;indisch('i- siMtc erst IGöO durch ()li\ai'ius A' red ins in scinci- ilisto- ria Comituni i'^hnuhiae 1 Additioncs s. XLIV fg;i;-. g'0gel)en. l^]r hatte s(di)st in l)(i()nd)uri;' die feste in au^-enscheiu i;-enommen und g'ab luin die ;d)l)il(hnii;-en ven -'2 altäreu, von 1.'! r("imischen miin/en und einigen audei'cn ,^'e<;-enst äuden. ^iit knappen, priicisen werten wurden die ein- zelnen stücke beschrieben und ei-läutert. Seine ei-kl;irun,ij,-en, die fiir seine zeit vertretlicli sind, wurden spater viel benuzt. Se ruht z. b. .M. Snial iei^-an^'c ChreUNk \an Zeeland ^liddelbui'i;' HiDil tu]. S2 u. a. ,i;anz aut \'redius. Smallei;'ani;e benuztc nicht nur die beschi'eibenden an^alx'u jenes, sondern, wie es sclKMiit, soi^-ai' die platten, weh-ln* für die \ rciliusschen abbildnngen angefertigt worden wiiren.

Die behrtrdeu der insel Walcheren hatten bald nach dei' ent- dtH'knng den Duomburgern befohlen, die merkwürdigen ii])eri'este dt^v heidnisciien vin'zeit volständig auszugraben und in Verwahrung zu neh- men. Da der estwind längere zeit anhielt, gelang es, den f'urid zu bergen. Man entdeckte dabiM noch das fmulament (Mues hiiuschens und stiess in einei- tiefe von einigen fuss auf zahlreiche baumstümpfe und l);uimwurzeln, v,dians man ersah, dass das Doombnrger Nehalenniu- heiligtum in einem haine gestanden haben müsse. Weniger S(n-gf;iltig kam mau in l)oombu)-g dem zweiten teile den befehls nach, die fund- stücke wol zu verwaiu'en. Dem Utrechter Studenten M. Smallegange, der damals in Middelburg, dem hauptorte Walclierens, seine Winter- ferien vei'ln-achte und sich ein paar tage nach der ausgrabung in Doom- l)urg- einfand, wo ei' die Inschriften von sechs denksteinen abschrieb, glückte es, aus dem funde eine lampe nnd einige münzen anzukaufen, wie er selbst in dem eingehenden, zuverlässigen bericlit ül)er die ent- deckuug- der Dooml)urger altertümei' erzählt, den er seiner chronik (fol. 82) eingefügt hat. Ja, man hielt nicht einmal die grösseren fuml- stücko in Doombui'g zusammen. So verschwand denn auch eine erheb- liche zahl der nns hier allein angehenden Nehalenniaaltäre, teils sofoi't, teils später, aus Doomburg. Als J. (i. Keysler seine Exercitatio de

]) Ein oxomiilar iliesos Werks lidiiidct sicli auf dei' liililiotiK'k dos kgl. nieder- L'iiidischoii itistituts.

19*

292 JAEKEL

dea Nehalennia lumüne Walachronmi topico, die 1717 zu Celle erschien und 1720 mit einigen Verbesserungen in seine Antiquitates selectae Septentrionales et Celticae (s. 235 fgg.) aufgenommen wurde, ausarbei- tete, machte ihm Hadrianus Relandus aus Utrecht von einer in seinem besitz befindlichen säulenbasis mitteilung, welche eine Aveihinschrift an Nehalennia trug und einst aus Zeeland nach Utrecht geschickt wor- den war. Diese säulenbasis muss bald nach jener entdeckung vom 5. Jan. 1647 aus Doombiu-g verschwunden sein, denn in den Danckerts- schen Äff beeldinge " findet sich keine abbildung derselben. Jezt ist dieses denkmal zu gründe gegangen oder doch, fals es noch vorhan- den, der ort, wo es verblieben, unbekant. Ein anderes Doomburger fundstück, einen Nehalenniaaltar ohne Inschrift, sah der holländische gelehrte Janssen 1845 in einer aus allerlei alten steinen erbauten brücke auf dem gute Westhove bei Doomburg eingemauert. Sodann befand sich am anfange des vorigen Jahrhunderts, wie Gargon Walchersche Arkadia (1717) I, s. 318 mitteilt", ein Doomburger Nehalenniaaltar in einem zäune vor einem tore von Middelburg; ferner war nach demsel- ben Gargon (a. a. o. II, 11)^ ein anderer Nehalenniaaltar damals im hofe des landhauses Steenhove, das am wege von Middelburg nach Koudekerke liegt. Verhältnismässig spät ist aus dem Doomburger funde jener Nehalenniaaltar abhanden gekommen, der jezt auf dem schloss Ilpestein bei Ilpendam verwahrt wird. Denn die angäbe von G. van Ernst Koning (Het huis te Ilpendam s. 5 fgg.)^ wonach dieses denkmal um 1622 beim trocknen des Purmer gefunden worden sein soll, eine angäbe, worauf noch Wolf in seiner oberflächlichen arbeit über Nehalennia^ Schlüsse gründet, verdient keinen glauben, da die- ser altar vom flandrischen historiker Vredius im jähre 1650 und noch später von Cornelius Boot in Doomburg gesehen und abgezeichnet wurde. Sehr früh müssen dagegen jene beiden Nehalenniaaltäre aus Doomburg verschwunden sein, welche sich später im besitze Papen- broeks befanden und dann nach Leyden in das niederländische reichs- museum der altertümer gelangten. Weder Danckerts noch Vredius (Smallegange) noch Keysler wissen etwas von diesen beiden steinen;

1) Der altar, von dem Gargon II, 7 spricht, ist tein Nehalenniaaltar, sondern ein Matronensteiu !

2) In den Jahrbb. des Vereins von altertumsfr. im Rheiulande XII (1848), s. 21 41 und in den Beiträgen zur deutschen mythologie 1 (1852), 149 160. Er koute Janssen nicht benutzen und muste sich auf die ungenügenden älteren Publika- tionen stützen! Wolf kante nicht einmal den 1776 (oder 1777) gefundenen Deutzer Nehalenniastein !

IIAI'I'TÜÖTTIN bV.n ISTVAEKN 293

erst Maffeius (Mus. Yen.u. s. CCCTXLVIIIl, D), OiKlondorp (legati Pa- j)('nbr. (Ies('ripti(^ s. 12 ni-. 10 und s. 11 ur. D) und iuidorc machten dieselben bekant. Hiidlirli war einer vuii den Do(ind)uri;-er Nehalcnnia- steinen früh naeli Brüssel geraten, wo er iiaeh mannigfaltigen Schick- salen im aA[usee K. (Tarmures, d'anticiuites et d'ethnologio aufiudime fand. Erst 11. Cannegieter behandelte diesen altar in seiner, leider manuseript gebliebenen, abliandhmg ,, D()inl)urgseli(; oudheden, ver- klaart". Aus diesem mamiseript, das je/t der 11. klasso des kgl. Nie- d(U'landisclien Instituts gehrn't, hat daini Janssen i8iö (De romeinschc beeiden en gedenksteenen van Zeeland s. ()7 fgg.) über das denknial berichtet.

Die denksteine, welche auf Walcheren verblieben, wuirden almäh- lieli im eher der reformierten kirche zu Doomburg vereinigt. Am 10. ekt. 1848 zerstiirte dann ein blitz kirciie, türm und denkmaler. Nur 6 denksteine, freilich selir beschädigt, einer davon in 10 stücken, konten an einem vom türme abgesonderten platze in der wider auf- gel)auten kirche notdürftig aufgestelt werden; die übrigen stücke und brocken wurden im freuen am zäune der Doomburger stadtschreiberei in einem häufen überi-inander gestapelt. Nachdem sie hier 17 jähre lang wind nnd wetter ausgehalten, fanden sie im jähre 1866, ebenso wie jene 6 noch leidlich erhaltenen stücke, im Middel burger museum aufnähme.

8chon 1647 waren die ersten Schriften erschienen, welche eine deutung der göttin versuchten. Ihnen folgten zahlreiche erläuterungs- schriften und publicationen. Diese ältere litteratur ist hei Janssen a. a. 0. vorrede s. XII XV verzeichnet. Durch diesen liess nämlich 1845 die zeeländische geselschaft der Wissenschaften die erste zuverläs- sige, zwar noch nicht allen auforderungen genügende, aber, Avas die beschreilmng der denkmäler anlangt, vortreflich ausgefallene publication der l)ildwerke veranstalten: De romeinsche beeiden en gedenk- steenen van Zeeland, uitgegeven van wege het Zeeuwsch genoot- schap der wetenschappen, Middelburg 1845. Aus diesem werke sind die Doomburger Xehalennia-inschriften bei de Wal Mythologiae sep- tentrionalis monumenta (Utrecht 1847) und bei Brambach Corpus inscriptionum Rhenan. (1867) mitgeteilt.

Im herbste des jahres 1870 Avurde bei Doomburg noch ein Nehalenniaaltar entdeckt, der sich jezt im Privatbesitz befindet. Ihn hat C. Leemans in den Yerslagen en mededeelingen der koninklijke akademie van wetenschapcn , afdeeling letterkunde, II. reeks, II deel

294 JAEKEL

(1872) s. 63 fgg. ausfüliriich behandelt und dabei auch die Schicksale der übrigen Nehalenniadenkmäler besprochen^.

Bereits vor dem Doomburger fände war ein der Nehalennia geweih- ter, aber als solcher nicht erkanter altar zu Deutz entdeckt worden. Die erste nachricht von demselben enthält ein um 1600 geschriebenes manuscript des Stephanus Broelmann auf der öffentlichen bibliothek zu Cöln (Commentarii historiae veteris omnis et purae plenaeque civitatis Ubiorum florentis), wonach der stein am rheinufer bei Deutz ausgegra- ben wurde. Publiciert wurde das denkmal zuerst von Gruter 1603 in seinem bekanten inschriftenwerk; er muss das denkmal in Deutz in augen- schein genommen haben, denn er gibt an, dass auf jeder seite des altars ein füllhorn ausgehauen sei. Den namen der göttin las er auf dem offenbar verstümmelten steine: Neaee. Nach anderen lautete er: ISTehalee. Das denkmal ist nicht mehr vorhanden. Im jähre 1776 oder 1777 fand man nun aber in Deutz bei dem neubau der Bene- dictinerabtei einen altar, welcher iaut seiner deutlich lesbaren Inschrift „deae ISTehalenniae" gewidmet war. Auch dieses denkmal, dessen 1781 zum ersten male erwähnung geschieht 2, ist jezt verloren.

Die hollcändischen gelehrten, zulezt wider Leemans (a. a. 0. s. 85), haben behauptet, diese beiden altäre müsten aus Walcheren nach Deutz verschlept worden sein. Sie hielten nämlich Nehalennia für eine topische göttiii Walcherens und weiten gern Doombui-g zum eigentlichen sitz des Nehalenniakultes und Nehalennia selbst zu einer Holländerin machen. Das eine ist so verfehlt wie das andere. Nehalennia erscheint auf Walcheren in enger Verbindung mit Hercules Macusanus. Dieser aber wurde laut inschriftlichen Zeugnisses^ auch in Deutz vorehrt. Sowie nun der zu Deutz gefundene altar dieses gottes nicht von Doom- burg nach Deutz verschlept, sondern im jähre 1884 am rheinufer unter- halb Deutz ausgegraben worden ist, so gibt es natürlich keinen grund zu leugnen, dass auch seine gattin Nehalennia zu Deutz verehrt Avor- den ist. Jene beiden denkmäler des Nehalenniakultes sind wirklich,

1) Von deutscher seito be.spracli dieses denkmal Josef Klein in den Jaluiiüehern des Vereins von altertumsfr. im Rheinl. 57 (187(j), 195 fgg.

2) In den „Materialien zur geist- und weltliclieu Statistik des niederrlieiuischen kreises" usw. (Erlangen 1781) 1. Jahrg., wo s. 179 184 die steininschriften des krei- ses mitgeteilt werden; sodann hei Gercken Reise durch Schwaben, Baiern, angrän- zende Schweiz, Frauken und die rheinischen proviuzen in den jähren 1779 1782 (Stendal 1783) lU, 337.

3) Jahrbücher des Vereins von altcrtumsfreundeu im rlieinland 77, 45; darnach in der Westdeutschen zeitschr. 3, korrcspondenzbl. s. 118 nr. 139.

HAUPTGÖTTIN DER ISTVAEEX 295

Avie die i^-anz unvcrdäclitig-on berichte darüber melden, in Deiitz aus- ausgegraben worden; jeder zweit'el daran ist überflüssig.

Die bisherigen versuche der dentschen mythologen, die göttin Nehalennia zu deuten, sind niclit glücklich gewesen. Die einen hiel- ten sie für eine keltische, die anderen für eine germanische göttin; aber weder die einen noch die anderen haben eine etymologie des namens, die algemeine Zustimmung gefunden hätte, zu geben ver- mocht. Jakob Grimm gieng in seiner mythologie nicht näher auf Ne- iialennia ein. Zwar schwankte er (I\ 213), ob dies eine belgische oder eine Friesische göttin sei, weil ihm ihr namo nur gezwungene und unbefriedigende anknüpfungen zu gestatten schien; doch gefiel ihm schliesslich (s. 347 anm. 2) die ableitung ihres namens aus dem kel- tischen, wie sie Heinrich Schreiber (Die feen in Europa s. 65 fgg.) vor- getragen hatte. W. Müller meinte (Geschichte und System der altdeut- schen religion s. 91), dass, wenn auch deutsche stamme, etwa die Friesen, Xchalennia verehrten , sie doch nicht echt deutsch sei, sondern ihrem Ursprünge nach sicher den Kelten angehöre. Dann nent er sie aber doch (s. 255) geradezu eine friesische göttin. Dagegen erklärte "NYolf (Rheinische Jahrbücher 12, 21 fgg. und Beiträge zur deutschen mythologie I, 149 fgg.), ohne eine deutung des namens zu geben, Ne- halennia für eine deutsche göttin ^ Simrock erklärt (Deutsche mytholo- gie^ s. 351) Nehalennia für keltisch, doch meint er (s. 370 und 545), dass nur ihr name keltisch sei und die deutsche Isis den keltischen Völkern Nehalennia geheissen habe; schliesslich hält er es (s. 371) für möglich, dass auf AYalcheren , wo das heiligtum der Xehalennia gestan- den habe, ., deutscher und keltischer gottesdienst vielleicht zu einem bunde der Völker zusammengeflossen sei". Holtzmann, dem keltisch und germanisch als gleich gilt, glaubt doch (Deutsche mythologie s. 122), die mögiichkeit besprechen zu müssen, dass der name N"ehalennia ein deutscher sei. Die erkläruug, welche H. Kern in seinem aufsatze „Nehalennia" in Taal- en letterbode 11 (Haarlem 1871) s. 89 fgg. und in der Revue Celtique vol. II (1873) s. 10 fgg. gegeben hat, wonach die göttin als schenkerin, \volgeneigte geberin, lierrin, frau („schenkster, goedgunstige geefster, meesteres, vrouwe") zu deuten und Nehalennia nur der einheimische landschaftliche name der nordischen Freyja sei, ist sprachlich unhaltbar. Mit neihan libare, immolare (Graff II, 1015) hat dieser name nichts zu tun.

1) An den uamen der göttin, erklärt Wolf . wolle er nicht weiter rühren, weil es gefährlich sei. Er teilt die älteren dentungsversuche mit, die nicht mehr ange- führt zu werden verdienen.

296 JAEKEt

Die Publikationen der Nehalenniadenkmäier weichen, schon was die zahl der altäre angeht, erheblich von einander ab. Es hätte hier keinen zweck, die sämtlichen altäre mit ihren Inschriften und bildlichen darstellungen der reihe nach zu beschreiben; die wichtigeren werden im verlaufe der Untersuchung bei den einzelnen fragen behandelt wer- den. Um aber für die folgende mitersuchung die citate so kurz als möglich gestalten zu können und um künftigen forschern zeitraubende mühe zu ersparen, auch um die Übersicht über die bisher gefundenen altäre zu erleichtern, zähle ich hier die Nehalenniadenkmäier mit angäbe der nummern, unter denen sie bei Brambach, de Wal, Janssen, Kej'sler (Antiquitates selectae septentrionales et celticae) und Vredius publi eiert sind, auf. Den leztgenanten habe ich hinzugenommen, weil er die denkmäler in Doomburg selbst studiert hat und seine oft benuzte Publikation zeigt, wie viele Nehalenniaaltäro damals in Doomburg noch vorhanden waren.

A. Doomburger altäre.

1. Brambach 24 = de Wal 196 = Janssen s. 10 18, taf. IV nr. 8a— c = Keysler s. 239 § 4 = Vredius LI, 5.

2. Brambach 27 = de Wal 176 = Janssen s. 38 41, taf. VII nr. 15a d = Keysler s. 242 § 10 = Vredius LH, 11.

3. Brambach 28 = de Wal 177 = Janssen s. 41 45, taf VIII nr. 16a c = Keysler s. 243 § 11 = Vredius LH, 12.

4. Brambach 29 = de Wal 178 = Janssen s. 45-47, taf. IX nr. 17a e === Keysler s. 241 § 6 = Vredius LI, 7.

5. Brambach 30 = de Wal 179 = Janssen s. 48 49, taf. X nr. 18a c = Keysler s. 242 § 9 = Vredius LH. 10.

6. Brambach 31 = de Wal 180 = Janssen s. 50 52, taf. XI nr. 19a c = Keysler s. 241 § 8 = Vredius LI, 9.

7. Brambach 32 = de Wal 195 = Janssen s. 57 59, taf. XII nr. 21a d.

8. Brambach 33 = de Wal 192 = Janssen s. 59 60, taf. XII nr. 22 a c = Keysler s. 244 § 12 = Vredius LH, 13.

9. Brambach 34 = de Wal 197 = Janssen s. 60 61, taf. XIII nr. 23a— c = Keysler s. 245 § 16 = Vredius LH, 17.

10. Brambach 35 = de Wal 198 = Janssen s. 61 62, taf XIII nr. 24a— d = Keysler s_. 240 § 5 = Vredius LI, 6.

11. Brambach 36 = de Wari94 = Janssen s. 63 66, taf. XIV nr. 26 a c = Keysler s. 249 § 23.

12. Brambach 37 = de Wal 193 = Janssen s. 66 67, taf XV nr. 27a c.

HAUI'TGÖTTIN DER ISTVAEEN 297

13. Brambach 38 = de Wal 184 = Janssen s. 84 85, taf. XVIII nr. 34.

14. Brambach 39 = de Wal 187 = Janssen s. 67 72, taf. XV nr. 28 a c.

15. Brambach 40 = de Wal 186 = Janssen s. 72 73, taf. XVI nr. 29a e = Keysler s. 247 § 20 = Vrediiis LI, 4.

16. Brambach 41 = de Wal 185 = Janssen s. 73—74, taf. XVII nr. 30a c == Keysler s. 244 § 13 = Vrcdins LH, 14.

17. Brambach 42 = de Wal 189 = Janssen s. 83 84, taf. XVII nr. 33a— c = Keysler s. 245 § 17 = Vredms LH, 18.

18. Brambach 43 = de Wal 188 = Janssen s. 75 83, taf. XI nr. 32 = Keysler s. 246 § 18 = Vrediiis LIII, 21.

19. Brambach 44 = de Wal 182 = Janssen s. 85, taf. XI nr. 35.

20. Brambach 45 = Keysler s. 245 § 15 = Vredms LH, 16.

21. Brambach 48 = de Wal 199 = Keysler s. 250 § 24.

22. Brambach 50 1 = de Wal 191 = Janssen s. 62 63, taf XIV nr. 25a— c =- Keysler s. 248 § 21.

23. Janssen s. 93 95, taf. XIX nr. 4 = Keysler s. 246 § 19 = Vredius LÜI, 23.

24. Janssen s. 74 75, taf XVIII nr. 31.

25. Keysler s. 241 § 7 = Vredius LI, 8.

26. Keysler s. 244 § 14 = Vredius LH, 15.

27. Altar von 1870, beschrieben von Leemans in den Verslagen en raededeelingen der koninldijke akademie van wetenschapen, afdeeling letterkunde, IL reeks, II deel s. 74 fgg.; nach ihm von A. Reville in der Revue celtique II (1873) s. 18 fgg. und von Josef Klein in den Jahrbb. d. Vereins von altertumsfreun- den im Rheinlande LVII (1876) s. 195.

B. Deutzer altcäre.

28. Brambach 441 = de Wal 183 = Janssen s. 100 102 = Keysler s. 265 § 35 = Vredius XLVIII.

29. Brambach 442 = de Wal 190 = Janssen s. 96 100.

2. Nehalennia und Hercules Macusanus. Das Doomburger und das Deutzer Nehalenniaheiligtum beweisen unmittelbar, dass die göttin von den bewohnern Zeelands, d. h. von den Marsakern, Sturiern und Frisiawen, sowie von den bewohnern

1) Brambach 49 = de Wal 181 = Janssen s. 52 57 taf. X nr. 20a c = Keysler s. 248 § 22 ist kein Nelialenuia-, sondern ein Matronenaltar!

296

i I

Die Publikationen der Nehalenniadenkmäler weichen, schon was die zahl der altäre angeht, erheblich von einander ab. Es hätte hier keinen zweck, die sämtlichen altäre mit ihren inschriften und bildlichen darstellungen der reihe nach zu beschreiben; die wichtigeren werden im verlaufe der Untersuchung bei den einzelnen fragen behandelt wer- den. Um aber für die folgende Untersuchung die citate so kurz als möglich gestalten zu können und um künftigen forschern zeitraubende mühe zu ersparen, auch um die übersieht über die bisher gefundenen altäre zu erleichtern, zähle ich hier die Nehalenniadenkmäler mit angäbe der nummern, unter denen sie bei Brambach, de Wal, Janssen, Keysler (Antiquitates selectae septentrionales et celticae) und Vredius publiciert sind, auf. Den leztgenanten habe ich hinzugenommen, weil er die denkmäler in Doomburg selbst studiert hat und seine oft benuzte Publikation zeigt, wie viele Nehalemiiaaltäro damals in Doomburg noch vorhanden waren.

A. Doombtirger altäre.

1. Brambach 24 = de Wal 196 = Janssen s. 10 18, taf. IV nr. 8a— c = Keysler s. 239 § -1 = Vredius LI, 5.

2. Brambach 27 = de Wal 176 = Janssen s. 38 41, taf. VII nr. 15a d = Keysler s. 242 § 10 = Vredius LH, 11.

3. Brambach 28 = de Wal 177 = Janssen s. 41 45, taf. VIII nr. 16a c = Keysler s. 243 § 11 = Vredius LH, 12.

4. Brambach 29 = de Wal 178 = Janssen s. 45-47, taf. IX nr. 17 a e = Keysler s. 241 § 6 = Vredius LI, 7.

5. Brambach 30 = de Wal 179 = Janssen s. 48 49, taf. X nr. 18a c = Keysler s. 242 § 9 = Vredius LH. 10.

6. Brambach 31 = de Wal 180 = Janssen s. 50 52, taf. XI nr. 19a c == Keysler s. 241 § 8 = Vredius LI, 9.

7. Brambach 32 = de Wal 195 = Janssen s. 57 59, taf. XII nr. 21a d.

8. Brambach 33 = de Wal 192 = Janssen s. 59 60, taf. XII nr. 22a— c = Keysler s. 244 § 12 = Vredius LH, 13.

9. Brambach 34 == de Wal 197 = Janssen s. 60 61, taf. XIII nr. 23a— c = Keysler s. 245 § 16 = Vredius LH, 17.

10. Brambach 35 = de Wal 198 = Janssen s. 61 62, taf. XIII nr. 24a— d = Keysler s. 240 § 5 = Vredius LI, 6.

11. Brambach 36 = de Wari94 = Janssen s. 63 66, taf. XIV nr. 26a— c = Keysler s. 249 § 23.

12. Brambach 37 = de Wal 193 = Janssen s. 66 67, taf XV nr. 27 a c.

*i

2N fin

HAUl'TGÖTTIN DEU ISTVAEEN 297

\?>. Brambach 38 = de Wal 18-1 -. Janssen s. 84 85, taf. XVlll

II. lkanil)aeli :][) ^ de Wal 187

15. Hi. 17. 18.

•20.

21. •)•)

28.

24. 25. 26. 27.

28. 29.

Jan.ssen s. 07 Janssen s. 72

72, taf. XV

Branibaeh 40 = d(^ Wal 18(5 -- Janssen s. 72 7:5, tat. XVI ni-. 2!)a 0 = Keysler s. 217 i^ 20 Vredius LI. 4. Hi'ainl)arli 11 - d.- Wal 1.S5 = Janssen s. 78-74, taf. XVll II r. ;-50a e = Keysler s. 244 § 18 -- Vredius LH, 14. I5ranil)aeh 42 - de AVal LS!) ^ Janssen s. 88 81, taf. XVJI nr. 88a c •-= Keysler s. 215 i^ 1 7 Vredius LH, LS.

Hi-ainbach 48) de Wal 188 =- Janssen s. 75 S8, taf XI

ni'. 8>2 Keysler s. 246 § 18 = V^redius LIII, 21.

Hraiul)aeh 44 -- de Wal 182 = Janssen s. 85, taf. XI nr. 85. Bi'ainbaeh 45 = Keysler s. 245 § 15 = Vredius LH, 16. Lrainbaeh 48 = de Wal 199 =^ Keysler s. 250 § 24. Ib-ambaeh 50 1 = de Wal 191 =-- Janssen s. 62 68, taf XIV nr. 25a e -- Keysler s. 248 § 21.

Janssen s. 98 95, taf. XIX nr. 4 = Keysler s. 246 § 19 = Vredius LIII, 23.

Janssen s. 74 75, taf. XVIII nr. 81. Keysler s. 241 § 7 = Vredius LI, 8. Keysler s. 244 § 14 = Vredius LH, 15.

Altar von 1870, beschrieben von Leemans in den Verslagen en mededeelingen der koninklijlie akadeniie van wetenschapen, afdeeliug letterkunde, IL reoks, II deel s. 74 fgg.; nacb ihm von A. Reville in der Revue celtique 11 (1873) s. 18 fgg. und von Josef Klein in den Jahrbb. d. Vereins von altertnrasfrenn- deii im Rheinlande LVII (1876) s. 195.

B. Deutzer altäre. Brambach 441 = de Wal 183 = Janssen s. 100 102 = Keysler s. 2(35 § 35 -= Vredius XLVIII. Brambach 442 = de Wal 190 = Janssen s. 96—100.

2. Xehalennia und Hercules Maeusanus. Das Doomburger und das Deutzer Xehalenniaheiligtum beweisen unmittelbar , dass die göttin von den bewohnern Zcelands, d. h. von den Marsakern, 8turiern und Fr isla wen, sowie von den bewohnern

g

1) Brambach 49 = de Wal 181 Keysler s. 2-48 § 22 ist kein Nehalomiia-

Janssen s. 52 .57 taf. X nr. 20 a- nudern ein Matronoualtarl

298 JAEKEL

der Deiitzer gegend, den Ubiern, verehrt wurde. Diesen vier Völker- schaften galt, wie erhaltene Inschriften beweisen^, Hercules Macusa- nus als männliche haiiptgottheit. Dies lässt vermuten, dass auch die übrigen Völkerschaften, welche den Hercules Macusanus als hauptgott verehrten, Nehalennia als hauptgöttin gefeiert haben. Bestätigt Avird diese Vermutung durch die enge Verbindung, in welcher Hercules Macu- sanus und Nelialennia, nach den bildlichen darstellungen von fünf Doomburger altären zu schliessen, gestanden haben. Jeder derselben (oben nr. 2, 3, 4, 5 und 6) zeigt nämlich auf der Vorderseite das bild Nehalennias und auf einer seitenwand das des Hercules, auf der andern das des Neptunus. Dies lässt sich nur durch die annähme erklären, dass Neptunus, ein deutscher wassergott in römischer gewan- dung, Hercules Macusanus denn dies ist laut inschriftlichen Zeug- nisses der Walcherensche Hercules und Nehalennia für den kultus eine engverbundene dreiheit von gottheiten bildeten. Man ist daher berechtigt, überall, wo Hercules-Macusanus-kult nachweisbar ist, auch Nehalennia-kult als bestehend vorauszusetzen und umgekehrt. Wir haben also nicht nur Frisiawen, Marsaker, Sturier und Ubier, sondern auch die Kanninefaten und Batawer als Nehalennia- Verehrer zu betrachten. Denn diesen sechs Völkerschaften galt Hercules Macusanus nach ausweis unserer Inschriften als männliche hauptgottheit 2.

Da nun bei den deutschen stammen die männliche und die weib- liche hauptgottheit stets zu einem ehepaare verbunden erscheinen, so müssen auch Hercules Macusanus und Nehalennia als gatte und gat- tin betrachtet worden sein.

3. Die attribute Nehalennias.

Um das wesen Nehalennias zu ergründen, haben wir nicht von ihrem naraen, dessen bedeutung ja vorderhand noch streitig ist, son- dern von ihren attributen und ihrer tracht auszugehen. Yen den Inschriften geben nur zAvei an, wofür der göttin gelübde gelöst wur- den; die übrigen melden nur, wer die gelübde gelöst hat.

Die göttin ist auf achtzehn altären bildlich dargestelt, 4mal stehend (oben nr. 1, 3, 5, 11), 14mal sitzend (nr. 2, 4, 6 10, 12, 14—16, 22 24).

Alle diese darsellungen zeigen die göttin in einen weiten, mit einem grossen kragen versehenen mantel gehült. Nach den älteren

1) Vgl. Bramb. CIRh. nr. 51 und oben s. 294 anm. 3.

2) Bramb. CIRh. nr. 51, 130, 134; CIL. VH, 1090; Westd. zeitschr. IH kor- rcspondenzblatt 0. 118 nr. 139 und V korrespondenzbl. s. 51.

' HAUrTÜüTTIN DKi; ISTVAEEN 299

piiblikatiüneii dor Doomburger denkmäler trug sie auf einigen altären (oben nr. 1, 7, 11) auch eine liaubc oder kappe. Allein auf nr. 1 fehlte dem bilde der göttin der köpf, mit dem sie bei Vredius (Smallegange), Keysh'r und anderen dargestelt ist; derselbe ist nach der ausdrück- lichen angäbe des ^'redius erst vom graveur ergänzt worden. Was man aber auf nr. 7 und 11 als kappe angesehen hat, ist nach Janssen (s. 58 und 64) nur ein teil der hohen frisur der göttin. Der weite, verhüllende mantel ist also die stereotype tracht Nchalennias. Von den bekanten germanischen göttinuen ist nur eine stereotyp im man- tel vor- und dargestelt worden, nämlich Hei, die göttin des todes und der unterweit. Mit Hol stimt Nehalennia in der tracht über- ein. Hei war nach nordischen angaben eine tochter Lokis, also aus der familie der chthonischen feuergottheiten. Zieht man also Nehalennias tracht für sich allein in erwägung, so kann mau die göt- tin nur für eine todesgottheit aus dem geschlechto der chtho- nischen feuergottheiten halten.

AYas die eigenthchen attribute Nehalennias angeht, so begegnet am häufigsten, auf elf altären, ein zu ihr aufblickender hund. Der- selbe sizt in 3 fällen zu ihrer linken (oben nr. 1, -1, 15), in 8 fällen zu ihrer rechten (nr. 2, 3, 5, 6, 11, 12, 14, 22). Die bedeutung, welche der hund in der germanischen mythologie hat, ist längst erkant und richtig dahin formuliert worden, dass der hund diener und Symbol der feuer- und todesgottheit ist^. Denn nach deutschem Volksglauben Avird durch hundegeheul sowol tod als feuer vorherver- kiindet: tod, wenn der heulende hund zur erde sieht; feuer, wenn er in die höhe heult. Der hund des heljägers läuft, wenn man am Christ- abend die haustür offen lässt, herein und legt sich auf den herd, von wo er das ganze jähr nicht wegzubringen ist. Er frisst asche und kohlen und verschwindet erst Avider, wenn der heljäger das nächste Jahr an dem hause vorüberjagt. Schwarze hunde hüten nach deutschem glauben die schätze, das eigentum der chthonischen feuergottheit, und Weinhold nent sie daher mit recht elbische wesen^ Ein chthouisches feuerwesen ist auch der höJlenhund Garnir, der beim Weltuntergänge mit Tyr streitet. Seine beziehung zur unterweit ist ohne weiteres klar; dass er aber ein feuerwesen war, beweist sein namo. Müllenhoff (Deutsche altert. H, 206 anm.) will freilich diesen als ein derivatum von ger „cupidus" oder als die Verkürzung eines compositums auffas- sen. Dies halte ich für verfehlt. Der name ist unzusammengesezt wie

1) Vgl. z. b. Weiuliold in der Zeitschr. f. d. a. 7, 88 fg.

2) Ebenda s. 89.

300 JAEKEL

ein echter göttername; er ist von derselben wurzel wie skr. gharmd „glut" (Böhtlingk und Koth, Sanskrit -wörterb. II, 882) gebildet und bedeutet „der feurige"; und weil er, wie ein echter göttername, ein- fach ist, so glaube ich, dass es einst auch einen chthonischen feuergott Garmr gegeben hat, der mit seinem Symbole, dem hunde, im namen übereinstimte, wie ja ähnlich der stier, das symbol IVeys, frey)-, der widder, das symbol Heimdalls, heimdallr usw. hiessen. Die- ser gott, nicht der hund, Garmr war meines erachtens ursprünglich der gegner des Tyr; und es muss dieser gott als verderblicher feuer- gott gedacht worden sein. Von den germanischen göttinuen steht eine einzige, und zwar Aviderum Hei, in beziehung zum hunde (vgl. Grimm, Mythol.* II, 555). Die hunde, welche für geistersichtig galten, mer- ken nach deutschem Volksglauben, Avenn Hei umgeht! Es muss also Nehalennia ihrem häufigsten attribute nach zu schliessen eine ch'tho- nische feuer- und todesgöttin gewesen sein.

Auf drei altären der göttin "erscheint neben ihr ein schifsv or- derteil. Auf nr. 1 hat sie ihren rechten, auf nr. 5 und 11 den lin- ken fuss auf ein solches gesezt. Auf nr. 1 hält sie überdies in der linken ein rüder. Man könte hier mit früheren forschem an das totenschiff, das im germanischen glauben eine bedeutsame rolle spielte (vgl. Grimm, Mythol.^ II, 692 fgg.; Weinhold, Altnord, leben 483 fg.) und somit an Hei denken. Allein das schiff, auf welchem der tote zu Hei fährt, wird nicht von Hei selbst gelenkt, während doch Neha- lennia das rüder hält, also als schifsführerin gedacht wurde. Dem- nach können schiff' und rüder der göttin nur als schirmerin der Schiffahrt zugekommen sein. Hierzu stimt, dass man laut einer im jähre 1885 zu Eom gefundenen Inschrift (Annali d. instit. 57, s. 272, nr. 25) auch ISTehalennias gemahl Hercules Macusanus auf seereisen gegen die vom meere drohenden gefahren amief; vor allem aber passt dazu die Inschrift eines Doomburger altars (oben nr. 18): Deae N'(e)- halenniae ob merces recte conservatas S(e)cund(inius) Sil- vanus negotiator cretarius Britannicianus v(otum) s(olvit) l(ibens) m(erito). Hier löst ein seefahrender kaufmann der göttin Ne- halennia ein gelübde für die glückliche rettung seiner waaren. Er muss dieselben, als sie in gefahr Avaren, also auf einer soereise, dem schütze der göttin empfohlen haben. Nehalennia vermochte demnach, Avie ihr gemahl, den schiffer und seine waaren vor den unbilden des meeres zu schirmen 1.

1) Leider ist in der inschrift auf nr. 14 „Deae Nehaleuniae T. Calvisius Secundinus o[b] meliores actus" nicht klar, was unter den „meliorcs actus"

HAUPTOÖTTIX DER ISTVAEEN 301

Auf zelm altären führt Nohaleniiia ein körbchen boz. eine schale mit äpfeln, und zwar hat sie ein solches körbchen auf nr. 4 und 15 zur recliten, auf nr. 6 und 22 zur linken, auf nr. 9 auf jeder Seite neben sich stehen. Auf nr. 7 liält sie das köi'bchen auf dem schooss, auf nr. 2, 12, 14 hat sie eines zur linken und eines auf dem schooss, auf nr. 11 eines auf dem linken knie^.

Dieses körbchen mit äpfeln hat viele forscher bewogen, Nehalen- nia zu den im Rheinland allenthalben begegnenden Matres oder Ma- tronae zu rechnen, die meist ein körbchen mit fruchten, gewöhnlich äpfeln, auf dem schoosse haben. Allein diese Matres kommen immer nur in der dreizahl vor, heissen als topische gottheiten in jeder landschaft aiuh'i-s und werden niemals als deae bezeichnet. Es war daher gar nicht anders zu erwarten, als dass Max Ihm in seiner Unter- suchung über den mütter- oder matronenkultus und seine denkmäler (Jahrbb. des Vereins von altertumsfr. im Rheinl. 88 (1887) s. 1 ^200) zu dem resultate (s. 31) gelaugte, dass die „dea Nehalennia" und die „Matronae" auseinander zu halten seien. Man kann eben nicht, um die äpfel der göttin Nehalennia zu deuten, die Matronen, welche aller- dings meist ein körbchen mit äpfeln führen, sondern nur göttinneu, denen die schale mit äpfeln als attribut zukomt, heranziehen. Von solchen göttinnen war der germanischen mythologie bisher eine einzige bekant, nämlich die norwegisch -isländische Idunn, welche in goldener schale oder schachtel (eski) äpfel verwahrt.

Was bedeuten die äpfel der göttin Idunn?

"Wenn man den isländischen mythologen glauben soll, so waren dieselben nicht für die menschen, sondern für die götter bestirnt, welche sich durch den genuss derselben ewig jung erhielten. Als Idunn einst samt ihren äpfeln in die gewalt des riesen Thiazi geraten war, begannen die götter zu altern, ihre haut wurde welk, die zahne fielen ihnen aus und ihr haar ergraute. Hiernach ist klar, dass die äpfel Idunns als die bewahrer des keims zu frischem jugendlichen leben galten. Die angäbe aber, dass von ihrem genusse die jugendfrische der götter abhängig gewesen sei (eine Vorstellung, zu der ich in den anderen indogermanischen mythologieen kein analogen finde!) trägt den Stempel später erfiudung an der stirn. Sie niuss von den philoso- phierenden isländischen mythologen herrühren, welche doch auch für

zu verstehen sei. Janssen rät (s. 69) auf „bessere wege". Ebenso gut könte man an „bessere Unternehmungen", „besseres ergehen" u. dgl. denken.

1) Nach Janssen s. 62 will Cannegieter auch auf nr. 10 ein körbchen erken- nen, das Nehalennia in der linken gehalten (!) habe. Dies ist mindestens unsicher.

302 .7 AEKEL

die ewige Jugend der götter einen zureichenden grund augeben weiten. Dem alten echten Volksglauben lag es fern, über derartige dinge nacli- zudenken. Dies hätte sich mit der ehrfurchtsvollen scheu vor den göt- tern, von der, nach allen berichten zu schliessen, die herzen unserer vorfahren durchdrungen waren, schlecht vertragen. Die attribute, welche der naive fromme sinn der gottheit beilegte, solten ihr beim einwirken auf das menschliche leben dienen. Daher müssen auch die äpfel der Idunn einen unmittelbaren bezug auf das menschenleben gehabt haben; sie müssen für die menschen, nicht für die götter bestimt gewe- sen sein. Was aber ein apfel, den die gottheit dem menschen reichte, bewirkte, ersieht man aus der Wirkung des apfels, den könig Kerir nach der Volsungasaga von der gottheit erhielt, als er zu Odinn und Frigg um nachkommenschaft flelite: derselbe machte Kerirs gemahlin schwanger. Demnach waren Idunus äpfel nichts anderes als das Sym- bol der ehelichen fruchtbarkeit, des kindersegens, und dafür wurde ja der apfel von den Indogermanen überhaupt angesehen. Dass gerade von Idunn, die in Brunnakr wohnt, wo der Jungbrunnen quilt, der kindersegen komt, wird überdies durch den deutschen Volksglauben, der die kinder aus dem brunnen kommen lässt, bestätigt. Die äpfel erweisen somit Idunn als göttin der ehe und des kindersegens. Ebendasselbe hat von den äpfeln Nehalennias zu gelten, d. h. auch Nehalennia wird durch ihr körbchen mit äpfeln als göttin der ehe und des kindersegens erwiesen ^

In Nehalennia haben wir demnach eine chthonische göttin vor uns, welche göttin des lebens und des todes zugleich war. Da das körbchen mit äpfeln und der hund diejenigen attribute Nehalennias sind, welche fast regelmässig auf ihren bildern erscheinen, so muss man es als ihre hauptfunctionen angesehen haben, der ehe kindersegen zu verleihen und den eintritt des lebenden in das reich des todes zu bewirken.

Auch zur vegetativen fruchtbarkeit stand Nehalennia in be- ziehung; sie war nämlich erntegöttin. Dies zeigen zunächst die fül- hörner, die auf fünf altären dargestelt sind (nr. 7, 8, 9, 17, 28). Diese steine zeigen auf den beiden seitenwänden je ein mit äpfeln und bir-

1) Man würde Nehalcuuia als güttiu der auimaliscbou fruchtbarlv-cit ü])erliaupt betrachten dürfen, wenn das opfertier auf nr. 23 wirklich, wie Vredius, Sniallegango, Cannegieter meinen, ein baso wäre, der ja als symbol der animalischen fruchtbarkeit gilt. Allein wenn das tier ein liase ist, so kann es kein opfertier sein; denn nur haustiere wurden den göttern geopfert. Jedosfals ist es ganz unsicher, was für ein tier hier dargestelt ist. Nach Janssen (a. a. o. s. 94) köute es auch ein Spanferkel sein.

HAUrTGÖTTIN DER ISTVAEEN 303

noii i^-pfültes füUiorn, das auf zwei altären (nr. 7 und 17) auf einem apfel rulit und auf welchem bei nr. 8, 9 und 17 noch ein pinienzapfen lio^t. Auf nr. 7 ist überdies die lehne des thronsessels, auf dem Neha- lennia sizt, durch zwei fülhörner gebildet. Yon der älteren der beiden Deutzer aren (nr. 28) berichtet Gruter, dass auf jeder seite ein fülhorn ausg-ehauen sei. Auch die fruchte, welche Nehalennia auf einigen altären in der haiid hält (nr. 5, G, 8, 9, 15 und 22), kouzeichnen sie als erntogöttin. Dagegen sind die laubgewinde und trauben auf den altären nr. 10, 11, 12, 14, 15 sowie die lorbeerbäume auf nr. 16 und 26 als blosse Verzierungen zu betrachten.

Nehalennia erweist sich also 1) durch ihre stereotype tracht, den verhüllenden mantel, und durch ihr häufigstes attribut, den hund, als feuer- und todesgottheit; 2) durch schiff und rüder und (hii'ch eine Doomburger Inschrift als beschirmorin des Schiffers und seiner waaren vor den gefahren des meeres; 3) durch ihr körbchen mit äpfoln als göttin der ehe und des kindersegens und 4) durch die fülhörner und durch die fruchte, die sie in der band hält, als erntegöttin. Sie herschte demnach über das reich des todes, über die eheliche und die vegetative fruchtbarkeit und schüzte den menschen und sein gut vor den unbilden des meeres. Diese chthonische gottheit waltete also ebenso in der oberweit wie in der unterweit. Wie sie aus den tiefen der erde die fülle des lebens empor- sondete, so nahm sie auch das leben wider zurück, um es dann wider von neuem hervorgehen zu lassen. Sie hatte daher ein doppeltes ge- siebt: ein düsteres und ein freundliches, ein schwarzes und ein weisses. Sie war lichte und finstere göttin zugleich; aber, wie ihre stereotype tracht und ihr häufigstes attribut erkennen lassen, stand die dunkle Seite in der Vorstellung, welche sich die Istvaeen von dieser göttin machten, im Vordergründe: sie war in erster linie todesgöttin. Dies liaben wir im äuge zu behalten, wenn wir nunmehr an die deutung ihres namens gehen.

4. Der name Nehalennia.

Der name der göttin ist auf 4 altären Nehaleniae (nr. 3, 10, 13, 20), auf 13 altären Nehalenniae (nr. 2, 4, 9, 11, 12, 14—18, 21, 27, 29), auf nr. 22 Nehalennie, auf nr. 28 Nehaleni, auf nr. 19 Nehalaen geschrieben; und was sich in den undeutlichen und ver- stümmelten Inschriften von dem namen der göttin noch erkennen lässt, stimt zu jenen formen , sodass die lateinische form des namens Neha- len(n)ia ist. In dieser lat. namensform ist das e vor dem nasal, wie

304 JAEKEL

nach Janssen (a. a. o. s. 118) schon Cannegieter erkante, die gallisch - römische entsprechung eines germanischen i^ genau so wie in den namen „Badiienna" und „Fimilene" (vgl. Ztschr. f. d. phil. XXII, 268). Den Römern waren namen auf -innius, -ifuiia nicht geläufig, wol aber solche auf -ennius, -ennia (Ennius, Herennius, Olennius usw.); daher wurde in ihrem munde Nehalinnia zu Nehalennia. Der deutsche name der göttin muss also im dativ ]Srehali(n)njai gelautet haben, mithin der stamm desselben ]Si'ehali(n)nj6- sein. Das leicht erkenbare suffix dieses namens, germ. -injö- , westgerm. -innjö-, zeigt, dass wir es mit einem movierten femininum zu tun haben, das im nominativ bei den Istvaeen Nehali(n)ne [aus Nehali(n)nia] gelautet haben muss. Da nun die göttin in erster linie todesgöttin war, so muss das grundwort *Nehal, ein nomen agentis auf -alo- ^ meines erachtens die westgerm. entsprechung eines got. *NaI/2;als und von derselben wurzel wie lat. nequalia, griech. vtv.vg usw. gebildet sein. Weil der name der göttin, got. ^Naf/yalini (vgl. Saiir-Saürini) wahr- scheinlich von jelier wurzelbetonung hatte (vgl. vt'Avq), so wird urgerm. Jv regelrecht durch westgerm. h vertreten. Westgerm. Nehalinne ver- hält sich zu got. *Naiy^alini ebenso wie althd. seJmn^ alts. gisehan zu got. saihan, ahd. aha zu got. aha, ahd. lilian zu got. leiJvan usw. Da nun westgerm. *Nehal, got. *NaI/yals „der töter" bedeutet, so bedeutet Nehalinne „die töterin", eine bedeutung, welche zu dem, was wir oben über das wesen der göttin festgestelt haben, auf das genaueste passt^.

n. Aiwa.

Der name „Nehalennia" erschöpfte das wesen der göttin keines- wegs. Ihre beziehung zn meer und meerfahrt, zur ehe, zur vegetati- ven fruchtbarkeit, kurz ihre ganze lichte seite liess derselbe ungeken- zeichnet. „Nehalennia" kann daher weder der einzige noch der älteste name dieser göttin gewesen sein. Es ist nun ein zweiter name der gemahlin des Hercules Macusanus in einer Inschrift erhalten, ein name, den man freilich noch nicht zu deuten vermocht hat, dessen sinn uns aber jezt, wofern wir das wesen der göttin richtig bestimt haben, klar werden muss. Man hat nämlich zu Millingen in der Oberbetuwe unweit Nim wegen einen altar mit der aufschrift gefunden: Herculi Macu-

1) Ferd. Dotter war also auf der richtigen fährte, wenn er (Zeitschr. f. d. a. 31, 208) meinte, dass der name Nehalennia vielleicht zu griech. vixvg gehöre. Da- gegen ist die namensdeutung, welche neuerdings (Zs. f. d. a. 35, 324 fgg.) Eudolf Mach vorbringt, aus mythologischen und sprachlichen gründen abzulehnen.

HAUPTGÖTTTN DER ISTVAEEN 305

sano et Haevae Ulp Liipio et Ulpia Amraava pro natis v(o- tiim) s(o]vernnt) l(ibentes) m(erito)i. Dieser altar wurde also dem Hercules Macusauus und der „Hacva" von einem istvaeischen ehepaare zum dank für kindersegen errichtet. Mit dieser „Haeva", der p^attin des Hercides Macusanus, haben die klassischen mythologenL nichts anzufangen gewust-, und es darf dies nicht wunder nehmen, denn es ist weder eine römische noch eine keltische, sondern eine deutsche göttin, der hier für kindersegen gedankt wird. Haeva ist nur die römische Schreibung für germ. Aiwa. Darunter aber kann nur, da germ. aiiva „ehe" bedeutet, die göttin der ehe, die den kindersegen verleiht, verstanden werden. Dieser name bezeichnet also die westistvaeische hauptgöttin als ehegöttin, als diejenige, welche die äpfel des frischen jugendlichen lebens verwahrte. Unter dem namen Aiwa wurde sie, wie die Miliinger ara beweist, neben ihrem gemahl um kindersegen angefleht. Diese westistvaeische Aiwa oder, wie sie im mittelalter heisst, ver Äwe, d. i. frau Aiwa, war eine hoch- gefeierte göttin der Germanen des Rheindeltas. Ihr name hat sich huige erhalten. Noch 1248 begegnet z. b, bei Capelle auf der zeelän- dischen insel Südbeveland der flurname Yeren-Äwen-drecht „der frau Aiwa drechf'l Dass diese Aiwa in der tat auch eine finstere Seite an sich hatte, also mit Nehalennia zusammenfält, zeigt ihre sym- bolisierung durch den schwarz weissen vogel, die tiefmythische elster, denn diese trägt in der tiersage jener gegend den namen ver Äwe „frau Aiwa"^. Die mythische bedeutung der elster für tod und krankheit klingt im deutschen Volksglauben noch lange nach. So heisst es z. b. in der Chemnitzer rockenphilosophie 158: „Schreit eine elster vormittags auf dem krankenhause sitzend und man sieht sie von vornen, so ist die bedeutung gut; schreit sie nachmittags und man sieht sie von hinten, schlimm (Grimm, Mythol.^III, 439). Und wie der gottheit des finsteren todes nach germanischem glauben die macht über die schätze zusteht, so gilt die elster auch als bringerin des reich- tums, wie sie denn unter den vögeln genant wird, welche die spring- wurzel bringen (Grimm, Deutsche sagen nr. 9). Man sieht, die haupt-

1) Bramb. CIRli. 130; de AVal Mythologiae septfutrioüalis momim. epigr. ]at. 148.

2) Vgl. den ariikel „Haeva" in Ro.schers Ausfuhr!, lexikon der griech. und röui. mythologie I sp. 1813, 46 fgg.

3) van den Bergh, Holl. oork. I, 1 ur. 462: „terra (|ue dicitur Verenaven- dregt".

4) Vgl. Grimm, MythoL* .562, der bereits fühlte, dass sich hinter diesem namen der elster eine heidnische göttin bergen müsse.

ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXIV. 20

306 JAEKEL

göttin der Westistvaeen ist ehe- und todesgöttin zugleich, ihr wcsen umschliesst eine lebengebende und eine lebenzerstörende seite.

Der älteste istvaeische name dieser göttin entgeht uns noch; er muss algemeinerer natur gewesen sein und die physikalische grund- lage ihres wesens, das der erde innewohnende feuer, die kraft der erde, bezeichnet haben. Dadurch, dass die verschiedenen selten ilires Wesens durch besondere beinamen (Aiwa, Nehalennia) gekenzeichnet wurden, war der anstoss zur Spaltung der göttin in eine lichte, gebä- rende und eine finstre, vernichtende gottheit gegeben. Dieser diiferen- zierungsprozess befand sich in den Jahrhunderten, aus denen unsere denkmäler stammen, schon im fluss; wann derselbe zum abschluss gekommen ist, wird sich erst bei der besprechung der mänlichen haupt- gottheit der Istvaeen, mit welcher sich unsere nächste Untersuchung beschäftigen soll, ermitteln lassen.

ni. Die hauptgöttin der marsisclien Istvaeeiigruppe.

Nach Tacitus (Ann. I, 51) zerstörte Germanicus im jähre 14 n. Chr. im gebiete der Marsen celeberrimü illis gentibj- templü q Täfan^ uocabant". So lauten die werte in der einzigen handschrift (Medic. I), die göttin muss daher entweder „Tawiana" oder „Ta7>?fana" geheissen haben; und ich vermag nicht einzusehen, wie Müllenhoff (Zeitschr. f. d. a. 23, 23) auf grund der handschriftlichen form „Täfan^" nur „Ta?i- fana" als die überlieferte form des namens gelten lassen konte. Aus jenen von ihm selbst abgedruckten werten der handschrift muste er doch ersehen, dass auch der Mediceus I regelmässig für m und n die- selbe abbreviatur verwendet.

Diese Tacitusstelle ist die einzige sichere erw ähnung der göttin; denn die Inschrift (Orelli I, s. 358 nr. 2053; de Wal 261), welche den namen „Tamfana" enthält, gilt ebenso wie das Wiener Schlummerlied, in dem es heisst „Zanfana sentit morgane feiziu scäf cleiniu" (Ber. der Berl. akad. 1859 s. 254), als fälschung.

Über die marsische hauptgöttin hat zulezt Müllenhoff (Zeitschr. f. d. a. 23, 23 fgg.) gehandelt, der in ihr richtig die weibliche hauptgott- heit der Istvaeen erkante. Bei der deutung ihres namens gieng er von der form „Tarrfana" aus. Er glaubt (s. 24), dass die Römer ohne den nasal niemals Taf ana noch in so alter zeit Tavana, sondern Tab an a geschrieben haben würden; neben dem nasal aber sei f so richtig und unanfechtbar wie in got. fmif, ahd. fmf, doch sei „der nasal in Tan- fana ohne zweifei ebenso wie in griech. Tvi.ircavov, la^ßävco u. a. aus dem Suffix in die Wurzelsilbe gedrungen, Tanfaua also = Tabana und

HAUPTGÖTTIN DER ISTVAEEN 307

der name daher, wenn anch in der bedeutung verschieden, buchstäb- lich nnd seiner herkunt't und bildung- nach = griech. da/cavr^ aufwand oder einem gleichlautenden liypothetischen femininuni des adjectivs ()d/ca)'og verschwenderisch" ; doch soll der nasal erst auf der auffassung des namens durch die Römer beruhen, nicht schon im mundo der Ger- manen vorhanden gewesen sein. Hiernach gienge also der name „Tan- fana'' auf die durch das determinativ p erweiterte indogerm. wurzel da „teilen", „zerteilen" (Fick, Yerg'l. wörterb. IV 3, 81) zurück.

"Was die mythologische erklärung des namens der göttin anlangt, so stelte ihn Müllenhotf (s. 24) zu altn. lafti „victima, hostia", ahd. xebar, ags. tifer, tiber, und erinnerte an „Jupiter dapaUs'-\ zu dem nach Cato der latinische landmann vor der aussaat betete. Aber Mül- lenhoff übersezte den beinamen „dapalis" nicht, wie es hier allein zulässig ist, mit „nahrungverleihend", d. i. „erntespendend", sondern dachte bei demselben an einen „opfergott", und so kam er zu der ansieht, dass in ähnlicher weise Taufana oder Tabana eine „opfergöt- tin" geheissen habe. Die Marsen und ihre stammesgenossen hätten, als sie im jähre 14 von Germanicus überfallen wurden, im Spätherbst nach der ernte und gegen den anfang des winters ihr fest gefeiert. Dies lezte ist eine Vermutung, die Müllenhoff bereits früher (Schmidts zeitschr. f. gesch. 8, 266 fg.) ausgesprochen hatte. Sie dürfte das rich- tige treffen, aber sie kann ebenso wenig wie sein hinweis (s. 24 fg.) auf den opfer- und schlachtmonat der Germanen oder auf HQvaniQl 144, 145 (Bugge) seine deutung des namens der göttin rechtfertigen; denn eine solche bedeutung des namens ist mythologisch unmöglich. Wie solte eine germanische göttin den namen „opfergöttin" geführt haben, da doch auch den anderen gottheiten, nicht ihr allein geopfert wurde! Der zur vergleichung herangezogene „Jupiter dapalis'-'- ist nicht der „opfergott" Jupiter, sondern der „erntespendende" Jupiter. Wir müssen daher die MüUenhoffsche deutung des namens Tanfana schon aus sachlichen gründen ablehnen. Es ist aber auch ein mis- liches ding anzunehmen, dass der nasal in dem namen der göttin erst auf der auffassung des namens durch die Römer beruhe. Man bedenke nur, dass Germanicus die göttin in jenem jähre zum ersten male nen- nen hörte, und dass auf seinen bericht über den marsischen feldzug die nachricht des Tacitus mittelbar (durch Plinius) zurückgeht. Selten also schon der römische feldherr und seine Soldaten im Marserlande den nasal aus dem suffix in die Wurzelsilbe haben dringen lassen? Dies ist doch im höchsten grade unwahrscheinlich. Hätte die göttin bei den Marsen * Tabana geheissen, so würden sie auch die Römer

20*

308 JA EKEL

Tab an a genant haben. Der nasal nmss schon im germanischen munde vorhanden gewesen sein und kann dann natürlich, wie got. fimf, Immfs lehren, nur m,, nicht n gelautet haben. Das handschriftliche „Täfan^" ist in diesem falle in „Tamfanae" aufzulösen, eine form, die Müllenhoff merkwürdiger weise gar nicht erst erwogen hat. Wir haben zu prüfen, ob sich bei dieser auflösung eine passende bedeutung für den namen ergibt.

„Tamfana", aus *Tamfenä entstanden, kann nur von der durch das determinativ p erweiterten indogerm. wurzel dam gebildet sein, die in skr. dam-ana „bezwinger, bändiger", griech. daf.ivac(), ddf.iv7jf.ii, lat. domare, got. ga- tarn -Jan, altn. tam-r, ags. tarn, ahd. xcwi und (mit anderer vocalstufe) xumft vorliegt. Das a hinter dem f und vor dem 71 kann sich erst später entfaltet haben, und in dem älteren *Tämfenä hat sich das f hinter dem labialen m, entAvickelt, weil der nächstfolgende konsonant ein dentales 7i war, wie sich ja ganz ähn- lich das f in got. swumfsl zwischen m und der dentalis 5, in ahd. xumft, kumft zwischen m und der dentalis t eingestelt hat. Darnach würde der name Tamfana die bezwingerin, bändigerin bedeuten. Mit „bezwingen", „bändigen", öafivccv, domare kenzeichnete aber der Indogermane ganz algemein die lebenzerstörende tätigkeit der todes- gottlieit. Tamfana wäre also die bändigerin xat" e^oyrjv, diejenige, welche alles leben bezwingt, die albezwingerin, d. h. die gottheit des todes. Sie fiele mithin ihrem namen nach mit der westistvaeischen ISTehalennia „der töterin" zusammen, und deswegen halte ich die hier vorgetragene deutung des namens „Tamfana" für die allein rich- tige. Nehalennia und Tamfana sind nur zwei verschiedene namen für eine und dieselbe göttin, nämlich für die weibliche hauptgott- heit der Istvaeen.

Der marsische name „Tamfana" stimt in seiner bedeutung zu dem westistvaeischen namen „Nehalennia". Wie die marsische ent- sprechung des westistvaeischen namens „Aiwa" gelautet hat, wissen wir bis jezt noch nicht. Es wäre möglich, dass auch die marsischen Völker ihre hauptgöttin als göttin der ehe und des kindersegens „Aiwa" genant hätten. Doch ist es mir wahrscheinlicher, dass die Marsen nicht nur die dunkle, sondern auch die lichte seite dieser göttin abweichend von den Westistvaeen bezeichnet haben.

Unsere Untersuchung ist am ziel, und es gilt nur noch, ihre ergebnisse in wenige sätze zusammenzufassen.

HAUPTGÖTTIN DER ISTVÄEEN 309

Die westistvaeischc Aiwa-Nehalennia und die marsische Tam- fana fallen zusammen; es sind nur verschiedene namcn oder vielmehr beinamen eines und desselben göttlichen wesens. Diese göttin war von clitlionischem Charakter, d. h. der physikalischen grundlage ihres wosens nach die göttin der der erde innewohnenden, als feuer gedach- ten ki'aft. Wie alle chthonischen gottheiten, so hat auch die ist- vaoischc hauptgöttin eine vveitumfassende Wirksamkeit und bodcutung. Sie war die göttin des todes; als solche hatte sie den hund zum begleiter und führte bei den Westistvaeen den namen Nehalennia „die töterin", bei den marsischen Tstvaeen den namen Tamfana „die albezwingerin". Sie war es, welche den übertritt des menschen aus (lern reiche des lebens in das des todes bewirkte. Aber sie war nicht nur lebenzerstörend, sondern auch lebengebend. Denn sie verlieh der che den kindersegen. Daher komt ihr als attribut eine schale oder ein körbchen mit iipfeln zu, dem indogermanischen Symbole der ehelichen fruclitbarkeit. Als ehegöttiu hatte sie bei den West- istvaeen den namen Aiwa. Aus ihrer beziehung zur ehe und zum kindersegen ersieht man klar, dass sie ganz besonders auch als göttin des feuers verehrt worden sein muss. Denn es ist ein algemein indogermanischer, von den Germanen aus ihrer asiatischen Urheimat mitgebrachter glaube, dass die gottheit des feuers über der ehe und ehelichen fruchtbarkeit waltet. Der antike brauch, bei der hochzeits- feier feuer und fackeln, bei der geburt eines kindes eine kerze anzu- zünden, die anrufung des feuers bei indischen vermählungsfeierlichkei- ten sowie der umstand, dass im Rigveda (1, 66) Agni, der gott des feuers, geradezu als pronubus puellarum gefeiert wird, sind mit recht dahin erklärt worden, dass den Indogermanen überhaupt die feuergott- heit als gottheit der ehe gegolten hat^ Wenn die istvaeische haupt- göttin die ehe stiftete und segnete, so muss sie natürlich auch als begründerin aller v er w an tschaft sowie der familien- und ge- schlecht sgem eins chaft gedacht worden sein und namentlich das leben, wie es sich am häuslichen her de abspielte, unter ihrem schütz gestanden haben. Sie muss als göttin des herdfeuers gefeiert worden sein. Als chthonische feuergottheit war die istvaeische hauptgöttin auch erntegöttin. Deswegen trägt sie fruchte in der band; und aitf diese ihre function weisen auch die fülhörner ihrer altäre hin. End- lich galt die istvaeische hauptgöttin auch als schirmer in der Schif- fahrt, insofern sie, wie ihr gemahl, den menschen und sein gut gegen

1) Vgl. Weinhold in der Zeitsclir. f. d. alt. 7, 10.

310 JAEKEL

die gefahren, welche vom meere drohen, schüzt, den Seefahrer und seine waaren ungefährdet über die wogen geleitet.

Es liegt in der natur der sache, dass die Marsen, deren sitze nir- gends an das nieer oder an grosse schifbare ströme stiessen, ihre haupt- göttin nicht in beziehung zur schilfahrt gebracht haben können. Diese chthonische gottheit wurde vielmehr bei binnenländischen Völkern nur als feuer- und herd-, ehe-, todes- und erntegöttin verehrt. Dass sie am meere auch zur schirmerin der Schiffahrt wurde, beweist nur wider, dass, wenn andere götter vorzugsweise in rücksiclit auf diese oder jene besonderen gaben und Segnungen, die man von ihnen erhofte, verehrt wurden, die chthonischen gottheiten als die algemeinsten segenspender, von denen alles heil und unheil abhänge, betrachtet wurden.

Bemerkenswert ist die enge beziehung, in welcher die istvaeische hauptgöttin zu dem gesamten leben des menschen, zu dem diessei- tigen ebenso wie zu dem jenseitigen, steht. Sie bewirkt seine geburt, macht seine ehe fruchtbar, begründet so die verwantschaftlichen Ver- hältnisse und die familien- und geschlechtsgemeinschaft, schirmt das leben am häuslichen herde, ernährt den menschen, indem sie den ackerbau segnet, schüzt ihn und sein gut vor den unbilden des mee- res, gewährt ihm so glück und wolstand und nimt endlich sein leben wäder zurück. Der mensch stand diesseits und jenseits unmittelbar unter der gewalt dieser göttin, deren wirken sein gesamtes dasein umfasste.

Die istvaeische hauptgöttin hat somit zwar noch alle züge der mütterlichen erdgottheit, aber ihre tätigkeit ist auf das menschliche leben beschränkt. Sie ist nicht mehr Vegetationsgöttin überhaupt, son- dern waltet nur noch über dem gedeihen der zur ernährung des men- schen dienenden pflauzenwelt, d. h. sie ist erntegöttin. Sie ist nicht göttin der animalischen fruchtbarkeit überhaupt, sondern waltet nur noch über der fruchtbarkeit des menschengeschl echtes, d. h. sie ist zur göttin der ehe und des kinders egens geworden. Ihre aufgäbe als todesgöttin besteht nicht darin, alles lebende animalischer und vege- tativer natur sterben zu lassen, sondern darin, den menschen aus dem reiche des lebens in das des todes überzuführen. Sie ist, um es kurz zu sagen, die mütterliche erdgottheit, insofern als dieselbe freun- din des menschen und seiner kultur ist. Daher muss die ist- vaeische hauptgöttin als eine abspaltung von der alten erdgöttin beti'ach- tet werden.

Weil die istvaeische hauptgöttin über leben und tod zugleich wal- tete, ein finsteres und ein lichtes gesicht hatte, war die eist er, der

HAUPTGÖTTIN DER ISTVAEEN 311

schwarz -weisse vogel, ihr symbol. Unter ihren freundlichen Seiten aber galt die bcziehung zur ehe als die wichtigste; daher trug sie als lichte göttin einen namen, der sie specicll als göttin der ehe bezeich- nete. Die namen Aiwa und Nehalcnnia (Tamfana) deuten auf ihre bei- den hauptfunktionen. Die Römer niusten durch diese göttin, von der sie hörten, dass sie ehe- und todesgöttin zugleich war, an ihre Luna oder Diana erinnert werden. So erklärt es sich, dass Caesar (bell. gall. VI, 21), der nur den westlichsten streifen Germaniens, aus eigener anschauung und durch gallische lierichterstatter, genauer kante, als einzige göttin der Germanen, d. h. als höchste göttin der westlichen Germanen, Luna nent.

Erst nach Caesars zeit kann die differen zierung der istvaeischen hauptgöttin in eine lichte und eine finstere gottheit, eine ehe- und eine todesgöttin , sich volzogen haben. Als diese differenzierung vollendet war, hatte der hauptgott der Istvaeen zwei geniahlinnen, Aiwa und Nelialennia (Tamfana). Auch die nordische mythologie kent diese ehe- und verwantschafts- und diese todesgöttin, aber unter anderen namen. Diese namen werden wir bei der besprechung des istvaeischen haupt- gottes, mit dem sich unsere nächste abhandlung beschäftigen soll, ken- nen lernen. Dabei wird sich weiteres über die erste entstehung der istvaeischen hauptgöttin ergeben.

BRESLAU, DEN G. SEPTEMBER 1890. HUGO JAEKEL.

AAE UND ADLER

Das bisher von den Wörterbüchern nicht richtig dargestelte geschichtliche Verhältnis dieser werte zu einander näher zu entwickeln legt mir M. Heynes bemerkiing in seinem Deutschen wb. s. 1 nahe, „aar sei in die Schriftsprache des 18. Jahrhunderts erst almählich durch die beschäftigung mit dem mhd. aufgekommen". Mein Etym. wb. der deutschen spräche hat nun zwar bei andern werten die abhäugigkeit unseres neueren litteraturdeutsch vom höfischen mittelalter nicht über- sehen, ignoriert aber auch noch in der neuesten gestalt (5. aufl. 1891) jene vermeintliche abhäugigkeit vom mhd. und so scheint es mir ange- zeigt, meine ansieht über aar und adler darzulegen.

Das problem besteht roh formuliert in dem fehlen des Wor- tes aar im frühen nhd., besonders bei Luther und seinem neueren auf- treten in der dichtersprache.

312 KLUGE

Die zweite seite des problems hat jüngst eine anregende bespre- chung erfahren, indem Eichard M. Meyer Die altgerm. poesie, Berlin 1889 s. 192 auf griind eigener beobachtungen eine skizze der geschichte beider werte entwirft. Seine ermitlungen sind diese:

„Unsere klassiker scheinen nur adler zu gebrauchen (DWb. I, 5). Gleim und Kamler kennen nur dies wort und meinen fast stets den adler der mythologie, nicht den der heraldik. Gleim singt: „Dem adler gleich erhebe dich, der in die sonne sieht" (Preuss. kriegsl., neudr. 4 s. 8, 35). Die Scänger der freiheitskriege kennen dagegen sehr wohl den adler des wappens: „Panier, panier, wir sehn dich wallen, du wunderadier schrecklich allen in deinem heiligen glänz" heisst es bei Schenkendorf; das wort aar aber ist auch hier noch selten, fast schüch- tern nähert Körner es durch das epitheton dem synonym: „Durch! edler aar! die wölke muss dir weichen!" .... in unserm Jahrhundert, bei Scherenberg, behauptet sich das wort adler noch immer unverän- dert; aar ist auch bei Scherenberg noch selten; schwerlich ist es vor 1866 populär geworden".

Ich habe Meyers darlegung hier zugezogen, nicht um kritik an ihr zu üben, sondern weil sie zeigt, welche bedeutung die wortgeschicht- liche forschung für Stilistik und poetik haben kann. Ihre lückenhaftig- keit ergibt sich übrigens schon aus dem material, das unsere lexika- lischen hilfsmittel an die band geben.

Schon Meyer konsultiert das Grimmsche wb. Jakob Grimm meint: „Luther sagt nur adeler, Goethe nur adler, Schiller könte aar ge- brauchen".

Was zunächst Luther betrift, so ergibt das Lutherwörterbuch von Dietz die erwünschte bestätigung. Leider fehlt die controlle für Schil- ler und Goethe; doch verweist Wurms wb. 1858 I. band unter adler für aar auf Goethe 41, 40, und er citiert aus Schiller: „und darüber schwebt in hohen kreisen sein geschwinder aar".

Wie dem auch sei, so viel ist sicher, dass in der dichtersprache des 18. Jahrhunderts aar bezeugt ist; Adelung, Campe u. a. eitleren Kamler, Schreiber, Bürger; und Heyne bietet: „Gleim in seinen roman- zen 1756 braucht ein aar, aber erklärt durch ein adler". Wir wer- den bald sehen, dass die anmerkung Gleims höchst überflüssig war; denn dass aar und adler gleichbedeutend, wusste man im 17/18. Jahr- hundert so gut wie heute.

Allerdings sind ältere belege aus den Wörterbüchern nicht zu beschaffen. Der einzige, der einen dichter des 17. Jahrhunderts citiert.

AAR UND ADLER 313

ist Adelung, der mit Opitzens namen folgende werte bietet: „so wie der aar das liuhn, der hecht die gründel frisst". Aber der vers ist bei Opitz nielit zu finden, wie mir mehrere kenner des schlesischen dichters bestätigen. Und so bleibt das 17. Jahrhundert einstweilen ohne beleg. Aber trotzdem ist niclit der geringste anhält dazu vorhanden, mit Heyne für das widerauflebcn des wertes aar das mhd. verantwort- licli zu machen.

In der ganzen zeit von 1500 1750 war aar allerwärts in Deutschland geläufig als zweites glied zahlreicher Zusammensetzungen. Und dies fiiiirt uns noch einmal zu Luther. Während er als simplex nur adeler adler gebraucht, belegt üietz fischaar mit 3. Mos. 11, 13; 5. Mos. 14, 12. Und Nemnichs Polyglotten wb., dessen quel- len nicht sowol die dichtersprache als vielmehr ältere fachlitteratur und die mundarten sind, bietet neben adler noch „fischaar, stockaar, gänsaar, hauaar". Hiervon ist liauaar ohne andre belege in Grimms wb. übernommen. Und so scheint sich von neuem ratlosigkeit zu ergeben. Ist zunächst aus dem vorgeführten klar, dass aar als simplex und als zweites kompositionsglied verschiedene Schicksale gehabt haben muss, so verlohnt es sich nun den Zusammensetzungen Aveiter nach- zugehen.

Nemnich scheint einige seiner Zusammensetzungen, für die son- stige belege noch mangeln, aus Caspar Schwenckfelds Theriotrophaeum Silesiae 1603 genommen zu haben. Dieses vielfach an die schlesische mundart anknüpfende werk bietet s. 187 fgg. fischahr, meusahr, bussahr, rohraar, rohrahr, hasenahr, stockahr, hawahr neben adler, das s. 214 als „quasi adel-ahr" gedeutet wird. Schwenckfelds werk ist dasjenige, in welchem ich die meisten Zusammensetzungen mit aar gefunden habe. Aber damit ist die zahl derselben und das zur Verfügung stehende belegmaterial nicht erschöpft. So verzeichnet Maaler 1561 neben adler noch hünerar und das Schweiz, idiot, das I, 385 für aar keinen litteraturbeleg hat, gibt fisch-, hühner-, stock-, stossaar mit Schweiz, belegen; fischaar begegnet in den Schweiz, bibelversionen genau wie bei Luther; und die deutschen bear- beitungen von Conr. Gessners Vogelbuch haben neben adler in dersel- ben weise fischaar, hüneraar, stossaar. Dazu stimt das von Mar- tin excerpierte Strassburger vogelbuch (Jahrb. für gesch., spr. und litt. Elsass- Lothringens 1888 lY, 54), das neben adler auch stockahr kent. Aus glossaren des 16/17. Jahrhunderts könte ich das material bedeutend vermehren. Der Spate 1691 verzeichnet s. 30 bussahr, fischahr, wannenahr, stossarn; noch Frisch 1741 kent verschiedene

314 KLUGE, AAR UND ADLER

composita, bussaar und wannenaar waren ihm geläufig. Adelung hat gänseaar speciell als obersächsisch.

Auf grund dieser tatsachen stelt sich aar für das frühe nhd. als die compositionsform von ad 1er dar, wozu Wächters angäbe Glos- sarium s. 70. 79 stimmt. Es verdient noch hervorgehoben zu wer- den, dass der bussard in der älteren zeit vorwiegend bussaar mit anlehnung an fischaar, hühneraar heisst; wäre aar ganz imbekant gewesen, so Hesse sich bussaar gar nicht begreifen. Nun erklärt sich auch das neben adler im 16. 18. Jahrhundert bezeugte adelaar. Diese dem mhd. adel-ar genau entsprechende form, die man im nhd. zu erwarten berechtigt ist, wird vom DWb. belegt aus Burkh. Waldis und Herder, von Wurm aus H. Sachs. Nun verstehen wir auch, dass die deutung von adler aus adelaar, die uns vorhin bei Schwenckfeld begegnete, durch die ältere zeit unbefangener, ungelehrter etymologie mehrfach widerkehrt; so 1616 bei Henisch und 1620 bei Helvig Orig. dict. Germ. s. 47, 1691 bei Stieler- (adler quasi adelicher ahr) und 1741 bei Frisch. Und Colerus Oeconom. Kur., Mainz 1656 etymolo- gisiert s. 612 adler ein edler ahr, und damit sind wir angelangt bei der frage: „wann entwickelt sich aus den Zusammensetzungen ein Simplex aar?" Die eben aus Colerus angeführte stelle ist keines wegs das früheste zeugnis. Schwenckfelds Theriotrophaeum Silesiae 1603 bietet schwarzer ahr s. 218. Auch aus glossarien Hesse sich mancherlei anfüln-en. Schon 1558 haben Eber-Peucer Yocabula rei num. adler und aar für aquila, ebenso Zehner 1622 Nomencl. lat- germ. s. 273. Und Matth. Kramers Teutsch-frz. Avörterregister 1715 s. 23 hat adler, ahr.

Von einem poetischen aar ist im 16/17. Jahrhundert nichts zu verspüren. Und solte sich wirkHch noch ein beleg für aar aus dich- tem jener zeit beibringen lassen, so ist man keineswegs berechtigt, darin poetischen Sprachgebrauch zu vermuten. Bisher haben wir ange- nommen, dass das einfache aar nur eine abstraktion aus den Zusam- mensetzungen ist. Wäre es nicht denkbar, dass das mhd. ar bis auf 1550 lebendig gebHeben? In der tat bietet Wurm aus der zweiten hälfte des 15. Jahrhunderts aar in der Nürnberger und Augsburger bibel Jesaias 34. Und damit treten wir dem mittelalter näher. Es scheint mithin, als ob mhd. ar niemals an adler ganz zu gründe gegan- gen ist; aber es kann kein zweifei bestehen, dass es von den Zusam- mensetzungen wie fischaar, hülmeraar usw. neues leben empfieng.

Ob an dieser neubelebung die mundarten anteil haben? Der lexikograph Frisch 1741 macht in seinem Wörterbuch eine bemerkuug.

ERDMANN, ZU DEN AlID. SPRACHDENKJIÄLERN 315

nach der das ndd. in die gescliichte des wertes hineinspielte. Leider bieten die idiotika kein ansreichendes material. Das l'oninierische idio- tikon von Dähnort 1781 verzeichnet nicht nur gase- aar, fhchaar, son- dern auch aar und aarn; möglicherweise beruht aber sein aar auf abstraktion aus den kompositis. Wenigstens scheint am die eigentliche ndd. simplexform zu sein. Wo Luther adler adeler hat, gebrauchen ndd. bibelversionen nach Dietz vielmehr am. Und in den hd. dialek- ton ist aar als simplex ausgestorben; nur noch im Wallis lebt nach dem Schweiz, idiot. das alte aro auch im simplex fort.

JENA, 4. JAN. 1891. F. KLUGE.

zu DEN KLEINEN AHD. SPRACHDENKMÄLEEN.

1) Samaritcrin 2 er ■xeinen hrunnoyi hhaz.

Dass die präposition 'xi in einem deutschen satze mit dem accu- sativ verbunden worden sei, glaube ich nicht. Am allerwenigsten würde ich eine solche Unregelmässigkeit an einer stelle annehmen, wo die Überlieferung die annähme der accusativform kaum gestattet; denn einen als acc. sing, für einan wäre eine im 9. Jahrhundert fast uner- hörte abschwächung, und der acc. des Substantivs lautet wenigstens V. 14 und 16 dieses denkmals brunnan.

Dagegen ist formell unbedenklich, lexicalisch und syntaktisch sehr wol erklärbar der dativ des plural: xeifieri hrimnön = in der Umgebung (oder nähe) eines brunnens. Ich sehe in einer solchen Verwendung des plurals denselben zug der spräche, der bei ausbildung der bekanten Zeitangaben mhd. xe eine^i phmgesten (Iwein 33), zen tvinachten wirksam gewesen ist: das wort im singular passt eigentlich nur für einen bestimten tag, eine gewisse nacht; aber im plural werden einige vorhergehenden oder folgenden Zeitabschnitte mit jenen /usammen- gefasst. Ähnliches kann auch bei Ortsbestimmungen vorkommen, und es fehlt nicht an ahd. beispielen. Otfr. Y, 7, 16. 8, 17, 21 xcn houbiton = zu häupten, d. h. in der Umgebung des (einen!) hauptes. Otfr. II, 14, 1 fuar krist xi then heimingon, wo die dem eigentlichen hei- matlande Galilaea benachbarte landschaft Samaria mit ihr zusammen bezeichnet ist; vom erreichen der heimat (Gralilaea) selbst lieisst es dagegen II, 15, 1 fuar . . xi themo heiminge. III, 15, 36 xen stetin filu lüihen = zur heiligen statte und ihrer Umgebung, während die statte der anbetung allein 11, 14. 60 im singular bezeichnet ist. Auch V, 11, 38 stuant foii then restin kann verglichen werden, da

316 EEDMANN

der erstandene nicht nur die statte, wo er geruht hatte, sondern auch ihre ganze Umgebung verlassen hatte. Hierher gehört auch der wol aus dem dativ plur. gebildete ortsuame (ze) Podilbrunnen Grraff III, 311; sowie ähnliche andere, namentlich wol alle auf -hüseti, -hausen aus- gehenden.

2) Samariterin 28 in thir wigit sein, dax thu mäht [fo7~a- sago sinj.

Die in der ersten ausgäbe der Denkmäler (1864) gemachte und so viel ich sehe von allen folgenden herausgebern aufgenom- mene conjectur wigih beruht auf flüchtiger vergleichung des verses mit den Otfridstellen I, 18, 15. II, 6, 32. IV, 1, 46. 31, 33. In diesen komt ebenfals die Verbindung sci7i wegan vor, aber so con- struiert, dass jene conjectur dadurch nicht begründet, sondern Avider- legt wird. Das verbum ivegan hat auch in dieser Verbindung in welcher allein es bei Otfrid belegt ist die bedeutung: wiegen (intrans.), ein (genügendes) gewicht haben oder geltend machen. Wenn es in dieser Verbindung verwant wird, um den zur annähme oder klaren erkentnis eines satzes hinreichenden grad von Wahrschein- lichkeit oder deutlichkeit zu bezeichnen, so liegt dieser Verwendung dasselbe bild zu gründe, das wir heute anwenden, wenn wir von gewichtigen gründen reden, sein, mhd. schiii ist dabei substan- tivisch = die augenscheinliche, offenbare Sichtbarkeit, und zwar als faktitiver accusativ mit dem sonst intransitiven verbum wegan verbunden 1, indem diese augenscheinlichkeit oder Sichtbarkeit durch eine gewichtige (mit gewichtigen eigenschaften oder gründen versehene) Sache oder handlung erwirkt wird.

In den Otfridstellen bezeichnet das subjectswort (ih, tvir) überall eine oder mehrere personen, die durch das, was sie erfahren oder lei- den, ein gewichtiges, d. h. beweisendes beispiel für die Wahrheit des vorher algemein ausgesprochenen satzes bieten. Also I, 18, 27 harto wegen wir es sein = gar sehr bewirken wir (durch unser gewich- tiges beispiel) die deutliche Sichtbarkeit davon, d. h. das zeigen oder erweisen wir gar deutlich^. Selir ähnlich II, 6, 32. IV, 1,46; an der vierten stelle IV, 31, 33 soso ih ofto sein ivag hätte statt des

1) Auf ähnlicliem wege ist später (erst mhd. belegt) die Verbindung dieses ver- bums mit dem acc. des gewichtsmasses entstanden: er ivae ein löt, f'dnfyJc tüsent marke u. a. Mhd. vpb. 3, 627.

2) Im mhd. ist statt der verlorenen Verbindung schtn tvegen die leichter ver- ständliehe seil hl fiion (auch mit gen.) entwickelt: Hartm. büchl. 1, 1095 der worte ich tuon mit iverhcn sehin u. a. Mhd. wb. 2, 2, 145.

7X PEN ATin. SrRArnni'.XKM.U.KRN ^17

.sYAW obcnt'iils der .'mmi. Uics i;('s('/.t woi'dcn kr»iin('ii, \i;i. .'M'' Ihcs ih üfto f'iutWt.

An dci' stollo iinsoros (hMikninls alx'f ist (his siihji'kt riii siidi- liclu's, iimscliiMchcn diii'cli den nclx-nsaf/ mit da:. Vaw ih würde hier v;\\y niciit in die (■(tiistruktion passen; wul ahcf passf die liliei-liet'erio .'}. siiii;-. K'lijil \()i1i'('tlii'li l'iir <'enstnikti()n und /nsaninieiilian^-. Ms wird ansi;-espr()ciien, dass ^\i'v ani;'eriilirte sat/.inliali dui'cli sein i;(!\vi('lit klare Sichtbarkeit, d. h. klare und sichere üherzeu.^'UiiiL;' von seiner richti^keit herv(M'rnt't : in dir Ix'wirkt klai'c sich f ha rk ei t (d. !i.: wird klar siclithar, ei n I encli t,e n d ), dass i\\\ ein pr(»|)het sein kanst. V]\\\ siichliclier ^cn. rs k('inte hier nicht, iiinzn^cse/t werden, wel al)er etwa, ein pei'S("iidiclier dativ {mir), wie er hei ainler<'n vcü'wendiini^-en i\v<. vei-i)nnis iccjidii namentlich liei Netkcr Norkend (heispiide hei (JraIV 1, (iöii).

.'!) Liulwin'slicd l.'i WOlihr n-är cirdlichün siiiii irithirsdlichoii.

Auch hiei' liat eiiu^ voi'schnelle c<injektnr die spatei'en lierans- i;'el)er /.n iinhedenk Heller nacht'oj^-e verleitet. Der t'iihrer war dii'snia! W. W'ackerna^'el , iU^v in seinem altdeutschen iesehncjie siiiiiH als dat. pl. einse/.te: er weite seinen Widersachern (ilie) Wahrheit saij,en (W'ackernauel im wtirterl)nche: mit i'cflen anseinandi'rset/.en nnd hej^-i'iiii- den). Es wWrv das eine nnt;'eniein milde euphenustische niiischreihnni;' lies räche- uml vernichtnni;skani|)fes, für welche das i;TMlicht selbst kei- nen anhält bietet. Eheiisu wenii;' lässt sich eine ähnliehe ausdriicks- weise in dei' ganzen ahd. littei'atnr nachweisen; denn das ceinpesitnni iiuirrtirhüii . (his in Notkers ahhandlnni;' <lc sijllofjismis (nnd zwar a,l)su- Int, ohne dativ der persmi) znr verdentschunjj,' veii idlioriiKiri ((«i'aft' JI, ;!?;") t'i;'. ; Kelle, philes. knnstausdriicke Nutkers s. 47) <;-el)rancht wird, liisst sich hiermit i^ar nicht vei-ü,ieichen. \\'(»l aber lässt sich mit riick- sicht darauf, dass das subst. rucha für u'erieiitliehe Verantwortung', rochenschaft vorlcenit (Musj). .'!") n-, inclni siiuildii) \\\v das verbum irrdcliuii die hedeutung ansetzen: zur i'echenschaft ziidien oder herausfordern, wozu der überlieferte accusativ sind iriddrsachoii das passende u])jektswürt bildet. Dann ist tcdr indefinites adverb; vgl. Otfr. III, 7, 49 oh i\ trdr ;/ iJ/in (/i(j(l/ , ebenso tcd^ II, 4, 22. IV, 12, 4(S u. a. Dass der ort dei' rechensehaftsabnahme noch unbestinit gelassen wird, passt volkonnnen dazu, dass Ja, erst 44 fg. der künig die gesuchten feinde findet. Ich übersetze also: er tro/fc iiijciuhi-o (d. h. wo es auch immer wäre) sci)te fridcrsdchcr xiir recJicitscInift fordern.

KIEL. OSKAR KKDMANN.

318 I. ZINGERLE

PEEDIGTLITTEEATUE DES 17. JAHEHUNDEETS ^

IL Conrad von Salzburg.

Mir liegt die samlimg vor: „Fidus sakitis monitor, exterius rigans, Deo iiicrementum dante. Das ist: Treuer Hails-Ermahner, so aiißwen- dig begiesset und Gott inwendig wachsen macht. Oder sehr nutzliche, geistreiche und zumahlen mit beliebiger Kürze gemachte Predigen auf alle Sonn- und Feirtag (auch Advent und Fasten) des ganzen Jahrs. Von R. P. Conrado Salisburgensi, gewesten Ministro Provinciale derCapu- ciner Tyrolischer Provintz und Thumbprediger in der Erz- Bisch offlicheu Haubt- Statt Saltzburg. Und jetzt allen zum Nutzen, sonderlich den Predigern und Seelsorgern in Druck veifertigt. Erster Jahrgang auf die Sonntag 1683. Saltzburg, druckts und verlegts Johann Baptist Mayr, Hochfürstl. Hof- und Academischor Buchdrucker und Buchhändler".

Conrads predigten sind erst 'nach dessen tode gedruckt worden. In der vorrede „An den günstigen Leser" wird über den Verfasser (s. 3) gesagt: „Ein solcher fleissiger und getreuer Heils -Ermahner, emb- siger Baumann, unverdroßner Gärtner und Pflantzenbegiesser war auch der Author folgender Predigen, R. P. Conradus Salisburg., ein wolge- lehrter Philosophus, Theologus und nit minder ein berühmter Orator und eifriger Prediger, der auf den voruembsten Canzlen dieser unser Tyrolischen Provintz vil Jahr als Ordinarius ruhmwürdig gepredigt hat, der auch wegen seiner guten Qualitäten und Sitten die vornemsten Aemter der Provinz alle getragen, als Lectoratum Philosophiae et SS. Theologiae, Magisteriiim Novitiorum, Guardianatum, Definitoratum und zweimal das Provincialatum rühmblich verwaltet hat und nach lang und vielfältiger außgestandner Mühe und Arbeit er zu Saltzburg anno 1681 den 28. Mertzen gottseelig entschloffen ist, und weilen nach seinem tode die gedächtnus dessen in selber statt gehaltnen Predigen noch frisch in aller Hertzen wäre, bin ich von Johann Babtista Mayr, Hoff- und Academischen Buchdrucker in Saltzburg ersucht worden, solche

zu drucken ihme zu übergeben Doch erinnere ich den günstigen

leser zwaier Sachen in Ablesung dises werkes (so Foetus posthumus ist und nit für rathsamb erkennt worden , solches ainiges wegs zu ver- ändern), Erstens, daß des wolerfahrnen Prediger Aigenschaft sei, weit- läufiger auf der Cantzel zu reden, als sie es auf dem Papier verzeich- nen. Zum andern diser Ursach halben und auch das Papier (gemeß

1) Fortsetzung zu s. 44 64 dieses baiides.

PREDIGTLITTERATUR DER 17. .TUS. 319

der H. strenii'cn Arinuth) zu spalircii \ hat der Aiithor die eingefierte lateiuisclie Text in die teutsclie Mutter- Sprach iiit beisetzen wollen: Weilen es in Ansehung seiner treflichen guten natürlieiien (jedächtnus uiniöthig war, nachdem er sie in fornialibus lateinisch fleissig gesetzt hatte".

Über unsern prediger meldet das Mortuariuni capucinüru]n -' fol-

gendes :

P. Conrad US Salisburgensis

e lavacro sacro nomine Martinus, a patre (auritabro) cognomine Wirfl appellatus, pio uti'oque parente ibidem 1G28 natus ab eodemque in timore Dni et virtute educatus, a IJeo optima indole, virtutis proclivi- tate nee non ingenii capacitate donatus; (piibus praeclaris spcciminibus permoti pii parcntes filium Mai'tinum stiidiis liberalibus sub optima spe addixerunt, nee fuere decepti. Humaniora studia cum magno ap- plausu et profectu, nee minore laude absolvit philosophica, ut inter primos Philosophiae Baccalaureos et Magistros jure numeratus fuerit. Hunc non mundo datum voluit divinum decretum; nani in säculo ob inatani morura gravitatem, vitae modestiam disciplinatamque vitara jam pi-(tponi(»dum sese religiosum ostendit, spirituque divino intus agente muudana t'astidiens religiosam vitam suspiravit, Franciscum secum norai- uavit. Unde ad capucinos tenera in aetate advolavit, ha,bitumque sacrum exoravit, quam suffragantibus sibi optimae indolis, virtutis quasi innatae ac scientiae notae encomiis de facili impetravit, Schar- dingam ad tyrocinium vitaeque capucinae palaestram destinatus, ibidem 24. sept. 1646 sacra veste donatus, nomine Martini in Conradi nomen mutato. Toto novitiatus tempore ita se gessit ut esset fratribus et saecularibus optimi exempli tantaeque vultus mortificationis ut saecu- lares eaudem in ipso admirati vix in ullo similem conspexisse asseve- rarent. Hinc fratres familiae de facili in solemnem votorum nuncupa- tionem consenserunt, quam deposuit evoluto anno Brimovij. Professus factus specimina virtuosa non mutavit sed potius continuavit, propaga- vit et lucidiora reddidit, quibus jure observatis juvenis Conradus stu- diis speculativis applicatus fuit. Absolutis studiis non tam ad praedi- cationem quam lecturam aptus habebatur. Lector proclamatus suos discipulos et doctrinae pabulo et vitae religiosae exemplo provinciae

1) Noch in neuester zeit gebrauchten Franziskaner und Kapuziner in Tirol eine kleine, kaum leserliche schrift, um papier zu sparen, z. b. P. Fr. X. Nischler und P. Justinian Londurner, der bekaute tirol. geschichtsforscher.

2) Ich verdanke diese mitteilung dem R. P. Cyi-illus Wiesler in Brixen.

320 I. ZINGERLE

idoneos ac proficuos reddidit. Peracto Philosophiae ac Theologiae cursu ob moi'um gravitatem, priidentiam et scientiani guardiaiins Brii- novium depiitatus eidemque ciira pariter Novitionim demandatur, quo in utroque munere talem sese exhibuit, ut in divisione provinciae ad definitoratus dignitatem evectus, E. P. provinciali P. Massaeo Ana- niensi ad comitia generalia abituriente vicarius provinciae constitutus fuerit, et provinciam sibi concreditam magna cum laude interim admi- nistraverit. Quocirca se dignum praestitit ut absoluto P. Massaei pro- vincialatu plurimo voto ad supremum provinciae clavem assumtus, provincialis canonice proclamatus fuerit, quo in munere suae in regnando dexteritatis , prüden tiae, fervoris ac totius regularis observantiae uon obscura edidit argumenta; magnam in dicendo vim et in operantio non minus exhibuit omnibus exemplum, unicumque hoc in votis habuit, quomodo provinciam sibi concreditam non ita pridem divisam ad for- mam et norniam antiquarum traditionum redigeret, uniformitatem sem- per laudabilem induceret. Absolvit suum in munere triennium non absque laudis encomio et provinciae emolumento. Exprovincialis factus non otiosus exstitit, sed magno verborum pondere, Spiritus fervore et animarum fructu ad populum dixit in praecipuis provinciae pulpitis ut Augustae ad S. Crucem et Salisburgi in ecclesia cathedrali, qui unus utrobique desideratus fuisset, si officium provincialatus sibi im- positum id permisisset. De cathedra denuo ad regend am provinciam evocatus priorem observantiae regularis zelum ostendit. Provincialatus officio peracto constituitur vicarius et concionator Ordinarius Salis- burgi; ast febre ex itinere romano, quo abierat provincialis ad comitia generalia, contracta nee radicitus curata, graviter decumbit, quam inge- nuita vel comitata est hydropisis periculosa; tumor omnis per totum corpus ad verticem usque diffusus sublatus quidem fuit; ast super- veniens catarrhus suffocativus febrisque iterato recurrens intra sex die- rum spatium vitae finem imposuit. Quem aqua non submersit, flamma extinxit. Receptis SS. Sacramentis P. Conradus die 28. Mart. 1681 Salisburgi de patria terrestri ad coelestem evocatus est annos natus 53. Conrad ist im vergleiche zu Abraham a S. Clara und Prinzing trocken und ernst; er fabuliert nicht, enthält sich der Wortspiele und witze, prahlt nicht mit der kentnis antiker litteratur und mit reimen. Seine beweise beruhen auf der bibel und kirchenlehre ; sogenante exem- pel (erzählungen) begegnen seltener, öfters Sprichwörter. Einfach und schlicht fliesst seine rede, manchmal aber erhebt er sich zu hochleben- diger, schwunghafter anspräche. Yolkstümlich sind meist seine pre- digten, wie die der heute lebenden kapuziuer. Die jezt noch von die-

PRF.niGTLTTTERATUR DES 17. JHS. 321

sen gebrauchten formelu der anrede begegnen auch hier: Eur Lieb und Andacht s. 10. 21. 27. 42. 80. 87. 98. 123. 126 tgg. Andächtige Zuhörer s. 15. 19. 43. 61. 70. 73. 79. 99. 108. 126. 154. Liebe Zu- hörer 191. Außerwählte Zuhörer s. 53. 101. 135. 143. 235. Vielge- liebte Zuhörer s. 87. 106. 112. 145. 163. 173. 180. Andächtige in Christo s. 88. 233. Außerwählte in Christo s. 190. 211. Vielgeliebte in Christo s. 201. 222. Liebe Christen s. 31. Vielgeliebte Christen s. 144 und ähnliche.

Auch der formelhafte schluss des „Exordiums" lebt noch heute fort, z. b. „;Bereitet eure Hertzen, so fahr ich fort im Nahmen Jesu und Maria" s. 89. „Bitt um Cedult durch die Lieb des Hochheiligen Saeraments" s. 156. „Bereitet eure Hertzen, so fahr ich fort im. Nah- men des Allerhöchsten" s. 203. „sie vernammen* mit Gedult, was bet- ten sey in Christi Nahmen, ich fahre fort durch die Kraft des H. Geists" s. 235. „erkläre ich mit mehrern im Namen Jesu' und Maria" s. 274. „Ich erklärs und probriers im Namen Jesu und Maria" s. 284. „Eur Lieb und Andacht vernemmen die Antwort mit Gedult, ich fahre fort in Kraft deß H. Geist" s. 303. „Ich erklärs noch besser im Namen Jesu und Maria" s. 312. „Andächtige, außerwählte Zuhörer" s. 172. „Ich bitt umb Gedult, erklärs in Kraft deß H. Geists" s. 323. „so fahr ich fort im Namen Jesu und Maria" s. 356. 369 usw. Ab- weichend von diesen üblichen formein ist s. 265 „Also gib ich Eure Lieb und Andacht auf dem silbernen Kinder -Leffeln dise Wort allein zu kosten in nomine Patris et Filii et Spiritus sancti, darbey zu mercken, sicherer ist die Heiligste Dreifaltigkeit demütig zu verehren, als fürwitzig nachgrüblen. Ich erklärs zu Ehren Gott deß Vatters, Sohns und H. Geists".

Das volkstümliche begegnet uns schon im „Summarischen In- halt" z. b. „Mensch mach nicht mehr auß dir, als hinter dir ist". „Gott begehret von uns Christen die Scharwerk auf seine Ankunft". „Für ein Faßnacht -Spiel blinde Mäusel fangen". „Den göttlichen Tau- ben ein Nestel zurichten". „Für wen sein die Beben - Zäher gut". „Es ist gefährlich zu hoch fliegen, denn unser lieber Herr stutzt einem die Federn". „Laß die Leut urtheilen und sagen, was sie wollen, denn Niemand kann jedermann recht thun". „Das Erste und würdigste im Garten ist das Lieb-Stöckel". Hier begegnet uns auch das Wortspiel: „Der Kleider Hoffart ist eine schädliche Hoff- Art", das s. 13 wäder erscheint.

Die Sprichwörter, welche Conrad verwendet, sind folgende:

ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXIV. 21

322 I. ZINGERLE

„Aignes Lob riecht übel". „Jeder soll sich seinen Nachbaii- ren loben lassen" s. 18.

„Es ist nicht aller Nacht Abend". „Überm uth thut kein Gut" s. 24.

„Der Spahrer findet einen Zehrer" s. 46.

„Ein Handwerk ist ein guldener boden" s. 47.

„Edel an Geblüt, edel an Gemüth" s. 47,

„Das Sigill truckt sich lieber in das weiche Wachs, dann in das harte" s. 48.

„Wann zwei Parren an einen Pfluegg gespant sind, ist genug, ain Mann und ain Weib" s. 57.

„Für den Esel gehört ein guter Prigl, damit er nicht stättig werde" s. 61.

„Triff ich auch Schiffleut an, die wissen zu sagen von einer Noth" s. 70.

„Mitten in der Noth hülft der liebe Gott" s. 77.

„Böse Leut machen gute sitten" s. 81.

„Bei feirenden Leuten ist wenig Heiligkeit" s. 105.

„Der Müssiggang thut kein gut" s. 105.

„Und richte den Mantel nach dem Wetter" s. 119.

„Allgemach kombt man auch weit, wie der Welsch sagt, pian pian si va lontan" s. 144.

„Ich liebe den Frieden und wünsche den Frieden und halte den Frieden, aber wie? so lang als mein Nachbaur will, lautet das deut- sche Sprichwort" s. 198.

„Lautet doch das gemeine Sprich -Wort, wann der Himmel ein- fällt, sind die Yögel alle gefangen" s. 229.

„Zween Herrn wollen dienen und auf zwei Achseln tragen, schickt sich nit wol" s. 248.

„Bricht der Zorn aus, bleibt Witz nit zu Haus" s. 302.

„Es ist besser mit gutem Gewissen ein Heller, als mit bösem Gewissen ein Thaler" s. 332. 333. 337. 341.

„Dann wann das Hertz voll ist, davon redet der Mund; voller Mund sagts Hertzen Grund, ist ein altes Sprichwort" s. 374.

„Nichts schimmlet so bald als die Gedächtnus der empfangenen Gutthat" s. 406.

„Es ist noch nicht aller Nacht Abend" s. 408.

„Spottvögel wissen alles zu tadlen" s. 435.

„Der Niemand kann jederman recht thun" s. 436. 445.

„Vil Köpf, vil Sinn" s. 437.

PREniGTLITTERATUR DES 17. JHS. 328

„Gleich ujkI Gleicli f^esellt sich gern" s. 440.

„Man tragt den Krucg so lang zu dem Brunnen, biß er zu letzt Scherm gibt" s. 508.

An die Sprichwörter reihen sich volkstümliche redew eisen, an denen die predigten reich sind. Ich führe folgende an: „Freien Paß wird der Herr geben" s. 6. „Bei unsern ersten Eltern hätt kein Schneider sein Meisterstuck können machen" s. 11. „Ich gibe mein Weib und Kinder nit auf die Fleischbank" s. 29. „Wil mir diser auch nit woll, ich muß den Schmitz aufs Tach singen" s. 30. „Die Falschheit sitzt oft bei dem Bret. Die Gerechtigkeit zieht den kürtzcrn, Betrug hat ein gcAvunnes Spill, die ainfalt kombt zu spatt, der Schalk geht vor" s. 32. „Gib acht auf die Töchter, daß sie nicht verschießen in einen frembden Taubenschlag" s. 47. „Bei Zeiten muß man der Kinder Sitten in einen guten Model gießen" s. 48. „Man muß mit der Jugend umbgehen wie mit einem geschärften Ai" s. 52. „Vil Glück der Braut in dem neuen Orden. Mainst du, du habest den rechten gefunden? Die Haut ist verkauft, wer dem Kürschner seinen Beltz verkauft, hat der Meister Gewalt den erkauften Beltz in die Beitz zu legen und außzustäubern. Yil Glück in Ehestand!" s. 53. „Was hab ich für ein Zanckeisen und Hader-Katz" s. 55. „Will ich sie wohl lehren am Fagott blasen und in Prügl beissen, will ich ihm wohl die Suppen schmaltzen, daß er bald genug hat" s. 55. „Man wurd ihrem Mann mit dem Kolbn übel gezwagen haben" s. 56. „Böß wie der lai- dige Teuffei" s. 57. „ich darf nur das Maul aufthun" s. 63. „Wann der Knecht dem Herrn über das Maul fährt, contradicit und dem Stroh- sack gleich für die Thür wirft" s. 66. „Rechne mit deinem Diener nicht aufs Nägele" s. 67. „wann uns das Wasser ins Maul rinnt" s. 75. „Kunt einer dem andern auß der Brühe heraus helfen" s. 75. „Ungewaschen Manier" s. 81. „Das Wort Gottes achtet er nicht einen Schnipf" s. 84. „Er ist nicht wert, daß ihn die Sonnen anscheine" s. 84. „Von dem schinderischen Zoll-Beutel" s. 85. „Will aber der Yerbainte nicht umbkehren, er wird Gott nicht auß dem Garn gehen" s. 86. „zu einem obre ein, zum andern wieder lassen außfliegen" s, 95. „und findet müssige Leut dastehen, das Maul aufreißen" s. 99. „Der müssig steht und das Maul aufsperrt in Mainung, die bratne Vögel fliegen daher, stultissimus est, der gröste Läpp auf der Welt, mußt laug warten auf die fliegende gebratne Tauben" s. 103. „Immer liegt auf der faulen Haut" s. 104. „Der kein Arbeit vorhanden hat, der muß Grillen fangen, Calender machen. Die bald disem bald jenem eine schelle anhengen: wer ihnen unter Augen kombt, muß ein Feder

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lassen. Der Müssiggaiig brütet Lout aus, die gern auf ungekehrter Bank aufräumen" s. 106. „Der ärmste Tropf" s. 110. „0 armer Tropf" s. 114. 126. „ein elender Tropf" s. 119. „Warum laßt ihm das Recht ein wächsene Nasen trähen?" s. 115. „Oder sein Güter hab durch die Gurgel gejagt und auf die Kragen-Wäsch zu viel spendiert" s. 119. „Damit er (der Leib) sich desto williger in den Karn wiederum spannen lasse" . . . Jetzt kann ich meine Grillen außlassen, jetzt darf ich auch Beschaid thun, daß mir die Augen übergehen, jetzt wol- len wir die Stuben zum Fenster auswerfen, jetzt gessen und trunken, so lang Gott Zeit und der "Wirt zu trinken gibt" s. 121. „Da braucht es viel Pfimd Saufen, den Ruß abzubutzen" s. 123. „Christus werde drein platzen wie der Kaintz in die Nüß" s. 126. „Wann schon etlich Wochen kein Schwein ener Schunken auf der Tafel ligt oder kein gebrat- ner Yogel für das Maul fliegt" s. 133. „jenen hohen Berg, den wir steigen müssen, obs zwar schnauffen kost" s. 140. „Er weiß, wie viel Seelen ihm aus dem Garn gehen" 's. 149. „Blaset mir alle Strick und Schlösser auf" s. 149. „Das will Matthäi am letzten sein" s. 149. „Also wird die heilige Beicht auf die lange Bank geschoben" s. 150. „verduschen wollen" s. 152. „Er spart von dem Maul" s. 159. „Je mehr er zaplet, je ärmer wird er" s. 160. „es lauft was über das Leberle" s. 167. „verächtlicher als ein Fußhader" s. 183. „Die ewige Weißheit stoßt ihnen die Nasen in die Schrift diesem verstopft der H. Apostel das Maul" s. 185. „Ich begehr wider keinen die Leder- feil zu brauchen, ich begehr nit zu zanken" s. 195. „stinkende Bock" s. 203. „stinkende Geißböck" s. 204. „ob der Willen stützig ist" s. 204. „Von diser geistlichen Schnabelwind wird die Seel erquickt" s. 208. unglirn ige Köpf " s. 211. „ein alter Dätl" s. 214. „sie haben ihm Feuerflammen durch ein Pfeiffei zugeblasen" s. 260. „Er hat das rechte Heft in Händen" s. 265. „mir wässern die Zahn nit nach dem Paradies -Äpfel" s. 270. „Ein anderer reißt dem H. Ertz- Engel Michael auch kein Feder aus den Flügeln" s. 278: „Diesen Leuten wird das Wasser in's Maul rinnen" s. 291. „Liebseeliges Brot" s. 292. „wie viel saure Brocken muß er schlicken" s. 295. „Dieser Fatzmann" s. 297. „vexier einen schifrigen Kopf, leg ihm einen Prigi under die Fuß, wirf mit einem schelchen Wort zu" s. 302. „Samuel greift den Schmeer- bauch Achaz an" s. 304. „sondern weil er mir auch hat einmahl ein Laß gestochen, weil mir sein Wolfahrt ohne daß ein Spieß in den Au- gen ist, weil ich seiner sonst nit mag, weil ich ihm sonst nit zukom, ich wünsche ihm den rothen Haan aufs Tach, den schwarzen Höllhund auf den Hals, Hagel und Rißl auf seinen Acker, Gift und Gall in die

PREDIGTLITTERATUR DES 17. JHS. 325

Speiß, allen Unstern in das Haus" s. 305. „Dem sitzt ein unruhiger Käfer auf die Nasen, potz tausend Sacrament" s. 308. „Es möclit Matthäi am lesten sein" s. 312. „wurd ihm nicht ein Härl verruckt" s. 316. Diser (Habacuc) hat ein Mus kocht und Brod in ein Schissel brockt" s. 316. „AVie sich die Teuffei mit aufgespertem Rachen auf dein arme Seel spitzen" s. 319. „Ich main, der Dropf ist noch über- scheinig" s. 321. „Ein jeder wil Han im Korb allein seyn" s. 359. „Der Hoff artige maint, er hab allein Hirn in der Taschen, sonst nie- mand" s. 359. „Traumet nit auch manchen Straßgüttl, der Tag und Nacht im Lueder lebt" s. 327. „Der so vil ungerechtes Gut zusameu rasplet" s. 327. „umb die Haderlumpen raißt man sich nit, umb das schimplete Stückl Brot streit man nit, umb die ungeschmaltzen AVasser- Suppeu des Armen faßt man kein Neid", s. 333. „aber da mein Straß- gütl vom Dienst wii'd gestossen und erst wil nur mit anderer Leut Schaden ihm ein Fickmihl bauen, daß er noch zu leben hab" s. 340. „Der himmlische Yatter als der Bau -Mann, der Weinzürl, hat einen grossen Weinberg zugericht" s. 343. „wie dise höllische Badstuben gehitzt sey" 350. „ihr seht die gelegte Maschen, die Fall-Stricke vor der Nasen nit" s. 358. „so liebt der Mensch doch seines Gleichen, Spilgurgl den Spillumpen, ein Schwärmer seinen Zechbruder, ein arg- listiger Fuchs den andern" s. 358. „Ein jeder wil Han im Korb allein sein" „er höre das Gras allein wachsen, meint, er hab allein Hirn in der Taschen" s. 259. „was er redt, hat Hand und Fuß" s. 359. „er ist nit zufriden, daß man das Hütl rucket" s. 358. „Er knackt hin- der dem Ofen" s. 361. „Es fliegen solche tolle Hansen in der "Welt um" s. 362. „zulest blatzt er mitten ins Kott" s. 363. „sie spih- len den Haintzl mit ihm" s. 365. „Ein so toller Hans ist gewest der Lucifer" . . „gelt unser Herr hat ihm die Federn gestutzt" s. 363. „Der stumme Dropf" s. 367. „er ist halt ein Statzger ge- west, hat nit zwei oder drei Wort können heraus lälitzen" s. 368. „vil Menschen haben ein gutes Redhaus" „da sie billich sollten das Maul aufthun" s. 369. „wann wir uns gegen einander weiten stellen wie die Holtz-Böck, einer dem andern nicht Red und Ant- wort geben" s. 371. „Der böse Feind steckt in einem Egg, spitzt die Ohren imd hört fleißig zu, wie vil Regal -Bögen wird er bei einem Kuppel- Gespräch überschreiben!" s. 376. „Da ihm der Wein ins Hii-n gerochen" s. 378. „Meine Colosser plodert nicht gleich herauß, was euch ins Maul kombt" s. 379. „Und eben dise Lecken hängt uns noch an" „daß mancher so viel Stroh im Hirn hat, was man nit hinein pleut oder greint, wil er nit fassen" s. 387. „Diser Zundel stecket

326 I. ZINGERLE

in dem Adams -Balg" s. 389. „Dem Saul ist schon das Grün in den Augen umbgangen und das Herz gezittert" s. 404. „Last ihn nun schwimmen, biß ihm das Wasser in das Maul rinnet" s. 405. „ja wohl, ein anderer schleckt die Finger darnach" s. 406. „Bei diesen schätzen hat sich der Cyrus grasen köndten" s. 411. „aber alle seind auß dem Häusel kommen" s. 420. „Warum kommt uns diese Zeitung so span- nisch vor?" s. 424. „Es wird niemahl den Spott- Vögeln Avohl Aveher thun, wann der böse Feind sie wird rupfen" s. 445. „Auß den Ver- dambten nemb sich ein jeder selber bei der Nasen " s. 470. „Wann uns der H. Petrus die Himmels -Porten vor der Nasen zuschlagt" s. 478. „Herr, du hast in deiner Apotheken das kräftige Aqua vitae" s. 481. „Die Sara wainet ihr die Augen aus dem Kopf" s. 487. „verschlentze die edle zeit nit im Müssiggang " s. 493. „Er steht da wie der But- ter an der Sonnen" s. 494. „Dem vollen Zapfen Baccho" s. 505. „es peglet und krachet einer bald von der Wiegen biß in das Grab" s. 509. „es lernt zwar der deutsche Mich'el etliche Lateinische Wort nachzu- mahlen" s. 517 und viele andere.

Hieran reihe ich volkstümliche alliterierende formein, z. b. „Bergl und Bichel" s. 31. „braten und peinigen" s. 169. „grünen und grauen" s. 178. „nit gar zu faist und nit gar zu feicht" s. 208. „Haus und Hof" s. 216. „brinnet und brennet" s. 257. „ziglen und erziechen" s. 267. „Schnattern und Geschrei" s. 277. „getruckt und getrungen" s. 292. „plenglen, bitten und predigen" s. 318. „singen und sagen" 358. „reden und reiten" s. 359. „Geld und Gut" s. 365. „Lenken, leiten und regieren" s. 464. „schinden und schaben" s. 486. „Der bettet und bittet" s. 492. „Fisch und Vögel" s. 501. „Die Präck oder Bildnus" s. 502.

Volkstümlich ist es auch, wenn er in der 44. predigt s. 448 fgg. bei der behaudlung des themas: „Diliges Dominum Deum tuum ex toto corde tuo" die aufschrift gibt: „Das erste und würdigste im Gar- ton ist das Liebstöckl" und die Liebe zu Gott das Lieb - Stöckel ^ wie- derholt nent . .

Um den „auserwählten zuhörern" gerechter zu werden, gebraucht der prediger manchmal, doch selten, mode Wörter: „kein Allemodi" s. 13. „in consideration " s. 48. „in disem Tono" s. 76. „zu Paris hab ein Hochadelicher Cavalier sich verheiratet mit einer edlen schö- nen Donna, den Ehrentag stellt er an in der Faßnacht über die Mas- sen pomposisch, als wärs ein Königliche Festinen" s. 123. „meldet

1) Liebstöckl = ligusticum.

PREDIGTLITTERATUR DES 17. JHS. 327

sich ein Mascarata an, ein Umbschantz zu schlagen". „Den Mas- cara Platz zu machen", „zu avisirn" s. 124. „avisirt" s. 181. „ein solchen Gast zu losiorn" s. 246. „in ein Compagnia" s. 260. „bei disem Fanget" s. 273. 275. „ein königliches Fanget" s. 837. „Panquet" s. 466. 518. „Banquet" s. 476. „Das unordentliche Fancketieren " s. 509. „Das Tracament" s. 273. „regalirt" s. 277. „ein grosser Despect!" s. 279. Circumferens " s. 280. „mit grossem comitat" „ich hab allen contento" s. 293. „Das contrafet" s. 307. „jenes Himm- lischen Oculisten" s. 321. „ein stattUchers Confect" s. 324. „zu traf- ficiren" s. 330. „Die Angstläuß tribulirn ihn" s. 338. „Des Fhariseers plodrament" s. 354. „man kan ihn nit genug respectiren" s. 360. „Die große Focal und Weingläser" s. 421. „Das Fatzilet" s. 432. „Daß er in Malora geht" s. 473. „wegen seiner Fartiten, die er gespilt". „(inad und Ferdon" s. 490.

Keime gebraucht er höchst selten. Es finden sich nur: „Daher sterben sie auch elendig dahin und wird jener reim war: Auf kein gewissers Wildprätt der Teufel wart, Als wann ein Geitzhals von dannen fahrt" s. 115. „Wer du bist, ich zuvor auch war, Jetzt hab ich weder Haut noch Haar, Was ich bin, du bald auch werdest sein. Ein stinkend Aas und Todtenbein" s. 433. Öfters werden lateinische poeten vorgeführt. Z. b. „Tragt manniche Ferson all ihr vermögen an dem Leib. Quis pudor est cen- sus corpore ferre suos?" singt jener poet s. 14 „ü^fobilis equus umbrä virgae regitur" s. 49. „Der Baptista Mantuanus singt: Calcar erit segni, pigros rubigine sensus Otia corrodunt, sopitaque pectora torpor Noxius obliquat ferrum, si transit in usus, Assiduo splendore micat vultuque niteuti adet ad argenti decus aspirare superbum, At si longa quies jecit, fuscatur et atram Vertitur in scabiem, celerique absumitur aevo. Und wie singt Ovid. lib. I. De Fonto 6:

Cernis ut ignavum corrumpant otia corpus, Ut capiant vitium ni moveantur^ aquae" s. 105, Wie der poet singt: „Sic volo sie jubeo, sit pro ratione volun- tas" s. 204.

1) im druck: moveamui-.

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I. ZINÖEKLK

„Der Poet lobet überaiiß den Weinberg wegen dieser Frucht: Yinea terrarum jDars optima, ruris ocellus, Autumni prima es gloria, primus honor. Coelum te dicam, nam quot coelo astra refulgent, Tot nitidis astris aemiila poma tenes" s. 342. „Navita de ventis, de bobiis narrat orator^" s. 372 „Der poet singt zwar:

0 cives, cives quaerenda peciinia primura, Yirtus j)Ost nummos" s. 421. ,,Sogar die Heiden, namen dieß in acht und pflegten zu sagen: Dii laneos habent pedes, sed ferreas manus" s. 495. „Nee Yeneris nee tu vini rapiaris amore,

uno namque modo vina Yenusque nocent, ut Yenus enervat vires, si copia Bacchi attenuat gressus debilitatque pedes" s. 509

und der spruch:

„Frustra Medicus curat, Si causam morbi ignorat" s. 510. S. 115 stehen die verse:

„Ergo sollicitae tu causa pecunia vitae es. Per te immaturum mortis adimus iter. Tu vitiis hominum crudelia pabula praebes, Semina curarum de capite orta tuo. singt der Prophet lib. 3. Eleg. 6". Der druckfehler prophet für poet erinnert an s. 103, wo bei dem exempel vom ägyptischen könig Ama- sis Heroldus lib. 2 statt Herodotus als gewährsmann genant wird.

Für den volktümlichen stil des predigers sprechen auch die oft gebrauchten Verkleinerungswörter, z. b. „Schäfel" s. 43. 204. 205. 209. 357. 439. „Bürschl" s. 49. „Junkerle" s. 49. „Schiffel" s. 71. 255. 556 usw. „Schifflein" s. 73. „Mäusel" s. 119. 120. „Süppel" s. 126. „Häußel" s. 152. „Häußl" s. 268. „Stäubl" s. 152. „Gna- den-Kenglein" s. 154. „Weibel" s. 168. „Bübel" s. 175. „Ruhe- BettPs. 180. „Erdwürml" s. 182. „Aederle" s. 183. „Süppel" s. 187. „Stäudl" s. 188. 250. „Jährl" s. 218. „Windl" (sanfter wind) s. 226. „Büchl" s. 226. „Nöstl" (nest) s. 247. „Nestl" s. 252. „Schnäbele" s. 258. „Pfeiffei" s. 260. „Löffele" s. 264. „Wörtl" s. 266. „Brünn-

1) Lies: arator. P. Conrad umschreibt die stelle: „Es darff der Schiifman wol von seinem Rueder, der Baursmao von dem Pflueg, der Schreiner von der Hobel- bank, der Goldschmid vom Silber, der Schuster von dem Laist, der Kauffmann von seinen Wahi'en reden".

PEEDIGTLITTERATUB DES 17. JHS.

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leins" s. 292. „Völkel" s. 292. 293. „Yölkl" s. 310. „Müthel" s. 299. „Stückl" s. 311. 333. „Härl" s. 316. „Länimel" s. 316. „Sterbstündl" s. 317. 467. „Bäiimr' s. 321. „Färbl" s. 336. „Gütl"s.337. „Räuschl" s. 339. „Kräutl" s. 344. „Kcbenstüekl'' s. 346. „Ruhe- B(>thel" s. 346. „Gesichtl" s. 390. „GlöckeP' s. 407. „Sühnl" s.425. „Bübcl" s.437. „Lämbl" s. 466. „Mütteri" s. 479. „Speißl" s. 480. Junkerl" s. 485. 486. „Sig-Kräntzlein" s. 485 und viele andere.

Wenn unser prediger die erzählungon, welche als aufmunternde oder abschreckende exempla dienen sollen, der bibel, legende und auch den alten röm. schrifstellern entlehnt, bcnüzt er dennoch unsere volks- tümlichen anekdoten mid sagen. Salomon und Markolf streift er s. 51: „Ehe das Kind erstarret, muß die Zucht gebraucht werden. Und so lang Tobias der alte gelebt, hat er dem jungen geprediget; dann sei die Gewonheit so stark immer als wolle, die Natur bricht bisweilen vor, wie man sagt von Salomone und Mai'colpho. Jener richtet ein junges Kätzel ab, das dem Herrn zum studiren das Liecht sarabt den Leuch- ter halten müssen. Marcolphus bracht ein Maus daher. Wie das Kätzl die Maus ersihet, laßt [es] den Leuchter fallen und lauft der Maus nach. Das thut die Natur".

S. 338 fgg. erzählt uns der prediger die anekdote, die Hage- dorns gedieht „Johann der Seifensieder" zum gemeingute gemacht hat: „Wie vil ruhiger und frölicher ist ein Armer mit seinem Bettelsack oder mit seinem täglichen Brodt, der jenige Schmidt hats erfahren, welcher alle Tag von frühe an biß in die Nacht härtiglich gearbeitet, beineben mit seinem Knecht gelacht, geschwätzt und ein Liedl gesungen. Gegen- über wohnte ein vornemer Herr, dem kam seltzam vor, daß der arme Handwerker in seiner Schmitten bei dem Ampoß, bei dem Feuer, im Staub und Schwaiß bei der schwären Arbeit ein weil eins pfeifft, ein weil lacht, ein weil eins singt, als war er in einem Preuhaus, herent- gegen der Herr Gelts genug hat, bei der Welt in grossen Ehren war, doch nie frölich, vil weniger zum Lachen oder Spaß geneigt war. Der Herr kundts uit fassen, in Bedenck, der Selimid führet den schwären Hammer, ich die ringe feder, er bei der kalten Küchel, ich bei mei- ner Mahlzeit, geht von freien Stucken in die Schmitten, fragt wies doch möglich, daß er so lustig sei bei dem Ampoß. Der Schmid gibt ein kurtze Antwort und singt bald Avider ein Gsätzl drein. Der Herr wolt die ürsach wissen seiner Frölichkeit, zu letzt sagt der Schmid: Mein Herr, ich hab nichts zu sorgen, als meine Arbeit: wanns fertig ist, hab ich meinen Lohn darumb, am Feirtag trink ich mir ein klei- nes Räuschel an, im übrigen laß ich gut Vögele walten, unser lieber

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„Der Poet lobet überauß den Weinberg wegen dieser Frucht:

Tinea terrarum pars optima, ruris ocellus,

Autumni prima es gloria, primns honor.

Coeliim te dicam, nam quot coelo astra refulgent,

Tot nitidis astris aemula poma tenes" s. 342.

„Navita de ventis, de bobus narrat orator^" s. 372

„Der poet singt zwar:

0 cives, cives quaerenda pecunia primum,

Yirtus i^ost nummos" s. 421.

,,Sogar die Heiden namen dieß in acht und pflegten zu sagen:

Dii laneos habent pedes, sed ferreas manus" s. 495.

„Nee Veneris nee tu vini rapiaris amore,

uno namque modo vina Venusque nocent,

ut Venus enervat vires, si copia Bacchi

attenuat gressus debilitatque pedes" s. 509

und der sprach:

„Frustra Medicus curat,

Si causam morbi ignorat" s. 510. S. 115 stehen die verse:

„Ergo sollicitae tu causa pecunia vitae es. Per te immaturum mortis adimus iter. Tu vitiis hominum crudelia pabula praebes, Semina curarum de capite orta tuo. singt der Prophet lib. 3. Eleg. 6". Der druckfehler prophet für poet erinnert an s. 103, wo bei dem exempel vom ägyptisclien könig Ama- sis Heroldus lib. 2 statt Herodotus als gewährsmann genant wird.

Für den volktümlichen stil des predigers sprechen auch die oft gebrauchten Verkleinerungswörter, z. b. „Schäfel" s. 43. 204. 205. 209. 357. 439. „Bürschl" s. 49. „Junkerle" s. 49. „Schiftel" s. 71. 255. 556 usw. „Schifflein" s. 73. „Mäusel" s. 119. 120. „Süppel" s. 126. „Häußel" s. 152. „Häußl" s. 268. „Stäubl" s. 152. „Gna- den-Renglein" s. 154. „Weibel" s. 168. „Biibel" s. 175. „Ruhe- Bettl"s. 180. „Erdwürml" s. 182. „Aederle" s. 183. „Süppel" s. 187. „Stäudl" s. 188. 250. „Jährl" s. 218. „Windl" (sanfter wind) s. 226. „Büchl" s. 226. „Nöstl" (nest) s. 247. „Nestl" s. 252. „Schnäbele" s. 258. „Pfeifeel" s. 260. „Löffele" s. 264. „Wörtl" s. 266. „Brünn-

1) Lies: arator. P. Conrad umschreibt die stelle: „Es darff der Schiffman wol von seinem Rueder, der Baursman von dem Pflueg, der Schreiner von der Hobel- bank, der Goldschmid vom Silber, der Schuster von dem Laist, der Kauffmann von seinen Wahren reden".

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leins" s. 292. „Völkel" s. 292. 293. „Yölkl" s. 310. „Müthel" s. 299. „Stückl" s. 311. 333. „Härl" s. 316. „Lämmel" s. 316. „Sterbstündl" s. 317. 467. „Bäuml" s. 321. „Färbl" s. 336. „Gütl"s.337. „Räuschl" s. 339. „Kräutl" s. 344. „Rebcnstöckl" s. 346. „Ruhc-Bethel" s. 346. „Gesicht!" s. 390. „Glöckel" s. 407. „Sölinl" s. 425. „Bübel" s. 437. „Lämbl" s. 466. „Mütteii" s. 479. „Speißl" s.480. „Jimkerl" s. 485. 486. „Sig-Kräntzlein" s. 485 und viele andere.

Wenn unser prediger die erzählungen, welche als aufmunternde oder abschreckende exempla dienen sollen, der bibel, legende und auch den alten röm. schrifstellern entlehnt, benüzt er dennoch unsere volks- tümlichen anekdoten und sagen. Salomon und Markolf streift er s. 51: „Ehe das Kind erstarret, muß die Zucht gebraucht werden. Und so lang Tobias der alte gelebt, hat er dem jungen geprediget; dann sei die Gewonheit so stark immer als wolle, die Natur bricht bisweilen vor, wie man sagt von Salomone und Marcolpho. Jener richtet ein junges Kätzel ab, das dem Herrn zum studiren das Liecht sambt den Leuch- ter halten müssen. Marcolphus bracht ein Maus daher. Wie das Kätzl die Maus ersihet, laßt [es] den Leuchter fallen und lauft der Maus nach. Das thut die Natur".

S. 338 fgg. erzählt uns der prediger die anekdote, die Hage- dorns gedieht „Johann der Seifensieder" zum gemeingute gemacht hat: „Wie vil ruhiger und frölicher ist ein Armer mit seinem Bettelsack oder mit seinem täglichen Brodt, der jenige Schmidt hats erfahren, welcher alle Tag von frühe an biß in die Nacht härtiglich gearbeitet, beineben mit seinem Knecht gelacht, geschwätzt und ein Liedl gesungen. Gegen- über wohnte ein vornemer Herr, dem kam seltzam vor, daß der arme Handwerker in seiner Schmitten bei dem Ampoß, bei dem Feuer, im Staub und Schwaiß bei der schwären Arbeit ein weil eins pfeifft, ein weil lacht, ein weil eins singt, als war er in einem Preuhaus, herent- gegen der Herr Gelts genug hat, bei der Welt in grossen Ehren war, doch nie frölich, vil weniger zum Lachen oder Spaß geneigt war. Der Herr kundts nit fassen, in Bedenck, der Schmid führet den schwären Hammer, ich die ringe feder, er bei der kalten Küchel, ich bei mei- ner Mahlzeit, geht von freien Stucken in die Schmitten, fragt wies doch möglich, daß er so lustig sei bei dem Ampoß. Der Schmid gibt ein kurtze Antwort und singt bald wider ein Gsätzl drein. Der Herr wolt die ürsach wissen seiner Frölichkeit, zu letzt sagt der Schmid: Mein Herr, ich hab nichts zu sorgen, als meine Arbeit: wanns fertig ist, hab ich meinen Lohn darumb, am Feirtag trink ich mir ein klei- nes Räuschel an, im übrigen laß ich gut Yögele Avalten, unser lieber

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I. ZINGERLE

Herr ist ein guter Mann, ich hab keine Gütter zu vermehren und fast keine zu verlieren, ich furcht weder Soldaten, weder Brenner, weder Rauber, mein Brodt ist vor den Mäusen sicher, mein Gelt vor Schiff- bruch und Feuerbrunst, mein Weib spinnet und ich bleib in der Schmitten, darvon leben wir. Der Eeiche haltet ihm Widerpart und fragt, ob dann ein fröliches Hertz bei den Reichtliumben nicht auch zu finden. Der Schraid sagt von nain, und wann er schon lacht, es geht nit allzeit von Hertzen, dann ein Reicher steckt so voll Angst und Sorg, wie der Hund voller Fleh, der Käß voller Wurm. Diser Herr mit diser Antwort nimbt Urlaub, des andern Tag sucht er den Schmid wider heimb und weil der Meister zum ombsigisten in der Ar- beit, laßt der Herr einen Beutel voll Geld under die Banck fallen, daß niemand vermerkt, und geht wider nach Haus. In der Früe findet mein Schmid den Säckel voller güldenen Fuchsen, erschröckt, denkt hin und her, wo doch der Bettl das Geld herführt, mein ists nit, das weiß ich wol, der Niemand hats auch nit herein geworffen, er fragt das Weib um Rath, was mit dem Geld zu thun, hats villeicht einer auf unkehr- ter Banck gefunden und bei mir versteckt, wanns aufmährig wurd, müst ichs gethan haben, ich wolt ich hätts nie gesehen. Dem Schmid wird angst und bang, der Schmid pfeifft nit mehr, lacht nit mehr, singt nit mehr etlich Tag an einander. Der Herr geht abermahl in die Werkstadt, fragt, mein Meister, wie so traurig und melancholisch? ey, sagt er, es ist mir nit reciit, ich Aveiß nit ists mein Schad oder Nutz, ist mir ein Glück oder Unglück zugestanden? Und ich bin eben in ein Unglück geratlien, einen gantzen Beutel vol Ducaten hab ich verloh- ren. Und eben disen Beutel oder deßgleichen hab ich, sagt der Schmid, in meiner Werkstadt gefunden, hab mir von Hertzen darbei geforchten und betrübt, stellt dem Herrn das Geld zu und fangt wider an zu sin- gen, zu feilen, zu pfeiften wie zuvor. Sehet das Geld macht so vil Sorgen und Kümmernussen , bei dem Geld von Hertzen frölich sein ist schier unmöglich, aber wol bei der Armut".

Die oft erzählte novelle Der nackte König" ^ begegnet uns s. 364 fg.: „Ein solcher toller Hanß muß gewesen sein jener Ty- ran, von welchem S. Ant. Ertzbischoff zu Florentz a. p. sunimae tit. 3 c. 2 § 4 schreibt, diser hochmüthige Potentat Jovimorins mit Namen höret oft in der Kirchen singen dispersit superbos monte cordis sui, deposuit potentes de sede et exaltavit humiles, befilcht den Geistlichen

1) Vgl. GA III, 413 423 (litteratur dazu III, CXV CXX); Die poetischen evzählungen des Herrand von Wildonie, herausgegeben von dr. L. Kummer ("Wien 1880) s. 148 167; Gering, Isl. jcvent. nr. 42.

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dise Yers. auß dem Magnificat als liigenhafte Wort außzulesclien, möcht einen sehen, der mich absetzen kann. Steht nit lang an, der Fürst geht ins Bad von seinen Hoff- Herrn und Dienern beglaitet. Weil er im Bad, erscheint ein Engl des Herrn in Gestalt dises Fürsten gleich, als gieng er nackent wider auß dem Bad: Jederman hat geschwöret, diser ist unser gnädigster Fürst, ziechen ihm die Kleider an und beglai- ten ihn in den Pallast in die Statt. Wie der Tyran außgebadet, rufft er seinen Dienern, keiner ist bei der stell, sucht die Kleider, nichts vorhanden als etliche Haderlumpen. Der Tyrann ergrimmet, bedeckt sich ein wenig, doch halb nackent geht in die Statt, fragt den Thor- wärtl umb seine Pagqi, Lagai und andere Diener, beklagt sich wegen so grossen Despect, daß ihn allein im Bad sitzen lassen und nit auf- warten. Die Thorwcärtl halten disen für einen Lappen, er ist unsin- nig, darumb gibt er sich für unser Herrschaft auß, unser Fürst ist längst anß dem Bad. Der Tyrann verwundert sich noch mehr, geht nach Hoif, wie er von etlichen vornemen Herren verstanden, dass der Fürst selbiger Statt in dem Pallast sich befinde, dass er sich als ein aberwitziger Mensch sol fort backen, ehe man ihm hinauß leichte, sagt er: Quid est quod dicitis, non cognoscitis me Dominum vestrum? qui egressus paulo ante de civitate ivi ad balnea? Ich bin ja eur Herr, ihr seid meine Diener, diß ist mein Hofstad. Man zaigts dem Herrn, als dem verstalten H. Engel an, diser zu mehrern Demuth des Tyrannen ruefft ihn also ungestalt in einem Bettler -Kit! vor sich. Je mehr der Türann protestiert und sich für einen Herrn auß gibt, je mehr lacht die ganze Hofstad darüber, sie spihlen den Haintzl mit ihm, wie mit einem Lappen, zu lest führt ihn der Engl in ein beson- ders Gemach, verweißt ihm die Hoffart und außgestossene Reden, als war kein Stärkerer zu finden, der ihn köndt demütigen. Siebest du, wie leicht Gott dich zu Boden geworffen und als einen Lappen jeder- mann zum Gespött preiß geben. Also ist der Engel verschwunden, der Tyrann legt seine Kleider an, wird von seinen Officiren als ihr Fürst angenommen und erzehlt ihnen selber den Verlauff „omnis, qui se exal- tat, humiliabitur, gelt der Herr kan einem die Federn stutzen?"

Die bekante sage von kaiser Karl und dessen gerechtigkeit gegen alle kläger, welche A. F. Langbein, ohne Karl zu nennen, im gedichte „Das blinde ross" (Neueste gedichte 1815, s. 77) und K. Simrock in den Rheinsagen (Bonn 1841) s. 385 unter dem titel „Das pferd als kläger" behandelt hat\ findet sich hier in folgender weise erzählt:

1) Simrock überträgt sie auf könig Harl, den ahnherrn der Harhingen. An- statt des pferdes tritt schon im mittelalter eine schlänge als klägerin auf. Eine mhd.

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Herr ist ein guter Mann, ich bab keine Grütter zu vermehren und fast keine zu verlieren, ich furcht weder Soldaten, weder Brenner, weder Rauber, mein Brodt ist vor den Mäusen sicher, mein Gelt vor Schiff- bruch und Feuerbrunst, mein Weib spinnet und ich bleib in der Schmitten, darvon leben wir. Der Reiche haltet ihm Widerpart und fragt, ob dann ein fröliches Hertz bei den Reichthumben nicht auch zu finden. Der Schmid sagt von nain, und wann er schon lacht, es geht nit allzeit von Hertzen, dann ein Reicher steckt so voll Angst und Sorg, Avie der Hund voller Fleh, der Käß voller Wurm. Diser Herr mit diser Antwort nimbt Urlaub, des andern Tag sucht er den Schmid wider heimb und weil der Meister zum embsigisten in der Ar- beit, laßt der Herr einen Beutel voll Geld under die Banck fallen, daß niemand vermerkt, und geht wider nach Haus. In der Früe findet mein Schmid den Säckel voller güldenen Fuchsen, erschröckt, denkt hin und her, wo doch der Bettl das Geld herführt, mein ists nit, das weiß ich wol, der Niemand hats auch nit herein geworffen, er fragt das Weib um Rath, was mit dem Geld zu thun, hats villeicht einer auf unkehr- ter Banck gefunden und bei mir versteckt, wanns aufmährig wurd, müst ichs gethan haben, ich wolt ich hätts nie gesehen. Dem Schmid wird angst und bang, der Schmid pfeifft nit mehr, lacht nit mehr, singt nit mehr etlich Tag an einander. Der Herr geht abermahl in die Werkstadt, fragt, mein Meister, wie so traurig und melancholisch? ey, sagt er, es ist mir nit recht, ich weiß nit ists mein Schad oder Nutz, ist mir ein Glück oder Unglück zugestanden? Und ich bin eben in ein Unglück gerathen, einen gantzen Beutel vol Ducaten hab ich verloh- ren. Und eben disen Beutel oder deßgleichen hab ich, sagt der Schmid, in meiner Werkstadt gefunden, hab mir von Hertzen darbei geforchten und betrübt, stellt dem Herrn das Geld zu und fangt wider an zu sin- gen, zu feilen, zu pfeiffen wie zuvor. Sehet das Geld macht so vil Sorgen und Kümmernussen , bei dem Geld von Hertzen frölich sein ist schier unmöglich, aber wol bei der Armut".

Die oft erzählte novelle Der nackte König" ^ begegnet uns s. 364 fg.: „Ein solcher toller Hanß muß gewesen sein jener Ty- ran, von Avelchem S. Ant. Ertzbischoff zu Florentz a. p. summae tit. 3 c. 2 § 4 schreibt, diser hochmüthige Potentat Jovimorins mit Namen höret oft in der Kirchen singen dispersit superbos mente cordis sui, deposuit potentes de sede et exaltavit liumiles, befilcht den Geistlichen

1) Vgl. GA III, 413 423 (litteratur dazu III, CXV CXX); Die poetischen erzähluugen des Herrand von Wildonie, herausgegebeu von dr. L. Kummer (Wien 1880) s. 148 167-, Gering, Isl. Pevent. nr. 42.

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dise Yers. aiiß dem Magnificat als lügenhafte Wort außzulesclien, möcht einen sehen, der mich absetzen kann. Steht nit lang an, der Fürst geht ins Bad von seinen Hoff- Herrn und Dienern beglaitet. Weil er im Bad, erscheint ein Engl des Herrn in Gestalt dises Fürsten gleich, als gieng er nackcnt wider auß dem Bad: Joderman hat geschwöret, diser ist unser gnädigster Fürst, ziechen ihm die Kleider an und beglai- tcn ihn in den Pallast in die Statt. Wie der Tyran außgebadet, rufft er seinen Dienern, keiner ist bei der stell, sucht die Kleider, nichts vorhanden als etliche Haderlumpen. Der Tyrann ergrimmet, bedeckt sich ein wenig, doch halb nackent geht in die Statt, fragt den Thor- wärtl umb seine Pagqi, Lagai und andere Diener, beklagt sich Avegen so grossen Despect, daß ihn allein im Bad sitzen lassen und nit aut- warten. Die Thorwärtl halten disen für einen Lappen, er ist unsin- nig, darumb gibt er sich für unser Herrschaft auB, unser Fürst ist längst auß dem Bad. Der Tyrann verwundert sich noch mehr, geht nach Hoff, wie er von etlichen vornemen Herren verstanden, dass der Fürst selbiger Statt in dem Pallast sich befinde, dass er sich als ein aberwitziger Mensch sol fort backen, ehe man ihm hinauß leichte, sagt er: Quid est quod dicitis, non cognoscitis me Dominum vestrum? qui egressus paulo ante de civitate ivi ad balnea? Ich bin ja eur Herr, ihr seid meine Diener, diß ist mein Hofstad. Man zaigts dem Herrn, als dem verstalten H. Engel an, diser zu mehrern Demuth des Tyrannen ruefft ihn also ungestalt in einem Bettler- Kit! vor sich. Je mehr der Türann protestiert und sich für einen Herrn auß gibt, je mehr lacht die ganze Hofstad darüber, sie spihlen den Haintzl mit ihm, wie mit einem Lappen, zu lest führt ihn der Engl in ein beson- ders Gemach, verweißt ihm die Hoffart und außgcstossene Keden, als war kein Stärkerer zu finden, der ihn köndt demütigen. Siebest du, wie leicht Gott dich zu Boden geworffen und als einen Lappen jeder- mann zum Gespött preiß geben. Also ist der Engel verschwunden, der Tyrann legt seine Kleider an, wird von seinen Officiren als ihr Fürst angenommen und erzehlt ihnen selber den VerlaufiF „omnis, qui se exal- tat, humiliabitur, gelt der Herr kan einem die Federn stutzen?"

Die bekante sage von kaiser Karl und dessen gerechtigkeit gegen alle kläger, welche A. F. Langbein, ohne Karl zu nennen, im gedichte „Das blinde ross" (Neueste gedichte 1815, s. 77) und K. Simrock in den Rheinsagen (Bonn 1841) s. 385 unter dem titel „Das pferd als kläger" behandelt hat^, findet sich hier in folgender Aveise erzählt:

1) Simrock überträgt sie auf könig Hart, den ahnherrn der Harlungen. An- statt des pferdes tritt schon im mittelalter eine schlänge als klägerin aaf. Eine mhd.

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„Ein seltzamer Handel ist Vorgängen mit Carolo Hertzog- in Calabria, des Eoberti König zu Neapoli Sohn. Wie er zum Regiment kommen, nimmt er ihm vor, jederman audientz zu geben und die Gerechtigkeit zu halten, darum last er bei seiner Eesidentz auf die Gassen einen Strick herab hengen und droben ein Glöckl daran binden. Das war ein Zeichen, der den Strick zog, begehrt audientz, daß man ihn her- ein laß, reich und arm. Eines Tags rührt sich die Glocken, der König befilcht, daß er zur Audientz kumm wer sich angemeldet; man gibt zur Antwort, es sei niemand vorhanden. Das Glöckel rührt sich zum andernmahl, der König fragt, wer da sei: da sagen die Officier, ein alter Gaul hat sich ungefehr an der Maur bei dem Strick gerieben und verursachet, daß die Glocken sich gerühret. Ei, sagt der Carolus, wist ihr wohl, daß ungefehr sei geschehen? wem gehört diser alte Gaul zu? disem vornehmsten Cavaüer; der muß alsbald zur Audientze bekennen, daß gemeldes Pferd ihm zugehöre, daß er sich dessen über die massen Avohl bedient im Feld und anderwerts, allein weils jetzt alt und nichts mehr tauge, laß ers herum gehen und frag ihm nicht nach. Carolus verweist ihm die Undankbarkeit gegen einem so getreuen Thier, sagt, nicht ohne Ursach hats das Glöckel gerührt, es schreit umb Gerech- tigkeit, darumb bei Verluest euerer Belohnungen und praesent, so ihr durch den Krieg erhalten, versorgt dieses Pferd". Hier ist die sage von Karl dem grossen auf Karl, herzog von Calabrien, übertragen.

Eine ergötzliche anekdote teilt Conradus s. 56 fg. mit: „Jenes Stückel eines Ehemann in der Statt Messina in Sicilia gelegen wird nicht gut geheissen. Einer wagts und ehelichet 5 Weiber alle noch bei Leben. Das facit wird ruchbar, die Obrigkeit greift nach ihm, stelt ihn zu Red, warumb er so verwegen seye? ob er diese neue Türkische Epi- curische Geilheit einführen und den H. Ehestand überspannen wolte? Er antwortet: Edle Strenge Veste Wolweise Großgünstige Herren, es ist wol wahr, ich hab 5 Weiber geehelicht, aber zu keinem bösen Ziel, ich habs gut vermeint, zu sehen, ob ich nit under so vil Weibern ein frome überkommen möchte, ich bin hin und wider umgezogen, eine zu suchen, hab alle 5 probirt, aber keine ist mir recht, die erst war gar zu mürrisch und maulhängig, die ander gar zu leichtfertig, die dritte war wol ein gute Ha userin, aber böß wie der laidige Teuffei, die vierte war gar zu versoffen, mit der fünften hause ich erst 6 Wo-

bearbeitung von Jans Eiienkel steht GA II, 637 41. Vgl. Grimm, Deutsche sagen, 2. aufl. II, 119; Gesta Eomanorum cap. 99 und 105. Zur litteratur dieser sage vgl. A. Kaufmann, Quellenangaben und bemerkungen zu K. Simrocks Eheinsagen (Köln 1862) s. 161.

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eben, darumb kenne ich sie noch nicht rocht, sorge wol, es werde auch nit vil besonders an ihr s('yn. Die Obrigkeit fället das Urtheil, man habe seiner grossen MühcMjiltiing halber mit ihm ein billiches Mitleiden, doch weil man besorget, er möchte sich noch weiter umb- sonst bemühen und in diser argen Welt, wo es nur lauter bösse Wei- ber gibt, keine finden, die ihm recht Aväre, so wolle man ihn gen Himmel schicken, dort seyen die Weiber alle fromm. Man ruffte den Scharfrichter und liesse discn Mann unib ein köpf kürtzer machen, damit er desto leichter znm engen Paradeiß-Thürl hinein kunte. Ein wol verdiente Straft! Wann zwey Farren an ainen Pflueg gespant sind, ist genug, ein Mann und ein Weib".

S. 187 wird die bekante geschichte vom Melanchulikus erzählt: „Wir müssen uns durch Kleinmüthigkeit nicht verführen, wie jener Patient, der die Melanckoley starck gelitten, der Herr Doctor braucht Mittel, richtet nichts, fragt: „Ihr Str. wie leben wir?" „Wie mußt ich leben, ich bin todt". Isset also viel Tag nichts, die Frau klagts dem Doctori. „Was thun wir, mein Herr, auf dise Weis stirbt er vor Hunger". ,, Ihrp Str." sagt der Medicus, „wir w^ollen ein Süppel verkosten über macht". „Ich meine, ihr seyt nicht gescheid", antwor- tet der Patient, „todte Leute essen nicht". Der Medicus verkleidet etliche hungerige Brüder, wie den Todt, setzts in die Cammer, last ihnen wohl zu essen geben. Der Herr höret reden. „Wer ist in der (Jammer"? „Ihr Str., todte Leut". „Was thun sie"? Der Medicus sagt, sie essen, trincken und seynd lustig. Der Patient fragt: „wer? todte Leut essen"? schauet zu der Thür hinein, „ja wann das ist, so will ich auch essen", setzt sich zum Tisch, isset, wird gesund".

Yolkstümlich ist die Erzählung, wie der mann das in den fluss gefallene weib sucht (s. 59): „Also ist hochsträfüch das Weib, wann es sich zu vil anmaßet, zu maisterloß, zu aigensinnig erzaiget, wie jener Mann erfahren, dessen Weib bei dem Fluß wolt Wasser schöpfen, schlipfert mit einem Fueß, fallet hinein und ertrinkt. Der Mann höret die tramige Freudenpost, geht hinauß, sein liebes Weib zu suchen, geht aber gegen dem Fluß aufwerts. Einer fragt ihn, was er suche? „Ei, das Wasser hat mir mein Weib weggetragen, da suche ich". „Bist nit ein Narr", sagt der, „du must abwerts gehn und suchen, sie ist ja nit gegen dem Fluß aufwerts gerannen". „Ei", sagt der Mann, „was waist du darumb? Du hast mein Weib nit gekennet, sie hat ihr Leben lang einen eigensinnigen Kopf gehabt und das Wider- spil gethan. Wann ich befolhen, mach Feuer auf, hat sie Wasser gehollet; wann ich hab Wasser begehi't, hat sie zum Feuer gesehen;

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sie wird in einem Augenblick ihren Kopf nit verändert haben, sie ist gewiß aufwerts geschwummen". Exempel dieser art gibt er s. 134. 219. 496. 512. 514. 524. Gut erzählt ist s. 518. 19 die geschichte vom assyrischen könig Balthasar, der ein königliches panquet hält: „Der Wein gebt ein, der Witz geht auß. Balthasar schon überweint schafft, man soll die silberne und güldene Geschirr aufsetzen, welche Nabuchodonoser, sein Herr Vatter, auß dem Tempel zu Jerusalem genom- men" usw. Von andern exempeln sind zu erwähnen s. 250 Mahomet, s. 345 Xerxes, s. 363 fg. Icarus, dessen mythe weitläufig erzählt wird. Yom hl. kaiser Heinrich berichtet Conrad: „Gleiche Straff stehet bevor denen, die sich in Compagnia mit Simone einlassen, geistliche Sachen mit Geld an sich bringen oder verkauffen. Pecunia tua tecum sit in perditione. Eacli über solche geistliche Kramerei! Räch über solchen Kauffschilling. Fragt den Kaiser Henricum secundum bei Baron. Anno Christi 1047, welcher mit der Simonia sich besudlet, wie ihn der H. Geist verlassen, drei Tag bekennet, er, haben ihn die Teuffei erschröck- lich geplagt, sie haben ihm Feuerflammen durch ein Pfeiffei zugeblasen, er besorgte, er müsse verbrinnen, letstlichen ist def glorwürdge Mär- tyrer Laurentius, dessen Gotteshauß Henricus ergäntzt, in diser Noth zu Hilff kommen" (s. 260).

Der judenfrevel in Deggendorf wird s. 279 erwähnt. Über ihn vgl. L. Steub, Altbayrische culturbilder (Leipzig 1869) s. 102 fg.

Als exempel und vergleiche benüzt er nach althergebrachter weise auch die ti er weit. So z. b. die fabel vom adler und Zaunkönig s. 357:

„Der Adler ist ein edler Yogel, hat schöne Eigenschaften, darunib er zu loben, und billig die Künigin under dem Gefligel genennet wird. Allein daß der Adler allezeit wil den Vorzug haben und andere neben seiner nichts gelten lassen, gefällt mir nit. Dem Adler fliegt zwar kein anderer Vogel gleich, aber doch wird er auch zu schänden. Der Adler kann sich berühmen wegen des scharpfen Gesichts, aber doch ist er dardurch zu schänden worden. Die Vögel hielten ein Zusammenkunft, ein jeder streicht sein Tugend herfür, so gut er nur kan, der Stoß- vogel sein Geschwindigkeit, die Nachtigall ihr liebliches Gesang, der Pfab die schöne Federn, das Rebhun ihr Argiistigkeit, der Trochillus die audaciam, die Aend die Kunst zu schwimmen, Ardea ihr Vor- sichtigkeit oder Vorsehen des TJngewitters. Ja wol, sagt der Adler, das ist ein lauters Kinderwerk, wer hat ein so scharffes Gesicht als ich? Ders nicht glaubt, der sitz mir auf den Kopf und wirds erfah- ren. Das Königl setzt sich auf den Adler mit ihme in die Höhe zu den Wolken. Was sihest du, mein Königl? fragt der Adler. Das

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König! sagt, was muss ich sehen? mit harter 3iülie den Erdbuden. Aber ich, sprach der Adler, sihe dort ein weisses Schäfel mit gestutz- tem Schweif. Ich wil drauft' zufliegen. Dieses Schäfel hat der Vogel- fänger mit Fleiß für ein Schnabelwaid den grossen Vöglen vorgesetzt neben die Maschen. Der Adler thut einen Schuß auf das Schäfel zu und geht in die Maschen ein, da ist er geftmgen. Das Königl lacht den Adler auß: gelt du hast dich bemüht mit deinen scharpffen Augen, hast das Schäfel gesehen, aber die Maschen nit, gelt du bist eingangen". „Der Mensch trägt immer das Gewissen mit ihm, wie der Schneck sein Haus" (s. 151).

Treffend ist der vergleich des menschen mit der spinne s. 216: „Die Spinnen feyert nicht, ist ein mühsames Thierl, spinnet einen gantzen Tag, zihet einen Faden nach dem andern herum, ihr intent ist mit deni Netzel ein Mucke zu fangen und weiter nichts Die Spin- nen arbeitet den gantzen Tag, hat viel Mühe und wenig Nutzen, also auch der Menschen Leben. S. 226 wird die traurigkeit mit dem holz- wurm und der Schab " verglichen , der zornige s. 308 mit dem von einem Ymel geheckten erzürnten „Beer" ; die seele des menschen s. 372 mit einem offenen geschirr. „Gleichwie in ein offnes Geschirr Muggen, Schnaggen hinein fliegen oder aucli die Maus hinein lauffen, eben also fliegen durch ein offnes schvvätziges Maul in die Seel allerley Muggen der Gedancken oder auch stechende Schnaggen der Sünden usw. Der in der hl. Schrift grübelnde „Nasenwitziger" wühlet darinnen her- umb wie das Schwein in dem Traidacker" s. 518. Das blühende Kind ist eine Klapperrose, die, wie die Poeten sagen, aus dem Blute des Adonis erwachsen ist (s. 430 fgg.).

Von den fremden, durch die kirche eingeführten Symbolen ist der Phönix zu nennen (s. 180), wobei unser prediger die verse aus S. Gregor. Nazian. de praeceptis ad virg. anführt:

„Ut Phoenix moriens primos revirescit ad. annos In mediis flammis post plurima lustra renascens, Atque novuni veteri surgit de corpore corpus, Haud secus egregiä redduntur morte perennes. Dum pia divinis ardescunt corpora flammis, Haec quisquis bene prospiciet, cum corpore faedus Non feret" usw. Der volkstümliche redner zieht auch den Volksglauben und Volksgebräuche in seine predigten, z. b. „Der Senf ist gut für das Ohren -singen oder Saussen: wie der Anglicus schreibt" (s. 92). „Vil seyn der Mainung, dises Augen wasser, die Lacrymae vitis seyen gut

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für das Augenwebe, macht liechte Augen" (s. 344). Er beruft sich dabei auf Adamus Lonicerus und Joannes Schröderus, es ist aber alge- mein er Volksglaube, so weit „die reben weinen".

In der 42. predigt „Wie man soll den verborgenen schätz suchen, nachgraben und erheben. Thema. Quaerite ergo primum regnum Dei" (s. 409 422) benüzt er den Volksglauben vom schatzgraben. Die schätze liegen in kellern oder gewölben, in schlossern oder baufälligen häusern (s. 411). Mit welchem mittel ist aber der schätz zu suchen? „Man sagt wol von der Haselnuß dreieckigten Kuthen, die biegt sich gegen der Maur, wo ein Schatz verborgen, ich darffs nit behaubten, dann ich hab kein Gewißheit; es kan seyn, daß die Art diser Stauden und das Gold ein Sympathi gegen einander haben, wie das Wasser und die Wasser-Ruthen, mit welcher man die Brunnquell oder verborgen Was- ser-Ader pflegt zu suchen, es kan auch nit seyn" (s. 412). „Wenn der Schatzgräber ungeduldig wird, ist der Schatz gähling wider gesuncken" (s. 416).

S. 119 fgg. beschreibt er ausführlich das spiel „blinde Mauset fangen". Er nent es ein „Faßnacht- Spiel" ^ Da auch von andern pre- digern^ in der fastnacht von diesem spiele die rede ist, so scheint es ein faschingsvergnügen gewesen zu sein. Als ich heranwuchs, war in Meran noch die sitte, am unsinnigen donnerstag und am fastnachts- freitag abends blinde maus zu spielen. S. 463 berührt er ein bekan- tes kinderspiel: „Das Schiffel Petri dauert in die tausend sechshundert und etliche Jahr! alle andern Secten seynd gleich den papierenen Schifi- lein, welche die Kinder machen und damit bei den Bächlen spihlen, aber ihr Kurtzweil wehret nit lang, werden durchnetzet und zerrissen".

Manche stellen sind für den kulturhistoriker beachtenswert. So schildert er s. 118 das treiben in der fastnacht: „In einem andern Verstand finde ich dise Wort erfüllet, was gedenkt die Welt dise 3 Tag? wie wollen wir Faßnacht halten? welcher Bräu hat das beste Bier, daß ich mir einen Rausch drein kan trincken? bey welchem Wirt gibts einen wolfeylen Trunck? wer schlagt mir ein Umbschantz? wo seynd die Spilleut, den pergamasco aufzumachen? Ich will ein Däntzel thun; ich will mir genug trincken, ich will mit meinen Nachbauren zechen, biß keiner den andern mehr sihet; wo ist ein guter gesell? ich wags und spile, biß einer den andern außsäckle; komb du zu mir oder ich zu dir, je grösser die Sandten, je lieber mir; ein Rausch, ein

1) Ich teilte die ganze beschreibung mit in meiner schrift: Das deutsche kin- derspiel im mittelalter. 2 aufläge (Innsbruck 1872) s. 44.

2) Z. b. Joh. Brinzing, Candehibrum apocalypticum I, 167.

PREDIGTLITTERATUR DES 17. JUS. 337

Fehltritt, ein rii-()l)lieit, ein Ungebühr geht diese Tilg alles hin. Es ist Faßnacht, in der Fasten will ich Sparranndes halten und Bneß thun, h( ut und lUiirgcn und übermorgen laß nur das Rädel lauffen, ich muß meinen Batzen anbringen". In der predigt am 1. fastensontag sagt er s. 132: „Uns stehet Leib und Leben nicht in Gefain-, wann Avir fasten, es fahret einem die See! nicht auß, wann er schon otlich Wochen ihm einen Abbruch thut, wann schon etlich Wochen kein Schweinener Sclumken auf der Tafel ligt oder kein gebratner Vogel für das Maul tliegt". S. 134 nent er den „Westphalischen Schünken" bei einem abschreckenden exempel.

Über die kleiderhoffahrt predigt Conrad: „Diese Hoff-Art ist leider so weit außkommen, daß man nit weiß, wie man sich mehr beklaiden soll. Der Spanier bleibt bei seiner Tracht, der Welsche behal- tet seine Manier, der Franzoß hat sein modi, der Polack wird auch erkennt an seiner Kleidung, allein der Teutsche bedient sich der Hof- fahrt und last den Schneider nie außlernen. Alleweil etwas neues, der Hut muß bald hoch, bald nider, der Stülp jetzt breit, jetzt schmal seyn, die "Kleidung ein weil eng und glat, ein weil gefaltet und weit, die Schuech ein weil eng, ein weil hoch, ein weil lang, ein weil krump, das Kleid jetzt mit Borten, jetzt mit Spitz, mit Schniern, jetzt mit Bändern überhängt und brämt, alleweil etwas neues, sowol in Mann- ais Weiber Bekleidung, was neues, das ist Polit! Die alte Teutsche Tracht gilt nichts mehr, weil das alte Teutsche Hertz ver- schwunden. Dahero jener Mahler zugetroffen, welchem der Türkische Kaiser befolhen, alle Nationes zu entwerffen. Der mahlet unterschid- liche Nationes, jede in ihrer Tracht, zu letzt stelt er einen nur mit dem Hemet bedeckt, neben ihm allerhand Sorten Tuech. Der Kaiser fragt, wer sein diese Leut? Ihr Majestät, der ist ein Ungar und diser ein Franzoß, der ein Poläck, der ein Spanier, der ein Italianer, der ein Britannier, der ein Engeländer, und wer ist diser? Diser ist ein Teuscher (sie), weil er kein gewisse modi behaltet, täglich änderst nach Hoff-Art sich bekleidet, hab ich ihn nit änderst vorstellen kön- nen. Ihr Teusche (sie) Franzosen höret des Herrn Wort: Sophoniae cap. I. In die hostiae Domini visitabo super principes et super filios regis et super omnes, qui induti sunt veste peregrina". Am rande steht: „Gott trohet jenen, welche frembte Kleider tragen" (s. 12 fgg.) Gelten Conrads werte nicht noch für unsere modehelden?

Das klatschen und schwätzen ist eine böse gewohnheit der menschen. Unser prediger schildert dieselbe zu seiner zeit s. 372 fg.: „Was führt man für einen Discurs auf dem Schwätzmarkt? Dise Magd

ZEITSCHRIFT F. DKUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXIV. 22

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klagt über ihre Frau, diser Ehehalt murrt wider seine Herrscliaft, da hengt man einem jeden ein Klämperl an, da geht man mit der War- heit spatzieren, thut mehr darzii, als in der Sach, da muß dises oder jenes haimlichs Stückel auf die Bahn, biß der Wind noch weiter blast und also offenbar wird, auf die eitle unnütze Wort folgt Murren, Kla- gen, Schmaichlen, Ehrabschneiden, Liegen, Spöttlen, Schwören und dergleichen. In multiloquio non deerit peccatum. Der Haingarten, das eitle Geschwätz geht nicht leer ab". „Nicht allein bei dem Job, sondern auch bei uns werden die Geschwätzigen wenig geacht, gleich- wie ein Hafen, der einen hochen Klang gibt, leer ist, gleichwie ein Badstuben, wann man die Thür wil in Angl aufthun , ihr Hitz verlihrt, gleichwie, Avann gar vil Stroh, gemainiglich wenig Korn daneben, eben also bei vil Worten gemainiglich wenig Witz, ist bald ihm mehr das Maul aufgeleint, jezt redt er herauß wie ein Mensch ohne Kopff".

S. 46 fgg. spricht Conrad über die Kindererziehung und sagt z. b. : „Manche Eltern seynd zwar J2u hart auf ihre Kinder, sobald sich eines rührt, mit der Hand im Gesicht, mit dem Strackel auf dem Rucken, lassen ihnen gar kein Freud noch Luft. Die werden Leut- scheuch oder verbaint, es soll in der Straff auch ein Bescheidenheit erscheinen. Andere lieben die Kinder gar zu sehr, wie die Affen ihre Jungen, ein liebs Töchterl, ein Mutter- Söhnl, man kann ihnen nicht genug Zucker einstreichen, man kann ihnen nicht genug liebkosen, daß kein Ehehalt [sie] schief ansehe, der Yater merkt die böse Anmu- thungen, lacht darzu, die Mutter verspürt den Ungehorsam und schweigt darzu, sie gestatten alle Hoffart in Kleidern, die böse Gesellschaft ist unverwehrt, mit der Zeit werden Gassenhauer, Dumelirer, ungeradene Junkerin draus, stiften bald da, bald dorten ein Ungebühr über die ander, die Eltern breiten selbst den Deckmantel darüber".

In der 8. predigt s. 61 fgg. behandelt Conrad die Pflichten des Herren gegen die Dienstboten, und dieser gegen die Herrschaft. Da gebraucht er oft körnige Sprache: „Ihr Hausvätter, wen spannet ihr in Karrn zu ziechen? Den Ochsen; wer hilft euch die Burd tra- gen? Der Säm-Esel, der Dienstboth, die Ehehalten, Knecht und Mägd, die müssen ein gantze Wochen im Karren ziehen wie der Ochs, tra- gen, schwitzen, arbeiten, den Ruggen daran spannen, wie der Esel; wo Herr und Frau ist, müssen auch Diener und Mägd seyn, damit aber die Burd, das Joch, die Arbeit leidenlich, ring, lieblich, erträg- lich seye, Haußvatter verpflege deinen Knecht, wie sich gebürt, der treulich arbeitet, den belohne treulich, halt ihn nit verächtlich als einen Ochsen oder Esel. Spannest du ihn an, weil er gesund, Verstösse ihn

PREDIG TLITTERATUR DES 17. JHS. 339

nit, wann er gehling- erkranket, mache es wie der Centurio: Domine puer mens jacet in domo paralyticns et male torquetiir" usw. „Aber wann der Herr mus thiin, was der Kneclit will, wann die Frau nms zehenmald schaffen, ehe die Arbeit einmahl geschieht, survus non sub- ditus; Wann der Knecht dem Herrn über das Maul fährt, contradicit, und den Stroh-Sack gleicJi für die Thiir wirfft; wann der Diener nur in seinen Säckel hauset, den Herrn siiiet arbeiten, er aber die Hand in seinen Busen scliiebt und feyert, wann der Diener seinem Herrn da einen Außstand durchstreicht und mit guter Gesellschaft im Weinglaß versenket, muthwillig ein Arbeit verderbt, defraudat, bei solchen ser- vus nequam geht das Haußwesen den Krebsgang, da hilft man sauber von den Federn aufs Stroh; verdirbt diser Kaufmann, erarmet jener Handwerker, kan diser nicht übersieh kommen, fragt nicht warum?" S. 265 bemerkt er: Grosse Herren künnen nit leiden, daß ihre Unter- thanen vil nachgriblen, warumb laßt unser Land-Fürst, unser König dises Mandat außgehen? Sic volo, sie jubeo, der den Scepter in der Hand führt, der hats macht, ein Verbot oder Gebot in sein Reich zu setzen. Deßgleichen empfinden grosse Herren übl, wann ihre Under- geben wollen erst auf die Waag legen oder außbändlen, wie kan unser Obrigkeit dises thun?" S. 237 sagt er: „Ihr Mayestät der Kayser fra- gen die Underthanen nit, wilst, daß ich dir in disem oder jenem wil- fahre, sie wissen gar wol in wems dem armen Tropffen fablet, es haist, ein guter Freund bitt um ein Gnad, bring dein Anligen vor; sieh dir umb einen, der zu Hof am Breth und wol geschriben ist, der deinem Anbringen ein Färbel anstreicht, was gilts, es wird gehen".

Den eheleuten gibt er s. 56 die lehre: „Der Mann ist Herr im Haus, ihr Frauen ehret euere Männer, folget, gebt linde Wort auß, ein gutes Wort findet ein lehre Stadt, ein gutes Ort, greift ihnen nicht zu viel ein im Haußwesen, schweigt und gebt nach, seid unterthänig. Ihr Männer, euer Ehefrauen seynd nicht Sclaven, nicht euer Fuß -Ha- der, nicht ein Hund, nicht weniger als der geringste Ehehalt, sondern euer Beyhülff, regiert sie nach Vernunft, werft nicht solche Spott - Reden zu, ihr seyd schuldig, sie zu lieben, ein guter Rath von einem Weib ist nicht zu verwerffen, wann die verständige Abigail bey dem König David nicht hätt ein gute Scheiben eingesetzt, man wurd ihren Mann Nabal wegen seiner Thorheit mit dem Kolbn übel gezwagen haben".

Seine Zuhörer mahnt er, sich nicht zu überschätzen. „Mein Mensch mach nicht mehr auß dir als hinter dir ist. Thut sich mancher

22*

340 I. ZINGERLE

SO viel Streich auß, als war er Meister in der Fecht- Kunst, in allen Wöhren, wanns zum Aufheben kombt, tragt er die meistn Stoß davon. Einer gibt sich für einen Künstler auß, wann die Arbeit fertig wird, ist es lauter Stümpeley. Ein anderer maint und rühmt sich, als war er in alle Sättel recht, wanns Ernst wird, kan er weder binden noch forn die Sach angreiffen. Ein anderer will keinen seines gleichen erken- nen, beynebens zerrinnet keinem der Witz ehender, als eben disem Progier" (s. 22). Über die damaligen zustände sagt er s. 32. „Es geht gar ungleich her in der Welt; die Redlichkeit findet wenig Platz, die Falschheit sitzt oft bey dem Bret, die Warheit findet keinen Patron, die Schmeichlerey bringts hindurch, die Gerechtigkeit ziecht den kür- tzern, Betrug hat ein gewunnes Spill, die Ainfalt kombt zu spatt, der Schalck geht vor".

Die meisten predigten wurden in Salzburg gehalten. In der 41. concio wird diese stadt durch die werte angedeutet: „Was müst für ein Wind sich erheben, der einen Fluß oder groß Wasser, gesetzt allhie die vorbeyfliessende Saltza, solt eintrücknen" ? Die 37. predigt wurde in Augsburg gehalten. Man liest s. 346 fgg.: „0 Jerusalem! wann der H. Bischoff Udalricus heut auß seinem Ruhe-Bethel auß dem Grab solte erstehen und sein Bischoffliche Residentz- Statt Augspurg solt ansehen, was vermaint ihr Augsburger, fände er nit Ursach gantze Bach der Zähren zu vergiessen? Videns civitatem, nunquid fleret super illam? Ist dise deß heiligen Römischen Reichs Statt Augsburg? Ist diser mein gepflanzter Weingarten ? Ich hab so treulich darin gearbei- tet, portavimus pondus diei et aestus, Matth. 20. Ich hab so fleissig die Rebenstöckl gezüglet, Ego plantavi, Deus incrementum dedit, I. Cor. 3. Ich hab verkündiget jden ainigen, wahren, catholisch- apostolischen Glauben, ich hab die anvertraute Seelen underwisen in guten Sitten, ich hab ihnen mitgethailt nit nur den H. Tauff und das Abendmahl, als zwey Sacrament, sonder auch andere hochheilige Sacramenta, ich hab mit Worten und Wercken meine Augsburger ziu' Verehrung der H. H. Reliquien ermahnet, ieh hab meine Augsburger gelehret, das H. Creutz als ein Sigzeichen wider die Feind, die seeligste Jungfrau Maria als die Königin aller Außerwöhlten lieben und ehren. Und wie steht es jetzt in der weitberühmten Volckreichen Statt Augspurg? wie stehts in meinem geistlichen Weinberg? was tragt er jetzt für Frucht? Mein H. Udalrice, luxit videmia, infirmata est vitis, Isaiae 24. Mein H. Yatter, es stehet schlecht, die mehrern Reben seynd außgestorben, von dem H. alten Glauben gewichen, der neue Lutherische Glaub, dar- von dir nie getraumet, hat mehrern Anhang, als der alte rechte catho-

PREDIGTLITTERATÜB DES 17. JUS. 341

lische Glaub, der Catholischeu ist ein kleines Häuffel, piisillus grex, Heiliger Udalrice, verlangest du zu verkosten etliche Trauben auß dei- nem geistlichen Weinberg? Ich sags aber vor, mehr labruscas als uvas, mehr böse tadelhafte Werck dann gute, die Zahl der Abgefal- lenen ist größer, dann deren, die beständig verbliben in der alten Römischen Religit)ii. Wer hat meinen geistlichen Weinberg Augspurg verderbt? 0 heiliger Prälat, in der Stille wil ichs beantworten, singu- laris ferus depastus est eum, Psal. 79. Ein außgesprungner Münch, Martin Lutherus, der hat die Weinreben verderbt, der hat einen neuen leichten Glauben geschmiedet und dem Volck eingeschwätzt, der gibt vor, sein reforjnirte Kirch sey die rechte, und sie glaubens; der ver- wirft etliche Sacrament der catholischeu Kirch und sie thun ihms nach; der vcracht als ein Abgötterey die Verehrung der H. H. Reliquien und sie verachtens auch; der behauptet, der Glaub allein macht seelig, und sie glaubens. Vilgeliebte Zuhörer, meint ihr nit, der H. Bischoff Udal- ricus, wann er disen Greuel seines Bistums der Statt Augspurg solt ansehen oder bey Lebzeiten hätt vorgesehen, die Verdambnuß so vil tausend Seelen, videns civitatem, nunquid fleret super illam? Maint ihr nicht, euer Erlöser in Ansehung der Statt Jerusalem hab sich erin- nert auch der Statt Augspurg, Nürnberg, underschidlichen Hertzog- Füi'stenthumb, Königreichen, auß welchen der alte H. catholische Glaub halb oder ganz bandisiret worden".

Sein aufenthalt in Augsburg wird auch in der 43. concio „Von der Todten Begräbnus" bestätigt (s. 445): „Wie wollen wir den Todten begraben? auf Lutherisch oder catholisch? Ich hab zwey oder drey- mahl zu Augspurg ein Lutherische Leich angetroffen, mus bekennen, die gute Ordnung der Klager, Mann- und Weibs -Persohnen, gefalt mir Avohl, aber die Leich in dem Predig- Hauß hinter die Thür setzen, für die Verstorbene nichts betten, das mißfallet mir gar hoch, warumb bet- ten unser Gegentheil nicht auch für die Verstorbne, wie wir catho- lische " ?

Wir haben gelegentlich proben seines Vortrages gegeben. Es würde zu weit führen, weitere beispiele zu bringen. In bester weise zeigt Conrad seine beredsamkeit s. 47. 63. 84. 97. 123. 156. 159. 284. 259. 267. 297. 305. 312, 327. 330. 334. 358. 373. 376. 390. 399. 435. 443. 483. 519. 522. Da er sich volkstümlicher Wörter und redensarten gerne bedient, gibt er reiche ausbeute für die damalige spräche; auch zur kentnis der grammatik und Orthographie jener zeit Hesse sich vie- les finden.

GUFmAUN. IGNAZ ZINGERLE,

342 PAWKL

UlSraEDEUCKTE BEIEFE HEEDEES UND SEINEE GATTIN

AN GLEIM.

Nahezu ein halbes Jahrhundert nach Herders tode veröffentlichte sein söhn Emil Gottfried ein lebensbild seines vaters, dem auch eine bis zum jähre 1771 reichende correspondenz beigegeben ward. Erst ein Jahrzehnt später (1856) begann Düntzer mit der Veröffentlichung aus Herders nachlasse. Bald darauf wurden von demselben Herders briefe an seine gattin während der italienischen reise ^ sowie nachtrage zu den briefwechseln Herders mit Hamann ^ und dem herzog Karl August ^ veröffentlicht. Als eine weitere folge der für die litterarischen regun- gen des vorigen Jahrhunderts so wichtigen samlung gelten die unter derselben redaktion veröffentlichten briefe : Yon und an Herder. Leip- zig 1861. 62; der erste band enthält den briefwechsel Herders mit Gleim und Nicolai.

Der Briefwechsel mit Gleim -ist von hervorragender Wichtigkeit. Der Schwerpunkt seiner bedeutung liegt in dem Innern reichtume der samlung. Wir finden eine fülle von wertvollen bemerkungen über das äussere und innere leben beider dichter, über entstehung ihrer werke, über beurteilung der Schriften anderer, über ihre persönlichen und lit- terarischen beziehungen zu den meisten dichtem ihrer zeit, alles gründe, welche das verdienst des rührigen samlers nicht hoch genug ansetzen lässt. Aber die unvolständigkeit, welche der ganzen samlung anhaftet, verringert um ein bedeutendes ihren wert. Schon Otto Hoffmann hat sich veranlasst gefühlt, Herders briefwechsel mit Nicolai, der in der genanten samlung ganz besonders schlecht weggekommen war, noch- mals und volständig zu veröffentlichen'^. Aber weitaus schlimmer ergieng es den brieten an Gleim. Schon eine flüchtige collation der abgedruckten briefe mit den im Gleimschen archiv zu Halberstadt befindlichen originalen ergibt eine menge von nicht angedeuteten auslassungen und von änderungen, welche den wert und die brauch- barkeit der ganzen samlung sehr in frage stellen. Allerdings wer- den wir uns Hoffmanns ansieht, man hätte es entweder gar nicht oder unverkürzt und originalgetreu abdrucken sollen, in voller form des wertes kaum anschliessen können; eine menge von nichtssagenden trivialitäten und persönlichen mitteilungen der gleichgiltigsten art hätte

1) Herders Reise nach Italien. Giessen 1859.

2) Bremer Sonntagsblatt. 1859, nr. 42 43. 3) Morgcnblatt. 1859, nr. 37. 4) Herders briefwechsel mit Nicolai. Herausgegeben von Otto Hoffmann. Ber- lin 1887.

BRIEFE HERDERS AN GLEIM 343

sonst mit in den kauf genommen werden müssen, Dass aber Düntzcr einzelne briefstellen und ganze briefe wegliess, die auf das persönliche Verhältnis beider niänner ein helles licht Averfen, ist offen und rück- haltlos zu misbilligon. Wir wissen, von welchem einflussc auf die gegenseitige litterarisehe fruchtbarkeit die mehr als abstrakte freund- schaft beider dichter gewesen ist. „Beider freundschaft", schreibt Her- ders gattin in ihren erinnerungen aus dem leben Joh. Gottr. v. Her- ders^, „gehörte in die alten zeiten grosser seelen. Ihr briefwechsel ist zeuge". Düntzer änderte und strich aber auch notizen, die auf andere briefstellen besondern bezug nehmen, und ohne welche ein Verständnis der betreffenden stellen nicht zu gewinnen ist; eine tatsache, die schon allein eine vervolständigung der genanten briefsamlung zum bedürf- nisse macht.

Durch vorliegende ausgäbe einer auswahl der noch ungedruckten briefe und brieffragmente soll diesem bedürfnisse rechnung getragen und die hie und da meist fühlbare lücke ausgefült werden.

Bei den brieffragmenten wurde überall der leichtern Übersicht wegen auch auf die anschlusssteilen der Düntzerschen samluug (D) ver- wiesen. Gleims ungedruckte briefe und brieffragmente fanden, soweit sie litterarhistorischen wert haben oder zur erläuterung und ergänzung der gebrachten stellen dienen, bei den anmerkungen unter der zeile Verwendung; daselbst sind auch, wo es zweckdienlich erschien, noch weitere bisher ungedruckte briefe angezogen oder mitgeteilt worden.

Möge die vorliegende samlung den freunden der Herderlitteratur eine wilkommene erscheinung sein!

WÄHRING BEI WIEN. J. PAWEL.

1. Herder an Gleim. (Mitte Oktober 1775 2.)

Lieber Yater Gleim,

Claudius! Claudius! Er ist noch immer unversorgt, zween Plane, Einer ihm, Einer mir, sind abermals mislungen.

Ich klopfe für ihn an bei Ihnen! Mich dünkt, Sie hatten Etwas für ihn u. können u. wollen für ihn aufs beste. Es ist die lauterste Familie unter der Sonne, Er würklich eine herzliche Seele unter Men- schen u. sie soll wie Er seyn^.

1) Herausgegeben von J. G. Müller. Tübingen, 1820 I. s. 264.

2) Gleim empfieng den brief nach einer von ihm gemacliten randbemerkung am 21. Oktober.

3) Bald darauf erhielt Claudius auf eine empfehlung des Präsidenten von Moser eine oberlandescommissiousstelle in Darmstadt mit 800 gülden jährlichen gehalts.

344 PAWEL

Es ist, wie ein Schicksal gegen den guten Menschen. Er ver- steht ausser den gelehrten Sprachen bis aufs Griechische hin Franz. Engl. Holl. Dan. Schwed. Span. u. muss darben.

Helfen Sie ihm. Eine Staatliche Sekretair- bis zur unschul- digen Rechnungs- Stelle und was zwischen liegt, ist für ihn. Nur nicht Gelehrsamkeit- Prachtbauten- und Plätze der Staatslüge. Ich lege ihn auf Ihr Herz, da ruht er sanft, das wird Sie an ihn erinnern und für ihn schlagen^.

Yon mir nichts Neues. Unser Bube war krank u. wird wieder gesund, meine Frau ist wohl, u. mir auch so, das ausgenommen, was ich mit mir trage.

Tausend Segen Gottes auf Vater uud Schwester Gleim.

Herder. 2. Herder an Gleim.

Claudius ist hier gewesen, ^ liebster GL, aber schon fort: ich habe ihn selbst getrieben. Die Commission geht an und er sollte längst da seyn. Denken Sie sich auch mit Weib u. m. Kindern, davon Eins an Mutterbrust liegt, eine solche Eeise, jetzt u. dann zurück nach ein paar halbgenossenen Tagen Also bleibts, lieber Vater, bis auf besser Glück u. Wiedersehen. Er ist ein herrlicher Junge, ganz wie jede Zeile seiner Schrift, von welchem Blick u. sanftem einfältigen Herzen. Ich wollt, dass ich ihn hätte herüber blasen können: aber es ging nicht. Die Hoffnung blieb ja in Pandorens Büchse am Grunde. Viel Gruss an Schwester Gleim. Ob ich nach Weimar gehe u. kom- me? weiss ich noch nicht; angetragen ist mirs vom Herzogt. Dies docebit. Wo es aber auch sei, diesseit oder jenseit des Lethe

Ihr ewiger

13. April 76. H.

Aber schon pfiiigsten 1777 verlässt er Dariiistadt. „Er kann die Darinstädter Luft nicht vertragen", schreibt Voss an Gleim, "Wandsbeck, den 27. märz 1777, „und ich habe ihm seine alte Hütte wieder mieten müssen". Vergl. hiezu den brief von Her- ders gattin an Gleim, Bückeburg, den 18. uov. 1775 und Gleims autwortschreiben, Halberstadt, den 18. febr. 1776.

1) Über Gleims Claudius - enthusiasmus vgl. seinen brief an Herder, Halber- stadt, den 10. Oktober 1775.

2) Auf seiner reise nach Darmstadt. Vgl. hierüber noch im besoudeni Aus Herders nachlass I, 360.

3) Herder hatte hier die stelle eines „oberhofi)redigers, oberconsistorialrats und kii'chenrats , generalsuperintendenten und pastor primarius" bekleiden sollen. Vgl. Herders brief an Heyne, Bückeburg, den 25. febr. 1776. Die Verhandlungen selbst verschlepten sich bis ende august d. j. Vgl. hiezu Herders brief an Gleim, Bücke-

BRIEFE HERDERS AN GLEIM 345

3. Herder an Gleini.

Liebster Gleim,

Mit grosser Freude haben wir Ihren Br. empfangen u. wollen uns Ihrer Güte, so unverschämt es seyn mag, brauchen i. Nur so schnell, als Sie denken, gehts nicht: wir reisen erst künftige Woche (den Tag wissen wir noch nicht ii. wollen ihn melden) von hier ab. Sonntag halt ich hier Abschiedspredigt. Leben Sic wohl. Das übrige mündlich. In grösster Eil.

Bückeb. den 11. Sept. 1776. Herder.

4. Herder an Gleim.

Liebster Gevatter Gleim,

So nenne ich Sie jetzt, denn meine Frau, die sich Ihnen bestens empfiehlt, hat mir den 25. Aug. an meinem Geburts- u. unsrem Ver- lobungstage fast in meiner Geburtsstunde, den 4ten Sohn gebohren^. Der Knabe ist den 27. Aug. getauft worden und hat den Namen Karl Aemil Adelbert erhalten. Auch Ihr Name ist als Pathe in sein Lebens- buch eingeschrieben; er sei Ihrer Liebe u. gutem Wunsch empfohlen.

Den 29. Aug. 79.

5. Herders gattin an Gleim. W. d. 26. Nov. 1781. sehen werden 3. Angelegentlich möchte ich wissen, wie Ihnen die Jüdischen Fabeln gefallen haben ^? Mein Mann hat kürzlich mit viel Lust und Liebe einige Sachen für den Merkur gearbeitet, die noch kommen werden. Wenn Sie also durch nichts an uns erinnert wer- den, so müssen sie jetzt den Merkur lesen. senden^'. Ich bitte Sie um etwas in seinem Namen, nemlich um Ihre goldnen Sprüche*\

biirg, ende august 177G. Über Herders mitte September erfolgte abreise siehe den folgendeu brief vom 11. sept. 1776; über Herders aukmift und empfang in AYeimar den brief von Herders gattin an Gleim, AYeimar, den 6. Oktober 1776.

1) Über Herders besuch bei Gleim vgl. den brief von Herders gattin an Gleim, Weimar, den 6. Oktober 1776.

2) Vgl. dazu das antwortschreiben Gleimls, Halberstadt, den 10. Oktober 1779.

3) D. I s. 75, zeile 10 von oben.

4) Vgl. Wielands Mercui-, 1781, 3 u. 4. Vierteljahr s. 24 u. 44.

5) D. ebenda zeile 18 von oben.

6) 15. juli d. j. sendet sie Gleim an frau v. Klenke mit folgenden begleiten- den woiien: „Da find ich Exemplare von den goldenen Sprächen des Pythagoras, die ich für unsre Schüler habe drucken lassen, und die sie nicht lesen durften, weil ihr Lehrer sie keine Heiden wollte werden lassen, und lege denselben einige bey zum Verschenken an ihre Freunde, die solche Heiden wohl seyn möchten, wie der Verfasser der goldnen Sprüche mag gewesen seyn".

346 PAWEL

wenn Sie mehrere liegen haben, so senden Sie uns freundlichst noch einige Exemplare drüber, die wir gut anwenden wollen. Haben sie auch den Traum des Joh. Müller über die Theresia^ zu Händen u. dürfen ihn uns mittheilen, so bitten wir auch gar sehr darum, es freut uns alles so sehr von ihm, u. ist ja auch alles so herrlich.

6. Herders gattin an Gleims nichte.

Hertzliebste Schwester Gleim, ich habe eine grosse Gewissens- frage an Sie zu thun auf Anrathen und Yerlangen der Frau Gevatterin Wieland 2. Und denn sagen Sie mir noch ein Wörtchen, wie es Ihnen geht und ob Sie mich noch lieb haben? und ob mein treuer Freund Gleim die Ebräische Poesie^ erhalten hat? und wenn Sie von Ihren Sommerreisen wieder in Halberstadt eintreffen werden. Meines Mannes Plan ist, Sie in der Mitte des Augusts zu besuchen-^. Sind Sie das beide zufrieden?

Weimar d. 20"=" Mai 1782. Caroline Herder.

7. Herders gattin an Gleim.

Bester Herzensmann und Gevatter. Ihr lieber Briefe und noch- malige Einladung kommt zu sehr gelegener Zeit. Wenn nichts da- zwischen kommt, so wird er den 28. oder 29. dieses schon in den Wagen steigen und zu Ihnen kommen. Den Tag, wenn er bei Ihnen eintreffen wird, kann er nicht gewiss bestimmen erAvarten Sie ihn in Ihrem Ruhestuhl, Sie können ja naclihei-, da er doch Lust hat auf den Harz zu reisen, ihn vielleicht auf diese herrliche Berge begleiten. Wie wünsche ich mitkommen zu können und Sie lieber treuer Freund

1) „Müller aus Schaffhausen ist bei Ihnen gewesen"; schreibt Herder an Gleim, Weimar, den 26. Nov. 81, „das ist ein Mann von alter Art und Kunst, ein Sohn Montesquieus und Tacitus". Vgl. noch den brief von Herders gattin an Gleim, "Wei- mar, den 25. aprU 82.

2) In Sachen einer flachsbestellung.

3) 26. nov. 1781 schreibt er bereits an Gleim: „Ich bin jetzt an einer Ge- schichte der Ebräischen Poesie und hoffe, was gutes zu Stande zu bringen". Noch im winter dess. jahres wurde der erste teil „unter Zerstreuung, Störung und öftern

, Unlust des Gemütlis " fertig. Herders gattin sendet ihn den 25. apriJ 82 an Gleim als gegengeschenk „zur armen Wiedervergeltung " für Gleims Lieder der liebe. Vgl. dazu Gleims antwortschreiben vom 29. mai 1782.

4) „Kommt, kommt doch, Kinder"! schreibt Gleim an Herder den 18. sept., „zu Eurem Vater, der Euch herzlich lieb hat, im October. Im October ists am besten zu reisen". Inzwischen blieb der geplante besuch für „eine bessere Zeit auf- bewahrt". Vgl. den brief von Herders gattin an Gleim, Weimar, den lezten Oktober 1782. Siehe auch den folgenden brief.

5) Gleims brief an Herders gattin, Halberstadt, den 13. april 1783.

BRIEFE HERDERS AN GLEIM 347

und iinsre Schwester wieder zu sehen und noch eine Schwester ken- nen zu lernen ! Aber es geht diesmal unmöglich ^ Erheitern Sie nur meinen Mann^ und machen ihn durch Ilire alte Freundschaft wie- der glücklich! er freut sicli so sehr Sie wieder zu sehen, und wii'd verjüngt und frühlich von Ihnen wieder zu uns kehren •">.

den 28 1. April 1783. Caroline Herder.

8. Herders gattin an Gleim. W. den 23. Mai 1783.

Nur ein paar Worte in Eil Herzens Mann und Schwester muss ich Ihnen sagen, ich habe eine glückliche Woche gehabt*. Nun kam die Freude noch recht an die Mutter, da sie das goldene Büchel- chen ■'' aufmachte. Ach herrlicher Mann welch ein Geschenk, welch ein Heiligthum für unsorn Knaben wemi er in die Jahre kommen wird,

1) "Wegen erkrankung ihrer söhne an den blättern.

2) Herder war auf ihre bitten wegen der krankheit seuier sühne aus dem hause gezogen.

3) Bereits am 12. mai schreibt Herders gattin an Gleim: „Mein Mann ist nun über Berg und Thal von Ihnen weg, wenn Sie diesen Brief erhalten". Und weiter äussert sie: „Mein Mann wiU mii' unendlich viel von Ihnen erzählen, das wird eine reiche Erndte für mein Herz seyn"! Der Himmel . . D. I s. 87 zeile 9 von oben. Über diesen besuch schreibt Gleim an frau v. Klenke den 12. mai 1783: „Ich hab einen grossen Manu bey mir, ich halt ihn für den grössten meiner Zeit. Sie mögen ihn erratheu. Sie können nicht fehlen, wenn Sie nur eine seiner Schriften gelesen liaben. Und dieser Besuch ist ein Bruunen für mich. Mir ist so wohl! so wohl, als in vielen Jahren selten mir gewesen ist". Und als Klenke auf Klopstock rioth, schreibt er am 27. mai d. J. : „Sie haben ihn nicht erratheu, liebe, beste Freundin- nen (Klenke und die Karschin), den grossen Mann, von welchem die Hälfte dieses Monats zu einem May- Tage mir dem Mönch, dem Einsiedler gemacht ist. Herder heisst der grosse Mann, der, Genie und Gelehrsamkeit und Weisheit, verglichen mit einander, für den grössten Mann gehalten wird, von mir dem Eechenmeister, der in Zahlen wühlt, seit dem mein Herder mich verlassen hat. Sie sollten ihn kennen, den grossen Mann aus seinen sehr vielen vortrefflichen "Werken, die alle (bis aufs letzte vom Geist der ebräischen Poesie) seineu Namen nicht ausposaunen, und der von Feinden seines Geistes und Herzens von Croaten, Calmükken und Cosakken umge- ben war". Und am 6. juli äussert er darüber nochmals: „Ich bin bisher in so vielen Zerstreuungen versunken gewesen, dass ich nicht habe schreiben können. Zwar hab ich Vergnügungen gehabt im Tempel der Freundschaft; nicht Klo])stock, wie die liebe Mutter und Sie vermutheten, sondern mein Herder, eiuer der ersten unsrer jetzigen Menschenkinder, gross wie Klopstock, ist bey mir gewesen, ich wollte mit ihm nach Hamburg reisen, bekam einen schlimmen Fuss, und musste zu Hause bleiben. Viel Vergnügen ging verlohren, beste Freundin, durch diesen fatalen Zufall. Nun ist der Fuss geheilt, nun könnt' ich reisen, und ich reiste nach Hamburg über Berlin, leider aber halten mich Geschäfte vest an mein Joch es ist ein Jammer".

4) Gleim schickte an sie und ihre kinder allerlei geschenke.

5) Ein exemplar des roten buches.

348 PAWEL

Ihre Liebe ganz zu fühlen! Wie viel Gutes haben Sie meinem Mann und ihm erwiesen! mehr als Sie wissen, ich habe heute 2 Briefe von ihm aus Blankenb.i erhalten, wovon der eine fast ganz von Ihnen handelt Edler Mann! Sie haben seine verschmachtende Seele wieder erquickt und eine neue Flamme in seinem Herzen angezündet. 9. Herder an Gleim^. Wie gern wäre ich, bester GL, in dem Gefolge der Fürstin^, die die Gnade gehabt hat, diesen Brief an Sie zu fodern'^. Sonst, lieber

1) Herder gieug von Halberstadt nach Blankonburg tind von da am 18. mai über Braunscliweig nach Hamburg und Altona, wo er mit Klopstock, Voss, Hensler, Asmus und den beiden Stolberg zusammentraf. Gleini wolte ihm nach Hamburg zu Klopstock nachreisen, wurde aber seines schlimmen fusses wegen daran gehindert. Vgl. Gleims brief an Herders gattin, Halberstadt, den 20. mai 1783 und im beson- dern die unten folgenden ungedruckten briefe Gleims an Herder und an Herders gat- tin. Halberstadt, den 21*'*" may 1783: „Diesen Augenblick, mein lieber theurer, emi)fing ich Ihr Schreiben von gestern aus Braunschweig. Mit meiner Reise stehts schlecht. Der Arzt versprach, ich sollte -i-eisen können, künftigen Sonnabend, heut aber ist der Fuss viel schlimmer, als gestern. Das schlimmste nun ist, dass Sie nicht länger zu Braunschweig geblieben sind. Darauf verliess ich mich, und dachte, noch wohl gar ehr als Sie, bey unserm Klopstock zu seyn. Das wäre so lierrlich gewesen. Nun aber bitt ich mir zu sagen, wie lange Sie bleiben werden zu Ham- burg, nur in zweyen Zeilen, und sie abgehen zu lassen nach Magdeburg, abzugeben beym Kaufmann Gleim. Da werd' ich sie finden, und mich darnach zu achten wis- sen. — Unserm Klopstock den herzlichsten Gruss von Gleim nach Ihrer Umarmung! AVir hören nicht auf an Sie zu denken, bester Herder, von Ihnen zu sprechen. Welch ein Himmelsleben mit Ihnen an einem Ort!" Und am 30. mai schreibt Gleim an Herders gattin: „Ich habe noch keine Zeile von meinem Herder aus Ham- burg, Herzensfrau Gevatterin! Vermuthlich kann Er vor Wohlbefinden unter den Klopstokken, den Asmussen, den Stolbergen zum Schreiben nicht kommen, oder Er hat nur Zeit zum Schreiben an seine Caroline Herder! Nein allein auf diese bin ich nicht eifersüchtig. Mit meinem Fusse wirds besser ich reise, sogleich noch nach, wenn ich nur wüste, dass er dort noch bliebe bis Ende des künftigen Monatts! Der böse Mann ! Er versprach zu schreiben ; die lieben Bergs haben ihre Reise nach Wei- mar verschoben, weil ihr kleiner Engel sich nicht wohlbefindet. Die Frau von Berg ist eine zärtliche wie Caroline Herder, verzärtelt aber auch nicht! Es geht auf die Pfingsten loss. Muss Herder dort seyn, aufs Pflugs -Fest? Dann muss er bald an die Zurückreise denken. 0, sie beste Herzensfrau Gevatterin! jnachen Sie doch, dass er die Pfingsten feyert bey mir, und redet zu mir, mit feiiriger Zunge, das ist, mit Feuer aus seinem Herzen voll Bruderliebe! Leben Sie dafür recht wohl".

2) Ohne Zeitangabe. Siehe dazu das antwortschreiben Gleims vom 14. sept. (D. I s. 96).

3) Herzogin Amalia von AVoimar, welche diesen brief an Gleim persönlich über- brachte.

4) Gleim schreibt in dem oben citierten briefe: „Nun kommt endlich heut die Fürstin, die Edle, die da war wie eine Freundin, als sie meines Herders Brief mir brachte, diese kommt zurück und fordert einen Brief an meinen, meinen Herder!

BRIEFE HERDERS AN GLEIM 349

Fr. 1111(1 Gevatter schriebe ich heut wahrsch. nicht, denn ich bin herzl. müde vom IJrunnen und Um treiben des ganzen Tages.

Da ich aber ciiiiual schreibe, so mehle Ihnen, dass ich nach mei- ner Reise seiir Hypochondrist, elend und krank gewesen; aber jetzt besser bin. Aber warum schreiben Sie denn nicht. Lieber, und lassen kein Wort von sich liören? Bergs sind wie verklungen. Wie leben Sie? oder leben Sic nicht mehr. Griissen Sie sie bestens und alle gute Freunde.

Wir leben recht vergnügt mit iinsorm Weimarschen chor: es sind mitunter die edelsten besten Menschen , die es hier giebt. Denken Sie, wenn Sie mit Iliiien vergnügt sind, auch an Ihren abwesenden Herder, der in seinam Hause auch an Sie denken wird und Sie alle auf dem Spiegelberg in Gedanken begleitet. Tausendmal Gruss und Kuss.

Herder.

10. Herders gattin an Gleim.

Einen herzlichen Gruss und Kuss aus dem Thal der Gesundheit und Hoffnung, liebster Bruder und Freund Gleim! und liebste Schwe- ster Gleim. Wir haben die ersten schönen Tage der Natur und den Bergen unseiii Gruss gegeben; nun hoffen wir noch schöne Stunden mit Ihrer und unsrer Elisen zu leben, die so schöne Blumen pflücken und überbringen kann und Ihr Geist soll bey uns seyn, amen!

Carlsbad den 4'^" JuH 1785. C. H.

d. i.

Caroline Herder.

11. Herder an Gleim.

Hier am erwärmenden Quell im Kranz von Bergen und Hainen

werde dem Vater Gleim dreimal ein Becher gebracht. Einen dem Wassertrinker, der wie die Nymphe des Felsen

uns mit wohlthätiger Glut, frölich zu leben, erneut. Einen dem guten Mann, dem Freunde von Bergen und Wäldern

Dessen Busen uns einschliesst wie ein fröhliches Thal. Und noch Einen! Steig' auf du Klang der irrdenen Becher

störe dem Alten die Ruh: denn w^arum ist er nicht hier? Karlsbad den 4. Jul. 1785. Herder.

12. Herder an Gleim. (Anfangs Mai 1787.) i Hier haben Sie, lieber Vater Gleim, den 3. Th. der Ideen l Er

mache Ihnen einige angenehme Morgenstunden, in welchen Sie auch

1) Nach Gleims randbemerkuzig : Empfangen den 9""" May 1787.

2) Vgl. Gleims antwortschi-eiben vom 10. mal 1787.

350 ' PAWEL

an Ihren Freund gütig gedenken. Bald sende ich Ihnen ein andres kleines Büchelchen; der Titel hat 4. Buchstaben, rathen Sie, welche ?i Frau und Kinder empfehlen sich bestens. Zwei der letztern gehen übermorgen ins Gymnasium und der kleine H. Canonikus^ legt also jetzt die togam an. Das macht ihnen Furcht und Freude. Göthe ist in Sicilien. Ich sitze hinter der Kirche und arbeite, wie Sie hinter dem Dom. Leben Sie wohl, bester Alter, grüssen Sie Schwester und Freunde; und fahren fort, Ihren Ideen- und Schmetterlings- und Gril- lensänger zu lieben. Herder.

13. Herder an Gleim. W. den 25. Mai 1787.

Bester Gleim,

hier ist mein Gott^; ich müsste mich sehr irren, oder er wird auch der Ihrige sein. Das Ex. von Spi- noza, das ich im Buch angeführt, ist ein Geschenk von Ihnen; also ist, da auch ein Hymnus aus Ihrem Halladat angeführt ist, das Buch gewissermaasse Ihr eigen. Lesen Sie es in ein paar ruhigen Morgen- stunden und bleiben uns gut. Ein andermahl mehr. Leben Sie wohl und heiter. Viel Grüsse an alle Freunde, zumal die Schwester.

Ihr H.

14. Herder an Gleim.

Ob Sie mir gleich, liebster Yater Gleim, weder auf Gott noch auf mein menschliches Wort geantwortet haben ^, sende ich Ihnen doch mögen Sie erstem verlassen haben oder nicht abermals ein andres Papier. Es heisst Zerstr. Bl. Th. 3^. Lesen Sie was Ihnen beliebt, und wohl gefalle es Ihnen.

Sie sind doch nicht krank ich kann mir nichts denken, warum Sie so äusserst schweigen. Doch man schweigt auch aus Wohlseyn; und so will ich das letztere glauben. Ich bin krank gewesen; aber wieder gesund Gottlob! Beim Krankseyn komt nichts heraus Wenn Sie nicht etwas besonders im Schilde führen; so schreiben Sie. Es ist doch gar nicht gut, dass man so schweiget Frau und Kin- der befinden sich wohl und grüssen herzlich. Göthe ist in Rom und

1) Siehe den folgenden brief.

2) Herders söhn Adelbert, Gleims patenkind.

3) Vgl. Gleims antwort vom 23. sejjt. 1787. Dazu den folgenden brief.

4) Gleim antwortete auf seine Sendungen erst den 23. September mit dem ihm gewohnten enthusiasmus.

5) Schon am 7. Januar 1787 schreibt Herder an Eichhorn: „Ich bringe hundert Völker unter meinem Mantel zu Markt und ein Bändchen zerstreute Blätter oben drein, ni prohibent fata".

BRIF.FK HERDERS AK GLEIM 351

^vil•d mit einem Keichthum Vdii Ideen ziirüekkummen, die der Welt

nicht anders als wohltliun können, wenn sie. solche aueli nur in der

3ten Generation genösse. Den besten Gniss an die Schwester und alle

Fi-ennde. Gehabt Euch wohl ihr lieben.

Herder.

15. Herders gattin an Gleim. Weimar d. 1. F^^hv. 1789. Ich gedeidvc heute meiner grossen Sünde, bester Freund, Vater und Bruder, dass ich Ihnen so lange keine Nachricht von meinem lie- ben Fernen gegeben habe. Sie wissen es aber selbst, dass eine Mutter von G Kindern nicht schrcibselig seyn darf noch soll. Nun nach Rom bester Freund! Das Clima bekommt meinem Mann sehr wohl, er ist gesunder als jemals und ist heiter. Das macht (wie er schreibt) man lebt unter dem schönen Himmel ein blos sinnliches Leben; das Denken und die Mühe verlernt man ganz und gar, weil sich immer der Gedanke zuerst aufdrängt: ^vozu die Mühe? wozu das Denken? Dabei aber glaube ich, gewinnt, wenn ein solches Leben nicht zu lange anhält, die innere Elasticität des Geistes und Körpers.

(Aus einem lu'ief vom 28. okt.) „Rom ist so gross und reich : eine Welt von dritthalb tausend Jah- ren ist hier zu suchen und zu finden; alles liegt so weit auseinander, macht Ideen neben und vor sich, dass ich mich jeden Tag unwissender dünke.

(Vom 20. Decemb.) Da ich so leicht keinen Tag vorbeilasse, ohne was gesehen, oder mich um etwas bemüht zu haben, so bleibt indessen Rom auch für mich ein Grabmal, aus dem ich mich allmählich herauswünsche. Man fühlt sich darinn wie in einer Tiefe, in der man nicht viel weiter kommt, je mehr mau mit Händen und F'üssen strebet. Das Alterthum ist unendlich als Studium betrachtet; die Fäden, die sich aus Rom in alle Geschichte schlingen, sind so vielartig, und die Mittel, sie zu ver- folgen, werden hier so erschwert, dass es besser ist, zu guter Zeit sie aus den Händen zu lassen und nur den Knäuel in seinem Gemüth zu behalten. Aus dem Vatican werde ich nicht viel bringen; er liegt mir zu weit ab; mir fehlt Zeit; einen freien Gebrauch der Catalogen habe ich nicht erhalten können, noch weniger eine freie Ansicht der Schränke.

Desto fleissiger bin ich nach meiner Art bei der Kunst ich lebe

mit den Statuen und Kunstwerken die mir eine ganz andere Welt auf- schliessen und die schönste Philosophie gewähren; ich vergesse bei ihnen Zeit und alles".

352 PAWEL

Endlich hatte ihn das alte reiche Rom überfüllet; er sehnte sich nach Neapel, und ist mit unsrer Herzogin Mutter den 1. Jan. dahin abgereisst und da am 3ten angekommen. Die schönen Orangewälder lagen aber unter ungesehenem und unerhörtem Schnee und Eis. „Trotz der Kälte ist die Luft hier wie ich sie zeitlebens noch nicht gefühlt habe, balsamisch und erquickend. Vom drückenden Rom befreit fühle ich mich wie einen ganz andern Menschen wiedergebohren an Leib und Seele. Man vergisst hier die ganze Welt und wünscht mit den Sei- nigen hier nur zu sehen, nur zu athmen. Wir wohnen am Meer mit der schönsten Aussicht; hier ist eine Welt, die Gott gemacht hat, Ge- sundheit, Ruhe und Leben. Ich glaube es den Napolitanern , dass wenn Gott sich eine gute Stunde machen will, er sich ans himmlische Fenster legt und auf Napel herabsiehet. Auch sehe ich oder fange an zu fühlen, wie man ein Grieche sein konte.'' Nehmen Sie diese Empfin- dungen, die er an mich geschrieben liebreich auf bester Freund und verbrennen das Blatt. Eigentliche- Beschreibungen hat er mir nicht gemacht, sondern alles zur Rückkunft gespart. Einen gar hübschen Brief über Tivoli hat er an Gottfried geschrieben, der ihn hier abschrift- lich beilegt. Noch einige andere, an die Kinder müssen Sie diesen Sommer, wenn der Vaterr glücklich zurückgekommen ist, bei uns lesen. Nun leben Sie tausendmal wohl mit meiner unnachahmlichen lieben Schwester, und leben auch im neuen Jahre für uns gesund und heiter. Ich bin mit meinem kleinen Häuflein gesund, die Ihnen die Hände küssen. Ihre Bekannten sind alle wohl. Goethe, Wieland, Ber- tuch. Der erstere arbeitet an seinen Werken; sein Freund Moriz ist einige Monate bei ihm gewesen und heute mit unserm Herzog nach Berlin abgereist. Bleiben Sie uns gut, Nachschrift.

Ich hatte schon gar lange einen Gruss und Kuss aus Rom Ihnen zu senden; fast traue ich ihn nicht zu überbringen, da seitdem so viel Eis und Schnee darübergeflogen. Wielands alte Mutter ist am Ende des Jahres gestorben.

16. Leideni. Weimar den 2**^" Pfiiigstag 1792.

(Nachschrift von Herders band.) Wie vielfach danke ich Ihnen, bester Gleim und habe Ihnen zu danken, für ihr dreifaches grünes Büchelchen 2, und so viel schöne Gewürze, Blumen und Früchte in diesem grünenden Strauße für Wal-

1) D. I s. 150 zeile 15 von oben.

2) Gleims zeitgedichte. Gleim scliickte sie an Herder am 6. mai.

BRIEFE HERDERS AN GLEIM 353

dis\ am meisten aber für Ihre herzlich lieben Briefe an mich und Gottfried. Falle von dem Segen und den Erinnerungen, die Sie ihm geben, kein AVort aut die Erde! Und ich hoffe es nicht: er ist beschei- den und fleissig. Nun ins Detail. Ihr Biichelchen^

17. Herder an Gleim. (Anfangs mai 1798. |''

eheu!* Ihren Garton also, 1. Gleim, sehe ich diesen Frühling nicht '^, wann werde ich ihn wiedersehen? Grüssen Sie indessen bestens die Schwester von mir; lass sie uns gut bleiben; auch wenn Sie für uns nicht Speise bereitet.

Benzler grüssen Sie auch von mir. Seine Ausg. engl. Ged. ist in Stocken gerathen; was macht er sonst? Sein Sprachschatz sollte Dicht unter den Blocksberg oder auf dem Bl. Berge vergraben bleiben. Er muss ihn für die Welt austhun; und sollte sich der Italicner mehr annehmen. Da stecken noch gute Sachen für uns Transalpiner. Auf Vossens Ilias*'

Wir fügen hier Gleims noch ungedrucktes antwortschreiben vom 3. mai 1793 an:

„Die Musen sind geflohn! AVohin, o Theurer, Lieber!

An Burenputer oder Tiber,

An Indus, Kiony, oder Nil

Zu Moren, Tartarn, oder Wenden

Wir folgen Ihnen, ich, den Ackermann Virgil,

Du den Omäros in den Händen Ja! ja, wir folgen Ihnen, wir suchen sie auf, und finden sie auf ihrem Parnass am Berge Meru, auf Agrasfluren in Thessalien, oder an den Ufern des Ganges, wir folgen ihnen, und uns, uns folgen Bentzler, und der Mentor seiner beyden Söhne, der Pfarrer Schwartz, der bey mir gewesen ist vor ein paar Tagen, ein treflicher junger Mann, der meinem Herder sehr gefallen würde, gut und sanft, wie ein Rosenblat;

1 ) Biirkard Waldis , Esopus ganz ueuw gemacht und iu Versen gefasst. Frank- furt a. M. 1548. Eine auswahl dieser fabeln besorgte Escheuburg, 1777.

2) D. ebenda zeile 17 von oben.

3) Ohne datumangabe. Gleim empfieng den brief am 3. mai 1793. Düntzer nimt den 1. mai an.

4) D. I s. 158 zeile 16 von oben.

5) In dem vom 12. april datierten briefe gibt er der hofnung ausdruck, den widerkommenden frühling am 1. mai mit Gleim zu feiern. Und in einem noch unge- druckten briefe vom 29. april schreibt Gleim: „Kommt doch, ihr lieben! Kommt doch iu diesem Frühlinge noch".

6) D. ebenda zeile 17.

OD

ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXIV. -'J

354 PAWEL

er hat über die Erziehung der Töchter geschrieben und über Religiosi- tät. — Dank! Dank für die Auflösung des Räthsels! An die Stelle der Quaal der Errathung ist jetzt das Verlangen nach dem Lesen in unsrer ersten Epopee getreten. Placken und plagen sie doch den Er- schaffer des Reineke Fuchs; denn ohne Zweifel hat er das alte herr- liche Gedicht wie gantz neu uns dargestellt, dass er, um des alten Gleims willen eile, mit der Herausgabe, nach Herder ist Gleim doch gewiss sein bester Leser! Der arme Köhnig von Fohlen! sag auch ich! Tröste mich aber damit, dass der König verliehrt und die Mensch- heit gewinnt! Alle Berlinischen Briefe sind voll von Nachrichten, über die grosse Freude der aus dem Joch des poln. Edelmanns erlösten Ein- wohner. — Die Gedichte der Karschin von ihrer Tochter gesammlet, und herausgegeben, und Withofs Unterhaltungen send' ich Ihnen, in Beyden ist Gutes, nicht das Beste gesammlet und zu finden. Bleiben Sie, Hertzensschwester ! bey dem herrlichen Vorsatz früher kommen zu wollen. Den 2"^" april 1793 schrieb ich in mein rothes Buch: Ich sah, (was sah ich nicht in vier und siebzig Jahren) Der Erde zahmstes Volk wild werden sah's in Wuth All seine Menschlichkeit ablegen, sahs Barbaren Sahs Kannibalen seyn im Durst nach Menschenblut! Sie haben die Zeitgedichte, die letzten, nun, meinen sie, mein bester, dass es von irgend einem kleinen Nutzen seyn könne, wenn ich an ihren Herzog, an ihre beyden Herzoginnen Exemplare sende? Wenn Sie's nicht meinen, so geschiehts nicht. Nun sie gedruckt sind, nun bin ich mit den meisten unzufriedener, als irgend eiuer ihrer Leser seyn wird, und habe schon Verbesserungen in mein Tisch -Exemplar geschrieben. Leben Sie wohl , recht wohl. Die 5 te Sammlung der zer- streuten Blätter erwart ich ungeduldig".

18. Herders gattin an Gleim. W.am 2"="Pfingsfeiertag 1793.

Endlich sind vorgestern die Br. der Humanität angekommen, und

Sie müssen sogleich das Erste Exemplar durch die Post erhaltend Der

1) Herder schickt sie an Gleim am 12. Mai 1793: „Hier sind meine Briefe, liebster Gleim; manches wird, zu unserer Zeit gesagt, fremde dünken. Aber sie wur- den vor Jahren geschrieben . . . Die Briefe sollen ins Unendliche fortgesetzt werden ; darum musstc ihre Base so breit, so breit sein". Am 20. Mai sendet sie Herder mit gleich begleitenden worton an Heyne: „Hier sind Briefe, wie sie die Zeit gab, wie sie die Zeit zuliess, und wie ich mir dazu Stunden nur ausstahl. Sie sollen foii- gefühi-t werden •, darum ist die Bahn zu ilmen sehr breit geworden " . . Und einen monat vorher äussert er darüber an Heyne: „Die Briefe sollen meine silvae sein,

BRIEFE HERDERS AN GLETM 355

H. Verleger und Drucker liaben sich sehr luihötlich aufgeführt, sie so spät zu schicken. Wir iimannen Sie tausendmal, liebster treuer Freund, bis zum frohen Wiedersehen! Kuss und Gruss der 1. Schwester und

Nichte. Ihre

eigne In Eil C. H.

19. Herder an Gleim. [25. Juli 1793.Ji

Hier, 1. alter und in Liebe und Freundschaft und Theilnehmung ewigjunger Gleim, den 5. Th. der zerstr. Blätter. Es sind keine Rosen und Myrthen; aber Lilien, Cypressen, Lorbeern, Ehrenpreis, und was mir sonst Gutes die deutsche Muse gebracht hat-'. Mich freut es herz- lich, dass ich Ihnen dies Bändchen schicken kann; Sie haben Geist und Herz, Gefühl und Geschmack für seinen Mancherlei -Inlialt.

Beide Herzoginnen sagen Ihnen den schönsten Dank für die über- sandten Zeitgedichte. Sie haben sie mit grosser Theilnehmung aufge- nommen — denn dass Jede edle Seele jetzt an dem grossen Zeitlauf Antheil nimmt, versteht sich von selbst haben mir Beide den ver- bindlichste Dank aufgetragen 'l | Meine Frau, die keine Herzoginn, son- dern Ihre enthusiastische Liebhaberinn und Freundin ist, wird und mag Ilnien selbst dankend Bald, carissimo mio, bald schliesse ich mit dem 6. Th. diese zerstr. Blätter^. Sie sind wahrlich recht zerstreut zusam- mengesucht aus allen Theilen der Erde, j Geniessen Sie, Lieber, die

worin ich nach Gefallen umherwandle. Die Anlage ist mit Floiss etwas weit her- geholet "...

1) Gleims empfangsbestätiguug: 27. Juli 1793.

2) In einem briefe an Heyne, "Weimar, den 7. aug. 1793 schreibt er darüber: „Ich wählte aus meinen Papieren, was ich dem gegenwärtigen MomtMit der Dinge gemäss hielt, und spreche, so viel möglich, durch fremde Zungen und Organe. Lie- ber halbpassend, als gar nicht passend, was man doch beinahe thun müsste". Vgl. dazu Gleims antwortschreiben vom 31. juli d. j.

3) Gleim hatte sie auf Herders rat (siehe Hs brief an Gleim vom 12. mai d. j.) an die herzoginnen gesant.

4) Bezeichnend ist, wie Gleim selbst über sie in einem briefe au Fr. v. Klenke vom 5. mai 1793 urteilt: „An den beygehenden Zeitgedichten werden Sie, mein bester, viel, sehr viel zu tadeln finden, nicht aber so viel, als ihr Verfasser, der von seinem Patriotismus der Menschheit sich übereilen liess! Wenig, und gut, vom Vielen das Beste, sagt er itzt, und wünscht, dass er Geschehenes ungeschehen machen könnte! Manches, welches das Beste seyu mag, ist in der Eile zurückgeblieben! Man ist nicht immer, was man seyn soll".

5) Aber erst am 18. november 1796 schickt Herders gattin die ersten drei bogen an Gleim. Vgl. den betreffenden brief von Herders Gattin au Gleim.

23*

356 TAWEL

Eosen -Lilienzeit. Sie hören ja nicht die Kanonen vor Mainz; Sie sehen nicht die Flammen der Stadt. Gottlob, wir auch nicht. Ich müsste davon laufen. | Rosen und Lilien blühen und welken; unsre Freund- schaft, die so manches Jahr überdauert hat und in unsere Seelen gewur- zelt ist, blühe ewig. | Viel Grüsse den Nichten. Gottfried in Jena ist wohl und fleissig. Er, ihr alter Liebling, empfiehlt sich Ihnen mit Herz und Seele; so auch seine Brüder bis auf den kleinen Rinaldo, und ihre Schwester Luise mit ihnen, j Vale, anima proba, sincera vale. | Ver- zeihen Sie, Liebster, dass meine Frau nicht schreibt. Der Brief liegt seit 8 Tagen; aber Theils die eingetretene Krankheit des Rinaldo, Theils tausend andere Yerwirrungen hielten sie ab. Also fliegen die zersti-eu- ten Bl. diesmal ohne Signatur ihrer Hand. Sie wird Ihnen bald reich- licher Ihren freundl. Dank sagen und grüsset durch mich schönstens alle Lieben. Yale

H.

20. Herders gattin an Gleim. Weimar d. 14. Aug. 93. Ich muss Ihnen, und wenn auch nur mit wenig Worten, unserm geliebtesten und allerbesten Freund, unsern Kuss und Gruss durch H. Oberconsistorialrath Böttiger übersenden, der unser Freund und zugleich der Freund und Lehrer von Gottfried und August ist. Wir verdanken ihm sehr viel an diesen Kindern; er hat seiner Classe ein eigenes neues Leben und Feuer zu geben gewusst und er wird hier desswegen sehr geachtet. Wir haben ihm aufgetragen Ihnen mündlich die vorzüglich- sten Hindernisse zu sagen, die uns der Freude beraubten Sie zu sehen. Ach ein Wort von Ihren Lippen zu hören, wie es in Ihren Briefen so süss nur tönet, wäre Balsam für uns gewesen. Es war aber dieses Jahr unmöglich. Künftiges Jahr müssen wir wo möglich Ihren Geburtstag mit limen feiernd Für wie vieles hätte ich Ihnen jetzt noch zu danken! Für jedes Herzens Wort in Ihren Briefen und für das schöne schöne Gedicht, dessen Sie mich werth geachtet haben. 0 wenn die Musen mir an der Wiege freundlich gelächelt hätten, ich würde Ihnen jetzt das schönste Lied dafür singen. Mein Mann sendet Ihnen für H. Fischer den Burkard Waldis mit dem besten Dank zurück. Er befin- det sich heute, gerade da er den Brunnen zu trinken anfängt, gar nicht wohl und ist nicht gestirnt ein liebes Wort Ihnen zu schreiben.

1) Gleim antwortet hierauf am 27. Oktober: „Sie versprachen gegen Anfang des Herbsts mit Ihrem Besuch uns zu erfreuen ! Bis diesen Augenblick haben wir gehofft und geharrt; nun sind wir, was das Sprichwort mit sich bringt! Wir wollen aber zufrieden seyn, wemi das neue Versprechen uns nicht täuscht!".

BRIEFE HERDERS AN GLEIM 357

21. Herder an Gleim. Empfangen Sie unsern besten Dank, liebster Vater, Freund und Bruder, für die schöne State, die Sie Ilireni Adelbert verschafft haben ^. Wir liaben ihn hingebracht; und über alle unsere "Wünsche und Erwar- tungen ist uns der ganze Anblick der Dinge gewesen. Er, der Ob. A. Morgenstern, ein Mann von Verstand und Klugheit, dem Biederkeit und Goradersinn, Menschlichkeit und Güte auf seinem Gesicht geschrie- ben steht, wie sie auch in seinem ganzen Betragen herrschten; Sie, eine rüstige, thätige, belebte, gebildete, und dabei ungemein wohlwol- lende Frau. Die ganze Familie liebenswerth , und das ganze Haus ein Muster von rascher, reger Ordnung, und guter Einrichtung. Wir haben sehr angenehme Stunden da zugebracht, und (leider wars ein regnich- ter, aber ein fruchtbarer Tag!) den Adelbert dort mit ganzem guten und vollen Zutrauen auf die Güte der Bewohner dortgelassen. Ihnen sind wir dies alles schuldig; nehmen Sie dafür unsern Herzensdank an, lieber Freund und Gefatter. Jetzt sammle ich zum letzten Theil der zerstr. Blätter; der soll der beste werden; so wahr mir Gott helfe. Ich bin ganz berauscht bei der Sammlung, selbst unter Acten, Con- cepten, Rescripten. | Lebt wohl, Ihr lieben, tausend, tausendmal wohl. Auf den Sommer kommen wir zu Euch.

24. märz 94. Herder.

Wir lassen hier Gleims noch ungedrucktes antwortschreiben vom 30. märz 1794 folgen:

Herrlich! vortrefflich, lieber, theurer Herzensbruder! Herzens- schwester! dass ihr mit unsers Adelberts Lehrherrn und Lehrfrau in so hohem Grade zufrieden seyd! Es wird, hoff' ich, alles gut gehn.

Der alte Gleim ist gutes Muthes,

Wenn alle Welt den Math verliehrt.

Aus allem Bösen kommt was Gutes

Spricht er und sieht des Menschenblutes

Rheinstrom fast ungerührt

Ins Weltmeer fliessen!

Ja wohl wird's gut gehen ! Unser Adelbert wird uns Alten viele Freude noch machen ; eine recht grosse hätt' er nun schon uns Alten gemacht, wenn Ihr, meine Lieben im Herrn, nur nicht so zweifelvoll von Eurer Begleitung mir geschrieben hättet! Denn so hättet Ihr bey Eurer An- kunft in Hadersiebon mich angetroffen.

1) Adelbert kam durch Gleims vermitteluug als landwirteleve zum oberamt- mann Morgenstern nach Hadersleben.

358 PAWEL

Uad welche! Welche Freude dann

Dem Herzensbruder, und der Schwester

Hätt' er, der alte gute Mann,

Die beyden Knochenarme vester

Umschlungen, als Ja! wer nur die Zeit hätte sich zu besinnen, ob Epheu, oder was sonst nicht vester sich umschlingt!

Genug er hätte sie umschlungen!

Mit seinem Adelbert war' er

Um Euch, ihr Lieben, hochgesprungen

Und auf dem Wirthschaftshof umher

Hätt' er gepfiffen und gesungen

Und so dergleichen mehr Ja! wahrlich, ihr Lieben! Ihr habt durch eure Zweifeley den alten, ohne dem seit einiger Zeit nicht mehr reiselustigen Mann, vollends unschlüssig gemacht! Wer eigentlich, mag ich nicht noch sehn. Ver- geh' es ihm der liebe Gott! Yergüten aber kann er's nicht anders, als durch tägliches Antreiben zur Eeise nach Halberstadt! Ach, ihr böse Kinder! Wir kommen im Frühjahr, hiess es, im Winter, im Frühjahre nun heisst's schon im Sommer,"" im Sommer wird's heissen, im Herbst!^ Mit glühendem Herzen sieht der Gleim, sehen die beyden Nichten, Euch, und euren Humanitätsbriefen, und euren zer- streuten Blättern entgegen 2. Gottlob, dass ihrer mehr noch kommen, ich freue mich auf alles, was von meinem lieben Herder kommt, wie Fayette sich itzt freut, dass die Engelländer seiner sich annehmen, und werdet ihr Zeit und Stunde bestimmen, dann reisen wir mit diesem Herzen auf zwey Meilen Weges bis Dittfurth euch entgegen! N. S. Was macht der Herzog? Was Göthe?

22. Herders gattin an Gleim. Weimar den 4. April 1794. Herzen 3. Sie haben in Ihrem Brief an Adelbert, den er durch die Post erhalten und eine grosse Freude darüber gehabt hat, geschrie-

1) Am 7. märz schrieb Herders gattin: „Im Juni, im Kosenmoud, wenn kein Schnee mehr fällt, müssen Sie uns aufnehmen".

2) Und am 19. märz antwortet Gleim: „Der 19''' 20'*' 21'*' sind die bestimm- ten Tage! War' an denselben mein Herder auf halbem Wege zu mir gewesen! Wahrlich so zürnt' ich meinen zornigsten Zorn, so gab' ich ehender mich nicht zufrieden, als bis er den dritten Theil der Briefe mir selbst gebracht, und mit Karo- lina Flaclisland, und mit ihrem Gefolge 14 Tage wenigstens unter meiner Aufsicht entweder laier in meinem PaUast, hinterm Dom, oder draussen in meinem kleinen Saussoucis, Athem geholt hätte!" 3) D. I s. 170 zeile 5 von oben.

BRIEFE HERDERS AN GLEIM 359

bell, dcass wir uns in Hadersleben künftig nun zusammen sehen kön- nen. Es wäre unendlich schön, wenn wir uns zusammen dort fänden und zusammen nach Halberstadt führen. Wir dächten ohngefähr 1 2 Tage in Hadersleben zu bleiben, um die wackere Hausfrau und Hausmutter nicht zu lange zu belästigen.

(Nachschrift von Herders band.) verspätete Der 2te ist noch abwechselnder in seinem Inhalt^. Das Verzeichniss der Br. fehlt noch Philemons Sprüche S. 154 sind einfältig gedruckt; Sie müssen sie in Gedanken abtheilen. Sprüche im zartesten griechischen Geist. Für Ihre Gedichte ^

Vergl. hiezu Gleinis noch ungedrucktes Antwortschreiben vom 10. april 1794:

Ein Wort, ein Wort! ein Mann, ein Mann! Ihr kommt, meine Geliebtesten im Herrn, Ihr kommt! und wenn's möglich ist, so holen wir euch aus Hadersleben ab! Bestirnt nur die Tage, die Stunde Eures Baseyns. Je früher ihr kommt, desto besser ist's! Benn ich bin ein alter Mann, und erlebe noch gern die irdischen Himmelsfreuden! Ach! Sie sind ein wahrer Engel, liebe Frau Gevatterin, Sie sagen Worte, die das Innerste der Herzen durchdringen! Und Ihre Briefe, Herzensbruder, bis auf die letzten zwo Zeilen ists alles vortreflich; vortreflich ists besonders, dass Sie die lieben Todten auferwecken, mei- nen lieben Lichtwehr, den unsere Halberstädter ganz schon vergessen haben, meinen Sucro, nicht den letzt verstorbenen Magdeburgischen Consistorialrath, den Coburgischen Professor mein' ich, meinen Bodmeii, und meinen lieben Opiz werden Sie auch schon auferweken; Zacha- rias Erweckung hat nichts geholfen, wer ihr aufgewekter Horaz seyn soll, darüber hab' ich mir den Kopf seit gestern zerbrochen. Einem Menschen, der so wenig Zeit noch übrig hat, sollte man mit Qualen zu Kopfbrecherey die Zeit nicht verderben! Reineke Fuchs ist heraus, er steht schon angekündigt in den Zeitungen; zwölf Gesänge sind's. Mich verlangt nach ihm, wie nach wie zum zehnten Theile nach Euch! Mein lieber Homer wird gegen die Humanisten, die ihn zum Grobschmidt machten, vortreflich gerettet!" „Ich habe soviel noch auf dem Herzen, soviel noch zu sagen über die herrlichen Briefe, die ich allen Menschen zum Lesen und Erwägen in die Hände geben

1) D. Zeile 21 von oben.

2) Der zweite teil der hnniauitätsbriefe. Herder übersantc in diesem brief den 3. teil der briefe.

3) Ebenda zeile 22.

360 PAWEL

möchte! Das vollständige den vorigen Heften gleiche Exemplar erwart' ich noch, und sehe den Blättern mit Heisshunger entgegen! kann man den Göthischen Reineke Fuchs nicht auch vor der Messe bekommen? und wo?

23. Herders gattin an Gleim. Weimar am Charfreitag

[18. april] 94. Zum Dank für Ihren lieben Brief den wir heute erhalten haben, und der zu den schönsten Blüthen die Rose der Freundschaft bringt, allerbester Freund, muss ich Ihnen einige meiner Lieblingsoden von dem auferweckten Horaz abschreiben. Sie müssen ihn bald kennen lernen, denn die zerstr. Blätter kommen erst zu Michael heraus. Den Namen aber darf ich nicht nennen; mein Mann wird ihn Ihnen ins Ohr sagen; denn öffentlich nennt er ihn nicht, aus vielen Ursachen. Genug er hat zur Zeit des 30jährigen Krieges gelebt, und wenn Sie ihn errathen, so nennen Sie ihn an niemand. Ich will Ihnen, ehe wir selbst kommen, noch einige senden. Mein Mann hat heute gepre- digt; es sind überdem Fremde hier, und er ist von Mittag bis Abend ausser dem Hauss. Sie sind sein Erster und Einziger Leser, und

Ihre Stimme macht ihm immer frohen Muth zur folgenden Arbeit. Sie werden ein schönes Exempl. der Briefe erhalten; dies was er gesandt hat, sind nur die Probebogen. Vom Reineke haben wir noch nichts gesehen, sobald er zu haben ist, sollen Sie ihn erhalten. | Ach Ihr Gedicht am 2. April hat uns sehr gerührt. Wir wollen ihn in Ihrem Sanssou9is noch einmal feiern den lieben goldenen Tag und eine Hymne mit der Nachtigall singen. Leben Sie tausendmal wohl, unter den wunderschönen Blüthen wir werden uns eilen zu kommen, um uns bei Ihnen zu verjüngen. 0 bereiten Sie einen Trunk aus Lethe für meinen Mann, er bedarf ihn".

Der volständigkeit wegen folge hier Gleims noch ungedrucktes antw ortschreiben vom 22. april 1794:

„Unser Herder, Herzensschwester! ist der erweckte herrliche Ho- raz. Wer's beim ersten Anblick nicht sieht, Herzensschwester, der kennt ihn nicht, wie wir! Und weil's so ganz und gar unmöglich ist Herzensschwester, dass unser liebe Theure, nicht von jedem der seinen Personalcharakter kennt, und deren giebt es doch viele, sogleich errathen werde, so hielt ich fürs beste, dass er die herrlichen Oden, die so sehr ihr Eigenthümliches wie die Klopstockischen haben, unter seinem Nahmen , besonders nicht in den zerstr. Blättern herausgäbe, schön gedruckt, auf dem schönsten Papier, so reizend, dass die Könige,

BRIEFE HERDERS AN GLEIM 361

sie zu lesen, Lust bekämen! Unserm gnädigsten König schickt' ich dann ein Exemplar und bat' ihn, seynes Versprechens, der Musenvater seyn zu wollen, eingedenk zu seyn! Sind sie, Herzensschwester! in den zerstreuten Blättern schon abgedruckt, so kann der Verleger, wenn er zu diesem besondern Abdruck PJrlaubniss erhielt, gar wohl das Honorarium noch einmahl bezahlen, und will er das niclit, nun! so gebe der deutsche Horaz, er gebe seinem Herzensbruder dem alten Gleim, die Erlaubniss, für jeden König ein Exemplar abdrucken zu lassen, auf seine Kosten, und sein Herzensbruder wird die Üeberzeu- gung etwas gutes gestiftet zu haben, mit sich ins Grab nehmen. Die Grabschrift ist vortretlich wie's die Könige sind; ähnlich dem Inhalt dieser stellt in meinen kleinen Büchern eins; sie hervorzusuchen aus den vielen kleinen Büciiern ist die Zeit nicht Herzensschwester! Und die zwo Göttinnen, wer die einzelnen Schönheiten aufsuchte erwürbe sich das Vergnügen die ganze Schönheit zu sehn! Halten Sie ja Wort, und senden Sie mir, Herzensschwester, ehe Sie kommen, noch einige! Nein aber, nein, kommen Sie bald, bald und bringen Sie sie mit! Es ist die schönste Blüthezeit

Müken tanzen mit Getümmel, Unter sich im Abendgrau! Über uns ist blauer Himmel 0 wie herrlich ist sein Blau! 0 wie leise, wie gelinde Wehn die lieben Abendwinde, Welchen lauten Flötenschall Singt die liebe Nachtigall Weit hinaus in stille Lüfte! Blüthen duften süsse Düfte! Hüttchen! ich der Hüttenmann Bin kein Timou in der Höhle! Bin ja heut von junger Seele Wie man's seyn und werden kann. Hocjivergnügt ein Hüttenmann, Kommen heut noch Herders an!

Wir waren im Garten diesen Abend, es war der schönste meines Lebens, nein! den werd' ich haben, wenn ihr hier seyd, aber ich war äusserst heiter, dachte nicht an die Zeitgreuel,

In meinem Hüttchen hör ich nichts Von Tartarods des Bösewichts

362 PAWEL

Noch nicht bestraften Höllenthaten

Auch hör' und seh' ich nichts, Gottlob!

Yen jenen eines Potentaten

Der nur zuweilen grob

Den Musen und den Musenfreunden

Seyn soll! Yon keinen Menschenfeinden,

Hör' ich. Gottlob! Ich hör' und sehe

Hier auf der Stelle wo ich stehe

Von keiner Hölle zu Paris!

Mein Hüttchen steht auf einer Wiese

Wie mitten in dem Paradiese

Mein Hüttchen ist ein Paradies!

Erhalt' es, o du Gott der Götter!

Und wer zu mir ins Hüttchen tritt.

Er bringe mir zerstreute Blätter

Nicht aber eine Zeitung mit! Treten Sie, Herzensschwester nun bald, bald in's Hüttchen; und bringen Sie, was Sie dem auferwekten Horaz stehlen können, mit ins Hüttchen, wir wollen so Gott will, Avie im Paradiese vor dem Falle, höchst glücklich sein".

Und am 2. mai schreibt er: „Kommt, Herzensbruder, kommt! Die Blüthen haben ausgeblüht, der Frühling aber ist noch schön. Koramt, Kinder, kommt! Es könnte böses Wetter werden. Wir Avaren auf dem Brocken die vorige Nacht. 0 Avärt ihr schon hier! Wir kommen aus unserm kleinen Sanssoucis! Kommt, liebe Kinder! so bald ihr könnt, und besinnt euch nicht lange. Mathisson, der aus der Hölle zu Lyon gerettete Mathisson ist bey uns gewesen einen Tag! Es war ein schöner Tag. Er kommt zu Euch, aber Ihr sollt auf ihn nicht warten. Er bleibt eine Weile zu Magdeburg, und will von Magdeburg aus einen Tag noch bey uns seyn. Vielleicht dass es der Himmel so fügt, dass er den einen Tag noch bey uns ist, wenn ihr 8 Tage schon bey uns gewesen seyd!

Und als zusatz am 4. mai: „Dieses Brieflein ist liegen geblieben, Herzensfreundin! Und nun erhalt' ich noch zur rechten Zeit Ihr lie- bes theures Briefchen nebst den Beylagen; alle sind neue Beweise, dass unser lieber theurer Herder, der aufgefundene Horaz ist. Sein Geist und sein Herz webt und lebt in allen. Er versteckt sich in tau- senderley Formen, mir und mir ganz allein kann der durch und durch von mir gekannte liebe Mann sich nicht verstecken. Er lebe! lebe!

BRIEFE HFRDERS AN GLEIM 363

Seinen Horaz muss er uns besonders abgedruckt geben, sobald er kann, Ausstellung ist unuöthig ! ''

24. Herders gattin an Gleim. Weimar d. 28. April 94.

Diesmal liebster Freund und Scher haben Sie den Horaz nicht errathen; der Titel ist: Oden und Epoden eines deutschen dich- ters gedruckt im Jahr 1660. Aus dem Lateinischen über- setzt.

Es sind sogleich einige für Sie abgeschrieben worden, die ich ausgesucht habe. Gottfried, der Ihnen zärtlich die Hand küsst, liat das Schachspiel abgeschrieben, zwei an die Jungfrau Maria, August sein nächster Bruder. Die eigenwillige Leier, Gottfrieds Freund, Reinhard aus dem Hannoverschen ein edler tref lieber Jüngling; und ich, wollte noch eine Blume des neuen Horaz auf den Altar des 2ten Aprils legen. Wie freute ich mich, diese schöne Antwort Ihres Liedes zu finden. Indessen sitzt unser Vater oben und schwitzt unter Acten. Eben so wie Sie, Theuerster, finde ich Ähnlichkeit zwischen meinem Mann und dem Dichter. Vermuthlicli ist hier eine Seelenwan- derung vorgegangen. Ihr Gedanke, dass die Gedichte allein heraus- kommen sollen, ist schön. Meinen Sie aber nicht dass das Publikum erst durch eine Probe gereizt werden müste? Mein Mann hat ein paar Jahre daran zu übersetzen. Er hatte sie meist nachts um 10 Uhr über- setzt, wenn er nicht mehr vom Consistoriumdiener oder einem Küster gestört wurde. Unser Kommen liebster goldener Freund muss leider doch bis in den Juny verschoben bleiben. Wir erwarten zwischen dem 20. 30. Mai eine Freundin aus Holstein, die Gräfin Baudissin, die hier durch nach dem Carlsbad geht und die wir nicht verfehlen dürfen ich will Ihnen mündlich von ihr erzehlen. Im Rosenmond also. Bester.

25. Herders gattin an Gleim. W. d. 2. Juny 1794.

Eben vor Abgang der Post kann ich Ihnen liebster Freund, nur sagen dass wir den 14. Juny in Hadersleben einzutreffen gedenken, dass wir den Sonntag da bleiben und Montag d. 16. zu Ihnen kommend

1) Die frucht dieser persönlichen begegnung war Herders gedieht an Gleim, Herders werke, ausgäbe Düntzer, I, s. 160. Wärmer noch war Gleims enthusiasmus, der sich in den folgenden noch ungedruckten zeilen kundgibt:

Willkommen zu Hause! Gottes Kinder! Wenn ihr dieses empfangt, seyd ihr zu Hause! seid alle gesund und fröhlich! Jetzt, diesen Augenblick steigt ihr aus

364 PAWEL

26. Herders gattin an Gleim. Weimar d. 4. July 94. Aristocratin ist!^ Und nun noch eine Herzens Angelegenheit.

Ich habe das Anliegen der guten Wielandin, ihren zweiten Sohn Carl, auf ein Ober Amt zu bringen, wohl nicht mit nachdrücklichen Kräften betrieben, und mich gleich abweisen lassen; Sie kam aber gleich den Tag nach unsrer Ankunft und frug nach Ihnen allen und nach dem gegebenen Auftrag. Ist es denn nicht möglich bis künftiges Frühjahr (oder auch noch zu Herbst) einen Ort wie unser Adelbert glücklich ist, für ihn zu finden? Der Knabe will sich zu allem, wie unser Adelbert verstehn. Helfen und rathen Sie der guten Mutter 2.

27. Herders gattin an Gleim. Weimar d. 23. Decemb.

1794. Ohnerachtet meiner noch anhaltenden Schwäche von einem Ner- venfieber, das ich in diesen Tagen gehabt habe, muss ich Ihnen, aller- bester Freund, heute doch schreiben. Acht Tage vorher erhielten wir Ihren Brief es war mir aber unmöglich zu schreiben, denn ich trug mich schon mit meiner Krankheit herum. „Der Manu hätte schrei- ben können", er schreibt aber jetzt Briefe der Humanität ^ an seinen humanen Freund und erhält Verzeihung von Ihm! | Die Gedichte sind

dem Wageu seyd in Doctor Luthers Gebm-tsstadt. Wir hören uieht auf uns glück- lich zu preisen, dass wir solchen Bruder haben, und solche Schwester! Die genos- senen Freuden sind nicht verschwunden mit euch, wir lassen sie nicht verschwinden! Abends gegen sieben Uhr d. 25'"° Jimy 1794

Ach! Unter welchem Himmelsstrich,

Ist ihr Elisium?

Wo sind sie jezt? Wo sehn sie sich

Nach uns im Wagen um?

Wo weinen sie den Abschied noch?

Wo macht der Fuhrmann Halt?

Wo mögen sie die Felder doch

Schön finden? Wo den Wald?

Von unsrer Hertzen Sympathie Sprach ihr bethränter Blick; In welchem Pallast wünschen sie Zum Hüttchen sich zurück?

1) D. s. 178 zeile 5 von oben.

2) Am 7. august 1794 antwortet Gleim: „Endlich, theurer, kann ich Ihnen die angenehme Nachricht geben, dass ich einen guten Lehrherm für den jungen Wie- land ausfindig gemacht habe. Diesen Augenblick komme ich von der auf solch einen Mann gemachten Jagd zurück". Dieser mann war der amtsrat Walter zu Wegeleben.

3) Der 4. teil.

BRIEFE HERDERS AN GLEIM 365

bald zur Helfte gedruckt ich darf und mag Ihnen keine einzelne senden, bis Sie den ganzen Keiclithum auf einmal bekommen und sich in eine köstliche Welt versetzt finden. Ja, liebster Freund, auf Ihren Mitgenuss und Beifall rechnen mehr, als auf tausende träger Seelen Deutschlands. Auf Schmidt rechne ich auch der hat eine Seele dazu aber Benzler hat keine lyrische Seele. Wissen Sie noch, wie er eine ganze Hand voll dieser Gedichte in einer Viertelstunde gelesen und wiedergebracht hatte und Sie sich verwunderten Das habe ich dem guten Benzler nicht vergessen, ob ich ihm gleich herzlich gut bin. I Wieland sagte vor nicht gar langer Zeit: die lyrischen Menschen seien besondere Menschen. Sagen Sie mir einmal lieber Herzensfreund, wer ein lyrischer Mensch ist? Ach die Saite die ihn durchbebt, macht ihm wohl und weh!^

Ich habe bei Wieland wegen seinen Werken angefragt und erhielt die Antwort: Göschen gibt, so viel ich weiss, erst die kleine Ausgabe auf velin oder geglättet Papier aus, und unser 1. Gleim (wofern er auf diese praenumerirt hat) thut am besten, sich gerade desswegen an Gö- schen zu wenden. Er thut sein äusserstes, dass auch eine Quart und gr. Sausgabe längstens in 6 Wochen in eines jeden Subsribenten Hän- den sey. An der Verzögerung ist nicht er, sondern ein Zufall, der ihm beträchtlichen Schaden thut, schuldig. Wir selbst haben noch kein Exempl. gesehen. Auch von Goethens Roman ist noch nichts hier. (Fachschrift von Herders band.)

Dank Ihnen, lieber Vater Gleim, für die Freude, die Sie unserm ganzen Hause, alten und jungen Kindern, sammt den Hausgenossen, dem Bedienten Raum und der Bedientin Zeit, als den unumgänglich nothwendigen Anschauungen unsrer Existenz nach Kantischen Begriffen gemacht haben-'. Ich mit meinem Diogeneslichtchen werde nicht Men- schen, sondern, wie der Studiosus Gottfried mir angerathen, Bücher suchen, und mit Ihrer Erlaubniss auch die Friedenspfeife anzünden, als wenn ich noch vor Ihnen sässe, und wahrnähme, wie Sie zuweilen Ihre grüne Dichtermütze schiebend

1) Gleim antwortet hierauf am 26. februar 1795: „Ein Ijrischer Mann, dächt' ich, wäre, wer den Gott im Busen fühlt, den Horaz (soll wol heissen: Ovid!) in sei- nem: Est Deus in nobis, gemeint hat. Wenn unser Wieland solch ein Mann nicht ist, so hat er als der Schöpfer einer Musarion einen andern Gott im Busen gefühlt, oder eine Göttin , eine Grazie vielleicht ! oder eine Mänade ! "

2) Mit bezug auf Gleims reichliche Sendung von christgeschenken und seinen brief vom 21. december.

3) Gleim pflegte eine gi'üne seidene mutze zu tragen. Vgl. auch Herders brief an Gleim, Weimar, den 27. juni 1794.

366 PAWEL

Mit dem Anonymus ^ geht es langsam. Der Buchdrucker meint wahrscheinlich, dass er Jacob Langsam lieisse; wenigstens heisst er, der Buchdrucker, Peter Langsam. Sobald er fertig ist, sollen Sie ihn haben 2. Jetzt schreibe ich an den Briefen zur Humanität^; obgleich noch kein Mensch so human gewesen ist, des 3. und 4. Th. zu erwäh- nen. Die herz. Mutter schickt Ihnen, 1. Gleim, anbei die Meyer- Böt- tigersche Abhandlung über ihre Verse mit dem fi*eundlichsten Gruss. Mich freuts, dass ich also doch nicht ganz leer vor Ihnen erscheinen darf. Die Meyersche Abhandlung ist Winckelmanns werth, und Sie müssen sie ja lesen. Auch Böttiger hat in Ansehung der Gelehrsam- keit alles erschöpft, was dahin gehöret. Sehen Sie, was wir in Wei- mar alles haben. Was seyd Ihr dagegen Ihr armen Halbstädter oder Halberstädter? wenn es gerade nicht Kirschen oder Knappkäse giebt. Nun dann, leben Sie wohl, Keber Freund, Vatter, Gevatter und Bruder.

28. Herders gattiu an Gleim. Weimar d. 12. April 1795. Dass Unruhe im Hüttchen gewesen ist, und dass Sie alle so krank waren, das hat uns sehr wehe gethan, thevierster Fi-eund, liebste Schwester und liebste Nichte!^ Mit dem Frühlinge, mit dem 2. April kehre alles Glück des Himmels und der Erde zu Ihnen in die Hütte des Friedens und der Liebe. Hier kommt auch noch etwas auf den Altar des 2. Aprils, das leider nicht fertig war und auf diesen Tag zu

1) Die Übersetzung Baldes. Gleim schreibt darüber am 26. febr. : „Unsers lie- beu Uobekaunteu Oden und Vossens Lieder sollten zugleich erscheinen". Und am 5. april: „es half ihm (dem Hüttner) nichts, dass er in den Oden unsers lieben Unge- nannten alle Tage schmauste".

2) Die Sendung selbst erl'olgte erst mitte märz. Vgl. Gleinis noch uugedruck- ten brief vom 24. märz: „Solch ein Dauk ist unermesslich grösser als die Gabe! Da stehn sie die armen Dinger, die Fabeln, bey den herrlichen Oden! Wie sie sich schämen! Unermesslichen Dank, Herzensbruder, Ihnen für den hiueingeschriebeuen Gesang monumentum aere pereunius im Tempel der Freundschaft, in meiner Fami- lienbibliothek! Wir sahen von der Höh hinunter und empfanden o Gleim! das Glück harmonischen Lebens! 0! lasst uns dieses Glück diesen Sommer noch einmal aus- finden! — Was ich las (zum rechten Lesen hatt' ich einen Augenblick noch nicht) war herrlich, einzig! bestätigte, was ich glaubte, der alte Dichter sey Herder mehr, als sein eigen! Ich habe den alten Dichter, las ihn mit Vergnügen, meist aber mit diesem unbeschreiblichen! Über die Vorrede, die Lyra, den Alcäus usw. fiel ich her, wie ein Geyer, dann war der Philippische Strafredner das Erste! Haben wir was bessers? Was den Königen und den Bettlern nützlichers ? "

3) Am 5. teil, den Herder am 8. april vollendete.

4) „Das Hüttchen war ein Lazareth" schreibt Gleim am 5. april 1795 (D. I, s. 189). Und in einem unvollendeten briefe vom 11. märz: „Seit dem dritten (März)

BRIEFE HERFIERS AN GLEIM 367

erscheinen bestimmt gewesen war^ Doch fiii- den Freund und Weisen ist das Gestern, heute und Morgen Eins. Es ist durch die Frau Gräfin Baudissin das Anerbieten geschehen, Adelbert ihrem Schwieger- sohn auf ein Holsteinisches Landgut künftiges Frühjahr zu senden. Nehmen Sie also, treuer Freund, die Empfehlungen wieder zurück, die Sie seinetwegen an Frömann (oder wie er heisst?) gethan haben'-. In dem 3. Stück der Hören ist das eigne Schicksal von meinem Mann^. In der neuen deutschen Monatsschrift von Genz in

wars im Hüttclieu von fiühem Morgen bis in die späteste Nacht so unruhig, dass es an so liebe Freunde zu schreiben unmöglich war. 0 wie dank ich Ihnen, lieber Herder, dass Sie diesen lieben Unbekannten aufstörten, gewiss aber haben Sie von Ihrem Geist und Herzen ihm drey Dritttheile mitgetheilt, es lässt sich nicht begrei- fen, wie ein Herder im vorigen Jalirhunderto schon habe seyn können! Hätt ich die Zeit, einen ganzen grossen Commentar über alle diese Herrlichkeiten bekämen Sie, theurer Herder, hier zu lesen. Beym allgemeinen Beyfall aber muss ichs leider bewenden lassen, und die Herzensschwester, muss ich nur bitten, den 2'*=" Theil baldigst zu mir abzusenden".

Und am 5. april schi-eibt er: „Da find ich diesen Augenblick diesen alten unvollendeten Brief! Unter den bisherigen Unruhen wars kein Wunder, dass er ver- lohven gieng und unvollendet blieb! Nun indess, theure Freundin, haben Sie zwey Briefe von mir erhalten, dieser ist der dritte. Diesem füg' ich gleich noch Fabeln bey, die seitdem zum Vorschein gekommen sind, für den Herder, der so treflich die Fabeltheoiie gelehrt hat".

1) Einzelne nachtrage zur Terpsichore; ein volständiges exeraplar sendet Her- ders gattin erst am 18. mai an Gleim. Vgl. den folgenden brief.

2) Oberamtmann Fromme zu Linum , bei dem Gleim für Adelbert eine Stelle erwirkt hatte. Vgl. Gleims brief an Herder, Halberst. den 9. nov. 1794.

3) In dem noch ungedruckten brief vom 24. märz schreibt Gleim: „Im dritten Stück der Hören lass ich das eigene Schicksal und erkannte bey der dritten Zeüe meinen Mann; wer um nicht sogleich erkennt, ist blind! An jeder Zeile hängi das Wappen seines Geistes, Herzens, sie sey Prosa, sey Vers; auch lass ich die herr- liche Nachlese. Jammerschade, dass die Früchte dieses Geistes nicht beysammen sind!" Und am 10. mai d. j. schreibt er an Herders Gattin: „Unser Dichter ist ein Gottesmann, er heisst nicht Bälde, Herder heisst er, es ist unmöglich, dass der Lateinische Dichter, wie der deutsche sey! Dank, herzlichen Dank, Ihnen, Her- zen sschwester! für die letzten Bogen, die ich den 10. April schon empfieng, und seitdem sie lese, vorlese, studiere usw. AVelch ein Eeichthum von Gedanken! welch ein grosser, edler deutscher Mann! Ich muss den Lateiner auch haben, und soUt' ich mit Gold ihn aufwiegen. Auch ich, Herzensschwester, bete sein Gebet: Heiige erste Vernunft, eifind' uns selber den Frieden. Wie denn theiu-e, kamen Sie zu dem: „Ach warum wünscht unser Freund den Krieg, den tollen, bösen, abscheu- lichen Krieg!" Wo denn hat er den gewünscht? In seinen wähi-end des toUen Kriegs gesungnen Kriegesliedern? (Sie haben sie wohl nicht, ich lege sie bey) gewiss nicht; in denen bittet er, den Krieg, das Ungeheuer, aus der Gotteswelt wegzuschaf- fen. Ohne Zweifel ist es ein Misverständnis ; ich wünschte, glaubt' ich, die Fort-

368 PAWEL, BRIEFE HERDERS AN GLEIM

diesem Jahr finden Sie Kleinigkeiten von meinem Mann mit und ohne seinen Namen ^ An den Gedichten werden Sie ihn erkennen. "Wir empfehlen auch den unvergleichlichen geistvollen Brief an den König von Pohlen, im Februar; mein Mann wollte viel darum geben ihn gemacht zu haben. Mein Mann reicht Ihnen die Hand müde und matt des Tages. Nehmen Sie diese Bogen als seinen Brief an; nächstens schreibt er, wenn er wieder gesund und heiter ist.

Setzung des Krieges, weil dass die Mordregenten alle nacheinander umbringen würden, höchst wahrscheinlich sey, und dann erst ein guter, ehrhcher, dauerhafter, allgemei- ner Friede zu schliessen seyn würde. Werden wir den allgemeinen Frieden bald haben? Man sagt's, man hört's sogar!

Welch ein Gelärm ! Welch ein Getümmel !

Was will das Volk? Welch ein Getön!

Der Friede, lärmt man, kommt vom Himmel

Und jeder will ihn kommen sehn!

Der Friede kommt, die Menschenliebe

Zieht ihn herab! Er ist nicht weit!

0 dass er kam', und bey uns bliebe

Von nun, bis in Ewigkeit! Das eigne Schicksal in den Hören verrieth mir sogleich den Meister! AVer kennt nicht diesen Löwen ex ungue? Wir suchen überall ihn auf, nun wir sehn, dass er grossmüthig genug ist, allen unsern Nothleideuden von seinem Reich thum abzugeben; die so genannte Kleinigkeiten in der Genzischen Monatsschrift hab ich dennoch leider nicht gelesen. Schade, dass unser einziger Herder nicht alles, was aus seinem Geist und Herzen fliesst, beysammen lässt! Wo soll maus aus der Menge herausfinden! Heut las ich mit grossem Vergnügen, dass wir den dritten Band der Ebräischen Poesie erhalten sollen. Gott gebe dem Göttliclien Mann göttliche Ge- sundheit ! "

1) Voraussicht und Zurücksieht I. 1. St. Aus der griech. Anthologie I. 3. St. Warum wir noch keine Geschichte der Deutschen haben 5. St. 6. und 7. St.

(Schluss folgt.)

BERICHT ÜBER DIE 16. JAHRESVERSAMLUNG DES VEREINS FÜR NIEDER- DEUTSCHE SPRACHFORSCHUNG IN LÜBECK AM 19. UND 20. MAI 1891.

An stelle des durch unpässlichkeit verhinderten versitzenden direkter dr. Krause in Rostock leitete herr dr. Seelmann die versamluugen , denen etwa 40 teilnehmer beiwohnten. Die erste Sitzung begann mit einem vortrage von C. Schröder über das Redentiner osterspiel.

Die osterspiele, welche aus der lateinischen osterfeier, wie sie wahrscheinlich über das gesamte gebiet der romanischen kirche verbreitet war, hervorgegangen seien, Hessen sich in zwei gruppen zerlegen. Zu der ersteren rituell gebundeneren gehöre z. b. das Wolfenbütteler spiel und der Triersche ludus. Zahlreicher seien die spiele der zweiten gruppe, deren kern zwar die auferstehung bilde, die aber em reiches um- und beiwerk zeigten. Sie erlieischteu einen aufwand von zeit und theatralischen

JKLUNfiirAUS, JAlIliKSVKIW. D. VKUEINS P. NDÜ. SritArilFORSCIIUNG 369

erfordernisseu , der ihre cinfüguiig' in den gottesdieust zur uiiinöglichkcit machte. Aus dem ostersjjiel sei dann almählich das passionsspiel entstanden.

Das Eedentiner spiel gehöre noch zu denjenigen osterspielen, die sich im stoffc so beschränkten, dass sie als reine Vertreter dieser zweiten gruppe gelten könten.

Die einzige handsclirift, übrigens kein autographon, biete einen im ganzen zuverlässigen text. Al)er Monos text müste von neuem mit der handsclirift ver- ghclien werden, wenn man auf ihm weiter bauen wolle. Die meisten scliwierigkeiten, die das Eedentiner spiel der erklärung biete, kämen von unserer noch mangelhaften kentnis des niederdeutschen her. Der vortragende gab dann eine beschreibung der liandschrift, eine kritische aufzühlung der ausgaben und der arbeiten über das spiel. In Kürsclmers nationallittoratur werde demnächst eine zweibändige samlung geist- liclicr s])ii'le des mittelalters erscheinen, die aucli das Eedentiner enthalten solle.

IMone luibe dem spiele, auf welches wir Niederdeutschen als auf das volkom- moMste der alten osterspiele mit stolz hiublicken könten, seinen niederdeutschen Ursprung abgesprochen. „Indessen wir wissen jezt besser, als es Mone wissen konte, dass zaliUose wortformen im mittelniederdeutschen durchaus schwankend sind; dass in einem und demselben denkmale bald diese, bald jene form vorkomt, und beide durcliaus zu recht bestehen. Ich erinnere nur an sagen und seg(/eii , dragen und drege», //ebben, hareji und liän, ten und trekkeii, shi und ircseii usw. Wir wissen ierner, dass die reime niederdeutscher dichter nicht mit dem masse gemessen wer- den dürfen, welches man den werken unserer mhd. klassiker entnommen hat. Welche enorme freiheiten sicli ndd. dichter unter umständen im reime gestatteten, das wird mit schrecken beispielsweise der gewahr, welcher den schönen von Walther zu Krau- ses Jubiläum veranstalteten druck des Anseimus liest".

Das spiel sei in den zum kloster Doberan gehörigen orte Eedentin bei Wismar gedichtet und zwar wie die uotiz am Schlüsse des textes ergebe im jähre 1464, denn in v. 1297 sei auf die pest hingewiesen, welche in jenem jähre in Lübeck gewütet habe. Die sieghafte art, wie der vom teufel eingefangene geistliche mit seinen reden und beschwörungen Lucifer und Satan so zusezt, dass sie ihn unver- sehrt von dannen ziehen lassen müssen, lasse einen geistlichen als Verfasser vermu- ten. In Eedentin sei wahrscheinlich der magister curiae der einzige gewesen, der im stände war ein osterspiel zu verfassen. Es bleibe daher auf dem Doberaner Cister- ciensermönch Peter Kalf, der dies amt 1465 bekleidete, der verdacht haften, der rodaktor des Eedentiner Spieles zu sein. Nach Doberan waren die ersten mönche aus dem kloster Amelungsborn bei Holzminden gekommen. Da auch später ein beständiger zuzug von mönchen aus Amelungsborn dorthin statgefunden zu haben scheine, so hätten wir vielleicht in diesem umstände eine erklärung für die der mecklen- burgischen muudart fremden formen des Spiels. Scliröder ist zweifelhaft geworden, ob das Eedentiner spiel wirklich in Eedentin aufgeführt werden konte. Vielleicht in Wismar. Y. 767 heisst: unser borger inegede liebben alrede papent eren swhien. Von den mägden der bürger konte der Wächter in Eedentin nicht wol reden, das passt besser auf die Stadt Wismar.

Der vortragende gieng dann näher auf den gang des Spieles ein und gab eine anziehende analyse desselben. „Überall rasch und lebhaft fortschreitende handlung, ein weises )uasshalten selbst in den komischen effekten. Manclie sceneu sind gegen andere spiele in origineller weise erweitert, stellenweise sind gute versuche zu einer Charakterisierung der einzelnen personen gemacht. Das ganze wird getragen von einer frischen, volkstümlichen, an treffenden Sprichwörtern reichen spräche. Dazu

ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE I'HILOLOGIE. BP. XXIV. '=^"±

370 JELLINGHAUS

die anmutende lokalfärbung , so dass man sich von frischem erdgeruche angehaucht fühlt. Das sind die grossen Vorzüge des Stückes". Daran schloss sich eine dar- legung des Verhältnisses des Redentiner Spiels zu anderen spielen. „Nicht darauf kam es für den Redentiner dichter an, was er bot, denn das stand längst fest; sondern nur darauf, wie er es bot. Nur in der inviduellen gestaltung der traditionellen for- men und motive konte sich der dichter bewähren. Ein bischen talent war zwar erwünscht, aber zur not gieng es auch ohne das, wie die mehrzahl unserer geist- lichen spiele beweist. "Was ein dichterisch begabter mann aus seinem stoffe machen konte, selbst wo er sich auf den alten bahnen bewegt, das hat uns der dichter des Redentiner spiels gezeigt".

In der diskussion, welche sich an den vertrag schloss, bemerkte professor Schröder-Marburg, er halte den teufelsuamen Noytor, hd. Natyr für eine entstel- lung des deutschen wertes natter. Die 13. historie des Murnerschen Eulenspiegels dürfe nicht wol als ein beleg für die aufführung von osterspielen in norddeutschen dörfern herbeigezogen werden. Sie sei süddeutsche einfügung in den ursprünglichen Eulenspiegeltext. Nur in ihr werde der pfarrer „pfarrer" genant, in den vorher- gehenden „pfaffe" (ndd. ixtpe, damals in Niedordeutschland noch ohne üble neben- bedeutung).

Die zweite sitzung begann am 4iächsten morgen mit der ablegung des kas- senberichts. Aus dem darauf folgenden Jahresbericht ist einzelnes von algemeinerem interesse.

Von der serie der publikationen des Vereins befinden sich unter der presse eine saralung niederdeutscher alliterationen von K. Seitz, „Die niederdeutschen volks- mundarten nach den aufzeichnungen der Niederländer" (von dem referenten), „Nie- derdeutsche schau- und Zwischenspiele" von Bolte und Seelmann, das "Waldecker Wörterbuch von H. Collitz und „Anselmi frage und die sieben tageszeiten" von C. "Walther. Erschienen ist der erste band von U. Jahns pommerschen mährchen.

Als nächster band der „Denkmäler" soll das Redentiner osterspiel erscheinen. Professor Reif f er scheid wird einen aufruf zur samlung und beai'beitung eines pom- merschen Wörterbuches ergehen lassen.

Das Braunschweigische ministerium hat herru Th. Reiche in Brauuschweig mit der samlung des dialektes im herzogtum Brauuschweig beauftragt.

Herr R. Wossidlo bereist in diesem sommer auf anregiuig des Vorstandes des Vereins für mecklenburgische geschichte das mecklenlnirgische land zur samlung der Volksüberlieferungen.

Von den im verflossenen jähre verstorbenen mitgliederu ist gymnasialdirektor dr. B. Hölscher durch seine „Geistlichen lieder aus dem Münsterlande" und seinen „Spiegel der leyen" in weiteren kreisen bekant.

Hierauf liielt herr gymnasiallehrer dr. Fr. Prien aus Neumünster einen ver- trag über den holsteinschen flurnamen segen.

Der flurname seg'n, m. , pL? hat sich in der umgegend von Noumünster als appcUativ bis auf den heutigen tag lebendig erhalten. Man bezeichnet damit eine nie- drige stelle des erdbodens, die je nach der Jahreszeit mit wasser angefült ist oder nicht, keinen abfluss hat und in der regel mit einem schilfartigen grase bestanden ist; wird das landstück kultiviert, so kann eine wiese daraus werden. In fim-bezeich- nungen komt das wort häufig vor, jozt und in früherer zeit, wofür eine reihe von beispielen angeführt wurde. Die älteste erreichbare form söge steht in einer Urkunde von 1345: (termini vaduut) prope locxun humidum et palustrem, qui dicitiu- *S'e^e (vgl.

.TAHRKSVEKS. D. VEREINS F. NDl). SrRACHFORSCIIÜNG 371

Ct. H[ausen], Kiirzgcfasste , zuvorlässige nachriclit voa den Holsteinisch - Plöuisclieu landen, Pliin o. j., s. 132). Jüngere formen sind sed'n (so schon bei Schütze, Holst. idiotikon, n. d. w. Sccden) iind die znsamraengezogonc form sc». Dasselbe bedeutet sl<:]i(lc)n, gleichfals appellativ gebraucht und auch in tlurnamen, wenn auch nicht so häufig, vorkommend. Neokoras hat sechter und sichter; es wird dasselbe wort sein wie das urkundlich 1269 nachweisbare sech : due paludes, que sech et sool dicuntur (vgl. Leverkus, Urkuudenbuch des bistums Lübeck I, 201, nr. 201). In den ange- fiilu-ttm formen sind die Wörter bis jezt nur in Holstinn nachzuweisen, doch werden andere niederdeutsche stamme sie zweifellos gleiclifals haben; ähnlicli kommen sie im ganzen germanischen gebiete vor, was zahlreich belegt wurde. In der bedeutimg berühren sich mit ihnen formen mit lippenlaut statt des gaumenlautes : s7pe, sipe, s/jpe, die S'ief (vgl. Förstemann, Deutsche Ortsnamen, s. 32). Zurückzuführen sind sie sämtlich auf die wiu-zel sig, die sich als stk, sick, feuchte niederung, im ganzen niederdeutchen gebiete findet. Für die tonlänge in seg'n sind die doppelformen spil, spei, vil, vel u. ä. zu vergleichen. In sed'n haben wir einen bemerkenswerten Wech- sel Yowg mitrf; das umgekehrte ist häufiger zu finden, doch sagt der Holsteiner auch statt görgel: gördel, statt örgel: ördel, und einige Ortsnamen zeigen ähnlichen Wech- sel. In sich(tc)n ist vielleicht bewahrung des ursprünglichen vokals anzunehmen (vgl. rott und rade.'); möglich wäre auch eine erhöhmig des e zu i. die auch sonst in Holstein beobachtet werden kann.

Herr Oberlehrer C. Schumann fragt nach der bedeutuug von rügen in hol- steinischen oi-tsnamen. Eine erklärung konte von den anwesenden nicht gegeben werden.

Darauf sprach der versitzende über den totentanz in der Marienkirche in Lübeck. Es sei verfehlt in demselben eine jüngere Umgestaltung des textes sehen zu woUen, welchen die süddeutsche gruppe bietet. Er müsse widerholung eines verlorenen niederländischen totentanzes sein und habe selbst wieder in einem Eevaler totentanze eine widerholung gefunden. Die ergebnisse, zu denen Seelmann durch seine Untersuchung gelaugt ist, will er im nächsten jahrbuche des Vereins mitteilen.

In Hamburg soll, zunächst aus dem kapital der Theobaldstiftung, eine nie- derdeutsche bibliothek gegründet werden, in welcher sowol die ältere nieder- deutsche als die moderne dialekt-litteratur zusamt den denkmälern der friesischen spräche plaumässig gesammelt werden sollen. Der verein für Hamburgische geschichte hat den i'aum hergegeben und auch für die Verwaltung der bibliothek gesorgt.

Der Vorsitzende schloss die versamhmg mit einem danke an die gastfreie stadt Lübeck, indem er aUen teilnehmeru ein fröhliches widersehen zu pfingsten 1892 in Braunschweig wünschte. h. jellIiVghaus.

LITTEEATÜR

Alwiu Schultz, Das höfiscjie leben zur zeit der minnesinger. Zweite ver- mehrte imd verbesserte aufläge. Leipzig, S. Hirzel. 1889. 1. band XYI, 688 s. mit 176 holzschnitten. 16 m. 2. band 504 s. mit 196 holzschnitten. 14 m.

Karl "VVeiuliold war der erste, welcher in seinem werk „Die deutschen frauen im juittelalter" (Wien 1851. -1882) ein grösseres gebiet aus der deutschen kultur- geschichte der mittelhochdeutschen zeit in wissenschaftlicher weise zur darstellung brachte. Seine arbeit das ist ein grosses lob, das mau ihr spenden kann ist

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noch nicht überholt, noch nicht überflüssig gemacht. Auch A. Schultzens werk „Das höfische leben zur zeit der minnesinger " antiquiert die zweite aufläge von "Wein- holds arbeit, die ihm für seine ueugestaltiuig schon vorlag, keineswegs. Beide bücher können mit grossem nutzen neben einander existieren: sie sind ihrer inneren anläge und ihrer äusseren gestaltung nach ganz verschieden und ergänzen sich gegen- seitig. Von beiden hat sich Weinhold die weitere aufgäbe gestelt; sein werk ist mehr kulturgeschichtlich angelegt, während Schultz mit absieht ein engei'cs feld intensiv und bis aufs genaueste durchforscht, ohne die algemeinen kulturverhältnisse ganz aus den äugen zu verlieren.

Weinhold hatte bei seinem werke kaum eigentliche Vorgänger aufzuweisen: der einzige, der sich in seiner Universalität auch auf diesem gebiete durch eingehen- dere Studien volgültiges heimatsrecht erworben hatte, M-ar Wilhelm Wackernagel. Aber sein beispiel fand im kreise der germanisten nur wenig uachahmung. Zwar haben die altmeister unserer Wissenschaft, Benecke, die brüder Grimm, Schmeller und Lachmanu und weiterhin vor andern Haupt, Zarncke", Zingerle, Zappert und Bartsch in der erklärung der texte und den anmerkungen zu ihren ausgaben, in Wörterbü- chern und Studien manchen einzelnen punkt aufgehelt und eingehend erörtert; allein es war doch fast immer nur mittel, nicht Selbstzweck, und wurde durch die gelegen- heit herbeigeführt. Von der jüngeren generation der germanisten ist vor allen Moriz Heyne, der nachfolgor Wackernagels auf dem Baseler lehrstuhle, zu nennen, der aber leider nur gelegentlich aus seiner Zurückhaltung heraustritt und uns dann sein sonsti- ges schweigen doppelt bedauern lässt. Der früh verstorbene Franz Lichteustein hatte wol auch auf diesem gebiete eingehendere Studien gemacht; unter den jüngeren fach- genossen hat sonst bisher keiner ein eindringendes Interesse für die realien bewiesen -.

Alwin Schultz hat in seinem „Höfischen leben zur zeit der minnesinger" das ganze gebiet des ritterlichen lebens in der zeit von 1150 1300 in den kreis seiner betrachtung gezogen. Über die begrenzung der periode kann man rechten: sehr zweckmässig erscheint sie mir nicht, mid ich bin wie übrigens auch Schultz selbst oft in meinen nachtragen, wo die werke ihrem ganzen Ideengehalte nach noch in der höfischen, in der ritterzeit wurzeln, über dieselbe hinausgegangen. Man hat Schultz den Vorwurf gemacht, sein buch sei keine kulturgeschichte. Die tatsache ist begründet; allein der Verfasser wolte keine solche schreiben, und man wird ihm das recht der Selbstbegrenzung seiner aufgäbe zugestehen müssen. Trotzdem aber waren, glaube ich, die politischen und socialen Strömungen der zeit bei beurteiluug einzelner punkte mehr zu berücksichtigen: so lässt sich meines erachtens das sinken des rit- terstandes nur- durch das emporkommen der ministerialen und ihre almählich domi- nierende Stellung und durch die änderung im Verhältnis der landesfürsten dem grund- besitzenden adel gegenüber erklären. In dieser hinsieht wäre noch manches zu erörtern, wozu hier nicht der platz ist. Schultzens darstellung bekomt durch diese beschränkung etwas skizzenhaftes: manches ist mehr angedeutet als ausgeführt, die abrundung fehlt. Manchmal hätte diese sich wol schaffen lassen, oft auch nicht; ich i'ecihne es Schultz zum grossen Verdienste an, dass er sich nicht zu einer künst- lei'ischeu gruppierung und abtönung verleiten Hess, die mit Sicherheit zu machen heute noch unmöglich ist. So erhalten wir ein weniger schönes, aber wahres bild.

1) Leider sclioint Zarncke nach einer Beiti-. 10, 389 gemachten notiz seinen geplanten Nibelun- gencomnientar niclit ausfiUiren zu wollen. Wir können diese resignation im interesse der kulturhisto- rischen l'orschung nur aufs tiefste bedauern.

2) Vgl. Jedoch die angaben über jüngst erschienene schrifton s. 373 fg. Red.

ÜBER SCHULTZ, HÖFISCHES LEBEN 373

Die künstlorisclic gestaltung imiss einer späteren „laüturgeschichte" vorbehalten blei- ben, zu der noch viele vorarl)oiten felilen. Zwar sclieint das intorosse zu erwachen. In den leztcn 10 15 jaliren ist manche ciuzeluntersuchnng auf deutschem boden erschienen, manches wichtige dolcunicnt publiciert worden. Zum teil haben diese werke Schultz schon vorgelegen und sind von ihm benuzt; so F. Niedner, Das deutsche turnier (Berlin 1881); E. Becker, Eittorlicho waffenspielo nach Ulrich von Liechtenstein (Progr. Düren 1887), die einzeluntersuchungen in Stengels ausgaben- und abliandlungen. Merkwürdiger weise ist Schultz gar nicht näher auf die kultur- gcscliiclitlich äusserst wiclitigen reiscrec]lm^ngen des Wolfger von Ellenbrechtsldrclion (herausg. von Zingerle. Ileilbronn 1877) eingegangen*, während nach meiner mei- nung solche rechnungen, reiseberichte und haushaltungsbücher die wichtigsten doku- mente für die erkentnis des äusseren lebens der damaligen zeit bieten. Nicht bekant war Schidtz auch das interessante buch, das G. Hage maus veröffentlicht liat: Vie doniesti(|ue d'un Scigneur Chatelain du moyen age, Verviers 1888; es cuthält einen auszug aus den haushaltungsbüchern des Jean de Blois aus den jähren 1327 und 1329. l)i(>se rechnungen, welche wol volstäudig herausgegeben zu werden ver- dienten, sind um so wichtiger, als es sich nicht etwa iim die Verhältnisse eines rei- chen erbherrn, sondern um die eines jüngeren sohnes handelt.

Die folgenden arbeiten konte Schultz wol nicht mehr benutzen, da sie wäh- rend des druckes erschienen sind. Ich führe sie hier an , um die rührigkeit der lezten zeit zu zeigen und auf sie auch an dieser stelle hinzuweisen. Die werke, welche mir nicht vorgelegen haben, bezeichne ich mit einem sterne. *Ad. von Oechel- haeuser. Der bilderkreis zum wälschen gast des Thomasin von Zirclaii'C. Nach den vorhandenen haudschriften untersucht und beschrieben. Heidelberg 1890. Joh. von Antoniewicz, Ikonographisches zu Chrestien de Troyes. Erlangen 1890. (SA. aus Roman, forschgn. V; vgl. Suchier, Littbl. 1890 nr. 7, 272). L. von Kobell, Kunst- volle miniaturen und initialen aus hdschr. des 4. IG. jahrhiinderts mit besonderer berücksichtigung der in der hof- und staatsbibl. zu München befindlichen mauuscripte. München 1890. Wendelin Boeheim, Waffenkunde. Handbuch des Waffenwesens in seiner historischen entwickelung vom beginne des mittelalters bis zum ende des 18. Jahrhunderts. Leipzig 1890. *Heinrich Schröder, Zur waffen- und schifs- kunde des deutschen mittelalters bis um das jähr 1200". Kiel 1890. *von Süsz- milch, gen. Hörnig, Burgen im erzgebirge. (Mit 6 gruudrissen.) Mitth. der deut- schen ges. z. erforschung vaterländ. spr. und altert, in Leipzig bd. 8 heft 3. 1890. *Ad. Seyboth, Das alte Strassburg vom 13. jahrh. bis zum jähre 1870. Geschichtl. topographic nach den Urkunden und Chroniken bearbeitet. Strassburg 1890. Ernst Gasner, Zum deutschen strassenwesen von der ältesten zeit bis zur mitte des 17. Jahrhunderts. Leipzig 1889. Jean Loubier, Das ideal d. männl. Schönheit bei den altfranz. dichtem d. XIL und XIE. jahrh. Diss. Halle 1890. *Franz Tetzner, Die erziehung des „juncherren" in der blütezeit des rittertums. Praktischer Schul- mann bd. 38 heft 5 7. 1890. (Mir lag nur ein teil vor, gedruckt als diss. Leipzig 1890). *A. Dobbertin, Der gute Gerhard von Rudolf von Ems in seiner bedeutuDg für die Sittengeschichte. Rostocker diss. 1890. *Gärtner, Berthold von Regensburg über die zustände des deutschen volkes im 13. jahrh. Gymnasial progr. Zittau 1890.

1) Auf eine andere notiz, die sich darin (s. 25) füidet, will ich liier noch kurz aufmerksam machen, oime weitere folgerungen daran zu knüpfen, auf einen historischen pfaffen Amts: Aput Gl im- mun gibt "SVolfger Amisio sacordoti XXX. den. frisac.

2) Vgl. Berg er in dieser zeitschr. XXIV, 122 fg.

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*G. Tobler, Geschichte der judeu in Bern bis zu ihrer Vertreibung aus der stadt 1427. Arohiv d. bist. Vereins d. cantons Bern 12 (1889), 331 fgg. *Edelmanu, Schützenwesen und Schützenfeste der deutschen städte vom 13. 18. jahrh. Mün- chen 1890 (vgl. Litt. cbl. 1890 nr. 24, 822). Verwunderlicherweise hat Schultz das reiche Iculturgeschichtliche material, das Du Gange uns in seinem Glossarium mediae et infimte latinitatis bietet, nur teilweise ausgenuzt. Wie viel sich bei einem syste- matischen nachschlagen dort noch gewinnen lässt, zeigen unsere notizeu und verweise bei einzelnen punkten, die wir im folgenden geben werden.

Es ist erfreulich, dass sich die vorarbeiten mehren; aber wir brauchen auch eine gTosse zahl solcher Studien. Denn es ist unter den jetzigen Verhältnissen eine Unmöglichkeit, dass ein einzelner eine kulturgeschichte der mittelhochdeutschen zeit schreibe; er müste denn historiker, Jurist, nationalökonom, germanist, kunsthistoriker und nicht zum wenigsten theologe in einer persou sein. So lange in den einzelnen fächern die vorarbeiten nicht bis zu einem gewissen grade gemacht sind, ist eine zusammenfassende und befriedigende darstellung der kulturgeschichte unmöglich. Ja auf speciell philologischem gebiet, über das Verhältnis der deutschen dichter zu ihren französischen Vorbildern im einzelnen, fehlt es noch an arbeiten. Und weim man Schultz vorwirft, er halte deutsches und französisches in seiner darstellung nicht genug auseinander, was tatsächlich nicht'ganz unbegründet ist, so soll man erst von germanistischer seite das Verhältnis im einzelnen darstellen. Denn es ist von dem Verfasser eines zusammenfassenden bildes nicht zu verlangen, dass er alle diese ein- zelheiten nachprüfe. Eine sonderung des französischen und deutschen in sitte und brauch ist erst dann möglich, wenn wir mehr sicher deutschen bodeu unter den füssen haben.

Schultz vernachlässigt manchmal in seiner darstellung den ihm im princip gegenwärtigen grundsatz, dass die glaubwürdigkeit der dichter nur relativ ist. Und vor allem tritt nicht genug hervor, was wir uns immer gegenwärtig halten müssen, wenn wir anders zu einer unbefangenen Würdigung des lebens der damaligen zeit gelangen wollen: dass die figuren, welche die dichter schildern, stets man ver- zeihe das fremdwort! posieren. Sie sind immer auf der bühne, grell beleuchtet, behangen mit flitter und gold. Wir sehen sie fast nie beim lampenlicht, im häus- lichen kreise mit schlichten einfachen kleidern. Fast in allen gedichten herscht der Superlativ unbeschränkt, imd auch dieser muss sich noch, um höhere effekte zu erzielen, steigern lassen. Das müssen wir berücksichtigen und dürfen es nie aus den äugen verlieren; allerdings bei dem einen dichter mehr, bei dem andern weniger.

Schultzens werk hatte sich schon in seiner ersten airflage viele freunde zu erwerben gewusst. Noch mehr wird es bei der zweiten der fall sein, die in Wahr- heit eine „vermehrte und A'erbesserte" ist. Am eindringlichsten sprechen die sehlich- ten zahlen: bd. I^ 521 ss., 111 illustr. I^ 665 ss., 176 illustr.! Bd. 11^ 426 ss., 136 illustr. 11^ 491 ss., 196 illustr.! Das werk legt in seiner jetzigen gestalt ein glänzendes zeugnis ab für den fleiss und das wissen seines Verfassers. Nur der sorg- fältige leser merkt, wie viel Schultz nachgearbeitet und wie er die litteratur bis auf die neuesten erscheinungen ausgebeutet hat. Vor allem erzwingt er dadurch unsere anerkennung, dass er mit unbefangener prüfung an seine eigenen ergebmsse von neuem herangegangen ist und ausstellungen fremder und eigener kritik gleichmässig berück- sichtigt hat. Es ist ein buch, das dem Verfasser zur ehre und unsrer Wissenschaft zu grossem nutzen gereicht. Wir wollen hoffen, dass es recht viel am-egiing zu weiteren Studien gibt und diu'ch sein dasein daran erinnert, dass es auch eine auf-

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galie unsror wisseusdiaft ist, das üusscro leben der damaligeu zeit zu begreifen und darzustellen.

Wir müssen uns immer wider ins gedäehtnis rufen, dass es ein kuusthistoriker ist, der das werk geschrieben. Und deshalb wollen wir aucli mit dem Verfasser nicht weiter rechten über einige sprachliche misverständnisse, die ihm passiert sind und die unten richtig gestclt worden sollen. Aber einen andern punkt müssen wir noch berühren, der schon bei der ersten aufläge anlass zu ausstellungcn gegeben liat: Schultz citiert in vielen füllen schlechte oder veraltete ausgaben, was nicht bloss mit Unbequemlichkeiten verbiuidcn ist, sondern zuweilen aucli falsche ergel)nisse zeitigt (vgl. z. b. zu I, 87. 344). Die Eneide solto nach Behaghels ausgäbe, der Eraclius nach Graef (QF. 50), die Eabenschlacht, der Ortnit, die Wolfdieteriche nach dem Deutschen heldenbuch, die Martina nach Keller (Litt, verein 38. 1856), der von Kürenberc nach Minnesangs frühling citiert sein.

Bei der grossen anzahl von citaten, die Schultzens werk bietet, stellen sich natürlich leicht allerlei uugenauigkeiten ein. Was mir aufgefallen es ist nur weniges , führe ich im folgenden an. Band I:

S. 51 aum. 3 lies In.düht, im bekcsm 121 anm. 7 1. sunderlich, wint- liecht 157 anin. 5 1. Mai u. Beafl. 195, 7, lernte ex ivol 234 anm. 3 1. Mit gokle trol bewunden 241 anm. 2 ist Cranc 1335 wol ausgefallen: vmi golde ind van ycsteine 260 anm. 4 1. Grieshaber, Predigten II, 69 262 anm. 2 1. sy lütt 263 anm. 5 1. Frauend. 348, 6 283 anm. 3 1. Und ir ijfteivin huete 298 aum. 1 1. Tandareis 13321 305 anm. 5 \. sein raix, chlait , Der frueten Diet 330 aum. 1 1. Sitze und beste 334 anm. 4,1. Denkmalen statt Sanilungen 334 anm. 6 Wo gehört das citat p. 104 hin? 353 anm. 8 Carmen occulti auct. 1. Fricx- chal , dignatur 384 anm. 4 1. varch 392 anm. 2 \. j. Tit. 599: Slementschier 399 anm. 1 \. j. Tit. und Slementschier 402 anm. 5 Carmen occ. auct. 1. Quem 453 anm. 7 1. hnrewart. 468 abs. 3 1. kleiniu kunder 482 anm. |6 1. Von ma- neger tjtuxe 508 anm. 1 1. Aolen 508 anm. 4 1. ritterc edir knccht 515 1. Einen vaden, Wolresdrüxxel, Encm mülle 549 anm. 10 1. Kolocx. und Des 562 aum. 7 Nach Tnndalns ist die zahl 51, 47 ausgefallen. Die klammer bei Roths dichtungcn ist zu streichen Beides gehört nicht hierher, siehe später zu 1, 562 640 anm. 2 1. Karlm. f. 208, 33. Band II:

S. 22 anm. 2 1. tiisetwar 29 z. 2 1. espie 38 anm. 3 1. von der gurtel 42 anm. 6 1. Silberurixe 48 anm. 4 1. nach D. Heldenb. 11: vor miner, edele steine, nieman, abgeschaben , Gewinnst du 51 anm. 1 1. Crone 2899 statt 2889 65 anm. 1 1. Par l'ueilliere duhiaume 76 anm. 3 1. Bd. I, s. 604 fgg. 90 1. \ statt ^, 150 vorlezte z. 1. Und enen 199 anm. 9 1. Sant 204 anm. 7 1. Gefult 212 anm. 11 1. (In Pelrapeire) 291 anm. 4 1. Der hebe 311 abs. 2 1. Ja ist unser heider helfe 409 anm. 5 1. igl sirer.

Die register sind was ohne zweifei praktischer ist als die frühere ciurich- tüng jezt für jeden band gesondert angefertigt und lassen aii Zuverlässigkeit, soweit ich nachprüfen konte, nichts zu wünschen übrig. Ich würde eine erweiterimg xmd die nenmmg derselben materien unter mehreren verschiedeneu Stichwörtern bei einer neuen aufläge befürworten.

Schultz hat gewissenhaft die ausstellungen der kritik an der ersten aufläge geprüft und zu verwerten gesucht. Es ist keine leere phrase, was er (vorwort s. Xm) sagt, „dass er jede berichtigung mit gröstem danke annehmen und dass er sich

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freuen würde, wenn seine arbeit aulass zu weiteren forscliungen gäbe, sei es auch uui seine eigenen resultate zu modiflcieren oder zu widerlegen". Die nachtrage und beiichtigungen , welche ich im folgenden gebe, möchte ich als dank eines aufmerk- samen losers an den Verfasser aufgefasst wissen. Manches von meinen nachtragen wird Schultz vielleicht gekaut und absichtlich bei seite gelassen haben; manches wird ihm unbedeutend erscheinen. Allein ich glaube, dem Charakter seines buches ist es angemessen in den anmerlomgen eine gewisse volsiäudigkeit zu erreichen, sobald es sich nicht um das aUergewöhnlichste handelt, und auch kleinigkeiten nicht auszu- schliessen; denn das Höfische leben ist kein populäres, sondern ein gelehrtes werk. Es mag sich au die unbedeutenden punkte bei eingehenderer forschung mehr und mehr ankrystallisieren , so dass neue, der aufmerksamkeit nicht unwerte gebilde ent- stehen.

S. 8] Zu der anmerkung füge ausser dem in den nachtragen (1, 663) schon bemerkten werke jezt noch hinzu: Essenwein, Die kriegsbaukunst (Handbuch der architektur teil 2 bd. 4 heft 1) und Fr. Pf äff, Die bürg Steinsberg bei Sinsheim und der spruchdichter Spervogel. Ztschr. f. d. gesch. d. Oberrheins. Nf. 5 (1890), 75 118.

S. 16] Auch Chäteau-Eenault (Dep. Indrc et Loire) „est bäti au couüuent de deux petites ri vieres, la Brenne et la Bfanle, nommes aujoiu'd'hui Gaule, qui coulent ä quarante mefcres au-dessous des muraüles, au fond d'une vallee large de quatre Cents metres". (Hagemans, Vie domestique s. 18).

S. 22] Anni. 8: In dem citat aus Alex. Neckam ist wol auf s. 23 zu lesen si oder sive situm loci natura muniat.

S. 23] Anm. 4 sind als nachweise für xingel noch anzuführen: Garel 1349, Tandareis 2316, Demantin 8957. Doch geht beim Fleier wie bei Berthold von Holle die terminologie wol sicher auf Wolfram zurück.

S. 26] Anm. 3: Das zweite beispiel aus Diemers Deutscheu ged. (313, 21) ist zu streichen, da hier brüst icerc panzer, hämisch bezeichuet. Andere belege für die bedeutung „brustwehr'' siehe jedoch noch Lexer 1 , 373.

S. 29] Bei der bemerkung über die anzahl der türme einer bürg hätte sich Schultz nicht das klassische beispiel Farz. 161, 23 fgg entgehen lassen sollen, wo der fuDibe knappe die am horizont nacheinander auftauchenden türme der bürg des Gur- nemanz für von Artus gesätes körn hält und seiner mutter volk tadelt: mtner nmo- ter voIg niht pütven kein; Jane wehset niht so lanc ir sät, Sivaz sir in dem walde hat: Oröx, re(jen si selten da verbirt.

S. 3.3] Füge anm. 2 hinzu: diu valhrück tcas üf gexogen Tand. 5613, vgl. 5676; iernev jiorta campestris (Oppenheim) dicta vallidor Baiu' Hü. 2, 421 nr. 439 a. 1289; ferner HU. 2, 657 nr. 6.58 a. 1305. 2, 689 nr. 690 a. 1308. 2, 689* a. 1315. 1, 693 nr. 1046 a. 1371. Nieolaus dictus an deine vallethare HU. 3, 122 nr. 1059 a. 1336; 3, 276 nr. 1193 a. 1346; 3, 366 nr. 1274 a. 1355. Anm. 3: slegehritcke Tand. 5351.

S. 35] Anm. 3: ein schoxporce da nider schot Crane 292.

S. 43] Türme als Schatzkammern werden noch erwähnt Crane 2456 fg. , 4798 fg. und Tand. 7566 fgg.: Der groxe turn der ist rol Von silber und von golde gar (Dax ich iu sage dax, ist ivär), Der ob dem palase stät ; Dar in er gesamnct hat, Dax. in dem turne mcure Ist nienen winkel leere, Er enst vol von grtinde gar. Ein steinhüs wird als Schatzkammer gebraucht GA. 1, 127, 845: in sin steinhus er dax (das silber) truoc.

ÜBER SCHULTZ, HÖFISCHKS LEBEN 377

S. 44] Anm. 7 sind wol noch die instruktiven stellen Tand. 11165 fgg. und 11489 fgg. hinzuzufügen.

S. 49] Einen ziorgarten finden wir Wolfd. B. 807, 1: dax gehcerc nmnden fürsten mit eUenthaftcr haut, Ex whte in vil baldc, da ex, ein Tiergarten vant. Dort ist ein sedel von marnior, darüber eine linde (automat) mit singenden vögeln. PBr. Boit)-. 15, 218 fgg. habe ich einen kleinen beitrag zur gartenkunst zu geben gesucht und für die pflege und Schulung der linden beispiele ai>g(!fühvt. Es sei mir gestattet einige nachtrüge dazu hier anzureihen. Meleranz 436: Enmitten in dem anger Sach er einen houm stau, Des nam tcar der junge man, Dax loas ein diti sckainste linde. Ich wmn, dax ieman vinde Einen boimi also tcünnecltch. Si icas geleitet nmbe sich, Die esfe gebogen ilf dax gras. Swer under der linden was Dem moht der liehten sunnen schin Mit ir licht kein schade sin. Tand. 4664: Der hof icas lanc unde breit Eben sieht als ein hrnü. Ein linden er dar üf vant Diu was geleitet iimbe sich Wit unde meisterlich Lanc wären die este Grox unde vestc. Dill linde hoch und dicke ivas, t>ä von der ritter noch genas. Tandareis entweicht bei seinem kämpfe mit dem riesen unter die linde, deren zweige so weit heiiinterreichen, dass dieser seine grosse stange nicht gebrauchen kann. Ja, wie Tan- dareis sich unter die zweige birgt, vermag ihn der riese von oben nicht einmal zu sehen (Tand. 6580 fgg.). H. v. Freib. Trist. 1155: Da sfuont ein linde bi dem ivege, Die ivas erxogen mit sidcltcr pflege, Dax sie mit esten und mit blaten Gap vollen tcint und gröxen schaten Grimm, Koseng. 169: Sie (Kriemhild) hat ouch erzo- gen ein linde, diu ist so leit, Dax sie fünf hundert frouwen vil guoten schaten git. Dar under stet ein gesidcle. Die linden wurden überhaupt breit gezogen , und man Hess die äste schon ziemlich tief sich ansetzen. Daher kann man auch sagen si fuorten in ü% der linden (Meleranz 1258) und im icas gach tlx der linden (Tand. 9149).

Eine rationelle baumpflege scheint man damals schon gekaut zu haben. Ygl. Lieders. 1, 77, 19 fgg.: 0 we minneclichü sat Wie schon in mynem herfxen stat Dax xwy dax du geimptet hast! Ich klag dax du es nit enlast Ze rechter xit erwinden. Mir sait myn enphindcn Das ex sich hab gcspraittct wit. Da von, lieb, so war es xit Das man des jmpters aste Mit trösten vnder saxte.

S. 51] Anm. 3 ist wol der unterschied zwischen den in beiden citaten erwähn- ten lauben zu erwähnen. Die erste ist an das haus angebaut (v. 77 fg.) und steht mit ihm durch eine kleine tür in verbindimg (75. 162). Sie ist hoch (78) und liegt über dem baumgarten erhaben (133). Anders steht es um das zweite citat, bei dem wol an eine laube im modernen sinne zu denken ist.

S. 53] Anm. 5 hat Schultz eine crklärung von icunnldge versucht, der ich im folgenden widersprechen möchte. 1) Schultz nimt als selbstverständlich an, dass wurmluge und wurnigarte dasselbe bedeuten. 2) Er berücksichtigt nicht den Zusam- menhang der stellen, an denen wurmldge auftritt. Sonst hätte er sehen müssen, dass an ganz unbebauten statten, irgendwo, plötzlich eine unirmläge errichtet wird (Demant. 1055 fgg. ; Crahe 4191 fgg. 4219 fgg.). 3) Er übersieht, dass vermiculatus in der erklärang, die er selbst anführt, glossiert wird als wormgemelde, gemalt oder geferbt als tvormlin, geivurmlet, dass es sklavisch übersezt ist und nur „rot, vei-meille" bedeutet. Ganz selten ist auch bei Du Gange die bedeutimg „musiv- gemälde" belegt, dagegen häufig „mbrum" (Du Gange 8, 282 fg.). Althochdeutsch wird uurmotax mit vermieulum und coccincum glossiert, ebenso geuurmot = cocci- neum, vermicidata (Graff 1, 1045). 4) Ganz unzulässig ist bei Schultzens erklärung

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die deutung aus wurme -läge (nachstellung) ; in dem angenommenen falle ist -axje eine aus dem romanischen übernommene ableitungssilbe. 5) Den grösten sprung macht Schultz nun im folgenden: Mosaikfussboden mit eingelegtem labyrinth laby- rinth irgarten freier platz in der mitte des irgartens. Es liegt kein einziger grund dafür vor, wir haben nicht den geringsten anhält für diese Schlüsse. In der stelle aus Herz. Ernst B (2830 fgg.) übersieht Schultz, dass dieser „irgarten" inner- halb der bürg liegt. Es ist undenkbar, dass die bürg so gross war, dass ein sol- cher irgarten, in dessen mitte erst die eigentliche wurmlage sich befand, darin ange- legt sein konte. Kurz , wohin wii' auch sehen , Widersprüche !

Aber Schultzens Opposition gegen "W. Grimms deutung ist gerechtfertigt. Des- sen auffassuug ist unhaltbar bei der einfachen betrachtung der Zeugnisse. Jakob Grimm (W. Grimm, Kl. sehr. 3, 291) hat den beispielen seines bruders noch einige hinzugefügt, die hier aber nicht zu verwerthen sind: vyrmsele (Judith 134, 57) besagt nichts, die übrigen belege werden wir bei tvurmgarte zu besprechen haben. Auf die erklärung der Ortsnamen lasse ich mich nicht ein: sie können pro und contra nichts beweisen.

Die meisten gelehrten scheinen mir hier zu einem falschen resultat gekommen zu sein, weil sie mit der erklärung des namens begonnen und daraus, nicht immer ohne zwang, seine bedeutung gefolgert haben. Wir werden den umgekehrten weg einschlagen. Wnrmgarie ist verschiedentlich belegt (W.Grimm, Kl. sehr. 3, 291): Lanz. 5041 fgg. , Vorauer hs. 296, 25 (ml hilf mir simchcre heim üx disenie tvurm- garten), Türh. Willeh. Cod. Palat. 175a (der Danjelen erlöste tlz dem übelen wurm- garten), j. Tit. 2518 (der Danjeles liflac in dem ivurmgarten) , wurmgarte ormgardr GDS. 126; Holthausen, Beitr. 9, 458. 462 fgg. Vgl. Wuntteleia Kemble 4, 156, Vurmelea 4^ 178 (218; 6,232; zu /e«/* hain) , Wtirmstide, Wurm.stedeTh.m.mitt'h.l.'l^ 87. 89 fgg., wtirmotcweHohe lied hrsg. von J. Haupt 59, 16 (die wider gottes willen tun, nehaiZi^ent niht ein xartgarte, die 7iemiigin tvol heiz,z,in ein wurmotve tmde ein dor- nowe). Wurmgarte ist einmal eine Übersetzung von lacus leotium (Daniel cap. 6, 12); es wurde so verdeutscht, da die löwengrube zu unverständlich schien. Dann aber ist wurmgarte , wtirmleah, tvurm stete, wurmomce ein feuchter, bruchiger wald, resp. aue. Denn die Vorstellung, dass die schlangen (oder di'achen) den feuchten wald und bruch liebten, war damals schon lebendig, wie auch Lanz. 5041 fgg. zeigt.

Was ist nun wurmläge? Eine bedeutung, die mit unserm tcurmläge wol nichts zu tun hat, zeigt das fi'anzösische vermillage (Du Gange 8, 283a): vermillagc vero aiit vermullage dici videtur Prcestatio, pro facultate porcos in silvam inmit- tendi, ut terram fodiendo, vermium instar, unde nomen, cespites eruant. Sehr wahrscheinlich ist diese erklärung nicht; aber diese abgäbe für die schweino, das vermilagium, wird kaum etwas mit unserm wort zu tun haben. Die wurmlage befin- det sich in der bürg (Herz. Ernst B. 2366 fgg. 2559 fgg. 2830 fgg. 2950 fgg. 3338 fgg.), nicht weit von ihr entfernt (Athis 0*26 fgg., D 54 fgg.) oder schliesslich an einer beliebigen stelle (Demant. 1055 fgg., Graue 4191 fgg. 4219 fgg.). Ungewiss bleibt die läge Lanz. 1834 fgg. Besonders instruktiv scheinen mir die ausführungen Bertholds von Holle zu sein: Ich tvil tlch die strafe leren Dar hin an iliver riche. Uch ist icerliche Ein tvormläge gemachet dar. Vil maneche stolze vrowe dar, Ind ritter hänt üeh gelegen Crane 4191 , Do sagen si üf dem anger breit Die paulün mir in üf geslagen Daz, begunde dem koninge behagen. Dat ros die ritter mit sparen nam: Ocrant her fluhtencUchen quam Vur die tvormldge riche Crane 4219, Dar was gemachet üf den plan Ein tvormluge also getan Da§ ich spreche wol vor zoär,

ÜBER SClIUl/rZ, IIÖIISCIIKS LKIiKN 379

Wem Aicr titscnt fromven dar, Si viocliten lichte hdn osrn Den strlt di sohle dar geacJicn Demant. 1055, Demant /a dl hell genieit An di n-ornddtja hcn reit obd. 1109, Alsus dl höchr/clobfe reit In di wormläge al liant. Or pherde norden wedir gcsant. Der koning üf da§ gestole sat usw. ebd. 1118, Firganant der riche, Eim vorsten quam gcliehe An di ivormldge ilf de andir s/f ebd. 1127.

In der wnrmlage wiitl gekämpft imd getafelt. Aus den angeführton stellen gellt liervor, dass die wurnilage schnell horgoriclitet werden koutcj die rittcr und frauen dos landes kommen Oranc entgegen und an der stelle, wo sie sich niederlassen, um ihn zu erwarten, wird eine wurmlago errichtet (ähnlich bei der auch von Schultz angeführten stelle aus der Sachs, weltchronik). Anders bei der wurnilage in der bürg: die beiden kommen in einen grünen hof, sie finden in einer wurnilage herlicho gestühle und sehen innerhalb im kreise manchen schönen tisch. (Herz. Ei'nst B. 23GG). Nahe bei der wurmlage befindet sich der pallas (ebd. 2559 fgg.). Von oben von der bürg sieht mau auf die wurmlage herab (ebd. 2830 fgg.). Mir scheint nur eine deutiuig möglich: die icurmldge ist ein freier, gewöhnlich kreisrunder (daher der nameV) platz, meistens von tribünen umgeben, auf dem gekämpft und auch getafelt wird, wenn man nicht im saale speisen will oder aus andern gründen die möglichkcit dazu fehlt. Mit dieser erldärung lässt sich alles ohne Schwierigkeit ver- einen. Dieser platz lag zuweilen innerhalb der bürg, zuweilen nicht weit davon ent- fernt. So sagt Schultz (s. 52 fg.) von dem turuierplatz : „Wenn es das terrain gestat- tete, war innerhalb der mauern auch noch ein platz für die ritterlichen Übungen reserviert. So in schloss Schönburg und Hohennagold. Gieng es nicht an den platz in der bürg selbst unterzubringen, so wurde er wenigstens in die nächste nähe der- selben verlegt". Das stimt volständig zu meinen obigen ausführungen über die wurmlage.

"Wie ist aber das wort zu erklären? Darüber kann ich nichts sicheres ange- ben. Vielleicht mag die römische arena, in der kämpfe mit tieren und menschen statfanden, die vermitlerin der benennung gewesen sein. Aber man komt über sehr vage möglichkeiten nicht hinaus.

S. 55] Anm. 5: Ein angster findet sich abgebildet in Jacob Grüszbeutels Stimmenbüchlein (1531) Bl. Aiiijb; ebenso auch in dem abdruck der ausgäbe von 1534 durch H. Fechner in „Vier seltene Schriften des XVI. jahrh.", bl. Aiiijb.

S. 58] Zu anm. 5 ist noch anzuführen GA. 2, 392, 47 fgg. In anm. 6 hat sich eine reihe von irtümern eingeschlichen. Jener Elsan, den Dietrich von Bern mit der aufsieht über die söhne Etzels imd seinen bruder betraut, ist nicht identisch mit dem bruder Hildebrands, dem mönch llsun. Ferner sind hier nicht die stiegen des Saales gemeint, die er verdürnen soll, sondern die sthje, die wegc.

S. 59] Vgl. zu der anläge der laubeu noch Tand. 4406 fgg.: Mit nnlcreften gienc er dan In die stat da er vant TJnder einer louben an der want Vor eines houfmannes für Ein banc, da sazte er sich vür. Ferner Karlm. 208, 38: De (die l)ürger von Paris) hengen grone ind brungt Vsscr den loven van den hiisen. In anm. 6 sind wol unter den vögeln, deren sang man in den liciren überall hüit, gefangene vögel in käfigen zu verstehen.

S. 61] Die anm. 1 am schluss erwähnte stelle (Troj. 17462) ist wol zu den s. 63 unten besprochenen mosaiken zu stellen. Bei der Schilderung der türen wäre vielleicht noch zu erwähnen, dass die türpfosten und die türkapitäle nach aussen und auch wol nach innen über die mauer hervorragten , so dass man nicht zu grosse gegenstände darauf legen und aufbewahren konte : es wird da^ übcrtür (glossiert mit

380 MEIER

superliminare) genant. Vgl. (sie) solch da§ tvachs legen her vür Ob ir kemenäten für Heinr. v. Treib. Trist. 5889, üf da§ türstudel hin vür Legte sie da§ tvachs ebd. 5912, do quam er der da icolde baden Also naclcet an die tür. Do was oben dar vür Guoter wedel vil geleit GA. 3, 139, 64, Da saxt ich den gebraten Visch vff da§ vbertür Lieders. 3, 8, 124, Ich graif vff da^ vbertür Vnd nam minen visch ebd. 3, 8, 136. Daher komt die bekante spiichwörtliolie redensart „etwas, beson- ders die Seele, auf die obertür setzen", vgl. Grimm, DWb. 7, 1105, Schmeller^ 1, 620, Yolksbucli v. dr. Faust ed. Braune s. 13.

S. 62] Anm. 6 füge hinzu: der jialas tcas an allen enden übenvelbot Lieders. 2, 232, 803.

S. 67] Demantin 2376: St trat üf eine steinin uant An ein venster sitzen. Dass die fenster in ziemlicher höhe angebracht waren, zeigt auch folgende stelle: spranc er dem bette, an leite er stn gewant, Ob im tet er das, venster vf mit siner hant OrtnitYII, 545, 1. Den hier genanten schlossern, in denen sich grup- penfenster mit Säulentrennungen finden, ist auch noch die kaiserpfalz in Goslar zuzu- fügen, vgl. Hetzen, Das kaiserhaus zu Goslar (Hallo 1872) s. 13 und Mit- hoff, Kunstdenkmale und altertümer im Hannoverschen (Hannover 1875) bd. 3, 64.

S. 72] Hier ist noch eine merkwürdige heizanlage zu erwähnen, die mir aus dem kaiserhause zu Goslar bekant ist, eine luftheizung, deren einrieb tung sicher noch in unsere zeit fält. Von einem grossen, an der hinterseite des gebäudes befindlichen und von aussen heizbaren kamin geht ein System von kauälen aus, die sich von einem hauptast nach rechts und links verzweigen. Von dem hauptkanal führt auch eine röhre ins obergeschoss , wo sich ein dem imtern entsprechendes System findet. Über die genaue Zeitbestimmung dieser anläge sich zu äussern, muss ich sachver- ständigen überlassen. Aber auch wenn man sie (mit recht?) ins 14. Jahrhundert sezt, fält sie noch in imsere periode hinein. Vgl. hierzu die oben citierten werke von Hetzen s. 15 und Mithoff s. 66 fg. Öfen erwähnt Weinhold DFr.' II, 89 fg.; vgl. auch Heintxe Cachilabc Baur Hü. 1, 657 nr. 984 a. 1364.

S. 74] Anm. 1 füge noch hinzu: Wir hetten tochter noch sün Vnd sa^^en vff ainer bün Ob vnserni tisch Lieders. 3, 7, 103. Das gleiche bezeichnet wol hohge- sidel Dietr. FI. 4959. Anm. 9. Porträts der edelsten ritter und beiden sind in dem Demant. 7119 fgg., 7164 fgg. erwähnten saale auf die wände gemalt. Noch interes- santer ist eine stelle aus den gedichten des Teichner (Karaj. anm. 254): gemälet Stent die alten, Die von got sint erJcorn, So stet ie gemalt da vorn Das, er ein buoch hat in der hant. Aber swer an ein want Malen wolt vil vianegeii pf äffen. Er wurd wunderltch geschaffen: An der einen slten dan Müest ein imp gemälet stdn Und ein spilbret in der hant Und ein sivert tcmb sich gespant. Wd sie tafel, trinkhorn An der stten trnogen vorn, Da§ hat ein sicert umgeben Und ein Basler lanc daneben. Auch der dichter des Kittel erwähnt (Altsw. 21, 7) einen saal, in dem frauenporträts so meisterlich von einem maier aus Griechenland gemalt sind, dass sie zu leben scheinen.

S. 76] Die maier von Erfurt erwähnt Nie. de Bibera in seinem Carmen oc- culti auctoris (Gesch. quellen d. prov. Sachsen I) 1762 fgg.:

Sunt ibi pictorcs alii (vorher ist die piefura der sartores erwähnt) pter

'mille colores Qui diversarum processus materiarum Conducti pingunt et rne?iti gaudia fmgunt

ÜBER SI'IIULTZ, HÜKlSt'llKS LKHEN 381

Auch riclachen komt vor uud ist wol nicht rüclachcn gleich zu sctzeu, son- doiü mit ric zu verbinden; vgl. si hie^ im bringen dräte Tepich xuo den benken l'uä au die icende hoikcn SkUniu stuollachen (var. riglachen) GA. 2, 413, 178.

S. 79] In der trinklaube was gcstrümcct griiene^ gras GA. 2, 470, 104. Ich will liier glcifli noch das auf s. 103 erwähnte bestreuen der keineuate mit blumeu und kräutern nennen, das aber uicht nur, wie Schultz ii-rig meint, au bosundereu l'esttagen, sondern ganz gewöhnlich geschali. Unter den sanitären regeln wird noch im Ring (263, 40)* erwähnt: Dar ziio schol gestrüuwet sein Mit c/irant die cJiamer siindcr wol Da^ nicht scy inösieh, wassers vol.

Auch in der Schilderung des festlich geschmückten Schlafzimmers einer bäurin (GA. 2, 184, 366) finden wir diese sitte erwähnt: Beide lernt, gras nnde louj) Des lae der estricli vol: Dillen und ivende irdren ivol Mit hluomeii gar bedecket, Der /ras daran gcsfccket Da§ man da nil/t wan bluomen sacJt. Dass das bestreuen mit blumen und kräutern sehr gebräuchlich war, sehen wir aus den reiserechnungen \\''oli'gers von Ellenbrcchtskirchen. Ich führe folgende stellen an : j)>'o gramine super ca>ni>iatain et quibnsdam eqiiis viiij. den. sen. (s. 43), jjro gramine in camina- iam (s. 43. 44. 45. 46. 48), pro gramine in cameram (s. 49. 51. 54. 55. 56. 58). Ebenso finden wir diese gewohnheit in der Vie domestiqiie d'un seigneur Chdtelain (s. 21): la sallc du manoir est jonchee d' herbes fraiches, ear la saison est belle rncore. En hiver la paille remplacera l' herbe odorante (vgl. auch s. 12 und 102 anra.: ä II fames qiii nefeerent les chanibres et la salle et pour erbe cuil- lir X. d.).

S. 80] Vgl: sin tisch von hclfcnt)cine Guldm an den slo^zen Sam si iccpm gego^^en Lauriu 1136.

S. 81] Fusssclicmel sind abgebildet Codex diplomaticus Caveusis bd. 3. I Mano- scritti Membrauacei s. 36. 108. 235. 249. Zu dem pluinlt wird noch ein banc- l(i('he)i, ein teppich, der auf die bank gelegt wird, erwähnt: ein bette man dar truoc (auf die bank) Uiid ein bauclaclien GA. 3, 48, 190, vgl. Schultz 1, 87.

S. 82] Abbildungen des faltstuhls siehe auch noch Cod. dipl. Caveusis, bd. 3: I Manoscritti membr. 4. 36. 108. 235. 249. "Wie Schultz richtig angibt, ist er mei- stens ohne lehne. Dann liätte er vielleicht aber s. 83 den ausdi'uck Als muster eine faltstuhls teile ich fig. 24 die abbildung des sogenanten trones könig Dagoberts mit" anders fassen sollen, da dieser mit lehne versehen ist und daher die Sachlage leicht falsch aufgefasst werden könte. Ein thronsessel eigentümlicher art ist Virg. 942, 6 fgg. erwähnt: Der fürstliche böte wii'd an den herrentisch gesezt: der küne- ginne kröne Swebete schone ob im Dem vürstcn edel xe löne. Im wart sm geinüete vro: Er saz, do nnder kröne.

S. 83] Anm. 3 vgl. Grimm, Weist. 5, 272: die fraii mag sich des gebrauchen iif ihrem wittibenstuel , dieweil sie lebt.

S. 85] Höchst instruktive Zeichnungen der constriiktion von spanbetten bieten auch der Codex dipl. Caveusis bd. 3 d. Manoscr. membr. s. 5 und Kat. d. Bayr. uatioualmuseums V, 1 Eoman. altertümer fig. 163. Vgl. noch: In der kemnät stuont ein bette von lielfenbeine gar Dar ob lae ein kidter von lichter slden klär Wolfd. D. 80, 1. Von palmut dicke ein rnatraz, Oesteppet üf ein pJielle breit Der erzeiget grdz,e rlcheit, Dar ufe sa? der werde man Garel 796. Eine genaue schil-

1) Ich habe mich nicht gescheut den Ring , der in seiner spräche , der poetisclien teclinik und in der Schilderung der zustände einer antikisierenden tendenz huhligt, hier, wie sonst öfter, heranzuziehen.

382 SIEIER

derung des betaufputzes gibt der Fleier im Meleranz 619 635: auf dem bette lieg! ein phlihmt und ein gestepter matraz,\ zwei leintücher sind darüber gestreckt und werden durch ein decklaken von hermelin mit futter von . feuerrotem pfelle bedeckt. Ein u-angküsselm Hegt noch dort und endlich ein xieehe von Salomanderä. Decla- cJien von Troyande, die besten skln «§ aller heiden lande werden Eabenschl. 115, 4 erwähnt.

S. 87] Die bemerkung Schultzens über nnderxieche ist zu modificieren, da nach den lesarten der handschriften au jener stelle der Eneide (1278) ander tielcc in den text zu setzen ist, vgl. Behaghel, Lesarten zu 1278 und 9308 fg.

S. 88] Anm. 4. Ein declaehen xobelin wird auch Gärel 4966 erwähnt.

S. 89] Zu der beobachtung, dass die Unterbetten von stroh sind bei der son- stigen, so kostbaren aufmachung vgl. auch zu lolande 2319. Anm. 3 ist noch die von Schultz s. 208 anm. 3 citiorte stelle aus Thomas Wykes anzuführen. "Was die anm. 6 angeführten verse aus dem Bloch (366 fgg.) hier zia tun haben, weiss ich nur nicht zu deuten. Hinzuzufügen ist aber Eracl. ed. Graef 4395: üf einem stro was ir bax-, Da sie hi im lac ode sa§, Danne mit aller der xierheit , Die üf des Icai- sers bette was geleit. Auch den ritteru auf ihren abenteuerfahrten werden über eine unterläge von laub und moos betten und teppiche gedeckt: dar nach bette man in Under da§ gexelt hin Beidiu üf loube und üf gras. Vit manec giiot gnlter ivas Vf daz loub gedecket. Dar üf wären gestrecliet Vil wi^iu lUachen Wig. 92, 11. Die gleiche Schilderung etwa finden wir Meleranz 9619 32. Credenztische sind, wie Schultz meint, nicht üblich gewesen, und darin hat er gewiss recht. Dagegen scheint etwas anderes gebräuchlich gewesen zu sein: In der gralsburg werden die goldenen und silberneu trinkgefässe auf vier karroschen hereingefahren und von die- sem wagen auf die tische verteilt (Parz. 237, 21 fgg.; vgl. Virg. 682, 1 fgg. 1010 fg.).

S. 91] In weniger vornehmen häusern wurden auch wol die lichter ohne kerx- stal irgendwo festgeklebt, wie es GA. 2, 328, 494 fgg. geschildert wird: Eine kerse nani se in de hand, Se ging ander werve hin in, De kersen klevede se bi ein ven- sterlin.

S. 93] "Wachslichte erwähnt auch Ulrich von Liechtenstein Trauend. 299, 5 fgg., wo er schildert, wie die ritter in Neuenburg die ganze nacht hindurch hei-umstrei- chen, von dienern mit lichtem begleitet. Die kosten der beleuchtung waren sehr beträchtliche, und wenn auch die kerzen im hause selbst gegossen wurden, so war der preis für unser urteil ein ungemein hoher. Hagemans hat (Vie domest. s. 24) ausgerechnet, dass für Jean de Blois an einem gewöhnlichen abend die beleuchtung fr. 16 in heutigem gelde kostete. Anm. 2 vgl. quod 16 candele equalis ponderis et quantitatis dicte vulgariter pfundige, geivundene kertxen de dieta eerea confieiantur Strassb. urkdb. 3, 358, 35 a. 1327; oueh sal x,cu yeder kercxin nicht mynner kummen dan eyn pfimd wasxes, och sal dax dacht allewege von seisx^ vademen sin yn y glicher kerxcen. Baui-, Arnsburger urkdb. 602 nr. 985 a. 1369.

S. 94] Kerzen werden den damen am abend von dem gesinde vorangetragen ("Wolfd. D. VI, 76, 1. Lanz. 888). Ebenso werden laterneu zu diesem zwecke gebraucht: Si het mit ir dar getragen Zwo laterne (horte ich sagen) Dar inn xtvo kerxen brunnen lieht Tand. 11490.

S. 95] Anm. 10 ist noch nachzutragen: des küniges mtioshas H. v. Freib. Trist. 2901, vgl. Alexander 5939 fgg.

S. 96] Nach der mahlzeit werden die tische aus dem saale getragen und man tanzt dort: vgl. noch zu lol. 2921 und Crane 2158. Früher schlief der herr mit

iJBER SCHULTZ, HÖFISCHES LEBEN 383

seiuer gcfolgschaft auf dem saalo, uud so tut es noch Dietricli von Bern: Do wahte der Bernare Und ouch die recken über al Die bt im lagen ilf dem sal Dietr. Fl. 5808. Zwei persouen des gloiclien geschlechtes schlafen liäufig zusammen, vgl. zu lol. 708 und folgende stellen: Bi der juncfroun-en lae Ir meisterinne, diu ir pflac Meleranz 1359. Diu sch<Bne Kameltne lief Hin xuo Brangänen ivider Und legete sich an ir bette nider. Do legete sieh Tantrisel Zc samne und Parantsel H. v. Freib. Trist. 4918. Die sprücho des Cato (Lieders. 1, 568, 331) schärfen als höflich- keit ein: Wenn du ivilt legen slaff'en dich Zu dinctn geliehen so rat ich Das icht icerd von dir gesungen An ivelhetn tail er wolle ligen. Er galt indessen für feiner, jedem gast ein eigenes bett zu bereiten: Nti wart in gebettet wol Als man lieben gesten sol Tegel ichem besunder Lanz. 831. Mit den gesellen er gie In ein keme- ndten Diu ivas wol beraten Mit vier betten rtcJie (für vier ritter) Tand. 2626. Man viiort den degen wert erkant In ein sunder kenienuten (während die daineu in einem gemeinsamen zimmer zii schlafen scheinen) Tand. 13347.

S. 97 j Eine nachtigall singt in einem elfenbeinernen Speer Virg. 6, 4 fgg.; in einem spcer singen nachtigall, zeisig usw. Oreudel 977 (vgl. 972 977). Ein golde- ner adler, als automat, auf dem zelte des Lanzelet Lanz. 4780 4805.

S. 103] Ein verhäng vor dem bette wird öfters envähut; vgl. noch Mel. 584 fgg., Zarncke, Beiträge zur erklärung und geschichte des Nibelungenliedes s. 156 fgg. und weiter: (das bett) was vil wol behangen AI unibe und tmibe vür den stoup GA. 2, 184, 364; Her ritter, liget stille, Ich rat und ist min wille. Der umbehanc ist gelesen (in falten gelegt) Uns mac arges niht bl tcesen GA. 2, 278, 49. Auch ein baldachin darüber findet sich, also ist es ganz unser himmelbett GA. 3, 65, 26 38. Anm. 4 ist noch anzuführen Garel 1202 und aus anm. 5 Herz. Ernst 2630. Die bank vor dem bette hatte, wie dieses selbst, unter sich einen räum, dass man gegenstände danmter verbergen konte, vgl. Ir kindelin si suochte under bette und tmder baue "^"olfd. A. 922, 2. Das schirmbret, ein Wandschirm, eine art spa- nischer wand im Schlafzimmer, wird Krone 8321 erwähnt; vgl. auch noch Lexer 2, 756.

S. 104] Anm. 3 ist noch nachzutragen: Diu tvirtin natu die laden uf den schöz, Vil schiere si uf geslöz: Si nam mit ir hende Her üz, ein [wei^J stolz gebende GA. 2, 166, 331. Aus dieser stelle ersehen wir, dass für die verschiedenen garderoben- und Schmuckstücke mehrere, grosse und kleine laden vorhanden waren. Die trüben für die kleidung sind gross und schwer, diese ist so klein und leicht, dass die hausfrau sie auf den schooss nimt.

S. 106] Die kenienaten werden auch des nachts mit kerzen erleuchtet; Lanz. 888 fgg. geht die tochter des wirtes zu den rittern, von zwei Jungfrauen, die leuch- ter mit brennenden lichtem tragen, begleitet: Die saztens x-uo den stunden Zuo den lichten diu si fiinden Nach der vrouwen geböte (vgl. auch Lanz. 852 fgg.). Ebenso brennen (Parz. 244, 27 fgg.), während Parzival schläft, kerzen. Als Ulrichs v. Liech- tenstein geliebte ihn in ihrem zimmer empfängt, stehen vor dem bette zwei gi'osse leuchter luid hundert lichter stralilen von den wänden (Frauend. 348, 25). Auch an der tür des hauses befand sich ein klopfring: Ze dem dritten kinde kom er sän Und ruort deti rinc an der tür GA. 2, 411, 132.

S. 107] Um'echt hat Schultz wol, wenn er das Vorhandensein von nach tgeschir- ren bezweifelt. Li dem ausgabebuch des Jean de Blois (Yie dorn. s. 35 und anm.) findet sich im Oktober der posten: It. pour orinaus pour pluss. foiz VIU. d. (von Hagemans = fr. 2, 10 heutigen wertes gesezt). Vgl. noch Du Gange 8, 383 fg.

382 MEIER

derung des betaufputzes gibt der Fleier im Meleranz 619 635: auf dem bette liegt ein phlihnit und ein gestepter matra^] zwei leintücher sind darüber gestreckt und werden durch ein decklaken von hermelin mit futter von. feuerrotem pfelle bedeckt. Ein wangküsseltn Uegt noch dort und endlich ein xieche von Salomanderä. Deela- cken von Troyande, die besten stdn «| aller keiden lande werden Eabenschl. 115, 4 erwähnt.

S. 87] Die bemerkuug Schultzens über underxicehe ist zu modificioreu, da nach den lesarten der handschriften an jener stelle der Eneide (1278) ander ticke in den text zu setzen ist, vgl. Behaghel, Lesarten zu 1278 und 9308 fg.

S. 88] Anm. 4. Ein declachen zobelm wird auch Gärel 4966 erwähnt.

S. 89] Zu der beobachtung, dass die Unterbetten von stroh sind bei der son- stigen, so kostbaren aufmacliung vgl. auch zu lolande 2319. Anm. 3 ist noch die von Schultz s. 208 anm. 3 citierte stelle aus Thomas Wykes anzuführen. Was die anm. 6 angeführten verse aus dem Bloch (866 fgg.) hier zu tun haben, weiss ich mir nicht zu deuten. Hinzuzufügen ist aber Eracl. ed. Graef 4395: nf einem strö tvas ir ha7u, Da, sie hi im lac ade saz,, Banne mit aller der xierheit , Die üf des kai- sers bette tcas geleit. Auch den rittern auf ihren abenteuerfahrten werden über eine unterläge von laub und moos betten und teppiche gedeckt: dar nach bette man in Under da^ gexclt hin Beidiu üf loube und üf gras. Vil manee guot gulter was üf daz lonb gedecket. Dar üf waren gestrecket Vil ivi^iu lilachen "Wig. 92, 11. Die gleiche Schilderung etwa finden wir Meleranz 9619 32. Credenztische sind, wie Schultz meint, nicht üblich gewesen, und darin hat er gewiss recht. Dagegen scheint etwas anderes gebräuchlich gewesen zu sein: In der gralsburg werden die goldenen und silbernen trinkgefässe auf vier karroschen hereingefahren und von die- sem wagen auf die tische verteilt (Parz. 237, 21 fgg. ; vgl. Virg. 682, 1 fgg. 1010 fg.).

S. 91] In weniger vornehmen häusern wurden auch wol die lichter ohne kerx- stal ii'gendwo festgeklebt, wie es GA, 2, 328, 494 fgg. geschildert wird: Eine kersc nam se in de hand, Se ging ander icerve hin in, De kersen klevede se hi ein ven- sterlin.

S. 93] "Wachslichte erwähnt auch Ulrich von Liechtenstein Frauend. 299, 5 fgg., wo er schildert, wie die ritter in Neuenburg die ganze nacht hindurch henimstrei- chen, von dienern mit lichtem begleitet. Die kosten der beleuchtung waren sehr beträchtliche, und wenn auch die kerzen im hause selbst gegossen wurden, so war der preis für unser urteil ein ungemein hoher. Hagemans hat (Vie domest. s. 24) ausgerechnet, dass für Jean de Blois an einem gewöhnlichen abend die beleuchtung fr. 16 in heutigem gelde kostete. Anm. 2 vgl. quod 16 candele equalis ponderis et qiiantitatis dicte vulgariter pfundige, geivundene kertzen de dicta cerea conficiantur Strassb. urkdb. 3, 358, 35 a. 1327; ouch sal %,cu yeder kercxin nicht mynner kummen dan eyn j)fund ivas%es, och sal dax, dacht allewege von seisx, vademen sin yn yglicher kerxcen. Baur, Arnsburger urkdb. 602 nr. 985 a. 1369.

S. 94] Kerzen werden den damen am abend von dem gesinde vorangetragen (Wolfd. D. VI, 76, 1. Lanz. 888). Ebenso werden latcrnen zu diesem zwecke gebraucht: Si hct mit ir dar getragen Zwo laterne (hörte ich sagen) Dar inn xzvo kerxen brunnen lieht Tand. 11490.

S. 95] Anm. 10 ist noch nachzutragen: des kimiges miioshas H. v. Treib. Trist. 2901 , vgl. Alexander 5939 fgg.

S. 96] Nach der mahlzeit werden die tische aus dem saale getragen und man tanzt dort: vgl. noch zu lol. 2921 und Cranc 2158. Früher schlief der herr mit

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tJBER SCHULTZ, HOFISCHES I.KBEN

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seiner gcfolgscliaft auf dem saale, uud so tut es noch Dietrich von Bern: Do ivahtc der Berncere Und ouch die recken über al Die ht im lagen ilf dem sal Dietr. Fl. 5808. Zwei jiersouen des gleichen geschlechtes schlafen häufig zusammen, vgl. zu lol. 708 und folgende stellen: Bl der jimcfroiucen lae Ir meisterinne, diu ir pflae Meleranz 1359. Diu schccne Kamellne lief Hin zno Brangdnen wider Und legete iiich an ir bette nider. Do legete sich Tantrisel Ze samne und Paranisel H. v. Freib. Trist. 4918. Die Sprüche des Cato (Lieders. 1, 568, 331) schärfen als höflich- keit ein: Wenn du wilt legen slaffen dich Zu dinem geliehen so rat ich Das icht nerd von dir gcswigen An ivelhem tail er ivolle ligen. Er galt indessen für feiner, jedem gast ein eigenes bett zu bereiten: Nu wart in gebettet ivol Als man lieben gesten sol legelichem besunder Lauz. 831. Mit den gesellen er da gie In ein keme- näten Diu iras wol beraten Mit vier betten rlclie (für vier rittcr) Tand. 262G. Man ruort den degen irert crkant In ein sunder kemenäfcn (wälireud die damcii in einem gemeinsamen zimmer zu schlafen scheinen) Tand. 13347.

S. 97j Eine nachtigall singt in einem elfenbeinernen spcer Virg. C, 4 fgg.; iu einem speer singen nachtigall, zeisig usw. Orendel 977 (vgl. 972 977). Ein golde- ner adler, als automat, auf dem zelte des Lanzelet Lanz. 4780 4805.

S. 103] Ein Vorhang vor dem bette wird öfters envähnt; vgl. noch Mel. 584 fgg., Zarncke, Beiträge zur erkläruug und geschichte des Nibelungenliedes s. 156 fgg. uud weiter: E^ (das bett) tvas eil ivol behangen AI umbe und imibe mir den stoup GA. 2, 184, 364; Her ritter, liget stille, Ich rat und ist mtn wille. Der mnbehanc ist gelesen (in falten gelegt) Uns mae arges niht bi wesen GA. 2, 278, 49. Auch ein baldachin darüber findet sich, also ist es ganz unser himmelbett GA. 3, 65, 26 38. Anm. 4 ist noch anzuführen Garel 1202 und aus anm. 5 Herz. Ernst 2630. Die bank vor dem bette hatte, wie dieses selbst, unter sich einen räum, dass man gegenstände darunter verbergen konte, vgl. Ir kindeUn si suochte under bette und Wider banc ^Volfd. A. 922, 2. Das schirmbret, ein Wandschirm, eine art spa- nischer wand im Schlafzimmer, wird Krone 8321 erwähnt; vgl. auch nocli Lexer 2, 756.

S. 104J Anm. 3 ist noch nachzutragen: Diu wirtin nam die laden üf den seho^, Vil schiere si üf geslöz,: Si nam mit ir hende Her üz, ein [tveiz,] stolz gebende GA. 2, 166, 331. Aus dieser stelle ersehen wir, dass für die verschiedenen garderohen- und Schmuckstücke mehrere, grosse und kleine laden vorhanden waren. Die ti'uhen für die kleidung sind gross und schwer, diese ist so klein und leicht, dass die hausfrau sie auf den sehooss nimt.

S. 106] Die kemenaten werden auch des nachts mit kerzen erleuchtet; Lanz. 888 fgg. geht die tochter des wirtes zu den rittern, von zwei Jungfrauen, die feuch- ter mit brennenden lichtem tragen, begleitet: Die saztens xuo den stunden Zuo den lichten diu si funden Nach der vrouwen geböte (vgl. auch Lauz. 852 fgg.). Ebenso brennen (Parz. 244, 27 fgg.), während Parzival schläft, kerzen. Als Ulrichs v. Liech- tenstein geliebte ihn in ihrem zimmer empfängt, stehen vor dem bette zwei grosse feuchter und hundert lichter strahlen von den wänden (Frauend. 348, 25). Auch an der tür des hauses befand sich ein klopfring: Ze dem dritten kinde kam er sän Und ruort den rinc an der tiir GA. 2, 411, 132.

S. 107] Unrecht hat Schultz wol, wenn er das Vorhandensein von nach tgeschir- ren bezweifelt. In dem ausgabebuch des Jean de Blois (Vie dorn. s. 35 und anm.) findet sich im Oktober der posten: It. pour orinaus poiir |j/z<55. foix VIU. d. (von Hagemans = fr. 2, 10 heutigen wertes gesezt). Vgl. noch Du Gange 8, 383 fg.

384 MEIER

S. 108] Abtritte werden noch erwähnt von Nie. de Biber a (Carmen occulti auctoris 1721): Alter [facit] privatum pro commoditate locatani. Sie sind gewiss häufiger gewesen, als Schultz annimt; in den Städten sind sie, scheiuts, in der regel vorhanden, wie die erwähnung in den urkundenbüchern zeigt; vgl. z. b. Strassb. urkdb. 3, 236, 23 a. 1314; 3, 316, 17 fgg. a. 1324. Vgl. auchDuCange 6, 509 c sub privada und privata, der noch einige belege gibt, und Gasner (Zum deutschen stras- senwesen s. 140), dessen Schilderung der zustände des 15. Jahrhunderts die früheren illustriert.

S. 109] Über line vgl. jezt 0. Zingerle Ztschr. f. d. a. 33, 107 fgg.; über estres ebd. s. 115.

S. 111] Über doppelkapellen vgl. noch Mitt. der k. k. central- commission 15 (1889), 239.

S. 113] Eine ganz gute abbildung der doppelkapelle des Schlosses zu Vianden befindet sich, wenn ich mich recht erinnere das werk ist mir hier nicht zugäng- lich — in Arendts Monographie du Chateau de Vianden (Luxemburg 1884).

S. 114] Eine bedachung mit blei finden wir Virg. 189, 6: Gedecket was mit hllge Viir den regen und mir den wint Da^ kostberliche gemiure. Gewöhnliche häuser waren mit schindeln und stroh gedeckt: da^ (das haus) was nider und nilit ho Mit schindeln gedaht und mit stro, Der zun der ivende der toas fül, Enmitten stuont ein krumbia stll, Diu was des swachen hüses kraft; Die räven tvdrn dar an gehaft Eracl. 2199. Vgl. eyn hns mit xiegeln gedecket vnd dax gesseln dar neben, da§ ander bit Bore Worms Baur HU. 3, 511 ur. 1424 a. 1376.

S. 120] Es hätte im text vielleicht die pflasteruug von Ardes hervorgehoben werden sollen, die in dem citat in der anm. 1 leicht übersehen wird. Weitere nach- richten über pflasterung von Städten hat Gasner (Strassenweseu s. 50 fg., 65 und anm. 32. 114 und anm. 387) zusammengestelt. Unrichtig ist die bemerkimg Schultzens, dass man erst in der zweiten hälfte des 14. Jahrhunderts in Deutschland zur pfla- sterung der Städte geschritten sei. Die ausführungen Gasners (s. 123 fgg.) beweisen, dass schon anfang des 14. Jahrhunderts das pflaster in aufnähme kam. Dafür wird aber von der stadt oft ein weggeld erhoben, wie Gasners nachweisungen (s. 127 und anm. 26. 27) zeigen.

S. 121] Schlimmer als für reifer stand es für fussgängor, für die manchmal die Strassen kaum passierbar waren. Nur durch schreitsteine, die sich besonders bei wegkreuzuugen fanden, wurde für die fussgäuger gesorgt, sonst ist die Strasse voll kot und schmutz. Vgl. Gasner s. 120 fg. uud Eracl. ed. Graef 3875 fgg.: Des hiises sie giioten icar nam Und als sie gegen der tür kam Do iras diu selbe strafe Horwec üz der mdze Als ez, ofte in grölen steten ist. Nun lenkt die kaiseriu ihr pferd auf einen runden stein; das strauchelt und sie fält in den schmutz. Zu anm. 3 war wol noch auf s. 639 anm. 2 zu verweisen. Die älteste anord- nung über den kehricht und dessen abfuhr ist uns aus Strassburg aus der ersten hälfte des 12. Jahrhunderts erhalten (Gaupp, Deutsche stadtrechte des mittelalters 1, 68 nr. 82; bei Gasner s. 53 uud anm. 35). Schon dort wird verboten mist und kehricht vor die häuser zu werfen , ausser wenn man ihn gleich wegführen will , und es ist nur erlaubt ihn au bestimte, namhaft gemaclite stellen hinzuschaffen.

S. 126] Hier hätte jedenfals in einer anmerkung auf die lebensvolle Schilde- rung des Wesens und treibens der büi'ger und handwerker hingewiesen werden sollen, die sich bei Nie. de Bibera im Carmen occulti auctoris 1682 fgg. findet.

ÜBER SCHULTZ, HÖFISCHES LEBEN 385

S. 143] Wolfdietevich bietet sich der in den wehou liegenden gemahlin des vom drachen getöteten ritters als amtne an, wird aber /Airückgewiesen , da die frau sich vor ihm schämt (Wolfd. A. 570 fg.; ausführlicher Wolfd. D. VIII, 65 fgg.). Die anm. 8 gegebene Übersetzung von insocl mit „weihbrunuen " ist unrichtig, wisod bedeutet „geschenk, gäbe".

S. 150] Anm. 3 ist das beispiel aus Eraclius ed. Graef 1278 (ed. Massmann 1162) zu streichen. Die lesart von B, welche Massmaini in den text sezt, gibt wol das richtige: amme und muotcr bezoiclinen dieselbe person nach verschiedenen funk- tionen hin, und es ist gerade als beispiel dafür, dass die mutter ihr kind selber säugte, zu verwenden. Noch im Ring (21 b, 36) wird dem Bertschi die lehre gege- ben: Macht denn alter weiber nicht Gehalten nach der ammen pflicht. So cmphilch der n/uüter "xart Ir kind, da% sey sein selber nart Mit saiKjeii, hüten tind auch jihlfr/eii. Pie andere massnahme, sich mit ammen zu behelfen, hat ihre grossen Schattenseiten: Darxuo muss man ammen habest, Chamer u- ei b , die getrtmkend nie, Dann man tcassers vind ym se; Seu fressend vil und sagent an, Es hab dax- kindel ah getan Eing 20, 35. Interessant ist, dass die "Wiener bearl)eitung von "Wernhers Marienleben in der Schilderung des bethlehemitischen kindermordes die kinder bei den mütteru schlafen lässt (ed. Feifalik 4278 fgg. 4312), während die Berliner Umge- staltung von ammen zu erzählen weiss, die den schlaf der kinder behüten (Fundgru- ben 2, 209, 14 fg.). Man darf die erste darstellung wol als original bezeichnen und kann bei der änderung höfischen einfluss vermuten. Scherer (Gesch. d. d. litt, im 11. und 12. jahrh. 99 anm. 1) führt noch an aus Vulfadi arcliiejjisc. Bituricensis epist. pastor. (Mabillon Vet. Anal. s. 102 b): Consulimics itaque precamurque femi- nas nobiliores et alias quascumque , ut ftlios siios 2)roprio lade nutriant et mdla- tenus ancillis aliis ad educa'nduni tradant.

S. 152] Vgl. Sy (Wenzel und Frau Gut, die als kinder verheiratet werden) redten Chindlcich. Ir icirte do deiv Maid ^'^on jr Tokchen sait Wie die wem ge- stalt; Do enkegen er jr vorzalt Wax sein Sprinex. het gerangen Ottok. v. St. cap. 174. Aber auch die knaben spielen wol einmal mit puppen. Hildebrand erzählt von seinem zögling Dieterich : Er n-tenet da ze Berne sin. Mit kinden spilen der locken Und swas s* habent in ir laden Daz, er daz ldz,e durch stn hant Und in nach trage ir prtsevaden Virg. 203, 9. Auch Schultz führt (Anm. 8 ende) diese stelle an, versäumt aber den richtigen schluss daraus zu ziehen.

S. 157] Die schrift von Franz Tetzner: Die wissenschaftliche bilduug des „juncherren" in der blütezeit des rittertums (Leipz. diss. 1889) bietet so gut wie nichts neues und beschränkt sich im grossen und ganzen darauf, aus den arbeiten von Wackernagel, Weinhold und Schultz einige Zusammenstellungen zu machen. Die inhd. litteratur wird nur in kleinem umfange selbständig herangezogen. I)ie vorlie- gende dissertation ist indessen nur ein ausschnitt einer grösseren arbeit, die im Prakt. Schulmann 38 heft 5 7 erschienen ist und mir zu meinem bedauern nicht zugäng- lich war. Daher erstreckt sich mein urteil aucli nur auf die als dissertatiun gedruck- ten teile der arbeit.

Fui'sin wird dem Partonopier von seinem oheim Sornagiur anvertraut: Stn oheim tvolte in franxeis Vil gerne heilen leren, Darumbe er den vil hUren Par- tonopiere da bevalch: Wan er ein ttcgentrtcher Walch Was an alle^ underbint, So lie^ er stner swester kint In sttne dienste erbei^en Part. B. 6516. Willielni von Wenden versteht imd spricht arabisch (Wh. v. Wenden 3424 fgg.). Auch die beiden sprechen französisch: Do enkunde de vorste tmvorxagt Nicht enwizzen, wa^ he

ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXIV. 25

386 MEIER

spracli (Da^ was dem. vorstcn ungcmach) , Dorch daz, he ivas ein licidisch man Do %u redene he hegan Franxois, des künde he (der beide) ein teil Demant. 10272. Merkwürdig ist, was Ottokar von Stcyor über die spracbkentnisse berzog Eudolfs , dos sobnes Albrecbts von Österreicb, der Bianca von Frankreicb heiratete, erzäblt: Yedoch ain Ding jn (Eudolf) jwtaubt : Wenn jm ward erlaubt Zu Ir (Bianca) sie- %en gan, Daz, er nicht mächt rerstan Dhains jr Wort, Vil Fretcden jm das stört, Das mocht nu anders nicht sein (Ott. v. St. cap. 702).

Oft werden die knaben und Jünglinge schon früh in fremde lande geschickt; so berzog Ernst, der icelhisch und lattn lernt und dann schliesslicli noch nach Grie- chenland gesant wird (Herz. Ernst B. 70 fgg.). Ludwig III. und Hermann I. von Thüringen werden am bofe Ludwigs VII. von Frankreich erzogen (Wackernagel, Litt.- gescb. 1^ 127 anm. 1); vgl noch Weinhold, D. Fr.- 1, 141, Tctzner s. 23 fg. und Epistolpe Lupi ed. Baluzius nr. 91.

S. 160] Auch die frauen verstanden französisch i;nd hatten sich feine Inldung angeeignet (anm. 4): Welt ir lenger hinne luesen, Ich laze in mine tohtei lesen Bicelch mcero ir weit in franzois. Mm tohter ist so kurtois, Und tvelt ir xabelen mit ir, Da§ kan si tvol: da^ habet üf mir Mai 230, 29. Die frauen können mei- stens lesen und schreiben, vgl. Ulrich von Liechtenstein, Frauend. 321, 21 fgg. und Sachsenspiegel 1, 24, 3 (sattere und alle hüke die, %o godes deneste höret die rroiven lieget to lesene). Dass die frauen die briefe vom kapellan lesen lassen, besagt noch nicht die eigene mangelnde fähigkeit (Wolfd. A. 200, 1 fg., Virg. 130, 9 fg.; vgl. aber 258, 1 fgg. 260, 1). Iblis sagt (Virg. 436, 5): den brief schrib ich mit mmer haut. Dass könige mid bofleute nicht lesen können, komt öfter vor (Marke bei Eil- bart 4839 fgg.; Virg. 535, 1 fgg., vgl. 939, 1 fgg.; Mai 141, 21 fgg.). Gegen unser erwarten versteht der alte Hildebrand zu lesen, was wir dem kampfgeprüften recken gar nicht zugetraut hätten. Virginal reicht ihm einen brief und bittet: ^lesent, herre, kunnent ir'-^.

Hildebrand entschuldigt sich zunächst mit seinen schlechten äugen, dann aber liest er ihn doch vor (Virg. 455). Über die form der briefe äussert sich Schultz nicht. Es wäre da vielleicht noch das eine oder andere aus Steinbausen, Ge- schichte des deutschen briefes 1, 5 fgg. zu entnehmen gewesen. Vgl. noch Altsw. 211, 6: Ein brieff das was ein lied Mit tvis und tcorten clug Das imns %u samen drug Gar heimliehen an ein stat.

S. 161] Die uotiztafeln bewahrten die damon in dem weiten ärmel (Wolfd. A. 200, 1) oder steckten sie in den busen [der ■inuoter er die tavele in den buoscu wider stiez, Wolfd. A. 306, 1). Vielleicht war noch etwas mehr von Schultz her- vorzuheben, dass Gregorius (Greg. 986), Eraclius (Eracl. 408 fgg.), Flore (Florß 810), Walther (Part. B. 19624) sämtlich ihre bildung in einer schule und nicht durch Pri- vatunterricht empfangen.

S. 162] Was das alter bei den studien anbetrift, so ist noch zu erwähnen, dass Heinrich von Kirchberg schon mit zwölf jaluen von Paris nach Bologna zum studieren komt (Nie. de Bibora 98 fgg.). Über die art des gelehrten Unterrichtes der kinder gibt uns der oft genante Nie. de Bibera gute auskauft (Carmen occulti auct. 31 fgg.).

S. 163] Zu anm. 5 ist auch wol Greg. 1547 fgg. anzuführen: Sun, mir saget vil maneger niunt, Dem ze ritterschaft ist kmit, Stver du, %e schuole beltbe Unz er da vertribe Ungeriten zwelf jär. Der tnüexe icmer für war Oebdren nach den pfaffen. Vgl. auch noch im algemeinen Part. B. 19619 fgg.

■ÜBET? SCHULTZ, lliJFISCIIES LEBEN 387

S. 167] Anm. 1 hcätte vor allem Grog. 1617 fgg. erwähnt werden sollen.

S. 168] Bei Leiden in anm. 3 angefülirton stellen (Trist. 4712 fg. und Herb. Troj. 9307 fgg.) ist sicher nicht das messerwerfen als waffeuübmig gemeint, sondern die dichter donlcen an einen jouglcm-, der das bekantc messerspiel übt. Daher ist die anmerkung hiev zu streichen.

S. 170] Zu anm. 1 füge noch hinzu Greg. 1547 fgg.

S. 173] Die briefo werden meistens besiegelt (Virg. 44'J, 1). Dii» köiu'gin sie- gt^lt den brief selbst: Bin r1che knneginne Bcsigelte in mit ir selbes liant. In ein lade st in besing Virg. 482, 10. Aber es finden sich auch offene briefe erwähnt. Das Siegel wird daran gehangen und dient zugleich dazu dem boten sicheres geleit zu verschaffen: Diu hänt da^ ingesigel guot An disen brief gehangen Durch ir tug enthaften muot, Daz, ich niht icurde gevangen Ich Btbunc üf der toidervart Virg. 266, 7; vgl. 246, 7 fgg. Grünes waclis zum siegeln finden wir genant Vie dornest, s. 96: It. a Colin clere pour cire vert pour sceler XII. d.; vgl. zu diesem gebraiiche nocli Sava in den Mitteilungen d. k. k. central - commission 9 (1864), 1.52 fgg. und Zimmerische chronik 1, 483, 15 fgg. Briefboten wurden wol von den einzel- nen höfen, Städten und klöstern ständig gehalten, vgl. z. b. Hilgard, Speyrer urkdb. 426, 20 a. 1343; 435, 30; 436, 2 a. 1345; ferner Yrmele briefdregerse von Kiedrich Sauer, Cod. dipl. Nassoicus I, 3, 361 nr. 3183 a 1366. Allein wol nur die deutsch- herren hatten eine volständige privatpost im modernen sinne eingerichtet; vgl. Mat- thias, Über posten und postregale 1, 153 fgg. und E. Hartmann, Entwicklungsge- schichte der posten 187 fgg.

S. 174] briefvaz, finden wir noch genant GA. 1, 109, 149. Eine bühse zur auf- bewahrung des briefes wird erwähnt Virg. 930, 1 fg.: BaldeUn /rart schiere bereit, Den brief er in die bühsen leit. In der Vie domestique (s. 23) wird P. de Charme- teau le mcssager erwähnt, qui va porter des lettres k Bourges, apres les avoir pre- cieusement renfermees dans la boiste aux lettres qu'il porte ä sa ceinture, d'oii son nom de messager a boiste. Auch lade findet sich als bezeichnung für diese brief- büchse (Virg. 247, 1. 482, 11). Die lade scheint an einer schnür getragen worden zu sein : si (Virgiual) ersach die lade do Und otich die langen llnc Virg. 256, 8. In taschen werden ebenfals briefe getragen (Virg. 454, 13).

S. 175] Über den lohn der boten erhalten wir gute auskuuft in der Vie dome- stique (s. 20 anm. 28 a. 35 a. 36 a. 37 a. usw.). "Weitere dankenswerte Zusammen- stellungen über die in diesen rechnungen notierte bezahlung der boten, arbeiter imd haudwerker hat Hagemans dort (s. 52 fg.) gemaclit. Unsere gedichte nennen natür- liche höhere löhne und zehrgelder der boten. Iblis gibt einem 200 pfund xergelt (Virg. 442, 2 fgg.). Aber all dies ist nicht als baare münze aufzufassen, wozu Schultz neigt. Zum grossen teile sind die Wertangaben in den gedichten rein formelhaft: ein sirert, daz tvas wol tüsent marke ircrt heisst nicht „ein schwort, das 1000 mark wert ist", sondern nur „ein sehr wertvolles schwort". Das richtige bringt auch Schultz einmal (2, 79); aber an einer anzahl anderer stellen (so 1, 177. 276 a. 4. 501 a. 4. 575 a. 5) berücksichtigt er diese erwäguug nicht.

S. 176] Die boten werden erst bewirtet, dann sagen sie ihre botschaft: Morant gebot i/pn/e salc Die taflen do bereiden. Die herren hies he beiden, Dat sie nit ensethcn Wat nieren da sie brethcn Sine hedden alle gez&cn Laclimann, Drei fragm. ndrh. ged. s. 174, 56; Er (Dietleip) hiex, in (d. boten) tvillekomen sin: Er mcorte in so gedrdte In eine kemenäten rieh. Man schände im den kalten wm. Man hört sm mcere vmnderlicli Virg. 545, 9; Eckart hiez. halde bringen ein begoz,s,eM

25*

388 MEIER

brot Und einen koph mit wlne, es tefe in (Nitger und Hildebraud , den müdeu boteu Dietrichs) groxe not AljA. 309, 1; später (310, 1) essen sie dann noch regelrecht.

S. 177] Die boten sind geheiligt: enivcre icl nie recht sede Dat mau den boden heylde vrede Ich dede dich an eynen boem haen Karlm. 52, 62. Aber trotz dieser anerkanten Satzung wirft kaiser Constautin Eothers boten in den kerker.

S. 179] Es ist wol auch ein unterschied zwischen knabe und jitnchcrrc anzu- nehmen, vgl. Zicelf Imaben vuorte er mit itn dan Und vier jimcherren wol getan Tand. 3975. Die anm. 7 angeführte stelle ist von Schultz falsch verstanden: Ecke hat Schild und Schwert und ist, wie er selbst sagt, ein fromven bot. Daran knüpft die bemerkung Hildebrands an: „ihr soltet lieber einen schaprun und einen engen rock tragen [statt eurer brünne], als dass ilir so in knappen weise [d. h. zu fusse gehend] und doch gewapnet hei-ren aufsucht". Hildebrand schliesst nachher seine äusseruug: „in so reicher kleidung soltet ihr beritten sein". (Ecke L. 44, 5 fgg.)

In Heinrichs von Freiberg Tristan (1923 fgg.) kernt folgende stelle vor: Dar nach (zogen) sins herren capelän So vil als er der mochte hän, Dar nach die rit- terliehe schar. Es ist fraglich, wie capelän zu deuten ist. Solte es = kaplan (wie 4368 fg.) oder = Schreiber sein? Aber wie komt es, dass er deren so viele hat? Bechsteins deutung in seiner ausgäbe ist unrichtig, wie ein einfaches durchlesen der füi' seine bedcutungsangabe in anspruch "genommenen stellen bei Du Gange (s. v.) zeigt. Ich glaube indessen, dass Bechsteins, von Bartsch mit nicht ausreichenden gründen zurückgewiesene conjektur castclän statt capelän die meiste Wahrscheinlich- keit für sich hat.

S. 180] Über höfische etikette hat Schultz auch in dieser aufläge nicht viel neues. Auch ich habe leider nur wenig gesammelt. Auf K. Hildebrands aufsätze (Ges. auf- sätze u. vortr. s. 40 fgg,) auf die schon Lichteustein in seiner recension der ersten auf- läge dieses werkes aufmerksam machte, möchte ich von neuem hinweisen, trotzdem Schultz meint nichts aus ihnen entnehmen zu können. Es galt als höfische sitte, den freund bei der band zu fassen und so mit ihm zu gehen, z. b. : bt handen si (Ezel und Dietrich) sich viengen, Ensamt si giengen Sitzen üf daz, gesidele hin Dietr. Fl. 5223. Ganz gute freunde umschlingen sich noch enger: Bi handen si sich viengen Die gesellen beide giengen Oehalsen vur den herxogen Türh. Trist. 671; vgl. gehalsen friuntschaft Walth. 30, 32. Der wirt lässt die gaste voran gehen, aber ein gegenseitiges bekomplimentieren dabei scheint schon damals üblich gewesen zu sein: Do si kämen hinx der tiir Mit der hende schop er für Gärein unde Qtlän. Der wirt als ein hobescher man Wolle si des niht erlän, Si niiiosten vor im gän Uf den schoenen palas iviten Garel 4506.

S. 190] Schultz meint, dass frauen die ritterwürde erteilten, sei wol nur poe- tische erfindung. Aber es ist doch vielleicht an die von ihm selbst s. 185 anm. ange- führten stellen zu erinnern, wo damen den ritterschlag volziehen.

S. 191] Anm. 2 ist auf Ulrichs von Liechtenstein Frauenbuch 607, 3 fgg. hin- zuweisen, wo ebenfals die leidenschaft der mäuner für die jagd von den frauen geta- delt wird.

S. 194] Im frauenzimmer werden die gewänder der ritter angefertigt: Sicester, daz, mir teer de bereit Wäpenkleit und kurstt rieh, Dar umbe teil ich sicherlich Leisten allez, da^ du wil (Tand. 12111). Es wird nun erzählt, wie die Jungfrau es ihren frauen mitteilt und sie ein stück pfeller nehmen und das werk beginnen. Andere kleiuigkeiten werden von näherinnen besorgt. So erwähnt die Vie dome- stique: It. a la cousturiere pour apreiller draps U s. VI d. (s. 62), pour faire XII

ÜBEK SCIItJI.TZ, HÖFISCHES LEBEN 389

draps de lit a la cousturicre II s. (s. 78). Auch Schneider finden sich genant, so in den reiserechnungeu "Wolfgcis von Ellenbrechtskirchen : Incisori vestium iiij. den. Eidem pro pottt iiij. den. Eidcm de soccania magistri Heinriei vij. den. (s. 14), Consutoribitti V. sol. veron. (s. 29). Nie. de Bibera (1760) rühmt die Erfurter Schneider: Stint ibi sartorcs, quonmi mamis addere flores

Novit, iit in -veste pictura notetar honestc. Vgl. noch: Jlei^ den sntder sntden Zicene rote röche und' adiapriln Türh. Trist. 2282.

S. 190] Ein junges mädchen soll schüchtern sein; besonders wenn man fragt, ob sie heiraten wolle, soU sie sich erst zieren: Ez, diuht ouch noch ein WKjetmld Sied man e^ vernceinc, Ob ein unp niJit erkaime, Dar man sie gcr>be einem man, Den sie mit vollen ougen an Nie gesach zno einem mal GA. 3, 361, 168. So ma-)i dir hevet also an: Witt du Pcrtscliin xe dem man'':' So scJ/olt du dich des ersten teeren En icench, da'i stet dir tvol %e eren Eing 32d, 14.

S. 201] Das segnen der wunden stand in grossem ruf: Man xoch im ahe den harnesch, dem kiicncn wigant; Do senten ime die wunden die frouiven al xehant Grimm, Eoseng. 1996. Ick sende nach einem, tvibe Diu den smerxen dir vertribe, Diu kan manegen segen guot Eracl. 3159. Ilie geredet undr uns wiben. Ich hdn in gesegent, im- tcas entsehen Eracl. 3430. Vgl. noch mhd. wb. II-, 239. Ztschr. f. d. a. 4, 577 und Schultz 1, 203 und anm. 2.

S. 202] Ein wasserarzt wird erwähnt Ililgard, Speyrer urkdb. 452. 23 a. 1348: Anno domini MCCCXLVIII festo palniarum han wir der rat %ü. Spire meister Johans den /rasserartxat in unserre stetdc seh i du genomcn. Wie die iirzte und ärztinueu die krankheit constatierten , davon zeigte eine art die folgende stelle des Era- clius (3208 fgg.): ^Jm mich grtfen dmen arm, Ich sage dir in ktirzer frist, Ob% diti suht ode da§ vieher ist'-'-. Diu alte hiez, Morp>heä, Diu greif baltlichen sä, Paride under stn getvant. Den arm. beluchte sie in der hant Und markte fli§ec- lichen sän Mitten vingern sin dderslän. Kündec ivas sie genuoc. Sin äder im ze rehte sluoe, Als er tccere tvol gesunt. Von heilmitteln gegen innere ki'ankheiten wird schwitzen und heisse kräuterbäder gcuaut: Ir sult iu hei§§en leiten, Da§ frumt iu xuo den sacken. Ode trelt ir, heilet iu machen Ein bat von gtioten nnlrxen Eracl. 3580. Eine salbe grüencr denne der kle erwähnt Ulrich von Liechtenstein im Frauend. 28, 2, die Bechsteiu tiir tmgttentum populeum hält. Es ist nicht immer mit Sicherheit zu entscheiden, ob wir ein arzneimittel oder irgendwelche kran- kenkost vor uns haben. So finden wir in der A''ic domesti(|ue folgendes: It. potir amandes et sucre et atttres chosses j)our Bugart qui ftit mcdlade II s. XI. d. oh. (s. 111), It. pour p)ommes poiir Bugart X. d.. It. pour encre violat pour Bugart II s. X d. (s. 112). "Was encre violat verstell, ist nicht mit Sicherheit zu bestim- men, möglicherweise ist es ein absud aus veilchen; vgl. noch imsere bemerkung zu s. 506. Sonstige bestimmungen über krankenkost sind folgende: Ilüetet iuch vor boesem e^^en" (Des stdt ir niht vergez,z,en) , , Orüene^ fleisch ist iu verboten, Exn sin hüener icol versoten; Von Tiverbtirch trinket tvin, Der sol ivol gemenget sin Eracl. 3585. Wann daz, ist gcKonlick , Daz, siechen spis solt kalte sin Lieders. 1, 80, 119.

S. 203] Anm. 3 füge noch hinzu: „/e/? trän, du bist verirret, Oot hat din verge'4^en, Tuo dicJi her, la dich me^z,en\'^ Also lang ich in masz, Vntx, er alle^ vergasz Lieders. 3,9, 153. Vgl. auch Grimm, D. myth. 1116 fg.

S. 205] Anm. 5: schaff cere Dietr. Fl. 810. 4632 usw., vgl. Lexer 2, 629 fg.

390 MEIER

S. 207] Audi der l)ruder des Jeau de Blois, Guy de CliätilloD, comte de Blois. hat einen zwerg an seinem hofe, dem der berr VIII d. schenkt (Vie domest. s. 103).

S. 208] Ein liofnarr wü'd iu folgender notiz erwähnt: Erzbischof Heinrich III. von Mainz quittiert namens der testamentsexekutoren seiner verstorbenen Schwester, der herzogin-Yon Österreich, dem kloster Eberbach über zahluug von legalen dersel- ben an den pfarrer zu Wickerde und an Ochlinus, eiusdem nostre sororis, dum vixit, fatui. Eltville a. 1347 Sauer, cod. dipl. Nass. 1, 3, 240 ur. 2470*. Schultz hätte vielleicht noch Heinrichs v. Fr. Trist. 5471 f. erwähnen sollen: Im (dem naiTen Tristan) sluoc cid nieman keinen slac, Als man tuot den törcn. Das aussehen und die kleidung der narren schildert ausführlich Ulrich von Türlieini Trist. 2475 fgg. und 2503 fgg. Man findet sie oft an höfen und schickt einen guten narren auch wol als geschenk an einen freund: Wii- bedorfftcn icol eins narren Zu niencher aben- tur. Ir ivist wol, uns starb hiur Unser alter dor hie giyel, Den unns der hrobst von Ligel Schickt ^m eyncm osterspil Altsw. 1(31, 33.

S. 210] Zu der frage vom dutzen vgl. uocli Dieti-. FI. 5039 fgg. Helche nent Dietrich von Bern „fr", dann fährt sie fort: Er (Etzel) hat lange geivunscht dln. Dir sol daZi nicht zorn sin, Daz, ich dir du sx>riche: Dar an ich niht xebriche Dehein min ere noch min xiiht, Wan dil hast her tmo mir vluht; ferner Eing 9d, 28 Bertschin det daz, schelten we Und daz, dücxcn dannoc-h nie.

S. 212] Zu anm. 2 füge noch folgende stellen: Ir hdr gelich dem gokle Als e^ got n-ünschen sohle Krils alsam die siden Tanhäuser HMS. 2, 86 a. //• hur ist val, ze mä^e \anG, Gevar alsani die siden Tanhäuser HMS. 2, 84b. »SV freit lanc gel valice^ hdr "Wahsmuot HMS. 1 , 327 a. si treit krüs hdr, krisj) nnde gel Wahsmuot HMS. 1, 327 a. Gel und goltvar tvas ir (Marias) hur Philipp Mrl. 834. //- goltvar hdr Krüs lüter tinde reine lol. 2764. Gel als diu side tvas ir hdr GA. 2, 287, 16. Ir hdr tvas reid imde gel GA. 2. 287, 21. Diu vrouwe truoe üf irem houht Hdr gesfunnen gokle gelich Dar ob gebende xtcinzerlich, Ir tvinqyran briin, ir ant- lütz fin, Ir Öligen sa?n der sterne scliin, Ir inündel daz, stuont rosenrar Ob rosen- bleter tccBren dar Gcströut und brünnen vor ro?te GA. 1, 263, 76.

S. 213] Anm. 2 ist noch anzuführen: Ir scheitel iviz, unde snial ^Yol ge- schicket hin ze tal: Si hdte zarte löckel Si tvas gesmücket als ein töckel GA. 3, 112, 59.

S. 217] Anm. 4 füge hinzu: /;■ ai'ine sieht, ir hende, du niJites niht gebrach; Ir nagel dar an so lüter, Da^ man sich drinne er such Ortnit V, 388, 1.

S. 218] Anm. 1: Alsam ein löuwe ist er gebrust Und als ein Hiune wol gelidct Troj. 29562. Anm. 2: Sitt ist in midin also smal Si gezeme cinie hcrren wol Eother 75.

S. 219] Anm. 5: Nach tvunsche tvaren ir die bein Weder zu gro^ noch z,uo dein, Smale füess tmd da bi spitz, Altsw. 25, 27. Wol stcnd bein und spitzig füez Altsw. 122, 29.

S. 220] Anm. 3 sind eine anzahl beispiele angeführt, die hier unter die rubrik „Hässlichkeitsideal" nicht hin passen: vom zweiten bis zum zehnten sind wol die bei- spiele auf s. 212 zu verweisen. Dagegen ist hinzuzufügen Wig. 61, 3, GA. 1, 249, 17 und Wolfd. D VII, 119, 1 fg.: Ir hdr het esels varwe tmd was tmmd^en lanc^ Da^ ez, ir über den gürtel hin ztco der erden su:anc. Anm. 4: (dixisti), Sub barbu ruffa raro fore cor sine trufj'a Nie. de Bibcra 684.

ÜBER SCHULTZ, HÖFISCHES LEBEN 391

S. 222] Für dio angäbe, dass die frauon, abgesehen von einer nachtliaube nackt im bett lagen, war passend auf fig. 32 zu verweisen. Über das schlafen ohne jegliche kleidung vgl. zu lol. 2730.

S. 223] Die amn. 1 angeführte stelle aus dem Lanzclct (1905 fgg.) hat Scliultz nicht richtig verstanden: Es ist hier nicht vom morgengebet dio rede, sondern davon, dass der ritter messe hört. Einige beispielc erwähnen, dass die frauen zunächst nicht den pelz, sondern ein hcmd anlegten. Das sagt auch das von Schultz unten (anm. 2) gegebene citat aus dem Eom. de Troie (1605), wo Medea den pelz sor sa clicmisc anzieht. Ferner: Si warf au sich ein hcmede, il^ dem bette sc sprane Wolfd. Ä. 122, 1. Die frau hegt im bette, der ritter komt: Ein sidln hemde si an slouft Mit im von dem Leite Si gicnc, da§ si in liettc Mit listen gerne hräht von dan GA. 1, 270, 284.

Es ist gesund ein luftiges Schlafzimmer zu haben (Ring 26 d, 29 fgg.): Der laß ist ouch den schlaffen guot, Dar umh der mensch vil unrecht tuot Der ym schlaffef an der stat, Da kain luft hin kotnen mag. Einige gesundheitsregeln gibt "Wittenweiler im Ring (27 c, 22 fgg.), wie man sich nach dem aufstehen verhalten soll, regeln, ilic zum teil don vorsclirifteu der provenzalischen diätetik ähneln und vermutlich wie fast alle mediciuischen anschauuugen dieser zeit am lezten ende auf Hippokratos und Galen zm-ückgehen werden. Weiterhin (Ring 27, 41) findet sich dann noch algemein der ausspruch: cd/cs iväschcn geschehen schal, So der mensche nüchter ist.

S. 224 fgg.] Bei dem mm folgenden abschnitt über das badcAvesen werde ich etwas ausführlicher sein müssen, weil er mir am meisten einer umarbeitimg und ergäiizung zu bedürfen scheint. Schultz hat leider E. Martins Zusammenstellungen und interessante angaben in dessen ausgäbe von Miirners badenfahrt (Strassburg 1887) nicht beuuzt: er hätte doch eines oder das andere daraus entnehmen können. Indes- sen auch Martin hat grade für unsere zeit nicht das volständige material verwertet und in folge dessen ist seine darstellung nicht immer fehlerlos.

Es war wol stärker hervorzuheben, dass unter gewöhnlichen umständen keines- wegs jeden tag ein bad genommen wird. Allerdings lässt sich dabei kaum unterschei- den, ob vom dampfbad oder vom wasserbad die rede ist. Es genügte wol, wenn man einmal oder auch zweimal in der woche badete; denn das bad griff sehr an und man unterliess darnach alle anstrengenden beschäftigungen, was bei einem täglichen bade nicht durchzuführen gewiesen wäre. So gibt Ulrich von Liechtenstein im Frauen- dienst (540, 3 fgg.) auf die frage: „licrre weit ir hmt paiz^en iht?" zui' antwort: „nein ich, ich wil p)ai^i;cn niht, ich wil ez, durch min bat Mnt län". Der Tan- häuser sieht das zweimalige baden in der woche als grossen luxus an: Diu selioenen wtp, der guote ivtn , diu niursel an dem morgen Und xivirent in der ivochen baden, daz, scheidet mich von guote (HMS. 2, 96a). Vor festen badete man um recht schön auszusehen; *man weite dui"ch das bad den glänz und die frische der haut ver- stärken. So heisst es von Isot: diu Idlnegln du nilit enlie, Sine batte schone ilf die vart, ehe sie sich Kpedin zeigt (Tiüli. Trist. 1100); nicht anders haiidelt der kaiser, da er sich auf dem feste den schönen frauen zeigen will (Herrand v. Wildouie, Von dem bl6?en keiser 146 fgg.).

S. 224 anm. 3 ist noch Meleranz 8738 fgg. hinzuzufügen.

Der Fleier schildert (Mel. 468 fgg.) eine besonders schöne badekufe: Da^ holz, tvar lign aide Verre brüht über se Von dem lant %e Eovesas. Mit gold si gebun- den ivas. Mit dem wasserbad war auch massieren gleichzeitig verbunden, und auch

392 MEIER

dieses wird sonderbarer weise oft von Jungfrauen besorgt. Ohne dies kneten ist das bad nicht volständig. So kann Ulrich von Liechtenstein sagen, als er aus ärger die badekiTfe verlassen will, in der er doch schon lange gesessen: Nu reichet mir nitn badgeivant : Ich ivil als ungebat üz, gän (Frauend. 229, 26). Durch dieses massieren wurden die quetschungen und blutunterlaufenen beulen, die durch das tra- gen der rästung und die lanzenstösse der gegner entstanden waren, weggebracht: Si twuogen und strichen schiere Von im stn amesiere Parz. 167, 5. Vier kläriii juncvröwelin Erstrichen von im stn amasier Tand. 13404, bluotige amesiere Parz. 164, 25; vgl. Tit. 21, 97; Parz. 88, 17.

Die hübsche Schilderung, welche der Pleier von dem bade des Tandareis gibt, hätte sich Schultz nicht entgehen lassen und jedesfals in eiuer anmerkung das citat geben sollen : Den (Tandareis) ^volde man des niht erlän, Er muoste sitzen in da^ bat; SU man in des niht erlät, Do tet er^, wan e^ mtioste stn. Vier klarin junc- vröivelin Erstrichen von im stn amasier, Stn Itp was klär tmde ßer. Ntl kom diu juncvrowe gegdn. Da st vant den jungen man In dem bade, des schämte er sich. Si sprach: „herre, da^ ich Bin her %uo iu gegangen. Des Idt iuch niht belangen, Wan ich mit iu ze reden hän" (Tand. 13399). Nu gie diu juncvrowe dan, Do des Schimpfes icas genuoc, Ein badelachn man dar truoe, Da^ toas von siden kleine Wtx unde reine. Da^ legte an sich der werde man. Die juncvroun lie^ er da niht stän, do er üz, dem bade gie, Sin zuht in des niht erlie. JJ'4 dem bade an stn bette er schreit (Tand. 13433, vgl. auch, noch 14051 fgg.).

„Seifried Helbling kent schon das dampf bad" sagt Schultz (s. 227); und am ende derselben seite: „Die dampfbäder sind aber wol erst gegen ende des 13. Jahr- hunderts in gebrauch gekommen, denn frühere schriftsteiler gedenken ihrer meines Wissens gar nicht". Diese meinung Schultzens, dass Seifried Helbling zuerst das dampf bad erwähne, ist unrichtig: es lässt sich schon etwa 125 jähre früher nachwei- sen. Die älteste mir bekante erwähnung findet sich in der erinnerung des Heinrich von Melk (945 fgg.): Vnt ob hundert perge fiurln Sin temprunge solden sin, Sine mähten in niht erläwen, Unt die tievel mit fiurtn chläiven Schuoffen in solhes weters sous: Entriwen da^ ist ein tibel chuelhous (vgl. auch Wilmanns, Beitr. zur gesch. d. alt. deutschen litt. 1 , 8 fg.). In den reiserechtiuugen des patriarchen Wolf- ger von Ellenbrechtskirchen aus den ersten jähren des 13. Jahrhunderts findet sich folgende notiz, die sich auf das dampf bad bezieht (ed. Zingerle s. 23): apud Patta- viam (Passau) : Minutori in estuario. xij. den. Aliis balniatoribus. viij. den. ^. "Weitere stellen finden sich angeführt von F. Bech, Germ. 17, 48 fgg., von denen ich besonders die Schilderung des höllenbades in Thomasins Welschem Gast (gedichtet 1215 1216) mid die verse HMS. 3, 211b, die unter Nitharts namen überüefert sind, hervorhebe. Sonst vgl. noch Georg 4977, GA. 1, 147, 452, Dietr. und Wenezlan 362, Wolfd. C 36, 1; D. VI, 187, 3. Weiterhin sind anzuführen Parz. 116, 4, Willeh. 436, 8 fgg., Pseudo- Stricker, der könig im bade (GA. 71). Auch die erwähnung des waz,^er-bat durch Ulr. von Liechtenstein (226, 31) bezeugt vielleicht dessen kentnis des dampfbades.

Medicinische regeln über den unterschied beim gebrauch der dampf- und was- serbäder finden sich zuerst im Ring (27, 18 fgg.) : da^ drit, da§ die natatir wil haben, Ist da§ ttvahen und da$ paden. Hie so scholt du mercken pey, Daz, man da vin- det xwayerlay Pedcr nach der gmaincn sag: Swaysspad und auch wasserpad.

1) Andere auf das badowosen bezügliche stellen in den roiserecluiungon finden sich s. 5. 19. 35. 42.

ÜBEK SCHULTZ, IIÖFISCUES LEHEN 393

Snrnjssjjad da^ sey dir bemyt, Hast die tiberßüssichait Zwüschen flaysch tmd auch der liaid. Waaserpad mit cdchn chraut, Da^ latvicJi scy imd nicht xe Iiayss, Macht dich schön tmd dar %u fUyss. Audi in deutschen gedicliteii findet sich die regel mit vollem magcu zu baden: So die leih in icerden sat So gent si leclceu in ein pat Reiiuor 9651 ; vgl. noch Zap))ert, Archiv f. österr. gesch. - quellen 21, 24.

Vielleicht war die Schilderung des dampf bades, vrelcho Horrand von Wildonie in seinem niure von dem blozen heiser gibt, mehr neben der Soifried Üclblings her- vorzuheben. Wir lernen noch manches neue daraus: so erscheint es hiernach zwei- felhaft, ob vor dem eintreten der dampfentwickelung nur ein begiessen mit warmem wassei- und massieren des badenden, der schon auf der schwitzbank lag, statfand, wie Zappcrt und Martin annehmen. Ich wenigstens kann mir auf diesem wege die folgende stelle nicht erklären: Do der heiser liet yebät, Als ?nan zc bade gc/ronheit hat, Do sprach er: „ina)i sol yie^en an, Wir suln ertv armen' unde yän (= und dann gehen) Zuo den rossen für da^ tor^ Da ivartent tms die ritter vor. Der hei- ser legt sich ilf ein hanc. Als in diu hitze da bctwanc; Diu venster wurden zuo getan Von d. blozen kciser 161. Hieraus scheint entweder zu entnehmen, dass der badende zuerst in einer kufe sass und sich abwusch, oder aber, dass mau dieses abgiessen und massieren als „bad" bezeichnete.

Ins bad wird zur frühen morgenstunde geblasen oder mit dem becken geschla- gen. Die zweite methode erwähnt Wittenweiler im Eing 10 b, 1 fgg.

Zu s. 228 anm. 3 ist Ulrich V.Liechtenstein, Frauond. 538, 14 fgg. 540, 3 fgg., zu anm. 4 Nie. de Bibera 1889 fgg. nachzutragen:

Inde reccdcnti (vom bade) si quis tibi tunc sicienti Potunt libaret corpusque totum recrearet, Illmn laudares et sanctis associares^.

Über die herkuuft der seife vgl. Kluge, Etym. wb.'* 324 fg., der wol mit recht vermutet, dass sie germanische erfindung ist, und nicht gallische, wie Plinius will. Die gleiche ansieht spricht E. Martm, Murners badenfahrt s. IX aus.

Schultz hat in den nachtragen (1, 664) schon selbst darauf aufmerksam gemacht, dass er vergessen habe die badereisen zu besprechen, und gleichzeitig das wichtigste und instruktivste zeugnis dafür angeführt. Aus deutschen gedichten unserer zeit ist mir keine stelle bekaut, die darauf hinwiese. Die erste mir begegnete anspielung fält in die erste hälfte des 15. Jahrhunderts: Hermann von Sachsenheim erwähnt im S[)iegel eine brün fahrt der frau Aventiure (Altsw. 148, 35 fgg., ygl. 149, 21). An- zuführen wäre möglicherweise noch: Ich uxilt, das die prünnen Ze merzen iverent gaoter win; So möcht ich des gesunder sin Lieders. 3, 478, 44.

Von badeorten und ihrem besuch gibt Zappert in seiner grundlegenden abhand- lung über das Joadeweseii (Ai'chiv f. künde österr. gesch. - (quellen 21) einige notizen, von denen indessen nur wenige in unsere zeit hineinragen : so über die mineralquel- len von Pfeffers aus den jähren 1350 und 1382, über Plummers (Plombieres) aus dem jähre 1292 (s. 142 fg.y. Er berichtet von einer badereise des abtes Albert von St. Emmeram im jahi'e 1352 und von der eines angehörigen des h. geisthospitals zu LTlni im jähre 1376, die sich wol nach Überkingen richtete (s. 148).

Einige bemerkungen über Wiesbaden will ich noch hinzufügen. In dem testa- ment der Begine Methildis zu Bopard (Rössel, Urkdb. d. abtei Eberbach 2, 745 a. 1322) findet sich eine auf die blute der dortigen bäder gehende notiz: It. do et lego

1) Vgl. noch weiter Crocolius, Oberhessisclies wb. s. 81 fg.

394 MEIER

quatuor miias Itunici vini in curia Ehcrhacensi inferiori peregrinis aumiatwi aquis euntibus et rcdeuntibus intefjraUter tribuendas usw. Im 14. Jahrhundert existieren doii schon elf bäder, deren älteste sich im jähre 1326 nachweisen lassen. Fr. Otto hat in seiner ausgäbe des Merkerbuches von Wiesbaden (Wiesbaden 1882. s. 70 fgg.) eine dankenswerte Zusammenstellung über das dortige badewesen gemacht, der ich diese angäbe entnehme. Die grosse anzahl der badehäuser bezeugt einen starken besuch dos badcs durch fremde, und damit steht auch das gesuch einer brüderschaft an den erzbischof von Mainz aus dem jähre 1337 in Verbindung. Diese bittet trotz des in Deutschland herscheuden interdiktes den leichen ihrer brüderschaft sowie den der zu Wiesbaden verstorbenen fremden eine kirchliche bestattung ange- deihen lassen zu dürfen. Der erzbischof erfülle ihre bitte und gab die erlaubnis. Mit recht versteht Otto unter diesen fremden badegäste.

Wichtiger und interessanter als dieses ist die Schilderung eines Wiesbadener badefestes durch Henricus de Langenstein, dictus de Hassia, die er in den achtziger jähren des 14. Jahrhunderts verfasste. Sie bildet das fünfte kapitel seines Tractatun de cursu mundi sub pr/ura diversarum picturarwm secularimii und ist veröffent- licht in den Annalen des Vereins für uassauische alter tumskunde und geschichts- forschuug 13 (1874), 344 fgg. Der uns hier angehende abschnitt De voluptate car- nali steht s. 348, und ich drucke ihn "seiner Wichtigkeit halber, und da die nas- sauischen annalen auch auf grösseren bibliotheken nicht immer vertreten sind, noch einmal hier ab.

„Et nisi fallar, ecce mens instituentis praefatae picturae seriem deducta est a spiritu, ut latenter Joannis apostoli figuraret sententiam, dicentis: „Omne, quod est in mundo, aut est concupiscentia carnis aut coucupiscentia oculonmi aut superbia vitae". Id est oinnia mundanae deviationis vitia in tria reducuntur, quae sunt: voluptas carnalis, avaritia temporalis et fastus gloriae inanis. Quomodo autem volup- tas carnalis appropriatius designiri potest, quam in pictura festi Wesebadensis , omni carnalitate lascivi, et spuma omnis sensualis voluptatis squalidi? Ad quod undique acceditur in letitia et exultatione, cum tubis et fistulis, cum vasculis et fasculis repletis; adducuntur escae et potus delicatissimi , pecunia assumitur copiosa, vestis adduoitur curiosa; spe habendi solacium in via luditur, canitur, discurritur, quasi ad gaudium felicitatis habendum in termino aspiretur. Ubi cum perveutum est, consti- tuuntur commessationes , quaeritur mulierum societas, intratur balneum, lavantur Corpora, maculantur auimae. Exitur, et strei)uut tubae, canmit flstulae, fiunt cho- reae. Ibi aspicientium castis oculis obiiciuntur spectacula corruptionis , qiiae sunt utriusque sexus gestus luxuriös! et habitiis impudici. Ibi in feminis inspicitur nudi- tas liberum, in viris discoopertio natium, ubiquc luxus, quo castus offcnditur animus. Quid multa? Ibi cernitur omnis vauitas et dissolatio, nuUa devotio, nuUus ordo; ibi dei oblivio, ibi omnis virtus exulat; non est verecundia, abest temperantia, regnat gula, insanit luxuria. In hoc festo veutris, veiius pi'ostibulo veneris et ludibrio dae- monis, mira videbis monstra; monachum militem factimi, militem in feminam com- mutatura, feminam in virum; quando mouachns cernitur in veste militari, miles in veste monachali, monialis in habitu meretricio, clericus in vestitu femineo. Ibi dissi- milatis habitibus basia dautur, sese osculantur mai-es et feminae. In balneo nudi uudis consident, nudae cum nudis choream ducunt. Taceo iam et transeo ea, quae in obscuro üunt, quia vulgata sunt omnia. Sed quid est? non est par exitus et introi- tus huius festi insanientis, quando onniibus consumptis vasa revertuntur vacua, bur- sae sine pecunia, et auditur computatio et displicet tantae pecuniae dilapidatio. Et

ÜüKi; SCUL'l.TZ, UliKlSrilKS hlCHKN 395

quandoquo revorteotiuin hinc aniinos mordet de porpetratis vitiis couscieutia. lUe melaucolizat de tanta deviantia; ille dolet, ijuod separatur a lotitia, ille iiieditatur tristis, quam brevia et iiiania suut muudi gaudia. Quid plura? redcunt corpora dealbata et corda vitiis doiiigrata; i'edeunt discrustati , qui accesserunt saui; redeunt veucris sauciati sagittis, qui poIlel)aut viitutc castitatis; parum est, si iiou revcrte- reutur merctricos, (piae accessenint virgines, adulterae, que fuerunt uxores probae, et uou redireut domouiales , quac accesserunt sauctimoniales. Sicquo bis aliisquc moeroiis occursibus redeuiido oinnes experiuntur, viTuiii esse, i|Uod extroma gaudii carnalis luctus occupat".

Welcb ein nnterscliicd zwisclieu der finster asketischen Schilderung des star- reu moralisten, der keine werte hart genug findet um die sitteulosigkeit " zu vcr- dammeu, und den briefen des Nicolo Poggio aus den bädern zu Baden im Aargau, des Vertreters der lachenden farbenprächtigen weit des Cinquecento, der mit dem äuge des künstlers das ]junte treiben beobachtet und sich au dem kriiftigeu ausleben des meuschen frcnit ohne darüber zu moralisieren!

Mit den mineralbädem gehöreu auch wol die Jungbrunnen zusammen. Heil- kräftige quellen haben gewiss die Veranlassung zu den sagen vom „Jungbrunnen" gegeben, die dann im einzelnen noch weiter ausgestaltet sind. In unserer periode finden wir sie erwähnt in „Aber und das meerweib" Ztschr. f. d. a. 5, 6; "Wolfd. B. 33G fg. und endlich im j. Tit. 6053 fg.

S. 228] Ein almorgendliches waschen wird auoli in den lehren des Cato em- pfohlen. Du 'ü.wack dir alle morgen fru Den )iiunt, die %enn und och den nach (Gesundheit dir dax bringen mach), Die hend rnd och die ogen diu; Das mag dir l-ain schad sin Lieders. 1, 567, 288. Nicht ganz so streng nimt es Wittenwei- lei-, der vorschreibt einmal in der woclie oder allerwenigstens eimnal im monat das haujit zu waschen. Dagegen soll mau die füsse oft reinigen (Ring 27, 32 fgg.).

S. 229] Aum. f ist wol die stelle Krone 22071 fg. heranzuziehen: Vor hetioanc diu hiufel nianec trahen: Nu mnosten sie jpigvient ahtu-ahen, wo entweder mit dem herausgeber das Subjekt pigment als plural für irigmente genommen werden muss oder alier, was mir wahrscheinlicher, ■mitosfe zu schreiben ist. Möglicherweise gehört aucli das schönlieitsmittel Ring 33 d, 6 fgg. hierher: (Sie) niachte seg ril schön da her Mit salben con Capponer smer, Mit pursten und auf machen Sain sitt ist xc den Sachen. Es ist doch wol eine salbe von capaunenfett gemeint, die zum bestreichen des gesiebtes diente und "nachher wider abgewaschen wm'de (oder ist es eine pomade??). Ich erinnere nocli an die italienische kosmetische vorschlaft: „Des morgens wasche die frau sich mit warmem maudelwasser, in dem hühnerfett aufgelöst ist" (inz. f. k. d. d. vorz. 1877, 188).

Bei den bemerkungen über die mangelnde reinlichkeit der frommen war wol auf Zapperts aufsatz (s. 9. 13 fg.) zu verweisen. Dort würde auch Schultz den grund und Ursprung dieser erscheinung richtig angegeben gefunden haben: die Selbstka- steiung und die abwesenheit jeder weltlichen eitelkeit bis zmn extrem.

S. 234) Zii dem bewinden der haare mit gold vgl. noch lol. 404fg. und Eracl. ed. Graef 1931 fgg. Langes bis auf die erde reichendes haar wird lol. 1838 erwähnt; vgl. auch zu lol. 1838 und Herz. Ernst B. 3100 (Ir här unx €if die erden Mohte wol gelangen), Ortnit V, 385, 3 fg. (Dax här ir von dem nacke gie nider für den fuo§, Zeroufet tmd ■verworren, jämmerliche ivas ir gruoz,. Do schein ir dtirch die x-öpfe ir hals alsam der sne). Langes, bis auf die erde reichendes haar bei einem knappen wird Lanz. 46G fgg. genant. Anni. 5 ist wol noch zu erwähnen Altsw. 50,

396 MEIER

23: So fahc ich an den frouwen an, Die fremd locke henken dran An die xeime (= zeine), die sie tragen.

S. 235] Auf eine eigentümliche frisur will ich hier aufmerksam machen, die sich ein paar mal erwähnt findet und sich ziemlich lange gehalten haben muss. Ich habe leider zu spät angefangen darauf zu achten; vielleicht wissen andere nachtrage zu geben. Im algemeineu streicht man die haai'e hinter die obren zuiiick (Virg. 57, 7 fgg. , vgl. 133, 6 fg'g.), aber es sclieint mode gewesen zu sein zwei locken über oder vor den obren sich herunterringeln zu lassen: Sich heten ttmb ir oren du Oeringelt X'wene locke reit, Die glizsen änc kunterfeit Recht alse goldes drcete Troj. 19912. Die orlin tcaren rersmiickct ; Dar nhcr was gedrnckct Zicen gelice locke crus Altsw. 25, 5, vgl. 51, 11 fgg. Möglicherweise gehört auch "Wig. 27, 11 fgg. hierher.

S, 236] Die krönen rulien bei Jungfrauen oft auf blossem haar, so Tand. 8368 fgg. , Mai 91 , 4. Vgl. Die megde giengen mit ir kranx, Durchrigen wol mit gokle Virg. 971, 2. Ein Schappel von golde rot dient als kronreif Wh. von "Wenden 4006 fgg.; einen vielfarbigen schapel finden wir erwähnt Wig. 26, 27: Diti maget truoc ein schapel, Da§ was u-eitin unde gel, Rot, brün unde wt^. Dar an lac vil großer vU§ Von golde und von stden. Hierher gehört auch eine stelle aus der Mar- tina (218, 110): Wan daz, kitische himelrts Was da mit gebluomct Ir höbit mit gemomet; Wan daz, was unbedaht Als der reinen was geslaht, Dur ir kiusehe ein' schapj^el Dart^f das, was sinewel. Als megden ist irloubit Schapj)el üf blo^i,^ honbet, Liliemvis, und rosenrot, Als ez, da§ reht ie gebot.

S. 237] Vgl. auch hoivetdüch lol. 4020 und anm. Auf das gebende wird noch ein blumenkranz aufgesezt H. v. Freib. Trist. 3762 fgg. , eine kröne ebd. 4512 fg. Ein frischer Veilchenkranz liegt noch über dem mit edelsteinen gezierten borten Part. B. 12462 fgg., umgekehi't ein schapel über einem ki'anz Ti'oj. 7508. Ein kränz ruht auf der kröne Demant. 592 fgg., schapel und kröne vereint finden sich auf dem haupte Virg. 128, 10 fg. Eine eigentümliche frisur wird Virg. 578, 11 geschildert: üf ir houbet krönen ru-h, Daz, hclr hinüber dem golde swebe. Ein durchsichtiges netz erwähnt Ulrich von Liechtenstein Frauend. 172, 15: Mn netxe von berlin was ir (der zöpfe) dach. Dar durch man si doch plecken such.

S. 240] Die 7'tse wird über den kränz aufgesezt, vgl. zu lol. 2758. Über ctee- vrechief vgl. lol. 2761 und anm. Die rise verdeckt mitunter durch die art ihres tra- gens und den dichten stoff das haar, so GA. 2, 346, 325 fgg., wo die Situation nur unter dieser Voraussetzung verständlich ist. Gewöhnlich aber ist die r?sc von einem feinen, durchsichtigen (seiden-) gewebe; vgl. lol. 2764 und ferner: Min slogir dacte min antlütx gar Dardurch ich doch vil wol gesach Frauend. 258, 14. Ir Antlucx sach man sew behullen Ain Sloyr chlain und weix , Dardurch gaben Crleix Ir Weu- gel Rosenvar Ottok. v. St. Cap. 173.

S. 241] Von anderen kopfbedeckungeu hätte Schultz noch den sturx (Demau- tin 1466) erwähnen können.

Schultzens fassung des folgenden passus „Die prediger, wie bruder Berthold von Eegensburg, ereiferten sich gewaltig über diesen neuen lusus" (d. i. die gel- ben Schleier) ist wol nicht ganz zutreffend. Neu war dieser luxus damals nicht, denn er ist durch Heinrich von Melk (Erg. 329. Prl. 697) schon füi- das 12. Jahrhun- dert bezeugt. Allerdings hat Wilmanns (Beitr. 1: Der sog. H. v. Melk), doch wol kaum mit recht, diese Satiren in das 14. Jahrhundert zu schieben versucht. Einen von seinen gründen, die frühe, vereinzelte ei'wähnung von dampfbädern, haben wir durch die bcibriugung anderer Zeugnisse unwirksam gemacht. Wie steht es aber

ÜBER SCinTI.TZ, HÖFISCHES LEHEN 397

mit dem aufkommen des gelbou als modefarbe? Im 18. jahrlmudcit keiit es der Verfasser von Gviesliabers predigten (2, 69) nur als fein und üppig: da trayent si . . . ril gerne claz giiote geivant : der man den giioten roc tmde den vehen liuot, diu froice da§ gelice röckeii iinde die gehvon sttlclion, den röten mantel unde da^ röte gehende. lolande (2764) trägt zum festgewand geUsuhn koverschgt. Und sclion im 12. jabrhundert soll in Österreich, wie am ende des 13., die gelbe färbe verrufen gewesen sein"? Es ist sehr merkwürdig, und AVilmanus niint mit recht daran anstoss. Aber widerum fiuden wir im 15. Jahrhundert in Alemannien überraschender weise die edeldamen gelbe schleier tragen und sehen die bürgerfraucn es ihnen nach tun: Als die edlen fraiven pflagen gele geferbte schleier 'xu tragen urul das die hurgertveiher ainsthails nachtheten, do sagt er (Bastian Heker) maniehmal, so er ain her oder ainer vom adel, müssen ime sein tveib und dochtern min schtvarx, geferbte schleier tragen, irie die closterfraiven , das icnrden die ander icciber nit leichtlichen nach- th/iu Zimmerische ehr. 1, 461, 12. Wie ist dies alles zu reimen mit den predigten Bertholds von Regensburg und andern Zeugnissen? Ich glaube nur so, indem wir eine beständigkeit dieser modefarbe dui'ch mehr als drei Jahrhunderte, oder aber ein beständiges widerkehren, etwa im laufe von hundert jähren, annehmen. Mit Sicher- heit kann man sich weder für das eine noch für das andere entscheiden.

S. 241)] Das älteste deutsche zeugnis für den gebi'anch der schminke bietet die Erinnerung des Heinrich von Melk, wo die bäurin )i/if rrömder rarwe an der -/ränge es den damen nachtun will. Besonders die alternden frauen suchen die reize der Jugend, aber vergebens, durch schminke und andere toiletteukünste wider herzustel- len: Ex ist nianig altc^ wib Du färivet vnd badet jren Hb Vnd sehint jr daz, ril liitxel an Man sech ir doch die mnxeln an Lieders. 3, 522, 127.

S. 244] In den hier gegebenen einleitenden bemerkuugen hätte Schultz wol kurz darauf hinweisen sollen, dass auch jene zeit einen unterschied in der wähl der kleiderstoffe zwischen winter und sommer gemacht hat, dass man im sommer leichte, dünne stoffe trug. Schultz selbst erwähnt (1, 271 anm. 4) leichtere sommermäntel. In dem testament des ritters Wernher von "Wintere we (Rössel, urkdb. d. abtei Eber- bach 2, 666 a. 1317) heisst es: Alhegdi ancille niee tnnicam meam estiualeni. Fer- ner vestes estivales Mittelrhein, urkdb. 3, 481 nr. 631 a. 1238. Icli will hier noch auf die belege hinweisen, die Lexer (2, 1298) unter sumcrgeirant und sioncrJdcit und Du Cange (4, 451) Vi-aiex jiqypa geben.

S. 249] Gewöhnlich scheinen die damen keine briioch getragen zu liabeu. Sonst hätte es auch nicht zu der vom 15. jahrhimdert au gebräuchlichen redensart: „das weih trägt die bruoch" (z. b. Ring 31 d, 22) kommen können. Wir sagen noch jezt von einer frau, die den pantoffel schwingt: „Sie hat die hosen an". An- drerseits scheint der umstand, dass im Ring (35, 2) besonders von frau Eis gesagt wird: sey hiet kein pruoeh gegen unsere meinung zu sprechen. Aber auch die GA. 3, 114, 116 fgg. geschilderte Jungfrau trägt kein untergewand, da sonst der Schrei- ber ihre geheimsten reize kaum so detailliert hätte zergliedern können. In einer Mün- chener handschrift der Augsburger chronik Sigm. Münsterlins ans dem jähre 1457 (Cgm. 213 f. 31) wird Semrramis die erfindung der bruoch der frauen zugeschrieben: Das sich ander fratven jres suns Ninia nit geprauchten, erdacht Seniirwniis die allererst die niderelaide, die man priich nennen ist, vnd verschlosx darein alle f'rawen, die in jrem sah tvaren. Kurz, alles in allem hat Schultz ganz recht, wenn er die Unklarheit unsrer anschauuugen ülier die untergewänder der fi'auen nach- drücklich betont.

398 MEIER

lu der deutuiig der worte inuoder und überinuodcr kann ich nicht mit Schultz ühereinstimmeu. Als grundbedeutung für «««of^er ist „leib, gestalt" anzusetzen, dann „bekleidung des leibes: haut", und endlich „kleid, gewand". Weigand hat mit recht für die entwickelung der bcdeutung von muodcr: mieder auf leib : leibchen hinge- wiesen. Ich möchte uocli auf den iu Süddeutschland gebräuchlichen terminus „leib" für taillenstück des kleides, taille hinweisen, wo „leib" = Oberleib die vermitluug abgegeben haben muss. So ist auch muodcr wol almählich immer für das daneben- stehende übernmoder genommen worden, übermuoder bedeutet erst oberleib [vgl. übermunt Oberlippe Lexer 2, 1G47, überrücke 2, 1652, überstoclc im gegensatz zu ttnterstocJ; 2, 1662 usw.], dann aber auch den teil der kleiduug oder das kleidungs- stück, das den obeiieib bedeckt; vgl. Oberhemd und niederhemd (Schultz 1, 253).

Scliultz scheint imter mnoder ein besonderes kleidungsstück zu verstehen, aber mit unrecht: die unten (anm. 7) angeführten stellen beweisen nichts dafür und bei dem citat aus Engelhard (3056) findet sich die richtige erklärung von wvoder als „brustteil des hemdes" schon in Weinholds D. Fr.- 2, 262. Ganz falsch ist die annähme Schultzens: „Jedenfals ist das Übermieder unter dem hemd angelegt wor- den; das hemd ist an ihm befestigt". Er folgert dies aus einer Schilderung im Wolfd. D (VI, 94fgg.), aber hat die Situation nicht ganz durchschaut:

do loste ein stdin hemde duz hdchvcrtirje inp

von dem ilberniüeder cd umbe utid liberal.

sie liez, den Uli blecken die siten hin %e toi. Das heisst nichts anderes als „sie löste von der brüst das seidene hemd gänz- lich (in das sie geschnürt war) und entblöste ihren körper an der Seite nach unten hin", denn an der seite wui'de das hemd geschnürt. Dass sie kein Übermieder unter dem hemd angehabt, lässt die ganze spätere Situation und die genaue Schilderung ihrer reize erkennen. Au der stelle aus Neidhart haben wir die zweite bedeutung „be- kleidung des Oberleibs, kleidungsstück, das den oberleib bedeckt" anzunehmen. So scheint mir alles am besten und unbefangensten sich zu fügen, wenn wir das gleiche nebeneinander der bedeutungen bei muodcr und übernmoder annehmen.

S. 251] Anm. 1 füge hinzu Erec 1541. Anm. 2 war noch AVolfd. D. VI, 99, 2 fgg. zu. erwähnen, wo die seitenöfnung des hemdes angefühi-t wird. Zu anm. 3 vgl. noch Wig. 24, 19: Gcrigen meisterliche Ein hemde was darundcr. Des ncim den rtter wunder Daz, cz, so kleine mohtc sm. was tvtx, stdin Mit gidd/- ner nccte.

S. 252] tibor enge, die körperformen zeigende kleider vgl. noch Troj. 20212 fgg. : Und was der roe dar under Geticenget an ir linde^ vel^, So da§ ir brüste sineivel Älsani zwei kügelin gedrät Enbor die keiserUche ivdt Oehtpfet heten über sich, Als ob xwen apfel tvunnecUeh Ir 'wa-ren dar gestecket. Ebenso ist der Unterrock eng an den körper geschnürt: Ir brüstet stundend ir ze brisx,, Als ich irs durch den roc möcht sehen Vnd anders nit, daz, mnsz ich iehen. Der träum (Lieders. 1, 139, 262).

S. 253] Anm. 2 liätte Schultz bei dem citatc aus ilelbling den vorstehenden vers mit atiiülmni sollen, da dieser auch den berührten unterschied zwischen hemde und 2Jheit belegt: manteL roc tinde plieit, Oberhemd und niderkleid Helbl. 1, 670. Vgl. auch noch X//. tunice, de qiiibus sex crunt habentes cpiinque idnas, sed reliqiie ([ucduor ulnas de panno qui vulgo dicitur pheide Rössel, Eberbacher urkdb. 1, 152 a. 1212. Gewebte (?) buchstaben hat das Ideid der Helena: gelistet und

ÜBER SCHULTZ. HÖFISCHES LEBEN 399

fjclmoch.ttahet Was ez. ton ivisen hendcn An orten imde an enden Mit hoher kiinsfe nioclie Kom-ad, Troj. 20126.

S. 256] die yehcon stüchon erwiilinen Grieshabers prccl. 2, G9. Die stüchen sind uianclimal aus sehr feinem, durchsichtigen stoff gemaclit: Den stüchen Ton dem röckelin Warf ich da über das houbet mtn; Dar durch ich doch vil ivol f/r.sach, S/rd üf de7n velde da tyost cieschaeh Frauend. 287, ,3.

S. 258] Die mannigfachen kloidungsstücke der fi'aucu zeigt tue scliildei'ung CfA. 1 nr. XIII v. 359 fgg. : Die frau opfert zunächst mantel tmide stiekenie, das zweite mal ir r/eu'ant (welclre kloidungsstücke?), da^ si in dem rocke bestuoirt, und das dritte mal tet si alsam. Da es in der kirche öffentlicli geschieht, so mnss sie nach diesem allen noch immer anständig bekleidet gewesen sein.

Aus der anm. 2 angeführten Percevalstelle vermag ich nicht h(n-ausznlesen, dass der hliaud gesclinürt wurde. Eneide 1702 fgg. ist nur von einem pelzgefütter- ten gewande die rede: hei'inelin, darübei' grüner sanit. Gewöhnlich wird umgekehrt gesagt: „samt, darunter hermelin", aber ebenso wie liiei' nocli ITelinbr. 1345 fgg. Parz. 588, 19.

S. 259] Vgl. noch: Idi fnort ein rückel das was ins Dar an mit valden (jro^er vliz, Von rroiren liernlen icas cjeleit Frauend. 172, 17.

S. 260] Zu anm. 1 füge liinzu: Ein Amor ans karfunkelstein gesclmittcn dient als lieftel für das houbetlocli: da hafte si ir btiosem mite Näcli, der Kärlirnjc site Wig. 26, 22. Über die einfarbigen rocke vgl. noch zu lol. 4018, über die aus verschiedenfarbigen Stoffen zusammen gestückten zu lol. 2771.

S. 263] In der beurteilung der folgenden kleidungsstücke , wie garnasch, kür- sen imd anderer scheint mir Schultz nicht immer das richtige zu treffen. Ich gebe im folgenden kurz meine auffassung, ohne sie jedoch in allen füllen als sicher und bestimt hinstellen zu wollen.

Schnitz hätte vielleicht die form der garuasch , die ärmellos und vorn von der erde an geschlizt ist, erwähnen und den verweis auf Du Gange (4, 34 fg.), der reiche belegstelleu gibt, beifügen sollen. Der ausdruck „pelzüberwurf" könte übri- gens zu misverständnissen anlass geben: es ist ein dem snrkot älmliches gewand {snrcofo sive Quarnaccia Du (lange 1. c.), das nur mit pelz gefüttert ist; vgl. auch Weinhold, D. Fr.- 2, 201.

Schwieriger liegt die saehe bei der kürsen. Aber es ist nicht unwahrschein- lich, dass dieser ausdruck ursprünglich nur das feil, den pelz des schales bedeutet. Im althochdeutschen und angelsächsischen wird iiiastrinja (scliafpelz) mit erasina. glossiert (Graff 4, 616 fg. DWb. 5, 2820. Du Gange 2, 631), vgl. Dfgl. 27 (wo für andro^neda, das die gleiclie bedeiituug wie mastruga, hat, kürsen als glosse auftritt) und die Mhd. wb. 1, 916 b angeführten stellen aus der Martina und Helbling, ferner DWb. 5, 2822. Nicht unwichtig sind ebenfals die hier angefülirten belege für die bedeutung „pelzdecke, decke von pelz". Es hat sich weiterhin neben der bedeu- tung 'mastruga die algemeinere „pelz" und „pelzfutter" und schliesslicli „[)elzgefüt- tertes Ideidungsstück " entwickelt. Zu der liedeutungswandlnng ist das wort „pelz" zu vergleichen. Die bedeutung „pelzfutter" tritt im mittelhochdeutschen noch auf: Ir mandel grüen alsam ein gras: Ein vehiu kürsen drunder was. Diu kürsen het ein üherral, Ze muz,en breit, xe inä^en sma.l Trauend. 348, 5. Die stelle bedeutet: „Ihr mantel war grün und mit pelzfutter von v'ecli, versehen. Und dieses pelzfutter hatte einen Überfall, wie wir jezt noch technisch sagen: entweder klapt der pelz siel] oben in kivagonform um odoi- üborliaupt besezte an den rändern auch die aussenseite.

400 MEIER

Ferner vgl. Herbort, Troj. 847G fgg. Es wird das gewaud beschrieben, das so fein ist, dass man gar keine naht sieht: die Icvrse vnder der u-at Die was vo7i gro^^er ziere: Von einer hande tiere Was die kvrse genoinen usw. Ein kilrsenltn, das aus mit marderfell gefüttertem schiirbrant besteht, findet sich genant Parz. 588, 18 fgg. Vgl. Weinhold, D. Er.- 2, 289.

Das kursit sezt Weinhold (a. a. o.) der läirsen wol mit recht ungefähr gleich. Es war auch hier wol Du Gange (2, 584 und 674) zu citieren. Das lairsit wird auch von damen getragen, vgl. dazu noch lol. 2770.

Über kurxebolt sagt Schultz nichts , aber einiges lässt sich doch schon ermit- teln. Weinhold (D. Fr. -2, 287) ist wol im recht, wenn er kurxebolt und cyklas zu- sammenstelt (Altd. bl. ], 351 gl. 12. jahrh. : cicladis churxebolt, Heinrici Summa- rium: toga hurzeboH). AVir finden bei beiden die ähnlichkeit mit der dalmatica erwähnt {courtibauld Umica brerior seu dalmatica Du Gange 2, 664, cyclas instar Dahnaticae ebd. 2, 685). Niclit zu übersehen ist, dass der kurzebolt in dem krö- nungsornat des römischen kaiserpaares vorkomt (Eracl. 2385). Er dient als kleidungs- stück für männer und trauen (Du Gange 1 , 664).

Der kitel war ein ärmellose^s anschliessendes gewand, wie eine stelle bei Alt- swert (25, 16) zeigt: Ein sidin kittet nris ir cleit, Dardurch such ich die brüstlin, Die st igen fast %no berge hin; Ir arme.- waren naekent blo§.

Es galt als fein die Joppen selii' kurz zu tragen, und gegen diese unanständige mode wurde mehrfach gesetzlich vorgegangen. Du Gange (4, 70 und 450) führt interessante beispiele dafür an. Auch die Joppe war den mämiern und trauen ge- meinsam.

S. 265] Anm. 2 füge noch hinzu: ina)i, sach dar manchen riehen swanx An lichten valden unde or schort Demant. 7594.

Der an dieser stelle ebenfals genante schicrx felilt bei Schultz gänzlich. Vgl. nocli: manigen wol gevalten schürz sach inan an maniger vroioen Wh. v. Östr. 33 c (Lexer 2, 831). Schmeller (2-, 473) gibt an: „Weiberrock, stola cingula adsuta dependens usque ad pedes" und „juppenschurz, lineum indnsium, quo superinduunt se feminae ad talos usque demissuni" ; vgl. noch Frisch 2, 235. Darnach scheint ausser dem sirani, der wol unserer hofschleppe ähnlich war und wie diese erst bei bedarf an das kleid geschnürt wurde, noch der sch/irx-, ein faltiger Überwurf, an dem gürtel befestigt worden zu sein.

S. 266] Schultz berichtet (lezte zeile) nach Heinr. von Melk, dass die „bürger- frauen" sich nicht den luxus der schleppen versagt hätten. Es steht aber an jeuer stelle im original tageu-urchen und gebiur innen, tagelöhnerinnen und bäuriuuen, wie er auch unten (s. 269) citiert.

S. 269] Bei der besprechung des mantols hätte aucli vielleicht die hiille (nian- tel) genant werden sollen: si (Kriemhilt) sprang von dem, gestüele, die hülle sie von ir swang Grimm, Eoseng. 1946. Weitere beispiele siehe bei Lexer 1, 1381.

S. 271] Eine goldene kette zum zusammenhalten des mantels wird erwähnt Mai 41, 22: Uin guldin ketene lieht genial Vor ouch dtirch den mantel gie, Da mite man in zesamene vie. Da§ diu tasscl sohlen sin, Daz, ivären xwene rubm\ vgl. noch Schiütz 1 , 279 fg.

S. 272] reitkleit wird Lanz. 5933 erwähnt, und aus dieser stelle (vgl. 5940 fg.) scheint hervorzugehen, dass die reitkleider und reisemäntel nicht die länge der gewölmlichen mäntel hatten. Anm. 2: kappen von braunem scliarlach Wig. 227, 6, eine kappe von pfelle, mit rotem gold durcliwebt und mit edelsteingeschmückten borten

ÜBER SCHULTZ, HÖFISCHES LEBEN 401

besozt, gefüttert mit hermelin und zobel Wig. 227, 33 fgg. , eine kappe von rothcni siglilt mit hermelin- und zohelfutter Wig. 65, 23 fgg.

S. 273] Scliultz führt anm. 1 wol zum beweise seiner im texte aufgestelteu, unzweifelhaft richtigen meinung, dass einzelheiten der modischen kleidung immer schwer festzustellen sein würden", einige verse eines belgischen trouveres, Gauthier le Long, an. Die gespert gediiickten werte molekins, raverquins , muscas sollen, scheints, das nicht erklärliche sein. Aber bis zu einem gewissen .grade kann man doch der bedeutuug nahe kommen: molekin gehört zu melocineus, von dem Isidor (lib. 19 Orig. cap. 22 soct. 12) de Vestibus sagt: Meloeima qiiae malvarum stamme conficitur, quam alii Melocinam alii malbellam vocant. Ferner Papias: Molocina Pestis quae albo stamme fit, quam, alii malbellam vocant und Malbella quae ex malvarum stamine conficitur, quam alii moloeinam vocant. Weiteres bei Du Gange (5, 3.'53), der auch diese stellen citiert und belege für afrz. Molechin und Moloquin anführt, raverquins gehört vielleicht zu ravus fulvi coloris, niger color mixtus fulvo, color inter flavium et cfcsium (Du Gange 7, 32 b) , muscas ist wol aus muscals ent- standen, museale ist dasselbe wie muscarium, eine fliegenklappe, die, reich mit perlen und edelsteinen geschmückt, sich oft erwähnt finden (Du Gange 5, 555).

S. 275] Anm. 2 war wol auf die bemerkungen Haupts zu Erec 1558 und Neidhai-t s. 125 zu verweisen. Ein borte üz, Arähi wird an einem güi'tel erwähnt Tand. 13453 fgg.: Ein gürtel tcol verlieret Mit edelem gesteine Grd§ und niht %e Meine Uf einem borten von Ardbz, Der loas grüene als ein achmardi, Diu ringge ein edel riibln. Anm. 6 füge noch hinzu: Sg tvaz an der ChrenJcch Mit einem Qurt vmb rangen; Mit maniger giddcin Spangen Wax der selbig Onrt reich Ottok. V. St. cap. 67 ; vgl. noch Eraclius ed. Graef 3805 fgg.

(Fortsetzung folgt.)

Liesenberg', Friedrich, dr. phil., Die Stieger mundart, ein idiom des Unter- harzes, besonders hinsichtlich der lautlehre dargestelt, nebst einem etymologischen Idiotikon. Göttingen, Vandenhoeck und Ruprecht. 1890. YH, 225 s. 4,80 m.

Stiege ist ein ort von 1500 einwohuern im ki'eise Blankenburg zwischen Nord- hausen und Quedlinburg gelegen. Tümpel (Beitr. VII , 21) wüste noch nicht (vgl. die karte), ob die mundart von Stiege als md. oder nd. anzusetzen sei. Liesenberg hat uns in seiner darstellung ein anschauliches bild des ausgeprägt md. lautstaudes und Wortschatzes gegeben. Er führt uns hart an die grenzscheide der hochdeutsch -nie- derdeutschen mundarteu und gibt uns die sehr dankenswerte nachricht, dass dieselbe aufs deutlichste von der bevölkerung wahrgenommen und scharf und schroff von ihr empfunden werde (s. V). Die konstatierung dieser schlichten tatsache gibt dem Ver- fasser sofort einen vorsprang vor zahlreichen samlern, die derlei „selbstverständliche dinge" zum nachteil der Wissenschaft glauben verschweigen zu müssen. Wir bekom- men überhaupt von der arbeitsweise und der darstellungsform des autors den ein- druck, dass wir es mit einem manne zu tun haben, der nicht bloss auhänglichkeit an die Volkssprache seiner heimat, sondern auch guten sprachlichen sinn besizt, um sorg- fältig und am richtigen ort zu beobachten. Leider ist er mit den hilfsmitteln der heutigen dialektforschung sehr ungenügend vertraut und steckt noch in veralteten ausühauungen, die seinem guten willen, über dieselben hinauszukommen, die bahn versperren. AVie windet er sich z. b. s. 10 fgg. zwischen den von ihm angenomme- nen möglichkeiten hindurch, um das dasein eines für ihn verwimderlichen a- lautes

ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXIV. ^^

402 KAUFFMANN

ZU begreifen! Ihn uns zu veranschaulichen, gelingt ihm schliesslich nur durch die feine beobachtung, dass folgendes -ch palatal artikuliert werde. Alles andere konte er uns ersparen. Namentlich die ausser ung, das für e stehende a, um welches es sich hier handelt, möchte sich „als der ursprüngliche, weder zu e getrübte oder gebro- chene, noch in i verdünte laut darstellen". "Wir vermissen statt dessen sehr eine beschreibung der zungeuartikulation. Das in frage stehende „palatale" a vertritt teils älteres e (z. b. pax pech, x = palatalem -ch)^ teils q aus a als „angelehnten" umlaut (z. b. tax pl. taxor dächer), teils älteres «. Wir werden die erscheinung eher begreifen, wenn wir ims einen überblick über das Vokalsystem der dargestelten mundart verschaffen. Leider ist dies dadurch erschwert, dass der Verfasser nicht streng oder ersichtlich genug zwischen der rein mundartlichen und der unter dem einfluss des schriftdeutschen stehenden Umgangssprache gesondert hat. Ich berück- sichtige nur die mundartlichen besonderheiten. Sie ergeben folgende Übersicht: a 'y q: qpl apfel; umlaut e ä'^^ p: flmt abend; umlaut ^

e ~Z a: sakse sechs e 7 ß: sten stehen

~7 a: lätvdto lebte fi ^ f^' näxdr näher

i ~ e: loech rute u~Z o: potr butter

uo ~y öu: köu kuh; umlaut e ie 7" S: lep dieb.

t, ü, ü smd im algemeinen bewahrt, doch (wie alem.) in auslautstellung und vor vokal diphthongiert: prei brei; friwt heirat; pou bau; nei neu u. a.

Im ganzen beobachten wir einerseits bewegung von a zu o, andererseits von * zu e, u zu 0. Interessant ist die entwicklung von i nach e hin in dem diphthong ei aus «. Hätte der Verfasser irgend eine beliebige, phonetische vokaltabelle ver- glichen (ihm selbst liegen physiologische beobachtungen noch gänzlich fem), so wäi'e er spielend zu dem schluss gekommen, dass sich aus den entwicklungsstadieu der Vokalqualitäten der mundart der Übergang von (^ zu a als zwingende consequenz ergibt. Es handelt sich also, wie ich ausdrücklich bemerke, nicht um „eine aus- weichung des e zu a", auch nicht um „eine unbestimte bezeichnung eines lautvor- gangs, den man nicht näher erklären kann" (s. 12 anm.), sondej-n wie sich der Ver- fasser leicht überzeugen wird um eine den mundartlichen vokalismus beherschende lautmechanische bewegung, die wie von * zu ^, so von ^ zu a geführt hat. Ich habe schon öfter auf den praktischen nutzen derartiger Übersichtstabellen aufmerksam gemacht und kann lücht umhin sie immer wider den ausserhalb der engern fach- kreise stehenden samlern zu empfehlen. Es ist eine höchst einfache methode ver- meintliche rätsei zu lösen.

Der konsonantismus hat dem herrn Verfasser weniger kopfzerbrechen gemacht. Ich hebe formen hervor wie he Mmj} er kam, nänip nahm; he funk er fing, jimk gieng, die sich in einem System zusammenschliessen, innerhalb dessen wir auslauten- des -p sehr wol begreifen. LautgesetzHch sind ferner in der mundart formen wie pök bog : bö^9n bogen, flök : flö^dii; in diese gruppe sind formen getreten wie sä^9n sahen, tsö^sti zogen, jesä^en geschahen, und so entstanden auf analogischem wege singulai'e wie säkf tsök, jemk; entsprechend in der nominalflexion /Zöä; (floh), sük (schuh) u.a. Nach dem muster von imperativen wie hvik (schweige) bilden sich in demselben Zusammenhang solche wie wik weiche, slik schleiche; zu dem lautgesetzlichen infini- tiv swtn schweigen tritt nun aber die analogische Imperativform swl schweige rmd die doublette sivl : swik führt zu neuschöpfungen wie sik (zu sin) sei , jek (zu jen) geh formen, die in leicht zu durchschauendem, vom Verfasser nicht erkantem Zusammenhang stehen und sich weit über Mittel- und Nioderdeutschland verbreiten.

ÜBER LIESENBEHG, STIEGER MUNDART 403

Auch in der wortbilduiigslohre kann eine dieser erschcinungen leicht misdeu- tungen ausgesezt sein. Stiege liegt innerhalb der mundartenzone, von der wir mehr aus neigung als auf grand von beweisen annehmen, dass sie ursprünglich der nd. zunge angehört habe. Die heutige mundart von Stiege zeigt keinerlei ud. reste. Was Liesenberg dafür ansieht, beruht auf ungenügendem eindringen in den sprach- lichen Stoff, jrös comp! jrefr superl. jretstd ist gar zu verdächtig eine iieubildung nach superl. tvitstd comp, tvilr zu sein. "Wenn die mundart in irgend welcher zeit einen positiv *jröt besessen hätte und dieser könte allein für nd. beweisen so wäre die entstehimg einer form jrös geradezu undenkbar, da *jröt an der parallel- l'oriu unt eine gar zu feste stütze gehabt hätte.

Das idiotikon ist reichhaltiger, als die sache selbst erforderte, denn es ist durch unentschiedenes, dilettantisches etymologisieren übermässig angeschwelt worden. In einzelnen, allerdings seltenen fällen war der Verfasser von richtigem takt geleitet, z. b. in der erklärung von ächrkmiggdu (widerkäucn), während er bei andern ihm selbst wol geläufige tatsachen nicht erwogen hat. So kann rJdl (grosses stück brot) nicht zu ags. tvrfäan gehören, weil in der mundart in diesem fall anl. fr- obligat wäre. Interessant war mir- in der Wortliste jraiivd (scharf beissend , vom käse). Es ist hess. (ircibe, das durch die Pilatusstelle (v. 370. Ztschr. f. d. phil. VIII, 282. 267) litterar- geschichtliche bedeutung gewonnen hat.

Ich möchte den herrn Verfasser ermuntern, fleissig weiter zu sammeln, dabei jedoch mehr, als er bisher getan hat, auf den wertschätz der volkstümlichen brauche und Sitten zu achten und seinen landsleuten mehr „auf den muud zu sehen", umi sich über die artikulationsformen der mundart zu belehren. Er möge auch im auschluss daran beherzigen, dass es nur bequemlichkeitsgründe sind, wenn wir gestat- ten, die laut- und Wortbildungen des md. dialekts mit den sprachformen mhd. klas- sikerausgaben zu vergleichen. Die schriftliche Überlieferung aus dem mittel alter der eigenen heimat wäre in den kreis des Studiums zu ziehen gewesen.

MARBURG, APRIL 1891. FRIEDRICH KAUFPMANN.

W. Müller, Zur mythologie der griechischen und deutschen heldensage. Heilbronn 1889. YI. 177 s. 8. 3 m.

Dem ausgeprägten Standpunkt, den der nunmehr verewigte Verfasser bereits in seinem buche „Geschichte und System der altdeutschen religion (Göttingen 1844) vertreten hatte, den er gegen J. Grimm in seinem „Offenen Sendschreiben" (Göttin- gen 1845) verfochten und bald darauf auch in dem litteraturbericht der Wiener Jahr- bücher bd. 125 s. 1 fgg. (1849) bekräftigt hat, ist der eifrige forscher sein leben lang treu geblieben. Lebhaften widersprach hat er noch bei seiner 1886 erschienenen „Mythologie der deutscheu heldensage" geerntet. Die besprechungen dieses werkes dui'ch E. H. Meyer, Anz. XIII, 19 und Rödiger, Deutsche litteratm-zeitimg 1887 sp. 1617 u. a. hat er bereits in einer beilage zum Litteraturblatt für germ. und rom. Philologie 1888 nr. 7 beantwortet. In der neuesten Schrift hat er noch ein leztes mal das wort ergriffen und die anklagepunkte klar zusammengefasst. W. Müller hält zunächst einkehr in der werkstätte E. H. Meyers und mustert dessen Indogermanische mythen I. 11 (Kentauren. Achilleis). Daran schliessen sich äusserungen über Nibe- lungen-, Wieland- und Walthersage ; in einem YI. abschnitt handelt er über Orendel. Ich kann mich nicht rundweg auf die Seite der receusenten Müllers stellen. Die abweisende polemik gegen Müllers grundanschauungen ist nur teilweise berechtigt.

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404 K4.IJFFMANN

Es wäre ungerecht, wolten wir von der warte unfertiger hypotheseu aus das bedeut- same in der auffassung des gegners der prüfung nicht würdigen. Die etwas altmo- dische einleitung zu dem vorliegenden buche wird allerdings nicht ausreichen, die mythologen zu belehren, dass es vom Müllerschen Standpunkt aus möglich ist, in den mythologischen Schutthaufen Ordnung zu bringen. Mit den gedanken dieser einleitung möchte ich mich hier beschäftigen. Die einzelnen Studien können um so weniger gegenständ der besprechung bilden, als sie nur beitrage zu früheren arbei- ten liefern, die mitberücksichtigt werden müsteu.

Die griechische fA,v9-oloyiu ist z. b. bei Platon teils im sinne von noirjaig teils synonym mit uvuCrjTriGig töjv ncü.uiüi' gebraucht; noch bezeichnender ist es, wenn f.ivxhoXoyi'u bisweilen gleichbedeutend mit aoyiuoloyia steht. Preller, Griech. myth. s. 1 anm. hat schon festgestelt, dass unter ^u C.Vot Überlieferungen vom ältesten nationalen leben mit rücksicht auf ihre bildüche und poetische bedeutung oder auf ihr hohes altertum zu verstehen sind. Ich lege wert darauf, an die urspiüngliche bedeutuog zu erinnern, was Müller leider versäumt hat. Wenn wir heutigen von mythologie reden, so kreuzt sich für uns die Vorstellung der poetischen gestaltimg dunkler überheferungen aus der zeit des heidentums mit der bald mehr bald weniger lebhaft empfundenen , algemein anerkanten beziehuug der Stoffe auf das religiöse leben der heidnischen Germanenwelt. Das religiöse moment tritt unter den dürftigen bruch- stücken heidnischer überliefenmg nirgends so kentlich wie in den zauber- resp. gebetsformeln zu tage. Bekantermassen handelt es sich aber in der regel um dich- terische erzählungen, welche die religiösen anschauungen zu personen und ereignissen verkörpern. Unsere Überlieferung ist vorwiegend religiöse dichtung. Daher haben wir uns dieselben processe gegenwärtig zu halten, die wir heutzutage bei künst- lerischer Schöpfung uns vorzustellen pflegen. Nach gemeinem verstände suchen wir in mythologischer forschung die religion. Folglich ist von der philologischen behand- lung der überlieferten mythen die religionsgeschichtliche nicht zu trennen. Ein drittes gibt es aber nicht. Neben den religiösen Überlieferungen gehen jedoch profane her, beziehungsweise sind jene unter diese vermengt und umgekehrt. Möge die begrifs- bestimmung dahingestelt bleiben wir verstehen unter mythus die rehgiöse, unter sage (volkssage) die profane dichterische Überlieferung aus der ältesten zeit des nationalen lebens. Sofern die götter ins nationale leben eingreifen (man denke an die genealogischen sagen) sprechen wir von göttersage (im gegensatz zu mythus), genau ebenso wie wir je nach den gebieten der profanen Überlieferung von heldensage, tiersage imd ähn- lichen reden. "Wenn sich die mythologie in diesem sinne mit mythen zu beschäf- tigen hat; wenn der mythus eine bildlich - poetische Überlieferung religiösen Inhalts oder wenigstens reUgiöser grundlage aus der zeit des heidentums bedeutet: so muss, sofern religion als faktor im nationalen leben der Germanen anerkant ist, zugestan- den werden, dass auch heldensagen zur mythologie beisteueni können. Ich bin mit "W". Jilüller völlig einverstanden, dass religiös - mythische elemeute z. b. in der Wal- thersage fehlen, während sie in andern, sei es in höherem, sei es in geringerem masse vorhanden sind. Ich bin mit W. Müller völlig einverstanden, dass es ein irtum ist, in der heldensage reUgiöse mythen mit natursymbolischer deutung zu suchen oder götter und beiden als zwillingsgeburt aus ursprünglichen dämonen her- vorgehen zu lassen. Wol aber lege auch ich Verwahrung ein, wenn Müller sich berufen glaubte, die wunderbaren gewebe der volkssage zu zerreissen und die helden- sage in historische Vorgänge („historische mythen" lautet bei ihm die unglückliche fas- sung) aufzulösen. Wer wird ihm folgen, weim er die Orendelsage in der zeit der

ÜBER MÜLLER, ZUR MYTHOLOGIE DER HELDENSAGE 405

Icreuzzügo entstanden und den anschauiingen dieser zeiten gemäss mit christlich - religiösen elementon verbunden glaubt? Nur MüUonhoff hat gelegentlich (Z. f. d. a. 30, 227) die wichtige tatsache gestreift, dass erzählungeu der sogenanten heldensage vielfach (nicht bloss bei Saxo gramniaticus) von einer euhemeristisch- historisierenden, jedenfals golohrton auffassuug ausgegangen sind, und dass nicht jede sage in buchstäblichem sinne als quellcnniaterial verarbeitet werden darf. "Wer wolte es jedoch wagen , unseren dürftigen Überlieferungen die von den epigoueu verschuldete vermumniung abzureis- sen? Und wer wolte sich rühmen, der blüiionden volkssage ins treue äuge geblickt zu haben? Der schluss "W. Müllers, die heldensagen sezten sich aus simpeln histo- rischen tatsachen zusammen, weil nicht allein bestirnte geographische beziehungen, sondern auch bekante historisclic namen und creignisse sich darin finden, ist ebenso falsch, als wenn jemand verlangte, was Saxo über die gesetzgebuug seines Frotho überliefert, sei in die ui'geschichte Dänemarks aufzunehmen. Es liegt dem MüUer- schen gedankenkreis ein trugschluss zu gründe. Falsch wäre es, deswegen die ein- zelnen Prämissen zu verwerfen.

MARBURG, FEBR. 1890. FRIEDRICH KAUFFMANN.

Die coucessivsätzc im Nibelungenliede und in der Gudrun mit ver- gleichung der übrigen mittelhochdeutschen volksepen. Von Hermann Kuhlmaun. Kieler dissertation 1891. Leipzig, G. Fock. 60 s. 1,50 m.

Die concessivsätze der volksepen werden hier als ergänzung der auf die con- cessivsätze der höfischen poesie gerichteten Untersuchungen von Mensing (vgl. s. 260 dieses bandes) behandelt. Die darstellung schliesst sich demgemäss im algemeinen au die bei Mensing an; einzelne abweichungen waren meist durch veränderte grund- bedingungen gegeben, so die kurze fassuog der „algemeinen bemerkungen" (§2 s. 7), die übrigens bei Kuhlmann eher gewonnen haben. Weniger glücklich wai" die treunung der conditionalformen als der träger eines concessivverhältnisses in kapi- tel Y und kapitelYI, so dass dieses die inversion mit sonst heterogenen bestandteilen vereinigt. Wenn überhaupt unter den mannigfaltigen formen, unter denen das conces- sivverhältnis sich versteckt (kapitel YI bei Mensing), eine Scheidung statfinden soll, so müsten die conditionalformen als einheitliches ganzes den übrigen gegenüber tre- ten . und diese übrigen würden dann innerlich den in kapitel I behandelten Sätzen am nächsten stehen. Andere abweichungen sind dadurch bedingt, dass formen, denen Mensing ein eigenes kapitel widmen konte (al und aleine) in der volksepik ganz feh- len oder (vgl. doch als uebensatzpartikel, Kuhlmann § 49) in anderer form eingefügt werden; eine tatsache, deren feststelluug schon allein den sorgsamen Untersuchungen beider Verfasser wert verleiht. Hier sind von besonderem Interesse die abschliessen- den ergebnisse von Kuhlmann 57).

Was die wissenschaftliche ausrüstung und die Sorgfalt der arbeit betritt, so steht Kuhlmann seinem Vorgänger kaum nach. Einige flüchtigkeitsversehen sind ihm untergelaufen; dem druckfehlerverzeichnis auf s. 6 kann noch hinzugefügt werden: s. 19 z. 21 ist zu lesen „(348, 15)" statt -(347, 3)" u. a. Aber er hat dafür mehr ge- schick, ungezwungen über das engste gebiet der syntax hinauszugreifen und die for- menlehre, die metrik und andere gebiete zur lösung einer frage herbeizuziehen. Wie sein Vorgänger, so bleibt auch er bei der aufzählung von belegstellen nicht einfach an der äusseren form hängen; er ist kein oberflächlicher Statistiker, sondern zeigt

406 WUNDERLICH, ÜBER KÜHLMANN, CONCESSIVSÄTZE

sich bemüht, die wü'kenden kräfte auf dem gründe aufzuspüren. Wir finden sogar schon hübsche ansätze der erkentnis, dass der schwankende modusgebrauch zum teil von der grösseren oder geringeren beliebtheit gewisser verbalformen geregelt wird (vgl. § 21 den conj. praet. von tuon).

GelegentUch fält aber auch Kuhlmann in den fehler des schematisierens. So möchte ich z. b. conjunctive im nebensatze wie die auf s. 21 z. 23 fgg. nicht einfach bloss aus der natur des hauptsatzverbs , sondern vielmehr aus einer tatsächlich vom hauptsatze aus in den nebensatz herüberwirkenden Willenstätigkeit erklären und wäre demgemäss mit belegen wie Gudrun 1010, 2 oder Nib. 1862, 1 (bei Lachmann 1800, 1 vgl. Kuhlmann s. 29) etwas vorsichtiger. Noch weniger aber würde ich in einem satze wie ex- chmket giiot (s. 29) etwaiger formelhafter erstarrung einen konservieren- den einfluss auf den modus zugestehen. Ein moduswechsel würde ja hier gar keinen betonten bestandteil treffen (daher auch "Wolfd. A. 260 sivax dich nu dtmke guot)^ während eine formal wie ex- geschiht, die mit dem modus auch den stamvokal wech- seln müste, allerdings am indicativ festhält.

Eine lebendigere auffassung der modi hätte auch sonst nicht geschadet. So for- dern belege wie Nib. 1404, 3 (s. 24 z. 40); Nib. 1251, 3 (s. 31 z. 6) eigenthch dazu heraus, sie als beispiele eines aus der Willenstätigkeit entspringenden coujunctivs den mehr auf der ver stände stätigkeit beruhenden conjunctivfällen gegenüberzu- stellen; und imter den leztgenauten hätte wol hervorgehoben werden dürfen, wie der conj. praesentis gerne den Spielraum für die zukunft erweitert (vgl. vor allem die belege auf s. 30).

Mit weniger Sicherheit, aber doch aus Überzeugung möchte ich für die sätze mit veralgemeinerndem pronomen (s. 17 fgg.) beanstanden, dass in ihnen der con- junctiv die in den pronominalformen steckende ungewissheit zum ausdrucke bringe. Mir scheint vielmehr, dass diese ungewissheit entweder im betonten indefinitum oder aber im modus zum ausdrücke komme, dass also in den Sätzen mit voll betontem einleitendem indefinitum der indicativ vorhersehe. Eingehendere begrün- dung dieser ansieht ist hier nicht am orte; sie ist mir aus längerer betrachtung gerade dieser sätze erwachsen. Hier sei nur noch zum Schlüsse der befriedigung ausdruck gegeben, dass den Verfasser der handschriftenapparat des Nibelungenliedes veranlasste, wieder einmal wenn aiich noch von ferne ausblicke zu eröfnen auf die dienste, die unsere syntaxforschung der toxtkritik leisten könte.

HEIDELBERG, AUGUST 1891. H. WUNDERLICH.

Böhmens anteil an der deutschen litteratur des XVI. Jahrhunderts.

VonR. Wolkaii. I. Bibliographie. 11. Ausgewählte texte. Prag, A. Haase.

1890 91. VIII, 140 und IX, 208 s. gr. 8. 9,20 m.

Das auf drei bände berechnete werk will den nach weis liefern, dass das gei- stige leben der Deutschen in Böhmen auch im Jahrhundert der reformation reiche bluten hervorbraclite, ja dass die deutsche litteratur in diesem Zeiträume nicht min- der mannigfaltig wie in einem anderen deutschen lande war. Bei der politischen stm'mflut, die gegenwärtig den boden Böhmens nicht zu seinem und noch weniger zum vorteil des österreichischen gesamtvaterlandes , durchzittert, ist die patriotische tendeuz, die dem Verfasser vorschwebte, unschwer zu erkennen; eben deshalb aber muss das erscheinen des werkes um so wilkommener geheissen werden.

JEITTELES, ÜBER WOLKAN, BÖHMENS ANTEIL AN D. DEÜTSCU. LITT. 407

Bis jezt sind zwei teile erscliieiien, und zwar enthält teil I das bibliographische material, teil 11 eine reihe charakteristischer texte, während der noch in aussieht stehende III. teil einen überblick über die entwicklung dei' deutschen litteratui- Böh- mens im 16. Jahrhundert und der geistigen Strömungen Deutschböhmens überhaupt bieten soll.

In die bibliographie der deutsch -böhmischen litteratur des IG. Jahrhunderts wurden nur diejenigen littcrarischen werke aufgenommen, die in Bühmeu godnickt oder nachweislich daselbst entstanden sind; nur für die älteste zeit (bis 1525) fanden einige werke aufnähme, die nicht direkt in den kreis unserer betrachtung zu ziehen sind, wol aber wert haben für die erkontnis der geistigen arbeit dieser zeit auf ande- ren gebieten. Sonst blieben fachliche und lateinische Schriften ausgeschlossen und sind für eine spätere zeit aufbewahrt; dasselbe gilt von den werken jener „söhne Deutschböhmens, die später das Vaterland verliessen und in Deutschland förderang und Stellung erlangten'".

Wenn man auch die richtigkeit des mit diesen -werten des Verfassers aufgestel- ten priucips zugestehen will, so ist doch die fassung für die erwähnten ausnahmen nicht hinlänglich klar. Was der Verfasser insbesondre unter „fachlichen" Schriften versteht, da sein Verzeichnis so viele theologische, ja auch nach 1525 ein paar medicinische und musikalische werke enthält, ist nicht wol einzusehen. Gehören solche Schriften nicht ganz eigentlich zur fachUtteratur ? Und wäre da nicht mit gleichem recht u. a. z. b. Hageks Böhmische chrouica, verteutscht durch J. San- del (Prag 1596) zu nennen gewesen? Gerade diese geistlichen und zwar überwiegend reformatorischen -werke machen in Wolkans bibliographie die grosse mehrzahl aus. Unter 401 Schriften, die der katalog verzeichnet, sind von Joh. Mathesius allein 134, von Nicolaus Herman 29, von Avenarius (Joh. Habermann) 23 verfasst. Überhaupt erhelt aus der beschaffenheit der hierher gehörigen werke mehr noch als der leb- hafte anteil Bölmiens an der algemeinen littcrarischen bewegung dieses Zeitalters die ansehnliche mitwirkung des landes an dem reformationswerke. Einen hauptsitz litte- rarischer regsamkeit im sinne der reformation bildete das Städtchen Joachimsthal, in welchem um 1517 ein bergwerk entstand und eine kleine, aber rührige evangehsche gemeinde sich uiederliess. Hier wirkte in den jähren 1532 65 Johann Mathesius, geboren in Rochlitz im Meissnischen, erst als rector der lateiuschule , dann als dia- con, zulezt als pfarrer in gemeinschaft mit seinem freimde, dem kantor Nicolaus Herman. Im übrigen ist die flugschrift, gewöhnlich „zeitung" genant, die sowol politische als lokale begebenheiten behandelt, der meistergesaug, das fastnachtsspiel und die tragödie in der bibliographie vertreten.

Der Verfasser war auf das emsigste und sorgfältigste bemüht, alle irgend erreichbaren Utterari scheu erzeugnisse für Böhmen in anspruch zu nehmen und sei- nem zwecke dienstbar zu machen; und zwar hat er sich nicht damit begnügt, die liezügliehen werke bloss ihrem titel nach anzuführen, sondern er hat seinen katalog in dankenswerter weise mit reichhaltigen angaben der bibliothekeu imd archive, wo sich die einzelneu schritten finden, der bibliographischen hilfsmittel, in welchen sie bisher verzeichnet wiu'den, imd nicht selten auch der die schriftsteiler behandelnden quellenwerke ausgestattet. Selbstverständlich kann von volständigkeit des bibliogra- phischen materiales, wie herr WoLkan s. VI selbst hervorhebt, nicht die rede sein; erstlich darum, weil der Verfasser sich auf keine Vorgänger m seiner arbeit stützen konte, ferner deshalb, weil die gegenreformation systematisch darauf ausgieug, sämt- liche Schriften protestantischen Inhaltes der vernichtimg preiszugeben. Gleichwol wäre

408 JEITTELES, ÜBER WOLKAN, BÖHMENS ANTEIL AN D. DEUTSCH. LITT.

der umfang der bibliographie um ein beträchtliclies geringer ausgefallen , wenn es dem Verfasser nicht beliebt hätte, bei manchen Schriften die ausführlichen vorreden, Widmungen und Inhaltsverzeichnisse abzudrucken ein Vorgang, der zur Charak- teristik der bezüglichen werke ein erhebliches beiträgt , und wenn die widerholten auflagen eines werkes nicht unter den einzelnen Jahreszahlen besonders aufgeführt, sondern gleich zu der ersten aufläge in anmerkung kurz hinzugefügt worden wären.

Hie und da scheint uns Wolkan über das ziel, das er sich steckte, etwas hinausgeschritten zu sein. Er hat nämlich auch solche Schriften aufgenommen, die, anonym und in Deutschland, beziehungsweise ohne bezeichnung des druckortes, erschienen, ihrem titel zufolge mit böhmischen Verhältnissen zusammenhangen; hier- bei wäre der nachweis der böhmischen provenienz wünschenswert und schon darum geboten gewesen, weil bei der Seltenheit der aufgeführten bücher die nachprüfung keine leichte sache ist. Als ein entschiedener raisgriff muss es bezeichnet werden, wenn unter nr. 11 die ohne angäbe des druckortes erschienene gereimte beschreibung eines in Joachimsthal abgehaltenen freischiessens angeführt ist, in deren schlussverse sich ein Hans Lutz aus Augsburg als Verfasser nent, von welchem doch kaum nachzuweisen sein wird, dass er ein geborner Böhme gewesen sei. Im ganzen aber verdient der nicht geringe fleiss, die Sorgfalt und umsieht, mit welcher der Verfasser hinsichtlich der auf bringung des bibliographischen materials vorgieng, die volste aner- kennung. "Wenn in folgendem einige Zusätze und nachtrage geboten werden, so mag der Verfasser nur das Interesse daraus erkennen, das der referent dem werke zuwendet.

Unter den denkniälern der poetischen litteratur fehlt auffallonderweise das unter dem namen des „Ackermanns aus Böhmen" bekante Streitgespräch zwischen einem witwer und dem tode. Sein Ursprung fält zwar einer früheren periode zu, aber Goedeke im Grundriss I"'', 322 führt auch zwei auflagen aus dem 16. Jahrhun- dert an unter dem titel: „Schone red vnd widerred eins ackermans vnd des todes mit scharpfer entscheidung jrs kriegs eim iegklichen vast kurtzweilig vnd nützlich zu lesen. Fax legentibus". Am schluss: Gedruckt durch Johannem Schott von Straßburg. 1500. 20 bll. 4. (Brit. Museum). Straßburg dm-ch Martin Flach. 1520. 18 bll. 4. (München). Es stamt von einem gewissen Johann aus Saaz (vgl. Mitteilungen des bist. Vereines der Deutschen in Böhmen. Bd. XVI. Litter. beilage s. 31 und Kniescheks ausgäbe des Ackermanns in der „Bibliothek der mhd. litteratur in Böhmen" bd. II, 81) und wird von Gervinus, Gesch. d. deutsch, dich- tung II'', 357 als „das volkommenste stück prosa" bezeichnet, „das wir in unserer litteratur besitzen". Von dem bei Wolkan unter nr. 106 (s. 34) angemerkten, am Schlüsse der Sarepta von Joh. Mathesius befindlichen liede mit den anfangsversen „Christ König Gott, vnser Heiland, Vnser Schutz steht in deiner Hand" finde ich in dem kürzlich ausgegebenen antiquarischen katalog von seltenen werken 65 der firma Ludw. Eosenthai in München unter nr. 1426 auch eine selbständige ausgäbe: „Ein christlich Lied für gemeine ivolfart diser Kai. BergstaM, vnd aufnehmen des löb- lichen Bergrverelcs. Oedruekt %u Nürmberg beia Kathrina Perlachin. (ca. 1580). 2 s. fol. Mit 3 Zeilen Musiknoten". Zm' Jahreszahl 1561 ist ein werk von Joh. Mathesius nachzutragen mit dem titel: „Ein Trostpredig, ausx \ den ivorten des Herrn, Matth. IX. | Das Megdlein ist nicht todt, son \ dem es schlefft, ^tc. Für alte vnd ster \ bende leut, Gepredigt in S. Joachimsxthul . . . | Nürnberg, J. von Berg, vnd Vir. Newber, 1561". 4. 12 bl. ; leztes leer. Mit kleinem titelholzschnitt. In den bekanten bibliographischen werken durchweg mangelnd, steht es verzeichnet

HOLSTEIN, ÜBER SCHRÖDER, JAG. SCHÖPFER 409

ia dem ,,Bibliofhcca HaehcrJiniana" üborschi-i ebenen antiquar-katalog von Ludolph St. Goar in Frankfurt a/M. vom jähre 1877, abt. IV unter nr. (3420. Eine spätere aufläge des unter nr. 111 angeführten workes von Mathesius „VOm Ehestandt \\ Vnd Hansxwesen \ fünfftzehcn Hochxeytpredigten'^ erschien 1567 y,mit Melodieen xu Nürn- berg durch Vir ich Netrber, vnd Dieterich Gerlatxen", 228 bl. 4. S. Maltzahn, Bü- chorschatz s. 41, nr. 268. Die bibliographie ist nach aii dei- iukunahelkataloge chronologisch geordnet; dort jedoch, wo den büchern die angäbe des Jahres der ver- öifentlicliung fehlt, ist es öfter zweifelhaft, auf welchen ki'iterien die einrciliung der- selben von Seiten des Verfassers beruht.

Die den zweiten band füllenden schriftprobon sind im ganzen sorgfältig aus- gewählt. Insbesondre hat sich der herausgeber durch die raitteilung von Jörg Br en- teis u^i'-'ßy f^c'hone newe Lieder'', der Übersetzung der Andria von Terenz durch Stephan i, von desselben fastnachstspiel „von einer MiUneriti vnd jren Pfarrherr", der biblischen tragödie „von dem erschrocklichen vntergang Sodom vnd Gomorra" von Mathias Meissner und der „Tragedia von xweyen Böhmischen Landherren" eines anonymus anspruch auf den dank der litterarhistoriker erworben. Nicht hieher gehört, wie schon oben bemerkt wurde, Hans Lutzens gedieht von dem festschiessen zu ehren der gründung Joachimsthals. In poetischer beziehung zeichnen sich einige geistliche lieder aus, so jene von Christoph Hos man von Elbogen und von Georg Spindler und in hohem grade das obenerwähnte fastnachtsspiel von Stephani; dieses atmet eine urwüchsige frische und darf sowol durch die gewante form des dialogs als durch echte komik den besten produkten dieser art und zeit an die seite gestelt werden.

In der herstell ung der texte ist der herausgeber alzu conservativ verfahren: er hat weder für die iuterpuuktion ausreichendes geleistet, noch irgend welche erklä- rungen und Verbesserungen verderbter stellen der keineswegs durchaus glatten texte geboten; beides mit iinrecht. Mehrfache von dem Verfasser bei textworten ange- brachte „sie" verraten, dass ihm genauere kentnisse der älteren deutschen spi'ache mangeln; so z. b. wenn ihn die im 16. Jahrhundert bereits vielfach gangbare plural- form wurden (s. 57, 63) oder der stamvokal in tratx (115, 1671) stutzig macht.

WIEN. ADALB. JEITTELES.

Edward Schröder, Jacob Schöpper von Dortmund und seine deutsche Synonymik. Marburger Universitätsschrift. Marburg 1889. 37 s. 4.

Es war selbstverständlich, dass, wenn Jacob Schöppers Verdienste um die deutsche Synonymik gewürdigt werden solten, auch seine dramatische tätigkeit zu envähnen war. Denn Schöpper war in erster reihe Schulmann, daneben seit 1544 auch geistlicher. Seine humanistische bildung zeigt sich in den zunächst für das Dortmunder gymnasium geschaffenen lateinischen dramen, die der Verfasser fast alle genau analysiert. (Vom Euphemus, der ihm nicht zugänglich war, finden sich exem- plare in Zwickau und Gotha.) Auch sein Verhältnis zu anderen dramatikern wie Ma- cropedius, Sixt Birck, Philicinus, Zovitius u. a. wird klar gelegt. Sein bestes drama ist das erstlingswerk, der Johannes decoUatus, der nachher von Schonaeus in sei- nem Baptistes benuzt ist. Schöpjjcr ist Terentianer , au den fünf aktschlüssen hat er chöre in jambischen dimetern oder in glykoneen. Im zweiten abschnitt handelt der Verfasser von der deutscheu Synonymik, die 1550 als hilfsbüchlein für „prediger, Schreiber und redner" erschien , aber das höhere ziel verfolgte , die heimatliche spräche

410 ERDMANN, ÜBER LENZ ED. WEINHOLD

ZU verbessern und zu bereichern. Sie ist der erste Dortmunder druck. Die beiden vorreden (lateinisch und deutsch) gehören zu den anziehendsten lu'kunden für die geschichte unserer Schriftsprache. Das werkohen gibt auf seinen acht bogen die Über- setzung von rund 1400 lateinischen Wörtern und Wendungen und bringt dafür über 6000 deutsche nummern bei. Der Verfasser spricht den wünsch aus, dass der histo- rische verein für Dortmund und die grafschaft Mark einen neudruck veranlassen möchte. Er gibt auch die vor Schöpper erschienenen Zusammenstellungen von syno- nymen, von denen dieser aber keine benuzt hat. Dagegen sind von ihm Adam Petris oberdeutsches glossar zu Luthers Neuem testament (1523) und des Schweizers Petrus Dasypodius Dictionarium latinogermanicum (1535) benuzt worden. Mit einem exkiu'S über die zeit der einbürgeruug der hochdeutschen spräche in Dortmund schliesst die verdienstvolle arbeit Schröders.

WILHELMSHAVEN. H. HOLSTEIN.

Gedichte von J. M.E.Lenz. Mit benutzung des nachlasses von Maltzahn herausgegeben von Karl Weinhold. Berlin, AV. Hertz. 1891. XXII und 228 s. 8. 6 m.

Im leben hat der unglückliche dichter vergeblich danach gerungen, seine talente zur reife zu bringen und an geeigneter stalle zu gebrauchen; nach seinem tode und namentlich, seitdem Goethe in dichtung und Wahrheit das andenken des Jugendfreun- des erneuert hatte, ist ihm die genugtuung geworden, dass in seiner engeren heimat ebenso wie im weiteren deutschen vaterlande teilnehmende freunde und litteraturfor- scher sich um die samlung, Ordnung und herausgäbe seiner werke sowie um die erkentnis seines persönlichen lebensganges und seiner schriftstellerischen entwickelung mit eifer und hingebung bemüht haben. Der mediciner Dumpf, unterstüzt von dem Dorpater bibliothekar Petersen, hatte eifrig Lenziana gesammelt, die Tieck in der ausgäbe der gesammelten Schriften (1828) nur ungenügend verwertete. K. L. Blum (Professor der geschichte in Dorpat von 1826 bis 1851) gab 1845 das jugenddrama „Der verwundete bräutigam" heraus. Die samlungen Dumpfs wurden später von AVendelin v. Maltzahn (f 1889 in Berlin) und Jegor v. Sivers (f 1879) sorg- sam gehütet und eifrig vermehrt. Der erbe und berufenste nachfolger beider männer in bezug auf die tätigkeit für Lenzens andenken ist Weinhold geworden, der schon 1884 den „Dramatischen nachlass", 1887 das sonst vergessene drama „Die siziüa- nische vesper" (vgl. diese Zeitschrift XX, 255), jezt endlich eine samlung aller erhal- tenen ge dichte von Lenz in chronologischer anordnung mit einleitung und anmer- kungen herausgegeben hat.

Die ausgäbe enthält 110 nummern, mit verszählung für das eitleren bequem eingerichtet; darunter gegen 20 bisher uugedruckte und viele bisher nur in schwer zugänglichen einzeldrucken veröffentlichte gedichte. In vielen fällen waren verschie- dene fassungen eines gedieh tes nachweisbar, die der herausgeber volständig ange- geben und in ihrem Verhältnis zu einander klar bestirnt hat; vgl. nameutHch die viel genanten gedichte 24 (An mein herx) imd 47 (Die liebe auf dein lande). Die in Weimar erhaltene, von unbekauter frauenhand gefertigte abschrift von nr. 12 (Pi- ramtis titid Thishe) enthält manche Variante, die man dem dichter selbst zutrauen möchte. Auf zahlreiche andere belehrende und fruchtbai'c nachweise hier im einzel- nen einzugehn muss ich mir versagen.

Die einreihuug der einzelnen gedichte in die haupti^erioden des Lenzischen lebens und die chronologische anordnung im einzelnen, die bisher häufig zweifelhaft

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geblieben war, ist mit sorgfaltiger bemitzung und scharfsinniger combination der durch das früher unbekante material gebotenen anhaltspunkte ausgeführt, so dass durch die ausgäbe ein sicherer gnind für das Studium des dichters und seiner zeit gegeben ist. Von den durch H. Kruse bekant gewordenen liedorn des Sessenheimer liederbuches spricht auch Woinhold Lenz nur zwei zu (14 Wo bist du it%t, mein inircrycüsl/ch luädchen und 15 Ach. bist du fort?)-., er bekämpft dagegen s. 267 mit guten griindea die annähme der Leuzischen autorschaft für „Nun sixi der ritter an dem ort" (jG. 1, 263), wie überhaupt die haltlosigkeit und unzuverlässigkeit vieler mitteilungen von P. T. Falck über Lenz schlagend nachgewiesen wird.

Bei der volständigkeit der samlung und bei der genau zeitlich foiischreitenden auordnung lüsst sich volkommener, als es früher möglich war, beobachten, wie man- nigfach die vers- und stilarton sind, in denen der für eigeiilieiten der foi'mgebung mit schnellem blick und leichter empfänglichkeit begabte Lenz sich nach und nach versucht hat. Ein genaues Studium seiner verstechnik mit vergleichenden ausblicken auf die zeitgenössische litteratur könte sehr lohnend werden.

Mit kundiger band hat Weinhold s. VIII XXII einen abriss des lebens und der wii-ksamkeit von Lenz entworfen. "Was dort (und in den anmerkungen, z. b. zu nr. 66) über das Verhältnis bemerkt wird, in dem der dichter zu seinem vaterhause stand, ist neulich durch die in der Deutschen nindschau 17, 7 (1891) s. 154 fg. ver- öffentlichten familienuotizen bestätigt und in einzelheiten ergänzt worden.

KIEL. 0. ERD5UNN.

Der deutsche Unterricht. Eine methodik für höhere lehraustaltcn von Rudolf Lehmaiiii. Berlin, Weidmann. 1890. XIII und 394 s. 8; geb. 8 m. Im ersten jahrgange dieser Zeitschrift s. 230 fgg. wurde das buch von E. Laas über den deutscheu aufsatz in prima (Berlin 1868) begrüsst und gegenüber anderen sehr seichten handbüchern und hilfsmitteln für den deutschen Unterricht gebührend gewürdigt. Wer damals wie unter vielen anderen auch der Schreiber dieser Zei- len — diesem buche mit empfänglichem sinne entgegenkam, der empfand sehr wohl, wie mächtig es auf die hebung des deutschen Unterrichts zu wirken bestimt war. Indem Laas den deutschen aufsatz der obersten klasse als eine besonders wertvolle frucht des gesamten gymnasialunterrichts darstelte und zeigte, wie durch planmässige arbeit der lehrer und der schüler in den lehrstunden und in der häuslichen tätigkeit diese frucht herangezogen und zur reife gebracht werden kann, wurde sein buch zielzeigend für auswahl und behaudlung des lehrstoffes, fast noch mehr als das spä- tere, bei weiterem titel in engeren grenzen sich haltende buch über den deutschen Unterricht (1872). Beide bücher Hessen in anregendster und lehrreichster weise erken- nen, wie ihr Verfasser, von philosophischer und klassisch -philologischer bildung aus- gegangen, sich diu'ch ernstes nachdenken und Studium noch als lehrer auch für alle anderen aufgaben des deutschen Unterrichts geschickt gemacht und auch in litteratur- geschichte imd Sprachwissenschaft fortgebildet hatte. Ich habe während langer lehr- praxis in beiden büchern für sehr viele fragen und aufgaben des Unterrichts rat, anleituug und aureguug gefunden und empfehle sie philologisch gebildeten lehramts- kandidaten, denen der deutsche Unterricht in irgend einer klasse übertragen wird, noch heute als die besten hilfsmittel, die sie mit auswahl des für ihre Verhältnisse und aufgaben passenden und mit almählich wachsender eigener ki-itik studieren mögen.

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Der Verfasser des neuen, in gleichem verlage mit jenen werken erschienenen buches über den deutschen Unterricht sezt sich denn auch unter allen seinen Vor- gängern (obwol er auch andere berücksichtigt, wie Hiecke s. 37 fgg. , Klaucke s. 52 fg., Franz Kern s. 108 u. a.) am häufigsten zu Laas in beziehung. Mehrfach jedoch will er dessen bostrebungen auf das tatsächlich erreichbare einschränken (s. 38. 138), mehr praktische anleitung für den Unterricht auch in den unteren und mitleren klassen geben, namentlich auch geringere ansprüche an die ästhetische Urteilskraft des Schü- lers stellen (s. 46). Diese gegen Laas ausgesprochene oder angedeutete polemik halte ich deshalb für wenig angebracht, weil es Laas sicher fern gelegen hat, sein bei- spiel für eine immer und in jedem falle anwendbare norm zu erklären; er hat überall nur au vorsichtig prüfende und das von ihm gebotene ihren Verhältnissen anpassende leser gedacht. Unter dem, was Lehmann selbst über die aufgaben des deutschen Unterrichts bietet, ist vieles lehrreich und beachtenswert, obwol auch er nicht alle diese aufgaben gleichmässig berücksichtigt; aber gerade weil er mehr als Laas dazu neigt, das von ihm selbst erprobte zur algemeinen norm des deutschen Unterrichts zu erheben, so halte ich neben einem referat über den Inhalt des buches einen Widerspruch gegen diejenigen ansichten und vorschlage, denen ich eine solche alge- mein zutreffende richtigkeit nicht zuerkennen kann, auch in dieser Zeitschrift für angebracht. Ich ordne meine bemerkungen nach den hauptaufgaben des deutschen Unterrichts, indem ich die erörteruugeu des „algemeinen" und die anweisungen des ihm meist parallel laufenden „besonderen" teiles von Lehmanns buche zusammen zu berücksichtigen suche.

Die deutsche lektüre ist in beiden abteilungen vorangestelt. "Wie Lehmann schon in einem vortrage auf der Görlitzer philologenversamlung 1889 (Verhandlungen s. 234 fgg.) ausführte, unterscheidet er drei stufen des Verständnisses: 1. anschauliches. 2. historisches. 3. kritisches. Dass bis obertertia (untersecunda bildet auch hier eine Übergangsstufe s. 17) die erste stufe und art der behandlung vorwalten solle, und dass hier vorzugsweise der unmittelbare eindruck des gelesenen (und ausdrucksvoll, mit richtiger sonderuug und betonung vorgelesenen!) auf die Schüler wirke, hebt Lehmann s. 17 fg. sehr richtig hervor; da er aber bei der lektüre die klare auffassung des Zusammenhanges, die Unterscheidung der hauptsachen von den nebenumständen natür- lich auch für ein durch den Unterricht zu erreichendes ziel hält, so wird eine skiz- zierte disposition der hauptteile eines erzählenden gedieh tes, eme widererzählung der gelesenen begebenheiten nach streng chronologischer folge und andere von Laas Dü^ 245 fg. angegebenen didaktischen kunstgriffe ihren wert behalten. In bezug auf die auswahl der poetischen lesestücke nimt Lehmann seinen Standpunkt oft recht hoch; ich würde die meisten balladen Schillers lieber nicht schon in quarta lesen (s. 143), und Chamissos Salas y Gomez gewiss nicht in tertia (s. 153; ähnlich auch Laas DU. 251); dieses gedieht halte ich wegen der starken ausmalung des grässlichen und schaudererregenden überhaupt für keine geeignete schuUektüre. Einverstanden bin ich mit Lehmanns Vorschlag (s. 161), Nibelungenepos und Gudrun, wenn was ich allerdings nicht wünsche, s. unten die mhd. originallektüre von den preus- sischen gymnasien ausgeschlossen bleiben soll, .schon in obertertia zu lesen; die begebenheiten und gestalten des volksepos sind dem tertianer vielleicht noch sympa- thischer als dem primaner. Einen guten prosaauszug aber würde ich dann den mei- sten metrischen Übertragungen vorziehn.

Der wert einer stilistich musterhaften prosalektüre für die mitleren klassen scheint mir von Lehmann s. 157 zu wenig betont zu sein. Die fertigkeit des deut-

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liehen vorlesens (mit angomessenon pausen und richtiger betonuog!) ist ein sehr wich- tiger bestandteil der algemeineu bildung und doch auch in gebildeten ständen durchaus nicht so verbreitet, wie es der fall sein köute, wenn es auch auf höheren schulen genügend geübt würde. Besonders schön gebaute kleinere prosastücke (wie z. b. aus Schillers geschichte des dreissigjährigen krieges Charakteristik und ende Wallensteins u. a.) können so oft gelesen werden, dass sie ohne viele mühe völlig im gedächtnis haften und frei vorgetragen werden können, was ein ungemein wichtiges liilfsmittel zur stilistisclieu ausbilduug ist (vgl. darüber das empfehlenswei-te buch von Rei- cliardt, Logik, stihstik und rhetorik, Leipzig 1877). Lessings prosafabeln sind auch in dieser beziehung ein wertvoller schätz für jede klasse des gymnasiums, Herders paramythien für die mitleren und oberen.

Leetüre mit anstreben eines geschichtlichen Verständnisses ist (s. 19) eine hauptaufgabe der oberen klassen. Auch hier wird vor alzuviel eingehn auf persön- liclie erlebnisse, sowie auf Studien und Vorbilder der schriftsteiler gewarnt. Die Ver- teilung der lesestücke ist so gedacht, dass in den drei jahrescursen der obersecunda und prima die deutsche litteratur in zeitlicher folge durchmessen wird, wobei für das mittelalter, sowie für die periode von 1500 1750 zusammenhängender voili'ag die lücken ergänzen soU (s. 32). Aber auch die biographieu Lessings, Goethes, Schillers solten doch zusammenliängend vorgetragen und mit ausblicken auf ihre Zeitgenossen verbunden werden; dass zwischen der lektüre eine kleinere anzahl von lehrstunden litterarhistorisch gestaltet werde, halte ich für angemessen. Dadurch lernt auch der primaner einem zusammenhängenden vortrage (der ja auf der schule durch fragen unterbrochen werden kann) mit aufmerksamkeit zu folgen. Im algemeinen wird ja wol auf sehr vielen gymnasien der Unterricht in ähnlicher weise gehandhabt, wie Lehmann es angibt; seine speciellen vorschlage für Verteilung der lektüre auf die einzelnen klassen und Semester s. 214 299 sind wol durchdacht, doch möchte ich nicht alle zur unbedingt bindenden norm werden sehen. Namentlich an zwei punk- ten denke ich anders: die zusammendrängung aller so verschiedenartige Interessen und gedanken weckenden werke Lessings auf ein einziges Semester (s. 268) scheint mir durchaus nicht empfehlenswert; und eine von Lehmann nii'gends vorgesehene erweiterung über die klassische zeit hinaus kann der Unterricht noch dadui'ch erhal- ten, dass hervorragenden dichtem des 19. Jahrhunderts eine besprechung gewid- met wii-d, wozu auch in den oberen klassen eine für ihren Standpunkt berechnete samlung deutscher gedichte (ich empfehle die für diesen zweck vorzüglich geeig- nete von H. Kluge, vgl. meinen aufsatz in der Zeitschrift füi' deutschen Unter- richt II, 210) ein unentbehrliches hilfsmittel ist. Ferner meine ich, dass das kri- tisch-ästhetische Verständnis deutscher dichtungen, welches Lehmann nach den einleitenden bemerkungen s. 48 gänzlich aus dem gymnasium ausschliesseu und auf die Universität veiT\'eisen will (auf der viele Studenten und lehrer noch weniger zeit und gelegenheit dazu finden als auf dem gymnasium, und bei gänzlich mangelnder Vorbereitung durch das gymnasiimi noch weniger finden würden!), in beschränkten grenzen sich sehr wol mit dem litteratui'geschichtlichen verbinden lässt. Bei der behandlung des einzelnen hält Lehmann selbst jene ausschliessung gar nicht conse- ijuent fest; auch er betont s. 19. 202 die klarlegung der wichtigsten dramaturgischen begriffe an der lektüre, und wird sich doch wol auch die lesuug von epischen, sowie von höheren lyrischen und elegischen dichtungen nicht ohne eine entsprechende erläu- teiimg denken. Ist aber in secunda ein gewisses Verständnis der grundbegiiffe von den poetischen gattungen gewonnen, so bieten doch in prima Lessings Laokoon und

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dramaturgie die beste gelegenheit zur Verarbeitung und auweuduug derselben. Auch bei diesen beiden werken ist ja der litterarhistorische Zusammenhang zu beachten; aber für die schule haben sie ihren hauptwert durch die in ihnen ausgesproche- nen algemeinen kunstansichten. Yon diesen kann aus dem Laokoon für den die schon auf secunda zu lesende, von Lehmann s. 269 sehr mit unrecht ausgewiesene abhaudlung über das wesen der fabel ^ die beste Vorschule bildet auf epische dich- tungen, aus den inhaltreichsten abschnitten der dramaturgie auf dramen jeder zeit reiche und fruclitbare anwendung gemacht werden. Eben deshalb aber würde ich in dem eigentlichen Lessingsemester nur den Laokoon, mit solchen besprechungen verbunden, vornehmen, die lektüre aus der dramaturgie aber für das folgende Seme- ster aufsparen. Dort kann sich au diese lektüre die besprechuug sowol Goethischer als Schillerscher dramen anschliessen und der Unterricht mit mcksicht auf die histo- rische folge weitergeführt werden. Ein solches verfahren habe ich bei widerholter anwendung nicht so verfehlt gefunden, wie Lehmann nach s. 249 es ansieht.

Über die deutschen schriftlichen arbeiten enthält Lehmanns buch vieles beachtenswerte und lehrreiche; aber auch vieles, was der erweiterung bedarf oder anfechtbar ist. Mit recht wird s. 164 fg. die Wichtigkeit kleinerer Übungen betont, die speciell die formale grammatische und stilistische fertigkeit befördern sol- len; sie können nach meiner meinung nicht nur in mitleren, sondern auch in oberen klassen die einförmige folge der grösseren terminarbeiten unterbrechen und in viel weiterer ausdehnung, als Lehmann angibt, angewant werden: wörtliche und freie Übersetzungen aus fremden sprachen in prosa und in versen, Umformungen latei- nischer oder griechischer satzreihen entweder in lauter kurze, coordinierte deutsche Sätze, oder auch in richtig und wohlklingend gebaute deutsche perioden; daneben besondere Übungen im deutschen periodenbau, wofür unsere klassiker (vgl. z. b. Goe- thes Werther am 10. mai, am 21. juni, am 18. august; Klopstocks öden an Ebert, an Fanny!) herliche Vorbilder, die älteren handbücher von Herling, Becker, Wurst, K. A. J. Hoffmann (unter den neueren Reichardt, Logik, Stilistik und rhetorik. Leipzig 1877) brauchbare anleitung bieten. Auch kleinere Übungen (wie einsetzung neuer oder den im lesestück vorliegenden synonymer beiwörter, vertauschung der adjectiva oder der adverbialen satzbestimmungeu mit nebensätzen) sind nicht zu verachten.

Die einteilung der aufsätze in darstellungen, entwickelungen und beurtei- lungen (s. 303. 306. 333) ist begriflich unklar. Eher lassen sich alle üblichen Schulaufsätze sowol die von Lehmann empfohlenen, als die von ihm (bisweilen recht vorschnell) verworfenen unter die drei rubriken: er Zählung beschrei- bung abhaudlung einreihen. In dieser folge treten die drei scharf zu sondern- den arten von aufgaben in die verschiedenen stufen des miterrichts natiirgemäss ein, beschreibung niclit vor tertia, abhaudlung nicht vor secunda; aber auch auf der obersten stufe sind jene beiden ersten mit höheren ansprüchen an ausdruck, anord- nung und Inhalt neben der abhaudlung nicht zu vernachlässigen.

Erzählung mid beschreibung (darstellung eines nach -einander in der zeit und eines neben - einander im räume unterschiede, die später bei Lessings Laokoon in in ihrer vollen Wichtigkeit erkant werden!) können gegeben werden 1) nach eigener erfahrung und anschauung; 2) nach dem aus der lektüre entnommenen. Als dritte quelle wurde vor 40 60 jähren wo manche lehrer jeden schüler zu einem Jean Paul, Tieck oder Andersen heranzubilden strebten häufig die eigene phantasie für

1) Ein ausgezeiclinetes hilfsmittol für den lolirer liietet die ausgäbe dieser Lessingsclien schrift durch F. Pro seh (Wien 1890).

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selbsterfundene geschicliteu oder Schilderungen herbeigezogen; dass Lehmann heute davon keinen gebrauch macht, wird man gewiss billigen. Aber ich werde wol nicht der einzige sein, der von der schrofheit überrascht ist, mit der Lehmann auch die erste quelle abweist, d. h. auf erzählung von selbsterlebtem (s. 177 fg.), auf beschreibung von seibstgeschautem (s. 180 fg.) für schüleraufsätze gänzlich ver- zichtet. Er verwirft sie speciell für tertia, weil den ihm bekantcn grossstädtischen Schülern die dazu notwendige fähigkeit der beobachtuug und gewaateu darstellung abgehe. Soweit dieses traurige testimonium paupertatis zutrift, solte es doch gerade auf einen mangel der bildung aufmerksam machen, den zu heben nicht am wenigsten die aufgäbe des deutschen Unterrichts ist, und zwar eine aufgäbe, die eben so sehr der erziehenden wie der unterrichtenden seite desselben angehört. Selbst bei einem einfachen schulspaziergange müssen sich belebendere und erzählenswertere momente finden lassen als die eingenommenen malalzeiten (s. 177); und wer sie nicht finden kann, der kann zunächst wenigstens dazu gebracht werden, dies als einen mangel seiner bildung anzusehen. Ausserdem wird der schüler der hauptstadt doch auch ausser den schulspaziergängen zeuge von Vorgängen, die sein gemüt mächtiger und lebhafter ergreifen müssen und deren eigene erzählung eine bildende aufgäbe nament- lich dadurch wird, dass er sich gewöhnt die zeitlichen Stadien des Vorganges zu son- dern (auch äusserlich durch absätze!), die erzählung zu gliedern und abzurunden, objektive erzählung und subjektives urteil und gefühlsäusserung zu unterscheiden. Ebenso fehlt es nirgends an grösseren und kleinereu gegenständen (seien es bilder, denkmäler, bauwerke, Strassen, platze oder landschaften) , an denen die fertigkeit der beschreibung geübt werden kann, wobei dann die aufzusuchenden, räumlich abge- grenzten teile den anhaltspuukt für die auch hier fest aufzustellende und zu befol- gende einteilung bieten. Aus dem anschauungsunterricht , den seminaristisch vor- gebildete lehrer auf den untersten klassen oft in ausgezeichneter weise erteilen, kann auch der gymnasiallehrer manchen wertvollen fingerzeig für seine methode entneh- men. Pädagogische mittel, um das vorhandene Ungeschick zu überwinden, sind: Vorbesprechung der gegebenen und zu hause überlegten oder im concepte entworfenen aufgäbe; gemeinsames aufsuchen der besten anorduung; nach einer mit eingehender anleitung des lehrers gemachten aufgäbe widerholung eines ähnlichen themas ohne viele anleitung; genaue korrektur, lesen und vortragen von guten mustern auch von gelungenen schüleraufsätzen. Dass ein schüler die arbeit des anderen vor anfer- tigung seiner eigenen lese, pflegt kein lehrer zu wünschen; austausch und verglei- chung der corrigierten aufsätze kann nur empfohlen werden. Warum soll man auch nicht einmal einen versuch mit wechselseitiger (mündlich vorzutragender) kri- tik machen dürfen? Bei freien vortragen (gegen die Lehmann s. 94 fg. eine nur die unverständigen Übertreibungen treffende polemik führt) halte ich eine anregung zu mündlicher kritik für selbstverständlich. Die briefform ist füi" erzählungen und beschreibungen nicht zu verschmähen, weil sie besonders deutlich macht, was der zweck der erzählung oder beschreibung ist, nämlich einem anderen die fehlende kent- uis oder anschauung diu'ch sprachliche mitteilung zu ersetzen. Wenn vielleicht nach manchen verfehlten versuchen einmal wirklich eine wol abgerundete erzäh- lung oder beschreibung gelimgen ist, so wird auch der grossstädtische schüler sie nicht unter seiner wüi'de halten und der lehrer nicht (wie Lehmann s. 178) fragen: was können die schüler für ihren stil wesentliches daraus lernen?

Die vorstehenden bemerkungen selten sich gegen die neigung Lehmanns rich- ten, den Stoff zu erzählenden und beschreibenden aufsätzen immer und ausschliesslich

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nur aus der lektüre zu nehmen-, dass diese auch zu solchen zwecken verwendet und dadui'ch in verschiedener weise durchgearbeitet wird, ist ganz angemessen. Das buch enthält nach dieser seite hin s. 188 fgg. 195 fgg. anregende und nützliche bemer- kungen. Vielleicht aber würde eine noch grössere heranziehung der prosalektüre (und zwar namentlich auch der altklassischen) für diesen zweck zu empfehlen sein. Wenn immer nur die deutschen gedichte und dramen ein wahrer Pegasus im Joche! den stoif zu schüleraufsätzen bieten, so liegt die gefahr nahe, dass ihre würde herabgesezt und ihr wahrer reiz veningert wird.

Auch beschreibungen können nach litterarischen quellen gemacht werden, indem man die in einem werke gegebenen andeutuugen über die beschaffenheit von gegenständen oder örtlichkeiteu sammelt und geordnet verarbeitet; Laas hat (D. Aufs.* s. 203 u. a.) diese art von aufgaben auch für die oberen klassen treflich behandelt, wähi'end Lehmann wenig von ihnen sagt. Nichts anderes als eine beschreibung nach litterarischen quellen aber ist natürlich auch die von Lehmann ausführlich behandelte Charakteristik. Diese aufgäbe ist aber, wenigstens wenn es sich lun die haupt- personen einer tragödie oder eines epos handelt, eine so schwierige (vgl. Laas D.Aufs. ^ 120), dass ich gegenüber der verliebe, welche Lehmann s. 307 fgg. für solche arbei- ten zeigt, meinerseits bedenken gegen ihre zu häufige anwendung aussprechen möchte. Es ist eine für schüler auch bei vorsichtiger anleitung nur annähernd lös- bare aufgäbe, das ganze eines grossen Charakters zu überschauen, die wesentlichen züge herauszufinden und angemessen geordnet darzustellen. Der von Lehmann s. 309 angegebene kunstgriff, eine besonders charakteristische äusserung zum ausgangs- und anhaltspunkt der Charakteristik zu nehmen, erleichtert natürlich die lösung, kann aber auch das urteil uugebühiiich binden; zumal wenn der lehrer diesen ausgangs- punkt nach seiner auffassung angibt, die bei Lehmann selbst eine recht subjektive zu sein scheint. Wie der s. 309 angeführte satz: es sind nicht alle frei, die ihrer ketten spotten ein zur Charakteristik des tempelherrn in Lessings Nathan besonders brauchbarer ausgangspunkt sein soU, gestehe ich nicht einzusehn. Für Teil oder Wallenstein könte man aus Schillers dramen eher zehn solcher ausgangspunkte finden als einen einzigen. Besonders schwierig aber wird die Charakteristik der hauptper- sonen einer modernen epischen oder dramatischen dichtuug dadurch, dass nicht fer- tige, sondern werdende, wähi'end der hancUung sich bildende und entwickelnde Charaktere vorgeführt werden. Hier sind also verschiedene Stadien zu unterscheiden und die aufgäbe wird , wenn sie wirklich gut ausgeführt wird , doch in eine historische entwicklung auslaufen müssen. Eben deshalb würde ich es vorziehen , lieber einzelne wichtige momente aus dieser entwicklung nach deutlich gestelter frage bearbeiten zu lassen; also z. b. nicht: Charakter der Jungfrau von Orleans, sondern etwa: weshalb schweigt die Jungfrau auf die anklage des vaters? usw. Wenn man aber bei der einmal beliebten form der Charakteristik bleiben wiU, dann sind lieber weniger aus- gemalte persönlichkeiten , als grosse und für den schüler schwer übersehbare zu wäh- len; Buttler passt besser für- einen schul eraufsatz als Wallenstein, Shrewsbury oder Faulet besser als Maria Stuart oder Elisabeth; Fandaros oder Thersites besser als Hektor oder Achilles, ßilligenswert sind die von Lehmann s. 314 vorgeschlagenen vergleichungen zweier personen; es ist in der tat nicht erschwerend, sondern erleichternd für den schüler, wenn man ihm ein gegenbild zum massstab und anhält gibt. Aufgaben dieser art, deren ich mich mit vergnügen erinnere, sind: Aeolus bei Homer mid Vergil; Telemachos und Goethes Hermann; Goethes Egmont und Schil- lers Fiesco; Goethes Egmont eine Siegfriedsnatur usw.

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Den oberen klassen allein zugehörig, für sie aber eine der wichtigsten auf- gaben des deutschen Unterrichts sind aufsätze, die eine gestelte oder zu stellende trage beantworten sollen, d. h. abhandlungen. Ich scheue mich nicht, diesen von Lehmann durchweg vermiedenen ausdruck auch von schüleraufsiitzen zu gebrauchen, weil das für die wissenschaftliche abhaudlung charakteristische merkmal: verständ- liche darleguug einer durch Untersuchung und nachdenken gewonnenen erkentnis, auch bei diesen arbeiten vorhanden sein kann und soll. In aller bescheidenheit kann und soll auch der schüler der oberen klassen ein bewustsein von der art und dem zwecke solcher arbeiten haben; nicht mehr aber auch nicht weniger, als wenn er durch den beweis eines mathematischen lehrsatzes sich crkentnisse neu aneignet, die grosse matiiematiker vor ihm durch dieselben gedankenoperationen zum ersten male gefunden haben. Laas hat in seinem buche über den deutschen aufsatz an vielen leichter oder schwerer zu lösenden aufgaben vortreflich gezeigt, wie die in dem thema liegende Schwierigkeit (aporie) klar gelegt wird und wie aus der einsieht, dass die hebuug dieser Schwierigkeit, die beantwortung der gestelten frage der mühe und arbeit wert sei, das freudige streben erwächst, in ehrlicher arbeit ein resultat zu gewinnen. Diese einsieht und die bescheidene freude an einem so gewonnenen resul- tat ist die beste und für die Wissenschaft wie für das leben wertvolste mitgäbe, die auf intellektuellem und zugleich auf sitlichem gebiete das gj'mnasium seinen Zöglin- gen mitgeben kann. "Wenn der s. 137 aiifgestelte gruudsatz, dass schülerarbeiten überwiegend reproduktiv zu halten seien, in dem sinne verwertet wird, dass auch Schüler oberer klassen nicht das bewustsein eigenen strebens nach solchen zielen gewinnen sollen, so protestiere ich gegen diesen grundsatz. Jedesfals hat Lehmann, wenn aiich manche aufgaben der geschilderten art in seinem buche vorkommen, ihren eigentümlichen wert nicht so entschieden betont und auch im einzelnen (s. 333 u. a.) nicht so fruchtbare anleitung zur auffinduug und auordnung des Stoffes gegeben, wie sie an vielen stellen bei Laas DA. zu finden ist; und doch ist eine solche anleitung ungemein wertvoll. Wenn auf klare disposition der aufsätze kein wert gelegt wor- den ist, so lassen sich die folgen im späteren leben der schüler oft genug erkennen; sowol Seminar- und examenarbeiten der candidaten, als auch gedruckte buch er der herren Schriftsteller geben dafür unerfreuliche beweise.

Auch die von Lehmann s. 320 fg. hübsch behandelten begrifsbestimmungen, sowie die von ihm s. 72 fg. gering geschäzten aufsätze über Sentenzen sind natürlich ebenfals abhandlungen in dem angegebenen sinne, da umfang und Inhalt eines begrifs, geltung und anwendbai'keit eines Satzes untersucht und an beispielen dargelegt wer- den sollen. Lehmann will für- diese aufgaben eine beschränkung durchführen, die in einzelnen fällen brauchbar und nützlich sein mag. Er will die zur darlegung gewähl- ten beispiele stets auf ein bestimtes litteraturdenkmal einschränken und gibt nament- lich für die begrifsbestimmimgen sehr hübsche und mit verliebe ausgefühi-te beispiele s. 81. 321 fg. Wenn diese gebiete aber bisweilen so weit gefasst sind wie in dem s. 327 behandelten beispiele („Von der gewalt, die alle wesen bindet, befreit der mensch sich, der sich überwindet'' zu veranschaulichen aus dem griechischen und dem deutschen volksepos), so sehe ich nicht ein, warum die wähl von belegenden beispielen aus den dem schüler bekanteu teilen der geschichte und kirchengeschichte , ja auch aus eigenen erfahrungeu gänzlich ausgeschlossen bleiben soUen. Der Zerstreuung oder ratlosigkeit kann durch Vorbesprechung des Stoffes vorgebeugt werden.

Der mündlichen korrektur der. aufsätze gibt Lehmann zu wenig ausdeh- nung (s. 300). An die gesamtbesprechung der eingelieferten aufsätze (s. 196. 301)

ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXTV. 27

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kann sich sehr wol auch eine besprochung der einzelnen bei der rückgabe in einer weise anschliesseu, an der nicht nur der unmittelbar beteiligte, sondern auch jeder zuhörende etwas lernen kann; und wenn dafür nicht die ganze stunde hindurch die aufmerksamkeit gefesselt werden kann warum sollen nicht einige arbeiten beim beginne jeder stunde zurückgegeben werden? Ich habe dies verfahren immer bewährt gefunden. Es hat mir stets widerstrebt, nach kurzer algemeiner besprechung die sämtlichen aufsätze in die klasse zu werfen ohne anderen als schriftlichen verkehr mit dem einzelnen Schüler. Wenn die schülerzahl es irgend gestattete, habe ich über jeden aufsatz (ich habe mehr als 6000 korrigiert) mit dem Verfasser wenigstens einige worte gewechselt.

Die von Lehmann s. 302 empfohlene privatbesprechuug ausser der schule ist natürlich höchst wertvoll, aber sie wird sich aus rücksicht auf die zeit der lehrer und Schüler doch nur in vereinzelten fällen ausführen lassen.

Was Lehmanns buch über die Unterweisung in deutscher grammatik und Stilistik enthält, ist nicht besonders reichhaltig. Auch Laas hatte diese Seite des deutschen untenichts erst in zweiter linie berücksichtigt, aber z. b. über bekämpfung unrichtiger und geschmackloser Wendungen D. U. ^ s. 140 146 eingehend gesprochen. Mit recht erklärt sich Lehmann s. 101 mit Wilmanns gegen die auflösuug dieses Unterrichts in lauter gelegentliche bemerkungen; einen streng systematisch vorgehen- den, docierenden Unterricht wünscht er auch nicht; so bleibt also nur der mittelweg übrig, für jedes halbjahr oder Vierteljahr ein dem bedürfnis und Verständnis der Schüler entsprechendes pensum zu bestimmen, das nicht nur bei gelegentlichen erläu- terungen vorzugsweise zu beachten, sondern auch durch besondere besprechung und Übung (mit wesentlich heuristischer methode) den Schülern praktisch vertraut und theoretisch verständlich zu machen ist. Die s. 106 gemachten vorschlage für die fest- setzung solcher pensen sind aber anfechtbar, namentlich auch wegen ihrer lücken. Aus der ganzen sj^ntax wird nur die lehre vom tempus und modus (nebst der indi- rekten rede) erwähnt, und zwar ohne dass Lehmann mit den neueren wissenschaft- lichen erörterangen dieser gegenstände vertraut zu sein scheint. Ausserdem wird nur mit der bemerkung (s. 102), dass die grundzüge der syntax dem deutschen mit dem lateinischen und griechischen und den tochtersprachen der erstgenanten gemeinsam seien, auf den vergleich mit diesen im fremdsprachlichen Unterricht hingewiesen. Auch in anderen gebieten (casuslehre, gebrauch der adjectiva, wortsteUung und -beto- nuug u. a.) finden sich doch sehr wesentliche eigentümlichkeiten des deutscheu, die besonderer einübung und besprechung oft genug bedürfen. Die vorhandenen neueren lehrbücher sind freilich (vgl. Lehmann s. 103) für diese zwecke oft sehr ungenügend; doch ist in den älteren werken von Kehrein, Vernaleken, Koch, K. A. J. Hoff- mann vieles lehrreiche zu finden. Unter den elementar gehaltenen hilfsmitteln ist reichhaltig und vielfach brauchbar das so eben erschienene hilfsbuch für den deut- schen Unterricht von A. Matthias (Düsseldorf 1892). Über die einteilung und benennung der nebensätze verweise ich auf meinen aufsatz in der Zeitschrift füi- deutschen Unterricht I, 157. Die einrichtung stilistischer Übungen habe ich schon oben s. 414 berührt.

Das Verhältnis des deutschen untemchts zur historischen Sprachwissen- schaft wird ausführlich besprochen s. 112 124. Vorgermanische Sprachgeschichte komt nicht in betracht; die verwantschaftsverhältnisse der indogermanischen sprachen und die erste germanische lautverschiebung gehn die deutschen lehrstunden weniger an als die fremdsprachlichen, und diese haben eher zeit dafür. Eine kurze orien-

ERDMANN, ÜBER LEmiANN, DEUTSCHER UNTERRICHT 419

tieruug über die deutschen dialekto und über die geschichte der Schriftsprache ist in oberen klassen bei besprechung der älteren litteraturperiode wol angebracht. Über die frage nach der betreibung mittelhochdeutscher lektüre hält Lehmann sein eigenes urteil etwas zurück; ich lialte es für ebenso ausführbar als lohnend, in einer der oberen klassen etwa 500 Strophen aus dem Nibelungencpos und etwa 20 lieder und Sprüche Walthers im original zu lesen. "Wenn dies geschieht, wie es vor 1882 auf vielen preussischen gymnasien ohne überbürdung und mit regem' anteil der leh- rer und schüler geschah, so gewint man erstens durch die mit eindringendem Stu- dium des einzelnen verbundene lektüre eine tiefer begründete und fester haftende Vertrautheit mit dem inhalt dieser dichtungcn, zweitens durch die einführung in einen kleinen festen bestand von rahd. sprach- und Verslehre einen anhält, an den sich bei der beständig entgegentretenden vergleichung mit dem gegenwärtigen ge- brauche ohne Schwierigkeit wertvolle sprachgeschichtliche kentnisse und ausblicke auschliessen lassen. Soll es bei der 1882 leichter band verfügten ausschliessung die- ser Studien aus dem preussischen gjnnnasiam bleiben, so tut man besser, die lektüre aus dem Nibelungenepos nach obertertia zu verlegen luid auf der Oberstufe bei der litterargeschichtlichen Übersicht auf die dort gewonnene algemeinc keutnis des Inhalts zuriickzugreifen. Lieder und spräche Walthers solte man ohne mitteilung des origi- nales lieber gar nicht lesen, weil hier form und inhalt noch enger zusammenhängen als beim epos und jede Übersetzung ein ungenügendes, eine freie bearbeitung aber ein verfälschtes bild gibt.

Verslehre und poetik werden s. 32 fg. nui' ganz obei-flächlich berührt, wobei aber der Verfasser doch gelegenheit nimt, über ein von dem seinigen abweichendes verfahren sich mit unberechtigter schärfe zu äussern. Wenn KUopstocks öden gelesen werden, so ist es nach meiner meinung selbstverständlich, dass auch ihr versbau berücksichtigt wird, und das müste in sehr im vernünftiger weise geschehen, wenn es wirklich als „sonderbare verirruug" bezeichnet zu wei'den verdiente. Unter den erör- terungen und vorschlagen für philosophische Propädeutik s. 338 387 ist vie- les beachtenswerte; doch wird hier wol noch mehr als bei anderen aufgaben des deutscheu untenichts der individuellen freiheit, neigung rmd Vorbildung des lehrers Spielraum gelassen werden müssen.

Auf die fragen der Schulreform und der durch sie etwa herbeizuführenden äuderungen der lehrpläne geht Lehmann- direkt nicht ein. Es ist aber klar, dass ein nach seiner meinimg intensiv imd eifiig gegebener deutscher untemcht bei einer bescheidenen vemiehrung der Stundenzahl (3 statt wie bisher 2 wöchenthche stunden in den mitleren klassen) nur gewinnen kann, indem dann für stilistische Übungen, widerholung und Vertiefung der lektüre, vortrage, dispositiousübungen mehr zeit übrig bliebe, auch ohne dass der umfang der lehrpensa erweitert würde. Viel wichtiger freilich als eine immerhin wünschenswerte kleine Vermehrung der stundenzalü ist freiheit von häuslicher frohnarbeit, wie sie in regelmässigen zeitraubenden praepara- tioneu oder geschichtsausarlieitimgeu hier und da noch verlangt wird. Solche über- bürdung raubt mittelbar auch dem lehrer des deutschen die Vorbedingungen für die besten erfolge seiner tätigkeit, nämlich offene auffassungskraft imd bereitwilligkeit zu eigener, mit almählich zunehmender Selbständigkeit gemachter geistiger arbeit.

Zum Schlüsse erkenne ich nochmals an, dass ein grosser teil von Lehmanns ausführangen lehrreich und wertvoll ist, und stimme namentlich der in der vor- rede s. ni fg. enthaltenen angäbe der ziele des deutschen Unterrichts aufrichtig bei.

KIEL. 0. ERDMAXN.

27*

420 CARNUTH, ÜBER COSACK , HAMBURG. DRAMATUEGIE

Materialien zu Lessings Hamburgischer dramaturgie. Ausführlicher kom- mentar nebst einleituug, anhang und registern zusammengestelt von Wilhelm Cosack. Zweite vermehrte aufläge. Paderborn, P. Schöningh. 1891. 460 s. 4,80 m.

Die neue ausgäbe des dankbar aufgenommenen buches stimt, weil von der für den praktischen gebrauch allerdings wünschenswerten Verbindung mit dem texte auch diesmal abgesehen werden muste, äusserlich mit der ersten volständig überein und verfolgt auch dieselben grundsätze. Sie wendet sich getreu dem gewählten motte: „"Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen" nach wie vor an möglichst weite leserkreise und möchte jedem einzelnen das gewähren, was er zum richtigen Ver- ständnis der Hamburgischen dramaturgie gebraucht. Dass dies dem umsichtigen und verdienstvollen Verfasser in vollem masse gelungen ist, braucht nach den eingehen- den anerkennenden besprechungen des buches von Grosse im Archiv für litt. -gesch. VIT, 390 406 und Kummer in der Zeitschrift für die österr. gymnasien 1879, 2. heft, sowie nach den kritiken in der Jenaer Litteratur-zeitung 1887 nr. 5 und im Zarncki- schen Litterarischen centralblatt 1887 nr. 23 hier nicht noch wider des längeren aus- geführt zu werden. Hervorzuheben aber ist, dass der Verfasser seine zweite ausgäbe mit recht als eine vermehrte und verbesserte bezeichnet, da er sich überall bemüht hat, die inzwischen auf dem gebiete der Lessing-litteratui- erschienenen wertvollen arbeiten für seinen kommentar zu benutzen imd denselben, soweit als ii'gend mög- lich, zu vervolständigen und zu berichtigen. So wird jezt das neu aufgefundene schäferspiel von Pfeffel „Der schätz" (Fi-ankfurt a/M. 1761 bei Garbe) seinem Inhalte nach s. 101 besprochen. Zurückgenommen wird s. 28 die behauptung, dass die ergänzung von Cronegks Olint und Sophronia durch Eoschmann nie im druck erschienen sei; s. 181 steht der richtige titel des Stückes von Marivaux „la double inconstance" (nicht wie früher „la double inconstance ou le fourbe puni"). Vervolstän- digt und bis auf die neueste zeit fortgeführt ist die litteratur der katharsisfrage s. 394 fgg. Die spräche Lessings und ihre eigentümlichkeiten besonders in bezug auf den Wortschatz sind stets berücksichtigt; demzufolge ist dem buche ein drittes register „Sprachliches" hinzugefügt. S. 423 ist eine abwehr gegen dr. Albrecht, Lessings plagiate eingefügt. Die jezt übliche Schulorthographie hat der Verfasser in seinem kommentar durchgeführt, citate aus Lessing jedoch nach dessen Schreibweise und zwar unter benutzung der Lachmann -Maltzahnschen ausgäbe widergegeben, was sicher zu billigen ist.

DANZIG. 0. CARNUTH.

Gulielmus Gnapheus, Acolastus. Herausgegeben von Joh. Bolte. Berlin 1891. XXVIl u. 83 s. (Lat. litteraturdenkmäler des XV. und XVI. Jahrhunderts her- ausgegeben von M. Herrmann und S. Szamatölski. L) 1,80 m.

Mit diesem hefte ist die von zwei strebsamen jungen gelehrten veranstaltete samlung hervorragender werke der lateinischen litteratur des 15. und 16. jahrhimderts eröfnet worden. Das unternehmen hätte sich in der tat nicht besser einführen können; denn Joh. Bolte gehört zu den eifrigsten und gründlichsten forschern auf dem gebiete der renaissance und des humanismus und steht wol wegen seiner umfas- senden kentnis der in - und ausländischen bibliotheken allen voran. So darf das erste heft als eine musterarbeit gelten, zumal da auch die von den herausgebern der sam- lung aufgestelten grundsätze in der bearbeitung der betreffenden druckwerke sorgfäl-

HOLSTEIN, ÜBER LAT. LITT. - DENKMÄLER DES 15. UND 16. JH. 421

tig beobachtet sind. Auch kann man die wähl des Stoffes für dieses erste heft als eine glückliche bezeichnen, denn der Acolastus des Gnapheus gehört zu den besten erzeugnisson der lateinischen schauspiellittoratur und erlangte im laufe der zeit eine geradezu kanonische bedeutung.

In der einleitung, die Bolte vorausschickt, zeichnet er in wenigen strichen die entwicklung des humanistischen dramas auf italienischem und deutschem boden und nent die hauptvertreter dieser richtuug bis zum eintritt des Gnapheus. Dieser mit einer kurzen aber treffenden Charakteristik verbundene exkm-s macht den wünsch rege, dass der Verfasser sich zur abfassung einer geschichte des humanistischen dra- mas entschüessen möchte.

Von s. IV an folgen bcmerkungen über die anläge des stückes ; in einem schema wird die wol überlegte Ökonomie desselben nachgewiesen. Die nachweise der durch- weg bedeutungsvollen personennamen aus Plautus, Terenz, Horaz, Plato und Aristo- teles (s. VI) zeugen von guter philologischer Schulung. Neu ist, dass die äussere einrichtung dos Stückes auf dem antiken traktate de comoedia beraht (s. IX) , interes- sant die bemerkung über die einführung der chorlieder am aktschlusse. Die zweite abhandlung E. v. Liliencrons (s. IX anm. 2) handelt nicht, wie man vermuten möchte, von den horazischen metra in den kompositionen des 16. Jahrhunderts, sondern direkt von den chorgesängen des lateinisch - deutschen schiüdramas. (Hier sagt v. Liliencron s. 319 irtümhchenveise, dass Gnapheus den Acolastus schon 1525 geschrieben habe.) Die mitteilungen, welche Bolte über die person des autors macht (s. XI und XII), sind volständig ausreichend, die verweise auf die biographische Utteratur genügend. Auch die nachgeschichte des Werkes, der einfluss auf die litterarische produktion ist in befriedigenderweise dargestelt, von Übersetzungen werden drei deutsche, je eine eng- hsche und französische angeführt. In einem von gi'osser Sorgfalt zeugenden exkurs (s. XVI XXIV) lernen wir die von Gnapheus benuzten stellen antiker autoren ken- nen: Terenz überwiegt, aber Plautus ist nicht ausgeschlossen; auch des Erasmus grosse sprichwörtersamlung ist benuzt. Zur praef. 2, 17 hoc enim onere dudum levari opto möchte ich an Cic. de sen. 1, 2 hoc enim onere . . et te et me ipsum levari volo erinnern.

Die bibliographie (s. XXIV XXVII) weist 47 ausgaben nebst einer hand- schrift vom jähre 1587 auf. Aus dieser zahl lässt sich ein schluss auf die weite Verbreitung des Acolastus machen. Die ausgaben hat Bolte meist selbst eingesehen, wie man aus der hinzugefügten bogenzahl sieht; ich glaube, dass der wert dieser angaben nicht im Verhältnis zu der angewanten mühe steht, da es doch ziemlich gleichgiltig ist, ob eine ausgäbe 4% oder 4V2 oder 473 bogen zählt. (Das Bremer exemplar nr. 8 zählt SYg bogen.) Rechnet man die exemplare der Binderschen Über- setzung hinzu, so hat Bolte zum nachweis der von ihm angeführten exemplare nicht weniger als 46 bibliotheken benuzt, darunter 17 ausländische. Welcher aufwand von zeit, mühe und kosten zur aufsteUung der bibliographie gehört hat, weiss nur der zu beurteilen, der sich einmal in gleicher weise versucht hat. Und dabei wird die ange- strebte volständigkeit doch nicht erreicht: so findet sich beispielsweise ein exemplar der Brylingerschen dramensamlung (nr. 23) auch in Meiningen; und doch möchten wir die bibliographie nicht missen, zumal da sie recht interessante mitteilungen über drucker und druckersignete liefert, vgl. nr. 1 und 22. (Das sprachband in di'ucker- zeichen des Joh. Gymnicus hat in Eeuchlins Comoediae duae v. j. 1534 in majuskeln lustitiam, nicht lusticiam.) Auch das erfahren wii" aus der bibliographie, dass Gna- pheus schon 1532, 1536 und 1543 eine durchsieht des textes (editio recognita) vor-

422 HOLSTEIN

nahm, obschon es nicht ausgemacht ist, dass die ausgaben von 1536 und 1543 nur ein abdruck der ausgäbe von 1532 sind. Eine völlige Überarbeitung ist die ausgäbe von 1555, aber sie erlangte keine Verbreitung.

Die beiden photographisoheu nachbildungen des titeis und des buchdruckerwap- pens bilden einen treflichen schmuck des auch sonst prächtig ausgestatteten werkes. Was den text betrift, so ist mit recht die editio pi-inceps zu gründe gelegt worden. Unter dem texte sind die abweichimgen von dieser angegeben; es sind meist druck- fehler; v. 174 und 176 sind lesarten der ausgäbe von 1555 aufgenommen; öfter sind griechische Wörter, die in lateinischer schrift gedruckt waren, mit griechischen let- tern widergegeben. Die änderung non tetuh v. 539 in detuli kann ich nicht billigen, zumal da s. XX die stelle selbst als Ter. Andr. 807 nachgebildet angegeben wird. Von druckfehlern habe ich nur s. XVI z. 2 v. u. lingna bemerkt, und v. 1142 ist Eam maculam zu lesen (st. Eamma culam).

Die herausgeber und der Verleger werden sich in der erwartung nicht täu- schen, dass ihr unternehmen, das mit der in jedem betracht vortreflichen erstlings- gabe nunmehr ins leben getreten ist, bei allen freunden der renaissance - litteratiu* ungeteilten beifall und fremidliche aufnähme finden wird.

WILHELMSHAVEN. H. HOLSTEIN.

Eckius dedolatus. Herausgegeben von Siegfried Szamatolski. Berlin, Speyer und Peters. 1891. XV und 52 s. (Lat. litteratur-denkmäler des XV. und XVI. Jahr- hunderts herausgegeben von M. Herr mann und S. Szamatolski. IL) 1 m. Der Eckius dedolatus wird mit recht zu den bedeutendsten Schriften der gan- zen humanistischen zeit- und streitlitteratiu' gezählt Er ist ein hieb des humanismus auf den scholasticismus in form einer persönlichen Satire, die sich gegen Johann Eck, den hauptvertreter des scholasticismus, richtet. Bekantlich schrieb sich der Ingol- stadter Professor nach der Leipziger disputation den volständigen sieg zu und Hess sich von seinen freunden als Sieger begrüssen und feiern. Früher humanistischen bestrebungen zugetan, ein begeisterter freund der schönen Wissenschaften, deren Stu- dium er der in Unwissenheit versunkenen geistlichkeit angelegentlich empfahl, hatte sich Eck almählich auf die Seite derer begeben, welche in Luther den feind der kirche und den Zerstörer der bestehenden Ordnung sahen. Dagegen bewiesen Luthers freunde die gröste teilnähme. Lazarus Spengler erklärte sich in seiner Apologia für Luther; und der Verfasser des Eckius dedolatus gab der Verachtung Ecks in einer Satire ausdruck, welche die ganze derbheit und leidenschaft jener zeit zui' darstel- lung bringt.

Der herausgeber hat durch Veranstaltung eines neudrucks allen einen grossen dienst geleistet, zumal da Böckings neudruck in der grossen Hütten - ausgäbe nur schwer zugänglich ist und ausserdem, wie Szamatolski nachweist, in kritischer hin- sieht viel zu wünschen übrig lässt. In der einleitung spricht Szamatolski von den Vorbildern, die der Verfasser hatte, sowie von den quellen der fabel, und gibt eine kurze aber treffende Charakteristik der hauptpersonen des dialogs. Von besonderer Wichtigkeit ist weiterhin der hin weis, dass der Verfasser nicht Wilibald Pirkheimer, dem das werk seit Riederer fast widerspruchslos zugeschrieben worden ist, sein kann; vielmehr ist die autorschaft wahrscheinlich auf Matthäus Gnidius in Basel zurückzu- führen, wie schon A. Jung und Goedeke behauptet haben. Der strikte beweis dafür kann freilich noch nicht geführt werden, aber in den von Szamatolski gefundenen

ÜBER LAT. LITT. - DENKMÄLER DES 15. UND 16. JH. 423

spuren liegt vielleicht der ausgangspunkt für die ontdeckung des bisher unbekanten hervorragenden Satirikers. Dagegen ist die von der Pirkheinierforschung nicht beach- tete Oratio Eckii dedolati ad caesaream maiestatem vom jähre 1530, welche der her- ausgeber im anhang gibt, mit recht als ein werk Pirkheimers anzusehen. Sie ist übrigens nur in einem Müucheuer exemplar erhalten. Vom Eckius dedolatus sind fünf ausgaben vorhanden. Das gegenseitige Verhältnis derselben wird genau erörtert. Zu gründe gelegt ist der toxt der ersten ausgäbe, aber die abweichungen der anderen ausgaben werden ebenfals bekant gegeben. Das titelblatt der ersten ausgäbe ist in phototypischer nachbildung widergegeben. Der text selbst ist durchaus korrekt, die ausstattung des heftes höchst geschmackvoll.

WILHELMSHAVEN. H. HOLSTEIN.

Thomas Naogeorgus, Pammachius. Herausgegeben von Johannes Bolte und Erich Schmidt. Berlin, Speyer und Peters. 1891. XXVI und 151 s. 8. (Lat. litteraturdeukmäler des XV. und XVI. Jahrhunderts. Herausgegeben von M. Herr- mann und S. Szamatolski. III. 2,80 m.

In Thomas Naogeorg (Kirchraayer) , dem bedeutendsten tendenzdramatiker der reformatiünszeit, erhob sich einer der tüchtigsten und wuchtigsten streiter, die das drama als waffe gegen die kirche Eoms benuzt haben. Und gerade der Pammachius, sein erstes drama, geisselt wie kein anderes mit aristophanischem spotte das papst- tum mit seinen vielen irtüraern und durfte in der neuen rüstig fortschreitenden sam- lung nicht fehlen. Die beiden herausgeber haben sich, namentlich Schmidt in sei- nem ausführlichen artikel in der Allg. deutschen biographie (23, 245), bereits als tüchtige kenner der dramatik Naogeorgs vorteilhaft bekant gemacht. Eine tüchtige Vorarbeit bot bereits Scherer in der Zeitschrift für deutsches altertum (23, 190), nachdem Gervinus den grossen pamphletisten zuerst in die geschichte der deutschen dichtung eingeführt hatte. Die einleitung gibt zunächst kurze biographische noti- zen über Naogeorg, dessen tod nach einer Untersuchung A. von Weilens wahrschein- lich in das jähr 1578 zu setzen ist, während bisher das jähr 1563 als todesjahr galt. Auch erhalten wir eine knappe aber ausreichende Übersicht über Naogeorgs littera- risches wirken, wobei eine treffende Charakteristik der einzelnen dramen und son- stigen Schriften gegeben wird. Sodann werden die drei drucke des lateinischen Ori- ginals und die czechische Übersetzung von 1546 bekant gemacht und Naogeorgs auf- nähme und Wirkung in England besprochen. Zidezt folgt und darin liegt der Schwer- punkt der einleitung eine eingehende vergleichende Charakteristik der vier deut- schen Übersetzungen, als deren ergebnis sich herausstelt, dass der übersetzimg des Justus Menius vor den beiden anonym erschienenen der vorrang gebührt, während Johann Tyrolffs Übertragung dem werte nach die lezte stelle einnimt. Als das ergeb- nis einer neuen Untersuchung darf noch angemerkt werden, dass der Theomachus des brandenburgischen diakonus Georg Bömiche, der bisher nur dem titel nach bekant war und jezt in einem exemplare der stadtbibliothek zu Danzig (vermutlich von Bolte) aufgefunden worden ist, nichts weiter ist als eine freie aber sehr gelungene Übersetzung des Pammachius. Der text des Pammachius ist nach der ersten aus- gäbe von 1538 von Bolte besorgt worden und empfiehlt sich wie die vorangegangenen hefte dm'ch korrektheit und geschmackvollen druck.

WILHELMSHAVEN. H. HOLSTEIN.

424

MISCELLEN.

„In bns correptam".

Die anfrage, welche ich ini ersten hefte dieses Jahrganges (s. 42) gestelt hatte, ist nicht unbeachtet geblieben. Ich habe für Zuschriften von verschiedenen selten mit mannigfachen anregungen hier dank abzustatten. Eine vermehrang des materials durch nachweisung der gleichen redensart auch in den Schriften anderer als Luthers ist bisher freilich nicht erfolgt. Doch kaim ich selber zu den beiden von mir nach- gewiesenen stellen (Erl. ausg. 24^, 363 und 61, 282) noch 61, 104 nachtragen, wo Luther von Erasmus sagt: „ist gestorben wie ein Epikui-er, ohne einigen diener got- tes und trost, ist gefahren in Bus cor7~ept&m"'. [So lesen die alten drucke, nach Eörstemann, Tischreden III, 416, während Förstemann und ihm folgend die Erl. ausg. in „con'eptMm" verändern, gemäss der hallischen lat. tischredenhandschiift (Bindseil, CoUoquia I, 275): Ist gefaren in Bus correptum'^. Eebenstock, CoUoquia I, 193'' liest dagegen: „Obijt in bus correptam'^.] Aber verschiedene vorschlage zur erklä- nmg des wunderlichen Bus sind mir zugegangen.

Abgesehen von einer Vermutung von Sander in Wittenberg, welcher bus aus falscher lesung einer abbreviatur von hrebius erklären möchte, greifen die erkläiimgs- versuche entweder zu abyssus (mhd. abiss z. b. bei Hermann Damen V, 4. MSH.

3, 167) oder zu Erebus. So erinnert Sievers in Halle daran, dass Erebus in alten grammatiken ein besonders beliebtes exempel für syUaba correpta sei. Kluge in Jena ninit bus für Verkürzung von abyssum, also in abysstmi correpta7n, und verbindet damit die frage, ob nicht der dunkle y,nobiskratte"' in DWB. VII, 864 {in nobis- kratten kommen =: der höUe zufahren) aus in bus correptmn zu erklären sei. Th. Siebs in Greifswald erinnert dazu an die in Nordwestdeutschland noch jezt häufigen nobiskrüge = höUenschenken, vgl. Grimm Myth. 11, 766. Einen ganz andern weg weist uns Ignaz Zingerle, der an bus, ital. bugio, altspan. buso = loch, höhle erinneii und (vgl. Christ. Schneller, TiroUsche namensforschungen, Inns- bruck 1890 s. 66) darauf aufmerksam macht, dass bus in dieser bedeutimg noch jezt, wenn auch selten, im deutschen Etschthal vorkomme; in Wälsclitii'ol el bus delle strie = hexenloch.

Die meisten dieser erkläruugsversuche lassen das „correptam" zweifelhaft. Gehört es in der den grammatikern geläufigen bedeutung von corripere = verkürzen zu bus, woran Sievers offenbar denkt? Oder steht es in der gewöhnüchen bedeutung ergreifen, wobei als objekt der handlung die seele des von der Verwünschung betroffenen zu denken wäre? Dann wäre der ausruf elliptisch etwa für: in bus [= abysstim] deducite animam correptam oder (verschlag von Th. Siebs) für: 0 ani- m.a/m in bus \= abyssum] correptam!

Mir scheint allein Sievers uns auf die richtige fährte zu weisen. Es sind mir jüngst lateinische grammatiken des 16. Jahrhunderts durch die bände gegangen, welche mir keinen zweifei damber lassen, dass diese euphemistische benennung der höUe aus der lateinischen grammatik stamt und zunächst als schul er witz verstan- den werden will. Nicht allein, dass angaben wie folgende: „genit. sing. [3. decl.] desinit in is correptam. [seil, syllabam]" ganz geläufig sind (z. b. Lucas Lossius, Euchiiidion parvulorum Witeb. 1549 bl. R**); sondern wir begegnen anch tabellen über die quantität der endsilben in den verschiedenen declinationen , die in der 3.,

4. und 5. declination mit „Ablativus in bus correptam'' endigen, so z. b. bei

MISCBLLEN 425

C. Bornerus, Analogia, hoc est declinandi et coniugandi formulae, Lipsiae 1539 bl. BS**, Fiiij'', F7*. Offenbar staint diese bozeichnung: [dcsinit] in . . correptam [syllabam] aus einer alten, langjährigen Schulpraxis. Da ist wol denkbar, dass „in bus correptam" als leztes in der reihe launige bezeichnung des lebensendes wurde; oder aber es ist mögiic-h und wenn ich Sievers recht verstehe, auch tatsächlich durcli alte graiinnatiken bclegbai- , dass eine schultal)ollc, welche überhaupt die quantität der endsilben docierte, zu „in bus correptanr' als beispiel Erebus auf- führte und so jene scherzhafte bezeichnung hervorrief.

KIEL. G. KAWERAU.

Zum Düdescheu Sclilömer.

Sprenger hat Nd. jahi'b. 15, 93 mit anderen stellen des Rchlöuier v. 4706 fg.:

Darvan hefft ray Christus eutfryet,

Dat unschuldige Gades-Lam,

Dat der Werldt Sund droech und wechnam,

"SYelcks Godt vorheteii Abraham,

Vor my goffert am Ci'utzesstam. besprochen. Wenn er die richtigkeit der Überlieferung anzweifelnd schreiben will:

Dat unschuldige Gades-Lam, dat droech

Der AYerldt Sund und woch imd imter berufung auf Minnesangs frühling 140, 24 wocli zur substantivisch gebrauchten interjection macht, so lässt sich die Vermutung nicht unterdräcken , dass er die zweite silbe von wechnam, die in Boltes text wie im alten druck hinter v. 4709 eingerückt ist, volständig übersehen hat. Gegen seine ändenmg hätte Spren- ger schon der umstand einnehmen müssen, dass der erste seiner verse 10, der zweite 5 Silben zählt, während der dichter ziemlich streng an seinem achtsilbner festhält. Dasselbe verspaar erscheint übrigens schon im Fall Adams und Even Bl. Mvj^:

Selig ist, der geleubet fast.

Das lesus unser Heiland sey.

Der uns machet von sunden frey.

Und das recht wäre Gottes -Lamb,

Das der Welt sünd trug imd wegnam.

Der auch zu Even und Adam

Sichtlich zu trost auff Erden kam. Yierreim liegt hier wie im Schlömer vor.

BERLIN. HERMAN BRANDES.

Noch etivas zur erklärung Luthers.

Über den von mir s. 40 dieses bandes besprochenen ausdruck „Quecksilber in den teich werfen" hat mir herr prof. Ignaz Zingerle die folgenden bemer- kungen freimdlichst zugesant. Auf meine frage, ob er sie nicht in dieser Zeitschrift verölfentUchen wolle, hat er mir anheimgestelt , dies selbst zu tun. Dankbar teüe ich hier seine worte mit.

„Ich erlaube mir, bei „Quecksilber in den teich werfen'" auf folgende meinun- gen des volkes in Tirol zu verweisen: 1) Wenn man quecksüber in das wasser wh'ft, so begint es zu wallen und zu sieden und lässt wölken (also gewitter) wie rauch auf-

426 MISCELLEN

steigen. 2) "Wenn man quecksUber in brunuen wirft, wallen sie aiif und dann ver- siegen sie, weil das quecksilber immer tiefer in die erde frisst, und es macht, weil es immer weiter frisst, muhren^ Eine diesbezügliche sage steht in meinen Sagen aus Tirol (2. aufläge) s. 155 nr. 255, vgl. die anmerkung dazu s. 625, wo auf Bir- linger, Yolkstümliches aus Schwaben I, s. 38; Sepp, Altbairischer sagenschatz s. 350; Eochholz, Aargauer sagen I, s. 42. 110 verwiesen wird".

Der gröste teil der hier genanten litteratur steht mir in Halle nicht zu geböte. Doch wird es hier schon genügen, die in dem genanten werk Zingerles s. 155 ent- haltene sage vorzuführen: „Am Küchclberg bei Meran lagen einst schöne Weinberge mit einer quelle, an deren köstlichem wasser viele leute sich labten; der winklerbauer senkte aus neid quecksilber hinein, und dieses frass tiefer und tiefer, bis die Wein- berge selbst nach einander hinabrutschten und an ihrer stelle die Winklermuhre ent- stand". Verwerflich scheint mir übrigens mit rücksicht auf das alter und die weite Verbreitung jener volksmeinimg die dort s. 625 beigebrachte Vermutung von Rochholz, dass sie aus einem wortmis Verständnis entsprungen sei, dass nämlich der queck- und keckbrunnen (fons vivus) sich ins quecksilber (argentimi vivum) verdreht habe, und zwar seit eindringen der alchymistischen Vorstellungen der markscheidekunst unter dem Volke.

Zu gleicher zeit schrieb mir ein würtembergischer, besonders mit der frän- kischen Sprache bekanter forscher, pfarrer Gustav Bessert: „Quecksilber wii-ft nach fränkischer meinimg der neidische nachbar einem in den brunnen, damit der brim- nen das wasser verliere, denn das quecksilber suche dem wasser eine andere rich- tung zu geben; das scheint mir auch für quecksilber im teich zu passen".

Dies tritt also sehr gewichtig jenem zweiten hinweise Zingerles zur seite. Da- gegen sind mir dafür, dass, wie ich vermutete, das quecksilber im sprichwörtlichen ausdruck die bedeutung eines giftes haben möge, noch keine belege kund geworden.

HALLE a/S. J. KÖSTLIN.

Zur bedeutung' tou mhd. rose.

Ignaz Zingerle hat in dieser Zeitschrift s. 281 des lezten heftes nachzuweisen versucht, dass „rose" blume überhaupt bedeute und „im engeren begriffe erst unsere nhd. rose". Wie stimt das zu der zweifellosen entstehung aus dem latein? Wie seltsam wäre die in diesem fall doch notwendige annähme, dass lat. rosa auf deut- schem boden erst die bedeutung „blume" und aus dieser heraus wider die speciellere erhalten hätte!

Dass die rose, die schon sehr früh ein hauptliebling der kulturvölker war, als solche auch als repräsentantin der blumen überhaupt auftreten kann, wird niemand läugnen. Aber dass in unsern litteraturdenkmäleru irgendwo „rose" einfach = blume sei, hat Zingerle durchaus nicht erwiesen. In den stellen, wo das so scheinen könte, ist durchaus mit der engern bedeutung auszukommen; denn die mhd. lyriker sind botanisch ebenso wenig genau wie unsere neueren, und wenn sie statt anderer blu- men öfters die rose nennen, auch in fällen, wo dieselbe botanisch nicht besonders passt, so ist das genau so gedankenlos conventionell , wie wenn sie allenthalben von der nachtigall reden. Der fink, die amsel, die drossel, die grasmücke kommen bei

1) Vgl. den artikel ,,mur" im Deutschen wörterb. : Sand und losgebrochenes , zerstücktes gestern, welches von den höhen in die talebenen niedergerolt ist.

MISCELLEN 427

den niinnesiiigern so gut wie gar nicht vor ich zähle im Mhd. vvb. und bei Lex er für sie zusammen 7 stellen aus den lyrischen godichten , die nachtigall jeden augenblick: folgt daraus, dass nachtigall = Singvogel ist? Ausserdem lassen sich gerade bei den mhd. dichtem genug stellen finden, wo neben der rose andere blumen genant sind; vlol und rose hat Zingerle selbst angeführt, man darf nur an lilje und rose erinnern, oder an die zahlreichen stellen, wo die rose mit dem dorn zusainmen- gostelt ist. Dagegen ist, sowie es sich um die blumc als solche handelt, stets hluome gebraucht, besonders im gegensatz zu blat.

Die von Zingerle angeführten composita beweisen nicht dafür, dass mhd. rose einfach =; blumo sei. Alle von ihm genanten blumen haben mit der rose ent- weder die form gemein: eine nai)fformige blute mit getrenten bliunen blättern, die im kreise stehen, so: auemone, christblume, sorbus, mohn, wolkraut\ von welchen wider mehrere, wie die rose, fünf blumenblätter, bzw. zahlreiche Staubfäden haben; oder sie haben rote („rosa") färbe: alpenroso (öteihg), Seidelbast, welche noch dazu beide an holzigen Stengeln, wie die rose, wachsen; oder es stimmen form imd fai'be zugleich: pfingstrose, malve, lychuis. Am wenigsten ähnlichkeit hat die narzisse. Bei dem ganzen reichHchen dutzeud von blumen, das Zingerle angeführt hat, ist ebenso viel oder weit mehr ähnlichkeit mit der rose vorhanden, als bei levkoje, nachtviole, gelbveigel, glockenblume , gentiane, hottonia, nelke, armeria, Jasmin, iris mit dem Veilchen, dessen namen sie alle nach DWB. 12, 42 tragen oder doch getragen haben; ist aber viol = blume?

Nur in einigen mundarten, welche alle dem hairischen alpengebiet angehören, vermag Zingerle rose einfach = blume nachzuweisen. Andere mundarten kennen es nur = lat. rosa. Wenn nun, wie doch Zingerles ausdruck fast notwendig aiifzu- fassen ist , bhmie " die ältere bedeutiing war wie kamen alle diese mundarten dazu, das wort in seiner bedeutimg auf eine und dieselbe blume einzuschränken? Fasst man aber, wie bisher jedermann, die engere bedeutung als die ältere, so ist alles ganz einfach und klar.

Ich verweise noch auf DAVB. 8, 1163 fgg., besonders auch 1171. 1173.

TÜBINGEN. HERMANN FISCHEß.

Wir bemerken zu vorstehendem, dass nach Th. Siebs, Zur geschichte der englisch -fries. spräche s. 231. 232 auch in den meisten nordfriesischen mund- arten das wort „rose" für „blume" im algemeinen gilt, daneben aber auch in der speciellen bedeutung gebraucht wird.

In dem aufsatze von Zingerle sind mehrere versehen in orts- und bliunen- namen zu verbessern. Seite 281, zeile 6 v. u. lies: des Nonsberges, im Fersina- tale, in Luserna; ebenso in der note: Lusernisches Wörterbuch. Auf der lezten zeile: roasen von hennan. Seite 282, zeile 5 v. o. lies: schneerose; z. 9: sper- werbaum; z. 12: grindmagen; z. 14: peonienrosen, beninienrosen; z. 15: freysamrosen; z. 24 (und 26): mergenrößlin, ..., von welchem hiebevor ... gesagt ist. Auf seite 283 ist zeile 3 v. p. das citat zu berichtigen : Engelhard 5346 ; zeile 7: Berthold I, 166, 14 der eine iceg ist linde als pfeller, batmät und slde.

Ked.

1) „Sammetröslein" ist nachPritzel und Jessen, Die deutschen volksnamen der pflanzen, 626 = verbascum oder = rosa oder = lychnis.

428

Emrlderung.

Roethe hat in dieser Zeitschrift XXIV, 273 fgg. den grundgedanken meiner Schrift: „Prolegomena der litterar -evolutionistischen poetik " nicht richtig aufgefasst. Selbst wenn es wirklich irgend begründet wäre, dass die litteraturgeschichte seit Jahr- zehnten an einer litteraturgeschichtlich -induktiven poetik arbeitet und dass anderer- seits der begriff des evolutionistischen speciell auf die poetik bereits zu folgerichtiger anwendung gekommen ist, so sähe Eoethe doch mit um-echt in meinem wege eine wesentliche Übereinstimmung mit jenem von ihm gemeinten und vertretenen Stand- punkt der auswahl „klassischer beispiele" und seien sie noch so zahlreich und mannigfach , gegen den meine schrift gerade in erster reihe gerichtet ist. Ich ver- lange angesichts der auch von R. zugestandenen steten Wandlung der poe- tischen ideale nachdrücklich a) berücksichtigung des litteraturgeschichtlichen gesamt- materials, b) Ordnung desselben in geschichtlicher folge, an steUe der bisher zusam- menhangslosen, beispielsweisen einzelverwendung , c) inbeziehungsetzen desselben unter grundsätzlicher anerkenmmg der obwaltenden entwicklung, d. h. almählichen aus- und Umbildung der poetischen gattungen. Nicht also z. b. auf blosse feststellung des gemeinsamen l)ei Sophokles und Shakespeare gehe ich aus, sondern auf darlegung ihrer notwendigen Verschiedenheit, wie sie nur- im Zusammenhang der durch stete Wandlungen bezeichneten litterarischen ent\vicklung hervortritt. Das wesen der poesie sehe ich nicht in den übereinstimmenden eigenschaften einiger beliebigen dichtungen, sondern erst in dem entwicklungsprincip der gesamten weltpoesie.

Ebenso ist meine Stellung zur naturwissenschaft, specieU ziun Darwinismus unklar aufgefasst imd dadurch in ihr gegenteil vei'kehrt. Meine abweichung von Scherer begründe ich gerade durch widersprach gegen dessen darwinistisch- naturwis- senschaftliche herleitung der poesie. Meine aus betrachtung der tatsachen hergelei- tete auffassung ist: eine systematisch -geschichtliche (nicht blos chronologische) dar- stellung der poesie zeigt, dass die poesie wie die menschlichen geistesfunktionen überhaupt einer Wandlung und entwicklung unterworfen ist, welche sich derjeni- gen der natürlichen arten in manchen wesentlichen punkten analog erweist. Eine blosse Übertragung der naturwissenschaftlichen ergebnisse auf geistiges gebiet und besonders auf das der poetik ist indes vöUig unzulässig. Insbesondre weise ich die von Darwin und Scherer versuchte materialistische herleitung der poesie aus äusse- rungen niederer tiere mit der darlegung zuriick, dass erst innerhalb der geschichte des menschlichen geistes auf einer bestirnten entwicklungsstufe die poesie beginne; ihr erfahrungsraaterial sei also der litteraturgeschichte, nicht der naturwissenschaft zu entnehmen. Völlig in der luft schwebt danach Roethes voi-wurf einer misachtung der geschichte zu gunsten der naturwissenschaft. Ich möchte soweit gehen, im gegenteil zu behaupten, dass diese ihre modernen eiTungenschaften wesentlich der anwendung der geschichtlichen methode, dem vorschreiten von der naturbeschreibung zur naturgeschichte verdankt.

Die von mir befürwortete methode ist danach s ystema tisch-littera tu r ge- schichtlich, wie sie durch uneingeschränkte, geordnete berücksichtigung des gesamt- materials philologisch ist.

Auf die vorläufigen ergebnisse dieses weges legte ich zwar ausdrücklich kein gewicht, da es zunächst naturgemäss weder auf volständigkeit noch endgiltigkeit der definitionen, sondern nur auf probeweise vorführaug der methode abgesehen war. Indessen ist es in jeder hinsieht ein trugschluss, dass nach meiner definition „die

SUSCELLEN 429

raffiniert effektvolsten schauer- und rührdranien den triumpli tragischer kunst bilden müsten". Roethe erhebt wie er andeutet diesen einwui'f übereinstimmend mit der (in ßoethes eignem „Anzeiger für deutsches altertum" erschienenen) wolwollen- den, doch vielfach schiefen besprechung meiner schrift durch E. M. Werner. Der entscheidende zusatz: „möglichst grosse" entladung ist eine wilkürliche einschie- bung, die sich Roethe an meinem text erlaubt. Meine definition lautet (s. 22): „Und nun werden wir die specifisch tragische Wirkung umfassend also erklären: sie ist ent- ladung von eigener immanenter wehmut vermittelst Vorstellung eines starken, zur katastrophe führenden leidens eines andern menschen, durch den blossen schein der Vorstellung losgelöst von aller im leben damit verbundenen unlust. Gewiss wird" setze ich a. a. o. hinzu „durch umfassende durchführung der litterar - evolutio- nistischen methode diese definition eine präcisere fassung und nach verschiedenen verwanten selten engere abgrenzung erlangen". Bezeichne ich somit die tragische Wirkung als entladung von immanenter wehmut, so folgt zunächst noch nicht, dass die stärkste entladung das beste trauerspiel anzeige, so wenig wie aus der bezeich- nmig des gefühls als gebiet der poesie etwas für den triumph der gefühlsschwelgerei oder aus der Aristotelischen nachahmungstheorie etwas für den naturalismus folgt. Nun rede ich ferner gar nicht von dem wesen, sondern nur von der wirkung der tragödie. Das wesen der schauer- und rührstücke aber ist es eben, auf die tragische Wirkung ohne innere nötigung, ohne tragische mittel, ohne tragisches wesen hinzu- arbeiten. Eichard "Wagner nent den effekt sehr geistvoll eine Wirkung ohne Ursache. Das gebaren der schauer- und rührstücke spricht also im gegenteil für meine defini- tion: sie kennen diese intensive erschütterung als tragische Wirkung und arbeiten mit äussern mittein auf dieselbe hin.

Auf die weiteren, rein subjektiven urteile Eoethes gehe ich nicht ein, ebenso- wenig auf den persönlich zugespizten schluss- abschnitt. Nur eine in algemeiner form gehaltene abfertigung " muss ich zurückweisen, weil sie nicht mich allein betritt. Eoethe begründet sein bekentnis: „Ich glaube nicht recht an die litterarhisto- riker, die nie philologen gewesen sind", dui'ch hinweis auf „den ernst und die straife anspannung streng philologischer arbeit". Mit dankenswerter Offenheit ist damit einer in manchen einseitig philologischen kreisen latenten überhebung ausdruck gegeben. Also niu' die philologische arbeit ist ernst und straff, das eigentlich litteraturgeschicht- liche (und gar das ästhetische) an der litteraturgeschichte ist ein amüsantes sich- gehenlassen! Bei solchen anschauungen ist es nicht verwunderlich, wenn litterar- historiker ihrerseits derartige philologen als zuständige richter über erscheinungen der litteraturgeschichte und poetik nicht anerkennen.

KIEL, AM 29. SEPT. 1891. EUÖEN WOLFF.

Antwort des recenseuten.

Es ist nicht meine absieht, durch eine ausführliche antwort auf Wolffs erwi- deruBg mir zeit und dieser Zeitschrift räum zu rauben; wer sich die mühe nimt, mein referat mit "Wolffs buche selbst zu vergleichen, dem wird sich die antwort leicht ergeben! Ich habe selbstverständlich AVolffs methode nicht nur nach seiner formu- lieiTing, sondern auch nach seiner auwendung dargestelt und beurteilt; in der ent- ladungstheorie scheint sich ihm der Standpunkt inzwischen leise verschoben zu haben.

Nur über den Schlussabsatz noch zwei werte ! Dass "WoLff über meine Zustän- digkeit anders denkt, als die herausgeber dieser Zeitschrift, geht freilich mich wenig

430 NEUE ERSCHEINUNGEN

an. Aber höchst überrasch end war mir begreiflicherweise seine behauptung, dass ich „das eigentlich litteraturgeschichtliche ... an der litteraturgeschichte" misachte. Genau das gegenteil ist richtig: die litterarhistorische forschiing ist mir ein höhepunkt phi- lologischer arbeit; die besten, reifsten und geschultesten arbeiter scheinen mir dafür grade gut genug. Aber wie mir der kein wissenschaftlicher historiker ist, der dio quellen nicht zu untersuchen versteht, so ist mir nur der ein ernsthafter litterar- historiker, der zu selbständiger prüfung seines materials im stände ist: dazu aber bedarfs nun einmal philologischer Schulung und begabung. Liegt in dieser ansieht philologische „überhebung", so bekenne ich mich zu dieser „überhebung": bücher vom schlage der E. Wolffschen prolegomena können mich in ihr nur bestärken.

KOEXHE.

Berichtigung zu XXIV, 285 dieser Zeitschrift.

Es ist nicht richtig, dass ich Vierteljahrschrift 2, 581 Wieland als autor der Eegierungskunst " bezeichnete; es ist unwahr, dass ich den von Minor in anfüh- rungszeichen ausgehobeuen ausdruck „echt Wielandische gedanken" für diesen Mer- kuraiiikel gebrauchte. Ich konte beides nicht tun, weil L. Hirzel schon 1882 in der einleitung zu Hallers Gedichten s. CDLI das erörtert hat, was Minor jezt noch ein- mal entdeckt.

GRAZ. B. SEDFFERT.

NEUE ERSCHEINUNGEN.

Brandes, Hermann, Die jüngere glosse zum Reineke de vos. Halle a. S., Max Niemeyer. 1891. LXI imd 314 s. 10 m.

Brandstetter , ß. , Die reception der nhd. Schriftsprache in stadt und landschaft Luzeni 1600 1830. Einsiedeln, druck von Beuzinger & Co. 1891. 90 s.

Büttner, Hermann, Die Überlieferung des Eoman de Eenart und die handschiift 0. Strassburg, K. J. Ti-übner. 1891. VI, 229 s. 5 m.

, der Eeinhart Fuchs und seine französische quelle. Strassburg, K. J. Trübner.

1891. VI und 123 s. 2,50 m.

DUntzer, H., Zur Goetheforschung. Neue beitrage. Stuttgart, Deutsche ver- lagsanstalt. 1891. VI und 436 s. 6 m.

Inhalt: Goethe's befreiter Prometheus. Wielands matinee „Goethe und die jüngste Niobetochter". Goethe's Unterstützung des jungen Klinger. Herder und der junge Goethe in Strassburg. Zu Goethes „Natürlicher tochter". Die Göchhausen'sche abschrift von Goethe's „Faust". Die Sendung der Lenzischen „lustspiele nach Plautus" an Merck. Das ghasel auf den eilfer in doppelter fassung. Die entstehung der beiden ersten und der beiden lezten akte von Faust IL Shakespeare und der junge Goethe.

[Edda.] Händskriftet nr. 2365 4" gl. kgl. samling det störe kgl. bibliothek i Ko- benhavn (Codex regius af den feldere Edda) i fototypisk og diplomatisk gengi- velse. üdgivet for Samfund til udgivelse af gammel nordisk litteratur ved Ludw. F. A. Wimmer og Finnur Jönsson. K0benh. 1891. LXXV, 193, 4 ss. und 45 (doppelseitige) taff. 4. 25 krönen (28,15 m.).

NEUE ERSCHEINUNGEN

431

Handwerok , Ilug-o, Studien ühor Gi^Uerts fabelstil. Marburgor diss. 1891. 43 s. 4.

Der Verfasser dieser mit grosser Sorgfalt gearbeiteten abhandlung vergleiclit die in Schwabes , Belustigungen des Verstandes und witzos" 1741 1744 zuerst erschienenen Gellertsclien fabeln in Goedekes graudriss- § 207 sind diese drucke nicht erwähnt! mit der späteren gestalt derselben fabeln in der gesamt- ausgabe von 174G. 1748. Er zeigt in anschaulicher weise, wie sorgsam und umsichtig Geliert seinen stil und seinen versbau iu der zweiten fassung fortgebil- det hat. Am Schlüsse (s. 36 fgg.) wird noch das vorhältnis Gellerts zu seinen Vorgängern Hagedorn, Lafontaine, Stoppe, ßrookes (in den Übersetzungen aus Lamotte) besprochen. S. 43 : Gelernt hat er von allen. Doch dürfen wir sein eigenes dichterisches gefühl nicht zu gering anschlagen. Den stil, mit dem er so überaus glücklich die unterhaltungssprache idealisierend nachahmt, . . . fand er in dieser weise bei keinem seiner deutschen Vorgänger; er hat ihn, auf ihren schultern stehend, ausgebildet".

Jahresbericht über die erscheinungen auf dem gebiete der germanischen philologie, herausgegeben von der geselschaft für deutsche philologie in Berlin. Zwölfter Jahr- gang 1890. Leipzig, Carl Eeissner. 1891. IV und 354 s. 8 m.

Kein/, Friedrich, Altdeutsches. I: cod. germ. Monac. 5249. 11: Über ein gesamt- verzeichnis der altdeutschen gedichte. München, Jos. Ant. Finsterlin. 1891. 16s. Die Schrift ist der deutsch - romanischen abteiluug der Münchener philologen- versamlung als festgabe überreicht worden. Sie enthält höchst beachtenswerte anregungen zur anfertigung eines Verzeichnisses sämtlicher erhaltenen deutschen gedichte von c. 1150 bis zur reformationszeit nach den anfangen; vgl. Bartsch, Beiträge zur quellenkunde der altd. litt. (Strassburg 1886) s. 359 fgg. Keinz selbst hat (s. 10) zu diesem zwecke bereits die angänge von mehr als 12000 gedichten gesammelt; es wäre gewiss mit freudeu zu begrüssen, wenn diese bedeutenden vorarbeiten zu einem wirkUchen gesamtverzeichnis vervolständigt würden. Die entscheidung darüber, wie umfangreich die angaben für jedes stück zu gestalten seien, wird doch wesentlich von den kräften der mitarbeiter und den zur Ver- fügung stehenden mittein der Veröffentlichung abhängig bleiben; wir enthalten uns daher des eingehens auf die einzelnen vorschlage. Nur glauben auch wir (wie der referent der Deutschen litteraturzeitung 1891, sp. 1430), dass die anordnung nach den anfangsworten vor der nach den reim werten den vorzug verdie- nen würde; bei gedichten, deren eingaug in verschiedener fassung ül^erhefert ist, müste durch Verweisung nachgeholfen werden.

Kiiizel, Karl, Kunst- und Volkslied in der reformationszeit ausgewählt und erläutert. (Denkmäler der älteren deutschen litt. III, 4.) VIII und 140 s. Halle, buchhandlung des Waisenhauses. 1892. 1 m.

Enthält kirchenlieder von Luther, Speratus, Nie. Decius, Nie. Herman, P.Eber, B. Waldis, Joh. Hesse und anderen; weltliche dichtuugen von Fischart, Ulrich von Hütten, sowie Puschmans und Wagenseils berichte über den deutschen mei- stergesang; endlich 34 gut ausgewählte Volkslieder.

Kinzel, Karl, Walther von der Vogelweide und des minnesangs frühling, ausgewählt übersezt und erläutert. (Denkmäler der älteren deutschen Htteratur II, 1.) Zweite verbesserte aufläge. Halle a/S., buchhandlung des Waisenhauses, 1891. Vm und 115 s. 0,90 m.

432 NACHEICHTEN

Läiigin , Th. , Die spräche des jungen Herder in ihrem Verhältnis zur Schriftsprache. Diss. Freiburg i. B. 1891. 108 s.

Über lautverhältnisse , wortfornien und Wortbildung in Herders Schriften bisl7G9.

Lji;tkens, I. A. och Wulfif, F. A., svensk uttals-ordbok. Lundl889— 91. C.W. K. Gleeraps förlag. 68, 371 s. und 5 taff. 7,50 kr.

??el)ei*t, Reiuhold, Zur geschichte der Speyrer kanzleisprache. Ein beitrag zm- lösung der frage nach dem bestehen einer mhd. Schriftsprache. Hallische diss. 1891. 66 s. 1,25 m.

Neubauer, R., Martin Luther augewählt, bearbeitet und erläutert. (Denk- mäler der älteren deutschen litteratui' für den litteraturgeschichtlichen Unterricht in, 2. 3.) I: Schriften zur reformationsgeschichte und verwauten Inhaltes. Mit titelbild. IX und 187 s. 1,80 m. II: Vermischte Schriften weltlichen Inhaltes, fabeln, dichtungen u. a. VH und 252 s. 1,80 m. Halle, buchhandlung des Waisenhauses. 1890. 1891.

Der gut getroffenen auswahl ist auf s. 215 252 des zweiten bändchens auch eine Übersicht über Luthers spräche angehängt; dort werden s. 246 für die Wen- dung wenn (wo) .... thäte mehrere neue belege zu den in dieser Zeitschrift XVI, 374. XXni, 42. 293. XXIV, 41. 201 gesammelten hinzugefügt. Die zurück- führung auf das excipierende mhd. wan aber ist abzuweisen, da die durch ein solches augeknüpften nebensätze (s. IVIhd. wb. 3, 483 fgg.) ganz anderer art sind, als jene bei Luther. o. e.

Netoliczka, Oskar, Zu Heines baUaden und romanzen. Kronstadt 1891. 31 s. 4.

Reis, Haus, Beiträge zur syntax der Mainzer mundart. Giessener diss. 1891. 46 s.

Schild, Peter, Brienzer mimdart. I. teil. Algemeine lautgesetze und vocalismus. Basel, SaUmann und Bonacker. 1891. 107 s.

Specht, Friedi*. , Das verbum reflexivum und die Superlative im westnordischen. (Sonderabdruck aus Acta germanica HI.) Berlin, Mayer und MüUer. 1891. 56 s. 1,80 m.

NACHRICHTEN.

Am 22. august verschied in Tübingen der ausserordentl. professor der roma- nischen Philologie di'. "Wilhelm Ludwig Holland (geboren in Stuttgart 11. august 1822); am 15. Oktober in Leipzig der geh. hofrat prof. dr. Friedrich Zarncke (geboren in Zahrenstorf bei Brüel in Mecklenburg - Schwerin am 7. juli 1825).

An der Universität Leipzig habilitierte sich dr. H. Hirt für indogermanische Sprachwissenschaft und deutsche philologie.

Von dem Sprachatlas des deutschen reiches, bearbeitet von dr. G. AVen- ker in Marburg unter mithilfe von dr. Fr. "Wrede und dr. E. Mau r mann, sind bis jezt 69 blätter in handzeichnung an die königliche bibliothek zu Berlin abgeliefert worden, welche die ausspräche folgender 23 Wörter veranschaulichen: bald, hett, brot, drei, eis, feld, gänse, gross, hund, kind, luft, mann, 7nüde, nichts, pftmd, sah, sechs, sitzen, tot, was, wasser, wein, winter.

Das zur erinnerung an Johann Andreas Seh melier in seiner geburtsstadt Tirschenreuth gesezte denkmai (eine von prof. Anton Hess modellierte büste auf hohem Sockel von schwai'zem syenit) ist am 20. juli 1891 feierlich enthült worden.

Halle a. S. , Buchdruckerei des Waisenhauses.

BEITEÄGE ZUR DEUTSCHEN MYTHOLOGIE.

II. Things und die Alaisiagcn. ^

Die hocliwiclitig-en altäre, welche an der statte des alten Borco- vieium im jähre 1883 gefunden wurden, haben eine ansehnliche litte- ratur ins leben gerufen. Während in der lesung und auflösung der beiden römisch -germanischen Inschriften- fast völlige klarheit herscht, gilt das von den sachlichen erklärungen, soweit sie der deutschen altertumsforschung zufallen, dm^chaus nicht: die meisten bewegen sich in falschen bahnen, weil sie der spräche nicht gerecht werden; auch sind sie durch den bestechenden anklang an zwei friesische rechtster- mini des spätesten mittelalters irregeleitet worden^.

Vor allen dingen ist es ein grosser fehler, die Inschriften kurzer band als friesisch zu bezeichnen. Auf dem ersten steine lieisst es „Germani cives Tuihanti", auf dem zweiten „Oermajii cives Tuihanti cunei Frisiorum". Deutsche aus Twente wird nun doch niemand Friesen nennen, sie waren Franken, wahrscheinlich Chamaven; dass sie aber in einer römischen heeresabteilung dienten, die zum grossen teil aus Friesen bestand und darnach benant war, dieser annähme steht nichts im wege: viele Inschriften geben von ähnlichen Verhältnissen künde. Wenn nun die cives Tvihanti in Britannien sich vereinigen, heimatlichen gottheiten nach römisch -germanischem kulte einen votiv-

1) mit einem rechtsgeschiclitlichen excurse (s. 435 fgg.), den ich der grossen gute des lierrn prof. dr. Heck in Greifswald zu danken habe.

2) Die erste iuschrift lautet (nach. Hübner, Westd. ztschr. f. gesch. u. k. HI, 120 fgg.): y,Deo \ Marti \ Thingso \ et duabus \ Alaesiacjis \ Bede et Fi \ minilene | et n(umim) Aug(usti) Ger \ m(ani) cives Tu \ ihanti | v(otum) s(olverunt) l(ibentes) }n(erito)"-. Die zweite inschrift ist zu lesen: y,Deo \ Marti et duabus \ Alaisiagis et n(tmiini) Aug(usti) \ Qer(ma)ii) cives Tuihanti \ cunei Frisiorum | Ver. Scr. Alexand \ riani votnm \ solverunt \ libentfesj \ ni(erito) ". In Ver. ist vielleicht so teilt mir gütigst herr prof. Seeck mit Verteris (nördl. von York) als frühere Station des cuneus zu erkennen (Itin. Anton. 467, 5. 476, 4; Not. dignitt. Occ. 40, 26; Geogr. Rav. 431 , 6). Vgl. u. s. 456.

3) Auf Kauffmanus abhandlung (Beitr. XVI, 200 fgg.; vgl. Sievers ebenda 257 fgg.) habe ich in einem nachtrage (s. u. s. 456) bezug genommen.

ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXIV. "8

434 SIEBS

stein zu errichten, so ist doch kaum denkbar, dass sie sich der frie- sischen spräche bedienen solten, weil sie zum cimeus Frisiorwn gehö- ren; aber gesezt diesen höchst unwahrscheinlichen fall, so müsten wir doch bei der erklärung keineswegs das friesische des 11. oder 12. Jahr- hunderts zu rate ziehen, sondern eine aus dem altenglischen und alt- friesischen zu erschliessende gemeinsprache, die soweit die vorlie- genden formen in frage kommen von der westgermanischen nicht erheblich abweicht, Yon allen erklärern hat allein HeinzeP den gedanken ausgesprochen, dass wir mit fränkischer, nicht mit fi'iesischer spräche zu rechnen haben; leider aber führt er ihn nicht durch, indem er (s. 53) die Alaisiagen „nur friesisch bezeugte göttinnen" nent.

Seh er er 2, der zuerst die inschriften gedeutet hat, gieng von dem namen Thingsus aus. In einer geistvollen abhandlung erbaute er auf einer speciellen bedeutung des Stammes ping- die ansieht, dass die steine dem volksversamlungsgotte Tius geweiht seien. Wenngleich sich sachliche gründe gegen den deutschen thinggott, den Schützer des in beer und thing versammelten Volkes, nicht anführen lassen, so ist doch eine deutung der beiden inschriften das gestand auch Scherer zu keineswegs damit gegeben, denn „die algeehrten göttinnen, die bitte und die geschickte ausführung", sinken zu wesenlosen und über- flüssigen gehülfinnen herab. Es war schon ein methodischer fehler, einen namen, dessen wortstamm sich gar verschiedenen deutungen anschmiegt, der interpretation zu gründe zu legen, anstatt vor allem das gewicht des appellativums alaisiagis in die wagschale zu wer- fen. Und ein weiterer fehler schloss sich an. Scherer (vgl. Westd. ztschr. f. gesch, u. k. III, 287 fgg. und Brunner, Ztschr. d. Savigny- stiftung f. rechtsgesch. Germ. abt. V, 226 fgg.) bezog Bede und Fimfni- lene auf den namen zweier friesischer Thingarten und erklärte sie, allerdings in sehr geschickter weise, als göttinnen des Thingfrie- dens. Er folgte damit einer äusserst bestechenden entdeckung Heinzeis, die für alle späteren deutungen massgebend geblieben ist, die wir aber aus inneren und äusseren gründen für durchaus ungerechtfertigt erklä- ren müssen. Möge es mir nicht als unbescheidenheit ausgelegt werden, wenn ich (Heinzel, a. a. o. s. 52) glaube zwischen den zeilen lesen zu

1) Rieh. Heiuzel, Über die ostgotische heldeusage. Sitzungsberr. der kais. akad. zu Wien. Phil. -bist. ki. 1889 s. 50 fgg. Vgl. Jellinghaus, Ztschr. f. d. phil. XXin, 378.

2) Wilh. Scherer, Mars Thingsus. Sitzungsberr. der Berl. akad. Phil. -bist, kl. 1884, s. 571 fgg.; vgl. E. Hübuer, Altgermanisches aus England. Westd. ztschr. f. gesch. u. k. in, 120 fgg.

THINGS UND DTE ALAISIAQEN 435

dürfen, dass sie neuerdings selbst ihrem entdccker unbequem gewor- den ist. Die namcn Bede und Fimmilene wurden nämlich an das in einer friesischen reclitsquelle erscheinende bodthing und fimelthing^ angeknüpft und die Alaisiagen als schutzgöttinnen dieser gerichte ange- sehen; später ward Thingsiis geradezu als gerichtsgott und schliesslich auch das wort alaisiagis in einer dazu passenden weise erklärt.

[Dieser 2 umstand nötigt uns, auf die bedeutung von hod- und f im elthing näher einzugchen. Die hcrschende mcinuug deutet die Unterscheidung auf den algemeinen gegensatz teils des echten-', teils des gebotenen dings^ einerseits und des after- oder nachdings anderseits. Indes die einzige stelle, welche uns das fimelihmg schil- dert^, ergibt, sobald man sie im zusammenhange der darstellung wür- digt, dass fimelthmg nur eine art dos hodthing^ nämlich das vom gra- ten persönlich abgehaltene bezeichnet.]

Was zunächst die etymologie des wertes hodthing anlangt, so braucht bod- als erstes kompositionsglied keineswegs den akt des auf- bietens zu bedeuten, sondern es meint das „mandatum, praeceptum", die ein für alle mal bestehende Vorschrift (vgl. ags. afrs. bod): so ist afrs. bodtldng „das ein für alle mal vorgeschriebene ding". [Dement- sprechend wird bodthing in den fries. quellen schlechthin für das volgericht gebraucht, also für dasjenige gericht, welches schon auf grund der Vor- schrift, nicht erst bei processbeteiligung besucht werden muss, und zwar anscheinend ohne rücksicht darauf, ob es zeitlich einen regelmässigen

1) H. Jaekol, Die Alaisiagen Bede und Fimmilene. Ztschr. f. d. plail. XXII, 257 fgg. Es ist hier nicht räum, die ausführungen Jaekels eingehend zu besprechen, und darum beschränke ich mich auf die bemerkung, dass ich sie aus äusseren und inneren gründen durchweg für nicht stichhaltig erachte. Dass Bede aus Badwme entstanden sei, ist undenkbar; jede beziehung zu Baduhenna habe ich Ztschr. f. d. phil. XXIV, 147 widerlegt; dass *haduthing zu ^bedtJdng und dieses zu bodthing geworden sein könne, wird niemand ernst nehmen; Badunäth als kampfgenoss " zu erklären (altsächs. -nuth ist selbstverständlich = ags. -nop in Beadunöp u. a. vgl. got. nanpjan), Tiuding mit thing des Tius übersetzen, aus den beiden überlieferten Ortsnamen Bahtlon, Baflon ein Batlilon als tatsächlich belegt erschliessen das alles sind dinge, die ich als grundlagen für weitgehende Schlüsse nicht empfehle.

2) Durch eckige klammern bezeichnet sind die ausführungen des herrn prof. Heck.

3) Vgl. E. Schröders Lehrb. d.d. rcchtsgesch. s. 30 und 540. Sohm, Altd. gerichtsverfassg. s. 45. J. Grimm, Eechtsaltt. s. 827.

4) Vgl. Brunner, Hdb. d. d. rechtsgesch. I, 148 anm. 27.

5) Westerl. Idrecht bei v. Eichthofen, Eechtsqu. § 25 s. 391, 3 fgg.; bei Het- tema, Oude friesche wetten II, s. 37 § 27. Vgl. u. s. 43G anm. 2 und 3.

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436 SIEBS

Charakter trägt ^ Nach § 22 des sog. schulzenrechtes ^ hat der graf das recht, alle 4 jähre bodthing zu halten. Er muss aber 7 wochen vor dem termine seinen bau an die schulzen abgeben und ist dadurch der richterbefugnis, abgesehen von nott'ällen, beraubt. Die schulzen^ be- raumen gemäss § 23 in ihren bezirken ein ßtägiges bodthing nach 6 Wochen, also eine woche vor dem termin des grafenbodthings, an. Sie sind es auch, und nicht der graf^, die dieses Gtägige bodthing abhalten. Die tätigkeit der schulzen wird ausdrücklich bezeugt und folgt aus der banleihe sowie dem empfange der dingbusse. Nach abhal- tung der 6 dingtage wii'd der bann dem grafen zurückgegeben 24). Nachdem dieser nunmehr die richterbefugnis hat und anderseits der termin für sein bodthing herangekommen ist, dürfen wir eine Schilde- rung desselben erwarten. In der tat tritt in § 25 der graf in tätig- keit. Er soll an drei tagen nach bodthiugsart diejenigen leute richten, welche man auf dem rechten bodthing nicht zu ende richten konte.

1) Vgl. das Privileg für Stavern z. I. 1118 (Waitz, Urkk. 2. aufl. nr. 17, V. Eichthofen, Uss. über frs. rechtsgesch. I, 117 fgg.): „««< placitwu generale quod dicitur bodthing non observenf^. Anderseits Küre 10 nach Eüstriuger redaktion {nen bodthing firor sitta)^ v. Eichthofen, Eechtsqu. s. 19, 1.

2) Eichthofen, Eechtsqu. 390, 8 fgg. § 22. Van des grewa riucht. Dit is riucht, di grewa deer hyr da ban lath, dat hi des fyarda ieris bodthing hälda moet also fyr so hi wil. Dat is riucht als hise hälda wil, dat mase keda schil, ith aller kerkane liick di prester eft Cristes morne eer ieris dey , datse di grewa hälda wil eft sttmeris nacht eer lettera ewennacht; ende als di grewa bod- thing hälda teil dat hi schil da ban op ia saun iviken da schelten eer mase hälde; ende neen doem to delen bihalva oni needsecken, hit ne se datier een hera oen dit länd coenime, iefta dat tna een wyf an nede nym iefta dat ma een man in sine hüse slee, so moet hi deer rtda ende ban leda.

3) Ebenda anschliessend Van schell a ladingha. § 23. Bit is riucht dat da schelten keda schellet aller lyck binna sme banne des monnendeys toe aller doerna lyck sex tviken eer mase hälde, ende aldus keda: Bodthing kede ich ioe wr sex wiken aen dis selva dei, dis monendeys to häldene, ende dis tysdeys, dis wernsdeys , dis tongersdeys , dis fredis, dis sater dey s ende dis nidnendeys. Alle dagen aegen hyase toe bannen bi des koninges banne, ende also to häldene ende to lästan; so hwa soe naet ne seeckt, di sehet toienst dyn schelta mit tuäm pon- dem beta. § 24. Dit is riucht, dat da schelten des monendeys deer komma ende des tysdeys; ende dis koninges ban op ia da greiva al deer hya et ont- finghen. § 25. Dit is riucht, dat di grewa dine tysdei ende den wernsdey ende den tonghersdey , da Ire dagen, also riuchta schil da lyoden, als ma oen dae bamienda bodthing deed, deer ma deer naet to eynd ritichta mocht; so hetet da tre daghen fimeltingh.

4) Dem grafen wird das Gtägige bodthing von Schröder zugeschrieben (Lehrb. s. 540 anm. 18 fgg.).

THINGS TTND BIE ALAISIAGEN 437

Diese drei tage die einzigen, an denen der graf selbst richtet bilden das fmelthing , sind aber zugleich das angekündigte hodthing.

Damit ist die deutiing von fimcUhhig als afterding ausgeschlossen. Es lässt sich schlechterdings nicht denken, dass der graf nur die im schul- zenrechte aus faktischen gründen vertagten Sachen zu erledigen hatte. Vielmehr ist „zu ende richten" prägnant zu nehmen. Es bezieht sich sicherlich auf die lezten Stadien des ungehorsamsveifahrens, das mit der friedloslegung endigte, und walirscheinlich auch auf die orledigung der urteilsscholto. Für die beziehung auf das ungehorsamsverfahren spricht, dass nur das ungehorsamsverfahren vor dem grafengericht uns eingehend beschrieben wird^, und dass die Zuständigkeit des grafen für die vor das hodthing gehörenden parteiklagen (strtd)^ ausdrücklich auf den ungehorsarasfall beschränkt ist^. Die zeitliche Verbindung von Schulzen- und grafending findet eine volständige analogie in dem Brokm errechte, welches vor dem grossen landgerichte (dem thruchthin- gath) die abhaltung von gerichtstagen in den niederen bezirken, den vierteln, vorschi-eibt ■^. Auch die erklärung des wertes fimeltking wird durch diese auffassung ermöglicht. Das „so", welches den namen fimeHhing einführt, scheint den ansdruck durch die kompetenz für ungehorsamssacheu zu erklären. Nun wird der lezte akt der friedlos- legung in den quellen technisch als seka bezeichnet und gerade im schulzenrechte dieses seka dem grafen zugewiesen.^]

Hier hat die etymologische forschung einzusetzen •'. Der erklä- rung, die ich (Z. gesch. d. engl.-frs. spräche s. 416) vermittelst an.

1) Ygl. § 55. Van mene thingrinchte foe hoice. (v. ßichthofen, Eechtsqu. 396, 9. 411, 26.)

2) Die Zuständigkeit des hodthing für strtd folgt aus §§ 26. 27 (Richth. a. a. o. 391, 13): y^om dat stryd, deer vm al deer greta schil"-. Vgl. auch, die Überschrift Tffan bodstride"- (bei Hettema a. a. o. s. 37 § 29), welche sich aivf diese klagen bezieht.

3) Vgl. § 16 (s. 389), richtiger bei Hettema a. a. o. s. 34 §17: ^dat dij fria Fresa ne tlioer hi des grewa ban an strkle ivith staen, hit ne se dat kern zyn scelta tcrherich ürtioghe"'.

4) Vgl. Eichth. a. a. o. s. 168, 20 ^fo7i tha thingathe. That ivellath Brocjuen, thet tha fimver redieva gader unge ina fiardandele er tha thrnchthin- gathe and cndigie alle tichtega; alle thet ther tha fiuwer nmcet ne cndegie, thet endegie thiu mene acht eta thruchthingathe "■ .

5) Vgl. a. a. 0. s. 396, 31; 413, 20; 426, 19; 489 und Schulzenrecht §79 (0. a. 0. 400, 16).

6) Ob fimeltking oder fimelthing anzusetzen ist, bleibt unaufgeklärt, weil der text i für ?, i und y für t schreibt, z. b. thing, strtd und stryd. Füi- langes «, welches etj'mologisch einem alten i und i entsprechen kann (vgl. i und i in offener

438 SIEBS

fimbul- als „grosses ding" gegeben habe, möchte ich eine andere, mehr specialisierende vorziehen. Es gibt im deutschen eine in den meisten mundarten verbreitete wurzel /ew (fim) fam ftmi, welche soweit ich aus dem vergleiche der sämtlichen bedeutungen zu schliessen wage den begriff der unsicher tastenden, unstäten, tappen- den bewegung birgt. Im mnd. ist mwefe/z ,, suchend umhertasten", vammeln vimmeln vummeln (vgl. an. fimr fum, schwed. famla fumla) tasten " ; im hessischen ist fmneln unsicher im dunkeln herum- tasten" (Vilmar's idiot. s. 99, so auch Pfister unter vimmern)] im mhd. ist vimel masc. „Schimmer, glänz", nhd. fernem femmern „scin- tillare, micare, flimmern, funkeln" (in manchen mundarten bedeutet es „wehen, flattern" s. unten s. 447). Die dem fimmeln lautgesetzlich entsprechende nordfrs. form lautet fameln „greifen, tappen, tasten"; ostfrs. -platd. ßinmeln „betasten, obscön: fingern" und fummeln (vgl. Doornkaat ostfrs. wb. I, 482 fgg.),_ und dazu vergleiche man D. wb. unter fummeln „betasten, reiben und glätten" usw. Schmeller (Bayr. wb. I, 718) führt fe^neJn und fummehi im sinne von „an etwas herum- tasten" an, femmern femmexen fempexen fmimern fimmexen fempixen „flimmern, funkeln", femel „was in der dämmerung geschieht, die dämmerung selbst"; es ist schon femel „es ist schon dämmerig", „im /ewzefoi muss man fischen". Stärker noch scheint der begrifft des lieim-

silbe, Siebs z. gesch. d. engl.-frs. spr. s. 139. 213) könte eine andere stelle der frs. recbtsquellen reden. W470, 17 heisst es „dio fymelbreeck IV schiUi7tgen'% -wo ein zweiter text ,,thio fihnenebreke" bietet; filmen neutr. = ags. filmen ist „haut", auch „Vorhaut". 449, 30 erscheint filmen in der bedeutuug „Zwerchfell"; was für häute an den stellen 494, 6 und 497, 9 in frage kommen, weiss ich nicht; in fymelbreeck 470, 17 scheint mii- der Schreiber das ihm unverständliche filmen diu'ch ein ihm geläufiges wort ersezt zu haben: etwa „Verletzung durch eine leichte beiührung"? Gemeint war lU'sprünglich mit filinenebreke jedenfals die Verletzung der haut, denn sie wii-d der Quetschwunde (mösdolch) , also einer Verletzung der tiefer liegenden fleischteile, gegenübergestelt, vgl. 307, 5: „hwerscl ma thene mon slait uppe en lith and thet fei nout imbursten is, istet en riucht mösdolch^'.

1) Möglich ist, dass in dem uamen der femo diese bedeutung liegt. In sol- chem falle hätten wir in dem später stets erscheinenden e*- vokal {feime, s. Lexer, Mhd. hdwb. m, G2) nicht etwa germ. a* zu erkennen, sondern die verhochdeutschung entweder eines niederdeutschen c, welches aus e diu'ch dehnuug in offener silbe ent- standen war, oder eines auf gleiche weise aus i hervorgegangenen niederdeutschen ^. Dass wir berechtigt sind, diese ganze sippe (durch vermitlung von vimel „glänz", vgl. Ben. mhd. wb. III, 317) mit veim „schaimi" und dieses mit vüm = nhd. faum (das M, aus u in offener silbe, spricht freilich gegen vergleich mit skr. jihena usw.) in Verbindung zu bringen, ist nicht wahrscheinlich. Ebenso unsicher ist das Ver- hältnis aller dieser formen zu fimcln „schmeicheln, heucheln usw." (vgl. Doornkaat,

XHINQS UND DIE ALAISIÄGEN 439

liclien tastens und spürens in fimer „Spürhund"? (D. Avb. III, 1638) enthalten zu sein: die fimer müssen sie (die wilden seh wein) ausspü- ren (H. Sachs I, 424").

[Deshalb ist es möglich, dass ein widerholtes „suchen" der unge- horsamen mit fimeln bezeichnet ward und unsere quelle fimeühing als „such ding" auffasst. Allerdings könte der stamm fimel- auch zu der erklärung als „rügcgericht, heimliches spürgericht" führen, zu deren gunsten die analogie des tliruchthingath und andere moraente in betracht kommen i.

Jedesfals erscheint die mythologische Verwertung der beiden rechtsausdrücke unzulässig. bodthing und fimelthing sind keine umfassenden gegensätze, durch deren Personifikation die rechtspflege versinbildlicht werden könte. Sodann ist das bezeugte fnneUhing der Sache und daher wol auch dem namen nach ein produkt nachfrän- kischer rechtsentwicklung, dessen zurückdatierung in die germanische zeit nicht möglich ist.]

Nachdem wir also erwiesen haben, dass in dem namen der bei- den göitinnen keine beziehung auf das thing zu sehen ist, können wir vorurteilsfrei an die deutung des wichtigsten teiles der Inschriften, des appellativums alaisiagis herantreten. Was bisher darüber gesagt ist, befriedigt nicht. Seh er er bezeichnete seine matte Übersetzung „die algeehrten" selbst als einen notbehelf; Pleyte (Mars Thingsus. Yer- slagen en mededeelingen der koninklijke akademie van wetenschappen. Afdeehng letterk. 3. reeks. deel II Amsterdam 1884, s. 109 fgg.) inter- pretierte „den alrechtsprechenden", hat aber keine sprachliche begrün- dung gegeben; der deutung Weinholds (Ztschr. f. d. phil. XXI, 1 fgg.), so fein sie auch durch sachliche gründe gestüzt ist, kann ich nicht

Wb. I, 482; ndl. fijmeln Ouclemans, bijdr. II, 301 vgl. F. B. Hettema, bijdr. tot het oudfis. wb. Leiden 1888 s. 33 fgg.). Vielleicht haben wir hier eine alte ei- wurzel anzunehmen, zu der an. feima „schamhaftes mädchen", feiminn „scham- haft, blöde" und die ae. und frs. Vertretungen des germ. *faitmitdn- „frau" gehören (vgl. Siebs, Z. gesch. d. engl. -frs. spr. s. 264. 274). Der grundbegrilf würde „scheu, schamhaft" sein. Ganz abseits stehen formen wie nhd. feime „haufo von him- dert stück" fimme fim (as. aranfimba vgl. an. fimbtd- fifl, zu idg. y'pcmph) s. D. wb. III, 1638; desgleichen ferne (D. wb. III, 1516 fgg.) „weide, mast", wozu viel- leicht als hochstufe griech. not,fj.t]v, lit. pcmü zu vergleichen ist. Aber femeln Schindler, Bair. wb. I, 718 unter 2) ist wol zu unserer würzet foa zu stellen und nicht als lat. lehnwort zu l)etrachten.

1) Sehr gut würde aus sachlichen gründen in diesem sinue die wurzel fem zur erklärung der fem ge richte passen.

440 SIEBS

beitreten, weil sie auf einer nur im äussersten notfalle erlaubten kon- jektur beruht; Jaekels interpretation ist sprachlich und sachlich nicht gerechtfertigt 1. Die aus inneren und äusseren gründen beste aller erklärungen hat vor kurzem Rieh. Heinzel in seinem treflichen buche über die ostgotische heldensage gegeben. Er bezeichnet die bisherigen versuche als unbefriedigend und sieht in den alaisiagis das vereinzelte beispiel einer frühen kontinentalen kenning: der erste teil sei alaisi = ags. alaer alor ahd. elira vgl. afrs. elt^en jelren an. qlr elrir elri, mnd. eise eis, französisch alisie?' alise, span. aliso; der zweite teil sei ahd. agi, und somit bedeute die komposition soviel wie „schrecken der erle", d. h. stürm, blitzfeuer. Ich bin durchaus der ansieht, dass das so frühe erscheinen einer germanischen kenning uns nicht befrem- den dürfte, und ich mache das nur vereinzelte vorkommen gewiss nicht gegen Heinzeis auffassung geltend; der zweite bestandteil, das ahd. agi, macht keine Schwierigkeiten; ebensowenig die s-form neben der r-form. Aber das suffix -aisi- halte ich für eine alzu gewagte annähme, so lange wir keine sicheren analoga beibringen können. Hein- zel (s. 51) nimt älas- , älos- , alis- und älais an. Ich gestehe alox- (got. *aluxa) auf grund von ags. ahr zu, desgleichen alis- auf grund von eise und auch aliz- auf grund von elira usw. Für alax- sehe ich keinen zwingenden grund 2; dass für alais- die von Heinzel gebo- tenen analogieen nicht genügen, will ich jezt begründen, ölieim oelieim neben mhd. dehin ist keine stütze für -cd- neben -i- suffix, weil die etymologie noch nicht sichergestelt hat, ob wir es hier überhaupt mit einem suffix zu tun haben (vgl. OsthofF, Paul und Braunes Beitr. XIII, 447). Seltenes ahd. eideim ist neben eidim eideni aidum cidam bezeugt, aber auch hier ist die etymologie unsicher, und Kluge (Etym. wb.'^ 66)

1) Jaekel übersezt „ah'eclitsselierianon'', indem er von afrs. sia ausgeht, also von einer specifisch friesischen und zwar einer späten lautform. Das ist ganz unmöglich. Ebensowenig stichhaltig ist die sachliche begrüuduug des „rechts- sehens" durch die stelle der rechtsqiiellen (7, 19): thi äseya thi bitcknath thene prestere; hivande hia send stände and hia slcilun tcesa ägon there heliga kerstenede". Das ist eine erst in später zeit gemachte Rüstringer etymologie des äsega äsiga. Man empfand nicht mehr, dass es zu „sagen" gehörte, weil dieses wort dm'ch assibilierung des palatalen g zu sidxa geworden oder vielleicht im Rü- stringer dialekt wie jezt in nenostfrs. mundarten schon ganz ausgestorben war, und deshalb brachte man dsega selbstverständlich mit formen wie srgon praet. plur. von

■sia in Verbindung. Weder die übrigen frs. texte noch der lateinisclie kennen jene etymologie {„quia asega significat sacerdofem et ipsi sunt ocuU ecelcsiae" usw.).

2) Ags. alaer (Sweet oldest engl, texts) komt hier ja nicht in frage, da -aer nur statt -er geschrieben ist und in sehr vielen fällen mit -er und -or wechselt.

THINGS UND DIE ALAISIARKN 441

hält die verwantschaft clor ableitiing mit der von oheim für möglich; ist got. *aip)mis anzusetzen, so könto, wie ich vermute, das seltene ahd. ei ein irrationaler, von der stamsilbe bcointlusstcr vokal sein. Ebensowenig möchte ich das wort „ameiso" iieranziehcn (ahd. amcijja, ags. cemcttc, mhd. amci^c und ot/rjc), denn die etymologie ist auch hier unsicher, und volksetymologischo Umbildung ist mir sehr wahr- scheinlich. Dass ferner bei einem hinsichtlich der reime so laxen schriftsteiler wie Hugo von Langenstein (aller tiige7ide iteil : smehe von der sinulcn weil) /teil statt ^tel im reime vorkomt, ist keinesfals beweisend; mhd. eifcil, welches Heinzel anführt, iiabe ich nicht gefun- den, doch solte es in später zeit belegt sein, so könte widerum sehr wol anklang an die stamsilbe massgebend gewesen sein, oder es könte mhd. dlcil (expers) eingewirkt haben. Und bei allen diesen formen ist doch ebenso wie bei alais- alox- höchst auffällig, dass wir gar nicht an einen suffixablaut innerhalb der e«'-reihe denken dürfen! An- ders läge die sache bei ahd. araiveij arawij armvij; aber auch hier sind Avenngieich ich nicht kurzerhand die e?'-form durch volksety- mologische anlehnung an ircij erklären will die etymologischen Ver- hältnisse (vgl. eQeßrydog) so unsicher, dass man damit nicht operieren kann. Bei ahd. volleist, as. fiillisti wird man doch weder an regulä- ren ablaut des superlativsuffixes noch an epenthese denken wollen, und so bliebe denn arabeit mit den verwanten formen der übrigen germa- schen sprachen, wenn wir Johs. Schmidts Vermutung der epenthese annehmen, das einzige, wenn auch nicht absolut sichere analogen. Mit dieser einzigen formellen stütze bin ich, so hoch ich auch die erklärung Heinzeis schätze i, nicht zufrieden; und das um so weni- ger, als ich glaube durch eine einfache und formell schwerlich zu beanstandende deutung zu einem ähnlichen sachlichen ergebnisse zu gelangen.

"Wir kennen eine germ. wurzel ts, die im indogerm. durch die drei stufen eis ois is belegt ist. Fick (Ygl. wb. 4. aufl. I, 359) ver-

1) Die foiTn alis- mag in ortnamen, wie z. b. in dem mit lokativsuffix gebil- deten namen Alisni (dorf an der IJnterweser) gefunden werden; ebenso in Alisin = Neckarelz, welches in einer bei Bonfeld gefundenen inschrift erscheint: „in honorem domiis divinae genium civiuni Alisinensiuni L. Aventinus M. Aeternus deetiriones eollcgii seniornm donarunt" (Brambach Corp. inscr. Rhenan. 159.3, Mone in der Ztschr. f. d. gesch. des Oberrheins X, 390). Vgl. auch Aliso und die von Heinzel erwähnten werte der Malberg, giosse. Ein alais- aber ist mir (natiü'lich abgesehen von Alacssa in Sicilien vgl. Brambach 2019 und Osann in der Ztschr. f. altert, wiss. 1844 s. 247) weder in namen noch sonst bekant geworden.

442 SIEBS

zeichnet für die tiefstufe griecli log pfeil, skr. is'w; die grimdbedeutung ist nach massgabe von isate (enteilen), esati (gleiten, schleichen) die einer beweguüg. Zu einem starken verbum *eisö lässt sich ein faktiti- vum *oiseiö annehmen = eilen machen, erregen (vgl. die bedeutung von skr. isdyati)^ und das würde got. ^aisjau ergeben. Im altnord. ist das wort tatsächlich vorhanden: eisa (die hochstiife finden wir in griech. oif-ia ansturm, olozoog wut, zend aesma zorn usw. wider), an. eisa bedeutet „einherstürmen, erregen", z. b. eisa eldmn (Cleasby, Dict. 124) „to shower down embers" d. h. heisse asche niederströmen lassen, niederschütten; und öfter ganga eisandi, vargr hafs eisar (vom schiff = seewolf) „to go dashing through the waves" d. h. spritzend, stür- mend durch die wogen fahren. Wir sind durchaus berechtigt, dieses wort auch für das westgerm. in ansprach zu nehmen i. Mit -jan-swifLn und mit dem gerade im niederfränk. sehr produktiven suffix gerjn. -a-^iöri- wird aus der germ. wurzel als ein feminines nonien agentis gebildet, welches mit dem bekänten praefix al- verbunden im urgerm. gelautet haben würde nom. sing, al-aisjagjö^^ „die gewaltig einherstürmende, die gewaltig erregende; im ags. (wo ja die- ses suffix mehrfach belegt ist, z. b. scernic^e, huntic^e) würde die form *(e)al{l)(^s(s)ic^e und in frtänkischen gegenden (3. Jahrhundert) *alais (sjjag (g)ja lauten: der dativ plur. muss also latinisiert alaisiagis heissen.

Bei dieser deutung, welche die Alaisiagen als rein germa- nische gottheiten erweist, denken wir sogleich an die deutschen sturm- und kampfgöttinnen , an die Walküren. Um aber diese für die ältesten zeiten wahrscheinlich zu machen, müssen wir vor allem unter- suchen, ob \vir auch an anderer stelle ihre spuren finden, ob und inwieweit sie sich mit bekanten göttinnen des römisch -germanischen kaltes vereinigen lassen. Mit den Victoriae, die sich aus der Vi- ctoria entwickelt haben, dürfen wir sie nicht identificieren , denn eine Yictoria im gefolge des Mars ist aus Germanien bekant (Brambach, corp. inscrr. Rhenan. 1412, 1737. Korr.-bl. d. westd. ztschr. I, 77), nicht aber Victoriae. Ebensowenig sind hier die Matres und Ma- tronae des keltisch -römischen kultes, die (di) Campestres und die Fatae zu vergleichen (gegen Schuermans, Bull, des comm. royalcs XXIV, 1885 s. 274). Unsere quellen für die erforschung jener kulte fliessen sehr spärlich, als arbeitsmaterial bleiben uns fast nur die Inschriften.

1) Für unseren fall ist unerheblich, ob wir s oder (mit grammat. Wechsel) x ansetzen (vgl. übrigens ags. Iceran neben lijsan u. a. ni.).

THINGS UND DIE ALAISIAOEN 443

Treten wir luin mit den Überlieferangen des römisclien kultes (vgl. Siebourg, Westd. ztschr. f. gesch. u. k. 1888 s. 114), mit den ergeb- nissen, die wir aus den römischen formen und formein gewonnen liaben, an das keltisch -germanische heran, so sehen wir fiii- die Schei- dung der kalte in manchen fällen kaum ein anderes kriterium, als die lokale Verbreitung der Inschriften. Diese aber erweist den matronen- kult durchaus als keltisch i. Mit den Alaisiagcn sind die Matres und Matronae ferner deshalb nicht zu vergleichen, weil diese stets in der dreizahl und nur ganz selten im gefolge eines der höchsten götter auftreten (mit Jupiter Corp. inscrr. latt. VII, 260 in Britannion, Corp. inscrr. Rhcnaii. 1140 in Mainz), und in diesen fallen bieten sie nicht die geringste anknüpfung an bekante germanische Vorstellungen. End- lich ist darum die identität ausgeschlossen, weil sie niemals (Siebourg a. a. 0. s. 101) virgincs, niemals nymphae genant werden, obschon diese w^orte sonst ganz geläufig sind mit den walküren aber ist der begriff der Jungfräulichkeit untrenbar verbanden. An die Campe- stres, die ja beschützerinnen der Soldaten sind, ist nicht zu denken, weil ihr kalt ein rein römischer und ihre Verehrung über das gesamte römische reich verbreitet ist; ferner weil sie in germanischen gegenden getrent von jeder gottheit (Brambach, Corp. inscr. Rhen. 1585. 1596. Corp. inscr. Lat. (Brit.) VII, 1029. 1080. Campestrihus et Briianfiiae ebenda VII^ 1129) oder mit vielen andern göttern (Corp. inscr. Lat. VII, 1114) erscheinen; endlich weil sie auch als Matres Campcstres, und zwar in der dreizahl auftreten (Corp. inscr. Lat. VII, 510. 1084). Eher Hessen sich zu den walküren die sogcnanten reitenden matro- nen vergleichen, die man in der silvestvis imDianisque femina des Saxo, in den dirnweibel und waldfrauen hat widererkennen wollen. Aber wir können sie für unsere zwecke nicht verwerten, da die (19)

1) Die ausbeute eines Vergleichs mit dem gcrmauischen uorucnkulte (vgl. Eiii- beth, "\Vil))eth und AVarlKitb) wird, so uaheliegcud er ist, meiner Überzeugung nacli stets nur eine geringe sein können. Vor allem möchte ich darauf hinweisen, dass das wenige, was sich aus den einzelnen beiuamen der Matres und Matronae als ger- manisch ergibt, durch die äusserste lokale und sachliche specialisierung der germa- nischen mythologie widerspricht. Und dann wird man bei manchen scheinbar zwei- fellosen beziehungen auf Vorstellungen der germanischen mythologie und des germa- nischen lebens doch niemals sicher sein, ob nicht bloss beziehung zu einem deutschen Ortsnamen vorhegt. "Wie nahe läge es, die matronae Maldinchac statt au Hecheln an mahal anzuknüpfen! Wie gern würde ich die kürzlich entdeckten viutres Fer- novincae (vgl. Qiiinchue'i Branib. 603) als die „Spenderinnen des firneweins" deuten (vgl. as. fern, got. fairneis\ und doch ist möglich, dass sie nichts weiter als die alte form des Ortsnamens Verlishovcm bekunden (Korr. lil. d. westd. ztschr. 1889 nr. 131).

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inscliriftlosen reliefs keine genügende auskunft geben ^; auch wider- streitet das stets isolierte erscheinen der matronen dem wesen der Walküren.

Will man überhaupt an göttinnen des römisch -germanischen kul- tes anknüpfen, so können es meines erachtens nur die nymphen sein. Sicher ist, dass die spätere deutsche auffassung nymphen und -Walkü- ren identificiert. Das lehrt des Saxo Grammaticus erzcählung von Ho- therus und Balderus, wo jungfräuliche wald- und kampfgöttinnen als mjmphae bezeichnet werden 2. Die walkürennatur dieser nymphae ist über jeden zweifei erhaben, und Jakob Grimm sezt geradezu nymphae = idisi. Sehr auffällig ist auch, dass sich in den ahd. glossen (Graff I, 625) ^,Sturm?vind tiirbo nimphus ?iinipha'''' findet; wenn- gleich man hier sofort an den einfluss des lateinischen nimhus denkt, so ist doch jedenfals die kontamination der beiden begriffe dadurch bezeugt. Eine solche mag auch zur zeit des römisch-germanischen kultes nahe gelegen haben. Freilich sind unter den nymphen, wo sie auf inschriften Germaniens vorkommen, wol meistens wassergöttinnen verstanden; doch scheint mir Ihm in seiner vortreflichen abhandlung über den matronenkult (Bonner jahrbb. 83, 1 fgg.) fehl zu gehen, wenn er alle anderen beziehungen leugnet. In vielen fäUen sind quellgott- heiten ja höchst wahrscheinlich: so nimpis Volpinis, die mit Apollo zusammen genant werden (Bonner jahrbb. 84, 64 fgg.); wenn die vicani AÜiaienses (siehe unten) den nymphen einen votivstein errichten; vor allem wenn (Brambach Corp. inscr. Rhen. 1329) der praefectus aquae genant wird; desgleichen, wenn die dedikation nymphis et fontibiis gilt (Corp. inscr. Lat. YII, 171); auch nymphis Laurentibus (Korr. bl. d. westd. ztschr. YI, 189 fgg., Bonner jahrbb. 69, 117). Aber ein gesetz lässt sich daraus nicht ableiten. Müssen es etwa quellgottheiten gewe- sen sein, Avenn in Britannien auf inschriften nymphis (Corp. inscr. lat. VII, 1104), nymphis venerandis (998), deae Nymphae (278), deahus nymphis (757), nymphae Brigafitiae (875) erscheint, oder wenn es in rheinländischen inschriften tiymphis (Brambach, Corp. inscr. Rhen. 290),

1) Auch die attribiite geben keinen sichern anhaltspunkt. Mir scheinen es apfel und wiesei zu sein, vielleicht Symbole des erntesegens und der Jungfräulichkeit.

2) Saxo ed. Holder s. 70 (Müller -Velschow 112 fgg.; vgl. Grimm, Myth." s. 358). Auch an anderer stelle werden tres nymphae erwähnt. Es sind silvestres virgi- nes, und streng werden diese jungfräulichen walküren von feminae geschieden. Ein- mal (Holder s. 22,5, Müller -Velschow 12.5) erscheint ein silvestris ciiiusdmn imma- nisque feminae tugurium: diese frau tritt in gegensatz zu einer puella, einer per Otharum indaganda virgo, deren Jungfräulichkeit sie schüzt.

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lovi optimo maximo Nißiiphis (973), dcdhns nymfis (1328), nymphis (1745), nimpis (291) lieisst? Weim zu Merten eine iuschrift nympkis sacrurn gefunden ist (Bonner jahrbb. 80, 234), so braucht sie nicht notwendigerweise auf den ßömerkanal oder auf quellen jener gegend gedeutet werden; es können auch waldnymphcn gemeint sein, die sich möglicherweise mit den deutschen waldtrauen berühren. ' Auf einem in den Donauländoru (Ihm a. a. o. s. 84) gefundenen relief sind die drei SUvcuiae als nympiion dargestelt; reliefs aus Österreich schiklern Fem mit den nymphen. Die Inschriften Untergermaniens kennen die Silva7iae nicht, nur die nymphen; um so begreiflicher wäre es, wenn darunter auch waldgöttinnen verstanden wären.

Es liegt mir natürlich fern, eine völlige Übereinstimmung der nymphen mit den germanischen walkürcn erweisen zu wollen. Nur will ich folgende behauptungen zu einem Schlüsse einen. Die ergeb- nisse der deutschen mythologischen forschung berechtigen uus, in den Alaisiagen, insofern wir sie als zwei den Mars = Tius geleitende stürm- oder kampfgöttinnen erkant haben, walküren zu erkennen. Sind nun walküren überhaupt mit gottheiten des römischen kultes iden- tificiert und durch votivinschriften geehrt worden, so jedenfals nur mit nymphen, und zwar aus folgenden gründen: einmal weil der von den walküren nicht zu trennende begriff der Jungfräulichkeit unter den in frage kommenden gottheiten nur bei den nymphen ausgeprägt ist; zwei- tens weil ein berührungspunkt zwischen den nymphen als wassergöt- tinnen und den walküren als schwanjungfrauen gegeben war; drittens weil wir die nymphen sowie auch die walküren als gottheiten des wal- des kennen.

Je grössere Wahrscheinlichkeit die Identität der Alaisiagen und der aus weit späterer zeit bekanten walküren gewint, um so auffälliger muss es sein, dass jene nicht wie diese in der dreiheit, sondern in der zweizahl auftreten. Es fragt sich nun, ob wir in den Zeugnissen des römisch- germanischen kultes, besonders unter den nympheninschi'iften, ähnliche fälle finden. Ich stelle eine Inschrift voran, die freilich nicht aus Germanien stamt: ^^Nymphis Gemiuis sacrum C. Fufius Qemini libertus Politicus; idem aqucmi perduxit^'' (vgl. Zangemeister, Korr. bl. der westd. ztschr. 1887 nr. 132). Ihm (a. a. o. s. 95) denkt hier, im gegensatze zu Mommsen, an duo scüie7ites, und seiner ansieht tritt Klein (Bonner jahrbb. 84, 66) bei; für unsere zwecke komt die Inschrift kaum in betracht. Auf der Alzeier Inschrift (Brambach, Corp. inscr. Rhen. 877) vermutete Ihm (mit Mowat) ^^diiabus Nymphis'-^ doch hat Zangemeister (Korr. bl. d. westd. ztschr. 1887 nr. 157) diese lesung

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endgültig widerlegt. Auf einer Frankfurter Inschrift findet sich ^^Buabus'-'- (Ihm a. a. o. nr. 443 s. 54). Ich füge einen allerdings eigenartig oberflächlichen fundbericht (Bonner jahrbb. 67, 156) an: „In diesem jähre (1867) wurden widernm bei den weiteren ausgrabun- gen in Belgica zw^ei brunnen aufgefunden und in einem derselben eben- fals zw^ei sitzende weibliche figuren von rotem Sandstein mit abgeschla- genen köpfen und die folgende sehr beschädigte Inschrift ////I//ANAE usw. Ich würde kein bedenken tragen, den kleinen votivstein als der Diana gewidmet anzusehen, stände nicht der vom 2. buchstaben in der obersten zeile (I oder E) erhaltene rest zu entfernt von dem folgenden A, um unmittelbar dazu zu gehören. An den Schmalseiten des 40 cm. hohen, 28 cm. breiten Steines befinden sich banmzweige". Gehört das alles zusammen? Friederichs (Matronarum monumenta usw. Dissert. Bonn 1886 nr. 373) konjiciert hier Süranahiis , w^ogegen Ihm (Bonner jahrbb. 84, 183) einspräche erhebt. Im Bonner museum (Katalog von Hettner. Bonn 1876 nr. 217) befindet sich eine reliefgruppe : Auf einem lehnstuhl eine frau in langem ge wände, die in der rechten einen zweig, mit der linken eine auf dem knie anfstehende schale mit fruchten hält. Neben ihr links eine jugendliche weibliche figur, einen teller mit fruch- ten haltend. Zu den matronen will sie Ihm der zweizahl halber kei- nesfals rechnen, ebensowenig als ein relief des museums zu Poitiers, welches zwei sitzende weibliche figuren mit fruchten und füUhorn dar- stelt. Freilich sind derartige Zeugnisse selten; doch sie zeigen, dass göttinnen in der zweizahl dem römisch -germanischen kulte nicht ganz fremd sind. In der späteren zeit aber, in der deutschen und nor- dischen mythologie, spielt die zweiheit, gerade bei den walküren, eine grössere rolle, als man in der regel annimt.

Mit gutem rechte weist Heinzel auf pörgei'är Hqlfjabrnctr und Irpa hin, die beiden Trollkomir, welche als stürm- und kampfgöttin- nen hagelwetter und Windsbraut, blitz und donner und eisige kälte erregen und pfeile gegen die feinde schicken {Foimmannasqgur XI, 134 fgg. und sonst, vgl. Storm, Ark. f. nord. filol. II, 124 fgg.; Detter, Zeitschr. f. d. a. 32, 394 fgg.). Nach den Iläkonarmql des Eyvindr shUdaspillir (Wisen Carm. norr. I, 16) entsendet Oautatyr (Opinn) die beiden walküren Gqndnl und Slwgnl, um könig Hdlon nach Val- hqll zu führen. In der Friäpjöfsaga werden die beiden seictko- nur Heiär und Hcmiglqm gedungen, dass sie stürm senden {Forn- aldarsqgur 11^ 72). Auch Fenja und Menja, die beiden gefangenen Jungfrauen, die dem könig Frößi gold und friede mahlen, sind eigent- lich walküren: ^^framvisar tvcer i fölh sHgum; heiddum hjqnm en hrut-

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imi sl-jqldu'-'- usw. heisst es in str. 13 des Grottasonr/r : und ebenda Str. 21 ^^eruma, valmar {-inmr??)^ i valdreyra"'. Die beiden tvisiu mcrwip des Nibelungenliedes, Iladburc und Sigelint sind walküren: das ergibt sich aus der nennuiig und bedeutung ihrer namen. Jakob Grimm (Myth.* 355. 360) meinte, der name des dritten flussweibes werde ver- schwiegen, doch gibt eine betrachtung aller stellen nicht den gering- sten grund zur annähme der dreiheit. Für die walküren mögen diese belege genügen; aber auch sonst sind gottheiten, Personifikationen in der zweizahl der germanischen mythologie nicht fremd. Ulm und Gnä sind die dienerinnen der Fi'igg. Verbreitet ist (Panzer, Beitr. z. d. mythologie I, 88) die sage von den beiden truden Muß und Kan7i. Die gogensätze von tag und nacht, sommer und w int er bedürfen keiner erwähnung. Reif und schnee werden personificiert: dir (dem sommer) hat tviderseit beidiu Rif und Sne Beneckes beitr. 398 (vgl. 7nin her Rife Minnes. Hagen II, 169"); Frost und Eise bliche Albr. V. Halb. 20, 124; so auch heisst es im ags. Andreas 1258 fgg. „/^r/w and forst, häre hildstapan''^ u. a. m.

ÄJso die zweizahl stelt der auffassuug keinen widersprach ent- gegen, dass die Alaisiagen, die dem Mars geselten stürm- und kampf- göttinnen, den walküren der späteren quellen entsprechen. Yor allem aber reden die namen der Alaisiagen unserer sache das wort. Den in Fimmilene erhaltenen stamm hat Scherer, noch ehe Heinzeis hypo- tliese vom fimelthing ihm mitgeteilt war, sogleich richtig erkant, indem er (s. 580) an altnord. fimr „geschickt, gewant" anknüpfte; nur ist in dieser an. form die alte bedeutung verwischt. Das mm nach kurzem stamsilbenvokal macht, wie auch Scherer annimt, keine grossen Schwierigkeiten; möglicherweise Hesse sich, fals man den bindevokal aufgibt und das i (statt c) der stamsilbe durch einwirkung eines i der flexionssilbe erklärt, auch die westgermanische konsonantenverdop- pelung vor l zum beweise heranziehen, fem- fim- drückt, wie ich oben (s. 438) erörtert habe, die unstäte bewegung aus: ahd. *fim-ila, got. *fmiüö, ags. fimele würde „die bewegung" bezeichnen und zwar im besonderen „das wehen des windes". Diese bedeutung ist mund- artlich in vielen gegenden bis auf den heutigen tag bewahrt. Ich will zum beweise einige formen anführen, in denen teils ?', teils anderer mittelvokal vorliegt, sowol konkrete substantiva als auch frequentative verba. Das Bremer Wörterbuch (I, 388) verzeichnet hannoversch feme- Jcn „hin und her bewegt werden" (also die e -formen, mit mittel vokal a gebildet, zeigen einfaches ?>?), femel „ein dünnes leichtes kleid, das vom winde hin- und herbewegt wird"; Frischbier (Ostpreuss. wb. I, 188)

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gibt fimmelei „flatterndos, umberfahrendes, imstätes wesen", ftmmelig „unstät, flatterbaft"; fimmeln feimein femeln femmehi „bin und ber fahren, namentlicb mit den bänden, wedeln, webend flattern" : ^^ßmmel mir nicht immer mit der band vor den äugen", „mit der peitsche fim- 7nehi''''\ „der bund fimineli mit dem schwänze", „die bänder der baube fvmmeln''\ „er muss überall herum -;^mw2eZ/z". Fimtnila kann demnach der wind, die Aveibliche Personifikation des windes sein: wir werden hierbei an den walkürennamen Svipul erinnert. Die dativform Fimmüene kann nach den bemerkungen, die in lezter zeit von ver- schiedenen selten über die einschlagenden erscheinungen gemacht wor- den sind (vor allem vgl. Heinzel a. a. o. s. 53 und die litteraturangaben bei Kauffmann, Paul u. Braune, Beitr. XY, 561 anm.), keine Schwie- rigkeiten bereiten. Übrigens bemerke ich, dass die formen -ane neben -e7ie sich wol am besten erklären, wenn man nicht bloss für den nom. sing. fem. der «-stamme des altbocbd. und engl. = friesischen (ximga tufi^e), sondern auch für die obUljuen kasus der feminina und neutra als Vorstufe germ. -eu- neben -en- suffix annimt, also urgerm. lokativ '^Fimilen(i) Fimilen(i). Das schluss-e statt -ae in Bede und Fim- müene kann nicht befremden, da die Inschrift mit ae (alaesiagis) geradezu germ. cd widergibt; auch wäre ja möglich, dass die beiden namensformen unlatinisiert dargestelt wären.

Wie aber steht es mit Bede? Die germ. wurzel beuä (bieten) kann nicht vorliegen, da altes eu, eo niemals durch e vertreten ist, und da germ. au + «-iimlaut (ags. mannesname Beda Bceda Bieda) oder u -f- ^-umlaut für jene zeit nicht in frage komt. Zu einer ei- wurzel wie Heinzel es tut vermag ich die form nicht zu stellen, denn altes i würde durch i vertreten sein, germ. ai aber wäre (das müssen wir wegen alaesiagis alaisiagis annehmen) mit ae oder ai widergegeben: darum ist eine anknüpf ung an afrs. bidia oder an das lockende an. beiäimara beidihlqkk = „nympha optans vel cupiens" nicht erlaubt. Die formell unantastbare deutung als bitte " lassen wir aus sachlichen gründen hinter eine andere erklärung zuilicktreten. Mir ist zweifellos, dass wir mit germ. e^ 2u rechnen haben. Man darf natürlich an einen ablaut zu badii ags. beadu „kämpf" nicht denken (wie Bosworth zu einer ansetzung bcedeiceg „contest" gekommen ist, weiss ich nicht, vgl. bcedeiue^ Grein, Gloss. I, 77); badu weist auf altes ^bhatü-s zurück, imd so ist wenig aussieht, in einer e- stufe, wenn sie vorläge, ein germ. <?, ein d unserer Inschrift zu rechtfer- tigen. Ich gebe eine andere erklärung. Im Heiland 4853 beisst es: wuräun undarbadode, that sie under bak fellun „sie wurden

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erschreckt". Wir dürfen hierin (vgl. Fick, etym. wb> 89, 489) eine idg. Wurzel bJiadh hJiedh bhudh erkennen, welche „verjagen, erschrek- ken, belustigen" bedeutet, vgl. ai. badJiate „drängen", lat. fastus fastidium, lit. hostit „ekel bekommen", bödus „ekelhaft". Die e- stufe ist in lit. beda „not" bewahrt. Der bcg-riff des verwirrens, Jagens ist klar im keltischen erhalten: über diese formen hat herr Professor Zimmer die grosse gute gehabt mich aufzuklären. Das von Fick angezogene fo-bothaim bietet keine gewähr, da die bedeu- tuug durch das fo- so modificiert sein kann, dass sie in ihrer ursprünglichkeit nicht festzustellen ist; wol aber lässt sich zur stufe bltodli altir. büadraim „turbare" stellen (buaidhrim „I vex, disturb"), buadach „siegreich". Demgemäss würde germ. *beäÖ als femininbil- dung vielleicht eine Personifikation des Wirbelwindes (lat. turbo) oder des Wetterschauers sein (eig. „jagerin, bedrängerin", vgl. das häufige au. drifa „hagel- oder schneeschauer"); es kann aber auch im alge- meinen sinne „not, schrecken, bedrängnis" bedeutet haben (vgl. lit. bcda). Dass solche begriffe, auf die Wirkung elementarer gewalten bezogen w^erden und als Personifikation erscheinen, ist nicht auffällig: die ahd. glossen (Graff I, 407; Grimm, Myth.^III, 180) bieten ampeit = tempestas, procella; im ags. Andreas sind icceterbrö'^an (197), iü(B- tere^esa (357), ivindas and wce-^as and tvceterhrö-^an (458) personificiert.

Ob wir auf grund dieser erörterungen Fimrnüa und Bed als wind und Wirbelwind, wind und wetter übersetzen, oder ob wir ähnliche Personifikationen wie lat. impetus (vgl. ahd. luigistuomi als windname Grimm a. a. o.) und 7netus (Claudian I, 78 fgg.) annehmen wollen, ist ziemlich gleichgültig. ]\Iir scheint, die erste auffassung ist ist als die einfachere vorzuziehen.

Wie bei den Germanen, so ist auch in der mythologie anderer Völker die zweizahl der gottheiten und Personifikationen nicht selten: im griech. Damia und Auxesia (Herodot Y, 82. 83), "F/rwg und 0a- vavog, ^Idtög und Ntf-ieoig; römisch Honos und Virtus wobei auf die Verschiedenheit des geschlechtes wol kein grosses gewicht zu legen ist. Besonders oft aber finden wir eine trias dadurch gegeben, dass einer höheren gottheit zwei halbgöttliche wesen als boten oder diener beigeselt sind. So erscheinen Jei}.iog und Oößog, vielleicht auch ^Evvib und ^'EqLg im gefolge des Ares, Pavor und Pallor im gefolge des Mars (vgl. Grimm, Myth.'^ I, 172. III, 74); Pales und Favor nent Martianus Gapella cap. I, 50 als Jovis filii; auf einer Kölner Inschrift (Orelli- Henzen 5820) heisst es: ^^Honori et Favori Saturnius Lupulus'-'' (nach Mommsen Pavor i). iS'ach cechischer anschauung brechen Tfas (zu tre-

ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXIV. 29

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SU = altbulg. ifesq schütteln, erschüttern) und Strach (= altbulg. stratii schrecken) in das beer der feinde. Das mögen lokale gestaltun- gen sein; überall aber kehrt die auffassung wider, dass der licht- und himmelsgott als boten die wind- und wettergottheiten entsendet: der höchste gott der Litauer, Pranisinas, gebietet den beiden riesen Vandü und Vejas, eigentlich „wasser und wind" sie sind etwa unse- rem wind und wetter {Mermeut und Fasolt?) zu vergleichen. So ent- sendet Jupiter die Tempestates , so Indra die Maruts, so auch Tius, der germanische himmelsgott, dessen tünktiouen bei gewissen germa- nischen stammen auf Wodan oder aiif Thunor übergiengen, die Alai- siagen. Wir haben unsere votivaltäre von Borcovicium sachlich somit wol nicht anders aufzufassen, als etwa die (Preller, Rom. myth. ^I, 331 anm. 2) im südlichen Frankreich gefundene inschrift: ^^Jovi optimo maxiwio autori bonarum Tempestatum'''- .

Man wird nun einwenden, dass der beiname Thing so oder Thincso meinen bisherigen erörterungen widerspreche. Indem ich darauf eingehe, fasse ich zuerst die urheber der Inschriften ins äuge: sie erscheinen einmal als Gemnani cives Tuihmiti cunei Frisiorum, ein ander mal bloss als Germani cives Tuihanü. Dass der altar nicht dem schlachtengotte Mars = Tius geweiht war, ist mir sehr wahrscheinlich, denn andernfals würde wol die heeresabteilung als solche geschlossen auftreten. Auch 0. Hirschfeld hat das empfun- den (Westd. ztschr. 1889 s. 137 anm. 49); nachdem er die ^^Marti suo^'- und den ^^Martibus'-'- geweihten inschriften der Narbonensischen provinz besprochen hat, sagt er: „Auch in den neuerdings in Britannien zum Vorschein gekommenen inschriften des Mars Thingsus und der beiden Alaesiagae Beda und Fimmilena wird Mars nicht als kriegsgott, son- dern als schutzgott zu fassen sein; den an diese inschriften geknüpften ausführungen Scherers über Tius Mars kann ich nicht beitreten. Daher wdrd der kriegsgott bisweilen ausdrücklich als Mars militaris geken- zeichnet (Corp. Inscr. Lat. VIT, nr. 390/91; Brambach, Corp. Inscr. Rhen. 467)." Also: auf den kämpf werden wir den beinamen Thingsus nicht beziehen dürfen, wie George Stephens es getan („i^o the God Tiw the warrior'-'- vgl. Archaeol. Ael. X, 166 169); und das ist auch der grund, weshalb ich die Alaisiagen = Walküren in ihrer ursprünglichen fun- ktion, d. h. als stürm göttinnen, nicht als kampfgöttimien auffasse.

Nachdem die bedeutung der Alaisiagen Bed und Fimmila klar- gestelt ist, gilt es, die Stellung des Mars Thingsus unserer inschrif- ten zu untersuchen. Die cives Taihanti sind nicht Friesen, nicht In- guaeonen, sondern Erminonen. Diesen war Tius der höchste gott: der

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alte germanische himmelsgott *Tiwaz war bei ilinea Aveder wie bereits zu jener zeit bei den Istvaeonen, durch eine chthonische gottheit, durch Wodan (C)hannjo (vgl. Siebs, Ztschr. f. d. phil. XXIV, 147 fgg.), noch durch den Wanenkult verdrängt. Eine spur dieser alten Verhält- nisse Aväre noch erkenbar, wenn wir kelt. Loucetliis Leucetius, wel- ches auf rheinischen Inschriften dem liimmelsgotte Mars zuerteilt wird, mit dem römischen lichtgotte Jupiter Lucetius identificieren dürften {Mars Leucetius s. Corp. inscrr. Rhenan. 925. 930. 1540); auch erinnert die St. Galler glosse xtu-turhines an die funktion der alten physikalischen gottheit (Grimm, Myth.^ 168). Und dass wir mit dieser aucii in unserem falle zu rechnen haben, darauf scheinen mir die bei Borcovicium gefun- denen reliefs hindeuten. Aus den figuren der Seitenflächen kann ich freilich nichts ersehen. Doch das grosse halbkreisförmige relief mag es nun zu unseren altären gehören oder nicht, und mag es sich nach Beundorf und Bormann (vgl. Heinzel, a. a. o. s. 54) auf den römischen Mars oder auf den römisch -germanischen Mars Thing- sus beziehen es lehrt uns jedenfals eine zu Borcovicium bekante auf- fassimg des Mars, die zu der des himmelsgottes stimt. Die ansieht Pleyte's und Hoffory's, die in dem zur rechten des gottes sitzenden vogel einen schwank, das attribut des lichtgottes, erkennen und ihn mit dem schwanenritter in Verbindung bringen, würde ich gern anneh- men, da sie ja durchaus zu meiner deutung passt; ich kann ihr aber nicht beipflichten, weil F. Möller durch vergleiche verschiedener Skul- pturen das attribut als eine gans erwiesen hat, die nach Martial's Epigr. IX, 31 zu den opfertieren des Mars gehört. Dagegen die beiden genien mit kränz und erhobener fackel wie man in der lezteren einen palmzweig oder ein schwort hat erkennen wollen, ist mir unbe- greiflich — sind attribute des licht- und himmelsgottes, die den cives Tuihanti, wenn nicht aus römischer Vorstellung, so doch sicher aus dem gerade zu anfang des 3. Jahrhunderts am Rhein mehrfach bezeug- ten Mithraskulte geläufig waren. Auf einen volksversamlungs- oder gerichtsgott weist gar nichts hin; schon die Personifikation des

1) Warum Hoffory und auch Heinzel die bereits in der Westdeutschen ztschr. f. gesch. u. k. 1886 erschienene abhandlung Möllers unberücksichtigt lassen, sehe ich nicht ein. Vielleicht wäre Hoffory (Der germanische himmelsgott. Nachr. der Gott. gas. der wiss. 1888 s. 431) in seiner begeisterung dann nicht so weit gegangen, von dieser rohen, kaum kentlichen Skulptur zu behaupten: „dass auch bei den Friesen Tivax beide funktionen (gott der volksversamlung und zugleich der schwanengleiche her- scher der wölken) in sich vereinigte, das lehrt für jeden, der sehen will, der schwan, der mit wunderbarer zutraulichkeit sich an die behelmte gestalt des Mars Thingsus schmiegt".

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gerichtes statt der gerechtigkeit ist, wenn auch nicht unmöglich, so doch ohne analogie. Für votivinschriften , die nach dem austrage von politischem oder gerichtlichem streit von einer bürgerschaft errichtet sind, fehlen uns alle beispiele; und bei Borcovicium selten deren zwei gefunden sein? Das ist umso weniger anzunehmen, als wir Thingsus durch eine bequeme worterklärung zu einem umfassenderen begrifle erheben können, und diese gibt uns auch das recht, auf die deutung des Tills Things als eines lokalen schutzgottes , wie ihn Watkin (Ar- chaeologia Aeliana 1884 X, 148 fgg.) angenommen und Hirschfeld befür- wortet hat, zu verzichten.

Soweit wir aus den beiden inschriften von Borcovicium ersehen, hindert uns gar nichts, ebensowol Thinasus als Thingsus zu lesen: tatsächlich steht ein C da, wenngleich eine unbedeutende verdickung am unteren bogen möglich erscheinen lässt, dass ursprünglich ein €r gemeisselt war. Lesen wir TJnncsus, so dürfen wir an die germ. wurzel pink ])ank punk anknüpfen, welche einer indog. Wur- zel te7jg tong ti^g entspricht und aus dem lat. tongere „scire" (griech.? Tayfjvai „anordnen") vgl. deutsch ^^denken und dank, dünken''^ bekant ist. Das altsächs. thank ist „gute gesinnung, gnädiger wille, Zufrie- denheit", as. thurh-thank ist um-willen; die tiefstufe Ixunk bedeu- tete wol „(gut) scheinen, (gut) dünken " ; für die mittelstufe piiik dür- fen wir vermutlich die bedeutung „denken" annehmen, so dass thinks (adjektivische -sa-bildung) „der denkende" wäre. Mit nicht gerin- gerem rechte könte man die gleiche bildung zu einer germ. wurzel pink Jmnk punk behaupten, die dem idg. te^ig entspricht und im griech. xiyyio „netze, befeuchte", lat. tingo „netze", ferner als tiefstufe in ahd. fhunkon^ got. *pugkön erhalten ist. ihmks (mit lat. endung: Thincsus) würde dann „der benetzende, befeuchtende" sein und einem römischen Jupiter Pluvius, Imbricitor gleichkommen. Ich halte diese deutungen für nicht so aasprechend wie eine andere, die ich sogleich geben werde; auch will ich sie wegen des im germ. selten belegten Suffixes -sa- nicht in den Vordergrund stellen. Aber sie lie- fern uns den beweis, dass wir verschiedene formell unantastbare erklä- rungen finden können, ohne an einen gott des gerichts zu denken, zu dessen gestaltung ein volk viel mehr in der Personifikation leisten müste, als ich von den Deutschen jener zeit glauben kann.

Auch wenn wir Thincsus lesen und das ziehe ich vor so sind wir nicht genötigt, einen gott des gerichtes zu behaupten und ihm eine so hohe Verehrung zuzugestehen, dass deutsche stamme nach ihm den dritten Wochentag benant haben solten (an die benennung des

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Dingstag als ,, g;erichtstag " wird natürlich niemand mehr glauben). Schon Ployte hat, auf eine mittoilung Cosijn's sich berufend, auf den Zusammenhang von got. Jwilis mit Thingsus aufmerksam gemacht, und Heinzel sagt a. a. o.: „man darf "svol darauf hinweisen, dass ping, lan- gobardisch thinx etymologisch mit got. peihs (yMigög, xqövog), peihvd [ßqovcrj) verwant ist. Tiu, Thinx und die Alaesiagen werden ursprüng- lich rein physikalische bedeutung gehabt haben und später gemeinsam auf das gerichtswesen bezogen worden sein". Wollen wir an eine solche rerwantschaft denken, müssen wir auf die älteste zeit zurück- greifen. Ich gehe aus von idg. *tenqö. Diesem entspricht lit. tenkü „ich reiche aus, habe genug", und zu vergleichen ist germ. *pinha7ian „gedeihen" = got. peihan, as. tliihan, ags. äeo7i, ahd. dthmi. Zu der idg. Wurzel tetiq gab es eine adjektivisch -substantivische -es-bildung tenqes-, welche „ausreichend" bedeutet. Das Substantiv *tenqos- ten- qes-, welches „das ausreichende, das in fülle vorhandene" (eine tref- fende bezeichnung der zeit) bedeutete, ist vielleicht in lat. tempzis, sicherlich aber in got. peihs (entstanden aus *pinhax)^ genit. J)eihsis überlieferte Neben diesem idg. Substantiv *ienqos stand möglicher- weise, wie neben griech. ^ih'og ein adjektiv inEvag- in dußi^tEv/^g^ ein idg. adjektiv tenqes- „ausreichend, gedeihend, üppig, reich", und die- sem würde germ. *pin^es- pinjis- entsprechen, ein treffendes beiwort^ für den alwaltenden, mächtigen himmelsgott.

Aber wir brauchen nicht zu einer adjektivischen bildung unsere Zuflucht nehmen, sondern auch die gieichsetzung von Things und idg.

1) Zu diesem stamme gehört auch got. peihvd „donner" (entstanden aus germ. *penhuon-), doch scheint es mir eher eine Weiterbildung zu peihs „zeit" mit der bedeutungsentwickhing des lat. te^npestas aus tempus zu sein, als dass es direkt von der würzet germ. pinh- abgeleitet sein und gedeihen " bedeuten solte : in sol- chem falle müste man doch wol die hochstufe (idg. to)iq) erwarten. Diese zeigt sich klar in altbulg. tqca (entstanden aus *fonk-ui), welches „gewitterregen", eigentlich das gedeihen machende " bedeutet.

2) Die bedeutungsentwicklung ähnelt in einigen punkten derjenigen von Kn6- vog, dem gotte der Vollendung, reife und fülle, zum gotte der zeit. Der sinn des Stammes ping-, dessen beziehungen zu *p7Iian „gedeihen" dem bewustsein natürlich entschwunden waren, als „mächtig, trefUch" war den Westgermanen geläufig: ich erinnere an altsächs. athengian Hei. 1771 „vollenden", geihungan „tüchtig, treflich" vgl. er-thungan Hei. 3306 „hoch an würden"; ags. gedungen „virtuosus" (dieses alte particip zu germ. *pinhanan ags. deo7i könte möghcherweise dem tunginus der lex Salica zu gründe liegen, sovrie auch das von einem stamme pang gebildete ags. denket an. pengill „princeps, dominus" ursprünglich keine nähere beziehung zum tlüng gehabt zu haben braucht). So ist gar wol verständlich , dass man den uamen Things als „der mächtige, herliche" verstehen konte.

454 STEBS

*Unqos lässt sich rechtfertigen. Sie würde den Mars Thingsus als eine physikalische gottheit erweisen. Wir unterscheiden in indogermanischer zeit bekantlich sogenante starke und schwache kasns. Eigentlich ist neben dem nom. sing. ^'Unqos einen genitiv '^tnq-s-es oder *tnq-s-ös anzusetzen, aber schon in indogermanischer zeit (vgl. Brugmann, Vgl, gramm. II, 1, 388) fand ausgleichung der stamme nach massgabe einer dieser stamformen statt: nom. tenqos gen. *tenqses, also germ. nom. '^pinlmx, gen. *pin^ses'^ = got. nom. peihs, gen. *Jnngsis. Gleichwie nun im got. diese beiden formen nach massgabe des nom. zu peihs peihsis ausgeglichen wurden, so in anderen germ. sprachen nach mass- gabe der genitivform. In den meisten germ. sprachen ergab sich daher *pmgaz, gen. *pingses, welches erste in westgerm. sprachen als nom. ping erscheint; hiezu ward nach analogie der meisten anderen neutra wie Word tvorrles ein neuer genitiv pinges gebildet. Im langobar- dischen aber scheint sich lange das alte Verhältnis nom. *thih, gen. ^'thiiixes erhalten zu haben, doch schliesslich ward "^thih durch einen nach *thinxes neugebildeten nom. thinx verdrängt, welcher uns erhal- ten ist. Ob wir nun in Thingso den latinisierten deutschen dativ *Thingse sehen wollen oder eine alte abstrakte Weiterbildung ^'thing(i)so (wie ahd. egiso, ags. e^esa zu got. agis, nur fiel nach langer Wurzel- silbe der mittelvokal i aus), ist in sachlicher beziehung unwesentlich: wir kommen in beiden fällen auf die bedeutung „gott der zeit" hinaus eine sehr wol begreifliche benennung des himmels- und lichtgottes, in dessen band der Wechsel von tag und nacht,- von Sommer und winter ruht. Die Identität des himmelsgottes, des got- tes der zeit mit dem gotte des wetters bedarf wol keiner begrün- dung 2.

Jedesfals war Things bei den bewohnem der Twente und über- haupt bei den Franken die übliche benennung des gottes, die

1) Gestellt man gramm. weclisel vor s nicht zu, so ändert das nichts; dann ist got. ßeihsis regulär auf *tenqses, westgerm. *pingses aber auf *tenqeses zurück- zuführen.

2) Eine naheliegende parallele bietet lat. tempus und tempestas, lat. tempus Italien, tempo frz. temps; natürlich ist vor allem got. peihs imd peihvo wichtig. Für die bedeutung des Stammes ping- = zeit haben wir in den germ. sprachen nur wenige belege. Wir dürfen auf die hohe Wahrscheinlichkeit gewicht legen, dass sich ping „versamluDg, gerichtstag " usw. aus dem begriffe „zeit, tennin, xaioös'^ ent- wickelt haben. Erwägensweii ist ferner das ags. dativadverb äin^tcm „potenter, vio- lenter" und ags. ^edin'^ „was einem bevorsteht, über einen verhängt ist", also wol „Zukunft, Schicksal". Eigennamen wie ags. üin^u (Liber vitae 23 nach Sweet) weiss ich nicht zu erklären.

THI^fQS UND DIE ALAISIAGEN 455

den namen Tius völlig verdrängt hatte: das erweist klar die bezeich- nung des dritten Wochentages. Sie lautet in mndl. spräche din- xendach^ dinsendach dingliesdach , neundl. dinsdag dmgesdacj dings- dag. Hochwichtig aber und ein kräftiger beweis gegen alle versuche, unsere Inschriften den Friesen zuzuweisen, ist die tatsache, dass sich in keiner friesischen^ (und soweit mir bekant, in keiner englischen) niundart älterer und neuerer zeit eine spur des Thingsus findet.

Ich würde mich für keine der von mir gegebeneu erklärungen des Thingsus auf grund der formellen deutung endgültig entscheiden; aus den dargelegten sachlichen gründen aber halte ich die annähme einer physikalischen gottheit für die am meisten gerechtfertigte: sie erhält durch den begriff der Alaisiagen ei freier weise übersetze ich darum unsere Inschrift:

„Dem himmels- und wettergotte Mai cewaltis: einherfahrenden e-öttinnen, der schreckenden Bed

sie erhält durch den begriff der Alaisiagen eine starke stütze. In :h

Dem himmels- und wettergotte Mars und den beiden

1) Auch, findet sich, in älterer spräche bisweilen dijsdacli (Oudemans II, 82) dijssendag, disendag (vgl. dijsdacli SchmeUer, hayr. wb. II, 1071): ob wir hierin eine kontarainatiou von *Tisdag und dingsendag sehen müssen, oder ob wir gar das äussere ich als eine sehr gewagte Vermutung darin eine niederfränkische, dem got. peihs- entsprechende forai zu erkennen haben? Auch in sächsisch -niederdeut- schen gebieten ist die form dingsdag verbreitet, und sie scheint durch kontaiuina- tion mit älterem *Tisdag uud unter später volksetymologischer anlehnung zu dem „dienstag" imscrer Schriftsprache geführt zu haben (vgl. auch Franck, Etym. wdbk. s. 184).

2) In anbetracht der Wichtigkeit dieser sache gebe ich die frs. namen des drit- ten Wochentages hier volständig au, sowie ich sie in den einzelnen dialekten an ort und stelle aufgezeichnet habe. Über die Schreibung s. Z. gesch. der engl. -frs. spräche s. 27 fgg. 342 fgg.

altfrs. tiesdei tyesdeg in den Emsigoer, teysdcg tliegsdei in den Fivelgoer, tysdei tysdey in den westerlauwerschen rechtsquellen; die Urkunden des 15. Jahrhun- derts aus Westfriesland bieten tysdei, auch finde ich des thijsdes 1455, thijs- dey 1465, thijsdei 1470, tijsdey u. ä. belegt.

neuostfrs. thysdy (Harliuger glossar von Cadovius), tixdi (Wangeroog); saterlän- disch tceisdai (Strücklingen) , t&xdai (HoUen), terAai (Scharrel).

neunordfrs. taisdei (Hattstedt), taisde (Hooge), taisdei (Nordstrand), taisdi (Oland, Brecklum), taisdai (Nordmarsch, Gröde), tesdi (Ockholm), teisdei (Lindholm), teisdi (NiebüU), te'sdcei (Wiedingharde); tceisddj (Oldsum-Föhr), taisdäj (Bol- dixum-Föhr), taisdai (Ararum), tisdai (Süd), taisdai (Helgoland).

neuwestfrs. ttxdcei (Schiermonnikoog, Balk, Oudemirdum, TerscheUing, Tjum), tts- dcei (Joure, Murnerwonde), tisdai (Molkwerum), ttuli (Makkum, ürouw), ttsdt (Holwerd), tizdia (Oppenhuizen), tixdi (Workum), thda (Hindeloopen), tisdia (Jelsum), tisd9 (Baard).

456 SIEBS

und der stürmenden Fimmila sowie dem Numen des kai- sers lösen ihr gelübde gern und Schuldigermassen die aus Twente stammenden Germanen, welche zu der nach (Severus?) Alexander benanten heeresabteilung der Friesen (von Verteris?) gehören". Was den Twentern anlass gegeben hat, die im vergleich zu ähnlichen denknicälern jener zeit besonders schönen votivaltäre zu errichten, ob sie den dank für reichen erntesegen oder für glück- liche meerfahrt von der küste des heimatlandes nach Britannien bekun- den, das werden wir schwerlich jemals erfahren. Jedesfals aber sind die beiden steine von Borcovicium das älteste und einzige zeugnis dafür, dass dem himmelsgotte der Germanen zwei sturmgöttinnen als boten geselt waren, der früheste erweis der walküren.

GEEIFSWALD, DEN 6. JTJLI 1891.

Nachtrag.

Der vorstehende aufsatz ward abgeschlossen, ehe Kauffmanu's abhandluug (Paul und Braune, Beitr. XVI, 200 fgg.) erschienen war. So sehr ich seine deutung der Älaisiagae den bisherigen vorziehe, vermag ich ihr doch nicht beizutreten: sie befriedigt mich zumal nach den ausführungen von Sievers formell^, aber nicht sachlich. Die beiden göttinnen unserer Inschriften werden mit ihren personennamen genant und durch das latinisierte germanische wort ^, älaisiagae '"'• zu- sammengefasst: das kann nur ein festes, gebräuchliches appellativum sein. Mit einem matten adjektiv so scheint mir auch Heinzel zu denken wie „algeehrt" oder „hilfbereit" kommen wir nicht weiter, und „helferinnen xorr' l'S.oyJjv^'- wäre keine benennung untergeordneter göttlicher wesen. Untergeordnet aber sind sie jedesfals. Die abhängig- keit der Alaisiageii von dem vorhergenanten Mars Thingsus aufgeben heisst die Inschrift völlig zerreissen.

Dass die Germanen aus Twente die beiden heimischen gottheiten, die mit seltener genauigkeit individualisiert sind, einem *genms cunei untergeordnet hätten, glaube ich nicht. Doch wie man auch den Mars Thingsus erklären mag, die deutung der Alaisiagen als stürm- oder kampfgöttinnen ziehe ich bei gleicher formeller berechtigung dem „hilfreich" schon deshalb vor, weil sich in den personennamen der beiden gottheiten, mit grosser Wahrscheinlichkeit namenthch in Fim- milene, eine beziehnng findet. Im übrigen bin ich, namentlich was

1) Die annähme des adjekt. Suffixes -ga- ziehe ich einem femin. -agjon- vor.

ZUR HLUDANAE- INSCHRIFT 457

das urteil über die früheren erkläriingen anlangt, mit Kaiiffmann oin- A'erstanden; nur stimme ich ihm gegenüber mit Heinzel darin überein, dass ich keinen grund sehe, die inschriften als friesisch zu bezeichnen.

IIL Zur Ulli (laiiae -Inschrift.

Im august 1888 ward in einem Terp bei Beetgum in der pro- vinz Westtriesland ein votivstein von grosser bedeutung gefunden. Die Inschrift, deren lesung keinem zweifei unterliegt (Zangemeister, Korre- spondenzblatt d. westd. ztschr. VIII, nr. 5. 127), lautet: Deae Hluda- nae condiidores piscatus mancip[e] Q{uinto) Valerio Secundo v(otum) s(olverunt) l(ibentes) vi(erito). Über der inschrift ist der untere rest des reliefbildnisses einer sitzenden weiblichen figur bewahrt.

So ist für friesisches gebiet eine göttin erwiesen, deren name durch funde in anderen gegenden des nordwestlichen Germaniens längst bekant war. Ein im Bonner universitätsmuseum befindlicher stein, der in Birten bei Xanten ausgegraben ist, trägt die inschrift: Deae Hlu- danae sacrum C. Tiberius Veriis. Im Bonner provinzialmuseum ist eine zu Iversheim bei Münstereifel entdeckte inschrift aus der zeit des Alexander Severus: [in honoi'em] dfomus) dßvinae) [deae] Hlu-

d-enae Nach Zangemeister (a. a. o.) komt endlich noch ein in

ISTymwegen gefundener stein in betracht, der in Utrecht aufbewahrt wird: [HlJudfenaeJ sac(rum)

Aus den überlieferten namensforraen ist mit Sicherheit zu ent- nehmen, dass der Wechsel des d- und d auf germ. d hinweist, und dass -anae neben -enae einen der bekanten und viel erörterten dative der «-stamme voraussezt (vgl. Mannhardt, Germ, mvthen s. 287 anm.); die quantität des stamsilbeuvokals ist aus den inschriften natürlich nicht zu erschliessen. So ergibt sich als name germ. nom. ^HltntÖ"' *Hlu- de". Während die älteren funde nicht lehren, welchem volksstamme der kult der göttin zuzuweisen ist, bestimt der Beetgumer stein sie nüt Sicherheit als friesisch: darum sind wir berechtigt, sie in afi-s. form Hlude zu nennen. Es ist nicht unmöglich, dass in dem frs. frauen- namen Lude (Wassenbergh, Ev., Yerhandeling over de eigennamen der Friesen. Eraneker 1774, s. 52) eine fortsetzung des altüberlieferten Wortes vorliegt; doch schliesst der zusammenfall dieser und ähnlicher formen mit ableitungen des Stammes Unda- jede gewissheit aus.

Sehr bezeichnend ist, dass die erste epigraphische künde aus dem lande der Friesen, welche als Ingvaeonen die Nerthus verehrten, gerade den namen einer göttin bietet. Was Tacitus über den Nerthus-

458 SIEBS

dienst sagt, lehrt uns die chthonische gottheit, die Terra mater, als göttin der erde und zugleich des wassers kennen. Deuten wir den namen * ?ier-pu-z als nomen agentis, mittels gerra. -Jz^-sufßx von der Wurzel ner „tauchen" gebildet (vgl. auch Weinhold, Zeitschr. f. d. a. VI, 460), so stimt das zu den nachrichten über den kult der göttin, die aljährlich zur zeit des neu erwachenden lebens in der natur aus dem meere emporsteigt und nach feierlichem zuge durch die lande dem Wasser zurückgegeben wird. Es ist überflüssig, hier die vielen zum grossen teil und am besten von Mannhardt (Wald- und feldkulte I, 567 fgg.) verwerteten Zeugnisse zu widerholen, die vom kulte der was- sergöttin in späterer zeit künde geben. Uns komt es darauf an, wahr- scheinlich zu machen, dass die Friesen in der Hlucle eben jene meeres- göttin verehrten. Die Beetgumer Inschrift spricht sehr dafür: denn dass die pächter der fischerei, sei es für günstigen fang, sei es für rettung aus der gefahr, schwerlich einer anderen gottheit als der des meeres dank- bar einen altar sezten, ist anzunehmen; und diese grosse Wahrschein- lichkeit wird dadurch erhöht, dass wir den namen in entsprechender weise erklären können i. Bei der etymologie ist vor allen dingen von einem lautlichen vergleiche mit der altnordischen Hlöäyn abzusehen^: weder kurzem noch langem u kann altnord. 6 entsprechen. Ich stelle den namen unserer göttin zur '\jkleu „spülen" und nehme eine abstrakte -(fö?^-bildung an: hluädn- „das spülen der wogen" (dem sinne nach

1) Die erklärung Jaekels (Ztschr. f. d. pliil. XXIII, 140) ist nicht lialtbar. Jaekel knüpft an afrs. hloth an. Für unsere zwecke ist aber damit nichts zu errei- chen: die form stimt nicht, weil eine von Jaekel angenommene nebenform afrs. *hlüth weder existiert noch existieren könte ; die bedeutung stimt nicht, weil sich aus afrs. hloth = bände im schlechten sinne (vgl. ags. hlöä, mhd. luot) keine „göttin der ein- tracht" gewinnen lässt. Nach ablieferung dieses manuscriptes sind mir durch die gute des herrn prof. Erdmann die aushängebogen einer inzwischen gedruckten abhand- lung desselben Verfassers (Ztschr. f. d. phil. XXIV, 289 fgg.) zugesant. Ich bemerke dazu, dass die sprachlichen ausführungen über den namen der Nehalennia (s. 304), insoweit sie nicht an Detter anknüpfen, dem jetzigen Standpunkte der germ. laut- geschichte nicht entsprechen. Aus Hacvae einen namen Aiwa zu entnehmen, ist durch kein analogen gerechtfertigt. Das mittel, mit dem das f des namens Tanfana erklärt wird, ist der phonetik nicht ohne weiteres verständlich; solte je die Wur- zel dam zur erklärm^ig herangezogen werden, so könte das nur imter der sehr* gewagten annähme des Suffixes idg. -qo/qä- und einer konsonantischen Weiterbildung geschehen.

2) Bugge, Studien übs. von Brenner, s. 24. 575. Was die englische glosse Latona Joris mater punres moäur anlangt, so ist mir erklärlich, dass man Illoäyn = Latona gesezt hätte aber ohne eine lautgeschichtliche entwicldung, wie sie Bugge annimt.

ZUR HLUDANAE- INSCHRIFT 459

wie jo-riech. yJa'Sov^ zu bourtoilen), eine passende benennung des mee- res. Aus späterer zeit kann ich keine spur der Hlude nachweisen; es sei denn dass die westfälische bezeichnung der zwölften als lüddage (Woeste, Westfäl. wörterb. s. 165) nicht durch lütdage = loostage (vgl. ags. hleotan) zu erklären ist, sondern dem sinne nach sehr pas- send — durch „tage der Lude'-\ vgl. Berchtentag , Berchfennacht^.

Mit dieser erklärung der Hhidanae - inschiiften Avürde sich nicht nur die deutung der Nerthus und der Mardqll als meeresgöttinnen, sondern auch der Nelmlennia als schiffergöttin " berühren (Lersch, Bonner jahrbb. IX, 87; Kauffniann, Paul und Braunes beitr. XVI, 210 fgg.). Ich trete aber dieser leztoren auffassung nicht bei. Die sach- lichen bedenken, die der benennung der grossen göttin nach einem so kleinen Wirkungskreise entgegenstehen, stören mich nach Kauff- manns eingehender behandlung weniger, als die formellen. Dass h als trennungszeichen in nebensilben erscheint, bezeugt z. b. der häufige

1) Wenu Elard Hugo Meyer Hlodyn = Hludana mit y.lvto), y.lvSoiv ver- gleicht (Indogerm. mytlien II, 623), ohne eine genauere etymologie zu geben, so hat er jedesfals vor mir den gedanken gehabt. Die sonstigen erklärungen befriedigen nicht. Pleyte (Geloftesteen aan de Godiu Hludana. Verslagen en Mededeelingen der koninM. Akad. Afdeel. Lette rk. VI (1889), 58 fgg.) und Boissevain (De inscrip- tione apud Frisios reperta. llnemosyne XVI, 439 fgg.) haben sich der erklärung ent- halten; Pleyte erinnert nur kurz an den vergleich mit Hidda, der wegen der Unmög- lichkeit einer solchen metathese abzulehnen ist. Gegen die ableitung von der Wur- zel Meu „hören" (germ. mask. ""hlüäo- aus *}düt6-) ist formell nichts einzuwenden; doch würde der name die herliche , berühmte " wenn wir diese bedeutung über- haupt dem germanischen zuweisen dürfen zu unbestimt sein; „die laute, tosende" (vom meere?) wäre sehr gesucht, und Hlude ^= nolvtävvfj.og {yj.vfxhvr] MüUen- hoff, Ztschr. f. geschichte VIII, 264) zu deuten, sind wir meines erachtens nicht berechtigt.

2) Die ykleu ist abgesehen von got. hltUrs „lauter" usw. in den germ. sprachen mehrfach bezeugt. Ich stelle folgende fälle zusammen. Mnd. dat lüde „das klare, dünne einer flüssigkeit" ; im kärntischen (Lexer, "Wöiierb. 181) ist ludel eine kleine rinne bei einer quelle, ludein = mingere; baix'. ludel „ein tiefer ort im was- ser" (SchmeUer 1445). Möglicherweise ist der monatsname ags. Hlyde (Monolog. 37) als „der feuchte, nasse" (germ. st. "hlüäjo-) zu erklären. Im Nibelungenliede (Lachm.875, 1) ist ludern die bezeichnung eines meertieres; unklar ist der ludlacher Konrads von Megenberg: .^^ludolachra 7nag ain htdlacher haixen, dax ist ain merumnder an gestalt tind an nätür gar wunderlich'-'- (Buch der natur herausg. von Pfeiffer 253, 18 fgg.). Schliesslich möchte ich hier zu Heinzeis geistreicher erklä- rung des staim hord chludun (ostgot. heldensage. Wiener sitzgsberr. Phil. -bist. cl. CXIX, 49) eine Vermutung äussern. Dürfen wir ahd. hlüdo „der spüler" ansetzen {ehludun nach Grimm, Gr. I, 184 fgg.), so würden wir in stavnbord- chludun ein annehmbares kenning füi- „krieger" haben, nämlich: „die bespüier der tabula navis".

460 SIEBS

Wechsel Ton -nehae und -7ieae\ gesezt dass dieses h auch bisweilen in stamsilben aufträte \ so ist mir doch unglaublich, dass es auf mehr denn 20 inschriften konsequent durchgeführt sein solte^. Sehr unwahr- scheinlich ist mir auch die zusammengesezte suffixbilduug. Ich schlage darum eine andere deutung vor. Wir dürfen zu der ^nek^ einen germ. stamm '^nelio- ansetzen ^ (vgl. griech. vt%vQ, i'fz^dg, zd. nac^i{)\ das zweite glied ist nom. sing. *halent (über das nn der kasus obliqui s. Kauff- mann a. a. o. s. 217). Nehalennia bedeutet also „totenb erger in", vgl. Hei, (Ver) hellen usw. Die komposition macht keine Schwierig- keiten: entweder nehmen wir an, dass der suffixvokal des ersten kom- positionsgliedes fehlt {* neh - halent) ^ oder wir sehen und das ist das wahrscheinlichere in dem a ein kontraktionsprodukt, wie in so vielen eigennamen ältester zeit (z. b. Wandalariiis, Äncharius).

Über die funktionen der chthonischen göttin als gottheit der erde, des meeres und der toten sowie über ihre völlige, auch in den attri- buten sich bekundende gleichsetzung mit der Isis brauche ich nicht mehr zu reden. Bemerkt sei nur, dass die todesgöttin auf römisch- germanischen inschriften bezeugt scheint durch die werte deae Vagdaver. Custi (Corp. inscr. Rhen. 67), fals mit Fulda gegen Kern (Yersl. en mede- deel. d. Kon. akad. 1874, 344) hinter ver. ein punkt anzunehmen ist.

1) Die von Kauffmann angeführten belege sind nicht Leweisend: Tiiihanti ist etymologisch nicht klar; Badiihenna erkläi'e ich auf andere weise (Ztschr. f. d. phil. XXIV, 147). Natürlich dachte ich dabei nicht an «^-umlaiit so hat man herausgelesen (!). Ich setze an: germ. nom. -/^e?^e« -hendn gen. *-hennos dat. *-hen- nai usw. (vgl. Streitberg, Beitr. XIV, 217).

2) Ich glaube hierin mit Much (Ztschr. f. d. a. 35, 324) übereinzustimmen, der die möglichkeit eines unorganischen h gar nicht einmal in erwägung zieht. Much erklärt Nehalennia für ein kompositum. Das halte ich für richtig, obschon das nn (vgl. Kauffmann, a. a. o. s. 217) zu einer solchen annähme durchaus nicht zwingt; mit Muchs deutung aber bin ich nicht einverstanden. Dass sich aus nceha- (got. nehiva-) und *lennan (got. afUnnan h7io/wq(Iv, ags. bfijlinnan, an. limia nachlas- sen) die bedeutung des gewährens oder des hilfbereiten nahens ergeben könne, ist mir unwahrscheinlich; der vergleich mit ininöXa, einem der tausend epitheta griechischer und römischer gottheiten, bietet keine stütze.

3) So nimt Detter (Ztschr. f. d. a. 31, 208) an und findet die hochstufe der Wurzel in Nahanarvali wider. Bevor ich Detters aufsatz kante, kombinierte ich neha- mit dem ersten gliede eines saterländischen kompositums: ne^dklöd totenkleid ". JicBtiddklod (Ztschr. f. d. phil. XXIV, 154), de?- kwi'ddn do oldd Ijü'de ök tceH <d" fon ne^dklod"-. ne^o weist auf vorgerm. * neko- zurück. Hat Detter recht, indem er naglfar als totcnschiff '' erklärt, so möchte ich im anschluss daran afrs. neilthiuster (von der nacht gesagt) als „todesdunkel" übersetzen, denn „nageldimkel" ist sinlos.

ZUR HLUDANAE- INSCHRIFT 461

Fulda (Bonner jahrbb. 61, 62 fgg.) hat Custis wol mit recht als „(toten) Wählerin" gedeutet; unwahrscheinlich ist mir jedoch die erklä- rungi der Vagdavera aus * Wag (i) - dago - ive'ro (frau des Wce^dce^). Urgerm. ^ivagdö „bewegung" (vgl. ahd. Idwegida vegetamen) und "^iverd „hemmerin" würde einen zu Custis passenden namen ergeben.

Hier mag sich die frage anschliessen , ob eine andere göttin römisch -germanischen kultes sich mit der Hlude vereinigen lässt. Mommsen (Korr. bl. d. westd. ztschr. V, 88) teilt eine Inschrift mit, die auf einem steine der equites singiüai'os am Lateran gefunden ist: dae (= deae) Menma7ihiae Aurelius Flacidus v(otum) s(olvit) l(u- hens) l(aetus) m(eritoJ. Das wort kehrt als frauenname Menimani auf einer Mainzer Inschrift (Corp. inscr. Rhen. 938) wider. Es lässt sich als germanisch erklären: in men kann die wurzel des ahd. min- n(i)a enthalten sein, in man(h)ia entweder ahd. menni (= monile) oder man (= vir) + ^ö-suffix. Dass Menimani unter ausschliesslich keltischen namen erscheint, macht die germanische abkunft zweifelhaft; man wüi'de sonst ohne bedenken Menmanhia für einen namen der Frija halten dürfen, mag damit „die halsbandfrohe" (Menglqä) oder „die liebende gattin" bezeichnet sein. Für die leztere bedeutung könte neben Frtja auch der name der batavischen göttin Haeva sprechen, die (Mommsen, Korr. bl. Y, 40) neben dem Hercules Magusa?ius erscheint: germ. *haiivö- oder haiivon- (hochstufe zur germ. wurzel Mw) bezeich- nete wol „gattin" (vgl. Fick, Vgl. wb.*I, 421).

GREIFSWALD, DEN 12. OKTOBER 1891. THEODOR SIEBS.

BRÜCHSTÜCKE AUS DEM WILLEHALM IJLEICHS VON DEM TÜELm.

Bei der ausarbeitung meiner abhandlung Über die quelle Ulrichs von dem Türlin (Paderborn 1873) hatte ich von mehreren texten des Türlinischen Willehalms abschritten angefertigt, die ich 1874, als ich Marbui'g dauernd verliess, Karl Lucä einhändigte, der sich damals mit dem gedanken trug, eine ausgäbe des gedichts in angriif zu nehmen. Die krankheit, welche Lucas leben zu einem frühen ende führte, hat ihn auch an der Vollendung dieser ausgäbe gehindert. Nach seinem

1) So scheint sich doch wol Fulda die etymologie gedacht zu haben, wenn er von einem „dem Wcß^dce^^' verwanten weiblichen namen redet.

462 SUCHIER

tüde (30. nov. 1888) wurden mir die abschriften wider eingehändigt. Da ich selbst eine ausgäbe des gedieh ts nicht beabsichtige, so teile ich hier um so lieber die texte einiger bruchstücke mit, als sich mehrere derselben in Privatbesitz befinden und eines überhaupt nur noch in der mir gehörigen abschrift vorhanden ist. Abgesehen von diesen gesichtspunkten dürften die bruchstücke der recension A eine Veröffent- lichung in extenso auch deshalb verdienen, weil von dieser recension der ursprünglichen fassung von Ulrichs gedieht nur eine einzige handschrift übrig ist.

Ich bringe hier die noch ungedruckten bruchstücke der recension A zum abdruck; sie stellen reste von vier handschriften dar. Die ersten drei habe ich in der erwähnten schrift s. 6 7 aufgeführt, das vierte auf s. 1-3 erwähnt (es galt damals für verschollen).

Auch eine volständige handschrift ist vor nicht langer zeit wider gefunden worden: die handschrift der drei teile des Willehalm, welche Eberhard de Groote gehörte. Mein freund Eduard Lohmever, biblio- thekar der landesbücherei in Kassel, fand sie in Köln auf dem städ- tischen archiv, wo ich sie 1873 vergebens gesucht hatte. Lohmeyer wird eine besprechung der handschrift und ihres wertes geben, der ich hier nicht vorgreifen will.

In den folgenden texten sind undeutliche stellen durch cursiv- druck kentlich gemacht. Was zwischen ( ) steht, ist unlesbar; Avas zwischen [ ] steht, ist mit samt dem pergament abhanden gekommen.

1. Crriesliabers l>ruchstttck.

Das bruchstück selbst muss für verloren gelten, da alle bemü- hungen um seine widerauffindung gescheitert sind. Zum glück besitze ich von dem bruchstück eine abschrift Pfeiffers, die mir Karl Roth abgetreten hat und die Pfeiffer mit folgender bemerkung einleitete:

Ein zusammenhängendes pergamentdoppelblatt [das innerste einer läge] einer sehr zierlich und sorgfältig geschriebenen handschrift aus dem anfange des 14. Jahrhunderts in 4" mit spalten zu 35, auch 36 Zeilen und bildern auf goldgrund, die hübscher und mit mehr kunst gearbeitet sind, als man sie aus dieser zeit gewöhnlich antritt. Die anfangsbuchstaben eines jeden abschnittes sind mit gold gemalt in roter einfassung; da ich gold weder im beutel noch in meiner farben- schachtel besitze, so habe ich in meiner abschrift bloss leztere, näm- lich die rote einfassung, widergegeben. Die 4 ersten zeilen jedes abschnittes sind abwechselnd rot und blau, eben so die anfangsbuch-

BEÜCHSTUCEE VON ULRICH V. D. TÜELIN

463

stabeil der zeilen, wie ich dies in meiner abschrift anschaulich zu machen mich bestrebte. Das bruchstück gehört dem herrn Franz Karl Grieshaber, prof. am lyceum zu Kastatt, der es mir zur bekant- machung mitteilte und hinzufügt: „Ein freund machte es mir voriges jähr zum geschenke, der es in einer klosterfrauenbibliothek als decke eines gebetbuches angetroffen hatte. Daher seine brüche und äussere abgeriebenheit", die, setze ich bei, die erste, besonders aber die lezte Seite betroffen hat, welche so sehr abgerieben ist, dass vieles nur mit gröster mühe und hilfe des Casparsonschen abdruckes, manches, wo der text von diesem abweicht, gar nicht mehr zu lesen war. Stellen und Wörter, wo ich nicht sicher war, sind mit fragezeichen bewaffent, das eingeklammerte ist aus Casparsou entlehnt.

STUTTGART AM 7. JULI 1842. FEAKZ PFEIFFER AUS SOLOTHURN.

Casparsou 75 a 1. [ßl. l.a] Do man den kvneginn ivch zeigte Der amys warn von iv geveigte Daz die niht iiTet herzeleit S(i ingebe ucli pris) vnd man[heit] Die wii'd hau ich gegeben iv 0 svzziv waz vmb div Sin gvt min gervchen sol Ovch sol Q7, ergen wol Sit dv bist so triwen vol Casp. 75 a 10. Dje kristen gelovbe hie grv^ijet Vnfrovde wirt den gesv^i^et Die erbet von vns adam Menschen bilde er an sich nam Die menscheit vuser sippe wart Des wart himel vnd helle spart Der wart svs vnser kvnne Wol vns der frevden wnne Ob iwer her? den priset Ovch werdet ir mer bewiset Gesant vns got mit frevden hin Ai'abl do sprach div kvnegin Min will an vns ergen mvzze Er ist so rein vnd so svzze Vf mine triw ich daz nim Swer von herzen getrowet im Er Iset sin an der note niht Swaz vns in sinem dienst geschiht So ist div sei doch behalden

Jr hende si begvnden valden Ze Jesv Christ daz er ir pflege Ob der markis bi ir iht lege Daz nioht er doch kovm verdoln Minn svzz kan niht minn holn Ir angest was noch vf der vart Ob ir zetodiern iht wart [Bl. l.b] Da er bi ir vf dem matreiz lac Frevde alda fvr angest wac Minn kond ir da fvrhten niht [Lichte hi alsam geschieht] [Daz man van liebe Hebe gicht]

Casp. 75 b 9. ÜEr warheit ich doch niht sage Darnach an dem selisten tage Ein Kristen inselsi kvrn Vil schire si frevde verlvrn Die beiden in ilten sere nach Mit segel rvdere in was gach Mit .... kaienden vf dem mer Dar in was beiden michel her Si wrden des schaden inne Jr leit was vmb die kvneginne Daz si vnminn so enpfvrt Jr kraft sich sere rvrt Zv dem markis beten si niht wan Nv was der noJclir als ich e^ iiau In die keibe?^ höh gestigen Des ward in allen frevd verzigen Ein Ivter rvf besch . . h in daz

464

AVol vf ich wann der beiden haz Vns fvret nach des todes kovf Wol vf her . markis nv wol vf Ich waen Arabl minn svzze Vns welle bieten todes grvzze Ir svzz wirt manigem herzen svr Vns ilet nach div vntovr "\Ve?wt daz si vns alle vlisen Kristen gelovben svl wir nv kiesen Wie sin svzz vns helfe hinne Der markis nv wert die kvnegine Des ist not mvget ir daz getvn Jr nach varn hat niht svn Jn ist ein kristen als ein hvn

Casp. 76 a 8. [Bl. l.c] ÜEr markis nemt die wafen schir Ich sih vil höh Tj'baldes banir Vnd kalend vnge?alt Jch wgen wol da^ d' kvuich Tybalt Selb vns nach gevolget si Der markis sprach si sint hie nahn bi Noch niht sprach der nobhr Si er varnt uns niht so schir Si habent gar wol ersehen Swaz got wil daz mvzz geschehen Nv sovm vns ruht vnd pfleg der warte Tibalt so verdinen harte E er mir nem die kvnegin 0 we seit der stiit vf lande sin So wser ich ein gar ein her Nv han ich leider nüit zewer Wan als ein swert gelangen mao Nv gehabt ivch wol ez ist der tac Der vns ganze frevde git "Wir sin geladen zv der hohgezit Der frevd immer an ende wert Swes gelovb des mit v/illen gert Der mac wol sterben ane sorgen Swer aver hat verborgen In sinem herzen svnden tat Vnd valscheu gelovben hat Div red hie vngelovben stört Vnd wirt vber al gehört Si baten in die rede sparn Wir wellen all mit iv varn Jn liebe slvg also die starn

Casp. 76 b 7. HErr wolt ir t^q himel ald helle

Ich waen nieman anders weUe

Der vf diseni schiffe si

"Wir sin iv herre mit triw'^n bi [Bl. l.d.] Gelovbens vns nieman irret

Swaz iv von den beiden wirret

Daz welle wir mit tiiwen meinen

[Div kvnjegin begvnde weinen

vnd die frowen vber al

Nieman sich gelovbens hal

Der markis nv gewaffent gie

Die kvnegin er zv im vie

Des hsersniers was er bloz

Mit den armen er si vmbe sloz

Gehab dich avoI frowe min

Gehab dich wol kvnegin

Gehab dich wol vil suzzez wip

Ja mvstv sehn minen lip

Ligen vor dinen svzzen tot

E daz dv frow lidest not

Vil zfeber si vz den ougen twanc

Jr svlt herz vnd gedanc

Setzen in des hohsten pflege

Daz ^"^ vns kvrz des mores wege

Sprach er zv den frowen

Des svlt ir im wol getrowen

Der emeral sprach wes zwivelt ir

"Welt ir herr geloben mir

Si sint all vnheil geselt

Die vns hie besten wel

Sit si wizzent daz ir sit ein helt^ [Ein bild : ein schiff, kaiende d. i. ga- leide, mit 7 gepanzeiien littern und geschweltem segel.] Casp. 77 a 6. [B1.2.a.] Frow ist Tybalt gevarn her

So da^ er vns hie strites wer

Leb ich des sol in betragen

Er mv? heim vusern magen

Sagen, daz sis gedenken

"Wie wir in eilend frivnden schenken

Den goten hab wir vns entsaget

Vnser herz nah des helfe iaget

Der in so ingvt ist erkant

Begriff wir hendebreit daz lant

Ob Tybalt zwelf tvsent ritter hat

1) Ganz unten am rande dieser spalte steht mit Meiner schritt für den maier: kaledn (d, i. kaiende).

BRUCHSTÜCKE VON ULRICH V. D. TUEUN

465

Wir gespiln im mit daz er vns lat

In sinem dienst beliben

Die wind begvnden triben

Des wart der marnasro vro

Die Segel er mit kroften do

In den mastbovni nv zoli

Daz er swebt ob dem kiele höh

Nv hvlfen ser in die winde

Daz frevt des kieles ingesinde

Der markis rief ei kandaris

Nv hastv manuere pris

Behalten her an dise zit

Jenz gebirg daz gein vns lit

Mäht dv vns da bringe zv

Ja her bi? morgen vrv

Die naht mvzz wir varn gar

Doch trow ich ivch an der heiden var

Dar bringen ob vns got bewart

Der markis sprach si riwet die vart

Begreiff ich daz lant. daz si ie wart

Casp. 77 b 5. Tjbalt von mir enpfeht den slac Chvmt er da? ich erlangen in mac Der in an frevden letzet Yn Ai'abI minn ergetzet [El. 2.b.] Ich send in heim mit herzeser Ich wen niht daz er immer mer Mich vf ganzem land beste Dirr red wart niht me Si fvren still vnd ane braht Vnz wol vf mitte naht Der wint si zv der insel treip Der kiel nv in der hab beleip Der markis fvr nv an daz lant Die kvneginu Iiet er an der hant Er sprach svzziv ir sit genesen Nv kan ir ninier so vil wesen Daz si mich tvrren besten "Wir svln an daz gebirge gen Ich kivse hie wol getriben wege Der marnter des kieles pflege Da hör wir wol all ir mäht Die heiden fvren ie mit braht Swi ir si daz ist ir site Doch svl wir sin in senfter bite Hat daz gesind allez komen In der wil ward ovch vernomen Grozzer schal vf dem mer

ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXTV,

Man hört von sehzich kaienden her Die beiden sere schallen Der wft begvnde vallen Als die borge weiten vaUen^

[Bild: ein schiff wie auf dem ersten

blatte.] [B1.2.C.] [Uild: ehie bürg,' auf deren zinne

ein Wächter, der ins hörn bläst.] - Casp. 78 a 4. Dsr Ivft der stimme wie der do? D' rvf in prvft vnfrodo gro? Ganzer zorn si nach llvste ieit Doch was nv vil vnverzeit Der markis sid er het daz lant An dem gebirg er ein kastei vant Daz was von vinden wol behvt Daz gebii-ge vest vnd gvt Div insel hiez montanar Man nam da hoher tfrne war Die bfrg vnd hab geslvzzen wol Nv hört als icli iv sagen sol Der markis kom dar gegan Mit sinem swerte klopft er an Der wahter rief wer ist da Jn franzoj's sprach der holt sa Gi svn acvrnoys Jch bin Killoys der franzoys Den der heidentvm het gevangeu Stens mac mich belangen Sind ir kristen so tvt vf Nv ward ein vil balder Ivf [Bl. 2. d.] Von dem tahtelvr der was erwaht Man hört ovch nv der heiden braht Der kraft was mit baldem iagen Ovch begvnde ez ie mitten tagen Die porten man wit vf swief Der tahtelvr gein im hef Ben se venvs sprach er do Des grvzzes wart der markis vro Min herz nv swebt in frevden höh

Casp. 78 b 3. Djv kvnegin vn emeral

1) "Wie auf dem ersten blatte unten am rande : kaledii.

2) Zu diesem bUde ist imten am rande dieser

Seite für den maier bemerkt : hie C diet

das übrige (7 Wörter) ist über die hälfte wegge- sclmitton.

30

466

Des .... gesinde vber al "Was nv komen ze dem lande Si [vorchten] daz, man br[ande] Des kieles richeit si damit Des wolt ir deheines bit Sich svmen. svs stv(n)d der kiel Daz markis daz wol geviel Si beliben nidea ander bvrch Arabl vnd Ä;ybvrcb. eaieral vnd ovch die frowen Dannoch moht man scbowen Sehs ivncvrowen bi der kvnegin Die giengen mit dem markis in

Nv sit mir aber willekomen

Jch. han stimme niht vernomen

Die ich also gerne hört

Der grvz dem gast vnfrevde stoii

Ir sit min herr der markis

Der ze Rvnzival so hohen pris

Begie . . do ir wrd gevangen

Vancnvss moh ivch belangen

Sagt mir wie ir komen sint

Wer ist min frow wer sint

Die tragent beiden klcit

Sint si herr iwerm geleit [Casp. 78 b 30.

2.

Lanclsliuter Bruchstücke.

Pg., quart, 2 spalten, Je 34 verse, XIY. jahrh.

Ich wage nicht, die bruchstücke als Ingolstatter zu benennen: nach einer mitteilung Karl Roths stammen sie ursprünglich aus Ingol- statt; doch sind solche angaben Karl Roths nicht immer zuverlässig. Jezt befinden sich die fünf doppelblätter, um die es sich handelt, auf der Universitätsbibliothek in München. Vier derselben hatte dr. Har- ter ^ von spanischen theologen in Landshut abgelöst, wo sie E. v. d. Hagen sah (Briefe in die heimat I, s. 79, 1818), und wo sie von Do- ceu (f 1828) und von Massmann benuzt wurden. Dieser ordnete sie am 12. juni 1827 und fügte verweise auf Casparson hinzu. Das fünfte doppelblatt (bl. 42 und 47) entdeckte Karl Roth 1842 an einem ein- band in München.

Ich vermute, dass von dem ersten blatt, das erhalten ist, vier lagen fehlen; ist dieses richtig, so war das erste blatt das 41. der hand- schrift. Erhalten sind vom V. hefte folgende blätter: 41. 42. 44. 45. 47. 48, also die beiden äussern und das innerste doppelblatt der läge, und vom VI. hefte 53. 54. 55. 56, also die beiden inneren doppel- blätter.

Der erste buchstabe eines jeden absatzes ist rot und über zwei Zeilen ausgedehnt, ausser I das ganz am rande steht. Der anfangs- buchstabe jeder zeile ist rot durchstrichen. Die blätter 42. 44. 45. 47 sind von rechts nach links in der mitte durchgeschnitten. Durch be-

1) Vgl. Karl Roth, Dichtmigen s. XXTIT, der den namen Harter schreibt. Von der Hasen schreibt Härder.

BRUCHSTUCKE VON ULmCH V. D. TURLIN

467

schneiden am rande sind beschädigt bl. 41 sp. bc, 54 bc, 56 bc; durch abschneiden der obern ecke 42 bc, 44 bc, 54 bc. Zwischen bl. 41*^ und 48" steht De traditionibus Eccles': Martin' Pergms. 1002. Vielleicht gehörte zu derselben handschrift ein bruchstück von Wolframs Willehalm, das ich in dieser Zeitschrift bd. XIII s. 262 fg.

abgedruckt habe.

Casp. 89 a 9. [B1.41.a.] Min liebe ml miuo vcli miue sol Dirre beid' nacli* was nv gvt Swas vor vnmiuo sal sin behvt Des wart di kvnigin bewist Swas mine au inänes liebe p'st Als swa mine lieb d'ch. rist

Casp. 89 a 15. Sie besoldet vil lieb di burcg^vi D' mine Hebe trvc wise sin Kein de bur'^graui ir -nirte Des Lieb vnmine in nie geirte Das was hie nach kvsch' lere Arabel in dancte sere Ir kvsche het sin nie v'suchet Nv hört ob ir gervchet Des morges si schieden dan tvntanat als ich e han -ib Gesait d' castellan da heim ble- Dem markis h' \t1 sorge v'treib In ganz' liebe si schiede sich D' sechste tac was wen ich Das d' markis dar was kvin de türme wart v'nvme Das di h're quame da Arabel vfi di vrowe sa Giengen bis an das burctor Da di zwene irbeizte vor Iglich de ire mit kvsse ephie Nv we ich wol das arabel gie Vrolich ZV dem markis In mine lieb mine wis Danne si vor hete getan Von dem lerer ich das han Da nach si gienge vf di b'c Arabel kiburc [B1.41.b.] Dem marcg^ue and' hant Den buregraue euch Hebe bat D' sich ovch d' sine vnd'want

Casp. 89 b 11. Di burcgraui sin h'ze trvc Kvrzewile was hi gnvc Vor d' kvnigin bis an di zit Daz d' tac sich dem abonde git In vrovde wäre si zv tische hi Dar nach das gesinde sich zvli Iglich nach sines amtes lere Nv begvnde es wehe also sere Das kandais de knappe rief Manie seil h' vm den kiel nv swief twanc in sere [an] das lant En neben dar an baut Starke bovme vur das wa[gen] Di den kiel mochten vb'tragen Swa in d' wint wolde vuren Vn mochte doch nicht gerure Das lant. swi vil wäre d' lätve[ste] Von boume vf den alben Di riv allenthalben Das man es v're [hat] gehört Di kaienden wurde do zvstort D' beiden i-vf in di wölke gie Manig' rief owe machmet wie schrige alle das si zv Dem gebirge lieze varn nv Di antwerc kvnde das bewar Di würfe engestüchen dar Nv treip si d' wint gar Das ir schire lutzel war

Casp. 90 a 10. . Manie kiel durch de ande'n stach Do in d' anker veste brach [B1.41.C.] E si \or berichten sich Seht das ist des gotes gerich Rief vil Ivte kandaris An zwivel bin ich gewis Das vüs got svs losen wil M' hat min h'ze gesaget vil 30*

468

Das w' in angest icht beliben Si ertränke \n ovch zvtribe Das ir horte üv nicht mer Hie wart angest vfi h'zeser Von den geloube eilenden Mit h'ze mvt vn mit hendeu Gnadete gote si vf d' burc Arabel [vn]de kiburc Si viel nider vf di knie Si sprach ich horte sage ie Von d' criste got das ist war H're nv gebe ich mich dir gar Zv dienste vn vur eigen Sint dv m' geruchest zeigen So starke vn so svzen [IJch tvü [iinjm' gerne buze Swas m[ich] apolle vn. t'vigant Mit vngeiovbe hat geschant Das wil ich wid' dienen dir Sint das dv hast gehulfe mir Das ich de vngelovben entge Nv horte man rvfe in tode we D' val mochte wol zv iam' ste

Casp. 90 b 9. 0 we den vngetovften Di ir leben so verkovfte Das hie valt ein mim' ^ tot Nv leit ovch kandaris hi not An dem kiel sin geverte [B1.41.d.] E das si den iruerten Das in d' wint nicht zvvurt dar H' mit spate breit das lät ^ar So w' h' vil gar zv varn D' Sturm sich nicht wolde sparn Nv schire qua d' lichte tac Yil kaiende an de lande lac Di d' wint hatte gewvrfe dar D' buregraue nam hi war Vh hat besuchet gar das lant Yil richeit an de stade vät phellel richer wat Als heidonlant gewonheit hat Baldekin vn gvt matras Dar vf mit richeit sax Des hin her lac zal

1) Hs. so, nicht im'

Kandaris vn d' emeral

Gros arbeit nv Uten

E si de winde wid' str(iten)

So das de kiele (nicht enwar)

D' burc h' do stvnt so (nahen gar)

Das im d' wint nicht (moht get^n)

Des and'n morges (was ein s^n)

Das mer stille begunde

Ich we doch nimä kvnde

Dannoch vinden svze stunde

Casp. 91 a 8. Des me's vlut was gar i wage Di lieide wäre in gotes phlage Zu himel od' zvr helle Ob der markis däne welle Vch irret nimä ir tvt ix wol Kandaris bereite/^ 7tv sol De kiel ex ist wol varens zit D' buregraue des stui-e git [ßl.42.a.] Daz h' kvme sicherliche dan Do das mer stille began Do man di seil gar abe De kiel vurte vz d' habe Mit vroude hin vf den se .me D' markis sp^ch nv vurcht nich* W kvmeu nv zv lande wol Ovch wil ich das mi vrowe sol Sp^ch d' buregraue zv haut Min vrowe sal habe gewant Daz si nicht also sehe Man sal si sehe daz iehe Daz si habe kvniginne nain D' beide cleit sal si sich schäme Min vrowe ob si gervchet D' markis sp'^ch sint ir suchet Das vnse ere priset Das hat ir wol bewiset Sin wil ml vrowe nicht enp'n Ovch wil ich samt ir gern So ich all' meist turste kan Min vrowe sal de tovf enphä Als ich is dem mere han

Casp. 91 b 7. Di bui'cgravi mvs bi vch da si D' lat vch nicht di kvuigin Wir svln vch arbeiten da Di beide varn vns nicht na

BRUCHSTUCKE VON ULRICH V. D. TURLIN

469

Des svlt ir nicht vorchte han Es ist vrvDclich getan Ob ir VHS hin geleitet Vw' pris da wirt bereitet vinde ich lebende di ich lie D' buregraue nv danne gie Zv d' di sincs h'zen wielt [B1.42. b.] Mit arme si in vmnie vie[lt] Do h' ir saite di botschaft Ii" beid' lip hete liebe craft H' sp*ch vrowe wi retestv mir La bore swas dor an gevellet d' Ez mac vns brengö ere vil

Sin namo stet zv hohe zil [=: Casp. 91 b

24.1 Casp. 93 b 28. ^

Wil h' din truwe zv w'de kere Vns wechset michel ere Daz rate ich das dv nicht v'seist Sint dv de helt so w'de weist Svs was d' burcgravine rat D' buregraue glenc nv drat Vn. kniete gezogenliche. nid' Vur di kvniginne wid' Si sp*ch saget m' si w' gewert Ja vrovfQ swes nw' gnade gert Wir sin vch dienstes vnd'tan Di kvnigin hiez dar trage san

Casp. 94 a 9. Uil phellel kost riebe zait Vs heideschaft so manicvalt An de lac richeite vil Svmelich ich vch nenne wil Das eine was phellel triät heideschaft de man wol bekät Hi was vil richer acmardi Vn manic phellel arabi Des tui'e glaz vil hoe wac Hi was phellel kandulac Hi lac phellel von belinar Ov nam richeit war Äne phellel samorgon De durch mine gerende Ion Arabel hete bracht tibalt [Bl. 42. c] [Ovch was] da phellel d' sich valt [A]a richeit tussangule tragunet wis als ei sne Was d" phellel Salamander

Dannoch vant man ander

Phellel di wäre de vngelich

Hi phellel wundirs rieh cht

Gar ane menschen hat gcwor

Das ich d' spott' rede nicht envorch'

So beschiede ich wa h' wart genviii

Vii wie er h' was bekvmen

Ein gebirge heizet tanglesät

Svmeliche beiden vnbekant

An d' mor lant ez stozet

Des gebi'ges sich genozet

Da vil kiel vor alder roset

Casp. 94 b 8. Ein wurm heizet salamand' Si habent tvgent ab' and' Di ich vch bescheiden wil Bi ein ist and' ist ir nicht vil Si heize samanarit han des salamandris sit Das si stete sint in dem vure And' wesen ist in ture Ouch haben si eine gewonheit Di ist da nicht den lande leit In d' zit so si mvze sich Das mvert da das me' mich Das si dri meilen lagen Das har gemein zvsame t ge zvtvn is ein ander Ich wen si sin de salamäd' Nahe gesip als ich ez han Als das har ist gar zvtan [B1.42. d.] Vn si es wite gebreiten Mit vlize si danne ai'beite nüt stetem blasen mit vil heize atmesphase Werkent si sich selbe dar in H' mvs ouch wesen als ich bin An der zal eben gelich Ovch virzaget ir svmelich Das selbe bilde nicht volkvmt Das stet däne in de phellel gedrvt Dis kvest an de vii schier Ob ir sint sechs acht od' vier Svs zeit in de phellel di tier

Casp. 95 a 7. Der tier mvz webe gelich Des phellel werc das ist rieh

468 SUCHIEB

Das w' in angest icht beliben

Kandaris d' emeral

Si ertrauke vii ovch zvtribe

Gros arbeit nv liten

Das ir horte nv nicht mer

E si de winde wid' str(iten)

Hie wart angest vn h'zeser

So das de kiele (nicht enwar)

Von den geloube eilenden

D' burc h' do stvnt so (nahen gar)

Mit h'ze m\i; mit henden

Das im d' wint nicht (moht get^n)

Gnadete gote si vf d' burc

Des and'n morges (was ein si^^n)

Arabel [vn]de kiburc

Das mer stille begunde

Si viel nider vf di knie

Ich we doch nimä kvnde

Si sprach ich horte sage ie

Dannoch vinden svze stunde

Von d' criste got das ist war H're nv gebe ich mich dir gar

Casp. 91a 8.

.

Des me's vlut was gar i wage

Zv dienste vu vur eigen

Sint dv m' geruchest zeigen

Di beide wäre in gotes phlage Zu himel od' zvr helle

So starke vn so svzen

Ob der mai-kis däne welle

[Ijch tvü [im]m' gerne buze

Vch irret nimä ir tvt ix tvol

'

Swas m[ich] apolle t'vigant

Mit vngelovbe hat geschant Das wil ich wid' dienen dir

Kandaris bereitem nv sol . De kiel ex ist wol varens zit

Sint das dv hast gehulfe mir

D' buregraue des stm-e git

Das ich de vngelovben entge

[ßl.42.a.] Daz h' kvme sicherliche dan

Nv horte man rvfe in tode we

Do das mer stille began Do man di seil gar abe

D' val mochte wol zv iam' ste

De kiel vurte vz d' habe

Casp. 90 b 9.

Mit vroude hin vf den se .me D' markis sp'ch nv vurcht nich*

0 we den vngetovften

W kvmen nv zv lande wol

Di ir leben so verkovfte

Ovch wil ich das mi vrowe sol

Das hie valt ein mim' ^ tot

Sp^ch d' buregraue zv hant

Nv leit ovch kandaris hi not

Min vrowe sal habe gewant

An dem kiel vh sin geverte

Daz si nicht also sehe

[B1.41.d.] E das si den irnerten

Man sal si sehe daz iehe

Das in d' wint nicht zvvurt dar

Daz si habe kvniginne naü

H' mit spate breit das lät ^ar

D' beide cleit sal si sich schäme

So w' h' \al gar zv varn

Min vrowe ob si gervchet

D' Sturm sich nicht wolde sparn

D' markis sp'^ch sint ir suchet Das vnse ere priset

Nv schire qua d' lichte tac

Vil kaiende an de lande lac

Das hat ii- wol bewiset

Di d' wint hatte gewvrfe dar

Sin wil ml vrowe nicht enp'n

D' bui'cgraue nam hi war

Ovch wil ich samt ir gern

Vn hat besuchet gar das lant

So ich all' meist turste kan

Vil richeit an de stade vät

Min vrowe sal de tovf enphä

phellel richer wat

Als ich is dem mere han

Als heidenlant gewonheit hat

Baldekin vn gvt matras

Casp. 91 b 7.

Dar vf mit richeit sax

Di bui'cgravi mvs bi vch da si

Des hin vh her lac zal

D' lat vch nicht di kvnigin Wir svln vch erbeiten da

1) Hs. so, nicht im'

Di heide varn vns nicht na

ikmpt

miifj

BRUCHSTÜCKE VON ULRICH V. D. TURLIN

469

Des svlt ir nicht vorchte han Es ist vrvDclich getan Ob ir vns hin geleitet Vw' pris da wirt bereitet vinde ich lebende di ich lie D' buregraue nv danne gie Zv d' di sines h'zen wielt [B1.42. b.] Mit arme si in vmme vie[lt] Do h' ir saite di botschaft Ii- beid' lip hete liebe craft H' sp'ch vrowe wi retestv mir La höre swas dor an gevellet d' Ez mac vns brenge ere A-il Sin name stet zv hohe zil [= Casp. 91b

24.] Casp. 93 b 28. ^

Wil h' din truwe zv w'de kere Vns wechset michel ere Daz rate ich das dv nicht v'seist Sint dv de halt so w'de weist Svs was d' burcgravine rat D' buregraue glenc nv drat Vn kniete gezogenliche. nid' Vur di kvniginne wid' Si sp*ch saget m' si w' gewert Ja vrowe swes uw' gnade gert Wir sin vch dienstes vnd'tan Di kvnigin hiez dar trage san

Casp. 94 a 9. Uil phellel kost riebe zalt Ys heideschaft so manicvalt An de lac richeite vil Svmelich ich vch nenne wil Das eine was pheUel trijit heideschaft de man wol bekät Hi was vil richer acmardi Vn manic phellel arabi Des ture vn glaz \t1 hoe wac Hi was phellel kandulac Hi lac phellel von belinar Ov nam richeit war Ane phellel samorgon De durch mine gereude Ion Arahel hete bracht tibalt [Bl. 42. c] [Ovch was] da phellel d' sich valt [A]n richeit tussangule tragunet wis als ei sne Was d" phellel Salamander

Dannoch vant man ander

Phellel di wäre de vngelicli

Hi phellel wundirs rieh cht

Gar ane menschen hat gewor

Das ich d' spott' rede nicht envorch'

So beschiede ich wa h' wart genvm

wie er h' was bekvmen

Ein gebirge heizet tanglesät

Svmeliche beiden vnbekant

An d' mor lant ez stozet

Des gebi'ges sich genozet

Da \i] kiel vor alder roset

Casp. 94 b 8. Ein wurm heizet salamand' Si habent tvgent ab' and' Di ich vch bescheiden wil Bi ein ist and' ist ir nicht vil Si heize samanarit Vn han des salamandris sit Das si stete sint in dem vure And' wesen ist in ture Ouch haben si eine gewonheit Di ist da nicht den lande leit In d' zit so si mvze sich Das awert da das nie' mich Das si dri meilen lagen Das har gemein zvsame t ge zvtvn is ein ander Ich wen si sin de salamäd' Nahe gesip als ich ez han Als das har ist gar zvtan [Bl. 42. d.] si es wite gebreiten Mit vlize si danne ai'beite Vn mit stetem blasen mit vil heize atmesphase Werkent si sich selbe dar in H' mvs ouch wesen als ich bin An der zal eben gelich Ovch virzaget ir svmelich Das selbe bilde nicht volkvmt Das stet däne in de pheUel gedrvt Dis kvest an de vil schier Ob ir sint sechs acht od' vier Svs zeit in de phellel di tier

Casp. 95 a 7. Der tier mvz webe gelich Des phellel werc das ist rieh

tl

470

Di selbe phellel wernt imm'

Ir vai'we virterbet nimmer

D' phellel mac gewine nich*

Andirs dan das mere gicht

Das gebirge als hohe stet

Als dan di ordenvnge v'get

Des phelles neme si nicht war

So kvme dan di grife dar

Di phellel han so lichte glänz

Svmelich v5 acht bilde ganz

D' grife gebirge da nahe lit

Di beide wizen wol di zit

Das di mvze vollögange ist

Di beiden kvnne eine list

Di phellel han nv di grife hin

So ist danne d' beide sin

Das si mit loube begurte sich

Vn gen di nacht gar sus hört =

Bis hin de gebirge zv = ich [= Casp. 94

a27]

Casp. 97 a 33. [B1.44.a.] Min lute mi lant als es vch sol Vett' diene mit samt mir DiiTe vart ich vnsanfte enpir D^'ch des marcgrani w'dikeit Nv was di kaiende bereit H' sprach h're getruwet m' Ich bin hi h're alsam ir Min truwe sippe irzeige sol Vart vi'olich vh gehabt vch wol Di kvnigin alle nv giege an Si schiede mit vrlobe dan In ganze vroude si nv saze D' beiden si nicht v'gazen Manie lant si sahen Di kaiende begvnde nahe Manie frocht si dar zv treip Das d' markis erlich noch bleip Lichte in de blvme vf de lade Svs liefe si vf des mores säde Arabel vn di burcgrauin Ir vil wiplicher sin Gehies swas si leret Ir lieblich geberde sich me't Das gap de markis v'oude vil Yf sechs tage was ir varns zil Ich wene vil blvme was getreit Da di svze d' minne weit

D ch vroude liefe h' hin Ich we s welche trat di kvnigin Das di icht v'lui'e ire lichte schi

Casp. 97 b 30. Ich wil vh mvs also ssin So hol weren di vuzelin Siecht ZV tal vn gedret Als ir von louf das hemdel wet [B1.44.b.] Vn d' burcgraui bis an [di knie] Sw' danne w' gewese h[ie] der es solde han geseh[n] Der mvste des [v]ö r[e]chte iehn Das h' sach von paradis D' wünsch sus was d' amis Gebildet gesuzet Di vroude bäte nv gebuzet De markis swas im ie gewar Nv vuren si mit vroude gar Bis das si sähe riuetinet D' sich euch v'svmet het Das si den vunde vf d' vart Beidehalp svlch vi-oude wart Das si de himel wid' doz Svs vui'en si mit vroude groz Eicheit sich nicht hal D' bui'cgraue hiez mache schal Sechs bosvnere bliese vf Zv dem stade was michel Ivf Hi was puke slan drischalmpn] Des ATOute sich th kvnigin Di vurste di ovch saze hie D' senen sich nv gar zv lie Si ovge hvben si enpor Das si d' kvnigin sazen vor In vroude sloz d' hebe tor

Casp. 98 a 29. Urowe venvs des nicht v'droz Di hi ir beider liebe sloz Suze nv habt ir vroude vil Nv storent vroude an vns zil Das w' vns mit vch vrowe mvz[en] Das des eilendes grvzen An vns nicht wirken sen [B1.44.C.] [Vü kiistjenliches geloube wen [Sich] an vns nicht crenke [V]w' truwe das bedenke tvt ir das so si wir vre

BRUCHSTUCKE VON ULRICH V. 1). TÜRLIN

471

Mit lachen sp^ch arabel do Nv enwelle der des gotheit Menschen bilde durch vns treit E v'gez ich ml selb' gar Ii' wizze hant bot si ü" dar Ein zäher rar da irgieuc Mit de arme si sie vme vienc Do si di vrowe weinen sach Di burcgraui do zv in sprach Ich weiz wol daz mi vrowe h^t Vil tniwe da si nicht lat Si hat vch in vurstine name W solde \Tigemvt an ir zame hette si uw' bi ir nicht Ir mvnt vch höh' w'de gicht truwe vil das weiz ich wol Dirre zwivel nv gelige sol Vrovde ist vch zv huse bracht D' stat man nv schire nacht Ii" beid' minne nv mit liebe gach*

Casp. 98 b 28. Arabeln di vrowe spräche zv W vorbekät das w' wisse nv Abe d' burc si riefe Ivt Das man durch böte in behvt W vf kiel vn kaiende were Nv rief ein marnere Welt ii' ganz' vrovde iehen So lieze w' vch vroude sehe Iz ist d' markis d' hi kvmt Nv wirt hi vnvroude izwei

getrüt [B1.44.d.] Sich hub ein so lut' schal Daz h' den bergen wid' lial Si vuren alle mit barke zv Der mar'^graue gebot nv Di kaiende vure an das lant In aUe vroude nv wart bekät Arabeln h'ze hielt woude gir Nv sp ch di buiTgravi zv ir. vart Vrowe nv ruwet vch nicht vw' Do d' anevanc so suze waii Alles heidenlaut v'giüde nicht Di ere di vch geschieht bvt vch noch vil groz' ere Nv was noch d' burcgravi lere Arabel gecleit di vrowe

Ob dem cleide mochte schowe Gerige cappe samit D' rote gap vur wid' strit Arabel kvnde wol halde nv Di burcgraui gap lere dazv Nv was es noch an de tage vrv

Casp. 99 a 29. Sed marcg*ue kvme I saufte tet Nv wart bestreut rivetinet Do in di mere wurde kunt Durch h'zeliches vlizes vunt Di straze si gar bedacton te

Daz stein noch erde nich* enblac Mit vil riehen phellen Di kvnigin ir gesellen D' buregraue d' markis di vier vurstinne wis Dar zv di sechs vrowehn Vor arabel giengen in Di UV wol kvnde de vrowe t't [B1.45.a] Nach der franzoyser sit ch Dem markis ein heil gescha Das h' di burcgravin ie gesach Di leret si so gebaren Das ir heidenisches claren Wiser zvch* waz vngelich Swi iene zvchte duchte rieh Nv giengen si mitte in di stat Da in bereit hat Ein palas liecht schone Nv hvb sich Ivt gedone Von videln harfe rotte Ovch wart so der rotte Di vs in drvngen Von enphahe di ore clvnge Da lieze si nicht von Nv tet noch d' aide gewö wo Vil Hechtes gap manige starke

Casp. 99 b 26. Man richte di tische hi was gnvc So present man in truc Das si vil na virdroz Hi di ioige also groz des edelen ritt's vunt Des vlieze het gemachet kvt AI der franzoyser lant Vil bete man do wite sant

472

SUCHIER

Kein orlens vii mvnelvn Gerite nicht garzvu Kein gemide \Ti portigal Zv tsartis swa h' sippo mal An vroude het da sante h' bin Da wart nicht cräc d' böte gewi D' markis eine ritt' nam D' im ZV böte wol gezam

[B1.45.b.] Vii sante in graue hei[mrich] Sint das h' tv dem gerich di gravinne irmeschart Nv ich ir beid' kint ie wart Daz si ir vliz dar an lege alle vnse mac erwegen Daz ich blibe in dem w'de Vii si also enphange w'de D' gvte mit mine mich hat v'snite Sint das ich erliten et

Do mich schvpfetur selde schi D' w't d' neic al der beide diet D' mine mich vlizet mit mine Vn trachtent in ir sinne Wie sie brenge liebes Ine

Casp. 100 a 25. Nv bit das si d' mine liebe mich Di d'^ch mine liebe nv anet sich Zweir lieber crone di ir nige Wt ir UV wirdikeit v'zigen Das tvt mich gar an vroude Var kein orans zu berträ sag im das ich kvme si Vn kvnde im w' m' wese bi Vn wes mi h'ze d'^ch liebe g't Bertram vnde kibert Bernhart arnalt [= Casp. 100 b 3].

Casp. 91 b 25. Swem todes lein nicht gevalt D' sippe od' vi'vnt si Das d' in w'de uns wese so bi Das gesohlt twinget si liebe c^ft Si svln vns mit ritt'schaft Vn 1 svlche ioye holn .doln

Das ez di luft nicht mvge si truwe so sint si vi"o

[B1.45.C.] [Kvn]al schiet danne do de markis da h' was bereit Vn warp als ich han geseit H' quam zv oranse zv

Berträ vant h' in vroude nv Gnuc sin' mage da bi im sas H' irbeizte gienc vf de pala* Da vant h' di massiuie vre Nach de grvze vragete h' in do Sage an kvnal wan dv varst Mich dvnket das dv nicht sparst Reise d' gelich ^ gebarst

Casp. 92 a 13. Dv hast sere gestriche her Min reise ist ganz' vrovde w' Ob vrvndes liebe vch vroude gich' So gehabt vch wol uw' ovge sich' Da vroude w't virnvme Min h're d' markis ist kvme Vn enpvtet vch gi-vz vn liebes vii D're brif ist vrvndes liebes zil Den schreip sin selbes haut H're da w't vch an bekant AI des marcgi'ave bet Den brif las h' zv stet Dar an vant w'de gnvc was höh' wirde trvc Arabel di in hatte iiiost wi nv w' sin hoest' trost Das si wol wurde enphäge Vn si gedechte kvmm' lange De h' het in vancnizse iiiite "Wi de ir helfe het ab gesnite Daz hiez h' ovch de Ivte sage begvnde truricliches iage [B1.45.d.] Ir aller h'ze zv liebe tribe D' böte sp^ch mi bliben Nicht "sal sin gespart "leng' Heimlich vrowe irmeschart Ovch nv vrowe sal min kvme Do gar sin botschaft wart v'nvin H' ilte danne mit bald' iage An dem dritten tage Quam h' nach des me's sage

Casp. 92 b 12. Heimlich vant h'zv naribö brachte vroude bernde Ion H'ze di vor \Toude vloch H' irbeizte sa sin ros zoch Do h' in di stat nv quam Sine brive h' do nam

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BRTJCHSTUCKF, VON ULRICH V. D. TÜRLIN

473

Vn qua zv graue heimricli

Dir enputet des selde iam' rieh

Schumpfetur het ab getretc

Aventur di zv geweten

Hat mit rieh' vroude seile

Das dv irlaches sime heile

Sint din' sippo art in gvrtet

naturliches beru in geh'-tct

der d' lip dir nahen lit

Ob in di sippe nv ioic git

Das mert ir pris ir zvcht

Sint h' ist uw' beid' vrvcht

Disen brif den scnt h' dir

Das boten brot saltv mir

Geben iz ist d' akvrnoys

Des tat so kvrk bi de roys

D' heidentvm vns hete hin

De hat d^ch mine Ions gewi

Most di hoste kvnigin [= Casp. 93 a 4 1

Casp. 108 a 14. [B1.47.a.] Das di kvnigin neme war Das in mit svlche AToude holt Das ez d' himel kvme gedolt 0 wi solt ich nv vure schilt "VYi lutzel mich d^ch in bevilt Das ich den durch in vurte te Min craft da poyud'liche de rur Das in der luft stvbe melmes rouoh De buregraue saltv grvze ovch Yn di w'de burcgrauiu Sage min' tocht' d' kvnigin Daz si sich laze v'drieze nich* Mi ovge schire si mit \T0vde sich' lieb habe min w'des kint Si gesit schire w' sine mage sit Di svln v5 rechte ir dienst wise Yon golde von siden risen Yn dar zv sloier wol hvnd't D' were doch was gesvnd't Di mit berln di mit stein Yon werc also rein Daz es kvniginue zam D' böte das cleiuote do Si mochte es sende ane schä

Casp. 108 b 6. Si sprach mi tocht' sal ez teile le Des böte gäbe wol ich nicht vei

Das irmoschart heimrioh Si beide gaben des wen ich Zwei schone vrs hvnd't marc Dänoch sich nicht m' enbarc Yicr pliellel ein riebe gedrego An kovfes gedrenge "Was is hvnd't marc wol wert D' bobote vrlovbes nv gort [B1.47.b.] Danne schiet h' ATOude rieh Nv wart gesant algelich Yrvnt h're vn mage Das vch nv nicht betrage D' böte qua zv riuotinet Sine botschaft gewurbet he* ovch wid' als h' soldo Nv kvmt h' wid' vor mine holde Yn saget d' kvniginne gar Das di gravin hat enpote dar Arabeln irme liebe kindo Nv neic h' vrowe ingesinde An d' gravinne stat Den burcgrave si grvze bat in zwein willekvme sin di edele burcgravin Sine present nam h' er vur Di was in richer kvr Das vil wol ovge w'c esicht Dem di richeit irblicht Alles werc kein de ein wicht

Casp. 109 a 5. Der kvnigin h' di cleinot bot Des getruwes h'zen lot Sich senket kein d' stete Ob aller wiut wete Das mochte si doch gecrenke nich' D' grvs vn h'ze d' liebe gicht Di truwe si^ lieb si not Ii- h'ze dich hat gelot Zu ii- mit stetem binden Nimant kvnde das vinden Wi man di liebe zu lost Sint daz dv ir zv trost Bist geborn ir svn [B1.47.C.] Tervigant vn bakvn Sin durch liebe des gelobt Swi si gar mit Ivgen tobt

1) si ist -wegradiert.

472

Kein orlens \n mvnelvn Gerite nicht garzvn Kein gemide vii portigal Zv tsartis swa h' sippo mal An vroude het da sante li' bin Da wart nicht cräc d' böte gewi D' markis eine ritt' nam D' im ZV böte wol gezam

[R1.45.b.] sante in graue hei[mrich] Sint das h' tv dem gerich Vn di gravinne irmeschart Nv ich ir beid' kint ie wart Daz si ir vliz dar an lege alle vnse mac erwegen Daz ich blibe in dem w'de si also enphange w'de D' gvte mit mine mich hat v'snite Sint das ich ha erliten et

Do mich schvpfetur selde schi D' w't d' neic al der beide diet D' mine mich vlizet mit mine trachtent in ir sinne Wie sie brenge liebes ine

Casp. 100 a 25. Nv bit das si d' mine liebe mich Di d^ch mine liebe nv anet sich Zweir richer crone di ir nige Wt ir nv wirdikeit v'zigen Das tvt mich gar an vroude Var kein orans zu berträ sag im das ich kvme si Vn kvnde im w' m' wese bi wes mi h'ze d^ch liebe g't Bertram vnde kibert Bernhart arnalt [= Casp. 100 b 3].

Casp. 91 b 25. Swem todes lein nicht gevalt D' sippe od' vrvnt si Das d' in w'de uns wese so bi Das gesohlt twinget si liebe c^'ft Si svln vns mit ritt'schaft Vn 1 svlche ioye holn .doLn

Das ez di luft nicht mvge si truwe so sint si vi'o

[B1.45.C.] [Kvnjal sohlet danne do de markis da h' was bereit warp als ich han geseit H' quam zv oranse zv

Berträ vant h' in vroude nv Gnuc sin' mage da bi im sas H' irbeizte vn gienc vf de pala* Da vant h' di massinie vre Nach de grvze vragete h' in do Sage an kvnal wan dv varst Mich dvnket das dv nicht sparst Reise d' gelich "^ gebarst

Casp. 92 a 13. Dv hast sere gestriche her Min reise ist ganz' vrovde w' Ob vrvndes liebe vch vroude gich' So gehabt vch wol uw' ovge sich' Da vroude w't virnvme Min h're d' markis ist kvme enpvtet vch grvz liebes vil D're brif ist vrvndes liebes zil Den schreip sin selbes haut H're da w't vch an bekant AI des marcgi-ave bet Den brif las h' zv stet Dar an vant w'de gnvc Vn was hob' wirde trvc Arabel di in hatte irlost wi nv w' sin hoest' trost Das si wol wurde enphäge si gedechte kvmm' lange De h' het in vancnizse irlite Wi de ir helfe het ab gesnite Daz hiez h' ovch de Ivte sage begvnde truricliches iage [B1.45.d.] Ir aUer h'ze zv liebe tribe D' böte sp^ch mi hüben Nicht "sal sin gespart "leng' Heimlich vrowe irmeschart Ovch nv vrowe sal min kvme Do gar sin botschaft wart v'nvm H' ilte danne mit bald' iage An dem dritten tage Quam h' nach des me's sage

Casp. 92 b 12. Heimlich vant h'zv naribö De brachte vroude bernde Ion H'ze di vor VTOude vloch H' irbeizte sa sin ros zoch Do h' in di stat nv quam Sine brive h' do nam

BRUCHSTUCKE VO>f ULRICH V. D. TUBLIN

473

Vn qua zv graue heimlich

Dir enputet dos selde iam' rieh

Schumpfetur het ab getretc

Aventur di zv geweten

Hat mit rieh' \TOude seile

Das dv irlaches sime heile

Sint din' sippe art in gvrtet

Vn natürliches bern in geb^'tet

der d' lip dir nahen lit

Ob in di sippe nv ioie git

Das mert ir pris ir zvcht

Sint h' ist uw' beid' vrvcht

Disen brif den sent h' dir

Das boten brot saltv mir

Geben iz ist d' akvrnoys

Des tat so kvrk bi de roys

D' heidentvm vns hete hin

De hat d^ch mine Ions gewi

Iiiost di hoste kvnigin [= Casp.93a4].

Casp. 108 a 14. [B1.47.a.] Das di kvnigin neme war Das in mit svlche AToude holt Das ez d' himel kvme gedolt 0 wi solt ich nv vure schilt Wi lutzel mich d''ch in bevilt Das ich den duxch in vurte te Min craft da poynd'liche de rur Das in der liift stvbe melmes rouch De buregraue saltv grvze ovch di w'de burcgrauiu Sage min' tocht' d' kvnigin Daz si sich laze v'drieze nich* Ml ovge schire si mit \TOvde sich' Vn lieb habe min w'des kint Si gesit schire w' sine mage Sit Di svln rechte ir dienst wise Von golde von siden risen Vii dar zv sloier wol hvnd't D' were doch was gesvnd't Di mit berln di mit stein Von werc also rein Daz es kvniginne zam D' böte das cleinote do Si mochte es sende ane schä

Casp. 108 b 6. Si sprach mi tocht' sal ez teile le Des böte gäbe wol ich nicht vei

Das irmeschart heimrich Si beide gaben des wen ich Zwei schone vrs hvnd't marc Dänoch sich nicht m' enbarc Vier phellel vii ein riche gedrege An kovfes gedrenge "Was is hvnd't marc wol wert D' bobote viiovbes nv gert [B1.47.b.] Danne schiet h' "STOude rieh Nv wart gesant algelich Vrvnt h're mage Das vch nv nicht betrage D' böte qua zv riuetinet Sine botschaft gewurbet he' Vn ovch wid' als h' solde Nv kvmt h' wid' vui" mine holde Vn saget d' kvniginne gar Das di gravin hat enpote dar Arabeln irme liebe kinde Nv neic h' vrowe ingesinde An d' gravinne stat Den burcgrave si grvze bat in zwein vn willekvme sin Vn di edele burcgi'a\'in Sine present nam h' er viu' Di was in richer kvr Das vii wol ovge w'c esicht Dem di richeit irblicht Alles werc kein de ein wicht

Casp. 109 a 5. Der kvnigin h' di cleinot bot Des getruwes h'zen lot Sich senket kein d' stete Ob aller wint wete Das mochte si doch gecrenke nich' D' grvs vn h'ze d' liebe gicht Di truwe si* lieb si not Ii- h'ze dich hat gelot Zu ir mit stetem binden Nimant kvnde das vinden Wi man di liebe zu lost Sint daz dv ir zv trost Bist geborn vn ir svn [B1.47.C.] Tervigant vn bak\Ti Sin durch liebe des gelobt Swi si gar mit Ivgen tobt

1) si ist wegradiert.

474

Da dv da ie wurdest vrowe

"Wol mich d' w'den schowe

Das ich vil svze dich gesihe

Alrest ich nv gihe

Jvgent vn alders zil

Din svze mi paradis wese wil

Sich des lip in dir blvt [= Casp. 109 a 27]

Casp. 100 b 4. Des flvst mich hat in gemvt Diz cleinot saltv d^ch mich t ge Vn das stete liebe iagen Ob dich d' liebe nicht v'drvzet Mich hat v'aldet kindes v'lvst Nv iunget mich kindes golust Heimrich si uil ofte kvst

Casp. 100 b 12.

M( ) noch iunge mvter

Bezzer dan vil gvter Wt dir ZV vat' noch mi h're Nv sen dich nicht das dv so v're M' min kint hast wid'bracht h'zen ist m' des gedacht Daz ich eilendes dich ergetze Vn der min h'ze zu liebe setze Dich ZV sehen han ich nicht bit Da was di rede beslozen Di kvnigin wart nv vro D' burcgravin gap si do Vil risen der sloier ovch de vurstinen vier -sa Ovch gap si de zwein vi'owe- Svzsit vnde divna D' burcgravinne phlage die [B1.47.d.] Vh wäre in ir dienste hie Vn ovch de iuncvrowelin Ob vremde vi'owe bi ir sin De teilte si rieh di rise mit Nv wart ovch nicht leng' bit Tinalt and' meist' vier Den gebot daz si schier Mit de snide were bereit Alrest nv phellel sneit Des kost ZV mine lone wiget Ich wen ir nv nicht phlig; Ich han si doch vor genant Si wereu gvt iuden phant Ich we ir habt nicht d' gesant

Casp. 101 all. Dis laze w' vn boren me Wie das enphahe hi irge Vil riebe wat man hi v'sneit De markis' wart ovch bereit Des d' burcgrave truc richer phellel kanduluc Grvne dar in gewebe golt riehen berln als h' wolt De markis nv arabeln hiez De ameral h' des selbe hiez Bereiten ovch gap kandaris Nach d' franzoyser gis Mit riehen bvnt kein tische Dem ingesinde ane mische Wurde cleider ovch gesnite heimrich was nv vngebite H' besant vrvnt mage Sw' nv gebaret trage D' hvlfe m' ovch nicht striten Di boten rante witen [B1.48.a.] Si vunde vrouderiche vunt In den ort der besten kvnt Was alles fran'^rich gegeben Durch des eine ritters leben Den selde in ir geleite Hete bracht vz arbeite Des wart hi ganz' vroude w' Do man besante hin h' Wol zweier wochen zit Nv wart das mer also wit D' svze noch h'ze vrovde git

Casp. 101 b 10. Manig' sich bereite vngebete Ir all' h'ze hete lieb irrete Das leit samen da v'tai'p "Eeimrich also wite warp Das yrunde vn viende Di uor . . . ar sere piende Entphahens waren bereit Heimrich nv an de keis' reit saite imme d' vroude phlich' 'Envrovte valsche h'ze nicht D' vroude sage tvt hi lias Loys bi d' kvuigiune sas Da d' graue brachte di me' Di svze minnebere

BRUCIISTUCKK VON ULRICH V. 1). TURLIN

475

An d' Sippe bot lieb beiac Vor vroudö also sere irschrac Swigende sach si de kuuic au Yb' eine wile si sich, v'san Vn spranc vf da ir vat' stüt Nicht liez als di vrowe tvnt Si sp^ch vil svz' ist iz wai' Den VHS heidenliche var Het ouzvct weistv den

[B1.48. b.] Getruvvelicher sippe wen Se zoch . w't h' vns sp'ch si wid' Di ovgen gvzze wazz' nid' Das lieb flvr hete geheizet Vz h'ze bn-ne wart h' gereizet Manie vzsprinc leite dar Man nam hi ganz' liebe war Des wurde mvnde rot gevar

Casp. 102 a 9. Ob mich d' nicht enrvwet Des trvt mich hat getruwet Vn des truwe Ion nicht hat Des truwe crone mich gecront h^t Des w'de truwe mich bew'det Min h'ze na sin' trvwe girdet Des svzen d' uv kvmen ist "Wol d' reine suze krist euch in wiplichen siten Mit weine wart da vnd'snite Ein lache das doch vroude brachte Der kvnic nv gedachte Wi h' lieze truwe schinen Viu' das engestlichen pine Das h' het dui'ch in gedolt Vh wi h' in enphahe wolt Das gehoet wurde sin pris das d kvniginne arabis Gewunne mvt geldes lone Ob si lazen d' beiden crone Das and' w't ir vroude tracht Mit graue heimrich h' das betrach* D' keis' sp'^ch nv wol mich wart Daz m' di selde ist gespart Daz ich nach vlize vn gewi Min h'ze na sin' truwe tru

[Bl. 48. c] Den sehn sei des wis' sin wet Des melich tat mich ie begreif Swa m' d' hosten helfe ensleif Do was sin truwe mi vmesweif

Casp. 102 b 8. Sin mvt was mines mvtes wille Kvnde sin pine nv gcstillcn Des gebe mvtes vroude mir Di kvnigin sp^ch si ich dir H're lieb das la schinen Das wir im svzen pinen Swas ich dine gnadö hau Dime geböte si daz vud'tan Daz im w'de mvtes vroude gäz Do sprach d' clare vivianz Des richoit noch nicht gTanc warf Swa mt dazu bedarf Da w't im ere m' irboten mochte mi craft Schildes rote Leite durch poynd'lich' tat Min h'ze wol den wille hat Leid' ich bin d' vrovde zv cranc Di kvnigin saite im danc Das sipplich liebe in treip Heimrich xi\ nicht beleip Der kvnic im stiez zv kvmes zil Bertram hat geworben vil Witschar bubo vn arnalt D' tioster vil ritt' hat gevalt Gauders gaudin Mil vn kibalin serines von pantali Gwigriman d' blavi Samson ioseranz von hves melanz [B1.48.d.] Gaudris d' tandrinas also rotte gezimmirt was Gel grvne rot als ein glas

Casp. 103 a 9. Arabel wart enphäge wol D' mine des danke sol Das ist min wan ob ich ez Di rotte sich bereite san rite al dem kvnige zv Ob de imä ovch kvme nv Das hört ir schire gehört Im quam d' mit tat zvstort Graue hoier beamvnt tsampani licvnt Graue tyde von littenant Vn syr robert tinasant

476

Graue ritschart lianit

Fraupeiie tingalit

Graue kylloys oreste

Vn aiioys mutes veste

Vn graue beals gerunde

Das waren alles kvnde

Svuderlich qua poi-tigal

H'zoge beonit d' euch quäl

Da heime leit den heide

Nv han ich vch bescheiden

Di vuren alle nach mein sit

Dirre h'zoge het des vnd'snit

D' was mit harnasch kvm dar

D^ch sin lant vor d' beide var te

Deme wart vil riebe hi gesni

Wape roc decke nach manige

Nv qua ovch graue heimrieb . site

Des h'ze was nv vroude rieb

Nimä antsoy was gelich [= Casp. 103b 7]

Casp. 114 b 4. [B1.53.a.] Swi ich ein teil rechtes zvimhä So tvt m' doch di trvwe wol Sin tvgent m' ouch helfe sol Danken ob ich sin tar mvte Dirre svzen reine gvten D' wisheit mich hat gescheide Von todes pin leiden D' w'de in hohem gelde saz Swa w'de kein hob', h' sich maz Mit wüsche wart da vb'setzet D' mine vn w'de mich, hat irgetzet Pinlicher arbeit leben -be

Do schvmpfetur mich het gege- Vh w'de ZV Ion das machte si ebe

Casp. 114 b 18. Der iamer wart mi wisel Di schvpfetur mich na zv gisel Daz ovch an vpris ergie Ich gebot noch vnd' heim nie Durch viende craft Sicherheit Do ich vf de lagen mich v'reit In poynd' craft bis vf das m' D' kvnige enschvmpfiertes h' Sahen das mich das vrs v'truc Dannoch hatte ich crefte gnvc Wüde vn gesvde sich zvsame Ueze Mit vientlichem shezen

Glich d' wer si taten Do si bekowert sich hate de mer si hvrte vf das velt Mälicher tete lones gelt Bot ich vur vlisens vngewin Dise dri kvnige hvrten in Synagvn halzibir D' dritte kvnic valt ich schir [El. 53.b.] Di zwene mich do ranten an Di lanze het ich virtan Des mvste ich pine hi liden Schoyse mit viende niden Halzibir ich durch de heim slvc Daz iz bestac sin ros in ti-vc m' das ich sin nicht sach Mit starke hvrte das geschach Synagun vf mich treip Min sw't svs in de helme bleip Also ein stro mich zereip

Casp. 115 a 17. Mit d' vust slvc ich manic gebot Dicke rief ich hin zv got Eine heide zvcte ich ein sw't Des gvte wan eine slac wert So hielt ich ab' blos als e starke burte geschach m' we Si tribe mich vme als eine bal Gros wart d' genese heide schal Tervigant gap nv nvwe don Nv hvrte vf mich talimon Mit ein' starken lanzen Vh wolde betwinge mich \aanze D' kvnic mit craft di vf m' brach Den ich mit d' knvppe stach Daz h' dem rosse seic Alrest mi vngelvcke^ nv steic Ir craft mich hvrte zv d' habe Do wart min ros geslage abe Des craft mich dänoch also hielt Bis mi vrovde ein vianze spielt Daz wart vnzagelich doch getä de rosse irbeizte ich san Das viel nider vh was tot [Bl 53. c] Ich galt mich doch mit karles- Mit vil w'de kvnige drin -lot

Des ravz mi vrowe gezvc hi sin

1) g in vng ... ist aus k gemacht.

BRÜCHSTÜCKE VON ULRICH V. ü. TÜRLIN

477

Di sint ZV todierno quamen Vn di kvnige gebalsät da nam D' iam'lich geberde rieh Wolde nicht enperu si sehe mich Das vugte m' zv selde sich

Casp. 115 b 16. Uz d' p'sou iiiä mich nam Als ez m' sint zv selde qua Ir wunneclich gvnst m' w'de iach Avoy in welch' wirde ich sach Min vi'owe hi di kvniginne Vrowe venvs di gotinne Waii nie so ho geschont Si gienc des tages gecront Wan ez d' gote hochzit was In ein iardin da yrvnes gras D' meie d'^ch vrovde het bestecket Vil maoic schone bilde da weck; Mäues heb h'ze di vor ir saze Ir clare schone so glich di maze De wüsche sich euch gurte hoch Tibaldes vrovde i iam's vurt : geb'^t Eitrauc do h' vrlovbes gert Vil hohes h' mich lobes wert Vor ir d' kvnigiune drin Vn beval mich ofte d' kvnigin Das si mit hvte mi wol phlege Di svze dar an was nicht trege Ir blic mich dicke sorge schie' So si mit sehe mich irriet Daz zeiget m' ein kein vrovde hin Ovch vrvmt ii" wislich' sin [Bl. 53.d.] Vnd' wilen mich wol hazsen kein m' mit helfe lazsen Das ich d' notdurft eupar Dis v'st\Tit ir zv vrovde gar Als m' di ovgen zeigte dar

Casp. 116 a 15. Zornes ich vnd'wile engalt Do antworte mi vrowe hi tibalt Do h' mich beval vch tur -hur Sich hat din tvgent ie soge- Kein m' mit ganz' Hebe erböte Das ich das sw' bi mine gote E das d' helt wurde v'lorn Daz ich e wolde d' gote zoru Duldin ich geswige din

Vil svzer vrvnt vn h're min Var vrolich vn gehabe dich wol Min truwe in wol behalde sol Das geschach so schiet h' D' rede ist m' mi vrowe wer Mit d' wil ich irzvge das J[e]t wed' halb gecronet-sas Ein kvnigin di trvc ir D' richeit ich gar v'bir -che Ich mochte ir nicht halb wolre- Nv begvde behvgde vroude m' Ofte hi d' kvniginne blic. weche Swi tvgentliches sterbes stric Min vrovde zv iam' het gebvde Nv gap aveture stvnden -seit Das sich tibalt durch helfe ent- Als ich vor iach ir wisheit Vuget do tibalt danne qua Daz h'vz mich ofte nam In dem sinne ret si vor in das [B1.54.a.] Das behvte mich deste bas Kege m' si gvte doch nich' v'gas

Casp. 116 b 14. Vil beide min' selde bevilt Eine^ ich schachzabels mit ir spilt Das spil m' b'nde vrovde buchte Vil ofte ich au ir schone gedachte Das di solde gote ephendet w'de Vn rif himel an di w'den kvniginne mvt' vn mait Do si m' mat het gesait Eines tages vf d' kvnigine Nv was das gar vz mine sine Das di kvnigin fräzoys kvde Ir sele v'lvst ich clage begvde Do m' das spil misseriet Di kvnigin di clage iiTiet Vn behUt di an de dritte tac Do ab' min selde zv vrovde wac Vn ich quam zv hove als e Nach de tische wart nich* rede me Ein spil satzte wid' an Di sprach di kvniginne san In franzoys des ich se' irschrac Ir ret des ist hvte d' dritte tac Von einer w'den kvnigin Wi mochte mait mvt' sin

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Solde di geb'n vii wip nich.' wese H' markis ich wil sin nich* entwese Ir bescheidet m' d' meide das Als ir solt hi doln mine has Svs twanc hi rai vrowe mich Das ich . . beschiet ^eive als ich Di weste do bedachte si sich

Casp. 117 a 13. Do si de gelovbe het v'n^'me[n] [Bl. 54 b.] Wi ez was vh wi es mocht[e kvme] D' geloube iv gahes wol ge[viel] Des tovfes vroude i ir li'ze w[iel] Zv dise vrowö si rat Do si in di rede entslozze hat Zv de tovfe wart ir gach In vU. kvrzir zit dar nach Di kvnigin ir bereite bat Eine kiel vn iach si wolde di stat Rvme d^ch des gevange wüle Vh der heiden rede stillen beval mich eine ameral Dar ZV dem hove vb'al Das si mit hvte mi phlege wol Dise rede ich kvrzen sol Doch was m' kvnt ir getan Das si mich wolde bi-ege dan D' kiel nv bereit wart Vh di svze was vf d' vart Di reine da vrlop zv ni' uam Ein vile di m' zv tal quam Da mit ich vilte di tages stvd[e] E ich di nagel v'vi[len kjvnde Doch lost ich vz d[e pov]Ä;e mich De tac di nacht n[v] neiget sic[h] Nv qua also di valsches lere Vii slos vf den ke[r]kere Si zoch mich mit h* wize hat Ich wene hi ml brvd' brvb[ant] Svlche c^ft noch nie an im va[nt]

Casp. 117 b 12. Ich wart mit craft vz gezoge Ovch was mi helfe vnbetrog[e] An de vier vurstinne hie D' helfe ovch mir truwe sehe [lie] [B1.54. c] [Do i]ch vz dem kerk' quam [Di] kvnigin mit arme mich [I]r mine kvs si mir bot

Swas ich in d' prisvn not

Irliden het di was nv hin

Di kvnigin vurte mich nv in

Da tibalt si in liebe läge

Di vrowe vier vnsir phlage

Bis das si solde zv schiffe gen

Swen mine ie twanc d' sal v'ste

Ob mich icht mine twüge da

Do ich ir lac an hvte na

D' min sele h'ze gert

Da mine da wart m' entw't

Minne svze vh mine hhens

Owe des verzihens

D' mine durch gelovbes eren

Mich kvnde wol pine leren

Manie svzer vmmevanc. cräc

Doch was ich des libes noch so

Ich enhet wol mine diest getä

Svs bin ich ir mine noch an

Daz w[eiz] si wol vn got

Nv vU [schire] quam vns gebot

Von disen vrowe vier

D' louf was snel als ein tier

Daz w' vf were schier

Casp. 118 all. Ein harnasch m' do zeiget Da was von geweiget Alrest mi lebe vor de beide Nv gedacht ich d' aide leide Vn wolde mich gewapent Di kvnigin wolde des nicht Min harnasch si m' teüte [Bl. 54. d.] Di liebe m' ab' vroude heilte Di vrowe iz teilten sich Helm sw't daz trvc ich Vn vrowe cleid' dar obe -lobe Ovch was di liebe d' mine zv- Das mi vi'owe hi trvc de halspc Daz was doch nicht kvnigine w'c Zv de kiel b'^chte si mich zv hat Daz ez nie mesche bevant W wäre bereit vh vure dan Nimä weste das ich was hi an Alhi des kieles Ingesinde Nv triben vns sere di winde Vf de kiel rede m' irgie d' kvnigin vn de vrowe hie

BRUCHSTÜCKE VON ULRICH V. D. TTRUN

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Daz horte ich wol in de castel Nv wart di rede schii'e ane hei Daz di kvnigin wünschte mi Diso vrowe clagtö swacbe pin Dar iune ich aue schvlde lac Nv het genciget sich d' tac Di kvnigin hat gewüne san De marn' si sp'^ch sage an Ob din kvnst mich bewise

Casp. 118 b 10. Der marn' sp*ch wol ane maze So sage kanstv di straze Kein criste lade. Ja vrowe wol Din sin sich bedenke sol Ich hau se gevarn dristvnt So wende di segel zv stvnt ker kein criste lade di sla "Wizse d' gevange ist vns na Vn wiltv des hvlde han D' marn' richte san [B1.55. a.] Des hohen me's vnde vns ieit Dem ameral was hi das varn Icit D' v'stvnt sich an d' svnne wol Sin h'ze trvc sufczebere dol De marn' warf h' vnd' sich H' sp^ch dv Salt bewisen mich War din varn si gewant Nv rief di kvnigin zv haut Das ich durch helfe queme dar Min slan wart vil blvt var Ich sluc als man sid' zalt Ane d' min zorn valt In daz m' vlussen hin Acht vn hvnd't als ich bin Bewist sid' vn ist m' Ieit Di kvnigin ovch selbe streit di vier vrowe d' truwe was Sie böte alle nv fianz. ganz Vn swure criste gelovben Nv begvnde vns vroude tovbe So w' gevure de sechste tac D' noclir vf steic als h' phlac Ein rvf vns vrovde wid'wac

Casp. 119 a 9. Der noclir kos daz vns ein h* Nach vur vf de breite mer

Di zogton sore in was gach D' noclir rief sprach Nv wol vf d' genese wil Bereit vch zv w'des todes zil Vns ist g gestoze owe nv D' heidö craft was gahes zu Nv seht vch vur h' markis Begieugct ir ie hohen pris Daz lat nv kein de beide sohine [Bl.öö.b.] Ad' wir liden hcix, pinen Di kvnigin ist gar tot Vf dem kiel hvb sich not alden vn von ivngen Doch was ir mvt vnbetwvge Daz si gote wid' saiten Ovch an de gelovbe yQxxaite W bereite vns mit w' zv hant Nv kvr w' das ein laut Des hYVcgrave d' hie ist Doch sante vns d' w'de crist Vo de beide in di habe Mit de vrowe ilte ich abe -lät Do ich hendelanc begreif das- Di kvnigin ich an di hant Da mit di vrowe di hie sint Vh dise edelen kint Mit den ich an daz gebirge gach' Do vns d' wint zv lande bracht D' beide h' vns sere nacht

Casp. 119 b 8. Hvnd't kaiende wol bereit Des kieles gesinde nv nicht beit Si volgte an das gebirge m' Ist mi kvme lieb so svlt ir De burcgrave alle danke hie D' vns so tvgentlich enphie gap vns in angest rat Sin tvgent vns so behalde hat Daz ich ez v'diene nicht enkan Di beide vns belage san Nach tibalt si sante bind' sich Want do si nicht vunde mich In d' prisvn an de dritte tage Nv wisset ir wol do hvp sich clage [B1.55. c] Nach d' kvniginne hie Ir craft sich do zv same lie Vn ilte sere vns nach zv varn

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Daz kvnde d' svze got bewarn

D' vns da brachte de lande zv

Svs war w' belegen nv

Tibaldes craft w' wid' sazen

Do \v' hin vii h' gemazen

"Wie wir vns entseite in

Vor d' bvrc was h' vn hin

Phedelar driboc bilden

Vur vientlicbes liden

D' buregraue ich \n sin wet'

Nv qua des nachtes ei starkes wete'

Als sin gvte wirt dicke k\'nt

Vii slvc di kalerfn in de grvnt

Manie h'ze wart da iam' wüt

Casp. 120 a 7.

Der kalede ein nicht genas Des burcyrave tvget nv was Das h' durch vnsir beid' bet Vnsem eUende zv liebe tet durch criste gelovbes ere GeseUeschaft wolde mereu Daz di kvnigin icht v'drvzze ze Vh di bm-cgravi ir lichte enslvz Daz an gelovbe sich ir svzet Vn criste zvcht ovch giTzet Daz hat si mit ganz' üebe getä Svs geleit d' buregraue dan Vf ein' kaiende d'ch gemach Daz ir v5 vorchte nicht geschach Mit vrovde h' vns h' brachte Di ritterschaft nv alle gachte Vh irbute de marcgrave sich [B1.55.d.] D' kvnic sp^ch nv wisset das ich Vw' w'de dar vmme p'sen sol so mit liebe danke wol Das ez vch brenget ere seit Ovch svl w' d' burcgravine holt Sin dvrch vrowelich tvgent Das si in dein' iare ivgent "WipHcher gvte stam so stiget Edeler ritt' herz ir niget Durch so svz ir zeigen Heimrich sich neigen Begvnde zv d' svzen Mit lieblichem grvzen Wir svln vch eilende buze

Casp. 120 b 6. Loys sich d' schone gar -ar Nv begvnde di litt'liche seh öere wvndü-n dirre arbeit D' kvnigin wart vii danc geseit manige edele mvde da Graue heimrich si kvste sa D' kvnic si vii ofte trvte Di liebe h'ze lieb bedvte H' vie si dicke bi dem kinne Wol dir vii reine kvnigine Daz w' di vrovde dir D' kuniginne uam si ra' Ich wil nv marcg^vine heize D' kan mich zv liebe reize H' stet mich hoch ich wil in Der kvnic lache des began Vm tvset crone geh ich nicht in H' ist m' lieb sp*ch di marcgravi Ir seht wol ist h' w'de wert An im ist swes uiv' h'ze gert [B1.56.a.] Arabel liebe reite nv Nv hvp sich manighande spil Nv behvrt alhi das stechen Svs irbote si sich vreche Vor d' kvniginne hie Di schowe an di venst' gie Mit ir di clare bui-cgravin Vn di vier merahn Jvncvrowe vrowe rieh gezoc Von phellel svrkot roc D' stvnt golde als ein stoc

Casp. 121 a 5. Hie was ein riche geflorte schar Dar vnd' mochte nein war Kleiner hemde wis sidin Nv mvste arabel mine sin Des markis hie als li' lach Swi svze h' gebüdet sach Arabel di sin svz h'ze zv trvc Hi was nv vrovde gap gn^'c Bis an de sechste tac das w'te D' keiser do vrlobes gerte Vn swas d' hohen mit im was Nv irbeizte vnd' de palas Grave Eoygh- tinant nt

De markis was h' an sippe gena

BRUCHSTtJCKK VON ULRICH V. D. TURLIN

481

1)' was d''ch enphahe kvme de wart liebes m' v'nvme Do h' gesalviert de niarkis H' sprach uw' hoher pris Kan sich mit tat \vite zeige AV hate vch viu- de veige ge Nv liabt ir iu vecuizse p's irrvn Ist ritt' ie vor so wol gelvge In vnz' zit des we ich niclit [B1.56.b.] Vn wen ovch mm' geschich[t] Kvnigin vurste grauö vri[en] Hern habt nicht vf di dri[en] Ez mvste ein weg' wurf [sin] Siut ein so hohe kvnigiu Zweiu crone d'oh vch wid' [seit] Vii der w'de was so breit Nv wisset daz si liebe iei[t]

Casp. 121 b 4. Di hat si vch ii'zeiget w[olJ Ir Hebe ich nv stiu'e sol Aventur vch in alle wis D' pabest leo ist zv paris Vh weit ir nv des tovtes [ilen] So enlat iz nicht v'wile Sendet grave heimrich d[ar] E das d' pabest danne v[ar] Min neve tan [ez] wer[be wol] Durch vw' tiiiwe h'ez w'b[e sol] D' markis dancte im ser[e do] Des wart h' von h'zen v[ro] D' kvniginne sagte h' d[az] D' vroude begvnde sich ho[en baz] Diu des tovfes zvv'sich[t] Ii' hört wol was mi neve [gicht] Sp*ch d' markis zv heünr[ich] H're vh vat' tvt dem gli[ch] Ob ich diu kint ie wurde Nv hilf m' ab d' swe'n bur[de] Das di kvnigin getovft [w'dej Vat' in so hohem vride Sint vns d' pabest ist nah[e bi] Das din dienst dabi si H're des getrvwe ich dir Heimrich sp^ch so rit mit i[nirj [Bl. 56. c] [BJerträ mi svn vh rvbert '

1) Dieser vers ist am unteni rande nachge- tragen.

ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD.

[V]n ob h' vom de keis' gert [D]e tovf au ir de" enw'ret nicht [GJeret sich d' pabest des gicht [Al]s h' so hohen böte sieht

Casp. 122 a 3. [D]e kvnige di rede wol behalt D' pabest di reise nicht v'sait [D' k]vnic vn heimrich schiede da [Di] h'ren sich zv lieze san [Di] mit de kvnige quame dar [D]as grave heimlich mit in var [D]as stet wol vh ist gvt [N]v hört waz d' keisor tvt [Z]v arabel h' vrlop hie [Di] burcgravin mit ir gie [H'] sp'^ch ich bevele vch got [M]in laut mi Ivte vch gebot [Na]ch wille mvt sal sUeze [Ni]raan dar v'driezen [Da]rzv ich selb' wi ir weit [Ge[bietet m' vch si geselt [Mijn h'ze mi mvt durch mvte [Sit] ich han vrowe vch so gvte [Des] vrowe ich mich vor de markis [Vö] de ir seht noch so hohe pris [D]urch mine gerudes zeige [A]lrerst beginnet sich neige [Vjw' h'ze cristenlicher svze [Al]s ir nv minebernd' grvze [V']stet d' ciiste liebe phliget [A]lrerst vch vnhohe wiget [H]eidenlicher minne gruz . mvz [ZJvrnet nicht svze das ich vch [D]ui'ch vw' ere daz geschieht [Bl. 56. d.] Ovch enlat des mi vrowe nich' Ir truwe vch g"ne h'ze sieht

Casp. 122 b 1. Kvnigin ir mvst liebe iehe Zu dem tovfe wil ich sehe vch vn vns' aide mvter Vurstin wart nie gvter Dan di gravin irmeschart Ovch ist dar vm mi vurvart Das ir gervchet mit vns sin Zv de tovfe vn mit d' kvnigi Da w'de w' vch dienstes vnd'tä

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Sus schiet d' kvnic ir da -te Ir liebe zv satnne was gewe Vrien grave wäre gebete de kvnige vn de niarkis Das si durch cristenliche p's Arabel tovf weren bi Daz vrovde nv hi zv hove si Di vrovde alle entwiche sint Ich wen das t'ramers kint de markis ein schiphe dolt Ob si mvste vn ob h' seit Das si d' wile v'divzze nich'

Manie kvrzewile si doch sich' Ir rot' mvt wart nicht gespart Bis de niarkis di eine wart Di Ivte mvste h' vurchte hie Als di burcgVin mit ir gie Odir d' vier vrowe ein - mein So was im vn i nn d' mvt ge- üo mochte mine liebe scho- Bi bortrames vi'owe -we

An d' di mine ovch kvde bowe

Casp. 122 b 32. Di kvnigin al di wile sMef

Tainl)aclier bruclistück.

Fg., folio, 2 sp., je 46 versa, XIV. jahrh. Das doppelblatt befindet sich zu Tambach in Oberfranken auf der bibliothek des grafen Ortenburg, die auch ein bruchsttick derselben handschrift aus Wolframs Willehalm besizt. Nähere nachrichten gibt Franz Schmidt in Naumanns Serapeum III, 342. Ebenda s. 338 wird auch ein älteres handschriften Verzeichnis mitgeteilt, in welchem die handschrift als Sand Wilhalm aufgeführt ist.

Casp. 22 b 6. ,] Van der Christen Eitterschaft Der pondyer hie so herte wart Dev Graeviune irmesgart Wol moht sich seins chindes fraün Des chraft chund den hayden draün Als hie wol an den hayden schain Der durch stürm zoch ein ain Nu gen dem mer auf den plan Da wart ez also gut getan Daz sein daz Paradys genoz Der engel gewain was da groz Swa plüt van den Christen floz [= Casp.

b 17] Casp. 23 a 17. Pvhuii; der Kvnch van Frygende Der ie schain an missewende Gen dem Markeys do er in saeh Die Glaeuen er mit clireften prach Im durch den schilt daz si ze staub Hie ergie des hymels raub

In iamer si ii" leben verchauften

An den vn getauften

Ir werdez leben hie durch minne leihe

Der Markeys mag nu niht v'zeiheu

Fondyus ern gruzt doch in

Zoys müst der pfander sin

Für der Margravein leben

WyUikeyn marcht vil eben

Den Kvnch er durch den helme sl-ög

Der doch manhait niht vertrüg

Da er si gegen begunde

Talymon sa zestunde

Auf den Markeys hurte do

Der auch der verte wart vnfro

Dem zoys so versehriet den heim

Daz auch raert des plütes melm

Die not gestallen sahen daz

Daz veintleiclier tote haz

Den Margrauen sere paut

Di swert si vmb wurffen in der hant

Hie wart gewant der iamers pfat

In lebeas garten der tot nu iat

BBUCHSTUCKE VON ÜLRIOH V. D. TURLIN

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Gauters Tsemers vnd Kybalin Fügt der liochste hie gewin.

Casp. 23 b 16. Die Christen di haydeu strevten Die tivfel sich auch da frevten Der gewin was da nicht swach Di hayden mau da vallen sach [b] Vor den Christen als di snie Nu alters wart der haydeu chrie Geswaiget vnd gestillet Mit staichen hurte wart erhillet Van den Christen auf der hayden schar Eylhanr nam der hayden war Der hayden chi-aft gab nu fluht Des Eeiches vanea wart auf gezucht Van Berhtram der in da fürt Der Christen chraft sich nu roxi Daz ez gie an daz hardieren Di sneUen vnd di zieren Der hertz ich geleich den flinseu Nach totleichem zinsen Si auf di hayden ranten Diw" orsse si sere manten An pergen vnd an leiten Hnb sich solhez streiten Daz der luft sich da van zerlie Solich don van den swerten gie Di mit chraft di Christen slügen Swa gen sich diw orsse trugen An dem iagen auf dem wal Der Künich van Tvbeanal Des chraft dannoch in were schain Van Talymon des mütes rain Der helfe wart nu ain

Casp. 24 a 15. Dku hete Phevs gesant Samargon hiez daz laut Des hertz trüge maenleich wer Auch was der zwaier Kunige her Ser geletzet vnd verschroten Si ahten niht der toten Di in pei den Seiten nider vieln Ich sage niht van grozzen chieln Einen barchen het daz plüt getriben Van den di auf dem wal beliben Mit vollen wol in daz mer Dirr Kunich gab newe wer

Daz müsten si vor angsten tön H(al)zybier vnd Sanagün Der payder chraft begunde steigen Der hayden chraft begunde neigen* Di drei Kunige vnd slügen in Daz W'art der Christen vngewin E daz ir chraft wirt augesigt [c] Der streit wol geleiche wigt Di cliristen hurtleichen drungen Nach preyse si sere rungen Auf helme hie vil swert erhal Alrerst hvib sich der haydeu val Wan si siges sich versahen Mit hmiileichem gahon Wart da starches golopyeni Die frechen vnd di fyern Di hayden niht ensparten Des Reiches vanen si pe(war)ten In wer si sich schaiien

Casp. 24 b 14. Wilhalra ie ob den v[einde]n schain Pehtram der not gestaUen ain Mit neide was den hayden ob Monsay chrye in siges lob Mit chraft wart geschrey(et) Dew chrey vil hertzen vrey(e)t Daz zagleich tat di held (ver)mait Daz veld waer enge oder (br)ait Der Christen chraft ez so (dur)chfür Der Markeys niht pei ir (hulde)n swür Si wurdeus anders er(want) Belur sein 5rss er dick (mant) Ze paider seit ze streite(s ger) Sust für der Markeys (hin ujnd her Auf dem wal swa chr(aft nu) was Der hayden chraft was (als ain) glas Van im zerprochen (und zer)tan Swer lebens müt (wolde ha)n Di fluhen aUe gen (daz m)er Balygan vnd der K(uni)ch her Wurden gar entsch(umpf)yert Der Markeys nu se(re hurd)yert Auf die di siges wa(ren entse)tzte Daz wal van den wart genetzte Der Margraf iagt sere nach Im was ze iagen also gach

1) neigen in feigen corrigiert.

31*

484

Daz im sein orsse so (ser v')e träg Auf dem iagen er damioch slug Den reichen Künich Sa(mph)ole Der tet den Christen vor (vü) we Sein leben slüg des tod(es r)e

Casp. 25 a 13. Wilhalme iagte auf daz mer Nu sach daz Balyg(anes) her Daz tschumpfeutewr het \OY\'sait [d] Vnd nu ze schimpfen was berait Daz sich der Markeys het verriten Nu was auch vil vngepiten Künig Meral alt vnd iunge Kieffen nach choverunge Di uidern vud di obern Begunden sich bechouern Si wurden alle ellens reich Haltzybier der maenleich Vnd der chunich Synagun Der tat ie schain in preyses tun Rauten den Margrauen an Hie wart ein sSlich tyost getan Der hirael vnd engel wart getiwrt Der den Markeys het gestiwrt Einer lantzen der er enhet nilit Ob im tschumpfentiwer geschieht Niemant sol im weizzen Ez wai't mit grozzem fleizzen

Zwo starclie glaevin auf in gesencht Sein hertz noch alles sigs gedeucht In maenleicher tat wern Strait er gen zwain kunig hern Nu wünscht im hails daz stet wol Sprechet waz er nu tun sol Zoyisi slüg er vil neitleichen Haltzybier durch den hei nie reichen Daz im sein chraft miist erweichen

Casp. 25 b 12. Deu heim ein reichev ehren pant Daz im daz lieht vor den äuge swant Piz auf daz herseiner ane plüt In dem heim daz swert so tivffe wüt Daz ez in der tick gestacht Da van der zwaier Künige mäht Den Markeys al da siges betwanch Der noch vil lang in sige ranch Einem Meral zucht er ein swert Daz was im uiht ze noten wert Des Margrauen fra^^^de nu swant Im prast daz swert in der haut Do er ez auf Synagaun slfig Der hayden hertze was gentig Der Künige chraft den Markeys vie Bezzer o''sse gesehen wart nie Sein snelle tet den hayden we Der künich Karle im das gab [= Casp.

25 b 30].

4. Regeiisl)urger Bruchstück.

Pg., folio, 2 sp., je 42 verse, anf. XIV. jahrh. Das blatt kam vor 1811 in Doceus besitz und ist nach seinem tode (f 1828) ins Miinchener reichsarchiv gekommen, wo Karl Roth es 1875 wider auffand und für mich abschrieb. Rechts von spalte c steht die aufschrift: Die gemaurt Herrn Behausung; rechts von spalte d Capitlisch Vrbariimi de Ao. 1607. Karl Roth nimt an, dass um diese zeit die handschrift in Regensburg zerschnitten wurde. Yon derselben handschrift ist noch ein bruchstück erhalten, das Karl Roth, Dichtun- gen des deutschen mittelalters s. 134 141 (1845), zum abdruck brachte und das ein stück der fortsetzung Türlins {Vivians ritterschlag) bietet. Der handschriftliche text gehört zur recension A, da die unverkürzte fortsetzung nur in dieser recension vorliegt.

BRUCHSTÜCKE VON IXI.RICH V. n. TURLLV

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Wie in dem von Roth bescbriebonon bruchstück sind aucb hier die anfangsbuehstaben der absätze abwechsohKl rot und blau, die der einzelnen verse rot durchstrichen, Avas auch im texte, besonders bei eigennamen, vorkomt.

Casp. 134 b 24. |a] Arabel kam hin in

Er sprach uil edelü kunegin Sin dem ■wilkom der vns hat Von niht gemäht des göttlich tat Nach im vns hat gebildet Wesz hertz von sunden wildet Ob der im bütet büsze In vetterlichem gräsze Er den in sunden gruszet Ob er sich im mit Worten süszet Vnd schuld nach gnaden büszet [=^Casp. Fehlt Casp. ^'^'^^^^

Sin vil gotlich gute Gen vns vns ie mit helfe blute Vnd von der süszen die in gebar Nu waren auch in daz munster gar Die den tauf enpfahen solden^ Nu namen sie die minne holden Arabeln vnd wisten sie hin Irmeuschart vnd die keyserin Die Burggrefin was do mit Vnd die susze Benolit Die pfalntzgrefin von Brubant Nach der keyserin wart gesant Von Arabeln die kam auch dar Der kunegiu ein schone schar Von frauwen volgten nach Gräfe Eogirn mau hie sach Mit siner frauwen die was dar Auch nam man hie der schonen war Des grafen wip von gerunde Mit einem roselehteu munde Hie was Senebalin der kime Von semit gras grüne Des Amye was gecleidet Der schone sich da nit leidet Des Grafen wip von Roiual Bi der saz die von Thunal Auch was hie von lyanit Graf Eitschart was auch da mit

Ij d aus t berichtigt.

Zwölf gesellen die warten ime Der von kanar ich war nime Der ich nit wibes susze nime

Casp. 135 a 3. [b] Hie was auch der grafe Saniel Des lut mit biberuel Ze cleidor trugen der ist da uil Des Amye da was an der minne zil Zeiget ir roter munt so gert Er was wol minne kusses wert Die sasz bi der von l)lauie^ Daz ich nu nande alle die Die in von sippe liebe trugen Auch sol ir wol genügen Ir wurd ze vil nand ich sie alle Ich wil daz uch wol geualle Daz ich ir so uil bekenne Die küneginne ich aber nenne Dui'ch Arabeln tun ich daz Der Babest nit vergaz Er segeut den tauf sa zehant Dirr frauwen schar sich vnderwant Der Jungfrauwen vnd der Metalin Arabeln der künegin Sich vnderwant do Ii'menschart Vnd die keiserin von den si wart Vil rein zu dem tauf bereit Mit Arabeln nu einig sint Der kung loys was do bi Wer me geuatter si Der Hertzog Beonet Vnd von Kunarg Graf Hysmet Ob sich der hie iht reche Vnd Kandiu' der freche Nu horent wer si verspreche

Casp. 135 bl. Von Aral die auch kyburg hiez Die Burggrefin nit enliez Si were mit flisze Arabeln bi Ob die bereit si Ja si wart enbloszet gar

1) b aus li gebessert.

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SÜCHIER, BRÜCHSTÜCKE VON ULRICH V. D. TÜRLIN

Biz an ein hemd was si bar Doch in de stein zoch ez ir der babst ab Nu horent wo ich ez gelaszen hab Den man mit flisze vmb vie Mit eim riehen pfellen wit Die frauwen drangen wider strit [c] Da der Babst den segen sprach Da der segen gar geschach Der Babest fraget wer si solte Heben vnd wie sie heiszen wolte Die von Arie stimt bi ir hie Die frage von dem Babst ergie "Wie wiltu heiszen kyburg heiTe So verteil ich von dir verre Den vint der dich verleitet hat In vnwissentlicher missetat Daz er si von dir verflachet Der arger list vil enge suchet ^ie er mache reine hertzen zam Yon der sund die Adam An des apfels biz erwarb Wer sider an den tauf erstarb Sit daz in gebar die reine meit So daz si in ze A-alle ieit Dir vngehorsam den versneit

Casp. 135 b 32. Nu bekenne böser geist Sit daz du dich ze ualle weist So gib die ere dem hohsten got [Y]on des werten vnd gebot [NJiemer val üi vellet Wer sich dir gesellet Sit du daz von warheit weist So gib dem heiligen geist Die stat der du bist gewon Vnd var verfluchet hie von Dirre gottes geschopfde Daz gebut dir der hohste an crefte Nennent die frauwen kyburg Ich beswer dich böser femurg Bi der süszen megd sun Daz iht me getorrest dun Dirre reinen gottes getat Die din valscher rat In vngelauben sloszen Yil lange hat besloszen Daz du von der entwichest nu

Da sprach er ir aber zu Die frage ergie dristunt [d] Aber sprach des Babstes munt Geleubstu an den abnehtigen got Yon des gnade vnd gebot Himel vnd erd geschaffen ist Gleubstu sinen einbornen sun ih'm crist Den die süsze magt enpfie Da si daz tauwe vber gie

Casp. 136 a 30. Ob du dem tauf truwe leistez So wirstu vol des heiligen geistes Des menschlicher anefang Nie gewan sünde kräng Da er durch vns des geruchte Daz er iren magtmi versuchte Ynd auch mensch durch vns wai't Die geburt vns ewigen val verspart Der von vngehorsam ergie Die kunegin entwurte hie Ja herre daz geleube ich wol Der Babest sprach min frage dich sol Yon ATigelauben scheiden Nu sprach er zu in beiden Geleubstu an den heiligen geist Daz der drier volleist Ist ein gewalt vnd ein vol leben Gleubstu daz dir- wirt gegeben Hie applaz diner sunden gar Ynd du hut in der engel schar Teil hast ane misswende Ynd da nach des lebens ende Besitzest die ewigen freude dort In der himel freuden hört Geleubstu daz frauwe min Ja herre sprach die kunegin So wiltu werden geteuft Ja herre der Babest sie sleuft Yz dem hemde daz sie schein bloz Dristunt er vf sie gosz Daz ez vber al den lip floz

Casp. 136 b 29. In der drier genende namen Der Babst sprach du solt dich schämen Nu vil böser valant Sit dir ist die fi-eud entwant [= Casp. 136

b32].

HEBMANN SÜCHIER.

DAilKÖHLER, ZU REINKE VOS 487

ZIT EEIISTKE VOS.

Die ausgäbe des Reinke Vos von Prien, die ich im folgenden citiere, bringt in bezug auf erklärung manche gute Verbesserung; doch hätten die früheren ausgaben (unter denen die von Schröder das ver- dienst hat, reichliche erklärungen zu bieten und gerade ' dadurch auf Schwierigkeiten aufmerksam zu machen) genauer geprüft werden kön- nen, da sie noch in manchen einzelheiten, wie mir scheint, das rich- tige verfehlt haben.

Y. 234. Icl is ivol seuen yar efte mere. Schröder bemerkt: „wir sagen: es sind sieben jähre. Das verbum im Singular, das subj. im plural, namentlich bei zahlbegriffen nicht sel- ten"'. Diese erklärung ist irrig, id oder eigentlich v. 235 eft Reynke er gaff' cyn deel syner truicen ist Subjekt, seuen yar ist nur Zeit- bestimmung auf die fi'age „wie lange". Ebenso ist in v. 3290 hoden senden als ein begriff, d. h. als singular zu fassen. In v. 4453: Ja, ivere unser ock noch vyiie und v. 4676: iinde der ividue quam dar drey, ist nicht vyue und drey Subjekt, sondern das in dem gen. steckende 2ci (vyue) und (drey) widiie. Während nun im hd. „fünf" und „drei" zum subj. gemacht wird, sezt der niederdeutsche in gedan- ken ein singuläres subj. „es".

V. 711. De iKipe hadde eynen langen staff; Wo mannygen slach he eme gaff! He konde nergen glian efte kriipen. Se quemen up en in eyneme hupen, So interpungieren Lübben, Schröder und Prien, während Hackmann, Scheller und Hoffmann hinter v. 713 ein komma setzen, und zwar mit recht. V. 713 fg. sind zu übersetzen: „er konte nirgend gehen oder kriechen, ohne dass sie in einem häufen auf ihn kamen". Ygl. v. 30: Do de hoff ahus anghynck En uns dar neen, an alleyne de greuy^ick, He hadde to klageji ouer Reynken den voss. Ebenso noch heute: et kirnt kein handelsman int hüs, et wart ekoft. V. 4474. Den slymmen, hbxen, loxen ketyuen,

Scholdemen den hören, dat teere schade.

So kreghe yd mannich gud to qnade,

De yiü synt trmce beyde dach unde nacht.

Hoffmann sezt ma?i zu gud (mit C) in v. 4476. Lübben bemerkt: „Es

ist freilich im niederd. gebräuchlich, dem adjekt. einen solchen subst.

Zusatz zu geben; allein das adj. wird auch zuweilen allein gebraucht,

DAMKOHLER

Vgl. Gl. 3, 9 s. 172 de wisen vorvaren (die weisen erfahrenen)". Schrö- der schliesst sich dem an und übersezt: „so ergienge es manchem guten übel". Die werte maimich gud = mancher gute sind sicher auffällig und dürften auch in der heutigen spräche schwerlich eine stütze finden. Ich vermute, dass gud gar nicht subst. mit mannich zu verbinden ist, sondern fasse es als adverb = sehr. Man vergleiche folgende Wendungen der heutigen spräche: hei het ne gut üteschullen = er hat ihn tüchtig ausgescholten; hei het ne gilt eschkhi; dat is ne gut taun schaden eivest = das ist ihm sehr zum schaden gewesen. Ähnlich wird heute das adv. scheue = schön gebraucht, to quade krigen ist der gegensatz zu dem noch heute üblichen ie gtide krten und verträgt sehr wo! eine adv. Verstärkung.

Y. 4845. Hir hyn ich beloghen unde besecht,

Wo tvol ick moet lyden dyt grote unrecht.

Werde ich loss desser groten unschult,

So late ik my doch nene dult: Schröder erklärt: „wiewol ich dieses grosse unrecht, diesen schaden leiden muss, werde ich hier doch noch mit lügen verklagt und ver- leumdet", unrecht ist nicht der schade, der verlust der kleinodien, sondern es besteht darin, dass Reinke hehghen unde besecht zu sein vorgibt, beloghen in sofern, als Reinke erklärt, er habe bereitwillig die kleinodien für die königin hingegeben, was voraussezt, dass Beilin um sie gebeten oder doch wenigstens sie der königin zu überbringen versprochen hat, während er sie aber unterschlug; besecht in sofern, als die briefe von Reinke sein selten. Es ist zu übersetzen: „hier bin ich belogen und verleumdet, wiewol ich dieses grosse unrecht leiden muss, wiewol ich es nicht ändern kann".

y. 5094. De man sprach ivedder: neen ick, trowen!

Id is nii sus: du moest my hören,

Dar to schaltu volen de sporen.

Du, hefst my hir umme sus ghebracht. Hoffmann erklärt v. 5097: „du hast mich hierher umsonst gebracht, ich bin dir nichts schuldig, ich gieng weiter keine Verpflichtungen gegen dich ein". Schröder: „du hast mich hierher umsonst gebracht, du wirst keinen nutzen davon haben, es wird dir nicht gelohnt". Beide erklärungen sind unrichtig. Das pferd spricht zu dem manne v. 5080:

Isset, dattu volgest myneme rade, Du schalt rangen eyn herte tvol veth, Dar van schal dy iverden beth.

zu REINKE VOS 489

Syn vlesch, syne hörne unde ok syne hiul

MacJistu al dure noch hryngen uih. Was das pford hier iii aussieht gestelt hat, vermag es nicht zu gewäh- ren. Der mann liat umsonst den ritt gemacht. Statt des versproche- nen hirsehes verlangt er jezt das pferd: du moest iny hären, uinme sus ist also auf /ny, nicht auf du zu beziehen. Dem heutigen sprach- gebrauche entsprechender würde es du en heffst my hir umme sus ghebracht lauten, doch ist die ergänzuug der negation nicht notwendig. Hinter v. 5096 würde besser ein komma stehen, wie es Hackmann, Hoffmann und Lübben haben.

V. 5130. De exel hoeff up synen sterd,

üp synen heren dat he spi'cmck,

He reep, he rar de unde he scmck, Schröder: „ffo^ ist wol conjunction, nicht demonstr." Ich zweifle nicht, dass es conjunction = indem ist. Ygl. meine bemerkung zu Gerhard Y. Minden 11, 47 im Nd. Jahrbuch XIII s. 77.

V. 5145. Ja, al kiinipt alsodanen mede to state,

So voget eme doch dat sulue ghelate

Älse eyner sögen, de myt Uppelen eth, Schröder übersezt: „komt so einer auch wirklich mit zu ansehen, so nimt sich sein benehmen aus oder steht ihm ebenso an, -wie wenn usw." Er fasst also dat sulue ghelate als subjekt. Ich möchte dat sulue als subjekt, ghelate als objekt zu voget nehmen, ghelate ohne artikel noch v. 5554.

Y. 5723. Alto vele hegheren ivas netverlde gud,

Ja, de sidue vaken inyssen mod.

Wes sy7i unde ghemÖthe dar heu steit

Unde kricht den gheyst der ghyricheyt,

De is myt velen sorgen beladen,

Wejite nemant kan den ghyrygen saderi. So interpungieren alle herausgeber. Hinter v. 5723 ist jedoch ein punkt zu zetzen. In v. 5724 und 5725 korrespondieren de sulue tves = wessen der. Hinter v. 5726 ist wider ein punkt zu setzen.

Y. 5901. Kle)ie, grote, ok eyn deel mynder, Lübben: „o/^ ein del minder ist ein unklarer zusatz; es kann nur heissen: ,auch ein teil kleinere, einige kleinere'. Dies ist aber bereits gesagt, denn es heisst ja: klen unde gröt, ok ein del minder. Ähn- lich V. 6568". Danach Schröder: „auch einige kleinere; nicht ganz verständlich, da schon klm unde gröt erwähnt sind. Es wird heissen

490 DAMKÖHLER

sollen: kinder von allen grossen, eine ganze Stufenleiter". Meines erachteus soll eyn deel minder heissen: um ein teil kleinere, ganz kleine, wie man noch heute sagt; dann ist der zusatz nicht unver- ständlich. V. 6568 werden auch „grosse, kleine, lütge und noch klei- nere" aufgezählt.

V, 6035. De Dieerkatte sprach aUohant:

Welch dauel heft yiv hoden ghesant?

Wat hebhe gy my hir te haffen

Efte wat hebbe gy hir to schaffen? V. 6036 erklärt Schröder: ^,boden apposition zu jit: welcher teufel hat euch als boten geschickt"? Ich denke, es soll heissen: „welcher teu- fel hat euch kommen heissen, hat euch kommen lassen? Ich habe euch ja nicht holen lassen", ytv = dativ. Vgl. v. 452:

Hir umme scholde?nen eme boden senden,

Bat he tuer dorch schaden edder dorch vromen

Nicht enlethe, he scholde können; oder V. 3290: Alle was en boden ghesant,

Dat se mosten komen dar. wo der ausdruck „jemand boten senden" seine erlauterung findet.

Zu haffen v. 6037 bemerkt Lübben: „So A. Dies wort hat der Übersetzer nicht aus der entsprechenden stelle im Eeinaert (6684) ge- nommen, denn die beiden verse 6037 und 38 sind ein eigener zusatz von ihm. In den glossarien lässt sich kein haffen finden; der Teuth. kent aber ein äffen (wie auch B hat) äffen, schympen, spotten, scherxen usw. Dies ist offenbar von äffe abgeleitet und heisst also wörtlich ,zum äffen haben', entspricht also ganz dem mhd. äffen und effen; für äffe sagt aber der niederdeutsche ape; es wäre also ein apen (apenen) zu erwarten. Der Teuth. kent aber auch äff neben ape, auch in übertragener bedeutung. Dass äffe auch im niederd. neben ape sich findet, beweist Zeno 257. Das verbum äffen komt vor Theoph. 709, aber freilich im unrichtigen reim: papen affen*^. Schröder im Wortregister: ^.^haffen für äffen = äfi'en, verspotten", ebenso Prion: Jiaffen = äffen, zum besten haben". Mnd. wb. II s. 172 haffen = äffen, verhöhnen, zum besten haben: Welch narre vele sus plecht to haffen. Mit speyen ivorden mannigen doet straffen, unde nicht meyst straffet sin eygen gebrech, De ys eyn narre, eyn dar iindt eyn gech. Schip V, Narrag. f. 160^ haffen = äffen zu nehmen, war wol nur ein notbehelf von Lübben, dem dann die anderen erklärer gefolgt sind. Das h haffen hätte zur vorsieht mahnen sollen. Die Idiotiken scheinen

zu REINKE VOS 491

doch einen anhält zu bieten. Woeste, Wtb. d. westf. mundart s. 188: liahbdn = schnell und undeutlich sprechen; dän. happe. Schambach, göttingisch-grubenliagensches Idiotikon s. 76'": hatviveln = schnell und undeutlich sprechen. In Kattenstedt a. Harz: sek haivwern = sich zanken, streiten. Engl, liaffle = einfältig sprechen. Ygl. auch kur- hessisch hoppeln = übereilt handeln und happel, m. = das unver- ständige eilen und sich- übereilen, die einfalt (Vilmar, Idiotikon von Kurhessen s. 150). hawiveln und hawivern sind frequentativa zu haiv- wen = hahben. habbe7i und Imffen sind identisch, da ff und bb im nmd. Avechseln, z. b. sehr oft in den Urkunden von Ilsenburg und Hal- berstadt, oder doch wenigstens sehr nahe verwant. Das engl, liaffle scheint die ursprüngliche bedeutuDg am besten bewahrt zu haben. „Einfältig reden" würde auch an unserer stelle passen. Vielleicht ist die bedeutung etwas algemeiner zu nehmen. Dass haffen die plumpe art des baren vortreflich charakterisiert, braucht kaum hervorgehoben zu werden, haffen scheint ein rein mundartliches wort zu sein. Y. 6286. Ik u'eet yd, gy segent gerne gud. Nicht to myn! ik ivyl dar an. Ik hebbe ivol eer by nachte ghan, Dar ik alsodanes hebbe ghehalet, Dat 7ioch nicht al is betalet, Dar timme ik moste ivagen niyn lyff. So wyl ik ok gegen dessen ketyff Myn lyff nu ivagen unde don dat sulne Unde sehenden ene unde alle de ivulue. Hoffmann: „Ich weiss es, ihr sähet es gerne gut (dass ich nämlich den kämpf nicht eingienge); nichts desto weniger (kann ich euch wil- fahren), ich will daran! Ich bin wol eher bei nacht gegangen, wo ich mir eben solches (prügel usw.) geholt habe, was noch nicht bezahlt ist (wofür ich mich noch nicht rächen konte)". Lübben: „Ich weiss es, ihr sähet es gerne gut" (dass der kämpf für mich gut zu ende gehe). nicht to 7nyn bezieht Lübben auf das folgende: „Trotzdem, dass ich schon manchmal prügel geholt habe, die noch nicht bezahlt, gerächt sind, mir es also auch jezt wider so gehen kann, trotzdem will ich daran". Schröder: ^^7iicht to ini?i, eigentlich: nichts desto weniger; muss aber hier wie auch oben 5641 als interjection gefasst werden, etwa: nun wol! alsodanes wird erklärt durch den folgenden vers, die ganze stelle heisst: ich habe wol früher schon manches geholt, was noch nicht bezahlt ist (also geraubt), und darum mein leben wagen müssen; so will ich usw." Wie Prion über diese stelle denkt, ist nicht

492 KOCHENDÖRFFER

ZU ersehen. V. 6286 heisst genauer; „ich weiss es, ihr sähet gern, dass es gut gegangen wäre (dass der kämpf schon gut beendet wäre"). Aber obwol der kämpf nicht ohne gefahr für mich ist, „will ich nichts desto weniger daran", nicht to ?mn ist keineswegs als interjection zu fassen, alsodanes bedeutet nicht prügel, wie schon Schröder bemerkte, sondern „manches, gegenstände", deren raub mit lebensgefahr verbun- den war: dar imune ik moste wagen myn Jyff, dat noch nicht al betalet is = wobei ich bis jezt gut davon gekommen bin ; ohne dass icli bis jezt dafür gebüsst hätte. Die Zahlung, entschädigung für das geholte kann nur Reinke leisten. Der einfache und klare gedanken- gang ist folgender: ich habe schon früher manches mal (wol) bei nacht (heute ist der kämpf bei tage) unter lebensgefahr manches geholt und bin gut davongekommen, so will ich auch jezt mein leben wagen und dasselbe tun (gut davon kommen) und den wolf schänden. V. 6551. Ik begheres nicht schonre dem ghewimnen. Lübben lässt den gen. es von nicht abhängen, ebenso Schröder. Ich möchte es lieber von begheren abhängig machen, da es doch wol nur das einstellen des kampfes bedeutet, was für Reinke nur als sieger ehrenvoll ist. Als Sieger hervorzugehen genügt ihm. Das partitive es, welches sich auf V. 6539 42 beziehen müste, ist genau genommen widersinnig. V. 6543 ist Bleue statt Beiie zu lesen.

BLANKENBUEG A. H. ED. DAMKÖHLER.

ZUM MITTELALTERLICHEN BADEWESEN.

Über das alter des Schwitzbades in Deutschland sind in neuerer zeit zwei sehr widersprechende ansichten vorgetragen worden. Die eine von Wilmanns in seinem Heinrich von Melk s. 9, wo er nur im vorübergehen bemerkt, dass das Schwitzbad vor dem anfange des 13. Jahrhunderts, wo seiner von Thomasin und im pfaffen Amis erwähnung geschieht, nicht so algemein bekant und im gebrauche gewesen sei, dass eine andeutung, wie sie die erinnerung 950 gebe, verständlich hätte sein können. Wol nicht ohne beziehung hierauf hat Martin in der einleitung zu Murners badenfahrt (Beiträge zur landes- und Volkeskunde von Elsass -Lothringen heft 2 s. YI fgg.) die frage aufgeworfen, „ob wir die germanischen warmen bäder (die Tacitus Germ. 22 erwähnt) uns nicht als dampfbäder zu denken haben, wie wir sie im späteren mittelalter über ganz Deutschland verbreitet finden".

ZUM MITTELALTERL. BADEWESEN 493

"Wilmaiiüs bat für seine anschauung von dem verhältnismässig späten bekantwerdeu der Deutschen mit den eigentlichen schAvitzbädern einen andern beweis nicht beibringen können, als das schweigen unse- rer denkmäler über sie vor dem beginne des 13. Jahrhunderts. Es ist aber doch nicht so wunderbar, dass eine einrichtung schon lange zeit besteht und wol gekant ist, ohne dass ihrer in der litteratur, die uns ja nur sehr unvolkommen erhalten ist, gedacht wird. Bezieht sich die angezogene stelle der Erinnerung wirklich auf das schAvitzbad, so haben wir damit eben nur ein 50 jähre älteres zeugnis für die kentnis des Schwitzbades, als wir es bisher hatten. Während Wilmanns aber die- ses Zeugnis als zu früh füi- Deutschland nicht gelten lassen will, neigt Martin, wie gesagt, sich der ansieht hin, dass schon die warmen bäder der Germanen dampfbäder gewesen seien. Die ableitung des wertes stuba von stieben, an sich durchaus möglich, ist nicht sicher und würde selbst in diesem falle nichts beweisen. Denn wir haben keine künde, wann das wort zuerst zur bezeichuung für bad in Verwendung kam und welcher bedeutungsnüance es diese Verwendung verdankte.

Martin möchte (s. XV) in der stelle Parz. 116, 4 ob ielis questen niht verg(^xe eine anspielung auf das Schwitzbad sehen, da man doch ein solches büschel, das zunächst zum bestreichen und peitschen diente, nicht in ein warmes Avasserbad mitnähme. Für unsere heutigen bade- verhältnisse mag das richtig sein, da wii- überhaupt die auwendung des questens nicht mehr haben. Aber einen ziu-eichenden grund gegen seinen gebrauch im Wannenbad gibt es ebensowenig als für- die gleich- fals von Martin a. a. o. ausgesprochene ansieht, dass ein warmes was- serbad keine grosse hitze hervorbringe und man sich darin auch nicht rasiere. Alle drei bedenken Martins lassen sich zerstreuen durch das 9. gedieht Heinrich Kaufringers (Lit. ver. 182). Da hat eine schusters- frau einen chorherrn zu sich eingeladen:

ain päd ivard da den xivaien 15 beraitt in ainen zuber gros.

dar ein sas der herre plos

imd 7nit im die fraice zart.

der xuber schon bedecket ivart

mit ainem golter seidein, 20 das niemani sehen mocht hinein.

Als ihr einfältiger mann in die kammer tritt, sagt sie ihm, ein Chor- herr sässe bei ihr im bade, er solle sich nur überzeugen; und als er dies endlich tun will, sprizt sie ihm wasser in die äugen, so dass er

494 KOOHENDÖRFFIR

lachend über diesen scherz flieht. Unterdes hat der Chorherr grosse angst ausgestanden:

^^Ich haun gehept ain sivaißpad hie, 90 das ich bei meinen zeiiten nie

ze päd gesivizet haun als ser;

und war der reiber komen her

und hette mich alhie ersehen,

als dann nahet was geschehen, 95 so hätte er mich aus geriben,

das ich mit marter war beliben.

mir lüäre misselungen zwar,

er hett sein liunst erzaiget gar

hie an mir vil senden man, 100 wanri er auch wol scheren kan,

er hett mir geschoren ungenet^t. Hier haben wir also ein richtiges Wannenbad, in dem man 1) schwitzen, 2) von einem reiber energisch abgerieben und 3) rasiert werden kann. Die beiden lezten handlungen geschehen zwar nicht, sondern sie sind bloss gedacht; aber da sie gedacht werden, so müssen sie auch mög- lich gewesen sein. Man kann überhaupt annehmen, dass, wer das bearbeiten des körpers mit dem questen im dampf bad gewohnt ist, es auch im wannenbade nicht unterlässt. Ich berufe mich auf die erzählung von Du Chaillu, der im 13. kapitel seines buches: Im lande der mitter- nachtssonne, wo er die finnischen bäder beschreibt, folgendes berich- tet: „Sobald ich mein verlangen nach einem bade geäussert hatte, wurde alsbald der kessel im kuhstalle einer gründlichen reinigung unterzogen, mit wasser gefiilt und ein feuer unter ihm angezündet". Als das wasser heiss genug war, wurde das feuer gelöscht und Du Chaillu sezte sich in den als badewanne dienenden kessel. Dann kam ein junges mädchen, stieg gleichfals hinein und begann ihn tüch- tig mit seife einzureiben und seinen körper mit birkenzweigen zu bearbeiten. Hiernach darf also auch die Situation im Ruodlieb (Martin s. XY) auf ein gewöhnliches Wannenbad gedeutet werden. Doch wenn auch Martins annähme eines hitzbades hier richtig ist, was ja sehr gut sein kann, so wird dadurch noch nicht die zeitliche kluft überbrückt zwischen dem deutschen raittelalter und den Germanen der Urzeit. Gegen Martins hypothese, dass von den Germanen erst die Finnen und Slaven das Schwitzbad übernommen haben könten, spricht auf der einen seite, neben dem höheren alter der frühesten uns bekan- ten erwähnungen bei diesen Völkern, der umstand, dass sich beim fin-

ZTTM MITTELALTERL. BADEWESEN 495

nischen wie beim russischen volke das Schwitzbad noch heute unver- ändert erhalten hat, wie es vor vielen Jahrhunderten beschrieben wird, auf der andern der völlige raangel an rasten bei dem deutschen bau- ernstand. Martin führt selbst zwei hervorragende Zeugnisse für die Priorität der Slaven an. Das eine enthält der bericht des jüdischen arztes Ibrahim -Ibn-Jakub, der im jähre 973 die Slavenländer besuchte und voD den merkwürdigen Schwitzbädern derselben erzählt, die dort itba genant werden, während er über Deutschland, das er vorher be- sucht hatte, nichts derartiges berichtet. Für die annähme, welche Mar- tin andeutet, die stelle sei erst später in Ibrahims erzählung eingefügt und vermutlich von einem Orientalen, müste doch erst ein beweis erbracht werden. Das andere zeugnis findet sich in Nestors russischem Chronik werke (um 1110: Schlözers Russische annalen 2, 96), wo es heisst, dass der apostel Andreas bei seiner reise nach Nowgorod die hölzernen bäder mit steinernen Öfen gesehen und davon bei seiner rückkehr nach Rom mit staunen mitteilung gemacht habe. Mag diese geschichte auch erfunden sein, so geht doch aus ihr hervor, dass die sitte Nestors zeitgenössischen landsleuten für eine uralte galt.

Den alten beschreibungen entspricht auch heute noch ganz genau das bad der Russen. Yon dem russischen hause erzählt neuerdings Otto Kaemmel in seinen russischen skizzen (Grenzboten 1887, 1, 541): „Zur vervolständigung der ganzen Wirtschaft gehört noch der eiskeller, eine erdhöhle mit holzdach, und die badestube, das urbild des rus- sischen dampfbades, ein kleines blockhaus in zwei räume geteilt, der vordere für das auskleiden, der innere für das künstliche Schwitzbad: man giesst wasser auf einen häufen glühend gemachter steine, bis die temperatur hoch genug ist, und der dampf reichlich hervorströmt".

Das badehaus der Finnen und die anrichtung des Schwitzbades in ihm gleichem dem russischen aufs har. Sein hohes alter ist bezeugt, und heute noch ist es unverändert erhalten, wie dieses. Martin gibt s. XII die beschreibung, welche G. Retzius in seinem werk über Finn- land davon entwirft. Noch ausführlicher handelt darüber Du Chaillu in seinem oben angeführten buche, kap. 13, der selbst diese bäder oft benuzt hat. Du Chaillu erzählt dabei, dass zur badestunde beide ge- schlechter völlig nackt von ihren wohnungen zum gemeinschaftlichen badehause und ebenso wider zurück eilen. Ich erwähne das, weil wir mit diesem berichte einen ähnlichen eines Deutschen über ein deut- sches volksbad im 16. Jahrhundert vergleichen können. Der arzt Hip- politus Guarinonius in seinem buche: Die greuel der verAvüstung menschlichen geschlechts (Ingolstadt 1610) erzürnt sich über die schäm-

496 KOCHENDÖRFFER

losigkeit der mädchen und bursclie, welche ara hellen tage ganz ent- blöst über die Strassen in die gemein schaftUchen bäder liefen. ^In deren vileri man auch gar kein Underschied der abgesonderten Zim- mer %u der Entblößung noch zum Baden hat, ja die Badwannen, darin man sitzt xu sondern Fleiß under einander Mann und Weib spicken, damit eins das ander desto beßer und füglicher sehen, und die Schambarkeit gegen einander verlieren lernen''''. Der unterschied des deutschen und russischen oder finnischen volksbades springt in die äugen. Das deutsche ist ein Wannenbad. Vom schweissbaden als einer volkssitte wissen unsere quellen nichts, noch hat sich von dieser gewohn- heit im deutschen Volksleben das geringste erhalten, wie es doch mei- nes erachtens der fall sein müste, wenn anders diese art bad autoch- thon wäre. Man verweise nicht etwa auf die Italiener, welche trotz der hohen entwickelung, welche das badewesen bei den Römern erreicht hatte, keine kentnis mehr von deren badeeinrichtungen sich erhalten haben. Das römische bad ist eben auch nicht aus dem Volksleben emporgewachsen, sondern das produkt der hohen vom Orient beeinfluss- ten kultur. Auf die breiteren Volksschichten übertragen wurde der bäderluxus erst dadurch, dass die römischen grossen zahlreiche öffent- liche bäder erbauten und dem volke gewissermassen zum geschenke machten. Mit dem zerfalle der römischen herlichkeit giengen auch sie zu gründe und gerieten, da sie nie wahres volksbedürfms geworden waren, in Vergessenheit.

Wenn wir danach auch nicht die sitte des schweissbadens als eine altgermanische betrachten dürfen, so ist doch ihre kentnis bei den Deutschen gewiss älter als ihre erwähnung in deutschen litteraturdenk- mälern. Zunächst und zwar schon früh lernten die Deutschen wol das römische bad kennen, später brachten die näheren berührungen mit den slavischen Völkern auch deren bäder nach Deutschland.

Mcht nur in Italien selbst hatten Germanen gelegenheit das römische bad zu schauen und zu schätzen; überall wo römische beere vordrangen, römische ansiedel ungen gegründet wurden, entstanden auch die römischen thermen und balneen. Jahr für jähr bringt neue funde im westlichen wie östlichen Deutschland ans licht. Die badfrohen Ger- manen werden auch dieser ihnen bisher fremden art bald geschmack abgewonnen haben, und gar mancher herr mag für sich ein solches bad haben bauen lassen. Für die genauere bekantschaft mit dem römischen Schwitzbad ist beweisend die tatsache, dass noch spätmittelalterliche deutsche schriftsteiler den römischen namen gebrauchen.

ZUM >UTTELALTERL. BADEWESEN 497

Das römische Schwitzbad war so eingerichtet, dass in einem räume unter ihm das teuer unterhalten und durch dieses nicht nur der fiissb(xlen des baderaumes erhizt wurde, sondern auch (hirch ein röh- rensystem, welches aus dem heizraum an den wänden der zelle ent- lang geführt war, die heisse luft in diese drang. Alle noch erhaltenen ruinen der bäder zeigen dieselbe einrichtung. Diese äbteilung des römischen balneums hiess hypocaustuni, worunter ursprünglich wol nur der eigentliche heizraum gemeint, almählich aber das ganze bad ver- standen wurde. So erklärt Schöpflin in der Alsatia ilhistrata 1,539: Inferior haec cella verum hypocaustum fuit vel fornax, iinde tohim lacoiiicum (dies ist der ursprüngliche name des bades bei den Römern) synccdocJiice apud plures nonioi hypocausti accepit. Diese erweiterte bedeutuug gibt auch Forcellini: Hypocaustum est vaporarium, locus in thermis concameratus et fornicatus, qui iyne calefit: quasi siibac- censmn, ah hth suh et za/w accendo. Inventum fuit proeecipue ad sudandum. AVenn es nun im Cod. Sangall. nr. 915 heisst ad mundan- das manus et capita, cui in hypocausto locus erat, so geht daraus erstens hervor, dass die mönche sich im hypocaustuni wuschen, und zweitens, dass der Waschraum der mönche nach art des alten laconi- ciini geheizt wurde, oder mit andern werten, da eine derartige hei- zung keinen anderen zweck haben konte, dass die mönche ein dem römischen ähnliches Schwitzbad hatten. Und nichts anderes wird auch liypocaustorium sein, von welchem in der gründungsgeschichte des klosters Freckenhorst, der sogenanten vita Thiadildis (AASS 2, 30. jan. Append. 1157) berichtet wird: Nee ab incoepto destitit (Ewerwordus), donec in circtdtu oratorii refectorium hiemale et aestivale, hypocau- storiuin, cellarium, dommn arearum, coquinarum , granariuni et dor- mitoriiim et omnia necessaria habitacida aedißcavit.

Dieser wasch- und baderaum hiess im mittelalter auch pyrale. Du Gange erklärt zwar dieses wort unter bezugnahme auf die Casus Sti Galli und indem er hypocaustum fälschlich in der veraigem einerten bedeutung als heizbares zimmer auffasst als liypocaustum conventuale, in quo capitulum celebrahatur. Und ihm folgt Meyer von Knonau in seiner Übersetzung der Casus Sti Galli s. 54 anm. 4: „Der heizbare kapitelsaal, pyrale''^. Aber diese erklärung ist nicht richtig. Pyrale ist wie hypocaustum der Waschraum der mönche. Die beweise liegen zur band. Schannat erzählt (Historia Fuldensis s. 21): Nee tarnen adeo decurtatos fuisse eorum fmonachorum Fuldensium] capillos, vel exinde colligimus, timi quod caput quotidie pectehant yrcmdi ad hoc usi pectiiie ex catena in pyrali, seu hypocausto jJendente. An einer andern

ZEIISCHRIfT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXIV. 32

498 KOCHENDÖRFFER

stelle des Cod. Sangall. 915 im Liber confraternitatis (St. Galler mittei- lungen 11, 16) heisst es: ^^His exactis idem liberalissimus j^raesw/ (Adaibero von Augsburg) pyrale co7igregatio?iis intravit, pectinesque ehurneos magnitudine et artißcio insignes catenis fecit aeneis ibidem suspendi, ac manutergias per singulos singulas adjimgi'-'-. Und in den Casus Sti Galli 11, 112 (SS 2, 132) ist von einer kommission die rede, welche vom kaiser eingesezt ist, um das leben der mönche von St. Gallen, über welche klage geführt war, zu untersuchen. Wo anders als im kapitelsaale hätte man diese aus hohen Würdenträgern der kirche bestehende kommission empfangen und wo anders hätten sie ihre sitzung abhalten sollen, von welcher SS 2, 128, 42 erzählt wird? Erst nach- dem diese statgefunden, werden sämthche klosterräume besichtigt, und bei dieser gelegenheit gelangen einige mitglieder auch in das piß^ale: Veniunt in pirale, in eo lavatorium, nee non et proximum pirali scriptorium^ et has tres regiilarisslinas prae otnnibus quas viderint, asserebant esse officinas. Das lavatorium war sicherlich nicht im kapi- telsaale; es würde sich das mit der würde dieses ortes schlecht in ein- klang haben setzen lassen. Der irtum Du Ganges scheint auf einer andern stelle der Casus Sti Galli zu beruhen. SS 2, 144 wird von einem klosterschüler berichtet, der sich gegen seinen lehrer ungebühr- lich benommen hat. Superveniunt cum decano continuo fratres; ab- bate accito signum pulsatur ad capitulum. Ibi jussu abbatis juvenis nie adhiic furens ad colufnpnam piralis ligatus, acerrime virgis cedi- tur. Du Gange wird ibi mit capitulu^n verbunden und dieses als kapitelsaal aufgefasst haben. Aber capitulum ist die kapitelversara- lung der mönche, während der kapitelsaal domus capituli genant Avird. Das ibi ist auch nicht örtlich, sondern zeitlich zu verstehen. Die Züchtigungen wurden überhaupt nicht im kapitelsaal, sondern in besonders dazu bestimten räumen vorgenommen. Das pyrale eignete sich dazu am besten, weil man dort die ruten aufbewahrte, welche beim baden benuzt wurden. (Ygl. dazu SS 2, 124 flagello de pirali rapto ; SS 2, 95 Ruperte mi, rapto flagello fratrum, quod pendet in pyrali, deforis accurre. Annalista Saxo berichtet zum jähre 1044 vom münster zu Hildesheim (SS. 6, 542): Accessit ad hee, quod exorto a pirali prindpaliimi fratrum incendio piincipale monasterium et alte- rum ... est igne consumptum.

Dass mit pyrale in der tat nichts anderes gemeint sei als der räum zum schweissbaden , das römische hypocausium , dafür erhalten wir weitere bestätigung durch einen alten bericht über ein slavisches Schwitzbad. Herbord erzählt in dem leben des bischofs Otto von Bam-

ZUM MITTELALTERL. BAUEWESEN 499

berg vom jähre 1124 (SS 12, 788): Erat autem in ipsa cwti (es ist von einem pomraerschen gehöft auf "Wollin die rede) aecUficmm qiiod- dam fortissimum trabibus et tabulis iiigentibus compactum, quod stu- pnm vel pirale vocant. Vel steht hier in der mittelalterlichen bedou- tung- id est. Da das pyrule ja algemein bekant war, da es, wie wir aus den oben angezogenen Worten der Casus Sti Galli entnehmen, zu dem ordnungsmässigen Zubehör eines klosters zählte, dessen einrich- tung auch durch die regel bestimt wurde, so genügte diese kurze erklärung volständig, und Herbord hatte keine veranlassung, den beson- dern zAveck, Avelchem dieses gebäude diente, näher auseinanderzusetzen. Die beschreibung des äusseren stimt genau mit andern Schilderungen verschiedener zeiten überein. Die altern slavischen badehäuser waren alle von holz. Als erfinder der steinernen, die aber noch heute die hölzernen nicht verdrängt haben, gilt der bischof Jefrera von Perejas- lavl am ende des 11. Jahrhunderts (Strahl, Geschichte des russischen Staates 1, 187).

Aus Herbords werten geht aber auch hervor, dass ihm das wort stiipa als ein deutsches nicht bekant war. Auch der Jude Ibrahim sagt ja in der oben erwähnten stelle: „Sie (d. h. die Slaven) nennen einen solchen verschlag ifba'-^. Von ganz besonderem interesse aber ist fol- gender aussprach des im 10. Jahrhundert schreibenden Christianus de Scala Vita S. Wenceslai (f 936) (AASS. 28. sept. 7. 825—837): Et veniens invenit eum in assobalneo, qiiod populari lingua Stuba vocatur, recumbentem. Dass hier die popularis lingua nicht etwa die deutsche spräche meint, erhelt nicht sowol daraus, dass der heilige Wenceslaus ein Böhme war, als vielmehr daraus, dass auch sein bio- graph und grossnefie diesem volke angehörte. Ich glaube man kann darin einen beweis für die priorität des eigentlichen dampfbades (das in Deutschland übliche aestuarium beruhte auf einem andern System) in den slavischen ländern erblicken. Bei . allen slavischen und von diesen zunächst beeinflussten Völkern von alters her bis heute das Schwitzbad; in allen slavischen sprachen die gleiche bezeichnung dafür; und bei deutschen, slavischen und fremdländischen bericht- erstattern die von keinem zweifei getrübte Vorstellung, dass dieses bezeichnende wort ein slavisches sei! Ob diese Vorstellung richtig ist, oder ob das wort, wie Miklosich und Martin wollen, deutschen Ursprunges ist, das komt dabei nicht in betracht; massgebend ist, dass dem Deutschen einrichtung wie benennung unbekant ist, als er zum ersten male ins Slavenland komt, und dass der Slave erklärt, das Schwitzbad heisse in seiner Volkssprache stuba. Mag dann immerhin

82*

500 KOCHENDÖRFFER

die deutsche abstamnning des wertes sich als begründet erweisen, so lässt der bedeutiingsAvandel, den es in den neueren slavischen spra- chen wie im deutschen später durchgemacht hat, die Voraussetzung zu, dass das wort auch erst auf dem wege eines ähnlichen wandeis, und zwar im slavischen, zu der bedeutung Schwitzbad gelangt ist und dann in dieser neuen bedeutung mit dem slavischen bade nach Deutschland zurückkehrte. Halten wir diese möglichkeit im äuge, so steht es uns auch frei in der stuba Tit. 81 der lex Alamannorum aus dem 8. jh. etwas anderes zu erblicken als den räum für das Schwitzbad. Welchen zwecken sie gedient hat, das wüste ich freilich nicht zu sagen; aber die nennung neben ovile und porcaritia lässt eher noch auf eine dritte Sorte von stallen oder einen anderen wirtschaftsraum schliessen, als gerade auf ein badehaus.

Ich habe bisher nur die deutschen Verhältnisse in betracht gezo- gen. So viel mir von den skandinavischen bekant ist, findet die theorie, dass die Schwitzbäder nicht germanischen Ursprungs seien, auch durch sie bestätigung. In ganz Skandinavien und auf Island war das dampfbad im mittelalter eine wolbekante und unentbehrliche ein- richtung, zu der man neben den Wohnhäusern eigene gebäude aus holz aufführte; und überall ist diese sitte und ihre kentnis heutzutage ver- schwunden, in einer gegend spät, in andrer schon früher. Es wird am geeignetsten sein, wenn ich hier einige sätze aus Yalt;fr Gudmunds- sons Privatboligen Island i sagatiden, Kobenhavn 1889 mitteile, der s. 240 fgg. über ^^hadstiien^'- spricht. Nach Gudmundsson war die einrichtimg der badestube, wie sie die sagas beschreiben, die, dass sie mit einem steinofen versehen Avar, der, ehe man ein bad nehmen wolte, stark geheizt wiu'de, und auf den man dann wasser goss, wodurch sich rasch reichlicher dampf entwickelte. Es ist dieselbe ein- richtung, wie wir sie in dem slavischen schwitzbade kennen gelernt haben. Nachdem die alte art, die stuben dui-ch ein mitten auf dem fussboden brennendes feuer zu heizen, ausser Übung gekommen war (s. 243), wurde die badestube, als der einzige räum, welcher mit einem ofen versehen war, bisweilen als aufenthaltsort benuzt, beson- ders von der familie, und zwar sowol bei tage wie bei nacht. Als man dann einen steinofen in die stube selbst bekommen hatte, wurde der name „badestube" auch auf diese übertragen, indem dieser name später zur bezeichnung eines jeden raumes diente, in welchem baä- hiti war. Der name baäsiofa trat, als der gebrauch, die stube mittels des ofens zu wärmen, algemein geworden war, ganz an stelle des alten namens stofa. Schliesslich, als die heizbare stube ein gemeinsamer

ZUM MITTELALTERL. BADEWESEN 501

aufenthalt für alle leute in dem geh oft geworden war, gelangte der name badestube zu der bedeutung „leutestube". Und in dieser bedeu- tung erhielt sich das wort, selbst nachdem man wegen des durch die Verwüstung der wälder beständig zunehmenden mangels an brenholz hatte aufhören müssen die leutestube zu heizen und sich mit der ani- malischen wärme begnügte, wie es jezt auf Island algemein der fall ist, wo bcuhtofa den räum bezeichnet, in dem sich alle leute des hofes bei tag und nacht aufhalten.

Auf Island also hat sich keine spur des früher algemein üblichen dampfbades erhalten. In Skandinavien ergieng es ihm nicht besser, wie wir aus Troels Lund, Das tägliche leben in Skandinavien s. 228 fg. erfahren. „So verschwanden denn nach und nach, und fast unmerk- lich, die badestuben und das altherkömliche baden. Wir vermögen ihre spuren auf dieser flucht nur unvolkommen zu verfolgen. Zuerst horte das baden in Dänemark auf; hier sind bei dem gemeinen manne alle erinnerungen daran verschwunden. In Schweden und Norwegen

hielt die gewolmheit länger vor Almählich verlor sich jedoch die

sitte in den städten, hielt sich aber sowol in Schweden als in Norwe- gen bei den bauern. Noch am Schlüsse des vorigen Jahrhunderts berei- tete man sich in Smäland dadurch auf das weihnachtsfest vor, dass sämtliche bewohner des bauernhofes in der badestube ein dampf bad nahmen. Nur in einer gegend des nordens hat sich die sitte in ihrer ganzen altvaterischen treuherzigkeit bis auf den heutigen tag gehalten, nämlich bei den im 16. Jahrhundert eingewanderten Finländern in den südlichen grenzgebieten ZAvischen Norwegen und Schweden".

So wird denn auch für die Nordgermanen der schluss gerechtfer- tigt sein, dass das dampf bad erst durch die berührung mit einem andern volke ihnen bekant geworden sei. "Während die Südgermanen es von den Slaven erhielten, scheint es zu jenen durch die Finnen gekommen zu sein. Die frage, ob Slaven oder Finnen erfinder des bades seien, gehört nicht hierher und kann von mir auch nicht beant- wortet werden. Ich möchte nur unter hinweis auf Wilh. Thomsens buch über den einfluss der germanischen sprachen auf die finnisch- lappischen eine bemerkung mir gestatten. Das an. stofa ist nach Thom- sen in die finnisch -lappischen sprachen in zweierlei gestalt übernom- men worden. Das lappische hat stoppo oder stuoppo, das finnische tupa. Während die form stoppo deutlich als lehnwort sich ausweist, könte tupa auch unbeanstandet als finnisches urwort gelten. In dem zusammengesezten porstua = for stofa hat das finnische eine andere form des lehnwortes, was immerhin auffält. Dazu komt, dass Hunfalvy

502 JAEKEL

das wort tiqm für altaisch erklärt und somit der finnischen spräche als urwort retten will. Wäre das richtig, so könte man auch das Schwitzbad denn dieses oder das gebäude für dasselbe müste dann die ursprüng- liche bedeutung für das wort sein als von den uralaltaischen Völkern ausgegangen annehmen. Es würde sich dadurch seine weite Verbrei- tung durch die finnischen, türkischen, magyarischen, baltischen, sla- vischen, germanischen und romanischen Völker am besten erklären. Aber Thomsen bestreitet Hunfalvys behauptung; ob mit recht und aus welchem gründe, weiss ich nicht. Dafür eröfnet er einen andern weg. Das a der endung macht es ihm wahrscheinlich, dass tupa nicht aus dem germanischen, sondern aus dem lithauischen entlehnt sei; und so wären wir wider auf slavische herkunft gewiesen. Mag nun das eine oder andere richtig sein, die germanische abstammung ist mir am wenig- sten wahrscheinlich.

KIEL, FEBRUAR 1891. , KARL KOCHENDÖRFFER.

GOETHES YEESE ÜBER FEIESLAND.

Wenn es im 2. teile des Goethischen Faust Y, 501 fgg. heisst:

„Ein sumpf zieht am gebirge hin. Verpestet alles schon errungene. Den faulen pfuhl auch abzuziehn, »

Das lezte war' das höchsterrungne", so passt die landschaftliche scenerie, welche man sich nach diesen ver- sen vorzustellen hat, nicht zu den unmittelbar folgenden versen: „Eröffn' ich räume vielen millionen, Nicht sicher zwar, doch tätig frei zu wohnen: Grün das gefilde, fruchtbar; mensch und heerde Sogleich behaglich auf der neusten erde, Gleich angesiedelt an des hügels kraft. Den aufgewälzt kühn-emsige Völkerschaft. Im Innern hier ein paradiesisch land. Da rase draussen flut bis auf zum rand. Und wie sie nascht, gewaltsam einzuschiessen. Gemeindrang eilt, die lücke zu verschliessen". Denn hier hat der dichter zustände im äuge, wie sie etwa an den frie- sisch-niederländischen küsten seit Jahrtausenden bestehen. Nur auf solche Verhältnisse passen ferner Y, 41 fgg.:

GOETHE ÜBER FRIESLÄND 503

„Das euch grimmig misgohandelt, Wog' auf wüge schäumend wild, Seht als garten ihr behandelt, Seht ein paradiesisch bild. Älter, war ich nicht zu handcn, Hülfreich nicht, wie sonst, bereit; Und, wie meine kräfte schwanden, War auch schon die woge weit. Kluger herren kühne knechte Gruben graben, dümten ein, Schmälerton des mceres rechte, Herrn an seiner statt zu sein. Schaue grünend wies' an wiese, Anger, garten, dorf und wald!"

Die beiden stellen (V, 505 522 und 41 54) gehören wahrscheinlich, wie schon R. Henning (QF. LY, 2 s. 33) vermutete, zu denjenigen tei- len des Faust, die 1824/25 abgeschlossen wurden; und Henning schliesst wol mit recht, dass jene strandscenerie an die stelle einer älteren getre- ten sei, deren Überreste in Y, 501 504 noch vorliegen. Er bringt nun mit den Vorstellungen, von denen Goethe bei der abfassung jener stücke beherscht gewesen sein muss, einige vom jähre 1819 datie- rende, nur in bruchstücken erhaltene Goethische verse über Friesland zusammen, die ihm der oldenburgische oberbaudirektor Otto Lasius in einem schreiben vom 28. febr. 1885 mitgeteilt hatte. Im jähre 1819 hatten nämlich zwei bewohner von Jever den dichter besucht und ihm auch viel von der natur des ostfriesischen Jeverlandes und seiner ste- ten bedrängnis durch das meer erzählt. Sie wurden von Goethe mit einigen versen über Friesland entlassen, die sie dann ihren landsleuten mitteilten. Lasius konte von diesen versen aus seinem gedächtnis nur noch folgendes an Henning (vgl. dessen angeführte schrift s. 32) mit- teilen :

„Und dieses völkchen solt ihr billig kennen,

Das land wol kennen, dem es angehört.

. . meerumrauscht und stark umwalt;

Ein land von ackern, gärten, wiesen. Das land der alten tapfern Friesen".

504 WOLFF, EIN ZWEITES HET GETHAN IM BEDINGUNGSSATZE

In Goethes werken ist von diesen versen nichts zu finden, und in Ostfriesland selbst hat sich bis jezt von ihnen nichts weiteres ent- decken lassen. Der spruch ist aber auch in Holland bekant gewor- den und hat sich hier volständig erhalten in einer fassung, die in einigen wenigen worten von jener ostfriesischen abweicht. Schriftlich fixiert fand ich die holländische fassung bisher erst einmal. A. Tel- ting hat nämlich die verse seiner schrift „Het oud-friesche stadrecht" s. Gravenhage 1882 (Leidener dissertation) als motte vorgesezt. Hier lauten sie:

„Und dieses leben solt ihr billig kennen, Das land wol kennen, dem es angehört, Das immerdar, in seiner Auren mitte, Den deutschen biedersinn, die eigne sitte. Der edlen freiheit längsten spross genährt; Das meerentrungne land, voll gärten, wiesen: Den reichen wohnsitz dieser tapfern Friesen".

Die verse erinnern sehr stark an V, 53 im 2. teile des Faust, und man wird bei unbefangener prüfung Henning einräumen müssen, dass Goethe bei der abfassung der oben mitgeteilten verse des Faust nicht hollän- dische, sondern friesische und zwar speciell ostfriesische Strandver- hältnisse im äuge gehabt hat.

BRESLAU, HUGO JAEKEL.

EIN ZWEITES HET GETHAN IM BEDINGUNGSSATZE.

(Vgl. s. 202 dieses bandes.)

Er sprach, du hast in jenem lehn Mir zu dem handel ursach gebn, Het fürwitz und dein will gethan. Ich het dich wol zu fried gelan.

Bartholomeus Kingwalt: ChrisÜicke Warnung des Treuen Eckarts ... Äuffs neue ivider übersehen und gemehret ... Frankfurt a. 0. 1590. Seite F 4 b. "Worte des buhlers zur buhlerin in der hölle. Auch hier schwebt der sinn vor: Wären fürwitz und dein will nicht gewesen (sie sind aber gewesen!).

KIEL. EUGEN "WOLPF.

RÖHRICHT, ZUR ÜKSCHICIITE DES BEGRÄBNISSES „MORK TEUTONICO" 505

ZUE GESCHICHTE DES BEGEÄBNISSES „MOEE TEUTONICO".

Alwin Schultz führt in seinem verdienstvollen werke Das höfische leben (2. aafl.) II, 308 und 469 als beispiele für die sitte, leiclmame durch kochen in fleischteile und knochen zu zerlegen, kaiser Friedrich I.^, die landgrafen Ludwig- IIL und IV. von Thüringen, könig Louis IX. von Frankreich- und herzog Ludwig von Bayern an; es möge hier erlaubt sein, noch auf andere beispiele hinzuweisen, die vielleicht zu einer zusammenfassenden und erweiternden boarbeitung reizen werden.

Als älteste erwähnung dieser begräbnisart dürfte zu nennen sein die nachricht in der Historia Weif. Weingart, in Mon. Germ. SS. XXI, 471, wonach 1107 in Rom an der pest starben: die erzbischöfe Ray- nald von Cöln und Daniel I. von Prag, die bischöfe von Spoier, Ver- dun, Lüttich und Regensburg, der herzog Eriedricli, söhn des königs Konrad, herzog Weif, die grafen von Sulzbach, Tübingen u. a.^ Ein anderes beispiel ist Hademar von Kuenring* und graf Wilhelm von Arundel^, welche auf dem fünften kreuzzuge starben; endlich herzog Leopold von Österreich, welcher 1230 in San Germano starb ^.

BERLIN. R. RÖHRICHT.

1) Vgl. Riezler, Der kreuzzug Friedrich I. in Forsch, zur deutsch, gesch. 1870, 72 73; Sepp, Meerfahrt nach Tyrus zur ausgrabung der kathedrale mit Barbarossas grab, Leipzig 1879 (vgl. Zeitschr. d. deutsch Pal. Vereins 1879, 108 112 und 257; 1880, 53; Litterar. centralblatt 1879, nr. 10, 15); Sepp, Kaiser Friedrich I. Barba- rossas tod und grab, Berlin 1879 (Samluug gemein verst. wissensch. vortrage XIV. Serie, ur. 330); H. Prutz, Kaiser Friedrichs I. grabstätte, Danzig 1879; P. Scheffer - Boichorst, Barbarossas grab (Im neuen reich 1879, II, 693 701). Das ergebnis dieser Untersuchungen ist, dass Barbarossas fleischteile in der St. Peterskirche zu Antiochien, seine gebeine in der St. kreuzkirche (der cathedrale) von Tyrus beigesezt wurden.

2) Vgl. Chron. Salimbene 257—58; Tillemont V, 174, 201; Wallen, Eist, de St. Louis II, 549 (dort auch litteratur).

3) „Quorum omnium peue ossa carnibus per excoctionem consumptis ad pro- pria reducta sunt". Die Aunal. Ottenb. Isingrini in Mon. Germ. SS. XVII, 315 sagen: „in cacabis exocti sepultis iutestinis ossibus solis utribus insutis sie ad propria sunt reportata". Vgl. Chron. de Mailros (Bannatyne Clubb L), 81; Chron. Siloense in Dobner, SS. Bohem. I, 79. Giesebrecht VB, 555 59.

4) Lib. fundat. monast. Zwetl. in Fontes rerum Austr. II, abt. III, 1851, 99.

5) Anual. de "VVaverleya (iu Annal. monastic. ed. Luai'd 11), 294; vgl. Röh- richt, Testim. minora quinti belli sacri XXIX, 63.

6) Ryccardus de San Germano in Mon. Germ. SS. XIX, 361; vgl. Winkel- mann, Acta impeiii inedita I, 277, nr. 308. Sonst vgl. auch Jaffe, De arte medica saeculi XII, Berolini 1853 (Dissert. inaug.), 30 31.

506 SPRENGER

ZU GOETHES FAUST.

Zu den früheren bemerkungen in dieser ztschr. XXIII, s. 431 fgg. füge ich noch die folgenden.

Erster teil. 523. Agathe fort! ich nehme mich in Acht Mit solchen Hexen öffentlich zu gehen. Während Schröer in der 1. aufl. zweifelhaft war, ob Agathe der name der alten oder des einen bürgermädchens sei, erklärt er in der 2. aufl. mit recht die werte „Agathe fort!" durch „Agathe, komm fort von hier!" Ich vergleiche dazu eine stelle aus den märchen von Clemens Brentano, dem landsmanne Goethes (abdruck in Mej^ers Volksbüchern I, 268): „Aliens, fortgemacht!" sagte Murxa und folgte ihm in den garten.

Noch nicht genügend erklärt -scheint mir bisher die stelle I, 2356 fgg. (nach Schröers Zählung), welche zu den am frühesten verfassten gehört und sich schon im „Urfaust" (2. abdruck. Weimar, Hermann Böhlau 1888, s. 37), abgesehen von orthographischen ab weichungen, wörtlich gleichlautend findet.

Und hier! Er (Faust) heU einen Bettvorhang auf.

Was fasst mich für ein Wonnegraus!

Hier möcht' ich volle Stunden säumen.

Natur! Hier bildetest in leichten Träumen

Den eingebornen Engel aus.

Hier lag das KJind! mit warmem Leben

Den zarten Busen angefüllt,

Und hier mit heilig reinem Weben

Entwirkte sich das Götterbild! Düntzer bemerkt (Goethes Faust erläutert Leipzig 1857 s. 291) zu dieser stelle: „Hier war es, wo die natur den „eingeborenen", einzigen engel so wundervoll in leichten träumen ausbildete". Dagegen bemerkt Schröer s. 168 seiner zweiten ausgäbe: „Wenn Chi-istus der einge- borne söhn gottes heisst, so ist das so viel als der einzige gott- geborne, imigenitus, fiovoyEvrjg. Dieser sinn ist hier nicht zu suchen, sondern der von indigena, der in einer örtlichkeit geborne, eingeborne, iniiatus, also hier der in diesem bette geborne engel; s. Grimms wör- terb. in, 1, 185. Also: Natur bildete hier in diesem bette den engel, Gretchen, der hier geboren, eingeboren ist, aus". Aber Schröer scheint übersehen zu haben, dass eingeboren noch eine dritte bedeutung hat;

zu GOETHES KAUST 507

es ist nämlich auch = von naiur eingepflanxt , und unter dieser bedeu- tung ist die stelle mit recht im Deutschen wb. a. a. o. eingereiht.

Die stelle ist mir auf einmal klar geworden, als ich in Goethes briefwechsel mit einem kinde (brief Bettinens vom 4. november 1810; Reclams abdr. s. 383) las: „Drei Tage bedachtest Du Dich, eh' Du ans Weltlicht kamst und machtest der Mutter schwere Stunden. Aus Zorn, dass dich die Not aus dem eingebornen Wohnort trieb, und durch die Misshandlung der Amme kamst du ganz schwarz und ohne lebcns- zeichen". Engel wird sowol von Düntzer als von Schröer als kose- wort für das geliebte mädchen gefasst. Es werden aber aucli kleine kinder so genant, weil sie nach dem Volksglauben, wenn sie sterben, zu eugeln werden. Ziehen wir nun den oben angeführten ausdruck Bettinens in betracht, so dürfen wir den eingebornen etigel wol als bezeichnung für das kind im mutter leibe auffassen. Dann erklären sich auch die „leichten träume", über welche Düntzer s. 291, a. 2 eine hier nicht zutreffende bemerkung macht, aus dem noch nicht zum bewustsein erwachten, traumartigen dasein vor der gebiu't. Wir haben also, während nach den früheren erklärungen in den sechs versen nur dreimal dasselbe in verschiedener wendung gesagt wäre, hier eine dreifache entwicklungsstufe des kindes vorgezeichnet, nämlich 1) die entwicklung im mutterleibe: Natur, hier bildetest in leichten Träumen Den eingebornen engel aus; 2) den zustand unmittelbar nach der geburt: Hier lag das Kind^, mit warmem Leben Den zarten Busen angefüllt; 3) die weitere entwicklung des kindes zur Jungfrau: Und hier mit heilig reinem Weben Entwirkte sich das Götterbild".

Zu beachten ist hier noch die eigentümliche bedeutung von ent- wirken, von der sich in früheren Sprachperioden keine spur findet. Düntzer bemerkt darüber s. 291, a. 4: „Der ausdruck ist vom wirken, weben hergenommen; sich entivirken heisst hier durch weben vollen- det werden". Wir müssen etwas tiefer gehen und erinnern uns an V. 24 fgg., wo Faust erklärt, weshalb er sich der magie ergeben habe: Dass ich erkenne, was die Welt Im Innersten zusammenhält, Schau alle Wirkenskraft und Samen. Wirkenskraft erklärt Schröer (anm. zu Faust II, 7210 und 7321) mit recht als gleichbedeutend mit der aristotelischen ivTÜ.iyßia und verweist dabei auf die Wanderjahre 3, kapitel 15, wo Goethe den aus

1) Das komma des „Urfausf- scheint mir besser, als das ausrufungszeichen der späteren ausgaben.

508 SPßENGER

dem Sonnensystem energisch heraustretenden geist Makariens^, als energisch strebende geistige individualität, entelechie nent. Entivi7'kte sich Messe danach: entwickelte sich aus sich selbst, aus seiner eigenen individualität heraus.

Man hat verschiedentlich nach einer vorläge für unsere scene gesucht. Byrons behauptung, Goethe habe sie nach Shakespeares Cym- belin II, 2 gebildet, hat schon Düntzer (a. a. o. s. 292) zurückgev^ie- sen. Aber auch Jacobys bemerkung (s. Schröer s. 168), Goethe habe das gedieht von Joh. G. Jacobi an Belindens bette" vorgeschwebt, scheint nicht begründet. Es ist an ein grosses himmelbett, ein soge- nantes familienbett, zu denken, in dem früher Gretchens niutter geschlafen hat und das sie vielleicht noch jezt mit der tochter teilt. Unwilkürlich komt mir dabei das bett von Goethes mutter mit den blaugewürfelten vorhängen, von dem Bettina (a. a. o. s. 383) spricht, in den sinn.

2506. Sei Teufel doch nur nicht wie Brei,

Und schaff' einen neuen Schmuck herbei! Bei Schröer fehlt eine bemerkung zu dieser stelle; Düntzer in seinem kommentar (2. aufl. 1857) s. 297 bemerkt: „Der brei ist dick und steif. Der teufel steht so steif da, als könne er nicht von der stelle". Dies scheint mir die der stelle zu gründe liegende anschauung nicht zu treffen; ich erkläre dieselbe folgendermassen: der brei ist zäh. Man sagt aber auch von einem menschen, der sich nicht gern vom gelde trent, er sei zähe (niedd. tach). Faust meint also, Mephistopheles solle nicht karg sein.

3226. Wie könnt' ich über andrer Sünden

Nicht Worte g'nug der Zunge finden!

Wie schien mir's schwarz und schwärzt's noch gar,

Mir's immer doch nicht schwarz g'nug war. Schröer bemerkt zu 3228 fg.: und schwärzte es auch noch obendrein, so . Im Uifaust (v. 1272 fg.) wird interpungiert:

Wie schien mii's schwartz, und schwärzts noch gar.

Mirs nimmer doch nit schwarz gnug war. Ich glaube deshalb, dass die beiden sätze parataktisch zu fassen sind.

S. 280, 62 (Trüber tag, feld). Über des Erschlagenen Stätte schwe- ben rächende Geister und lauern auf den wiederkehrenden Mörder. Vgl. hierzu W. Scott 's The Hart of Midlothian (Tauchn. ed. I, s. 139: the

1) Bemerkenswert ist auch die stelle bd. 21, 192 (sedez-ausg. in 60 bänden): So sind Makarien die Verhältnisse unseres Sonnensystems von Anfang an gründ- lich eingeboren.

zu GOETHES FAUST 509

place tvkich he had named as a remlexrous at so late an hour, was held in general to be accursed, front a frightfid and crucl murder lühich had Leen there committed hij the ivretch from ivhom Ihe place took its name, lipon the person of hls oum ivife. It tvas in such places, according to the belief of the period, that evil spirits had power to Make themselves visible to Imman eyes, and to p7'aetise upon the feelings and yses of mankind.

Zweiter teil. 395. Doch kann ich nicht genug verkünden.

Was überall besitzlos harrend liegt.

Der Bauer, der die Furche pflügt,

Hebt einen Goldtopf mit der Scholle;

Salpeter hofft er von der Leimenwand

Und findet golden -goldne Rolle,

Erschreckt, erfreut, in kümmerlicher Hand. Schröer bemerkt zu 397 401: „Der gedanke ist klar. Ungeahnte schätze birgt der boden. Wenn der bauer pflügend einen topf findet, höchstens Salpeter zu gewinnen hoft, findet er zuweilen, statt derglei- chen, eine rolle gold!" Soweit hat Schröer richtig gesehen; er irt aber, wenn er Goethe glaubt tadeln zu müssen, weil es zweifelhaft sei, ob der bauer von der lehmwand des topfes oder der furche salpeter hoft. Meines erachtens kann man unter „leimenwand" hier nur die irdenen wände des topfes verstehen. Nicht nur „alte feuchte lehm wände" (vgl. Goethes Faust von Hasper, Gotha 1888, s. 176), sondern auch alte irdene geschirre, welche lange in der erde gelegen haben, schwitzen Salpeter aus. Es ist daher durchaus naheliegend, wenn der bauer beim auffinden des alten topfes von demselben salpeter zu gewinnen hoft. Dass der bauer auch über den fimd von salpeter erfreut wäre, erklärt sich daraus, dass dieser {sal petrae oder patrae) ein gepriesenes heilmittel der alten zeit ist; vgl. auch, was Adolf Wuttke, Der deutsche Volksaberglaube der gegen wart (2. bearb, Berlin, Wiegand und Grie- ben 1869) in § 196 über den salzstein bemerkt. Zur sache vergleiche ich noch 425 fg.:

Die Töpfe drunten, voll von Goldgewicht, Zieh' deinen Pflug, und ackre sie an's Licht. Schröer hat ein Semikolon nach goldge wicht, doch verlangt der sinn ein komma oder (um die anakoluthie anzudeuten) einen gedankenstiich. 3190. Zu Graus = „etwas schreck, abscheu erregendes" ver- weise ich noch auf G. Schwabs gedichte (Gesamt -ausgäbe, Leipzig,

510 SPRENGER

Keclam, s. 276): Nun so werfe man den Graus Ewig aus der Stadt hinaus. Mit graus ist hier das steinerne bild eines löwen bezeichnet. Ferner s. 306 (Der graf von Zollern):

Die stolze Gräfin winket stumm,

Und lächelt arg und kehrt sich um,

In's ferne Land, in einen Thurm

Schickt sie den Feind zu Molch und Wurm.

Zehn Jahre wohnt der Graf im Graus

Auch das grauen wird so gebraucht. Ebd. s. 248, Der riese von Marbach :

Die Steine zu dem Kiesenhaus Ganz schwarz und unbehauen Grub er sich mit den bänden aus. Fing eilig an zu bauen; Er warf sie auf die Erde nur, Dass einer auf den andern fuhr. Bis fertig war das Grauen. 6281. (Vgl. XXIII, 456 fg.) (Erzkämmerer) Wenn Du zur Tafel gehst, reich' ich das goldne Becken, Die Ringe halt ich dir, damit zur Wonnezeit, Sich deine Hand erfrischt, wie mich dein Blick erfreut. Hierzu vergleiche ich jezt Gustav Schwabs dichtung: Der Mö- ringer, Schwäbische sage in vier romanzen (Reclam s. 490): Da ging der fromme Möringer aus seiner Kammer für; Der Kämmrer mit dem Becken stand und harrte vor der Thür. Er nahm ihm ab das Morgenkleid, reicht' ihm das Wasser dar; Es wusch der Herr sich mit der Hand sein lichtes Auge klar. Da „der Möringer" schon 1824 erschienen ist, so ist es wahrschein- lich, dass Goethe diese stelle vorgeschwebt hat. Mit den ringen kön- nen übrigens auch die ringe am becken gemeint sein, wie sie anstatt der henkel als handhaben früher an solchen gefässen sich fanden.

NOETHEIM. R. SPRENGER.

ZU H. V. KLEISTS HEEMANNSSCHLACHT.

5. aufz. 14. auftr. 33 (393)

Chor der Barden (fält wider ein):

Du wirst nicht wanken und nicht weichen Yom Amt, das Du dir kühn erhöht.

zu H. VON KLEIST 511

Die Regung wird dich nicht beschleichen

Die dein getreues Volk verräth. Die verse 33 fg. sind bisher von allen herausgebern unbeanstandet geblieben. Jezt schreibt aber dr. H. Windel in seiner ausgäbe des Schauspiels (Bielefeld und Leipzig bei Yelhagen & Klasing):

Du Avirst nicht wanken und nicht weichen

Vom Amt, das du dir kühn erwählt.

Er bemerkt dazu auf s. 130: „die vorgenommene änderung ist eine leichte, durch die sinn und reim gewint". Nun ist wol kein zweifei, dass der von Windel eingesezte reim gegen den der Originalausgabe keine besseriuig ist; aber auch von selten des sinnes entsteht gegen seine änderung gegründetes bedenken, unter dem anite, das sich Her- mann erwählt haben soll, kann dann doch wol nur das amt des ober- feldherrn gemeint sein. Dies hat er ja aber nicht selbst sich erwählt, sondern es wurde ihm nach alter deutscher sitte (vgl. Tacitus Germa- nia) durch die walil der volkshäupter übertragen; so stelt es auch Klop- stock in seinem Bardiet Hermanns Schlacht, 11. scene (Güschensche ausg. V. 1839. 7. bd. s. 126) dar.

(Brenuo) Geht hinunter zu den Fürsten und sagt ihnen, dass heute kein Siegesmahl ist.

(Einige Druiden gehn.)

Hermann. Ja, und dass der, welchen sie zu ihrem Feld- herrn erhüben, den schönsten Tag seines Lebens mit Trauren endiget!

Dass bei Kleist der text, zu dem sich auch kühn nicht recht fügen will, nicht richtig überliefert ist, glaube auch ich, möchte aber die entstellung nicht in erhöht, sondern in amt suchen und schreiben: Du wirst nicht wanken und nicht weichen Vom Mal, das Du dir kühn erhöht. Ich sehe dann in Mal das Fanal, welches Hermann zu anfang des auftrits in brand zu setzen befiehlt: „Zum Zeichen Marbod und den Sueven, dass wir nunmehr zum Schlagen fertig sind!" Dieses zeichen zum beginne der algemeinen erhebung aufzurichten, war allerdings ein kühnes beginnen. Passend zu vergleichen ist hier vielleicht auch die stelle aus Schillers Jungfrau von Orleans III, 4:

und höher strebt das stolze Herz, es hebt bis in die Wolken den kühnen Bau; wozu Hildebrand D. wb. 5, 2578 mit recht bemerkt, dass bei kühn der begrifi" der damit verbundenen gefahr zu gründe liege. Das erhöhen

512 SPRENGER

erklärt sich dann einfach als „aufrichten", wie man noch algemein sagt „ein kreuz erhöhen". Andere belege für diese bedeutung sind im Deutschen Wörterbuch zu finden , auch der bekante aus Matthissons elegie : Ein betürmtes Schloss voll Majestät Auf des Berges Felsenstein erhöht. Das pron. pers. dir darf man wol nicht pressen, da es Kleist ebenso wie mir (als sogen, dat. ethicus) auch sonst oft sezt, wo es für den Zusammenhang nicht nötig ist.

Der druckfehler der Originalausgabe erklärt sich bei der flüchtigen handschrift des dichters (s. die proben in Zollings ausgäbe) um so leichter, als Mal (vgl. grenxmal, siegesmal) in dieser bedeutung nicht algemein gebräuchlich ist. Dass der text Kleists, wie kaum der eines anderen neueren dichters, durch druckfehler entsteh ist, glaube ich in einem aufsatz im 4. bände der Ztschr. für deutschen unterr. erwiesen zu haben. Auch Windel hat zwei meiner Verbesserungen, sowie eine Zürns (Westen st. Testen I, 3, 54) in den text aufgenommen. Die barden wollen also nach meiner meinung ausdrücken, dass Hermann von der begonnenen erheb ung gegen die fremdherschaft nicht wider zurücktreten werde. Auch die verse 35 fg. drücken, mit einem Seiten- blick auf Hermanns bruder Flavius und andere deutsche fürsten, die Überzeugung aus, dass er die sache seines Volkes nicht verraten werde.

Dass für das chorlied der barden Kleist die anregung aus Klop- stocks Hermanns schlacht geworden ist, ist von einigen herausgebern richtig bemerkt; dagegen sind ihnen allen noch einige einzelheiten ent- gangen, die der dichter aus derselben quelle geschöpft hat. So liest man noch, dass Mana wahrscheinlich der Mannus des Tacitus sei. Allen scheint es also entgangen zu sein, dass der göttername genau in derselben form bei Klopstock (s. 52, 54, 73, 81, 87, 103 u. ö.) erscheint. Dass Klopstock mit Mana den Mannus bezeichnet, ist allerdings sicher; vgl. die zwei chöre in der siebenten scene: Hir stammet von Mana, ihr staynmet von Thuiskon! Von nicht historischen personen hat Kleist den Gueltar (Geltar) aus Klopstock entlehnt, der dort allerdings nur einmal in der 11. scene (s. 103) genant wird. Auch einige eigenschaften des Cheruskerfürsten finden sich ebenso bei Klopstock, seine milde [Kleist 5, 14, 37 = Klopstock in der elften scene: Hermann bei der leiche seines vaters], sowie seine furchtbarkeit in der schlacht. Auch das auftreten der Thusnelda als jägerin bei Kleist im I. aufzug, 2. auf- tritt ist wol durch eine reminiscenz aus Klopstock veranlasst; vgl. die 11. scene (s. 120). Bei Kleist wird Thusnelda durch einen von ihr verwundeten ur verfolgt. Bei Klopstock erzählt sie selbst: „7cÄ floh

zu H. VON KLEIST 513

vor einem, Ur, der diircli das Gebüsch herahrauschte'-^ . Ebenso scheint mir die erwälmung der römischen siege über die Parther und Gallier zu anfang- des 1. aufzugs auf Klopstock zu beruhen. Vgl. 10. scene (s. 101):

(Thusnelda) ^Lcint ihr etivd, Vr/iiden, dass die Parthersc/äacht ivie die unsre tvar? Selbst Brenno ist ihm heut Ehrfurcht schuld if/. Brenno ist bei Klopstock der oberdruide; solte Kleist bei diesem nanien an den Brennns der Gallier gedacht haben? Auch die poesio des mondscheins beruht vielleicht auf Klopstocks einfluss. Vgl. Kleist V, 17, 4: Wie mihi der Mondschein durch die Stämme blickt! und Klop- stock, 10. scene (s. 101): 0 Mond, wie gehest du heut' in iinsern Hai- nen auf! Hat er jemals so schön durch das heilige Laub geschim- mert, meine Gespielinnen?

Beachtenswert ist auch, dass der „blutring", bei Tacitus nur von den Katten getragen, wie bei Kleist so bei Klopstock (vgl. s. 54 und 142) auch von anderen deutschen stammen getragen wird. Schliesslich klingt es wie eine remiuiscenz aus Klopstock, wenn wir bei Heist V, 8, 15 fg. lesen:

Fleuch gleich zu seinen Scharen hin Und ruf mir den Septimius, hörst du. Den Feldherrn, her, den ich ihm zugeordnet. Vgl. Klopst. 14. sc. (s. 140): Hopt, eile, fleug hinunter zu den Cherus- kern und sag' ihnen, ruf es ihnen laut zu, dass es alle, alle wissen! Wenigstens würden die erklärer besser auf diese stelle, als auf Lessings Emilia Galotti III, 4 verw^eisen.

XORTHEIM. ROBERT SPRENGER.

LITTEEATUE.

Goethes werke. Herausgegeben im auftrage der grossherzogin Sophie von Sachsen. Band 3. 28. 29. 43. 44. III. abteilung. Tagebücher. Band 4 (bis 1812). IV. abteilimg. Briefe. Band 6 8 (bis juni 1788).

Vor dem beginne meines berichts über die bis zum Oktober 1891 weiter aus- gegebenen bände der grossen Weimarer ausgäbe (mit ausnähme der naturwissenschaft) müssen wir den &tol änoTQÖnawi ein gebührendes opfer darbringen; denn die Wei- marer redaktion hat sich gedrungen gefühlt, in ihrem „Goethe -Jahrbuch" (XII, 275 281) meine in dieser Zeitschrift XXIII, 294—349 gemachten ausstellungen als unbe- rechtigt abzuweisen. Ohne mich auf hohle worte und stumpfe stiebe einzulassen, möchte ich die wesentlichen tatsacheu richtig stellen. Hätte man vor dem übereilten

ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXIV. ^»^

514 DÜNTZER

entschlusse, gleich mit einer grossen, von Scherer schon früher geplanten Goethe- ausgabe hervorzutreten, sich um den zustand der ausgäbe lezter band gekümmert, so würde man sich gehütet haben , dieselbe nur mit ausschluss der in die äugen sprin- genden druckfehler widerzugeben. Doch die redaktion behauptet noch heute, dass diese „Goethes werke in der ganzen gestalt und auordnung biete, worin sie der dich- ter der nachweit hinterlassen weite". Das ist so wenig richtig, dass vielmehr die änderungen der auordnung, welche der Verleger mit rücksicht auf die stärke der ein- zelnen bände sich erlaubte, dem dichter zu bitterm ärger gereichten und gereichen musten. Schon dadurch wiu'de diese verlezt, dass die anmerkungen zum „Divan" einen besondern band bildeten. Vom siebenten bände wurden die vorspiele und die theaterreden, vom achten, der „Götz" und „Egmont" enthielt, „Stella" und „Clavigo" vom Verleger wilkürlich ausgeschlossen. Diese kamen nun gar erst hinter den band der drei klassischen stücke, der nach dem willen des dichters auch den aus gleicher rich- tung hervorgegangenen unvollendeten „Elpenor" aufnehmen solte. Weil aber der band dadurch drei bogen zu stark geworden wäre, liess man diesen als wunderlichsten vor- reiter den folgenden beginnen, der nach den von „Götz" und „Egmout" widerrechtlich getrenten stücken „Clavigo" und „Stella" auch den anfang des singspielbandes brachte. Den rest desselben mit den früher für den sechsten band bestimten vorspielen und theaterreden brachte der elfte band, der keinen räum für das hatte, was nun weiter folgen solte, die maskenzüge, die Karlsbader gedichte und „Epimenides' erwachen". „Faust" bildete jezt, da der anfang des zweiten teiles hinzutrat, den zwölften, die früher damit verbiindenen mancherlei gedichte und die aus den früheren noch rück- ständigen Sachen den dreizehnten band. Die vorher im elften stehenden noch übrigen dramatischen stücke fanden sich jezt im vierzehnten, von denen niu das unvollendete lustspiel „die aufgeregten" und „die Unterhaltungen" zurückbleiben musten. Nun kam wider eine andere absonderlichkeit. Unmittelbar auf die dramatischen bände solte der epische folgen, wie schon in der ersten und zweiten Cottaschen ausgäbe; da aber aus den früher bestimten elf bändÄ auf die angegebene weise vierzehn geworden waren, so muste der arme epische sich gefallen lassen, hinter alle pro- saischen zu treten und den schluss zu machen. Diesen tatsachen gegenüber nimt sich die behauptung eigentümlich aus, die auordnung der ausgäbe lezter hand sei die vom dichter beabsichtigte. Die redaktion muss es wirklich geglaubt haben, und so nimt denn bei ihr auch „Elpenor" die tolle stelle ein, die der Verleger oder der faktor aus rücksicht auf die stärke der bände ihm angewiesen hatte. Was die recht- schreibung und satzzeichnung, die äussere „gestalt" der werke betritt, so hat die redaktion gar nicht gefragt, wie Goethe diese gewünscht, welche grundsätze er befolgt wissen wolte. Aus der art, wie die ausgäbe lezter hand almählich zusammengekom- men, ergab sich die vom dichter nicht beabsichtigte Ungleichheit der behaudlung in wortformen und satzzeichnung. Von den drei bänden der gedichte wurde der erste ende 1805 und in den beiden ersten monaten des folgenden Jahres mit Eiemers hülfe genau durchgenommen. Die dort sichtlich zu gründe liegenden und durch- geführten grundsätze müssen für die gedichte massgebend sein; denn der 1814 hin- zugetretene zweite band und der erst 1826 zusammengestelte dritte wurden rasch abgefertigt, und unmöglich kann Goethe beabsichtigt haben, hier eine Ungleichheit der behaudlung in der ausgäbe lezter hand walten zu lassen, die bloss folge der bequemhchkeit war, da der dichter sich die mühe ersparte, die drei bände hinter- einander durchzugehen, um jede ungleichmässigkeit möglichst abzustellen. Eine neue kritische ausgäbe muss jedes schwanken in rechtschreibung und satzzeichnung mit

ÜBER GOETHES WERKE (WEIM. AUSGABE) 5l5

vorsichtiger Unterscheidung abstellen, wobei es sich gar lucht um das innere loben han- delt. Der von der redaktion beliebte mehr als schielende vorgleich mit dem übermalen ist ein wolfeiler spass. Wir wissen, dass Goethe auf eigentümlichkeit in der recht- schroibuug iind satzzeicbnung nichts gab, sogar sich einige ihm widerwärtige neue formen augenblicklich aufdrängen liess; er wünschte, dass alles dem gangbaren gebrauche gemäss sei, nichts die leichte auffassung seiner dichtungon iiindero, wes- halb er das äussere meist der druckerei überliess, da diese dessen einrichtung ara besten kenne. Ein neuer herausgeber kann nicht schlimmer seines amtes walten, als weiui er die folgen der nachlässigkeit der niederschrift oder des druckes zu seiner eigenen bequemlichkeit wie eine ewige krankheit sich forterben lässt.

Was insbesondere die ausstossung eines metrisch nicht zählenden e oder i betrift, so übergeht der Vertreter der redaktion, dass gerade Goethes behand- lung des ersten bandes der gedichte zeigt, wie er es hiermit gehalten wissen wolte, und dass wir unmöglich annehmen können, eine Verschiedenheit sei in den späteren gedichtbänden beabsichtigt gewesen. Und ist es nicht die ärgste Versündigung, dem Sänger der wollautendsten lieder ein so unempfindliches ohr beizumessen, ihn nicht erkennen zu lassen, welch ein glückliches mittel die ausstossung jener vokale bietet, um dieselbe wortform in verschiedener metrischer messung zu vei^wenden! Die redaktion hat es erreicht, dass hierin ihr Goethe hinter allen dichtem der zeit zuräcksteht, die unform der form vorgezogen ist. Glücklicherweise ist der heraus- geber des „Divans" darin von dem der „gedichte" abgewichen, wodurcli freilich ein bedenklicher riss in den grundsätzen der ausgäbe entsteht. Doch die redaktion gefält sich in der behauptung, dass der von ihr gegebene text nicht ein einziges woii, nicht eine silbe entstelle, die nicht wirklich von Goethe herrühre oder, wie sie kleinlaut hinzufügt, auf ihn zurückweise. Nun das können wir von unseren änderungen auch getrost sagen, die eben dem dichter zu seinem vollen rechte verhelfen. Dass auch kein buchstabe zugesezt sei, darf die redaktion sich nicht lühmen. Das gedieht „Ilmenau" allein ist zweimal (51 fg.) durch ein neu eingeschobenes * entstelt worden, wodurch anapäste hineingekommen, die sonst in diesen 194 versen streng gemieden sind. Vielleicht sah der Sprecher der redaktion auch in dieser verderbung ein lob, wie er es mit feinem ohre aus allen meinen ausstellnngen heraushörte. Ja wir sollen es der redaktion verdanken, dass sie die tagebücher und die höchst ungeschickt geplante samlung der briefe, Gott weiss wie! herausgegeben hat, als ob sie das archiv mit diesen schätzen erst gegründet und nicht das versäumt hätte, was vor allem zu tun war. Hätte sie nicht den unglücklichen gedanken gehabt, gleich eine gesamtausgabe Goethes zu liefern, so könten die tagebücher und die ungedruckten briefe, gedichte und entwürfe uns schon volständig gedruckt vorliegen; dann wären auch die ersten bände nicht so übereilt worden, wie wir es jezt beklagen müssen. „Im räume stossen sich die dinge und zum laufen hilft nicht immer schnell sein", schliesst wolweisHch die redaktion. Ich aber habe immer gemeint, man solle nur tun, was an der zeit ist; und das war nach eröfnung des archivs die möglichst rasche Veröffentlichung des für die forschung bedeutenden ungedruckten, während uns jezt im notwendig langsamen fortschritt der gesamtausgabe manches noch immer vorenthalten ist, zum teil noch einige zeit bleiben wird, dessen rasche mitteiluug wir nach der langen sperre entschieden fordern musten.

Doch wenden wir ims zu den neuen bänden, so gibt der dritte den entspre- chenden der ausgäbe lezter hand wider, gröstenteils in der alten Verwahrlosung; nur zwei spätere gedichte sind zweckmässig der abteilung „Gott und weit" einverleibt.

33*

516 DÜNTZER

Wie weit die lust am alten falschen geht, mögen ein paar beispiele zeigen, da der raimi zur beschränkung nötigt. Im gedichte „Juni" wird v. 12 das entstelte „mühlen und rändern" beibehalten, obgleich jeder aufmerksame leser findet, dass es rädern heissen muss. Auch für den herausgeber hat dies „viel bestechendes", doch sollen sich die mühlen auf die bäche und die r an der auf die wiesen des vorhergehen- den verses ungezwungen beziehen lassen. Das ist doch der gipfel der misdeutung zu Goethes Unehren. Abgesehen davon, dass wiesen mit rändern nichts zu tun haben, muss nach dem vorhergehenden verse: „bächen und wiesen und dergleichen" etwas neues folgen, das der dichter bei weiterm verfolgen des tales sieht als „schönste zeichen", dass bald das beschränkende tal aufhört. Bäche können freilich mühlen treiben, und ränder haben wiesen so gut Avie alles sichtbai'e; aber dass räu- der hier wiesen sein sollen, gehört zu derselben erklärungskunst, die in der „Braut von Korinth " salz zu Weihrauch machte. Vier verse später lesen wir in folge der so häufigen verwechslimg von wir und mir: „Bis mir an garten und haus". Schon Göttling vermutete hier wir; dies war die lezte nummer auf einer längern ver- besserungsliste , von der Goethe fast alle vorschlage annahm, diesen lezten strich er. Da ihn die durchsieht so viele]' stellen ermüdet hatte, wird er unsere rasch abgefertigt, sie nicht im Zusammenhang des gedichtas betrachtet haben. Doch der herausgeber gesteht die möglichkeit, dass Göttling sie selbst durchstrichen habe, ehe er die liste einsante! Aber auch Goethes Verwerfung würde nichts weiter bezeugen, als dass er eüien augenblick meinte, bis mir könne für bis zu mir (bis zu meinem hause) ste- hen. Der Zusammenhang fordert notwendig wir. Der dichter wandelt mit der gelieb- ten lange über weite felder, bis er endlich in der ferne garten und haus sieht, alier nicht sein früher bewohntes, sondern ein, wie das tal und die grosse fläche, von der einbildung ihm vorgespiegeltes, wobei jedem Goethekenner der schluss des liedes „An die erwählte" einfallen wii'd. Der lebendige geist des gedichtes vorui-teilt den druck- fehler, der jenen tötet; was die Weimarer ausgäbe, gestüzt auf ein flüchtiges mis- Verständnis des dichters selbst, genehmigt. Ein anderes beispiel entnehmen wir den besonders in der zweiten hälfte sehr vernachlässigten „Xeuien". Kurz vor dem Schlüsse der ersten lesen wir (788 fg.):

Tag für tag wird wider willen klüger,

Amor jubiliert und Mars den krieger. Um das wunderliche den zu halten, nimt der herausgeber, abweichend von seinem früheren rettuugsversuche , den lezten vers als anrede: „Bringt nach der langen fehde beide kriegerische götter zu ruhe". Diese anrede fiele ja wie das glück aus der wölke. Das schalkhafte Tag für tag wird wider willen klüger " ist offenbar im lezten verse ausgeführt: die liebesglut feiert endlich und auch der kriegsmut, weil die kraft ver- sagt. Man erinnert sich dabei der äusserung des alten Sophokles , er freue sich, dass er endlich dem Eros entronnen. Jubilieren soll hier nach dem herausgeber heissen „zur ruhe bringen", was nur dann möglich, wenn es nach quiescieren, diesem gleichsam parallel, steht. Der dichter spricht hier seine eigene erfahruug aus, dass es, wie Faust kurz vor seinem ende sagt, jezt weise und bedächtig gehe, da die kraft geschwimden, er alt geworden sei. Von unglücklich beibehaltenen Satzzei- chen sei nur das punkt nach dem vierten vers des gedichtes „Dank des Paria" angeführt, das so ungeschickt wie nur möglich das engverbundene trent. Gern gestehen wir, dass dieser band sauberer gearbeitet ist als die beiden ersten, wenn auch manches uns anstössige geblieben ist, wie bei aufüliruug von handschriften „Blatt in Jdlms Hand" u. ä., wo der Sprachgebrauch von verlangt. Grossen wert hat auch

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dieser band durch die mitteilung der haiulschriftlielicn Icsarteu. violer früher ver- suchten überschritten und der tagebuchangaben, da die ausgäbe der tagebücher noch nicht zu der zeit gekommen ist, welcher die meisten hier gedruckten gedichte angehören. Bei den „Xeuien" hat der herausgeber übersehen, dass die abweichung des druckes von der handschrift auf einer Veränderung des dichters bei der korroktur beruhen kann. Wichtig ist die künde, dass zur Übertragung von njelii'eren neugrie- chischen heldenliedern Goethe durch eine aufforderung des redakteurs Buchen vom 3. februar 1822 veranlasst wurde, der die wörtlichen französischen Übersetzungen von einem Neugriechen sante. Freilich reicht Goethes kentnis dieser lieder und der warme anteil an ihnen viel höher hinauf. Den schluss bildet dio sehr erwünschte berichtigung einer früheren ausserordentlich falschen angäbe des herausgebers über die entstehung des Totentanzes, die sogar Goethes August zum kutscher machte. August hatte ihm die totentanzlegende, sein Schreiber John das Thüringerwaldmärchen von Eckart erzählt.

Die bände 28 und 29 bringen die beiden lezten bücher von Dichtung und Wahrheit" nach den in den ersten befolgten grundsätzen. Dabei erhalten wir ein unterdrücktes Vorwort zum dritten bände, Schemata zu grösseren und kleineren abschnit- ten, ältere ausführungeu , die also besser geordnet und sauberer zu geben waren, und viele angaben aus den tagebüchern, die in den beiden ersten büchern weniger reich- lich gegeben waren, als die tagebücher sie wirklich darbieten, wodurch auf die ent- stehung derselben ein helleres licht fält, als die einleitungen der neuen ausgäbe gewähren. Der abdruck der ursprünglich zum achtzehnten buche bestirnten „Aristeia der mutter" (bd. 29, s. 231 238) briugi ausser einer einleitung nur die von Bettinen dem dichter im jähre 1810 gemachten berichte, woraus sich denn ergibt, dass Goethe, was man früher bezweifeln durfte, die im Briefwechsel mit einem kinde enthaltenen erzählungen wirklich vor dem erscheinen des ersten bandes von „Wahrheit und dichtuug" erhielt und an der Zuverlässigkeit derselben nicht wesentlich zweifelte, wenn er sie auch damals nur teilweise benuzte. Freilich zum achtzehnten buche passte diese späte hervorhebung des wunderbar frischen und eigentümlichen wesens der mutter nicht, wenn dieses auch bei der anwesenheit der grafen Stolberg, welche die Veranlassung zu dieser ausführimg gab, sich im volsten glänze zeigte-, gerade hiervon hatte Bettine ihm nichts berichtet, so dass Goethe diese darstellung ganz aus eigener erinnerung schöpfen muste. Nachträglich werden noch zwei Schemata des lebens mitgeteilt, von denen das eine, eigenhändig geschriebene, in sechszehn num- mern bis zui* Karlsbader reise fülut und mit einem bericht über die erste ausgäbe seiner werke endigt, die 1791 abgeschlossen wiu'de; das noch vorhandene stück begint unter nr. 8 mit 1772 und der bekantschaft Mercks, das Weimarer leben mit m-. 11. Die sieben ersten nummern wurden wol vernichtet, weil sie in den drei ersten bänden ausgeführt waren. Das andere, Riemer diktierte, reicht bis zui' Vollendung des Schlossbaues im jähre 1803; es besteht aus 25 nummern in vier abschnitten, von denen der zweite mit Leipzig, der dritte mit Weimar, der lezte mit der italieni- schen reise begint. Dass au manchen stellen dieser beiden bände das richtige her- gestelt ist, wie schon in der Loeperschen ausgäbe und anderswo, versteht sich von selbst; aber das ist keineswegs überall geschehen, ja einmal der Wortlaut durch auf- nähme einer falschen Vermutung des herausgebers entstelt. Im elften buche s. 57, 14 hat die erste ausgäbe vor anführung der verse, die, wie wir jezt wissen, ui-sprüng- lich im gespräche Fausts mit Wagner standen, nach den werten „und den raschen derben ausdruck desselben" punkt. Die an druckfehlern reiche zweite ausgäbe sezte

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statt dessen komma, und dieses fortgepflanzte komma nimt auch, unser herausgeber auf, glaubt sich aber dabei zur änderung genötigt „der rasche derbe". Aber die les- art der ersten ausgäbe war herzustellen, da sie durchaus siugemäss ist. Daselbst s. 66, 18 ist mit recht mit Sehrwald das durch versehen eingedrungene erholung geändert, dagegen s. 331, 25 desselben gelehrten eben so notwendiges pikanten statt des faden be kanten nicht einmal eines wertes gewürdigt. Noch immer ist eine herrliche Schadenfreude (s. 137, 23) stehen geblieben, mit einem der allerhäufigsten druckfehler, da herzlich mit Schadenfreude verbunden wird, nicht herrlich. Goethe würde bd. 29, 16, 13 unbedenklich Sosius statt Sosias ange- nommen haben, wäre er auf den fehler hingewiesen worden. Daselbst s. 57, 16 sind die Worte „liebende Seelen werden nachstehendes ereignis mit wolgefallen aufnehmen" sichtbar verschoben; sie gehören unmittelbar vor die z. 24 beginnende erzähhmg des ereignisses. Unser herausgeber hat für diese beibehaltene unschickhchkeit kein wort. Eigentümlich ist der fall s. 63, 11. Gedruckt steht: „Unmittelbar droht ihnen [den jungen gatten, die sich honigmonle versprechen] eine weit mit unverträglichen forde- rungen". Ich hatte unerträglichen vcrrlangt. Der herausgeber schreibt wunderlich: „Düntzers conjektiu- unerträglichsten ist auch hier haltlos", wobei ich nur bemerke, dass mir unerträglichsten hier leichtfertig untergeschoben wird. Wir vernehmen jezt, ursprünglich habe es dafür absurden geheissen, Goethe aber, weil in der folgenden zeile absurd steht, dafür am rande unverträglichen verbessert, was nicht genau dem freradwort entspricht, das abgeschmackt, widersinnig, ungereimt bezeichnet. Dass Goethe in der eile unverträglichen geschrieben, liegt vor; ob dieses aber nicht ein Schreibfehler statt unerträglichen gewesen, darf man zweifeln. Freilich ist unverträglich im sinne von unvereinbar nicht geradezu verfehlt, wenn man versteht: „unvereinbar mit ihrem verlangen, sich möglichst dem genusse ihrer liebe in der stille hinzugeben"; aber unerträglichen spräche dies bezeichnender aus. Sonderbar bezieht der herausgeber unverträglich auf den man- gel an mitteln, dessen nur nebensächlich gedacht war.

Eine wenig angenehme Überraschung war das erscheinen der Übersetzung des Cell in i in band 43 und 44, da viel wichtigeres zurück ist, wie der epische band (der auch die so lange erwartete mitteiluug über den handschriftlichen bestand der bruchstücke des „ewigen Juden" bringen muss) und die weitere fortsetzung der tage- bücher. Die ausgäbe des Cellini von Strehlke hatte schon allen wesentlichen anfor- derungen entsprochen, und die neue kann kaum als wirklicher fortschritt gelten, wenn sie auch dadiu'ch bedeutung erhält, dass sie die handschriftlichen lesarten verzeichnet, mitteilungen aus den KoUektaneen zur neuen bearbeitung von 1798", ein volständiges Schema zum „anhang", endlich einen aufsatz „Gebirge von Norcia" bringt, über dessen autor der herausgeber in zweifei ist, obgleich derselbe offenbar ein diktat Goethes. Dass es an Sicherheit des urteils bei der auswahl der lesarten gefehlt, ergibt sich schon daraus, dass der herausgeber bei abfassung der sogenanten „lesarten" an mehr als fünfzig stellen seine ansieht geändert hat, meist mit so gutem rechte, dass man kaum begreift, wie er früher hatte anders entscheiden kön- nen. Über manches einzelne möchte man rechten, so über die einführuug des gemei- nen „körnt" statt „komt", die beibehaltung von pintakel, wie Goethe nach dem älte- ren itahänischen pintaculo schrieb, während aus negromant das richtige nekro- mant geworden, und ähnliche Ungleichheiten.

Von Goethes tagebüchern liegt leider nur ein einziger weiterer band vor, der die Jahre 1809 1812 enthält. Die beiden lezten jähre sind von einem andern

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mitarLeiter gegelien als die ersten; aber glücklioherweiso hat Wähle, dem wir den dritten band verdanken, den ganzen kritischen apparat geliefert. Yon hervorragender bedeutung sind diese jähre für die entstehung der „Wahlverwautschaften " und der beiden ersten bücher von „Dichtung nnd Wahrheit", für (loethes Verhältnis zu Bet- tinen und den aufenthalt in den böhmischen bädern. Auch die bestrittene Zusam- menkunft Goethes mit Beethoven zu Karlsbad im September 1812 wird durch den eintrag des tagebuchs vom 8. verbürgt. Höchst dankenswert erscheinen die den „les- arton" eingestreuten sachlichen angaben, da eine volständige erläuterung einmal aus- geschlossen war; sie enthalten manches unbekante und sind meist durchaus genau und zuverlässig. Bemerken möchte ich nur zu 201, 3 fg., dass des hier aus den „Anna- len" erwähnten abbrennens auf dem landgrafenstein schon im tagebuch selbst unter dem 16. Januar gedacht ist, und zu 262, 13, dass die beschäftigung mit dem zwei- ten buche Mosis bereits am 7. märz vorkomt. Die wenigen druckfehler sind meist unter den „lesarten" und dann noch am Schlüsse, kleinigkeiten abgerechnet, volstän- dig verzeichnet, während beim dritten bände einige zum teil bedeutende übersehen sind: 75, 11 Güner (Grüner), 80, 16 Heum (Heun), 103, 14 fg. Zauobio (Zenobio), 128, 20 fg. Astrologische (Osteologische), 162, 19 fg. Poduk- tion (Produktion). In unserem bandeist s. 3, 7 Nachrichten ein versehen.

Zwei weitere bände der b riefe hat von der Hellen geliefert. Der abdruck ist mit grosser genauigkeit und den erwünschten angaben über das äussere der briefe, ausgestrichene, überschriebene und veränderte Wörter oder silben, erfolgt, so dass man sich ein volständiges bild der briefe machen kann, so weit es ohne facsiraile möglich ist. Die bände bieten eine auzahl zum teil bedeutender bisher ungedruckter briefe an den herzog, den minister von Fritsch, Lavater, den komponisten Kayser und andere einzelne, von denen der an den hofrat Albrecht, den lehrer \uid reise- bcgleiter des prinzen Konstantin, am merkwürdigsten sein düi'fte. Auch erhalten wir bisher unterdrückte stellen bekanter briefe, wobei nur übersehen ist, dass einiges aus den briefen an Lavater schon in der saralung von Hegner sich findet. Nur einmal wird eine etwas harte stelle über den prinzen Konstantin in einem briefe an Knebel ausgelassen, obgleich sie kaum schärfer sein kann als manches, was aus Goethes und des herzogs sonstigen äusserungen über ihn bekant ist. Zu unserm tröste vernehmen wir, dass keine briefstelle unterdrückt werden soll, ohne der lücke zu gedenken und den Inhalt kurz anzudeuten. Einige promemorias, die mit unrecht als briefe an den herzog eingereiht sind, selten ausgeschlossen sein, auch wo sie saclilich anzie- hend sind.

Leider waltet über der briefsamlung der Weimarer ausgäbe ein böses Schick- sal, das sie durch den ungeschickten, etwas unmögliches (nämlich die richtige datierung aller briefe) sich vorsetzenden plan um so mehr verdient hat, als das, was wirklich zu leisten und dringend gefordert war, darüber versäumt wiu'de: die rasche Veröffentlichung aller bedeutenden noch uugedruckten briefe, statt der Unterbringung in einem solchen langsam zu tage tretenden kongiomerat. Wie schlimm es um die drei ersten, unter verschiedene mitarbeiter zersplitterten bände steht, weiss jeder kundige, der sich um die sache kümmert, so dass man schon an einen umdruck gedacht hat, der aber nur dann anzui'athen wäre, wenn die anordnung der briefe in den folgenden bänden überall die wirkliche Zeitfolge darstelte. Schon beim dritten bände sah die redaktion sich veranlasst, ein Sündenregister zum zweiten, das aber nichts weniger als volständig war, zu geben und eine anzahl briefe umzudatieren. So war denn der schöne plan vereitelt, alle briefe in der folge, wie sie geschrieben

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worden, dem leser in die hand zu gehen. Freudig begrüsste ich es, als die beaihci- tung der samlung mit dem vieiien bände in die bände eines sorgfältigen und kun- digen mannes übergieng, der sich schon um den dritten verdient gemacht hatte. Aber meine gespante erwartung wurde leider getäuscht, gröstenteils in folge der unüberwindlichkeit der im plane liegenden Schwierigkeit, alle briefe zu datieren; denn diese verleitete den herausgeber, haltepunkte zu finden, die tatsächlich nicht vorlagen. Einiges arge in den drei ersten bänden habe ich in den „Grenzboten" aus- gehoben; die folgenden bände liess ich ruhig ihres weges gehen, nur habe ich in meiner eben erschienenen schrift „Zur Goetheforschung" s. 210 216 einige fälle aus dem vierten bis sechsten besprochen, olme noch zu ahnen, wie weit das übel reiche.

Es handelt sich da nicht bloss um irrige datierungen und lesungeu, sondern auch um falsche ergänzungen. Staunen muss jeder, der die Verhältnisse kent, in einem bisher unbekanten briefe an Fritsch vom 20. febr. 1779 zu lesen: „Serenissimus wollen hoffen, dass Voigi in jetziger krise sich der gnade, die Sie für ihn tragen, nicht ganz unwürdig machen werde, haben mir auch aufgetragen, ihn deswegen zu verwarnen". Der damalige regierungsrat Voigt hatte mit der hier gemeinten krise der militärkommission nichts zu tun, und war -keineswegs der manu, von dem Goethe so verächtlich sprechen konte. Im briefe steht V., das natürlich Volgstädt zu ergän- zen; es ist jener „dicke" gemeint, der Goethe bei der militärkommission so hinder- lich war, dass er nicht ruhte, bis er sich seiner entledigt hatte. Auf diese Verhält- nisse wirft unsere äusseruug neues licht. Nicht weniger stiess ich an, als ich im längst bekanten und richtig gedeuteten briefe an Lavater vom 17. Oktober 1779 gedruckt fand: „Was der treue Cameralische Okulist mit dem Braunschweiger herzog will, versteh' ich ausser dem Zusammenhang nicht". Wie komt hierher der damalige herzog Karl, mit dem Goethe und Lavater in gar keiner Verbindung stan- den! Das ist eben mir eine neue arg verfehlte ergänzung; denn statt Brauu- schweiger steht geschrieben „Br.", was man längst nach Goethes bekanter abkür- zung „Bruder" gelesen hat; bedürfte es einer bestätigung, so gäbe sie das darauf folgende brüderlich. An manchen stellen hat der neue herausgeber richtiger gele- sen, doch an einigen hege ich mehr oder weniger starke zweifei. Dazu gehört auch der schluss des briefes an frau von Stein 2087: „Herrn von Holz wall ich, wenn der herzog [vom Eheine] zurückkomt, erinnern". Statt Herrn von las Scholl „N S", Fie- litz „H. E v."; von der Hellen sah hier bloss H mit einem gewohnten Schnörkel und v. Ohne einsieht der handschrift habe ich ein nachlässiges N B vermutet; ob das mög- lich, weiss ich nicht, aber wol, dass hier nicht von einem herrn von Holtz, der kammerherr in Eisonach [seit wann?] war, die rede sein kann, sondern es sich um die jährliche lieferung von holz handelt, wie der brief vorher der von körn gedacht hat. Der herzog hatte der freundin für dieses jähr mehr holz zugesagt; daran wolte Goethe den herzog nach seiner rückkunft erinnern.

Erst der siebente band brachte wider berichtigungen zm- ganzen samlung und zwar in sehr beträchtlicher zahl ; ihr waren auch einige " von mir in den Grenz- boten" gegebene „eingereiht", die als begründet anerkant seien. Aber sehr grobe hatte man ruhig stehen lassen; es genüge zwei beispiele anzuführen. Dass die briefe an Kestner 175 und 196 ein voreQov nQÖTSQov seien, teile desselben Schreibens, des- sen schluss zwanzig nummern vor dem anfange steht, habe ich gleich nach dem erscheinen von Goethe und Werther " ausgesprochen und bei manchen gelegenhei- ten, wo ich der beziehimg zu Lotten und Kestner zu gedenken hatte, widerJiolt. In

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"Weimar wüste mau dies nicht oder schlug es in den wind, bis neuerdings prof. Edni. Götze die Sache durch einsieht in die briefe selbst bestätigte. III, 198 steht der unsinn: „Zu Zech. Gegen Schreiber", noch in vollen ehren; die „lesarten" führen bloss an „Geg. Schreiber". Pröhlo hat längst bemerkt, dass es heissen müsse: ,, Zu zehnt- gegenschreiber", und der gemeinte zchntgegenschreiber zu Goslar, den Goethe besuchte, Volkmar gcheissen. Aber Pröhles aufsatz in „Goethe und der Harz", aus dem auch das rogister des siebenten bandes einiges hätte lernen können, scheint in Weimar unbekant, iind so lesen wir denn in eben diesem register wörtlich: „Zech (Zehent?), gegeuschreiber (controlleur) im bergwerk zu Ocker". Stärker kann man die wahi- heit unmöglich entstellen.

Wir sind weit entfernt, die grossen Verdienste zu verkennen, die der tüchtige herausgeber sich um diese bände erworben hat; aber das über sie verhängte misgeschick hat auch ihn ergriffen. Was die datiorung der briefe betrift, so hat er oft zu rasch geschlossen, auch einzelne umstände ausser acht gelassen, die zur Zeitbestimmung dienen können. So ist es bei den briefen an frau von Stein zuweilen von Wichtigkeit zu wissen, dass damen die zeichenschule nur mittwochs und sonnabends besuchten; auch dass das Hamburger „politische Journal", das Goethe eine zeit lang regelmässig ihr zusante, am anfange und in der mitte des monats erschien. Von den zahlreichen fällen, wo mir eine Zeitbestimmung verfehlt oder bedenklich scheint, will ich hier nur eines wichtigen gedenken. Auf den 31. august 1785 (2151) versezt die neue ausgäbe die zeilen, mit denen Goethe von der freundin abschied nahm, als er ihren Fritz auf eine reise mitnalim. Freilich ist die anordnung der briefe in der hand- schriftlichen samlung häufig irrig; aber um von derselben abzuweichen, bedarf es doch eines durchschlagenden grundes, und einen solchen vermisse ich trotz der lan- gen auslassung in den „lesarten", die über Goethes Verhältnis zu frau von Stein nicht zutreffend berichtet. Die durch nichts begründete neue datierung verwickelt den herausgeber in Schwierigkeiten, die er durch eine sehr kühne, ja, wenn man alle umstände erwägt, unmögliche annähme lösen will. Als einzige möglichkeit ergibt sich, dass die zeilen geschrieben worden, als Goethe Fritz auf seine erste grössere reise mitnahm, am 22. September 1781. Die werte: „Da es scheint, als ob unsre mündliche Unterhaltung sich nicht wider bilden wolle", beziehen sich nicht auf eine eingetretene Spannung, die seinen besuch verbiete, sondern auf die Unmöglichkeit, die freundin noch vor der abreise allein zu sprechen, und sie gewinnen ihre erklä- rung durch die kurz vorher geschriebenen zeilen 1319, worin er gemeldet hatte, er werde bald sich einstellen, um Fritz abzuholen. 2151 ist antwort auf ihre erwide- rung: sie sei verhindert, ihn noch vor der abreise zu emj)fangen, Fritz werde sich bei ihm einstellen. Die haltlose datierung bringt nicht allein ohne alles recht eine trübung der liebe in diese zeit, sondern auch einen Widerspruch, da wir aus 2155 sehen, dass Goethe am abend des 31. august 1785 wirklich bei frau von Stein gewe- sen, aber frühe weggegangen war, um sie nichts von dem schmerze merken zu las- sen, den ihm ein verbissener zahn machte. Ein paar mal hat von der Hellen seine gemachte datierung gleich in den „lesarten" zurückgenommen, so bei 2128 nach einer übersehenen feststellung Suphans, 2330 nach meiner datierung. Die zeilen 2082 sind nach einer „scheinbar unerschütterlich festen Verknüpfung" auf den 21. märz 1785 gesezt; trotzdem sollen sie nach den „lesarten" wol in den ajiril 1786 ge- hören; beide ausätze sind unmöglich, da die werte, er sei wider „auf guten wegen" auf eine überstandene schwere krankheit, gewiss nicht auf ein zahnleiden und eine geschwollene backe deuten. Längst habe ich den brief richtig in den januar 1801

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gesezt. „Herders büchlein" ist ein bändchen der Kalligone ", mit dem er vielfach übereinstimmen konte.

Die Unmöglichkeit, alle briefe sicher zu datiei'on, und die notwendigkeit, manche aus offenbar nichtigen gründen, um sie nur unterzubringen, an der stelle zu geben, wohin der frühere herausgeber sie zum teil aus gleiclier Verzweiflung gesezt hatte, fielen einem so wahrheitliebenden forscher doch endlich so auf das herz, dass er bereits im anfange der „lesarten" zum vierten bände erklärte, in zukunft die „durchaus undatierbaren Schriftstücke" zu besondern gruppen zusammenstellen zu wol- len. So war denn der plan der redaktion als verständigerweise unausführbar durch- brochen, und zu dem bisherigen Wechsel der behandlung noch ein neuer hinzugetre- ten. Der hauptvorteil, den man von der samlung sich versprochen, alle briefe in der folge zu lesen, wie sie im laufe der zeit geschrieben waren, war als unmöglich aufgegeben; geblieben der nachteil, dass man den umfangreichen halben briefwechsel mit der Stein, dem herzog, Schiller und Zelter sich in einem so seltsamen durch- einander noch einmal kaufen muss. Der herausgeber aber war durch sein mistrauen veranlasst worden, in die gruppe der undatierbaren briefe vor der italienischen reise, die er im sechsten bände gründete, einzelne aufzunehmen, deren zeit sich wenig- stens annähernd, weim auch nicht auf den tag, bestimmen Hess. Sein misgeschick, dass er auch einen später fallenden brief in diese gruppe hineinzog, hat er selbst offen gestanden.

In den „lesarten" hat der herausgeber manche sprachliche und sachliche erläu- teruugen gegeben. Auch jnit diesen können wir nicht immer übereinstimmen. So ist es völlig verfehlt, bei der äusserung: „Ich habe ... etwas an meiner gebürgs lehre niedergeschrieben" (2132), an den „roman vom weltall" zu denken, da offenbar von einer wissenschaftlichen darleguug seiner geologischen ansichten die rede ist. Noch weniger versteht man, wie der satz an Knebel (1876): „Emige exemplare der gedichte zum geburtstage der herzogin lege ich bei ", den Worten zuwider auf das gedieht zu Knebels geburtstag bezogen werden konte. Wenn es 2158 an frau von Stein heisst: „Sehr schöne indianische geschichten haben sich aufgetan", so geht dies offenbar auf indische erzählungen, wahrscheinlich auf die im nächsten briefe erwähn- ten Apologues et contes orientaux von Blanchet, wie man längst erkant hat, nicht auf die kämpfe der ostindischen kompagnie. Der in brief 2335 gemachte Vor- wurf deutet nicht auf Jacobi, sondern auf die „Ephemeriden des theaters und der litteratur", die eben begonnen hatten, scenen aus der „Iphigenie" abzudrucken. Man- ches bedeutendere, was wir ablehnen müssen, bedürfte weiterer darlegimg.

Zu grossem danke hat der herausgeber den leser durch das genaue, grösten- tcils nach einsichtigen grundsätzen zu den sieben ersten bänden entworfene register der personen und oiie sowie der erwähnungen von Goethes und Herders Schriften ver- pflichtet. Dieser dank wird um so lebhafter sein, je mehr man aus erfahrung che saure arbeit zu würdigen weiss, unzählige scharen toter zahlen zu befehligen, wobei man von grossem glück zu sagen hat, wenn nur wenige nicht gehorchen. Aber lei- der müssen wir gleich das bedauern hinzufügen, dass die verhältnismässig geringe mühe gespart wurde, auch die Postsendungen zu berücksichtigen, so dass, so weit es möglich, der ganze kreis der personen zu übersehen wäre, an welche Goethe in die- sen Jahren briefe gesant. Die entschuldigung , ein register sei nicht der ort zu Unter- suchungen über zahlreiche personen, besagt eigentlich nichts, da dasselbe von man- chen personen der briefe gelten würde, es auch, wo die personen nicht leicht festzu- stellen waren, genügt hätte einfach zu bemerken, wann briefe an sie abgesant und

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Ins zu welchem orte frankiert scieu, wie jta auch jezt mancliinal im register mir name und oi't angegeben sind. Durch genauere angaben liat sicli der horausgeber mehrfach verdient gemacht, und gern gestehe ich, dass ich manches von ilun gelernt habe. So ist hier der diener Wende, der noch im dritten und fünfton bände als Wenck ver- lesen war, richtig gestelt (zuerst VI, 476), wobei auf die „Goethe -Schriften II, 141. 38ü. Tagebuch I, 263 zu verweisen war. Viel wichtiger ist die, soviel .ich weiss, hier zum ersten mal gegebene Unterscheidung des Präsidenten des Oberkonsistoriums von Lyncker, rittorgutsbesitzers auf Flurstedt, von seinem katholischen namensvetter (die Vornamen fehlen), ritterg-utsbesitzer auf Denstädt bei Weimar. Dieser war es, mit dem Kaufmann und Klinger im jähre 1776 und 1777 zusammenkamen. Zur genü- genden bezeichnung der personen gehört auch der volle vorname, mit hervorhebung des rufnamens. Leider hat unser register diesen häufig nicht, auch wo er längst bekant oder besonders bei den weitreichenden Verbindungen des Vorstandes der Goe- thegeselschaft leicht zu ei-halten war; zuweilen sind sie der Überlieferung gemäss falsch angegeben, wie bei von Edelsheim und von Schrautenbach , dessen name nicht einmal volständig angegeben wird. Der mit fragezeichen versehene Schubart ist der bekante dichter und musiker; der auch in den Postsendungen erwähnte Cannebich, bei dessen uamen nach einem den vornamen vertretenden fragezeichen nur „in Mann- heim" bemerkt wird, war direkter der oper in München, was auf seine Verbindung mit Goethe, der ihm schon auf Jacobis rat auch seinen „Clavigo" übersante, licht wirft. Schmohl war kein schweizerischer Schriftsteller; von ihm und dem mit ihm vermischten Mochel liegen bestirnte nachrichten genug vor. Die kurze bezeichnung der personen ist ausserordentlich verschieden: bald ausführlich, l)ald ganz kurz, oft wunderbar, wie z. b. bei Christof Kaufmann, bei dem fast die hauptsache fehlt, dass er später herrnhutischer arzt war. Bei den als lebend augeführten personen genügt ihre äussere Stellung in den hier in betracht kommenden jahi'en. Manches ist irrig. Goethes freund Horu war nie lekrer und kriegszeugschreiber, sondern adjunkt des gerichtsch reibers, später gerichtschreiber. Durch druckfehler ist der geschichtschrei- ber J. M. Schmidt zum gerichtschreiber geworden. Einiges fehlt, wie der kam- merrichter gi'af von Spaur II, 104 und der Vorgänger des kunsthändlers Rost in Leipzig in, 215. An lezterer stelle wird die „Beuellische handlung" erwähnt, wozu die „lesarten" bemerken: „vielleicht Benettische". Von Leipzig war leicht zu erfahren, dass der französische kaufherr Karl Philipp (Firma Karl) Benelle hiess. Gar nicht gehört ins register der Ansbacher oberkammerherr von Pöllnitz; denn in der betreffenden äusserung an frau von Stein (2217): „Dein brief von Pöllnitz ist wider da", wäre es widersinnig unter Pöllnitz eine persou zu verstehen; es ist der ort WöUüitz bei Jena gemeint, den Goethe auch im tagebuch (im juli 1779) nach der gangbaren ausspräche Pöllniz schrieb.

Den achten band der briefe, den der italienischen reise, hat Erich Schmidt geliefert, der sich um diese schon im zweiten bände der „Goethe- Schriften" grosses verdienst erworben hat. Wir müssen, diese arbeit als eine ausgezeichnete leistung begrüssen; sehr- wenige punkte, in welchen wir anderer ansieht sind, kommen kaum in betracht. Hier zum ersten mal sind ein brief an Seidel und einer an Göschen volständig gedruckt, auch merkwüi'dige bisher unterdrückte stellen aus briefen an den herzog imd Seidel; in den „Paralipomenis" finden wir zwei französiche briefe an italienische bekante und ein spasshaftes lateinisches schreiben, das Goethe bald nach der rückkehr an den launigen piinzen August von Gotha richtete. Ein paar briefe sind richtiger als bisher datiert, an mehreren stellen ist die überlieferte lesart durch

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glückliche Vermutungen verbessert. Nicht billigen ]<anu ich 2644 die Verwandlung der hindernden magd in eine hinkende. Goethe wolte den gegensatz hervor- heben, dass, während die alte kocht, der alte herumschleicht, die magd (statt, wie sie solte, zur band zu sein) im wege steht und mehr schwazt als arbeitet. In 2610 wird meine ergäuzung zeit verworfen; aber dann müste es jedenfals ist's statt ist heissen. Im briefe 2654 ist eine zahl jedenfals verschrieben, entweder das datum des 23. oder, wie ich vermutet, das im briefe stehende 22, wofür 20 oder 21 zu setzen. Den schluss macht ein zweckmässig eingerichtetes register. Statt Cesari muss es Cesare heissen, und es solte „in Perugia" hinzugefügt sein. Auch hier begegnen wir noch den falschen vornamen von Edelsheims; Georg Ludwig hiess sein jüngerer bruder, der von dem herzog und Goethe hochverehrte geheimerat aber Wilhebn, wie ich längst angegeben habe.

KÖLN. H. DÜNTZER.

Alwin Schultz, Das höfische leben zur zeit der minnesinger. Zweite ver- mehrte und verbesserte aufläge. Leipzig, S. Hirzel. 1889. 1. band XVI, 688 s. mit 176 holzschnitten. 16 m. 2. band_504 s. mit 196 holzschnitten. 14 m. (Fortsetzung zu s. 371—401.)

S. 276] Schultz nimt hier, worauf oben (zu s. 175) schon aufmerksam gemacht ist, formelhafte zahlen mit unrecht als reale grossen an: 1000 m. heisst nicht 40000 rm., sondern „ausserordentlich kostbar".

S. 277J Anm. 3 war wol noch auf Guill. de Dole, Eomvart 538, 36 zu ver- weisen, ein beispiel das Schultz an anderer stelle (s. 300 anm. 4) selbst citiert.

S. 278] Ein fürspan (adler) aus Mainz, der Ottonenzeit angehörig (besitzer: baron von Heyl, Worms), ist jezt abgebildet Ztschr. f. bild. kuust 1890 nr. 10, 87 fig. 3; vgl. noch Schultz 1, 310 anm. 3.

S. 281] Die ringe enthielten auch wol öfter sympathische steine, vgl. Strassbur- ger urkdb. 3, 335 nr. 1118 a. 1326: Beatrix, relicta Joliannis dicti Viviantx, abba-

tisse et conventui inonasterii s. Cläre t/f dem Bossemerkete Ary donavit . . .

anmiliim bonuin cum magno saphiro siib hoc pacto, quod idem annnlus inaliena- tus apud ipsas dominas permanere debeat et quod abbatissa dominabus seil cui- libet domine de diclo convenlu, qiie indigeneiam habuerit dicli annuli pro aliqua infirmitate fuganda, ipsuni sibi p>restare teneatur. örgolt = orrinc (Altd. bl. 1, 351 und Lexer s. v.) hätte vielleicht kurz erwähnt werden können. Virg. 951 , 9 fgg. scheint mir der sinn nicht ganz klar zu sein. Es heisst: Legent an iinoer stcen- xelin Und setxent üf iur kröne Und die sidln gürtel smal, Die bisande (hs. : hi- sander) undr die kröne rieh, Die da erliuhtcnt berc und tal. Was es bedeutet „die bisande unter die krönen aufsetzen", verstehe ich nicht recht. Ich möchte ver- muten: unde die kröne rieh. Dass damit schon etwas gesagtes noch einmal neu auf- genommen wird, hat nichts verwunderliches. Was sind aber bisande"^ Wol nichts anderes als ein schmuck aus Byzantinischen goldmünzen, die wir in Skandinavien öfter zu halsbändern und anderem zierrat verwant finden, vgl. Weinhold DFr* 2, 306. Brakteaten werden als schmuck verarbeitet: Servat. ed. Haupt 548 fgg., wozu das von Frommann (Germ. 18, 559) publicierte fragment (F.) hinzuzunehmeu ist: Ein saphir u-olkinvar Der ivas sin gesedele (hs. und Haupt: geselle, F: gesedele; über gesedele Graff 6, 309; Mhd. wb. 2^ 236), In deme selben goltphedele (hs. undF; Haupt: golt- phelle) Ein jaspis schone lachte, Der da% teere gencevie machte.

ÜBER SCHULTZ, HÖFISCHES LKBRN 525

In uuseni gfdichteu strahlen alle kleinode von gokl und den kostbarsten edel- steinen: in wirklielikcit ist es sehr oft nur falscher llitterglanz gewesen. Interessant ist die folgende auslassuug des Nie. de Bibera, der von dem faber (Ivnariormii berichtet :

post hos ex auro facit alter cornua tmiro, vel iubet argentum proferre monilia centum; alter ab ere riidi viilt tintinnabula cudi, vel parat ex stagno, quod stans lupus invidet agno, sive monile cupri, quod einit rea femina stupri. Nie. de Bibera 1(386. S. 282] Hirschleder wird zu handschuhen empfohlen Lieders. 3, 564, 144: Ilirsine hüt Sint xe hantscliuchen giiot, Der dem leder rekte tuot.

S. 283] Über pfauenhüte vgl. zu lol. 372. Die mode der broitkräm[)igen hüti' scheint schon hundert jähre früher, als Schultz meint, aufgekommen zu sein, denn bereits Walther von der Vogehveide (75, 5 fgg.) erwähnt sie.

S. 284] Vgl. auch Vii'g. 135, 1 fgg. und: den spigel he or halden sol, Daz, si sich vorbinden Wl si di viäze rinden Da^ si lichte valden ebene legen Demant. 0148. Ein hinweis auf das von Schultz selbst herausgegebene Liber de ornatu mulierum (Anz. f. k. d. d. vorz. 1877 sp. 186; aufang 14. jahrh.) wäre vielleicht nicht ganz ohne nutzen gewesen. Überhaupt hätte ich manchmal einen kurzen verweis auf dies oder jenes werk ganz passend und angebracht gefunden, zumal er ja auch nur geringen räum erfordert.

S. 285] Es ist mir doch zweifelhaft, ob das anlegen des Schleiers (anm. 1) noch zum sendleichen gebahren der witwe gehört. Das non plus ulti"a von äusseren zeichen der trauer zeigt eine witwe Wig. 228, 11 fgg.: //• pfärt tvas sicarx, tmd ir geicant Du, bi der jdmer uns bekant Den si nach ir gesellen truoe, Den Roa^ der heiden sluoc. Kriemhild sizt im schatten der linde unter einem baldachin: Ein hinieldach sidln. suebet über der küneginnen rieh Grimm, Eoseng. 947. Vgl. wei- ter: Ein pkeller ir den schale bar Der die hitze undervienc, Da diu frouwe under gienc. Den truogen ob ir vier man An vier ruoten wol getan, Die wären rot guldtn Herz. Ernst B. 3110.

S. 286] Vgl. auch C. dictus Plegehar Mainzer bürger Baur HU. 2, 604 nr. 603 a. 1301. Auch Dietleip trägt ungew'öhulich langes haar: Er truoc ouch hur alsani ein maget, Der junge degen unverxaget, Da§ vür den swertve^z,el hie: Swenn er^ ungebunden He, Vor regen niohte er sieh da, mite Decken nach der valken site; Vil schone goltvar ez, schein Bit. 3265; er (Väsolt) truoc ouch hdr alsam ein tctp Ecke 165, 11.

S. 287] Die frau frisiert selbst den verehrten ritter. Dafür bietet einen interes- santen beleg Eitterpreis 251 fgg. : Die froutve die ginc alzohant Da si den seibin ritter vant. Umb sine schuldern si da swanc Ein tweheln breit unde lanc, Geivort van siden de icas klar. Von ir gestrelet ivart sin har. Also eine art frisiermantel scheint nicht unbekant im gebrauch gewesen zu sein. - Für das vorkommen der perrücken noch eine stelle: Zacheus von Himnrelsberg tritt Ulrich von Liechtenstein, der als frau Venus kämpft, als mönch (Ilsän?) entgegen: der hat an sinen lip geleit über daz, harnasch münches kleit, Ein rnünches cappen swarz gevar Und het uf sinetn heim ein hdr: Ein breitiu blatte was dern geschorn Frauend. 199, 13.

S. 288] Bei Suchenwirt trägt ein mann in den xoph ain seidein pant schon gejlohten (Wackernagel, Leseb. 1, 1280, 2). Die zopfritter sind für die Eheingegenden

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schon früher als in Österreich nachzuweisen: wir dürfen die Verbreitung der mode um 1250 dort sicher annehmen. Beweisend ist eine urkundliche notiz aus dem jähre 1283 (Baur, Hess. m"kunden 1, 121 nr. 169), wo unter den zeugen G. scultetus dic- tus xopritter auftritt. Eine solche zopfkapsel (reitel) erwähnt der Teichner (Karaj. anm. 311): E^ ist oft ein junger worden, Der sich schämt des vater ordnen Und loil stell nach der muoter inachen Mit ivunderltchen sacken. Langem har uiul engiu scheitel, Vast gepresset in ein reitel, Als man vrown gexopfet siht. Merkwürdig ist die Schilderung und motivierung der sitte, dass die Franken zur erin- nerung an Roland ihre langen härte aus den halsbergen herausziehen sollen (Karlm. 473, 46 66).

S. 289J Wolfger von Ellenbrechtskirchen scheint zeitweise auf der reise einen eigenen barbier gehabt zu haben. Darauf deuten folgende ausgaben hin: pro recepta- culis rasoriorum. xij. den. (s. 22), pro tuniea, Wilhelmi rasoris. xviiij. sei. veron. (s. 29). Später scheint die ausgäbe fiir den barbier {Rasori vi den. , Rasori iiij den., Rasori ij sol. s. 56) darauf hinzudeuten, dass er keinen eigenen mitgenommen hatte. Der erzbischof von Trier hatte einen hofbarbier: erzbischof Heinrich III. von Mainz erlässt Jekewiu, dem barbitonsor des erzbischofs von Trier, die zahlimg von 4 pfund 13 Schilling, welche er dem zollschreiber Dithmar zu Erenvels noch schuldet. Eber- bach a. 1338 Sauer Cod. dipl. Mass. 1, 3,' 192 nr. 2139.

S. 290] bruoch und bruochgürtel sind abgebildet Codex dipl. Cavensis V (1878) I. Manoscr. Membr. , Beda de Temporibus (11. 12. jahrh.) Tav. 1 und 6; ebd. VII (1888) Tav. 2 (a. 1324 ca.) finden sich bruoch und hose auf der schönen miniatur sehr deutlich. Ob die hose über dem hemde sass, scheint mir nicht ausgemacht. Die meisten stellen sprechen meiner meinung nach dafür, dass die nidericät zunächst am körper sich befand, so auch wol Lieders. 1, 358, 61 fgg.

S. 291] Für bruochgürtel tritt auch nidergurt, nidergürtel auf; vgl. die belege bei Lexer 2, 71 fg. Ein nidergurt von stden Ulr. Wh. 258 b. 263 a. Was ist gürtelgeivant?

Ze sines bettes houpte suoehte er sin gürtelgwant, nach ivalhischem site nam er ein me^^er an die hant. Wolfd. A. 75, 1. Bedeutet gürtelgewant hier die bruoch mit dem bruochgürtel? Oder ist die gürtel- tasche (vgl. Schultz 1, 309) gemeint? Möglicherweise war aber am bruochgürtel die tasche, in der auch wol das messer stak, befestigt, so dass der Sieman die drei zei- chen seiner imbestrittenen herschaft mit einander eroberte (Vgl. auch gürtelgwand Grimm, Weisth. 1, 115.).

S. 293] Vgl. noch Krone 10528, wo weisse hosen erwähnt werden: er vuorte ringe Meine hosen Lüterivix sunder rosen. Anm. 2 füge noch hinzu: stn bein- gewant rot als ein bluot Laurin 181 und vgl. die miniaturen des Codex dipl. Cav. IH (1876) I Manoscr. Membr. s. 200 und die vorher zu s. 290 erwähnte tafel aus bd. VII.

S. 294] Anm. 9 füge hinzu: xwene brisschuoeh er (der garzün) an truoc Wig. 41, 10. Auch die boten trugen die ocreae, vgl. Wilhelmo cursori ad parandas ocreas viij den. Wolfgers reiserechnungen s. 22.

S. 296] Über die Corduaner vgl. Weinhold DFr.- II, 264 fg. und (domus), que quondam fuit Bartholomei Cordibanarii civis Treverensis Mittelrhein, urkdb. 3, 360 nr. 460 a. 1232. Über die moden bei den schuhen spottet der dichter im Liedersaal (3, 424, 111): Die leute sagen. Der sich denn enge schuocket Vnd sich da mit bruchet, Der hrtt die fuex gr rangen; Do süit die nuten schuorh und lan-

ÜBER SCHULTZ, HÖFISCHES LEBEN 527

gen F* der max vngeschaffen Vnd spricht man, er sidt äffen Vaclicn der sy an trait. Über die uniecUichkeit dor suliuhinaclier klagt auch Nie. de ßibera (1754 fgg.):

]'/tftjits ealcificum nir t/on repufahit aniicu)n, Quod quasi finales sunt hoc in codice tales. Ista fuit causa, qnia yens rea eriminis ausa Crehro defraudat homines et vilia laudat Et quasi caprinum sotularem vendit ovinum, Jurans hyrcinum vendit quandoque caninum.

S. 298] Aiim. 1 füge noch hinzu Parz. 228, 7 fgg., wo dem Parzival in der Gralsburg der mantel der Repans de schoye hergeti'agen wird: ah ir sol er iu yeli- hen stn: Wan iu ist niht kleider noch gesniten. Ja mohte ich sis mit eren biten: Wände ir stt ein uerder man Ob ichx yepriievet rehte hau. Weiter noch: Diu maget valschcs vrie Sunt im ir suckenie Vnde ein mantel scharlatin Tand. 1 1594.

Eine breite brüst galt bei männern für schön {alsam ein löwe ist er gebrust Troj. 29562); und ans späterer zeit wird uns berichtet, dass, wer sie nicht hatte, sie sich künstlich zu schaffen wüste: Sic machen alle letven brüst, Das ist nu der gemein just, Er bringet er,, mit bounitcollen xu Altsw. 52, 13.

S. 299] Gestickte buchstaben auf den kleidern der männer werden tadelnd erwähnt Lieders. 1, 557 fgg.

S. 302] Schultz scheint aus der anm. 2 angeführten Parzivalstollc den schluss zu ziehen, dass garnasch und kürseu übereinander gezogen werden können. Das braucht jedoch nicht aus den versen herausgelesen zu werden. Über die garnasch und kiirsen (nicht kürse, wie Schultz hier schreibt) haben wir oben zu s. 263 gespro- chen. Zu anm. 4 füge ich noch hinzu: die rtcheit die sie dragen An korsen iml an wafencleit Crane 1426.

Auch über den kurzebolt ist (s. 400) gehandelt. Nicht sehr verschiedeu von ihm mag der Saccus sein, den Schultz übergeht. In Wolfgers reiserechnungeu findet sich: pro sacco x. den. (s. 4. 8. 13), pro parandis saccis et tunica Hungari. xxvj. den. veron. (s. 52). Ferner vgl. sacröklin, sacschope (-juppe) Alemannia 6, 230, 5 und 9; Frisch 2, 141 c: sack ein enges kleid; vgl. weiter Uu Gange 7, 253 und Pfaff, Germ. 33, 31 fg. Was anm. 5 auf ihrem platze zu tlum hat, weiss ich nicht.

Bei gönne (engl, goicn) und gon)ielle hätte noch kurz ej'wähnt werden können, dass beide kleidungsstücke pelzgefüttert sind, wie die garnasch und kürseu, und wie diese sowol von männern als von frauen getragen werden. Bei den belegen für gonele war auch wol auf Aymeri von Narbonne 1622 fgg. (citiert von Schultz 1, 321 a. 3) zu A^erweisen. Ich vermisse auch hier den kurzen hin weis auf Du Gange 4, 138 c {gönne)., 4, 86 b und 139 a (gonnelle). Gänzlich fehlt hier juppe (gipe) als männer- kleid, woriiber wh' oben s. 400 gesprochen haben.

Bei auqueton fehlt wider der verweis auf Höf. leb. 2, .38, der notwendig ist. Denn auqueton ist waffenkleid und wird unter dem hämisch angelegt. Wenn es auch mit goldstickereien verziert ist, so darf man es doch hier, ebenso wie tiambe^ (die deutsche benennung für auqueton), nicht ohne hindeutung auf seinen lU'sprüng- lichen und hauptsächlichen gelirauch besprechen. Über anqueton vgl. noch Du Gange 1, 483c und 155c. Yerwijs en Verdam, Mndl. woordenb. 1, 309.

S. 303] Über mehrfarbige kleider vgl. zu lol. 2771. Anm. 1 füge hinzu Parz. 235, 10: (ihr kleid) daz ivas halbez, plialt, Daz ander pfell von Ninnire. Dise

528 MEtER

unt die ersten sehse e Truogen xivelf rücke geteilt Oein tiwerr kost gcveilt. Strassb. urkdb. 3, 231, 18 a. 1313 cursatum meiini antiquum partitum cum vario fiir- ratimi. In den gesetzen der Schneider und tuchscherer zu Frankfurt a. M. wird den angehörigen der zuuft folgendes verboten : auch sal tmsir keiner diekeine gedeilte ktigiln adir gedeilte hosen dragen, er enhabe sin dan rocke. Ez ensal auch unsir keiner diekeine lysten dragen an diekeynen enden siner cleydere (s. 623). E% ensal auch unsir keyner diekeinen andirn arin dragen dan alse der rok ist, ex, enicere dan, da% he ime gegeben würde (s. 624) Böhmer Cod. dipl. Moenofrancfurt. 623 fg. c. 1352. Vgl. ferner: Li striphia veste midiere vaga sibi teste Nie. de Bibera 734 und et striphei virides, de quorum- scemate rides ebd. 1843. Vielfarbige kleider werden erwähnt Virg. 971, 4: si häten kleider an vilvar (wol nicht == "violet); vgl. in dem cielfarben sidenmantel Loher und Maller 836 (Lexer 3, 351).

Anm. 3 füge hinzu: funfx.ec ritter hdchgeinuot in cappen grüen Frauend. 248, 1. Do (auf der reise) het der hell niht anders an Niivan ein kappen scharla- tin Und einen roc pfellin. Der was von golde rtch Tand. 4216.

S. 304] Über gamacha kann ich nicht ebenso bestirnt wie Schultz urteilen. Es ist sehr möglich, dass er recht hat gegenüber Du Gange (4, 34 c), der gama- chiani lesen will, was jedoch eine nicht gänzlich von der band zu weisende Vermu- tung ist. Du Gange (4, 19 c) weist nach, dass bei den bewohnern von Auxerres gamache est vestis vilioris pretii, qua utuntur rustici.

S. 305] Eine gestickte und mit perlen und edelsteiuen besezte kogel wird in der erzählung von dem Junker und dem treuen Heinrich ed. Kinzel 1579 fgg. erwähnt. Anm. 5 füge hinzu: Es het der Fürst Hochgeporn Vmb sich swert und sporn Vnd seine Rays-Klaider an Ottok. v. St. cap. 827.

S. 306] Zu sclavinia vgl. noch Du Gange 7, 357. Zu renones vgl. Du Gange (7, 181), der klare beschreibungen dieses kleidungsstückes anführt: Rheno est pelli- cium -vel vestis facta de pcllibus pendensque ad umbilicum (vet. gl.), Vocamtis etiam mastrugas renones, quae rustice crotina (kürsen) vocatur Iso Magister in GH. usw. (vgl. auch reno brustbeltx Dfb. Gl. 492''). Nicht nur am Rheine war dies kleidungsstück gebräuchlich; die alten etymologen behaupteten dies nur immer ihrer herleitung {Ehenones <; Rhenanis) zu liebe.

S. 307] In den miniaturen des Godex dipl. Cavensis bd. III, IV und V wird, zu Schultzens angaben stimmend, der mantel immer durch eine spange auf der rechten Schulter zusammengehalten. Über die Stoffe und den preis eines solchen staatsman- tels haben wir eine instruktive notiz in Wolfgers reiserechuungen (s. 25): pro xin- dalo ad failam ejnscopi xxxij sol. iniiyerialium,. pro brunetto ad eandem failam duo tal. et viij sol. imperial.\ vgl. de paraiida faila episcopi xxviij. den. impe- rial, (s. 37).

Über die falle {ccele, vele, frz. volle) sagt Schultz gar nichts. Es bedeutet mantel, chlamys, und später eine besondere art derselben (Weinhold DFr. '^2, 217). Hier genügt es auf die zahlreichen beispiele, die das Mhd. wb. (3, 213) und Lexer (3, 8) anführen, hinzuweisen. mantele snevare werden Kother 1511 erwähnt.

S. 309] Was der verweis auf fig. 110 soU, um einen elfenbeinernen gürtel zu zeigen, weiss ich nicht. Ich vei'mag dort keinen zu erblicken. Die minner tragen am gürtel taschen gefült mit würzen {giiotcr icurxen vol ir phosen Heinz, v. Kost. 497).

S. 311] Anm. 2 war vielleicht zu gamän noch auf Mlid. wb. 1, 460 a. b. zu verweisen, gamahiu hat sich noch im Siebenbürgischen ))is auf den heutigen tag

ÜBER SCHULTZ, HÖFISCHES LEBEN 529

erhalten: Im Siebenbüi-g. korresitlil. (XIII [1890] iii'. 2 s. 21) findet sich unter nach- forschung nach andern dialektischen Wörtern auch die anfrage: „Was hehst (/amafie gamahcring, lieftel mit 1. carneol \ind 1. (janiohe (jamahe und 13 perlen?" In Siebenbürgen haben wir ja auch in der tracht die alten lieftel und gürtel zum teil erhalten.

S. 312J Vgl. Lieders. 3, 57, 25: DU ain trug blau in stettikait, Dar rfj' saf- fir vil gelait In blau gesmelxe sam lasitr. Bei dem maifest, das Albreclit von Osterreich vor seiner erinordung durch Johann Parricida veranstaltet, trugen alle teil- nohmer grüne schapel von salveg rnd ranfen (Ottok. v. St. cap. 798). Zu anm. 7 füge hinzu Meleranz 3620. Karl trägt einen kränz und darauf noch eine reiche kröne (Karlm. 292, 51 fgg.). Auch die männer tragen hüte von stroh: ji^'o stra- mineo jiHHo episeopi .ij. sol. bon. (Wolfgers reiserechnungeu s. 49).

S. 313] Zu anm. 2 bemerke noch: Ain vbercxogen huet Von Zcnndal der ivaz gut Gehalbirt weis zmd rot Ottok. v. St. cap. 67, (die Ihm) mit Zcnndal gehalbirt ebd. cap. 68. Jean de Blois lässt sich aus Paris einen chapeau de bievre mitbrin- gen, der 18 s. 6 d. kostet (etwa fr. 66, 60 in unserem gelde, Vie dornest. 49 fg.).

S. 314] Anm. 1 füge hinzu Tand. 4221 fgg. Der gugelhuot wird noch Lie- ders. 1, 141, 515 fgg. erwähnt. ivi^e hentschuohe der minner erwähnt Heinz, v. Kost. 492. In der Vie domostif[i;e bezahlt Jean de Blois für ein paar initaines (fausthand- schuhe) II sous (s. 57). In Vendomes lässt er sich. // paires de ganz besorgen für II s. xi d. (s. 84). (Der Centgräff) soll dem herrn geben xwein weisze von schöp- senieder gemachte handsehtihe an einem weiszen sommerladen heszeln stabe Grimm, Weisth. 3, 411 a. 1354. Das kloster Eberbach soll Winant, Schenken von Lieben- steyn jährlich, so lange er lebt, egn par licntschmve yris (vresch) Icdirs geben a. 1367 Sauer, Cod. dipl. Nass. 1, 3, 369 nr. 3210.

S. 316] Vgl. noch Silbervel tmd goltvel lieht Zendal rot, grüen als ein gras Da sunderbär gehouen tvas Frauend. 208, 26.

S. 317] Anm. 1 füge hinzu: ein xohowen scharlaken tränt, Gefornert mit her- melrn Wären dar de cleider sin Crane 2230. Anm. 4: sin umfenroc was rtehe von kleinen goltscheUen Lanz. 362; des selben (Sahen von Marokko) einen iväfenroc Fuort er und guldm schellen dran Lanz. 4428.

S. 318] Albrecht von Österreich kleidet sein ritterliches gefolge: Sechs Hun- dert Kitter Iiet er da Die sein Chlaid trugen Ottok. v. St. cap. 550; vgl. auch Fi-aueud. 297, 20 und Elis. 901 fgg. Über die putzsuclit und den luxus der frauen klagt auch, der Teichner (Karaj. anm. 310).

S. 322] Anm. 3 füge hinzu: Ilei^ uns den snuler smden Zivene rote rocke und schaprün. Ich kume zuo ir als ein garxün Tüi-h. Trist. 2282. Weiter fehlt die genaue Schilderung eines garzuu Wig. 40, 32 41, 14. Wolfger gibt ^ro schapruno Burchardi Cursor is xxviij sol. veron. aus (Reiserechngn. s. 29; vgl. noch s. 10). Virg. 450, 6 wird von dem boten gesagt: Enphähent in gar schöne. Er treit ein eberspiezelin, Zicen liandselmohe in der hende. Vgl. auch die abbildungen von boten in dem Katalog des reichs-postmuseums (Berlin 1889) s. 45.

S. 326] Schultz hat den schon in der ersten aufläge stehenden Schreibfehler, wonach die söhne der Helche (warum Heike?) und Dietrich von Bern (lies Diether von Bern) in der Eabenschlaclit erschlagen werden , übersehen. Vgl. noch die Schil- derung von zwei bauern: Den wären beiden houbet gröz Hures iinde hüben bld§ Des hundes not (Grimm, RF.) 171. Vgl. auch sullint die cingrefen in der erne

ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXIV. »54

530 MKIER

des berges budele in den dorfen gereit sin sine siehelinge eishene tinde ist er iedem niane shtddig eine wi%e hubin adir fir lihte pennenge dar füre Böliiner, Cod. dipl. Moenofrancfurt. 358 a. 1303 Fraulvfurt-Bornheimer berg.

S. 327] Über icarlms hätte sich mit berücksichtigung vou "Weinhold, DFr. '2, 293 und Du Gange 4, 30 b. 8, 407 wol noch einiges mehr sagen lassen: wir sehen z. b. noch, dass es gefüttert war und von mäunern wie von frauen getragen wurde.

S. 330] Die s. 258 und hier von Schultz gegebenen erkläruugen von schürlitx, treffen nicht ganz das richtige, vgl. die folgende stelle: Habitus canonicorum Regii- larimn est vestis linea sive tota (lies wol toga) linea quam Romani Roketiim Ro-

manwn , Oermani Stibtile, Sarraeium sive Scorlieium appellant Tertii

hane lineam restem deferunt in forma parin et brevis scapularis de collo depen- dentis, quem Scorlitium nuncupant Joan. Buschius lib. 1 cap. 23 (Du Gange 7, 666 c). Indessen mag diese beschreibung auch nicht algemeingültig gewesen sein.

S. 332] Seidengewebe fand man in Deutschland nicht, wol aber war Flandern die hauptbezugsquoUe feiner wollenstoffe. So scheint die auch iu anderer beziehung interessante stelle (Ottok. v. St. cap. 652) zu verstehen zu sein: Darnach sand 7nan weit Vnd in verreio Lant Nach sogetanen Oeivant, Des inan %.u Flandern rindet nicht In so chostleicher Angesicht, Als Qeivant, Segdein, Czendel imd Paltikein

(Pez: Platigen) Als man bringet vber See, Tuch dem Chost nicht xerint. Das

aus Arabischem Gold man spint. Amn. 8 ist das citat aus dem Frauendienst zu streichen, vgl. PBrBeitr. 15, 330.

S. 333] Die deutung des phelle tusenvar, welche ich zu lol. 372 gegeben habe, ist unrichtig. Ich befinde mich aber mit diesem irtum in der guten geselschaft von Weinhold (DFr.2 2, 248 und anm. 3) und Schultz (1, 333 anm. 1). Es ist von uns übersehen worden, dass es nicht tilsentvar (tausendfarbig), sondern tusenvar (gilvus) heisst; vgl. tusin gilvus sicut equus Graff 5, 460, tusenvar Bit. 2303. 9843, tusen- vech Lanz. 4753.

S. 334] Es fehlt in der aufzählung das topelstein-mwstai: ^ z. b. Da^ lach tva§ überzogen rain Mit aineni sidin toppelstein Lieders. 1, 134, 129; Es was gelich gez/iert In toppelsteinen wisx visiert ebd. 134, 133; vgl. noch 1, 134, 115 fgg. ; 146, 725 fgg.; 147, 732. Da sach ich xwü froiven vin Dil Iietten doppelstain geivant Lieders. 3, 88, 191.

Wie die Verzierungen mit den goldblecheu eigentlich aussahen, darüber geben uns gute auskunft zwei stellen aus Ottokars chronik (cap. 67 und 053): Manig Tirel chlain als ain Olaim Auf dem Phele waz gepolt Von Arabischen Oold, Dax begund den äugen geben brechen, Dax Niemant lang mo'cht gesehen An der Margrafin Rokch. Weiter: Darcxu sach man Chunich Wencxlan Einen Rockch tragen an. Der tvas geivarcht Maisterlaich : Auf ainem Sameit reich Lagen guidein Pleter so vil Dax yegleichs Plates ZU Pegraiff ain ander Plat Als den (Pez : der) Sameit hat Das Gold gar bestrewet (: erfrewet. Pez : bestratoet). Vgl. weiter noch Bit. 7462^7500, wo der golddurch webte Seidenstoff einer fahne genau geschildert wird.

Über den ausdruck pfmvenUeit habe ich eine von Schultz abweichende auf- fassung zu vertreten gesucht zu lol. 372. Füge hinzu Altsw. 44, 14 fgg. : Sie (Frauw Stete) was gecleit in lasur blo; Ich dachte in dem sinne also: Der glanx glichet ains phahen kel. Er icas genote von tieren hei. Dar in toas verworht manig saf- fir. Von dem im Lanzelet erwähnten zaubermantel heisst es (5816 fgg.), dass er in allen denkbaren färben spielte und alles, was auf der erde oder über ihr von tieren lebte, darin verwebt war und lebendig schien.

ÜBER SCHULTZ, HÖFISCnES LKBKN 531

Meine in den anmerkangen zur lol. gegebenen weiteren ausführiingeu will icli hier noch in einigen punkten ergänzen und berichtigen; an der doutung von j;/iMre«- kleit halte ich jedoch fest. In den romanischen sprachen wird imonacius als far- benbczoichnung = violaceus aufgefasst: cardinales (liahoit) Pavonaceas cappas panni Canem. Rom. Ms. fol. 31 v°; Titnc cardinales accedunt cum cappis jmvona- tiis Martene Tract. de Eit. pag. 605. Weitere bcispiele siehe Du Cange G, 143 a sub paonacins, 225 sub paronaceus, pavonatüis , pavonatms. "Weiterhin gibt Du Cange (1. c.) für pavonatüis die bedeutung an: „pannus in pavonum cauda- runi speciem variegatus", was aber nach den vorliegenden stellen nicht gerecht- l'ertigt ist: wir kommen sehr gut mit der bedeutung violaceus aus. Auch der marbre paonassee ist aufzufassen wie inarbre verdelet, viarbre vermeillet (Du Cange 5 , 258 c). Escarlate j^c^onasse, Velluiaux paomiex finden sich Computum Stephan! Fontani Argeutarii regis a. 1351. Also überall bedeutet paonace nicht ,in den färben der pfaucnkohlo oder des pfauenschweifes spielend", sondern „violett". Diese bedeutung ist auch für die stellen Perceval 36104, vgl. 41832, anzusetzen.

Öfter werden auch stoffo mit eingewebtem pfauonmustor erwälmt, wie Schultz (1, 335) einen solchen schildcil: Storacinum palliwn unum habentem pavones Cod. Carolinus Epist. 15; Pallium misit versicoloribus ßgiiris pavonum, ut videtur, intexturn Wilh. v. Malmesbury lib. 2 de gestis Angl. cap. 11; Pallium obtulit variis coloribus et pavonum fignris contexttim Matth. Westmonast. anno 1026; Nee non et palliwn ojytiiimm pavonibus ordinatis intextimi Vita Garnerii Pracpos. S. Ste- phani Divion. (Du Cange 6, 225). Bei den versicolores ftgurae und varii colores brauclit man nicht au die färben des pfauenschweifes zu denken, sondern kann sie als marbres oder ähnliche Stoffe auffassen.

Wohin das vorlezte citat der anm. 6 gehört, weiss ich nicht: vermutlich ist etwas im di'uck ausgefallen. Füge noch hinzu Achmartein Ottok. v. St. ca^). 652.

S. 336] Anm. 4 vermisse ich einen verweis auf s. 332 anm. 1. Älmeria findet sich noch erwähnt Rolandsl. 260, 25; Altd. bl. 1, 256. Ob Ähabe (Gudr, 579, 1. 673, 2. Elsabe Morolt3911) dasselbe ist \'v[q Äxuibe (Bit. 1161. Gudr. 1696, 2) ist mir fraglich. Mir scheint die änderung Müllenhoffs zu Alxabe in beiden fällen nicht geboten zu sein. Es gibt auf diesem gebiete so vieles ähnlich klingende, so z. b. Äftabt (vgl. Schultz 1, 340 a. 17), das man mit demselben rechte verwerfen könte. Ich vermisse die erwähnung der p feile von Magoiw : samtt von Axagoue Parz. 234, 5, vo7i Azagonc ein griien saniU Gärel 5266, stde von A. Nib. 417, 6, (ein seidenes) banier von A. Wig. 109, 21; vgl. auch Lachmann zu Nib. 417, 6. Anm. 14: Swar% baldekin Altsw. 43, 25, grüen baldeJcin ebd. 45, 1. emi voluit ... 1 baldekinum pro 5 lib. den. Arg. pro exequiis suis honorifice peragendis Strassb. urkdb. 3, 343, 23 a. 1326. Ottokar von Steyer führt cap. 199: Scarlach, Palczi- gim Pliat und cap. 652 Platigen (: Seidein) an, was wol beides eutstellung aus bal- dekin ist. Bei dem zweiten könte man noch an emen Zusammenhang mit blatta (Triblat, Kateblatin) denken.

S. 337] Ob Schultzens behauptung, dass die pailes de Frise aus Kleiuasien aus dem alten Phiygien stammen, richtig ist, scheint mir nicht ganz ausgemacht zu sein; vgl. Du Cange sub friseum. frisii panni, frissatus pannus, aber andrerseits auch sub pkrygium. Anm. 13 füge hinzu Lanz. 8480.

S. 338] Anm. 13: pfelle ü^ Ninive werden auch Parz. 235, U und Bit. 7463 erwähnt. Anm. 7 füge hinza:, Nib. 355.

34*

532 MEIER

S. 339] Zu sarantasme sind noch die belege für sarantasmum bei Du Gange (7, 308) zu vergleichen. Ist sarantel {dar under loas ein sarantel Bltvar, mit gokle erwehen Krone 7724) eine entstellung oder Weiterbildung aus saranthasme'^

S. 340] Über Triant spreche ich hernach zu s. 344. Hier füge ich nur noch einige belege für Triant fdrumtj hinzu: Wolfd. D. VII, 90, 3. X, 78, 1; GA. 3, 605, 220; Crane 3906; Garel 3460. 4528. 5235.

Seide von Marroch wird Nib. 355 erwähnt. Ferner wird Zaxamanc genant: Die Arabischoi sulen tvi^ also der sne Unde von Zaxamanc der grüenen so der k/e, Dar in si leiten steine Nib. Z. 55, 7. Die Identifizierung von Campalie und Cham])agne (anm. 12) sclieint mir etwas kühn zu sein. Anm. 17 hätte Schultz noch das ebendas. s. 44 nr. 1166. 1167 aufgeführte pannum Tartaricum de Attahi erwähnen sollen; vgl. auch Acad. Crusca Tabi, panni species. [Correkturnote : Über Attabi vgl. jezt G. Jacob, Die waaren beim arab. -nord. verkehr im ma. Berlin 1891 s. 17 fg. anm. 1.]

S. 341] Ein spanisch - maurisches seidengewebe des 14. Jahrhunderts mit löwen- muster, das sich im besitze des museums f. kunst und gewerbe in Hamburg befindet, ist jezt abgebildet Z. f. bild. kunst 1890 nr. 10 (s. 97).

S. 342] Ein cambicolor (cambiro color) mag auch das Eraclius ed. Graef 3798 fgg. erwähnte gewand sein. ca2nt vgl. noch ApoUonius 3841. capetum (ca- pitiim) wird als betteppich verwant (Du Gange 2, 126). Koter und grüner dtasper wird erwähnt Du Gange 3, 101. Im algemeinen aber ist er immer weiss (1. c. 100 fg. 220).

S. 343] Anm. 1 füge hinzu: dlasper Krone 514. Eilh. Trist. 2080. Der dimtt wird noch Herz. Ernst B. 2868 und Eneide 12938 erwähnt. Auch Eneide 9302, wo Behaghel %imtte schreibt, ist wol dinüte einzusetzen (so auch Schultz 1, 489 anm. 2). röter samtt Ottok. v. St. cap. 199; grüener samtt ebd. cap. 199. Grane 1331; bläiver sarmt Herz. Ernst B. 2630. Ein dunkelblauer samt: ein brün samtt wolkenvar Grane 1247. Demant. 7888.

S. 344] "Wenn Schultz die Eneide nach Behaghels ausgäbe citierte, so würde das Drmncasine sich nicht in seinem werke herumtreiben. Behaghel hat überzeu- gend geändert: die tielce ivas osterm, die ander driantasine (: sarantasme) 9308. Was nun drianthasme angeht, so lässt sich die ursprüngliche form nicht mit dersel- ben Sicherheit enträtseln, wie bei sarantasme. Es ist möglich, dass es aus iQcaQav- TtafÄÖs entstanden ist. Jedenfals wird es später ganz wie sarantasme gefühlt und verwendet: wie sarant, so tritt auch drtant, triant für sich auf (vgl. oben zu s. 340); ebenso der zweite bestandteil tasme (vgl. Schultz 1, 339 anm. 12); wie sarant, tritt auch triant als ortsname auf. In einer Parzivalstelle (775, 5) findet sich für Saran- tlmsme als Variante Drianthasme. Aus dem Orient wird er gesant (Gärel 4528 fg.) und wird als glänzend feuerrot bezeichnet (Gärel 3460 fgg.).

S. 345] cornit bezeichnet auch ein kleidungsstück, vgl. corneta kapuze (Du Gange 2, 568). Es ist dies keine seltene erscheinung, dass stoff und kleidungsstück denselben namen führen: Schultz selbst hat oben (s. 258 und uachtr. s. 664) plialt und plidt für „seidengewebe" und „rock" in anspruch genommen, und die folgenden parallelen bekräftigen noch seine sicliere ableitung. Dem Verhältnis der beiden bedeu- tungen von cornit steht nahe gugel cucuUa und gugeler ein stoff (vgl. für das leztere Lexor 1, 1113 und Karlm. 154, 4: der kogeler der tvas do dure). bonit ist ursprüng- lich ein stoff (vgl. Diez, Wb. 1'-, 74 und Du Gange 1, 698 sub bonetus, z. b. ab illc

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tempore niinquam indntus est squarleto vel panno viridl seil Boiinefa), dann aber auch ein kleidungsstück. Und nur so lasst sicli auch die bedeutung bonnct (Iiut) und bonit (Höf. leb. 2, 48) vereinigen. Ebenso ist düblet ein stoff luid dobletum „tunicae vel palli species" (Du Gange 3, 153b). kürsit, tunica, aber auch kirsat spccies panni DWb. 5, 850.

S. 347] Auf safhi hat Schultz I. iiaclitr. 664 aufmerksam gemacht: es ist, wie Du Gange (7, 315) angibt, ein panniis sericns rasiis. Es wird satinus niger^ per- cicus, rubeiis und carmesinus erwähnt (vgl. setinus Du Gange 7, 460 b).

S. 348] röter siylät "Wig. 65, 23. Anm. 4 ist die Schilderung des golddurch- wirkten cyklat Eolandsl. 57, 11 fgg. nachzutragen.

S. 349] Aum. 1 ist noch der lierlichc luautel von cijclafhi zu crwülinen, den die Plattfüsse dein Aspriau überbracht haben (ßothcr 1862 fgg.).

S. 350] Blauer zendal Lieders. 1, 137, 227. Über zendal von Gandic, vgl. noch s. 342, wo Scliultz Franc. Michels identifikation von Canceum. mit arab. kandj anführt.

S. 352] Gar nicht erwähnt Scliultz den hericer, einen wolstoff ; ich verweise auf Du Gange 1, 569 c sub barbaricuni und harharicarii und 1, 572c sub barhetus, Lexer, nachtr. s. 66 und Bech, Germ. 35 (1890), 187. Zu biset ist noch auf Du Gange 1, 667 b und 671a (sub bixanium) zu verweisen. bonnettum wird für einen mantel "Wolfgers verwendet und kostet duo tat. et viij. sol. imperial. (Reiserechngu. s. 25). Karl schenkt Galaffers: Dusent grone, dusent Scharlach, Diisent brun van duren Sachen Karlm. 130, 57.— brunetum Mittelrhein, urkdb. 3, 817 nr. 1103 a. 1251; 1007 nr. 1393 a. 1257; 1029 nr. 1418 a. 1257 (festes meas varias de nigro bruneto). Vgl. Johannes Brunat Boos, Wormser U. 2, 236, 5 a. 1343. gen dem hoffe über dem, Brunadde ebd. 2, 243, 36 a. 1344. Foltxs Brunat ebd. 2, 379, 29 a. 1364. Neben pers ist noch persittuni zu erwähnen (Mittelrhein, urkdb. 3, 816 nr. 1103 a. 1251; vgl. perset Du Gange 6, 286 c). Anm. 7 füge hinzu Karlm. 287, 8 fgg. Hagen, Reimchr. 4310. 4326; striphei virides, de quorum scemate rides erwähnt Nie. de Bibera 1843.

Über moretum hätte sich leichtlich mehr sagen lassen: von vmrct (var. mür- rtt) ein gugeln guot GA. 2, 438, 848, nitm-ituin Df. gl. 372 b, moretum Nie. de Bi- bera 1841 (auch bei Schultz 1, 353 anm. 8), Hartzheim Goncil. Germ. 3, 534 (Schultz 1, 319). Du Gange (.5, 552): muretus piirpureus, murice tinctus. Anm. 11: er (der waffenrock) u-as ein icl^er biickeram Eracl. ed. Graef 4958.

S. 353] Zu burre vgl. noch Du Gange 1, 789 c. Eine Weiterbildung ist wol bursät, ein halbseidenes zeug, vgl. Frisch 1, 147b, Schmeller 2, 1003, Lexer 1, 398. Bei cameltn und canielöt sind die reichen belege bei Du Gange 2, 45 zu vergleichen. In den reiserechnuugen "Wolfgers finden wir (s. 29): Domino Duoringo et pincerne pro chamelotinis vestibus xxj tal. et dim. veron. Also billig war der Stoff, scheint es, doch nicht, tunicam suam de kembelino cum caputio et pcUicium suum dictum ein brustbeltz Strassb. urkdb. 3, 166, 32 a. 1304; vgl. ferner ebd. 3, 177, 22 a. 1306 und 3, 268, 20 fgg. a. 1318: legat Else ... tinum pallium 2)anni LuHiche . . . Orede ... 1 pelliiim smcm vulpinum . . . Lusche bcgine 1 pellem in vtdgari dicendo ein kuSiigeline tvembine kitSsene; item ordinal, quod tunica sua dicta mittelvar et tunica schanbelat . . . vendantur. Über düblet gibt Du Gange (3, 153) an, dass es ein französisches gewebe aus flachs und baumwolle sei. Für tuche war überhaupt Flandern der hauptmarkt: Gent und Yper werden hervorgehoben

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GA. 2, 222, 80. 223, 168. Auch Orleans scheint einige fabriken aufgemesen zu liaben (Vie dornest, s. 61). Anm. 8 füge hinzu: schcqmm gesniten von fritscMle Wig. 40, 34. Zu galahruna vgl. galabrimus Du Gange 4, 12 und 3, 612 c (sub frisii panni). Es ist ähnlich dem tsanhrim.

S. 354] ZvL molequins vgl. unsere bemerkung zu s. 273 anm. 1. Über pigno- latimi und seine erklärung siehe Du Gange 6, 318. Zu anm. 4 füge noch: saben- un^ez, hemde Nib. 584. Zu anm. 10: Scharlache aus England Demant. 516. 10085. Grane 1235.

S. 355] Blauer Scharlach: (?) Demant. 10097, scharlachen grüne inde bla Lachmaun, Ergm. ndrh. ged. s. 175, 53. Brauner Scharlach: Demant. 516. 10094. Graue 1325. Roter Scharlach: Demant. 479. Die anm. 6 augefühiie stelle aus der lolande ist zu streichen, vgl. zu lol. 372. Mit seiner etymologie von schürbrant hat San Marte gewiss zum teil unrecht: an brandeiini zona ist nicht zu denken. Schürbrand ist ein stoff. Indessen halte ich es nicht für unmöglich, dass der erste bestandteil jenes scitrum (Du Gange 7, 377 c) ist. ^oMq -brant mit brandeum-velum, palla serica (Du Gange 1, 735 fg.) zusammenhängen? Gehört hierher der name Scor- brant (vgl. oben Brunat, aber auch Kristanus Stoxebrant Ztschr. f. hess. gesch. NF. I, 1 Suppl. ur. 80, s. 40 a. 1326) Ztschr. f. hess. gesch. NF. I, 1 Suppl. nr. 42, s. 24 a. 1297; nr. 158, s. 68 a. 1358; nr. 199 s. 8"l a. 1367.

S. 356] Anm. 1 füge hinzu: xivo hosen von seine (: reine) Tand. 11593. Zu Stanfort vgl. Du Gange 7, 579 a; 581 bc; 3, 317 b, sfanfortum Mittelrhein, urkdb. 3, 817 ur. 1103 a. 1251; zu Tiretaine Du Gange 8, 112 b. Mit grosser reserve möchte ich hier eine Vermutung aufstellen: Bei Ottokar (cap. 67) heisst es: Der Myn- nichleichen Manmll Wa% geivorcht xeNachsicx, Sein schein gab solhen Glicx, Vasst dax Gold daraws glast Dax, ex, die Augen maet vast. Manig Pild wax. daran geiceben Recht als ex, schulde leben, Die gaben chospern schein. Seite Nachsicx, nicht eine entstellung aus Na&z,ät, Nassit sein? Das würde zu der erklärung des Nassit als seidenbrokat stimmen. Auch in Deutschland bestand im 13. Jahrhundert schon eine lebhafte tuchfabrikation, so z. b. zu Speier, wo uns auch die namen der gewebe (paniius dicttis Icmberin, ein Witxemburghere tuoch, pannus dictus keme- lin usw.) genant werden (Hilgard, Speyrer urkdb. 156 fgg. nr. 199 a. 1298). Eine grosse reihe von stofbezeichnungen gibt uns die bcstimmung über die Trierer accise vom 6. Januar 1248. Es werden hier aufgeführt: pannum de Ripa, pannum Hoiense, pannum Flandrense, scarlaticum, de Beauchs, de Loinus, Eenense, Aquense.

S. 358] Anm. 2 füge hinzu Turuei von Nantei? 597 fgg. Futter aus fisch- häuten wird öfter erwähnt: Der triioc ivät von Äbalte, Dar under Mute visehm Ze bexoge wären wol genät Bit. 1155, von fronder vische hinten bezoe wol getan Nib. 354, 1 und Lachmanns anm., an den lichten pfellen von maneger vische hnt bexoge wären drtonder Gudr. 1327, 1. Ein stoff, gewebt von wilden weibern aus dem haar eines weissen iisches, wird Lanz. 4838 fgg. geschildert: E^ tvas deheim tuoche Niender geliche getan, Vil spmher danne ferrän Und die x,oten niht %e lane^.

Den belegen für schinät füge noch hinzu: Da^ tvas mitalle hernitn, Dar üz, diu Ideinen x^egelin Des hermeUnes lühten. Die sicarx geverwet diihten Sam ein scMnät unde ein kol Turnei v. Nanteig; 597. Der weiteren erklärung des

1) Unrichtig ziehen das inlid. wb. und Loxer (sub inganc) den darauf folgenden vers: tminnecliche der ingane (W: loas der) zum vorhergehenden und übersetzen „oinschlag des gewebes", wähi-end es zum folgenden zu beziehen ist: Wünnecliche was der inganc, Es gelmd)t cim kindc niht sin vater: diu tür was ein (juldin guter Lanz. 4845.

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schtnut, die Schultz gibt, kann ich aber nicht beistimmen, da mir eine notiz des Du Cange (7, 348) das richtige zu bieten scheint. Er sagt: „Se/iiiiafa, Piscis genus f. Perca, Gallis Perchc , Italis iSchinalc, quod (luibvisdam aselhnn sonat, Gall. Merlus. Statuta Astens. ubi de iutratis poi-tarum: Pisccs salati, videlicct liieii, ten- chce, Schinatce solvant pro quolibet rubo IIb. 0. Darnacli wird also Scliinät wol ein fisch, möglicherweise eine barschaii sein.

S. 363] Anm. 4 füge noch liinzu: Mol. C383 fg.

S. 365J Auch im saale des pallas findet sich ein gesidele, das wol nicht pro- visorischer natur ist; es steht an der der tür gegenüber liegenden wand (Mel. 12182 fgg.): Oen der tür an der irende IVas ein gesidel gemaehet An koste niht verstva- chet. Si beide xuo ir sn§cn. Die tische werden an den Aier wänden dos saales auf- gestelt und nicht in der mitte, wie wir es jozt tun würden (Gilrel 4748 fgg.). Das hieng damit zusammen, dass die tische nur an einer, der wandseite besezt wurden, was ja bekant ist, was aber Schultz doch irgendwie hätte erwähnen sollen (vgl. z. h. hinder den riehen tischen lac Vit stden, da man sanfte sa^Virg. 213, 11). Auch bei dem reichstage von Nürnberg werden solche gesidel errichtet zum speisen, und jeder der grossen schmückte, wie es scheint, das seine selbst aus. So erzählt Otto- kar vom erzbischof Konrad von Salzburg: Do er aus den Gesideln schiet, Was er Ruklahcn Het haisxen machen Von Seydein Tu,che7i, Wer des wolt geruhen, Der gund man jr hie (cap. 688).

S. 369] Die tafeln wurden mit tischtüchern belegt und der estrich mit frischen blumen bestreut (vgl. noch oben zu s. 70): Darnach man tischlachen truoc; Die taveln wurden da bereit Und der estrich bespreit Mit bluomen und mit grüenem gras GA. 3, 362, 204. Anm. 1: Bedecket tvart do manec tisch Von tvcehen edeln tuoehen, Diu da wären edel unde vrisch, Diti muoste man vür suocheti. Ouch bt den riehen tischen lac Von stden manec edel tuoch (Virg. 964, 7). Sind mit den lezteren tücheru servietten oder rücklaken gemeint? Ich denke, eher das erstere. Anm. 2 füge hinzu: Der sun des küm erbeite, Da§ man ab dem tische geleite Daz, wt§e tischlachen GA. 2, 441, 927. Die frische wird bei tischtüchern, wie bei bet- laken besonders hervorgehoben: »/it Icrachende^i tischlachen Grimm, weisth. 3, 487; mit krachenteti leilaehen Grimm, Weisth. 6, 753.

S. 371] Anm. 1 und 2: Auch in der Vie domestique werden oft (z. b. s. 63) pox de terre beim essen erwähnt.

S. 375] Ein paar trauchiermesser, iins cotäeaux ä tailler devant Mens., lässt sich Jean de BJois aus Paris besorgen und sie kosten ihm 22 s. 8 d. (in modernem geldwert fr. 81, 60 Vie dornest, s. 49 fg.).

S. 377] Bei der erorterung der Verhältnisse von franz. hanap zu „napf hätte vielleicht kurz angedeutet werden können, dass franz. hanap, ital. nappo aus ahd. hnapf entstanden sind. Über hnmpen war doch auch neben Grimms Wörterbuch Kluge (Etym. wb.* 149) zu vergleichen, der neues zur etymologie des wortcs bei- bringt. — Die gläser von Bern (Bern? Verona?) sind berühmt gewesen: Sy habent grox, %inse vasz Vnd von bern clare glasx, Lieders. 3, 394, 125. Vielfach werden gläser für den tafelgebrauch auch in der Vie domestique erwähnt (vgl. s. 86 fg.), und es sind nach den geringen preisen wol heimische fabrikate und keine venetianischen gläser gemeint. Es ist hier auch recht passend daran zu erinnern, dass ein quartier in "Worms der glasecoph heisst, vgl. vicus qui dieitur glasecoph Baur, Hü. 2, 15* a. 1141; duas areas sitas in vitreo cifo ebd. 2, 148 nr. 157 a. 1258 u. ö.

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S. 378] Auch an dem hofhält des bischofs von Strassburg waren becher von holz im gebrauch, vgl. nr. CXII in dem von Gaupp (Deutsche stadtrechte 1, 77) publi- cierten rechte der Stadt Strassburg. Daneben wurden aber silberbechfer bcjiuzt, wie ihr häufiges auftreten in den reiserechnungen Wolfgei'S zeigt: pro argenteo cifo xvj. tal. veron. (s. 29), pro planendo argenteo cifo oc/vj. den. frisac. (s. 34), pro refi- ciendo vasculo cifi vj. den. veron. (s. 51).

S. 381] Verschiedene belege für trinkschiffe gibt noch Du Cauge 5, 580.

S. 382] Über die speisen wäre wol noch einiges aus dem Buoch von guoter sptse (Litt, verein publ. 9, vgl. Birlinger, München, sitzungsber. 1865, II, 176 fgg.) zu entnehmen gewesen. Auch dort wird z. b. gesottenes Schweinefleisch (s. 2), ein gebratenes, gefültes ferkel (s. 3), gesottene schweinsdärme und mägen (s. 8fg.), rinds- leber (s. 12), rindfleisch (s. 15), lumbelfleisch (s. 26. 27), schweinsfüsse und kalbs- leber (s. 27) und andres mehr erwähnt.

Wir haben in dem ausgabebuch des Jean de Blois die angaben erhalten, was bei einem zweitägigen besuche seines bruders jeden tag verzehrt wird. Und auch hier finden wir als fleischspeisen sowol haustiere als geflügel erwähnt. Ich teile das meuu des ersten tages hier mit, muss mich aber begnügen für andere fälle auf die Vie domestique (s. 27 fgg. 64. 106) zu verweisen. Es werden an dem genanten tage verbraucht: 950 bröte, zwei ochsen, 210 hühner, 12 chapons de gresse, 7 chapons gras., eine unzahl eier, sechs dutzend d'oiseatix de riviere, vier chevraux. "Wein wer- den 60 septiers zu 60 frs. (= fr. 360) getrunken. Dieser tag mit Verpflegung der pferde und nebenausgaben kostet Jean de Blois fr. 468, 65, nach Hagemans in heu- tigem geldwert fr. 2811, 90. Der aufwand und die kosten des zweiten tages sind etwas geringer (s. 28 fgg.) Das menu am ostersontag siehe Vie dornest .92: I coste de buef, III ehevraux, XI poulles, 200 d'eus, poree. Grosse abwechselung bietet die gewöhn- liche Speisekarte nicht: geflügel und eier waren die haujitbestandteile des täglichen mah- les (Vie domest. s. 93). Noch einförmiger wird die tafel in den fasten: fleisch und eier sind streng verboten und kommen nie auf den tisch, nur die falken bekommen ihr huhn wie gewöhnlich. Jeden tag häring, lauch und zwiebeln, manchmal andere fische, zum dessert feigen und rosinen, und das die ganzen fasten hindurch (Vie domest. 71 fg.). Vgl.: erzb. Heinrich III. von Mainz weist dem Christian Finer, bür- ger zu Eltville, hundert pfuiid, welche er ihm umme ivas%, tcurxe, figen, mandeln und ander fastel spise schuldet, auf einen turnos auf den zoU zu Lanstein an (Sauer, Cod. dipl. Nass. I, 3, 268 nr. 2633 a. 1352). Über das essen auf den reisen haben wir später zu sprechen.

Mit dieser eben genanten Speisekarte, nach der auch das fleisch von haustie- ren auf der tafel nicht fehlen diu'fte, stimt durchaus die Schilderung des Nie. de Bibera: Carnificum fortcm quis ibi negat esse c.ohortem,

Qui pecorum mortem, erebro faciunt sibi sortem? Bos porciis vel ovis vitulus eapra tempore quovis, Ut mandticentur , aput illos invenientur. Nie. de Bibera 1711.

Über die speisen und uahrung der bauern steht uns, meiner meinuug nach, noch eine andere quelle offen, die Schiiltz nicht benuzt hat: die weistümer. Wenn diese ja in ihrer aufzeichnung meist kaum über das 15. oder 16. Jahrhundert hinaus- gehen, so ist doch der Inhalt weit älter. Und gerade in dem in frage kommenden punkte hat der conservative sinn des volkes zäh am althergebrachten festgehalten, was sich u. a. auch daraus ergibt, dass die schöffenessen in verschiedenen gegenden die gleichen speisen aufweisen. Ich will niclit liehauptcn, dass die bauern immer so

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gut und reichlich gegessen haben; aber die schöffenessen waren ebenso gut dinei-s, wie andre essen, von denen uns unsere berichte erzählen, in höfischen kreisen. Ich habe im folgenden eine reihe menus aufgeführt, die bis auf zwei ausnahmen schöf- fenessen entlehnt sind. "Weiter wäre für die sache selbst noch die lieköstigimg der hul)er bei frohnarboiten und die des herren oder vogtes heranzuziehen; im ganzen ein punkt, der wol nähere erörterung verdiente und auch durch beobachtung land- schaftlicher unterschiede (z. b. wein und hier) interessant wäre.

In Neumagen imd Kenfuss an der Untermosel finden wir das gleiche essen: enveisx, mit speck, rindtfleisch mit scnffe, Schweinenfleisch mit gcelcr bruuen {Gvirnra^ Weist. 2, 328 und 405). Nur durch die folge der speisen weicht ab das wcistum von Thron a. d. TTntcrmosel (Grimm, Weist. G, 527), wo der erste und zweite gang ihre l)Iätze getauscht haben. Valwig an der Untermosel (Orimm, Weist. 2, 441) bietet ähn- liches: moisx, vnd rindtfleisch, greben (grieben), rindtfleisch mit mostert, schwei- nenfleisch mit gelber broun, ebenso Eetterad a. d. Untermosel (Grimm, Weist. 2, 480) erbesx mit greben, rintfleischs mit mostert, Obergundershausen bei Bickenbach (Grimm, Weist. 3, 783) je zweien ein schüssell mit erbsen vnd ein schüssell mit rindt- fleisch vnd senff darbei, darnach schiveinefl,eisch in einem gehlen peffer. Pellingen im Hochwald (Grimm, Weist. 2, 117) speck vnd erbisx, grün rindtfleisch mit mostert, schafffleisch mit cümmell, reishrey vnd iceisTc brodt. Besch bei Eemich (Hardt, Luxemburgische weist. 94) gut erbes mit speck, rintfleis mit moestart, geprats mit knobctauch, schivinnenflis mit gelber prneden, ris% mit khoemilch. Enscheriugen bei Diedeuhofen (Hardt, Luxemb. weist. 212 fg.) erbes mit sp)eck gesotten, und der speck an der mamel (?) gebessert, giitt rint fleisch, darnach mostert, rysxbrey mit strauwkräutt drüber, guten landtkeisx.. Eodenbach in der Pfalz (Grimm, Weist. 5, 626) speck und erbeisz, rint fleisch in einer peterli bruwen, gens in einer wurexen, fals es grade fischtag ist: erbeisx. tind fisch in einer tcurcxen, gebroiden fisch. In Nieder- meudig (Grimm, Weist. 2, 489) findet ebenso am freitag nach ostern ein essen ohne fleisch statt: eynen sahnen gesoden vndc gebraden mit einre gruoner sahen, darxuo kese vnde envisxe. üppiger und reichhaltiger sind die folgenden : Garden an der Unter- mosel (Grimm, Weist. 2, 450 fg.) speck vnd erbissenn, rindfleisch mit mostart, schivei- iien fleisch mit geller brmcen, einen Schweinen braden, keesx vnnd brot, gebradenn bieren mit f enget, reisxbrei mit farne. Eeichswald bei Aachen (Grimm, Weist. 2, 779): ryutfleiss mit cleme knofelouche, moiss ind vissche dar by, sivynen fleissch mit dem mostart, tvilbrait gepeffert , hoenre, kese ind beren. Sulzmatt im Elsass (Grimm, Weist. 4, 135 fg.) xivein xusamen halber rint fleisch vnd halber kalpfleisch vngeuer- lich, reht gesotten, daxu eine brüge myt einer ivurtxe, xu dem gesotten fleisch eine gollbe sosse, gebrotenss (kalpfleischj, darxu ein Iwngkmfiss vnd darxti eine grüne sosse, xtvo regelssbiren , eine row, die ander gebroten, misse vnd kese. Queichham- bach (Grimm, Weist. 5, 561 fg.) iveisx mus gemacht von weisem brodle, kratit und fleisch oder sp>eck tind erweisen und senf oder sose, pfeffer tmd fleisch., gebra- tens , keese, obs und genierlich. Hagelsdorf bei Grevenmacher (Hardt, Luxemb. weist. 314) rindtfleisch mit mostert, schweinenfleisch mit broeden (brühe), je xtveyen ein hoen versoden, reis undt schiveinenbrathen mit einer sasxen, keesx. Oüngen bei Grevenmacher (Hardt, Luxemb. weist. 576) erbes mit speck, rintfleisx mit moestart, bnielinck mit einer gehler bruehen, risx mit polver, gepraden lioenner, xtceyerley keesse, xweyerley beren. Eodenborn (Hardt, Weist. 617) speck underbis, ryntfleysch myt mostert, brolynek myt geler bruden, huener mit geler bruden, gebraden broe- linck und huener, rys bestreut myt canele, gebraden byrren myt fenchel, presx-

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Icese und potterkoch. Die beliebtheit des geiichtes speck und erbsen schon in alter zeit zeigt ein im 13. jaiirhundert zu Strassburg vorkommender häusemame: domus Spec unde Erweisse märz 1255 Strassburg. urkdb. 1, 295, 5; ferner ebd. 1, 311, 1 a. 1277; 3, 33, 7 a. 1277; 3, 33, 44 a. 1307.

S. 383] Das vieh wurde wo! im schlösse selbst gemästet. Jedesfals wird in der Vie domestique (s. 95) wie chambre oii fjissent les ?)ioutons pour engresser erwähnt. Anm. 7 hat Schultz in dem citat aus Hadloub (HMS. 2, 287) von der Hagen wol mit unrecht korrigiert: kappen ist = kapaun.

S. 389] Um den 10. november merkwürdig spät nach unsern begriffen sehen wir auf dem tische Jeans de Blois öfters rebhühner erscheinen, von denen gewöhnlich ein dutzend zusammen gekauft werden. Er muss sie aber teuer bezah- len, das paar etwa mit 35 Centimes (etwa fr. 2, 10 in modernem wert. Vie domest. 51).

Der fisch ist ein „herrenessen". Deshalb sagen auch die laien, den gegensatz zu den trägen geistlichen betonend: Ex wer auch uns nicht %e swer Wolt vns sein Got als wol Ionen Wir e§§en auch Visch für Ponen (Ottok. v. St. cap. 417). Eine grosse rolle spielen die beringe. In Ohäteau Renault werden während der fasten- zeit 3000 häringe gebraucht, von denen allerdings 1000 stück als abgäbe an ein benachbartes kloster abzurechnen sind. J)ie gewöhnliche tägliche ration auf dem schlösse sind fünfzig häringe. Man verzehrte ihn nur selten frisch und verstand sich darauf ihn einzusalzen; die näheren angaben darüber Vie domest. s. 68 70. Von anderen fischen werden dort erwähnt: hecht (kostet 10 s. = fr. 36, 60; s. 36. 68. 72), jjoisson de Loire (kostet xv s. iiij d. = fr. 55, 20 s. 40), poiir poisson (kostet xxi s. iiij d. s. 41), j^onr poisson d'esve douce (xxiiij s. ix d. s. 60), pimperneaux (nach Hagemans = brachse s. 51. 108), lampreten (kostet fr. 50, 40; s. 64. 79. 85), aal (s. 64), karpfen (s. 68. 72), braime (brasse s. 68. 72), alose (alose, eise fr. 1, 95 = fr. 11, 70 s. 100), bbeaus (barben? zwei stück 10 s. = fr. 36 s. 100). Mit absieht habe ich die enormen preise zum teil beigesezt, um die äusserung, dass fische eine Eferrenspeise seien, zu kenzeichnen.

Was die Zubereitung der fische und die beigaben angeht, so sind neben den rezepten des Buoches von guoter sptse noch folgende stellen zu berücksichtigen : Wis, es (der fisch) ist ein herrenspeis. Der wein tind pfeffer nith enhab Der tuo sich aller vischen ab Eing 19, 9, Chüs nach fläisch und nuss zuo fischen Oeb man uns xe allen tischen Ring 27 b, 29. Man siedet die fische in einer weinsauce: (Wel- cher mann) trincket haimlich vz den win Da mit du visch sotten sin Gesotten nach ir werde schon, Der hat verdient ains diebez, Ion Lieders. 3, 115, 26.

S. 390] Krebse erwähnt die Vie domestique öfters, sie scheinen nicht alzu teuer gewesen zu sein: pour escreveices v. d. (s. 51), pour escreveices jjour niestre Ligicr xvj d. (s. 105; ferner s. 44).

S. 391] Wol mit unrecht meint Schultz, dass in der vogelpastete zwei abtei- lungen gewesen seien. Es steht nirgends was nebenbei gesagt auch sehr unwahr- scheinlich wäre , dass auch die falken mit eingebacken gewesen waren: sie wur- den vielmehr von ihren herren auf den bänden gehalten und, sowie die vögel her- ausflogen, losgelassen.

S. 392] Schultz führt pittit mangier als namen eines gerichtes an, aber wol unrichtig. Ich habe es immer, modern zu sprechen, als „kleinen frühstückshappen" aufgefasst, und glaube auch die meisten stellen sprechen dafür, es als „kleine Stär- kung" im gegensatz zum gran-mangir (das auch von Schultz falsch aufgefasst wird), zum disner zu nehmen; z. b. j. T. 3615, 2: Ein klein guoter spise sidlen uir des

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ersten sin nil pflegende und dann 261 G, 2: si kundoi in bescheiden piteniansier, da^ in krefte brähtc; vgl. noch Kione G467, Eeinfr. B. 732, Orl. 978. Gü80. 11109. Es steht j. Tit. 599, 2 nicht Ylementschier ^ sondern Slcnienischier, dessen ereter Bestandteil mir dunkel ist; es mag aus Blamentschier verderbt sein. Selbst wenn wir alles sprachlich zu erklären wüsten bei den fremden namen der gerichtu, kämen wir in ihrer dcutung kaum viel weiter: so wird j. Tit. 599, 1 Prodischolar von Genie genant, das wol = prodigiolarc ist; aber was es bezoiclinet, können wir niclit enträtseln.

Wunderbarer weise hat sich Schultz die amüsanten namen der gerichte, wie sie das Buch von guter speise anführt, entgehen lassen. Wir finden dort hühner von Griechen, reis von Griechen, heidnische kuclien , heidnische oder behcmmische erwei^, niusz von Jerusaleiu, haselhühner von Friosontal, königshülmer, lieidnische iiäupter. In diesen namen steckt ein gut stück geschichte.

Unter den gowürzen erwähnt Schultz nicht den seuf (mostcrt), der nicht feh- len durfte; vgl. die belege bei Lexcr 2, 877 und 1, 2258, Vie dornest, s. 124. Für ingwer will ich den möglicherweise landschaftlich beschränkten namen yeimer anfüh- ren, der nach Gangler (Luxemburg, wb. 170) noch heute in Luxemburg vorkomt. Oey- mer sonst Grimm, AVeist. 2, 447. G, 483 (giemmer). Ob genierlich hicrlier oder zu genieren (eintunken) gehört, wage ich nicht zu entscheiden (Grimm, AVeist. 5, 5G2).

S. 394] Bei der besprechung der verschiedenen brotarteu war auch Kudlieb AT, 44, 81fgg.; Xin, 50 heranzuziehen.

S. 395] Bei den Oredeniicken waren auch wol kurz die niieken, mutzen, müt- schen, ein feines gebäck, zum teil in hallmiondform (vgl. Freckenhorster heberolle, oben s. 394 anm. 3), zu erwähnen, vgl. Lexer s. v. ; J. Grimm, Ztschr. f. d. a. 7, 5G2 fg. und Weist. 1, 619. Ferner vinea que dicitur Credemickisstueke Vallendar- Coblenz Heunes urkdb. d. deutschordens 1, 200 nr. 241 a. 1275. Waffeleisen wer- den erwähnt Vie dornest, s. 73 fg. Lebkuchen, vgl. Älheid lebekuchen Mainz Roth, Nass. gesch.- quellen 1, 4, 178 nr. 19 a. 1396.

S. 396] Zu vochenx, (ahd. fachen^ a) vgl. Lexer 3, 424 und die dort citierten werke. LTnter dem gebäck hätten die nunnenvürzlin nicht vergessen werden sollen, die noch bis jezt ihre berühmtheit erhalten haben, vgl. DWb. 7, 883 fgg. Zu anm. 3 sind die krapfenrezepte des Buches von guter speise zu vergleichen, aus denen liervorgeht, dass die krapfen sehr verschiedener art sein konten (vgl. 1. c. s. 20 fg.). Das gleiche ist beim fladen der fall (s. 20. 26 fgg.), wo es, scheints, nur auf die form ankam.

S. 398] Von dessert wird in der Vie domestiquc erwähnt: tartes (s. 41), belle ch'iere (pätisseries s. 42. 43. 60), feigen und rosinen (s. 72). Confekt findet sich genant in der erzählung von dem Junker und dem treuen Heinrich ed. Kinzel 1372. Dur- mars G35G ist fälschlich statt in anm. 9, in anm. 8 hineingeraten.

S. 399] Über den verbrauch von lebensmitteln stelle ich hier einiges aus der Vie domestique zusammen, was lun so interessanter ist, als es sich um das gewöhn- liche leben eines massig bemittelten edelmanues handelt. Täglich werden 200 240 brote verbraucht (s. 21. 30). Der fleischconsum ist schwerer zu bestimmen, doch scheint an einem gewöhnlichen tage ein viertelochse und ein halber hammel zu genügen (s. 22). Das fleisch ist ausserordentlich billig im vergleich zu andern genüs- sen, wie zum preise des weines. Täglich werden ungefähr 9 setiers de vin ver- braucht, das gibt, den sester zu 7,45 liter gerechnet, etwa 67 liter pro tag (s. 22. 30). Interessant ist auch die angäbe der haushaltskosten auf Chäteau Renault während der

540

sechswöchentlichen abwesenheit des herrn und emes teils seiner diener, die sich in der Vie doraestique (s. 48) findet: näher darauf einzugehen würde hier zu weit füh- ren. Nur noch ein paar werte über das Jahresbudget Jeans de Bleis. Wir haben die angaben über ein halbes jähr und können darnach das fehlende ungefähr berech- nen. Ich führe Hagemans' zahlen an; er sagt (s. 113): ^ Les depenses totales poiu" 181 jours, seit pour un terme de six mois, se sont donc elevees ä 2771ivres, 8 sous, 9 deniers, qui, en valeur intrinseque , representent fr. 3,329. 25 et en pouvoir com- mercial moderne ä fr. 19,975. 50. Soit quaraute mille francs par an". Dabei ist noch zu berücksichtigen, dass Jean de Blois unverheiratet war.

S. 402] Die speisen waren scharf gewürzt: truhso'^en da^ in hrähten .... Durcktempert lool mit tvurxen Virg. 216, 6; st (die speisen) tmren wol mit wurxen Vii'g. 967, 8; (Sie) liez,en vaste holen dar In hoveltcher wtse Ir tcolgemachten sjnse Mit tvurxen und mit safrcm, Der ietsUche^ wol gemachen kan Dem starken ivtne süe^en smac GA. 2, 469, 90.

Der herausgeber des Nie. de Bibera führt noch eine anekdote an, wonach Ru- dolf von Habsburg das Erfurter hier sehr gut geschmeckt habe (zu 1766). Später ist es sichtlich schlechter geworden; das zeigt uns eine von "Wattenbach aus einer Mün- chener handschrift des 15. Jahrhunderts \y3röffentlichte lateinische priamel (Anz. f. k.

d. d. vorz. 1877, 340): Devocio in Italia, Veritas in Ungarin Cerevisia in

Erfordia, Nichil valent per omnia. Ganz so schlecht, wie Schultz anuirat, war aber das hier doch wol nicht, und es wurde sicherlich mehr getrunken als unsere dichter ahnen lassen. Auch beim hier gab es verschiedene Sorten: das GA. 2, 422, 414 erwähnte afterbier (dünbier, vgl. auch Theodericus dictus DunneMr a. 1305 u. ö. "Wyss, Hess. urkd. 2,51. 112. 156) war gewiss kein schönes getränk. Algemein gelobt wird aber das Oodale, Ich verweise noch auf Du Gange 4, 83 und Verdani en Ver- wijs Mndl. wb. 1, 333; Oodale von Arras Guiart 10694. Auch in den reiserechnun- gen Wolfgers wird die ausgäbe für hier erwähnt: cervisie XL iirnas und cervisie urnas VIII (s. 61). Ein anderes, in Meissen gebrautes hier weiss Nie. de Bibera nicht zu loben (2104):

Tercius in Misna locus est, ubi non bona tysna Ut puto braxatur, bona sed prebenda vocatur. Über tysna vgl. noch Du Gange 8, 112 {tisana). 221 [tysana).

S. 403] Über die Zubereitung von Meth vgl. Ein buoch von guoter spise nr. 14: Wilt du guteji met machen. Über die Erfurter Verhältnisse äussert sich Nie. de Bi- bera (1768) folgendermassen :

Quem languens stomachns desiderat, est ibi bacchus. Est et ibi medo, quo me, quociens bibo, ledo, Nam sua dulcedo febrem generat michi credo.

Die anm. 6 gegebenen citate für die bedeutung von Ut als fruchtwein sind zu streichen. In den compositis Uthils, Utgebinne findet sich kein unterschied mehr von wtnhüs usw.; es heisst nur „schenke" und „schenkin". Dagegen sind für Ut = Obstwein anzuführen Krone 1941. 1950. 7332, Diemer 109, 4. Anm. 9 füge hinzu: ejjfelmost Beh. 386, 18. Rotwein wird als sicarxer win bezeichnet Simon, Gesch. d. dynasten und grafen z. Erbach, Urkdb. 274 nr. 288.

S. 404] Die anm. 6 angeführte stelle aus Nie. de Bibera ist unrichtig aufgefasst, da sie aus dem zusammenhange gerissen ist. Der dichter lobt an einem andern orte gerade den Würzbiu'ger wein (774):

potabis ibi (Herbipoli) bona vina.

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ÜBER SCHULTZ, HÖFISCHES T.KBEN

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Die zuerst genante stelle handelt von den Erfurter sclieiikvvirten, die AVürz- burger wein mit nieissnisch- thüringischem vermischen. Damals florierte in diesen gegenden der Weinbau mehr als jezt, wie die ausführungcn von Tittmanu (Heinrich d. Erlauchte 2, 55 60) zeigen. Vimtni fravcomcmn ist übrigens nicht franken- wein, das erscheint mir als ausgemacht. Über das violnmstrittono Verhältnis zwischen rininn hunicuin und franconicmu (Ilöf. leb. 1, 405 anni. 5) haben noch gehandelt Wilhelmj, Beitrag z. coutroverse von Frenze -win und Hunzig-wiu, Wiesbaden 187G (= Nass. annalen 14) und dazu Steinmeyer, Anz. f. d. a. 4, 138 fgg., ferner K. Hof- mann, Ztschr. f. d. a. 23, 207 fg. Es erscheint mir nach den erörterungen als sicher, dass wir in den fraglichen ausdrücken bezeichnungen der traubensorto vor uns haben, eine ungarische und eine französische; wozu gut stimt, dass die Orlrans-traubc z. b. in Rüdesheim seit alter zeit gepüegt wurde. Von urkundlichen Zeugnissen führe ich noch an: dua mnoR franchonici vini crescentis in vinea nostra sita in hatdenheim Eossei, Eberb. urkdb. 2, 357 a. 1292. diias atnas vini franci erementi ebd. 2, 571 a. 1311. dimidiam carratam vini franci et dimidimn earratam hunici melioris erementi vincarnm ebd. 2, 678 a. 1318; ferner Herquot, Arnsteiner urkdb. 202 nr. 316.

Ausser dem Würzburger wein finden wir noch vinum Berstratieuni erwähnt: tenemur conventtii nostro .... procurationem in refectorio nostro irrout apud nos consuetum est in albo pane, rino Berstratico et piscibus ministrare Rössel, Eber- bacher urkdb. 2, 381 a. 1297.

S. 405] Bei der besprechung der weiusorten, wo sich einmal wider Schultzens glänzende belesenheit und hervorragende sachkentnis zeigt, wüste ich nichts hinzu- zufügen ausser dem \erweis auf Eracl. ed. Graef 3589 {von Tiverburch, [Var. : Kyper] trinket tvm), wo der herausgeber wol richtig vermutet, dass Tibur, das heutige Tivoli, gemeint sei.

S. 408] Für den Malvasier war noch auf DWb. 6, 1512 zu venveisen: „griech. wein, zu frühest aus der gegend von Napoli di Malvasia auf Morea, sodann auch von den inseln des griech. archipels und endlich selbst aus Sizilien importiert". Vgl. noch die bemerkimg in der „Pilgeifalirt landgraf Wilhelms d. Tapferen von Thüringen (1461), herausg. von Kohl, s. 94: Es wächst auch da (auf der insel Candia) der Mal- masier und ist in diesem lande also stark und heiss, dass ihn niemand ungemischt trinken kann".

Ganz unerwähnt gelassen hat Schultz den Romenei, Romaine, ebenfals einen Südwein, vgl. GA. 2, 323, 291 (romaine), Lexer 2, 483 sub Romäner, Du Gange 7, 209 aus Barel serm. in Dom. 4. 'advent. {Nonne reputaretur insipiens quis opti- niam Romaniam vel malvaticiim poneret in vase murulento?), ferner Pilgerfahrt usw. s. 91 : Es ivächst auch da (in Morea) der Romanei. Noch Hans Sachs keut wie den pinol und rernetx auch den rumenicr (Fastnachtsp. ed. Götze 1, 73, 124 fg.).

S. 409] So fein Schultzens erörterung über Schavernac ist, so vermag ich an die herleitung aus Capranica nicht zu glauben. Zu beachten ist, dass wir nur im deutschen das woii überliefert haben, und dass ö^mohan Schavernac der name eines hutes ist: daraus geht ziemlich sicher hervor, dass das wort entstelt ist. Ich bin geneig-t an eine entstellung aus Vernachia (Du Gange 8, 283 b, Schultz 1, 409), Gar- nachia (Du Gange 4, 35 a, Schultz 1, 443) zu glauben; vgl. noch Roquefort 1, 670, Littre 2, 1930 a, Verdam enVerwijs Mndl. wb. 2, 922. Aber ich gestehe, dass auch meine ansieht durchaus hypothetisch ist. Belege für den namen sind noch: zu schabernakken (Haresheim) Güterverz. von Rupprechtsburg b/Biugen, Mittelrhein.

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sechswöcheütlichen ab Wesenheit des herrn und eines teils seinei' dietier, die sich in der Vie domestique (s. 48) findet: näher darauf einzugehen würde hier zu weit füh- ren. Nui' noch ein paar werte über das Jahresbudget Jeans de Blois. "Wir haben die angaben über ein halbes jähr und können darnach das fehlende ungefähr berech- nen. Ich führe Hagemans' zahlen an; er sagt (s. 113): ^ Les depenses totales pour 181 jours, seit pour un terme de six mois, se sont donc elevees ä 2771ivres, 8 sous, 9 deniers, qui, en valeur intrinseque, representent fr. 3,329. 25 et en pouvoir com- mercial moderne ä fr. 19,975. 50. Soit quarante mille francs par an". Dabei ist noch zu berücksichtigen, dass Jean de Blois unverheiratet war.

S. 402] Die speisen waren scharf gewürzt: truhsa^en das «'* brähten .... Durchtempert tvol mit icurxen Virg. 216, 6; si (die speisen) wären tvol mit wurzen Virg. 967, 8; (Sie) liefen vaste holen dar In hovelicher wtse Ir ivolgemachten sptse Mit würzen und mit safrän, Der ietsUchez, wol gemachen kan Dem starken wtne süe§en smac GA. 2, 469, 90.

Der herausgeber des Nie. de Bibera führt noch eine anekdote an, wonach Ru- dolf von Habsburg das Erfurter hier sehr gut geschmeckt habe (zu 1766). Später ist es sichtlich schlechter geworden; das zeigt uns eine von "Wattenbach aus einer Mün- chener handschrift des 15. Jahrhunderts veröffentlichte lateinische priamel (Anz. f. k.

d. d. vorz. 1877, 340): Devoeio in Italia, Veritas in Ungaria Cerevisia in

Erfordia, Nichil valent per omnia. Ganz so schlecht, wie Schultz annimt, war aber das hier doch wol nicht, und es wurde sicherlich mehr getrunken als unsere dichter ahnen lassen. Auch beim hier gab es verschiedene Sorten: das GA. 2, 422, 414 erwähnte afterbier (düubier, vgl. auch Theodericiis dietus Dunnebir a. 1305 u. ö. "Wyss, Hess. urkd. 2,51. 112. 156) war gewiss kein schönes getränk. Algemein gelobt wird aber das Godale, Ich verweise noch auf Du Gange 4, 83 und Verdam en Ver- wijs Mndl. wb. 1, 333; Godale von Ärras Guiart 10694. Auch in den reiserechnun- gen "Wolfgers wird die ausgäbe für hier erwälmt: cervtsie XL tirnas und cervisie urnas VIII (s. 61). Ein anderes, in Meissen gebrautes hier weiss Nie. de Bibera nicht zu loben (2104):

Tercius in Misna locus est, ubi non bona tysna, Ut puto braxatur, bona sed prebenda vocatur. Über tysna vgl. noch Du Gange 8, 112 (tisayia). 221 {tysana).

S. 403] Über die Zubereitung von Meth vgl. Ein buoch von guoter spise nr. 14: Wilt du guten met machen. Über die Erfurter Verhältnisse äussert sich Nie. de Bi- bera (1768) folgendennassen:

Quem languens stomachus desiderat, est ibi baechus. Est et ibi medo, quo me, quociens bibo, ledo, Na7n sua duleedo febrem generat m.ichi credo.

Die anm. 6 gegebenen citate für die bedeutung von lU als fruchtwein sind zu streichen. In den compositis lithüs, litgebinne findet sich kein unterschied mehr von ivmhüs usw.; es heisst nur „schenke" und „schenkin". Dagegen sind für Ut = Obstwein anzuführen Krone 1941. 1950. 7332, Diemer 109, 4. Anm. 9 füge hinzu: epfelmost Beh. 380, 18. Rotwein wird als stearxer win bezeichnet Simon, Gesch. d. dynasten und grafen z. Erbach, Urkdb. 274 m*. 288.

S. 404] Die anm. 6 angeführte stelle aus Nie. de Bibera ist unrichtig aufgefasst, da sie aus dem zusammenhange gerissen ist. Der dichter lobt an einem andern orte gerade den Würzkirger wein (774):

potabis ibi (Herbipoli) ho)ia vina.

ÜBER SCinTT,TZ, HÖFISCHES LEBEN 541

Die zuerst genante stelle handelt von den Erfurter Schenkwirten, die Würz- burger wein mit meissnisch- thüringischem vermischen. Damals florierte in diesen gogenden der weinbau mehr als jezt, wie die ausführuugen von Tittniann (Heinrich d. Erlauchte 2, 55 60) zeigen. Vinum franconicmn ist übrigens nicht franken- weia , das erscheint mir als ausgemacht. Über das vielumstritteue Verhältnis zwischen vinimi hunicum und franconicum (Ilöf. leb. 1, 405 anni. 5) haben noch gehandelt "Wilhelmj, Beitrag z. controverse von Frenze-win und Hunzig-win, Wiesbaden 187(5 (= Nass. annalen 14) und dazu Steinmeyer, Anz. f. d. a. 4, 138 fgg., ferner K. Jlof- mann, Ztschr. f. d. a. 23, 207 fg. Es erscheint mir nach den erörterungen als sicher, dass wir in den fraglichen ausdrücken bezeichnungen der traubensorte vor uns haben, eine ungarische und eine französische; wozu gut stimt, dass die Orleans - traube z. b. in Rüdesheim seit alter zeit gepflegt wurde. Von urkundlichen Zeugnissen führe ich noch an: diia' ama- franchonici vini cresccntis in Tinea nostra sita in Jiatdenhcim Eossei, Eberb. urkdb. 2, 357 a. 1292. diias amas vini franei crementi ebd. 2, 571 a. 1311. dimidiam carratam vini franei et dimidimn carratam Imnici melioris cre7nenti vincarum ebd. 2, 678 a. 1318; ferner Herquet, Arnsteiner urkdb. 202 nr. 316.

Ausser dem Würzburger wein finden wir noch vinum Berstraticitm erwähnt: tenemur convenhii nostro .... procurafionem in refeetorio nostro jrrout apiid nos co7isuetiim est in albo pane, vino Berstratico et piscibus ministrare Eossei, Eber- bacher urkdb. 2, 381 a. 1297.

S. 405] Bei der besprechung der weinsorten, wo sich einmal wider Schultzens glänzende belesenheit und hervorragende sachkentnis zeigt, wüste ich nichts hinzu- zufügen ausser dem verweis auf Eracl. ed. Graef 3589 {von Ticerburcli [Var. : Kyper] trinket 'ivtn), wo der herausgeber wol richtig vermutet, dassTibur, das heutige Tivoli, gemeint sei.

S. 408] Für den Malvasier war noch auf DWb. 6, 1512 zu venveisen: „griech. wein, zu ünihest aus der gegend von Napoli di Malvasia auf Morea, sodann auch von den inseln des griech. archipels und endlich selbst aus Sizilien importiert". Ygl. noch die bemerkimg in der „Pilgerfahrt landgraf Wilhelms d. Tapfereu von Thüringen (1461), herausg. von Kohl, s. 94: Es wächst auch da (auf der insel Candia) der Mal- masier und ist in diesem lande also stark und heiss, dass ilm niemand ungemischt ti'inken kann".

Ganz unerwähnt gelassen hat Schultz den Bomenei, Bomaine, ebenfals einen Südwein, vgl. GA. 2, 323, 291 {romaine), Lexer 2, 483 sub Bomdner, Du Gange 7, 209 aus Barel serm. in Dom. 4. 'advent. {Nonne repuiaretur insipiens quis opti- mam Bomaniam rel nialvaticuvi poneret in vase murulento?), ferner Pilgerfahrt usw. s. 91 : Es tvächst auch da (in Morea) der Bomanei. Noch Hans Sachs kent wie den pinol und vernetz auch den rumenicr (Fastnachtsp. ed. Götze 1, 73, 124 fg.).

S. 409] So fein Schultzens erörterung über Schavernac ist, so vermag ich an die herleitung aus Capranica nicht zu glauben. Zu beachten ist, dass wir nur im deutschen das wort überliefert haben, und dass daneben Ä'cÄctrerwac der name eines hutes ist: daraus geht ziemlich sicher hervor, dass das wort entstelt ist. Ich bin geneigt an eme entstellung aus Vernachia (Du Gange 8, 283 b , Schultz 1 , 409) , Gar- nachia (Du Gange 4, 35 a, Schultz 1, 443) zu glauben; vgl. noch Roquefort 1, 670, Littre 2, 1930 a, Verdam enVerwijs Mndl. wb. 2, 922. Aber ich gestehe, dass auch meine ansieht durchaus hypothetisch ist. Belege für den namen sind noch: zu schabernakken (Haresheim) Güterverz. von Eupprechtsburg b/Bingen, Mittekhein.

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iirkdb. 2, 380 nr. 14 a. 1200, Wtgandiis Scahernach Baur, Hess, urkdb. 1 , 69 nr. 95 a. 1226.

S. 410] „Flaschenwein" bedeutet auch wol vinum Orugularum , für den Wolf- ger lib. dini. et xviij bezahlt (Eeiserechnuugen s. 60).

S. 411] Auch der Eraclius (ed. Graef 3589) erwähnt die mischung des weines mit Wasser, allerdings für eine kranke: Von Tiverbiirch trinket toln, Der sol wol gemenget stn.

S. 412] Vgl. noch GA. 2, 473, 224: (Der wirt) Mez, %e jungest holen dar Vil lakticarje drate; Der gab die muschate, Der ingeber, der galgan, Da bi gab ein hübscher man Kubeben, dirre neilikin. Darnach trunken sie den ivin, Den ge wärmet, disen kalt.

S. 416] Anm. 5 füge hinzu: Nu truoc man in daz, wa^^er dar, Der künegtn und dem ritter klär In xwein becken guldtn Tand. 9588.

S. 421] Eine auszeichnung war es an die tafel des herrn zu kommen: man saxt in tverdeeliehe An der herren tavehi dort Virg. 941, 3. Zu anm. 1 war wol auf Höf. Leb. 1, 74 zu verweisen.

S. 422] Der platz oben am tische ist, wenn nur eine tafel vorhanden, der ehrenplatz: oben an des tisches ende saxt'man den füt'sten guofWoUd.D.Y., 116, 4; An des tisches ende xe oberst, als man saget. Wart dem fürsten eilende %e gema^z,e geben diu maget Wolfd. D. VI, 56, 3; Si satten mich (Bibunc, den boten der Virginal) vür vürsten groz, Der tvirt rümte mir den stuol. Sin edel haut mir tca^^er go^ Virg. 277, 11. Anders scheint die Verteilung gewesen zu sein, wenn mehrere tische aufgestelt wurden. Sie stehen, wie wir oben (zu s. 365) sahen, an den wänden, und wir finden eine genaue Schilderung der Verteilung der platze im Tand. 2595 fgg. : Didcamär der künec rieh Gap der künegtn xühtecUch Ein want und den vrowen, An der andern moht man sehowen Den jungen künec von Tan- dernas. Uf des küneges palas Satxt man an die dritten ivant Kei icnd Kalogriant Dodineis und Iivänet, Der wart durch des küneges bet Gepflegen werdecUehe. Der wirt zühte riche Satxte an die vierden tvant Sioaz, er ritter in dem palas vant. Die des wert mohten stn; vgl. noch die ähnliche Schilderung Gärel 4745 fgg.

Schon im Radlieb aber (ed. Seiler XIII, 62. 64) essen damen und ritter gemein- sam. Jeder ritter isst mit seiner frau Tand. 7427 (le ein ritter valsches la^ Mit stner hüsvrouwen a§).

S. 424] Zu dem auftragen der speisen ist die miniatur im Codex dipl. Ca- vensis 3 (1876) I Manoscr. Membr. 108 zu vergleichen. Ich mache noch auf die dort auftretende form der schusseln aufmerksam, die ähnlich auf sehr vielen bildwer- ken jener zeit erscheint. Zu anm. 3 füge hinzu Karlm. 22, 30, wo Karl den gebra- tenen pfau am spiesse auf der achsel in den saal hereinträgt.

S. 425] Anm. 1 vgl. Parz. 237, 13: Swä do der taveln keiniu stuont, Da tet man vier knappen kimt, Daz, se ir diens niht vergm^en Den die drobe scezen . Zwene knieten tmde sniten: Die andern zicene niht vermiten, Sine trüegen trinkn und e^^en dar Und ndmen ir mit dienstc war. Anm. 2 war ein kurzer vorweis auf die unten (anm. 5) citierte stelle Parz. 423, 29 anzubringen.

S. 426] Anm. 1 füge hinzu: Diu maget mit xühten tvtse Sneit dem ritter sine spise Mit ir blanken hende wi^ Dar an hant der gofes fli^ Gärel 915; Im sneit diu maget scelden rieh Mit ir selber hant die sptse Tand. 11645; Vo7i ir ivart niht ver- ge^z,en, Si snite im sine spise Und pfheg sin wol x^e prise Tand. 13471.

t5BER SCHULTZ, HÖFISCHES LEBEN 543

S. 427] Über tiscliimisik vgl. lol. 5288 und anm. Ferner: Zwo juncvromven edel, von hoher kür, Die gicucjoi xühiecüch hervür hiiter als ein gimme, Si sun- qen wunneclichen sanc (Dar undr ein süe^iu videl klaue) In vröudcn richer atinime Virg. 278, 1; vgl. Virg. 942, 11. 217, 1. 217, 12.

S. 431] Zu dorn nötigen des gastes vgl. noch Garel 4762. 4800. Einen grossen appctit scheint man damals goliabt zu haben. Wenigstens wird von dem essensquantuin Karls des grossen ohne zeichen der verwimderung herichtot (Karlni. 539, 53 CO): Er ass tiiglich nur wenig brot, ein viertel schaf, zwei kaiiaunen oder eine gans, eine schwcinsschulter; oder einen pfau oder kranich oder einen hasen oder Schwan.

S. 432] Zu anm. 1 füge hinzu: Die recken häten ye^z,en, die taveln teuren blas Du man den hcrren alumme und iimme tva^^er gö^ Grimm, Roseng. 93. (iewöhnlich wurden die tischtücher nach dem essen abgenommen (nach Mel. 5373), die tafeln fortgetragen und dann erst stand man auf. Aber mau geht auch von dem gedeckten tisch fort: Da^ tischlachen er üf -warf Und gie von dem tische dan Ze dirre juncvromccn stän Krone 7835 ; Als ml Oäivein gaz, reht genuoc Den tisch er von ime stiez, Krone 13097. Die tische werden gewöhnlich einfach weggehoben luid herausgetragen (Konrad Troj. 20573. Garel 4856. Wh. v. Wenden 5627. Krone 9711, 14799. GA. 3, 100, 136), aber man legt die tafel auch einfach auf die erde: Wan si ril kthne des crbeit, Da§ der tisch wart hin geleit Und man %e bette ivolte gdn Troj. 28117; Dar trüg man tvasser noch dem mal Und legte nider hin xe tal Di tavel auf die erde Suchenwirt XXV, 361. Solte die folgende stelle in der Krone (7335) Do man die tische tvider sluoe Si gesäten In dem viure auf klap- tische sieh beziehen?

S. 433] Nach tische ist die Unterhaltung sehr animiert. Es werden rätsei auf- gegeben {Als man die tavel üf gehuop Vil rcetschen man do iimbe gap Vii'g. 655, 12), und die herren fangen an zu singen: Man gap den hei'ren waz,z,er do, Des waren si do alle vro. St vilr die vrottiven giengen Und sungen hoveUchen sanc DaZi nämen die jimcvroiven ze f?«ne Virg. 970, 1. Dann geben ihnen die Jungfrauen tvider- gclt mit singen.

S. 434] Hier wai' auch wol noch die bekante stelle Kaiserchronik 135, 22 zu erwähnen, die sehr gut den gesichtskreis der ritterlichen Unterhaltung kenzeichnet.

S. 436] Der wirt sorgt für ruhe im haus : Diu grdz,e müed im daz, gebot , Da^ der hell do vil schier entslief. Nieman iimb in redet noch rief: Daz, verbot der bescheiden ?r«V^ Meier. 6408. Anm. 4 füge hinzu: sin (Firganant) enphlägen nicht wan vrouiven Demant. 7335; Ditt kleider man von im empfie, Der hell an daz, bette gie. Die juncvrowen giengen dan, Ouot naht gap in der werde man Tand. 13354.

S. 437] Schultz meint, dass es noch nicht für anständig gegolten habe, sich zu übernehmen. Allerdings einen kultus der Völlerei gab es noch nicht; aber doch finden wir um die mitte des 13. Jahrhunderts, wie es auch Höf. leb. 2, 486 (und anm. 2) erwähnt wird, die liebe der ritter zum wein bei Ulrich von Liechtenstein, bei Wernher dem Gartensere und dem Stricker getadelt: sie überwuchert schon damals alles andere. Daher sind auch Schultzens äusseruugen über die Wiener meerfahrt und den Weinschwelg nicht ganz zutreffend, zumal in diesen gedichten eine gewisse ironisieiiing auftritt.

Interessant ist eine angäbe des Nie. de Bibera, die für- die beurteilung der fuianziellen Verhältnisse in der damaligen zeit sehr wichtig ist; zwar hat sie hier

544 MEIER

kaum ihren platz, aber anderswo ist sie bei Schultz nicht besser unterzubringen. Nie. de Bibera (1749) erwähnt, dass die kaufleute ein jähr hindurch den detailkäufern kredit ga))on :

Sunt ihi, qui pelles vel vellera qnalia velles,

Si petis, ostendunt et pro precio tibi vendunt.

Si precium desit, vir dummodo non sine re sit:

Pelles vel pannum solvendi tempus ad annuin

Huic indulgetur. Sic mos commitnis habetur. Anders verfuhren die wii'te: da muste man vorher bezahlen; es hies: „erst das geld, dann das getränk", so schildert uns Nie. de Bibera die Erfiu'ter Verhält- nisse (1985 93; vgl. 1994 fg.); vgl. auch Hilgard, Speyrer lu-kdb. 435 nr. 487 a. 1345. Im wirtshause fand man vielseitige Unterhaltung, und fahrende leute (?) meint der ebengenante dichter (1910 fgg.) wol, wenn er sagt:

. . . Diversi sunt ibi mores:

Iste suam voceni se iactans esse ferocem

Gantibus exaltat, alter eeleri pede saltat,

Älter fabellam recitat quandoque novellam. Überhaupt, das leben und treiben im wirtshause hat Nie. de Bibera (1889 1985) in einer weise virtuos geschildert,' mit einer natürlichkeit und einer feinheit der färbe und beleuchtung, dass ich nur den vergleich mit den kneipscenen der hol- ländischen maier, eines Adrian von Ostade und eines Teniers versuchen möchte, um die eigenartige, packende und plastisch lebensvolle darstellung zu kenzeichnen.

S. 439] Über die lebensweise der bauern vgl. auch die erzählung von Motzen Hochzeit, Wittenweilers ring und die gedichte des Hesselohers (Goed. I, 298, hss. auf der hof- und staatsbibl. zu München).

S. 449] Auffallend ist das privileg Jeanne's de Blois (a. 1288) für die bewohner der Wälder von Blois. Sie erlaubt ihnen in den herscliaftlichen Wäldern und Auren zu jagen avec chiens jour et nuit, toutes sortes d'oiseaux et de bestes, grosses ou gresles, telles qiie cerfs, biches, porcs, laies, chevreuils, daims, connins, lievres et de 2>}'ß>idre ces oiseaux et bestes a qnelque maniere que ce soit (Vie domest. s. 88).

Bei der erzählung von der ermordung der drei Flamländer ist zu berücksich- tigen, dass sie edelleute waren. Für die ermordung vermeintlicher Wilddiebe würde sonst auch der heilige Ludwig kaum eine solche oder überhaupt eine strafe ver- hängt haben.

S. 450] Eine beschreibung eines brackens gibt das weistum über den Büdin- ger reichswald vom jähre 1380 (Grimm, Weist. 3, 426): so sal eyn furstmeister, der von alter geborn dar&u sy, von rechte dem riehe halten, tvan er birsin wulde, eyn bracken in der bürg zu Qeylnhusen mit bedrauftin oren und sal ligen off eyme syden kolter und off eynem syden küssen iind sin leydeseyle syden iind da%. halsbant silberin und oberguldet. Auch die bräckelin waren schosshunde der damen, wenn anders die conjektur richtig ist: Ir bräckelin (hs. sprächlin) die har- ten Müesx, sich erwütten jn ir schosx Lieders. 1, 411, 100. Ebenso verwanten die damen wol die stöuber, kleine tiere, die als dameuhunde neben dem gebrauche auf der jagd dienten. Die auch von Schultz (2, 119) augeführte stelle könte uns zwei- felhaft lassen; entscheidendes bringt aber die Ziramersche chronik (4, 377, 22) bei, das wir hier verwerten dürfen. Zu anm. 4 füge noch hinzu Yirg. 560, 11 fgg. Vor schi'eck drückt Acheloyde bei einer trauerbotschaft ihr liermolin tot: üf ir brüsten

ÜBER SCHULTZ, HÖKISCflKS LKBK\ 545

trüch se ein hennelin Dat hatte sie gedruchet dot Craue 308. Vgl. noch Wig. 11, 15 fgg. und Wolfd. D. VlI, 73, 1 fgg. : mmiege schooie inaget Sack er bi den xlten, da^ im so wol behaget: Klein hundeltn im schöbe und manec hermelin, Die vögele im kevjen sungen. tva:^ mohte be^^ers gesln? In die line fesselt man die tieie und belustigt siili an iluen ängstlich possiorlichon spiüugon: Nil vert entwer ir habedanc, Rehl als ein rat da^ umbe gut Und als ein inarder den man hat In eine lin gebunden Frauend. 424, 25.

S. 453] Einen auszug zur jagd sehen wir auf einer niiniatur des Codex dipl. Cavensis 4 (1877). I. Manuscr. Membr. 52: Der fürst führt den loithund am seil, ihm folgt ein diener mit hörn und speer; beide sind natürlich beritten. Wie es scheint, trug der, welcher die jagd führte, einen leitestap (vgl. auch die eben genante miniatur, wo aber der köuig wol sein sceptor trägt): or leitestap was ein robin Da^ kein rlclicr niuchte sin Demant. 3193. Wie sehr die lieblingshunde wert gehalten werden zeigt der umstand, dass Jean de Blois für seine hunde kirchliche spenden an die lieiligeu verrichten lässt: Item au Normant poiir porter offrances ä St.- Denis pr. iii chiens iüi d. It. offrances pour les chiens xii d. (Vie dornest 54).

Die terminologie der jagd ist eine ausserordentlich schwierige, und es wird kaum möglich sein, alles aufzuhellen. Etwas hätte Schultz aber wol darauf eingehen können. Icli begnüge mich auf Stejskals kommeutar zu Hadamars von Laber jagd zu verweisen, wo manches klar gelegt ist. Über den ausdruck üf der ividervart jagen habe ich zu lol. 1974 gehandelt. Ich gebe hier noch zwei nachtrage: Wise hund lonffen relU rart, Die Jungen sliehen von der ivart, Die ivisen blibent uff der spür, Der jung laufet xuo der tür, Da man in gütlich hat getan. So mag der wise nit lan, Er muo^ suochen die wider vart Altsw. G, 15. Dieselbe bedeutung hat widerspur: Gesell, iclt, sagt dirs vor, Du jagst die widerspor Mit dinen fal- schen hunden; Du hast unrecht rerbu/ulen Alhie uff dieser fart Altsw. 157, 6. Auf die vielumstrittene frage der bedeixtung von ruor will ich hier nicht näher ein- gehen und nur darauf aufmerksam machen, dass Schultz bei den namen der hunde die ruorhmule (Mel. 2018. 2029) nicht hätte vergessen sollen.

S. 457] In dem zweiten satze der seite ist ein „von andern" einzuschieben, da sonst ein falscher sinn heraus komt: Siegfrids bogen ist so stark, dass er von andern nur mit einer mechanischen Vorrichtung gespant werden kann.

S. 458] In der Vie domestique (76) wird uns von der jagd auf wölfe, fuchse und dächse berichtet. Aum. 3 war wol zu halpfül ein kurzer verweis auf Grimms Gramm. 2, 633 zu geben; eine sauart scheint es doch zu sein, und darum hätte das ganze citat lieber zu dem wort „Wildschweine" erwähnt werden sollen. Anm. 4 ist neben Pfeiffers notiz noch Haas, Germ. 33, 312 zu vergleichen.

S. 459] Anm. 1 füge hinzu: mit dem Mate glien MF. 245, 10. Zu der Ver- breitung des aberglaubens vgl. auch noch den tadel des Teichner (Karaj. anm 308).

S. 468] Anm. 1: Pilatus 28.

S. 470] Überhaupt war es für den mit üppigem luxus reisenden notwendig eine kapelle mitzunehmen. Die bestandteile wurden auf Saumtieren transportieii {manec sounuer muose tragn Kappeln unde kamergewant Parz. 699, 4). Die einrichtung einer solchen kapelle wird uns durch Ottokar von Steyer (cap. 67) beschrieben: Dew Frawe an der selbing Vart .In ain Munster tvart geiceist. Der Maister dikehe ivard gepreist, Dax er also het geschikcht. Aus Dueh ward nie geflikcht Dhain so chostleich Weriehk Ez stund von verren als einPerichk Auf vesten Zelt-stann- gen. Die Chirchen het vmbvangen Ain Chirchchnoph von Tuch. Mesgwant und

ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXIV. «^^

546 MEIER

Ptich Was die ChircheM rcol beraten. Ähnlich mag die kapelle im zelte der Virgi- nal gewesen sein (Virg. 127, 5 fgg.)- Tand. 8072 ist wol kein solch provisorisches kirchlein gemeint, vgl. 8264 (diu statj.

S. 471] Die kaninchen fieng man in netzen; so findet sich in der Vie dome- stique (58) folgende ausgäbe: It. pour af. les peneous (netze, garne) as conins irii s. It. i^otir corde a les en armer xvi d.

S. 472] Die jagd mit netz und seil auf rot- und hochwild wird auch von Ha- damar von Laber als gemein und unedel bezeichnet.

S. 473] Aum. 9: Vgl. noch über deü blävo^ Demant. 5794 fgg.

S. 475] Schultz hat das citat aus Erec (1965) dem mhd. wb. (2, 281) entnom- men, das noch, wie die erste ausgäbe des Erec, den gegebenen falschen text bietet. Das richtige hat Haupt in seiner zweiten ausgäbe: vier mü^e ein sparwcere, ein Sper- ber von vier mausern, vgl. I^anz. 7175: ein sperwcsre von maneger müze. Das abrichten von falken heisst „machen" : Sam der reiger vähen loil Mit ungemaehten valken, Also mico^ ich (Hildebrand) ifi (Dietiich) machen e, JE sin hant der vtnde lip Mit scharfen swertcn tiieje we Virg. 235, 9. Man fängt die falken und sperber, indem man sie durch einen netzvogel ins garn lockt: Der häbch und sparwer vahen teil, Der schol mich des nicht bitten vij, Da% ich der sein necxfogel sey Ring 42, 17; mine sinne swingent Als ein tvilde^ vederspil Dem nach des netxevogels zil Von siner tumpheit ist so gäch Fi'agm. 43 a. Den so gefangenen vogel zähmt man in einem käfig: Ein nuwevangen rederspil Zement vian wol in eini coven Veterb. 3832.

S. 476] Zu ainn. 2 füge noch hinzu: JMich dromede, so ire queme Eyn valcJce wys, so ice der sne Geidogen oioer de tcilden see. Hey tvas mit borden geschuyt, De worpel waren vele guet Karlm. 502, 6. Lancrezzel also wol getan Wart nie an vederspil gesehen Bit. 13186.

S. 478] Über die nahrung der falken gibt uns die Vie domestique gute aus- kuuft. Jeder falke bekomt täglich ungefähr ein halbes huhn: p)Our VI. poulles pour III faucons pr. VII. jours II s. VIII d. (20), It. pr. I poule pr. faucons X d. (85), It. pr. I gel ine (galina) pr. faucons XIII d. (74). Ausserdem erhalten sie herzen von tieren (pour ceurs pour faucons XIIII d. 24) und ochsenfleisch {It. poicr II jwidles et pr. buef pr. faucons XXII d. 30). Auch rebhühner bekommen sie zu fressen: Delyä ätzt den von Demantin erhaltenen sperber selbst; Delyd or zu brach Mit der hant eifi p)(itris Demant. 3696.

S. 481] Die dressur des falken zur- jagd geschah mit einem fiirlä^, einem vogelähnlichen gebilde, das an einer leine befestigt und in die luft geworfen wurde: Reht als ein smerlinterz Nach einem vorlag sioingt Altsw. 157, 12; vgl. noch die schönen nachweise über art und gebrauch des fürlasz DWb. 4, 763 fg. und auch Lexer 3, 603. Flandern scheint ein Stapelplatz der aus dein norden kommenden falken gewesen zu sein, und flandrische falkner giengen wol selbst nach Norwegen, um an ort und stelle die kostbaren vögel einzuhandeln; vgl. Vie domest. 87. Anm. 6 ist wol in der aus Biterolf (6983) citierten stelle nach dem „Er" in klam- mern „das Windspiel" beizufügen, weil das proiiomen sonst leicht bei flüchtigem lesen auf den falken bezogen werden könte.

S. 482] Wurden die stäuber an dei' leine geführt bei der rebhühnei'jagd? Odei" hat Hagemans recht, wenn er eine in dtsr Vie domestique vorkommende bemerkung (//. pour XXV toisses de corde pour dairr II cliiots pour les perdrix

ÜBER SCHULTZ, HÖFISCHES LEBEN 547

XX d. p. 74) auf die dressur der beiden lumde bezieht? Sehmellcr (2"'', 720) erwähnt noch aus Chu. 3941 f. 35: Falco)iariiis in equo srdeiis facicns cvolare fal- eonem mit accipitrem capit perdicem, aucum (tut alaudam, coram quo Itinc inde eanes, vulgär Her stöbrer, currunt.

S. 486] Auch Gasner (Zum deutschen stiassenwcsen s. 120) führt beispiolo dafür au, dass man das reiten dem fahren vorzog. Die wege und l)rücken waren sicher nicht gut und wurden wenig nachgesehen. So passiert es denn dem Tandarois (Tand. 10223) auf einer brücke, dass under im ein dil xcbroch Und brast dem rosse ab ein bein. Trotzdem scheint man die grösseren Strassen dann und wann geglättet zu haben. Wolfram weiss von einer Strasse, diu was gestricht unde breit (Parz. 142, 7); andere belege bringt Gasner a. a. o. s. 115 und anm. 390. Da gilt es denn als besonderes lob, wenn man sagen kann: die strafen wären wol gestalt (Virg. 342, 4). Aber das sind wol nur die Chausseen gewesen {nee quicqam ab eis exigatur occa- sione stratarum j^ublicarum, quas Chaucidas vocant, vel etiam j)ontium reparan- dorum Chaiia Godefridi Lotharing. Ducis a. 1140; vgl. Du Gange 2, 300 fg. 23 fg. Via calciata a. 1045); die übrigen wege vicinaler natur verwuchsen leicht mit gras und gebüsch (vgl. auch Gasner a. a. o. 118), und oft zeigte nur noch ein crucifix den einstigen lauf der Strasse an (Gasner 56 und anm. 49). Dalier wii'd die volstän- dige unwegsamkeit der waldstrasse, die Parzival reitet, dadurch angezeigt, dass es heisst: kriuxe unde studen strie Dar %uo der loagenleisen bic Sine waltsträ^en vieit (Parz. 180, 3). Ferner in der Krone (3644 fgg.).: So rtt ich xem alten wege Da ich tnieh an die huote lege Da etesioen diu strafe tvas, Die hat vericahsen da^ gras, Ein criuxe si aber xeiget. Das kreuz dient auch sonst zum erkennen des weges: Gang durch den tan, Da vindestu ein criux stan, Und rieht dich xuo der rechten liant, So wirt dir die stra^ bekant; Darnach macht du verirren nicht Und Immst uf die recht geschieht Altsw. 105, 26. Eigentliclie wegzeiger kommen erst im 16. Jahrhundert auf (Gasner a. a. o. 121). Trotzdem aber dies alles das reisen beschwerlich machte, so steckte doch der di'ang in die fremde im blut: die vrouive was clage rieh, Da^ niegelin tvas gemeit, Do st an vromede riche reit Grane 3641.

S. 487J Auch Ottokar von Steyer (cap. 316) erwälmt die hängenden wagen: (Er ward krank) So dax, in mtist tragen Sein hangunder Wagen, Der gie sanfft und sain. Anm. 6 füge noch liinzui manec rilich vromcen icagen Ze velde wart gevüeret Dar üf die xendeldacli gcslagen. Mit sklen tcol gesnüeret Was ir gexelt von Tliamiat (Damiette) Virg. 307, 7; vgl. 126, 7.

S. 488] Unter den gepäckwagen hätte der kanxu-agen nicht fehlen sollen: Und hie§ bald ü§ füeren Vier pfärt und einen kanxwagen Trist. 9219; vgl. Mhd. wb. 3, 644, Lexerl, 1511, DWb. 5, 181 fg. uudHilgard, Speyrer urkdb. 487, 10, 14.jahrh.: Si quadriga magna, canx.wagen vnlgariter nominata, Renum apud nos voluerit pertransire, quofquod habuerit ultra sex equos, de quolibet illorum denarium I. dabit. Auch Ottokar von Steyer schildert die beförderung von kranken auf der rossbahre: Ein Siechtum Zach er sich an Vnd hie^ sich dan Furn auf ainer Ros- par cap. 313, Den Weissxenekcher sa Auf aitier Rospar man irracht Her xu Ori- ren mit chrankcher macht cap. 576. Zwei zeiter tragen das hundehäuschen des Piticnüs auf einer schönen rossbahre vor der Isolde daher (H. v. Freib. Trist. 4445 fgg.).

S. 489] Anm. 2 ist die textherstelhing Behaghels mit ausnähme des oben besi)rochenen ximite (vgl. zu s. 343) einzusetzen.

35*

548 MEIER

Die hier und auf den folgenden seifen gegebene besclireibung des Sattelzeuges der pferde ist jezt zum teil zu ergänzen aus "W. Boeheinis Waffenkunde, in der kapitel I, 10 (s. 193 fgg.) über „das pferdezeug und den pferdeharnisch " gehandelt wird. Ich will hier nicht im einzelnen daraus nachtragen, was zu weit führen würde, sondern mich mit dem algemeinen verweise begnügen und nur noch einige Zeugnisse der dichter beibringen. Einen elfenbcinsattel mit eiugegrabenen figuren finden wir Karlm. .55, 34 fgg. erwähnt und weiter Laurin 175 fgg.: Der satel üf dem rosse stn Der was helfenbeinm. Der satelboge gap liehten schtn Dar an lac vianec rubm. Eine rechnung des hofsatlers Geffroy le Breton für den connetable von Franki'eich Eaoul comte d'Eu (1336 1339), welche Boeheim (s. 202 arim.) nach Demay mit- teilt, will ich ihres grossen Interesses wegen hier noch anführen: Für mon- seigneur einen prächtigen rensattel, die bögen vorn und hinten mit verschlungenen Verzierungen von silber, in form von röhren beschlagen und an den ecken die- ser Verzierungen einfassungen , und in der mitte dieser bögen ein liebesgott, in goldstoff gekleidet, nach dem leben gebildet, die bände und der köpf von elfenbein und die tlügel von goldschmiedearbeit. Er hält eine rolle von email in der band und sizt auf einer rasenbank von samt. Bei dem einen dieser liebesgötter befindet sieh ein Schäfer, bei dem andern eine schäferiu; beide sind in goldstoff gekleidet, köple und bände sind aus elfenbein und auf dem genanten sieht man schafe aus elfenbein, welche weiden, und dabei einen hund aus elfenbein. Der genante wiesenplan ist auf das schönste mit funkeluden blumen bestreut XLV. L. p.

S. 490] Es sieht mir gerade so aus, als ob Haiimanns Uinbri^ eine entstel- lung eines französischen ausdrucks sei. Diese Vermutung wird sehr wahrscheinlich, wenn man die lesarten der handschriften ansieht, wie sie die eben erschienene aus- gäbe des Erec und Enide von W. Förster (Halle 1890) enthält. Hartmanu hat jedes- fals die lesart, wie sie C bietet, vorgelegen, welche Förster wol mit recht in den text gesezt hat: aus uns brex taillierre (C) macht Hartmann Urnbrix. Die anderen handschriften lesen verschieden: brief E, grex B, bons HPVA.

S. 491] Vgl. noch da hie^ si dar bringen, ho'ren wir nocli sagen, Einen darmgürtel edele mit gokle wol beslagen Wolfd. D. VII, 190, 3.

S. 492] Anm. 2 füge hinzu: In dcme satilbogen sin Stünden swanin guldin Rother 4950.

S. 493] Bride, die wie ein mann kämpft, springt ohne Stegreif in den sattel, und daraus müssen wir wol schliessen, dass sie ritlings zu pferde sass (Orendel 2062). Die stelle aus dem AVelschen gast (419) gehört aber nicht hierher: sie besagt nur dass eine dame, die quer (nicht ritlings) zu pferde sizt, nach vorn schauen und nicht nach der vom pferde links liegenden Seite sehen soll.

Hier ist auch wol der ort, um über ein bisher algemein mis verstandenes wort zu sprechen: diu satelschelle oder da^ satelgeschelle. Ich führe zunächst die vorkom- menden belege an: Mit samite und pfellel Wären die sadilschellin Oextrot, dat was michel loph Rother 230 (vgl. 3572 fgg.); Da lac ilf eiri gereite, Smal an alle breite, Oeschelle und bogen verreret, Orö^ xadel dran gemeret Parz. 257, 1 ; Kegn (des truchsessen) zeswer arm und tvinster bein Zebracli von disem gevelle: Snrxengel, satel, gesehelle (wol satelgeschelle; = Ggg unde satelgeschelle) Von dirre liurte gar zebrast Parz. 295, 24; Da^ tet Geneo ande Und schd§ in behande; Durch die satelschel- len sm Traf er in xur lanken m Albr. v. Halberstadt ed. Bartsch 125 d. S. CLxxx. Es sind zwei gründe, die uns hindern, das wort, wie man bisher tat, zu nhd. schelle zu stellen: einmal hat schelle ein e, und die bindung von e : c wäre bei Wolfram min-

ÜBER SCHULTZ. HÖFISCHES LEREN 549

destens ungewöhnlich; dann aher reicht die bodoutung „schelle, glöokcliou- iür unsere stellen nicht aus, wie man auf den ei-sten blick sieht; es wäre unnötig, dies im einzelnen auszuführen. Ich meine, dass schelle, gcschelle zu schal, schale (schale, Verschalung) gehört [vgl. auch schiele (< schele = schale Hardt, Luxemburg, weis- tümer 73), schele Verschalung (Lexer 2, 691) und hüsgeschcUe liausliabe (Lexer, Nachtr. '254)] und möglicherweise die Verschalung, welche von der. spitze der Sattel- bögen herunter geht und zwischen welchen der reiter sass, bedeutet. Dies wird meines erachtens bewiesen durch folgende stelle: derselb voytherr solle dahin kom- men tmd sein gelegh vff sein sattclschale legen vnd dem, herren hulff und Steuer thuen, dass er bezahlt werde Grimm, Weist. 3, 792. Diese Verschalung ist mitunter ausgepolstert, daher sie auch den namcn hiisch führt: Ich kom. mit hurt so an den man, Daz ich im von dem satel dan Reit büsch und ouch den stegereif Frauend. 270, 17.

S. 494] Mit unrecht ist Intlft und panel identificiert. hnlft ist ein sattelüber- zug, der ihn ganz verhülte, wie es auch aus den belegen hervorgeht: es wird dazu {ad operlorium, zur bcdeckung) das feil eines widders verwant, aber bei besonderem luxus auch düblet. Schultz hat die BiterolfstcUe (2808 fgg.) aus dem zusammen- hange gerissen, sonst würde er selbst seinen irtum bemerkt haben: von düblet guot genuoc Ein hulft ob stme satel lac: dar umbe da^ der schtn niht teac Wi- der dem Schilde tvol getan, Er künde keiner slahte man Vermelden daz, si^ u-ceren. hulft und halst gehören auch etymologisch zu hiillen, und hulft hat überall die bedeutung „decke, hülle". Eine genaue beschroibung des reitzeuges bietet die Krone (7755 fgg.): Ein setnet rot als ein viure Bedaete de?i satel über al Unx üf die erde hin %e tal; Des selben icas da§ panel, Wan da§ ein schoen pnrper gel Durch gexierde loas dar über gebogen; Von silber tvären die satelbogen , Ersniten vil tvcehe, Von steine und golde (Scholl: goldes) spa-he Was er dar ander tvol geziert. Von borten was er gefeitiert. Der satel vil gevüege, Surxengel tmd vür- büege; ü§ silber tvären die stegereif. Auch andere kostbare Schabracken werden noch erwähnt: üf den satel was gesm'tcn Der aller beste sigelät, Den iemen in der werlde hat Klage B. 4160; Mit samite grünin Wären die sadele bexogin Iz in haven de buche gelogen. Dar sdzen Constatitinis kint Vf ein stdrn geicint Rother 4589; Diti vil rtchen j^fertkleit hiengen nider üf daz, gras Klage B. 4170.

S. 495] Mit schellen und andern zierrateu war das gereite geschmückt: Die schellen gäben geda:ne An froun Elamien gereife "Wig. 235, 12. De kostelicheit van dein gereide Ind ouch van dem vurboeh Is %o prysen genoeh. Do hangent ane hundert schellen roit (goif?) Ind synt ciaer van golde roit Ind klingent as Eckerich rgt Karlm. 386, 38. Der xoum und dax vürbüege. Dar an hiengen schellen (Tand. 420), die klingen wie die verschiedenen vögel singen: von arabischem golde guot Warn die schellen alle (ebd. 436). Statt des wertes schelle findet sich auch xüncl in derselben bedeutung, wofür Lexer (3, 1177) belege gibt. Andere zierraten werden im Rother erwähnt: Do quämen die xelder inde die ros tJffe den Podcramus hof. Da klapp)ende daz, gesteine Mit den tsperUn kleine An den vorebougin 4585, Pellin und kleine geivire Die sconen gextre . . . Die vortin si an den rossen ebd. 3572.

Bei dem ausdruck Schwanzriemen " könten wir an die moderne art denken: aber es ist ein riemen, wie wir ihn bei dem sogenauten hintergeschiiT haben; vgl. z. b. Schultz 1, 483 fig. 145.

550 MEIEK

S. 497] Anin. 7 füge hinzu : daz, der Stegreif leder solden sm [Was icjht sMtn Oeworcht %v einem borten Gefrieret an den] orten Mit dem edelen gesteine Gräve Eud. Ab 11 (Das in klammern stehende ist ergänzt; Grimm schreibt ge[gen den] orten).

S. 498] Schultzens Vermutung , es sei Walberau 905 statt Ein lauterman man im dar truoc zu lesen Ein leiter man im dar trtioc scheint mehrfach beifall gefim- den zu haben. Ich vermag mich nicht mit ihr zu befreunden. Einmal genügt die conjektur inhaltlich keineswegs (es ist von keiner leiter, sondern von einer mit gliedern versehenen ständigen Verbindung der beiden löwen die rede!); dann aber sezt sie das misverständnis eines ganz durchsichtigen wortes und eine dittographie voraus. Kom- pliziert wird der Vorgang noch dadurch, dass im folgenden verse der, auf lauterinan bezüglich, steht, das von Schultz in diu gebessert wird. Es scheint mir bei dieser conjektur ein häufig gemachter fehler begangen zu sein: man berücksichtigt nicht, dass bei deutschen handschrifteu das Verhältnis der Schreiber zu ihren vorlagen doch ein wesentlich anderes ist, als bei den kopisten griechischer oder lateinischer Codi- ces, und dass in folge dessen die fehler verschiedener natur sind. Fals wir es mit der abschrift eines klassischen textes zutun hätten, wäre für mich Schultzens conjek- tur annehmbar; so aber nicht: sie schein-t mir eine zu komplizierte reihe von ver- sehen und misverständnissen vorauszusetzen, die sich auf einem punkte häufen, und daher sich nicht addieren, sondern potenzieren. Ich vermute, dass laidcrman eine Verbindung der beiden teile des satteis, der zwei löwen, sein soll, und möchte viel- leicht an eine entstellung aus loramentum (ligamentum Du Gange 5, 141) denken (?).

Zaumzeug ist altfranzösisch wol lorains (■< lat. lorenum) und nicht loraines, wie Schultz angibt (Du Gange 5, 141c). Die zäume der rosse sind mit gold beschlagen und mit schellen geschmückt: Wie die xoume kliingin, Do die vronwin drungen ܧ der bure in widcrstrU Eother 4608; Ricke pfärdes xoume Mit gul- dinen schellen "Wig. 271, 30. Mit samt überzogen ist der zäum; Der xom ivas ocli kospär Mit samit rberxogen Zügel unde satelbogen. Baidil galt und ruhin Gaben vff dem xüg schin Lieders. 3, 586, 262. Auch die mahnen der rosse werden geschmückt: den wären de manen beivunden Mit borten also kleine Da inne was göt gesteine Rother S70.

S. 499] Wolfd. D. V, 202, 3 heisst es: er bant im (dem ross) üf vil baldc schöpf und satel sm. Was bedeutet schöpf? Vgl. noch bint im üf den hohen schöpf Helbl. 1 , 393 und der zopf tvas für daz, houbet lanc Erec 7332. Ursprüng- lich bedeutet es wol sicher die in die stirn fallenden haare, die man zusammenband und event. in die höhe richtete. Ob man aber nacliher nicht einen künstlichen schöpf, wie es das gügerel ja war, ähnlich dem federbusch der heutigen circuspferde , ange- waut? Es ist mir nicht unwahrscheinlich.

S. 500] Die hufeisen hatten schon damals stellen, wie die abbildungen deutlich zeigen, vgl. z. b. Höf. leb. 1 fig. 137. 148; 2 fig. 137. Auf manchen bildern erschei- nen einfache rundeisen ohne sie (z. b. 1, fig. 150); ob aus mangel an künstlerischer ausführung oder aus absieht, bleibt unklar. Zu anm. 3 füge hinzu: Bl dem orse Rennewart beleip : Ungerne in ieman danne treip, ünx, er^ gestalte schöne, Da von Samargone Ein insigcl ivas gebraut Ans orses buoc, daz, er da vant; Dar nach ivas Arofelles schilt Wolfr. Willeh. 232, 3.

S. 501] Es ist zu bedauern, dass Schultz auf pferde und reitkunst nicht ein- geht: eine Verweisung auf die arbeiten von Friedr. Pfeiffer und Reiffenberg kann nicht genügen. Ich will hier keine nachtrage geben, hoffe aber später au andei'm

ÜBER SCFIULTZ, HÖFISCHKS LF.BEN 551

orte im zusammonliange dieses thcma zu l>oliaiidcln. Zu dem preis der pferde war wol noch Lamprocht, Deutsches Wirtschaftsleben im mittelalter 2, 544 fg. zu verglei- chen, wo er die preise der pferde aus Urkunden und andern Zeugnissen angibt. Die in anm. 4 angeführten zahlen (hundert und tausend) besagen nichts, nach dem was wii- oben zu s. 175 ausgeführt haben; aber vgl. aus den reiserechnungen "Wulf- gei-s (s. 29): 2)ro palefrido Enrjilschalci XL tal. veron. Gewöhnlich wii-d man wol von einem schritstein in den sattcl gestiegen sein, der sich öfter vor dem pallas befand, wie Schultz oben (1, 58) nach Erec 1197 ausführt. Vgl. noch: Als der Hei- den Merxiän da^ ersacJi, Da^ shiros als imgcxogen was, Er sprach: ^füer ez^ xtio einem stein Und kom dar üf, da^ e^ dich nit bring zu leide"- Orendel 956. Im notfall half man sich unterwegs mit einem baumstumpf: stant üf den stoe, sitx hin- der mich; Dix, ros daz ireit uns beide ^irg. 163, 2. Das streitross war dem ritter sehr vertraut und lieb, das sehen wir aus allen gedichten. Aiich die Vie domcstique zeigt das: Am 10. november 1.327 wird Jeans de Blois jxdlefrog Liart krank: Item xxxiii. s. riii. d. pour les dcspens de Liart qiii fiit mene ä Lancloistre (pres de Beaumont la Eonce? Hagemans) jdo?»- gerir ä un marchau (Der marschalk war zugleich tierarzt, vgl. Du Gange 5, 274c sub marescallus) et poiir les despcns dou Normant qiii le garda. Item iiU. s. pour les despens Robin le mareehau aler pr. plusieurs fois ä Lancloistre pour vouar Liart le cheval Mons. It. pour pluss- ehoses pour Liart le chevau Mons. qui estoit malladc ä Chainpbon et pour un autre qui mourut vii. s. ob. Item pour onguemcnts pour le pallefroy Mons. et pour sonffre vif v. s. vi. d. Item iii. d. pr. offrances pour Liart le fdefroy. Item ä Hoppe Tourtc, qui le mena, pour ses despens de luy et de son cheval v. s. an. d. (Vie dornest. 53 fg.). Wir sehen, wie viel dem besitzer an der herstellung des wertvollen tieres liegt. (Andere arzneien für pferde Ale domest. 63. 68).

S. 502] Zu den Hebeisen war wol noch auf die von Weinhold (DFr. ^ 2, 204) citierten staphac, stapedes, saltatoria, aonrjQiai (Du Gange sub staffa) zu verweisen.

S. 503] Zu anm. 3 füge noch hinzu: Do begunde he (der knecht) uinnen ilz, der malen Lachen tind von golde schalen, Schneidern, honre unde ivhi. ^Ur en- mag niht icol gephlogen sin"-, Sprach der knecht, „mr sin lür e««e Demant. 8301. Im ganzen liess man sich auf der reise nichts abgehen, das zeigt das ausgabebuch des Jean de Blois: Am 26. Oktober 1327 hat er mit den seinen die A'ei'pflegung der knechte wird extra berechnet verzehrt: pour pain X. s. IUI. d., pour vin XVI. s. IX. d., pour porc IX. s., j)otir poullaille, pois et moutarde XVI. s. I. d. It. pour lait XVIII d. It. pour mouton III s. It. pour I poule pour faueons VIII d. It. j)our verjust, vinegre et pour belle chiere X. s. VIII. d. (Vie domest. 43); vgl. ferner s. 44. 79. Auf die reise werden taries (s. 41) und fische mitgenom- men, und ich vermute, dass der oft erwähnte artikel p)our portaige d'esve mit dem transport der lezteren zu tun hat. Jean de Blois reist bequem, er schickt überall relais voraus (s. 41 fgg.). Vor dunkelheit sucht mau die herberge zu erreichen; im notfall zündet man fackeln an (s. 42. 45). Dafür sind die reisekosten auch ganz beträchtliche. Jean de Blois reist durchschnitlich mit 21 pferdeu und gebraucht für eine siebentägige reise nach Hagemans' berechnuug in modernem geldwert fr. 2347,05. (Vie domest. 46.) Eme andere viertägige reise kostet ihm fr. 1380,90 (Vie domest. 62).

S. 504] Anm. 3: er sprach: .„juncvrou, wie kumt ez, so, da^ ir sit aleine?"- GA. 1, 354, 650.

S. 506j Schultz übersezt euere mit dinte, aber es scheint, wie soffre zu den medikameuten zu gehören: Der kranke Bugart bekomt encre violat einzunehmen, und

552 V MEIER

ich glaube kaum, dass er dinte getrunken haben wird (Vie dornest. 112). Die grossen Strassen, die vicn publiccE, heissen des riches strafen (Ottok. v. St. kap. 674. 711. 812), wobei wol an daz, riche (der herscher) zu denken ist; über weitere benen- nungen vgl. Gasner a. a. o. s. 76 fg.

S. 507] Im algemeinen tmg der kaufmann wol nicht immer hämisch auf der reise: Sie vuorten alle harnasch an Niwan der guote koufman, Der vnor nach koufmannes siten Tand. 7309.

S. 508] Anm. 4 füge hinzu Demant. 6647. Über diesen ganzen abschnitt, der Strassen und zolle behandelt, vgl. Gassner s. 29 fg. 45 fgg.

S. 512] Zu der Schilderung der räuber ist noch Lanz. 3807 fgg. zu vergleichen: Sin tvären ivol geiväfent niet. Fürbaß kündet uns da§ liet, Ir geverte was ze ronbe guot: Schilt banier tsenhuot Cleiniu tvambeseh, snelliti ros, Da^ si berc unde mos Deste schierre mohten überkomen. Dix moht in alle^ niht gevromen.

S. 514] Wie die baueni vom j^fluge weg zu räubern werden, schildert uns auch Nie. de Bibera 1025 fgg.

S. 516] Für die betten, die man fast immer auf die reise mitnahm, hatte man eigene koffer, wie sie in der Vie domestique erwähnt werden: j)our apareiller la fnalle dou lit Mons. XVIII d. (s. 73; vgl. auch s. 25 fg.). Sie waren vermutlich aus leder. "Wir finden in dem recht der stadt Strassburg aus dem 13. Jahrhundert (Gaupp, Deutsche stadtrechte des MA. 1, 75) die bestimmung (CVIII), dass die Schuster dem bischof auf die reise futterale für die kerxstellen, sowie bulgen und laden usw. aus schwarzem , und die handschuher (CIX) aus weissem leder machen sollen. Vgl. noch zu anm. 2 : HUfebrant der alte do plag der soumschrtne Fier tmt fierzeg marke lie^ er an dem Rbie Dem fergen do xe lone, golt, silber unde gewant Grimm, Eoseng. 887.

S. 517] Die knappen führten die streitrosse hinterher: die knappen man do ziehen sach Die ros dar nach in einer schar Wig. 227, 2. Anm. 6: Ein ritter und eine dame reiten zusammen Lanz. 8986. Ferner: Äldä sy reden vnderu-egen So tcoulde Oodin der degen Vnimer zo allen zyden By Orien ryden. Hey halp vp ind neder Bcyde vort ind ireder: Hey deente ir vp gnade Karlm. 207, 35. Aide reitet, auf jeder seite ein ritter: Ind hadden do wunne vele Bede mit sänge ind mit speie Karlm. 501, 20. Es konte leicht zu gerede anstoss geben, wenn eine dame nur einen ritter zur seite hatte. Dai'über äussert sich die geliebte Ulrichs von Liechtenstein: Din gnote sd hin umbe sach, Zuo einem ritter st do sprach: y,Ir sidt zuo mir ouch ritcn her. Sol bt mir nievien rtten mer Niwan ein riter, daz, ist niht guot. Seht daz, irz, immer mer getiiot. Ez, stät in, allen übel an, Sol mit tnir rtten wan ein man"" Frauend. 42, 17; da heisst es dann weiter: mer danne sehse ir dar riten, Der stis der so nach ritters siten (ebd. 42, 31).

S. 518] Anm. 1 : er (Ortnit) spranc in sin gereite, die meit nam er vür sich Ortuit V, 439, 4; er vie ez, (das kind Eraclius) bi der hant Und hie§ ez sitzen hin- der sich Eracl. ed. Graef 838. Die ritter hüben ihre damen vom pferde und wider hinauf: Tand. 9038 fgg. 8993 fgg., Grane 2119 fgg. 3665 fgg. Anm. 2: Wig. 228, 17. 230, 19: frowe Amenä reicht im (Wigalois) dar Ir tohter zoum mit der hant. Her Wigalois sich underivant Alrcst siner amien Der schoenen maget Larten. Eneide 1759: Doe st op dat pert quam. Met den toume st nam Ericas der märe . . . Doe leide st der jongelinc. Warum der könig Imian Wolf hart zäumt (Virg. 985, 1), weiss ich nicht zu sagen. Die falken werden auf reisen mitgenommen, vgl. Vie dornest, s. 41. 61.

UBKR SCHULTZ, HÖFISCHES LEREN 553

Ein froher glänzender zug ist es, der so dahin reitet; ein liühsclies hild davon gibt uns der dichter der Virginal (662, 1 fgg.): Si bereiten aber sich üf die vart. Mancc horu rersuoc/iet /vart, st Itite begunden schellen. Man Hortes verre durch den walt * * (ein vers fehlt), Diu hundel gunden bellen Den juncvrouwen tu ir schfiz: si gunden lüter singen. Der rosse wihcn daz wart gro^, Die hclmc mnosten klin- gen. Auf der fahrt wird in frölilicher geselschaft gern gesungen (Vu-g. 793, 0. 780, 4), Morant tut es sogar allein: Murant was in syme herfxen liehfc Ind was siinder sorge rro. Eyncn sanck, de was ho Ind van soessem done Begonde Morant schone Syngcn al synen wcch lande Karlm. 223, 24. Noch häufiger aber hat man auf der reise instrunicntalinusik gehabt: tambur und saitenspiel ertönt Virg. 988, 4. Ulrich von Liechtenstein weiss von sumberslagcn (Fraueud. 464, 32), /loyten, holer (465, 1) und ßdcUercn (465, 25) zu berichten. Gewijhnlich hat er fideler und posau- nenbläser mitgenommen (Frauend. 166, 5. 189, 17. 192. 6). Gahmuret zieht in Patelamunt mit posaunen, tamburu, flöten und fideln ein (Parz. 19, 6. 63, 2). Es gab eigene märsche, die reisenote genant wurden. Über reisenote (Frauend. 166, 8. 295, 28. Parz. 63, 9. Krone 775. G. Gerh. 3616) vgl. noch M. Heyne, Anz. f. k. d. d. vorz. 1881, 263. worauf auch Schultz (2, 125 anm. 6) aufmerksam macht. Dieselbe oder eine ähnliche bedeutung hat wol üz,reise (Frauend. 403, 24. 405, 15: Mit der ür, reise hochgemnot Fiior den sumer manc ritter guot) , nur dass sie gesun- gen wurde. Muste man im freien übernachten, so liess man die knappen wachen: Die knappen hiez man wachen Die naht mit flt^e unz an den tue Wig. 92, 18.

S. 519] Eine gewisse Verpflichtung der bürger zum beherbergen der ritter scheint eine stelle in Ulrichs Frauendienst (250, 25 fgg.) anzudeuten: Do der tuom- vogt xe Wienen quam, Er herbergt so als da^ tcol %am In al der stat gewaltecUch. Da emvas dehein burgcer so rieh, Er niüest in da Herbergen län. Anm. 4: Da sto^ent üf (auf das zeit) diu banier, Da^ si diu baz erkennen sich Diu uns Hdnt hie begcstet Virg. 341, 4; diu vier banier man stiez, In goldes ricHe knüpfe Yirg. 342, 2.

S. 521] Den ankommenden muste man grüssen, wenn man sich nicht selbst etwas vergeben wolte: Der keiser sieh an im vergaz, Do her ime versagede da^, Daz, her in niht emcolde, Als her ran rehte sohle, Grozcn nach dem dhisfe s/n Crane 1303. Auch Etzel vergisst dem Biterolf gegenüber die einfache pflicht der höflichkeit, auf- zustehen und ihm entgegen zu gehen, wie er komt: Der wirt sl/t selbes da vergaß, Daz, er von sedele niht enspranc. Des sagte im deste seiner dune Biterolf tind die sinen tnan Des gruoz,es , des im wart getan (Bit. 1178). Aber Etzel begeht noch zwei weitere uuhöflichkeiten: er fragt nicht, woher jene kommen, imd bemerkt gar nicht, dass Biterolf ihr aller herr ist, er zeichnet ihn nicht weiter aus (Bit. 1186 fgg.). Als gegenstück zu ihm wird Helche geschildert, deren gewinnende liebenswürdigkeit die schranken des unumgänglich gebotenen überschreitet: Frou Helche durch gexogen- heit Vil balde ro/i ir sedele stuont; Swiez, künighine niht entuont, Da§ sie üf gegen knekten stau, ledoch ivart ez, von ir getan Bit. 3340. Beim hinausgehen aus dem zimmer begleitet der wirt seine gaste bis zur tür oder bis vor dieselbe: Meleranz der werde man Beleit si (die königin) unxe Hinz der tür Und ein lütxel dar für Meleranz 8708.

S. 522] Anm. 1: Ob es sich Bit. 1779 fg. um die reisekleider oder das /sen- gewant handelt, ist nicht ganz klar. Ich glaube, es ist die kappe gemeint. Ja sogar in den Zwischenpausen des turnieres wii-d der an die zelte fremder ritter rei-

554 MEIER

tende Lanzelet eingeladeu, sich zu ihnen zu setzen, und man reicht ihm wein (Lanz. 3142 fgg.); vgl. auch Bit. 1183 fgg.

S. 523] "Wie andrerseits auch die klöster und ihre gastfreimdschaft in ansprach genommen werden, das zeigen die ausführungen des Nie. de Bibera über das kloster Pforte (1051 fgg.).

S. 527] Wie sehr in beziehung auf die anwesenheit von betlern vor den schlos- sern die Schilderung der gedichte der Wahrheit entspricht, beweist die Vie dome- stique (s. 19 fg.). Täglich waren mindestens acht betler dort, mitunter zwölf, ja sogar 24 (s. 101) und 25 (s. 109) begegnen; es wird in den rechnungen als ganz selbstverständlich angeführt, z. b. Le dymanche ... fut Mons. a Chateau Ben. et y ot VIII poures.

Bei der beschreibung der aussätzigen {miselsühtegen) war wol auch auf Wacker- nagels bemerkungen in dem aniiaug zu seiner ausgäbe des armen Heinrich (herausg. von Toischer s. 163 fgg.) und auf Virchows arbeit. Die krmihhaften geschwidsie (1, 296 fgg. 2, 494 531) zu verweisen, die mustergültiges liefern. Weiterhin ist auf Virchow's aufsätze zur geschichte des aussatzes und seiner heilung in seinem Archiv bd. 18 fgg. zu verweisen, wo sich über existenz und einrichtung der siechenhäuser grosses material findet. Die geschichte einer älteren französischen leproserie mit einigen einleitenden algemeinen bemerkungen über das auftreten der lepra und die gegen ihre Verbreitung in Frankreich getroffenen massregeln lieferte der französische arzt A. Puech in seinem buche La leproserie de Nimes (Nimes 1888). Nie. de Bi- bera (1520) lobt die Dominikaner und Franziskaner: Lepra conspersos sacro medica- mine tersos Incoliimes sistimt et agenti pi^ava resistunt.

S. 528] Schultz meint, keines der abenteuer Ulrichs von Liechtenstein sei widerwärtiger, als dass er sich unter die aussätzigen mischt, und er hat darin recht. Doch auch hier wie so oft sucht der Don Quichote der ritterzeit aber ein Don Quichote, der mit seinen abenteuern co(|uetiert und immer hinter dem Vorhang her- vorguckt, ob wir seinen bravourstückcn auch beifall spenden! , wenn er anders bei der Wahrheit bleibt, eine reminiscenz zu verwerten: er will den Tristan nachahmen, der sich auch miselsüchtig färbt, um der Isolde zu nahen. Tristan von dannen gie, Der herre geivarj), ich sagiu wie: Er slotif in bcese huder icät, Die vrumen man doch missestät. An im geschach ein iviinder, Einen list den kunder: Eine salbe er under äugen streich, Da§ im sin lichte varwe entweich; Er wart vil ungeschaffen. Er nani eins siechen Haffen Türh. Trist. 2225. Ysöt hält ihn zuerst wirklich für einen miselsiecken (2246). Bechstein (zu Frauend. 1003, 2) meint, Ulrich habe die reminiscenz aus Eilh. 7026 fgg. entlehnt, muss dann aber spä- ter zur erklärung von Ulrichs erwälmung der entstellenden salbe auf Gotfrieds Tri- stan (15567) zurückgreifen (zu 1155, 1 und 4). Bei Ulrich von Türheim findet sich beides vereint, und wir können mit einiger Wahrscheinlichkeit Ulrichs von Liechten- stein kentnis dieser bearbeitung vermuten.

S. 530] Vgl. man hötz, im wol und dannocli haz,. Vil schccner vrouiccn umbe in sa§, Die kurxten im die stunde. Si xugen vür in toerkes gaden, Si truogen dar kram unde laden: Swa^ iegclich bestes künde, Da§ treip st vor dem werden man, Durch da§ in niht verdru^^e Virg. 207, 1. Es ist noch an die reiche erwäh- nung von spielen zu erinnern, wie wir sie Altswert 89, 1 90, 23 und in Hoff- manns Ilorre Belgicse G, 169 190 finden. Daraus ist wol noch allerlei zu ent- nehmen.

ÜBER SCHULTZ, HOFISCHES I.EBKN 555

S. 531] Zu hasart hätte auch auf die deutschen belege Mhd. \vb. 1, G40 b, Lexer 1, 1192, Yerdani en Verwijs Mndl. \vb. 3, 171 verwiesen werden sollen; vgl. auch Balxo Haschart Baur, Hess. urk. 3, 600 nr. 1532 a. 1258. Ebenso wäre wol die unzweifelhaft richtige ableitung von arab. jasara (würfeln) anzuführen gewesen. Vgl. noch: Manig knecht jvi da gespielt Der seiner liah hchiclt. Oder ob er irax darauf versmmen Dax er gern mcr hict geiminnen, Dex Hessen si den Wurifrl tcalden, Verpotemind gehalden Dikeli dex von in narl. Schancx und Hof-llasrlnirt (Pez: Haselt . . .) Do tcart naeh geivunsehet ril, Red und Topel Spil Dex wart vil imder jn Ottok. v. St. cap. 352. Anm. 7: In Wolfgers reiserechnungcn hoisst es (s. 3. 11): Cuidam qui episcopo attulit illani eburneam aleam tat.

S. 532] Eine Schilderung des troibcns der würfclspiolor im wirtsliaus gibt Nie. de Bibera 1929 fgg.

S. 536] Anm. 1 füge dem citat aus Spervogel hinzu: Frl. 92 nr. 120, 8. S. 537] Zu anm. 3 vgl. noch lol. 1442 fgg.

(Schluss folgt.)

Elsässischo litteraturdentmälcr aus dem XIY. XVTI. Jahrhundert, herausgegeben von Ernst Martin und Erich Sclunidt. IV. band: Aus- gewählte dichtuugen von Wolf hart Spangenberg. Strassburg, Trübner,

1887.

Die vorrede, welche sich mit rücksicht auf die von W. Scherer vorbereitete, nach seinem tode von dr. Pniowcr übernommene, eingehende litterarische Würdigung Spangenbergs auf das notwendigste beschränkt, berichtet, dass von desselben lyrisch - didaktischen rcimgedichten der Ganskönig zum abdruck gekommen sei, während das prosaische gegenstück dazu, der Eselskönig, wegen rauramangels vorläufig habe zurückgestelt werden müssen. Für den Ganskönig ist die Strassburger ausgäbe von 1607 benuzt. Von den tragödieu ist als probe des schuldramas, an welchem sich Spangenberg nur als Übersetzer beteiligt, der Saul ausgewählt worden, dessen origi- nal die lateinische tragödie des Michael Virdung, auf die Gödeke hindeutet, nicht ist; vielmehr ist die lateinische vorläge bishei' noch unbekant, daher auch nicht zu entscheiden, ob Vrrdungs stück dem Verfasser der vorläge Spangenbergs bekant gewe- sen. Der abdruck benuzt die Strassburger ausgäbe von 1606.

Von originalstücken des dichters enthält der neudruck zwei: Mammons sold, welches als „tragödische Vorbildung" bezeichnet wird, und ein „kurzweiliges spiel", der Glückswechsel, beides nach Nürnberger drucken aus dem jähre 1613, jenes der Berliner bibliothek, dieses der Strassbm-ger.

Auf den abdruck der komödie Wie gewunnen, so zerrunnen hat der her- ausgeber verzichtet, weil dem einzig bekanten Berliner exemplar (Yg 2401) der schluss fehlt und das von Scherer (Gesch. des Els.^ 318) benuzte volständige bisher nicht aufzufinden gewesen ist.

Gar nicht zu ermitteln gewesen ist das von Gottsched (Nöth. verrat usw. s. 174 und 186) angeführte stück: die Singschule, von welchem nach jener quelle eine probe mitgeteilt wird.

Die alten drucke sind buchstäblich widerholt, nur die von dem selbst als kor- rector tätigen Spangenberg übersehenen druckfehler am raude verbessert worden.

556 MATTHIAS

Ehe ich auf den Inhalt der abgedn;ckten stücke kurz eingehe, sei es mir gestattet, aus der vorrede zu der 1589 erschienenen christlichen komödie: Von dem Cananeischen weiblein des vaters von "Wolfhart, Cyriacus Spangenberg, eine stelle mitzuteilen, welche bezug nimt auf Wolfharts Strassburger Studentenzeit und auf drameuaufführungen, die damals unter seiner und seiner schulgenossen mitwir- kung in dem hause des „ehrbaren und wolgelahrten herrn Martin Brenne, apothe- kers und bürgers zu Strassburg" stattfanden.

In solcher weise vnd gestalt hat mein lieber Vatter M. Johann Spangenberg (seliger), mich sampt meinen Brüdern vnd Schwestern durch Gnade erzogen, welchem Exempel vnd vorbilde nach ich auch, als mir Gott in meinem Ehstande Kinder bescheret, billich gefolget. Vnd als ich gesehen, das Kinder von natur zu Gespre- chen vnd Spielen geneiget, vnd etwa auch vnterlang solche Historien, die ich jnen aus der Bibel vorgesagt, kindisch gespielet, da eines der alte Tobias, der andere die [Avj] Hanna, das dritte der junge Tobias, das vierde der Engel sein wollen: Item, eines der Hausvater, das ander der Schaffner, die vbrigen die gedingien Weinhäcker / etc. Hat mich solchs verursachet, jnen je bifsweilen eine Euangelische Historien nur nach dem Text kurtz in Reime zu fassen, vnd in so viel Personen, als sie bestreiten können, auszuteilen, vnd also kurtze actiones zu stellen, damit sie sich zu vben heften, deren etliche, da die Kinder grösser, und jrer mehr worden, ich auch etwas weiter vnd ausfürlicher gestellet, das sich dieselbigen auch wol für Alten mögen sehen vnd agiren lassen. Wie denn sonderlich mit der Historia vom Cana- neischen "Weiblein geschehen, Matth. 15 Nu ich dann vermercke, das solche

geistliche Comedia euch also wolgefallen, das jhr sie auch durch meine drey Söne (so vor dieser zeit zu Strafsburgk studirt) vnd deren Schulgesellen habt öffentlich in ewerm hause, in gegenwertigkeit giiter dazu geladener Ehrenleut, agiren lassen, wel- ches gleicher gestalt auch andere mehr in jhrer behausung begeret, daraus ich abne- men können, das solchs ohne nutz vnd [Avij] frucht nicht abgegangen: Habe ich auch vielen mehr hiermit dienen wollen, vnd derhalben endlichen bewilligt, das diese Comedia, ob ich sie wol anfenglich nur für die meinen gestellet, auch numehr menniglichen gemein würde" usw.

S. 1 126 enthält das lehrhafte gedieht: der Ganskönig. Wer denselben nur aus Scherers Litteraturgesch. s. 297 oder aus der Gesch. des Elsasses II, 67 kent, wird leicht zu dem irtume verführt, dass wir es hier mit einem anmutigen littera- rischen produkt voller witz und übermütiger laune zu tun hätten. Man darf aber nicht vergessen, dass das dort in wenigen Sätzen mitgeteilte sich in einem chaos von mehr als 4000 zeilen gänzlich verliert.

Weit höheren poetischen wert hat die tragödie Saul (s. 127 243, dazu deut- sche argumenta, sowie prologus und epilogus des lateinischen originales, 245 258). Da das lateinische vorbild, wie schon gesagt, bisher noch nicht wider aufgefunden ist, lässt sich über die art und weise der Übertragung nichts sagen. Dass der abge- di'uckte text unvolständig ist, hat schon der herausgeber (vorrede s. X) bemerkt, indem er darauf aufmerksam macht, dass zeile 3099 Saul auf einmal „in der dritten person von sich redet und seine Sünden und ihre folgen beklagt, nachdem er eben zum abmarsch in die Schlacht hat blasen lassen"; er vermutet mit recht, dass hier das im personenverzeichnis angeführte, im stück aber sont nicht auftretende „gewis- sen" redet, und verweist auf die argumenta, „welche dem des latein unkundigen Zuschauer den Inhalt der akte erklärten". Eine vergleichung der argumenta nun, die also den Inhalt des lateinischen originales widergegeben, mit der deutschen übertra-

ÜBER KLSÄSS. LITT. -ÜENKM. IV 557

guug lässt gerade an dieser stelle noch weitere differenzeu zwischen beiden vermuten. In Spangenbergs tragödie meldet Abner (akt V, scena 1), dass die Soldaten in aufrulir seien, wodurch Saul noch mutloser wird. Scena 2 ermuntert Jonathan die seinen zum kämpfe. Sc. 3 ist Saul untröstlich darüber, dass Jonathan und seine l>ei- deu brüder in den kämpf geeilt sind, weil er alle drei zu verlieren fürchtet; anfangs zweifelt er, ob er nicht tlieheii und sich durch die aufupferuug seiner sühne retton soll; scliliesslich will er sie lieber mit eigner lebensgefahr unterstützen: Wir wollen heut den sieg erwerben: Oder allsamt Ritterlich sterben. ' Das ist offenbar der schluss von scen. 3; darnach ist im alten drucke mindestens die angäbe ausgefallen: „Scena lY, das gewissen", welches dem Saul persönlich in elen- der gestalt erscheint (3132 Daher mein gestalt so Elend scheint) und seinen unter- gang weissagt, Seen. 5: kämpf zwischen Juden und phihstern, Jonathan fdlt; scen. G: Sauls Verzweiflung darüber, da er sich die schuld daran zuschreibt und sein Selbst- mord. Vergleichen wir damit die argumenta: zeile 271 288 entsprechen genau scen. 1 und 2, wohingegen 289 301 mit der deutschen tragödie in offenbarem Wider- spruch stehen. 292 begibt Saul sich in die Schlacht „aus uumut", von einer rück- sichtnahme auf die gefahr, in welcher seine söhne schweben, ist gai' nicht die rede. Darauf heisst es von 294 an:

Das Gewissen jhn plaget noch mehr: Welchs dann da ersclieinet halt | In gantz Trübseliger Gestalt | Ynd rühret jhm mit grossem Schmertz | Durch verzweiff'lung sein blödes Hertz. Dafs er endlich in solcher Not |

Mit seim Schwerd | sich selbst | sticht zu Todt. Jonatlian wird vom Feind erschlagen usw. Hier tötet sich also Saul nicht, weil er den Untergang seiner söhne nicht überleben mag, wie in der tragödie, sondern infolge der mahnung des persönlich auftretenden gewissens, ehe überhaupt Jonathan gefallen ist immer vorausgesezt, dass die argu- menta, deren Verfasser ja Spangenberg selbst ist, den inhalt der lateinischen tragödie genau widergeben; in der deutschen tragödie dagegen erscheint der tod Sauls, psy- chologisch erklärlicher, als eine folge des durch seine schuld herbeigeführten unter- ganges Jonathans und dessen brüder. "Wollen wir also nicht das argument an dieser stelle gerade für flüchtig und ungenau halten, wozu kein grund vorliegt, so müssen wir annehmen, dass das deutsche stück keine wortgetreue Übersetzung, sondern eine freie bearbeitung des lateinischen ist, in w'elcher Spangenberg sein original vielleicht auch noch an anderen stellen verbessert, oder wie der kuustausdruck lautete, cor- rigiert hat.

Ganz auf eigenen füssen steht der dichter in den beiden anderen zum abdruck gekommenen stücken: Mammons sold und Glückswechsel. Ersteres, welches er bescheiden eine „tragödische Vorbildung" nent, ist trotz der emfachheit der fabel von geradezu packender Wirksamkeit und ein beweis für- Spangenbergs talent als dra- matischer cUchter: Es ist eine art totentanz.

Der in einer Verkleidung unkentliche Satan hat einen kriegsknecht , einen Wuche- rer und einen bauern in seinen dienst genommen, welche denn auch ihren mitmen- schen durch raub und betrug wacker mitgespielt haben und nun kommen, den ver- heissenen lohn, frau reichtum, von ihrem herrn und meister in empfang zu nehmi^n.

558 MATTHIAS

Dieser führt ihnen jene auch in gestalt einer prächtig geschmückten frau vor, der sich alle di'si, nachdem, sie reich beschenkt worden, mit leib und leben zu eigen zu geben bereit sind. Kaum ist das geschehen, so fallen der schönen frau die kleider vom leibe und sie erscheint als der tod mit pfeil und bogen, der alle di'ei erlegt, indes Satan seine gaben wider an sich nimt. Die nun auftretenden frauen der gestor- benen sind anfangs untrösthch; bei dem weine aber, den ihre männer übrig gelassen haben, einigen sie sich, möglichst bald wider zu freien. Satan geselt sich zu ihnen, kündigt ihnen an, dass er für eine von ihnen einen feinen mann wüste und fragt, welche ihn haben wolle. Da alle drei sich bereit erklären und infolgedessen ein arger zank \anter ihnen entsteht, so reicht er ihnen einen ki'anz, den jede in ihrem namen dem freier schicken soll:

vnnd welche dann

Ihm gfällt, die hab jhn zu eim Mann. Kaum haben alle drei der reihe nach jenes getan, als plötzlich der tod als freiers- mann auftritt, indem er sein bald ausgelaufenes Stundenglas auf den tisch stelt. Die frauen sind entsezt, und jede behauptet, nicht sie, sondern die beiden anderen seien heiratslustig gewesen.

Nees (=:- Agnes).

Du Ann, du hast jhn wollen hau. Anna.

Er ist nicht mein. Er ist dein Mau. Nees.

Ich will jhn nit: uimb du jhn hin. Greth.

Ich bleib ein Wittfraw, nach meim Sinn. Schliesslich dringen sie vereint mit gewalt auf den tod ein um ihn zu vertreiben. Dieser hat noch keine gewalt über sie, so lange das Stundenglas noch nicht aus- gelaufen ist, und ruft Satan um hilfe; der aber will Heber zehn männer jagen, als mit drei bösen weibern schlagen. Als schliesslich jener Zeitpunkt eingetreten ist, schiesst der tod die älteste von den dreien mit einem pfeil und ruft frohlockend dem Satan zu:

Wolan, da ligt mein erste Fraw! Jetzund (mein lieber Bruder schaw)

Bin ich widrumb ein "Wittwer fein. Darnach kommen auch die beiden anderen an die reihe.

Sehet ihr Leut, das ist der Lohn, "Wann man nur dienet dem Mainmou, heisst es, mit bezug auf den titel des Stückes, in der beschlussrede des todes.

Eine harmlose posse endlich, nach art Hans Sachsisclier fastnachtspiele, ist das lezte stück: Glückswechsel. Liendl, der bauer, ist seines Standes luüde, hat sein gütchen verkauft und will soldat werden. Veit, ein alter landsknecht, der sich gerade nach einer ruhigeren beschäftigung umsieht, unterzieht ihn einer förmlichen pmfung, um festzustellen, ob er auch das zeug zu einem Soldaten habe, und rät ihm, als sie günstig ausfält, es ein halbes jähr mit diesem berufe zu versuchen. Zu den beiden komt ein alter bekanter, Hans, der pfaff, der seine gemeinde im stiebe gelassen hat, seit ihn ein gelehrter doctor bei dem bischof ob seines mangelhaften lateins, von dem ergötzliche proben gegeben werden, verklagte. Da er gerne bauer werden, "Veit aber zu dem priesterstande, den er in seinei- jugond dem wünsche seines vaters, eines

ÜBER ELSÄSS. LITT. -HENKM. IV 559

domherrn, zuwider vorscluiuiht hat, sich jezt ganz gerne bequemen möchte, zumal er auch in lateinischer spracli keinem priester nichts giebt nach , so tauscheu alle drei ilu-o kleidung, errichten eine brüderschaft und deponieren ein jeder 100 gül- den mit dem beding, dass der zulezt überlebende das geld erben soll. Da sie die Sache auch schriftlich machen wollen, Licadl aber weder schreiben noch lesen kann, raten die beiden anderen ihm, sich ein petschaft machen zu lassen.- Ehe er darnach geht, komt Agnesle, die kriegersliur, die gerade keinen liebhaber hat und die Veit dem Lieudl auf seinen wünsch verkuppelt, infolgedessen dieser ihr, als er weg- geht, vertrauensselig seine „bulge" (geldkatze) mit 200 gülden zui- aufbewahruug übergibt. In seiner abwesenheit füllen die drei zunickbleibenden dieselbe, nachdem sie sie des Inhaltes entleert, mit steinen, stecken die geraubten 200 gülden in die ganz gleiche geldkatze Veits zu den deponierten 300 und verabreden, dass Agnesle dem landsknecht abends entlaufen und sich von den beiden anderen 50 gülden als lohn für ihre beihilfe holen sol. Indes komt Liendl wider und zwar ohne petschaft, da sich der graveur nicht habe darauf einlassen wollen, seines vaters haus und hof, einen davor stehenden lindenbaum, sein Agneslein, endlich ihn selbst in voller rüstung darauf abzubilden. Sie verzichten darum auf einen schriftlichen kontrakt: Steht doch ohn das der Warheit gruud Inn drey ehrlicher Männer Mund. Kaum haben sieh Veit und Hans nach der einen, Liendl und Agnesle nach der anderen seite entfernt, so entdecken jene beiden, dass diese klüger gewesen ist, als sie, die beiden bulgen vertauscht und ihnen die mit steinen gefülte gelassen hat. Den beiden anderen begegnet, zu Liendls schrecken, die Kätt, die mit einem kinde von ihm geht und ausgezogen ist, den treulosen zu suchen und zur heirat zu zwin- gen. Liendl will sie mit 50 gülden abfinden, die aber weder Agnesle aus der geld- katze hergeben, noch die Kätt annehmen mag. Da Liendl sich des geldes mit gewalt bemächtigt, fält das Agnesle im verein mit der Kätt über ihn her. Doch gelingt es ihm, mit der geldkatze zu entkommen; statt 200 entdeckt er zu seiner freude 500 gülden darin und beschliesst damit schleunigst zu seinem alten stände zurückzukehren, nachdem ihn der neue, noch ehe er eigentlich denselben angetreten, in solche fähr- lichkeiten gebracht hat.

Das imgefähr ist der Inhalt des 4. bandes der Elsüsser litteratm-denkmäler. Darnach muss mau zu dem Schlüsse kommen, dass Spangenbergs spiessbürgerliches, pedantisches wesen, welches ihm in hohem grade angehaftet haben muss, am stärk- sten in semen lehi-haften gedichten hervorgetreten ist, die darum auch wol heutzu- tage am schwersten zu geniessen sein möchten; dass dagegen seine dramen, und von diesen namentlich die kleineren selbständigen tragödien und komödien, auf welche dei- gelehrte dichter selbst geringeren wert legte, auch jezt noch weitere kreise anzu- ziehen vermögen.

NORDHAUSEN, APRIL 1891. MATTHIAS.

J. L. Frisclis schulspiel von der uusauberkeit der falschen dicht- und reimkunst. Mit einleitung und anmerkungen von L. H. Fischer. Ber- lin, E. S. Mittler und söhn. 1890. XX, 65 s. 8. [= Schriften des Vereins für die geschichte Berlins, heft 26.]

Ein Berliner curiosum aus dem jähre 1700 liegt in einem sehr sorgfältigen

neudrucke mit umfauüreiclu-ü iTläuteriiugen vor uns. Der Verfasser ist der durch

560 BOLTE, ÜBER FRISCH, SCIIÜLSPIEL ED. FISCHER

sein deutsch. -lateinisches wöi-terhuch allen germanisten wolbekante rektor des Ber- linischen gymuasiums zum grauen kloster Johann Leonhard Frisch (1666 1743), ein Nürnberger von geburt, der nach bunten wanderzügeu durch Deutschland, Trank- reich., Ungarn, die Türkei und die Niederlande in Berlin eine feste Stellung fand. Er war ein polyhistor, aber kein blosser büchermensch ; seine vielseitigen, durch gründlichkeit und klarheit ausgezeichneten kentnisso eistreckten sich nicht bloss auf die alten und neuen sprachen, sondern auch auf die geographie und die naturwissen- schaften. In Leibniz, den er im russischen untenichtete, fand er einen gönner, der ilin wol zur aufnähme in die neugestiftete Berliner akademie der Wissenschaften empfahl und ilm auch zur Veröffentlichung seines lange vorbereiteten uhd. Wörter- buches ermutigte.

Zu seinen leistungen für die deutsche spräche gehört auch das am 22. novem- ber 1700 von seinen Schülern am stiftuugstage des gymnasiums aufgeführte schul- spiel, das man kurzweg als eine poetik in dramatischer form nach Christian "Weises grundsätzen bezeichnen kann. Von einer dramatischen handlung ist freilich nicht die rede; das thema, das die einzelnen personen variieren, ist zunächst eine beglück- wünschung der schule. Jedesmal erscheint aber dann ein kritiker, der die von dem Vorredner begangenen Verstösse gegen die. wahre dicht- und reimkunst aufzählt und die anfänger davor warnt. Als solche groben fehler gelten die altförmlichen oder gemeinen werte und reime, d. h. das alte metrum der vierfüssigen reimpaare statt der modischeu alexandriner, die verkehrte versabteilung („zerrissene und zerhackte verse''), die französierende sprachmengerei („macaronisieren'"), die übermässige Ver- wendung der antiken mythologie, der gemeine ton der Soldaten- mid bänkeisäuger- lieder; ferner die wähl unwürdiger stoffe (Lieder vom hier, vom wecken, von den flöhen), die abgedroschenen leberreime, die „übelgereimten" rätsei, als deren beispiel das alte vom vogel federlos und bäum blätterlos angezogen wird, die kindischen Spie- lereien der bildergedichte und auagramme und die aneignung fremder dichterstellen. Dieser, wie Fischer selbst am Schlüsse sagt, nicht erschöpfenden aufzählung der feh- ler junger dichter stehen nur wenig positive Vorschriften gegenüber wie s. 36, 4 die bekante definition der dichtkunst und maierei als eines redenden gemäldes und eines schweigenden gedichtes oder s. 37 fg. die auführung der lobwürdigen poeten Hars- dörffer, Lohenstein, Hoöinaunswaldau , Knorr von Kosenroth, Cauitz.

Der herausgeber hat sich durch selbständige forschungen über das leben Frischs und seinen briefwechsel mit Leibniz sowie durch ausführliche erläuterungen einzelner stellen und berührter themata, wie der leben-eime, rätselfragen, bildei'gedichte, cen- toneu um das Verständnis des werkchens verdient gemacht. Vielleicht hätte sich die auschauung des autors vom wesen der poesie durch hinzuziehuug seiner ausgäbe von Bödikers grundsätzen der teutschen spräche (1723) und gleichzeitiger poetiken noch etwas klarer darlegen lassen. Zur geschichte der leberreime verweise ich beiläufig noch auf Chr. Nyerup, Almindelig morskabsläsning 1816 s. 288 290.

BORKUM (BERLIN). J. BOLTE.

Allerhand sprachdumheiten. Kleine deutsche grammatik des zweifelhaften, des falschen und des hässlichen. Ein hilfsbuch für alle, die sich öffentlich der deutschen spräche bedienen. Von dr. Grustav Wustniann. Leipzig, F. W. Gru- now, 1891. 320 s. Gebunden 2 m.

Die in diesem buche gesammelten erörterungen waren seit längerer zeit verein- zelt in den „Grenzboteu" erschienen; an mehreren von ihnen hat schon dr. II. "\Vun-

ERDMANN, ÜBER -WÜSTMANN, SPRACHDUMHEITEN 561

derlich in seinem voiirago auf der Müncheuer philologenversainliiug wolbegriindote kritik geübte Der Verfasser tritt mit grossem eifer den übelen einwirkungen der kanzloien (s. 5 fg.) und der zeitungen (s. 14 fgg.) auf die deutsche spräche entgegen. Seine entrüstung ist nicht unberechtigi , aber er malt zu schwarz und ui-teiit ohne billige Unterscheidung. Es gibt doch glücklicher weise noch viele zeitungen und zi'itschriften , il'u) auch in bezug auf sprachi' und stil mit Sorgfalt und sachkeiitnis geschrieben, redigiert und korrigiert werden; und die spräche der deutschen kanz- leien war im vorigen Jahrhundert und auch noch vor 50 jähren im durchschnitt wol schlechter als jezt. Dem Verfasser selbst aber fehlt es an einer tüchtigen wissen- schaftlichen grundlage für seine ausfülinmgen und vorschlage. Von ernsten unter- suchiuigen über wesen und entwicklimg der spräche im algemeinen und über die geschichte des deutschen im besonderen hat er fast nur dm'ch hörcnsagen einige, und zwar recht obertläclüiche kentnisse erhalten (vgl. s. 28 fg.); auch die gar nicht unbe- deutende litte ratur, die sich mit den von ihm beinihrtcn grundsätzen und fragen bereits in algemeiu verständlicher weise beschäftigt hat, beachtet er wenig oder gar nicht. Das gründliche und inhaltreiche buch von Andresen (Sprachgebrauch und Sprachrichtigkeit im deutschen. 6. aufl. Heilbronn 1890) scheint er öfters zu rate gezogen zu haben; er nent es aber ebenso wenig, wie die vielen bücher, aus denen zu lernen er versäumt hat. Geradezu komisch wii'kt es , dass in dieser von einem bibliothekar verfassten schrift nur eine deutsche elementargrammatik erwähnt wird (s. 41. 71) wider ohne dass die leser erfahren, welche gemeint ist. Unter der grossen menge deutscher schulgrammatiken sind sehr verschiedene sprachwissenschaft- liche und pädagogische Standpunkte vertreten; es gibt aber viele tüchtige und wirk- lich belehrende bücher unter ihnen, aus denen sich jung und alt in zweifelhaften fällen rat holen kann.

Es ist also wesentlich das eigene Sprachgefühl des Verfassers, auf dem seine urteile lobende wie verwerfende über die einzelnen Spracherscheinungen begi'ün- det sind; und mag auch dieses Sprachgefühl bei herrn dr. "Wustmann dm'ch eifer für die Sache gestärkt und dui'ch vielfache erfahi'ungen bei der redaktion und druck- legung von manusciipten für seine Zeitschrift geübt sein zu der apodiktischen Sicherheit, mit welcher er meist auch in recht zweifelhaften fällen entscheidet, hat er kein recht, und seine entscheidungen sind von sehr verschiedenem werte. Um meine ansieht über alle von ihm beurteilten fälle vorzutragen luid einigennassen zu begründen, müste ich ein buch von mindestens gleichem umfange schreiben, wie das vorliegende; ich muss mich also hier darauf beschränken, eine ganz sum- marische Übersicht zu geben. In manchen fällen hat ihn richtiges und gesundes Sprachgefühl geleitet; ich billige namentlich sein auftreten gegen den gebrauch for- mell nicht erkenbarer genetive (s. 58 60; auch den apostroph als ausschliessliches genetivzeichen verurteilt er wie andere vor ihm mit recht s. 56) , gegen unrich- tige pronominalformen s. 63 und verbalformen s. 68, gegen schlechte und unnötige neue Wortbildungen und Zusammensetzungen (94 105. 196 206; adjectiva auf -weise 212, ersterer rmd lezterer 224 fg.), gegen die apposition ohne Übereinstim- mung der casusform (s. 220); sowie sein eintreten für die dativformen auf -e (s. 37) und den gebrauch der einfachen alten präpositionen (s. 244 252).

Anderen ausführangen kann ich nur teilweise zustimmen, wie denen über starke und schwache adjectivformen s. 44 49, über den gebrauch abstrakter sub-

1) Vgl. neben der kurzen notiz in dem berichte unserer Zeitschrift XXIV, 220 den abdruck des Vortrages in der beilage zur Algemeinen zeitung nr. 139 vom 18. Juni 1891.

ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXIV. ^^

562 STEIG

stantiva s. 80 fg., über relativsätze s. 157 fgg., über den modusgebraucb s. 179 186, über die Wortstellung s. 291 303. Nicht weniges aber ist mangelhaft dargestelt oder geradezu nacli meiner meinung falsch, wie die angaben über starke und schwache substantivdeclination s. 35 fg., die polemik gegen welcher 144—148 und derselbe s. 227 fg. (vgl. schon Nibel. 22, 1 u. a.); die auffassung der conjunctionen zumal und trotxdem s. 164 fg, die über den gebraucli der tempora aufgestelten regeln s. 136 144, die an Heyse's theorie erinnern (Ausf. Lehrbuch 1, 759), aber noch mehr misraten sind als diese und noch manches andere. Dabei finde ich in dem buche neben den „sprachdumheiten", die "Wustmann bekämpft, auch andere, die er selbst begeht oder verteidigt; ich wenigstens kann für die häufung der gleichen pronominalform {die, die die s. 35 u. a.) und für die von vielen grammatikern mit recht bekämpfte beziehung von ivo, worauf, ivorin usw. auf ein Substantiv {der name, tvozti sie gehört s. 52 u. a.) keine mildere bezeichuung brauchen. Manchmal belegt Wustmann auch eine grammatisch volkommen berechtigte ausdrucksweise, die mit vollem bewust- sein von ihrer Wirkung statt einer anderen gebraucht werden kann, mit seinem banne (s. 27. 239. 302). Überhaupt lässt er es oft an achtung vor der Individualität des einzelnen Schriftstellers, sowie an der gebührenden rücksicht auf den imterschied der stilarten fehlen (vgl. Wunderlich in dem oben angeführten vortrage s. 2). Es ist ein schlechter grundsatz, den er s. 234 aufstelt: „Was gesprochen und gehört nicht mis- fält, kann doch auch geschriebeu oder gedruckt keinen anstoss erregen". Dass münd- liche rede und schriftgebrauch mannigfach von einander abweichen, ist eine längst bekante tatsache; diese Unterscheidung muss aber nicht in allen fällen blind bekämpft, sondern vielmehr beachtet und taktvoll verwertet werden.

Auf s. 30 spricht der Verfasser mit bezug auf regelung und besserung der Schriftsprache von einer sehnlich gehoften anregung vom grünen tische " ; und in einem au mich (wie wahrscheinlich an viele) gesanten lithographierten schreiben spricht die verlagshandluug den wünsch aus, dass das buch den „hohen regierungen" und dem „hohen provinzial-schulkollegium" zur förderuug und zur Verbreitung unter lehrern und schülern empfohlen werde. Ich kann nach dem oben gesagten diesem wünsche nicht entsprechen.

KIEL. OSKAR ERDMANN.

MISCELLEN.

Zu Willielin Grimms Kleineren Schriften.

1. Die ausgäbe des armen Heimich, beim ausbrach des krieges zum besten der hessischen freiwilligen unternommen und angekündigt, rückte besonders des- wegen nur langsam vorwärts, weil die copie der vaticanischen handschrift, die Glöckle in Eom besorgte, nicht einlief. Jacob mahnte den freund mitte april 1814 von Paris aus, die abschrift unmittelbar nach Cassel zu senden. Nach einem monat war sie nocli nicht eingetroffen. Am 15. mal 1814 schrieb Wilhelm an Jacob: „Ich habe hier in die zeitung setzen lassen, dass der arme Heinrich erst in ein paar monaten erscheinen werde, da viele sich deshalb erkundigten". Die anzeige, welche in Wil- helms Kleineren Schriften fehlt und nach bd. II, 504 gehören würde, steht in der ( 'asselsche(n) Polizei- und Commerzienzeitung nr. 37. Sonnabend, den 7. rnai 1814. s. 495, unt^r den bekantmacliungen als nr. 31 , und lautet:

zu W. OKIMMS KL. SCHHIFTFN 56!}

An die priliuinioraiiteu auf das altdeutsche buch vom armen lleiiiricli. Hci-

druck der schritt wird dadurcli aufgehalten, dass die copie eines manuscript.s zu

Rom bei dem gestörten postenlauf noch nicht hat anlangen können. Ich bitte

daher um nachsieht, wenn sie einige monate später erst erscheint. Orimni.

Aus den „paar monaten" wurde mehr denn ein ganzes jähr; erst im sommer

des folgenden jahres konte der arme Heinrich ausgegeben werden ■-.

2. Als Wilhelm Grimm im jähre 1816 ein exemplar der Edda an Goethe schickte, schrieb er dazu: ,, Die vorrede kann erst mit der zweiten abteilung dieses bandes ausgegeben werden, iudess haben wir das notwendigste daraus ziu* bekant- machuug den Göttinger anz. (1815. Nr. 110.) mitgeteilt"-. Ludwig Geiger sagt dazu in den anmerkungen: „Die besprechung in den Gott. gel. anz. .. ist nicht etwa, wie man aus den Worten unseres briefes schliessen könte, von den brüdern selbst; das zeigt schon der anfang: ,Es lässt sich nicht zweifeln, dass jeder, der die kent- nisse und den unermiidlicli eifrigen tleiss der brüder Grimm kennen und schätzen gelernt hat'." Eine nähere betrachtung aber lehrt, dass die anzeige doch von "Wil- helm Grimm herrührt. Wilhelm schreibt an Jacob den 2. juni 1815^: „Benecke hat um einen entwurf zu einer anzeige der Edda gebeten, darnach er sie abfassen will; ich muss es also tun, so ungern ich dergleichen zeug schreibe". So weit die äussere beglaubigung; Grimms briefe an Benecke aus dieser zeit haben sich nicht erhalten. Die innere beschaffeuheit lässt keinen zweifei daran, dass die anzeige ganz und gar Wilhelms eigeutum ist, und dass Beueckc höchstens die eingangsworte zugesezt und einige auf die Verhüllung der wahi'en autorschaft berechnete Wendungen eingewebt hat. Nur auf ein paar hauptpunkte will ich hinweisen. Die anzeige entliält dinge, die Benecke aus sich oder aus dem buche nicht wissen konte. Der geschichtliche über- blick stelt sich nahe zu den ersten abschnitten von Wilhelms aufsatz (1811): Die lieder der alten Edda*. Der spott über den professor von der Hagen ist ein nach- klang der in der erklärung vom jähre 1812 „tlber die Edda" dargelegten differenzen^ Was über die geplante fortsetzung des buches gesagt wird, kehrt fast wörtlich in Wilhelms briefe vom 18. mai 1815 an Tydeman wider''': „Auf diese erste abteilung wird eine andere folgen, die den urtext völlig mitteilt, der H. band enthält dann das glossarium, der dritte den commentar". Die ästhetische Würdigung der eddischeu gesänge am Schlüsse atmet in jedem werte Wilhelms stil und empfindung.

Wir haben es also liier mit einem echten stück von Wühelm Grimm zu tun. Als anzeige betrachtet, steht es auf gleicher stufe mit den selbstanzeigen, die beide brüder späterhin von ihren werken in die Göttingischen einrückten. Als litte- rarisches erzeugnis vertritt es die fehlende vorrede zur Edda, und darin liegt für uns sein wert. Da es in den Kleineren Schriften fehlt, so finde es hier seinen abdruck :

Göttingische gelehrte anzeigen, 110. stück, den 13. Julius 1815. S. 1089.

Berlin.

1) Vergleiclio zu den tatsacheii , auf welche ich mich hier bezielie , deu Briolwoclisol aus der Jugendzeit s. 307. 323, 462 und die Freundesbriefe s. 31.

2) Goethe -jaJirbuch (1888) IX, 29; vgl. 87. 3; Briefwechsel aus der Jugendzeit s. 458.

4) Kleinere Schriften I, 212.

5) Ebenda II, 496.

6) S. Vigfusson, Corpus poeticum boreale I, s. XCIV; dass der brief an Tydeiuau gerichtet ist, folgt aus einer stelle der jugendbriefo (s. 454).

564 STEIG

Im Verlage der realschiü-huchhandlung, 1815: Lieder der alten Edda. Aus der handschrift herausgegeben und erklärt durch, die brüder Grimm. Band I. 287 und 69 selten in gross octav.

Es lässt sich nicht zweifeln, dass jeder, der die kentnisse imd den unermüdlich eifrigen fleiss der herren Grimm aus ihi-en frühern arbeiten kennen und schätzen gelernt hat, mit wahrem vergnügen auch dieses in so mancher bezieh ung wichtige werk zur band nehmen wird; wer aber, so wie der Verfasser dieser anzeige, genauer weiss, wie viel zeit und mühe auf dasselbe verwant wurde, und wie mannigfache Schwierigkeiten zu überwinden waren, ehe es der weit vorgelegt werden konte, der wird mit doppelt fi-oher teilualime die ersch einung desselben begi'üssen. Da die vor- rede zu dem buche erst mit dem zweiten bände erscheinen wird, so däucht es uns nicht unzweckmässig, während wir über manches einzelne von den herren Grimm selbst ausführlichere belehrung ei"warten, unserer anzeige eine kui'ze geschieh te die- ser liedersamlung voranzuschicken, um auch solchen lesern, welche mit dem gegen- stände weniger bekant sind, eine deutliche Vorstellung von dem inhalte des buches zu geben. Mehreres hierher gehörige findet sich bereits in unserer anzeige der schrift des hrn. dr. Müller: über die echtheit der Asa- lehre und den wert der Snor- roischen Edda (s. Gott. gel. anz. 1811. S. 17J7 ... 1787); und wem es um nachrich- ten von den handschiiften , ausgaben u. w. der beiden Edden zu tun ist, den ver- weisen wir auf Nyerups schätzbare abhandlung om Edda (Skandin. litteratur- Selsk. Skrifter 1807. III.)

Was man mit dem namen der alten Edda belegt, ist eine samlung uralter lieder, welche nordische mythen und sagen in sich fassen. Diese samlung rülut von einem gelehrten Isländer, dem priester Sämund Sigfussou her, der 1056 geboren wurde und 1133 starb, und heisst daher auch die Sämundische Edda. Mehr als hundert jähre nach Sämund verfertigte der berühmte geschichtschreiber Snorre Stur- leson (geb. 1178, gest. 1241) ein handbuch für dichter, in welchem er in einem 13rosaischen auszuge den Inhalt der alten lieder angab, zu welchem zwecke er wahr- scheinlich die Sämundische samlung benuzte, wiewol er auch selbst die alten scal- den-gesängc gesammelt hatte. Diese samlung führt den namen der jungem oder Snorroischen Edda. Im drucke erschien die jüngere Edda schon 1665 dui'ch Resen, nach dem sie auch wol die Eesenische Edda genant wird. Von der altern Edda hingegen war nur weniges durch den druck bekant, bis endlich im jähre 1787 das Magnäische Institut den ersten teil derselben heraus gab. Dieser erste teil, eine gelehrte und sorgfältige arbeit vereinter kräfte, enthält aber bloss solche lieder, die zunächst die einheimische götterlehre betreifen; die übrigen von Sämimd gesammel- ten lieder, welche sich fast alle auf die den deutschen Völkern eigene grosse helden- sage beziehen, wurden fürs erste zui-ückgesezt. Da diese lieder, ihrem inhalte nach, teils durch den prosaischen auszug, welchen die gedruckte Wolsunga-sage enthält, teils durch die unmittelbare benutzung dereelben in Torfäus und Suhms geschicht- lichen werken bereits bekant waren, so fand man, wie es scheint, die herausgäbe derselben weniger dringend. Indessen waren dies gerade diejenigen lieder, auf welche man in Deutschland bei dem neu erwachten eifer für die vdssenschaft des einheimischen altertums am begierigsten sein muste, und die herren Grimm bestreb- ten sich daher eine abschrift derselben zu erhalten, die ihnen auch durch die gute des damals zu Kopenhagen anwesenden freiherrn Hans von Hammerstein verschaft wurdet Ausserdem unterstüzte sie, so viel wir wissen, der freiherr von Hammer-

1) Goetho -Jahrbuch IX, 25 und sonst.

zu W. GRIMMS KL. SCHRIFTEN 565

stein (dem das werk dalier auch mit vollem rechte zugeeignet ist) durch eine schätz- bare, in deutschen bibliothcken seltene samluug von büchern über die alt -nordische litteratui-, und in verschiednen fallen kam ihnen der gelehi-te herr Rask zu hülfe. Auf diese weise zu ihrer Unternehmung ausgerüstet, kündigten sie, wie bereits 1811 s. 1778^ in unsern anzeigen erwähnt wurde, eine ausgäbe dieser lieder und eine deutsche Übersetzung dersell)eu an. Auffallend muste es sein,- dass während der abdruck dieser arbeit durch kiiege und manche andere umstände verzögert \vurde, dieselben lieder 1812 zu Berlin erschienen. HeiT prof. v. d. Hagen hatte nämlich durch herrn prof. Nyerup- gleichfals eine absohrift erhalten, und säumte nicht, die- selbe ohne weitern Zeitverlust abdrucken zu lassen. Da er aber, wahrsehciidich um seinen Casseler freimden nicht vorzugreifen, durchaus nichts was ilas verstehen die- ser alten gesänge erleichtern könte, selbst nicht einmal Interpunktion, beigefügt hatte, so blieb die alte Edda vor wie nach ein verschlossenes buch, und selbst die herren Grimm konten von einer solchen Vorarbeit auch nicht den allermindeston vor- teil ziehen. Bruchstücke von liedern, wie diese Sämundische Edda sie enthält, las- sen sich nicht weglesen wie ein stück aus der biblioth. des roinans, und mit einem blossen abdrucke des textes kann wol niemand auf der ganzen weit viel gedient sein. "Wir haben uns daher glück zu wünschen, dass die herren Giimm sich durch keine Widerwärtigkeit von ihrem vorhaben abschrecken liessen, sondern vielmehr eifrigst bemülit waren, die eingeti'etene verzögening zum vorteile ihrer leser zu benutzen.

Diese erste abtoilung des ersten bandes enthält zwölf lieder, nämlich Völun- durs lied, das lied von Helgi und Swawa, das erete und zweite lied von Helgi dem Hundingurs- töter, SinfiotÜs ende, Gripirs Weissagung, das lied von Reiginn, das lied von HnikaiT, das lied von Eafnir, Sigurdrifas lied, Brynhildurs lied, Sigurdurs lied und Brynhildurs Weissagung, und die todesfahrt der Brynhildur. Sie machen etwa die hälfte der urschiift aus, und der tod der Brynhildur bildet einen natür- lichen abschnitt. Die erste sorge haben die herausgeber auf die Urschrift gewen- det. Sie ist in gesetze abgeteilt, und der buchstabeni-eim , dieser mächtige bewahrer der echtheit, durch vorgesezte schwarze striche (im Hildebrands -liede (s. Gott. gel. anz. 1813. s. 81) waren diese rot eingezeichnet) l)emerklich gemacht. Die unter dem texte stehenden aninerkungen rechtfertigen das aufgenommene oder versuchte, teilen über schwere stellen Untersuchungen und mutniassungen mit, erklären den Zusammen- hang des einzelnen, und geben überhaupt das was zum wortverstande nötig ist; die in diesen liedern dargestelte sage in ihrem zusammenhange zu entwickeln, wird der zweck des commentars sein. Dem texte gegenüber steht eine wörtliche Über- setzung, die aber durchaus nicht als für sich geltend, sondern nur als das ein- fachste und natürlichste mittel zum Verständnis der Urschrift anzusehen ist. Sie ist deutsch, und dieses dünkt uns in jeder hinsieht zweckmässig. Denn dass eme latei- nische Übersetzung sich der folge der Wörter noch genauer hätte anschliessen kön- nen, ist ein unbedeutender vorteil, wenn man dagegen bedenkt, dass in ihr die poe- tischen bilder und umschi-eibungen (kenuLngar) oft geradezu unverständlich sein müssen, während sich die verwante einheimische spräche in so manchen fällen der urschiift leicht und glücklich anschmiegt. Da aber, wie gesagt, diese Übersetzung zunächst nur für diejenigen bestirnt ist, welche mit ihi-er hülfe die Urschrift lesen

1) Briefe der briider Jacob und Wilhelm Grimm an Georg Friedrich Benecke 38*.

2) Briefwechsel der gebrüder Grimm mit nordischen gelehrten s. 29. 31. 35. 38; "Wilhelms Klei- nere scliriften II, 498.

566 zu W. GRIMMS KL. SCHRIFTEN

wollen, und die billigkeit verlangt, auch Auf die gewiss weit grössere anzahl rücksiclit zu nehmen, welche wünschen wird, diesen alten lieder bloss durch ein treues, ihrem blicke nahe gerücktes abbild kennen zu lernen, so ist noch eine zweite, freiere Übersetzung beigefügt worden, die sich, um algemein verständlich zu sein, nicht selten der Umschreibung nähern muste. Eben deswegen wäre es eine zweckwidrige Spielerei gewesen, sie gleich der urschiift im buchstabenreim abzufassen, der uns wol noch in kiirzen sprichwörtlichen redensartcn gefallen kann, übrigens aber für unsere jetzige spräche durchaus nicht mehr passt. Vermutlich werden die Verfasser in der folge auch von der äussern gestalt dieser lieder handeln, und bei dieser gelegenheit möchte vielleicht eine kleine probe, wie sich der buchstabenreim in unse- rer heutigen spräche ausnimt, mehreren lesern nicht ganz unwilkommen sein. Im ganzen aber lässt sich das einfache und natürliche der alten lieder gewiss weit bes- ser in prosa ausdi-ücken, um so mehr da öfters Kicken und Sprünge ausgefült, und das felsenartige und schroffe, wodurch sich die Urschrift auszeichnet, der Verständ- lichkeit aufgeopfert werden muste. Dass manches hierbei in der folge von andern und von den herausgebern selbst genauer bestimt oder anders angesehen werden wird, liegt in der natui- der sache. Dergleichen fernere aufklärungen sind vorzüglich von den nordischen gelehrten zu erwarten, denen so reiche samlungen und so fleis- sige vorarbeiten zu geböte stehen. Wie vieles, das den herren Grimm unzugänglich war, hat nicht der Isländer Job. Olafsen für die Edda getan? (Man sehe eine kurze angäbe seiner insgesamt noch ungedruckten ai'beiten in unsern anzeigen vom j. 1811. s. 1786.) Mit grossen erwartungen dürfen wir daher der herausgäbe des zweiten teiles der Sämundischen Edda entgegen sehen, mit welcher, wie neuerdings berich- tet wurde, das Magnäische Institut in Kopenhagen beschäftiget ist; so wie von der andern Seite nicht zu zweifeln ist, dass auch die Kopenhageuer gelehrten das ver- dienst der deutschen bearbeitung und das eigentümliche, welches ihr die nioksicht auf altdeutsche dichtung verleiht, anerkennen werden. Für die sache selbst kann eine solche bearbeitung eines gegenständes von verschiedenen selten nicht anders als vorteilhaft sein.

"Was das äussere der Grimmischen ausgäbe dieser lieder betriff, so verdient die Schönheit und richtigkeit des druckes eine besondere, dem Verleger und den her- ausgebern gleich rühmliche erwähnung. Die zweite abteilung des ersten bandes wird die andere hälfte der Urschrift auf gleiche weise erklärt und übersezt enthalten; der zweite band ist für das glossar, der dritte für den commentai' bestimt.

Dass diese alten Lieder so viele auf sie verwante mühe verdienen, darüber kann, wenigstens unter den kennern und freunden der alten dichtung, keine frage sein. Sie verdienen sie als höchst merkwürdige überbleibsei eines fi'ühen noch viel- fältig verkanten Zeitraumes der nordischen völkergeschichte ; sie verdienen sie durch die ihnen eigentümliche Schönheit, die jeden wahrhaft poetischen geist, von dem englischen lyriker Gray an bis auf unsere tage herab, ergriff und begeisterte; sie verdienen sie durch die aufheUmig und ergänzung der grossen, allen germanischen Völkern gemeinsamen heldensage, deren innerer Zusammenhang durch diese lieder weit volkomraener eingesehen werden kann. Wir sind daher überzeugt, dass nicht nur die freunde unserer altdeutschen dichter, sondern jeder dem sinn für ernste erhabenheit und zarte Schönheit zu teil wurde, den herren Grimm für die bearbei- tung dieser lieder danken wird. Es schwebt über diesen gesängen das wunderbare dämmerlicht einer früheren zeit, in der „die are sangen und heilige wasser von himmelhohen bergen ranneu". Man lese die trauer der Sigrun und die zusammen-

SIEBS, DßlBOLüE SCHEREN 5ti7

kuiifi mit ilciH tdtrii im liiiucl, die crzüiiluiig in Si;j,urils licilo, die Weissagung der Emnliild iiml ihi' f^ospiäch mit dorn riosenweibe, und man wird keinen anstand iioli- men, diese alten uordisehon lieder dorn schönsten was Iioi andern Völkern aus dem altertume sich erhalten hat, au die seite zu stellen.

BERLIN. REINUOLD STEIG.

Dri holde scheren.

Die anfrage des horrn professor Pappen he im auf s. 284 dieses bandes, wio dribolde scharen zu erkläreu sei, will ich versuchen zu beantworten. Dass der aus- druck an der vorliegenden stelle mi sinne von „platte, tonsur" gebraucht ist, ergibt sich aus der bei Schiller -Lübben Mud. wb. IV, 612 unter tribolt angeführten stelle: De swen icart to hant to monh' koren, Eme wart eyn tribolt dar r/esckorcu Josef, die 7 todsünden (1656). Es handelt sich nun um die etymologie des wertes.

Mein erster gedauke war, in tribolt dribolde ein konipositum des wertes bolle „kugelförmiger körper, köpf zu sehen; vgl. ahd. hirnipolla, ags. heafodbolla, frs. bole s. Halbortsma Lex. fris. 446. Liesse sich tribolt aus *trimbold = *triml-bol-d erklären, so dürfte man es als „jemand, der einen nmdkopf haf übersetzen, also: „jemand einen tribolt d. li. ruudkopf scheeren". Aber die formellen bedenken gegen eine solche deutung liegen auf der band. Nicht zu vcrgleiciien ist auch mhd. trivi.- mebolt MSH 3, 239''; vgl. Mhd. wb. I, 221'', Lexer, Hwb. II, 1.513. Ich über- setze: „ihr herrn, lasset euer für und wider, eure Unsicherheit; vgl. Mhd. wb. 111, 91''). Auch tribeln „platt drücken", a/tstribeln „auswalzen" Schmeller- Frommann I, 641 wage ich nicht zur etymologie heranzuziehen, da ich es nur in obd. mund- arten vorfinde.

Ich gebe einer andern erklärung den vorzug. Es ist im vorliegenden falle von strafen die rede, von der Zeichnung to cner bekantnisse, und zwar werden dribolde scheren und mit eime heten iserne dorch de tene bernen genant. In ältester zeit war die schür ein zeichen der knech tschaft; insofern die entziehung der standes- freiheit als strafe auftritt, ist natürlich auch das scheren des haares zum zeichen der knech tschaft eine strafe; vgl. auch EA. 702. Ferner wurden zum zwecke der alge- meinen kentlichkeit die blödsinnigen geschoren: bescheren (jleich den tören als man pflU c%,u tun den rechten tören, s. oben s. 284, Mhd. wb. II ", 149", Lexer II, 709; me vynt velc dtvase, al sijnd se nicht (jescharen Schiller - Lübben , Mnd. wb. IV, 77. Eine schür zur keuzeichnung traf wol auch die landstreicher , vagabunden, herunitreiber, spielleute usw. Ob tomscliorig , tatnscherig Schiller -Lübben IV, 574, Grimm, RA. 339 „homo solivagus" durch scheren erklärt werden darf, ist mir sehr zweifelhaft; eher möchte ich an mhd. scher „abgeteiltes stück land" denken, vgl. rolscherige hüben Lexer, Hwb. III, 452.

Auffälligerweise bezeichnet ndd. *drivel drevel woraus mit jener geläufigen ableitung sehr wol *dribold, hd. tribolt werden konto sowol den knecht als den vagabimden. M.n(!L. drevel (Lüb. chron. II, 421) dravel s. Schiller - Lübben I, 570, vgl. mhd. treibet, tribel; ahd. tripil agitator, famulus Graff V, 483; Kilian, Etym. 96 drevel „mediastinus , servus", drevelen „itare, frequenter ire"; vlam. drevel „loopjon- gen, knecht"; me. drivH, ne. dribble „diener"; ndl. drevel Verwijs en Verdam Wdbk. n, 399; vgl. Fi'anck, Etym. wdbk. 205, vielleicht auch triicant „landlooper vagebond" Oudemans, Bijdr. VII, 122; vor allem drefel drifel Doornkaat-Koolman Ostfi-s. wb. I, 328.

568 NEUE ERSCHEINUNGEN

Dass man die platte oder die kahl geschorene stelle nach dem dribold, dem sie geschoren ward, benant und später den Zusammenhang beider begriffe vergessen hat, ist sehr wol denkbar. Ähnliche Übertragungen sind nicht selten; z. b. mit einem domino, einer beduine bekleidet sein, einen Henriquatre tragen u. a. m.

QREIFSWALD. THEODOR SIEBS.

NEUE ERSCHEINUNGEN.

Altnordische sag'abibliotliek , herausgegeben von Gustaf Uederschiöld, Hugo Gering und Eugen Mogk. 1. Ares Isländerbuch herausg. von Wolfg. Golther. Halle, Niemeyer 1892. XXVIH, 46 ss. 1,60 m.

(Das 2. heft der samlung: Qrvar-Odds saga, herausg. von E. C. Boer, ist unter der presse.) Bürgers gedichte. Herausgegeben von Arnold E. Bergei*. Leipzig und Wien, bibliograpliisches institut (1891). Mit bild und facsimile. Gebunden 2 m.

Enthält einen gut geschriebenen lebensabriss Bürgers; sodann sämtliche gedieh te in chronologischer anordnung, erläuternde anmerkungen, die viel neues bieten, und den volständigen kritischen -apparat. Die ausstattung ist solide und gefällig. Steinel, 0., und Keppel, K., Schülerbuch für den deutschen aufsatz- unterricht. Dazu anleitung: Die reform des deutschen aufsatz- Unterrichts. Schweinfurt, Selbstverlag von K. Keppel. 1891. IV, 48 und 32 s. ; je 0,50 m.

Beide Schriften bieten, indem sie in anregender weise aufgaben besprechen, deren stoff der eigenen anschauung und erfahrung des Schülers entnommen ist, eine passende ergänzung zu anderen werken über den deutschen Unterricht, auch zu dem buche von R. Lehmann (vgl. s. 415 dieses bandes). Szamatolski , S., Das Faustbuch des Christlich Meynenden, nach dem druck von 17 25 herausgegeben. (Deutsche litteraturdenkmale des 18. mid 19. Jahrhunderts 39). Stuttgart, G. J. Göschen. 1891. 1,60 m.

Die einleitung des herausgebers erörtert das Verhältnis der verschiedenen drucke sowie der ihnen beigegebenen Faustbildnisse, von denen drei in dem neu- druck widergegeben sind. Weede, Eduard, Diu wärheit, eine reimpredigt aus dem 11. Jahrhundert. Kieler diss. 1891. 65 s. Leipzig, G. Fock. 2 m.

Lihalt: 1. Einleitung. 2. Text (in neuer bearbeitung). 3. Anmerkungen. 4. Über die spräche des gedichtes. 5. Versbau. 6. Inhalt und darstellung.

NACHRICHTEN.

Am 14. decbr. 1891 verstarb zu Berlin der wirkl. geheime rat dr. G. von Loe- pcr, hochverdient als Goetheforscher (geboren 27. September 1822).

Als nachfolger Friedrich Zarnckes ist prof. dr. Eduard Sievers in Halle an die Universität Leipzig berufen worden und wird ostern 1892 dorthin übersiedeln.

An der imiversität Zürich habilitierten sich für deutsche philologie dr. Albert Bachmann, dr. Theodor Odinga und dr. Eduard Hofmaun.

Am 8. decbr. 1891 verschied in Königsberg Hermann Frischbier, rector der altstädtischou bürgerschule für mädcheu (emeritiert seit 1889), mitglicd der königi.

NACHRICHTEN 569

deutscheu geselschaft. Geboren als söhn eines handwerkers in Königsborjr am 10. Ja- nuar 1823 hatte er, der die platdeutscho nuindart als seine eigiiiitliche nuitters[iracho betrachtete, „herz und ohr für das volk und seine spräche offen behalten" (vorrede zum Preuss. Wörterbuch). Angeregt namentlich durch das Deutsche sprichwörter- lexicon des ihm befreundeten AVander, im laufe der zeit vielfach unterstüzt durch niitarbeiter, die er in allen teilen Preussons zu gewinnen versta.nd, sowie gefördert durch brieflichen verkehr mit J. Zacher und durch peisöulichen umgang mit 0. Schade, war er sein leben lang eifrig bemüht, sitte, spräche und volkstümliche rede seines heimatlandes zu beobachten und für die Wissenschaft nutzbar zu machen. Aus die- sen bemühungen, die er neben einer erfolgi-eichen lehrtätigkeit und reger teilnähme an dem vereinslebeu seiner Vaterstadt emsig pflegte, erwuchsen die folgenden arbei- ten: Preussische Sprichwörter und volkstümliche redensarton (Königs- berg 1864, zweite vermehi-te aiitlage Berlin 1865; zweite samlung mit glossar Berlin 1876). Preussische volksrcime und volksspiele (Berlin 1867). Hexen- spruch und Zauber bann, beitrug zur geschichte des aberglaubens in der provinz Preussen (Berlin 1870). Preussische Volkslieder in platdeutschcr mundart (Königsberg 1877). Preussisches Wörterbuch (Berlin 1882. 83). Für die ergäii- zung uud verbesseiiing des leztgenanten Werkes war er bis in seine lezten tilge uner- müdlich tätig; kurz vor seinem tode übergab er den dafür gesammelten stoff einem sachkundigen freunde. Kleinero arbeiten erschienen in Zeitschriften, namentlich in Schade's „Wissenschaftlichen monatsblättern " und in der , Altpreussischen monats- schrift", in welcher auch eine druckfeiiig hinterlassene fortsetzung der „l'reussischen volksreime und volksspiele" nächstens veröffentlicht werden soll. Auch unsere Zeit- schrift enthielt in band IX. XL XXIII vier arbeiten von ihm. Wir werden dem treuen und fleissigen, an geist und herz reich begabten manne ein dankbares anden- ken bewahren.

Einen ausführlichen nekrolog auf Frisch hier enthält die Lehrerzeitung für Ost - und Westpreussen 1892, ur. 1.

Berichtigung zu s. 216. 217. In dem bericht des herrn dr. Sütterlin über den vertrag von prof. Osthoff ist zu lesen: s. 216, zeile 7: abg. vruxq und mhd. *cru-arg; zeile 17: 7m'-bildung; zeile 31: *stv-net-tni *sta-nt-7nes; zeile 43: arm. Ik'anem; s. 217, zeile 3: *sfv-nt-mes; zeile 5: trnddmi; zeile 12: *bundäm; zeile 28: Tf\uvco statt temno.

I. SACHREGISTER.

aberglauben: s. bieuensch wärme.

Aiwa, hauptgöttin der Westistvaeen, siehe

mythologie. alaisiagen {= walkyren) s. mythologie. altnordische blutsverbrüderung 157.

altn. vocalismus 213 fgg. Annolied, zeit der entstehung 230. Are f'orgilssou und seine werke 221

Beck, brief Schillers an 138 fg. Bede, friesische gottheit s. mythologie. bienensch wärme als Vorbedeutung 17 anm. blutsverbrüderung, altnordische 157 61. Brinziug, Johannes, prediger 44 fgg. bühnensprache , ihr einfluss auf die Um- gangssprache 222 fg. Christ, Job. Friedr. 210 anm. 7.

aufsatz, deutscher in der schule 414—18. Conrad von Salzburg, prediger 318 fgg.

badewesen d.mittelalters391 95. Schwitz- bad 492 502. pvrale und hypocau- stum 497 fgg. stuba 499 fg.

Dante, darstellung d. neutralen engel 32 fg. dramatische auffülirungen im 16. und 17. jahi-h. 285. 556. vgl. Spangenberg.

570

I. SACHREGISTER

Edda, formen des Verhältnisses zwischen Sigurd und Brynhild in den Eddaliedern s. Nibelungensage. Vgiuspa: textge- staltung 98 fgg. Verfasser 100. litte- rarische parallelen 100 110. sünden- fall u. engelsturz 104 10. Schöpfungs- geschichte 110 14.

L'Estocq, Ludwig 212, anm. 20.

Fimmilene, friesische gottheit 447.

Flotwell , Coelest. Christ. , brief Gottscheds an ihn 202 208.

friesische rechtsvershcältnisse : bodthing und fimmelthing 435 39. alaisiagen 439 47. Bede und Fimmilene 447 fgg. vgl. mythologie. Things 450 54. Hludana 457— 61. Goethe über Fries- land 503.

Frischbier, Herm., nekrolog 568.

gartenkunst , mittelalterliche: Ziergarten, lindenzucht 377.

Goethe: zur einrichtung der neuen Wei- marer ausgäbe. Verhältnis der bande- verteilung zu der in der au.sgabe lezter band 514. ausstossung eines metrisch nicht zählenden e oder i 515. 3. band 515 fg. band 28. 29 517 fg. band 43. 44 518. tagebücher, band 4 518 fg. briefe 6 8. band 519 24.

Gottscheds beziehungen zu Königsberg und zur dortigen deutschen geselschaft 203 fg. brief an Flotwell 205 208.

grammatik: deutsche syntax in der schule 220 fg. vgl. Luther.

Grimm: fragment eines briefes von Jacob an? 284. Willielm: ankündigung des Armen Heinrich 562 fg. der Edda 563

567.

Hartmann von Aue : grundsätze der Iwein- kritik 219 fg. datierung der lieder 238

245. echtheit des 1. und 2. büchleins 243 fgg.

Hartmann, Philipp 211 anm. 16.

heizanlagen, mittelalterl. s. höfisches leben.

Henno -Wotan todesgott s. mythol.

Hercules Macusanus , gottheit derlstvaeeu, s. mythologie.

höfisches leben zur zeit der minnesin- ger: Ziergärten, lindenzucht 377. wurm- läge 377 fgg. thür 379 fg. heizanlagen 380. blumen in gemächern gestreut 381. Schemel, stuhle, betten 381 fg. 383. kerzeu 382. schlafgemach 382 fg. 391. abtritt 384. dachbedeckung 384. Stras- sen und pflaster 384. ammen 385. kin- dererziehung, höhe der bildung 385 fg. briefe, boten, Schreiber 387 fg. etikette 388. kleideranfertigung 388 fg. wun- den, ärzte 389. narren 390. l)adewe- sen 391 395. 492 502. harpflege, kopfputz 395 fgg. schminke 397. klei-

dung 397—401. 526—35. kochen von leichnamcn 505. ringe mit steinen 524. witwentracht 525. zopfritter 525 fg. barbier 526. gürtelgewant 526. schuhe 526 fg. mantel, falle 527 fg. tische, gläser, becher 535 fg. speisen, spei- senkarte 536 39. verbrauch an lebens- mitteln 539 fg. getränke 540. ehren- platz bei tische 542. Unterhaltung nach tische 543. kreditverhältnisse 543 fg. jagd 544 fg. falken 546. reiten, fah- ren, pferd, wagen 547 551. reisen 545 fg. 551 54. betler, aussätzige 554. glücksspiel 555.

Hofmann, Konrad, nekrolog 64 67.

hundesegen, Wiener 226.

indogermanische praesensstambildung 215

Istvaeen, hauptgöttmnen s. mythologie.

Königsberger deutsche geselschaft: Gott- scheds beziehungen 202 fg. 208 12.

lebensalter, zehn : Grazer fassung des spiti- ches 161 fgg. jüdische fassung 164 fg.

lektüre, im deutschen Unterricht 412.

Lindner, Gotthelf 210 anm. 11.

Luther: erklärvmg eigentümlicher rede- wenduugen von ihm 37 42. 201 fg. 285 fgg. 425 fg. 504. orthographische Schwankungen in den drucken 68 fgg. vocalismus der Schriftsprache 70 fg. 75 78. Wortschatz, Wortbildung, wort- bieguug 71 fg. 80 fgg. syntax 72. 82 fg. rec'htschreibung 72 75. konsonanten 79 fg.

Lysius, Heinrich 211 anm. 13.

maierei, mittelalterliche 380 fg.

Maria Antonia Walpurgis, kurprinzessin von Sachsen 209 anm. 4.

marsische Istvaeengruppe s. mythologie.

minnesang: Verhältnis der handschriften Bunde zur quelle 90 94. formein 166 171. Verhältnis von mann und frau 171 83. imgleichartigkeit der in Minnesangs frühling vereinigten dich- tungen 183 fg. frauenstrophen 184 fgg. Walthers Verhältnis zum minnesaug und der ältesten lyrik 186 201.

mittelhochdeutsch, in gymnasien 419.

mittelhochdeutsche litteratursprache 222.

mythologie: Verhältnis Sigfrids zu Bryn- hild 4 fgg. deutsche volkssage quelle für Wolframs und Dantes darstellung der neutralen engel 32 37. vgl. 104 fg. der altdeutsche todesgott Henno - Wotan = Mercurius: deutung des na- mens 146 fg. geschichte: Baduhennal47. Henne- in manns- imd Ortsnamen 148. Hennil 148 fg. mhd. heune 149. hinncmutter, hinnich 149 fg. häne 150. liennekalb 150fg. hennaniist 151. freund

II. VERZEICHNIS DER RESPROCHENEN STELLEN

571

Heia 151 fg. Hennadoune 152 binue- priten 152 fgg. heuiie, liene uiipei'sön- licli = tod 154 fg. hune 155. Hannke lind ähnliches 155 fg. Nehalonnia, liauptgöttiii der Istvaeen, auf denkmä- Icrii und inschriften 289 297. Hercu- les Macusanus, die entsprechende mäuu- liche gottheit 297 fg. attribute und Wirksamkeit 298 .303. deutung des namens 303 fg. Aiwa 304 fgg. Tam- fana, hauptgöttiu der marsischeu Istvaeen 306 fgg. Verhältnis von Aiwa-Nehal- leunia zur Tamfaua 308 fgg. wesen des mythus 404 fg. alaisiagen iden- tisch mit den späteren walkyren 439 447. Fimmilene u. Bede 447 fgg. Mars Things 450 55. dea Hludana 457—61.

Nehalennia, germanische gottheit 289 fg.

Neidhard: Datierung seiner lieder 245 fgg.

neuhochdeutsch , erstes auftreten 222. ein- fluss der bühnensprache auf die Um- gangssprache 22 fg.

Nibelungensage: Sigfrids Verhältnis zu Brynhild - Sigrdrifa in der Volsungasaga 4 fgg. in der liedersamlung 6 fg. in den Skäldskaparmäl 7 fgg. in der Gri- pisspä 9 fgg. Spaltung der Brynhildr in zwei gestalten in Fäfnismal 12 18. in Sigrdrifumal 18 fgg. in Helrei|) Bryn- hildar 20 23. in den übrigen helden- liedern der Edda 23 28.

Oesterley, Hermann, uekrolog 142 fg.

Orendel, datieruug 126 fg.

Osterspiel, Redentiner 368.

Otfrid, abfassungszeit 122. 229. versbau 121. 229.

Peucker, Nie, melodieu zu seinen ge- dichten 136 fg. gebuiisjahr 137 fg. ein- zeldrucke 137.

phonetik, System der 217 fgg.

predigt des 17. Jahrhunderts: Joh. Brin- zing 44 fg. Sprichwörter in seineu pre- digten 45 51. lat. citate 51 57.

deutsche citate 57 fg. schwanke und drgl. 58 61. historien, fabeln, kul- turgeschichtliches 61 fgg. 63 fg. cpithota der autoren, anreden usw. 63. Con- rad v. Salzburg 318 341. volkstüm- liches 321— 327. reime 327. lat. poe- ten 327 fg. Verkleinerungswörter 32S fg. volkstümliche or'zählung 329 3.36. kulturhistorisches 336. predigt in »Salz- burg und Augsbui'g 340 fg.

Quandt, Joh. Jac. 210 anm. 12.

Redentiner osterspiel 368 fg.

Reeves, Arthur, nekrolog 142.

Sachs. Hans, Schriften über ihn 262 69.

Sahme, Reinh. Friedr. v.. 212 anm. 19.

Schiller, bi'iof an Bock 138 fg.

Schöuaichs Hermann oder das befreyte Deutschland 205. 208 anm. 2. dichter- krönung 208 anm. 3.

Spangenberg, Cyriacus. dramen von ihm in Strassburg aiifgeführt 556. Wolf- hart Sp. : lehrhafte gedichtc und dra- men 556 fg.

Sprachvergleichung s. indogermaniscli.

Sprichwörter in predigten des 17. jahrh. 45 51.

Strassburger drannüiaufführungen s. Span- genberg.

Tamfana, german. gottheit, s. mythologie.

f'orfinns {)ättr, wert der handschriften 86 fg. besprechung einzelner stellen 85^88.

Ulrichs V. d. Türlin Willehalm: Griesha- bers bruchstück 462 66. Landshuter brachst. 466 82. Tambacher brachst. 482 84. Regensburger brachst. 484 486.

Vaganten, lyrik der 230.

Vglsimgasaga s. Nibelungensage.

VQluspä s. Edda.

Walthers v. d. Vogelweide Verhältnis zum minnesaog u. der älteren lyrik 186 201 .

Wolfram von Escheubach, neutrale engel 32 fg.

IL VERZEICHNIS DER BESPROCHENEN STELLEN.

Altnordisch.

Edda.

VQluspa 1 s. 101 fg. 2, 3 s. 98. 3-6 8.110—14. 4, 1 s. 98. 9, 10 s. 98. 21 fgg. s. 104— 10. 81 34 s. 99. 36 38 S.99. 42—44 s. 100. 27 46 s. 101 fg. Fäfnismal 40 44 s. 12.

Sigrdrifumal 20. 21 s. 18 fgg. Heireif) Brynhildar 6. 8—10

s. 20 23. Sigur|)arkviJ)a en skamma

1 5 s. 23 26. Oddrunargrätr 17 fgg. s. 26

Althochdeutsch.

Samariterin 2 s. 315 fg. 28 s. 316 fg. Ludwifislied 43 s. 317.

Mittelhochdeutsch.

Engelhard 153 s. 129.

191 s. 129.

458 s. 129 fg. 1128 s. 130. 2502 fg. s. 131. 2584 fgg. s. 130. 2560 s. 180 fg. 2565 s. 130 fg. 2628 s. 181. 2716 fg. s. 131. 3089 s. 131.

572

Iir. WORTREGISTER

Engelhard 3650 s. 131.

4696 fg. s. 131. Meier Helmbrecht 1191 s. 133. 1651 1668 s. 133. Walberan 905 s. 550. Konrad von Neifen 4, 27 5, 24 s. 250. 12, 33 14, 3 s. 250 fg. 16, 9 17, 16 s. 251. 23, 8 24, 21 s. 251.

27, 15 28, 17 s. 2.51 fg.

28, 18 29, 36 s. 252.

29, 36 31, 36 s. 252. .32, 14 33, 32 s. 252 fg. .38, 26 fg. s. 254 fg.

42, 1 20 s. 253.

43, 26 44, 19 s. 253 fg.

45, 21 fg. s. 254.

46, 26 fg. s. 255.

47, 10 48, 8 s. 254. 50, 7 51, 19 s. 254.

Mittelniedei'deutscli .

Düdesch. Schlömer 4706 fg. s. 425. Eeinke Vos (ed. Prien) 711 fgg. s. 487.

4474 fgg. s. 487 fg.

4845 fgg. S.488.

5094 fgg. s.488 fg.

5130 fgg. S.489.

5723 fgg. s. 489.

5901 s.489 fg.

6035 fgg. s. 490.

6286 fgg. s. 491.

Neuhoelideutsdi.

Goethe, Faust T. 523 s. 506. 2356 fg. s. .506 fg. 2.506 s. 507. 3226 s. 508.

II. 5, 501 fgg. s. 502 fgg. 395 fgg. s. 509. 3190 s. 509 fg. 6281 fgg. s. 510.

AVeiinarer ausgäbe DI. ged. Juni, 12 s. 516. 16 s. 516. s. 198 s. 521. Xenien(788fg.)s.516. VI. (Briefe)

au Fritsch (20. IL 1779)

s. 520. anLavater(17. X.1779)

s. 520. an Fr. v. Stein (2087) s. 520. 2151(31. Vn. 1785) s. 521. 2082 s. 521 fg. Heinr. v. Kleist, Hermann- schlacht V, 14, 33 (393) s. 510 513.

Lateinisch.

in bus correptam (?) s. 42 i 424 fg.

Urgermaiiisch.

Aiwa s. 304 fgg. Nehalennia s. .303 fg. Tamfana s. 306 fgg.

Altuordisch.

Gollveig s. 105 108. Sigrdrifa s. 15 fg. valr, valkyrja s. 226.

Altliochdeutscli.

Henno s. 146 fg. urhettun s. 227 fg.

Altfriesisch.

alaisiagis s. 439 fgg. Baduhenna s. 147. Bede s. 448 fg. bodthing s. 435 39. fimmelthing s. 4.35 39. Fimmila, -lene s. 447 fg.

III. WORTREGISTER.

Hludana s. 457— 461. Things s. 450 fgg.

Mittelhoclideiitsch.

drianthasme s. 532. faile s. 528. henne, s. 149. hinnepriten s. 152 fgg. hulft s. 549. kante s. 126. kovertiure s. 125. kursen s. 399 fg. kurzebolt s. 400. panel s. 549. pfäwenkleit s. 530 fg. rant s. 126.

rose s. 281 fgg. s. 426 fg. satelschelle s. 548. schavernac s. 541 fg. schiltvezzel s. 124 fg. schinät s. 534 fg. schürbrant s. 534. schürlitz s. 530. wurmlage s. 377 fgg.

Mittelniederdeutsch.

haffen s. 490 fg.

dribolde scheren s. 284 fg. s. 567 fg.

Neuniederdeiitsch .

segen (tlurname) s. 370 fg.

Jf euhoch deutsch .

haue s. 150. Hein, freund s. 151 fg. Hennadonne s. 152. Hennamist s. 151. henne, hene s. 154 fg. henne- s. 148. Hennekalb s. 150 fg. Hennil s. 148 fg. Hinnich , hinneniutter s. 149

fg-

hune s. 155.

lungen (mit 1. auswerfen) s. 37 fgg. s. 285 fg.

quecksilber (in d. teich wer- fen) s. 40fg. s. 425 fg.

spielen tragen (== aufziehen) s. 41 fg. s. 43. s. 201 fg. s. 504.

Halle a. S. , Buchdiiickerei des Waisenhauses.

PF Zeitschrift für deutsche

3003 Philologie

Z35 Bd. 24

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