oo ai ay Dr oe f i ‘ ZEITSCHRIFT INDUKTIVE ABSTAMMUNGS- UND VERERBUNGSLEHRE HERAUSGEGEBEN VON C. CORRENS (münster), V, HAECKER (atte), G. STEINMANN (sonn), R. v. WETTSTEIN (wien REDIGIERT VON E. BAUR eatin) VIII. Band 1912 LIBRARY NEW YORK BOTANICAL GARDEN. BERLIN VERLAG VON GEBRUDER BORNTRAEGER W 35 SCHÖNEBERGER UFER 12a 1912 Rie he SSN Aa EIR y \ Inhalt. I. Abhandlungen. Seite Goldschmidt, R. Bemerkungen zur Vererbung des Geschlechtspolymorphismus . 79—88 Haecker, V. Untersuchungen über Elementareigenschaften I.... . - . 36—47 Heribert-Nilsson, N. Die Variabilität der Oenothera Lamarckiana und ae Problem der Mutation. (Mit Tafel 3-5) ...... Er OO—2ar KieBling, L. Uber eine Mutation in einer reinen Linie von Hordeum distichum L. 48—78 Lang, A. Vererbungswissenschaftliche Miszellen... ....... . . . 233—283 Müller, R. Bakterienmutationen .... ods oe ee ew 2 305—324 Schiemann, E. Mutationen bei Aspergillus niger van Mieghent (Mit Tafel 1 und 2). SE rn Bi Rt oe ne go CoM eritOwwoe ee tes as 1 Steche, 0. Die nalen Geschlechtecharaktere der Insekten und das Problem der Vererbung des Geschlechts ............ . 284—291 II. Kleinere Mitteilungen. Baur, E. Ein Fall von geschlechtsbegrenzter Vererbung bei Melandrium album 334—335 Lotsy, J. P. Versuche über Artbastarde und Betrachtungen über die Möglich- keit einer Evolution trotz Artbeständigkeit .......... . . 325—332 Nathusius, S.v. Die Entstehung des Mauchampsschafes....... . . 332—334 III. Referate. Arkell, T. R., and Davenport, C. B. Horns in Sheep as a typical Sex-limited Character. (Doncaster) ...... Sa tee 353 Baltzer, P. Über die Beziehungen zwischen da Cat and aes iit wicklins und Vererbungsrichtung bei Echinodermenbastarden. (Briel) 355 Beijerinck, M. W. Mutationen bei Microben. (Miehe) ..... 2 ani 342 Castle, EE W. Are Horns in Sheep a Sex-limited Character? Da < 353 Cole, L. J. A case of Sex-linked Inheritance in the domestic Pigeon. (Doncaster) 353 Correns, C. Selbststerilität und Individualstoffe. (Lehmann) 341 Davenport, C. B. Sex-limited Inheritance in Poultry. (Doncaster) . 353 Doncaster, L. Notes on inheritance of colour and other characters in Pigeons. BEI en ron Duo ern rd 352 — Sex-limited Inheritance in Cats. (Doncaster) . 2 353 Fruwirth, C. Spontane vegetative Bastardspaltung. (Kajanus) ~ 345 Haecker, V. Allgemeine Vererbungslehre. (G. Tischler) . . SEE: 292 Hayes, H. K. Correlation and inheritance in Nicotiana tabacum. (Hagem) 346 IV Inhalt. Heinricher, E. Experimentelle Beitrage zur Frage nach den Rassen und der Rassenbildung der Mistel. (Lehmann) . = re Henseler, Heinz. Untersuchungen über die Stammesgeschichte der Dane und Schrittpferde und deren Knochenfestigkeit. (Walther) Hoss Jaekel, O. Die Wirbeltiere. Eine Übersicht über die fossilen und chenden Formen. (Steinmann) 5 54 Baar er Laughlin, H. The inheritance of color in Shorthorn ‘cattle, (M. Daiber) „2 Little, C. C. Preliminary Note on the Occurrence of a Sex-limited Character ins Cats (Doncasten)e..2 0.0.0: 5 0 Marshall, F. H. A. On the Effects of a an Ovatistomy upon ‘Shoes (Doncaster) . Morgan, T. H. Heredity ‘i Bady Colon in “Drosophila. (Doncaster) Wee —, and Cattel, E. Data for the Study of sex-linked inheritance in Drosophila. (Doncaster) . Deane een. Pearl, R. Notes on Me history of chaared er of Po (Daiber) . . — The mode of inheritance of fecundity in the domestic Fowl. (Daiber) . Phillips, J. Size inheritance of Ducks. (Daiber) 498 Plate, L. Vererbungslehre und Deszendenztheorie. (L. Briel) Aor Semon, R. Das Problem der Vererbung ,,erworbener Eigenschaften“. (Baur) . Staples-Browne, R. Second Report on the Inheritance of Colour in Pigeons, together with an account of some experiments on the crossing of certain races of Doves, with special reference to Sex-limited Inheritance. (Doncaster) Sturtevant, A. H. An Experiment dealing with Sex-linkage in Fowls. (Doncaster) Vries, H. de. Die Mutationen in der Erblichkeitslehre. (Heribert-Nilsson) — Oenothera nanella healthy and diseased. (Heribert-Nilsson)....... Walther, Ad. R. Beiträge zur Kenntnis der Vererbung der Pferdefarben. (Ei@Efenseler)e 2... 2.8: u Ar EM Wentworth, E. N. Another Sex- limited. Character (Doncaster) . . . BR rig “yi. a 2 enge ee. OKTOBER 1912 ZEITSCHRIFT FUR INDUKTIVE ABSTAMMUNGS- UND # | VERERBUNGSLEHRE = baat east von ( cae ORRENS (MONSTER), V. HAECKER (mus), G. STEINMANN (eon), R. v. WETTSTEIN (wien) REDIGIERT VON BE BAUR (BERLIN) shed SAT, ur a BERLIN BERLIN. \ VON GEBRÜDER BORNTRAEGER was sonönenenaen UFER 12a Verlag von Gebriider Borntraeger in Berlin W 35 Schöneberger Ufer 12a Einführung in die experimentelle Vererbungs- lehre von Professor Dr. phil. et med. Erwin Baur. Mit 80 Textfiguren und 9 farbigen Tafeln. Geheftet 8 M. 50 Pf, gebunden in Ganzleinen 10 M. Die neuen Vererbungsgesetze von Prof. Dr. C. Correns. Mit 12 z. T. farbigen Abbildungen, Zugleich zweite, ganz umgearbeitete Auflage der „Vererbungs- gesetze“. Geheftet 2 M. Die Bestimmung und Vererbung des Geschlechts nach neuen Versuchen mit höheren Pflanzen von Prof. Dr. C. Correns. Mit 9 Textabb. Geheftet 1 M. 50 Pf. ~ Die Bedeutung der Reinkultur. Eine Literaturstudie von Dr. Oswald Richter, Privatdozenten und Assistenten am Pflanzenphysiologischen Institut der Deut- schen Universität in Prag. Mit 3 Textfiguren. Geh. 4 M. 40 Pf. Das Problem der Befruchtungsvorgänge und andere zytologische Fragen von Professor Dr. B. Némee, Vorstand des pflanzenphysiologischen Institutes der k. k. böhmi- schen Universität Prag. Mit 119: Abbildungen im Text und 5 lithogr. Doppeltafeln. Geh. 20 M. Geb. 23 M. 50 Pf. Studien über die Regeneration von Professor Dr. B, Nemec. Mit 180 Textabbildungen. Ge- . heftet 9 M. 50 Pf., gebunden 11 M. 50 Pf. Arten und Varietäten und ihre Entstehung durch Mutation. An der Universität von Kalifornien gehaltene Vorlesungen von Hugo de Vries. Ins Deutsche übertragen von Professor Dr. H. Klebahn. Mit 53 Textabbildungen. Geheftet 16 M., gebunden 18 M. In Vorbereitung befindet sich: Gruppenweise Artenbildung von Prot. Dr. Hugo de Vries. Mit vielen Textabbildungen und 22 farbigen Tafeln. Ausführliche Verlagsverzeichnisse kostenfrei Mutationen bei Aspergillus niger van Tieghem. Von ELISABETH SCHIEMANN (Berlin). Einleitung. Seit im Jahre 1901 DE VRIES mit seinen Untersuchungen über Oenothera Lamarckiana den AnstoB zu mehr experimentellem Ar- beiten auf dem Gebiete der Vererbungslehre gegeben hat, ist die Frage nach der Häufigkeit der Mutationen und nach ihren Ursachen viel bearbeitet worden. Wir wissen heute, daß bei allen daraufhin untersuchten Organismen in reinen Kulturen in größerer oder geringerer Häufigkeit Individuen auftreten, die in ihren erblichen Eigenschaften von der Ausgangs- rasse abweichen. Diese Erscheinung, daß erblich von der Ausgangsrasse ver- schiedene Individuen entstehen, ohne daß diese erblichen Unterschiede auf Bastardspaltung zurückführbar sind, bezeichnet man jetzt ganz allgemein (BATESON, BAUR, CASTLE, CORRENS, JOHANNSEN, SHULL u. a.) mit dem Terminus Mutation. Es ist eine eigentümliche Fügung, daß es heute schon zum mindesten sehr wahrscheinlich ist, daß gerade die DE VRIESschen Oenothera-Mutanten keine Mutanten in diesem Sinne des Wortes sind, sondern wohl eher auf Bastard- spaltungen beruhen. Wie groß die Häufigkeit von Mutationen — in der neueren Definition des Wortes — ist, darüber wissen wir noch sehr wenig; einmal weil umfangreiche quantitative Untersuchungen mit einwand- freiem Ausgangsmaterial noch kaum ausgeführt worden sind, und ferner auch deshalb, weil die Unterschiede zwischen Ausgangsrasse und Mutante oft sehr klein — „transgredierend‘“‘ — und schwer erkennbar sind, so daß viele Mutationen sich der Beobachtung ent- ziehen. Ebensowenig wissen wir über die Ursachen der Mutationen. Eine Reihe von Beobachtungen an niederen pflanzlichen Organismen [BEYERINCK (4), WOLF (24), R. MÜLLER (13) u. a.], ferner an Käfern Induktive Abstammungs- und Vererbungslehre, VIIT, I LIRRARY NEW Yok BOTANKA GARDBN. 2 Schiemann. [TOWER (19)] spricht dafür, daß es möglich ist, durch Kultur bei hohen Temperaturen, mit Giften usw., überhaupt durch extreme Außeneinwirkungen Mutationen in der Nachkommenschaft einzelner derart behandelter Individuen auszulösen. Das sichere Tatsachen- material hierüber ist aber sehr spärlich; und es ist die Aufgabe der vorliegenden Arbeit gewesen, festzustellen erstens: in welcher Häufigkeit bei einem bisher noch nicht daraufhin untersuchten Pilze Aspergzllus niger Muta- tionen unter seinen gewöhnlichen Existenzbedingungen auf- treten, und zweitens: ob es möglich ist, durch extreme Außenwir- kungen die Häufigkeit der Mutationen zu vergrößern. A. Methodischer Teil. Als Versuchsobjekt wurde nach einigen Versuchen mit Botrytis, Rhizopus und kleineren Mucor-Arten Aspergillus niger (VAN TIEGH.) gewählt, dessen schnell wachsende und charakteristisch gefärbte Rasen zur Beobachtung von Variationen besonders geeignet schienen. Allerdings haftet diesem Objekt ein Mangel an — Aspergillus niger fehlt die geschlechtliche Fortpflanzung; es ist daher nicht möglich, das Kriterium der Mendelschen Gesetze auf die einmal aufgetretenen Mutanten anzuwenden. Doch schien dies prinzipiell nicht notwendig: für Organismen ohne sexuelle Fortpflanzung muß Konstanz durch eine lange Reihe von Generationen und unter den verschiedensten Verhältnissen für die Erblichkeit maßgebend sein. Sonst könnte man bei den ganzen großen Gruppen der Bakterien und der asporogenen Hefen von Vererbung nicht reden. Es haben aber Forscher wie E. CH. HANSEN (7) und BEYERINCK (4) den Begriff der Mutation in diesem Sinne ohne Zögern auf die asexuell sich fortpflanzenden Organismen angewandt. Die positiven Ergebnisse der vorliegenden Untersuchungen fordern aber weiter dazu auf, auch solche Gruppen der niederen Pflanzen ins Experiment zu ziehen, bei denen eine Kreuzung möglich ist; hier wäre in erster Linie an die heterothallischen Mucorineen zu denken. Mein Material von Aspergzllus niger stammt von einem Kolben mit Malzagar, der im Botanischen Institut der Landwirtschaftlichen Hochschule zu Berlin offen gestanden und sich mit Rasen von Maco- rineen, Penicillium und Aspergillus bedeckt hatte. Der Pilz wurde zunächst in Reinkultur gezüchtet, aus dieser wurde dann nach dem BURRIschen Tuscheverfahren (5) eine Einzellkultur hergestellt. Mutationen bei Aspergillus niger van Tieghem. 3 Zur Vermeidung der Hauptfehlerquelle bei derartigen Versuchen wurden von Anfang an sämtliche im Institut befindliche Aspergillus niger-Kulturen vernichtet, um schon dadurch eine spontane Infektion durch andere Rassen möglichst auszuschließen. Diese Vorsichtsmaß- regel wurde im Laufe der Arbeit beibehalten, indem das ganze In- stitut nach Möglichkeit frei gehalten wurde von offenen Kulturmedien, auf denen sich Aspergillus niger hätte entwickeln können, und indem ferner alle Pilzkulturen vor dem Wegwerfen und vor dem Wegstellen und Reinigen der Kulturgefäße im Dampftopf abgetötet wurden. Kontrollplatten!), die vorzüglich während des Plattengießens und Impfens aufgestellt wurden, zeigten, daß die Sporen des Aspergillus niger bei einiger Vorsicht nicht fliegen. Es traten infolge dieser Maß- nahmen verhältnismäßig selten Verunreinigungen auf, und zwar stets mit Penicillium, Rhizopus oder Hefen und Bakterien, nie mit Asper- gillus niger — mit zwei Ausnahmen: diese betreffen: I) drei an einem Tage gegossene Platten, die deshalb sofort vernichtet wurden, 2) eine Plattenserie aus der Woche nach den Sommerferien. In dieser Zeit war im Brutschrank der Pilz in einzelnen Kölbchen am Wattestopfen herauf- und herausgewachsen. Infolgedessen traten auf den nun ge- gossenen Platten zwischen den braunen Rasen der ersten Mutante (siehe unten) mehrere schwarze Rasen der Ausgangsrasse auf. Der Brutschrank und die in Gebrauch befindlichen Kulturgefäße wurden daraufhin mit der Bunsenflamme abgesengt, und seitdem sind keine Verunreinigungen mit Aspergillus niger mehr aufgetreten. Es ergaben die Kontrollkulturen!) folgende Resultate: Tabelle I. In x Fällen | Expositionsdauer Gelegenheit |Nach x Tagen Infektion durch 2 5 Min. beim Impfen 5 — 3 10, 12, 15 Min. b. Isolierung n. Burri 5 — 2 5 Min. b. PlattengieBen 5—9 — r On = | 8 1 Hefekolonie I TOs i 2 | Bakterienkolonie I Cy eke. J 2 Penicillium 2 rs | b. Impfen | 2 a I Klagen | Pr | 2 Asperg. Fischeri Der Nährboden bestand aus destilliertem Wasser, 7% Malz- extrakt und 2% Agar-Agar; hierauf gedeiht der Pilz vorzüglich, keimt nach etwa 12 Stunden, bildet nach 24 Stunden einen sterilen Rasen 1) Petrischalen mit Malzagar, in dem von mir benutzten Arbeitsraum offen aufgestellt. 1* 4 Schiemann. von ca. I cm Durchmesser; dann beginnt schon in der Mitte die Fruktifikation; nach 48 Stunden ist das kreisrunde Myzel von 3 bis 4 cm Durchmesser mit schwarzen Köpfchen dicht besetzt. Dieses gleichmäßigen kräftigen Wachstums wegen wurde in allen Kontroll- und Vergleichskulturen dieser Nährboden beibehalten und soll der Kürze halber als „normaler Nährboden‘ bezeichnet werden. Anschließend an die Arbeit WOLFS (24) wurden als Reizmittel folgende Gifte verwendet: KzCr;0,, CuCOg+5 aq, CCl;COH:1 aq, Chininsulfat, ZnSO,-7 aq, KMnO,, KCIO,;,. Die Maximalkonzentra- tionen, die noch Wachstum und Fruktifikation des Pilzes zulassen, sind aus Arbeiten von PULST (14), MEISSNER (II), WÄCHTER (2I) u. a. bekannt. Da der Malzagar durch den Zusatz der Gifte verflüssigt wird, wurden die Pilze für die Mutationsversuche auf der von PULST für Schimmelpilzkulturen angegebenen Nährlösung: 40 g Rohrzucker 5 g Pepton Witte 1,035 g KH>sPO, zu I | aq. dest. gelöst 0,13 g KNO, 0,16 g MgSO,-7 aq gezogen. Die Giftkonzentrationen betrugen I g-mol auf 1000, 2000 usw. | (abgekürzt 1:1000 usw.). Um Fällungen zu vermeiden, wurden gleiche Volumina Nährlösung und Giftlösung von doppelter Konzen- tration einzeln sterilisiert und kalt gemischt. 20 cm? dieser Mischung in niedrigen Erlenmeyerkölbchen (roo cm? Inhalt) dienten als Kultur- medium. Auf diesen Flüssigkeiten entwickelt sich ein schwimmendes Myzel, und man erhält auf diese Weise Decken von 5 cm Durch- messer. Die Kulturen wurden bei der Optimaltemperatur von 36° im Dunkeln gehalten. Von Zeit zu Zeit wurden von diesen Kulturen Probeplatten gegossen, um festzustellen, ob durch die Vorbehandlung Mutationen ausgelöst seien. Das geschah in der Weise, daß ein Konidienköpfchen in 30 cm® sterilen destillierten Wassers übertragen, die Lösung stark geschüttelt und hiervon 5—ıo Tropfen in 50 cm? gelösten Malzagars getropft wurden. Hiermit wurden große Petri- schalen von 20 cm Durchmesser ausgegossen. Man erhält dann über- sichtliche Kulturen mit deutlich getrennten Rasen — in günstigen Fällen 10—20; doch sind auch roo noch klar geschieden, z. B. trug die Platte, der Fig. 19 entnommen ist, 96 Kolonien, davon 67 braun, 29 schwarz, die wohl zumeist je aus einer Zelle hervorgegangen sind. Diese Probeplatten wurden in größerer Anzahl gegossen, wenn die gereizten Kulturen irgendwelche Anomalien erkennen ließen. Mutationen bei Aspergillus niger van Tieghem. un B. Experimenteller Teil. I. Modifikationen. Es sollen nun im folgenden einige der Variationen kurz beschrieben werden, die sich bei Weiterkultur als Modifikationen im Sinne NÄGELIS kennzeichneten. Solche Anomalien traten auf den mit CuSO, versetzten Kulturen auf und zwar: 1. auf Konz. 1:1000 starke Neigung zu Sklerotienbildung, 2. auf Konz. 1: 1000 Ausbildung weißer Köpfchen. Die weiße Farbe rührt daher, daß die Sterigmen, statt Konidien abzuschnüren, vegetativ zu meist stark gekrümmten, kurz- und weitgliedrigen Hyphen auswachsen. Beide Erscheinungen traten auch auf Chloralhydrat (Konz. TI: 200), Fig. ı, hier mit noch stärkerer Hemmung der Konidienbildung auf — Fig. 1. Aspergillus niger auf Chloralhydrat-Modifikationen. Sklerotienbildung — weiße Köpfchen, beide etwa bis zur achten auf den betreffenden Giftlösungen gezogenen Generation; dann hatte der Pilz sich so stark akkommodiert, daß er glatte Decken bildete. Diese Erscheinungen waren nicht erblich, es hatte bereits die erste von den weißen Köpfchen auf normalem Nähr- boden rückgeimpfte Generation normales Aussehen. Während also in diesen Fällen — die als Beispiele aus einer größeren Anzahl ähnlicher mit gleichem Resultat herausgegriffen sind — bloße Ernährungsmodifikationen vorliegen, handelt es sich in den nun folgen- den um erblich konstant bleibende Änderungen — also um Mutationen. 6 Schiemann. II. Die Mutationen. a) Auftreten und Beschreibung der Mutationen. Die erste Mutation fand sich in einer in der ersten Generation auf K.,Cr,O, erwachsenen Kultur (Konz. 1:2000; es ist dies die Grenzkonzentration, bei der noch Konidienbildung auftritt). Keimung und Wachstum erfolgten sehr langsam: nach 16 Tagen erste Keimung, nach 28 Tagen Beginn der Fruktifikation. Dann bedeckte sich die Oberfläche der Nährlösung schnell mit einer glatten Decke voll schwarzer Konidienköpfchen. Zwischen diesen traten, 35 Tage nach der Impfung, einige deutlich rostbraune Köpfchen auf. Von diesen wurden in der oben beschriebenen Weise zwei Platten gegossen; die Konidien keimten normal am nächsten Tage, die Rasen fruktifizierten am dritten Tage. Die eine Platte trug 47 schwarze, zwei braune Rasen, die andere 78 schwarze, 21 braune (vgl. Fig. 7). Daß diese Kulturen aus schwarzen und braunen Rasen gemischt waren, lag daran, daß die wenigen braunen Köpfchen dicht umdrängt von schwarzen standen und es nicht zu vermeiden war, schwarze Sporen an die Pinzette zu bekommen. Die Kultur wurde nun nach dem Plattengießverfahren bis zur 20. Generation fortgesetzt; von da an durch einfaches Überimpfen mit steriler Platinnadel auf kleine Petri- schalen. Die Mutante liegt jetzt in der 40. Generation vor, ohne daß ihre Farbe sich verändert hat oder ein Rückschlag zur Ausgangs- rasse eingetreten ist (Tafel I oben). Die einzigen scheinbaren Aus- nahmen betreffen die oben (S. 3) erwähnten Verunreinigungen. Daß es sich in der Tat um solche und nicht um Rückschläge handelte, geht ohne Zweifel aus den in größerer Zahl angestellten Kontroll- versuchen und der weiteren Beständigkeit der Mutante hervor. Die Farbe ist ein reines Schokoladenbraun, selten nach hell oder rötlich modifiziert ; Selektionsversuche bei derartigen Modifikationen innerhalb der neuen Rasse waren resultatlos. Diese Form soll weiterhin als fuscus-Mutante des Aspergillus niger bezeichnet werden. Zweite Mutation. In der ıı. Generation auf K,Cr,O, (Konz. 1: 20000) traten in einer glatten, schwarzen Konidiendecke nach sechs Tagen fiinf rein weiße, große Köpfchen auf. Die mikroskopische Untersuchung ergab diesmal nicht vegetativ ausgewachsene Sterigmen, sondern ein Köpf- chen vom Typus des Asfergillus niger, nur waren die Konidien glatt und farblos. Es wurden von diesen weißen Köpfchen fünf Platten Mutationen bei Aspergillus niger van Tieghem. 7 gegossen, drei Reagenzgläser und eine kleine Petrischale geimpft. Alle Kulturen der nachsten Generation boten dasselbe Bild (Fig. 2): die von den noch anhaftenden schwarzen Sporen stammenden Rasen fruktifizierten normal schwarz; die aus den weiBen hervorgegangenen keimten wie die schwarzen, bildeten am zweiten Tage wie diese einen sterilen Rasen, der am dritten Tage reichlich weiße Konidienköpfchen trug. Am vierten Tage waren diese sandfarben und nahmen im Lauf von etwa fünf bis sechs Tagen eine dunkelsand- bis hellzimt- farbene Tönung an (Tafel I, Mitte l. u. r.). Diese langsame Färbung Fig. 2. cinnamomeus-Mutante. in genau denselben Nuancen hat die Mutante bis heute konstant fest- gehalten. Sie ist besonders gut zu beobachten, wenn man den Pilz bei niederer Temperatur, etwa bei 24° zieht, weil dann die Ent- wicklung bedeutend verlangsamt ist. Die Sporen besitzen, wenn das Köpfchen dem Auge noch rein weiß erscheint, volle Keimkraft, so daß zwischen gleichzeitig abgeimpften und unter völlig gleiche Be- dingungen gebrachten Kulturen aus weißen und zimtfarbenen Sporen kein Unterschied besteht. Auch hier hatten Selektionsversuche der — seltenen — Modifi- kationen der Färbung keinerlei Erfolg. Die Mutante liegt in der 8 Schiemann. 34. Generation vor, wie die erste bis zur 20. Generation nach dem Plattenverfahren, dann durch einfaches Weiterimpfen kultiviert; sie sei als ciunamomeus-Mutante bezeichnet. Dritte Mutation. Das zweite Reizmittel, das nach dem Vorgange TowErs gewählt wurde, war extreme Temperatur. Schrägagarkulturen (normaler Nährboden) wurden im Thermostaten bei der Maximaltemperatur 40 bis 45° gehalten. Die im allgemeinen gleichmäßige Entwicklung der Hitzekulturen verläuft folgendermaßen: nach zwei bis drei Tagen Fig. 3. altipes-Rasen zwischen normalen Aspergillus niger-Rasen. 2 Tage alt. schwache Keimung; in einigen Tagen ist das Myzel zu einem dick- filzigen, welligen, oft schmutzigweißen Rasen erwachsen; gleichzeitig beginnt in einzelnen Kulturen auf der oberen, dünnen Randschicht des Agars dem Auge kaum sichtbare Myzelbildung und aus dieser starke Konidienabschnürung auf langen, kräftigen Konidienträgern; nach 8—14 Tagen entwickeln sich auf den dickfilzigen Rasen zwergige Köpfchen auf ganz kurzen Konidienträgern. — Rückimpfungen von beiden Arten von Fruchtbildungen in optimale Temperatur ergeben normale Deszendenz. Mutationen bei Aspergillus niger van Tieghem. 9 Eine der Platten, die mit dem zwergigen Typus geimpft war, zeigte eine Abweichung. Die Hitzekultur, der das Impfmaterial dieser Platte entnommen war, trug nur Konidienträger vom zwergigen Typus (vgl. hierzu S. 31); sie hatte bei einer Umstellung und Neu- regulierung des Thermostaten Temperaturen bis zu 48° durchge- macht!). Die Versuchsplatte trug deutlich zwei Typen von Rasen (Fig. 3): eine Form mit hohen, lockerstehenden Konidienträgern und eine mit niedrigen, dichtstehenden; beide mit großen, tiefschwarzen Köpfchen. Die niedrige Form erwies sich in der Weiterkultur als Fig. 4. altipes-Mutante. identisch mit der Ausgangsrasse; die hohe dagegen ist, wie sich im weiteren Verlauf ergab, als Mutante zu bezeichnen; ihr Myzel ist üppiger, schnellwüchsiger, treibt reichlich Lufthyphen, so daß die jungen Kulturen nach zwei bis drei Tagen, wenn sie in der Mitte zu fruktifizieren beginnen, von einem breiten Kranze schneeweißen Myzels umgeben sind (Fig. 3); dieser erhält sich oft bis in ältere Stadien hinein, immer aber sehen, auch in völlig ausgewachsenen Kulturen, die Rasen hoch und locker aus (Fig. 4 u. Tafel I Mitte unten), während die der Ausgangsrasse dem Substrat dicht anliegen und die schwarzen 1) Eine Keimung von Sporen findet schon bei 45° nicht mehr statt. Io Schiemann. Sporenmassen das Myzel bis zum Rande völlig verdecken (Tafel I, Mitte). Da sich diese Rasse, die nunmehr in der 24. Generation vorliegt, als konstant erwies, wurden die oben erwähnten, auf dem oberen Rand des Agars in den Hitzekulturen auftretenden Formen mit hohen Konidien- trägern sämtlich auf Konstanz geprüft — aber stets mit negativem Erfolg; das gleiche geschah mit den sonst in den Kulturen beobachteten Formen dieser Art, im ganzen in 2ı Fällen; es resultierten immer niedrige normale Rasen!). Von diesen Modifikationen ist also die obige Rasse durch ihre Erblichkeit prinzipiell unterschieden, also als Mutante zu bezeichnen; sie sei Aspergillus niger altipes genannt. Doch steht sie der Ausgangsrasse näher als die beiden Farbmutanten, in- sofern sie in ihrem Habitus unter gewissen Bedingungen dieser fast gleicht. Aspergillus niger und diese Mutante verhalten sich zuein- ander wie zwei reine Bohnenlinien, die in der Größe ihrer Samen transgredierend modifizierbar sind. Vierte Mutation. Ausgangskultur war eine Hitzekultur, die gleich der vorigen bei 44° geimpft worden war, die hohen Temperaturen bis 48° durch- gemacht und danach (bei 44—45°) gekeimt hatte. Die Fruktifikation war dann reichlich, sowohl oben am Rande des Agars großköpfig und langgestielt, als im Grunde des Röhrchens zwergig. Hier war drei Wochen nach der Impfung ein graues Köpfchen zu bemerken. Da dieses mit der Platinnadel nur schwer zu erreichen war, ließ sich das Resultat des ersten Plattengusses voraussehen. Es resul- tierten fast lauter normale Rasen. Der Rest der Aufschwemmung in destilliertem Wasser wurde auf drei große Platten verteilt und ergab hier wiederum hohe und niedrige Rasen, die hohen diesmal vereinzelt und sehr kleinköpfig. Die nächste Generation, von diesen abgegossen, war ganz normal — dagegen zeigte eine abgeimpfte Kolonie zwei sterile Sektoren?). Diese Erscheinung tritt bei den Kulturen — auch bei Einzellkulturen — häufig auf, ohne daß sich eine Ursache dafür angeben ließe; sie ist auch in der Literatur des öfteren angeführt. Übertragungen des sterilen Myzels auf frischen Nährboden ergeben in der Regel sofort normal fruktifizierende Rasen. 1) Zu dem gleichen Versuche hatten Versuche Kominamis(8) mit hochwüchsigem Aspergillus niger geführt. 2) Es sei noch einmal darauf hingewiesen, daß die „gegossenen“ Platten im allgemeinen Einzellkulturen ergeben, die „geimpften“ dagegen Kolonien, die aus vielen Zellen erwachsen sind. Mutationen bei Aspergillus niger van Tieghem. IT Hier indes setzte auf dem Sektor die Fruktifikation am fünften Tage ein in Gestalt winziger, graubrauner Köpfchen. Die Deszendenz besteht konstant aus am zweiten Tage keimenden, bis zu 1,5 cm Durchmesser steril anwachsenden Rasen von stumpfweißer Farbe, die sich entweder wie ein filziges Häutchen dem Substrat anschmiegen, oder, wenn der Nährboden feuchter ist, einen stark welligen Rand besitzen und dadurch radiär gestreift erscheinen (Tafel I, unten). Am fünften oder sechsten Tage, gelegentlich schon am vierten, beginnt, meist vom Rande her, die Fruktifikation; nach 8—ıo Tagen ist der Rasen von dichten, zwergigen Köpfchen graubraun gefärbt. Drei Eigenschaften sind es, die diese Mutante auszeichnen und deshalb eine genauere Beschreibung nötig machen: I. die große Variabilität der Farbe und Wuchsform, 2. ihr physiologisches Verhalten bei verschiedener Tem- peratur, 3. das Rückschlagen nach der Ausgangsrasse in einem bestimmten Alter. ad I) Eine ganz außerordentlich große Variabilität ist dieser Mutante eigen, so daß sie Aspergillus proteus genannt werden soll. Waren die ersten Generationen durchweg zwergig, so zeigte sich bald 12 Schiemann. Fig. 7. Fig. 5—7. Zweites Auftreten der proteus-Mutante. Die hellen Flecken in Fig. 5 sind mutierte Köpfchen; Fig. 6, hiervon abgeimpft, zeigt einen hellen Sektor; Fig. 7 hiervon abgegossen die getrennten Kolonien. Mutationen bei Aspergillus niger van Tieghem. 13 ein allmahliches Erstarken: die Myzelien wurden kräftiger, die Koni- dienträger länger, die Köpfchen größer; eine ganze Reihe von Kulturen stand der Ausgangsrasse an Üppigkeit nicht nach; besonders trägt der Rand der Rasen häufig kräftige, große Köpfchen. Ebenso großen Schwankungen ist die Farbe der Konidienköpfchen unterworfen; blaß- gelbe, sandfarbene, rostgelbe, graue, hellbraune, kaffeebraune Köpfchen stehen oft in einem Rasen nebeneinander, während andere ganz ein- heitlich gefärbt sind. Fig. 8. Einheitlich braune, zwergige Kolonie auf Malzagar. Auftreten des Rückschlages. Konnte es zunächst den Anschein haben, als spalte sich die Zahl der von dem ersten grauen Rasen abstammenden Kulturen in ver- schiedene Stämme, so zeigte ein umfangreiches Parallelmaterial (die Mutante ist im ganzen in den verschiedenen Versuchsreihen in 453 Kul- turen beobachtet worden), daß alle diese verschiedenen Wuchsformen und Farbenvarianten nichts weiter als Modifikationen sind in Ab- hängigkeit von geringen Verschiedenheiten des Substrats, wie sie aus der Zusammensetzung des Agars, dem etwas wechselnden Feuchtigkeits- gehalt resultieren können. So ist es erklärlich, daß an einem Tage 14 Schiemann. abgeimpfte Kulturen auf Nährböden, die an einem Tage bereitet und gegossen waren, sich oft mehr glichen als zwei aufeinander folgende Generationen derselben Reihe. Daß es sich hierbei um reine Modi- fikationen handelt, beweist die nächste Generation — die getrennt abgeimpften Abkömmlinge der verschiedenen Varianten sind nicht voneinander zu unterscheiden. So zeigt Tafel II oben!) vier Kulturen, die am gleichen Tage von der gleichen Kultur abgeimpft wurden und zwar: Fig. ı auf Malzagar, Fig. 2 auf traubenzuckerhaltigem Nähr- boden, a) von einem hellgelben, b) von einem fast schwarzbraunen Köpfchen. Beide tragen große Köpfchen: die Malzkultur kurzgestielte, die Traubenzuckerkultur sehr lang gestielte. Fig. 8 zeigt eine ein- heitlich braune, zwergige Kolonie auf Malzagar. Die Ringbildung ist bei Aspergillus niger und den ersten drei Mutanten selten, beruht hier vielleicht auf Ernährungsbedingungen. In dem Maße wie die Kultur zentrifugal fortwächst, wird der Nährboden durch das Myzel stark ausgenutzt, und der Pilz muß nun ein Stück auf ungünstigem Boden fortwachsen, bis sich die optimalen Verhältnisse wiederholen. Da die Kulturen im Dunkeln standen, kommt der Einfluß des Lichtes nicht in Betracht. Die vierte Mutante dagegen zeigt die Ringbildung fast durchgehends. (Tafel I unten, Tafel II Fig. ı Textfig. 8 und 11.) Die braunen Köpfchen, besonders wenn sie groß ausgebildet sind iz. B. auf Brot oder am oberen Rande der Schrägagarkulturen), gleichen sehr der /zscxs-Mutante; 18 mal wurde von solchen Köpfchen abgeimpft, in der Erwartung, diese zu erhalten; es resultierten ohne Ausnahme Rasen der frotews-Mutante. Ein Stück eines Stamm- baumes (I S. 15) mit kurzer Charakteristik des Habitus mag dies Verhalten illustrieren. i ad 2) Die zweite Eigentümlichkeit des Pilzes ist seine Reaktion auf Temperaturveränderungen. Als Optimaltemperatur für Aspergil/us niger ist von WEHMER (22) Bluttemperatur angegeben; doch wächst er noch ebenso üppig bei 30°; so erklären sich die abweichenden Angaben anderer Autoren [THIELE (18) gibt 30—34° an]. Bei Zimmertemperatur im Sommer?) ist das Wachstum nur wenig, immerhin merklich gehemmt; in den 1) Siehe Figurenerklärung S. 35. 2) Die Temperatur war in dem Raum, in dem die nicht im Thermostaten ge- zogenen Kulturen aufgestellt waren, nicht konstant. Sie schwankte im Winter zwischen 15 und 189°C; im Sommer lag sie naturgemäß höher. Da die Vergleichskulturen hauptsächlich in der Zeit vom Oktober bis April angestellt wurden, so ist als mittlere Temperatur 180 angenommen worden. Mutationen bei Aspergillus nigey van Tieghem. 15 Wintermonaten dagegen war die Hemmung recht stark. Ebenso ver- halten sich die ersten drei Mutanten; dabei ist Farbe und Größe der Konidienköpfchen unverändert, nur Aspergillus cinnamomeus ist bei Zimmertemperatur oft nach ockerfarben modifiziert. Anders verhält sich Aspergülus proteus. Die Keimung wird bei Zimmertemperatur nach zwei Tagen dem unbewaffneten Auge sichtbar; das Myzel ist dünnhäutig und fast schwefelgelb, bisweilen etwas blasser gefärbt. Diese Farbe bildet sich im Lichte, wie im Dunkeln; es ist Drotkulkur £ mit gelled fon geimpft (9) UN ee 2 Rückschlag, ) » haumım " Yj ’ " normal = Habitus w Farbe gleich 3 Denen s r (0) \ " braun (fuscus) TREE Stammbaum I. dieselbe, die sich bei Asfergil/us niger an sterilen Stellen des Myzels beobachten läßt und ist auch bei den beiden ersten Mutanten bemerkt worden. Sie hält sich sehr lange, im Dunkeln länger als im Hellen, und nimmt bei fortschreitender Konidienbildung — daher bei Asper- gillus niger selbst ziemlich schnell — ab. Es hat demnach, wie schon MILBURN (12) bemerkt, den Anschein, als würde der gelbe Farbstoff bei der Ausbildung des Konidienpigments verbraucht. Die Bildung der Konidienträger beginnt bei Aspergillus proteus erst nach ca. 7 Tagen. 16 Schiemann. Die Köpfchen erscheinen zunächst vereinzelt, sind zwergig und schwarz. Die Konidien sind mikroskopisch von denen des Aspergillus niger nicht zu unterscheiden. Dennoch handelt es sich hier nicht um einen Rück- schlag zur Ausgangsrasse, wie aus dem Verhalten der Deszendenz hervorgeht. Bringt man eine Kultur, nachdem sie diese zwergigen, schwarzen Konidienköpfchen gebildet hat (Tafel II Fig. 3), in 37°, so bringt sie nun reichlich und schnell typische rozeus-Köpfchen hervor, hoch und groß, hellgelb bis braun in der üblichen Variabilität (Tafel II Fig. 4). Bringt man um- gekehrt eine proteus-Kultur, die schon braun fruktifiziert hat, aus 37° in Zimmertemperatur, so ist die weitere Konidienbildung stark ver- langsamt, alle jetzt gebildeten Köpf- chen sind schwarz und zwergig und können, wenn die Kultur bei dem Temperaturwechse] noch nicht zu alt war, noch in so reichlichem Maße ge- bildet werden, daß der Rasen nach einigen Tagen fast schwarz aussieht Fig. 9. Kultur, die 8 Tage bei 37° (Fig. 9). gestanden, dann bei 18°. Impft man von den in Zimmer- Die ursprünglich gelbbraunen Rasen temperatur gewachsenen Köpfchen — nach 10 Tagen schwarz überwuchert. sowohl den zuerst aufgetretenen (also so lange nur schwarze Köpfchen ge- bildet waren) als von den aus 37° in Zimmertemperatur überführten Kulturen — ab, so bringen diese Aussaaten nach drei bis fünf Tagen gelbbraune Köpfchen hervor, wenn sie bei 37°, nach sieben Tagen schwarze Köpfchen, wenn sie bei Zimmertemperatur gehalten werden. Diese Kulturmethode kann man selektiv durch mehrere Generationen in einer Richtung oder von Generation zu Generation abwechselnd anwenden, ohne daß an dem Resultat etwas geändert würde. (Stammbaum II.) Um die Temperatur festzustellen, bei der der Farbumschlag ausgelöst wird, wurden Kulturen bei 30, 27, 24, 21 angesetzt; das Resultat zeigt Tabelle II, S. 18; der Vollständigkeit halber sind die Resultate bei 44°, 37° und 18° hinzugefügt. Aus der Tabelle ergibt sich folgendes: Die optimale Tempe- ratur liegt für Aspergillus proteus viel tiefer als für Aspergillus niger, nämlich bei 27°, was sich sowohl in der Schnelligkeit des Mutationen bei Aspergillus niger van Tieghem. 17 Wachstums als in der Üppigkeit des Myzels und der Fruchtkörper- bildung geltend macht. Die Köpfchen erreichen einen Durchmesser von I mm!) (Fig. 10) [makroskopisch — an der lebenden Kultur, also ehe noch die Sporen abgefallen sind, zu beobachten] und sind einheitlich dunkelgraubraun gefärbt (von Aspergillus fuscus deutlich verschieden). Mikroskopisch weisen diese großen Köpfchen den Typus Fig. 14 auf (vgl. S. 23). Fi Ls won gelbbeaurem Kop)itiin gimp ft HN Ba er ze Die mnscbraffierten Felder bedeuter, ( » schwarnenv * " Stammbaum II. Oberhalb 27° werden die Köpfchen kleiner und heller; bei 30° bieten die Kulturen den Anblick einer völlig unheitlichen Population. Die Deszendenz der verschiedenartigen Farbvarianten ist aber bei anderer Temperatur ganz einheitlich (vgl. Stammbaum I, S. 15). Der Farbumschlag zu dem Schwarz der Kulturen bei 18° erfolgt nicht plötzlich; die Konidien werden bei abnehmender Temperatur dunkler, in demselben Maße aber werden die Köpfchen kleiner und das Myzel schwächer, weil die Entwicklung stark verlangsamt wird. 1) Die Größe der Köpfchen, die WEHMER angibt (130 u), bezieht sich auf Material, bei dem die Sporen durch Alkohol abgeschwemmt sind. Die Köpfchen meiner lebenden Aspergillus niger-Kulturen hatten — makroskopisch — im Durchschnitt 0,5 mm Durchmesser. Induktive Abstammungs- und Vererbungslehre. VII. 5 18 Schiemann. Tabelle II. Beginn der | Aussehen Fruktifikation | a) Myzel |b) der fruktifizierende Rasen 1. Keimung | | 44° am 3. Tage am 6.Tage oben| dickfilzig, |am Rande des Agars lang ge- (Schragagar- jnach 14 Tagen; fast steril |stielt, bräunlich-gelb, groß- röhrchen) unten köpfig; nach unten zu sehr zwergig. a7 am 2. Tage |am 4.—6. Tage spärlich gelb bis braun, meist einheit- | ‚lich, zwergig, selten hoch und | großköpfig 30° am 2. Tage lam 3.—4. Tage spärlich teils zwergig, teils hoch; gelb, | | ockerfarben,braun bis schwarz; | völlig bunt. 27° am 2. Tage |am 3.—4. Tage üppig, weiB|in der Mitte beginnend grau- gelb hoch; kleinköpfig, dann nach dem Rande zu sehr üppig, dunkelgraubraun, Köpfchen bis 1 mm Durch- | | messer. 24° | am 2. Tage am 4.—6. Tage | üppig, weiß | wie bei 279, aber verlangsamt. 2:0 am 2. Tage | am 6. Tage |kräftig, weiß | fast schwarz, hoch, klein- | bis gelb köpfig, spärlich. 180 am 3. Tage am 8. Tage | spärlich, |Schwarz, zwergig, spärlich. | schwefelgelb, allmählich | verblassend | Während also Aspergillus niger nur in der Wachstumsgeschwindig- keit, nicht in Farbe und Habitus von der Temperatur abhängig ist, ist Aspergillus niger proteus durch die Temperatur stark modi- fizierbar. Bei Uberfiihrung einer Kultur aus einer Temperatur in die andere verändert sich ihr Aussehen, indem der Nachwuchs der jeweiligen Temperatur entsprechend sich entwickelt, in derselben Weise, wie es für den Wechsel der extremen Temperaturen 18° und 37° aus- führlich geschildert und auf Tafel II Fig. 3 und 4 und Stammbaum II, S. 17 dargestellt ist. ad 3). Die dritte Eigentümlichkeit dieser Rasse ist, daß die Kultur nach durchschnittlich drei Wochen zur Ausgangs- rasse zurückschlägt. Dieser Rückschlag, der zuerst auf Brot- kulturen beobachtet wurde, wo er viel schneller, schon nach durch- Fig. 10. Mutationen bei Aspergillus niger van Tieghem. 19 Aspergillus proteus bei 27° kultiviert; Mitte hellbraun, auBen dunkelbraun; mit Riickschlag (Mitte links). Fig. 11. Auftreten des Riickschlags in einer zwergigen Kolonie. Ringbildung. 2* 20 Schiemann. schnittlich zehn Tagen erfolgt, konnte zuerst fiir eine Verunreinigung gehalten werden; daB er auf zwei gleichzeitig angesetzten Brotkulturen gleichzeitig auftrat, war schon auffallend. Die Impfung auf Brot wurde mit allen Vorsichtsmaßregeln wiederholt — mit demselben Er- folge. Auf Brot gedeiht Aspergillus proteus besonders üppig; die Konidienträger erreichen eine durchschnittliche Länge von 4 mm, die gelben oder braunen Köpfchen einen Durchmesser von 0,5—I mm; trotzdem waren bald große Flächen des Substrats von den schwarzen Köpfchen überwuchert. Die Kulturen, die für gewöhnlich nach zwei bis drei Wochen vernichtet wurden, wurden nun länger aufbewahrt und eine große Anzahl von Parallelkulturen bei 37° und bei Zimmer- temperatur angesetzt. Immer traten nach durchschnittlich 25 Tagen die Rückschläge ein (Minimum 13 Tage, Maximum 44 Tage, bei Zimmertemperatur 61 Tage, die meisten zwischen 21 und 28 Tagen). Diese sind in ihrer Deszendenz konstant Aspergillus niger! Die Fig. 8, 11, 12 zeigen das Auftreten der schwarzen Köpfchen in der Mitte der Rasen. Von den 453 Kulturen dieser Mutante schlugen 203 zurück. Die Kulturen ohne Rückschlag sind z. T. zu früh abgebrochen, z. T. war der Nährboden nach drei Wochen eingetrocknet. Um völlig sicher zu gehen, wurden nun aus drei Kulturen der 4., 9. und 13. Gene- ration vor dem Auftreten des Rückschlags im ganzen fünf Zellen nach BURRI isoliert; die Deszendenz dieser Zellen entspricht in allen Punkten den bis dahin gemachten Beobachtungen. Ihre Kultur ist bis zur sechsten Generation fortgesetzt, so daß im ganzen A. proteus bis zur Ig. Generation verfolgt ist. b) Morphologische Untersuchungen. Die mikroskopische Untersuchung mußte entscheiden, ob es sich bei dem Auftreten der Mutanten um etwas neues handelte, oder ob sie etwa mit einer der schon bestehenden Spezies identisch waren; als solche kämen in erster Linie Asfergz//us ochraceus und Ostianus in Betracht. Es zeigte sich, daß die beiden ersten Mutanten morphologisch typische Aspergillus niger sind, die sich von ihrer Stammform ledig- lich durch die schwächere Pigmentierung unterscheiden. Länge, Breite und Wanddicke des Konidienträgers, Größe und Form der Blase und der verzweigten Sterigmen sind völlig gleich. Die Pigmentierung der Wand sowohl als des Inhalts erstreckt sich auch bei Aspergillus fuscus noch bis in den oberen Teil des sonst farblosen Konidienträgers. Ebenso sind die Blase und die primären Sterigmen Mutationen bei Aspergillus niger van Tieghem. 21 oft pigmentiert. In den Konidien von Aspergzllus niger ist der Farb- stoff vor allem in den stark ausgebildeten Stacheln lokalisiert, die sich von dem sonst lichteren Grunde deutlich abheben (Fig. 13a). Diese Pigmentwarzchen, die sich bei allen von mir untersuchten Kulturen finden, gehen bei Aspergillus fuscus zu feinkörnigen Erhebungen zurück. Nur die jüngeren, nahe den Sterigmen sitzenden Konidien der oft langen Ketten sind bei den von mir untersuchten Aspergillus niger glatt, während WEHMER in der Diagnose für Aspergillus niger ,,Konidien glatt oder warzig (im Alter)“ angibt. Bei Aspergzllus cinnamomeus Fig. 12. Starke Mycelentwicklung auf Knopagar + Traubenzucker; Rückschlag. fehlen sie vollständig, auch bei den ältesten, voll ausgereiften Sporen; die einzelne Spore erscheint unter dem Mikroskop völlig farblos. Beide Mutanten liefern somit wieder ein Beispiel für Ver- lustmutationen. Die altipes-Mutante unterscheidet sich morphologisch von der Ausgangsrasse nur durch die Länge des Konidienträgers, die 3—4 mm gegen I—2 mm der Ausgangsrasse beträgt; doch sind auch 5 mm in kräftigen Kulturen nicht selten. Beide aber sind durch die absoluten Dimensionen von Blase und Sterigmen, sowie durch das Verhältnis Länge der prim. Sterigmen T 2 v /EHN € INTER RESSERWAERSBINSE on den von WEHMER gemachten Ang ıben 22 Schiemann. stark abweichend. Die hier in Betracht kommenden Zahlen, die Mittelwerte aus je 60 bis 70 Messungen sind, wozu die Objekte zu- fällig herausgegriffen wurden, sind: Tabelle III. A. niger nach | Ausgangsrasse | Ww nach eigenen | 4. x. altipes BERND Messungen Blasendurchmesser So oo | son | so u | 54 u PELm I StenIp men | AS \f welsv< 7 iUl | 3iS<45 hw lie Guests 5 5 5 56 6 a6 6 66 | 8><3 U | 5 e< SF | STR Länge der prim. Ster. Blasendurchmesser | 0.325 | 0,24 | 0,24 Vergleicht man die Merkmale einmal der beiden Farbmutanten, zum anderen der Wuchsmutante mit der Stammform, so zeigt es sich, daß sie um je ein Merkmal von dieser unterschieden sind; nun ist für das Auge die veränderte Farbe ein größerer Sprung von der Aus- gangsrasse als die veränderte Länge des Konidienträgers. Prinzipiell aber sind diese Sprünge gleichwertig, denn einer wie der andere ist jetzt fest im spezifischen Plasma der Zelle begründet. Es ist dies ein lehrreiches Beispiel dafür, daß es auf die augenscheinliche Größe des Sprunges bei der Entscheidung, ob es sich um eine Mutation handelt, nicht ankommt. Aspergillus proteus zeigt, wie schon bemerkt, zwei Arten von Konidienträgern — ein gleiches gilt übrigens für Aspergzl/us candidus (WEHMER) —, I.) große: ca. 3—4 mm lang, 18 y. breit, mit großen, allseitig mit Sterigmen besetzten Köpfchen; 2.) zwergige: ca. 0,5—I mm lang, 14 » breit, mit kleinen, meist nur nach oben Sterigmen tragenden Köpfchen. Diese sind sehr häufig derart ver- bildet, daß die primären Sterigmen am Ende dick blasig angeschwollen und daher in weit geringerer Zahl vorhanden sind. Die beiden Typen bestimmen durch ihr Überwiegen den Habitus des Rasens — doch sind Zwischenstufen vorhanden. Die sehr verschiedene Farbe beider Arten von Köpfchen rührt daher, daß das Pigment in einer wechseln- den Anzahl von Sterigmen lokalisiert ist, während andere farblos sind. Dementsprechend ist ein Teil der Konidien körnig bis stachelig und pigmentiert, ein anderer glatt und farblos. Die farblosen Sterigmen sind es zumeist, die die blasige Anschwellung zeigen. Eine derartige Modifikation ist für Aspergillus niger als Mißbildung infolge chemischer Reize des öfteren beschrieben worden und kommt auch unter normalen Mutationen bei Aspergillus niger van Tieghem. 23 Verhältnissen gelegentlich vor. Nach derselben Richtung hin ist bei den großen Köpfchen des Aspergillus proteus die Variation weitergeschritten. Die primären Sterigmen erreichen eine Länge vom ı",- bis 2-, ja bis 3-fachen des Blasendurchmessers (60—80 p — gegen I0—20 p. bei Aspergillus niger), sind zweimal blasig angeschwollen oder lang rübenförmig und mit ganz kurzen, farblosen, sekundären Sterigmen besetzt, deren Zahl, in der Regel 7, zwischen 3 und g schwankt; die Tig 13 IHN UNS Aomger normal A, proters hohetorm Fig 15. Typen imargiger Köpfchen der rot N stamke: Fig. 13—15. Zahl beim Normaltypus beträgt bekanntlich 2—3. Ist das Köpfchen kleiner, so ist nur das Ende des Sterigma blasig angeschwollen — daneben finden sich dann alle Übergänge zu typischen Aspergillus niger-Formen (Fig. 13—16). Das gleiche Aussehen hatten in allen untersuchten Fällen die Rückschläge; die zweite Generation der Rück- schläge ist wieder normal ausgebildet. Eine Übersicht über die morpho- logischen Merkmale gibt die Tabelle IV. 24 Schiemann. Tab: Konidientrager Spezies Habitus und Farbe Höhe Dicke | Wanddic mm u u 1. niger (nach Wehmer).|(Rasen glatt) schwarzbraun, voll, +2 15—18 — dicht, niedrig frkt. 2. niger (nach eig. Mess- ungen 5. 6 3 + 1,5 13—18 2 3. altipes-Mutante . . -| Rasen locker, hoch, kleinköpfig 3—5 mm 14 1,8 4. fuscus-Mutante . . .| Rasen glatt, dicht und niedrig, + 1,5 | 15 2 = schokoladenbraun : 5. cinnamomeus-Mutante Rasen glatt, dicht, niedrig, + 1,5 15 3 sand- bis zimtfarben 7 6. proteus-Mutante . . . bei 360 Rasen glatt, zwergig, + 0,6 17 2 F | graugelb a) zwergige Form . . = Fa l bei ı80 Rasen glatt, spärlich, + 1,0 14 | 1,6 schwarz b) hohe Form... . Rasen locker, gelbbraun, ze‘ 16 2 großköpfig Rückschläge @) th (Gam 5 er großköpfig- vereinzelt ae 16 1,6 GN) oh (Es 6 6 5 6 6 ganz Typus 2 + 1,5 16 1,6 7. ochraceus (Wilh.) . . | ockerfarben | SE 3) Is = | (—20) 8. Ostianus (Wehm.) . . braungelb (zimtfarben) | braune Körnchenausscheidung | — am Träger I—2 | 7 9. Wentit (Wehm.).. . | braun (kaffeefarben) | 2—3 | 17— 30 = | 10. Batatae (Saito)... . fahlgelb oder gelbgrün, 2—4 | 12— 20 2—3 schließlich schwarzbräunlich | c) Physiologische Vergleiche. Die vier Mutanten und ihre Stammform wurden nun auf ihr Verhalten gegen verschiedene Nährböden geprüft. daß sie ihren Charakter unverändert beibehalten, wie aus Rück- impfungen auf Malzagar folgt. Diese Versuche wurden durch je fünf Generationen fortgesetzt. Das Ergebnis ist, I. Auf Brot: alle Mutanten wachsen rasch und üppig; Aspergillus proteus weit großköpfiger als auf künstlichem Nährboden bei 36°; er zeigt hauptsächlich zwei Farbtöne: graugelb und sattbraun; die Mutationen bei Aspergillus niger van Tieghem. 25 3 | | _ Konidien | prim. Ster. secund. Ster. Durch Z = Temperatur | Bcomesser| Gestalt und Oberfläche opt. u u u u ıgelig verzweigt | 2,5 (1901) | kugelig, glatt oder körnig 37 80 26 X 4,5 Bes a4 (1906) | wae | 50 | 120.4) EZ Si kuglig, stark stachelig 34 0—370 54 13 X 4,5 5% 3,5 a » 52 12x 4 303 il | kugelig, feinkörnig bis glatt 34°—37° 50 AX IG SEX 3 3—4 kugelig, glatt 40 16 x 8 4,5 X 3—4 3—4 kugelig, meist glatt — 4 (zu 3—7) P 50 23 x 14 4X 3 3—4 kugelig, stachelig — | (zu 3—7) >70 |60 90x16 | 63 x 3 A kugelig, stachelig, glatt 270 | (zu 5—9) 6—8 X 3—5 2—60 40—70 x 16 (zu 5-9) 3—4 wie 2 = 3—60 EX, A 5X 3 3—4 wie 2 — ıgelig verzweigt 3,5—5 kugelig, selten ellipsoidisch Br feinkörnig —50 bisweilen verzweigt 4—5 kugelig-ellipsoidisch, meist glatt 20° 13 X 5 = s—90 einfach 4,2—5,6 |kugelig, selten ellipsoidisch, glatt 37° 15 X 4 = oder feinkörnig 3—50 meist verzweigt 4—5 kugelig, feinkörnig a0) ist 45 24—40 X 8 10,2% 3,2 meist zu 4 braunen Köpfchen gleichen ganz der ersten Mutante; der Rückschlag erfolgt nach ca. zehn Tagen. 2. Knopager + 4% Traubenzucker: alle Mutanten wachsen üppig; die Ausgangsrasse ist hoch und großköpfig und nur nach einiger Übung von der a/tipes-Mutante zu unterscheiden. Aspergillus proteus zeigt besonders starke Myzelentwicklung, langgestielte, sehr kleine, fast schwarze Konidienköpfchen (Fig. 12); doch ist deren Deszendenz auf andere Nährböden übertragen, wieder graubraun; dies Resultat war dasselbe, als nach der ersten Generation abgeimpft wurde, 26 Schiemann. wie nach Kultur auf Knop + Traubenzucker in sechs aufeinander- folgenden Generationen. Hier liegt also noch eine Modifikation von Aspergillus proteus vor. 3. Knoplösung + 2 % Weinsäure: alle Formen üppig und typisch; A. proteus wächst in kräftigen Rasen mit großen, dunkel- graubraunen Köpfchen vom Typus Fig. 14. 4. Knoplösung + 1,75 % Zitronensäure: die Kulturen gleichen ganz denen auf Weinsäure. 5. Pepton-Dextrose-Agar: alle Kulturen normal, aber nicht sehr kräftig. Typen dar Ötwrigmen der probars Mutante;fofedoum. Fig. 16. d) Haufigkeit der Mutationen. Die Mutanten sind nun nicht nur je einmal, sondern mehrmals aufgetreten — alle Wiederholungen wurden zur Prüfung auf Konstanz durch fünf Generationen weiterkultiviert. Es wiederholte sich: Die /sczs-Mutante 1. auf K,Cr;,O- (Konz. 1:20000) in demselben Kölbchen, in dem die zweite Mutante bemerkt wurde, wiederum in geringer Individuenzahl als ein etwa I qmm großer brauner Komplex; Mutationen bei Aspergillus niger van Tieghem. 27 2. als Rückschlag in einer der Plattenkulturen von Aspergillus proteus (also in einer aus einer Zelle stammenden Kolonie); am 19. Tage mitten in einem Rasen von zwergigem Habitus als vereinzelte große Köpfchen von verändertem, morpho- logischem Bau (Fig. 14), der in der zweiten Generation zum Normaltypus zurückkehrte; 3. als Rückschlag wie 2. nach 21 Tagen; 4. in einer Kultur auf PULSTscher Nährlösung ohne Giftzusatz bei Zimmertemperatur (15—16°) als ein 2 qmm großer Komplex, etwa I4 Tage nach der Impfung. Die cinnamomeus-Mutante hat sich nicht wiederholt. Die altipes-Mutante trat noch einmal auf als Rückschlag von Aspergillus proteus nach 29 Tagen, wurde in der zweiten Generation in drei Parallelkulturen als hochwüchsige Form erkannt und war, nach fünf Generationen neben Aspergillus niger altipes auf die gleiche Platte geimpft, von diesem nicht zu unterscheiden. Aspergillus proteus ist noch einmal als Abkömmling einer Hitze- kultur mit Zusatz von K,Cr,O7 (Konz. 1: 2000) aufgetreten. Die Rasse ist bisher sehr zwergig, aber durch ihr Rückschlagen im Rhythmus der erstbeschriebenen als mit dieser identisch gekennzeichnet. Fig. 5 ist eine Photographie ihres ersten Auftretens, Fig. 6 zeigt die erste hiervon abgeimpfte, Fig. 7 die von dieser abgegossene Platte mit zwergig braunen, zwischen normal schwarzen Kolonien. C. Theoretischer Teil. I. Ursache und Häufigkeit der Mutationen. Durch die vorliegenden Untersuchungen war somit das Auf- treten von Mutanten bei Asfergillus niger bewiesen. Es fragt sich nun, ob die Versuchsanordnung geeignet war, die Ursache ihrer Entstehung aufzudecken. Die konstanten Farbmutationen sind beide auf mit K,Cr,O, versetzten Nährböden aufgetreten. Von einer spezi- fischen Wirkung des K,Cr,O, zu sprechen, ist trotzdem nicht möglich. Schon der Umstand, daß der Farbumschlag unter über 100 Kulturen mit K,Cr,0, nur zweimal stattfand, hier wiederum nicht die ganze Decke betraf, sondern unter vielen hunderten von Köpfchen nur einzelne, spricht dagegen. Ferner hat die /rotews-Mutante dieselbe Richtung eingeschlagen; diese aber ist aus Hitzekulturen, einmal mit, einmal ohne Zusatz von K,Cr.O, hervorgegangen. Endlich sind nach 28 Schiemann. braun abändernde Kulturen des Aspergillus niger auch sonst gelegent- lich beobachtet worden — wenn auch selten — ohne daß das Chromat zur Verwendung kam. In der Literatur ist das Vorkommen brauner Rasen an folgenden Stellen angegeben: I. BENECKE (3) beobachtete bräunliche, nicht ausgereifte Konidien bei weniger als 0,0005 % MgSO, in der Nährlösung — hier handelt es sich aber wohl nur um eine Modifikation. 2. In WEHMERS Monographie: „Die Pilzgattung Aspergzllus‘“ (22) heißt es: ‚Der sonst so farbenbeständige Aspergzlius niger kann — allerdings selten — hellbraune oder bräunlichgraue Köpfchen bilden (auf schwach alkalischer Nährlösung und bakteriell zersetztem Reis in zwei Fällen), die einem ganz anderen Pilz anzugehören scheinen, wenn nicht durch Aussaat (Reinkultur) und morphologische Unter- suchung der wirkliche Sachverhalt bekannt wäre“. Nach brieflicher Mitteilung des Herrn Professor WEHMER betraf die beobachtete Farb- änderung die ganze Decke, wurde öfter beobachtet und geschah sicher immer unter dem Einfluß störender Momente. Die abändernden Decken wurden aber nicht weiterkultiviert. Der Versuch meinerseits, sie auf alkalischen Nährböden zu reproduzieren, verlief negativ, ob- gleich Malzagar mit Na,CO3 bis zu 1/10 g-mol/l verwendet wurde. 3. V. ARCICHOWSKY (I) beschreibt eine „Rasse“ des Aspergz/lus niger, die spontan auf RAULINscher Lösung mit 0,0001 n ZnSO, auf- trat, nachdem die vorhergehenden Generationen bei 35° unter einem Zusatz von 0,025 n ZnSO, kultiviert waren. Sie unterscheidet sich von der normalen dadurch, daß sie außer den schwarzen Sporen fleckenweise — oder fast ausschließlich — gelbbraune Sporen ent- wickelt. Es liegt hier also offenbar eine Mutation vor. Vergleicht man diese Angaben mit den oben mitgeteilten Beob- achtungen, so zeigt sich als ein Gemeinsames, daß in allen Fällen, wo derartige Farbänderungen auftraten, Störungen der normalen Lebensverhältnisse vorlagen. Es ist deshalb der Schluß berechtigt, daß die Mutation in den beobachteten Fällen durch einen starken Reiz ausgelöst wurde. Ein einwandfreies Urteil darüber, ob die angewandten starken Reize notwendig sind, um Mutabilität hervorzurufen, ob sie die Mutabilität fördern oder ob sie gar nicht mit ihr in kausalem Zusammenhang stehen, kann nur die stati- stische Methode ergeben. Es gingen deshalb neben den Versuchen mit Gift und bei erhöhter Temperatur solche unter völlig normalen und günstigen Verhältnissen her. Mutationen bei Aspergillus niger van Tieghem 29 Es waren in Beobachtung: Tabelle V. 36 Kulturen auf Malzagar bei 36° 15 = “5 i I A ere was bie 18? 21 Platten mit Knopagar 4- Traubenzucker 36° 75 Kolben mit Purstscher Nährlösung 36° 16 Py: # > of 180 5 Platten mit Pepton-Dextrose-agar 360 5 Kolben mit Knoplösung + 2% Weinsäure 360 5 5 4 + 1,75% Zitronensäure also 147 Kulturen bei 36° 31 > zus zusammen 178 Kulturen unter normalen Bedingungen. Aus diesen Kulturen ist eine Mutante hervorgegangen, nämlich Aspergillus fuscus auf PULSTscher Nährlösung bei Zimmertemperatur. Es kommt also auf 178 Kulturen 1 Mutante, d. h. 0,56 %, 0,5 %. Dagegen ergaben: Tabelle VI. rund 112 Kulturen mit K,Cr,0, . . . . . | 3 Mutanten | auf 2 Arten verteilt (A. fuscus; A. cinna- 58 Kulturen momeus) in extremer Temperatur | 4 Mutanten | auf 3 Arten verteilt (A. altipes, A. proteus) fuscus, A. niger 14 Kulturen auf Gift + extr. Temp. | 1 Mutante | (A. proteus) 213 Kulturen mit Giftzusatz S64 | keine Mut. | zusammen 397 Kulturen mit Reizmitteln. d. h. 2,02% = rund 2%. Die Kulturen, die resultatlos verliefen, sind: Tabelle VII. 71 Kulturen auf CuSO, (1: 2000 u. I: 1000) davon 73 ” 7 LAGE (OUgeee)) 6 ia 5 Go lone rn ,, Chininsulfat (1: 2000) Wachstum normal. 7 P= ZRSO EL I2000) ee er en » 16 ; „ KMnO, (1:200, 1: 1000 u. I: 2000) 22 ; 5 ANEEXOLOPS TORS RYO TE STKE Fe oc eo li 8 re SES OIO Es MHZ) Te ee ee 5 | 8 Mutanten auf 4 Arten verteilt, 31 Stichproben!) 12 I 3 4 213 Kulturen davon ob durch die Vorbehandlung eine Mutation ausgelöst sei. 51 Stichproben 1) D.h. Kulturen, die im Sinne der S. 4 zur Prüfung darauf angesetzt wurden, 30 Schiemann. Aus den 58 Hitzekulturen wurden 25 Stichproben entnommen, es Le mit Giftzusatz wurden rr Stichproben entnommen. FaBt man die Ergebnisse der statistischen Untersuchungen zu- sammen, so ergeben sich: auf 178 ungereizte Kulturen 1 Mutante — 0,5% » 9397 gereizte s 8 Mutanten — 2 %. Aus diesen Zahlen geht hervor, daß die Mutabilitat des Pilzes durch starken Reiz außerordentlich gefördert wird. Eine gewisse Hemmung in der Entwicklung verursacht, wie bereits erwähnt, die Kultur bei 15—ı8°, wenngleich dies eine äußere Lebens- bedingung ist, der der Pilz in der Natur sich häufig anpassen muß. Daß diese Temperatur nicht nur das Wachstum von Aspergillus niger verlangsamt, sondern einen noch tiefergehenden Einfluß auf den Stoff- wechsel des Pilzes ausübt, geht aus der Tatsache hervor, daß er, bei 15—20° kultiviert, reichlich freie Oxalsäure produziert [bis zu 0,4 g (als Calciumoxalat gefällt) auf 0,3 g Pilzgewicht — besonders auf zuckerhaltigen Nährböden mit NH4NO; als Stickstoffquelle], während bei 34° die Oxydation auch dieser Säure bis zur Bildung von CO, fortschreitet, soweit sie nicht durch Basen als Oxalat festgelegt und dadurch dem Stoffwechsel entzogen wird (24). Man könnte daher zu den hemmenden oder fördernden Reizen unterworfenen Kulturen des Aspergillus niger auch die bei Zimmer- temperatur (15—18°) zählen. In diesem Falle würden bei den vor- liegenden Versuchen alle Mutationen auf die Seite der „gereizten‘“ Kulturen fallen, und der Prozentsatz der Mutanten, die in gereizten Kulturen auftraten, würde von 2,02 % auf 2,12%, steigen, der in un- gereizten Kulturen auf 0% sinken. An dem Resultat, daß die Muta- bilität des Pilzes durch starke Reize außerordentlich gefördert wird, ändert diese Zahl nichts. Für die farbkonstanten Mutanten fuscus und cinnamomeus würde eine chemische Analyse des Farbstoffs im Vergleich zu dem von LINOSSIER (9) als Aspergillin bezeichneten Pigment des Aspergzllus niger vielleicht die Art der physikalisch-chemischen Neukombination, der er seine Bildung verdankt, aufdecken. Dann ließe sich der Ver- such, sie hervorzubringen, mit anderen Mitteln wiederholen. Eine derartige Analyse soll später ausgeführt werden. Mutationen bei Aspergillus niger van Tieghem. 31 II. Diskussion der bei den Mutationen beobachteten Erscheinungen. Eine Reihe prinzipieller Fragen, die im Laufe der Untersuchungen und bei der Ubersicht der Resultate auftauchten, mag im folgenden kurz diskutiert werden. Zunächst bestätigen die Beobachtungen die auch sonst konstatierte Tatsache, daß ein Organismus nur wenige bestimmte Mutationen her- vorbringt [BEYERINCK (4)], diese aber zu wiederholten Malen: so hat Aspergillus niger vor allem die Neigung, unter extremen Bedingungen die Pigmentbildung zu verlieren. Die altipes-Mutante ist geeignet, einen anderen prinzipiellen Punkt klarzulegen. Sie ist nämlich ein Beispiel dafür, daß durch einen Reiz, der auf die erste Generation wirkt, eine Veränderung in den folgenden hervorgebracht werden kann, die von der Reaktion der behandelten Organismen auf diesen Reiz von Grund aus verschieden ist. Asper- gillus niger reagiert auf die extremen Temperaturen mit langsamem Wachstum, mit Bildung eines dickfilzigen, schmutzigweißen Myzels, zwergiger Konidienträger und Köpfchen; die zweimal aus diesen Hitzekulturen bzw. ihrer Deszendenz hervorgegangene Rasse ist schnellwüchsig, hat ein lockeres, durch reichliche Luft- hyphenbildung weißes Myzel, Konidienträger, die die Länge der Ausgangsrasse um das doppelte, die der Hitzekulturen um das drei- und vierfache übertreffen. Von einer Nachwir- kung des Reizes, von einem Engramm im Sinne SEMONS (17) kann also in diesem Fall nicht die Rede sein. Eine Minusvariation: Was nun die frofeus-Mutante betrifft, so ist ihre theoretische Deutung heute noch nicht möglich; obgleich sie bereits fünf Monate in Kultur ist, ist sie in ihrem Habitus noch so inkonstant, daß sich noch keine feste Diagnose stellen läßt. Als sie zuerst auftrat, war sie in außerordentlich schwachen, zwergigen Individuen vertreten, was die Fruchtkörperbildung anbelangt; die Rasen selbst, also die vegetative Ausbreitung hielt schon von Anfang an mit der Stammform Schritt; doch schienen die Kulturen im Lauf der Zeit unter günstigen Bedingungen zu erstarken. Es trat also die neue Mutante hier als Minusvariante in die Erscheinung. In der Kultur trat dann auch die Plusvariante auf; dabei zeigt Aspergillus proteus eine außerordentlich große Variationsbreite. Die Rückschläge: Erweist sich Aspergillus proteus durch seine Unterscheidung von Aspergillus niger in Farbe und Wachstum deutlich als eine neue Art, so trennt die Fähigkeit, in einem gewissen Alter zur Ausgangsrasse zurückzukehren, ihn doch wiederum scharf von den 32 Schiemann. anderen Mutanten. Die Erscheinung des Riickschlages ist im Pflanzen- reich nicht unbekannt. Von vornherein verständlich und völlig erklärt sind die Fälle des Rückschlages bei sexuellen Organismen, die eine Folge der Kreuzung und Mendelscher Spaltung sind. Immer noch unauf- geklärt aber ist das Rückschlagen der Rassen mit gestreiften Blüten zu ihrer pigmentierten Stammform [CORRENS (6)], sowie das Auftreten grünblättriger Individuen in sonst konstant buntblättrigen Sippen. Beide Eigenschaften, die Streifung der Blüten, wie die Buntblättrigkeit mendeln als rezessive Merkmale; bei beiden aber wird der Prozentsatz der bunten Pflanzen in der aus Selbstbestäubung der Bastarde er- haltenen F,-Generation zu klein, weil ein kleiner Teil der bunten Individuen zur Stammform zurückschlägt. Dieser Atavismus ist von der sexuellen Fortpflanzung unabhängig und vielleicht sind hier die beobachteten Rückschläge von Aspergillus proteus anzureihen. In der Literatur über Cryptogamen wird diese Erscheinung zuerst in der Arbeit von WOLF (23) erwähnt; es möge gestattet sein, seine diesbezüglichen Ergebnisse kurz wiederzugeben. Neben fünf Muta- tionen, die absolut konstant sind, fand WOLF bei Bacz//us prodigiosus: „Rückschlagende Mutanten, die eben dieser Eigenschaft wegen „nicht dauernd in Reinkultur zu erhalten sind, von denen aber doch „bei sorgfältiger Auslese und öfterem Umimpfen beliebig lange weiße „(mutierte) Stämme kultiviert werden können, die also deshalb nicht „mit den (unter ı genannten) Modifikationen verwechselt werden „dürfen: = eine weiße durch Chromatzusatz, x N 2 ,, Kupferazetatzusatz, er e. , Cadmiumnitrat ,, 5 u » Nickelnitrat as bees Der Rückschlag wurde in der Weise beobachtet, daß in den nach dem Plattenverfahren weiterkultivierten weißen Stämmen, zwischen weiBen Kolonien — von ihnen getrennt, also aus einer anderen Zelle hervorgegangen —, wieder rote Kolonien auftraten. Er muß also, dem Auge nicht sichtbar, in der vorhergehenden Generation statt- gefunden und hier, da es sich um einzellige Organismen handelt, vereinzelte Individuen betroffen haben. Bei Aspergillus niger ist in- folge der Größe der Konidienträger das erste Auftreten des Rück- schlages innerhalb der aus einer Zelle hervorgegangenen Kolonie leicht zu beobachten. Völlig einwandfrei ist dies Urteil bei den fünf, S. 20 genannten, nach BURRI isolierten Zellen, wo in jeder der fünf Kul- turen am 27. Tage der Rückschlag eintrat. Nach den im methodischen „ Mutationen bei Aspergillus niger van Tieghem. 33 Teil gemachten Angaben sind aber auch die Kolonien der gegossenen Platten im allgemeinen als Einzellkolonien anzusehen. Niemals aber ergab die Aussaat neben braunen auch schwarze Kolonien; d. h. der Rückschlag betraf nicht die Fortpflanzungszellen, sondern das aus einer Zelle hervorgegangene Myzelium zeitigte erst braune, später schwarze (zurückgeschlagene) Konidienköpfchen. Es hat also der Pilz, obgleich man ihn durch unbegrenzte Generationen konstant braun weiter kultivieren kann — wenn die Impfung vor dem Auftreten des Rückschlages geschieht, geht man darin völlig sicher —, dennoch die Fähigkeit zur Bildung des schwarzen Pigments nicht verloren; sie ist latent und wird in einem gewissen Rhythmus wieder aktiv. Es ist nicht gelungen, das Rückschlagen durch Variation der Außenbedingungen zu verhindern; es fand bei 37°, 30°, 27°, 18° statt, im Licht wie im Dunkeln, auf allen verschiedenen benutzten Nährböden. Gelegentliches Ausbleiben war von diesen Bedingungen unabhängig und beruhte, wie oben be- merkt, wohl Stets darauf, daß nach Ablauf der Latenzfrist der Nähr- boden zu stark eingetrocknet war. Der Zeitfaktor: Ein derartig rhythmisches Hervorgehen einer Form aus der anderen beschreibt MASSINI (Io) für ‚einen dem Bacterium coli verwandten Stamm“. Dort ist es aber die Mutante, die regelmäßig zwischen den normalen Organismen auftritt, wenn nach dem zweiten Tage abgeimpft wird, während alle vor dieser Zeit abgeimpften Kulturen rein die Ausgangsrasse liefern: es entstehen dort auf milch- zuckerhaltigen Nährböden am zweiten Tage spontan Bakterien mit der — weiterhin konstant vererbten — Fähigkeit der Milchzuckerzersetzung, die dem Ausgangsstamm abgeht. So reiht sich Aspergillus niger mit seinen Mutationen in die ander- wärts gemachten Beobachtungen ein — ein Beweis dafür, daß es sich bei diesen Erscheinungen nicht um Ausnahmefälle, um ‚„Zufälligkeiten“ handelt, sondern um allgemeine biologische Gesetzmäßigkeiten, die von dem Objekt der Untersuchung unabhängig sind. Schluß. Es lag nun nahe, die aus dem Experiment hervorgegangenen neuen Arten mit den schon bestehenden, ähnlich gefärbten zu ver- gleichen. Der Monograph der Gattung, WEHMER, schließt an die durch Aspergillus niger vertretene Gruppe als nächste die der braunen und gelbbraunen Arten und bemerkt hierzu: „Die Schwierigkeit einer scharfen Abgrenzung gegen die dunkelfarbigen Arten liegt übrigens Induktive Abstammungs- und Vererbungslehre, VIII. 3 34 Schiemann. auf der Hand; vielleicht zöge man am besten beide Gruppen in eine zusammen.“ Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchungen lassen dies als notwendig erscheinen; denn sie drängen zu der Annahme, daß auch die anderen gelben und braunen Spezies, die in ihrem morphologischen Bau mit Aspergillus niger große Übereinstimmung zeigen, durch Mutation aus der stark pigmentierten Form hervor- gegangen sind. fi Wie gering die Unterschiede sind, geht aus der Tabelle S. 24—25 hervor, die der Arbeit WEHMERs entnommen ist und der die neuen Mutanten eingefügt sind. Die wesentlichen Abweichungen sind dabei fettgedruckt. Vor allem dürfte dies wohl für den von SAITO (16) 1907 beschriebenen Aspergillus Batatae gelten, der nichts weiter als eine Farbmutante ist, die sich nach den eigenen Worten SAITOs — außer durch etwas größere Konidien — nur dadurch von Aspergillus niger unterscheidet, daß die Farbe des Rasens ‚von fahlgelb oder gelbgrün nach schwarzbräunlich übergeht“. Morphologisch und physio- logisch ist es ein Aspergillus niger. Auch die Art der Mißbildungen z. B. auf Brot ist die gleiche: blasige Anschwellungen der Sterigmen; gerade nach dieser Richtung hin aber liegt auch die morphologische Abweichung der proteus-Mutante. Ich stehe deshalb nicht an, die beiden konstanten Farbmutanten als neue Spezies Aspergillus fuscus und Aspergillus cinnamomeus!) gleich- berechtigt neben die anderen braunen Arten: Aspergzllus ochraceus und Aspergillus Ostianus zu stellen, während ich den rückschlagenden Aspergillus proteus seines noch nicht fest eingestellten Charakters wegen einer weiteren Beobachtung vorbehalte. Berlin. Botanisches Institut der Landwirtschaftlichen Hochschule. Literatur. 1. V. ArcicHowsky, Zur Frage über den Einfluß von ZnSO, auf eine Reihe von Generationen von A.n. Sitzungsber. d. mikrobiol. Gesellschaft zu St. Peters- burg. Nach e. Autoreferat im Ctbl. f. Bakt. u. Par. II. Abt. 21 1908. 2. E. Baur, Einführung in die experimentelle Vererbungslehre. Berlin 1911. 3. W. BENEcKE, Ein Beitrag zur mineralogischen Nahrung der Pflanzen. ° Ber. d. dtsch. bot. Ges. 12. 1894. S. 109. 4. W. BEvERINGK, Mutation bei Mikroben. Folia Microbiologica I. 1912. 5. R. Burri, Das Tuscheverfahren. Jena 1909. 6. C. CoRRENS, Der Übergang aus dem homozygotischen in einen heterozygotischen Zustand. Ber. d. Deutsch. Bot. Ges. 28. 1910. S. 178. 7. E. CH. Hansen, Oberhefe und Unterhefe. Studien über Variation und Erblichkeit. Ctbl. f. Bact. u. Par. II. Abt. ı5. 1905. S. 353. — do. 2. Mitteilung Bd. 18. 1907. 8. Komınamı, Biologisch-physiologische Untersuchungen über Schimmelpilze. Journ. of the Coll. of Science. Tokyo 1909. T. 27. Zitiert n. Ctbl. f. Bact. II. 26 1910. 1) Material dieser beiden Mutanten ist der Zentralstelle für Pilzkulturen, Amsterdam, Roemer Visscherstraat ı, überwiesen. Mutationen bei Aspergillus niger van Tieghem. 35 9. Linossier, Sur une hématine végétale: l’aspergilline, pigment des spores de l Aspergillus niger. Comptes rendus 112. 1891. S. 489. 10. R. Massını, Uber einen in biologischer Beziehung interessanten Kolistamm. Arch. f. Hygiene 61. 1907. 11. C. MEISSNER, Akkommodationsfähigkeit einiger Schimmelpilze. Dissert. Leipzig 12. 13. 20. 21. 23. 24. 1902. Tu. MıLBURN, Über Änderungen der Farben bei Pilzen und Bakterien. Ctbl. f. Bact. u. Par. II, 13. 1904. R. MÜLLER, Uber mutationsartige Vorgänge bei Typhus, Paratyphus und ver- wandten Bakterien. Ctbl. f. Bact. u. Par. I. Abt. Bd. 42, 1908. S. 57. 14. C. Porst, Die Widerstandsfähigkeit einiger Schimmelpilze gegen Metallgifte. Jahrb. f. wiss. Bot. Bd. 37. 1902. - RacıBoRskı, Einige Chemomorphosen des Asperg. niger. Anzeiger d. Akad. d, Wissenschaften in Krakau, II. 1903. . Saıro, Mikrobiol. Studien über die Zubereitung des Batatenbranntweins. Ctbl. f. Bact. II, ı8. 1907. R. Semon, Die Mneme als erhaltendes Prinzip im Wechsel des organischen Geschehens. 1908. THIELE, Temperaturgrenzen. Diss. Leipzig 1896. W. L. Tower, An Investigation of Evolution in Chrymsoelid Beetles of the Genus Leptinotarsa. Carnegie Institution of Washington. 1906. H. DE Vries, Die Mutationstheorie. 1901. W. WÄCHTER, Zur Kenntnis der Wirkung einiger Gifte auf Asp. niger. Ctbl. f. Bact. u. Par. II, 19. 1908. S. 176 u. 272. 22. C. WEHMER, Die Pilzgattung Aspergillus. Mémoires de la société de Physique de Genéve. Bd. 33. 1901. — Über den Einfluß der Temperatur auf die Entstehung freier Oxalsäure in Kulturen von Aspergillus niger. Ber. d. dtsch. bot. Ges. IX. 1391. F. Worr, Über Modifikationen und experimentell ausgelöste Mutationen bei Bacillus prodigiosus und anderen Schizyphyten. Ztschr. f. indukt. Abstammungs- u. Vererbungslehre II. 1909. S. 90. Tafel 1. Tafel 2. Figurenerklärung. Aspergillus niger und die aus ihm hervorgegangenen Mutanten. Mitte: oben Ausgangsrasse 4 Tage alt, unten altipes-Mutante 4 Tage alt. 1. Reihe: links fuscus-Mutante 5 Tage alt, rechts ;, me 2 PB 2. Reihe: links cinnamomeus-Mutante 5 Tage alt, rechts Ke - RT ” 3. Reihe: links proteus-Mutante 8 Tage alt, rechts, ;; ” 4 ow» » Proteus-Mutante: oben links (Fig. 1): Kultur auf Malzagar, oben rechts (Fig. 2): ,, , Zuckeragar. In beiden Figuren stammt die Kolonie links (a) von einem gelben, rechts (b) von einem braunen Köpfchen der gleichen Kultur; unten links (Fig. 3): A. proteus bei 18°, unten rechts (Fig. 4): dieselbe Kultur, nachdem sie 8 Tage bei 37° gestanden. Die zwergigen schwarzen Köpfchen sind von länger gestielten, gelben bis braunen ganz verdeckt. Untersuchungen tiber Elementar- eigenschaften I”). Von V. Haecker, Halle a. S. M. H.! Ich möchte in kurzem über die Ergebnisse einiger Unter- suchungen berichten, welche miteinander und mit einigen weniger weit gediebenen Arbeiten in einem engeren Zusammenhang stehen. Ihr Zweck ist, auf verschiedenen Wegen die Kenntnis von dem Wesen der Elementareigenschaften oder Erbeinheiten zu fördern. a) Axolotlkreuzungen. Zuerst möchte ich einige Mitteilungen über die Kreuzungen machen, welche seit dem Jahre 1904 zwischen der schwarzen und weißen Rasse des Axolotls (Amblystoma tigrinum) ausgeführt worden sind?). Ich habe von Anfang an die weißen Tiere als Albinos bezeichnet, weil bei ihnen durch die Pupille hindurch der Augenhintergrund rot durchleuchtet, wie Sie sowohl an den weißen, wie an den gescheckten Tieren sehen können. Diese Bezeichnung ist aber nicht ganz korrekt: Allerdings ist, ähnlich wie beim echten Albinismus, im Pigment- epithel viel weniger Pigment vorhanden, als bei der dunklen Rasse, aber auffallenderweise enthält die Iris eine ziemliche Menge von Pigment. Es liegt also eine Pigmentverteilung vor, wie sie meines Wissens noch nirgends im normalen oder pathologischen Zustande gefunden wurde#), und jedenfalls mit den Verhältnissen beim echten Albinismus nicht in vollkommener Übereinstimmung steht. Da nun ferner bei den weißen AxolotIn häufig auch die Oberseite des Kopfes 1) Vortrag, gehalten bei der Versammlung der Deutschen Zoologischen Gesell- schaft in Halle a. S. am 30. Mai 1912. 2) Vgl. Verh. d. Deutsch. Zool. Ges. 1908 (Stuttgart), S. 194. 3) Allgemeine Vererbungslehre 1911, S. 231 (2. Aufl., 1912, S. 235). Inzwischen hat mir Herr Kollege von Hippel einen jungen Mann gezeigt, der eine blaugraue (‚‚ringed‘“) Iris und einen nahezu pigmentlosen Augenhintergrund aufwies. Untersuchungen tber Elementareigenschaften I. 37 eine leichte Bestäubung aufweist und ebenso die Zehenspitzen pig- mentiert sein können, so haben wir einen speziellen Fall von partiellem Albinismus und zwar eine extreme Stufe der Spitzenpigmentierung oder Akromelanie vor uns, wobei die Pigmentarmut des Augen- hintergrundes das auffälligste Merkmal bildet. Ein entferntes Gegen- stück finden die Axolotl-Schecken in den akromelanistischen, rot- äugigen Himalayakaninchen. II IIl IV Bei einer früher beschriebenen Kreuzung zwischen einem hetero- zygoten schwarzen und einem weißen Tier (Textfig., Reihe I) wurde außer mehreren schwarzen und einzelnen ganz weißen Tieren ein Scheck (Metamer-Scheck) !) zur Aufzucht gebracht (Textfig., Reihe II). Dieses Tier, ein Männchen, verhielt sich bei der Kreuzung sowohl mit einem heterozygoten schwarzen als auch mit weißen (extrem akromelanen) Weibchen wie ein rein rezessives, weißes Tier. Es war also anzunehmen, daß auch sein heterozygot-schwarzer Elter eine weiße Gamete zu seinem Aufbau beigetragen hatte, und 1) Abgebildet in Verh. D. Zool. Ges. 1908, $. 200, sowie bei Goldschmidt, Einführung in die Vererbungswissenschaft, S. 318. 38 Haecker. die Scheckzeichnung war so zu erklären, daß die in dieser Gamete enthaltene Erbeinheit bei ihrem Durchgang durch das schwarze Elterntier, beziehungsweise bei den Spaltungsvorgängen eine „Ver- unreinigung‘‘ oder irgendeine Abänderung anderer Art erfahren hat, so daß sie die Zygote zu einer stärkeren Pigmententfaltung veranlaßte, als dies sonst beim Zusammentreffen zweier weißer Gameten der Fall ist. Kurz gesagt, es war eine Unreinheit der Gameten in irgend- einem Sinne anzunehmen. Seither sind zwei weitere Generationen (II] und IV) herangewachsen. Von der aus der Kreuzung Scheck x Heterozygot-schwarz hervor- gegangenen III. Generation sind nur schwarze Tiere am Leben ge- blieben, von der Kreuzung Scheck x Weiß dagegen wurde eine große Zahl von Individuen der III. Generation aufgezogen, welche durchweg extrem-melanistisch waren, also wieder der ,,weiBen‘‘ Rasse angehörten. Dies Jassen alle acht nach Halle übergeführten Tiere gleichmäßig er- kennen (das einzige Weibchen ist mit Ausnahme der ganz leicht pig- mentierten Zehenspitzen und der dunklen Iris rein weiß, die sieben Männchen sind etwas stärker pigmentiert). Nun wurde u. a. ein heterozygot-schwarzes Weibchen aus der Kreuzung Scheck x Heterozygot-schwarz mit einem Männchen aus der Kreuzung Scheck x Weiß gepaart (Textfig., Reihe III) und jetzt wiederholte sich bei der so erhaltenen IV. Generation in verstärktem Maße das bei der Ausgangskreuzung erzielte Resultat: es sind neben zahlreichen schwarzen Tieren im ganzen sechs helle Tiere auf- gezogen worden, welche aber nicht akromelanistisch sind, sondern den Scheckcharakter ihres doppelten Großvaters zeigen. Es kann nun, soviel ich sehe, an vier Erklärungsmöglichkeiten gedacht werden. Zunächst könnte, wie es Bateson!) im Hinblick auf meine ersten Ergebnisse getan hat, bei den Schecken an eine durch Milieuwirkung bewirkte Verdunklung weißer Tiere gedacht werden. Gegen diese Annahme spricht aber, daß bei der Aufzucht der weißen und der gescheckten Tiere die in Betracht kommenden Faktoren (Licht, Temperatur, Sauerstoffgehalt des Wassers, Ernährung) keine so erheblichen Schwankungen erfahren haben, daß eine so aus- giebige Wirkung hätte zustande kommen können, wie denn auch, ent- sprechend den bekannten Erfahrungen an dem im Licht gehaltenen Proteus, bei Wirkung veränderter Bedingungen allenfalls eine gleich- mäßige Pigmentierung (Bestäubung) etwa der Oberseite, nicht aber 1) Mendel's Principles of Heredity 1909, S. 43. Untersuchungen über Elementareigenschaften I. 39 ~ die Entstehung einer ausgesprochenen Scheckzeichnung zu erwarten gewesen wäre; ferner ist darauf aufmerksam zu machen, daß in der II. Generation unter sicherlich nicht sehr abweichenden Bedingungen neben dem Schecken auch weiße Tiere zur Aufzucht kamen und daß wenigstens bei älteren weißen Tieren durch eine längere (mehrere Monate hindurch dauernde) intensive Belichtung oder Dunkelhaltung keine Veränderung in der Pigmentierung herbeigeführt werden konnte. Bei den zahlreichen Schwierigkeiten, welche sich der Aufzucht einer sehr großen Zahl von Individuen entgegenstellen, war es mir allerdings bis jetzt trotz mannigfacher Bemühungen nicht möglich, den Gedanken, es möchte einer der genannten Milieu-Faktoren in irgendeinem Entwicklungsstadium sich geltend gemacht haben, voll- kommen auszuschließen, aber mit Rücksicht auf die oben aufge- zählten Gründe möchte ich es doch für äußerst unwahrscheinlich halten, daß bei dem Axolotl, im Gegensatz zu wohl allen anderen Tieren, durch geringe Milieuabänderungen eine distinkte Scheck- zeichnung hervorgerufen werden kann. Nun könnte man zweitens den Schecken für ein heterozygotes Tier halten, bei welchem ein Dominanzwechsel, ein teilweiser Um- schlag der äußeren Erscheinung von Schwarz auf Weiß, eingetreten sei. Gegen diesen Einwand, der von verschiedenen Seiten erhoben worden ist, spricht aber die Tatsache, daß sich der erste Scheck bei der Fortpflanzung keineswegs wie ein heterozygotes, sondern wie ein weißes, rein rezessives Tier verhielt. Eine dritte Möglichkeit wäre, daß der Scheckzeichnung ein be- sonderer Mosaikfaktor zugrunde liegt, wie ein solcher für die Nager angenommen wird, daß also neben einem Faktor, welcher durch An- oder Abwesenheit die Alternative: dunkel (wildfarbig) und hell bedingt, ein besonderer Faktor über das Auftreten der zwei Haupt- abstufungen der hellen Rasse: Scheckzeichnung und extreme Akro- melanie, entscheidet. Indessen lassen sich auch damit die Befunde nicht in Einklang bringen. Denn, wie man sich auch im einzelnen die Wirksamkeit eines solchen Faktors ausdenken wollte, jedenfalls würde es unverständlich sein, weshalb in der III. Generation die hellen Tiere durchweg weiß, in der IV. durchweg gescheckt waren. Entweder wäre nämlich neben dem Faktor G, welcher Ganz- färbung, in unserem speziellen Fall eine gleichmäßig über den Körper verbreitete Wildfärbung, bewirkt und bei dessen Fehlen größere Partien des Körpers pigmentfrei sind, ein zweiter, gegenüber G hypostatischer und vom schwarzen Elter des Schecken übermittelter 40 Haecker. Faktor M (Mosaikfaktor) anzunehmen, welcher durch seine Anwesen- heit Scheckzeichnung, durch seine Abwesenheit Akromelanie bewirkt. In diesem Falle wiirden die Formeln fiir den Schecken der II. Generation gg-Mm, für die weiße Rasse gg-mm lauten. Dann müßten aber bei ihrer Kreuzung in der III. Generation sowohl Schecken als auch weiße Tiere zum Vorschein kommen, womit die tatsäch- lichen Ergebnisse nicht im Einklang stehen. Oder es ist neben dem Faktor G ein Faktor R (Restriktions-, Hemmungsfaktor) anzunehmen, welcher innerhalb der hellen Rasse, also bei gg-Tieren, durch seine Anwesenheit die Pigmentierung auf den Zustand der extremen Akromelanie einschränkt, bei seiner Abwesen- heit der Pigmentierung einen etwas größeren Spielraum läßt und so zur Scheckzeichnung führt, also umgekehrt wirkt wie der Faktor M. Dann kann der Scheck der II. Generation nur die Formel haben: gg-ır, während die weißen Tiere von der Zusammensetzung gg-RR oder gg-Rr sein können. Ferner müssen die heterozygot-schwarzen Tiere der III. Generation, da sie vom Scheck abstammen, mindestens einmal r enthalten, und ebenso die hellen Tiere der III. Generation. Für erstere kann also nur die Formel Gg-Rr oder Gg-rr gelten, letztere könnten an und für sich, je nach der Beschaffenheit der weißen Mutter (gg-RR oder gg-Rr), entweder sämtlich die Formel gg-Rr haben oder aber zur Hälfte gg-Rr-, zur Hälfte gg-rr-Tiere sein. Nun hatten aber bei den vorliegenden Versuchen, wie erwähnt, die hellen Tiere sämtlich einen extrem akromelanistischen Charakter. Es würde sich also wohl nur um die erste Alternative handeln können, d. h. es müßte den hellen Tieren durchweg die Formel gg-Rr und ihrer weißen Mutter die Kombination gg-RR zugeschrieben werden, was übrigens auch mit der Tatsache im Einklang stehen würde, daß in der Tübinger Zucht, aus welcher die Mutter stammte, niemals Schecken aufgetreten sind. Eine weitere Folgerung wäre nun die, daß die IV. Generation ent- weder aus der Gruppierung Gg-Rrxgg-Rr oder aus Gg-ırxgg-Rr hervor- gegangen ist. Dann wäre aber unverständlich, weshalb in der IV. Ge- neration nur Schecken zur Aufzucht kamen. Es stehen also die Tatsachen auch der Annahme, daß die Schecken durch das Fehlen eines Restriktionsfaktors von der weißen Rasse unterschieden sind, im Wege. Im übrigen dürfte diese Hypothese deshalb von vornherein eine unwahrscheinliche und künstliche sein, weil, den gleich zu besprechenden entwicklungsgeschichtlichen Ergeb- nissen zufolge, die schwarzen, gescheckten und akromelanistischen Tiere eine natürliche Reihe bilden, in welcher die Schecken das Untersuchungen über Elementareigenschaften I. 41 mittlere Glied darstellen. Es wiirde aber mit jenen Ergebnissen und ebenso mit anderen Erfahrungen sehr schwer vereinbar sein, wenn man annehmen wollte, daß der Übergang vom ersten Glied dieser Reihe (Schwarz) zum zweiten durch Wegfall eines Faktors (G) und derjenigen vom zweiten zum dritten durch Hinzutreten eines solchen (R) zustande käme. Es bleibt also nur als vierte Möglichkeit meine alte Annahme übrig, daß eine Unreinheit der Gameten im allgemeinsten Sinne des Wortes vorliegt, sei es, daß keine vollständige Spaltung der Ga- meten stattfand, sei es, daß die weißen Erbeinheiten beim Durchgang durch ein schwarzes heterozygotes Tier eine teilweise Umstimmung erfuhren, oder auch daß durch die Wirkung des Kreuzungsaktes selbst in den weißen Gameten normalerweise latente Potenzen oder Ent- wicklungsrichtungen aus dem Schlummer geweckt wurden und die Gameten also erst bei der Zygotenbildung eine „Verunreinigung“ erfuhren). Speziell im letzteren Falle würde man auch nicht von einer besonderen Scheckrasse sprechen dürfen, sondern die Schecken als Kreuzungsaberrationen der weißen Rasse zu betrachten haben, wie sie ja auch mit dieser in bezug auf die Beschaffenheit der Augen übereinstimmen. b) Entwicklungsgeschichtliche Eigenschaftsanalyse. Meine Versuche mit den Axolotln haben also nicht zu vollkommen reinen Ergebnissen, sondern zunächst nur zu vorläufigen Formulierungen und neuen Fragestellungen geführt, so wie dies ja schließlich für alle Kreuzungsexperimente zutrifft. Jedenfalls ist es auf dem bisher eingeschlagenen Wege kaum möglich, dem eigentlichen Kardinal- problem der Rassen- und Artkreuzung näherzutreten, der Frage nach dem Wesen der hinter den äußeren Eigenschaften zu supponierenden Elementareigenschaften und nach den Zusammenhängen zwischen den Elementar- und Außeneigenschaften und zwischen den Elementar- eigenschaften untereinander. Über das Wesen der Elementareigenschaften (Erbeinheiten, An- lagen, Determinanten, Faktoren, Gene), mit welchen wir uns das Art- plasma ausgestattet denken müssen, sind bis jetzt im ganzen nur all- 1) Vgl. hierzu Allg. Vererbungslehre, 2. Aufl., S. 351 [1. Aufl., S. 339] und 384, Anm. 1 [371], sowie in bezug auf die letztgenannte Möglichkeit S. 144 [144] 172 [171] und 287 unten [277], wo von der Weckung latenter Potenzen unter der Wirkung ab- normer Reize die Rede ist. Siehe auch Morgans Geschlechtsbestimmungshypothese (Allg. Ver., 2. Aufl., S. 282 und 370). 42 Haecker. gemeine Vermutungen aufgestellt worden. So haben bekanntlich Cuénot, Bateson u. a. die Ansicht vertreten, daB man sich unter den Färbungsfaktoren fermentartige Substanzen oder, besser wohl gesagt, die Fähigkeit zur Bildung solcher Fermente zu denken hat. Nun liegt zwischen den reifen Außeneigenschaften und den Elementareigenschaften offenbar eine ganze Reihe von entwicklungs- geschichtlichen Zwischenstufen (Zwischeneigenschaften), und man wird erwarten dürfen, daß durch eine genauere Kenntnis dieser Zwischen- stufen, also durch eine weitergehende morphogenetische und entwicklungs- physiologische Untersuchung der Außeneigenschaften auch die Vor- stellungen von der Natur der Elementareigenschaften auf eine festere Grundlage gestellt werden können. Wir haben diese entwicklungsgeschichtliche Eigenschafts- analyse zunächst beim Axolotl zur Anwendung gebracht und Herr Pernitzsch hat die Frage behandelt, wodurch sich eigentlich die schwarze und die helle Axolotl-Rasse in letzter Linie unterscheiden. Von vornherein waren verschiedene Möglichkeiten denkbar. Auf der einen Seite!) konnte man an eine rein chemisch- physiologische Verschiedenheit, an einen quantitativen Unter- schied in der Fähigkeit der Pigmenterzeugung denken oder, ‘um die symbolische Ausdrucksweise der Faktorenhypothese anzuwenden, an das Vorhandensein verschiedener, unter sich scharf gesonderter Ab- stufungen des allgemeinen Farbungsfaktors. In diesem Fall war zu erwarten, daß die schwarzen Tiere mehr Melanophoren und Xantho- phoren (schwarze und gelbe Pigmentzellen), die hellen eine entsprechend größere Zahl von „weißen“, d. h. pigmentlosen Pigmentzellen besitzen. Die andere extreme Möglichkeit war, daß sich die schwarze Rasse nur durch eine größere Zahl von Pigmentzellen von der hellen unter- 1) Bei meinen Untersuchungen über die Entstehung des Radiolarienskelettes bin ich vor einen ganz ähnlichen Gegensatz hingeführt worden, insofern die äußerlich sichtbaren morphologischen Merkmale oder Komponenten des Artbildes teils auf eine Anzahl prophysiologischer Elementarvorgänge, insbesondere auf quantitative und qualitative Modifikationen der Sekretionsprozesse, teils auf konstitutionelle, pro- morphologische Verhältnisse (sei es auf die nach Ablauf der Zellteilung bestehende polare Anordnung der Zellbestandteile, sei es auf eine polare Konstitution der Proto- plasmateilchen selber) zurückgeführt werden können. Während aber bei den Radiolarien die ganze zwischen Elementar- und Außeneigenschaften liegende Kette von Prozessen und Zuständen innerhalb des Lebenszyklus einer und derselben Zelle Platz findet, sind bei den Vielzelligen Anfangs- und Endpunkt durch zahlreiche Zellengenerationen ge- trennt. Vgl. Über die Mittel der Formbildung im Radiolarienkörper. Verh. Deutsch. Zool. Ges. 1906, S. 50, sowie Tiefsee-Radiolarien, S. 630. 653. Untersuchungen über Elementareigenschaften I. 43 scheide. Dann wiirde ein rein morphogenetisches (zellteilungs- und differenzierungsgeschichtliches) Problem vorliegen. Es hat sich nun gleich beim Betreten des Bodens eine solche Menge von neuen Fragestellungen erhoben, daß sich Herr Pernitzsch auf die Unterschiede beschränken mußte, welche die frisch aus- geschlüpften schwarzen Larven gegenüber den Schecklarven!) auf- weisen. Bei Betrachtung mit bloßem Auge erscheinen die ersteren reichlich schwarz und gelb pigmentiert und haben im ganzen nach Färbung und Zeichnung ein barschartiges Aussehen, die hellen Larven aus rein weißer Zucht sind gewöhnlich bis auf eine dunkle Flecken- reihe am Grunde der Rückenflosse und eine leichte Bestäubung des Kopfes nahezu pigmentlos, die von Herrn Pernitzsch benützten Schecklarven endlich zeigen eine etwas stärkere Pigmentierung, wie sie übrigens auch bei rein weißen Zuchten vorkommen kann. Perr Pernitzsch stellte nun zunächst fest, daß sich die schwarzen Larven von den hellen im wesentlichen durch die Zahl der Pigment- zellen unterscheiden und daß das Zahlenverhältnis zwischen den schwarzen und gelben Pigmentzellen bei dunklen und hellen Larven nicht sehr verschieden ist. In gleichgroßen und gleichgelegenen Haut- bezirken frisch ausgeschlüpfter Tiere schwankt das Zahlenverhältnis zwischen den Xanthophoren und den in Epidermis und Corium ge- : > 102 156 legenen Melanophoren bei schwarzen Larven zwischen ~~ und En 700 und 1 etwa als Vorläufer der guaninhaltigen Leukophoren der älteren Larven hätten angesehen werden können, wurden weder bei schwarzen, noch bei hellen Larven beobachtet. Welche Bedeutung hat nun diese Feststellung mit Bezug auf die Entscheidung unseres Dilemmas? Bezüglich des ersten Auftretens der Pigmentzellen beim Embryo des Axolotls liegen noch keine endgültigen Beobachtungen vor, wohl aber hat Herr Pernitzsch bei seinen frisch ausgeschlüpften Larven verhältnismäßig häufig Pigmentzellen in mitotischer Teilung gefunden. Man kann also jedenfalls so viel sagen, daß bei den hellen Larven die geringere Zahl der Melanophoren und Xanthophoren mindestens zum Teil auf eine geringere Teilungsgeschwindigkeit der Chromatophoren selbst zurückzuführen ist, und zwar muß diese Reduktion der Teilungs- geschwindigkeit beide Sorten in ungefähr gleichem Maße treffen. und bei Schecklarven zwischen Weiße Pigmentzellen, die 1) Es lagen uns in der letzten Zeit keine rein weißen Zuchten vor. 44 Haecker. Herrn Pernitzsch war es nun ferner aufgefallen, daß sich die Pigmentzellen der hellen Larven von denen der schwarzen durch eine geringere Durchschnittsgröße unterscheiden. Ein genaues Maß für die Größe der Zellen selbst ist wegen ihrer veränderlichen Form und der Unregelmäßigkeit ihrer Ausläufer nicht zu gewinnen, dagegen haben sich für die Kerne bestimmte Werte ermitteln lassen. Bei vier schwarzen Larven betrug die durchschnittliche Kernlänge von 200 Zellen 28,89 », bei 12 Scheck-Larven wurde für 183 Zellen die Durchschnittslange von 23,07 y. erhalten. Es liegt natürlich die Annahme nahe, daß die letzten Ursachen für beide Merkmale der hellen Larven, nämlich für die verringerte Teilungsgeschwindigkeit und die geringere Zellen- und Kerngröße, zu- sammenfallen und daß beide den Ausdruck einer verminderten Teilungs- und Wachstumsenergie des Plasmas darstellen, wie ja auch die weißen Axolotl im ganzen ein langsameres Wachstum und eine geringere Lebenskraft aufweisen. Zusammenfassend und ergänzend können wir also sagen: Das Farbenkleid der schwarzen und hellen Axolotlrassen wird durch mindestens zwei!) verschiedene, auf verschiedene Zellen ver- teilte Pigmente gebildet und zeigt bei jungen und alten Tieren infolge einer ziemlich regelmäßigen Anordnung der Pigmentzellen ein charak- teristisches Muster. Die beiden Hauptrassen verhalten sich also be- züglich ihrer allgemeinen Färbungs- und Zeichnungsverhältnisse etwa ähnlich zueinander, wie eine wildgraue und eine wildgrau-weiß ge- scheckte Nagerrasse. Die Rassenunterschiede sind mindestens zu einem großen Teil auf einen verschiedenen Teilungsrhythmus der Embryonal- und besonders der Pigmentzellen zurückzuführen. Ein Faktor, der durch An- oder Abwesenheit oder auf Grund verschieden abgestufter Wirkungsweise direkt die Pigmentbildung beeinflußt, kommt also bei den Rassendifferenzen des Axolotls, soweit sie von uns untersucht worden sind, nicht in Betracht, vielmehr wird man die Entstehung der hellen Rassen auf ein ungenügendes Funktionieren eines den embryonalen Teilungsrhythmus regulierenden Faktors zurückführen müssen. Mit dem rhythmischen Charakter, welcher allen auf Zell- teilungsprozessen beruhenden Lebenserscheinungen naturgemäß inne- wohnt, mag es auch zusammenhängen, daß uns die Farbenrassen des 1) Es sind mir früher wiederholt Tiere durch die Hand gegangen, welche nament- lich am Schwanz dunkel kastanienbraune Flecke besaßen. Ich habe damals nicht untersucht, ob hier etwa noch ein drittes Pigment vorliegt. Untersuchungen tber Elementareigenschaften I. 45 Axolotls nicht als eine kontinuierliche Reihe von Varianten, sondern in den drei Abstufungen: Wildfarbe — metamere Scheckung — ex- treme Akromelanie entgegentreten. c) Graufärbung der Tauben. Wir haben uns bemüht, bei anderen Tieren auch in das Verhältnis zwischen der Wildfarbe und ihren einfarbigen Mutanten auf dem Wege der entwicklungsgeschichtlichen Eigenschaftsanalyse einen genaueren Einblick zu bekommen, und Herr W. Spöttel ist im be- sonderen der Frage nähergetreten, wie sich z. B. das Blaugrau der Felsentaube zu den einfarbigen und gescheckten Färbungstypen verhält. Diese Untersuchungen sind noch nicht weit genug vorgeschritten, es wird Sie aber vielleicht interessieren, daß den verschiedenen Schattierungen des Graus der Felsentaube (Columba livia) sehr kom- plizierte Pigment- und Strukturverhältnisse zugrunde liegen und daß sich in ihrem Federkleid, abgesehen von den die bläulichen Töne her- vorrufenden Strukturen, nebeneinander drei Hauptpigmente: Schwarz, Rostbraun und Gelb vorfinden. Es liegen also hier ähnliche Ver- hältnisse vor, wie sie namentlich durch Miß Durham für die Säuge- tierhaare beschrieben worden sind. d) Uber die angenommene Bastardform Cyclops distinetus. Mit dem zuerst behandelten Problem der Reinheit oder Unreinheit der Gameten berührt sich sehr nahe die Frage nach der Existenz konstanter Bastardformen, also nach der Möglichkeit einer dauernden Verbindung der Elementareigenschaften. Es ist schon seit längerer Zeit bekannt, daß an vielen Orten, an denen nebeneinander die nahe verwandten Cyclops-Arten fuscus und albidus vorkommen, eine dritte Form von annähernd intermediärem Habitus, C. distinctus, vorkommt, welche schon von verschiedenen Forschern als Bastard angesehen wurde!). Auch die Chromosomen- zahlen — bei fuscus und albidus 14, bei distinctus 10 typische und I kleines Heterochromosom — können unter gewissen Voraussetzungen und im Hinblick auf die Beobachtungen bei Oenothera- und Drosera- Bastarden (Rosenberg, Gates) mit dieser Anschauung in Einklang gebracht werden. Ich will hier nur andeuten, daß, wenn man die kleinen Chromosomen von albidus als halbwertig ansieht gegenüber 1) Vgl. H. Braun, Arch. f. Zellf., 3. Bd., 1909, und H. Matscheck, ebenda, 5. Bd., 1910. 46 Haecker. den großen von /uscus, wenn man also für albzdus 7 fuscus-Chromo - somen anrechnet, für einen Bastard 7 + 34% = Io, Chromosomen vom /uscus-Typus zu erwarten sind, eine Zahl, welcher diejenige des C. distinclus sehr gut entspricht. Herr R. Neubaur hat nun zunächst versucht, durch umfang- reiche und vielfach modifizierte Kreuzungen diese Frage zu entscheiden, wobei insbesondere auch in ausgedehnter Weise Verwitterungen der Weibchen vorgenommen wurden. Indessen gelang es bisher nicht, eine erfolgreiche Kreuzung zu erzielen, und wenn also wirklich C. distinctus ein Bastard sein sollte, so würde anzunehmen sein, daß dieser Bastard nicht regelmäßig beim Zusammentreffen der beiden anderen Arten, sondern nur unter ganz besonderen Verhältnissen zu- stande kommt. Herr Neubaur hat weiterhin eine eingehende vergleichende morphologische Untersuchung der drei Formen vorgenommen. Denn auch für den Fall, daß C. distinctus kein Bastard ist, mußte es von großem vererbungs- und variationsgeschichtlichen Interesse sein, einmal festzustellen, in wieviel selbständig variabeln Merkmaien diese drei einander so außerordentlich nahestehenden Formen konstant voneinander abweichen. Herr Neubaur hat bis jetzt im ganzen 36 morphologische Merkmale festgestellt, durch welche alle 3 Formen oder wenigstens zwei von ihnen von der dritten unterschieden sind. Was speziell das Verhältnis von C. distinctus zu den beiden anderen Formen anbelangt, so wurde bei 9 Merkmalen (=25%) ein intermediäres Verhalten, in g anderen Fällen (= 25%) eine vollkommene oder annähernd vollkommene Über- einstimmung mit dem in vieler Hinsicht als primitive Form an- zusehenden C. fuscus, in 8 Fällen (= 22,22%) eine Übereinstimmung mit albidus, in ıo Fällen (= 27,78%) ein isoliertes, z. T. exzessives Verhalten gefunden. Beispiele für ein intermediäres Verhalten sind die Stellung der Eisäcke (bei fuscus anliegend, bei aldidus weitabstehend) und die Beschaffenheit der Härchen am Innenrand der Furka (bei Juscus am stärksten, bei alöidus fehlend). Ein intermediär-additives Verhalten weist das Receptaculum seminis auf, indem bei distinctus das längsgestreckte Receptaculum von fauscus gewissermaßen durch das quer- gerichtete von albidus überlagert oder gedeckt erscheint. Mit /uscxs stimmt distinctus z. B. in der blauen Grundfarbe vieler Gewebe, mit albidus in dem Fehlen der Porenkanäle der Chitin-Cuticula überein. Eine isolierte, und zwar exzessive Bildung zeigt bei distinctus die Sinnesborste am kleinen Maxillarfuß. Untersuchungen über Elementareigenschaften I. 47 In einigen Fallen können die Verhältnisse biologisch gedeutet werden, so wenn z. B. bei dem räuberischen /uscxs die Zähne am Labrum am stärksten differenziert sind, während sie bei den mehr herbivoren Formen albidus und distinctus schwächer ausgebildet sind. Im ganzen dürfte die scheinbare Willkürlichkeit, mit welcher déstinctus in einzelnen Merkmalen ein /zsczs-ähnliches, in andern ein albidus- ähnliches und wieder in andern ein intermediäres, exzessives oder auch regressives Verhalten zeigt, nicht gegen die Möglichkeit sprechen, daß es sich bei dstinctus doch um eine mehr zufällige, durch Bastar- dierung hervorgerufene Eigenschaftskombination handelt. Wir sind im übrigen damit beschäftigt, diese Untersuchungen auf andere Cyc/ops-Arten weiter auszudehnen, um zunächst einen genaueren Einblick in die Zahl der selbständig variabeln Außeneigenschaften der Gattung Cyclops zu erlangen. Wir hoffen aus dem Verhalten der Außeneigenschaften Rückschlüsse auf die Zahl und die Wechsel- beziehungen der Elementareigenschaften ziehen zu können und, nach- dem durch Braun und Matscheck innerhalb der Gattung Cyclops ein allmählicher Abbau der Chromosomenzahl festgestellt worden ist, auch etwaige Zusammenhänge zwischen der Chromosomenzahl und den Außen- und Elementareigenschaften weiter aufklären zu können, Uber eine Mutation in einer reinen Linie von Hordeum distichum L. Von L. Kießling (Weihenstephan). Bei den Züchtungsversuchen der Kgl. Bayer. Saatzuchtanstalt in Weihenstephan wird u. a. auch eine reine Linie aus oberbayerischer Landgerste bearbeitet, die in mehrfacher Beziehung außergewöhnliches Interesse beansprucht. Sie gehört botanisch der zweizeiligen nickenden Gerste (Hord. distichum L. var. nutans Schübl., Gruppe A Atterberg) an, von deren gewöhnlicher Form sie sich aber durch einen verhältnis- mäßig sehr steifen Halm und eine gedrängt (dicht) gebaute Ähre auszeichnet; die Körner sind sehr groß und haben häufig die für nutans-Gersten charakteristische Abschrägung an der Kornbasis nicht, sondern lassen zuweilen überhaupt keine Basalfläche erkennen oder zeigen in vereinzelten Fällen sogar Andeutungen einer Nute bzw. eines schwachen Wulstes!). Deshalb kann sie in einzelnen Körnern oft nur mit Hilfe der Lodikulae von den Erektumformen unterschieden werden, mit denen sie auch im Ähren- und Halmbau viel Ähnlichkeit hat. In physiologischer Beziehung kennzeichnet sich die Linie durch ein kräftiges und energisches Jugendwachstum sowie eine, auch gegenüber sonstigen zutans-Gerstenformen, sehr kurze Vegetationszeit und vor allem durch eine auffällig kurze Samenruhe, so daß sie schon sehr frühzeitig keimreif wird. Ich habe über diese Besonderheit und ihre Bedeutung für die Gerstenzüchtung wie für die Malzgerstenproduktion wiederholt berichtet2). Endlich ist sie auch vom phytopathologischen Standpunkt aus interessant, da sie eine ausgesprochene Neigung zum 1) Vgl. hierzu J. Broili, Das Gerstenkorn im Bild. Stuttgart 1908; ferner A. Atterberg, Die Varietäten und Formen der Gerste. Journal für Landwirtschaft, 47B 1809, 1. Heft. 2) Letzte Mitteilung: L. Kießling, Untersuchungen über die Keimreifung der Getreide. Landw. Jahrbuch für Bayern ıgır Nr. 6; hier sind auch die früheren Mitteilungen zitiert. Uber eine Mutation in einer reinen Linie von Hordeum distichum L. 49 Befall mit Streifenkrankheit (Helminthosporium gramineum Rabth.) als besonderes Linienmerkmal aufweist, das in dieser Schärfe m. W. bisher nicht beobachtet wurde. Solche und verschiedene andere Eigenschaften lassen diese Linie als ein hervorragendes Objekt für Züchtungsstudien erscheinen. Die Linie entstammt einer seit langem in der hiesigen Gegend ge- bauten gewöhnlichen Landgerste, deren ursprüngliche Herkunft nicht zu ermitteln ist. Wir haben die Sorte 1898 von einem Bauern be- zogen und 1899 einen Anbauversuch damit gemacht. Aus dem stehen- den Feld wurde im Sommer 1899 nach züchtungstechnischen Grund- sätzen eine Anzahl von Pflanzen ausgewählt und deren Körner wurden zunächst (1900) ohne Individualtrennung in den Zuchtgarten gebtacht. Aus der Ernte 1900 wurden verschiedene Eliten separiert, von denen eine die Stammpflanze für die zu besprechende Linie Fg 2!) wurde. Die Körner der Stammpflanzen wurden Igor für sich im Zuchtgarten angebaut; die Ernten wurden durchgewählt und wiederum die besten Pflanzen als Eliten zur individuell getrennten Zuchtansaat verwendet. Von den Eliten stammen immer wieder die Eliten (von jeder Pflanze wird stets eine gesonderte Nachkommen- schaft erhalten) und die Stammsaaten für die Vermehrungen. Nach- folgend ist angegeben, wie sich in den einzelnen Jahren die Züchtungs- saat gestaltete: Jahr 1902| 1903 | 1904 | 1905 | 1906| 1907 1908|1909|/1910| 1911 | | {| | | |fg 3 Fea Zahl der Individual- | saaten im Zucht- | | 18 | 21 ar ae. (este PROM ar en Ave 14 16, | 2: | Davon bis 1912 fort- | | erhalten ...., 2 | 2 | 4 4 4| 4 4 4 | 4 5 5 Die sämtlichen Pflanzen der einzelnen Linienzweige zeigten sich bis 1908 völlig gleichmäßig und typeneinheitlich, natürlich unter Be- rücksichtigung der individuellen Schwankung. Bei der Beobachtung der 18 Individualansaaten des Jahres 1909 wurden alle Reihen gleich- mäßig qualifiziert, nur bei einer Nachkommenschaft (Fg 2c) ist unterm Io. Mai bemerkt, daß diese etwas weniger aufrecht 1) Die Züchtungsgeschichte bis 1908 wurde mitgeteilt in Fühlings landw. Zeitung 1909 S. 465: C. Kraus, Züchtungen von Gerste und Hafer 1899 bis 1908. Induktive Abstammungs- und Vererbungslehre. VII, 4 50 KieBling. steht als die übrigen. Bei der Selektion der Ernte wurde bei diesem Zweig kein besonderer Unterschied gegenüber den übrigen beobachtet; es wurde eine Pflanze als Elite bestimmt, die bei der morphologischen Untersuchung wie auch im Stickstoffgehalt nicht aus der Modifikationsamplitude der übrigen 25 Eliten der Linie Fg 2 her- ausfiel, wie nachfolgende Zahlen zeigen: | ; Halmeinheits- | Achseacablg|, nee 3 Die Korngewicht Kornprozent | aka gewicht) | | IW BOS bo oa oO chs 8 | £080—1160 | 1,34—1I,51 | 1,62—1,78 | 46,5—48.6 es 4 |{Grenzen 4—8 | 980—1220 | 0,88—1,68 I,17—1I,90 | 40,7—62,0 oO 2 | u |\Mittel2) 591,18 | 1132-4 37,9 | 1,214--0,12 | 1,55-40,09 | 40,8 12m Zur Erklarung der Zahlen sei angefiigt, daB jede Nachkommen- schaft für sich durchgewählt wird; von den kräftigsten und fehler- freiesten Pflanzen (Voreliten) wird zunächst bei 20 Körnern aus der Mitte der beiden bestausgebildeten Ähren der Stickstoffgehalt bestimmt; die Pflanzen mit dem niedrigsten Stickstoffgehalt werden dann mor- phologisch-quantitativ untersucht, wobei wiederum nur die beiden bestausgebildeten Achsen berücksichtigt werden. Obige Zahlen beziehen sich demnach auf diese zwei Achsen (Gewichte in g, Längen in mm). Außerdem wird jede Pflanze beschrieben; und auf dem Untersuchungs- bogen von Fg 2c findet sich wiederum nur eine Abweichung notiert: „Ähre etwas mehr geneigt (als dem Liniencharakter entspricht), sonst gute, kräftige Pflanze.“ Diese Elite von Fg 2c wurde — zufällig — mit dem ersten In- dividualzeichen a bezeichnet und kam somit IgIo als Fg 2a in den Zuchtgarten, und zwar mitten zwischen die andern F,-Zuchtsaaten, aber an den Anfang der Hochzuchtreihe Fg a bisn. Am 12. IV. 1910 wurde die Bemerkung aufgeschrieben: „Auffallend heller (gelbgrünes Blatt) als die andern Fg-Zuchten‘‘ Auch am 6. und am 31. V. wurde diese abweichende Färbung notiert; am letzten Tag wurde gleichzeitig beobachtet, daß dieser Zweig gegenüber den übrigen der gleichen absolutes Halmgewicht (g) >< 1000 Halmlänge (mm) 2) Der „wahrscheinliche Fehler“ r der Mittel wurde berechnet (hier wie in den späteren Zusammenstellungen, ausgenommen Tabelle a, b, c, d, e) nach der Formel: 1) Halmeinheitsgewichte — r= - —-— .0,845, wobei v = die Summe der ohne Berücksichtigung des Vor- Yr (n—ı) zeichens addierten Abweichungen der Einzelbestimmungen vom Mittel und n = die Anzahl der Einzelbestimmungen bezeichnet. WR RIN oe Uber eine Mutation in einer reinen Linie von Hordeum distichum L. 51 Linie in der Entwicklung etwas zuriickgeblieben war, wahrend die ersten Aufschreibungen (12. IV. und 6. V.) den kräftigen Wuchs und breites, mehr liegendes Blatt (herabhängend, weil die Blätter länger waren als bei den Nachbarreihen) betonen. Das sogenannte „Spitzen“ (Heraustreten der Grannen der Ähre aus der obersten Blattscheide) trat bei der abweichenden Reihe um drei, die volle Ährenentwicklung und 7 0/ yl 0/ N /O N /o 5,75 | 32,0—33,3 29,1— 30,1 0,90—0,91 1,943 2,027 5,2—6,45 30,6—38,6 27,4—35,0 0,87—0,97 1,614—2,656 | 1,802—2,2 2,27 585417 | 3391,15 | 31,5 1,19 | 0,93-0,02 | 2,0234-0,1877 | 2,0344-0,1158 die Blüte um zwei Tage später ein als bei den Schwestersaaten; in der Ausreifung wurde (1910) kein Unterschied beobachtet. — Die Schwester- pflanzen von Fg 2a-1910, d. h. die übrigen Töchter von Fg 2c-190g, zeigten keinerlei Abweichung und wurden daher nicht für sich gehalten. Als Nachkommen von Fg 2a-1910 wurden 118 Pflanzen ge- wonnen, die wie die übrigen Nachkommenschaften von Fg 2 selektiert wurden. Wir sortieren in der Regel hierbei die sämtlichen Pflanzen nach der durch Auszählung bestimmten Stufenzahl der bestausge- bildeten Ähre jeder Pflanze in Klassen; nachfolgend sind die hierbei erhaltenen Zahlen angegeben: Durch - - oo . r 3 8loal 4a schnitts- | Prozentzahl der Pflanzen in den Ahrchenstufenklassen I 5 gy 2 gewicht g Zweige Siac} © : t " = = alee | 2 e323 [un ja, | Fa ehla 8 | LE | 25 ]26/, 2] 18/19) 2091| 22/09) 24/oc| 26/2,| 28/2] 20/2, | 32/,.| 34/.-| 36/, Bede m |*= |S ay _ a / > 125 ul al la1| ““/33| “"/38| “"/37 ! | ——— 7] ee Fga |118] 328] 2,78] 6,1 |2,19] 0 | o | 2,0) 9,5] 1455) 28,0 30,0) 11,0) 3,5 | 1,0 | © Fgb-m| 654 [1979| 3,03] 6,7 |2,20] © | 0,7| 2,8] 6.8] 24.1| 31,0|25,9| 6,1| 2,3 | 0,3) o Die beiderlei Nachkommenschaften sind somit in bezug auf die Ertragsverhältnisse sehr ähnlich; Fg a erscheint etwas schwächer be- stockt und hat durchschnittlich etwas mehr Ähren in den oberen Besatzklassen; die Differenzen sind aber nicht groß. Die Untersuchung der Elitepflanzen von Fg a, nun ab Ernte 1gro mit Fg 3 bezeichnet, und derjenigen der übrigen Fg 2-Zweige ergab folgendes Bild: 1) D = Anzahl der Ährchenstufen, d = Anzahl der ausgebildeten Körner auf : - ; Kornzahl or 2 ex 100 mm Spindellänge; d/D een durchschnittliche Stufenbekörnung, 4* Secunda 70 u 52 KieBling. ear _ _ _ _ _ _Halm ___{Halmeinheits- Korngewicht = 3 = | Achsenzahl Länge Durchmesser| gewicht pro Achse | Kornprozer < mm mm g g Fg 3 Mittel . II 4,1 1,74 | 1041 -+ 41,9 3,8 + 0,26 | 0,85 +0,11 | 1,33 + 0,19 | 55,3 + 16) Be oa 9 3.240,43 | 981-+31.3 | 3370,24 | 0,79 40,07 | 1,16 + 0,12 | 55,4 + 108 Be Grenzen Zu 890—1130 | 3,1—4,7 0,57—1,34 | 0,92—1,96 | 50,1—59£ Fg 2 . 2—4 860—1070 | 3,0—4,3 0,58—0,96 | 0,80—1,49 | 48,9—58% Die Selektion hat sonach bei Fg 3-Pflanzen gegriffen, unter denen einige stärker bestockte waren; Länge, Durchmesser und Gewicht des Halmes, Stufen- und Körnerzahl, Kornertrag, sowie Einzelkorngewicht und Stickstoffgehalt ergibt hier durchschnittlich etwas höhere, die Besatzdichtigkeit (D und d) dagegen etwas niedrigere Werte als bei der typischen Ausgangsform Fg 2 festgestellt. Die beiderlei Modifi- kationskurven umschließen aber so viel gemeinschaftliches Areal, daß die einzelne Pflanze auf Grund dieser Feststellungen nicht als Ange- hörige der einen oder anderen Form zu bestimmen wäre. Im Sommer ıgıı wurden die Elitepflanzen beider Formen wieder in individueller Trennung im Zuchtgarten beobachtet, während die . Restsaaten vereinigt nach den zwei Typen Fg 2—Fg 3 in größeren Parzellen zum Anbau kamen. Die Körner einiger Pflanzen kamen auch in Töpfe, die schon anfangs Februar im Warmhaus angesät wurden. Nach dem Aufgehen wurde dann die eine Versuchsreihe kalt gestellt und hierbei erwies sich, daß die Fg 3-Saaten weitaus kälte- empfindlicher waren als die gleichbehandelten Fg 2. Alle Ansaaten zeigten außerdem wieder das auffallende Hellgelbgrün der Fg 3; bei den Freilandssaaten konnte der Unterschied gegenüber Fg 2 schon aus sehr beträchtlicher Entfernung deutlich wahrgenommen werden. Diese Hellfärbung ging bei einzelnen Pflanzen der Massensaat so weit, daß sie den Eindruck chlorotischer Entartung machten. Wegen ihrer kräftigen Blattentwicklung sahen die Fg 3-Pflanzen aus, als wenn sie in der Jugend rascher wüchsen; später wurde festgestellt, daß Fg 3 gegen Fg 2 zurückblieb und auch später ährte. Um diese morphologischen und physiologischen Differenzen etwas näher kennen zu lernen, wurden am 8. Mai je zwei Pflanzen jeder Form dicht über der Blattscheide an der Basis der Spreite des dritten Blattes abgeschnitten, und von der Spreite dieses dritten Blattes und den noch folgenden beiden jüngsten Blättern unter den erforderlichen Vorsichtsmaßregeln der Wassergehalt bestimmt (Vortrocknung bei EEE run a a are Uber eine Mutation in einer reinen Linie von Hordeum distichum L. 53 N% der ıfenzahl d Sr 22, 100 Korn- 5 Körnerzahl D d NY Sekunden- u o Ähre D 9 gewicht pflanzen 0 + 2,7 | 25,3 + 2,8] 35,6 + 2,03 | 32,2 + 1,76] 0,90 + 0,03 [2,2746 + 0,1165 2.3012 5,18 + 0,33 6 + 1,8 | 24,2 + 1,9 36,8 + 1,05 | 33,5 + 1,07 | 0,91 + 0,02 [2,1723 + 0,15 16]2,2931 + 0,0039] 4,78 + 0,19 21—36 18—33 30.5—41.6 | 26,4—36,0 | 0,84—0,96 | 1,970—2,503 _ 4.38— 5,95 20— 30 18—28 | 33,3—41,1 | 29,4—35,8 | 0,83—0,93 | 1,658— 2,498 | 2,208—2,333 | 4,26—5,33 > : 80°, darauf im schwachen Luftzug bei 106° C in vier Stunden fertig . getrocknet), wobei folgende Zahlen erhalten wurden: ‘ = = — ~ = m —— | Fg 2 Fg 3 { ne ee Ci Maal or a ae En 86,54 87,52 2h os, a en s Vist ea Sion stare oe eters Ga he 86,42 | 87.88 Boy N i Ge Ae. Ses. OOo ons eis DCm 86,52 | 88,06 3 En Er 87,8 Die neue Form ist also etwas wasserreicher in den wachsenden Blättern. Weiter wurden bei einer Anzahl von Spreiten gleichaltriger Blätter, etwa 20 mm von der Basis der Blattscheide entfernt, die Spalt- Öffnungen untersucht und bei Fg 2 durchschnittlich 43,2, bei Fg 3 durchschnittlich 38,6 Spaltöffnungen auf xr qmm der Blattunterseite!) gefunden; auch waren diejenigen von Fg 2 etwas länger als von Fg 3 (0,056 mm gegenüber 0,051 mm) im Mittel an je ro Messungen. Da die Anzahl der Spaltöffnungen in Beziehung zur Transpirationsgröße der Blätter steht?), und da die gleiche Beziehung auch zur Größe der Öffnungen anzunehmen ist, so ist die Form Fg 3 in beiderlei Hin- sicht gegenüber der Ausgangsform Fg 2 zurückstehend. Messungen der Blattdicke, ro cm über der Blattbasis, ergaben für Fg 2 den Wert 0,61 mm und für Fg 3— 0,72 mm; diese größere Dicke scheint nicht sowohl durch eine Vermehrung der Zellagen als vielmehr durch eine Vergrößerung der Parenchymzellen und besonders der Interzellular- räume bedingt zu sein. ae GENE RINE WE 1) A. Tschirch, Angewandte Pflanzenanatomie (Wien und Leipzig 1889) fand (S. 437) bei Triticum sativum 47—32, Secale cereale 49—42, Avena sativa 40—27 (Blattober-, Blattunterseite) auf 1 qmm. Gg. Holzner u. Lermer, Beiträge zur Kenntnis der Gerste (München 1888) berechnet für eine 321 mm lange Blattspreite 105000 Spaltöffnungen für jede Blattseite oder 15 per 1 mm Rippenlänge. 2) A. Tschirch l.c. S. 439, hier auch Langenangaben. 54 KieBling. Um die Ursachen der verschiedenen Farbentiefe der grünen Blätter beider Formen zu untersuchen, wurden gleiche Gewichtsmengen gleichaltriger Blätter mit gleichen Mengen Alkohol behandelt. Dabei zeigte sich, daß das Chlorophyll aus der helleren Form Fg 3 rascher entfernt wurde als aus den Fg 2-Blättern, die ihre Farbe viel länger behielten. Der erhaltene Chlorophyllauszug von Fg2 war deutlich dunkler gefärbt als derjenige von Fg 3; nach dem Verdampfen erhielt man von ersterem 2,79 und von letzterem 2,46 % trockenen Rück- stand. Diese Beobachtungen würden ebenfalls auf einen quantitativen Mindergehalt der neuen Form Fg 3 an Chlorophyll schließen lassen, wenn auch der Alkoholrückstand nicht bloß aus Chlorophyllfarbstoff bestand. Bezüglich der Größe der Chlorophylikörner konnten keine Unter- schiede zwischen Fg 2 und Fg 3 festgestellt werden. Die Anzahl der in der peripheren Zellschicht des Assimilationsgewebes, d. h. den der Epidermis zunächst gelegenen Zellen des Chlorophyliparenchyms, be- findlichen Chlorophylikörner scheint aber bei Fg 3 etwas geringer zu sein als bei Fg 2, denn eine Anzahl von Zählungen ergab bei Fg 2 durchschnittlich etwa 70 und bei Fg 3 nur etwa 50 Chlorophyll- körner in den Zellen!). Es soll aber auf diese Zahlen kein größeres Gewicht gelegt werden, da es äußerst schwierig ist, in allen Punkten völlig vergleichbare Zellen für die Auszählung zu benützen. Doch ist bei den zugleich größeren Zellen an Fg 3 der Unterschied in der Chlorophylikörnerhäufung schon ohne Zählung zu erkennen. Infolge der geringeren Zahl der Spaltöffnungen von Fg 3 (siehe oben), deren Schließzellen ja ebenfalls Chlorophyllkérner enthalten, während die übrige Epidermis in der Regel chlorophylifrei ist, fällt bei dieser Form ein weiterer Anteil des Blattgrüns aus. Die hellere Farbe des Fg 3-Stammes rührt somit davon her, daß weniger chlorophyllhaltige Schließzellen vorhanden sind und außerdem das Zellgewebe des Schwammparenchyms etwas lockerer und wasser- reicher ist, während gleichzeitig in den Zellen weniger Chlorophyll- körner enthalten sind, so daß also, bezogen auf die Flächeneinheit, die Fg 3-Blätter ärmer an Blattgrün sind, wie das auch der Extrak- tionsversuch gezeigt hat. Auf die Beziehung dieser Differenz zur physiologischen Funktion deutet ein Versuch, bei dem die Blätter mit 1) 1912 ergaben Zahlungen bei wachsenden Blättern ebenfalls weitaus größere Zahlen für Fg 2, wo die Chlorophylikörner sehr gedrängt aneinander liegen und in- folgedessen abgeplattet sind, während sie bei Fg 3 meist durch Zwischenräume ge- trennt sind und daher auch mehr die abgerundete Form zeigen. Uber eine Mutation in einer reinen Linie von Hordeum distichum L. 55 Jod-Jodkali tingiert wurden; dabei farbten sich die Zellen von Fg 2 bedeutend dunkler als diejenigen von Fg 3, die somit weniger Assimilationsstärke enthielten!). Auf diese geringere physiologische Leistung wie auf den höheren Wassergehalt der Blätter ist wohl auch die 1911 beobachtete und 1912 bestätigte größere Frostempfindlichkeit der Fg 3-Blätter z. T. zu- rückzuführen?2). Um hierfür einen zahlenmäßigen Ausdruck zu erhalten, wurde, als infolge der Einwirkung einiger Spätfröste in der ersten Aprilhälfte 1911 (Minimaltemperaturen: 3. IV. — +30; 4. IV. = — 39; Balve —— 50x (6. 1V. = — 40> 7 TV. — — 3,89; 8. IV. = — 2,5"; 9. IV. = —3°; 10. IV. =—2°; rr. IV.=—4°; 12. IV. = —3,5°; 13. IV. = +1°C) viele Blätter abstarben, bei einigen Reihen der Frei- landssaaten der Blattverlust ausgezählt (25. IV. 1911). Er betrug, auf 1oo Blätter jeder Stufe berechnet | Im Durchschnitt beim 1. Blatt 2. Blatt | 3. Blatt 4. Blatt Er = = | | aller 4 Blätter Bei Fg2. 23,0 10,0 | 8,0 | 14,0 13,75 BeirBes3,. . 43.27 9,62 | 15,39 | 9,62 20,25 Die Beobachtung, daß die älteren Blätter stärker unter dem Frost leiden als z. B. die zweiten, stimmt mit den sonstigen Erfahrungen über das Erfrieren der Pflanzen überein). Von der Ernte ıgrı konnte keine Ertragsbestimmung bei den Zucht- pflanzen gemacht werden, weil infolge der abnorm trockenen Sommer- witterung beim Ziehen, Transportieren und Aufbewahren der Pflanzen sehr viele Achsen abbrachen und besonders ein erheblicher Teil der Körner ausfiel. Dagegen wurden die Pflanzen wieder nach der Stufenzahl der besten Ähren in Klassen geordnet, wie nachfolgend angegeben ist: Anzahl der % Pflanzen in den Stufenklassen ‚Mittel der Pfla 20/ | 22) 26) j | 3a; | 3a, / Stufen zen Ploy | 220s | 24/95 | 28/9, | 28/oq | 99/31 | 32/53 | 24/35 | *8/s7 pro Ahre ERX3. 300... » oO fe} 3,0 | 18,0 | 39,0 | 30,0 | 8,7 143 [6) 29,05 + 1,37 P2275 «a [6) 1.1 6,2 | 22,0 | 41,5 | 24,4 | 4,0 | 0,7 [e) 28,43 + 1,25 1) Untersuchungen „über spezifische Assimilationsenergie“ liegen u. a. vor von Carl Albert Weber (Inaug.-Diss. Würzburg 1879), der auch die von Kreusler (landw. Jahrbücher 1877 pag. 786) in Mais ermittelten Daten über Blattflächenentwicklung und Sortengewichtszunahme nach dieser Richtung hin verrechnet hat. 2) C. v. Seelhorst (Über den Trockensubstanzgehalt junger Weizenpflanzen ver- schiedener Varietät. Journ. f. Landw. 1910, S. 81) hat eine Beziehung zwischen Winterfestigkeit und Trockensubstanzgehalt beobachtet. 3) Vgl. hierzu A. Apelt, Neue Untersuchungen über den Kältetod der Kartoffel, Cohns Beiträge zur Biologie der Pflanzen 1907/09. KieBling. on oO Wie im vorhergegangenen Jahre ist auch ıgıı die Verteilungskurve und das Mittel der Ährchenstufenzahlen von Fg 3 etwas mehr nach der Plusseite verschoben gegenüber Fg 2. Nachdem in diesem Jahr “ die beiden Formen in je 10 Individualsaaten (Nachkommenschaften einzelner nach gleichen Grundsätzen ausgewählter Pflanzen) mit an- nähernd gleicher Kinderzahl (300 bzw. 275), die unmittelbar neben- einander unter völlig gleichen Verhältnissen aufgewachsen waren, der Auszählung zugrunde gelegt waren, so dürfte in dieser Beziehung der Unterschied der beiden Phänotypen auch als ein genotypischer aufzu- , fassen sein. Die Untersuchung der ausgewählten Elitepflanzen der Ernte ıgıı ergab folgende Durchschnittszahlen: Anzahl der untersuchten | Halmlänge Stufenzahl Körnerzahl D Pflanzen yas} I Cos ee 50 1076 + 24,6 29,9 + 1,41 27,8 + 1,39 37,0 + 1,23 SINR Ma 6 5 595 5 5 980 — 1175 25 — 33 23 — 31 34,5 — 43,1 BpzeNntteleee ee 62 1130 + 34.5 29,2 + 1.54 27,1 + 1,47 36,8 + 1,21 = ORIEN ES een 1000 — 1225 25 — 35 22— 32 31,6 — 40,3 (Von Gewichtsbestimmungen wurde aus den gleichen, vorstehend angegebenen Griinden abgesehen.) Die Mittelzahlen fiir Halmlänge, Korngewicht und Stickstoffgehalt sind sonach bei Fg 3 kleiner, für die Besatzdichtigkeit pro 100 mm Spindellange (D bzl. der Ahrchenstufen und d bzl. der Körner) da- gegen größer als bei Fg 2; IgIO war es genau umgekehrt, und dieser Wechsel dürfte wohl in erster Linie auf die völlig gegensätzliche Juli- witterung der beiden Jahre zurückzuführen sein. Der Juli ıgro war verhältnismäßig kühl und sehr niederschlagsreich; hingegen herrschte ıgıı etwa von Mitte Juni ab große Trockenheit und eine ungewöhn- lich hohe Temperatur. Nachfolgende Zahlen über die Witterungs- verhältnisse während der Vegetationsmonate entstammen den auf unserm Versuchsfeld angestellten meteorologischen Beobachtungen: Monatsmittel der | Anzahl der Nieder- Regenhöhe Temperatur 0 C schlagstage mm Toro | ‘ror IgIO | IQII 1910 | ıgıı Aprilia: sea 7,8 7,5 17 13 64,8 59,5 Mann sahne 1253 13,4 16 12 53,2 69,1 [fine Sasse 17,6 15,5 17 20 91,9 112,4 spur ae eles (22). ae 16,6 20,1 20 7 121,8 14,0 ee NEEEE EEE Uber eine Mutation in einer reinen Linie von Hordeum distichum L. 57 Saattag | Erntetag | Vegetationsdauer 5 1910: 15. Marz 1910: 27. Juli 1910: 134 Tage 1 WOU OxrS.4 5 EQGLES 247. 2 Fovrs: 128.1. | Da sich die Fg 3-Pflanzen in der zweiten Hälfte der Vegetations- zeit etwas langsamer entwickelten als Fg 2 — so schoben entsprechend | den Beobachtungen Ig1o die ersteren auch im Sommer IgII erst am 14. und letztere schon am II. und 12. Juni die Ahren aus der obersten Blattscheide — so blieb der vielleicht infolge seiner wasserreicheren Gewebe gegenüber der Sommerdiirre empfindlichere Stamm Fg 3 in der Langenentwicklung seiner Halm- und Spindelglieder etwas zuriick, während ihm IgIo bis zur Reifezeit mehr als genug Bodenfeuchtigkeit Me N Gesamternte Prima 100 Korngewicht!) 35,0 + 1,02 0,93 + 0,009 1,9788 + 0,0305 1,8020 + 0,1696 5,40 + 2. 31,3 — 38,5 0,88 — 0,97 1,905 — 2,041 1,4399 — 2,2733 4,69 — 5,85 2+ 1,04 0,93 + 0,14 2,0056 + 0.0625 1,9390 + 0,1512 5,57 + 157 29.4 — 37.3 0,85 — 0,97 1,8081 — 2,170 1,4961 — 2,2895 4,32 — 5,78 zur Verfügung stand. Dieser Befund möge gleichzeitig als ein Finger- zeig gelten für die Vorsicht, die bei Schlußfolgerungen aus Ermitt- lungen an reifem Material erforderlich ist. Deshalb soll auch die vorhergehend mitgeteilte Ansicht einer weiteren Nachprüfung im Laufe der nächsten Jahre unterliegen. Andrerseits ist aus den Zahlen zu entnehmen, daß in der ab- soluten Ährchenstufen- und Körnerzahl Fg 3 wieder etwas über Fg 2 hervorragt, wie dies auch aus der Selektionsklassifikation und den Beobachtungen des Jahres 1910 hervorgeht. Die Anlage der Ährchen erfolgt ja so frühzeitig, daß um diese Zeit das Wasserbedürfnis der Gerste noch vollauf gedeckt sein konnte. Die augenscheinliche Differenz in der vegetativen Entwicklung der beiden Gerstenformen erregte den Wunsch, sie durch genauere Messungen zu bestimmen. Denn die bloße Schätzung kann zu recht erheblichen Täuschungen veranlassen, da sie zu sehr abhängig ist von der Übung und Erfahrung des Beobachters, wie auch von den näheren Umständen der Beobachtung (Zeitpunkt, Belichtung, Luftbewegung, Vergleichsmaßstäbe usw.). Es wurden deshalb im Freilandszuchtgarten Pflanzen der beiden unmittelbar nebeneinanderstehenden Reihen der 1) Bestimmt an den Mittelkörnern der Ähre. 58 KieBling. beiderlei Ansaaten auf verschiedenen Wachstumsstufen im Stande ge- messen (ohne Randpflanzen)!). Um die Entwicklung jeder einzelnen Pflanze verfolgen zu können, wurde jede fünfte Pflanze in jeder Reihe durch ein eingestecktes Stäbchen bezeichnet; da die beiden Reihen unmittelbar nebeneinander (auf 15 cm Entfernung) verliefen (Abstand in der Reihe von Pflanze zu Pflanze bei Einzelkornlage genau 5 cm), so mußten sie bei den sonst üblichen Bedingungen des Zucht- gartenbetriebes, der ohnehin auf möglichste Gleichartigkeit der Wachs- tumsbedingungen durch geeignete Maßnahmen (gleiche Vorfrucht und Ernährung, gleiche und exakte mechanische Kultur, Dibbelsaatmethode bei 2—3 cm Tiefe und gleichmäßige, sorgfältige Pflege) hinarbeitet, auch wirklich vergleichbare Untersuchungsobjekte liefern. Die erste Messung erfolgte, als die Gerste vier Laubblätter ent- wickelt hatte, am 25. April und bestimmte von diesen die Länge der Blattspreite und deren Breite in der Mitte zwischen Spitze und Basis. Gleichzeitig wurde die Anzahl der durch Spätfrost vernichteten Blätter notiert (vgl. S. 55). Die zweite Messung geschah vom 31. Mai bis 3. Juni, und zwar nur am Haupthalm jeder Pflanze; es wurden die oberirdischen Internodien über dem Ansatz der ältesten (untersten) Blattspreite gemessen; und da die Halmknoten noch nicht sichtbar waren, wurde immer die Zwischenlänge zwischen zwei Spreitenbasen bestimmt, wobei das unterste gemessene Glied (zwischen dem ersten und zweiten Blattspreitenansatz) als erstes gezählt wurde. An der gleichen Achse wurde wiederum die Länge der obersten (jüngsten) vier Blätter vom Spreitengrund bis Blattspitze und die Breite genau in der Mitte zwischen diesen beiden Grenzpunkten notiert (Zählungen immer von unten nach oben). Beim jüngsten Blatt wurde immer nur der freie (über den Spreitengrund des zweitjüngsten Blattes her- vorstehende) Teil gemessen; war das Blatt noch gar nicht entfaltet, so wurde es auch nicht gemessen. Endlich wurden auch noch die oberirdisch erkennbaren Bestockungstriebe gezählt?). Während die zweite Messung bei Eintritt des Schießens (Streckung der Halmglieder) erfolgte, wurde die dritte unmittelbar vor der Ernte ausgeführt. Sie erstreckte sich auf die Anzahl der Achsen pro Stock, ferner bei der Hauptachse auf die Anzahl und Länge der Internodien (gezählt von unten ab), auf die Länge der obersten (oberstes ist 1) Diese Messungen und ihre rechnerische Bearbeitung hat nach meiner An- weisung Assistent Dr. A. Stimmelmayr besorgt, der auch die mikroskopische und chemische Untersuchung ausführte. 2) Über die Vergleichbarkeit der hier gewonnenen Zahlen siehe später S. 64. Uber eine Mutation in einer reinen Linie von Hordeum distichum L. 59 Nr. 4) vier Blätter, sowie auf die Spindel- und Ährenlänge (ein- schließlich Grannen). Die Blattbreite wurde nicht mehr bestimmt, da die Blätter schon abgedörrt waren. Die Resultate dieser Untersuchungen sind in den beigegebenen Tabellen in abgekürzter Form dargestellt. Zur Ergänzung sei angeführt, daß die Ausdehnung der minutiösen Untersuchung auf eine größere Anzahl von Individuen als hier durchgeführt (im Maximum 5I von jeder Stammzuchtgartenreihe), wohl kaum zu exakteren Resultaten geführt haben würde. Denn einmal war bei der gegebenen Sachlage die Arbeit auch körperlich sehr anstrengend), so daß mit der phy- sischen „Ermüdungskurve‘“ des Beobachters zu rechnen war, und eine Beteiligung mehrerer Beobachter an den Messungen hätte zur Aus- gleichung subjektiv verschiedener Beobachtungsfehler wieder die Aufstellung sehr komplizierter ,,persénlicherer Gleichungen“ bedurft. Außerdem verändert sich ja wachsendes Material unter den Händen. Da die zweite Messung vier Tage in Anspruch nahm, mußte diesem Umstand schon dadurch Rechnung getragen werden, daß immer ab- wechselnd fünf Pflanzen jedes Stammes zur Untersuchung kamen. Bei der rechnerischen Verarbeitung der in den Tabellen a bis e mitgeteilten Feststellungen wurden die Zahlenwerte in die bei jeder Untersuchung angegebenen Klassen eingeteilt und mit deren Hilfe Mittelwert und dessen mittlerer Fehler, Standardabweichung und Va- riationskoeffizient berechnet; die Maxima und Minima entsprechen dagegen den wirklich gefundenen Werten. Die Standardabwei- chung o wurde nach der von Johannsen?) angegebenen Formel > 2 berechnet: 6 = + Ir , wobei a die Abweichungen vom Mittel, p die Anzahl der Individuen in jeder Klasse, > pa? die Gesamtsumme aller mit ihrer Klassenfrequenz vervielfältigten quadratischen Ab- weichungen und n die Gesamtzahl der Abweichungen oder aller in den betreffenden Eigenschaften untersuchten Objekte (Pflanzen, Blätter usw.) bedeutet. Der Variationskoeffizient v drückt die Stan- dardabweichung in Prozenten des Mittels aus nach der Formel (Johannsens’) v—-1006:M und wurde berechnet, um die verschiedenen untersuchten Merkmale in bezug auf ihre Variabilität miteinander 1) Bei den ersten beiden Messungen mußte der Beobachter (Dr. Stimmelmayr) auf einer über das Beet geschlagenen Brücke liegend arbeiten! 2) W. Johannsen, Elemente der exakten Erblichkeitslehre. Jena 1909, S. 4off. 201. C.S..48. 60 KieBling. vergleichen zu können. Der mittlere Fehler m der Mittel wurde bei den Tabellen a bis e auf die ebenfalls von Johannsen!) angegebene Weise festgestellt: m—o:/n. 1. Messung Pie LOY ats, Blatt Nr. I 3 4 2. Messung 31.V.—3.VI. I 2 3 4 3. Messung 24. VII. 11 Wn 1. Messung 25. IV. Run. 2. Messung 31.V.— 3.V1. Tun a) Blattspreitenlänge — Klassenabstand: 5 mm. Anzahl der Minimum Maximum Mittel Standard- Variations- gemessenen . Den} Blätter mm mm abweichung koeffizient Fg 2\Fg 3} Fg2 | Fg3 Fg 2 | Fg 3 N 2ER Fg2|Fg3 | 39 | 32 | 47—81 | 43—80 | 64,20+1,42| 66,90+1.28| + 8,88 + 7,26] 13,83] 9,18 45 | 47 | 54—108 | 36—104 | 84,90+1,49| 86,.20+1,85| + 9,97 | #12,68 | 11,74| 14,71 46 | 45 | 45—132| 47—120 | 99,00-+2,60|101,70+2,27| 4 17,61 | #15,24 | 17.79) 14,99 43 | 45 | 22—76 | 30—76 | 57,5041,87| 57,8041,50] 412,27 | 410,03 | 21,34| 17,35 | 5o | 51 | 155—245 | 150—275 [205,0 +2,911225,0 +3,07] +20,6 | 421,9 | 10,05) 9,73 50 | 51 | 145—230 | 150—270 |199,0 +2,40/219,0 +3,05| +17,0 | +21,8 | 8,54| 9,95 50 | 51 | 150—205 | 165—245 [182,0 +1,91|195,5 +2,72] +13,5 | +19,43| 7,42| 9,04 50 | 51 | 45—155 | 45—190| 89,3 +3,81|116,5 -+6,24| 426,95 | +44,55 | 30,18| 38,24 49 | 48 |140—243 | 89—265 [201,0 +3,18j217.4 +4,09| 422,27 | +28,32 | 11,08) 13,03 49 | 46 | 148—225 | 133— 244 |194,6 +2,49|204,7 +2,75| +17,46 | +18,68 8.97. 9,13 46 | 45 | 132—203 | 150— 225 |174,9 +2,51/185,0 12,43] +17,02 | +16,30] 9,73) 8,81 48 | 47 | 64—197 | 24—125 | 93,8 2,24| 91,1 +2,75| +15,53 | +18,86 | 16,56| 20,70 b) Blattbreite — Klassenabstand: 0,5 mm. 39 | 27 | 5.1—8,5 | 3,8—7,7 | 6,1 +0,10) 6,5 +0,15] + 0,64 | + 0,80] 10,49| 12,31 45 | 47 | 4,1—7,2 | 2,.0—7,5 | 6,1 +0,11) 6,2 +0,14| + 0,74 | + 0,95 | 12,13| 15,32 46 | 45 | 3,0—8,1 | 3,1—8,2 ‚= 0,14) 7,4 +0,15| + 0,97 | + 1,00] 13,47| 13,51 43 | 48 | 2,2—6.9 | 1,9—6,4 4,6 40,16, 5,0 +0,12] + 1,05 | + 0,86] 22,8 | 17,20 50 | 51 | 7,0—11,0] 6,0—11,0] 9,3 +0,14 9,6 +0,12] + 0,96] + 0,89] 10,28) 9,31 50 51 7,0—11,0 6,0— 11,0 97 +0,11 9,8 0,11 SE 0,80 eS 0,78 8,25 7,96 50 | 51 | 6,0—11,0) 7,0—11,0| 9,0 +0,08) 9,7 +0,11] + 0,60 | + 0,78] 6,67 8,04 50 51 3,0—8,0 3,0—10,0 5,4 +0,15 6,6 +0,29 ets 1,08 + 2,09 | 20,0 31,67 1) Le. S. S2ff. Uber eine Mutation in einer reinen Linie von Hordeum distichum L. 61 Die Tabelle über die Längenmessungen an den Blattspreiten zeigt, daß am 25. April, also 32 Tage nach der Saat, jedes der vier gebildeten Blätter von Fg 3 durchschnittlich länger war wie bei Fg 2, und dies Messungsergebnis bestätigt die bereits angeführte subjektive Schätzung, die allerdings daraus irrtümlich auf eine raschere Jugend- entwicklung von Fg 3 schließen wollte. Doch ist zu bemerken, daß die festgestellten Unterschiede alle noch in die Fehlergrenzen (+ 3 m) fallen; sie sind nichtsdestoweniger vorhanden. Auch bei der zweiten Messung zur Zeit der Internodienstreckung zeigten die Fg 3-Blätter (Spreiten) ihr größeres Längenwachstum, das, abgesehen vom obersten Blatt, auch noch unmittelbar vor der Ernte festzustellen war. Die Unterschiede übersteigen den mittleren Fehler der Mittel um mehr als das dreifache (mit Ausnahme des vierten Blattes dritter Messung), so daß sie Anspruch auf entsprechende Be- achtung haben. Da bei der zweiten Messung Fg 3 vorwiegend sechs Blätter (Tabelle c) und Fg 2 annähernd zur Hälfte sechs und zur Hälfte sieben Blätter hatte, da ferner bei der Reife die Fg 3-Pflanzen zu zwei Dritteln sieben und einem Drittel sechs, dagegen Fg 2 zu zwei Dritteln sechs und einem Drittel sieben Blätter wie Internodien (das oberste Internodium trägt ja die Ähre) hatte, so entsprechen sich die Blätternummern der drei Messungen etwa in folgender Weise: Fg 2 bs 7 ey re I 2. NEE: | 5 6 | 7. Blatt} 1 2 3 4 KA 76: Blatt TS) Oe Tl | heat I | Messung . Its 2. 3- 4. I — _ I 2 4 =: | | | NZINZ| | | he taal Rabi „ = | — 1.| |2. 3.| |]4- = | = I. | 2 I] BASE I ar n a 1.| | 2.) 18: 4. I-|-—- I 2 a. 4.| Aus dieser schematischen Darstellung ist zu ersehen, daß bei Fg 3 fast immer das dritte Blatt bei der mittleren Messung als erstes, das vierte als zweites usw. gemessen wurde, während Fg 2 bei der zweiten Messung durchschnittlich schon mehr Blätter entwickelt hatte, so daß nur die Hälfte der mit der Messungsnummer ı bezeichneten Blätter dritte, die andere Hälfte aber bereits vierte Blätter waren. Dies Ergebnis zeigt, warum die subjektive Schätzung: Fg 2 entwickle sich anfangs langsamer als Fg 3, soweit die Folge der Blattentfaltung in Betracht kommt, auf einer Täuschung beruhte, die durch das größere Längenmaß der Blätter von Fg 3 veranlaßt wurde. 62 KieBling. Die Variationsbreite für die Blattspreitenlänge ist bei Fg 3 durch- schnittlich größer als bei der Ausgangsform; wenn das bei der ersten Messung nur beim zweiten Blatt zum Ausdruck kommt, so beruht dies jedenfalls auf dem stärkeren Blattverlust von Fg 3, der nach obiger Zusammenstellung (S. 55) besonders das erste und dritte Blatt betroffen hat, während das vierte wegen seiner noch unvollständigen Entwicklung, wie auch der größere Variationskoeffizient beweist, hier- bei nicht in Betracht gezogen werden kann. Die bei der zweiten und dritten Messung festgestellten mittleren Längsdifferenzen in den beiderlei Blättern sind recht erhebliche; von Interesse ist aber, daß das letzte (oberste) Blatt bei Fg 3 durchschnittlich kleiner geblieben ist als bei Fg 2; inwieweit das als Rassenmerkmal anzusprechen ist oder von dem bereits oben erwähnten Mangel an Bodenfeuchtigkeit gegen Ende der Vegetationsperiode beeinflußt war — Fg 3 hatte ja etwas mehr siebengliedrige Halme als Fg 2 und das letzte Blatt später entwickelt —, muß sich erst zeigen. Die Blattbreite (Tabelle b) ist bei Fg 3 durchschnittlich eben- falls viel bedeutender als bei der Mutterform; bei dieser sind aber vielfach die schmälsten Minusvarianten breiter als bei Fg 3. Aber die Differenzen der Mittel liegen meist noch innerhalb der Fehler- grenze; nur bei Blatt drei und vier der zweiten Messung wird das Dreifache des mittleren Fehlers der Mittel bedeutend überschritten. Da die Blattspreitenform beider Stämme nicht voneinander abweicht, so verfügt Fg 3 bei seiner größeren Endblattzahl und der größeren Länge und Breite der Blätter über eine weitaus größere Blattfläche als die Stammform, wodurch einerseits das Minus an Chlorophyll für die Leistung der ganzen Pflanze teilweise ausgeglichen wird, andrer- seits wohl auch der Gaswechsel trotz der geringeren Anzahl und Größe der Spaltöffnungen genügend gesichert erscheint. Betrachten wir z. B. das dritte Blatt nach den Ergebnissen der zweiten Messung (hier als erstes Blatt bezeichnet), und nehmen wir an, daß die Fläche der Blattspreite ungefähr zwei Drittel derjenigen eines Rechteckes gleicher Länge und von der Breite des Blattes darstellt, dann erhalten wir fir Fg 2: 205 <9,3 =< 2/3 =rund 1270 qmm und für Fg 3: 225 >= 9,6 >< 2/3 = 1440 qmm Blattfläche; der Unterschied in der Blattfläche gleicht nun die Differenz in der Anzahl der Spaltöffnungen annähernd aus, während durch die Vergrößerung der Blattfläche die Chlorophyll- körnerzahl pro Blatt noch nicht auf die gleiche Höhe gebracht wird). 1) Um einer mißverständlichen Auffassung vorzubeugen, sei ausdrücklich erwähnt, daß bei den weitgehenden Differenzen im gesamten Bau der Blätter weder aus der a ee ee ee eee eee Uber eine Mutation in einer reinen Linie von Hordeum distichum L. 63 c) Lange der Halmglieder — Klassenabstand: 5 mm. j Anzahl der [Minimum Maximum Mittel Standard- Variations- TERN mm mm abweichung koeffizient v Be —— —— — ———— — Fg 2\Fg 3] Fg 2 Fg2 | Fg3 Fg2 | Fg3 |Fg2\Fg3 Il. Messung 31. V Achsen mit 6 Blättern 1 28 |-46 | 10—40 | 10—35 | 25,4+1,49/ 26,4+0,68 | + 7,9 | + 4,6 | 31,11] 17,51 2 28 | 46 | 25—75 20—60 47,0+2,38 | 42,4+1,05 | +12,6 | # 7,1 | 26,87) 16,81 3 28 | 46 | 45— 130 | 55—110[| 101,3-4+3,82 | 88,4+1,96 | +20,2 | 13,3 | 19,95| 15,01 4 28 | 46 | 60—115| 40—ı25 | 89, 9+ 3,08 | 89,6+2,82 | +16,3 | +19,1 | 18,14 21,35 5 28 | 43 | 10—60 5—60 31,3+2,53 | 32,1+2,07 | +13,4 | +13,6 | 42,83) 42.44 Achsen mit 7 Blattern I 22 | 5 | 10-35 | 25—35 | 28,4+1,49 | 29,041,66 | + 7 | + 3,7 | 24,54] 12,06 2 22 5 30—65 10—55 43,2+2,35 | 42,0+3,62 | +11 + 8,1 | 25,58) 19,34 3 22 5 40—125 | 60—120] 91,1+4,82/ 88,0-+9,21 | +22,6 | +20,6 | 24,81) 23,41 4 22 5 95—125 | 100— 130 | 112,3 +1,47 |112,0+4,61 | + 6.9 9 | +10,3 | 6,11) 9,19 5 22 5 | 40—105| 50—80 61,1+3,24| 60,0+4,96 | +15,2 | +II,I | 24.79) 18,56 6 22 | 5 5—45 5—30 | 23,2+1,66| 17,044,16 | + 7,3 | + 9.3 | 33:49) 54,55 III. Messung 24. VII. 11. Achsen mit 6 Internodien I 32 | 14 7—70 | 13—89 | 43,8+2,76| 52,5+5,83 | +15,6 | +21,8 | 35,52| 41,48 2 32 | 14 70—109 | 6I—114] 97.241,40 | 93,2+3,05 | + 7,9 | +11,4 8,13} 12,27 3 32 | 14 7124| 97—115 | 105,2+ 1,52 |106,4+1,84 | + 3.6 + 6,9 | 7,19 6,51 4 32 | 14 | 116—258 | 103— 153 | 138,8 44,17 |138,2+4,01 | +23,6 | +15 16.97, 10,82 5 32 | 14 | 170— 295 | 149— 293 | 258,9+4,70 |245,4£10,8 | +26,5 | =40,1 | 10,25) 16,33 6 32 | 14 | 265—477 | 285—480] 400,6-+8.84 |400,6-+-13,55] +50 | +50,7 | 12,48) 12,65 Achsen mit 7 Internodien I 17 | 36 735 7—27 | 20,3+1,80| 16,9+0,99 | + 7,4 | + 5,8 | 36,26) 34,36 2 17 | 36 | 58—g9ı | 53—95 | 77,6#1,97 | 77,041,65 | + 8,1 | + 9,9 | 10,40) 12,75 3 17 | 36 | 9ı—ı03 75—119 | 102,941,63 | 99,4+1,37 | = 6.7 | + 8,2 | 6,47, 8,28 4 17 | 36 | 99—118 | 91—129] 107,7 +1,33 |107,8-+1,28 | + 5,5 | + 7,7 | 5,06) 7,12 5 17 | 36 | 140— 163 | 106— 156 | 148,5 + 1,94 |144,2+1,63 | + 8,0 | + 9,8 | 5.39 6.76 6 17 | 36 | 244—283 | 109—283 | 262,6+4,58 Kol, +18,9 | 20,6 | 4,14) 11,81 7 17 | 36 | 382—431 | 195—445 | 400,9+3,66 |393,.9+7,67 | +15,1 | #46 3,76 11,68 Die Messungen der Tabelle c über die Halmgliederlängen mußten ausgeschieden werden nach der Anzahl der Internodien der Pflanzen. Man sieht aus der Zusammenstellung, daß Ende Mai Fg 2 schon fast zur Hälfte sieben Blätter gebildet hatte, während um die Zahl der Spaltöffnungen noch der Chlorophylikörner zu weittragende Schlüsse über die physiologische Leistung (Assimilation wie Transpiration) der Blätter beider Formen zu ziehen sind. 64 Kießling. gleiche Zeit Fg 3 die Hauptachse noch vorwiegend sechsblättrig war. Auch waren die einzelnen Halmabschnitte bei der Stammform meist durchschnittlich länger und zeigten eine größere Variabilität in der Länge. An dieser Stelle sind auch einige Bemerkungen über die Ver- gleichbarkeit der bei der zweiten Messung gewonnenen Zahlen anzu- fügen. Im Stadium des ‚Schießens‘‘ der Getreidehalme, d. h. während der Streckung der Halmglieder, ist es genau genommen eigentlich unmöglich, die Internodien ohne Zerstörung der Halme zu messen, nachdem um diese Zeit die Gliedergrenzen äußerlich nicht sichtbar sind, wie auch noch nicht zu erkennen ist, wie groß die Gliederzahl überhaupt werden wird; die Anzahl ist aber für das Längenwachs- tum von größter Bedeutung. Auch die an den Blättern gemessenen Dimensionen unterliegen der Schwierigkeit, daß streng vergleichbare Blätter gleicher Höhe bei der vorliegenden Beobachtungsart nicht immer zu erfassen waren, sondern daß unter Umständen Blätter ver- schiedener Glieder zu einem Mittel zusammengefaßt sind. Darin liegt natürlich eine Fehlerquelle, nachdem ja dem Halm entlang eine Längenperiodizität der Blätter besteht!). Man konnte aber diese Schwierigkeit nicht umgehen, ohne das Beobachtungsprinzip zu ver- lassen, genau die gleichen Pflanzen und Achsen der wiederholten Untersuchung zu unterziehen. Deshalb sind die Zahlen der zweiten Messungsreihe mit der gebührenden Vorsicht zu verwerten, und dem Hinweis auf diese Verhältnisse soll auch die schematische Darstellung S. 61 wie die genaue Darstellung der Messungsweise und der Verzicht auf die botanisch richtiger> Bezifferung der Blätter nach ihrer Reihen- folge dem Halm entlang dienen. Die Gründe müssen auch für die- jenigen Differenzen in den Mittelzahlen der Halmgliederlängen beider Formen (zweite Messung) geltend gemacht werden, die den dreifachen mittleren Fehler der Mittel beträchtlich überschreiten. Die an den reifen Pflanzen festgestellten Zahlen zeigen, daß die Pflanzen gleicher Gliederzahl in der Länge des zweiten, dritten und vierten Internodiums bei beiden Formen im Durchschnitt wenig von- einander abweichen. Das fünfte Internodium ist aber (innerhalb der Fehlergrenzen) bei Fg 3 kürzer als wie bei Fg 2, ebenso das sechste und siebente bei den siebengliedrigen Pflanzen, während das oberste der sechsgliedrigen bei beiden Formen wieder gleichlang ist. Beim 1) Vgl. hierzu C. Kraus, Die Lagerung der Getreide. Stuttgart 1908, S. 67 (s. dort auch Literaturangaben); ferner A. Nowacki, Anleitung zum Getreidebau auf wissenschaftlicher und praktischer Grundlage, III. Aufl. Berlin 1899, S. 89. Uber eine Mutation in einer reinen Linie von Hordeum distichum L. 65 ersten Internodium haben die sechsgliedrigen Pflanzen von Fg 3 und die siebengliedrigen von Fg 2 höhere Werte ergeben, ohne daß aber auch hier die zweifellos vorhandenen Differenzen der zahlentechnischen Kritik völlig standhielten. Die Gesamtlänge der Internodien ist bei Fg 2 größer, wenn man jeweils an Gliederzahl gleiche Halme ver- gleicht (nur der Haupthalm in Rechnung gezogen): | Halmlänge Halmlänge | Halmlange sechsgliedrige Halme | Fg 2: 1044,5 | Fg 3: 1036,3 \ Gesamt- Fg 2: 1070 mm siebengliedrige Halme | Fg 2: 1120,5 | Fg 3: 1090,6 |{ durchschnitt | Fg 3: 1075 mm Zur Ergänzung dieser Angaben seien noch die bei nachträglicher Untersuchung der geernteten Pflanzen im Laboratorium erhaltenen Zahlen mitgeteilt, wie sie durch Messung der Länge aller Halme der beiden untersuchten Pflanzenreihen gefunden wurden. Halmlänge bei Fg 3: 630— 1180; Mittel 1034; 0—= + 97,9; v = 9,47 - Fg 2: 670—1190; Mittel 1018; o = + 96,1; v = 9,44- Demnach hat Fg 3, obwohl es mehr siebengliedrige Halme zeigte, doch die Ausgangsform durchschnittlich nur wenig, bei Berücksichti- gung der Nachschüsse überhaupt nicht in der Halmlänge übertroffen. Die etwas größere Blattzahl von Fg 3 hat wieder eine physiologische Bedeutung für ihre Assimilationsleistung und korrigiert ebenso wie die größere Einzelblattfläche den Chlorophyllmindergehalt, während sie ebenso wie diese unter Umständen die Ansprüche der Pflanzen an die Bodenfeuchtigkeit steigern wird!). Auch die große Individual- schwankung ist wohl nicht wunderlich; die Variabilität der Halm- länge, gemessen durch den Variationskoeffizienten, ist aber weitaus geringer als die der Internodienlänge, und hierin besteht ebensowenig wie in der Streuung ein größerer Unterschied zwischen den beiden Formen. Während also anfangs Juni Fg 3 trotz seiner längeren Blätter kürzere Achsen hatte als Fg 2, hatte sich dieser Unterschied bei der Reife nicht nur ausgeglichen, sondern es war Fg 3 durchschnittlich noch etwas länger im Halm geworden, wenn auch nicht so viel, als seiner etwas größeren Gliederzahl entspricht. Über die Bestockungsfähigkeit der beiden Zuchten sind be- reits an früherer Stelle einige Notizen gegeben, an die nochmals 1) Vgl. hierzu C. Kraus, Die Gliederung des Gersten- und Haferhalmes und deren Beziehung zu den Fruchtständen. Beiheft ı der Naturwissenschaftlichen Zeit- schrift für Land- und Forstwirtschaft 1905. Stuttgart bei E. Ulmer. Induktive Abstammungs- und Vererbungslehre, VII, 5 66 KieBling. erinnert sei. Demnach war die Stammpflanze von Fg 3 sehr gut be- stockt (acht ausgebildete Achsen); ihre gesamte Nachkommenschaft IgIo hatte durchschnittlich etwas weniger (2,78) ährentragende Halme als Fg 2-1910 (3,03), wogegen die Elitepflanzen von Fg 3 wieder etwas stärker bestockt waren als die von Fg 2 (4,1 gegenüber 3,2 Achsen). d) Achsenzahl von Fg 2 und Fg 3. Anzahl der [Minimum —Maximum Mittel Standard- Variations- Se Achsenzahl Achsenzahl abweichung | koeffizient Fg 2\Fg 3] Fgz Fg 3 Fg 2 Fg 3 Fg 2 Fg3 | Fg 2|Fg3 1. Messung | 50 | 52 I—4 I—4 2,92+0,08 | 3,0 +0,07 | +0,56 | +0,50 | 19,18) 16,67 25. IV. II. Messung 31.V. — 3.VI. Hauptachsen | 50 | 51 I—4 17 2,820.13 | 2,86+0,16 | +0,91 | +1,16 | 32,27| 40,55 Schößlinge 50 | 51 o—6 o—6 2,84+0,14 | 3,540.19 | +1,01 | +1,37 | 35,56) 38,70 III. Messung 24. VII. Hanptachsen | 50 | 51 0—4 I— 5 2.50+0,14 | 2,59+0,13 | +0,96 | +0,95 | 38.4 | 36,7 Schößlinge 50 | 50 c—6 c—7 2,70+0,18 | 3,74-0,20 | +1,27 | +1,39 | 47.04) 37,17 Die Tabelle d zeigt nun, daß Fg 3 schon Ende April etwas mehr Seitenachsen getrieben hatte, und dies Verhältnis blieb während der ganzen Wachstumszeit. In der Anzahl der völlig zur Ausbildung ge- langten Achsen ist der Unterschied weniger groß als bei den soge- nannten Nachschüssen, wo er die Fehlergrenzen der Mittel bedeutend überschreitet. Bemerkenswert, aber den sonstigen Erfahrungen bei Gerste entsprechend, ist die große Variabilität in der Bestockung. Die Tabelle e enthält eine größere Anzahl von Feststellungen an den reifen Pflanzen, die größtenteils erst nach der Ernte im Labora- torium gewonnen wurden; es wurden hier nur jeweils die zwei best- ausgebildeten ährentragenden Achsen untersucht. Demnach ist der Halm von Fg 3 durchschnittlich sehr wenig dicker!); da er aber länger und gleichzeitig absolut (ohne Blatteile gewogen) etwas leichter ist, so ist auch sein auf 1000 mm bezogenes Einheitsgewicht (relatives Halmgewicht) etwas geringer als dasjenige von Fg 2—Eigenschaften, deren Abweichungen von den Verhältnissen der Stammform wegen 1) Dicke, gemessen in der Mitte des zweiten oberirdischen Internodiums mit einem vom Verf. konstruierten Halmdickenmesser (angegeben in der Deutschen land- wirtschaftlichen Presse 1902 Nr. 47). Uber eine Mutation in einer reinen Linie von Ho-deum distichum L. 67 der Beziehungen dieser Maße zur Standfestigkeit der Getreide zunächst theoretisch als unerwünscht zu bezeichnen sind!). Die Länge der Ährenspindel, die in der Regel mit der Halmlänge korrelativ verbunden ist, zeigt nach den Messungen im Freiland an der Hauptachse wie an den besten zwei Achsen jeder Pflanze im Laboratorium bei Fg 3 höhere Werte?); ebenso scheinen — nicht regelmäßig — die Grannen dieser Zucht etwas länger zu sein als bei Fg 2, was nach dem allgemeinen Verhalten der Blattspreiten von Fg 3 wohl verständlich erscheint. Die Anzahl der Körner pro Ähre ist — wie dies auch die früher mitgeteilten Ermittlungen ergaben — bei Fg 3 etwas größer als bei Fg 2; da aber bei Fg 3 die Körner durchschnitt- lich etwas leichter (um 0,0016 g), die übrigen Ährenteile (Spindel und Grannen) dagegen größer sind als bei Fg 2, so muß sich die Gewichts- differenz zugunsten von Fg 3 stärker im Ährengewicht wie im Korn- ertrag nach Gewicht geltend machen. 1) Die theoretische Schlußfolgerung hat durch die Beobachtungen der großen Feldansaaten beider Stämme 1912 ihre volle Bestätigung erhalten, indem nach schweren Regengüssen die Fg 3-Parzellen viel früher und stärker lagerten als die mit Fg 2 bestandenen. 2) C. Kraus, l.c. 1905, S. 1orff. * 68 Kießling. e) ou nn na en Eee Eee nn Anzahl der gemessene aß- Minimum — Maximur Eigenschaft Hine ‘ Map ne einheit - - - Fg2 | Fg3 Fg 2 | Fg 3 Halmstarkeer ger GE ner © 93 92 mm 2,5 —4,2 | 1,9—4,. EIalmee wicht 5 ng bo Go a 6 = 93 92 g 0,33—1,41 | 0,192, an 6 J] g pro 1000 Relatives Halmgewicht 2 2 5 a gI 90 \ Nee | 0,40— 1,20 0,27—I, Spindellange (im Freien gemessen) Haupt- ACHSE Mr to ER Ob og 49 51 mm 33—87 28—95 Spindellinge (im Laboratorium gemessen == BINA) Gf Gy Aa 6 6 Su 4 5 92 89 in 32—89 26—094 Ähren mit Grannen gemessen (Feld) . . 49 51 ” 160—230 150—23 - as 5 n (Labor.) . gI gl - 166—227 148—23 Ahren ge wich er ee 93 92 g 0,45 — 2,21 0,29—2, Korngewicht der Ahres on nern 93 Sl 5 0,45— 1,88 0,25—1I, Anzahl der Ährchen: a) mit Korn. . . 93 92 Anzahl 11—30 8—31 5 A F ID) Ww G oo 93 92 ” 17: 5 one. || Ss 92 3 0—31,2 0—42 ei = 5 c) verkümmerte . 93 92 5 0—7 0—8 » %1) | 93 92 » 0—24,2 0—2; IÄhıchenstutener re: 93 92 in 16—32 14—33 Too) Korngewicht > ee. 93 QI g 4,07—6,28 3,12—6, ” 51 43 N-Gehalt der Korntrockensubstanz . . “4 (Pfl.) | (PfL.) % 1.515— 2,794 | 1,218—2, Die Dichtigkeit des Ährenbesatzes ist, ausgedrückt in Kornplätzen (D) wie in ausgebildeten Körnern (d) pro 100 mm Spindellänge, bei beiden Formen gleich, weil der Einfluß der größeren Spindellänge durch eine größere Ährchenzahl bei Fg 3 kompensiert wird; die Spindelinternodien beider Formen sind also praktisch gleichlang. Dies Ergebnis — durchschnittlich etwas mehr Spindelinternodien bei einer annähernd gleichen Länge — entspricht nicht ganz dem Halmaufbau, der bei Fg 3 ebenfalls etwas mehr Internodien, aber eine etwas geringere Durchschnittslänge derselben zeigt; doch kann diese gering- fügige Differenz auf den unvermeidlichen Messungsfehlern beruhen. Die durchschnittliche Ährenbekörnung SS wie auch die absolute und prozentische Anzahl der tauben Ährchen ist bei beiden Formen gleich; doch hat Fg 3 um eine Kleinigkeit (0,25 % der Stufen) mehr taube Ährchen am Grunde der Spindel. 1) Prozente der Kornplätze. Uber eine Mutation in einer reinen Linie von Hordeum distichum L. 69 €) : — — | — - — Klassen- Mittel Standardabweichung Variationskoeffizient abstand — — = — Fg 2 Fg 3 Fg 2 | Fg 3 Fg 2 | Fg 3 : 1 n : | 0,5 mm 3,5340,04 | 3,57 0,05 + 0,37 + 0,48 10,48 13,45 0,05 g 0,83 +0,02 0,80+0,02 + 0,21 + 0,22 25,30 27,50 0,05 g 0,78 +0,02 | 0,75 0,02 + 0,16 | + 0,16 20,51 21,33 | | | : 5 mm 71+1,53 | 73,3 &1,53 10,7 10,8 14,87 14,73 I 5 mm 65-+1,10 | 67+1,34 + 10,58 +12,6 16,28 18,81 Bs mm 203+1,81 | 209-F 1,93 + 12,7 + 13,8 6,26 6,60 5 mm 200+1,37 202-+1,52 13,1 | 514,5 6,55 7,18 0,05 g 1,22 +0,04 1,36 40,04 + 0,36 + 0,35 29,51 25,74 0,05 8 1,18+0,03 | 1,19 +0,03 + 0,2 | = 0,30 22.88 25,21 5 22,7 +0.44 23,8 +0,38 Sy | ah axe 18,50 15,13 I 2,6 +0,11 2,64-L0,11 =I, E + 1,02 2.31 38,64 = I 10,5 +0,59 10,5 +0,67 + 5,65 + 6,4 53,81 60,95 et 0,240,09 | 0,35-£0,11 + 0,85 + 1,04 354,16 297,1 I 1,8 +0,30 2,05 +0,38 + 2,88 + 3,6 160 175,6 I 25,0 +0,32 | 26,6 +0,36 + 3,1 + 3,5 12,11 13,16 0,05 g §,t00,05 | 4,94-+0,06 + 0,46 + 0,55 8,02 | 11,13 O1 9% 1,99-+0,04 1,87 40,05 + 0,32 + 03 16,08 16,04 | Der Stickstoffgehalt der Körner, bestimmt an je 20 Mittelkörnern (zo. bis 20. Ährchenstufe) der beiden bestausgebildeten Ähren jeder Pflanze, ist ıgıı bei Fg 3 etwas geringer, wie dies auch bei der Unter- suchung der übrigen Ernte von IgII zutage getreten ist. Im nassen Jahr 1910 war umgekehrt Einzelkorngewicht und Stickstoffgehalt bei Fg 2 geringer — auch wieder ein Beweis fiir die Abhangigkeit dieser Eigenschaften bei Gerste von der Sommerwitterung. Die durchschnitt- liche Differenz 0,12 > 6,25 —0,75% Rohprotein war aber ıgrı nicht sehr groß, wenn auch die absoluten Grenzen im Stickstoffgehalt sehr weit auseinander lagen (bei Fg 9,5—17,5 % und bei Fg 3 7,6—17,6 % Rohprotein). Von den 1912 nebeneinander angesäten Sekundasaaten (Linienvermehrungen) von Fg 2 (58 qm) und Fg 3 (7 qm) wurden die zuerst technisch gleichmäßig geputzten Körnerernten untersucht mit folgenden Resultaten: 70 KieBling. Sortierung | Korndicke durch Siebung bestimmt | 1000 Körner ı Hl ae _in % | wiegen g | wiegt kg 70 55255 2,5—2;8 | <(2,5 mm | | Fg 2 66,4 | 32.5 Xgl | 54,0 | 72,45 2,1774 Fg 3 434 | 52,8 38 | 50,7 7355 2,3353 Die Zahlen bestatigen das bereits oben festgestellte, etwas geringere Einzelkorngewicht von Fg 3, das auch in den durch Siebung be- stimmten Sortierungsergebnissen zum Ausdruck kommt. Äußerlich macht diese Gerste auch einen etwas gestreckteren und schwächlicheren Eindruck als Fg 2. Eine genauere Messung von je 200 Körnern mittels Flächentaster ergab folgende Abmessungen: | Lange Fg 2 8,0—9,9; Mittel = 9,05 + 1,71; 0 = + 2,41; v = 1,20 Fg 3 78—9,9; » =8,91 # 0,99; 0= + 1,40; v = 0,70 Breite Fg 2 3,05—4,15; Mittel= 3,76 +0,01; 0= +0,16; v= 0,82 Fg 3 3,20—4,10; » = 3,67 0,01; 0= 50,15; v=0,74 Dicke Lt Be ee ehe 2,6— 3,9; Mittel = 2,97 + 0,01; 0= # 0,16; v = 0,76 IS N ors Nol tote sei, Ae) totais 2,4—3,7; » = 2,86 + 0.01; 0= +0,17; v = 0,82 | Länge Breite | | Lange | Fg 2: 3,05 | 3527; A 2,40 MaBrelation (Dicke = 1) = EN | ie (Breite = 1) 1| en 5 3,12 2 2, Die Maße der Fg 2-Körner ergaben, entsprechend den Siebungs- und Schwerebestimmungen, also durchschnittlich etwas höhere Mittel- werte, während bei Fg 3 im Einklang mit der subjektiven Schätzung die Form schmächtiger (trotz geringerer Länge) ist. Die Stickstoffzahlen ergaben wieder das umgekehrte Verhältnis, wie an den Primaansaaten festgestellt, also daß, wie 1910, Fg 3 mehr Protein aufgespeichert hat wie Fg 2. Zufällig war die Sekundasaat auch auf einem etwas feuchteren und humusreicheren Teil des Ver- suchsfeldes angebaut als die Primareihen, so daß nun auf Grund der drei Vergleiche der Schluß begründet erscheint, daß Fg 3 im Stick- stoffgehalt der Körner stärker von den Wachstumsbedingungen be- einflußt wird, stärker modifizierbar ist als Fg 2, dessen Reaktion auf Uber eine Mutation in einer reinen Linie von Hordeum distichum L. 71 die Wachstumsbedingungen in einem geringeren Ausschlag der Eiweiß- aufspeicherung in den Körnern besteht, als dies bei Fg 3 der Fall ist. Die morphologischen Kennzeichen der Körner, die die Zugehörig- keit des Stammes Fg 2 zur Atterbergschen Formengruppe A von Hord. dist. nutans bedingen — Nervenbezahnung, Behaarung der Basal- borste und der Lodikulae —, sind bei Fg 3 ebenso ausgebildet wie bei der Stammform. Bezüglich aller in der Tabelle e angegebenen Ermittlungen ist zu erwähnen, daß die Differenzen der Mittel beider Formen so gering- fügig sind, daß sie noch in den Fehlerspielraum + 3 m fallen; der Beweis, daß es sich bei allen hier gemachten Angaben um wirkliche genotypische Unterschiede in der Modifizierbarkeit handelt, kann also, streng genommen, nur durch den Vererbungsversuch bezüglich der speziellen Reaktionsfähigkeit erbracht werden. Es zeigt sich nun allgemein, daß sehr große Variabilität besteht bei der Bestockung, dem absoluten und relativen Halmgewicht, dem Ähren- und Korngewicht pro Ähre, dann der Schartigkeit, absolut und bezogen auf Kornplätze; ferner natürlich bei wachsenden Teilen, wenn sie an einem bestimmten Tag verglichen werden (Länge und Breite der noch nicht voll ausgebildeten Blätter und Internodien), sowie bei der Länge des untersten Internodiums. Eine ziemlich große Variabilität (v —10—20) zeigen auch häufig noch das zweite Inter- nodium, das fünfte und sechste bei sechsgliedrigen, und das sechste und siebente bei siebengliedrigen Halmen; ferner Blattlänge und Blattbreite, der Stickstoffgehalt der Körner, sowie Halmdicke, Spindel- länge, Ährchenstufen- und Kornzahl pro Ähre. Die letzteren vier Merkmale haben an und für sich eine viel größere Variabilität und verdanken hier ihre Einreihung in die mittlere Gruppe nur dem Umstand, daß die Laboratoriumsuntersuchung nicht alle, sondern nur die beiden bestausgebildeten Achsen jeder Pflanze berücksichtigte. Innerhalb geringerer Grenzen schwankt Länge und Breite der aus- gebildeten mittleren Blätter, sowie die Länge der mittleren Halm- glieder und die gesamte Halmlänge, die Grannenlänge und das Einzel- korngewicht. Interessant ist, daß in der weitaus überwiegenden Mehrzahl der vergleichbaren Fälle die Variabilität bei Fg 3 größer ist als bei Fg 2; dies geht auch aus den Untersuchungen an den Elitepflanzen der verschiedenen Jahrgänge beim Vergleich der „wahrscheinlichen Fehler‘ (Schwankung) der Einzelbestimmungen deutlich hervor. * * 12 Kießling. Die vorstehende Schilderung zeigt nun, daß aus einer reinen Linie von zweizeiliger nickender Gerste im Verlauf der züchterischen Behandlung nach den bei uns üblichen Methoden der praktischen Pflanzenzüchtung eine neue Form entstanden ist, die sich von der Ursprungsform hauptsächlich in folgenden Punkten!) auszeichnet: Größere Anzahl der Bestockungstriebe; längere, breitere und dickere Blätter, also mehr Blattoberfläche und mehr Blattmasse; durchschnitt- lich höhere (oberirdische) Gliederzahl bei kürzeren Internodien, durch- schnittlich etwas größere Halmlänge; dickere Halme; durch längere Ahrenspindel und längere Grannen; durch hellere Farbe und geringeren Chlorophyligehalt der Blätter wegen geringerer Anzahl chlorophyll- haltiger Zellen und geringerer Anzahl von Chlorophylikörnern in der Zelle bei gleichzeitig größeren Dimensionen der Gewebselemente; durch größeren Wassergehalt der vegetierenden Teile; geringeres Halmgewicht im ganzen und auf die Längeneinheit berechnet; durch eine größere Anzahl von Blättern, Ährchenstufen und Körnern; durch anfangs geringeres und später größeres Längenwachstum der Sproßachsen; durch größere Kälteempfindlichkeit und andere Reaktion auf die Wachstumsbedingungen in bezug auf Korngröße und Korneiweißgehalt wie allgemein durch stärkere Modifizierbarkeit hinsichtlich der hier untersuchten Merkmale. Es fragt sich nun, wie ist das Auftreten dieser im äußeren und inneren Bau, in Entwicklung und Leistung abweichenden Form zu erklären? Die Versuchsakten weisen nach, und die angewandte Ver- suchstechnik garantiert für die Sicherheit dieses Nachweises, daß Fg 3 von der Stammpflanze Fg 2-ı901 abstammt. Die gesamte Nach- kommenschaft von Fg 2 zeigte bis 1908 niemals, weder in den vielen Individualansaaten des Zuchtgartens, noch in den größeren Feld- parzellen, die von einigen Quadratmetern Ausmaß angefangen bis zu Ansaaten von I ha Größe in verschiedenen Lagen des Versuchsfeldes und des übrigen hiesigen Gutsbetriebes verteilt waren, irgendwelche Abweichungen; der Stamm hatte sich also bis dahin als völlig konstant gezeigt. Nach Abspaltung der neuen Form haben seither die übrigen Zweige von Fg 2 in keiner Generation (weder die Primasaaten noch die verschiedenen Vermehrungsstufen) eine andere abweichende Form mehr ergeben, sondern weisen ohne Ausnahme den gewöhnlichen Linientyp auf. Von den verschiedenen Formen der Variabilität — Modifikation, Kreuzungsvariation, Mutation — kommt die erste Möglichkeit, daß 1) Unter Berücksichtigung der zahlenkritischen Momente. eee ee Über eine Mutation in einer reinen Linie von Hordeum distichum L. 73 hier eine Modifikation oder fluktuierende Variation von Fg 2 vor- liege, nicht in Betracht. Zweifellos gibt es bei allen Pflanzenarten und -stämmen, und so auch bei der Linie Fg 2 individuelle Ab- weichungen, die in bezug auf verschiedene der hier untersuchten und verglichenen Eigenschaften die Richtung Fg 2 2 Fg 3 einhalten. Es ist z. B. bekannt, wie die Intensität der Blattfarbe, die ja den zunächst auffälligsten Unterschied zwischen den beiden Formen dar- stellt’), von den Ernährungsverhältnissen, besonders mit Wasser und Stickstoff, auch von dem Verhältnis der mineralischen Nährstoffe zu- einander, ferner von den Temperatur- und natürlich besonders den Belichtungsverhältnissen abhängig ist. Ebenso schwankt der Wasser- gehalt der wachsenden Pflanzenteile, ihre Empfindlichkeit gegen Temperaturextreme, der Ablauf der vegetativen Entwicklung, die MaB- und Gewichtsverhältnisse usw. der einzelnen Pflanzenorgane innerhalb weiter Grenzen, wie ja auch die hier wiedergegebenen Mit- teilungen über die Modifikationskurven beider Formen eingehend dar- tun. Und wenn sich auch in bezug auf verschiedene der gemessenen Merkmale zeigt, daß sich der größte Teil des von ihren Fluktuations- kurven eingeschlossenen Areals deckt, so daß im einzelnen Fall häufig nicht entschieden werden kann, welcher der beiden Formen eine Pflanze zuzurechnen ist, und wenn auch die Differenzen der Mittel vielfach die Fehlergrenzen nicht überschreiten — so haben doch die vorstehenden Untersuchungen und die sonstigen Beobachtungen er- geben, daß die neue Form in allen untersuchten Eigenschaften eine Sonderstellung einnimmt und ihre eigene Modifikationskurve zieht, die sich von derjenigen der Ausgangsform mit aller Schärfe unter- scheidet. Als eine Modifikation von Fg 2 ist also Fg 3 nicht an- zusprechen, weil für einen Teil der abweichenden Eigenschaften schon die volle Vererbung, und für andre die spezifische Reaktion auf die Außenbedingungen erwiesen ist. Es wäre nun zu untersuchen, ob die Form Fg 3 vielleicht das Pro- dukt einer unbeabsichtigten oder unbeobachteten, sogenannten freien oder wilden Kreuzung darstellt. Die Möglichkeit wäre ja gegeben gewesen, da die ganze Reihe der Vorfahren von Fg 3, abgesehen von den Verhältnissen vor der züchterischen Bearbeitung, jeweils ohne besonderen Schutz vor Fremdbestäubung mitten unter anderen Zucht- 1) Diese Farbendifferenz ist so bedeutend, daß sie auf sehr beträchtliche Ent- fernungen wahrnehmbar ist. So können die inmitten eines Anbauversuchs von 130 Parzellen gelegenen Teilstiicke an Fg 3 (20 m lang und 2 m breit) gegenwärtig (Mitte Mai 1912) auf etwa 500 m Luftlinienabstand deutlich erkannt werden. 74 KieBling. linien und -sorten im Zuchtgarten wuchs. Auch ist zuzugeben, daß solche Nachbarbefruchtungen bei Gerste gelegentlich vorkommen können; denn wenn auch die Mehrzahl der Blüten von Hord. dist. nut. bei geschlossenen Spelzen abblüht und meist noch innerhalb der obersten Blattscheide!), so können die später geschlechtsreif werdenden obersten und untersten Mittelblütchen, oder bei zu raschem Schoßen auch sonstige Blüten der Mittelreihe offen blühen und damit fremdem Staub zugänglich sein. Aber es liegen doch nur recht wenig Beob- achtungen über solche Fremdbefruchtung vor?); bei dis’. nutans m. W. nur von W. Rimpau?) und E. von Tschermak*#), während zwischen vierzeiliger und zweizeiliger Gerste wiederholt — auch in Weihenstephan IgIO (vierzeilige Q > zweizeiliger d Wintergerste) — eine geschlechtliche Beeinflussung wahrgenommen wurde. Ich möchte aber, wie auch v. Tschermak andeutet, ausdrücklich erwähnen, daß dieser Mangel an Beobachtung noch lange nicht beweist, daß freie Kreuzungen zwischen verschiedenen zweizeiligen Gersten wirklich so selten vorkommen; ich habe auch bei künstlichen Kreuzungen zwischen meinen verschiedenen Gerstenstammen gefunden, daß die Kreuzungs- produkte von morphologisch einander ähnlichen Elternformen entweder gar nicht oder nur äußerst unsicher nach ihrem Äußern zu klassifizieren sind, und daß hier die schönsten, an wohlunterscheidbaren Formen aufgestellten Kreuzungsregeln nichts nützen, weil sie mangels greif- barer Unterschiede der Individuen in F, usw. nicht zur Auszählung der Frequenzen verwendet werden können. Im vorliegenden Falle halte ich es aber trotzdem für ausge- schlossen, daß Fg 3 in der Folge einer solchen Kreuzung aufgetreten ist. Denn es wurde nur einmal diese Form beobachtet — in den Schwesterzweigen der Linie wurde trotz eingehender Inspektion auch nicht eine einzige abweichende Pflanze gefunden —, und die seit 1909 vollständig und ohne Ausmerzung auch nur eines einzigen Individuums nachgezogenen Abkömmlinge der ersten Ausgangspflanze haben weder 1gIo (erste Nachkommenschaft) noch ıgıı in irgendeiner Weise An- zeichen einer „Variation durch Neukombination‘ (nach E. Baur?) gezeigt. 1) Vgl. C. Fruwirth, Die Züchtung der landw. Kulturpflanzen IV. B., 2. Aufl. (Berlin 1910) S. 241. EN MU ICH Sb, aly fe 3) Kreuzungsprodukte landw. Kulturpflanzen. Landw. Jahrbücher 1891. 4) Deutsche landw. Presse 1909. S. 149. 5) E. Baur, Einführung in die experimentelle Vererbungslehre (Berlin 1911) S. 186. Uber eine Mutation in einer reinen Linie von Hordeum distichum L. 75 Würde eine Fremdbefruchtung vorliegen, so könnte diese z. B. 1907 bei einem einzigen Blütchen erfolgt sein. Aus dessen Frucht wäre dann 1908 die Pflanze erwachsen (F 1), deren Körner die zweite Nachkommenschaft Fg 2c-1gog hervorbrachten (F 2). Diese ganze Nachkommenschaft war aber gleichartig; nur ein Nachkomme war abweichend und lieferte die Pflanze, während die übrigen Nachkommen der F 2-Generation lediglich den Typus der Linie repräsentierten. Auch die Annahme, daß die Fremdbestäubung erst 1908 erfolgt sei, und die Mutterpflanze von Fg 3—Fg 2c-1909 stelle die aus den Bastardkörnern erzogenen heterozygotische Generation F ı vor, führt nicht zum Ziel, weil dann die F 2-Generation 1910 oder F 3 ıgıı irgendwelche Andeutungen von Spaltungen hätte zeigen sollen. Man könnte also eine heterozygotische Entstehung von Fg 3 nur unter der Voraussetzung theoretisch annehmen, daß eben kein Fall von Mendelismus vorliegt, sondern daß der mit neuen Eigenschaften auf- getretene Bastard sofort konstant war. Und diesen Schluß möchte ich nicht ziehen, auch deswegen nicht, weil die Feststellung der Vater- schaft zu völlig negativen Ergebnissen führen müßte. Wir haben auf unserm Versuchsfeld bisher niemals eine Gerstensorte und noch weniger im Zuchtgarten eine Linie gebaut, die mit der neuen Form Fg 3 auch nur die geringste Ähnlichkeit hätte, und die also für die Über- tragung der auffälligsten habituellen Eigenschaften in Betracht käme; ich habe bisher überhaupt keine Gerstensorte von den Eigenschaften der Zucht Fg 3 kennen gelernt. — Mit dieser letzterwähnten Fest- stellung entschwindet auch der Verdacht, daß etwa eine mechanische Vermischung, die Einsprengung eines fremden Korns in die Zuchtsaat, für das Auftreten von Fg 3 verantwortlich zu machen wäre. Nach diesen Negationen bleibt nur die eine positive Annahme übrig, daß die Form Fg3 durch Mutation im Sinne von De Vries?) aus der reinen Linie Fg 2 hervorgegangen ist. Die inneren Verände- rungen, die schließlich zur Evidenz in der Pflanze Fg 2a Ernte 1909 geführt haben, müssen schon bei deren Mutterpflanze eingesetzt haben, weil bei der ganzen Nachkommenschaft von Fg 2i Ernte 1908 eine etwas andere Haltung (Neigung der Blätter) festgestellt wurde. Es ist aber ausdrücklich hervorzuheben, daß diese Pflanzen keinesfalls etwa schon den Typus von Fg 3 gehabt hätten, und insbesondere fehlte die auffällige Hellfärbung und das stärkere Blattwachstum, die beide nicht zu übersehen sind, sondern sie lieferten — mit der einzigen 1) H. de Vries, Die Mutationstheorie (Leipzig 1911). 76 KieBling. Ausnahme der vorliegenden Stammpflanze von Fg 3 — eine völlig typische Fg 2-Nachkommenschaft. Nur die einzige I9Io in den Zucht- garten gekommene Körnerreihe von der Pflanze Fg a hatte die neue Eigenschaft völlig ausgeprägt. Wenn als Kriterium für das Vorliegen einer Mutation angeführt wird die Plötzlichkeit des Auftretens aus — in der Regel — unbekannten Ursachen und volle Vererblichkeit der abweichenden Merkmale, oder nach E. Baur andere Reaktions- fähigkeit auf die Außeneinwirkungen!) als die Stammsippe zeigt, dann dürfte das hier zutreffen. Die besondere Kategorie der Mutation: Verlust oder Neuerwerb von einer oder mehreren Erbeinheiten, ist erst noch festzustellen, zu welchem Zwecke Kreuzungsversuche ein- geleitet sind. Über die Ursachen der Veränderung ist nichts zu sagen. Abzu- weisen ist zunächst die Meinung, daß es sich um einen Selektions- erfolg handeln könne. Allerdings wurde die Urstammpflanze Fg 2 nach ganz bestimmten, vom landwirtschaftlichen Standpunkt aus zweckmäßigen Gesichtspunkten ausgewählt; ebenso wurden von deren Nachkommenschaft alljährlich wieder die dem Zuchtziel am besten entsprechenden Pflanzen (gleichmäßige Bestockung und typische gleichmäßige Ausbildung der einzelnen Organe, Halmfestigkeit, hohe Leistung, niedriger Eiweißgehalt usw.) zur Weiterzucht ausgewählt. Aber die Mutation erfolgte ja gar nicht in der Richtung der Selektion, sondern ganz unabhängig davon; und ein Teil der geänderten Merk- male — geringerer Chlorophyll- und hoher Wassergehalt, Frost- empfindlichkeit, Verlängerung des Halmes (Beziehung zur Standfestig- keit), Vermehrung und Differenzierung der Bestockung (Beziehung zur Gleichmäßigkeit in der Kornausbildung) stärkere Modifizierbarkeit hinsichtlich der meisten Eigenschaften (Beziehung zur Erzielung gleich- heitlicher Bestände und Kornqualitäten) usw. — liegt sogar dem Zuchtziel und damit der Selektionsrichtung genau entgegengesetzt, während andre, z. B. die Veränderung der Halmgliederzahl, Ver- größerung der Blattoberfläche, Änderung des Vegetationsrhythmus usw. dafür wieder mehr oder weniger gleichgültig sind, soweit sie nicht indirekt die Leistung beeinflussen. Als positive Verbesserung im Sinne der züchterischen Auswahl wäre nur die Erhöhung der Ährchen- und Körnerzahl einer Ähre zu nennen. Es ist allerdings noch nicht ausgemacht, ob nicht noch die eine oder die andere der untersuchten oder der sonstigen differenzierten DEE Baur, Inc tS Anyi Uber eine Mutation in einer reinen Linie von Hordeum distichum L. 77 Eigenschaften der neuen Gerstenform praktisch wertvoll ist, was sich erst im Laufe mehrjähriger Beobachtung bei feldmäßigem Anbau unter den Bedingungen der landwirtschaftlichen Technik erweisen muß — aber das würde zu keiner Einschränkung des Satzes führen, daß mit Ausnahme der Bekörnung keine der geänderten Eigenschaften durch die achtjährige Selektion im Stamm Fg 2 direkt herbeizuführen gesucht worden war. Es ist auch nicht möglich, eine indirekte Wirkung der Selektion nachzuweisen, da die abgeänderten Eigenschaften nur teilweise mit den bei der Selektion berücksichtigten Merkmalen zu- sammenhängen. Es wäre noch zu besprechen, ob es sich um eine Verlust- mutation oder um eine solche progressiven Charakters handelt. Man könnte z. B. die Ansicht vertreten, daß eine Abschwächung der Fähigkeit zur Chlorophyllbildung als Grundursache vorlage; die Ver- mehrung der assimilatorischen Flächen könnte dann als Selbstregu- lation, die Erhöhung des Wassergehaltes und die Verminderung der Spaltöffnungen als Mittel für die Regulation und die Änderung des Entwicklungsrhythmus als die Folge dieser kombinierten Änderungen aufgefaßt werden. Wenn die Mutation auf Verlust eines einzigen Faktors zurückzuführen wäre, so käme unter den von E. Baur auf- gestellten Kategorien der Verlustmutationen die erste (,,Verlust eines Faktors in einem in diesem Faktor heterozygotischen Individuum‘) nicht in Betracht, weil die zweimaligen Ansaaten der Körner keine Spaltung ergaben. Aus dem gleichen Grund ist die vierte Kategorie (‚Verlust eines Faktors in der Keimzelle‘) hier nicht zuständig. In die zweite Kategorie (‚Verlust eines Faktors in einer in diesem Faktor heterozygotischen Pflanze‘‘) gehört der Fall ebenfalls nicht, weil nach der zehnjährigen Beobachtung die Ausgangslinie keinerlei Andeutung von einer heterozygotischen Zusammensetzung ergeben hat. Bliebe also nur die Möglichkeit, daß die dritte Kategorie (‚Verlust des Doppelfaktors in einer in diesem Faktor heterozygotischen Pflanze‘‘) vorläge — was aber vorläufig nicht zu entscheiden ist. Ebensowenig ist es möglich, eine andre Entscheidung zu treffen; man könnte ebensogut die Änderung des Entwicklungsrhythmus oder die Vermehrung und Vergrößerung der Blätter als positiven Neuerwerb betrachten, der die übrigen Differenzierungen ausgelöst hätte. Von Interesse scheint aber die Beobachtung zu sein, daß die besondere Richtung dieser Variation unter den hiesigen Verhältnissen (Weihen- stephan — oberbayerische Hochebene) schon wiederholt beobachtet wurde. So unterscheidet sich schon die Stammlinie Fg 2 von sonstigen 78 KieBling, Uber eine Mutation in einer reinen Linie usw. Gerstenstimmen und -sorten eben durch größere Blattmasse und hellere Farbung der Blatter, ebenso wie durch einen langeren Halm. Der durch bestimmte Eigenschaften charakterisierte Fichtelgebirgshafer vergrößert, wenn er einige Zeit hier (Weihenstephan) gebaut wird, seine Blätter in Länge und Breite, die gleichzeitig ein helleres Grün annehmen; Halm, Rispenspindel, Spelzen und Frucht werden eben- falls länger; das Jugendwachstum energischer. In einer reinen Linie aus dieser Sorte wurde ebenfalls die Entstehung der „neuen Form‘ viel beobachtet, wobei andre Zweige der gleichen Linie, wie hier bei Fg 2—3, ebenfalls die alte, typische Form beibehieltent). Vorläufig ist die Wahrscheinlichkeit für Verlust oder Neuerwerb einer oder mehrerer Erbeinheiten gleich groß; ich hoffe aber in ab- sehbarer Zeit durch die eingeleiteten Kreuzungsversuche darüber einige Klarheit zu bekommen. Leider werden sich hierbei die Fälle wohl nur bezüglich einiger der hier untersuchten Differenzen analysieren lassen, während bei der Mehrzahl die Transgression der Merkmale jede Auszählung unmöglich macht. 1) Vgl. hierzu C. Kraus und L. Kießling, Vierter und fünfter Bericht der Kgl. Suatzuchtanstalt in Weihenstephan 1906 und 1907. Vierteljahresschrift des Bayer. Landwirtschaftsrates 1907 und 1908; ferner C. Kraus, Ziichtungen von Gerste und Hafer l.c. S. 555 ff. Bemerkungen zur Vererbung des Geschlechts- polymorphismus. Von RICHARD GOLDSCHMIDT (Miinchen). Ein Tatsachenkomplex, der in der neueren Literatur tiber die Ver- erbung des Geschlechts eine gewisse Rolle spielt, ist der besonders bei Schmetterlingen studierte Geschlechtspolymorphismus, der meist darin besteht, daß innerhalb einer Art zu einer Männchenform mehrere Weib- chenformen gehören, oder auch in selteneren Fällen das Umgekehrte. Es liegen bereits einige Zuchtangaben über solche Formen vor, die es gestatten, über die Art ihrer Vererbung Schlüsse zu ziehen. Meine eigenen noch nicht abgeschlossenen Untersuchungen über den gleichen Gegenstand haben mich nun zu einer Interpretation der betreffenden Tatsachen geführt, die mir den bisherigen vorzuziehen scheint. Da sie sich ohne weiteres aus den Resultaten meiner in dieser Zeitschrift B. 7) veröffentlichten Untersuchungen über die Vererbung der sekundären Geschlechtscharaktere ableiten läßt und die in der Literatur bereits vorliegenden Daten völlig genügen, sie zu erläutern, so sei darüber jetzt schon einiges mitgeteilt, bevor ich sie mit neuen Tatsachen er- harten kann. Die bisher näher studierten Fälle beziehen sich einmal auf die Falter Colias philodice und Colias edusa, sodann auf den tropischen Papilio memnon?). Beiden Objekten ist gemeinsam einmal ein aus- gesprochener Geschlechtsdimorphismus, indem 9 und Q sich typisch im Kleid unterscheiden, sodann ein weiblicher Polymorphismus. Bei Colias gibt es außer dem gelben GO zwei Weibchenformen, gelbe und 1) Erblichkeitsstudien an Schmetterlingen I. 2) GEROULD, J. H. The inheritance of Polymorphism and Sex in Colias Philodice. Amer. Nat. 45. 1911. DE MEIJERE, J. C. H. Über Jacobsons Züchtungsversuche usw. Dies Zeitschrift B.r3. 1910. Ders. Über getrennte Vererbung der Geschlechter. Arch. Rassenbiol. ıgt1. 80 Goldschmidt. weiße. Bei dem Papilio gehören zu dem immer gleichen Männchen sogar 3 Weibchenarten, Achates, Agenor, Laomedon genannt. Die von GEROULD und DE MEIJERE studierten Vererbungserscheinungen dieser Formen haben nun übereinstimmend ergeben: 1. Wie die Kreuzung auch sei, die ausgeführt wird, stets bleiben alle d d normal, also gelb bei Colias, Memnontypus bei Papilio. 2. Die Männchen können aber unsichtbar die Färbung der verschiedenen Weibchentypen besitzen und übertragen, und zwar bei Papilio nur zwei von den drei möglichen Formen. 3. Die 2 oder 3 Weibchentypen treten bei den verschiedenen Kreuzungen in Proportionen auf, die auf eine einfache Mendelspaltung hinweisen. Aus diesen Tatsachen hat man nun verschiedenartige mehr oder minder komplizierte Interpretationen abgeleitet. Es seien von ihnen nur die erwähnt, die von den ursprünglichen Autoren gegeben wurden. GEROULD schließt, angeregt von CASTLE, aus seinen Studien an Colias, daß hier ein Fall vorliegt, der sich dem bekannten Typus der Vererbung der Hornlosigkeit von Schafen anschließt. Die weiße Flügelfärbung ist eine Eigenschaft, die im männlichen Geschlecht re- zessiv und im weiblichen dominant ist. Heterozygote 9 sind daher weiß, heterozygote G aber gelb. Es folgt daraus, daß die Kreuzung zwischen einem homozygoten gelben © x heterozygotem gelbem © ebenso wie heterozygotes weißes © x homozygotes gelbes J lauter gelbe dG und zur Hälfte gelbe und zur Hälfte weiße © erzielen muß, was der Fall ist. Werden nun aber heterozygote Individuen beider Geschlechter gekreuzt, so müßten nach dieser Annahme erscheinen: 25% gelb-homozygote beider Geschlechter, 50% gelbweiß hetero- zygote, die dann nach obiger Annahme des Dominanzwechsels im weiblichen Geschlecht alle weiß, im männlichen alle gelb sein müßten, und 25% homozygote weiße beider Geschlechter, also auch weiße GC. Es müßten erscheinen im männlichen Geschlecht 3 gelbe : 1 weißes, im weiblichen aber 3 weiße : 1 gelben. Tatsächlich sind aber alle 3 wieder gelb und nur die Weibchen zerfallen in gelbe und weiße, und zwar annähernd doppelt so viele weiße als gelbe. Es muß daher die Hilfsannahme gemacht werden, daß homozygote weiße Individuen lebensunfähig sind (Analogie mit gelben Mäusen) und zugrunde gehen, bevor die Entwicklung abgeschlossen ist. Benutzen wir zunächst diesen Fall, um unsere Interpretation dem gegenüber zu stellen. Es kann wohl keinem Zweifel unterliegen, daß die in Frage stehenden Eigenschaften der Flügelfärbung zu dem Begriff der sekundären Geschlechtscharaktere gehören. In jedem Fall haben die Weibchen stets die charakteristische weibliche Flügelzeichnung Bemerkungen zur Vererbung des Geschlechtspolymorphismus. 8ı (breiter, durchbrochener dunkler Rand), die Männchen aber die männ- liche Zeichnung (schmaler, dunkler Rand). Nur die Grundfarbe ist in beiden Fällen gleich. Wenn somit, sagen wir durch Mutation, Weib- chen mit weißen Flügeln entstehen, so bedeutet das, daß eine Mutation innerhalb der weiblichen sekundären Geschlechts- charaktere aufgetreten ist. Ihre Vererbung muß natürlich dann aus dem Modus der normalen Vererbung der sekundären Geschlechtscharaktere hervorgehen und genau so verlaufen, wie wenn zwei Varietäten gekreuzt werden, die sich nur in einem sekundären Geschlechtscharakter eines Geschlechts unterscheiden. Meine Untersuchungen über die Vererbung der sekundären Ge- schlechtscharaktere haben mich nun zu einer Formel geführt, die in der Tat auch die Vererbung des Geschlechtspolymorphismus ohne weiteres erklärt. WennG der Faktor für weibliche sekundäre Geschlechts- charaktere ist und A der für männliche, so lautet die Formel bei Tieren, bei denen das weibliche das digametische Geschlecht ist: GGAa=0, GGAA = d, also jedes Geschlecht hat die Faktoren des anderen, und A ist epistatisch über G. Es wurde dort weiterhin ausgeführt, daß die Vererbung des Geschlechts dementsprechend nach der Formel FFMm = ©, FFMM = vor sich gehen muß, und daß F undG und ebenso M und A gemeinsam vererbt werden (im gleichen Chromosom enthalten sind), so daß die ganze Formel laute: FFGGMmAa = Q , FFGGMMAA = G, oder besser geschrieben: (FG)(FG)(MA)(ma) und (FG)(FG)(MA)(MA). Tritt nun bei einem solchen Tier eine gewöhnliche Mutation auf, so wird sie als dominante oder rezessive nach. Mendelschen Gesetzen vererbt. Tritt eine Mutation auf innerhalb des Geschlechtsvererbungskomplexes (also, konkret aus- gedrückt, innerhalb eines der den obigen Faktoren als Vehikel dienenden Chromosome), so wäre sie in obiger Formel einer Klammer einzureihen: die Mutation P könnte also die Formel ergeben: (FG)(FG)(MAP)ma, aber auch jede andere Kombination. Eine solche Mutation muß selbst- verständlich geschlechtsbegrenzt vererbt werden nach einem der be- kannten Typen, wie leicht im einzelnen abzuleiten ist. Nun kann aber auch noch eine Mutation innerhalb des Faktors G oder A auf- treten. WennG z. B. gelbe Flügel mit breitem schwarzem Rand erzeugt, so kann es sich durch Mutation in G! verwandeln, das weiße Flügel erzeugt, die sonst unverändert bleiben. Was ist nun der Fall, wenn innerhalb des Faktors für die weiblichen sekundären Geschlechtsorgane eine dominante Mutation auftritt? Durch eine solche Mutation und ihre Bastardierungen können folgende Induktive Abstammungs- und Vererbungslehre. VIII, 6 82 Goldschmidt. Formen entstehen, wenn wir nunmehr der Einfachheit halber aus den Formeln die Geschlechtsfaktoren F und M selbst fortlassen und mit G1 den von gelb zu weiß mutierten Faktor G bezeichnen: . GIG Aao . GlGlAa O . GIG AAS . GIGIAA G I und 3 sind also mit weiß heterozygote Tiere, 2 und 4 darin homo- zygote Individuen. Da G! über G dominiert, so sind beiderlei Weib- chen weiß. Da aber bei den Männchen A über G epistatisch ist, so ist es völlig gleichgültig, ob G oder Gl vorhanden ist, die Männchen können immer nur gelb bleiben. Damit ist ohne weiteres klar, warum in diesem und allen anderen analogen Fällen niemals Männchen mit der mutierten Eigenschaft durch Kreuzung entstehen können: Wir brauchen keinen Dominanzwechsel mit dem Geschlecht, denn G1 ist auch beim cd dominant, kann aber wegen des epistatischen A ebensowenig in Erscheinung treten, wie irgendein anderer weiblicher sekundärer Geschlechtscharakter. Da, wo theoretisch bei der Kreuzung in G! homozygote 3 Gd entstehen sollen, brauchen wir nicht anzunehmen, daß sie lebensunfähig sind, denn auch sie müssen ja gelb bleiben. Es erklärt sich also der Hauptcharakter jener Vererbungserscheinungen ohne weiteres als notwendig be- dingt durch den Erbmechanismus der sekundären Ge- schlechtscharaktere, innerhalb dessen die Mutationen ent- stehen, die den geschlechtlichen Polymorphismus bedingen. Das Prinzip des Colias-Falls ist damit ohne weiteres klar. Welches sind nun die Konsequenzen im einzelnen? Ein in der Natur gefangenes weißes © dürfte meist im Faktor G! heterozygot sein. Mit einem ge- wöhnlichen gelben d gekreuzt ergibt sich daher: GIGAa x GGAA weißes 9 gelbes d Gameten: GIA GA GA Gla Ga Kombinationen: 1GGIAA + IGGAA + 1GGlAa + 1 GGAa heterozyg. gelbes 9 | gelbes d weißes 9 gelbes O Die Männchen sind alle gelb, die Weibchen weiß oder gelb im Ver- hältnis 1:1. Das erhielt in der Tat GEROULD. Ein normales gelbes Q mit einem heterozygoten gelben dG ergibt: OQ DH 5 Bemerkungen zur Vererbung des Geschlechtspolymorphismus. 83 GGAa x G1GAA gelbes Q heteroz. gelbes 3 Gameten: GA G1A Ga GA Kombinationen: I GAGIA x I GAGA x I GlAGa x I GAGa Das ist genau das gleiche wie in der vorhergehenden Kreuzung, wie es auch GEROULD erhielt. Würde nun heterozygotes d mit dsgl. weißem Q gekreuzt, so er- gäbe es: G1GAa x GIGAA weißes Q heterozyg. gelb 3 Gameten: GlA GIA GA GA Gla Ga 4 Kombinationen: I GlAGlA I GAGIA I GlAGA I GAGA für weiß homozyg. heterozyg. heterozyg. gelbes gelbes 9 gelbes 3 gelbes J 3 GlAGla GAGla GlAGa GAGa homozyg. heterozyg. heterozyg. gelbes Q weißes 9 weißes © weißes Q Es entstehen somit nur gelbe J, von denen aber 14 in dem hypo- statischen Weiß homozygot ist, ?/ darin heterozygot und 14 rein gelb; von den Weibchen sind aber 3%, weiß und !/, gelb und von ersteren wieder 1/4 homozygot. GEROULD erhielt nun tatsächlich nur gelbe d und mehr weiße als gelbe Q. Die Zahlen sind aber viel näber bei 2:1 als 3:1. Dem kann aber keine sehr große Bedeutung zugemessen werden, denn in der Mehrzahl der betreffenden Kulturen kamen nur minimale Zahlen zur Beobachtung. An Stelle von I00—150 Individuen aus einem Gelege finden sich im Durchschnitt der Kulturen nur etwa 50 und in vielen nur 5, 6, 7, 10, 120. (In 13 von 19 Zuchten finden sich weniger wie 25 ©.) Die Sterblichkeit muß also, besonders bei den © Q, sehr groß gewesen sein. (Das bedeutet natürlich keinen Vorwurf, denn jeder Schmetterlingszüchter weiß davon zu erzählen. Mir sind gerade jetzt in einer wichtigen Kultur trotz sorgfältiger Pflege aus- schließlich 3 geschliipft.) Es existiert aber in der Literatur ein Fall, in dem HARRISON und MAIN 2) bei Colias edusa aus Eiern eines weißen 9 150 Individuen großzogen, davon 79 gewöhnliche G und 52 weiße zu 1g gelbeQ, also sehr genau 3:1. Daß dies Zahlenverhältnis bei 1) Zitiert nach GEROULD. 6* 84 Goldschmidt. größeren Zuchten zum Vorschein kommen würde, ist daher nicht zu bezweifeln. In dieser Kultur mußten nun homozygote weiße © 9 und im hypostatischen Weißfaktor homozygote weiße G entstehen. Die Weiter- zucht zahlreicher Kopula müßte dafür den Beweis erbringen. Es müßten dann nämlich folgende Möglichkeiten verwirklicht werden: I. GIGIAA x GGAa homozyg. 3 normale © Resultat: GIGAA == G1IGAa also gelbe d und nur heterozygote weiße ©. 2. GIG AA x GIGAa homozyg. 3 heterozyg. © Resultat: GIAGIA + #£GIAGA + GlAGla + GlAGa homozyg. heterozyg. homozyg. heterozyg. gelbes d gelbes d weißes © weißes © also wieder gelbe G und nur weiße ©. 3. GIGIAA x G1GlAa homozyg. 3 homozyg. Q Resultat: G1G1AA I EIER homozyg. gelbe J weiße © Also wieder das gleiche Resultat, aber mit dem Unterschiede, daß ein solches Pärchen in Inzucht gezogen immer wieder nur gelbe Gd und weiße Q erzeugte: es läge ein konstanter Geschlechtsdimorphismus _,,gelb- weiß“ vor. ‚ Die gleichen 3 Kombinationsmöglichkeiten würden sich natürlich mit einem in weiß homozygoten © ergeben, wobei, wie nicht besonders aufgeschrieben zu werden braucht, sich dieselben Kombinationen er- geben. Von diesen Kombinationen findet sich nun bei GEROULD bis jetzt keine. Das ist aber auch nicht merkwürdig, da die Schwierigkeit, Tagfalter nach Belieben zu kopulieren, ein systematisches Arbeiten mit ihnen sehr erschwert. Ich selbst züchte daher zu gleichen Zwecken ein in dieser Beziehung besseres Objekt, den Bären Parasemia planta- ginis. Hier ist allerdings dasG das polymorphe Geschlecht, was be- deutet, daß die Mutation innerhalb des Faktors A sitzt. Die Resultate stimmen bisher mit unserer Interpretation, sind aber noch nicht publi- kationsreif. Nun bleibt noch ein Punkt übrig. GEROULD gibt eine Reihe von Fundorten an, an denen in der Natur sehr selten auch weiße G beob- achtet wurden; er hat sie aber noch nicht zur Zucht erhalten. In seiner Interpretation ist natürlich für sie schlecht Platz. Bei unserer Inter- Bemerkungen zur Vererbung des Geschlechtspolymorphismus. 85 pretation bereiten sie keine Schwierigkeiten. Entweder sind es ge- wöhnliche Mutanten, die unabhängig von den sekundären Geschlechts- charakteren sich bilden: dann sind sie nicht weiter interessant, da sie eine gewöhnliche Mendelvererbung ergeben werden. Oder aber sie sind selbständig entstandene Mutanten, bei denen ausnahmsweise die Mu- tation am A-Faktor anstatt am G entstand, heißen also AlAGG oder AlAIGG. Ihr Vererbungstypus läßt sich dann ohne weiteres ableiten. Man darf auf solche Zuchten sehr gespannt sein. Und nun zum Fall des Papilio Memnon ! Falls hier der weibliche Polymorphismus auf dem gleichen Prinzip beruht, so folgt daraus folgendes: Hier wie dort kann das Männchen nur in einer Form erscheinen, da die Mutation am hypostatischen Faktor G sitzt. Es gibt 3 Weib- chenformen, die auf dem Vorhandensein von 2 Mutationen beruhen. Laomedon ist die Grundform, Agenor und Achates die beiden Mutationen. Da nur zwei Faktoren G vorhanden sind, so kann sowohl ein d wie ein Weibchen maximal die Faktoren für zwei dieser Mutanten enthalten. Ist G der Faktor, der die sekundären Geschlechtscharaktere des © vererbt und in dem auch die Flügelzeichnung des Grundtypus Lao- medon enthalten ist, so können wir die Mutation an G, die zu Agenor führt, als G! bezeichnen und den zu Achates mutierten Faktor als G?. Es sind dann folgende Gametenbeschaffenheiten möglich, bei denen die G immer wie Memnon aussehen, bei den Weibchen aber die Domi- nanz entscheidet, wobei Achates > Agenor und Agenor > Laomedon: 3 Q I. AAGG 7. GGAa = Laomedon 2. AAGIGI 8. GlGlAa = Agenor homozyg. 3. AAG2G2 9. G?G?Aa = Achates homozyg. 4. AAGGI Io. GGlAa = Agenor mit Laom. heterozyg. 5. AAGG2 II. GG?Aa = Achates mit Laom. heterozyg. 6. AAGIG2 12. G1G?Aa = Achates mit Agenor heterozyg. Daraus läßt sich nun ohne weiteres ableiten, was bei der Fort- pflanzung dieser Formen geschehen muß: I. © Laomedon Nr. 7 x | I = nur Laomedon 9 GGAa xd 2 = nur Agenor Q mit Laom. heterozyg. xd 3 = nur Achates Q mit Laom. heterozyg. xd 4 = M Laom. 9: % Agenor 9 (heteroz. Laom.) x35 = % Laom. 9: % Achates Q (heteroz. Laom.) x 30 6 = M Agenor Q (heteroz. Laom.): % Acha- tes © (heteroz. Laom.) I 86 Goldschmidt. 2. Q Agenor Nr. 8 G1GlAa = nur Agenor © mit Laom. heteroz. = nur Agenor 9 = nur Achates Q mit Agenor heteroz. = nur Agenor Q, die Hälfte mit Laom. heteroz. = halb Achates © heteroz. mit Agenor, halb Agenor © heteroz. mit Laom. halb Agenor 9, halb Achates heteroz. mit Agenor = nur Achates Q heteroz. mit Laom. = nur Achates Q heteroz. mit Agenor nur Achates Q = nur Achates Q halb heteroz. mit Agenor halb mit Laom. x 6 5 = halb Achates, halb Achates heteroz. mit Laom. x 6 6 = halb Achates, halb Achates heteroz. mit Agenor. 4. Q Agenor Io x I = halb Laomedon, halb Agenor heterozyg. mit Laom. GGlAa x G 2 =alle Agenor, zur Hälfte heteroz. mit Laom. xd 3 =alle Achates, halb heteroz. mit Laom., halb mit Agenor x G 4 = halb Laomedon, halb Agenor heteroz. mit Laom. x0d 5 = Y, Laomedon, Y, Agenor heteroz. mit Laom., Y, Achates heteroz. mit Laom., Y, Achates heteroz. mit Agenor xG6=¥ Agenor, 4, Agenor heteroz. mit Laom., Y, Achates heteroz. mit Laom., Y, Achates heteroz. mit Agenor 5. Q Achates Nr. 11 xG1 = % Laomedon, % Achates heteroz. mit Laom. GG2Aa x G 2 = % Agenor heteroz. mit Laom., % Acha- tes heteroz. mit Agenor x 6 3 = lauter Achates, zur Hälfte heteroz. mit Laom. x3 4 = U, Laomedon, Y, Agenor heteroz. mit Laom., Y, Achates heteroz. mit Laom., 4, Achates heteroz. mit Agenor x G5 = 3, Achates, davon 2/4 heteroz. mit Laom., Y, Laomedon PS Pah bed Pad x CNiloy@hie, Cy en — TeHlelworior BwWNH ll WN H | a On II x 3. Q Achates Nr. 9 G2G2Aa x X X X Bemerkungen zur Vererbung des Geschlechtspolymorphismus. 87 x 3 6 = 34 Achates, davon Y, mit Laom. und Y, mit Agenor heteroz., 1% Agenor heteroz. mit Laom. 6. Q Achates Nr. 12 x G1 = \% Achates heteroz. mit Agenor, 1, Age- nor heteroz. mit Laom. G1G2Aa x G2 = % Agenor, 1/, Achates heteroz. mit Agenor x 3 3 =alle Achates, zur Hälfte heteroz. mit Agenor x 3 4 = \% Agenor, davon Hälfte heteroz. mit Laom., % Achates, davon Hälfte hete- roz. mit Laom., Hälfte mit Agenor xd5 = % Achates, davon ein Drittel mit Agenor und eins mit Laom. heteroz., 1, Agenor heteroz. mit Laom. x 3 6 = % Achates, davon zwei Drittel heteroz. mit Agenor, Y, Agenor. Ganz allgemein folgt aus dieser Ubersicht: Ein Laomedon Q kann sämtliche Formen entweder allein oder mit irgendeiner anderen zu- sammen produzieren. Ein Agenor Q kann nicht ausschließlich Lao- medon erzeugen, sonst alle Kombinationen, wobei, wenn alle 3 Formen auftreten, Achates die Hälfte ausmachen und bei 2 Formen das Verhältnis stets I:1 ist. Ein Achates 9 kann bei nur einer Art von Nachkommen- schaft nur solche der Achates-Form haben, im übrigen alle Kombinationen, worunter auch %4 Achates : Y, Agenor sich finden kann. Unter den von DE MEIJERE mitgeteilten Zuchten JACOBSONs findet sich in der Tat keine, die dem widerspricht, alle passen sie in dies Schema, wenn auch viele bei dem Mangel systematischer Zucht fehlen. Die Erklärung, die DE MEIJERE den Tatsachen gibt, klingt nun allerdings zunächst ganz anders. Nach ihm besitzt jedes 3 zwei Gene, welche seine eigene Flügelfärbung und Gestalt bestimmen, MM, und außerdem zwei weitere für den weiblichen Flügel, die gleichartig oder ungleichartig sein können, also LL oder LAg oder AchAg usw. Da bei den Weibchen sich die Dominanz- reihe Achates > Agenor > Laomedon findet, so können die Q Q AchAch, AchAg, AgL usw. heißen. Wahrscheinlich besitzen aber die Weibchen auch die Anlage des Männchenkleides und heißen somit genau wie die Männchen MMAchAg usw. Bei der Kreuzung vererben sich die beiden Geschlechter getrennt, jedes für sich nach Mendelscher Regel, DE MEIJEREs „getrennte Vererbung der Geschlechter“. Sein Schluß ist: „Die sekundären Geschlechtsmerkmale des einen Geschlechts sind also in dem anderen unsichtbar vorhanden, aber dennoch wie jede sichtbare 88 Goldschmidt, Bemerkungen zur Vererbung des Geschlechtspolymorphismus. Eigenschaft durch je zwei Determinanten vertreten, welche nicht gleich zu sein brauchen und sich bei der Vererbung in ganz derselben Weise benehmen wie die Determinanten der sichtbar getragenen Eigen- schaften. Das Männchen enthält nicht eben im allgemeinen die Anlagen der weiblichen Eigenschaften, sondern, wie aus dem Verhalten von P. Memnon hervorgeht, diejenigen eines ganz bestimmten Weibchens.‘“ Genau betrachtet besagen unsere Interpretationen nun allerdings das gleiche, nur glaube ich, daß die meine den Vorzug hat, die allgemeine Formel für die Vererbung der sekundären Geschlechtscharaktere mit dem speziellen Fall einer Mutation in deren Bereich in Verbindung zu bringen und damit eine ganze Gruppe von Erscheinungen einem einfachen Mendelschema einzuordnen. Es wäre anregend, zu versuchen, die vorgeführte Interpretation auch auf andere Fälle anzuwenden, in denen die mendelistische Er- klärung bisher mit geschlechtsbedingtem Dominanzwechsel rechnen mußte. Das gilt insbesondere für die Vererbungserscheinungen ge- wisser Krankheiten des Menschen, Bluterkrankheit usw. Für diese Krankheiten ist u. a. charakteristisch, daß sie eine Reihe verschiedener Vererbungsformen zeigen können, die aber stets innerhalb eines Stamm- baums beibehalten werden. Ich kann mir eine einfache Erklärung dafür unter dieser Annahme vorstellen: Die stets dominante Mutation, die die Krankheit erzeugt, kann im Bereich verschiedener Erbfaktoren auftreten. Einmal kann sie somatisch erscheinen und wäre daher mit einem Faktor K zu bezeichnen, der einfache mendelistische Ver- erbung zeigen muß. Dann kann sie in Verbindung mit den Geschlechts- faktoren F und M auftreten, die dann (FK) oder (MK) hießen, und dann ergäbe sich ein Typus der gewöhnlichen geschlechtsbegrenzten Ver- erbung. Oder aber die Mutation betrifft den Faktor G oder A, der dann G1 oder Al hieße, und dann wäre ihre Vererbung aus obigem Schema abzuleiten, wobei je nach der Epistase das männliche oder das weib- liche Geschlecht (GIGAA und GGA1A!) der selbst gesunde Krankheits- überträger wäre; dann sind natürlich noch alle Kombinationen der ver- schiedenen Typen denkbar. Eine Durchführung dieser Gesichtspunkte ist mir aber an den mir zugänglichen Stammbäumen noch nicht ge- glückt, so daß ich von weiteren Erörterungen zunächst Abstand nehme. Die Variabilitat der Oenothera Lamarckiana und das Problem der Mutation. Von N. HERIBERT-NILSSON (Landskrona, Schweden). Einleitung (Hierzu Tafel 3—5.) Inhaltsverzeichnis. I. Die eignet: aes Be Typus . Orientierende Versuche . & Näher untersuchte Differenzen le von iG: re - ie, . Farbe der Blattscheiben . Höhe der Pflanzen . . Zahl der Narben . . una iS) Farbe der Blattnerven . Form der Blüten . . Sind dices Differenzen von Bedewtung für de atescune ner een Eine die Mutation dirigierende Differenz . Die Diskontinuität der Mutanten . ob Parallelmutanten und Mutantengruppen . . II. Die Variabilität des Riesentypus = Vergleichung einer von mir erhaltenen, eenie me der 0. ee DE VRIES Noch eine ee ao eine > Abstufung Enischen Gi Lig thaahe Ruane und O. gigas darstellt. Sawin the Die Variabilitat der O. gigas in meinen ee 1909— 1910 . Die Nachkommenschaft der gigas-Varianten . O. gigas als Durchschnittstypus. Die Variabilität der Komb. 7 in den Kulturen 1909— 1910 4 Die Rotnervigkeit innerhalb von Komb. 7 und die Wirkung der ee den Eigenschaft auf den Riesentypus Analyse des Riesentypus . . Abweichende, nicht erbliche en DeEalb ie ORS > III. Artkreuzungen . : 6 IV. Kritik der Versuche von DE ee Einwendungen gegen die von DE VRIES benulzte le Methode Die neuen Eigenschaften der Mutanten sind von quantitativer Natur Die Konstanz der Mutanten Die Mutabilität in den verschiedenen Kultere n Das Mutationsprozent Die Mutationskreuzungen V. Schlußbemerkungen Zusammenfassung . Kiteratur . . Tafelerklärung Doppelmutanten and Periakonfanten 136 140 143 146 160 163 168 183 185 191 IQ! 193 195 196 197 . 200 . 208 2216 222 23% go Heribert-Nilsson. Einleitung. Als DE VRIES 1901 mit seiner Mutationstheorie hervortrat, wurde diese mit den größten Hoffnungen empfangen und mit besonders großem Interesse aufgenommen, da sie den entscheidenden Beweis dafür zu liefern schien, daß eine Neubildung von Elementararten mit neuen progressiven Eigenschaften heutzutage stattfände und sich experimentell verfolgen ließe. Das Problem der Artbildung wurde also von einer ganz neuen Seite in Angriff genommen, und dieses gab einen kräftigen Impuls zu experimentellen Forschungen über das Ent- stehen der Arten, und aus diesem Gesichtspunkte kann man sagen, daß die Mutationstheorie eine Epoche in der biologischen Forschung bildet. Die gleichzeitig mit der Aufstellung der Mutationstheorie auch von DE VRIES (gleichzeitig mit CORRENS und TSCHERMAK) wieder erweckte MENDELsche Forschung hat jedoch während des seitdem ver- gangenen Decenniums unsere Auffassung von der Natur der Variation ganz umgeändert und ist, dank ihrer exakten Methode, der Forschungs- zweig geworden, welcher sich den breitesten Weg gebahnt und die stattlichsten Erfolge gezeitigt hat. Durch diese Forschung, die ja den Zweck einer Analyse von den Erbeinheiten der Arten und nicht nur von ihren morphologischen Eigenschaften hat, ist man hinter ver- schiedene Tatsachen gekommen, die auf eine frappante Weise an das Mutationsphänomen erinnern. Daher ist es auch klar, daß die Mutationstheorie nicht unange- fochten geblieben ist, und es ist ganz natürlich, daß die Einwendungen, die gegen dieselbe gerichtet worden sind, hauptsächlich von MENDEL- scher Seite stammen!). Erst waren es BATESON und SAUNDERS, die 1902 darauf hinwiesen, daß wir im Entstehen der Mutanten ein Phänomen haben, sehr ähnlich der analytischen Variation bei der Mendelspaltung, d. h. der Zerfall eines Bastardproduktes in seine Kombinationstypen (7). Sie wiesen auch auf die partielle Sterilität der O. Zamarckiana als eine Tatsache hin, die für die Hybridnatur der Art spreche?). — LOTSY 1) Im folgenden erwähne ich nur einige der Forscher, welche sich über die Natur der Variation bei O. Lamarckiana geäußert haben und nicht alle diejenigen, welche das Mutationsproblem im allgemeinen berührt haben. 2) Dieses Argument hat seine Bedeutung verloren, seitdem GEERTS gezeigt hat, daß im allgemeinen partielle Sterilität die Lythraceen auszeichnet. — Übrigens scheint diese auf allzu reichlicher Ausbildung von Samenanlagen zu beruhen, so daß später die Samen durch Raummangel in ihrer Entwicklung gehemmt werden. Ge- wöhnlich sind die Kapselfächer ganz voll von Samen, aber zwischen den vell ent- wickelten gibt es immer eine große Anzahl unentwickelter. Die Variabilität der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. gI schloß sich in seiner eingehenden Kritik der Mutationstheorie (1906) dieser Erklärung an und zeigte mehrere Schwierigkeiten, zu welchen DE VRIESschen Schlüsse führen, speziell hinsichtlich der inkonstanten Mutanten und Mutationskreuzungen. — Schon I903 hatte PLATE die Meinung ausgesprochen, daß O. Lamarckiana zu den systematisch polymorphen Arten gehöre, womit er meinte, daß die typische Lamarckiana sowie die Mutanten stets vorkommende Typen seien, wie etwa bei den sozialen Insekten [165]. Später (I908) hat er diese Ansicht fallen lassen und sich der BATESON-SAUNDERSschen an- geschlossen [168]. Dabei hat er auch bemerkt, daß man méglicher- weise in der O. Lamarckiana mit einem „every sporting variety‘ zu tun habe, wie ungefähr in dem von DE VRIES untersuchten Anzir- rhinum majus var. luteum rubrostriatum. Die Einwendung, daß die Mutanten der O. Zamarckiana nur . Extreme von einer rein quantitativen Plus-Minus-Variation der Stammart seien, ist von WELDON und der Biometrischen Schule ver- fochten worden. — Auch WEISMANN (1904) hebt in seiner ausführ- lichen Diskussion der Mutationstheorie hervor, daß die „plötzlich in die Erscheinung tretenden sprungweisen Abänderungen vor langer Hand . her im Keimplasma, und zwar durch Germinalselektion vorbereitet sind (S. 275)“. Er wies auch darauf hin, daß die Stammform sehr variabel ist, d. h. eine besonders große fluktuierende Variation zeigt, und daß dieses für einen engeren Zusammenhang zwischen Variation und Mutation spricht. — Dieselbe Auffassung findet sich auch bei TOWER [194]. Er faßt seine Ansichten von DE VRIEs’ Mutationen in folgender Weise zusammen: “DE VRIES maintains, that the “mutants” of Oenothera ar in all directions, wich may bee true; but, after exa- mining his work and seeing the various ‘‘mutants” growing, I should say, that they were not in all directions, but in two chief directions, and that the mutation consists in plus and minus changes of the parental characteristics” (S. 307—308). BOULENGER hat beim Studium verwilderter Onotheren stets ge- funden, daß es nicht möglich war, eine Grenze zwischen O. biennis und Lamarckiana zu ziehen, weil ihre Charaktere transgredierten [14]. Von der Variation der O. Lamarckiana sagt er, daß sie nicht nur einzelne Mutanten, sondern eine endlose Reihe von Formen erzeugt (“an assem- _blage of specimens showing endless variation in every direction”). Er ist der Ansicht, daB O. Lamarckiana durch Kreuzung verschiedener Formen von 0. dennis entstanden ist. — Möglich ist jedoch, daß sein Beobachtungsmaterial, dessen Herkunft nicht bekannt war, aus einer 92 Heribert-Nilsson. Kreuzung von O. Lamarckiana >< biennis abstammte. Diese Kreuzung hat sich in meinen Kulturen hinsichtlich der Blütencharaktere gespalten (vgl. S. 186), und könnte möglicherweise in kommenden Generationen eine ähnliche Variationsserie gebent). GATES hat die verschiedenen Ursachen erörtert, die das Ent- stehen von DE VRIES’ Mutanten erklären könnten. So sagt er (47, S. 108): “It seems necessary to conclude, that the phenomena of mutation as described by DE VRIES in the genus Oenothera are either due to O. Zamarckiana being some peculiar type of hybrid in wich the earlier crosses are appearing again in comparatively rare numbers; or on the other hand that some process of differentiation, the most probable seat of wich is the germ plasm, has led to the production of distinct types of germ cells differing in chromosome morphology and in hereditary value. The middle ground, the assumption that these various mutants are merely the widely fluctuating variations of the original O. Zamarckiana, is believed to bee no longer tenable”. Von diesen Ursachen der Mutation scheint ihm die zytologische die größte Wahrscheinlichkeit fiir sich zu haben (vgl. S. 211—213). Auch LECLERC DU SABLON hat sich denen angeschlossen, die sich für die Hybridnatur der ©. Lamarckiana ausgesprochen haben, und er hat auch zu erklären versucht, wie die Mutanten entstehen und warum sie so selten sind. Dabei stützt er sich auf Unter- suchungen von BATESON über die Spaltung der Farbe der Blüte und der Form der Pollenkörner bei Lathyrus odoratus, welche ein von den MENDELschen Zahlenverhältnissen abweichendes Resultat ergaben (gametic coupling), ferner auf die Tatsache, daß gewisse Kombi- nationen nicht möglich sind (spurious allelomorphism). Seine Er- klärung der Mutation basiert also auf einer rein theoretischen Über- legung. Wenn wir es wirklich mit derartigen von gewöhnlicher MENDEL-Spaltung abweichenden Verhältnissen zu tun haben, ist wohl noch fraglich, jedoch nicht unwahrscheinlich; sicher läßt sich aber gewiß nicht die Variation bei O. Lamarckiana in ein so einfaches Schema einordnen, wie er meint. 1) DE Vries hat selbst gegen BouLENGER diesen Einwand gemacht [213]. Da er indessen den Bastard Lamarckiana % biennis als einen konstanten betrachtet und zu zeigen versucht, daß eine Rückkreuzung desselben mit den Eltern entweder einen der Elterntypen oder den Bastard wiedergibt, so scheint es mir nicht möglich, mit dieser Auffassung die rein quantitative Variabilität, die BouLENGER beobachtet hat, zu erklären. Spaltet dagegen der Bastard Lamarckiana x biennis, so ist natürlich nichts einzuwenden. Die Variabilität der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. 93 HONING ist durch Studium von den bei der Kreuzung von O. biennisQ > Lamarckiana 3 entstehenden /aeta- und velutina-Typen zu dem Resultat gekommen, daß O. Lamarckiana ein Doppelindividuum ist, welches in sich rubrinervis-Eigenschaften enthält, die bei der er- wähnten Bastardierung ausgelöst werden und den ve/utina-Typus bilden, während die eigentlichen Zamarckiana-Eigenschaften den daeta-Typus bilden. Ebenfalls sei O. rudrinervis ein Doppelindividuum, das in sich Zamarckiana-Eigenschaften enthält. „Das ,Quantum‘ Zamarckiana in O. rubrinervis ist lange nicht so groß als das ‚Quantum‘ rudrinervis in O. Lamarckiana.“ Durch diese Untersuchungen ist es also nach- gewiesen worden, daß O. Lamarckiana die Eigenschaften bereits ent- hält, welche die ‚progressive‘ Mutante vzdrinervis kennzeichnen sollten, und HONING meint auch, daß DE VRIES durch seine Untersuchungen der Zwillingsbastarde seine Mutationstheorie nicht gekräftigt hat. Den experimentellen Beweis für die Hybridnatur der O. Zamarkiana hat DAVIS beizubringen versucht. Seine Untersuchungen gehen darauf aus, diese Art durch Kreuzung von ein paar anderen Oenothera-Arten (0. biennis und grandiflora) synthetisch hervorzubringen, und dieses ist ihm einigermaßen gelungen. Auf diese äußerst interessanten und wichtigen Untersuchungen werde ich später wieder zurückkommen. Hier will ich nur noch hinzufügen, daß DAVIS auch glaublich zu machen sucht, daß ©. Zamarckiana niemals ein Komponent in der wilden amerikanischen Flora war, und in Europa erst dann erschienen ist, als erwiesenermaßen O. biennis und O. grandiflora eingeführt worden waren, und wahrscheinlich in einem botanischen Garten entstanden ist. Die fundamentalste Einwendung gegen DE VRIES’ Versuche scheint mir JOHANNSEN gemacht zu haben, wenn er auch selbst diese Einwendung für rein formell halt. Sein Einwand ist der, daß ,,der Ausgangspunkt der DE VRIESschen Kulturen nicht genügend ‚rein‘ war. Es wurden 9 Exemplare direkt aus dem Freien geholt und, soweit es ersichtlich ist, wurden die Nachkommen dieser Pflanzen nicht dem VILMORINschen Prinzipe gemäß getrennt (92, S. 446—447)“. Hieran knüpfe ich meine Überlegungen. Denn welche unerwartete Variation man bei Kreuzung von zwei verschiedenen Formen, auch wenn sie dem äußeren Aussehen nacheinander gleichen, erhalten kann, das zeigt in überraschender Weise die MENDELsche Forschung der letzten Jahre. Daß dem Prinzip der reinen Linien gefolgt wird, ist also die erste und unbedingte Forderung, welche man bei Unter- suchungen der Mutabilität aufstellen muß. Man muß von einer homozygotischen Form ausgehen. 94 Heribert-Nilsson. Die Frage, ob O. Zamarckiana von Hybridnatur ist, scheint mir also nicht von so großer Bedeutung, wie die folgende: Ist sie eine einheitliche Art (Elementarart) oder eine poly- morphe Art (Kollektivart)? Oder, man formuliert die Frage noch besser so: Gibt es innerhalb dieser Art Differenzen in bezug auf eine oder mehrere Eigenschaften? DE VRIES sagt hierzu: „Die Pflanze variierte in fast allen ihren Organen und Eigenschaften fluktuierend.“ Da er jede fluktuierende Variation für nicht erblich hält, ist es ganz natürlich, daß er nicht für nötig erachtet hat, Rück- sicht auf diese zu nehmen. Distinkte Formen hat er nicht gefunden und er sieht in ©. Zamarckiana eine Elementarart mit nur der erb- lichen Variabilität, welche sich in den Mutanten äußert. Die gleiche Ansicht findet sich auch bei MAC DOUGAL und seinen Mitarbeitern. Auch diese haben nicht in seinen großen Kulturen im Botanischen Garten New Yorks eine erbliche Variabilität in der Art beobachtet. So sagt MAC DOUGAL (134, S. 5I): “That this species has remained unchanged during a period of a hunderd and sixteen years is estab- liched beyond doubt, and renders the matter of its nativity of com- peratively little importance as to the standing of the mutants derived from it. Perhaps no plant is known, in which the purity of strain has been so critically examined as LAMARCKs evening-primrose’”. Auch andere Oenothera-Forscher wie GATES, SCHOUTEN, DAVIS und HONING erwähnen keine Polymorphie der Art, abgesehen von den Mutanten. I. Die Variabilität des Lamarckiana-Typus. Orientierende Versuche. Im Jahre 1907 fing ich mit einem Anbau von O. Lamarckiana an, welche ich im Herbst vorher in einem Garten in Almaröd (im südlichen Schonen) gefunden hatte. . Es wuchsen da etwa fünfzig Pflanzen, die alle einen gemeinsamen Typus repräsentierten und aus zwei ursprünglichen im Garten gepflanzten Rosetten abstammten. Daß die Pflanzen zu O. Lamarckiana zu rechnen waren, zeigten gleich die großen Knospen und Blüten und die langen Griffel, welche die Staubfäden erheblich überragten. In diesen Charakteren lag keine Variation vor, die von den Eigenschaften der Art abwich und nach OÖ. biennis transgredierte. Wie schon erwähnt, hat BOULENGER das Gegenteil davon gefunden. Die Variabilität der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. 95 Ich habe auch in den späteren Kulturen keine Variation nach O. biennis feststellen können, sondern jetzt nach 5 Generationen Amsterdam Sippe). Rosetten von O. Lamarckiana aus Samen vom botanischen Garten (DE VRIES' I. Textfig. sind die Pflanzen von demselben Durchschnittstypus, typische O. Lamarckiana. Die oben erwähnten Blumencharaktere hat außer O. Lamarckiana auch O. grandiflora, aber durch deutliche Rosette, 96 Heribert-Nilsson. Blätter mit Buckeln, vierkantige Knospen und feste, dicke Kelch- blätter, die neben kurzen feinen Haaren auch lange grobe zeigten (vgl. GATES 57), unterschied sich mein Oenotkera-Typus von O. grandiflora. Eine andere Frage ist indessen, ob dieser Zamarckiana-Typus vollkommen mit demjenigen übereinstimmt, welcher das Material für DE VRIES’ Versuche lieferte. Das wird wohl nicht der Fall sein. Im vorigen Jahre hatte ich Gelegenheit, meine Pflanzen mit Rosetten zu vergleichen, welche aus Samen vom Botanischen Garten in Amster- dam — also wohl von DE VRIES’ Kulturen — stammten. Es zeigte Textfig. 2. Ausgewachsene Rosette von O. Lamarckiana (weißnervig) aus der Sippe des Verf. sich, daß diese eine mehr ausgeprägte Tendenz zur Zweijährigkeit hatten, da sie im Rosettenstadium verblieben, während die gleichzeitig ausgepflanzten Rosetten von meinem Zamarckiana-Typus zum größten Teil erblühten. Die Rosetten aus Amsterdam wurden bedeutend größer und blattreicher als die meinigen. (Vgl. Textfig. ı und 2.) Ferner erschien die Blattform ein wenig abweichend. Auch in bezug auf die Blütengröße und die Pigmentierung scheinen sie nicht überein- zustimmen, ein Umstand, den ich — da keine von den Amsterdamer Pflanzen erblühte — nur nach DE VRIES’ Beschreibungen beurteilen kann. Er gibt die Länge der Blütenblätter von seinem Lamarckiana- Typus auf 30—40 mm an, während dieselbe bei meinem 40—50 mm, Die Variabilitat der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. 97 bei zweijährigen Pflanzen sogar noch etwas mehr betrug. Die Knospen waren im Gegensatz zu dem, was bei DE VRIES’ Typus der Fall zu sein scheint, auf einem großen Teil ihrer Oberfläche recht stark braun- rot pigmentiert. Die Früchte hatten vier breite, ziemlich tief rote Pigmentlinien. Als ich die in dem erwähnten Garten gefundenen Pflanzen durch- musterte, um zu sehen, ob es möglicherweise unter ihnen Mutanten gäbe, zogen zwei Individuen, die nebeneinander standen, meine Auf- merksamkeit auf sich, weil zwischen diesen deutliche Differenzen in der Blattform, Blattbreite und Beschaffenheit der Blattspitze vor- handen waren, Unterschiede, die mir zu ausgeprägt schienen, um auf einer bloßen Zufälligkeit zu beruhen. Die Samen dieser beiden Individuen wurden 1907 gesondert für sich ausgesät, und schon die Keimlinge der Deszendenten wurden sehr genau beobachtet, da ich sehen wollte, ob auch zwischen ihnen Differenzen vorlägen. — Die Aussaat erfolgte den 12. Januar 1907. Ind. I. Die ersten Keimpflanzen zeigten sich den 17. Januar; ihnen folgten in kurzen Zwischenräumen andere. Den 26, Januar war die Anzahl auf 56 gestiegen. Ind. II, Eine einzige Keimpflanze zeigte sich den 21. Januar; ihr folgten andere, aber weit langsamer als bei I. Den 26. Januar waren erst 7 sichtbar. Die Samenschale selber durchbrach selten die Erde und fiel dann bald ab. Die Samenschale folgte den Kotyle- donen über die Erde, saß wie eine Haube über denselben, auch dann, als die Keim- pflanze eine Höhe von 5 mm oder darüber erreicht hatte, und blieb mehrere Tage sitzen. Kotyledonen lebhaft grün, im Anfang schwach rotgelb, etwas glänzend. Kotyledonen graugrün, nicht glänzend, gleich beim Ausschlagen stark rotgelb gefärbt. Wie man sieht, waren Differenzen sowohl in der Zeitdauer des Keimens als in der Farbe der Kotyledonen vorhanden. Nun mußte ich aber schon im Januar meine vergleichenden Beobachtungen ab- brechen, und erst im Mai sah ich meine Kulturen wieder. Es fanden sich da blattreiche, ziemlich große Rosetten, welche keine deutlichen Differenzen zeigten. Die Abkömmlinge der beiden Individuen wurden bei der Verpflanzung auseinander gehalten, aber auch die im Laufe des Sommers voll entwickelten und blühenden Pflanzen schienen keine deutliche Differenz hinsichtlich der ausgewählten Merkmale (Blatt- form usw.) zu zeigen. Ich nahm daher an, daß es nur eine zufällige, nicht erbliche Variation gewesen sei, die zwischen den Ausgangs- Induktive Abstammungs- und Vererbungslehre. VIU. 7 98 Heribert-Nilsson. individuen stattfand. Das braucht indes nicht der Fall gewesen zu sein. Es waren quantitative Eigenschaften, die ich ausgewahlt hatte, und die Befruchtung war nicht kontrolliert worden, weswegen eine Kreuzung mit anderen Individuen unbehindert vor sich gehen konnte. Die Differenzen müßten dann ausgeglichen werden, weil quantitative Eigenschaften, wie NILSSON-EHLE und EAST gezeigt haben, bei Spaltung kontinuierliche Gradationsserien von erblichen Abstufungen hervorbringen. In der einen Parzelle hatte ein Individuum ungewöhnlich große Blüten und zeigte sich auch in bezug auf andere Eigenschaften als eine gzgas-Form, weswegen dieses zwecks weiterer Beobachtungen selbst- befruchtet wurde (Komb. 7, siehe S. 132). In der anderen Parzelle gab es ein Individuum, welches durch seinen ungewöhnlich hohen Wuchs, seine dunkelgrünen Blätter und ungewöhnlich langen Seitenäste von den übrigen abstach. Da ich aber dieses mit keiner von DE VRIES’ Mutanten identifizieren konnte, schenkte ich ihm keine weitere Aufmerksamkeit und sammelte nicht einmal Samen von ihm ein. Die übrigen Individuen (etwa 30) repräsentierten sämtlich den Lamarckiana-Typus. Unter diesen bemerkte ich aber eine neue, stark in die Augen fallende Differenz. Einige Individuen waren nämlich rotnervig, andere hatten ganz weiße Blattnerven ohne Andeutung eines Pigments!). Ich glaubte zuerst, als ich diesen Unterschied beobachtete, daß ich die Mutation rudrinervis erhalten hätte. Da aber mehr als die Hälfte der Individuen rotnervig waren und außer der Rotnervigkeit keine ruörinervis-Eigenschaften zeigten, sondern ganz und gar vom Lamarckiana-Habitus waren, schien diese An- nahme nicht möglich. In DE VRIES’ großen zusammenfassenden Arbeiten (202, 202a, 207) suchte ich vergebens nach einer näheren 1) Diese Differenz, obschon stark hervortretend, wird von allen den Forschern, welche sich mit ©. Lamarckiana experimentell beschäftigt haben, nur von HoninG erwähnt, und er hält die Differenz für nicht erblich [89, S. 260]. BOULENGER [14] und BaAıLey [4] hat sie indessen an wildwachsenden Oenothera-Beständen beobachtet. Mac Doueat hat in seinen Kulturen O. Lamarckiana von der Küste in der Nähe von Liverpool gehabt, d.h. von demselben Platz wo BaıLey seine Beobachtungen gemacht hat, er spricht doch nichts von einer Differenz in bezug auf die Nervenfarbe. O. Lamarckiana von DE VRIES enthält ohne Zweifel sowohl rot- als auch weißnervige Individuen, da Honıns von ihm sein Material bekommen hat. Gates, der auch in seinen Kulturen O. Lamarckiana von Liverpool gehabt hat, erwähnt eine Form, die er Lamarckiana—rubrinervis nennt, welche rubrinervis-Knospen, aber jedoch weiße Blattnerven hat (54). Rotnervige Lamarckiana-Individuen erwähnt auch er nicht. Die Variabifitat der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. 99 Beschreibung der O. Lamarckiana hinsichtlich ihrer Variabilität. Seine Beschreibung der ursprünglichen Art, aus der schließlich die Mutanten entstanden sind, ist nämlich sehr knapp. Da ich fand, daß er der O. Lamarckiana nur fluktuierende, nicht erbliche Variation zuschrieb, und da die Differenz, die ich 1906 beobachtet hatte, auch hierfür zu sprechen schien, war ich geneigt auch diese jetzt beob- achtete Differenz als eine zufällige zu betrachten, und führte daher keine kontrollierten Befruchtungen zwecks Reinkultur aus. 1908 säte ich Samen von einem rotnervigen Individuum aus, welches frei bestäubt worden war. Ich hatte es sämtlicher Seitenäste beraubt, um zu sehen, ob erhöhte Nahrungszufuhr die Mutations- fähigkeit erhöhen würde. Die Pflanze wurde ungewöhnlich hoch und kräftig und trug kräftige, dunkelgrüne, dicke, große Blätter, große Kapseln und Samen. Aus diesen letzteren erhielt ich 13 Individuen, sowohl rot- als weißnervig, und außerdem eine abweichende Variante, auf die ich später zurückkomme. [Komb. 6, siehe Seite 128.] Aus dem im Garten wild-gesäten Samen entstanden sowohl rot- als weißnervige Pflanzen. Das wiederholte Auftreten dieser ausgeprägten Typen ohne Zwischen- formen bewog mich in diesem Jahre, eine kontrollierte Selbstbefruchtung eines weißnervigen Individuums auszuführen. 190g erhielt ich dank dieser Befruchtung 29 Pflanzen, von denen 23 erblühten. Alle zeigten sich völlig konstant in bezug auf die bewußte Eigenschaft. In keiner seiner Entwicklungsperioden zeigte auch nur ein einziges Exemplar in seinem Blattnerv die rote Farbe. Dieses Resultat veranlaßte mich, eine Blüte eines dieser weißnervigen Individuen mit Pollen eines rotnervigen unter vollständiger Kontrolle innerhalb einer Pergamindüte zu befruchten, um zu sehen, ob die Eigenschaften sich spalten würden. 1910 wurden aus den so hervorgegangenen Samen neun Pflanzen erhalten. Fünf von diesen waren rotnervig, vier weißnervig. Also tritt Spaltung schon in F, ein, und da die weißnervige Form konstant war, muß dieses darauf beruhen, daß die rotnervige in bezug auf die Rotnervigkeit heterozygotisch war. Nimmt man an, daß die rote Farbe dominant war, so müßten wir in F, in bezug auf die unter- suchten Eigenschaften eine Spaltung im Verhältnisse von 1:1 erhalten, und hiermit stimmen ja die gefundenen Zahlen. Daß die Rot- und Weißnervigkeit bei O. Lamarckiana zwei konstante voneinander unab- hängige, nach MENDELscher Regel spaltende Eigenschaften seien, schien mir nach dem Vorausgehenden mehr als wahrscheinlich. -. / 100 Heribert-Nilsson. Eine Untersuchung von F, aus dieser Kreuzung hatte natürlich diese Annahme weiter bestätigen können, aber da die Blüte erst im September eintrat, konnten keine reifen Samen erhalten werden. Näher untersuchte Differenzen innerhalb von O. Lamarckiana. ı. Farbe der Blattnerven. Um indessen die fragliche Eigenschaft näher zu studieren, waren im Laufe des Sommers kontrollierte Befruchtungen innerhalb von Pergamindüten mit fünf rotnervigen und zwei weißnervigen Indivi- duen vorgenommen und ı2 Bastadierungen unter ihnen gemacht worden, von welchen sämtliche Selbstbestäubungen und neun der Bastardierungen Pflanzen lieferten. Aus dem Grunde, weil die Samen zum großen Teil erst im Spätsommer und Herbst keimten, wurde die Anzahl der Individuen innerhalb der Linien, welche aus den erwähnten Pflanzen und ihren Bastarden hervorgingen, ziemlich gering. ıgıı wurde folgendes Resultat erhalten. I. Rotnervige Linien. Erhaltene Spaltungszahlen Nummer der Linie _—— Theoretische Zahlen Rotnervige | Weißnervige 1 19 4 | 17,25: 5,75 2 9 | 2 8,25 : 2,75 3 9 | 2 8.25 32,75 4 8 | I 6,75 : 2,25 ’ ae | | [21 cay 2 2 > | \ 26,25 : 1,75 2. Bastardierungen zwischen den rotnervigen Linien. I >< 2 7 | 2 | 6,75 : 2,25 IA: 5 I | 4,5 21,5 2><1 7 = 5,25 21,75 20-03 3 I Silecel 3 x<ı 5 4 6,75 : 2,25 4 >x<ı 5 2 5,25:1,75 5 >< 61) II 3 10,5 335 3. Weißnervige Linien. 8 — | 14 7 — 21 4. Bastardierungen zwischen den weißnervigen Linien. TE>< 2, welche sich in demselben Entwicklungs- stadium befanden (d. h. gleichzeitig ausgepflanzt worden waren). Ver- einzelt trifft man unter den Friichten solche, die nur halbentwickelt oder sogar verkiimmert sind; diese wurden natiirlich nicht mitgemessen. Die Resultate dieser Messungen sind in folgender Tabelle zu- sammengestellt worden. Linie 1(rotnervig, heterozygotisch) | inert 2 Durchsch.-Zahl der Fruchtlange in mm Eden] Puce zal der Nr. d. Indiv. Fruchtlange in mm 6 26,81) I 29,6 7 26,2 2 30,6 8 27,4 3 23.6 9 29,2 4 26,4 10 29 | 5 29,8 11 26,8 6 26,4 12 26,2 7 29,2 13 29,8 8 31,8 14 27,8 9 33,8 15 25,2 Linie 2(rotnervig, heterozygotisch) | Linie5(rotnervig,heterozygotisch) I 29,4 2 31,4 4 28,8 3 29,4 5 25,4 4 31,2 6 24.6 5 32,6 7 26,2 6 29,8 8 24,4 7 29 9 25,4 8 29,8 10 30 9 29,4 1) Die Zahlen, die sich auf die weißnervigen Individuen beziehen, sind fett gedruckt. 104 Heribert-Nilsson. Linie 5 (rotnervig, heterzygotisch) | Linie 7 (weißnervig) Nr a Indie Dae ei der N Den der Fruchtlänge in mm Fruchtlänge in mm 10 30.4 4 22 IL 29,8 5 23,6 12 26.6 7 23,6 13 29 9 27,2 14 27,4 | 10 25,4 15 30,4 | II 24,8 16 32 12 23,6 17 30,2 13 26,2 14 24,4 Folgende Indiv. erblühten später, was eine 15 24,2 Verlängerung der Früchte zufolge hatte | 18 38,2 Linie 8 (weißnervig) 19 31,4 I 24,2 20 34.4 2 25,2 21 35:4 4 25,2 23 35,8 5 24,2 25 33:4 6 24,2 26 32,6 7 23 | 8 23,4 9 23,4 10 24,4 II 24,6 12 22,8 14 23,2 15 25.8 Wie man aus diesen Tabellen ersieht, ist die Durchschnittslänge der Früchte bei den rotnervigen Linien bedeutend höher als die bei den weißnervigen (bei den rotnervigen: Linie 1 = 27%, mm, Linie 2 nahe 27 mm, Linie 5 = 30 mm, die Kreuzung I<2=29 mm; für die weißnervigen: Linie 7= 24% mm, Linie 8= 24 mm). Die innerhalb der rotnervigen Linien abgespaltenen weißnervigen Indivi- duen haben entweder die allerkürzesten innerhalb der Linie vor- kommenden Früchte, wie innerhalb der Linien 2 und 5 und der Kreuzung I >< 2, oder neigen in bezug auf die Fruchtlänge stark dem Minus zu, wie innerhalb der Linie ı. Dieser letzte Fall wird vom Ind. 6 repräsentiert, aber da dieses eine Randpflanze war, hatte es möglicherweise nur wegen Somationsvariation!) längere Früchte als 1) Ich nehme hier den von PLATE für die nicht erbliche Variation, wie es mir scheint, sehr glücklich gewählten Ausdruck „Somation“ auf. Der scheint mir Die Variabilitat der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. 105 gewisse von den rotnervigen Individuen. Derselbe Faktor, welcher bei O. Lamarckiana rote Blattnerven erzeugt, beeinflußt auch die Fruchtlänge in der Weise, daß er beim Vorhandensein diese erhöht, beim Fehlen dieselbe vermindert. Die die Nervenfarbe bedingende Eigenschaft scheint doch nicht die einzige zu sein, die die Fruchtlänge bestimmt, denn innerhalb der rotnervigen Linien herrscht eine ziemlich große Variation. Interessant ist, daß Linie 5, für welche zwei die Nervenfarbe bedingende Faktoren angenommen wurden, auch bedeutend längere Früchte hat, als Linien mit nur einem solchen Faktor. Dieselben Faktoren sollten also in bezug auf die Fruchtlänge eine sichtbare Kumulation, in bezug auf die Nervenfarbe dagegen keine hervorrufen. Auch die Dichte des Fruchtstandes (die Länge der Internodien der Infloreszenz) scheint der Faktor für Rotnervigkeit in solcher Weise zu beeinflussen, daß die rotnervigen Individuen lockerere Infloreszenzen als die weißnervigen erhalten. Eine von mir aufgezogene rubrinervis- Kombination hatte noch lockerere Fruchtstände als die rotnervigen Lamarckiana-Pflanzen (vgl. Textfig. 5, S. 102). Auf die Blattgröße (speziell die Blattbreite) scheint der die Rot- nervigkeit bedingende Faktor so einzuwirken, daß die Blätter beim Vorhandensein desselben größer werden. DE VRIES bemerkt an mehreren Stellen in seiner Mutationstheorie, daß die Mutanten durch das Auftreten einer neuen progressiven Eigen- schaft entstanden sind, welche ihren Einfluß nicht nur auf ein be- stimmtes Organ der Pflanze, wie dies bei der Varietätenbildung der Fall ist, sondern auf fast alle Teile der Pflanze erstreckt, und treffend charakterisiert PLATE aus diesem Grunde die Mutanten als Habitus- änderungen. Wie indessen das Studium der Rotnervigkeit zeigt, haben wir es bereits innerhalb der O. Lamarckiana mit Eigen- schaften zu tun, die eine korrelative Einwirkung auf mehrere Organe der Pflanze haben und dadurch die Art in verschiedene Variations- nämlich vor dem von Baur, Nırsson-EHLE u. a. für die nicht erbliche Variation angewandten Ausdruck ‚Modifikation‘ den Vorteil zu haben, daß er klar angibt, in welcher Weise diese Variation sich geltend macht und zugleich ihre Begrenzung : sie wirkt auf den somatischen Teil des Organismus und nur auf diesen. Der Ausdruck „Modifikation“ drückt dagegen nicht aus, was modifiziert wird: dies kann das Soma, können aber auch die Keimzellen sein. Wenn „Modifikation nur im Sinne von nicht erblicher Veränderung gebraucht würde, so wäre eigentlich nichts ein- zuwenden. Nun wird aber von Tower u.a. der Ausdruck im Sinne von erblicher Variation, verursacht durch die Außenfaktoren, angewandt, also gerade um eine erb- liche Veränderung in den Keimzellen zu bezeichnen. 106 Heribert-Nilsson: typen teilen. Eine korrelative Variation, ganz ähnlich der die Mutanten auszeichnenden, haben wir also schon inner- halb der Stammart. Was das Charakteristische für die neuauf- tretende Arteigenschaft sein sollte, finden wir hier auch innerhalb der Stammart als eine Linieneigenschaft. Je mehr Organe ein Faktor beeinflußt, desto größer wird die Veränderung des Habitus. Und je mehr derartige diffus wirkende Faktoren mit im Spiele sind, desto auffallender werden die Mutanten. 2. Farbe der Blattscheiben. Das Konstatieren erblicher Differenzen in bezug auf die Nerven- farbe veranlaßte mich, in meinen Kulturen von IgIo andere erb- liche Differenzen zu suchen. Es kam mir vor, als ob hinsichtlich der Farbe der Blattfläche solche vorlagen. In bezug auf die Intensität zeigte nämlich die grüne Farbe bei einigen freistehenden Individuen, die völlig ihre Eigenschaften entwickeln konnten, ziemlich in die Augen fallende Differenzen. Zwei Individuen, von denen das eine dunkel- grüne, das andere ins Graugrüne übergehende Blätter hatte, wurden daher als Stammpflanzen ausgewählt. Sie sind übrigens die Mutter- pflanzen der oben in bezug auf die Rotnervigkeit erwähnten Linie I und 2. Von CORRENS und BAUR sind Formen mit Differenzen im Chlorophyligehalt beschrieben, und zwar die rein grünen ¢yfzca-Formen und die blaß-graugrünen c/lorina-Formen. Diese sind sehr deutlich voneinander unterschieden, weshalb eine Verwechslung zwischen den beiden Gruppen nicht möglich ist. Die von mir studierte Linie 2 hatte freilich ins Graugrüne übergehende Blätter, aber sie war keine chlorina, denn es handelte sich hier nur um eine kleinere Farbennuance. Um mich indessen darüber zu vergewissern, ob diese Formen nicht nur morphologische, sondern auch physiologische Differenzen hätten, gebrauchte ich eine Methode, welche zuerst von LIDFORSS beim Studium der gelbfleckigen Blätter eines Rudusbastards (R. znsu- laris >< polyanthemus) angewandt worden ist. Die Methode besteht darin, aus einer durch die SACHSsche Jodprobe vorgenommene Unter- suchung der Assimilationsprodukte die Blattfarbe zu beurteilent). 1) Liprorss unterzog am Morgen die Rubus-Blatter der Sacusschen Jodprobe und fand dann, daB die gelben Partien kolossale Mengen Starke enthielten, wahrend die grünen stärkefrei waren. Die Erklärung dieser Differenz des Starkegehalts sucht er darin, daß die Diastaseproduktion in den gelben Blattpartien sehr zurückgedrängt oder die amylolytische Fähigkeit der Diastase auf ein Minimum beschränkt sei. Dieses würde wiederum auf intrazellularer Giftwirkung beruhen, welche dadurch verursacht Die Variabilität der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. 107 Die erwähnten O. Lamarckiana-Individuen wurden der SACHSschen Jodprobe teils am Morgen, teils am Nachmittag unterworfen. Wurde die Probe am Morgen gemacht, so waren die grünen Blätter fast ganz starkefrei, nur an der Basis enthielten sie etwas Stärke, sie blieben also nach der Jodbehandlung ganz weiß, die graugrünen Blätter dagegen hatten einen ziemlich bedeutenden Stärkegehalt, der über die ganze Blattfläche verteilt war, sie wurden nach der Jodreaktion dunkel. Wurde aber die Probe am Nachmittag vorgenommen, so waren die grünen Blätter intensiver dunkelgefärbt als die graugrünen. Das grüne Individuum zeigte also eine sichtlich intensivere Assimilation als das graugrüne (möglicherweise eine Folge größerer Mengen von Chloroplasten in der Zelle, was jedoch nicht untersucht wurde), aber auch eine bedeutend schnellere Abgabe der Assimilate (was wohl wiederum als Folge eines größeren Diastasegehalts zu deuten ist). In dieser Weise kann man also physiologisch eine Differenz als qualitativ (Blätter weiß oder blau-schwarz je nach dem Fehlen bzw. Vorhandensein von Stärke) nachweisen, die beim morphologischen Studium quantitativer Natur (Nuancierung der grünen Farbe) ist. Die beiden erwähnten Individuen wurden selbstbefruchtet, und ıgII konnte ich zehn Individuen der Linie r und acht der Linie 2 im Blütenstadium untersuchen. Sämtliche zehn Individuen der Linie ı zeigten bei der am Nachmittag vorgenommenen Jodprobe intensiv schwarze Blätter, sämtliche acht Individuen der Linie 2 dagegen eine mehr ins Grauschwarze übergehende Farbe, und die Differenz war so stark, daß die Blätter miteinander vermischt und mit größter Leichtigkeit wieder voneinander getrennt werden konnten. Es war unmöglich, die beiden Linien rein morphologisch nach dem Grün der Blätter zu unterscheiden, was wahrscheinlich darauf beruhte, daß die Pflanzen ziemlich dicht standen und also ihre Eigenschaften nicht völlig entwickeln konnten. Die Jodprobe am Morgen wurde erst spät im Herbst vorgenommen, und es zeigte sich dann, daß die niedrige Nachttemperatur hindernd auf die Abgabe der Assimilate gewirkt hatte; sowohl die Blätter der Linie ı als auch die der Linie 2 ent- hielten nämlich bedeutende Stärkemengen. Wäre die Untersuchung während der völligen Vitalitätsperiode der Pflanzen vorgenommen worden, so wäre ohne Zweifel die Differenz jetzt ebenso wie bei der Untersuchung am Nachmittag hervorgetreten. worden ist, daß das Plasma der einen Art Stoffe enthält, die das der anderen giftig beeinflussen, eine Vermutung, die Jost ausgesprochen hat, um die Pollensterilität bei Artbastarden zu erklären. 108 Heribert-Nilsson. Die hier erörterten Chlorophylldifferenzen sind unabhängig von den die Nervenfarbe bedingenden Faktoren. Alle beide Stammindivi- duen waren rotnervig und die Nachkommen zeigten die Differenzen unabhängig davon, ob sie rot- oder weißnervig waren. (Beide Linien waren, wie vorher erwähnt, in bezug auf die Rotnervigkeit heterozy- gotisch.) Auch eine andere Differenz in bezug auf die Blattfarbe habe ich in meinen Kulturen studieren können. 1IgIo fand ich nämlich unter einigen wild gesäten Pflanzen ein Individuum mit gelbfleckigen Blättern. Die gelben Flecke waren oft sehr groß, hatten aber keine scharfen Grenzen, sondern gingen so allmählich in das Grüne über. Am schärfsten ausgeprägt waren sie im Hochsommer auf den freistehenden, der Sonnenseite zugewandten Blättern. Starkes Licht schien also günstig für die Ausbildung der gelben Partien zu sein. Bei Vor- nahme der Jodprobe zeigte es sich, daß die gelben Partien vollkommen stärkefrei waren. Derartige gelbbunte Pflanzen hat DE VRIES öfters in seinen Kulturen erhalten, ebenso Individuen mit gelbgeränderten Blättern und sektorial geteiltem Stengel, und er hat auch ihre Erb- lichkeit geprüft (202, S. 345 und 612—613). Er fand dabei, dab solche gelbbunten Individuen entweder lauter grüne oder nur zu einem gewissen, bald größeren, bald kleineren Prozentsatz gelbbunte Pflanzen ergaben. Eine konstant gelbbunte Rasse hat er jedoch nicht erhalten. Daher wird auch die Gelbscheckigkeit zu den semilatenten Eigen- schaften gerechnet, und die gelbbunten Individuen werden nicht für Mutanten gehalten, sondern für Atavisten, bei denen die semilatente Eigenschaft zufällig die Oberhand über die antagonistische aktive Eigenschaft gewinnt. Ein ganz anderes Verhältnis zeigte meine gelb- bunte Pflanze (Linie 3). Von derselben gewann ich ıgıı fünf er- blühende Individuen und sechs Rosetten, welche alle gelbbunt waren. Die eine Rosette hatte kurze, breite, /ata-ahnliche Blätter und wich stark von den übrigen ab, aber die gelbbunte Färbung hatte auch diese. Hier würden wir also eine konstant gelbbunte Rasse haben, die auf einmal entstanden ist, also eine Mutante (nach DE VRIES’ Definition dieses Begriffes), aber mit demselben Äußeren, wie die von DE VRIES studierten, nichtisolierbaren Rassen, und dies zeigt, daß zwischen diesen und den Mutanten keine Grenze gezogen werden kann. Zwischen der gelbbunten Linie 3 und der Linie ı (grün), der Linie 2 (graugrün), DE VRIES’ gigas und einer von mir erhaltenen I a Die Variabilität der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. 109 gigas-Kombination, die ich im folgenden Komb. 7 nenne, wurden Kreuzungen ausgeführt. Diese Bastardierungen ergaben verschiedene Resultate in bezug auf die Dominanzverhältnisse zwischen Grün und Gelbbunt und erhärten noch mehr, daß wir erbliche Differenzen hin- sichtlich der Chlorophylleigenschaften bei den grünen Formen der O0. Lamarckiana haben. Die Kreuzungen ergaben folgende Resultate: 3x< gigas Ein Ind. mit ganz grünen Blättern. 3><3 gemacht. Dabei zeigte es sich, daß die gelbbunte Farbe niemals rein rezessiv war, denn die im Äußeren rein grünen oder undeutlich gelbfleckigen Blätter zeigten deutliche Flecken, denen es an Stärke völlig mangelte, und die daher durch ihre weiße Farbe scharf von den schwarzen, stärkehaltigen Partien abstachen. Die Gelbscheckigkeit scheint also in gewissen Fällen die Chlorophyllbildung nicht zu unterdrücken, wohl aber die Assimilationsfähigkeit: das morphologisch grüne Blatt ist hinsichtlich seiner Assimilationsfunktion bunt. Einerseits zeigen diese Versuche die Gefahr, die darin liegt, die Dominanz nur nach dem Äußern der Bastarde zu beurteilen, andererseits demonstrieren sie auch deutlich, IIO Heribert-Nilsson. daB der die gelbbunte Farbe bedingende Faktor bei der Kreuzung Gelbbunt < Grün mehr oder weniger den Assi- milationsapparat der griinen Pflanze affizieren kann, und zwar verschieden in verschiedenen Linien. Die Erblichkeitsversuche, die mit der Blattfarbe bei O. Lamarckiana gemacht worden sind, haben also gezeigt, daB erbliche Differenzen innerhalb der Art in bezug auf diese Eigenschaft vorliegen. 3. Hohe der Pflanzen. In gleicher Weise scheint auch die Höhe der Pflanze erbliche Differenzen aufzuweisen. Natürlich spielt hier die Somationsvariation eine Rolle und erschwert die Untersuchung. Es kann daher vor- kommen, daß zwei Individuen, die von sehr verschiedener Höhe, aber sonst dem Aussehen nach gleich kräftig sind (d.h. das kleinere nicht unterernährt), in der Nachkommenschaft Individuen von derselben Mittelhöhe erzeugen. Dies war z. B. bei Linie I und 4 der Fall. Die P,-Pflanze der Linie I war 138 cm hoch, die der Linie 4 104 cm, also jene um ein Viertel héher als diese. Ihre Nachkommen aber zeigten nicht diese Differenz: Linie 4 hatte ungefahr dieselbe Mittel- höhe wie Linie I. Indessen scheint eine erbliche Differenz hinsichtlich der Höhe zwischen den P,-Pflanzen der beiden Linien ı und 2 vorzuliegen, wie aus dem nach Kreuzung derselben erhaltenen Resultate hervorgeht. Die Pflanzen differierten betreffs der Höhe, der Unterschied beruhte aber darauf, daß die Hauptinfloreszenz!) bei Linie 2 in seiner Ent- wicklung frühzeitig zurückgeblieben war (durch Pilzinfektion oder vielleicht durch Wegfrieren der Spitze der Infloreszenzanlage während des Winters), so daß sie sich unbedeutend über die Kandelaberäste erhob, während die Hauptinfloreszenz bei Linie I gut entwickelt war und seine Kandelaberäste hoch überragte. 1) Für die Verästelung einer voll entwickelten Pflanze wende ich folgende Aus- drücke an (vgl. Textfig. 11, links, S. 137): Hauptstengel: Der aus der Mitte der Rosette heranwachsende, größte Stengel. Nebenstengel: Die neben dem Hauptstengel ursprünglich aus der Rosette heran- wachsenden Äste. Seitenzweige: Die Zweige des Hauptstengels. Kandelaberäste: Die oberen, kräftigen Seitenzweige, die fast kranzförmig von der Basis der Hauptinfloreszenz ausgehen. Hauptinfloreszenz: Der obere, blütentragende Teil des Hauptstengels. Die Variabilität der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. III An den Nachkommen konnte man folgendes Resultat sehen [nur die Individuen, denen der gleiche Raum!) zur Entwicklung zu Ver- fügung stand — also keine Randpflanzen — wurden mitgerechnet]: Linie ı Linie 2 Ind. | Ind. 7 IOI 5 105 8 107 6 III 9 108 7 | 104 10 108 8 | 111 II | 104 9 | 112 12 103 13 106 Wie aus der Tabelle hervorgeht, war die Durchschnittshöhe für die beiden Linien ungefähr dieselbe. Eine sichtbare Differenz zeigten sie also nicht. Daß sie doch different in bezug auf die die Höhe bedingenden Faktoren sein mußten, zeigte sich bei ihrer Kreuzung. Sowohl die Kreuzung von I >< 2 als die von 2> I wurde vorgenommen und ergab als Resultat lauter höhere Individuen als die Eltern. Das Resultat war folgendes: Kreuzung I x 2 Kreuzung 2 >< I Ind. | cm Ind. cm 117 4 115 116 5 | 112 122 6 | 117 116 116 115 119 121 ON An fw bd Wie man sieht, ist die Langenzunahme der Kreuzungsindividuen recht bedeutend?). Wir haben also hier dasselbe Phänomen, welches schon MENDEL bei seinen Pisum-Kreuzungen beobachtete, und welches selbst innerhalb der Gattung Oenotkera von HONING bei der Kreuzung O. biennis >< Lamarckiana betreffs der /aeta und velutina-Typen nach- gewiesen worden ist (89, S. 237), nämlich höhere Bastarde als die Eltern. 1) Jede Pflanze hatte einen Raum von 250 gem. 2) Gleichzeitig mit der Zunahme der Höhe der Kreuzungsindividuen werden auch die Früchte länger, wie aus den oben für Linie ı und 2 und die Kreuzung I >< 2 mitgeteilten Zahlen der Fruchtlänge hervorgeht (S. 103). I12 Heribert-Nilsson. Höchst wahrscheinlich ist es also, daß wir es innerhalb der O. Lamarckiana mit selbständigen Höheneinheiten, die kumuliert werden können, zu tun haben. 4. Zahl der Narben. Auch die Variabilität der Anzahl der Narben habe ich untersucht und dabei gefunden, daß hier eine ziemlich große partielle Variation herrscht, was DE VRIES schon hervorgehoben hat. Daß jedoch gewisse Individuen eine erbliche Tendenz zur Polymerie haben, halte ich für ziemlich sicher. Von der vorher erwähnten, zuerst ausgewählten weißnervigen Linie (1908) erblühten sechs Individuen erst 1910. Alle zeigten während des größten Teils der Blüteperiode eine auffällig große Anzahl überzähliger Narben. 171 beobachtete Blüten hatten folgende Anzahl Narben: Anzahl der Narben = 2 io . | ran 5 | 6 | 7 z | 8 Anzahl der Blüten ...... | 24 49 | 60 | 32 | 6 Gegen Ende der Blüteperiode, besonders, als die Nebenstengel zu blühen anfingen, wurde die 4-Zahl überwiegend: Anzahl der Narben . .. ... nz Anzahl der Blüten Daß wir es hier mit einer erblichen Eigenschaft zu tun haben, halte ich für höchst wahrscheinlich, weil alle sechs Individuen diese äußerst starke Steigerung der Narbenanzahl völlig konstant zeigten, und wahrscheinlich war die selbstbefruchtete Pflanze (1908), aus welcher sie abstammten, polymer bezüglich der Narben, was ich eben- sowenig als bei ihren 23 schon 1909 blühenden Nachkommen unter- suchte. DE VRIES erwähnt (202, S. 348), daß Blüten mit 5—8 Narben häufig sind und fügt dazu: „Oft haben sogar alle oder doch die meisten Blumen auf einer Pflanze diese hohen Zahlen.‘ Unter- suchungen über die Erblichkeit dieser Eigenschaft scheint er nicht gemacht zu haben. Bei der Untersuchung einer größeren Anzahl Blüten der Pflanzen, die eine erbliche Tendenz zur Polymerie bezüglich der Narben haben, wird, wie die Tabelle zeigt, im Anfang der Blüteperiode eine Normal- kurve erhalten, gegen Ende dieser Periode eine halbe GALTON-Kurve. Die Mehrzahl der Zamarckiana-Individuen geben aber hinsichtlich der Die Variabilität der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. 113 Narbenanzahl schon im Anfang der Blüteperiode eine halbe GALTON- Kurve. 184 untersuchte Blüten solcher Pflanzen gruppierten sich in folgender Weise. Anzahl der Narben ....... aan; | 4 | 5 | 6 Anzahl der-Bluten cals u. we F 0 N DDR | 158 | 20 | 6 Untersucht man schlieBlich die ganze Bliitenernte eines Abends, ohne einen Unterschied zwischen den verschiedenen Individuen zu machen, so bekommt man fiir die Variation, wie folgende Tabelle zeigt, auch eine halbe GALTON-Kurve. Anzahl der Narben OG Ol eNO Oh u UO soos he olen TR 4 | Re | 6 Anzahl der Blüten ep 5 eG > Serie, te OST Cee | 174 | 60 | 24 Während einerseits die Mehrzahl der Individuen von OÖ. Lamarckiana (und auch die Art als Durchschnittstypus) bei der Gruppierung der Blumen nach der Narbenanzahl eine halbe GALTON-Kurve bilden, können andererseits Linien mit äußerst starker Tendenz zur Polymerie erhalten werden, welche eine Normalkurve ergeben; und das zeigt, daß inner- halb der Art erbliche Differenzen hinsichtlich der Narben- anzahl vorliegen. 5. Form der Blüten. Eine Differenz, die in den ersten Blütenwochen sehr deutlich war, aber später ausgeglichen wurde, war, daß sämtliche Individuen der Linie 8 dem Aussehen nach kleinere Blüten als die anderen Linien hatten. Die Ursache dieser Erscheinung lag jedoch nicht daran, daß die Kronenblätter kleiner waren, sondern lediglich in der Form der Blüte, die bei der Linie 8 schalenbecherförmig oder schwach glockenförmig war, während sie bei O. Lamarckiana gewöhnlich wie ein Teller ausgebreitet ist. Sind diese Differenzen von Bedeutung für die Auffassung der Mutanten ? Aus den dargestellten Tatsachen geht es hervor, daß wir innerhalb der O. Lamarckiana in bezug auf mehrere Eigen- schaften erbliche Differenzen haben. O. Lamarckiana kann also nicht als eine Elementarart mit nur Somationsvariation angesehen werden, sondern die Individuen, aus welchen sich die Art zusammensetzt, sind genetisch verschieden, wenn Induktive Abstammungs- und Vererbungslehre, VII. 8 II4 Heribert-Nilsson, auch die Variation beim rein habituell-morphologischen Studium sich fast rein quantitativ erweist. DaB die Variation eine solche ist, daB wir innerhalb der Art keine Elementararten bemerken, erscheint nicht wunderbar, da O. Lamarc- kiana eine echt allogame Pflanze ist, die ausschließlich auf Bestäubung durch Insekten angewiesen ist!). Die Folge davon ist, daß ständige Neukombinationen differenter Eigenschaften stattfinden, wodurch die Grenzen verwischt werden. Die Eigenschaften bei O. Lamarckiana, welche ich untersucht habe, sind zum größten Teil quantitativer Natur. Man könnte daher einwenden, daß sie, trotzdem sie Differenzen innerhalb der Art zeigen, doch in keiner Weise erklären können, auf welche Weise solche sprung- weis auftretenden Varianten wie die Mutanten entstehen. Dabei ist aber in Betracht zu ziehen, daß sich die Mutanten wohlals Typen, Kombinationen, diskontinuierlich von der Stammart unter- scheiden, aber keineswegs in bezug auf ihre einzelnen Eigen- schaften. Beim Studium der letzteren findet man nämlich, daß die Mutanten durch rein quantitative Verstärkungen oder Abschwächun- gen von schon bei O. Zamarckiana vorhandenen Eigenschaften gebildet sind, und unter anderem gerade von denjenigen, für welche ich Differenzen innerhalb der Art nachgewiesen habe. Differenzen in bezug auf die Blattfarbe treten z. B. als charakteristische Merkmale der Mutanten auf: a/drda hat weißgrüne Blätter, rudrinervis graugrüne, scintillans dunkelgriine und gzgas bläulich grüne. Verschiedene Formen bezüglich der Höhe sind z. B. /eptocarpa auf der Plusseite, sczntillans und noch ausgeprägter zanella auf der Minusseite. Was die starke Tendenz zur Steigerung der Anzahl der Narben anbelangt, so ist diese eine Eigenschaft, die wir bei der Mutante /aza wiederfinden, und die mehr glockenförmige Krone zeichnet gzgas und in noch höherem Grade a/éida aus. Die nachgewiesenen Differenzen sind also, obgleich quantitativ, keineswegs ohne Bedeutung für die Bildung eines gewissen Mutantentypus. 1) Die Staubbeutel entleeren ihren Blütenstaub etwa 24 Stunden, bevor die Blüte sich öffnet. Doch habe ich, selbst bei Untersuchung einer großen Anzahl Blüten, niemals Pollen auf den Narben gefunden, weil die Narbe immer die Staub- beutel sehr überragt. Auch wenn die Blüte sich geöffnet hat, ist die Übertragung von Pollen verhindert, und zwar dadurch, daß die Pollenkörner durch Viszinfäden zusammengeklebt sind und eine zusammenhängende Masse bilden, welche nur durch Ankleben an einen Gegenstand fortgeführt werden kann. Blüten, die ich mit Pergamindüten isolierte und sich selbst überließ, gaben niemals Samen; der Frucht- knoten blieb in seiner Entwicklung stehen und fiel in kurzer Zeit ab. Die Variabilität der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. II5 Was schlieBlich die qualitative Differenz beziiglich der Farbe der Blattnerven anbetrifft, so ist die Rotnervigkeit gewöhnlich eine Eigen- schaft der Mutante rudrimervis, während die meisten übrigen Mutanten weißnervig zu sein scheinen. Auch die mit dem rotnervigen Typus bei O. Lamarckiana verbundenen quantitativen Differenzen hinsichtlich der Buckel der Blätter und der Fruchtlänge sehen wir unter den Mutanten gewöhnlich dem die Rotnervigkeit bedingenden Faktor folgen. Auödrinervis hat nämlich außergewöhnlich glatte Blätter und lange Früchte, gigas und /ata, die weißnervig sind, haben dagegen bedeutend buckligere Blatter und kürzere Früchte als O. Zamarckiana. Eine die Mutation dirigierende Differenz. Für die Mutationsfähigkeit der O. Zamarckiana scheint der Faktor für Rotnervigkeit entscheidende Bedeutung zu haben. Um dieses zu zeigen, habe ich folgende Tabelle aufgestellt, welche die Mutation innerhalb der verschiedenen Linien, der rotnervigen und der weiß- nervigen, zeigt. Rotnervige Linien. me Anzahl der Mutanten Reger eis der Linie d. Linie I 1 (albida-ähnlich, weißnervig) | 23 2 ı (rotnervig, neue Komb.) | II 3 1 (lata-ähnlich, weißnervig) | II 4 aA 9 5 I (rubrinervis-ähnlich, rotnervig) 28 >< 2 _— 9 I>x< 4 — 6 2>< I —_ 7 2x3 = 4 3 x<ı 1 (/ata-ahnlich, weißnervig) 9 AST — 7 5x6 — 14 138 Weißnervige Linien. 7) 1 (albida-ähnlich, weißnervig) 14 8 3 (lata, weißnervig; albida-ähnlich, weißnervig; neue 21 N Komb., weißnervig) NEE _ 2 3,5277. ı (lata, weißnervig) 9 46 1) Eine „partielle“ gigas dieser Linie ist hier nicht mitberücksichtigt. 3* 116 Heribert-Nilsson. Wie aus der Tabelle hervorgeht, entstehen weiBnervige Mutanten auch in den rotnervigen Linien. Waren diese Linien konstant rot- nervig, so ware es — wenn man die Mutation als eine Kombinations- erscheinung auffaßt — unerklärlich, wie sie weißnervige Mutanten erzeugen konnten. Nichts hindert natürlich dagegen eine hetero- zygotisch rotnervige Linie, die ja immer einen gewissen Prozentsatz weißnerviger Pflanzen abspalten muß, auch weißnervige Mutanten zu erzeugen. Indessen kann man erwarten, daß ihre Mutationsfähigkeit bezüglich weißnerviger Mutanten kleiner ist, als die einer rein weiß- nervigen Linie, da ja drei Viertel der Gametenkombinationen den Faktor für Rotnervigkeit enthalten. Daß dieses auch der Fall in meinen Kulturen war, zeigt die obige Tabelle höchst frappant. Während die heterozygotisch roten Linien und die Kreuzungen unter ihnen auf 138 Individuen 3 weißnervige Mutanten geben, geben die konstant weißnervigen Linien und ihre Kreuzungen auf 46 rein weiß- nervige Individuen 5 weißnervige Mutanten. Der Prozentsatz weiß- nerviger Mutanten ist also bei diesen 10,87, bei jenen 2,17, d.h. die Mutationsfähigkeit bezüglich weißnerviger Mutanten ist bei den weißnervigen Linien mehr als viermal größer, wie bei den heterozygotisch rotnervigen. Die weißnervigen Linien gaben keine rotnervige Mutante. Es ist deshalb deut- lich, daß die Mutation von dem Faktor für Nervenfarbe abhängig ist, und also genetischen Gesetzen folgt. Die weißnervigen Mutanten betragen den größten Prozentsatz auch innerhalb der rotnervigen Linien, und rotnervige Mutanten scheinen eine bedeutend seltenere Erscheinung als die weißnervigen zu sein. Da ja der Prozentsatz bezüglich weißnerviger Mutanten innerhalb der rotnervigen Linien weniger als ein Viertel von dem der weißnervigen beträgt, und außerdem die rotnervigen Linien nur eine kleine Anzahl rotnerviger Mutanten abspalten, muß auch der ganze Mutationsprozent der rotnervigen Linien bedeutend kleiner als der der weißnervigen sein. In den Experimenten war das Verhältnis zwischen diesem und jenem 10,87: 4,35. Die Linie 5, für welche zwei Faktoren für Rotnervigkeit an- genommen wurden, erzeugt, obschon wir hier die größte Individuen- anzahl haben, keine weißnervige Mutante. Man hat ja auch Grund, zu erwarten, daß weißnervige Mutanten hier seltener sind, da ja weiß- nervige Abspaltungen es ja auch sind (1 auf 16 statt ı auf 4). Da- gegen tritt hier eine rotnervige Mutante auf, die in der Rosette Charaktere von rubrinervis zeigt. Die Variabilität der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. 117 Die Verteilung der Mutanten auf rot- und weißnervige Linien scheint also, auch innerhalb der kleinen Individuen- anzahl meiner Kulturen, darauf hinzuweisen, daß der Mu- tationsprozeB vom Vorhandensein oder Fehlen der Rot- nervigkeit abhängig ist und also nicht regellos verläuft. Ein nicht geringes Interesse bieten die Ergebnisse, zu welchen DE VRIES bei seinen Untersuchungen über das Zusammenwirken zwischen Zuchtwahl und Ernährung hinsichtlich einer kurzfrüchtigen und einer langfrüchtigen Rasse gelangt ist (202, S. 195). Es ergab sich nämlich, daß die langfrüchtige Rasse keine Mutanten gab, die kurzfrüchtige aber viele. Dieses Resultat stimmt mit dem von mir gefundenen völlig überein (meine rotnervigen Linien waren ja lang- früchtig und meine weißnervigen Linien kurzfrüchtig). Meine Züchtungsversuche mit O. Zamarckiana zeigen also einer- seits, daß die Art nicht einheitlich ist, sondern daß wir innerhalb derselben Differenzen bezüglich mehrerer Eigenschaften haben, ander- seits, daß diese Differenzen die Mutationsfähigkeit derartig beein- flussen, daß differente Linien Mutanten in verschiedenem Prozentsatz erzeugen. Damit ist es nachgewiesen, daß die Mutationserscheinung ein Vorgang ist, welcher nach dem Ausgangsmaterial geregelt werden kann und nach dessen genotypischer Beschaffenheit reicher oder ärmer ausfällt. Es unterliegt daher gar keinem Zweifel, daß die Variabilität bei O. Zamarckiana, nachdem die Art einer eingehenden kritischen Revision nach den MENDELschen Forschungsprinzipien unterworfen worden ist, sich von derselben Art wie die anderer fremdbestäubenden Pflanzen zeigen wird. Mutabilität wird sich sicher dann nicht nur als eine Möglichkeit, sondern als eine Notwendigkeit zeigen. Oenothera-Forscher sollten daher meiner Meinung nach ihre Auf- merksamkeit der Reinzüchtung verschiedener Individuen und einer hybridologischen Analyse der Eigenschaften der Art widmen. Erst dadurch kann man die Erbeinheiten aufspüren, welche die Mutanten konstituieren. Die Diskontinuität der Mutanten. Ist es nun aber Tatsache, daß man schon innerhalb der O. La- marckiana differente Formen hat, so ist es auch natürlich, daß die Mu- tanten, deren neue Charaktere, wie vorher nachgewiesen ist, oft rein 118 Heribert-Nilsson. quantitativer Natur sind, nicht mehr so isoliert stehen, als man vorher angenommen hat. Sie können stärker oder schwächer habituell von der Stammart verschieden sein, etwas genotypisch Neues wird man doch nicht finden, nur eine Verstärkung oder Abschwächung einer ge- wissen Eigenschaft oder ein zufälliges Zusammentreffen von Eigen- schaften, welche auf eine größere Anzahl von Formen verteilt, einzeln keine Aufmerksamkeit erwecken würden. Danach kann man aber auch erwarten, daß Kulturen von verschiedenem Ausgangsmaterial wenigstens einigermaßen verschiedene Mutanten (und zwar nicht nur neue, sondern auch ähnliche, aber nicht mit vorher bekannten iden- tische) geben, und daß, je nachdem die Anzahl der Mutanten größer wird, die Diskontinuität der Variation abnimmt. Daß dies auch tatsächlich der Fall ist, findet man bei Untersuchung des vorliegenden Materials von DE VRIES und den übrigen Oenothera- Forschern. DE VRIES erwähnt nämlich außer den von ihm beschriebenen Mutanten eine Gruppe Formen, die er Artanfänge, d. h. „für den Kampf ums Dasein nicht hinreichend geeignete Formen“ nennt. Er sagt von denselben (202, S. 298): „Solche untauglichen Muta- tionen habe ich in meinen Kulturen von Oenothera fast jähr- lich und oft in nicht unbedeutender Anzahl beobachtet!)“. Auch bei Kreuzung von O. Lamarckiana und ihren Mutanten erhielt er solche Formen (202a, S. 425 und 426). Nur „der Vollständigkeit halber“ werden einige derselben beschrieben. Sie dürften jedoch sicher für die Erklärung der Natur der Variation bei O. Lamarckiana von ebenso großem Interesse wie die Mutanten sein. Denn ohne Zweifel tragen sie etwas zum Ausfüllen der Lücken zwischen diesen bei oder zeigen wenigstens, daß dieselben mehrere parallele Formen umfassen. So ergab O. sublinearis und O. elliptica jede für sich zwei oder drei Formen, die man nicht sicher voneinander unterscheiden konnte, und gigas eine selbststerile Form (202, S. 299). Von O. spa- thulata sagt DE VRIES: ,,Von einer O. spathulata hatte ich bis jetzt nur Rosetten, und dasselbe gilt von anderen Formen, welche mit Namen zu belegen sich nicht lohnen würde.“ DE VRIES spricht auch von ‚mehr oder weniger unvollständig ausgebildeten Individuen der einzelnen neuen Arten, welche bisweilen wie Zwischenformen aussehen“ [202, S. 334]. Er betrachtet diese als „nur unvollständige Kopien des bereits in vollkommenem Zustande vorhandenen Vorbildes“. ,,Sie sind nur extreme Varianten des völlig 1) Von mir gesperrt. Die Variabilität der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. 119 konstanten neuen Typus“. Er gibt aber keine nähere Beschreibung über diese Zwischenstufen. MAC DOUGAL hat in seinen Reinkulturen acht von den von DE VRIES beschriebenen Mutanten!) [aldida, elliptica, scintillans, gigas, nanella, oblonga, subovata (134, S. 32), /ata?) (135, S. 3 und 10)] er- halten. Daneben hat er indessen neun neue gefunden, die er mit keiner von DE VRIES’ Mutanten identifizieren konnte, und zwar vier in Kulturen aus Samen von DE VRIES, fünf in Kulturen aus Samen vom Botanischen Garten in New York. Ferner hat MAC DOUGAL aus Samen von VILMORIN außer vorher bekannten Mutanten eine rubrinervis (?) „and a few other divergent forms“ erhalten, zusammen also eine recht große Anzahl neuer Mutanten. Leider beschränkt sich MAC DOUGAL auf eine Beschreibung lediglich der schon vorher be- kannten Mutanten, so daß man keine Auffassung davon bekommt, in welcher Richtung die von ihm studierte Variabilität verläuft. Weiter hat SCHOUTEN eine neue Mutante erhalten, nämlich ©. blanda, und GATES zwei, nämlich O. rubricalyx und eine, die zwischen O. lata und semilata steht. Ich selbst habe von O. Lamarckiana neun Mutanten erhalten, von denen ich nur eine (als O. /ata) mit einer von DE VRIES’ Mutanten identifizieren Konnte. Nach den Angaben von BAILEY und BOULENGER zu urteilen, gibt es auch in wildwachsenden Oenothera-Beständen andere Formen als die DE VRIESschen Mutanten. BAILEY sagt hiervon, nachdem er eine Beschreibung über die letzteren gegeben hat: „I am not able to say, how many of these mutations occur at St. Anne’s, nor I am sure that all those which do occur are accounted for in these tables.“ Und BOULENGER äußert sich, nachdem er einige abweichende Formen beschrieben hat, in folgender Weise: ‚In short, I have tried hard to refer all these variations to the „elementary species“ of DE VRIES, but without success. Acting on the principles advocated by DE VRIES, 1) In anderen Kulturen hat er auch O. rubrinervis erhalten. 2) Merkwürdigerweise sagt Mac Doucatr (134, S. 32), daß O. Lamarckiana bei DE VRIES die Fähigkeit, O. /ata zu erzeugen, verloren hat. Er weist auf DE VRIEs, 202a, S.458, hin. Dort sagt aber pz Vries nur, daß O. Lamarckiana in seinen Kulturen O. brevistylis und O. laevifolia nicht ergeben hat, und daß diese weder mit der Stammart noch mit O. /ata Mutationskreuzungen geben, kein Wort aber von einer Unfähigkeit der O. Lamarckiana, die O. lata zu erzeugen. Im Gegenteil erwähnt er an einer Stelle (202, S. 157), daß O. lata 229mal aus einer Lamarckiana-Familie ent- standen ist, an einer anderen Stelle 171 mal aus einer anderen Lamarckiana-Familie. In einer späteren Abhandlung (135) sagt Mac Doucat, daß O. /ata in den DE Vriesschen Kulturen in allem 493 mal entstanden ist. I20 Heribert-Nilsson. it would be possible to describe a further number of new species, in addition to recognizing (CE. biennis and (E. Lamarckiana in restricted sense, but their definition would be very shaky.“ Zu den von DE VRIES beschriebenen Mutanten kommen also zehn neue von MAC DOUGAL, eine von SCHOUTEN, zwei von GATES und acht von mir hinzu, und damit ist die Anzahl schon mehr als verdoppelt. Außerdem haben wir die sowohl von DE VRIES als MAc DOUGAL erwähnten und, wie es scheint, recht zahlreichen ab- weichenden Formen, denen sie keine größere Aufmerksamkeit geschenkt haben. Es dürfte daher gar keinem Zweifel unterliegen, daß die Anzahl der Mutanten bedeutend größer ist, als man bis- her angenommen hat, und es ist höchst wahrscheinlich, daß bei einem genauen Studium aller Formen, nicht nur der iso- lierten, distinkten Typen, die Diskontinuität der Variation nicht so groß wird, wie man sie sich bisher vorgestellt hat. Parallelmutanten und Mutantengruppen. Wenn man voraussetzt, daß wir innerhalb von ©. Lamarckiana eine Anzahl differierende Eigenschaften haben, die auf verschiedene Individuen verteilt sind, so liegt der Gedanke nahe, daß Kulturen, die nicht aus Samen von DE VRIES’ Ausgangsmaterial stammen, nicht nur neue Mutanten geben, sondern auch Formen, die mit den von DE VRIES gefundenen parallel laufen, und die man also mit gewissen von DE VRIES beschriebenen Mutanten auf ein und denselben Kom- binationstypus zurückführen könnte. Von den in meinen Kulturen erhaltenen Mutanten stellt eine habituell einen ganz neuen Typus dar. Eine andere scheint nur in einem Charakter (gelbfleckige Blätter) von der Stammart abzuweichen. Fünf schließen sich in ge- wissen Charakteren mehr oder weniger den von DE VRIES beschriebenen Arten an, lassen sich aber unmöglich ganz und gar in dieselben einordnen. Eine Rosette, die deutlich ab- weichend war, konnte ich nicht näher bestimmen, wegen des unent- wickelten Stadiums, in dem sie sich befand. Eine schließlich, aber nur diese eine, konnte ich gleich mit einer von DE VRIES Mutanten identifizieren, und zwar als O. /ata. Das ganze Resultat scheint darauf hinzudeuten, daß der Eigenschaftskomplex, welcher in meinem Ausgangsmaterial realisiert war, nicht mit dem übereinstimmte, welchen DE VRIES’ Ausgangsmaterial bildete). 1) Mac Doucar sagt, daß Samen aus dem Botanischen Garten von New York dieselben Mutanten gab, welche aus DE VrIEs’ Kulturen hervorgegangen sind. Dies Die Variabilität der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. 121 Um deutlich zu zeigen, daB gewisse von meinen Mutanten Pa- rallelformen bildeten, welche sich in mehreren Merkmalen von denen von DE VRIES unterschieden, in anderen aber diesen sich näherten, werde ich eine Beschreibung derselben geben. Da ich die Mutanten als aberrante Neukombinationen von in der Stammart bereits vorhandenen Eigenschaften auffasse, so wende ich für meine ‚neuen Mutanten“ den Ausdruck „Kombination“ an, entsprechend dem Vorschlag von BAUR und SCHINZ, die „Variation durch Spaltung und Neukombination“ ‚Kombination‘ zu benennen. Vielleicht wäre es doch besser für die betreffenden Formen das Wort „Kombinante‘“ zu benutzen, da es ja kaum richtig ist, für den Variationsvorgang und das Produkt der Variation denselben Ausdruck zu verwenden, was auch auf die Begriffe Variation und Variante, Mutation und Mutante zutrifft. Kombination I (= O. /ata DE VRIES). Diese scheint die Kombination zu sein, welche in meinen Kul- turen am leichtesten realisiert wird. Ein Individuum, erhalten durch Kreuzung von Linie 8>< 7, erblühte schon ıgıı (Textfig. 6). Es hatte alle die Merkmale, welche DE VRIES als fiir O. /ata charakte- ristisch hervorgehoben hat: Niedrigen Wuchs, sehr breite Blätter mit runder Spitze, äußerst starken Buckeln und umgebogenem Rande, rosettenförmige Seitenzweige, breite Brakteen, dicke blasse Blumen- knospe, halboffene blässere Blumen mit runzeligen Blütenblättern, sterile Staubblätter, überzählige, abnorm ausgebildete Narben, kurze dicke, stumpfe Früchte. Es zeigte keine bemerkenswerte Abweichung von der /ata, vielleicht war es etwas fester, denn seine Äste hingen nicht nach unten, wie das nach DE VRIES bei dieser der Fall war, sondern selbst im Herbst, als die Früchte reif waren, standen sie noch ganz aufrecht. In einer Eigenschaft stimmte es jedoch nicht mit DE VRIES /ata überein. Diese ist nämlich arm an Samen, während meine /afa-Kombination samenreiche Kapseln mit 1I00—150 Samen hatte. Habituell wie auch in den meisten Eigenschaften stimmt aber Komb. ı mit /a/« überein. In Linie 8 wurde eine Rosette erhalten, welche ohne Zweifel auch die obige /a/a-Kombination darstellte. [In Textfig. 7, ist diese ist ja nicht undenkbar, möglich ist aber auch, daß sie nicht identisch mit diesen. sondern nur einzelnen derselben ähnlich waren. So scheint eine abgebildete /ata- Rosette (135, Taf. 5) die charakteristische Eigenschaft, runzelige Blätter, nicht deutlich zu zeigen, wenn sie auch die Blattform der /ata hat. I22 Heribert-Nilsson. lata-Rosette neben einer Schwesterrosette von normalem Zamarckiana- Aussehen photographiert.] Diese beiden /ata-Individuen gingen aus weißnervigen Linien hervor. Die weißnervigen Linien haben indessen, wie ich vorher er- wähnte, buckligere Blätter und kürzere Früchte als die rotnervigen. Lata zeichnet sich gerade durch diese Charaktere aus. Es ist inter- essant, zu sehen, daß sie in Linien gebildet wird, welche hinsichtlich der Variabilität dieselbe Richtung mit ihr verfolgen. Textfig. 6. Lata-Form aus der Lamarckiana-Sippe des Verf. Die heterozygotisch rotnervige Linie 3 und die Kreuzung zwischen Linie?f3 und Linie 1, die letztere auch heterozygotisch rotnervig, gaben je eine /afa-ähnliche Rosette. Die Blätter hatten starke Buckel und stumpfe Spitzen, waren aber nicht so kurz und rund, wie bei der Zata-Rosette aus Linie 8. Die /ata-Charaktere waren nicht stark aus- geprägt wie bei dieser, und es ist möglich, daß sie einen anderen Kombinationstypus als DE VRIES’ /afa darstellen. Beide Rosetten waren weißnervig. Die Variabilität der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. 123 Eine von der DE VRIESschen /ata abweichende /afa-Form, er- halten aus Samen von einer an der Küste in der Nähe von Liver- pool (England) wildwachsenden O0. Zamarckiana, wird von Mac DOUGAL und GATES erwähnt. Sie unterschied sich dadurch von der DE VRIESschen /ata, daß sie ziemlich reich an Pollen war und einen kräftigeren Wuchs hattet). MAC DOUGAL hat auch eine /ata-Form erhalten, welche trotz einer normalen Pollenmenge jedoch selbst- steril war. Pollenreiche /ata-Formen hat auch DE VRIES selbst erhalten, nämlich aus der Kreuzung lata x O. Hookert. Textfig. 7. Ziemlich junge Rosette eines weißnervigen Individuums von O. Lamarckiana (links) und eine lata-Rosette (rechts), zusammen photographiert. Den pollenreichen /ata-Formen schließt sich die Mutante O. semi- fata nahe an. Die DE VRIESsche QO. /ata ist also nicht die einzige /ata-Form, » welche aus O. Zamarckiana hervorgehen kann, sondern es sieht viel- mehr aus, als ob wir es mit einer Gruppe von Formen zu tun haben, welche sich in einen Typus einordnen lassen, indem sie einige Eigenschaften mit der DE VRIESschen lata gemein- sam haben, in anderen sich aber von ihr unterscheiden. Dann wird es aber unmöglich, /ata als eine Elementarart an- zusehen, die sich in nur einer Eigenschaft von O. Zamarckiana unterscheidet. 1) Mac DoucaAr hat diese /ata-Form Selbstbestäubung unterzogen und ist zu dem Resultate gekommen, daß sie inkonstant ist. Sie gab eine Nachkommenschaft von 8 Lamarckiana, 10 lata, 2 oblonga und ı albida (135, S.8; S. ı5 sagt er, daß die Nachkommenschaft 10 /ata, 80 Lamarckiana, 3 oblonga und 1 albida betrug). I24 Heribert-Nilsson. Kombination 2 (albida-ähnlich). Von dieser Kombination hatte ich 1gII nur Rosetten, und zwar drei solche. Alle stimmten im Typus miteinander völlig überein. Sie wurden schon als Keimlinge dadurch entdeckt, daß die Blätter fleckig (weiß oder weißlich grün auf grünem Grunde) waren. Die Keimlinge waren ebenso kräftig wie die Schwesterpflanzen von O. Lamarckiana, und im Anfang glaubte ich, daß ich nur mit einer weißfleckigen Form von dieser zu tun hatte. Indem die Rosetten wuchsen, wurden aber die Flecken ausgeglichen und das ganze Blatt bekam eine weißlich- grüne Farbe. Die vollentwickelte Rosette bestand aus langen, schmalen, glatten Blättern, die an der Spitze abgerundet waren und,in den Textfig. 8. Rosette der Komb. 2 (albida-ähnlich). Blattstiel ohne die für O. Lamarckiana so charakteristischen unregel- mäßigen Einschnitte allmählich sich verengend übergingen (Textfig. 8). Die inneren Blätter waren sehr stark löffelförmig, d. h. der ganze Blattrand war stark nach oben umgebogen. Auch die äußeren aus- gewachsenen Blätter näherten sich dieser Form. Im völlig entwickelten Stadium waren die Rosetten vollkommen ebenso blattreich, wie die von O. Lamarckiana, welche sich in demselben Alter befanden, sahen aber wegen der schmäleren Blätter kleiner aus. Alle drei Rosetten blieben im Rosettenstadium, obschon sie früh ausgepflanzt waren und die gleichzeitig ausgepflanzten Zamarckiana-Rosetten sämtlich er- blühten. Die Kombination scheint also ausgeprägt zweijährig zu sein. Wie aus der gegebenen Beschreibung hervorgeht, zeigten die Rosetten durch ihre Farbe Charaktere von der a/ézda. Die schmalen, Die Variabilitat der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. 125 löffelförmigen, gegen die Spitze abgerundeten, glatten Blätter stimmen aber nicht mit DE VRIES’ Beschreibung und Abbildung von der albida, auch nicht mit einer von MAC DOUGAL abgebildeten Rosette derselben überein (135, Pl. 5). Alle drei Rosetten waren weißnervig. Zwei gingen aus den weißnervigen Linien 7 und 8 hervor, eine aus der heterozygotisch rotnervigen Linie 1. Kombination 3 (rudrinervis-ähnlich). Nur eine Rosette, rotnervig, aus der rotnervigen Linie 5 hervor- gegangen. Durch Blätter, die in der Mitte am breitesten waren, eine Textfig. 9. Rubrinervis-ähnliche Rosette. ziemlich lange scharfe Spitze zeigten, graugrün und schmäler als die der Lamarckiana waren und kleinere Buckel hatten, scheint diese Kombination DE VRIES’ rubrinervis nahe zu kommen (Textfig. 9). Kombination 4. Eine ziemlich schwache Rosette, die gleich nach der Auspflanzung im Wachstum nachblieb. Sie zeichnete sich durch lange, schmale, all- mählich in den Blattstiel übergehende Blätter mit langer scharfer Spitze aus. Rotnervig. Blätter von gewöhnlicher grüner Farbe, nicht graugrün. Aus Linie 2. Kombination 5. Ein Individuum, welches aus der Linie 8 hervorging und IgII erblühte (Textfig. 10). Schon als Rosette höchst frappant abweichend 126 Heribert-Nilsson. von den Schwesterrosetten innerhalb derselben Linie. Die Rosette war nämlich kleiner als diese, hatte schmälere, ganz glatte tiefdunkelgrüne, glänzende Blätter, welche nach der Spitze zu am breitesten waren, kurz abgestumpft endeten und eine Tendenz zur Bauchigkeit hatten. Nach- dem sie Stengel angesetzt hatte, zeigte es sich, daß sie auch hin- sichtlich der Verästelung einen Typus von besonderer Art darstellte, denn während alle ihre Schwesterpflanzen von der Rosette aus mehrere kräftige Nebenstengel aussandten, fehlte hier jede Verästelung. Da- gegen entwickelte sich am oberen Teil des Stengels eine ungewöhnlich große Anzahl Seitenäste. In bezug auf ihre Verästelung scheint sie mit O. rubrinervis, für welche diese Merkmale charakteristisch sind, übereinzustimmen (siehe DE VRIES 202, Fig. 67). Hinsichtlich der Pigmentierung bildete sie aber einen vollkommenen Gegensatz zu O. rubrinervis. Der Stengel war nämlich sehr arm an Pigment, fast ganz grün. Auch den Knospen, welche eine gelbliche Farbe hatten, fehlte es fast gänzlich an rotem Pigment; nur längs der Nähte der Kelchblätter zogen sich 4 schwache rotgelbe Streifen hint). Auch die Früchte hatten keine roten Längsstreifen auf der Mitte der Klappen. Die ganze Pflanze war nicht nur eine schwächer pigmentierte Form als zudrinervis, sondern auch als alle Schwesterpflanzen derselben Linie. In bezug auf die Form der Blätter, auf die Infloreszenzen und die Blüten, bildete sie einen Typus von besonderer Art. Die Tendenz zur Bauchigkeit, welche die Rosettenblätter auszeichnete, wurde bei den Stengelblättern stärker. Im entwickelten Stadium hingen die letzteren etwas herab, und die Flächen bogen sich wie eine Sichel nach unten. Die beiden Blatthälften lagen nicht in einer Ebene, sondern stießen in einem Winkel zusammen, so daß die Fläche von oben gesehen dachförmig erschien (siehe Textfig. 10). Diese eigentüm- liche Form beruht augenscheinlich auf einer Disproportion zwischen der Entwicklung der Blattnerven und der des Blattparenchyms. Eine ähnliche Eigenart und damit verbundene Blattform zeichnet auch die beiden anderen Mutanten derselben Linie aus, nämlich die vorher beschriebenen Komb. ı und 2. Jene hat extrem bucklige Blätter mit einem schwach nach oben umgebogenen Rand, diese hat glatte Blätter mit so stark umgebogenem Rande, daß die Blätter löffelförmig werden. Es sieht aus, als ob die Nerven bei Komb. 2 1) GaTEs sagt (67, S. 340), daß, wenn Pigment an den Knospen auftritt, es immer erst längs des Mittelnervs geschieht. Dieses scheint jedoch nicht eine all- gemeine Regel zu sein, weil nicht nur Komb. 5, sondern auch mehrere andere Pflanzen in meinen Kulturen eine Ausnahme gemacht haben. Die Variabilität der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. 127 und 5 zu lang wären: sie spannen aus diesem Grunde das Blatt- parenchym aus, so daß die Fläche zuerst eben wird und dann sich allmählich biegen muß. Bei der Komb. ı sieht es dagegen aus, als ob sie zu kurz wären, so daß das Parenchym in seinem Wachstum zur Buckelbildung gezwungen wird. Die eigentümliche Form des Fig. 10. Aberrantes Individuum der O. Lamarckiana (Komb. 5). Blattes und der Oberfläche bei diesen Mutanten hat ihren Grund vielleicht darin, daß die Länge der Nerven und die Größe der Fläche von verschiedenen Faktoren bedingt sind, die unabhängig spalten. Die Seitenzweige des Stengels der Komb. 5 zeigten sich während des Vorsommers als rosettenähnliche Bildungen, fingen aber später 128 Heribert-Nilsson. bald an zu treiben und entwickelten in ihrer Spitze eine ungeheuer große Anzahl kleiner Knospen. Die ersten Blüten der Hauptinflo- reszenz waren größer als die, welche sich später auf den Seitenzweigen entwickelten, aber bedeutend kleiner als die der O. Lamarckiana (Kronenblätter ca. 28 =< 35 mm). Die Blüten ' der Seitenzweige (Kandelaberäste) waren nicht größer als die der O. diennis. Diese geringe Blütengröße scheint, weil eine außerordentlich große Anzahl Knospen gebildet wurde, wenigstens zum großen Teil auf Nahrungs- mangel zu beruhen. Die Knospen waren dicht vor der Spitze ziem- lich kurz abgeschnürt und, wie oben erwähnt, blaß und pigmentarm. Die Blütenblätter waren sehr oft unregelmäßig zipfelig und die Blüten nicht völlig geöffnet. Das Längenverhältnis zwischen Griffel und Narben war in den Blüten der Seitenäste dem der O. diennis gleich: die Staubbeutel reichten mit ihrer Spitze zu der Narbe hinauf und puderten diese schon im Knospenstadium mit Pollen ein. Bei den Blüten der Hauptinfloreszenz erhob sich die Narbe kaum über die Staubbeutel. Diese letzteren hatten eine bedeutend verminderte Pollenproduktion. Die Früchte waren sehr kurz, ungefähr von der Länge der /ata, aber schmal; nicht allmählich sich gegen die Spitze verengend, sondern gleichsam plötzlich abgehauen. — Diese Mutante ist eine eigentümliche Kombination, in der man Merkmale verschiedener Mutanten findet: Verästelung der rubdrinervis, gewisse Blattcharaktere der scintillans, lata-ähnliche Blumenknospen und Früchte. Daneben hat sie gewisse selbständige Charaktere von besonderer Art. Kombination 6 (mit rudrinervis-Eigenschaften). Diese Kombination wurde schon im Jahre 1908 von Samen eines 1907 blühenden Individuums gewonnen. Sie zog meine Aufmerksamkeit durch ihre schmalen Blätter und stark pigmentierten Knospen und Früchte auf sich, und in einer kleinen Mitteilung, welche ich in dem- selben Jahre über eine gzgas-Mutante von 1907 veröffentlichte, sprach ich die Vermutung aus, daß sie O. scintillans sei [85]. Es hat sich indessen später ergeben, daß dies nicht der Fall war. Schon in der nächsten Generation wurde das klar aus dem Grunde, weil die Stammart nicht wieder auftrat, wie es mit der inkonstanten scintillans immer der Fall ist. 1909 hatte ich aus kontrolliertem Samen 15 Pflanzen, welche alle gut miteinander übereinstimmten. Die Rosetten zeichneten sich durch ihre schmalen, allmählich in den Blattstiel übergehenden Blätter aus, welche von einer gelbgrünen Farbe waren, breite Spitze, lange Säge- Die Variabilität der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. 129 zähne (doppelt so lang wie bei O. Zamarckiana) und weiße Blattnerven hatten. Gleichzeitig mit der Entwicklung des Hauptstengels fing die Ästeentwicklung von der Blattrosette an, so daß die Pflanze schon an der Basis einen Kranz von langen kräftigen Nebenstengeln bekam. Der Stengel war stark pigmentiert und die Pigmentflecken waren länglich, während die von der O. Zamarckiana fast rund sind. Die Blüten waren etwas kleiner als sie bei der Stammart sind. Im Knospen- stadium waren die Kelchblätter intensiv rot gefärbt. Nur längs der Mittelnerven und da, wo sie aneinanderstießen, hatten die Kelch- blätter acht haarschmale, zuweilen undeutliche grüne Streifen. Auch das Hypanthium war, wenigstens am oberen Teil, rot oder rot- gestreift und wurde beim Verwelken der Blüte intensiv rot (bei O. Lamarckiana wird es nur schwach rot). Die Fruchtstellung war bedeutend lichter als die der ©. Lamarckiana, die Früchte waren länger [vgl. Textfig. 5 (Komb. 6) mit 3 und 4 (Lamarckiana)] und längs den Rändern mit sehr stark hervortretenden, rotgefärbten Bändern versehen. Sämtliche Individuen blühten schon im ersten Jahre, obgleich die Auspflanzung erst spät im Laufe des Mai erfolgt war. Dasselbe war der Fall mit zwei IgIo und fünfunddreißig IgII aufgezogenen Pflanzen, welche mit den beschriebenen Charakteren der Kombination von 1909 völlig übereinstimmten. 1gII wurden erst im Juni einige Pflanzen ausgepflanzt, erblühten aber noch im Laufe des Jahres. Die Kombination scheint also typisch einjährig zu sein. Sie erblühte immer früher als gleichzeitig ausgepflanzte O. Lamarckiana-Pflanzen und scheint also eine kürzere Entwicklungsperiode als diese zu haben. Entgegengesetzte Formen in bezug auf die Entwicklungszeit sind O. gigas und Komb. 7, welche in der Regel zweijährig sind. Nur bei sehr früher Auspflanzung erblühten diese im ersten Jahre und da erst spät im Herbst. Alle 1909 gleichzeitig mit Komb. 6 ausgepflanzten Exemplare von gigas und Komb. 7 verblieben im Rosettenstadium, während einige von den 1911 ausgepflanzten im Laufe dieses auBer- gewöhnlich warmen Sommers erblühten. Diese Differenz in der Ent- wicklungszeit ist sicher schon zwischen verschiedenen Pflanzen von O. Lamarckiana vorhanden, denn es ist ganz gewöhnlich, daß diese letzteren zum Teil schon im ersten, zum Teil erst im zweiten Jahre erblühen. Von den 29 vorher erwähnten Pflanzen aus der weiß- nervigen Linie 1909 blühten 23 im ersten Jahre, sechs erst 1910, ob- wohl sie alle gleichzeitig ausgepflanzt waren, und unter möglichst gleichen Standortsverhältnissen wuchsen. Induktive Abstammungs- und Vererbungslehre. VIII. 9 130 Heribert-Nilsson. Es ist ganz klar, daß Komb. 6 sich der O. rubrinervis anschließt. Man kann jedoch unméglich sagen, daB sie identisch mit dieser ist, denn in verschiedenen wichtigen Charakteren weicht sie von derselben ab. Gemeinsam mit der rubrinervis ist die stärkere Pigmentierung auf Knospen und Friichten, und dieser Charakter ist es ohne Zweifel, der am meisten sein Gepräge dem rubrinervis-Typus aufdrückt. Daß die Nervenfarbe bei diesem Typus von keiner größeren Bedeutung ist, zeigt sich wohl am besten darin, daß Komb. 6 weißnervig ist. Es ist also hier nicht derselbe Faktor, welcher Pigmentierung in den Blättern und den Blütenteilen hervorruft. In bezug auf die Stengelblätter weist Komb. 6 Charaktere der rubrinervis auf. Jene sind nämlich schmal, glatt und von etwas graugrüner Farbe. Die Farbe der Wurzelblätter stimmt dagegen nicht mit der rudrinervis überein, denn sie ist rein gelbgrün, wodurch sie der Rosette ein ganz charakte- ristisches Aussehen gibt. Die Verästelung ist nicht die, welche die rubrinervis auszeichnet. Auödrinervis hat nämlich nur am oberen Teil des Hauptstengels Verästelung, Komb. 6 dagegen eine starke Ver- ästelung schon von der Rosette aus. Die Blütenmerkmale der rudrz- nervis scheinen also nicht mit einem bestimmten Verästelungstypus verbunden zu sein. Ich erinnere in diesem Zusammenhang auch an die rubrinervis-Verastelung bei Komb. 5, welche ja sonst keine rubrz- nervis-Eigenschaften zeigte, sondern im Gegenteil eine extrem pigment- arme Form war. Auch nicht in bezug auf die Blütengröße stimmte Komb. 6 mit der O. rubrinervis überein, denn diese letztere hat etwas größere Blüten als O. Zamarckiana, während Komb. 6 etwas kleinere Blüten als die Stammart hat. Die ausgeprägte Einjährigkeit wird wohl ein von der O. rubrinervis abweichender Charakter sein, und die Brüchigkeit, welche die Blätter und Aste der rudrinervis auszeichnet, findet man nicht bei der Komb. 6. Komb. 6 scheint also zu zeigen, daß alle rudbrinervis-Merkmale nicht auf einer einzigen neuen Eigenschaft beruhen, denn sie hat nicht einmal die rote Nervenfarbe mit der rubrinervis gemeinsam und unterscheidet sich in verschiedenen anderen Charakteren von derselben. In bezug auf die Pigmentierung der Infloreszenz ist sie indes eine deutliche zuörinervis und scheint sogar stärker pigmentiert als diese zu sein, indem die Pigmentierung der Knospen sich nicht lediglich auf die Kelchblätter beschränkt, sondern sich auch bis auf das Hypanthium erstreckt. Die ursprüngliche Aberrante hatte ganz rotes Hypanthium und die 1909 aufgezogenen Individuen ebenso, aber diese waren sehr dicht ausgepflanzt und Somationsvariation wirkt auf Die Variabilität der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. 13I die Intensität der Farbe ein. Bei den Igrı aufgezogenen Pflanzen, welche guten Spielraum hatten, war das Hypanthium nur am oberen Teil ganz rot und unten rotgestreift, und diese Pigmentierung nahm zu, je weiter das Jahr vorschritt. Die Komb. 6 scheint sich bezüglich der Pigmentierung der Knospen einer Form zu nähern, welche GATES unter dem Namen O. rubricalyx beschrieben hat, und welche sich von der rubrinervis durch ganz pigmentierte Knospen und ferner durch Pigmentierung auf dem Hypanthium und an der Unterseite der Blatt- nerven unterscheiden soll. Diese Form ist insofern interessant, als sie zeigt, daß sogar die Infloreszenzpigmentierung in der rudrinervis-Kom- bination zusammengesetzt sein kann, denn es hat sich erwiesen, daß der erwähnte Unterschied, Verbreitung des Pigments, von erblicher Natur ist. In bezug auf die Pigmentierung gibt es also nicht nur eine Mutante, sondern eine ganze Gruppe von solchen. Das Gemeinsame für diese scheint die Infloreszenzpigmentierung zu sein, obschon auch diese erbliche Differenzen aufzeigen kann. Die Rotnervigkeit scheint dagegen nicht notwendig zu sein, um einen rubrinervis-Typus zu bilden. Die Infloreszenzpigmentierung des rudrinervis-Typus ist nicht mit einer bestimmten Kombination von anderen Eigenschaften ver- bunden, sondern kann auch in andere Eigenschaftskombinationen ein- gehen als gerade die, welche die DE VRIESsche rubrinervis auszeichnet. Und die Eigenschaften, welche nach DE VRIES mit der stärkeren Pig- mentierung fest verbunden sein sollten, können bei ganz anderen Mutanten mit extrem schwacher Pigmentierung gefunden werden. Es ist also sehr wahrscheinlich, daß die Merkmale der Mutanten nicht auf einer korrelativen Beeinflussung in den verschiedenen Organen der Pflanze durch ein und dieselbe Eigenschaft beruhen, sondern auf mehreren selbständig spal- tenden Einheiten basieren, welche jedoch jede für sich ver- schiedene Organe beeinflussen können. Sicher sind die erwähnten rudrinervis-Kombinationen nicht die einzigen, welche erhalten werden können. So z. B. erwähnt MAC DOUGAL eine Mutante, die kleinere Blüten als die DE VRIESschen rubrinervis hatte, aber sonst mit dieser übereinstimmte, und eine, die er mit rubrinervis(?) bezeichnet und welche wohl in irgendeiner Weise von der von DE VRIES beschriebenen O. rudrinervis differierte. Auch die von SCHOUTEN beschriebene O. d/anda scheint eine Mutante mit rudrinervis-Eigenschaften zu sein!), 1) Nach Honıng entsteht O. blanda als ein Produkt der Kreuzung O. Lamarckiana >< rubrinervis. 9* 132 Heribert-Nilsson. Was ich vorher betreffs O. /ata nachgewiesen habe, das gilt auch für O. rubrinervis: diese ist keine Elementarart, sondern nur ein Durchschnittstypus, der in sich mehrere Kombinationen ein- schließt: rubrinervis DE VRIES, rubricalyx, Komb. 6, die beiden radri- nervis von MAC DOUGAL und O. dlanda von SCHOUTEN, II. Die Variabilität des Riesentypus. Außer den schon erwähnten Kombinationen habe ich in meinen Kulturen eine Kombination von ausgeprägtem gzgas-Typus und eine, welche sich in gewissen Eigenschaften gzgas nähert, erhalten, also zwei verschiedene Abstufungen zwischen O. Zamarckiana und gigas. Da gigas vielleicht diejenige der Mutanten ist, welche am meisten für das Entstehen neuer progressiver Eigenschaften sprechen würde, und da meine Versuche sich gerade über diese Mutante am meisten ver- breiten, werde ich mich mit der Darlegung und Analyse der hierher- gehörigen Tatsachen etwas ausführlicher beschäftigen. Vergleichung einer von mir erhaltenen Riesenmutante und O. gigas DE VRIES. Schon im ersten Jahre meiner Züchtungsversuche [1907] erhielt ich aus Samen einer der Ausgangspflanzen ein Individuum, welches durch seine größeren, mehr glänzenden Blüten von den Schwester- pflanzen sichtlich abstach, und dieser Charakter war es hauptsächlich, der mich veranlaßte, Isolierung und kontrollierte Befruchtung mit demselben auszuführen, um seine Nachkommenschaft weiter zu studieren. In dem Garten, wo die Pflanze wuchs, gab es keine andere Oenothera-Art als O. Lamarckiana, weshalb es sicher ist, daß sie, die ich im folgenden Komb. 7 nenne, reinen Lamarckiana- Ursprungs war. Aus kontrolliertem Samen der Komb. 7 erhielt ich 1908 acht blühende Pflanzen, welche alle in bezug auf die Blütengröße mit der Mutterpflanze übereinstimmten und grobe Stengel, große, breite Blätter und kurze Früchte hatten. Alle Individuen schienen einen miteinander übereinstimmenden von der Lamurckiana unterschiedenen Typus zu bilden, wenigstens gab es keine auffallenden Differenzen. Da ihre Charaktere mit O. gigas gut übereinzustimmen schienen, soweit ich das aus DE VRIES’ Beschreibung dieser Mutante beurteilen konnte, beschrieb ich sie im Anfang des Jahres 1909 als identisch mit DE VRIES’ O. gigas (85). Die Variabilität der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. 133 Mit einem von den acht Individuen wurde Selbstbefruchtung vollzogen. Der dadurch gewonnene Samen wurde 1909 ausgesät, gab aber im Laufe dieses Jahres nur Rosetten. In demselben Jahre er- hielt ich von DE VRIES Samen von seiner O. gigas, aus dem ich gleichfalls Pflanzen im Rosettenstadium aufzog. IgIo konnte ich die beiden blühenden Kulturen miteinander vergleichen. Es zeigte sich da, daß die Formen nicht identisch waren, wenn sie auch in einigen Charakteren übereinstimmten, und zwar in denen, welche ihnen ein kräftiges üppiges Aussehen verliehen. Die beiden Typen, welche ich in den folgenden gzgas und Komb. 7 nenne, unterschieden sich gemeinsam von der Zamarckiana durch folgende Charaktere: I. Stengel dicker, etwas niedriger. 2. Stengelglieder kürzer. 3. Blätter stärker dunkelgrün und dicker. 4. Blätter stärker gezähnelt. 5. Rosetten ausgeprägt zweijährig. [Wenn sie schon im ersten Jahre Stengel ansetzen, so geschieht es erst im Spätherbst.] 6. Blütenknospen dicker. 7. Blüten größer. 8. Narben doppelt so dick. 9. Früchte kürzer und dicker. In Fig. 6, Taf. 3 sieht man links einen O. Zamarckiana-Bestand, rechts einen gzgas-Bestand. Hier tritt sowohl der Unterschied bezüg- lich der Höhe deutlich hervor (vergleiche die Höhe der Bestände mit der des Zaunes hinten) wie auch daß der gigas-Bestand später erblüht (einzelne Blüten der gzgas-Pflanzen sind eben ausgeschlagen, während die Zamarckiana-Pflanzen in voller Blüte stehen). Beim näheren Be- schauen sieht man auch ziemlich deutlich den Unterschied hinsichtlich der Blütengröße. Sie differierten untereinander dagegen in folgenden Charakteren: 1. Komb. 7 hatte dunkelgrüne Blätter, gigas fast blaugrüne. 2. Komb. 7 hatte rote Blattnerven, gigas weiße. 3. Komb. 7 hatte starke Verästelung von der Rosette aus mit Nebenstengeln, die von der Höhe des Hauptstengels oder noch höher waren, gigas hatte keine oder wenige und kurze Nebenstengel. Die Seitenzweige waren bei gigas an der Basis stark nach oben gebogen, so daß sie beinahe senkrecht standen, bei Komb. 7 waren sie an der Basis gerade, bildeten aber mit dem Stamm einen 134 Heribert-Nilsson. kleinen Winkel, so daß sie auch hier, wenn auch nicht so stark als bei gzgas, aufwärts standen. 4. Die Stammglieder der gögas waren noch kürzer als bei Komb. 7, wodurch die Blätter bei jener mehr zusammengedrängt saßen. 5. Gigas hatte [im Blütestadium] gewöhnlich hängende Blätter, Komb. 7 horizontal abstehende. Die drei letzten Charaktere gaben den beiden Typen einen recht verschiedenen Habitus: Gzgas einen dichten, zusammengedrängten pyramidalen, Komb. 7 einen lockeren, offenen, kandelaberförmigen. 6. Die Blütenknospen waren bei gigas bedeutend schwächer ge- färbt als bei Komb. 7. Die Grundfarbe war bei jener gelbgrün, mit gelbroten oder gelbbraunen Flecken, bei dieser grün, zeigte sich aber nur in acht grünen Streifen längs den Mittelnerven der Kelchblätter und dort, wo diese aneinandergefügt waren, der ganze übrige Teil der Knospe war von einer braunroten Farbe bedeckt. Die Pigmentierung war also bei der Komb. 7 bedeutend mehr verbreitet und intensiver als bei gigas. Dieser Unterschied wurde später im Sommer einigermaßen ausgeglichen, da die späteren Blüten- knospen von gzgas stärker gefärbt als die ersten waren. 7. Die Blütenknospen bei Komb. 7 waren kegelförmig, gleich- mäßig nach der Spitze sich verengend, bei gzgas tonnenförmig, bedeutend kürzer und dicker, an der Spitze plötzlich abgerundet. Die Knospen jener waren am oberen Drittel scharf viereckig, die letztere hatte abgerundete Ränder. Knospen bei Komb. 7 70—80 x 13—14 mm, bei gzgas 55—60 x I5—I6 mm. 8. Die Blüten waren bei gzgas stark gelb, bei Komb. 7 hellgelb, höchst unbedeutend stärker gefärbt als bei Zamarckiana. 9. Die Blütenkrone war bei Komb. 7 größer als bei gzgas, was auf sowohl längeren als breiteren Blütenblättern beruhte. Komb. 7: 65x90 mm, gigas 60x 80 mm, Lamarckiana 55x75 mm!). Die Krone bei Komb. 7 ausgebreitet [schüsselähnlich], bei gigas durch etwas eingebogene Kronenblätter mehr glockenférmig. 10. Die Griffel bei Komb. 7 waren länger [110—115 mm] als bei gigas [95—I00 mm]. 11. Die Narben lagen bei Komb. 7 im Knospenstadium ober- halb der Krone, und sobald die Knospen barsten, breiteten sie sich oberhalb der noch zusammengerollten Krone und der noch nicht zurückgeschlagenen Kelchblätter sternförmig aus, wodurch eine auf- 1) Da die Zahlen sich auf die ersten Blüten zweijähriger Individuen beziehen, sind sie sehr hoch. Bei den einjährigen Kulturen 1911 waren sie bedeutend kleiner. Die Variabilität der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. 135 brechende Knospe ein von gzgas, bei welcher die Narben innerhalb der Krone liegen, stark abweichendes Aussehen bekam. Die Narben von gigas waren kürzer [7—8 mm] als die von Komb. 7 [gj—10 mm]. 12. Die Viscinfaden, welche die Pollenkörner zusammenhielten, waren bei Komb. 7 stärker entwickelt als bei gigas, wodurch der Pollen bei jener klebrig wurde, bei dieser mehr körnig. Pollen reichlicher bei Komb. 7 als bei gzgas. 13. Früchte bei gigas kürzer und bedeutend dicker als bei Komb. 7. Hieraus geht hervor, daß die den obigen beiden Typen gemein- samen Charaktere [die gzgas-Charaktere im eigentlichen Sinne; die Riesencharaktere] von rein quantitativer Natur sind. Die Charaktere, welche Komb. 7 und gzgas voneinander unterscheiden, sind auch teilweis graduell. Daneben gibt es aber solche, welche schon zwischen „typischen“ Zamarckiana-Individuen vorliegen und von qualitativer Natur sind [Rot- und Weißnervigkeit]. Ferner ist zu bemerken, daß Komb. 7 in bezug auf die Farbe der Blätter, die Länge der Stammglieder, die Form und die Farbe der Blütenknospen, die Entwicklung der Viscinfäden und die Länge der Früchte Zamarckiana bedeutend näher steht als gigas. Sie bildet hinsichtlich dieser Merkmale eine Abstufung zwischen Lamarckiana und gigas. In bezug auf andere Merk- male [Blütengröße, Griffellänge, Narbenlänge] bildet dagegen gigas eine Abstufung zwischen Zamarckiana und Komb. 7. An den beiden Riesentypen lassen sich also Merkmale unter- scheiden, die schon an einzelnen Individuen der Stammart zu beob- achten sind. Aber, könnte man hier einwenden, sind die Grundeigen- schaften des gzgas-Typus: der dicke Stengel, die kurzen Stengelglieder, die großen Blüten, nicht etwas Neues? Das darf man nicht ohne weiteres annehmen. Denn die Ergebnisse, zu denen schon MENDEL bei der Kreuzung verschiedener Höheformen von Pisum gelangte, und die TSCHERMAK weiter bestätigt hat, sind hier gewiß nicht außer acht zu lassen. MENDELs Bastarde wurden höher als die beiden Stamm- arten. Ferner hat NILSSON-EHLE bei der Kreuzung verschiedener Weizensorten gefunden, daß der kurzährige compactum-Typus mit einer Squarehead-Form gekreuzt, welche mittellange Ähren hat, in F, eine langährige Form gibt. Diese Resultate von Kreuzungen zwischen Formen, welche nach dem Aussehen einander ganz ähnlich oder nur quantitativ verschieden sind, scheint die Entstehung der gigas- 136 Heribert-Nilsson. Charaktere in eine neue Beleuchtung zu stellen. Wir können es nämlich auch hier mit quantitativen Differenzen zu tun haben. Es liegt nahe, anzunehmen, daß einzelne Zamarckiana-Individuen z. B. für die Stengeldicke verschiedene Einheiten haben, und daß bei der Kom- bination einer größeren Anzahl solcher Einheiten der gigas-Stengel entsteht. Daß wir es tatsächlich bei Oexothera mit quantitativen Ein- heiten, die kumuliert werden können, zu tun haben, das zeigt sowohl HONIGS als auch meine eigene Untersuchungen (vgl. S. III). Die Untersuchungen der letzten Jahre über die quantitative erb- liche Variation (NILSSON-EHLE, EAST, LANG, TINE TAMMES) scheinen eine Erklärung auch über die habituell scharf, aber doch quantitativ verschiedenen Eigenschaften zu geben, welche die Mutante gzgas aus- zeichnen. Im folgenden werde ich die Möglichkeiten einer solchen Annahme näher erörtern. Noch eine Riesenmutante, die eine Abstufung zwischen O. Lamarckiana und O. gigas darstellt. Wären gigas und Komb. 7 rein einheitliche Typen, welche sich an die beschriebenen Charaktere genau anschlössen, und wäre die einzige Stütze meiner Annahme, daß die gzgas-Kombination eine Kumulation von Größe- und Formeneinheiten sei, diejenige, daß Komb. 7 in bezug auf die meisten Charaktere eine Abstufung zwischen gigas und Lamarckiana bildet, so würde natürlich eine solche Hypothese sehr ungewiß sein. Schon in meinen kleinen Kulturen IgIo ergab sich indessen, daß weder gzgas noch Komb. 7 konstante Typen waren!), und in meinen größeren Kulturen 1911 zeigte sich ihre Variabilität in geradezu schlagender Weise. Von kon- stanten Arten war gar nicht mehr die Rede, nur gewisse Durchschnitts- typen mit beim ersten Anblick fast regelloser Variation konnte man beobachten. Bevor ich auf eine Beschreibung und Erörterung der- selben eingehe, will ich noch eine gzgas-Kombination erwähnen, welche ich aus O. Lamarckiana erhalten habe, und welche sozusagen auf dem Wege nach gzgas einen kleineren Schritt als Komb. 7 bezeichnet und deshalb ein großes Interesse hat, im besonderen, weil sie sich ganz und gar durch quantitative Charaktere von den Mutter- und Schwesterindividuen unterscheidet, dagegen von denselben nicht stark habituell verschieden ist, wodurch sie in einer größeren Kultur, wo 1) Wenn ich im folgenden von gigas und Komb. 7 spreche, so meine ich Individuen vom durchschnittlichen Aussehen der Typen. Die Variabilität der Oenothera Lamarckiana u. das Problem dcr Mutation, 1 37 .) man nicht jede Pflanze genau beobachten kann, sicher nicht besonders bemerkt, sondern für eine gewöhnliche ©. Lamarckiana gehalten werden würde. ıa derselben Linie. hia amar L links ein Individuum der O. 8, Rechts Komb. Textfig. 1 Das fragliche Individuum, welches ich Komb. 8 nenne, ging aus der weißnervigen Linie 7 hervor. Es näherte sich gigas in allen den charakteristischen Eigenschaften, wodurch diese sich von O. Lamarckiana unterscheidet. Bezüglich der Blätter zeichnet sich gzgas dadurch aus, daß dieselben mehr blaugrün, dicker, buckliger und stärker gezähnt 138 Heribert- Nilsson. sind als die der Stammart. Alle diese Charaktere besaB Komb. 8 in ausgepragterem Grade als alle Schwesterindividuen (vgl. Textfig. II). Sie waren aber jedoch nicht so stark ausgebildet wie bei gzgas. Diese Merkmale sind ja natürlich schwer zu demonstrieren, wenn man nicht lebendiges Material vor Augen hat. Deshalb ist es willkommen, daß die gigas-Blätter einen Charakter aufweisen, der meBbar ist und m Zahlen ausgedrückt werden kann, nämlich die Blattbreite, die ja bei gigas bedeutend größer als bei O. Zamarckiana ist, während ihre Blatt- längen gleich sind. Durch folgende Tabelle wird die Mittelzahl der Messung von 5 Blättern bei Komb. 8 und ihren gleichzeitig aus- gepflanzten Schwesterindividuen angegeben. [Die Messung wurde 5 cm oberhalb der Stengelbasis angefangen und die Blätter in ihrer natürlichen Reihenfolge genommen.] Oenothera Lamarckiana. | Blattlänge Blattbreite Linie 7 Nr. 4 (Komb, 8) 245.8 67.6 - > 198,2 | 48,6 ” » 7 228.6 | 55 » 9 240 54 m 10 236,5 53,8 ’ » Il 257.4 52 ; „12 237,6 54 „13 282,2 55,8 7 » 14 257,6 54,6 ms » 15 (Randpflanze) 300,2 56 Wie man aus dieser Tabelle ersieht, wird Komb.8 in bezug auf die Blattlange von verschiedenen der Schwesterindividuen übertroffen. Sie hat dagegen beinahe I2 mm breitere Blätter als das Schwester- individuum, welches ihr in bezug auf die Blattbreite am nächsten kommt, und zeigt von der Durchschnittsbreite der übrigen In- dividuen der Linie eine Abweichung von 14,2 mm, während die größte Abweichung unter diesen letzteren auf der Plus-Seite 2,6 mm, auf der Minus-Seite 4,8 mm ist. Die Variation der Blattbreite ist also höchst bedeutend bei Komb. 8. — Ein anderer Charakter, welcher gigas auszeichnet und bei Komb. 8 wiedergefunden wird, ist die schwächere Verästelung, welche deutlich durch Textfig. 11, rechts, illustriert wird. Die kürzeren und schwächeren Äste an der Basis waren hier jedoch nicht aufwärtsgerichtet, wie dies bei gzgas der Fall ist, sondern mehr auswärts. Die Blütezeit trat ungefähr 14 Tage Die Variabilität der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. 139 später als bei den Schwesterpflanzen ein, welche alle fast gleichzeitig erblühten, und die Komb. zeigte dadurch eine Tendenz zu längerer Entwicklungsperiode, was auch O. gzgas auszeichnet. Die Knospen waren etwas dicker und die Blüten etwas größer als die der Schwester- pflanzen. Da aber infolge der ungleichzeitigen Blütezeit Blüten in demselben Entwicklungsstadium nicht erhalten werden konnten, wurden keine Messungen vorgenommen, welche ja nicht exakt hätten werden können. Die Knospen waren fast über die ganze Oberfläche blaß gelbgrün. Nur längs den Nähten der Kelchblätter zogen sich röt- liche Pigmentstreifen. Hierdurch unterschieden sie sich sehr deutlich von den Schwesterpflanzen, welche fast ganz rote Knospen hatten. Die Knospen der Komb. 8 zeigten also eine Variabilität in der Richtung nach dem gigas-Typus, welcher gewöhnlich blasse Knospen hat. Die Blüten waren nicht so weit offen und schüsselähnlich als bei den Schwesterpflanzen, sondern etwas glockenförmig wie bei gzgas. Sowohl hinsichtlich der Verästelungs- als auch der Blätter- und Blütencharaktere bildet Komb. 8 eine höchst bemerkenswerte Ab- stufung zwischen O. Zamarckiana und gigas. Mit einzelnen gzgas- Charakteren, sonst aber vom Habitus der Zamarckiana, gibt sie gerade den Eindruck von einer Übergangsform zwischen diesen beiden und das in noch größerem Maße als Komb. 7, weil diese letztere zwar von unverkennbarem Riesentypus!) ist, daneben aber auch Eigen- schaften von besonderer Art hat, welche ihr einen eigenen Habitus verleihen. Daß Komb. 8 in fast allen Charakteren eine „angefangene“, „reine“ gigas ist, steht ohne Zweifel in Zusammenhang mit ihrer Herkunft: sie ist aus einer Linie mit weißen Blattnerven, buckligen Blättern und kurzen Früchten hervorgegangen, Charaktere, welche schon sämtlich in der Richtung des gigas-Typus fortschreiten, während dagegen Komb. 7 aus einer rotnervigen Linie hervorgegangen ist und die Rotnervigkeit beibehalten hat. Komb. 8 ist also für die Erklärung des Riesentypus von großer Wichtigkeit, weil sie eine derjeniger Zwischenstufen ist, welche es nach DE VRIES zwischen Mutante und Stammart nicht gibt. Wie ich schon vorher bemerkt habe, können die ausgeprägten Riesentypen O. gigas und Komb. 7 keineswegs als einheitliche Arten 1) Der Ausdruck „Riesentypus“ wird als gemeinsame Bezeichnung für Pflanzen mit gigas-Eigenschaften, ob diese stärker oder schwächer sind, angewandt, also so- wohl für gigas als für Komb. 7 und Komb. 8. Mit dem gigas-Typus wird immer der Durchschnittstypus von DE VRIES’ O. gigas verstanden. 140 Heribert-Nilsson. angesehen werden, weil innerhalb beider eine große Variabilität herrscht. Denn diese Variabilität kann nicht — wie DE VRIES und MAC DOUGAL behaupten — nur dadurch abgefertigt werden, daß sie für die Art charakteristisch sei. Sie kann auch nicht als eine reine Somations- variation erklärt werden, weil es ganz unbegreiflich ist, wie die Soma- tionsvariation so ganz verschiedene Typen wie die der gigas-Varianten bilden könnte, da sie ja nur als eine Pluß-Minusvariation wirkt. Die Variabilität der O. gigas in meinen Kulturen 1909—1910. Ich will zuerst eine Beschreibung von DE VRIES’ gigas geben, und zwar in dem Umfang, wie ich sie in meinen eigenen Kulturen bei den zwei Ig09/10 und IgII gezüchteten Generationen beobachtet habe. Aus von DE VRIES erhaltenen Samen zog ich Igog siebzehn Pflanzen auf. Ich mußte mich in diesem Jahre auf eine so kleine Anzahl beschränken, weil mir für die Auspflanzung nur ein sehr be- grenzter Raum zur Verfügung stand. Schon im Rosettenstadium stachen zwei Individuen durch ihre auffallend schmalen Blätter von den anderen ab. Solche schmalblättrige Individuen hat DE VRIES allem Anschein nach auch beobachtet, ohne denselben größere Auf- merksamkeit zu widmen. Er sagt nämlich (212, S. 756), wenn er vom Barstarde gigas = Lamarckiana spricht: „Die Bastarde der ersten Generation waren alle unter sich gleich, abgesehen von einzelnen schmalblättrigen Individuen, wie sie auch in reinen Kulturen von O. gigas auftreten.“ Die genannten zwei Rosetten zeigten im ersten Jahre keine Tendenz zur vollen Entwicklung und waren also in dieser Beziehung noch echte gigas. Im Laufe des zweiten Jahres erblühten sie, stellten aber dann sowohl unter sich als von gigas scharf unterschiedene Formen dar. Die eine, welche ich gigas 11 nenne, war eine Zwergform von nur 55 cm Höhe. Während des Sommers fehlte es ihr fast ganz an Verästelung. Nur im Winkel der oberen Stengelblätter saßen eigen- tümliche Rosettchen, welche sich erst später, zum Herbst, zu sehr kurzen Ästen an der Basis der Hauptinfloreszenz entwickelten. Der Stengel war bedeutend dicker als bei Zamarckiana-Individuen von derselben Höhe!), aber bedeutend schmäler als bei gewöhnlichen gigas- 1) Einige aus selbstgesäten Samen entstandene Lamarckiana-Pflanzen hatten einen zwergartigen Wuchs erhalten, weil sie aus Platzmangel einander in der Ent- wicklung gestört hatten. Die Variabilität der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. I4I und gut entwickelten Lamarckiana-Individuen. Die Blätter waren sehr schmal (2—2,5 cm), tief dunkelgrün, glatt (ohne Buckel) mit besonders breiten, weißen Nerven, die untersten — schon in der Mitte sich verengend — allmählich in den Blattstiel übergehend. Die Partie des Stengels, welche den unteren Teil des Blütenstandes bildete, war fleischrot, die obige Partie dagegen purpurfarben. Die Blütenknospen waren von 45—50 >< 12 mm Größe, also ziemlich dick, von gigas’ Tonnenform und von einer besonderen gelbgrün-gelbroten Farbe. Die Blüten waren stark gelb, etwas kleiner als bei Zamarckiana, tüten- förmig und verblieben in einem halbausgeschlagenen Stadium. Die Kronenblätter waren von 50—55 = 55—60 mm Größe. Kelchblätter von 5 cm, Hypanthium von nur 2 cm und Fruchtknoten von 1,4 cm [im Blütenstadium], wodurch die Kelchblätter sowohl Hypanthium als Kapsel hoch überragten, eine Eigenschaft, welche keine der Mu- tanten von O. Lamarckiana zeigt. Die Staubbeutel hatten gar keinen Pollen. Der Griffel war sehr kurz, nur 5 cm, so daß er nur 3/; der Länge der Kronenblätter erreichte. Die Narben waren dick wie bei gigas. Im Knospenstadium war die ganze Oberfläche der Früchte purpurrot. Nach dem Abfallen der Blüte hatte die Kapsel eine konvexe Spitze. [Bei der Zamarckiana und allen ihren anderen Mutanten außer drewistylis ist diese konkav.] Die Sommerfrüchte schrumpften entweder ein und fielen ab oder wurden rudimentär und enthielten nur ein paar Samen. Gegen den Herbst zu wurden einige Früchte ausgebildet. Die iso- lierten, durch Pollen einer ‚normalen‘ gégas-Pflanze bestäubten Blüten gaben nur in einem Falle eine rudimentäre Kapsel mit zwei Samen. Wie man aus den beschriebenen Eigenschaften ersieht, bildete dieses Individuum einen von gzgas sehr verschiedenen Typus, welcher außerdem unmöglich auf irgendeine von allen vorher beschriebenen Varianten von O. Lamarckiana zurückgeführt werden konnte, wenn sie sich auch in einer eigentümlichen Weise mehreren von denselben nähert, d. h. eine Kombination von Charakteren mehrerer Mutanten ist. In Entwicklungszeit, Stengel und Narben hat sie noch die Charaktere von gzgas, in bezug auf den Zwergwuchs erinnert sie an zanella, hinsichtlich der Blattcharaktere an scintillans, in den kleineren, halboffenen Blüten an addida, was die Pollensterilität be- trifft, an /ata, und schließlich wegen der verkürzten Griffel und der konvexen Spitze der Kapsel an érevisty/is. Das kurze Hypanthium ist ein für die Kombination eigentümlicher Charakter. Die andere schmalblättrige Rosette entwickelte sich auch zu einer abweichenden Form, welche ich gigas 6 nenne. Diese Rosette war 142 Heribert-Nilsson. bezüglich der Schmalblättrigkeit nicht so extrem wie gigas 11, und auch während der Blüte wich sie nicht so stark von gigas ab, ob- schon der Unterschied sehr deutlich war. [In Textfig. 12 habe ich eine Pflanze der Nachkommenschaft von gzgis 6 abgebildet, welche der Mutterpflanze sehr ähnelt.] Sie wurde nur 60 cm hoch, hatte indes Stengel und Blätter von ausgesprochener gzgas-Form. Sie war eine reduzierte gzgas. Der Haupt- stengel entwickelte keine Blüten, sondern setzte an der Spitze eine Anzahl verkümmerter Seitenäste an, welche zuweilen nur eine einzige entwickelte Blüte trugen, unter welcher einige Brakteen und ver- krüppelte, hinfällige Knospen saßen. Im Anfang, bevor mehrere Blüten an den Seitenzweigen ausgeschlagen waren, hatte es daher den Anschein, als säßen die Blüten am Haupt- stengel. Die Blühperiode schien hier überhaupt etwas langsam und schwierig einzusetzen. Zum Herbst wurde die Anzahl der Blüten etwas zahlreicher, und die Blüten hatten, abgesehen davon, daß sie kleiner waren, ein normales gzeas-Aussehen. Die Staubbeutel waren äußerst arm an Pollen, welcher jedoch wenigstens zum Teil keimfähig war, denn bei Selbstbefruchtung wurde eine verkrüppelte Kapsel mit drei Samen erhalten. Die Narben hatten eine ungewöhnlich stark verdickte Basis, und der Narbenkranz zeigte eine Tendenz zur Asymmetrie und Ver- bänderung. Ich will schließlich einige Abweichungen erwähnen, welche zwischen den übrigen Individuen vorlagen, welche alle in bezug auf gzgas-Wuchs und gigas-Habitus von ziemlich einheitlichem Typus waren, und also Formen darstellten, welche am ehesten als Linien innerhalb der O. gigas bezeichnet werden können. Die meisten gigas-Pflanzen hatten gelbe Blüten, die bedeutend dunkelfarbiger als die von Zamarckiana waren, was auch DE VRIES als auszeichnenden Charakter für diese Mutante hervorgehoben hat. Textfig. 12. Blühendes, schmalblättriges Individuum der O. gigas. Die Variabilität der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. 143 Zwei Individuen wichen indessen durch ihre Blütenfarbe sehr auf- fallend ab — ich nenne sie gégas 10 und 12 —, indem ihre Blüten, die blaßgelb waren, ungefähr dieselbe gelbe Nuance als die von Za- marckiana hatten. Auch die Blütenknospen waren bedeutend blasseı als bei übrigen gzgas-Individuen. Ferner zeichneten sich im Blütenstadium die meisten Individuen durch hängende Stengelblätter aus. Auch dieses ist ein Merkmal, welches DE VRIES als für O. gigas charakteristisch angegeben hat. Zwei Individuen, gigas 9 und 10, hatten jedoch horizontal abstehende Blätter wie O. Lamarckiana, und mit ihnen stimmte dadurch die aberrante gigas 11 überein. Endlich gab es ein Individuum, welches durch seine deformierten Narben abwich /gigas 3/1). Dieselben waren fast immer polymer und ungemein zipfelig und geteilt. An der Basis hatten sie knotige Auswiichse, welche sich oft nach unten gegen den Griffel kriimmten. Der Griffel war etwas platt. Diese Merkmale zeichneten fast alle Blüten aus. Eine Blüte mit normal ausgebildeten Narben war selten. Die Nachkommenschaft der gigas-Varianten. Das größte Interesse haben Individuum ır und 6 durch ihre Schmalblättrigkeit, weil diese Eigenschaft innerhalb der gzgas in einem gewissen Prozentsatz auftritt. Da sie aber bei den genannten Indi- viduen mit Sterilität verbunden war, konnte keine Reinzüchtung vor- genommen werden. Ich bestäubte deswegen einige Blüten mit Pollen von einer bestimmten gzgas-Pflanze von normalem Wachstum. Da indessen diese Befruchtung mit den ersten und, wie es sich später ergab, stark Q-sterilen Blüten vorgenommen wurde, gelangte ich zu keinem Resultat. Für weiteres Studium der Nachkommenschaft war ich auf unkontrollierten Samen angewiesen. Aus diesem erhielt ich ıgrı zehn Pflanzen von gzigas 11 und zwölf von gigas 6. Sämtliche gégas 6-Pflanzen waren augenscheinlich durch eine gégas bestäubt worden. Zwei Individuen aus gigas 11 waren ohne Zweifel durch Pollen einer O. Lamarckiana befruchtet. Dieses letztere konnte man deutlich aus der Rotnervigkeit und starken Verästelung ersehen, Merkmale, welche ja O. Lamarckiana auszeichnen und augenscheinlich bei gigas über die WeiBnervigkeit und schwache Verästelung dominieren. 1) Dieses Individuum näherte sich gigas 11 hinsichtlich der Blütenverhältnisse und Sterilitat. 144 Heribert-Nilsson. Was die Schmalblattrigkeit anbetrifft, so zeigte es sich, daß die Differenz zwischen diesem Charakter und der Breitblättrigkeit wahr- scheinlich von genotypischer Konstitution ist. Das zeigt sich darin, daß unter den Abkömmlingen dieser schmalblättrigen Individuen ein bedeutend größerer Prozentsatz schmalblättrigen Individuen als in meinen übrigen gzgas-Linien und gzgas-Bastarden, in welchen die P,- Formen breitblättrig gewesen waren, hervortraten. Gzgas 11 gab näm- lich auf zehn Individuen drei schmalblättrige, gzgas 6 auf 12 Individuen vier schmalblattrige. Die schmalblättrigen Individuen waren keines- wegs von einem gemeinsamen Typus, sondern zeigten in Blattfarbe, Blattform und Blüte eine große Verschiedenheit. Es ist ja nicht denkbar, aus diesem Versuchsmaterial, welches so klein war und überdies freier Befruchtung entstammte, die Vererbungsfaktoren ab- zuleiten. Es dürfte jedoch demonstrieren, daß die Schmalblättrigkeit eine erbliche Eigenschaft ist. Eine andere Eigenschaft, welche gzgas 11 und 6 auszeichnete, war die Pollensterilität. Diese wurde bei der Nachkommenschaft von gigas 6 näher untersucht. Es ergab sich, daß von den 12 Individuen drei absolut steril waren, eins sehr arm an Pollen war und nur drei normale Pollenproduktion zeigten. Die Mehrzahl war also entweder ganz steril oder hatte eine bedeutend verminderte Pollenproduktion, ein Umstand, welcher zu zeigen scheint, daß bei O. gzgas auch die Pollensterilität von erblicher Natur ist. Die Sterilität tritt zuweilen auch bei breitblättrigen gzgas-Pflanzen auf, deren P-Formen pollen- fertil waren, aber dann nur in einem kleinen Prozentsatz. Die F,-Generation von gzgas 6 zeigt auch, daß der schmalblattrige Typus nicht immer steril ist. Die beiden Eigenschaften folgen also einander nicht immer. Zwei der schmalblättrigen Individuen hatten nämlich Pollen, wennschon nicht gerade reichlich. Ob die übrigen 1910 beobachteten Differenzen, nämlich gelbe— blaßgelbe Blüten, hängende—abstehende Blätter, normale—deformierte Narben, von erblicher Natur sind, darüber kann ich mich noch nicht äußern. Einige Beobachtungen, welche ich schon bei F, gemacht habe, will ich indessen hier erwähnen. Aus einem Bastarde, tief- gelbblütig > blaßgelb!), wurde schon in F, auf acht Individuen eines mit deutlich blaßgelben Blüten erhalten, welches jedoch auch rein habituell ein Typus von besonderer Art und fast ganz ohne gzgas- Merkmale war [Textfig. 23]. — Selbstbestäubung einer Pflanze mit 1) Selbstbefruchtung war mit keinem blaßgelben Individuum ausgeführt worden. Die Variabilitat der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. 145 tiefgelben Bliiten ergab elf Individuen. Von denen war eines blaB- blütig, auch dieses ein Typus von besonderer Art und von gigas stark abweichend [Textfig. 19]. Ob es bezüglich der Blattrichtung erbliche Linien innerhalb von gigas gibt, um dieses zu zeigen, sind meine Kulturen noch zu unvoll- kommen. Die meiste Wahrscheinlichkeit hat die Annahme für sich, daß es sich hinsichtlich der Blattrichtung nur um eine Somations- variation handelt. Sicher ist wenigstens, daß Somationsvariation hier eine bedeutende Rolle spielt, denn später im Herbst haben alle Individuen mehr oder weniger hängende Blätter. Im Hochsommer gibt es zwar zwischen verschiedenen Individuen bezüglich der Blatt- richtung einen scharfen Unterschied, wie Fig. ı und 2, Taf. 3, es zeigen, aber das Auftreten der beiden Typen scheint ganz regellos vorzugehen. Selbstbestäubung war mit sowohl einem Individuum mit hängenden Blättern, als auch mit einem mit abstehenden vorgenommen worden, aber schon in F, traten in beiden Linien Individuen mit hängenden und abstehenden Blättern auf. Im allgemeinen scheinen die Blätter bei gigas hängend und bei Zamarckiana abstehend zu sein; bei dem Bastarde gigas >< Lamarckiana prävalieren die abstehenden Blätter. Hier haben wir es sicher mit differenten Eigenschaften zu tun, und deshalb ist es nicht unwahrscheinlich, daß auch innerhalb von gigas Linien mit der einen oder der anderen von diesen Eigen- schaften isoliert werden können. Dann haben wir es aber sicher nicht mit einer einfachen Differenz zu tun. Was die Eigenschaft deformierter Narben anbetrifft, welche bei gigas 3 in ganz extremem Grad vorhanden war, so scheint sie, wenn erblich, ganz regessiv zu sein. Die selbstbestäubte Kapsel von gigas 3 ging zugrunde, aber Samen aus ungewollter Befruchtung wurde ein- gesammelt, und da außer gigas 3 kein einziges fertiles g7gas-Individuum deformierte Narben hatte, so muß also der Pollen aus einer Pflanze mit normalen Narben gekommen sein. Die F,-Generation lieferte fünf Pflanzen, alle mit normalen Narben. Meine Isolierungs- und Bastardierungsversuche mit gigas-Individuen von gewissen ausgewählten Eigenschaften scheinen in F, zu zeigen: daß Schmalblättrigkeit und Sterilität erbliche Eigenschaften, wenn auch von komplizierter Natur, sind; daß Blaßblütigkeit und Narbendeformierung, wenn erblich, rezessiv sind; daß die Blattrichtung eine ganz regellose Variation vorzeigt, die wahrscheinlich nur somatischer Natur ist. Induktive Abstammungs- und Vererbungslehre. VIII. Io 146 Heribert-Nilsson. O. gigas als Durchschnitts-Typus. Doppelmutanten und Partialmutanten. Durch die große Anzahl von F,-Pflanzen anderer Linien als der erwähnten, welche ich IgII aufzog, wurde es mir möglich, O. gigas als Typus näher zu studieren. Die ungeheuere Variabilität, welche die Mutante zeigte, war sehr auffällig. Es handelte sich hier nicht um eine Plus-Minus-Variation von extremem Grad, eine Verminderung oder Vergrößerung des Typus mit Beibehalten des charakteristischen Habitusbildes, sondern um rein morphologisch neue Typen, die die allerfrappantesten Veränderungen des Habitus zeigten. Beim ersten Blicke schienen diese Typen eine ganz regellose Variation zu zeigen, aber beim näheren Studium ihrer Eigenschaften stellte es sich heraus, daß mehrere unter ihnen viele gemeinsame Eigenschaften hatten, so daß man gewisse Variationsrichtungen wahrnehmen konnte. Diese ab- weichenden Formen näherten sich zum größten Teil anderen Mutanten von O. Lamarckiana. Da es infolge der kleinen Individuenanzahl jeder Linie sich nicht lohnt, jede Linie einzeln zu behandeln, betrachte ich im folgenden gigas als Durchschnittstypus und bezwecke damit nur eine Übersicht der Variabilität zu liefern. Nur Isolierung gewisser Typen und Beob- achtung der Nachkommenschaft kann natürlich Klarheit in die Ver- erbungsverhältnisse bringen. Ich erwähne indessen die Abstammung der verschiedenen Linien. Nr. 39. Kreuzung von gzgas 2-IgIO x gigas 13-1910. Beide Eltern gehörten zum normalen gzgas-Typus. Nr. 41. Aus nicht kontrolliertem Samen von gzgas 3-IgIo [mit stark deformierten Narben]. Nr. 43. Aus nicht kontrolliertem Samen von gzgas 6 [schmal- blättriger Zwergtypus]. Nr. 44. Selbstbefruchtung von gzgas 9-1g10. Von normalem gzgas- Aussehen. Nr. 45. Kreuzung von gigas 9-IgIO x gigas 10-1910. Gigas 10-1910 mit blaßgelben Blüten. Nr. 46. Kreuzung von gigas 10-1910 x gigas 13-1910. Nr. 47. Aus nicht kontrolliertem Samen von gzgas 11-1910 [schmal- blattriger Zwerg]. Nr. 48. Kreuzung von gigas 13 x gigas 9. Nr. 52. Selbstbestäubung von gigas 17 [normales gigas-Aussehen]. Die Variabilitat der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. 147 Schon im Rosettenstadium gab es eine sehr große Variation hinsichtlich der Blattbreite, der Blattlänge, der Blattform und der Buckligkeit, und diese war teilweise rein graduell!). Textfig. 13—16, Textfig. 13. Schmalblättrige Rosette der O. gigas. Textfig. 14. Breitblättrige Rosette der O. gigas. 1) Diese Variation hat sowohl DE Vries als Mac Doucat beobachtet. Sie be- trachten dieselbe aber als ein charakteristisches Merkmal der Art und bezeichnen sie als individuelle Variation. 10* 148 Heribert-Nilsson. Fig. 5, Taf. 3 und Fig. 1, Taf. 5 geben eine Übersicht derselben. Die Fig. 5, Taf. 3 (links) und Textfig. 14, 15 und 16 zeigen breitblättrige, die Fig. 5, Taf. 3 (rechts), *Fig. 1, Taf. 5 und Textfig. 13 schmal- blättrige Rosetten. Die Rosette in der Textfig. 15 ist sehr kurz- und breitblättrig und nur längs der Blattnerven runzelig. Textfig. 14 zeigt — wie die vorangehende — eine Rosette mit nicht besonders starker Runzeligkeit, aber mit langen Blattstielen und auch etwas längeren Blattflächen. Fig. 5, Taf. 3 (links) und Textfig. 16 zeigen Rosetten mit äußerst stark runzeligen Blättern, jene hat indessen große Blätter mit kurzen Stielen, diese kleine Blätter mit umgebogenem Rand und langen Stielen. Textfig. 16. Rosette der O. gigas. Textfig. 15. Sehr kurzblättrige Rosette Blätter mit stark umgebogenem Rande der O. gigas. und sehr langen Blattstielen. Die drei schmalblättrigen Rosetten bilden graduelle Abstufungen hinsichtlich der Blattlänge. Die in Fig. ı, Taf. 5 abgebildete Rosette hat Blätter mit ungewöhnlich langen Stielen und Blattflächen, die zudem eine eigenartig grüne Farbe hatten, Fig. 5, Taf. 3 (rechts) zeigt die Rosette, welche die verhältnismäßig kürzesten und breitesten Blätter innerhalb der schmalblättrigen Gruppe hat. Die Rosetten in Fig. 5, Taf. 3 (rechts) und Textfig. 13 wichen hinsichtlich der Be- schaffenheit der Blattspitze ab, jene hat kurz zugespitzte Blätter, diese Blätter mit langer umgedrehter Spitze). Nicht nur die Rosetten, sondern auch die entwickelten Pflanzen zeigten eine starke Variabilität, welche jedoch, wie erwähnt, wenigstens teilweise in gewisse Variabilitätstypen eingeteilt werden konnte. Der 1) Um zu zeigen, daß diese abweichenden Rosettentypen nebeneinander unter so gleichartigen Bedingungen wie möglich aufwachsen können, habe ich zwei benach- barte Rosetten zusammen photographiert (Fig. 5, Taf. 3). Die Variabilität der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. 149 von diesen Typen zuerst beobachtete war einer, welcher eine Kombi- nation von gigas- und /ata-Eigenschaften darstellte. Diese beiden Mutanten zeigen einige Übereinstimmungen. Beide sind niedriger als die Stammart, haben breite Blätter mit stärkeren Buckeln, weiße Nerven, schwache Verästelung von der Rosette, kurze Hauptinfloreszenz, dicke Knospen und kurze Früchte; sie sind also Varianten in derselben Richtung. Zata ist indessen ein schlanker Typus, während gigas ein untersetzter, kräftiger ist. Eine für /ata charakteristische Eigenschaft ist ihre G-Sterilitat. Gzgas zeigt eine Variabilität in derselben Richtung, indem ihre Pollenproduktion gewöhnlich beträchtlich herabgesetzt ist. In der Nachkommenschaft der vorher erwähnten schmalblättrigen gigas 6 trat nun ein Individuum auf, welches mit den gzgas-Merkmalen ausgeprägte /afa-Merkmale in sich vereinigte [Fig. 3, Taf. 3]. Ich nenne dasselbe nach seiner Stammbuchnummer 43/91). Die /ata- Merkmale zeigten sich deutlich in den Blättern, welche äußerst starke Buckel, etwas umgebogenen Rand, eine kurze breite Spitze und eine für data charakteristische Farbe [d. h. eine etwas ins Gelbgrüne oder Graugrüne hinüberspielende von einer eigentümlichen Nuance] hatten. Die Knospen hatten /ata-Form, d. h. waren an der Spitze quer zu- gespitzt. Bei gzgas sind sie zwar auch an der Spitze dicker als bei der Stammart, aber nicht so scharf zugespitzt. Die Blüten stimmten in der Art und Weise, auszuschlagen, mit denen der /ata überein. Im allgemeinen schlugen sie gar nicht aus, sondern rollten sich nur so viel auf, daß die Narben gerade herausragten, oder sie verblieben in einem halbausgetriebenen Stadium. Die Kronenblätter waren runzelig. Den Staubbeuteln fehlte es in der Regel an Pollen. Nur in wenigen Blüten war Pollen zu finden, welcher jedoch augenscheinlich zur Befruchtung untauglich war, denn in einer selbstbestäubten Blüte zeigte der Frucht- knoten nicht die geringste Entwicklung. Die Narben waren sehr kurz und oft polymer und miBgestaltet. Von einem gewissen Interesse ist, daß dieses Individuum mit seinen ausgeprägten /ata-Eigenschaften aus einem Individuum hervorging, welches sich durch seine Sterilität und Narbendeformierung /ata näherte, in der Blattbreite aber ein derselben ganz entgegengesetztes Extrem war [gigas 6; vgl. S. 142]. Wie Fig. 3, Taf. 3 zeigt, bildete das Individuum einen selb- ständigen , Typus, in welchem /ata-Eigenschaften mit dem kräftigen gigas-Typus kombiniert waren. Man könnte also hier von einem kom- binierten gigas-/ata-Typus sprechen. Derartige Kombinationen der 1) 43 gibt die Nummer der Linie an, 9 die Nummer des Individuums innerhalb der Linie. 150 Heribert-Nilsson. Merkmale zweier Mutanten hat DE VRIES beobachtet, allerdings nicht in einem Falle, wo gzgas und /ata die Komponenten waren. Er be- trachtet sie als Doppelmutanten. Es fragt sich nun, ob nicht auch meine /ata-gigas-Kombination eine solche Doppelmutante ist. Daß sich dies nicht so ohne weiteres entscheiden läßt, stellte sich indessen beim näheren Studium anderer gzeas-Individuen heraus. Unter denselben wurden nämlich einige Individuen beobachtet, welche in derselben Weise als 43/9 /ata-Merkmale zeigten, wenn auch nur in gewissen Teilen der Pflanze. Offenbar waren in meinem Material nicht nur die beiden Typen gzyas und /afa-gigas, sondern auch mehrere graduelle Abstufungen zwischen denselben realisiert. Bald näherte sich eine Pflanze in bezug auf dieses, bald in bezug auf ein anderes Merkmal dem /ata-Typus. Ein Individuum [39/11] näherte sich, was Blattform und Bucklig- keit anbetrifft, der Kombination /ata-gigas in erheblichem Grade. Die Blüten zeigten dagegen weniger ausgeprägte /afa-Merkmale. Sie waren fast ebenso groß und öffneten sich ebenso weit als die von gzgas, hatten aber etwas runzeligere Kronenblatter. Die Knospen waren stark zusammengekniffen. Das Individuum war nicht steril, sondern hatte Pollen, wenn auch nicht so besonders viel, und gab bei Selbst- bestäubung ziemlich reichlich Samen. Die Narben waren überzählig, doch nicht oder wenigstens nur schwach deformiert. Diese Kom- bination war also ein /ata-gigas, in welcher die /ata-Eigenschaften be- züglich der Blütenteile weniger ausgeprägt als bei Komb. 43/9 waren. Ein anderes Individuum von derselben Linie als das obige [39/2] zeigte in den Blättern /a¢a-Merkmale, hatte aber gut entwickelte große Blüten, gzgas-Knospen und normale Narben und war nur partiell steril. Innerhalb Nr. 44 gab es zwei Individuen mit /afa-Eigenschaften. Das eine dieser, und zwar Ind. 44/8, war habituell gzgas-ähnlich. Lata- Merkmale zeigten sich indessen in der Blattfarbe, welche mattgrün war, aber nicht in der Blattform, denn die Blätter waren spitzig wie bei gzigas, und auch nicht in der Buckligkeit, welche nicht besonders groß war. Die Blüten waren bedeutend kleiner als die von gzgas und näherten sich also hinsichtlich der Größe denen von data. [Die Kronen- blätter waren durchschnittlich 43 x 60 mm, während sie bei gigas 55x7omm sind.] Kein Pollen. Früchte äußerst kurz, der /ata ähn- licher als der gegas. Die /ata-Merkmale dieses Individuums waren zerstreuter als bei den vorher erwähnten, und veränderten deshalb den gzgas-Typus nicht habituell. Die Variabilität der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. 151 Das zweite Individuum innerhalb Nr. 44, welches /ata-Eigen- schaften zeigte, war 44/2. Es ist in Textfig. 20 abgebildet und, wie man sieht, eine Kombination, welche weder an gigas noch an /ata habituell erinnert, sondern einen eigenen Typus darstellt. Hinsichtlich der Blüteneigenschaften zeigte es jedoch ausgeprägte /ata-Merkmale: die Blüten waren klein, halboffen, ohne Pollen, die Narben polymer und stark deformiert, die Früchte sehr kurz. Innerhalb von Nr. 46 bot 46/8 eine Kombination dar, welche fast vollkommen mit 44/2 übereinstimmte, sowohl im Habitus als in /ata- Eigenschaften. Nr. 46 enthielt zwei andere Pflanzen mit deutlichen Jata-Merkmalen. Das Individuum 46/2 hatte /ata-Blätter und zeigte auch in den Knospen /ata-Merkmale und besaß sehr wenig Pollen. Das Individuum 46/14 hatte außerordentlich stark bucklige Blätter, jedoch nicht von der /ata-Form, und war vollkommen d'-steril. Habituell bildete es einen sehr eigentümlichen Typus. [Textfig. 22 (links).] Die Linie 48 enthielt auch eine Kombination mit /a/a-Eigen- schaften, und zwar 48/6. Diese hatte /afa-Blätter, /ata-Merkmale in den Knospen, war ganz G-steril, und zeigte große Übereinstimmung mit 46/2. Will man die vollkommene J-Sterilität als eine /ata-Eigenschaft betrachten, so zeigten hinsichtlich nur dieser Eigenschaft die Individuen 39/4, 43/5, 43/6, 44/II, 46/15 und 52/7, welche sonst ein vollkommenes gigas-Aussehen besaßen, Übereinstimmung mit O./ata. Übrigens zeigten andere gzgas-Individuen große Schwankungen in der Pollenmenge. Aus diesen Beobachtungen scheint mir der Schluß berechtigt, daß der normale gzgas-Typus und der ausgeprägte /ata-gigas-Typus durch mehrere Abstufungen untereinander verbunden sind. Die /ata-Eigen- schaften treten nicht korrelativ verbunden auf, sondern können bei einem Individuum nur in den Blättern oder gewissen Teilen derselben, bei einem anderen nur in gewissen Teilen der Blüten sich zeigen. Es macht den Eindruck, als ob der /ata-Typus von mehreren von- einander unabhängigen Eigenschaften zusammengesetzt wird, von denen eine oder mehrere in der Kombination mit dem gigas-Typus auftreten können. Treffen alle typischen /a/a- Eigenschaften zusammen, dann bekommen wir eine gigas-Zata, welche den Eindruck einer Doppelmutante macht, die jedoch nicht so auf- gefaßt werden kann, als ob sie sich in nur einem Charakter von gigas unterschiede, denn wie würde man sonst die Abstufungen zwischen dieser und dem ‚normalen‘ gigas-Typus erklären. Die einzig annehm- 152 Heribert-Nilsson. bare Erklärung der beobachteten Verhältnisse scheint mir die zu sein, daß die verschiedenen /ata-Eigenschaften in der Kombination mit dem gzgas-Typus jede für sich in die Erscheinung treten. Das Verhältnis hier wird ein anderes als das innerhalb des Zamarckiana- Typus, wo man nicht bei verschiedenen Individuen verschiedene /ata- Eigenschaften wiederfinden kann. So versuchte ich bei Zamarckiana- Individuen die am meisten ausgeprägte Eigenschaft von /ata, das Fehlen von Pollen, aufzufinden und durchmusterte deshalb alle meine blühenden Pflanzen, aber bei keiner einzigen konnte ich eine Abnahme der Pollenmenge finden. Es macht also den Eindruck, als ob die /ata- Eigenschaften innerhalb des Zamarckiana-Typus jede einzeln für sich keinen sichtbaren Einfluß ausüben. Sie sind hier kryptomer, und erst wenn sie alle zufällig zusammentreffen, entsteht die sichtbare Veränderung, die Habitusänderung, welche sich dann als eine auf einen Schlag entstandene Mutante darstellt. Daß die Bildung des /ata-Typus aus Zamarckiana vom Entstehen der lata-gigas aus gzgas dem Wesen nach verschieden sein sollte, das anzunehmen, liegt wohl keine Ursache vor. Der Unterschied scheint nur darin zu liegen, daß die Zwischenstufen in einem Fall morphologisch nicht beobachtet werden können, im anderen dagegen hervortreten. Morpho- logisch ist der Vorgang verschieden, physiologisch und genetisch ist er gewiß derselbe und beruht im einen wie im anderen Fall auf einer Neukombination von einer Anzahl voneinander unabhängigen Eigen- schaften. Einige Individuen in meinen gigas-Kulturen bildeten einen anderen Typus besonderer Art mit einem von dem normalen gigas-Typus außerordentlich stark abweichenden Aussehen. Für diese mag 44/11 [Textfig. 17] als Typusexemplar dienen. Dieses Individuum zeigte in so erheblichem Maße Merkmale von DE VRIES’ Mutante O. scin- téllans, daß man es als eine Doppelmutante gzigas-scintillans be- zeichnen könnte. Schon im Rosettenstadium traten die scinzillans- Eigenschaften deutlich hervor. Die Blätter waren nämlich bedeutend schmäler als die von gigas, tief dunkelgrün, glänzend und ganz glatt, ohne die für gigas so charakteristischen Buckel. Der Mittelnerv war wie bei gigas weiß und von derselben Breite als in den breiten gzgas- Blättern. Wegen der schmalen Blätter tritt er jedoch hier deutlicher hervor. Die einzige gigas-Eigenschaft, welche in den Blättern beob- achtet werden konnte, war die etwas gedrehte Spitze, ein Merkmal, welches für gégas sehr typisch ist. Die blühende Pflanze wich auch bedeutend von gzgas ab, und zwar durch kleinere Blüten — in Die Variabilitat der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. T53 Textfig. 17 ist des Vergleichs halber an der Basis der Pflanze eine gigas- Blüte abgebildet — und partielle Sterilität, eine Eigenschaft, welche DE VRIES als typisch für O. seintillans bezeichnet. Gewisse Blüten waren reich, andere arm an Pollen und sogar in ein und derselben Blüte konnte die Pollenmenge in den verschiedenen Staubbeuteln höchst verschieden sein. Die Früchte waren sehr kurz und schmäler Textfig. 17. Eine Doppelmutante gigas-scintillans. als die von gigas. Eine Eigenschaft, welche sehr charakteristisch für O. scintillans sein soll und darin besteht, daß der oberste Teil der Infloreszenz, welcher ungeöffnete Blüten trägt, verlängerte Internodien hat und dadurch die geöffneten Blüten hoch überragt [siehe DE VRIES 202, Fig. 47, S. 171], zeigte die Pflanze jedoch nicht, sondern die ganz entgegengesetzte Eigenschaft, welche gigas auszeichnet, nämlich ver- 154 Heribert-Nilsson. kürzte Internodien. Was das ganze habituelle Aussehen anbetrifft, so stimmte die Pflanze nicht in vielem mit gzgas überein, was zum großen Teil darauf beruhte, daß sie von einem anderen Verästelungs- typus war. Die Äste waren länger und mehr auswärts gerichtet als bei gigas, welche gewöhnlich sehr kurze Äste hat, die sich gleich an der Basis fast gerade aufwärts biegen [vgl. Fig. 1, Taf. 3 und Textfig. 22 (rechts), die das ‚normale‘ gégas-Aussehen repräsentieren]. . Dadurch erhielt die Pflanze einen lockeren, lichten Habitus an Stelle des dichten zusammengedrängten von gigas und war dadurch der Lamarckiana ähnlicher als der gzgas. Die gigas-Eigenschaften waren bei diesem Typus durch die scn- tillans-Eigenschaften stark zurückgedrängt, waren aber doch in der Länge der Internodien, in der Form der Knospen und in den Narben wahrnehmbar. In diesem Individuum haben wir also deutlich wieder eine Kom- bination in der Richtung einer der Mutanten von O. Lamarckiana, Und gerade dasselbe Verhältnis, welches wir vorher hinsichtlich der Kombination /ata-gigas angetroffen haben, nämlich, daß sie durch mehrere Zwischentypen mit dem normalen gégas-Typus verbunden ist, finden wir hier bei diesem scintillans-gigas-Typus wieder. Den Über- gang bilden die Individuen 48/8 und 46/19. Bei dem Individuum 48/8 [Textfig. 18] waren die Blätter breiter als bei 44/11 /[scintillans-gigas], aber immer noch von einem schmalen Typus, dunkelgrün und fast glatt. Die Spitze war hier gerade. Die Verästelung ungefähr dieselbe wie bei 44/11. Blüten klein. [Des Ver- gleichs halber ist eine Blüte von normaler gzgas-GréBe in der Mitte der abgebildeten Pflanze befestigt.] Die allermeisten Blüten hatten Pollen, wenn auch nicht besonders reichlich, und die partielle Variation der Pollenmenge war bedeutend kleiner als bei 44/11. Schon 48/8 bezeichnet eine stärkere Annäherung zum gzgas-Typus als 44/11, und in noch höherem Grad ist dieses mit 46/19 der Fall. Die Blattbreite war bei der letzten Pflanze dieselbe wie bei 48/8, und die Blätter hatten auch die charakteristische dunkelgrüne Farbe, waren aber nicht ganz glatt, sondern hatten schwache Buckel. Die Spitze war wie bei gzgas stark gedreht. Die Blüten waren größer als bei — 44/11, aber kleiner als bei gégas. Der Pollen ziemlich reichlich. Ebenso wie aus gigas Individuen hervorgehen, welche Abstufungen zwischen gzgas und /ata bezeichnen, so scheint es auch Individuen zu geben, welche Abstufungen zwischen Die Variabilität der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. 155 gigas und scintillans bilden. Von einer von gigas rein diskonti- nuierlich unterschiedenen Doppelmutante kann man also gar nicht sprechen. Die Variabilität bei gzgas scheint indessen nicht lediglich in den beiden erwähnten Richtungen zu gehen. In meinen Kulturen traten Textfig. 18. Ein Individuum, das eine Abstufung zwischen gigas und gigas-scintillans bildet. nämlich zwei Individuen auf, deren Variabilität in der Richtung zweier anderer Mutanten von O. Lamarckiana ging, und zwar so, daß sich das eine zanella, das andere e//iptica näherte. Von Doppelmutanten [wie bei 43/9 und 44/11] kann man jedoch in diesem Falle kaum sprechen, nur gewisse Charaktere von den erwähnten Mutanten konnte man beobachten. 156 Heribert-Nilsson. Das Individuum, welches gewisse e/lptica-Eigenschaften zeigte, war 44/3 [Textfig. 19]. Die Übereinstimmung mit O. e//iptica lag in den Blättern, welche äußerst schmal, langgestielt, etwas bucklig und graugrün waren. Gleich wie O. elliptica hatte es ziemlich starke Ver- ästelung mit auswärts stehenden Ästen. Übrigens zeigte es kaum einige gigas-Eigenschaften. Der Stengel war schmal und rot angelaufen, die Blütenknospen hatten eine eigentümliche violettrote Farbennuance. Knospen gigas-ähnlich. Die Blüten waren mehr Lamarckiana- als Textfig. 19. Ein schmalblättriges gigas-Individuum. gigas-ähnlich, weitausgeschlagen, von einer blaßgelben Nuance und ziemlich reich an Pollen. Diese Kombination von ausgeprägten gzgas- Knospen, Zamarckiana-ähnlichen Blüten und schmalem Stengel machte einen sehr eigentümlichen Eindruck. Das »anella-ähnliche Individuum war 46/15 [Fig. 4, Taf. 3]. Von O. nanella hat es eigentlich keine anderen Eigenschaften als den Zwergwuchs. Im übrigen eine Kombination von besonderer Art. Nur 15 cm hoch. Blätter sehr eigentümlich bezüglich der Form und Die Variabilität der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. 157 Nerven. Sie waren schmal und nach der Spitze zu am breitesten. An der Basis hatten sie zwei abstehende Zipfel, in welche zwei Seiten- nerven fast ebenso stark wie der Hauptnerv ausliefen. Die Blüten waren klein, halbausgeschlagen, Kronenblätter ungefähr 25 x 42 mm. Knospen ziemlich dick mit stark pigmentierten Kelchblättern. Griffel die Staubfäden wenig überragend. Fast ganz pollensteril. Bei Selbst- bestäubung wurde kein Samen erhalten. Außer den schon erwähnten Typen, welche sich alle mehr oder weniger gewissen Mutanten von O. Lamarckiana anschlossen, konnten ein paar andere von fremdem Ausschen beobachtet werden. Eine Textfig. 20. Ein abweichendes Individuum der O. gigas. von diesen wurde vom Individuum 44/2 [Textfig. 20] repräsentiert. Es ist schon erwähnt worden, daß dieses Individuum in den Blüten /ata- Eigenschaften zeigte: Die Blüten waren halboffen, die Kronenblätter runzelig, die Staubfäden steril, die Narben deformiert. Es gab aber auch besondere Eigenschaften in den Blüten. So waren die Kronen- blätter oft tief zipfelig. Die Griffel kurz, so daß die Spitze der Staubbeutel die Narbe beriihrte. Eigentümlich war die Form der Früchte, weil sie sich gegen die Spitze nicht allmählich verengten, sondern wie abgeschnitten aussahen. Die Blätter gaben der ganzen Pflanze ein besonderes Gepräge. Sie waren kurz, aber ziemlich breit, 158 Heribert-Nilsson. in dem Blattstiel sich schnell verengend, plötzlich in eine deutliche Spitze zusammenlaufend. Ferner hatten sie viele, aber sehr kleine Buckel und waren stark behaart, wodurch sie ein graues Aussehen erhielten. Sie saßen sehr dicht und nahmen in der Größe nach oben zu kontinuierlich ab. Textfig. 21. Ein abweichendes gigas-Individuum. Mit? diesem Individuum stimmte in allen beschriebenen Eigen- schaften 46/8 überein. Beide waren kleinwüchsig und bildeten also auch in dieser Hinsicht einen gemeinsamen Typus. Diesem Typus schlossen sich in bezug auf die Blattmerkmale einige Individuen an, für welche 46/9 ein Repräsentant ist [Textfig. 2T]. In den Blüten stimmten sie aber nicht mit dem Typus überein, denn dieselben waren groß und fertil. Sie bildeten einige Übergangsformen zwischen dem erwähnten Typus und der gzgas. Die Variabilität der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation 159 Schließlich will ich zwei Individuen erwähnen, welche eigentiim- liche Kombinationen bildeten. Das eine, 46/14, hatte gar keine Neben- stengel [Textfig. 22 (links); des Vergleichs halber ist das Individuum mit einer verzweigten gzgas photographiert], und der Hauptstengel erhob sich mit seinen dichten, hängenden Blättern gerade und starı wie ein Turm. Die Blätter waren kurz und äußerst stark bucklig. Die Hauptinfloreszenz, welche bei gzgas die Kandelaberäste wenig überragt, war hier sehr lang, fast ebenso lang wie der ganze Stengel Textfig. 22. Rechts eine „normale“ gigas-Pflanze, links ein abweichendes Individuum. unterhalb der schwach entwickelten Kandelaberäste. Seitenäste fehlten. — Das andere, 45/7, war ein eigentümlicher Typus, und zwar durch seine Stengelblätter, welche am unteren Teil des Stengels sehr lang waren, nach oben allmählich ganz kontinuierlich kleiner wurden, wodurch die Pflanze ein pyramidales Aussehen erhielt [Textfig. 23]. Was die Blätter sonst anbetrifft, so waren sie schmal und von einer eigen- tümlichen dunkelgrünen Farbe und hatten eine stark gedrehte Spitze, Der Stengel war schmal und das Aussehen der ganzen Pflanze erinnerte 160 Heribert-Nilsson. fast gar nicht an gigas. Die Blüten waren kleiner als bei gzgas und von einer ganz frappant blaßgelben Nuance. Aus den angeführten Tatsachen dürfte sehr deutlich hervorgehen, daß O. gigas als eine konstante Elementarart schwerlich betrachtet werden kann. Wäre dieses der Fall, so würden alle die Varianten— und Variantentypen, die ich hier beschrieben habe, und über welche man durch Textfig. 13—23, Fig. I—5, Taf. 3 und Fig. ı, Taf. 5 einen Überblick bekommt, reine Somationserscheinungen sein. Die Variation ist indessen allzu vielseitig und gilt allzu wesentlichen Eigenschaften, um so erklärt zu werden. Und ferner scheint sie nicht rein regellos zu sein, sondern in der Richtung auf andere Mutanten von O. Zamarckiana zu zu gehen, eine Tatsache, welche dafür spricht, daß sie von geno- typischer Natur ist. Es sieht so aus, als ob diese reiche Variation zum großen Teil darauf beruht, daß die Zwischen- kombinationen, welche bei O. Lamarckiana zwischen Stamm- form und Mutante liegen und welche bei jener sich nicht im äußeren Aussehen verraten, im Zusammenhang mit der gzgas- Kombination hervortreten. Der RekombinationsprozeB, welcher bei der gzgas vor sich geht und in extremen Fällen Doppelmutanten mit den Eigenschaften von gzgas + einer anderen Mutante von O. Lamarckiana hervorruft, ist auch in seinen Abstufungen morphologisch wahrnehmbar, während er bei O. Zamarckiana kryptomer ist. Die angeführten Beobachtungen zeigen, daß ein analoger ,,Mu- tationsprozeß“ ebensowohl innerhalb der DE VRIESschen O. gigas als innerhalb der O. Zamarckiana vorgeht. Aber gerade zu der Frage von der Entstehung des Riesentypus liefern sie keinen Beitrag. Ich gehe deswegen in eine Auseinandersetzung der Riesenkombination über, welche ich in meinen Kulturen erhalten habe und welche ich Komb. 7 nenne. Dieselbe ist nämlich in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung für die Erklärung der Rieseneigenschaften. Die Variabilität der Komb. 7 in meinen Kulturen 1909-1910. Über das Entstehen dieser Kombination und die wichtigsten Merkmale derselben habe ich schon berichtet und auch erwähnt, daß sie in F, konstant ausfiel. Wenigstens galt die Variation in F, nu quantitativen Eigenschaften, denn habituell waren sowohl Rosetten als ausgewachsene Pflanzen einander gleich. Es ist jedoch möglich, daß die Einheitlichkeit des Typus nur darauf beruhte, daß die Anzahl Die Variabilität der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. 161 aufgezogener Individuen so klein war. [Nur acht Pflanzen.] Jeden- falls gab es in der F,-Generation, die ich T909—I9IO aufzog, obschon die Individuenanzahl nur ein wenig größer war als in Fy, eine auf- fallende Variation. Diese äußerte sich teils in der Habitusänderung "zweier Pflanzen, teils in höchst bedeutenden Differenzen hinsichtlich quantitativeı Eigenschaften. Einen habituell veränderten Typus repräsentierte ein Individuum, Komb. 7/4. Dieses zeigte nur wenige Komb. 7 auszeichnende Eigen- schaften. Im Gegensatz zu anderen Individuen hatte es an der Basis keine Äste, am Stamme aber sehr viele. Die- selben waren ziemlich brüchig. Die Blätter zeigten sich ziemlich schmal, ein wenig bucklig und graugriin. Die Knospen waren sehr stark pigmentiert, braunrot mit acht äußerst schmalen grünen Streifen, und hatten anfangs eine eigentümliche rotviolette Farbe. Auch das Hypanthium war schwach rot- gestreift und wurde beim Verwelken stark rot. Ebenso war der Stengel stark rot an- gelaufen. In allen diesen Eigenschaften stimmte dieses Individuum mit O. rubrinervis überein. Die Riesenmerkmale waren im ganzen vegetativen System fast verschwun- den. Nur in den Blüten traten sie deutlich hervor. Die Kronenblätter hatten die nor- male Größe von Komb.7, und die Narben : a ee Textfig. 23. Eine stark waren von demselben Typus als bei dieser. „pweichende O. gigas von Die Blüten wurden beim Verwelken weiß pyramidalem Aussehen. und nicht rot, wie DE VRIES es als charak- teristisch für O. rubrinervis angibt. Die Pflanze war also eine rubrinervis-Kombination mit gewissen Eigenschaften von Komb. 7. Die andere stark abweichende Pflanze, Komb. 7/5, unterschied sich vom Typus dadurch, daß der äußerst kräftige Hauptstengel mit seinen ungewöhnlich großen, breiten, dicken Blättern nicht eine einzige Blüte trug, sondern die Knospen fielen schon in friihem Stadium ab. Die Infloreszenzäste waren zahlreich, trugen aber, wie schon oben gesagt, nur Brakteen, wodurch die Pflanze ein äußerst eigentümliches Aussehen erhielt. Im Hochsommer begann indessen die Pflanze an der Basis kräftige Äste zu treiben, welche von für Komb. 7 Induktive Abstammungs- und Vererbungslehre. VIII, I 162 Heribert-Nilsson. normalem Aussehen waren und auch normale Knospen und Blüten trugen. Es sah fast aus, als ob man mit zwei verschiedenen in ein- ander gegossenen Pflanzen zu tun hätte: einerseits der große kräftige Hauptstengel mit kolossalen Blättern, aber ohne eine einzige Blüte auf den zahlreichen Infloreszenzästen, andererseits die reich blühenden Nebenstengel mit Blüten und Blättern von demselben Aussehen wie Komb. 7. Hinsichtlich der Blütenarmut des Hauptstengels erinnert das Individuum an eine von DE VRIES’ Artanfängen, und zwar O. fatua, welche im Laufe des Sommers auch Infloreszenzen mit nur Brakteen, ohne Blüten, hervorbrachte und erst zum Herbst an der Spitze der Infloreszenzäste Blüten entwickelte. Sonst scheint O. fava von einem ganz anderen Typus als Komb. 7/5 gewesen zu sein: hoch, stark ver- ästelt und ohne Rieseneigenschaften. Die übrigen Individuen repräsentierten einen einheitlichen Typus mit den auf Seite 133—135 beschriebenen Eigenschaften. Zwei Individuen wichen jedoch auf den ersten Blick nicht unbedeutend dadurch ab, daß die Spitze des Hauptstengels während des Winters erfroren war, wodurch der Hauptstengel kurz wurde und durch einen stark ausgewachsenen Seitenast vertreten wurde. Als Folge dieses Zurücktretens des Hauptstengels zeigte sich eine starke Vermehrung der Nebenstengel und eine Verminderung der Blütengröße. Daß diese Eigenschaften jedoch nur Somationserscheinungen waren, zeigte die Nachkommenschaft IgII, welcher es an diesen Eigenschaften fehlte und welche sich Komb. 7 habituell vollkommen anschloß. Ein Individuum zeigte sich an der Spitze gebändert und hatte unten am Stengel Aszidienbildungen [Komb. 7/2]. In bezug auf die Länge der Knospen und der Griffel lagen ziem- lich deutlich ausgeprägte quantitative Differenzen vor. Der Unterschied in bezug auf die Knospenlänge fiel besonders zwischen Komb. 7/6 und Komb. 7/8 in die Augen. Bei dieser war die Durchschnittslänge der Knospen 65,7 mm, bei jener 73,3 mm. Die Früchte waren bei Komb. 7/8 um ein weniges kürzer als bei Komb. 7/6, aber von der- selben Form. Komb. 7/3 zeigte dagegen nicht nur höchst bedeutend kürzere, sondern auch hinsichtlich der Form stark abweichende Früchte, welche in schlagender Weise an O. gigas erinnerten. Sie waren dick, tonnenförmig, nicht Kegel-ähnlich wie bei Komb. 7. [Textfig. 24 zeigt die Früchte der Komb. 7/6, Textfig. 25 die der Komb. 7/3, Textfig. 26 die der gzgas.] Für das nähere Studium sowohl von den Habitusänderungen, als auch von den quantitativen Differenzen wurde mit den Individuen Die Variabilität der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. 163 I, 2, 3, 4, 5, 6 und 8 Selbstbestäubung vollzogen. Eine ziemlich große Anzahl von Samen wurde von jedem gewonnen, und aus den- selben IgrI sowohl Rosetten als blühende Pflanzen aufgezogen. Im Textfig. 24. Früchte Textfig. 25. Früchte Textfig. 26. Früchte der Komb. 7/6. der Komb. 7/3. der O. gigas. folgenden nenne ich die Nachkommenschaft jedes Individuums bei ihrer Stammbuchnummer. Die Nachkommenschaft des Individuums I = Nr. 30, von 2=Nr. 29, von 3=Nr. 32, von 4 = Nr. 57, von 6 = Nr. 22, von 8 = Nr. 25. : Die Rotnervigkeit innerhalb der Komb. 7 und die Wirkung des betreffenden Faktors auf den Riesentypus. Bevor ich auf eine Behandlung der Vererbungsverhältnisse der Eigenschaften der erwähnten Linien eingehe, werde ich eine Eigen- schaft berühren, welche für alle Linien gemeinsam ist, und zwar die Rotnervigkeit. sf tha 164 Heribert-Nilsson. Durch die Rotnervigkeit unterschied sich Komb. 7 scharf von O. gigas, und diese Eigenschaft war bei allen Pflanzen in sowohl Fı als F, vorhanden. In F, zeigte es sich indessen, daß sämtliche 6 er- wähnte Linien weißnervige Individuen abspalteten. Sie waren also sämtlich, wie die vorher erwähnten rotnervigen Zamarckiana- Linien heterozygotisch. Die Tatsache, daß die Weißnervigkeit sich nicht schon früher (in F, und Fy) zeigte, läßt sich dadurch erklären, daß diese Generation nur eine kleine Anzahl Individuen umfaßten [8 bzw. Io]. Hierzu kommt noch der Umstand, daß die weißnervigen Pflanzen bedeutend weniger als 25 Prozent der Individuenanzahl einer Linie betrugen. Die Spaltung ist also kein einfaches Mendeln, und die Rotnervigkeit mit Sicherheit keine einfache Eigenschaft. Rot- und weißnervige Individuen waren in folgender Weise auf den verschiedenen Linien verteilt!). Nummer Anzahl Anzahl | Theoretisch berechnete | Spaltungs- der Linie | rotnerv. Ind.| weißn. Ind. Verhältnisse schema 22 79 I 69,8906 : 1,1094 | 63:1 25 38 3 38.4375 : 2,5625 | Et 29 46 3 45,9375 : 3,0625 15:1 30 56 3 5553125 : 3,6875 15:1 32 | U7, 4 15,75 25,25 3:1 57 24 I 23.4375 21,5625 15:1 Wie man aus den erwähnten Zahlenverhältnissen ersieht, kann nur bei Nr. 32 von einfachem Mendeln die Rede sein. Indessen scheinen sich die Zahlen denjenigen zu nähern, welche man erwarten könnte, wenn die Rotnervigkeit von zwei oder drei selbständig spaltenden Faktoren bedingt wäre, von welchen ein jeder für sich imstande wäre, rote Nervenfarbe zu er- zeugen. Hätten wir zwei solche kumulative Faktoren, so würde man die Spaltung von 15:1 erwarten, und die Zahlenverhältnisse für die Linien 25, 29, 30 und 57 stimmen hiermit ziemlich gut überein. Hätten wir drei kumulative Farbenfaktoren, so würde man das Zahlen- verhältnis von 63:1 erhalten, und dieses scheint in der Linie 22 repräsentiert zu sein. Die Nervenfarbe scheint bei Komb. 7 dieselbe Komplikation zu zeigen, welche NILSSON-EHLE für die Kornfarbe bei Weizen nachgewiesen hat, wo gerade die rote Kornfarbe von ein, zwei oder drei selbständigen, kumulativen Einheiten bedingt ist, ein 1) Nicht nur die blühenden Pflanzen, sondern auch eine große Anzahl Rosetten konnten beim Studium dieser Eigenschaft mitgenommen werden, denn schon bei den ausgewachsenen Rosetten ist die Eigenschaft stark ausgeprägt. Die Variabilität der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation 165 Umstand, welcher durch eine eingehende Analyse von F, auBer allen Zweifel gestellt worden ist. Die Annahme kumulativer Farbeneinheiten scheint mir am besten die Komplikation zu erklären, welche in bezug auf die Eigenschaft der Nervenfarbe bei Komb. 7 hervortritt. Schon für die Linie 5 von O. Zamarckiana wurde die Annahme gemacht, daß wir es hier mit zwei Faktoren für Rotnervigkeit zu tun Textfig. 27. Rechts ein rotnerviges Individuum der Komb. 7, links eine weißnervige Abspaltung. haben. Diese Versuche scheinen eine solche Annahme noch wahr- scheinlicher zu machen. Die erwähnte Abspaltung weißnerviger Individuen aus der rot- nervigen Komb. 7 ist indessen aus einem ganz anderen Gesichts- punkte von Interesse. Dieselbe liefert nämlich auch dafür einen Beleg, daß die Rotnervigkeit für das ganze Habitusbild der Kom- bination eine große Bedeutung hat. Schon für O. Lamarckiana wurde 166 Heribert-Nilsson. erwähnt, daß die rot- und weißnervigen Individuen etwas verschiedene Typen bildeten. Noch frappanter ist dieses innerhalb der Komb. 7. Die weißnervigen Individuen, von denen zwei Igıı blühten, waren nämlich habituell mehr DE VRIES O. gigas als Komb. 7 ähnlich. In Textfig. 27 sind eine weißnervige Abspaltung der Linie 25, 25/29, (links) und ein nebenan wachsendes rotnerviges Individuum von derselben Linie, 25/28, (rechts) abgebildet, und Textfig. 28 zeigt ein weißnerviges Individuum der Linie 57, 57/20. Besonders in die Augen fallend ist, daß die starken Nebenstengel des rotnervigen Individuums bei der weißnervigen Abspaltung unterdrückt worden ist, wie dies auch bei O. gigas der Fall ist. Diese Beeinflussung des Faktors für. Rotnervigkeit auf die Verästelungseigenschaften der Riesenkombinationen ist um so viel eigentümlicher, als sie sich beim Lamarckiana-Typus nicht geltend macht: sowohl rot- als weißnervige Individuen von O. Zamarckiana sind gleich stark verästelt. Das Ver- hältnis illustriert also die Tatsache, daß die Wirkung eines bestimmten Faktors auf ein habituelles Merkmal innerhalb verschiedener Typen (je nach dem Grundkomplex von Eigenschaften) verschieden aus- fallen kann. Indessen, die Unterdrückung der Nebenstengel war nicht die einzige gzgas-Eigenschaft, welche sich beim Verlust der Rotnervigkeit zeigte. Noch andere tauchten auf, wie die ins Blau- grüne verschwommene Blattfarbe, die dickeren, kürzeren, blässeren Knospen, die kleineren, mehr schalenförmigen Blüten [vgl. Textfig. 27, links]. Mit einem Wort, das ganze Habitusbild der Pflanze war wie verändert. Komb. 7 hatte durch den Verlust des Faktors für Rot- nervigkeit größere Ähnlichkeit mit DE VRIES O. gigas als mit ihren rotnervigen Schwesterindividuen erhalten. Freilich war die weiß- nervige Abspaltungsform noch keine vollständige gzgas. Dazu hatte sie noch zu lange Stengelglieder [zu spärliche Blatter], zu lange Griffel und Früchte, aber eingesprengt in einer gzgas-Kultur würde sie in der großen Variabilität, welche hier herrscht, kaum ohne ein- gehende Prüfung bemerkt werden. Wenn auch keine vollständige gigas, ist sie doch derselben zum Verwechseln ähnlich, auf jeden Fall würde keiner, dem ihre Abstammung unbekannt ist, sie aus Komb. 7 ableiten wollen. Diese durchgreifende Umgestaltung von Komb. 7, durch den Verlust eines einzigen Faktors, zeigt, daß ein einziger Faktor innerhalb eines gewissen Kombinationstypus eine vollständige Habitusänderung verursachen kannt). In diesem 1) Allerdings haben wir mehrere kumulative Faktoren für Rotnervigkeit, aber die Individuen, welche nur einen solchen Faktor haben, sind habituell vom selben Die Variabilität der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. 167 / Falle indessen beruht die Habitusänderung auf dem Ent- stehen der reinen „absence“-Kombination [d. h. Abspaltung aller Faktoren für Nervenfarbe]. Sie kann also weder als Textfig. 28. Eine weißnervige, sehr gigas-ähnliche Abspaltung der Komb. 7. eine progressive noch als eine retrogressive Mutation be- zeichnet werden, wenigstens nicht, wenn man in diesen Be- griff den Sinn hineinlegt, daß die entstandene Variante Typus als die, welche mehrere enthalten. Die Grenze zwischen den beiden habituell verschiedenen Typen wird also: Vorhandensein eines Faktors einerseits, Fehlen aller Faktoren andererseits. 168 Heribert-Nilsson. spontaner Natur gewesen ware, sondern wir haben hier ganz einfach die Erscheinung einer neuen Kombination. Der Unterschied zwischen den beiden Riesentypen Komb. 7 und O. gigas scheint also im Vorhandensein oder Fehlen desjenigen Faktors zu liegen, welcher die Rotfarbung der Blattnerven bedingt, und welcher also eine tiefgehende korrelative Beeinflussung besitzen muB. Wenigstens ist es dieser Faktor, welcher die morphologisch große Veränderung bewirkt. Komb. 7 ist also im eigentlichen Sinne bereits eine gzgas, in welcher aber die Rieseneigenschaften in ihrer extremen Form nicht hervortreten können, bevor der Faktor für Rot- nervigkeit verschwunden ist. Dieser wirkt also gerade denjenigen Faktoren entgegen, welche das Zusammendrängen, die Verkürzung aller Organenteile von gigas, bewirken, ist also ein die speziellen Rieseneigenschaften hemmender Faktor, unterdrückt aber dieselben nicht gänzlich, denn Komb. 7 unterscheidet sich dennoch scharf von O. Lamarckiana. Analyse des Riesentypus. Die Frage des Entstehens der Rieseneigenschaften selber wird aber durch meine Untersuchungen über die Rotnervigkeit nicht näher berührt. Da indessen in den Kulturen 1gIo zwischen verschiedenen Individuen in der Länge der Knospen und der Früchte quantitative Differenzen vorhanden waren und ich schon die Vermutung auf- geworfen habe, daß die Rieseneigenschaften auf diesem Wege auf- gebaut worden sind, so habe ich die Nachkommenschaft der hin- sichtlich der Knospen und Früchte differenten Individuen einem ein- gehenden Studium unterworfen, um zu sehen, ob hier eine erbliche graduelle Variation vorliege. Die Knospenlänge betrug bei Komb. 7/6 und Komb. 7/8 73,3 mm bzw. 65,7 mm. In welcher Weise die Variabilität sich in der ıgır blühenden Nachkommenschaft äußerte, zeigt uns die Tabelle Ia. Wie man sieht, ist die Differenz in der Knospenlänge der Linien 25 und 22 ungefähr dieselbe als bei den Elternindividuen, woraus hervorgeht, daß wir es hier mit erblichen Eigenschaften zu tun haben. Die beiden Linien transgredieren nicht einmal. Bemerkenswert für Nr. 25 sind die drei extremen Minusvarianten, deren Durchschnitts- länge ebenso stark von der der übrigen Individuen als die Durch- schnittslänge der Nr. 25 von der der Nr. 22 abweicht. Was die Griffellänge angeht, so wurden bei den Individuen von IgIo keine Messungen gemacht. Daß Komb. 7/2 kürzere Griffel 169 Die Variabilität der Oenothera Lamarchiana u. das Problem der Mutation. z|jz|ı e| |’ + 26/2 quoy 2 | all || —|-|—|—|—|—|—|—|> + 82 -qmoy alee 2 |—|—|—| + |—|—|—|—]- > se/2 -quoy Jsl|S5 35a ve |ec| ze 1£ | of 62 | gz Lz | ge Sz | bz €z| zz z| a3uejJyanıg (9 | | | = | | [ee | ge FIEIE | | | i ı | + 28/2 quoy | aces =z BE fee (Wem (ssa [= —| pi ae —|—|—|— ı }—|—|/—| — —|- * 62/Z ‘quoy u a a ıj—/|-|—-/ı/ı je |—| El] —|—|—-| = —| seal (eset te set es || —|—|- * zz/2 ‘quoy ve | £8 z8 | 180g |62 | 52 | 22 | 02 | s2 |vz | EZ] 22] 12] 02 69 | | | | il [ s6|+6|£6 26] 16] 06 | 68 |ss] 4g |98 | sa] 86 | 46 | —[— |— | — | — | — J — —|* + 22/2 -quoy | —|:|—|—| 1 | x | - 52/2 -quoy a1 3 a a 3 2 a & | s |os|6r | gr | 2b | ob | sp | Hr | _ [60 | 80 |Z0 | oo i +9 | £9| z9| 19 | 09 | 65 | ss | 4s | 95 | ss ps |es|zs a3uejuadsouy (e _-e_—————— eo eee ‘£ 'qwoxyy uoA USTUrT USUSPATISI9A Jop UONPIATPUJ up leq wu ur sdurpyonıg pun adueffogpg ‘osuepusdsouy I rede 170 Heribert-Nilsson. als Komb. 7/6 und Komb. 7/8 gehabt hat, scheint indessen sehr wahrscheinlich, und zwar nach einer Notiz von mir, wonach sich die Narben bei den letzteren im Knospenstadium oberhalb der Kronen- blätter befänden und daher, sobald die Kelchblätter an der Spitze bersten, hinausragen und sich oberhalb der noch eingerollten Kronen- blätter sternförmig ausbreiten würden. Die Narben bei Komb. 7/2 waren dagegen innerhalb der Krone eingeschlossen. Bei den Ab- kömmlingen von Komb. 7/6 und Komb. 7/2, welche 1911 die Linien Nr. 22 und Nr. 29 bildeten, wie auch bei denjenigen von Nr. 32 [abstammend von Komb. 7/3], wurde die Griffellänge gemessen, und die Ergebnisse sind in der Tabelle Ib zusammengestellt. Aus der- selben geht hervor, daß die durchschnittliche Griffellänge für Nr. 22 und 29 um Io mm differiert [92,33 für Nr. 22, 82,33 für Nr. 29]. Zweifellos gibt es also erbliche Differenzen bezüglich der Griffellänge. Nr. 32 schließt sich Nr. 22 am nächsten an. Innerhalb Nr. 29 scheinen die Individuen sich auf zwei verschiedene Gruppen zu verteilen mit einem Längenunterschied von 5 mm. Sowohl bei Nr. 29 wie bei Nr. 32 findet sich eine extreme Minusvariante, wodurch eine An- näherung an die Griffellänge der O. drewzstylis stattfindet. Schließlich wurde auch die Fruchtlänge bei Nr. 22, 25, 29 und 32 gemessen. Die Mutterpflanze von 32 [Komb. 7/3] differierte stark von Komb. 7/6 und Komb. 7/8, nicht nur hinsichtlich der Fruchtlänge, sondern auch hinsichtlich der Fruchtform, welche sehr deutlich an O. gigas erinnerte [vgl. Textfig. 24, 25 und 26]. Tabelle Ic stellt die Variation der vier Linien dar. Wie man sieht, ist Nr. 32 durch ihre extrem kurzen Früchte von den übrigen Linien scharf unterschieden. Gleich wie die Mutter- pflanze wichen sämtliche Individuen der Linie auch hinsichtlich der gigas-ähnlichen Früchte von den übrigen Linien ab. Die Linien Nr. 22, 25 und 29 zeigen keine Differenzen bezüglich der Fruchtlänge, sondern scheinen sich an derselben Durchschnitts- länge zu halten. Bemerkenswert ist indessen, daß innerhalb von Komb. 7 die Somationsvariation wegen der späten Blüte bei den Früchten stark hervortrat!). Wie ich vorher betreffs O. Zamarckiana erwähnt habe (S. 104), nimmt bei spätem Fruchtansatz die Länge der Früchte höchst bedeutend zu, und es ist ja möglich, daß kleinere 1) Durch die Beeinflussung der Somationsvariation waren die Früchte bei Nr. 22, 25 und 29 länger als bei den Lamarckiana-Pflanzen, welche am frühsten erblüht waren, obschon sie genotypisch kürzer sind, eine Tatsache, welche die zweijährige Kultur 1910 zeigte. Die Variabilität der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. 171 vorhandene Differenzen dabei ausgeglichen werden und nur extreme Differenzen sich geltend machen können. Meine Studien über quantitative Eigenschaften bei Komb.7 bezüglich der Länge der Knospen, der Griffel und der Früchte sprechen also entschieden für eine erbliche Variation in bezug auf diese Eigenschaften. Man kann aber noch einen Schritt weiter gehen und fragen: zeigen diese quantitativen Eigenschaften in verschiedenen Teilen der Pflanze eine korrelative Erblichkeit? oder, was dieselbe Frage ist: sind sie durch dieselben Vererbungsfaktoren verursacht worden? Ist eine Plusvariation der Knospen- und Griffellänge immer mit einer Plusvariation der Fruchtlänge verbunden? Ein Blick auf die Tabellen Ia, Ib und Ic zeigt, daß dies nicht der Fall ist. Nr. 25, welche extrem kurze Früchte hat, hat Griffel, die ebenso lang sind wie die der übrigen Linien, Nr. 29, welche extrem kurze Griffel hat, hat Früchte von ungefähr derselben Länge wie die von Nr. 22 und 25, und Nr. 22 und 25 differieren bezüglich der Knospen-, aber nicht der Fruchtlänge. Wir bekommen also die Kombinationen: kurze Früchte—lange Griffel, lange Früchte—kurze Griffel, lange Früchte— lange Griffel, lange Knospen— lange Früchte, kurze Knospen — lange Früchte. Dieses zeigt, daß die quantitativen Plus-Minus-Differenzen in den verschiedenen Linien verschieden kombiniert sind, und daß sie also voneinander unabhängig sind. Die Blüteneigenschaften werden also bei einem gewissen Individuum nicht von einem Faktor mit korrelativem Einfluß auf alle Organe der Blüte, sondern von mehreren selbständigen Faktoren her- vorgerufen. Es ist bei der Behandlung der Variabilität von O. Zamarckiana bemerkt worden, daß eine Eigenschaft wie die Fruchtlänge in korre- lativem Zusammenhang mit dem Faktor für Rotnervigkeit steht. Man würde dann auch erwarten, "daß dieser Faktor die Fruchtlänge bei Komb. 7 beeinflussen würde. Daß er dieses auch gewissermaßen tat, zeigt teils die Tatsache, daß die Linie 32, für welche nur ein Faktor angenommen wurde, die kürzesten Früchte hat, teils die, daß das Individuum 25/29, welches weißnervig war, relativ kurze Früchte hatte. Daß dieser Faktor jedoch nicht der einzige ist, welcher hier einwirkt, geht daraus deutlich hervor, daß alle erblühenden rotnervigen In- dividuen innerhalb Nr. 32 kürzere Früchte als das genannte weiß- nervige Individuum 25/29 zeigten; und auch innerhalb Nr. 25 gab es zwei rotnervige Individuen, von denen eines ebenso lange, das andere 172; Heribert-Nilsson. bedeutend kürzere Früchte als das Individuum 25/29 hatte. Gzgas- Form hatten nur die Früchte bei der Linie 32, nicht die kurz- früchtigen Individuen aus der Linie 25. Das Individuum 25/29 hatte also keine gzgas-férmigen Früchte, obschon dasselbe, infolge der Ab- spaltung des Faktors für Rotnervigkeit gzgas habituell mehr ähnelte als die Individuen der Linie 32. Diese Tatsachen zeigen, daß der Faktor für Rotnervigkeit, wenn auch nicht ohne Einfluß auf die Länge und Form der Früchte, doch nicht der einzige ist, welcher dieselbe bestimmt, sondern, daß auch quantitative die Größe be- dingende Faktoren sich geltend machen. Bisher habe ich nur die bereits festgestellten erblichen Differenzen innerhalb von Komb. 7 behandelt. Betrachtet man indessen Komb. 7 Textfig. 29. Eine kurz- und breitblättrige Rosette der Komb. 7. als Durchschnittstypus, so findet man eine reiche Variation auch in bezug auf andere Eigenschaften. Dieselbe war ganz wie bei O. gigas besonders hinsichtlich der Form der Rosettenblätter sehr in die Augen fallend. Um eine Übersicht über diese Variation zu geben, habe ich einige Rosetten auch aus Komb. 7 photographiert. Textfig. 29—34 und Fig. 2, Taf. 5 zeigen dieselben. Wie man sieht, treten inner- halb von Komb. 7 wie innerhalb von gzgas schmalblättrige Individuen auf, welche sich, wie z. B. die in Fig. 2, Taf. 5 und Textfig. 33 ab- gebildeten Rosetten, e//öptica nähern, obschon sie hinsichtlich der Blatt- form doch unter sich sehr unähnlich sind. Zwischen diesen extrem schmalen und den typisch breitblättrigen Individuen (Textfig. 29 und 30) gibt es, wie Textfig. 31, 32 und 34 zeigen, verschiedene Gradationen. Die Variation bezieht sich in gewissen Fällen nicht nur auf die Breite, Textfig. 30. Eine breitblättrige Rosette der Komb. 7, die den gewöhnlichen Rosettentypus der Kombination repräsentiert. Textfig. 31. Eine ziemlich breitblättrige Abstufung zwischen den breit- und schmalblättrigen Rosetten der Komb. 7. 174 Heribert-Nilsson. sondern auch auf die Länge der Blätter, wie Textfig. 29 und Fig. 2, Taf. 5 als Extreme zeigen. — Innerhalb der Komb. 7 und der O. gzgas gibt es fast ganz übereinstimmende Rosettenformen, wie Fig. ı und 2, Taf. 5 zeigen. Auch unter den blühenden Individuen gab es abweichende Typen. So trat z. B. innerhalb der Linie 29 ein Individuum auf, welches durch seine eigentümlich pyramidenförmige Gestalt an die vorher er- wähnte gigas-Variante 45/7 erinnerte [vgl. Textfig. 23]. Die schmal- blättrigen Individuen und der eben genannte Zyramidalis-Typus Textfig. 32. Eine ziemlich schmalblättrige Abstufung zwischen den breit- und schmalblättrigen Rosetten der Komb. 7. waren jedoch die einzigen, welche als Parallelerscheinungen 'zu den Variationstypen von O. gigas betrachtet werden konnten. Für all die zahlreichen Varianten, welche uns bei gigas in gigas-lata und gzgas-seintillans und die Gradationen zwischen diesen und dem normalen gzgas-Typus begegnen, gab es bei Komb. 7 keine einzige Parallele. Von 63 untersuchten Pflanzen waren alle reich an Pollen, keine einzige zeigte die Sterilität von /a/a oder die partielle Sterilität von scintillans. Auch keine der anderen /ata- oder scintillans- Eigenschaften traten hervor. Allerdings zeigte sich bei gewissen Die Variabilität der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. 175 Textfig. 33. Eine extrem schmal- und spitzblättrige Rosette der Komb. 7. Textfig. 34. Eine Rosette der Komb. 7 mit sehr langen Blattstielen und kurzen Spreiten. 176 Heribert-Nilsson. Individuen die Schmalblättrigkeit, welche eine scintzllans-Eigenschaft ist, aber hinsichtlich der übrigen Blatteigenschaften näherten sich diese Individuen nicht scintzllans, sondern entweder der ellptica oder der rubrinervis, die ja auch schmalblättrig sind. Komb. 7 scheint also für den Riesentypus die Annahme zu bestätigen, welche ich für den Zamarckiana-Typus gemacht habe, daß sich nämlich beim Vorhandensein des Faktors für Rotnervigkeit die Eigen- schaften von /ata und scintillans nicht geltend machen können. Erst in einer weißnervigen Lamarckiana-Linie können J/ata und scintillans entstehen, und erst aus einer weißnervigen Riesenkombination können gigas-/ata und gigas-scintillans ge- bildet werden. Von Interesse ist auch, wie sich rudrinervis-Eigenschaften in Ver- bindung mit gzgas-Typus verhielten. Aus Komb. 7 ging, wie erwähnt, Igıo ein Individuum [Komb. 7/4] hervor, welches der O. rudbrinervis stark ähnelte, jedoch noch mit gewissen Rieseneigenschaften behaftet war. Aus demselben wurden IgII 22 blühende Abkömmlinge gezogen [sie bilden die Linie 57]. Diese rudbrinervis-gigas zeigte sich indessen im Unterschied zu DE VRIES’ vudbrinervis aus Lamarckiana und meiner rubrinervis-ähnlichen Komb. 6 [S. 128] nicht konstant, sondern gab zum größten Teil Individuen vom normalen Aussehen der Komb. 7 wieder. Die rubrinervis-Eigenschaften scheinen also in der Verbindung mit den Rieseneigenschaften keine konstante Kombination zu bilden. Diejenigen Individuen der Abkömmlinge, welche rudrinervis-Eigen- schaften aufwiesen, zeigten dieselben nicht korrelativ, d. h. nicht in allen Teilen der Pflanze. Ein Individuum stimmte betreffs Blätter, Früchte und Verästelung mit vudrinervis überein, war aber extrem pigmentarm. In seiner ungemein langen Hauptinfloreszenz zeigte es außerdem eine eigentümliche Eigenschaft, die eine Annäherung an O. leptocarpa bezeichnet [Textfig. 35]. Ein anderes dagegen hatte besonders ausgeprägte rubrinervis-Pigmentierung und ebenso erinnerten seine Blätter an rubrinervis; es hatte aber an der Basis kräftige Neben- stengel. Diese waren die einzigen blühenden Individuen mit ruéri- nervis-Eigenschaften, diese aber schon zeigten die rubrinervis-Eigen- schaften zerstreut, und keines stimmte mit der Mutterpflanze überein. Es sieht also aus, als ob die rudrinervis-Eigenschaften voneinander unabhängig wären und jede für sich in Kombination mit den Riesen- eigenschaften und dem Faktor für Rotnervigkeit auftreten könnte, so daß hier dieselbe Erscheinung vorläge wie in dem oben be- schriebenen Falle, wo die /afa- und scintillans-Eigenschaften beim Die Variabilität der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. 177 Fehlen vom Faktor für Rotnervigkeit jede für sich zusammen mit den Rieseneigenschaften auftraten. Das Verhältnis der rwdrinervis- Eigenschaften innerhalb von Komb. 7 sowie das der /ata- und scintillans-Eigenschaften inner- halb von O. gigas sprechen da- fiir, daB der dem Aussehen nach feste Komplex von Ei- genschaften, welchen gewisse Mutanten von O. Lamarckiana zeigen, doch nicht vom Auf- treten einer einzigen pro- gressiven Elementareigen- schaft verursacht worden ist, sondern von dem zufälligen Zusammentreffen mehrerer Vererbungsfaktoren, welche erst dann, wenn sie alle zu- sammentreffen eine Mutante innerhalb des Zamarckiana- Typus erzeugen, aber auch einzeln innerhalb des Riesen- typus deutlich zum Ausdruck kommen, so daß bereits die partiellen Mutanten sichtbar werden. Die Folge davon ist daß der Lamarckiana-Typus wenig variabel wird, daß die extremen Kombinationen des- selben dagegen vom Durch- schnittstypus der Art stark abweichen, daß der Riesen- typus dagegen höchst variabel wird, daß aber seine extremen Varianten, welche augen- scheinlich genetisch auf die- selbe Weise wie die innerhalb Textfig. 35. Eine abweichende Form der Komb. 7/4 mit ungemein langer Hauptinfloreszens. des Zamarckiana-Typus gebildet werden und Parallelerschei- nungen zu den Mutanten derselben sind, durch mehrere Über- gangsformen mit dem‘,,normalen“ gigas-Typus verbunden sind. Induktive Abstammungs- und Vererbungslehre. VIII. I2 178 Heribert-Nilsson. Es macht also den Eindruck, als ob die gégas-Kombination von ganz anderer Natur als alle übrigen Mutantenkombinationen wäre, gleich- sam eine neue Grundlage, auf der sich derselbe Variabilitäts- prozeß wie der innerhalb der O. Zamarckiana wiederholt. Und einige soeben angeführte Tatsachen scheinen mir dafür zu sprechen, daß die Rieseneigenschaften, durch eine Kumulation von quantitativen Faktoren für Größe und Form, auf verschiedenen Individuen der Stammart verteilt, aufgebaut worden sind. Hierfür scheinen speziell folgende Gründe zu sprechen: Erstens gibt es nämlich wie erwähnt partielle aus der Zamarckiana hervorgegangene gzgas-Mutanten, welche verschiedene Gradationen von Riesenhabitus bilden. Die von der Lamarckiana am wenigsten abweichende ist Komb. 8 [Textfig. IL, rechts]. Schon Komb. 7 nähert sich gzigas mehr [Textfig. 27, rechts], und noch mehr die weißnervigen Abspaltungen von Komb. 7 [Textfig. 27, links und Textfig. 28], von welchen zu der „typischen“ gigas nur noch ein kleiner Schritt ist [Fig. 9, Taf. II]. Zweitens zeigt ein näheres Studium der Nachkommenschaft der Komb. 7, daß erbliche Differenzen in bezug auf rein quantitative Eigenschaften vor- liegen, so daß wir es hier nicht mit einer Kombination zu tun haben, welche in allen den die Rieseneigenschaften aufbauenden Einheiten konstant ist. Endlich zeigt das Studium dieser quantitativen Diffe- renzen in den verschiedenen Teilen der Pflanze, daß diese Kumulation keine einfache Häufung von in allen Teilen der Pflanze korrelativ wirkenden Größeneinheiten ist, sondern daß innerhalb der ver- schiedenen Teile der Pflanze Reihen von selbständig spaltenden quantitativen Einheiten vorliegen. — Alles dieses deutet darauf hin, daß der gzgas-Typus von sehr zusammengesetzter Beschaffenheit ist, und daß sein Bestehen durch Komplexe von quantitativen Ein- heiten bedingt ist, welche in den verschiedenen Teilen der Pflanze je eine gzgas-Eigenschaft erzeugen. Gzgas-Habitus wird dann ge- bildet, wenn eine bestimmte Anzahl solcher quantitativer Einheits- komplexe zufällig zusammentreffen. Dieses Verhältnis würde man in folgender Weise schematisch demonstrieren können. Gesetzt den Fall, daß die Größeneinheiten ABCD nötig sind, um in allen Teilen der Pflanze gigas-Eigenschaften zu erzeugen. Die verschiedenen Buch- staben bezeichnen Einheiten, welche in verschiedenen Organen der Pflanze wirksam sind. Treffen diese Eigenschaften zusammen, so würde ein Individuum mit schwach ausgeprägten gzgas-Eigenschaften entstehen. Um nun eine mehr ausgeprägte gigas zu erhalten, würde nicht nur das Zusammentreffen dieser in verschiedenen Organen wirk- Die Variabilität der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. 179 samen Größeneinheiten nötig sein, sondern auch eine Kumulation inner- halb jeder Einheit, so daß man A]AgB]B5C,C5D,Dy, AyAgAgBy ByB3CyCoCy D;D;D, usw. erhalten würde. Nun ist es aber unwahrscheinlich, daß in einem solchen Falle diese Kombination als homozygotisch realisiert wird, sondern man muß annehmen, daß sie ais stark heterozygotisch entsteht. Darin würde also auch die Erklärung der innerhalb eines gigas-Typus vorhandenen großen quantitativen erblichen Variation liegen. — Da eine große Anzahl Einheiten erforderlich ist, um einen habituell gut ausgezeichneten gzgas-Typus zu erzeugen, ist es zu er- warten, daß derselbe nur sehr selten entsteht, und die experimentellen Tatsachen von DE VRIES stimmen hiermit vollkommen überein. In seiner Hauptkultur von ungefähr 50000 Individuen ist aus O. La- marckiana nur ein einziges Mal der gzgas-Typus hervorgegangen!) und in den großen Kulturen von MAC DOUGAL auch nur einmal aus dieser Spezies. SCHOUTEN fand ihn, in einer aus gekauftem Samen ge- wonnenen Kultur, in drei Exemplaren, also in einem abweichenden Verhältnis, hier war ja aber auch die Abstammung unbekannt. Eine Konsequenz der obigen Erklärung des Entstehens von O. gigas ist natürlich die, das auch Individuen mit der Kombination AyAo oder A,AjA, oder A,A5B usw. entstehen können. Wie werden sich denn diese zeigen? Erhalten wir nicht durch diese einen rein sukzessiven Übergang zwischen O. Lamarckiana und gigas? Dies kann natürlich eintreffen, braucht aber nicht immer der Fall sein, denn bei derartigen Kombinationen werden wir zwar in einem gewissen Pflanzenteil eine gigas-Eigenschaft, z. B. große Blüten, in den anderen dagegen Lamarckiana-Eigenschaften haben. Habitusveränderung er- halten wir also nicht, und die Vergrößerung der Blüte z. B. wird nur als eine fluktuierende Variation merkbar sein, welche in einer um- fangreichen Kultur der Beobachtung vollkommen entgehen würde. Meiner Meinung nach kann man also nicht mit DE VRIES annehmen, daß O. gigas durch eine progressive Mutation ent- standen ist, die darin besteht, daB eine neue Elementar- eigenschaft, welche alle Teile der Pflanze korrelativ beein- fluBt, auftritt. Gegen eine solche Annahme spricht teils der Umstand, daB wir zwischen Lamarckiana und dem extremen gigas-Typus mehrere Gradationen haben, welche kleinere Ha- bitusveränderungen bezeichnen, teils der, daß wir zwischen 1) Daneben einmal aus der Mutante sublinearis und einmal aus der Kreuzung lata >< hirtella. 12" 180 Heribert-Nilsson. diesen verschiedenen gigas-Typen eine quantitative vererb- liche Variation haben, welche nicht fiir verschiedene Organe der Pflanze korrelativ ist. Diese Tatsachen lassen sich aber durch die Annahme erklären, daß der gégas-Typus durch eine Plus-Addition von quantitativen und kumulativen Einheiten entstanden ist; welche erst in verschiedenen Organen gzgas- Eigenschaften, aber nicht den gzigas-Habitus aufbauen. Wenn dann diese Plus-Komplexe zufällig zusammentreffen, so ent- steht die Habitusveränderung, die Mutante. Der gigas-Typus wäre also als eine extreme und zusammengesetzte Plus-Kom- bination von Faktoren für Größe und Form zu betrachten. Durch diese Annahme werden auch einige Schwierigkeiten be- seitigt, zu welchen die Anschauung von DE VRIES über das Ent- stehen der O. gigas und das Ergebnis bei der Bastardierung zwischen demselben und der Stammart führen. DE VRIES ist der Ansicht, daß die Mutanten im allgemeinen als Bastarde hervorgehen, weil es sehr unwahrscheinlich ist, daß zwei mutierte Gameten zusammentreffen. Da es sich indessen in den Versuchen von DE VRIES gezeigt hat, daß eine Kreuzung zwischen Mutante und Stammart im allgemeinen bereits in F, wieder Mutante und Stammart geben [so bei /ata x Lamarckiana und nanella x Lamarckiana], erscheint also die Mutante schon hier. Anders fällt die Sache in der Kreuzung von Zamarckiana x gigas. DE VRIES hat gefunden, daß diese einen intermediären Bastard liefert, welcher dann konstant wird. Was wird nun geschehen, wenn wir daraus die Konsequenzen ziehen? Da gzgas aus Lamarckiana gebildet worden ist, so würde der Gamet, welcher die gzgas-Eigen- schaft enthält [wollen wir ihn G nennen], auf Befruchtung mit einem Lamarckiana-Gamet [wir nennen ihn L] angewiesen sein, denn eine Befruchtung mit einem anderen gzgas-Gamet ist ja, da gigas im Ver- hältnis von 1:50000 hervorgeht, vollkommen undenkbar. Das Resultat wird ein Bastard Lx G, welcher DE VRIES O. gigas darstellt. Die Konsequenz aus der Annahme von DE VRIES wird also die, daß nie eine Pflanze mit reinen gigas-Eigenschaften erhalten werden kann; die Mutante geht als Bastard hervor, und der Bastard gigas x Lamarckiana ist konstant. Wird nun diese gigas (welche ja doch gigas x Lamarckiana ist) mit Zamarckiana gekreuzt, so würden wir L x [L x G] erhalten. Dieser Bastard wird, nach DE VRIES, gigas ganz (202a, S. 420) oder zum Verwechseln (212, S. 757) ähnlich. Und doch enthält er Lamarckiana- Eigenschaften in, doppelter Menge. Ferner scheint diese Tatsache Die Variabilität der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. 181 nicht mit DE VRIES’ Auffassung übereinzustimmen, daß phylo- genetisch ältere Eigenschaften dominieren. Die Schwierigkeiten, zu welchen die Konsequenzen aus dem Entstehen von O. gzgas als Bastard einerseits und der Konstanz des Bastards gzgas x Lamarckiana anderer- seits führen, scheint DE VRIES übersehen zu haben. Nehmen wir meine Erklärung von dem Entstehen des gigas- Typus als richtig an, so vermeidet man diese Schwierigkeiten. Gzgas geht als eine Kombination verschiedener Eigenschaften hervor, welche gerade durch ihr Zusammentreffen den Typus synthetisch bilden. Individuen, jedes mit seinen gzgas-Eigenschaften, aber nicht vom gigas-Habitus, liefern gewisse Gameten von z. B. folgender Konstitution: A,AoB,BoC,Codydg und a,aabjb5C,C5D,D,. Überläßt man die beiden Individuen ungewollter Befruchtung untereinander, so ist es immer- hin wahrscheinlich, daß zwei der obigen Gameten zusammentreffen, und dann entsteht ganz plötzlich der gzgas-Typus. Er entsteht also in diesem Falle nicht als ein Bastard, sondern als eine synthetische Plus-Kombination. Wenn man diese Annahme macht, wird man dazu nicht gezwungen, eine neugebildete Art als einen konstanten Bastard zu betrachten, was immerhin sehr mißlich ist, da ja die experimentelle Forschung immer mehr die Auffassung zu bestätigen scheint, daß es überhaupt keine konstanten Bastarde gibt. Meine Annahme erklärt ferner, warum der gzgas-Typus bei der Kreuzung mit O. Lamarckiana dominiert. Gzgas enthält ja nämlich mehr positive Einheiten als O. Lamarckiana, und wenn diese auch im heterozygotischen Stadium über das Fehlen dieser Einheiten vollständig oder fast vollständig dominieren, so ist es nicht merkwürdig, daß der Bastard gigas x Lamarckiana, Wie DE VRIES sagt, gigas ganz oder zum Verwechseln ähnlich wird. DE VRIES hat auch vom Bastard gigas x Lamarckiana und von der reziproken Kreuzung die F,-Generation erhalten. Er sagt von dieser, daß sie konstant-intermediär wird. Auch dieses findet in meiner Annahme des Entstehens des gigas-Typus seine Erklärung, wird aber im Sinne DE VRIES’ nur dem Scheine nach richtig. Bei quantitativer erblicher Variation, wo es sich um mehrere kumulative Einheiten für eine Eigenschaft handelt, müssen nämlich, wie LANG auf Grund der Untersuchungen von NırLsson-EHLE hervorgehoben hat, und wie Tine TAamMEs später bei ihren Flachskreuzungen mit konkreten Beispielen gezeigt hat, die intermediären Kombinationen in ungeheuerem Übergewicht auftreten. Schon bei der Annahme dreier Einheiten für die Zunahme der Stärke des Stengels, deren jede für 182 Heribert-Nilsson. sich eine Zunahme von I mm erzeugte, müssen wir, wie LANG zeigt, sieben meßbar verschiedene Formen (Gradationen) in folgender An- zahl!) erhalten: Gradation 1. - I ” 2 6 Be 5 205 ” 4- . 20 ” 5: Oh) 5 6. 16 ” 7°: TI Bei 6 Einheiten erhielt man 13 verschiedene Formen in folgender Anzahl: Gradation I...I 2 12 3- 66 4» 220 5. 495 n 6. 792 7 - 924 8 792 9 - 495 5 10 . 220 5 II . 66 > 2 12 ; 108}, I Daß also ein Bastard zweier quantitativ verschiedener Arten den Eindruck einer konstant intermediären Form mit wenig fluktuierender Variabilität macht, ist ja ganz klar, weil die Extreme den inter- mediären Formen gegenüber ganz verschwunden sind und erst in sehr großen Kulturen entstehen. Meine Erklärung der Natur des gzgas-Typus stimmt also auch mit dem Verhältnis des Bastards gigas x Lamarckiana in Fg gut überein. Das von DE VRIES in seinen Kulturen unter 224 und 58 Individuen beobachtete Verhältnis, daß F, intermediär ist, kommt 1) Die Anzahl der meßbar verschiedenen Formen erhielt man gemäß der Formel 2n + 1, weil, da die Einheiten dieselbe Wirkung haben, nur die Anzahl von Einheiten der Gametenkombinationen die Größe des Organs bestimmt. Wir können also bei 3 Einheiten nur diejenigen Formen unterscheiden, welche 6, 5, 4, 3, 2, 1 oder keine von diesen Einheiten zeigen, z. B. j ABC „ j ABC 3) j ABC a j ABC J ABc i Abc ; J abe ) | ABC \ ABc | Abc 6) | 7 \ abe \ abc ) \ abe ) \ abc J ABC; { Abc ABc \Abc | Abc abc 4) 5) AB : c 5 aber J = gibt dieselbe Größeform wie dieselbe wie | usw. c \A Die Variabilität der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. 183 nicht mit meiner Annahme in Widerspruch, daß eine Spaltung von quantitativer Natur eingetreten ist. Tritt aber eine Spaltung ein, so ist es auch klar, daß bei fortgesetztem Anbau allmählich extreme Typen ausgesondert werden; der Bastard ist also nicht konstant intermediär. Meine Annahme scheint also sowohl das plötzliche Auftreten des - gigas-Typus als die langsame Auflösung desselben bei Bastardierung mit der Stammform zu erklären, also sowohl die Natur der Mutation als die Tatsache, daß die Mutante mit O. Lamarckiana eine konstante Bastardrasse zu bilden scheint. Da diese Annahme in völliger Über- einstimmung mit für andere Pflanzen bekannten Tatsachen steht, hat sie den Vorteil, dem Schein nach einzig darstehende Erscheinungen unter allgemeine Gesichtspunkte und Variationsgesetze einzuordnen. Abweichende, nicht erbliche Formen innerhalb der Komb. 7. Von Komb. 7 wurden zwei abweichende Individuen erhalten, nämlich Komb. 7/2 und Komb. 7/5, welche ich auf S. 161 und 162 beschrieben habe, aber deren Nachkommenschaft ich absichtlich ge- sondert für sich behandle, weil es sich hier um eine nicht erbliche Variation zu handeln scheint. Komb. 7/2 war im oberen Teile des Stengels verbändert und hatte im unteren Teile desselben Aszidienbildungen. Diese beiden Monstrositäten hat auch DE VRIES zusammen auftretend gefunden, und er betrachtet Individuen, welche sich durch diese Eigenschaften auszeichnen, als partielle Mutanten und also auch die Eigenschaft als erblich, wenn auch im allgemeinen latent. Von den zwölf blühenden Individuen der Nachkommenschaft von Komb. 7/2 zeigte kein einziges weder Fasziation noch Aszidienbildung. Die Erblichkeit der Eigen- schaft deshalb zu leugnen, wäre wohl übereilt, möglich ist ja, daß sie von äußeren Verhältnissen stark abhängig ist wie z. B. DE VRIES für die Polycephalie bei Papaver gezeigt hat; und die Nachkommen- schaft I9II wuchs unter schlechteren Nahrungsverhältnissen als die Mutterpflanze auf. Die Möglichkeit indessen scheint mir doch nicht ausgeschlossen, daß die Erscheinung — wie nach ALICE KNox (99) verschiedene Fasziationserscheinungen gerade bei Oenothera — nicht vererbt wird, sondern auf Infektion beruht. Da aber die monströsen Teile der Mutterpflanze nicht untersucht wurden, kann ich keine direkten Beweise für diese Ansicht liefern. i Das jedoch höchst eigentümliche Typen entstehen können, die ihrer Natur nach als infektiösen Ursprungs betrachtet werden müssen, 184 Heribert-Nilsson. zeigt Komb. 7/5 [vgl.S. 161 u. 162]. Schon der Umstand, daß von dem in den vegetativen Charakteren stark abweichenden und blütenlosen Hauptstengel zum Herbst vollkommen normale und blühende Äste an der Basis hervorschossen, deutet an, daß das veränderte Aussehen in Zu- sammenhang mit irgendeiner Veränderung des Soma steht, welche in . gewissen Fällen zurücktreten kann. Um diese Verhältnisse näher zu studieren, isolierte ich einerseits zwei Rosetten, welche an der Basis der Pflanze saßen und noch keine Stengel angesetzt hatten, unter- zog andererseits ein paar Blüten kontrollierter Selbstbestäubung. Die isolierten Rosetten überlebten den Winter und lieferten beide IgII ent- wickelte Pflanzen. Die eine war vollkommen von dernselben Aussehen wie der Hauptstengel der Komb. 7/5, d. h. sie entwickelte keine einzige Blüte, sondern nur Infloreszenzen mit Brakteen, die andere zeigte das Aussehen der Nebenstengel, d. h. lieferte einen reich blühenden Stengel. Vegetative Ableger der Pflanze können sich also entweder wie der Hauptstengel oder wie die Nebenstengel entwickeln. Von der Nach- kommenschaft aus kontrollierter Selbstbestäubung blühten Igıı fünf Exemplare, welche sich alle vollkommen normal zeigten, d. h. hin- sichtlich der Wachstumsweise und der Blüten den Individuen anderer Linien von Komb. 7 vollkommen glichen. Die angeführten Tatsachen, nämlich, daß das Mutterindividuum in gewissen Teilen einen Typus, in anderen einen anderen darstellt, daß diese beiden Typen bei vegetativer Fortpflanzung erhalten werden können und daß aus Samen aufgezogene Individuen nur den normalen Typus geben, scheinen mir stark dafür zu sprechen, daß wir es hier mit einer infektiösen Erscheinung zu tun haben. Wahrscheinlich handelt es sich hier wohl um irgendeine Pilzinfektion. Anatomische Untersuchungen wurden indessen nicht vorgenommen!). Ein ähnliches Verhältnis hat DE VRIES für O. Zamarckiana beob- achtet. Bei dieser traten vereinzelte schmalblättrige Rosetten mit asymmetrischen Blättern auf, welche Pflanzen gaben, die früher oder später auf das normale Zamarckiana-Aussehen zurückgingen. 1) Eine Komb. 7/5 ähnliche, in zwei vegetative Systeme geteilte Form hat GAGER (46) von O. biennis erhalten. Da sie aus einem Individuum hervorging, das einer Bestrahlung mit Radium ausgesetzt worden war, hält er dieselbe für eine durch dieses Agenz ausgelöste Mutante. Da sie indessen nicht sam"nbeständig war, ebenso- wenig wie die von mir erhaltene Form, erscheint dieses höchst unwahrscheinlich. Es ist wohl eher anzunehmen, daß es sich um eine Infektionserscheinung handelt. — Jedenfalls kann eine ähnliche Form auch ohne Radiumeinwirkung, wie Komb. 7/5 zeigt, entstehen. Die Variabilität der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. 185 Daß veränderte Typen durch eine Pilzinfektion, welche auch im äußeren Aussehen der Blätter durch Gelbfleckigkeit wahrnehmbar ist, entstehen können, dies zeigten einige Rosetten aus den Linien 22 und 29. Diese Rosetten hatten nämlich ziemlich unregelmäßig ge- formte, im allgemeinen schmale Blätter und setzten schnell einen Stengel an, welcher ungemein kleine Blüten trug, worauf die ganze Rosette schnell verwelkte. Hier ist es ganz deutlich, daß wir es mit einem pathologischen Prozeß zu tun haben. Daß auch die Mutante O. zanella ein infektiöser Typus sei, nimmt ZEIJLSTRA (227, 228) an, da in den Zellen des untersuchten Materials eine reichliche Anhäufung von Bakterien konstatiert wurde. Diese Erklärung kann jedoch kaum als befriedigend angesehen werden, da ja O. nanella samenbeständig ist, mit der Stammart Mutationskreuzungen von derselben Natur wie z. B. die von QO. /ata gibt, und bei Kreuzung mit O. rubrinervis in Zahlenverhältnissen, welche sich den MENDEL- schen nähern, spaltet. Möglich ist ja, daß das Auftreten von Bakterien nur eine sekundäre Erscheinung ist, und daß »anella als ein schwächerer Typus mehr der Infektion ausgesetzt ist als die Mutterart. III. Artkreuzungen. Im Laufe dieses Jahres habe ich in meinen Kulturen auch die Bastarde von O. Lamarckiana > biennis und O. Lamarckiana >< gigas geziichtet. Ich will daher auch diese in den Kreis meiner Betrach- tungen ziehen. Die Bastardierung zwischen O. Lamarckiana Q und biennis 3 nahm ich I909 vor, und aus dem gewonnenen Samen erhielt ich schon im Laufe des folgenden Jahres blühende Pflanzen. Diese repräsentierten sowohl vegetativ als in bezug auf die Blüten Übergangsformen zwischen den Eltern. Die Blüten näherten sich jedoch bezüglich der Größe bedeutend mehr diennis als Lamarckiana, und auch die Längen- verhältnisse zwischen Griffel und Staubfäden stimmten mit denen von biennis überein: die Staubfäden umschlossen nämlich im Knospen- stadium die Narbe. Der Vater war — wie es stets bei O. diennis der Fall zu sein scheint — rotnervig, die Mutter (Zamarckiana) weiß- . nervig. Der Bastard wurde rotnervig. Da die Kreuzung mehr Über- einstimmung mit diennis als mit Lamarckiana zeigte, war sie also stark patroklin. Von F, hatte ich ıgıı sechs Individuen. Fünf von diesen stimmten wenigstens zum größten Teil mit den F,-Individuen über- 186 Heribert-Nilsson. ein, eines dagegen wich in bezug auf die Größe der Blüten von den anderen bedeutend ab. Tafel 4 illustriert dieses, indem sie den Bliitenstand dieses Individuums zusammen mit einem Individuum von der durchschnittlichen Blütengröße der F,-Pflanzen zeigt. Die Blüten des betreffenden Individuums sind so groß, daß sie sich mehr denen der Lamarckiana als denen der Schwesterpflanzen und der F,- Generation nähern. Eigentümlich war es auch, daß dieser Unterschied der Blütengröße gegen Ende der Entwicklungsperiode nicht ausgeglichen wurde, sondern vielmehr zunahm. Es machte den Eindruck, als ob das Zurückgehen der Blütengröße (Erbe von dennis) Hand in Hand mit dem Zurückdrängen der Vitalität der Pflanze eine Schwächung erführe. Es scheint mir fast unmöglich, diese frappant große Ab- weichung als eine Somationsvariation zu betrachten. Denn die So- mationsvariation bewegt sich innerhalb von diennis und Lamarckiana bei gleichzeitig blühenden und denselben Raumverhältnissen ausge- setzten Exemplaren in weit engeren Grenzen. Ich glaube daher, daß wir es bei F, mit einer Spaltung der Blütengröße zu tun haben. Auch die Längenverhältnisse zwischen Staubfäden und Griffeln waren bei dem betreffenden abweichenden Individuum zugunsten der Za- marckiana verschoben. Die hier erwähnte Kreuzung ist sowohl von DE VRIES als MAC DOUGAL gemacht und beschrieben worden. DE VRIES sagt [202a, S. 31], daß F, so stark patroklin ist, daß sie dzeznzs zum Verwechseln ähnlich ist. Sein Bastard näherte sich also dem Vater noch mehr als der meinige. Ein stark abweichendes Resultat hat MAC DOUGAL bekommen (134). Er erhielt nämlich schon in F, auf 33 Individuen vier deutlich verschiedene, nicht transgredierende Typen, welche sogar bereits im Rosettenstadium unterschieden werden konnten. Die Versuche von MAC DOUGAL stimmen also nicht in F, mit denen von DE VRIES überein, und aus den meinigen scheint es her- vorzugehen, daß F, nicht einheitlich ist, sondern daß hier eine Spaltung vorliegt. Es leuchtet ohne weiteres ein, daß dieser Umstand eine Auffassung, welche die Kreuzung Zamarckiana x biennis als einen kon- stanten Bastard hinstellt, sehr abenteuerlich macht. Was die Kreuzung O. biennisQ x Lamarckiana 8 (oder eine Mu- tante der letzteren), also die reziproke Kreuzung zu der von mir aus- geführten, betrifft, so hat HONING beim Studium der in derselben auftretenden /aeia- und velutina-Typen mehrere Tatsachen konstatiert, die dafür sprechen, daß man auch hier mit komplizierteren Verhält- nissen zu tun hat, als DE VRIES annimmt. So fand HONING, daß Die Variabilität der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. 187 der aus biennis x rubrinervis entstandene /aeta-Typus sich nicht in den folgenden Generationen konstant verhielt, sondern daß die erste, dritte und vierte Generation so verschieden waren, daß ‚kein aufmerk- samer Beobachter sie verwechseln konnte“. Die rudrinervis-Eigen- schaften traten in verstärktem Grade auf; die Pflanzen der dritten Generation hatten schmälere Blätter als rubrimervis, diejenigen der vierten Generation brüchigere Zweige. In der dritten Generation ‚war von der Mutterpflanze O. dzennis nicht mehr herauszufinden“, und die Pflanzen der vierten Generation ‚sahen nicht mehr wie /ae/a aus“. Auch konnte HONING das von DE VRIES konstatierte Verhältnis, daß /aeta und velutina in gleicher Anzahl auftreten, nicht bestätigen. Auch in bezug auf andere Spezieskreuzungen innerhalb Oenotkera scheint mir die Auffassung von DE VRIES nicht den Tatsachen zu entsprechen. So berichtet z. B. BAUR [8, S. 219], daß er bei der Kreuzung von wild wachsenden Individuen der O. diennis und O. muricata unter einer großen Anzahl von aufgezogenen Individuen keine einheitliche F, erhielt, während DE VRIES denselben Bastard in vier Generationen konstant gefunden hat. Es ist also wohl unzweifelhaft, daß die Auffassung von DE VRIES, die Speziesbastarden innerhalb Ocno¢hera seien konstant, zum mindestens keine allgemeine Gültigkeit besitzt. Es ist im Gegenteil möglich, daß die von DE VRIES verfochtene Konstanz nur eine Durchschnittskonstanz ist, aus dem Grunde nämlich, weil die Differenzen zwischen den Arten zum größten Teil quantitativer Natur sind, weshalb auch die Spaltung eine rein graduelle wird. Seitdem TINE TAMMES in ihren Untersuchungen über Flachbastarde nachgewiesen hat, daß die Variationskurve der Bastardindividuen in den folgenden Generationen sich erweitert, so daB einzelne Individuen sogar die Elterntypen repräsentieren können, — eine Tatsache, welche unter Annahme intermediärer Vererbung unbegreiflich wäre —, seit- dem läßt sich eine solche Auffassung nicht mehr kurzerhand zurück- weisen, wie dieses GROSS getan hat. Ist es nun so, daß die Bastarde Lamarckiana > biennis und murti- cata > biennis wirklich spalten, so haben auch nicht die Resultate, welche DE VRIES bei seinen letzten Versuchen über doppelreziproke Bastarde erhalten hat, allgemeine Gültigkeit. DE VRIES hat zu zeigen versucht, daß bei einer Kreuzung zwischen zwei reziproken Bastarden, wie z. B. [muricata Q >< biennis 3] Q = [biennis Q >< muricata 3] © das _,,zentrale‘‘ der Großeltern ausgeschaltet wird, in diesem Falle also diennis. Aus der obigen Kreuzung erhielt er nämlich nur reine 188 Heribert-Nilsson. muricata und die entgegengesetzte, d.h. /[biennis Q >< muricata 3] Q x [muricata Q >< biennis S] © gab biennis wieder. Diese Versuche, meint DE VRIES, zeigen, daß die Eigenschaften des Großvaters nicht durch die Mutter und diejenige der Großmutter nicht durch den Vater auf die Enkel vererbt werden können. Indessen betont DE VRIES selbst, dies sei nicht für alle Eigenschaften gültig. Er sagt ferner, daß nur ein gewisses Eizellenbild und ein gewisses Pollenbild der Arten ver- erbt wird. Gilt es aber nicht für alle Eigenschaften, so wird man wohl auch nicht die reinen Stammeltern wieder erhalten, und damit kompliziert sich ja die Sache mehr, als DE VRIES mit seinem Schema angibt. Und spalten schon die einfachen Bastarde, so können selbst- verständlich auch nicht die Doppelbastarde einheitlich und den Eltern gleich werden!). Auch den Bastard gzgas x Lamarckiana habe ich in meinen Kul- turen aufgezogen, vorläufig nur in Fy. Ich habe schon oben (S. I80—I8I) die diesbezüglichen Versuche von DE VRIES erwähnt. Er fand die Kreuzung in F, fast ganz gigas-ähnlich, von dieser ohne eingehen- derem Vergleich kaum unterschiedlich. Ohne Zweifel hat DE VRIES bei der Bastardierung eine weißnervige Zamarckiana angewandt; daß dann die speziellen gzgas-Eigenschaften dominieren, ist ja zu er- warten, weil sie denen von Lamarckiana gegenüber positiv sind. Mein gigas-Bastard ist indessen von besonderem Interesse, weil er zeigt, daß der Bastard sehr verschieden ausfallen kann, je nach der Beschaffenheit der Lamarckiana-Pflanze, mit welcher die Kreuzung gemacht wird. Ich wandte als Vaterpflanze eine rotnervige Zamarckiana an, also eine, welche einen bei gigas fehlenden Faktor enthielt. Es 1) Giciio-Tos hat, schon bevor DE VRIES diese Resultate veröffentlichte, einige „Tationelle Hybridengesetze‘‘ aufgestellt, nach welchen Artbastarde von intermediärer Vererbung charakterisiert würden und reziproke Kreuzungen unter den Bastarden zu einem der beiden Elterntypen zurückkehren würden. Eine glänzende Bestätigung dieser Hybridengesetze findet er gerade in den referierten Oenothera-Versuchen von DE VRIES, da aber dieselben nicht einwandfrei sind, und außerdem verschiedene Tat- sachen vorliegen, welche auch bei den Artbastarden unbestreitbar Spaltung zeigen *), dürften diese Hybridengesetze sehr fraglich sein. Gicrio-Tos meint, daß aus dem Barstarde O. biennis >< muricata in Fy die Spaltung 3:1 entstehen sollte, und daß die beiden Elterntypen wieder rein hervorgehen sollten, falls MEnDEL-Vererbung vorlage. Da aber alle bis jetzt analysierte Artkreuzungen gezeigt haben, daß auch nahe verwandte Arten in einer beträchtlichen Anzahl von quantitativen und qualitativen Erbeinheiten differieren, ist es wohl voreilig, für eine derartige Kreuzung monohybride Spaltung vorauszusetzen, und, wenn eine solche nicht eintritt, zu be- haupten, daß es sich um MEnDEL-Vererbung nicht handelt. *) Siehe betreffs dieser Frage Baurs ausführliche Erörterung (8, Vorlesung XII). Die Variabilitat der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. 189 zeigte sich, daß dieser dominant war, der Bastard wurde rotnervig und dadurch von gzgas scharf unterschieden. Aber nicht genug damit. Das Einführen des Farbenfaktors hatte auch auf die Verästelung [welche bei gzeas stark unterdrückt ist] Einfluß, so daß der Bastard gänzlich den Verästelungstypus von Lamarckiana bekam, d. h. viele Textfig. 36. Der Bastard gigas X Lamarckiana. und kräftige Nebenäste hatte. Daneben wurden auch die speziellen gigas-Eigenschaften unterdrückt, so daß er in bezug auf diese zwischen den Eltern intermediär wurde. Die Folge dieser Veränderungen war, daß der Bastard gigas x Lamarckiana (rotnervig) auf eine schla- gende Weise Komb. 7 ähnlich wurde [vgl. Textfig. 36 und Text- 190 Heribert-Nilsson. fig. 27, rechts]. Es ist vorher erwähnt [S. 164], daß Komb. 7 gewisse weißnervige Individuen abspaltet und daß diese gzgas sehr ähnlich wurden. Hier haben wir den umgekehrten Prozeß. Wir führten durch Kreuzung mit einer rotnervigen Lamarckiana den Faktor für Rot- nervigkeit in gégas ein, und erhielten den für Komb. 7 charakteristi- schen Typus. Derselbe Kombinationstypus kann also sowohl als eine direkte Mutante aus Lamarckiana, als auch als ein Bastard erhalten werden, ein Umstand, welcher noch mehr für die Auffassung spricht, daß die Mutation eine Neu- kombinationserscheinung ist. Schließlich will ich einige Dominanzverhältnisse in bezug auf die Größe der Blütenkrone, welche ich bei den Barstarden Komb. 7 x biennis und Lamarckiana x Komb. 7 beobachtet habe, erwähnen. Komb. 7 ist von allen die großblütigste. Die Länge der Kronenblätter ist bei derselben, wenn die Pflanzen frei wachsen, in einjährigen Kulturen 50—55 mm, in zweijährigen bis 65—70 mm. Zwischen Komb. 7 und Zamarckiana gibt es bezüglich der Blütengröße einen bedeutenden Unterschied, und doch ist meine Zamarckiana-Rasse ver- hältnismäßig großblütig. Die Länge der Kronblätter derselben ist nämlich in einjährigen Kulturen 40—50 mm, in zweijährigen 55 bis 60 mm. Der von mir gezüchtete biennis-Typus gehörte einer klein- blütigen Rasse an, nicht der großblütigen ‚europäischen diennzs“. Die Kronblätter desselben wurden nicht gemessen, doch überstieg ihre Lange sicher nicht 20 mm. Bei der Kreuzung von Zamarckiana x Komb. 7, wo beide Eltern großblütig waren und der eine ein Abkömmling von dem anderen, zeigte es sich, daß die großen Blüten fast vollständig dominierten. F, hatte Blüten, die fast ebenso groß wie die von Komb. 7 waren. Als aber dasselbe großblütige Individuum von Komb. 7 mit diennis gekreuzt wurde, kehrte sich das Dominanzverhältnis völlig um: die kleinen Blüten von dennis dominierten fast vollständig über Komb. 7. Über Zamarckiana dominieren sie ja auch, wie bei der Besprechung der Kreuzung von Lamarckiana x biennis erwähnt wurde. (Gesetzt, daß die Dominanz ein Ausdruck des Vorhandenseins der größten An- zahl positiver Einheiten ist — was bei einer quantitativen Variation wohl am nächsten liegt —, so würde der Umstand, daß die größeren Blüten von Komb. 7 über die von Zamarckiana dominieren, gut mit der für den Riesentypus gemachten Annahme übereinstimmen, daß derselbe von einer Kumulation positiver Größeneinheiten aufgebaut wird. Daß die Kleinblütigkeit bei O. dennis auf Fehlen positiver Die Variabilität der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. IgI Größeneinheiten beruht, kann man dagegen nicht annehmen, da sie ja über die beiden großblütigen Typen dominiert. Wir haben es offenbar hier mit ein oder mehreren Einheiten zu tun, welche einen sichtbaren Einfluß der positiven Einheiten verhindern, also mit solchen Einheiten, welche als Hemmungsfaktoren bezeichnet werden. Nach all dem zu urteilen, würde also die unansehnliche O. dzennis in bezug auf die Blütengröße positive (wenn auch hemmend wirkende) Einheiten enthalten, welche den prangenden stattlichen Zamarckiana und Komb. 7 fehlten. Dies ist wieder eines zu den vielen in den letzten Jahren gefundenen Beispielen, daß eine reichere morphologische Differenzierung nicht immer Hand in Hand mit dem Vorhandensein einer größeren Anzahl positiver Einheiten geht.. Dieses hat HAGEDOORN in einer anregenden Abhandlung besonders betont, und NILSSON-EHLE hat mit vollkommen bindenden Beweisen festgestellt, daß die Avena fatua-Charaktere, welche sich morphologisch betrachtet aus Avena sativa progressiv entwickeln, auf dem Fehlen eines Faktors beruhen, welcher bei seinem Vorhandensein eine größere Differenzierung (in morphologischer Hinsicht) hindert. Hiermit habe ich die Mitteilungen über meine eigenen Versuche und Beobachtungen der Variabilität bei O. Lamarckéana und ihren von mir beobachteten Mutanten beendet. Die daraus zu ziehenden Konsequenzen sind die, daß O. Lamarckiana bei eingehender hybridologischer Analyse und strengem Festhalten reiner Linien keine andersgeartete Variabilität besitzt, als andere allogame Pflanzen. Da dieser Schluß ein ganz anderer ist als der, welcher DE VRIES aus seinen Versuchen gezogen hat, gehe ich auf eine kritische Prüfung derselben über, um zu untersuchen, ob nicht die Ergebnisse, welche er erhalten hat, eine andere Erklärung als die von DE VRIES ge- gebene gestatten. IV. Kritik der Versuche von DE VRIES. Einwendungen gegen die von DE VRIEs benutzte experimentelle Methode. Zuerst will ich meine Anmerkungen gegen seine experimentelle Anordnung zusammenfassen. Wie vorher hervorgehoben ist, hat er die erbliche Variation, welche wir innerhalb O. Zamarckiana haben, übersehen, und 192 Heribert-Nilsson. die Stammpflanze der Mutanten als eine Elementarart mit bloßer Somationsvariation betrachtet. Nicht einmal, wenn er von einem Individuum ausgegangen wäre, wären seine Versuche be- weisend, denn dieses Individuum könnte in bezug auf eine oder mehrere Eigenschaften heterozygotisch gewesen sein, ja müßte es gewesen sein, weil O. Zamarckiana ein obligatorischer Kreuz- befruchter ist, weshalb es fast undenkbar ist, ein Individuum zu erhalten, welches in bezug auf alle Eigenschaften homozygotisch (kon- stant) ist. Nun ist er indessen in einer Kultur von neun Individuen [Lamarckiana-Familie, 202, S. 157], in einer anderen von einer un- bestimmten Anzahl [/evzfolia-Familie, S. 192], in einer dritten von fünf [4ata-Familie I, S. 202] und in einer vierten von zwei [/a¢a-Familie II, S. 204] ausgegangen. In seinen anderen Kulturen ist die Abstammung überhaupt gar keiner Kontrolle unterzogen worden. Für Selbst- bestäubung ist zwar in den zur Aussaat erlesenen Pflanzen gesorgt worden, aber die Nachkommenschaft derselben scheint er nicht ge- sondert gehalten zu haben. In keinem Falle hat also DE VRIES Rein- kultur angewandt. Eine andere wichtige Bemerkung, die man machen kann, ist die, daß DE VRIES in den Kulturen die Mutanten aufgesucht hat. Bei einer solchen Methode ist es ja ganz klar, daß nur die extremen Varianten beobachtet werden, ganz besonders dann, wenn man Kul- turen von zehn- und fünfzehntausend Individuen zu durchmustern hat, denn auf diese Anzahl sind die von DE VRIES in gewissen Jahren gestiegen. Daß in einer solchen Kultur partielle Mutanten und jede quantitative, erbliche Variation verschwinden muß, ist selbstverstandlich. Da es aber eine Tatsache ist, daß bei quantitativer erblicher Variation gerade die extremsten Typen die sichersten Homozygoten sind, so ist es auch klar, daß eine solche Auslese wie die von DE VRIES die konstanten [oder annähernd konstanten] Formen gibt. In den Kul- turen der letzten Jahre fand die Auslese der Mutanten schon im frühen Rosettenstadium statt, und selbstverständlich war dann die Aussicht noch größer, andere Charaktere als die stark ausgeprägten, die in einem gewissen Typus korrelativ verbundenen, zu übersehen. Durch dieses Heraussuchen der extremen Typen und ein nur auf dieselben sich beschränkendes Studium ging indessen die Kontinuität des Studiums verloren. Daß dann auch neue Formen fix und fertig da stehen, ist nicht weiter merkwürdig, und daß ihre Entstehungsweise unerklärlich ist, ist ganz natürlich, wenn man nicht danach geforscht hat, sondern blind der Tatsache nachgegangen ist, daß sie entstehen können. Die Variabilität der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. 193 Ich gehe zu einer Untersuchung der experimentellen Ergebnisse von DE VRIES über. Die neuen Eigenschaften der Mutanten sind von quantitativer Natur. Bei einem vergleichenden Studium der Beschreibungen der Mu- tanten fallen einem mehrere Tatsachen auf, welche eine Andeutung davon geben, daß die Mutanten gar nichts anderes als Neukombinationen, Verstärkungen oder Schwächungen schon in Zamarckiana vorhandener Eigenschaften sind. Folgendes Schema, welches ich nach den Be- schreibungen der Mutanten von DE VRIES und seinen analytischen Tabellen!) zusammengestellt habe, dürfte für verschiedene Eigen- schaften dieses zeigen. [Nur die Mutanten, wo diese oder jene Eigen- schaft in extremem Grad aufgetreten ist, sind erwähnt worden, und je extremer die Variante in bezug auf die betreffende Eigenschaft ist, desto näher ist sie der Plus- oder Minusseite gestellt worden. Wenn die Differenz auch bei O. Lamarckiana beobachtet worden ist, ist diese auf beiden Seiten angeführt worden.] Eigenschaft. Plusvarianten | Minusvarianten Stärke des Stengels. gigas | nanella Buckel an den Blättern. lata, gigas, albida, Lamarckiana | Lamarckiana, levifolia, scintillans Farbe der Blattfläche. gigas, scintillans, Lamarckiana | Lamarckiana, rubrinervis, albida Farbe der Blattnerven. rubrinervis, Lamarckiana | Lamarckiana, gigas, lata, scintillans Rosettenverästelung. oblonga | gigas, rubrinervis Stengelverästelung. rubrinervis, scintillans | gigas, oblonga Pigmentierung (an Stengel und Knospen). rubrinervis | gigas, lata 1) Die analytischen Tabellen von DE VRIES (202, S. 322—326) geben uns einen sehr guten Einblick in diese Variabilität, und man bekommt aus denselben ebenso bestimmt die Auffassung, daß es sich bei der Mutation um Neukombinations- erscheinungen handelt, wie man aus den Beschreibungen der einzelnen Mutanten die Überzeugung gewinnt, daß sie Typen von besonderer Art sind. Induktive Abstammungs- und Vererbungslehre. VII. 13 194 Heribert-Nilsson. Eigenschaft. Plusvarianten Minusvarianten Dicke der Blütenknospen. gigas, lata Blütengröße. gigas oblonga, sublinearis, scintillans Pollenmenge. gigas, scintillans, elliptica, lata Fruchtlänge. leptocarpa, elliptica, sublinearis gigas, lata, scintillans, oblonga Kaum eine einzige Eigenschaft dürfte man finden, welche mehr als graduell eine Mutante von einer oder mehreren anderen unter- scheidet. Allerdings handelt es sich hier nur um Eigenschaften, welche schon bei O. Zamarckiana in mehr oder weniger ausgeprägtem Grade beobachtet werden können (also auch nicht morphologisch neue Eigen- schaften). Wenn auch dem Scheine nach neue Eigenschaften bei den Mutanten auftraten, bewies das nichts gegen die Annahme, daß die Mutanten Neukombinationen von schon in der Stammart vorhandenen Einheiten sind. Denn wie viele Beispiele überraschender Resultate in bezug auf das Entstehen neuer Eigenschaften bei Bastardierung zwischen Formen mit dem Scheine nach denselben Eigenschaften haben die MENDEL schen Forschungen der letzten Jahre geliefert! [Rotbliitig- keit aus zwei Weißblütigen, Haarigkeit aus zwei Glatten usw.] Lotsy faßt seine Erörterung über die Natur der Mutanten in folgender Weise zusammen [116, S. 248]: „Für die Auffassung der Mutanten als analytische Varietäten, d. h. also für die Auffassung, daß O. Lamarckiana ein Bastard sei, spricht: I. Die unbekannte Herkunft dieser Pflanze und die partielle Sterilität ihres Pollens und ihrer Eichen. 2. Wenn wir annehmen, daß DE VRIES die in F, der Mutationskreuzungen auftretenden Formen mit Recht als Bastarde betrachtet, daß man zwischen den Bastard- Lamarckiana und der von DE VRIES kultivierten Zamarckiana nicht unterscheiden kann. Dagegen spricht: daß wir keine Oenothera-Art kennen, welche die Eigenschaften aller Mutanten in sich vereinigt, und deren Kreuzung mit einer anderen Art also die O. Zamarckiana liefern Könnte. Dieses Argument wiegt aber nicht schwer, denn einer der beiden Eltern von Zamarckiana könnte einen zusammengesetzten Allelomorph, Die Variabilitat der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. 195 welcher in Hypallelomorphs auseinanderfällt, besessen haben, so daß die Mutanten je einen oder einige wenige Hypallelomorphs [im letz- teren Falle zu einem weniger komplizierten, aber doch zusammen- gesetzten vereinigt] enthalten. Summa Summarum bleibt also für einen einwandfreien Nach- weis der Mutanten zu beweisen, daß O. Lamarckiana kein Barstard ist.“ Ich meine, daß die auf verschiedene Formen von O. Lamarckiana verteilten Eigenschaften völlig genügen, um das Mutationsphänomen zu erklären, unabhängig davon, ob O. Lamarckiana ein Bastard ist oder nicht ist. Dieses ist nicht vom größten Gewicht, von noch größerer Bedeutung ist, daß wir innerhalb der Art Differenzen haben. In bezug auf die Natur der Mutanten haben aber ohne Zweifel BATESON und LOTSY mit der Behauptung recht, sie seien analytische (und teilweise auch syntetische) Variationen. Die Konstanz der Mutanten. Schon vorher habe ich darauf hingewiesen, daß die Mutanten als extreme Kombinationen auch als homozygotisch zu erwarten sind, wenigstens in bezug auf die meisten Eigenschaften. Daß sie es jedoch nicht in bezug auf alle Eigenschaften sind, das zeigt der Umstand, daß gewisse wieder die Stammart geben, andere dagegen andere Mutanten. Leptocarpa gibt mnanella; nanella gibt oblonga; oblonga gibt albida, elliptica und rubrinervis; scintillaus gibt Lamarckiana, lata, nanella und oblonga; sublinearis gibt Lamarckiana, lata, nanella, oblonga, albida, subovata und gigas. Dieses scheint zu zeigen, daß die Mutanten nicht in allen Eigenschaften konstant sind, sondern spalten. Einige sind in so vielen Einheiten homozygotisch (konstant), daß Lamarckiana nicht realisiert werden kann, andere dagegen sind stärker hetero- zygotisch und können wieder die Stammform geben. Besonders wichtig scheint mir das zu sein, das scintillans nur einen gewissen Formen- kreis geben kann: Lamarckiana, oblonga, lata und nanella, und an- näherungsweise in demselben Prozentsatz in aufeinander folgenden Generationen (202, S. 277). Hier haben wir eine deutliche parallele Erscheinung zu der analytischen Variation durch Mendelspaltung. Mit der Produktion einer gewissen Anzahl Formen ist die Variation erschöpft, und diese Formen erhält man in einem gewissen bestimmten Prozentsatz. Scintillans scheint also ein stetiges Heterozygotstadium zu repräsentieren, und eine konstante scénti//ans-Individuum hat DE VRIES auch nicht gefunden. — Verschiedene Kulturen lieferten in 5 13* 196 Heribert-Nilsson. verschiedenem Prozentsatz scintillans, was nicht merkwürdig ist, da sie aus ganz verschiedenen Pflanzen hervorgegangen sind, und also von verschiedenen, wenn auch morphologisch nicht stärker differierenden Kombinationen von Erbeinheiten sein konnten. Diese aus verschiedenem Ausgangsmaterial erhaltenen scin&llans lieferten in sehr verschiedenen Prozentsätzen (6—60%) Lamarckiana. — Die von scintillans ab- stammenden Lamarckiana-Individuen waren im Sinne von DE VRIES konstant, d. h. gaben nicht wieder scintillans, lieferten aber dieselbe Mutantenreihe als scznzzllans, d.h. lata, oblonga und nanella (und da- neben auch rubdrinervis und albida). Diese Zamarckiana-Individuen hatten also eine Neigung, dieselben Formen wie scintillans zu bilden, d. h. enthielten immer noch die Einheiten, deren Zusammentreffen die Bildung der erwähnten Mutanten hervorrufen muß. Die Mutabilität in den verschiedenen Kulturen. DE VRIES ging in den verschiedenen Kulturen von verschiedenen Individuen aus, und man würde also erwarten, daß gewisse Kom- binationen in der einen, aber nicht in der anderen Kultur realisiert werden könnten, während einige der gewöhnlicheren Kombinationen in allen Kulturen stattfinden müßten. Je geringer die Anzahl der Ausgangspflanzen einer Kultur, desto knapper sollte die gelieferte Formenreihe werden. Um zu sehen, ob es sich so verhält, habe ich die Hauptkulturen von DE VRIES in Tabelle II (S. 198 u. 199) zusammengestellt. Wie man aus dieser Tabelle ersieht, hat die erste Kultur [die Lamarckiana-Familie I] die größte Anzahl Mutanten, und zwar alle die von DE VRIES beschriebenen gegeben. Diese war auch die größte (zirka 50000 Individuen), und die Anzahl der Ausgangspflanzen betrug neun. In der Zamarckiana-Familie II, welche zirka 10000 Individuen umfaßte, war die Anzahl der Mutanten um fünf geringer und auch die Anzahl der Ausgangspflanzen war eine geringere, — sie betrug nämlich nur sechs. Man könnte ja annehmen, daß dieses darauf beruht, daß die Kultur kleiner als die vorangehende war, dann muß man jedoch einwenden, daß in späteren bedeutend kleineren Kulturen diese fehlenden Mutanten entstanden sind, weshalb es wahrscheinlicher ist, daß die Möglichkeit des Realisierens derselben in denjenigen Lamarckiana-Individuen nicht vorhanden war, welche das Ausgangs- material dieser Kultur bildeten und welche von einer geringeren An- zahl als die der Zamarckiana-Familie I waren. Die Variabilität der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. 197 Betrachten wir nun den Zamarckiana-Zweig, welcher zu der levifolia-Familie gehört [und welcher aus /@vifolia nach freier Be- fruchtung mit Lamarckiana hervorgegangen ist], so finden wir die Anzahl der Mutanten weiter reduziert, und ferner ist bemerkenswert, daß eine der selteneren (spathulata), die es in der Lamarckiana- Familie II nicht gab, erhalten wurde!). [Dieser Zweig wurde aber nur während eines Jahres beobachtet.] Der /ewvifolia-Zweig dieser Familie gibt nur drei Mutanten und der ruébrinervis-Zweig nur zwei. Ein großes Interesse bietet ein Vergleich zwischen den beiden Jata-Familien. Die /ata-Familie I gibt neun Mutanten, die /ata- Familie II nur drei. Da /ata rein Q ist, ist sie mit Zamarckiana bestäubt worden. In der Familie I wurden fünf /a¢a-Pflanzen mit Pollen von — wie es scheint — mehreren Zamarckiana-Pflanzen be- stäubt?). In der Familie II wurden zwei /ata-Pflanzen mit Pollen von wenigstens nicht mehr als drei Zamarckiana-Pflanzen bestäubt [weil DE VRIES in dem Jahre, wo die Kreuzung ausgeführt wurde, in seinem Garten nicht mehr als drei Lamarckzana-Individuen hatte; 202, S. 201]. Es sieht also aus, als ob das Mutationsprozent mit der Annäherung der Versuche an die Reinkultur höchst bedeutend sinke, und dies ist ein Schluß, wozu einen alle oben beschriebenen Versuche von DE VRIES zwingen. Sie weisen also in dieselbe Richtung wie meine Reinzüchtungsversuche, nämlich daß man beim Ausgang von nur einem Individuum eine be- grenzte Anzahl von Mutanten und einigermaßen verschiedene Formen- serien für verschiedene Ausgangsindividuen erhält. Daß die Mutanten, wie DE VRIES hervorhebt (202, S. 209), weniger als O. Zamarckiana mutieren, ist ganz natürlich, wenn sie, wie ich angenommen habe, Kombinationsformen sind, wo eine größere Anzahl differierender Einheiten von Lamarckiana gebunden worden sind, wenn ich mich so ausdrücken darf, d. h. ins Homozygoten- stadium eingetreten sind. Das Mutationsprozent. Wäre die Auffassung richtig, daß die Mutanten Neukombinationen von bereits in Zamarckiana vorhandenen Einheiten sind, analytische 1) Es sieht aus, als ob O. albida und O. oblonga in dieser Familie fehlten. Daß sie nicht erwähnt werden, beruht aber darauf, daß während der Jahre, wo diese Familie beobachtet wurde, keine Notizen über sie gemacht wurden. *) DE VRIES sagt hiervon [202, S. 196]: „Ich ließ sie 1887 von den Nachtkerzen- Pflanzen befruchten, welche aus derselben Samenprobe entstanden waren.“ 198 Heribert-Nilsson. Tabell Die Häufigkeit der Mutanten in den verschieden« gigas albida | oblonga rubrinervis nanella Die Lamarckiana-Fam. IT ...... I 56 | 350 | 32 158 Die Lamarckiana-Fam. II...... — 256 | 123 9 146 Lanı.-Zweig der Levifolia-Fam. .. . _- u | — | 2 12 Levif.-Zweig der Lavifolia-Fam. . . . — — | 2 2 Rubrinerv.-Zweig der Lavifolia-Fam. . — — | = | — _ Ibn Tee ee == 42 | 7 3 3 Kor De WG 5 9 oo oo OO —_— — = == = Varietäten sind, so würde man erwarten, daß sie in verschiedenen Prozentsätzen hervorgingen; einige würden gewöhnlicher, andere seltener sein, denn so ist es gerade der Fall bei der analytischen Variation. DE VRIES’ Versuche scheinen eine solche Annahme voll- kommen zu bestätigen, und er hebt selber diesen Wechsel in der Prozentzahl der Mutanten hervor. So sagt er (202, S. 240): „Die Beobachtungen erstrecken sich nur über sechs Jahre (1895—1900), einen vermutlichen kleinen Abschnitt der ganzen Mutationsperiode. Dennoch scheint mir die Folgerung gestattet, daß die einzelnen neuen Arten wenigstens eine gewisse Zeit lang in konstanten und unter sich wesentlich verschiedenen Zahlenverhältnissen aus der Mutterart her- vorgehen.‘ Sehen wir auf das Mutationsprozent, so zeigt sich dieses auch ziemlich verschieden für die verschiedenen Mutanten. Für od/onga ist es 1%, für rubrinervis 0,1% und für gzgas 0,01 %. Es ist indessen zu bemerken, daß diese Zahlen den Gesamtprozentgehalt aller Kulturen ausdrücken. Untersucht man jedoch jede Kultur für sich, so scheint das Mutationsprozent für eine Mutante innerhalb ziemlich weiter Grenzen zu schwanken, also vom Ausgangsmaterial abhängig zu sein. O. oblonga bildet nun aber eine der Kombinationen, welche am leichtesten aus Zamarckiana hervorgehen. Es ist deshalb meiner Meinung nach von besonderer Bedeutung, daß in gewissen Kulturen das Vermögen, od/onga zu bilden, beträchtlich herabgesetzt ist. Aus den beiden Zamarckiana-Familien, von denen die eine ein Seitenzweig von der anderen war, ist sie, wie DE VRIES angibt, in einem Gesamt- prozentsatz von I%, entstanden. Betrachtet man aber die einzelnen Kulturen, aus denen O. ob/onga hervorgegangen ist, so findet man, daß das Mutationsprozent sehr Die Variabilitat der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. 199 nilien der DE VRIESschen Kulturen. semilata ala | scintillans elliptica leptocarpa spathulata sublinearis subovata 29 8 x1) x | x % x x 71 I 8 2 —— — — — 3 _ 2 — 2 _ = _ 4 a | 5 = — = = FR 2 — -_ 5 — - = = _ I I - _ I 3 I = I 2 — 2 a _ —_ schwankend ist (202, S. 241). Die Mutante macht z. B. in der Za- marckiana-Familie I 1896 1,7% aus, in der Zamarckiana-Familie II 1895 0,7%, 1897 1,9%, in der /ata-Familie I 1900 0,3%. Es ist von nicht geringem Interesse, auch die od/onga in der La- marckiana-Familie I zu verfolgen (202, S. 157). Wir sehen nämlich, daß der Prozentsatz ihres Vorkommens durch drei Generationen (1895— 1897) hindurch ungefähr derselbe bleibt (1%), nachher sinkt er 1898 bis zu 0,3% und 1899 bis zu 0,06%. Die für diese Kulturen ausgewählten Aussaatpflanzen sind unzweifelhaft solche gewesen, welche — infolge ihrer genetischen Gametenkonstitution — od/onga nicht in demselben Prozentsatz wie die in den vorangehenden Jahren gewählten realisieren konnten. Die Mutante, von der die meisten Pflanzen im Laufe der ganzen Versuchszeit erhalten werden, braucht gar nicht die am häufigsten auftretende zu sein. Denn angenommen, daß eine Mutante in einer Kultur sehr häufig, in einer anderen ziemlich selten vorkommt, so fällt ja doch der Gesamtprozentsatz ihres Vorkommens ziemlich hoch aus. Eine häufig auftretende Mutante ist O. mane//a. Sie ist in allen drei Familien und in fünf der Zweige entstanden. Nana-Formen haben wir ja auch — sowie alba-Formen aus Pflanzen mit gefärbten Blüten — in fast allen Pflanzenarten; und gleichwie die a/da-Formen solche sind, denen eine oder mehrere Farbenkomponenten mangeln, so zeichnen die »ana-Formen ohne Zweifel diejenigen Individuen aus, die eine oder mehrere Größenkomponenten nicht besitzen, welche zur normalen Größenausbildung als Bedienung nötig sind. Da also die zana-Kom- bination eine allgemeine Erscheinung ist, so wäre auch zu erwarten, daß sie sich bei einem großen Anbau von Oenothera Lamarckiana 1) Die Anzahl wird nicht angegeben, nur daß die betreffende Mutante in dieser Familie auftrat. 200 Heribert-Nilsson. in fast allen Kulturen gezeigt hatte, und dies war auch in DE VRIES’ Kulturen der Fall. Indes sehen wir auch aus den Resultaten von DE VRIES, daß sie in verschiedenen Kulturen in verschiedenen Prozentsätzen aufgetreten ist, von 3% bis 0,3% (202, S. 261). Der höchste Prozentsatz wurde in der /@vifolia-Familie erhalten. Sowohl nanella als auch /evifolia werden von DE VRIES für retrogressive Arten angesehen, und sie bezeichnen auch, verglichen mit Lamarc- kiana, unbestreitbar Minusvarianten. Es ist deshalb nicht über- raschend, daß die eine Minusvariante eine andere Minusvariante in einem Prozentsatz gibt, der größer ist als der, in welcher sie aus der Stammart entsteht. Denn die Anzahl von Eigenschaftseinheiten ist schon reduziert worden. Auch ©. data und O. albida gehen in verschiedenen Kulturen in sehr verschiedenen Prozentsätzen hervor, von 5—0,3 % (202, S. 297) bzw. 9—0,05 % (202, S. 249). Diese Schwankungen der Prozentsätze widersprechen jedoch keines- wegs der Tatsache, daß gewisse Mutanten seltener als andere sind. So ist z. B. in den näher beschriebenen Kulturen gzgas nur ein einziges Mal (daneben zweimal aus anderen Kulturen) und scintzllans ı4mal erhalten worden, was in diesen Kulturen 0,0013 bzw. 0,0019 % beträgt. Dieses sind aber Maximalzahlen für diese Mutanten. Der Prozentsatz, in welchem die Mutanten hervorgehen, scheint also zu beweisen, daß gewisse Kombinationen häufiger als an- dere sind, andererseits aber auch, daß die gewöhnlichsten Kom- binationen je nach dem Ausgangsmaterial in sehr schwan- kenden Prozentsätzen auftreten. Die Mutationskreuzungen. Schließlich will ich zu den Resultaten übergehen, welche DE VRIES in seinen Mutationskreuzungen erhalten hat. Ist es unmöglich, sie in die Gesetze der MENDEL-Spaltung einzu- ordnen, und ist man berechtigt, sie als einen Kreuzungstypus be- sonderer Art zu behandeln, wie DE VRIES es getan hat, und wie es auch GATES tut, wenn er sie als einen besonderen Vererbungstypus aufstellt: alternative Vererbung im Gegensatz zur MENDEL-Vererbung ? Ich glaube nicht. Das Ergebnis der experimentellen Versuche über Kreuzung von Mutante mit Stammart oder von verschiedenen Mutanten ist das, daß F, pleriotyp wird, während sie bei MENDEL-Kreuzungen monotyp sein soll: der Bastard wird nicht intermediär oder einem Die Variabilität der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. gory der Eltern ähnlich, sondern beide Eltern gehen schon in F, hervor!). Ist die Annahme von DE VRIES richtig, daß die Mutanten nur in einer Eigenschaft (Einheit) von der Stammart abweichen, und besteht ferner seine Annahme zu Recht, daß die phylogenetisch ältere Form do- miniert, so muß F, eine reine Zamarckiana werden und F, im Ver- hältnis von drei Zamarckiana zu einer Mutante spalten. Da das nicht eintrifft, so meint DE VRIES, das MENDELsche Gesetz habe für Mu- tationskreuzungen keine Gültigkeit. Indessen ist zu bemerken, daß auch bei einfacher MENDEL-Spaltung in F, Pleiotypie erhalten werden kann, so daß beide zur Kreuzung benutzten Formen hervorgehen, wenn die eine derselben nicht konstant, sondern in bezug auf die alternativen Eigenschaften heterozygotisch ist. Ich selbst erhielt ja für alle selbstbestäubten Individuen in bezug auf die Rotnervigkeit schon in F, Spaltung. Hierin kommt also nichts der Mutationskreuzung Eigentümliches zum Ausdruck. Die Zahlenverhältnisse aber, welche in F, erhalten werden, sind nicht, wie es dann der Fall ist, bestimmt, sondern sehr verwechselnd. Hierin, sowie auch in der Konstanz der in F, erhaltenen Typen, haben wir also, wie DE VRIES hervorgehoben hat, eine Abweichung von einer monohybriden MENDEL-Kreuzung. Bei MENDEL-Spaltung ist nur der eine (der rezessive) konstant. Mit der Annahme von nur einer differierenden Eigenschaft zwischen O. Lamarckiana und den Mutanten scheint es mir also nicht möglich, die Mutationskreuzungen in die gewöhnlichen Gesetze der MENDEL- Kreuzung einzuordnen. Anders stellt sich die Sache, wenn wir an- nehmen — was ich vorhin glaublich zu machen versucht habe —, daß die Mutanten in mehreren Einheiten von Zamarckiana differieren. Gesetzt z. B., daß O. data aus zwei Lamarckiana-Individuen mit den Einheiten AbeD und aBCd entstanden ist. Die Kombination abcd muß dann gebildet werden. Nehmen wir nun an, daß /ata erst dann entsteht, wenn alle diese Einheiten im Homozygotstadium zusammen- treffen?). Sobald eine der positiven Einheiten im Homo- oder Hetero- zygotstadium auftritt, haben wir also eine dem Anscheine nach kon- 1) Eine Ausnahme hiervon bildet der oben behandelte Bastard gigas >< La- marckiana. 2) Ich nehme an, daß /ata eine absence-Kombination ist, aus dem Grunde, weil sie in F, in einem geringeren Prozentsatz als Lamarckiana auftritt, weshalb es wahr- scheinlich ist, daß Lamarckiana die positiven (= dominierenden) Einheiten enthält. Nimmt man an, daß /ata eine presence-Kombination ist, so muß man auch annehmen, daß die absence-Eigenschaft über die presence-Eigenschaft dominiert, was eine unnötige Komplikation ist. 202 Heribert-Nilsson. stante Lamarckiana. Die verschiedenen Lamarckiana-Pflanzen werden natiirlich von sehr verschiedener Natur sein, heterozygotisch und homo- zygotisch in bezug auf ein oder mehrere Einheiten. Je nachdem nun diese homozygotische, konstante /a¢a mit einer Lamarckiana gekreuzt wird, welche in bezug auf ein oder mehrere dieser Einheiten hetero- zygotisch und hinsichtlich der anderen eine absence-Kombination ist (also in den nicht heterozygotischen Einheiten /ata-Eigenschaften hat)!), so muß man, wie es folgendes Schema zeigt, in F, verschiedene Zahlenverhältnisse erhalten. 1. Lata: aa[bbecdd]?) >< Lamarckiana: Aa[bbccdd] Diese Kreuzung liefert folgende differente Gametenkombinationen: a >< A Lamarckiana \ Das Verhältnis zwischen Lamarckiana und lata a >< a lata RESET 2. Lata: aabb[ccdd] >< Lamarckiana: AaBb[cedd] Gametenkombinationen: ab >< AB ab >< Ab Lamarckiana Verhältnis ab >< aB J SL ab >< ab lata 3. Lata: aabbec[dd] >< Lamarckiana: AaBbCc[dd] Gametenkombinationen: abc >< ABC abe >< ABc abe >< AbC abe >< aBC Lamarckiana | Verhältnis: abe >< Abc Tiel abe >< aBc abe >< abC abe >< abc lata 4. Lata: aabbccdd >< Lamarckiana: AaBbCcDd Gametenkombinationen: abcd >< ABCD abed >< ABCd abed >< ABcD abcd >< AbCD } Lamarckiana abcd >< aBCD abed >< ABcd abed >< AbCd Verhaltnis 53 Bt 1) Sobald Jata mit einer Lamarckiana gekreuzt wird, welche in bezug auf eine einzige Einheit eine homozygotische presence-Kombination ist, muß in F, lauter Lamarckiana entstehen und also keine sichtbare Spaltung eintreten. Auf diese Ver- hältnisse komme ich noch später zurück (siehe S. 204). 2) Die gemeinsamen Einheiten der verschiedenen Kreuzungen sind eingeklammert. Die spaltenden Einheiten stehen außerhalb der Klammer. Die Variabilitat der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. 203 abed >< AbcD abed >< aBCd abed >< aBcD In = I: Lamarckiana Yeast abed >< aBcd ae abed >< abCd abed >< abcD abed >< abed lata Eine Spaltung in verschiedenen Zahlenverhältnisse muß also in F, erhalten werden, mit anderen Worten, die Erbzahl!) muß schwanken. DE VRIES fand, daß sie für die Kreuzung /ata x Lamarckiana zwischen 4 und 45% schwankte, für Zamarckiana x nanella zwischen 1 und 48%. Da im allgemeinen von jeder Kreuzung mehr als 100 Pflanzen aufgezogen wurden, ist es klar, daß ,,die Erbzahl“, wie DE VRIES sagt, ,,in viel weiteren Grenzen schwankt, als solches durch Beob- achtungs- und Rechnungsfehler möglich ist“. Um diese Schwankung der Erbzahl zu erklären, hat DE VRIES einige Untersuchungen gemacht, welche zeigen, daß die Erbzahl von der individuellen Kraft der Pflanze abhängig ist. Samen aus den unteren kräftigeren Früchten gibt eine höhere Erbzahl als Samen aus den höher oben sitzenden, und eine reichlichere Pollination steigert auch die Erbzahl. Daß dieses jedoch nicht für eine befriedigende Erklärung genügt, betont er indessen ausdrücklich, wenn er sagt (202a, S. 412): „Meine Versuche über diese höchst wichtigen, aber schwierigen Fragen reichen bei weitem zu einem endgültigen Urteil nicht aus.“ Aber gerade die befriedigende Erklärung hat er abgeschnitten, wenn er sagt (202a, S. 405): „Die Erbzahlen der einzelnen Versuchs- reıhen habe ich in obiger Tabelle derart gruppiert, daß man auf den ersten Blick sieht, daß sie regellos über die verschiedenen Kreuzungen verteilt sind. Es ergibt sich daraus, daß die Erbzahl der O. data unabhängig ist von der Natur des Vaters, vorausgesetzt, daß dieser eine O. Lamarckiana oder eine von dieser abge- leitete Art ist2).- Daß indessen die Schwankungen der Erbzahl in den verschiedenen Kreuzungen davon abhängig sind, daß die in den verschiedenen Fällen angewandten Zamarckiana-Individuen in bezug auf die Erbeinheiten 1) Hiermit meint DE Vries den Prozentsatz von Mutanten, welchen die Mutations- kreuzungen in F, liefern. 2) Bei DE VRIES gesperrt gedruckt. 204 Heribert-Nilsson. von verschiedener Konstitution gewesen sind, ist héchst wahrscheinlich, und hierin liegt wohl eine mögliche Erklärung der auffallend großen Schwankungen der Erbzahlen. Ist diese Erklärung richtig, so ist es doch immerhin eigentümlich, daß DE VRIES stets in seinen Mutationskreuzungen zufällig von solchen Lamarckiana-Pflanzen ausgegangen ist, welche in bezug auf ein oder mehrere positive Einheiten heterozygotisch waren. Denn sobald bei der Kreuzung ein Individuum angewandt wird, welches in bezug auf nur eine einzige der positiven Einheiten homozygotisch ist, so muß in F, lauter Zamarckiana erhalten werden. Dieser Fall ist in der Tat bei einer Kreuzung von Lamarckiana x nanella eingetreten. Unter 298 F,-Individuen waren alle ohne Ausnahme Lamarckiana. Aber nur in diesem Falle. In all den zahlreichen anderen Kreuzungen von nanella und /ata mit Lamarckiana ist in F, Spaltung eingetreten. Meine An- nahmen erklären also wohl die Pleiotypie in F, und auch wie die Schwankungen möglich sind, aber nicht die Regelmäßigkeit der Pleiotypie. Die Annahmen, die ich hier gemacht habe, gründen sich auf die Angaben von DE VRIES, daß nur Individuen von reinem Mutanten- typus und reinem Lamarckiana-Typus die F,-Generationen der Mu- tationskreuzungen bildeten. GATES hat indessen bei derselben Kreuzung, die DE VRIES am häufigsten angebaut hat, nämlich der Kreuzung lata >< Lamarckiana, andere Erfahrungen gemacht. Von den 15 In- dividuen, welche er in F, erhielt, sagt er (47, S. 83): „Ten conformed more or less completely!) to the characters of the pollen parent and four to the /ata-type. One plant, however, differed markedly from either of these forms, and was nearly a “mosaic” hybrid!), i. e., in some characters it resembled one parent and in some characters the other parent“. Die Spaltung in seiner kleinen Kultur zeigt, wie aus dem Obigen hervorgeht, höchst bedeutende Abweichungen von DE VRIES’ Resultaten, obschon sein Versuchsmaterial von DE VRIES herstammte. Dasselbe Verhältnis findet sich bei der Mutationskreuzung O. Lamarckiana >< rubrinervis. Nach DE VRIES gibt diese wieder die beiden Elterntypen, nach HONING bekommt man zwei Typen: der eine ruft den Eindruck einer Zamarckiana hervor, stimmt aber nicht bezüglich der Blattbreite mit „nicht gekreuzter Zamarckiana“ überein, der andere ist aber keine rubrinervis, sondern stimmt mit der Mutante d/anda von SCHOUTEN überein. 1) Von mir gesperrt gedruckt. Die Variabilität der Denothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. 205 Bevor weitere experimentelle Tatsachen vorliegen, ist es also un- möglich, eine volle Klarheit in den Mutationskreuzungen zu erhalten. Daß man indessen von vornherein mit der Voraussetzung an sie heran- geht, sie ließen sich nicht in die Spaltungsgesetze einordnen, wie DE VRIES und GATES es tun, scheint mir nicht richtig. Eine Konsequenz meiner Erklärung der Mutationskreuzungen ist die, daß die in F, erhaltenen Lamarckiana-Individuen nicht konstant sind, sondern wieder die Mutanten geben müssen, verschiedene Indi- viduen in verschiedenen Prozentsätzen. Die Gametenkombination abcD >< abed muß Zamarckiana und Mutante im Zahlenverhältnis von 3:1 geben, eine Kombination ABCD > abcd im Verhältnis von 255: 1 usw. Die Untersuchungen von DE VRIES über diesen Punkt können keinesfalls das beweisen, was er behauptet, nämlich, daß die in Fy erhaltenen Zamarckiana-Individuen konstant seien. Nur 21 Indivi- duen aus verschiedenen Kreuzungen sind untersucht worden, und ein Teil derselben spaltet einen kleinen Prozentsatz von gerade der Mutante ab, welche bei der Bastardierung angewandt worden war. Da indessen der Prozentsatz das Mutationsprozent der betreffenden Mutante nicht übertrifft, so betrachtet DE VRIES dieses Auftreten der Mutante in F, nicht als eine Bastardenspaltung, sondern als eine Mutation. Nur in zwei Fällen waren die Zamarckiana- Individuen der F, vollkommen konstant, und zwar gerade dann, wenn nur zwei Individuen in F, verfolgt und eine kleine Anzahl Pflanzen aufgezogen wurden. Wenn mehrere F,-Individuen untersucht und eine große Anzahl Pflanzen ihrer Nachkommenschaft aufgezogen wurden, war immer die bei der Kreuzung angewandte Mutante abgespaltet worden. Bei der Selbstbestaubung von fünf Zamarckiana-Individuen der F}- Generation aus der Kreuzung Lamarckiana > nanella, wurden in Fy, 1068 Pflanzen erhalten. Fünf von diesen waren »anella. Bei der Selbstbestäubung von sieben Pflanzen der F,-Generation aus der Kreuzung /ata > nanella wurden unter 1706 Individuen 12 xanel/a und eine /afa erhalten. Man kann also nicht behaupten, daß die Untersuchungen von DE VRIES über die F,-Generation der Zamarcki- ana-Individuen aus Mutationskreuzungen (die gekreuzte Lamarckiana) zeigen, daß diese Generation konstant sei, da gerade die bei der Kreuzung angewandte Mutante abgespaltet wird!). Von großem Inter- esse würde eine Untersuchung der Zamarckiana-Individuen aus Mu- 1) IsaBEL Mc CRACKEN (137) hat Kreuzungen zwischen zwei diskontinuierlich verschiedenen Farbenformen von Lina lapponica vorgenommen, die in ihrer Nach- kommenschaft an die Mutationskreuzungen frappant erinnern. Die eine Form hatte 206 Heribert-Nilsson. tationskreuzungen mit extrem hohen Erbzahlen für die Mutante ge- wesen sein, weil die Mutante dabei wahrscheinlich in einem groBen Prozentsatz hervorgegangen ware. Eine Frage, die in Zusammenhang mit den Mutationskreuzungen steht, ist die nach der Natur der Doppelmutanten. Aus den Kreu- zungen data >< nanella und scintillans >< nanella wurden in seltenen Fallen die Kombinationen /ata-nanella und scintillans-nanella, d. h. Kombinationen der Eigenschaften der beiden Mutanten, erhalten. Rubrinervis = nanella gab im Unterschied zu übrigen Mutationskreu- zungen F, monotypisch; in Fy, wurden rubrinervis, nanella und La- marckiana in ziemlich schwankenden Prozentsätzen und daneben die Kombination rudrinervis-nanella erhalten!), Die Doppelmutanten scheinen einen neuen Beweis dafür zu liefern, daß wir es hier mit Neukombinationserscheinungen zu tun haben. Werden die Mutanten WXyz und wxYZ miteinander gekreuzt, so muß sowohl WXYZ als auch wxyz erhalten werden, also zwei neue Formen?). Aus den Kreu- zungen zweier Mutanten gehen sowohl Lamarckiana als auch die Doppelmutante als ‚neue Formen‘ hervor, und dieses scheint mir ganz an die Fälle von Rekombination zu erinnern, welche man z. B. bei Prsum und Latyrus beobachten kann, wenn bei der Kreuzung zweier Farbenvarietäten Abkömmlinge sowohl mit der Farbe der wilden Art als auch ungefärbte entstehen. Die absence-Kombination (wxyz), welche eine Doppelmutante wird, muß konstant werden, da sie ja homozygotisch ist. DE VRIES hat auch gefunden, daß dies für zudri- nervis-nanella der Fall ist. Eine Konsequenz dieser Annahme von der Natur der Doppel- mutanten ist indessen die, daß O. Zamarckiana nicht nur Mutanten, schwarze, die andere schwarzfleckige Flügeldecken. In F, wurden beide Formen er- halten, die schwarzfleckige jedoch in überwiegender Anzahl (3/4 oder mehr). Es traf indessen auch ein, daß sämtliche F,-Individuen schwarzfleckig waren. Schwarze F,-Individuen ergaben bei Kreuzung nur schwarze, während schwarz- fleckige F,-Individuen bei gegenseitiger Kreuzung nebst schwarzfleckigen auch schwarze lieferten. — Dieses Resultat scheint demjenigen Schema, das ich für die Mutationskreuzungen von O. Lamarckiana aufgestellt habe, nahe zu kommen, indem F, bisweilen monotypisch und von den F,-Formen nur die eine konstant war, wie man dies auch erwarten konnte. 1) Uber diese Mutationskreuzung sagt Lorsy (1906, S. 243): „Wie wir sehen, liegt hier keineswegs ein einfaches Mendeln vor, aber doch steckt ‚etwas Mendelndes‘ darin“, 2) Ich nehme an, daß die Mutanten im Verhältnis zu O. Lamarckiana absence- Formen sind. Natürlich findet man indessen bei einer Mutante positive Eigenschaften, an denen es einer anderen fehlt. Die Variabilitat der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. 207 sondern auch — wenn auch in seltenem Grade — Doppelmutanten erzeugen könne. Daß dies der Fall ist, hat DE VRIES tatsächlich gefunden, indem er direkt aus O. Lamarckiana die Doppelmutante nanella-elliptica erhalten hat (202, S. 266). Dieses, daß aus der O. Lamarckiana dasselbe Produkt erhalten werden kann wie das aus der Kreuzung zweier gewisser Mutanten sich notwendigerweise ergebende, zeigt auf eine schlagende Weise, daß bereits Zamarckiana die Eigen- schaften enthielt, welche die Doppelmutanten zusammensetzen. Auch die Mutanten können in seiner Deszendenz Doppelmutanten erzeugen, im besonderen »anella-Kombinationen. So wird z. B. aus gigas gigas- nanella, aus scintillans scintillans-nanella erhalten. Ein Bastard von zweien Mutanten kann mehrere derartige Kombinationen geben. Lata x nanella hat nämlich /ata-nanella (2022, S. 443), nanella-albida, nanella- elliptica und nanella-scintillans (202, S. 266) gegeben. Auch SCHOUTEN hat derartige Doppelmutanten in neuen Kombinationen erhalten: levifolia-brevistylis, levifolia-nanella, rubrinervis-brevistylis, rubrinervis- /ata. Eine besonders eigentümliche Kombination ist die von mir oben beschriebene gigas 11 (1910), weil sie Eigenschaften von gigas, nanella, brevistylis, scintillans, albida und /ata enthält, und Komb. 4 mit Eigen- schaften von rudrinervis, scintillans und /ata, ja sogar dzennis. Daß alle diese Doppelmutanten das Produkt einer Neukombi- nation von schon in Zamarckiana und ihren Mutanten vorhandenen Eigenschaften sind, dürfte wohl keinem Zweifel unterliegen. Der Ansicht ist aber DE VRIES nicht. Nur rudrinervis-nanella hält er ftir ein Resultat von MENDEL-Spaltung (202a, S. 454), alle übrigen za- nella-Kombinationen betrachtet er als Mutanten (202, S. 265). Die Ergebnisse, zu welchen DE VRIES bei dem Studium der Mu- tationskreuzungen gekommen ist, dürften sich also in die MENDEL- schen Spaltungsgesetze einordnen lassen, wenn auch die Spaltung von komplizierterer Natur ist. Für eine solche Auffassung hat sich bereits LOTSY ausgesprochen. Er sagt als Zusammenfassung seiner Erörterung der Mutationskreuzungen (1906, S. 243): „Summa summarum beweisen meines Erachtens die Kreuzungen zwischen zwei Mutanten also nur, daß diese offenbar eine Menge latenter Merkmale kryptomer besitzen, welche bei Gametogenesis und nachfolgender Kopulation zutage treten; wie man sich dies aus der Gametogenese zurechtlegen muß, ist noch unbekannt. Sie sind aber keineswegs eine Stütze für die Auf- fassung der Mutanten als elementare Arten!).“ 1) Von Lorsy gesperrt gedruckt. 208 Heribert-Nilsson. Es wirde also keinen prinzipiellen Unterschied zwischen Mutationskreuzungen und MENDEL-Kreuzungen geben!), ebenso- wenig wie solcher zwischen konstanten und spaltenden Bastarden besteht, was ich schon vorher bei meinen Untersuchungen über den „konstanten‘‘ Bastard gigas = Lamarckiana glaublich zu machen ver- sucht habe. Um nach den Resultaten der Mutationskreuzungen in F, zu urteilen, wo Lamarckiana im allgemeinen dominiert (d. h. den größten Prozentsatz beträgt), sind auch die progressiven Mutanten von DE VRIES wenigstens zum Teil absence-Kombinationen?) (d. h. Minuskombinationen im Verhältnis zu Lamarckiana). Deshalb scheint mir die Bezeichnung „progressive Mutation“ unrichtig. Für O. gégas, welche über Lamarckiana dominiert, könnte man mit Recht diese Bezeichnung anwenden, insofern als man damit eine Pluskombination meinte. Die Bezeichnungen progressive und retrogressive Mutation werden jedoch ziemlich inhaltslos, wenn sie nicht mehr das Auftreten oder Verschwinden einer Elementareigenschaft (Erbeinheit) bezeichnen sollen. Eine Menge von Tatsachen aus den experimentellen Untersuchungen von DE VRIES scheinen also für die Richtigkeit derselben Auffassung zu sprechen, zu welcher ich in meinen Experimenten gekommen bin, und zwar, daß wir es in der Mutation bei O. Lamarckiana nur mit komplizierten Neukombinationserscheinungen von schon in der Stamm- art vorhandenen Eigenschaften zu tun haben. Schlußbemerkungen. Es dürfte wohl also keinem Zweifel unterliegen, daß sich die Variabilität von O. Lamarckiana bei einer hybridologischen Analyse der Art in dieselben allgemeinen Gesetze, welche für andere Gewächse gelten, d.h. die MENDELschen Spaltungsgesetze, einordnen läßt. Die Variabilität, mit der wir hier zu tun haben, ist sicher nicht anderer 1) Wenn kein prinzipieller Unterschied zwischen Mutationskreuzungen und MENDEL-Kreuzungen besteht, so ist es natürlich überflüssig, für den Vererbungs- modus der ersteren die Bezeichnung alternative Vererbung — als Gegensatz zu MENDEL-Vererbung — zu gebrauchen, wie GATES sie eingeführt hat. Übrigens scheint mir der Sinn, den Garters in den Ausdruck „alternative Vererbung“ legt, durchaus nicht am Platz, da man ja unter diesem Ausdruck im allgemeinen gerade MENDEL- Vererbung versteht. 2) Betreffs der Auffassung von GATES, nach welcher die Mutanten Verlust- Typen sind, siehe S. 211. Die Variabilität der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. 209 Art als die, welche durch sehr tiefgehende Analyse bei anderen Ge- wächsen, z. B. Lathyrus odoratus, Antirrhinum majus, Pisum sativum, Matthiola, Mirabilis Falapa, Triticum vulgare, Avena sativa, Zea Mays, Linum beobachtet worden ist. Die Komplikationen, welche man bei diesen in bezug auf die Spaltung der Farbeneigenschaften gefunden hat, haben sich ganz gut in die MENDEL-Spaltung einordnen lassen. Hat man eigentlich etwas anderes als ahnliche Komplikationen auch in bezug auf die Spaltung anderer Eigenschaften zu erwarten? Die MENDEL sche Entdeckung, vervollständigt durch die BATESON-PUNNETT- sche ‚presence and absence hypothesis“, die „Versuche der reinen Linien‘‘ von JOHANNSEN und die Prinzipien von NILSSON-EHLE in bezug auf die Natur der quantitativen erblichen Variation, gibt uns einen ganz neuen Einblick in das Problem der Variation und scheint die Schranken zwischen der diskontinuierlichen und der kon- tinuierlichen erblichen Variation vollständig niederzulegen. Die Tat- sachen, auf welchen die Mutationstheorie aufgebaut worden ist, werden ohne Zweifel die eine nach der anderen fallen, sobald O. Zamarckiana einer hybridologischen Analyse nach den MENDELschen Forschungs- prinzipien unterworfen worden ist, sobald man aufgegeben hat, nach konstanten Formen zu suchen und die Aufmerksamkeit ganz und gar den Erbeinheiten und dem Zusammenspiel dieser Einheiten widmet. Der Umstand, daß wir es bei O. Zamarckiana hauptsächlich mit einer quantitativen erblichen Variation zu tun haben, und daß man beim Studium der Variabilität Eigenschaften in allen Teilen der Pflanze berücksichtigt hat, hat bewirkt, daß nur extreme Kombinationen in die Augen gefallen sind, und daß die Natur der Variation rätselhaft geworden ist. Man hat gleichzeitig zu viele Eigenschaften beobachtet, um deren Ursache sehen zu können, und stand nur immer vor der vollbrachten Tatsache: dem stark abweichenden Typus. Und man hat sich damit begnügt, diese Tatsache zu konstatieren, und sein ganzes Bestreben darauf eingerichtet, zu zeigen, daß „etwas Neues“ gebildet worden ist, wie aber dies Neue gebildet worden sei, vorläufig hintangesetzt, schließlich von vornherein für selbstverständlich gehalten, daß die MENDELsche Vererbungstheorie hier keine Gültigkeit habe, sondern andere Erklärungsgründe aufgesucht werden müßten. Von zwei Oenothera-Forschern, nämlich MAC DOUGAL und GATES, sind Erklärungen versucht worden, welche darauf hinauslaufen, zu zeigen, daß wir in der Mutation ein Variationsphänomen sud generis haben, und ich will deshalb auf eine nähere Erörterung ihrer Auf- fassung eingehen. Induktive Abstammungs- und Vererbungslehre. VIII, 14 210 Heribert-Nilsson. MAC DOUGAL meint, der MutationsprozeB sei eine Reaktions- erscheinung, hervorgerufen durch die AuBenfaktoren oder wenigstens zum großen Teil von diesen beeinflußt (134, S. 32 und 54). Er hat deshalb auch Versuche gemacht, auf künstlichem Wege Mutanten hervorzubringen, und zwar dadurch, daß er Fruchtknoten von O. Za- marckiana, O. biennis und Ratimannia odorata mit chemisch und osmo- tisch wirkenden Stoffen (Zinksulfat, Kalziumnitrat, Zuckerlösung) in- jizierte und Radiumbestrahlung aussetzte. Von O. Zamarckiana sind in dieser Weise keine neuen Mutanten erhalten worden, von O. biennis aber eine und von Razmannia odorata einige (135, S. 61—64, 132). Diese Resultate beweisen in keinem Fall aber, daB die angewandten chemischen Stoffe diese Mutabilität ausgelöst haben, da MAC DOUGAL nicht untersucht zu haben scheint, ob nicht selbstbestäubte Blüten der injizierten Individuen auch ohne vorherige In- jektion dieselben Mutanten geben können. Daß es sich hier nicht um Neubildungen, verursacht durch die angewandten Agentien, handelt, scheint aus dem Grunde wahrscheinlich, weil O. Zamarckiana, deren Varianten am besten bekannt sind, keine neuen, sondern nur vorher bekannte Mutanten gab, aber wohl O. dzennis und Raimannıa odorata, deren Variabilität weniger untersucht worden ist. Ferner wurden bei der Kalziumnitratbehandlung von Aazmannıa odorata 1905, aber nicht 1906, Resultate erreicht. Es ist möglich, daß dicses ein- fach auf einem rein genotypischen Unterschiede zwischen dem Indi- viduum von 1905 und dem von 1906 beruhte. Die Gametenkonsti- tution der im ersten Jahre untersuchten Pflanze kann an und für sich eine solche gewesen sein, daß sie eine Variante realisieren konnte, welche unmöglich aus der Gametenkonstitution des im folgenden Jahre untersuchten Individuums hervorgehen konnte. Diese Auffassung wird dadurch, daß die normalen Abkömmlinge einer 1905 in- jizierten Kapsel in ihrer Deszendenz Aberranten gaben, um so wahrscheinlicher. Höchst eigentümlich ist es schließlich — und spricht nicht gerade für MAC DOUGAL’s Auffassung von den Aberranten als durch die Agentien ausgelöste Mutanten —, daß so verschiedene Agentien, wie Zinksulfat, Kalziumnitrat, Zuckerlösung, durch Kupfer verun- reinigtes, destilliertes Wasser und Radiumbestrahlung dieselbe Mu- tante auslösen sollten. Weit annehmbarer scheint es mir zu sein, daß wir es hier mit einem Prozeß zu tun haben, welcher unabhängig von den Injektionen vor sich geht und eine parallele Erscheinung zu dem RekombinationsprozeB bei O. Zamarckiana bildet. Die Variabilität der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. 2II In keinem Falle beweisen also die Versuche von MAC DOUGAL, daß die injizierten Stoffe die Aberranten hervorgerufen haben, und die Tatsache, daß eine unter ihnen selbst noch in der fünften Gene- ration alle ihre Eigentümlichkeiten besaß, lassen uns ja in keiner Weise erkennen, in welcher Weise sie gebildet wurde. Eine andere Auffassung des Mutationsphänomens hat GATES, der eine zytologische Erklärung zu geben versucht (49, S. 27 und nachher in verschiedenen Publikationen). Er ist der Ansicht, daß die Mehrzahl der Mutanten Typen mit einer geringeren Anzahl Eigen- schaften als die der Stammart sind. Diese Erscheinung denkt er in- dessen als eine spontane Verlustmutation, indem er meint, daß eine Keimzelle bei ihrem Entstehen statt von jedem Paar ein Chromosom zu erhalten, von einem Paare zwei Chromosomen erhält, welches zur Folge hat, daß sie von einem anderen Paar gar nichts erhält. Da er nun weiter annimmt, daß die Chromosomen qualitativ different sind (d. h. verschiedene Erbeinheiten enthalten), so folgt daraus ohne weiteres, daß eine solche Keimzelle die Fähigkeit verliert, die Gruppe von Eigenschaften auszubilden, welche das verloren gegangene Chro- mosom enthielt. Also ist GATES der Ansicht, daß Unregelmäßigkeiten in der Verteilung der Chromosomen bei der Bildung der Keimzelle die Ursachen der Entstehung von Varianten mit einer geringeren Anzahl von Eigenschaften als die der Stammart sind. Seine Auf- fassung unterscheidet sich also prinzipiell von der meinigen, nach welcher keine Unregelmäßigkeiten in der Bildung der Keimzellen statt- finden, wenn die Verlustmutanten gebildet werden, sondern diese als Rezessivkombinationen durch eine Neukombination mendelnder Eigen- schaften entstehen. Nur darin, daß die Mutanten Verlusttypen sind, stimmt meine Auffassung mit der seinigen überein. O. gigas, meint jedoch GATES, ist in einer anderen Weise als die anderen Mutanten entstanden. Indes sucht er auch für ihre Ent- stehung eine zytologische Basis, indem er meint, daß die doppelte Anzahl von Chromosomen, welche die Art nach den Untersuchungen von LUTZ, GEERTS und ihm selbst enthält (28 statt 14 in den soma- tischen Zellen), die Ursache des charakteristischen Aussehens derselben ist. Der Ansicht, daß die Habitusänderung des gzgas-Typus von einer so einfachen Veränderung als einer Verdoppelung der Anzahl der Chromosomen verursacht sein sollte, widersprechen indes nicht nur meine experimentellen Versuche, sondern auch zytologische Tat- sachen. So hat GEERTS gefunden, daß der Bastard gigas x La- marckiana, welcher in F, eine intermediäre Anzahl von Chromosomen 14* PEP? Heribert-Nilsson. hat (in den generativen Zellen zehn bis elf Chromosomen, in den vegetativen 21), in F, nur 14 Chromosomen (in den vegetativen Zellen) hat, weil von den 2ı Chromosomen der F,-Pflanzen sieben zerfallen und nur die 14 übrigen Paarung und Separierung unterzogen werden. Doch behielten die F,-Pflanzen, welche nichts von der verdoppelten Chromosomenanzahl übrig hatten, ihre gzgas- Eigenschaften in gleichem Maße wie die F,-Pflanzen bei, was, wie GEERTS es betont hat, zeigt, daß die Erklärung der Ent- stehung des gzgas-Typus von GATES nicht richtig ist!). Wie schon erwähnt, hat GATES eine Mutante erhalten, welche in allen Eigenschaften mit radrinervis übereinstimmt, abgesehen davon, daß sie stärker pigmentiert ist (O. rudricalyx, vgl. S. 131). Für die Entstehung dieser Form hält er eine zytologische Erklärung für nicht möglich, sondern meint, daß wir hier ein Beispiel des Auftretens einer neuen dominanten Eigenschaft im Sinne DE VRIES’ haben, weil die Pigmenteigenschaft der neuen Form über die ruérznervis-Pigmentierung dominiert. Es ist indessen denkbar, daß wir bei verschiedenen rudrz- nervis-Pflanzen verschiedene Einheiten für Infloreszenzpigmentierung haben, gleich wie wir es bei Komb. 7 und wahrscheinlich auch bei O. Lamarckiana für die Pigmentierung der Blattnerven haben, und daB diese Einheiten bei Kumulation eine intensivere und mehr ver- breitete Pigmentierung geben. O. rubricalyx ging allerdings aus einem geselbsteten Individuum hervor, aber GATES erwähnt, daß er in seinen Kulturen mehrere rudrinervis-Linien gehabt hat, und Kreuzung zwischen ihnen kann ja in den vorigen Generationen stattgefunden haben?). 1) In seiner letzten Publikation über O. gigas (68) sagt jedoch Gates, daß die Verdoppelung der Chromosomenzahl vielleicht nur die primäre Veränderung bei der Entstehung des gigas-Typus darstellt. Auch in dieser modifizierten Form ist indessen seine Ansicht unhaltbar, da die Untersuchungen von GEERTS deutlich zeigen, daß die Verdoppelung der Chromosomenzahl gar nichts mit der habituellen Veränderung zu tun hat. 2) Daß es sich um einen Differenzpunkt zwischen vubricalyx und rubrinervis handelt, zeigt die Tatsache, daß rubrinervis in Fy, Fa und F, aus rubricalyx annähernd im Verhältnis von 1: 3 hervorging. Die ausgespalteten rubrinervis-Pflanzen waren konstant. Gates meint, daß wir hier einen Fall haben, der nicht mit der MEnDEL-Vererbung übereinstimmt, weil die von ihm untersuchten F,- und F,-Pflanzen von rubricalyx alle spalteten und nicht, wie man erwarten konnte, zu einem Drittel konstant waren (67, S. 361). Da er aber nur zwei F,- und drei F,-Pflanzen untersucht hat, so scheint mir ein solcher Schluß voreilig. Ferner scheint mir nichts für die Annahme zu sprechen, daß die „presence-absence“-Hypothese hier nicht gelten sollte, wie GATES meint. Die Spaltung geht ja ganz regelrecht, wenn man annimmt, daß rubricalyx Die Variabilität der Ocnothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. 213 Um die Entstehung der Mutanten zu erklären, nimmt also GATES drei verschiedene Prozessc an, was zur Folge hat, daß er den Variations- vorgang als einen unregelmäßigen betrachten muß. Hiervon sagt er selbst (69, S. 602): „Mutation appears therefore, to be not a simple uniform process of splitting but to be result of a condition of instability in the germininal material which isagain pro- bably a result of previous crossing, and which leads to various types of departure from the parental racet!).“ Meiner Meinung nach lassen sich die Mutanten sämtlich entweder als Plus- oder Minuskombinationen von schon in O. ZLamarckiana vorlıandenen Eigenschaften erklären. Eine ‚Instabilität des Keim- plasmas“ braucht man nicht anzunehmen, und das ganze Mutations- phänomen dürfte unter einem gemeinsamen Gesichtspunkte: der MENDELschen Neukombination, eingeordnet werden können. Der Umstand, daß wir es bei O. Zamarckiana zum größten Teil mit quantitativen Differenzen zu tun haben, ist meines Erachtens die Ursache gewesen, daß die Natur der Mutanten rätselhaft ge- worden ist. Hätten wir es mit qualitativen Differenzen in bezug auf eine einzige in die Augen fallende Eigenschaft, z. B. die Blüten- farbe, zu tun gehabt, so würde sicher die ganze Variation, welche sich in derartigen Veränderungen des Habitus wie die der Mutanten äußert, verdunkelt worden sein. Denn wer hätte dann daran gedacht, ob die gelbe, rosa oder rote Blüte größer als gewöhnlich sei oder von einem stärkeren Stengel getragen werde! Und wenn diese Variation beobachtet würde, wer würde wohl der Ansicht sein, daß sie von einer anderen Natur wäre als die, welche man in bezug auf die Blütenfarbe beobachtet hatte! Es ist indessen ganz natürlich, daß alle experimentellen Versuche mit O. Lamarckiana während des seit der Aufstellung der Mutations- theorie vergangenen Dezenniums zum größten Teil die Richtigkeit derselben bestätigt haben. Die Oenotkera-Forscher haben nämlich ohne Ausnahme die Methode von DE VRIES nachgeahmt: Massen- zwei Faktoren für Infloreszenzpigmentierung, rubrinervis nur einen Faktor für diese Eigenschaft hat. ARubricalyx wäre denn als P,PıP;p; aufzufassen und muß in ihrer Nachkommenschaft P,P,p;p; im Verhältnis von 1:3 geben, d.h. rubrineruis. Daß rubricalyx von der Konstitution P,P,P,P; (konstante rubricalyx) nicht erhalten werden kann, dies zu beweisen, sind, wie erwähnt, die Versuche von GATEs noch gar zu unvollständig. 1) Von mir gesperrt. 214 Heribert-Nilsson. anbau der Art ohne strenge Reinzucht einzelner Pflanzen durch mehrere Generationen. Die Folge davon war natürlich die, daß unter der großen Menge von Exemplaren nur die ganz extremen Typen in die Augen fielen. Theoretisch hat man vorurteilsfreier auf das Problem gesehen, und die meisten Einwände gegen die Mutationstheorie sind auch von Forschern gemacht, welche sich nicht selbst experimentell mit Oenothera beschäftigt haben, und welche deshalb die Variation genau so ansahen wie die der Pflanzenart, mit der sie selber experi- mentiert hatten. Die von DE VRIES als Folgerung der Mutationstheorie verfochtene Ansicht, daß keine quantitative Variation erblich ist, hat ohne Zweifel viel dazu beigetragen, die Vorstellung der Diskontinuität der Variation bei O. Zamarckiana einzuschärfen. Durch diese Annahme wurde man von der Verpflichtung gelöst, das Ausgangsmaterial zu untersuchen, denn von vornherein hatte man ja festgesetzt, daß dieses eine Elementarart mit nur fluktuierender Somationsvariabilität wäre. Jetzt muß man sich indessen — mit der Kenntnis, welche wir nach zwölf Jahren MENDEL-Forschung von der Natur der Variation haben — zuerst vergewissern, ob es innerhalb der zu untersuchenden Art Differenzpunkte gibt, seien sie qualitativer oder quantitativer Natur, mögen sie sich als morphologische Eigenschaften nach außen manifestieren oder nicht. Daß wir innerhalb von O. Lamarckiana Differenzen in bezug auf mehrere Eigenschaften haben, dürfte keinem Zweifel unterliegen, und von der Regel, daß kreuzbefruchtende Pflanzen sehr variabel sind, bildet sie keine Ausnahme. Deshalb ist es aber keineswegs notwendig anzunehmen, daß O. Lamarckiana von Bastardnatur sein muß. Denn innerhalb der meisten allogamen Arten haben wir eine große Variation und können doch nicht annehmen, daß die kollektive Art (d. h. die LINNEische Art) ihren Ursprung aus einer Kreuzung zwischen zwei anderen bekannten Arten hat. Ich will das Beispiel einer Pflanzen- art nehmen, welche in bezug auf ihre Variabilität in mancherlei Hinsicht eine parallele Erscheinung zu O. Lamarckiana ist, und zwar Verbascum nigrum. Die langen Blütenstände und die gelben Blüten geben diesem Gewächs gleich wie O. Zamarckiana ein einheitliches Aussehen, und bei einem rein habituellen Studium scheint es keine größere Variabilität zu haben. Dann und wann kann man indessen einen Typus sehen, welcher eine Veränderung des Habitus darstellt. So sieht man zuweilen bis in die Blütenstände hinauf stark verästelte Individuen, ferner solche, deren obere Stengelblätter äußerst dicht Die Variabilität der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. 215 zusammengedrängt sind und allmählich, je mehr sie sich der Blüten- stellung nähern, in bezug auf Länge und Größe abnehmen, so daß diese am unteren Teil mit langen und großen Blättern bekleidet wird (cuspidatum-Form), schließlich auch weißblütige Formen und apefala- Formen, welche von einem höchst frappanten Aussehen sind. Diese Typen würde man natürlich mit demselben Recht als Mutanten be- zeichnen können, wie man es mit den Varianten von O. Lamarckiana getan hat, denn sie entstehen plötzlich und sind distinkte Typen. Untersucht man indessen die übrigen auf den ersten Blick einheitlich scheinenden Individuen, so wird man bald finden, daß in allen Eigen- schaften der Pflanze eine sehr starke Variabilität herrscht; Differenzen in der Höhe und Stärke des Stengels, der Verästelung, in Blattform und Blattfarbe, der Entwicklung der Blütenstände, der Ährenlänge, gedrängtem Zusammentreten der Blüten, der Kronengröße, Haarigkeit der Staubfäden usw. Ohne Zweifel haben wir es hier gleich wie bei O. Lamarckiana mit einer quantitativen, erblichen Variation zu tun, welche sich bei Kumulation in einer gewissen Anzahl Eigenschaften kundgibt und plötzlich im Auftreten eines distinkten Typus (Mutation) zeigt. Ich habe dieses Beispiel angeführt um zu zeigen, daß wir es innerhalb anderer kreuzbefruchtenden Pflanzenarten mit derselben Erscheinung wie bei der Mutationsfähigkeit von O. Lamarckiana zu tun haben, ohne daß wir deshalb sagen können, daß es sich um Bastarde handelt. Trotz obiger Feststellungen will ich es doch nicht von der Hand weisen, daß O. Zamarckiana ihren Ursprung aus einer Kreuzung zwischen zwei anderen Oenothera-Arten haben kann. Und dieses um so weniger, weil die äußerst interessanten Bastardierungsversuche zwischen ver- schiedenen Oenotkera-Arten von DAVIS uns schon ohnehin in diese Richtung zu weisen scheinen. Bei Kreuzung von O. diennis mit O. grandiflora hat er eine pleiotypische F, erhalten. In einer Kreuzung wurde ein Individuum erhalten, welches gleich wie bei O. Lamarckiana die Seitenäste längs des Stengels verteilt hatte; die beiden Eltern verästeln sich an der Rosette. In einer anderen Kreuzung wurden vier Individuen erhalten, welche in bezug auf die buckligen Blätter mit Lamarckiana übereinstimmten, wodurch sie von den beiden Eltern, welche glatte Blätter haben, abwichen. Die Mehrzahl der Bastarde hatte außerdem Blüten von Zamarckiana-Aussehen und zwei hatten Infloreszenzen und Blüten so ähnlich denen gewisser Zamarckiana-In- dividuen, daß sie in allen wesentlichen Eigenschaften mit diesen über- einstimmten. Wie man sieht, zeigen bei dieser Bastardierung die 216 Heribert-Nilsson. Bastardindividuen in F, Eigenschaften, welche von denen der beiden Eltern abweichen und mit denen von Zamarckiana übereinstimmen. Diese sind zwar auf verschiedene Individuen verteilt, so daß kein Lamarckiana-Individuum entsteht; interessant ist aber in jedem Falle, . daß Lamarckiana-Eigenschaften bei Bastardierung anderer Oenothera- Arten hervorgehen können. Davis hat auch F, von der betreffenden Kreuzung aufgezogen, und die Variabilität war hier größer als in Fy. Er hat jedoch kein Individuum erhalten, welches mehr als die in F, Lamarckiana ähnelte. Ist es wirklich so, daß O. Zamarckiana als ein Produkt einer Kreuzung zwischen zwei anderen Oenothera-Arten!) ent- standen ist, so haben wir hiermit auch die einfachste Erklärung da- rüber, daß es innerhalb ihrer Differenzpunkte gibt. Mit der Erörterung des Mutationsproblems, welche ich hier vor- genommen habe, habe ich zu zeigen versucht, daß die Variabilität bei O. Zamarckiana nicht länger als eine Erscheinung ganz eigener Art betrachtet werden darf, d. h. daß sie keine andere als die bei anderen Pflanzenarten ist. Unterwirft man die Art einer eingehenden hybridologischen Analyse, so wird es sich sicher mehr und mehr be- stätigen, daß die Erklärung der Entstehung der Mutanten, welche die Mutationstheorie nicht hat geben können, im Zusammenspiel der Erbeinheiten zu finden sei. Das, was ich in der Hauptsache gewollt habe, ist eine Wiederbelebung der kritischen Betrachtungsweise der DE VRIESschen Mutationstheorie, die JOST in folgenden Worten treffend ausgedrückt hat: „Wir haben durch DE VRIES wohl eine ‚Mutationstheorie‘, aber es fehlt noch gänzlich die Theorie der Mu- tation.“ Und ich habe zeigen wollen, daß die bei O. Zamarckiana auftretende Mutation vielleicht keiner eigenen Theorie bedarf, sondern sich zwanglos in die MENDELschen Spaltungsgesetze einreihen läßt. Zusammenfassung. I. Die Einwände, welche gegen die von DE VRIES aufgestellte Erklärung der Mutation von O. Lamarckiana ausgesprochen worden sind, nach welcher eine Anzahl von Mutanten Arten mit neuen pro- gressiven Eigenschaften repräsentieren, haben sich hauptsächlich auf 1) Gates verwirft die Annahme, daß O. Lamarckiana durch eine einfache Kreuzung zweier Arten entstanden sei, und bestreitet die Richtigkeit der Erklärung von Davis, daß die Infloreszenzeigenschaften gewisser F,-Pflanzen von grandiflura >< biennis Lamarckiana-ähnlich seien. Die Variabilität der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. 217 die Annahme gestiitzt, daB O. Lamarckiana ein Bastard sei, und die Mutanten die letzten Oszillationen einer Bastardspaltung. Meiner Meinung nach ist es für die Erklärung der Mutation von unter- geordneter Bedeutung, ob die Stammart der Mutanten ein Bastard ist oder nicht; was vor allem festzustellen ware, das ist, ob die Art einheitlich ist oder nicht; man hat also die Frage zu beantworten: Gibt es innerhalb der Art Differenzen? 2. Meine Untersuchungen über diese Frage haben gezeigt, daß O. Lamarckiana keine konstante Art (d.h. Elementarart) ist, wie DE Vries behauptet, sondern daß wir innerhalb derselben, wenigstens in bezug auf Nervenfarbe, Blattfarbe, Blütenweite, Fruchtlange, Narbenanzahl und Höhe der Pflanze Differenzen haben. Für die Differenz der Rot-Weiß-Nervigkeit wird gezeigt, daß einfache MENDEL- Spaltung mit Dominanz für Rot stattfindet. 3. Da es Differenzen gibt, und da diese gerade solchen Eigen- schaften gelten, durch welche sich die Mutanten wenigstens zum Teil von der Stammart und voneinander unterscheiden, so ist es wahr- scheinlich, daß wir in dem Mutationsphänomen nicht mit einer pro- gressiven oder regressiven Artbildung, sondern mit einer Neukombination vorhandener Eigenschaften bereits in der Stammart zu tun haben, d. h. mit einer Kombinationsvariabilität innerhalb der Art. 4. Die von mir erhaltenen Mutanten sind nicht mit denen von DE VRIES identisch, sondern teils ganz neue Kombinationen, teils parallele Typen zu den seinigen. Dieses zeigt, daß ein anderes Aus- gangsmaterial als das von DE VRIES auch anders beschaffene Mu- tanten gibt, und daß wenigstens in gewissen Fällen (z. B. für die rubrinervis-, gigas- und /ata-Typen) nicht einzelne Mutanten, sondern Mutantengruppen erhalten werden, deren Varianten in gewissen Eigen- schaften übereinstimmen, in anderen aber sich unterscheiden. Die Mutation von O. Lamarckiana äußert sich also nicht immer in der- selben Weise, sondern ist deutlich ein Prozeß, welcher von der geno- typischen Beschaffenheit des Ausgangsmaterials abhängig ist. 5. Einen Beweis der Richtigkeit dieser Ansicht habe ich auch in den Ergebnissen meiner Reinzüchtungsversuche mit rot- und weiß- nervigen Linien. Die Mehrzahl der Mutanten ist weißnervig, und man würde deshalb erwarten, daß diese nicht in einer konstanten rotnervigen Linie und in einer heterozygotisch rotnervigen nur in un- gefähr ein Viertel so großem Prozentsatz wie in einer konstant weiß- nervigen Linie hervorgehen konnten. Da alle meine isolierten rot- nervigen Individuen heterozygotisch waren, habe ich vorläufig nur 218 Heribert-Nilsson. ihre Mutationsfahigkeit und die der Weißnervigen miteinander ver- gleichen können. Das zu erwartende Verhältnis zeigte sich jedoch hier sehr deutlich, indem das Mutationsprozent der weißnervigen Linien c. I0%, das der heterozygotisch rotnervigen c. 2%, das der vorigen also mehr als viermal größer als das der letzteren war. 6. Da die Mehrzahl der Mutanten bezüglich der die Nervenfarbe bedingenden Eigenschaft Rezessivkombinationen sind, da sie bei Kreuzung mit der Stammart rezessiv sind (d. h. schon bei der Spaltung in F, in einem kleineren Prozentsatz als die Stammart her- vorgehen), und da sie bei Kreuzung untereinander die Stammart synthetisch aufbauen, scheint mir die Annahme nahe zu liegen, daß sie „absence“-Kombinationen (d.h. ,,absence‘‘-Kombinationen in mehreren Eigenschaften) sind. Sie sind also nicht progressive oder regressive Neubildungen, entstanden durch spontanes Hinzukommen oder spon- tanen Verlust einer einzigen Elementareigenschaft, d. h. durch Mu- tation im Sinne von DE VrIEs, sondern Minuskombinationen, d. h. entstanden durch Neukombination bereits in der Stammart vorhandener und auf verschiedene Individuen verteilter mendelnder Eigenschaften. 7. Hiervon bildet O. gégas eine Ausnahme, indem sie im Ver- hältnis zum Durchschnittstypus der Stammart eine komplizierte Plus- kombination von Größen- und Formeneigenschaften zu sein scheint. Hierfür sprechen folgende Gründe: in meinen Kulturen habe ich vier verschiedene gigas-Typen gehabt, welche verschiedene Stadien von gigas-Habitus darstellen; innerhalb eines dieser Typen sind verschiedene Linien isoliert worden, welche verschiedene Gradationen in bezug auf die gigas-Eigen- schaften eines gewissen Organes darstellen; die gzgas-Eigenschaften in verschiedenen Organen zeigen keine korrelative Vererbung, sind also nicht von ein und demselben Ver- erbungsfaktor abhängig, sondern voneinander unabhängig. Meiner Meinung nach würden diese Tatsachen ihre Erklärung am besten durch die Annahme erhalten, daß eine gigas-Eigenschaft in einem gewissen Pflanzenteil durch das Zusammentreffen gewisser quantitativer und kumulativer Größeneinheiten erzeugt wird, und daß der gégas-Habitus erst beim Zusammentreffen dieser Komplexe ent- steht. Das seltene Vorkommen des gzgas-Typus, die große Variabilität desselben und der Umstand, daß er mit der Stammart einen kon- stanten Bastard zu bilden scheint, alles das bekommt auch durch diese Auffassung seine Erklärung. Die Variabilität der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. 219 8. O. gigas von DE VRIES ist keine einheitliche Art, sondern zeigt eine große Variation, ist also nur ein anderer Durchschnitts- typus als O. Zamarckiana. Diese Variation geht teilweis in derselben Richtung wie die innerhalb von O. Lamarckiana, d. h. resultiert in die Bildung derselben Mutanten als die innerhalb dieser. Die Eigen- schaften dieser Mutanten werden hier mit den gzgas-Eigenschaften kombiniert und also wird aus O. gigas z. B. gigas-lata und gigas-scintillans gebildet. Diese Doppelmutanten sind indessen nicht von O. gzgas diskontinuierlich getrennt, sondern man hat verschiedene Abstufungen zwischen ihnen und O. gzsas, während die entsprechenden Mutanten lata und scintillans von O. Lamarckiana diskontinuierlich getrennt sind. Diese Verschiedenheit im Mutationsprozeß innerhalb von O. Zamarckiana und des gzgas-Typus bekommt wohl am besten ihre Erklärung durch die Annahme, daß der Kombinationsprozeß, welcher die Entstehung der Mutanten hervorruft, in allen beiden Fällen derselbe ist, daß er aber innerhalb des gzgas-Typus morphologisch sichtbar vor sich geht, so daß partielle Mutanten beobachtet werden können, während er innerhalb des Zamarckiana-Typus kryptomer mit nur sichtbarem Schlußresultat vor sich geht. Morphologisch ist der Prozeß verschieden, nicht aber physiologisch und genetisch. 9. Das Auftreten partieller Mutanten innerhalb des gigas-Typus zeigt, daß die Mutanten nicht durch Hinzukommen oder Latenz einer einzigen Eigenschaft mit korrelativer Wirkung in allen Teilen der Pflanze (wie DE VRIES meint), sondern durch ein zufälliges Zusammen- treffen mehrerer Eigenschaften entstehen. Erst wenn alle diese Eigen- schaften zusammentreffen, erhalten wir innerhalb des Zamarckiana- Typus eine Mutante, was natürlich dann den Eindruck einer korre- lativen Vererbung geben kann. to. Mit dieser Annahme für die Entstehung der Mutanten erhält man auch eine Erklärung der eigentümlichen Verhältnisse, welche die Mutationskreuzungen zeigen. Sowohl die schon in F, eintretende Spaltung, als auch die schwankenden Zahlenverhältnisse, in welchen Mutante und Stammart entstehen, werden uns nämlich dadurch ver- ständlich. II. Das wir es andererseits bei O. Zamarckiana mit Eigenschaften korrelativer Beeinflussung mehrerer der Organe der Pflanze zu tun haben, das zeigt die Eigenschaft der Rotnervigkeit. Diese beeinflußt nicht nur die Farbe der Blattnerven, sondern auch die Farbe, die Buckligkeit und die Größe der Blätter und die Länge der Früchte. 220 Heribert-Nilsson. Schon innerhalb von O. Lamarckiana also innerhalb der Stamm- art — haben wir eine diffus wirkende Eigenschaft, so wie sie nach DE VRIES für eine neue progressive Mutante charakteristisch sein sollte. 12. Innerhalb des Riesentypus wirkt das Vorhandensein der die Rotnervigkeit bedingenden Eigenschaft als eine Hemmung auf die Entwicklung der Rieseneigenschaften. Eine von mir aus O. Zamarckiana erhaltene unverkennbare Riesenkombination (Komb. 7) ist aus dem Grunde, weil sie rotnervig ist, eine Gradation zwischen O. Zamarckiana und O. gigas. Sie ist indessen heterozygotisch rotnervig und spaltet deshalb einen kleinen Prozentsatz weißnerviger Individuen ab, die der O. gigas sehr ähnlich werden. Daß es das Vorhandensein oder Fehlen des Faktors für Rotnervigkeit ist, was die Veränderung des Typus bedingt, kann man aus einer Kreuzung von O. gzgas mit einer rotnervigen O. Lamarckiana ersehen. Dadurch wird die die Rotnervig- keit bedingende Eigenschaft auch eine Eigenschaft des Bastardes, und dieser muß dann denselben Typus aufweisen wie die von mir aus O. Lamarckiana erhaltene rotnervige Riesenmutante (Komb. 7). So geschah es auch tatsächlich in meinen Versuchen. 13. Das Studium der die Nervenfarbe von Komb. 7 bedingenden Eigenschaft hat gezeigt, daß diese keine einheitliche ist, sondern sich aus mehreren einzelnen Faktoren zusammensetzt. Die Spaltung in bezug auf die Nervenfarbe innerhalb von Komb. 7 verläuft nach Zahlenverhältnissen, welche sich nahe an die anschließen, welche man erwarten könnte, wenn I, 2 oder 3 voneinander unabhängige Faktoren der Nervenfarbe vorliegen würden, die jeder für sich die Nervenfarbe hervorrufen könnten. Verschiedene Linien näherten sich stark den Zahlenverhältnissen von 1:3, I:I5 und 1:63. Auch innerhalb einer Linie der O. Zamarckiana scheint sich das Zahlenverhältnis in bezug auf die Spaltung der Nervenfarbe mehr 1:15 als 1:3 zu nähern. 14. Es hat sich gezeigt, daß in den Fällen, wo ich die Wirkung eines bestimmten Faktors (d. h. wo es sich um eine qualitative Differenz handelte) habe verfolgen können, daß das Vorhandensein oder das Fehlen desselben die Mutationsfähigkeit beeinflußte, und zwar im MENDELschen Sinne. Das Studium der Variation der O. Zamarckiana sollte daher meiner Meinung nach nicht auf die extremen Formen be- schränkt werden, sondern anschließend an andere derartige Unter- suchungen anderer Pflanzenarten mehr auf eine hybridologische Analyse der Erbeinheiten der Art und das Zusammenspiel dieser Erb- einheiten hinauslaufen; denn erst hierdurch läßt sich volle Klarheit der Variation der Pflanze gewinnen. Eine derartige Untersuchung Die Variabilität der Oenothera Lamarckiana u. das Problem der Mutation. 221 wird aber dadurch sehr erschwert, daß wir es innerhalb von O. La- marckiana zum größten Teil mit quantitativen Differenzen zu tun haben. Außerdem ist die Art ausgeprägt allogam, wodurch die Eigen- schaften derselben natürlich stark durcheinander gekreuzt sind. Nur durch strenge Reinkultur, Isolierung und fortgesetzte Auslese läßt es sich deshalb erreichen, zu den Linien zu gelangen, deren Mutation so herabgesetzt ist, daß sie sich im Hervorbringen einer bestimmten Anzahl von Mutanten äußert, oder welche schließlich, wenn man an eine homozygotische ,,presence‘‘-Kombination aller der Eigenschaften, deren ,,absence‘‘-Stadien die Mutanten hervorrufen, gelangt ist, ganz und gar ihre Mutation einstellen. Für die Übersetzung meines Manuskripts sage ich meinem Freunde, Fil. Kand. JoHAN CEDERBERG, meinen herzlichsten Dank. Literatur. Außer denjenigen Arbeiten, welche die Variation bei Oenothera Lamarckiana behandeln, habe ich hier versucht, diejenige Literatur zusammenzustellen, in der die Mutationsfrage relativ ausführlich dis- kutiert und eine bestimmte Stellung zu den Ansichten von DE VRIES genommen wird, oder wo experimentelle Beiträge zur Mutationsfrage geliefert werden. Arbeiten, welche die Versuche und Ansichten von DE VRIES nur referieren, sind hier nicht aufgenommen, auch nicht die zahlreichen Arbeiten, welche in der Natur gefundene Mutanten behandeln. 1. AnprEws, F.M. Twin hybrids (/eta and velutina) and their anatomical distinctions. — Bot. Gazette 50 (1910), p. 193—201. 2. ARNIM-SCHLAGENTHIN, Grar. Der Kampf ums Dasein und ziichterische Erfahrung. Berlin 1909. 3. BaıLey, Cu. De Lamarck’s evening primrose /Oenothera Lamarckiana] on the sandhills of St. Anne’s-on-the-See, North Lancashire. — Adress ann. meet. j Manchester Field Club 1907. 28 pp., 6 tab. 4. Baıtey, L. H. 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Zeitschrift für induktive Abstammungs- und Vererbungslehre Bd, 8 Tafel 1 Schiemann: Aspergillus eitschrift fiir induktive Abstammungs- und Vererbungslehre Bd. 8 Schiemann: Aspergillus. Zeitschrift f. ind. Abstammungs- u. V\ Tate | | HERIBERT-NILSSON: Oenothera | Zeitschrift f. ind. Abstammungs- u. Vererbungslehre. Bd. 8 Taf. 3 | NERIBERT-NILSsonN: Oenothera DAIUJOUIC) : NOSSTIN-INAIINAIH b yey 8 pq aılyapsdungasıay 'n -sSunuuleysqy "pul 7 4JlIyOs}9Z Zeitschrift f. ind. Abstammungs- u. Vererbungslehre. Bd. 8. Taf. § HERIBERT-NILSSON : Oenothera A Verlag von Gebrüder Borntraeger in Berlin W 35 Schöneberger Ufer 12a Anleitung zum praktischen Studium niederer Tiere (Protozoa, Coelenterata, Vermes, Echinodermata) von Dr. W. Schleip, Privatdozenten an der Universitiit Freiburg i. Br. Mit 56 Textabbildungen. Gebunden 3 M. 50 Pf. Laubfall und Lauberneuerung in den Tropen von Professor Dr. G. Volkens. Gebunden 3 M. 80 Pf. Krankheiten des Flieders von Professor Dr. H. Klebahn. Geheftet 4 M. 20 Pf. Jugendformen und Blütenreife im Pflanzenreich von Prof. Dr. L. Diels, Privatdozent an der Universität Berlin. Mit 30 Textfiguren. Geheftet 3 M. 80 Pf., geb. 4 M. 80 Pf. Phyllobiologie nebst Übersicht der biologischen Blatt-Typen von 61 Siphonogamen-Familien von Prof. Dr. A. Hansgirg. Mit 40 Textabb. Groß-Oktav. Geb. 13 M. 20 Pf. Anleitung zur mikroskopischen Untersuchung von Pflanzenfasern von Dr. G. Tobler-Wolft u. Prof. Dr. F. Tobler. Mit 125 Textabbildungen. Gebunden 3 M. 50 Pf. Die Anschauungen V. Hehns von der Herkunft unserer Kulturpflanzen und Haustiere im Lichte neuerer Forschung. Ein Vortrag von Prof. Dr. O. Schrader. Mit einem Titelblatt. Geheftet 1 M. Bestimmungsbuch der Vögel Mitteleuropas mi: - Einschluß ihrer Jugendkleider und ihrer Nester nach leicht und sicher erkennbaren Merkmalen von Prof. Dr. Friedrich Dahl. Mit 52 Textabbildungen. Gebunden 5 M. 20 Pf. Ausführliche Verlagsverzeichnisse kostenfrei Zeitschrift für induktive Abstammungs- und Vererbungslehre a Inhaltsverzeichnis von Heft 1 u. 2 Bd. VIII. Abhandlungen Seite Schiemann, E.: Mutationen bei Aspergillus niger van Tieghem. (Mit Euan EEE TEEN BIS ES AS oe.) 135 Haecker, V.: Untersuchungen über ‘Siementarelsenechasee) I + + 2 36—47 KieBling, L.: Uber eine Mutation in einer reinen Linie von Hordeum dishichum LE WER eos 5 Bene DEE, Fa: Seen - 48—78 Goldschmidt, R.: Banurtonken zur Verbin des Geschieshie . polymorphismus ., . Bien Nele, Wile Ws) je NE ane Heribert-Nilsson, N.: Die Variabilität der ERS Lamarckiana ‘ und das Problem der Mutation. (Mit Tafel 3—5) .... . . 89231 Die »Zeitschrift fur induktive Abstammungs- und Vererbungslehre« erscheint in zwang- losen Heften, von denen vier bis fünf einen Band von 25 Druckbogen bilden. Der Preis — des Bandes beträgt 20 Mark. Manuskripte, zur Besprechung bestimmte Bücher und Sa sowie alle auf die _ Redaktion bezüglichen Anfragen und Mitteilungen sind an Prof. Dr, E. Baur, Friedrichs- hagen bei Berlin, zu senden; alle geschäftlichen Mitteilungen an die Verlagsbuehhandlung: | Gebrüder Borntraeger in Berlin W 35, Schöneberger Ufer 12a. A Die Mitarbeiter erhalten für Originalabhandlungen und: Kleinere Mitteilungen ein Bogenhonorar von 32 M., für Referate 48 M., für Literaturlisten 64 M. Bei Original- abhandlungen von mehr als vier Druckbogen Umfang wird nur für die ersten vier Bogen Honorar gezahlt. don Außergewöhnlich hohe Korrekturkosten, die durch unleserliche Manuskripte oder größere nachträgliche Änderungen am Texte verursacht sind, werden vom Honorar in Abzug gebracht. : } } ud | Die Abhandlungen und Kleineren Mitteilungen können in deutscher, — englischer, _ französischer oder italienischer Sprache verfaßt sein. Referiert wird im wesentlichen in = deutscher Sprache. ; Von den Abhandlungen werden den Autoren 50 Separata ohne besonderen Titel auf x dem Umschlag gratis geliefert, von den ,,Kleineren Mitteilungen“ gelangen nur auf besondere, : rechtzeitige Bestellung 50 Gratis-Separata zur Anfertigung. — Werden weitere Sonderabziige gewünscht, so ist die Anzahl rechtzeitig, spätestens bei Rücksendung der ersten Korrektu zu bestellen. Die über 50 Exemplare hinaus gewünschte Anzahl der Separata wird mit 15 Pf. für jeden Druckbogen berechnet. Ein besonderer Titel auf dem Umschlag kostet 4 M. 50 Pf. Etwa gewünschte Änderungen der Paginierung werden besonders in Ans gebracht. Bei mehr als 50 Separata gelangt stets ohne besonderen Auftrag ein Umsch! mit besonderem Titel zur Verwendung. : ' Einseitig bedruckte Sonderabzüge der »Neuen Literatur« können von den Abonnen der Zeitschrift zum Preise von 2 M. pro Band im Buchhandel bezogen werden. BAND Vill HEFT 3 OKTOBER 1912 ZEITSCHRIFT INDUKTIVE ABSTAMMUNGS: VERERBUNGSLEHRE HERAUSGEGEBEN VON C. CORRENS (münster), V. HAECKER (raue), G. STEINMANN (sonn), R. v. WETTSTEIN (wien) REDIGIERT VON E. BAUR eatin) BERLIN VERLAG VON GEBRUDER BORNTRAEGER W 35 SCHÖNEBERGER UFER 12a 1912 Verlag von Gebriider Borntraeger in Berlin W 35 Einführung in die experimentelle Vererbungs- lehre von Professor Dr. phil. et med. Erwin Baur. Mit 80 Textfiguren und 9 farbigen Tafeln. Geheftet 8 M. 50 Pt. gebunden in Ganzleinen 10 M. In den letzten Jahren hat sich die Vererbungslehre in ganz erstaunlicher Weise entwickelt. Dank der experimentellen Arbeit, die auf diesem Gebiete in größtem Umfange eingesetzt hat, haben wenige Jahre einen größeren Fortschritt gebracht \ als vorher Jahrhunderte. Wohl nur sehr wenige Biologen waren und sind imstande, diese Literatur zu verfolgen; die neue Wissenschaft ist vielen Zoologen und Botanikern über den Kopf gewachsen. Die Herausgabe eines Lehrbuches der experimentellen Ver- erbungslehre, das jedem einigermaßen naturwissenschaftlich vor- gebildeten Leser verständlich ist, erschien deshalb als eine dank- bare zeitgemäße Aufgabe. Besondere Berücksichtigung erfuhr die illustrative Aus- stattung des Buches. Die neun farbigen Tafeln sind sämtlich, die zahlreichen Textfiguren zum allergrößten Teile Originale. Im Verhältnis zu dem Gebotenen ist der Preis ein außer- ordentlich mäßiger und darauf berechnet, daß das Werk großen Absatz findet. 4 2 a Ausführliche Prospekte kostenfrei Rs a Sng Vererbungswissenschaftliche Miszellen. Von Arnold Lang, Zürich. Mit 6 Fig. im Text. Inhaltsverzeichnis. i, Seite I. Erklärungsversuche des Gynandromorphismus ...... u OR ER, II. Parthenogenesis oder Selbstbefruchtung bei Tachea .......4.+ . . 249 KREuGhramosomen- und Haktorentheorie - . . or. e ao Bo 0 «8s nalen 251 IV. Scheinbare Ausnahmen von der Dominanzregel bei Färbungs- und Zeichnungs- varietäten der Hain- und Gartenschnecken ......... Snips Se} V. Kreuzung spezifischer Banderungen von Helix (Tachea) EN und H. nemoralis. Mit einem Exkurs auf das Kaulhuhn ......... . 261 VI. Querbänderung als Kreuzungsnovum bei T. nemoralis. . . . 00,207 VII. Präparator ALFRED NAGELI’s Zuchten kurzschwänziger und er INERT ES ee (AB AAN eo N er ZUR BRIEETEITTDDERZEICHTIESEE ee ee 2.000, 282 I. Erklärungsversuche des Gynandromorphismus. Die rätselhafte Erscheinung des Gynandromorphismus, der Vermischung männlicher und weiblicher Merkmale, sei es bloß primärer, oder bloß sekundärer oder beider zugleich, die am häufigsten bei In- sekten beobachtet wird, tritt in einer, man möchte fast sagen schranken- losen Mannigfaltigkeit auf. Am häufigsten, aber durchaus nicht aus- schließlich, beobachtet man sie, wie namentlich die ausgedehnten STANDFUSS’schen Erfahrungen lehren, bei Nachkommen aus hybriden Kreuzungen von Arten oder geographischen Varietäten. Folgende Fälle stellen wohl Extreme dar. ı. Der Fall vollständiger rechts- und linkshälftiger Asymmetrie der vollständig normal ausgebildeten primären und sekundären Geschlechtsmerkmale in dem Sinne, daß die eine seit- liche Körperhälfte vollkommen normal männlich, die andere vollkommen normal weiblich ausgebildet ist. Dazu kann noch bei einem solchen halbseitigen Gynandromorphen, wenn er eine hybride Form ist, die streng gesonderte Verteilung der (nicht sexuellen) Elternmerkmale auf die beiden sexuell differenten Körperhälften kommen. 2. Der Fall, Induktive Abstammungs- und Vererbungslehre. VIII. 16 LIBRARY NEW YORI BOTANKA! GARDEN, 234 Lang. daß die primären und sekundären Merkmale beider Geschlechter mo- saikartig, aber mehr oder minder symmetrisch auf beide seitlichen Körperhälften verteilt sind. Soviel mir bekannt, ist noch keiner dieser extremen Fälle vollständig rein ausgebildet bekannt geworden. Da- gegen verzeichnet die Literatur Zwischenstufen des Gynandro- morphismus in größter Mannigfaltigkeit. Besonderes Interesse erwecken die BRAKE-GOLDSCHMIDT’schen weiblichen Gynandromorphen aus der Kreuzung von Lymantria dispar Q x japonica CG, welche allem Anscheine nach ein „normales Kreuzungsnovum“ darstellen. Es handelt sich in erster Linie um hybride Weibchen mit rein weiblichen Gonaden. „Die sämtlichen sekundären Geschlechtscharaktere aber schwanken von einem nahezu rein männlichen bis zu einem überwiegend weiblichen Zustand mit merkwürdiger Mischung und häufiger Mosaikausbildung der Charaktere.“ Am meisten nähert sich dem erstgenannten Extrem eines scharf halbseitigen Gynandromorphen und halbseitigen Hybriden der be- rühmte Fall des TOYAMA’schen hybriden Seidenspinner-Gynan- dromorphen. Im Frühjahr 1901 traten in TOYAMA’s Kreuzungs- zuchten von Seidenspinnern unter den hybriden Raupen aus der Kreuzung eines europäischen „Zebra“-Stammes © mit dem gefleckt- weißen (fast einfarbig erscheinenden) japanischen Stamme d zwei Raupen auf, deren linke Körperseite, scharf in der Medianlinie von der rechten getrennt, die charakteristische, quergebänderte „Zebra“- zeichnung der Raupen des mütterlichen Stammes und deren rechte Körperseite ebenso rein die charakteristische Färbung und Zeichnung der Raupen des väterlichen aufwies. Aus einer der beiden Raupen gelang es, den Schmetterling zu ziehen. Dieser zeigte männliche An- tennen und männliche Triebe. Genauere Untersuchung ergab jedoch auch hier eine verschiedene Ausbildung der beiden Körperseiten. TOYAMA untersuchte genau den äußeren Kopulationsapparat und konstatierte, daß die linke Seite weiblich, die rechte männlich ausgebildet war. Es muß nun hier ausdrücklich hervorgehoben werden, daß TOYAMA die Gonaden nicht untersucht hat, so daß es wohl wahrscheinlich, aber keineswegs sicher ist, daß die linke Körperseite ein Ovarium und die rechte einen Hoden beherbergte. Wir müssen ferner mitteilen, daß es sich bei der von TOYAMA vorgenommenen Kreuzung um einen ein- fachen Mendelschen Fall von Monohybridismus handelt, wobei die Zebra- bänderung das dominante Merkmal ist. Die bekanntesten zytologischen Erklärungsversuche des Gynandro- morphismus, diejenigen von BOVERI und MORGAN, fassen den halb- Vererbungswissenschaftliche Miszellen. 235 seitigen Gynandromorphismus in erster Linie ins Auge. MORGAN benutzt speziell den TOYAMA’schen gynandromorphen Seidenspinner als Prüf- stein seines Erklärungsversuches, BOVERI denkt zunächst an den Gynandromorphismus der Bienen. Nachdem BOVERI schon 1888 die Grundidee seiner Erklärungsversuche ausgesprochen, formulierte er sie 1902 in folgender Weise: „Ist eine Biene rechts als Drohne, links als Arbeiterin gebaut, so hat sich die rechte Hälfte wie ein parthenogene- tisches, die linke wie ein befruchtetes Ei entwickelt, die rechte also wie ein Ei, das nur mütterliche, die linke wie eines, das beiderlei Chromo- somen besitzt. Auf Grund dieser Betrachtung und nachdem nach- gewiesen werden konnte, daß im Seeigelei durch ungleichen Chromatin- bestand verschiedener Eibereiche Asymmetrien bestimmter Art hervor- gerufen werden, ist der Schluß fast unabweisbar, daß auch die Ursache der in mosaikartiger Zusammenfügung männlicher und weiblicher Bereiche bestehenden Insekten-Asymmetrien in Verschiedenheiten der Kerne zu suchen ist. Und zwar dürfte für den erwähnten Fall rein sym- metrischer Zwitterbildung nicht an Dispermie zu denken sein, sondern an eine andere abnorme Chromatinverteilung, wie ich sie früher bei See- igeleiern gefunden habe, wo die eine '%-Blastomere nur mütterliche, die andere mütterliche und väterliche Chromosomen gemischt enthält, also genau das, was, wenn die Ursache im Chromatin liegt, für die Zwitterbienen vorausgesetzt werden muß. Durch die eigentümlichen Verhältnisse der Bienenentwicklung ist das Eintreten dieser Abnormität offenbar sehr begünstigt, indem es möglich erscheint, daß der Eikern sich schon vor der Kopulation mit dem Spermakern, auf Grund seiner parthenogenetischen Fähigkeiten, teilt und der Spermakern erst mit einem der Furchungskerne verschmilzt. Diese Verschmelzung könnte sogar auf noch spätere Furchungsstadien verschoben sein und Poly- spermie — bekanntlich bei Bienen vorkommend — könnte bewirken, daß mit einzelnen Abkömmlingen des Eikerns Spermakerne kopulieren, mit andern nicht. So würden die mannigfaltigsten Mischungen männ- licher und weiblicher Charaktere entstehen können, wie sie in der Tat beobachtet worden sind.“ Später, 1907, hält es BOVERI für möglich, daß schon die Verschleppung eines einzigen Chromosoms des Eikerns vor der Befruchtung mit dem Spermakern zur Entstehung eines gynan- dromorphen Individuums führen könnte. Der BOVERT’sche Erklärungsversuch (Fig. A) geht also von der An- nahme aus, daß bei der Befruchtung der (haploide) Spermakern nicht rechtzeitig zur Vereinigung mit dem (haploiden) Eikern gelangt, so daß es nicht zur Bildung eines (diploiden) Befruchtungskernes (Synkaryon) 16* 236 Lang. kommt. Der miitterliche Eikern mag sich teilen und es mag sich der Spermakern mit dem einen (haploiden) Tochterkern des Eikerns ver- einigen, wahrend der andere unbefruchtet bleibt. Wenn wir uns nun erinnern, daß bei den akuleaten Hymenopteren die Männchen aus den unbefruchteten Eiern (mit reduzierter, haploider Chromosomenzahl) hervorgehen und die haploide Chromosomenzahl führen, die Weibchen hingegen aus den befruchteten Eiern entstehen und mit einer vollen doppelten Chromosomengarnitur ausgerüstet sind, so müßte bei den- jenigen Tieren, bei denen die Geschlechtsverhältnisse cytologisch so liegen, wie bei den Bienen, das ganze Zellenmaterial des neuen Indi- viduums, dessen Kerne aus dem diploiden Furchungskern hervorgehen, weiblichen Charakter erhalten, während diejenigen Teile, deren Zell- Fig. A. Schema zur Veranschaulichung des Boveri’schen Erklärungsversuchs. Die väterlichen Chromosomen schwarz, die mütterlichen querschraffiert dargestellt. ı. Eindringen des Spermiums in das Ei, das sich zur Teilung anschickt. 3. Teilung vollendet. Der haploide Spermakern verschmilzt mit dem haploiden Kern des einen der beiden ersten Blastomeren. M—M, die erste Furchungsebene, von der angenommen wird, daß sie der späteren Medianebene entspricht. kerne vom haploiden Furchungskern abstammen, männlichen Ge- schlechtes werden müßten. Für den Fall, daß die erste Teilungsebene M—M, diejenige, welche die beiden ersten Blastomeren voneinander trennt, mit der späteren Symmetrieebene des Körpers zusammenfällt, so muß die linke Körperseite weiblich werden, wenn das erste linke Blastomer den befruchteten diploiden Kern besaß und die rechte Körper- seite männlich, wenn der haploide Kern der ersten rechten Furchungs- kugel unbefruchtet blieb. Angenommen, es handle sich um eine mono- hybride Kreuzung wie bei TOYAMA’s gynandromorphem Seidenspinner, und angenommen, die mütterliche Form besitze das dominante Merkmal im homozygotischen Zustande, während es der väterlichen rezessiven Form fehle, dann müßten beide Körperhälften, da beide (vgl. die schematischen Figuren) den das dominante Merkmal führenden Vererbungswissenschaftliche Miszellen. 237 miitterlichen Chromosomensatz besitzen, dominantmerkmalig werden, also bei der genannten Kreuzung Zebrabänderung aufweisen. Ist aber die Mutter mit Bezug auf das dominante Merkmal hetero- zygotisch, dann bildet sie zweierlei Eier in durchschnittlich gleich großer Zahl, Eier mit dem Gen des dominanten Merkmals und solche ohne dieses Gen. Es ist leicht einzusehen, daß in diesem letzteren Falle beide Körperhälften rezessivmerkmalig werden müßten. Die BOVERT’sche Annahme reicht also, was schon MORGAN erkannt hat, in keinem der beiden möglichen Fälle zur Erklärung des TOYAMA’schen Gynandromorphen aus. Damit ist natürlich nicht gesagt, daß nicht andere Formen des halbseitigen Gynandromorphismus in der von BOVERI vermuteten Weise entstehen können. Es ist ja möglich, sogar By! Fig. B. wahrscheinlich, daß der Gynandromorphismus in seiner bunten Mannig- faltigkeit auf sehr verschiedene Weise zustande kommen kann und diese Zeilen bezwecken gerade, hierauf aufmerksam zu machen. Um den TOYAMA’schen halbseitigen Gynandromorphen zu erklären, dessen linke, weibliche Hälfte dominantmerkmalig, dessen rechte, männ- liche hingegen rezessivmerkmalig ist, hat MORGAN (1905) auf folgende Möglichkeit hingewiesen (Fig. B). Wenn zwei oder mehr Spermien in das Ei eindringen, wobei nur eines mit dem weiblichen Vorkern zu einem diploiden Synkaryon konjugiert, der haploide Kern eines zweiten Spermiums aber sich ohne zu konjugieren forterhält und als Furchungs- kern aufführt, dann muß, immer unter der Annahme, daß der eine Furchungskern die Kerne der einen, der zweite Furchungskern die der andern Körperhälfte liefert, und der linke Furchungskern der konju- gierte diploide ist, die linke Körperhälfte weiblich werden und das dominante Merkmal der Mutter (die Zebrastreifung) aufweisen. Die andere Körperhälfte hingegen, deren Kerne alle haploid sind und von einem väterlichen Spermakern abstammen, muß männlich sein und 238 Lang. das rezessive Merkmal (Fehlen der Zebrastreifung) der väterlichen Form aufweisen. Die bis jetzt erwähnten Erklärungsversuche können zunächst nur Gültigkeit haben für Tiere, bei denen die Männchen aus unbefruchteten, haploiden Eiern hervorgehen. Als Norm ist dieser Fall aber nur bei den akuleaten Hymenopteren bekannt. MORGAN hat nun noch (1905 bis 1909) alternative Erklärungsversuche angestellt, welche für die- jenigen Tiere Gültigkeit haben könnten, welche männliche und weib- liche Spermien bilden, die also nach WILSON’s Terminologie männlich digametisch sind oder bei denen nach HÄCKER’s Terminologie das Geschlecht arrhenoprogam bestimmt ist. Ein dem TOYAMA’schen entsprechender Fall von Gynandromorphismus könnte dann dadurch zustande kommen, daß bei Di- oder Polyspermie ein weibchenerzeugen- des Spermium (mit X-Chromosoma) den Eikern, der zum Kern der linken Furchungskugel würde, befruchten würde, während ein männ- licher Spermakern die Rolle eines rechten Furchungskernes übernähme. In seiner letzten Schrift hat MORGAN diese Deutung dahin modifiziert, daß vielleicht beide Sorten von Spermien, wenn sie sich ohne Mitbe- teiligung des Eichromatins als Furchungskerne aufführen, männliche Eigenschaften hervorbringen. Er neigt nun zu der Annahme, daß die männlichen Teile eines Gynandromorphen aus einem weibchen- erzeugenden haploiden Spermakern hervorgehen, welcher gleich dem weiblichen Vorkern ein X-Chromosoma besitzt, während ja den männchenerzeugenden Spermien ein X-Chromosoma fehlt. Man stelle sich, um dies zu verstehen, vor, daß in der Figur B der rechtsseitige Spermakern durch einen weiblichen, entsprechend demjenigen der Figur C, ersetzt sei. Es würden so die bekannten Verhältnisse zustande kommen, daß in den somatischen Zellen und den Spermatogonien der Männchen oder männlichen Teile nur 1 X-Chromosoma, in den so- matischen Zellen und Oogonien der Weibchen oder weiblicher Körper- bezirke von Gynandromorphen 2 X-Chromosomen vorkommen. Ob nun die MORGAN’schen Annahmen einige Wahrscheinlichkeit für sich haben und ob sie überhaupt zulässig sind, will ich dahingestellt sein lassen. Es muß jedenfalls die Schwierigkeit hervorgehoben werden, daß sich die männliche Körperhälfte der Gynandromorphen von den normalen Männchen (abgesehen von den Männchen der Hymenopteren), welche in ihren Zellen mit Ausnahme des unpaaren X-Chromosoma eine Doppelgarnitur von Chromosomen führen, nach der MORGAN’schen An- nahme durch einen einfachen Chromosomensatz unterscheiden würden. Ich vermag auch nicht einzusehen, wie die MORGAN’schen Annahmen Vererbungswissenschaftliche Miszellen. 239 irgendeinen Fall von Mosaik-Gynandromorphismus zu erklären ver- möchten, wo die geschlechtlich gegensätzlichen Teile erst sehr spät in der Ontogenie auftreten, zu einer Zeit, wo Spermakerne unmöglich noch eine Rolle spielen können. Man könnte sich nun die Vorgänge, welche zur Bildung halb- seitiger Gynandromorphen führen, in folgender Weise vorstellen. (Viel- leicht hat MORGAN selbst schon diesen Gedanken erwogen.) Ein Ei mit haploidem Kern fängt an sich in parthenogenetischer Weise zu ent- wickeln, wird aber noch, nur etwas verspätet, befruchtet. Jeder der beiden ersten haploiden Furchungskerne wird befruchtet, nehmen wir an, der linksseitige von einem weiblichen, der rechtsseitige von einem männlichen Spermium (Fig. C). Dann liefert das linke ®2 Mm Fig. C. Das große Chromosoma in den Kernen ist das Geschlechts- oder X-Chromosoma. In beiden Figuren ist der linke Spermakern ein weiblicher (mit X-Chromosoma) der rechte ein männlicher (ohne X Chromosoma). Blastomer eine linke weibliche, das rechte Blastomer eine rechte männ- liche Körperhälfte. Beide Hälften führen die diploide Chromosomenzahl, abgesehen davon, daß in den Zellen der männlichen Körperhälfte nur ein X-Chromosoma vorkommt. Aber der Fall des TOYAMA’schen Gynan- dromorphen, bei welchem die linke weibliche Hälfte dominantmerkmalig, die rechte männliche rezessivmerkmalig ist, läßt sich in dieser Weise nicht erklären. Denn wenn auch angenommen wird, wozu die Berech- tigung nicht vorliegt, daß die dominantmerkmalige Mutter hetero- zygotisch war und dominant-, wie rezessivmerkmalige Eier lieferte, so mußten beim Gynandromorphen doch beide Körperhälften mit Bezug auf das Rassenmerkmal übereinstimmend ausfallen, entweder beidseitig dominantmerkmalig oder beidseitig rezessivmerkmalig werden. Man müßte dann geradezu annehmen, daß der Gynandromorphe als Zwillingsbildung aus einem Doppelei oder einem Eipaar hervor- gegangen sei, wobei das die linke Körperhälfte bildende Ei dominant- 240 Lang. merkmalig war und von einem weiblichen Spermium befruchtet wurde, während das rechte Ei rezessivmerkmalig war und von einem männ- lichen Spermium befruchtet wurde. Theoretische Erörterungen zur Frage der Bedingungen des Gynan- dromorphismus hat in neuester Zeit (I9IO, IgII) auch DE MEIJERE an- gestellt. Dieser Gelehrte geht von der Annahme aus, daß jedes Indivi- duum, ob Männchen oder Weibchen, die Merkmale beider Geschlechter in sich schließt, und zwar gelte dies sowohl für die Gameten wie für die Körperzellen und für alle Stadien der Entwicklung. Diese alte Idee ist eine Zeitlang ziemlich allgemein aufgegeben gewesen zugunsten der Mendelschen Auffassung, daß sich Männchen und Weibchen nur dadurch unterscheiden, daß ein und derselbe Geschlechtsfaktor bei dem einen Geschlecht homozygotisch, bei dem andern hetero- zygotisch vorkommt. Die DARWIN’sche Auffassung, daß bei beiden Geschlechtern beide Faktoren nicht nur für beiderlei sekundäre Ge- schlechtscharaktere, sondern auch für beiderlei primäre Sexual- merkmale vorkommen, hat kürzlich auch GOLDSCHMIDT mit großem Geschick und sehr wirkungsvoll neubegründet. Auch ich glaube, daß sie nicht zu umgehen ist. Nach MEIJERE ist in jedem Individuum eines getrennt geschlecht- lichen Tieres ein vollständiger Determinantenkomplex eines bestimmten Individuums des andern Geschlechtes vorhanden. Normalerweise bleibt der eine Komplex in toto latent. Die Ursache, welche den einen oder andern Komplex aktiviert, ist unbekannt. Durch irgendwelche Ur- sachen mögen früher oder später viele oder wenige gewöhnlich latente Merkmale des andern Geschlechtes zum Teil in aktiven Zustand ver- setzt werden. Den Mosaikgynandromorphismus, der bisweilen fast symmetrisch werden kann, führt DE MEIJERE darauf zurück, „daß die Aktivierung des andern Geschlechts verhältnismäßig spät auftritt, wenn schon alle Teile ihre definitive Lage bekommen haben; manche Teile mögen dann für die Umwandlung zu alt geworden sein, andere nicht, aber dann ist auch beiderseits in gleichem Maße die Umwandlung möglich und findet auch statt“. Der andere extreme Fall, nämlich derjenige der halbierten Gynandromorphen dagegen ist nach MEIJERE vielleicht darauf zurückzuführen, „daß hier die Entscheidung des definitiven Zustandes ganz am Anfang der Embryonalentwicklung, so vielleicht bei der ersten Furchungsteilung, stattgefunden hat“. Der Gynandro- morphismus braucht also nach DE MEIJERE keineswegs durch irgend- welche Vorgänge bei der Befruchtung, z. B. Kreuzungsbefruchtung, bedingt zu sein. Das zeigen die Erscheinungen des Gynandromorphis- Vererbungswissenschaftliche Miszellen. 24I mus bei Anthrenen, die als Larven stylopisiert wurden (PEREZ), und das beweist nicht minder deutlich der Umstand, daß, wie PANTEL und DE SINETY bei Phasmiden nachgewiesen haben, auch unter parthenogenetisch entstandenen Individuen öfters gynandromorphe auftreten. Zur Erklärung des Kreuzungs-Gynandromorphismus, welcher als regelmäßige, man möchte sagen, normale Erscheinung bei den Hy- briden aus bestimmten Kreuzungen von Lymantria dispar und japonica auftritt, verwendet GOLDSCHMIDT den Potenzbegriff. Wie schon erwähnt, nimmt auch er an, daß in beiden Geschlechtern die Faktoren für die männlichen (A) und weiblichen (G) sekundären Geschlechts- merkmale und wohl auch für die primären männlichen (M) und weib- lichen (F) Geschlechtsmerkmale (Gonaden) enthalten sind. Die fixe Korrelation zwischen primären und sekundären Geschlechtsmerkmalen wird in Verfolgung der neuen Ideen von WILSON, GULICK, MORGAN, GOLDSCHMIDT selbst u. a. durch die Annahme (das Ei des Columbus!) in der denkbar einfachsten und plausibelsten Weise erklärt, daß die primären und sekundären Geschlechtsmerkmale eines und desselben Geschlechtes, also A und M einerseits und G und F anderseits in einem und demselben Chromosom enthalten sind, und demnach wie ein Faktor vererbt werden. Die Chromosomen, welche A und M ent- halten, mögen W-Chromosomen heißen und diejenigen, welche G und F enthalten, x-Chromosomen. Dann sind bei Lymantria nach GOLD- SCHMIDT die GF-Faktoren (mit ihrem X-Chromosoma) in beiden Ge- schlechtern homozygotisch, der MA-Faktor (im W-Chromosoma) hin- gegen im Q-Geschlecht heterozygotisch vorhanden. Die Erbformeln für die beiden Geschlechter würden lauten: für das weibliche Geschlecht x x W w FFMmGGAa oder besser en) (aa) (aa) fas fiir das mannliche Geschlecht | X\ (/X\ (W)\ (WwW FFMMGGAA oder besser Ge) > 5 9 Gr N: Das Weibchen bildet die Gameten FMGA und FmGa oder besser (FG) (MA) und (FG) (ma). Sowohl die Faktoren F und M als die Faktoren G und A stehen nun zueinander in einem epistatischen Verhältnis derart, daß die männlichen das Übergewicht über die weiblichen haben, aber nicht so stark, daß nicht zwei FF über ein M und zwei GG über ein A siegen würden. Alle diese Faktoren haben eine bestimmte relative und absolute Potenz 242 Lang. oder Wertigkeit. Doch ist diese Potenz keine fixe Größe. Sie kann zunehmen und abnehmen. Fortgesetzte Inzucht z. B. schwächt in zu- nehmendem Maße die Potenz. Wir haben erfahren, daß zwei GG ein A und zwei FF ein M schlagen, was in der Formel für das Weibchen: FFMmGGAa zum Ausdruck kommt. Wenn nun irgendwelche Ursachen, z.B. die Inzucht, die Potenz der Faktoren herabsetzt, und zwar die- jenige der Faktoren G stärker als diejenige der Faktoren A, so kommt schließlich ein Zustand, in welchem GG nicht mehr deutlich epistatisch über A ist. GG und A beginnen jetzt sich das Gleichgewicht zu halten; die Weibchen FFMmGGAa fangen jetzt an gynandromorph zu werden und der männliche Charakter der sekundären Sexualmerkmale tritt bei den Weibchen in dem Maße immer stärker in den Vordergrund, als die Schwächung zunimmt. In der Tat ist in BRAKE’s reinen Kulturen von L. japonica durch lange fortgesetzte Inzucht Gynandromorphismus der Weibchen, und zwar in steigendem Maße, hervorgerufen worden. Wir haben hier nur eines der BRAKE-GOLDSCHMIDT’schen Versuchs- resultate erwähnt und seine Interpretation nur gerade so eingehend, als für das Verständnis des GOLDSCHMIDT’schen Erklärungsprinzips des Gynandromorphismus absolut nötig ist. GOLDSCHMIDT verwendet das nämliche Erklärungsprinzip in geistreicher, wenn auch nicht ganz liquider Weise zur Erklärung des gesetzmäßigen Auftretens von Gynandromorphismus bei bestimmten Kreuzungen von L. dispar und L. japonica, wobei er die Annahme macht, daß die Faktoren F, M, G, A bei japonica in bestimmtem Maße höher potenziert sind als bei dispar. Es scheint mir nun, daß für viele Fälle von, sagen wir spora- dischem Gynandromorphismus, die meist einen mehr oder minder patho- logischen Charakter besitzen, ein anderer Erklärungsversuch geprüft zu werden verdient, an den schon DE MEIJERE gedacht hat, um ihn freilich sofort abzulehnen. Dieser Erklärungsversuch wird durch die mit ver- stärkten Argumenten jetzt wieder ganz in den Vordergrund tretende Lehre von der Lokalisation der Erbfaktoren in den als Vererbungsträger gedeuteten Chromosomen und speziell durch die Lehre von den Ge- schlechtschromosomen nahegelegt und hat die Richtigkeit dieser Lehre zur Voraussetzung. Er wird durch die folgende Fragestellung — denn etwas anderes soll er nicht sein — charakterisiert: Können nicht vielleicht gewisse Fälle von sporadischem Gynandromor- phismus als Folgeerscheinungen somatischer Mutationen aufgefaßt werden? Wir verstehen dabei unter somatischen Muta- tionen etwas Ähnliches, wie die von Botanikern vielfach beobachteten vegetativen oder Knospenutationen. Vom Standpunkte der Vererbungswissenschaftliche Miszellen. 243 Chromosomentheorie bedeutet eine Verlustmutation (fast alle bis jetzt einigermaBen sicher als solche erkannten Mutationen sind Verlust- mutationen, regressive Mutationen) den Ausfall von Chromosomen oder das Verschwinden von Chromosomenelementen, eine Gewinn- oder pro- gressive Mutation (DE VRIES) dagegen das Auftreten neuer, qualitativ verschiedener Elemente in schon vorhandenen oder neu erscheinenden Chromosomen. Von vornherein ist zu erwarten, daß solche soma- tischen Mutationen, die sich in Körperzellen ereignen, unter nor- malen Verhältnissen nicht viel häufiger sein werden als die Keimes- variationen. Sie werden auch häufig unbeachtet bleiben, weil ihre Folgen eventuell nur an ganz beschränkten Körperstellen sichtbar werden, oder weil sie überhaupt keine äußerlich sichtbaren Folgen haben. Dieses letztere wird dann der Fall sein, wenn der Verlust Ele- mente (Determinanten, Gene) betrifft, die sowieso in den betreffenden Zellen oder in den von den mutierten Zellen abstammenden Zellgruppen, nicht in Aktivität getreten wären. Mutationen werden im allgemeinen entweder eine Zelle von einem homozygotischen Zustand in einen hetero- zygotischen überführen, durch Hinzufügung eines neuen unpaaren Elementes oder durch Schwund eines Elementes eines homologen Paares. Oder sie werden einen heterozygotischen Zustand homozygo- tisch machen, indem unpaare Elemente wegfallen oder unpaare sich zur Bildung von paarigen ergänzen. Die Überführung des homozy- gotischen in einen heterozygotischen Zustand wird in den Fällen der kompletten Dominanz der Faktoren äußerlich am Soma gar nicht bemerkbar sein. Seltener wird unter normalen Verhältnissen ein zweites Paar von Chromosomenelementen oder Chromosomen oder gar ein ganzer Komplex verloren gehen. Ein solcher Vorgang wird wohl im allgemeinen nur unter anormalen Bedingungen, wie sie beispiels- weise bei Befruchtung eines Eies durch artfremdes Sperma gegeben sind, stattfinden. Ich will den Versuch der Erklärung von Erscheinungen des Gynan- dromorphismus durch somatische Variation oder Alteration der Chromo- somengarnitur zunächst für den Fall des halbseitigen Gynandromor- phismus oder, was dasselbe sagen will, des halbseitigen Hermaphrodi- tismus an die zu Recht fortbestehenden BOVERI’schen, MORGAN’schen und DE MEIJERI’schen Erklärungsversuche anschließen. Die Formel des normal befruchteten Eies einer männlich digametischen Tierart (mit arrhenoprogamer Geschlechtsbestimmung), aus dem normaler- weise ein Weibchen hervorgeht, das also durch ein weibliches Spermium (MA)(FG) befruchtet wurde, lautet (MA)(MA)(FG)(FG). Es werden natür- 244 Lang. lich nur Gameten mit den in Klammer gesetzten Doppelfaktoren gebildet. Schematisch graphisch dargestellt, hat dann das Ei folgende Konstitution (nach der GOLDSCHMIDT’schen Formulierung): Q (MA) (MA) (FG) (FG) Wenn sich nun das befruchtete Ei teilt, unter gewöhnlicher mitoti- scher Langsspaltung der Chromosomen, so bekommt normalerweise jede der beiden Tochterzellen (jedes der beiden ersten Blastomeren) die nämliche Geschlechtschromosomengarnitur. Falls jedoch in dem rechten Blastomer ein (FG)-Chromosoma durch Verlustmutation verschwindet, so wird dieses Blastomer in den männlichen Zustand übergeführt, und zwar sowohl mit Bezug auf die primären, wie auf die sekundären Sexual- merkmale. Denn in diesem Falle, wenn die Männchen digametisch sind, ist G epistatisch über A, aber AA epistatisch über G. Die Verhält- nisse sind infolge dieser supponierten frühzeitigen Verlustmutation genau so, wie nach demjenigen oben, Seite 328, angeführten Er- klärungsversuch, nach welchem bei etwelcher Verspätung der Ver- einigung von Ei- und Spermakern von den unbefruchteten Kernen der beiden ersten Blastomeren der linke durch einen weiblichen, der rechte durch einen männlichen Kern befruchtet wurden. Die schematisch graphische Darstellung wäre die folgende: M | (MA) (MA) Links Rechts (FG) (fg) | M Angenommen ist natürlich auch hier, daß das weibliche Blastomer das ganze Zellenmaterial der linken Körperhälfte und die männliche Vererbungswissenschaftliche Miszellen. 245 mutierte Furchungskugel das gesamte Zellenmaterial der rechten K6rperhalfte liefert, daß also die erste Teilungsebene M—M der späteren Symmetrieebene des Körpers entspricht. Für die Erklärung des TOYAMA’schen monohybriden Gynandro- morphen bietet die Annahme der Blastomerenmutation die nämlichen Schwierigkeiten, wie die Annahme einer verspäteten Doppelbefruchtung durch ein weibliches und männliches Spermium, auch wenn die Mutter als mit Bezug auf das dominante Zeichnungsmerkmal heterozygotisch angenommen wird. Der Gynandromorphe müßte entweder beidseitig dominantmerkmalig oder beidseitig rezessivmerkmalig sein, wenn man nicht die äußerst unwahrscheinliche Annahme machen wollte, daß mit dem FG-Chromosoma des rechten Blastomers, d. h. mit den weib- lichen Geschlechtsbestimmern das in einem separaten Chromosoma liegende Gen für die Zebrazeichnung ausgefallen sei. Wenn nun mutative Alterationen durch Verlust von Geschlechts- chromosomen erst auf dem Vierblastomerenstadium eintreten würden, so würden daraus selbstverständlich andere Bilder des Gynandro- morphismus resultieren. Nach Analogie der ROUX’schen Abtötungs- versuche von Furchungskugeln auf dem Vierblastomerenstadium könnte man erwarten, daß wenn die beiden vorderen Blastomeren ein FG- Chromosoma verlieren, ein Gynandromorph entstehen würde, welcher vorn männlich und hinten weiblich wäre. Würde zuerst auf dem Zwei- blastomerenstadium das rechte Blastomer, sodann auf dem Vier- blastomerenstadium auch noch das linke vordere Blastomer ein FG- Chromosoma einbüßen, so würde ein Dreiviertelmännchen entstehen. An ein solches Dreiviertelmännchen erinnert z. B. einer der STAND- FUSS’schen Gynandromorphen von Aglia tau, dessen ganze rechte Körperhälfte und der linke Vorderflügel männlich, der linke Hinter- flügel weiblich war. Würde in der „Stammreihe‘‘ von dem befruch- teten Ei bis zur Urgeschlechtszelle in irgendeiner Generation ein Gonochromosomendefekt (nehmen wir wieder den Verlust eines FG- Chromosoma an) eintreten, so würden die Gonaden männlich werden und außerdem ein Bezirk des Soma, welcher der prospektiven Bedeutung der vom Zeitpunkte dieser Mutation an sich von der Stammreihe abspaltenden Ursomazellen entspricht. Wenn die Mutation erst eintreten würde, nachdem sich die Urgeschlechtszelle in zwei, eine rechte und eine linke getrennt hat und wenn die linke sie erleiden würde, so müßte die linke Gonade zu einem Hoden, die rechte zu einem Ovarium werden und im übrigen das ganze Soma männ- lichen Charakter annehmen. Es ist unnötig, weitere fiktive Beispiele an- 246 Lang. zuführen. Je später die Mutationen in der Ontogenie sich ereignen, um so enger begrenzt, aber selbstverstandlich immer der prospektiven” Be- deutung der mutierten Zellen entsprechend begrenzt, werden die fremd- geschlechtlichen Bezirke sem, um so deutlicher wird der Mosaikcharakter bei den Gynandromorphen hervortreten. A priori ist es wahrscheinlich, daß er sich über den ganzen Körper gleichmäßig ausbreiten wird, wie das in der Tat der Fall ist. Aber es ist ohne weiteres zuzugeben, daß die Annahme des Auftretens so zahlreicher Zellenmutationen in der Zellen-,, Population‘ eines weit vorgerückten Entwicklungsstadiums recht mißlich ist und auf ganz unsicherem Boden steht. Wenn man sich nach analogen Annahmen umsieht, wird man sich vielleicht der STANDFUSS’schen und DE VRIES’schen Mutationsepidemien er- innern. Die Mutationen, deren Auftreten bei Zellen des sich entwickelnden Organismus nach der hier angedeuteten Idee die verschiedenen Formen des Gynandromorphismus hervorrufen könnte, stellen wir uns als vor- wiegend pathologische Veränderungen, Störungen der Gonochromo- somengarnitur vor. Über Alterationen des normalen Chromosomen- bestandes in den Zellen überhaupt besteht ja schon eine ausgedehnte Literatur. Ich erwähne hier nur, daß HÄCKER in einem zusammen- fassenden Artikel folgendes sagt: ,,Auch in den somatischen, insbesondere in den embryonalen und larvalen Geweben mancher Tiere sind wieder- holt wechselnde, insbesondere zu geringe (unterzählige) Chromosomen- zahlen beobachtet worden.“ Die meisten und konstantesten Störungen wurden in den Blastomeren und Zellen früher Entwicklungsstadien von Hybriden angetroffen und im großen und ganzen erwiesen sich die Störungen als um so ausgiebiger, je entfernter verwandt die gekreuzten elterlichen Formen waren. Das stimmt vollkommen mit der Art und Häufigkeit des Auftretens des Gynandromorphismus. Ist doch einer der erfahrensten Entomologen, STANDFUSS, geradezu geneigt, in dem häufigeren Auftreten von Gynandromorphen nach der Kreuzung ge- wisser Sippen — nach ihm handelt es sich fast immer um geographische Varietäten — ein Anzeichen dafür zu erblicken, daß diese Formen auf dem Punkte sind, sich spezifisch voneinander zu trennen. — In dem Augenblick, wo ich diese Zeilen schreibe, erhalte ich durch die Güte des Verfassers die schöne neue Arbeit von HANS KUPELWIESER „Weitere Untersuchungen über Entwicklungserregung durch stamm- fremde Spermien“. Die Hauptresultate, welche diejenigen früherer Autoren, unter denen wohl BALTZER an erster Stelle zu nennen ist, bestätigen, sind für unsere Auffassung so instruktiv, daß es genügt, sie Vererbungswissenschaftliche Miszellen. 247 nach dem Wortlaute der Zusammenfassung, die der Verfasser selbst gibt, anzufiihren. Es handelt sich um die Befruchtung von Eiern der Seeigel- gattung Echinus mit Spermien des Anneliden Audowinia. Die so be- fruchteten Eier entwickeln sich bis zur Blastula in gleichem Tempo wie die Normalkultur; dann tritt gleichzeitig mit einer Erkrankung, die sich in Ablagerung von Zellklumpen ins Innere der Larven äußert, eine Verzögerung ein. Trotzdem entwickeln sich die isolierten Blastulae durch- weg zu Plutei, wenn auch meist defekten. Diese Eier sind befruchtet, und zwar, soweit dipolare Teilungsfiguren entstehen, monosperm. Die cytologischen Begleiterscheinungen sind dieselben wie bei Normal- befruchtung. Der Spermakern entwickelt im Plasma die Sperma- strahlung. Die Kerne wandern aufeinander zu und verschmelzen in den meisten Fällen. Der Spermakern quillt im Laufe der Wanderung zu einem richtigen Keimbläschen auf. Bei der Auflösung des Furchungs- kerns in Chromosomen zerfällt das väterliche Chromatin nicht in Chromo- somen, sondern in formlose Klumpen, die in die ersten Blastomeren verteilt, in diesen auch noch am Aufbau der Kerne beteiligt sein können. In der Folge werden die Klumpen, wenn überhaupt, nur in sehr wenige Zellen des sich weiter entwickelnden Keimes mitgeschleppt, wo sie noch im 32-Zellstadium wiedergefunden werden können. Die Chromosomen- zahlen und die Kerngrößen beweisen auf das bestimmteste die Thely- karyose. Die Krankheitserscheinungen der Larven werden auf ungleich- mäßige Verteilung der mütterlichen Chromosomen in den ersten Spindeln zurückgeführt, die ihren Grund wahrscheinlich in den mechanischen Störungen haben, welche die väterlichen Chromatinklumpen in den Spindeln verursachen. Für meinen Zweck ist es nun vor allem wichtig zu betonen, daß, wenn wirklich die Chromosomen die Vererbungsträger sind und verschiedene Chromosomen wenigstens teilweise auch verschiedene Erbfaktoren oder verschiedene Gruppen von Genen enthalten, jede ,,ungleichmaBige Ver- teilung der mütterlichen Chromosomen“ für die Tochterzellen eine oder mehrere Mutationen bedeutet. Geht beispielsweise ein groß- mütterliches Chromosoma in toto oder mit beiden Spalthälften von der Mutterzelle A auf die Tochterzelle B über, so bedeutet dies für die Tochter- zelle B unter Umständen eine Gewinnmutation, für die Tochterzelle € unter allen Umständen eine Verlustmutation usw. Es drängen sich nun noch folgende weitere Überlegungen, wie mir scheint mit zwingender Notwendigkeit auf. Wenn Unordnung in der Chromosomengarnitur und Störung der Teilungserscheinungen zur Erkrankung, zu Mißbildung und zum häufigen 248 Lang. Absterben der Hybriden auf früheren oder späteren Entwicklungsstadien führt, so werden in erster Linie die ‚„Betriebsstörungen“ im Auto- somenkomplex, viel weniger oder gar nicht diejenigen im Ge- schlechtschromosomenkomplex dafür verantwortlich zu machen sein. Die Geschlechtschromosomen treten ja im allgemeinen erst auf relativ späten Entwicklungsstadien in volle Aktion, zur Bildung der sekundären Geschlechtsmerkmale am fast erwachsenen Tier, für die primären allerdings früher. Aber die Urgeschlechtszellen bleiben doch auch sehr lange inaktiv und vermehren sich anfänglich nur wenig. Für den sich entwickelnden Organismus bilden sie einen geringen Ballast. Es ist deshalb bis zu einem gewissen Grade verständlich, daß ein Keim mit geordneten Autosomenverhältnissen, aber ungeordneten oder mutierten Geschlechtschromosomenverhältnissen sich bis zu sehr vorgerückten Stadien entwickeln kann und daß erst dann die besondere Form der Un- ordnung in einer besonderen Form des Gynandromorphismus in die Erscheinung tritt und eventuell das erwachsene Tier fortpflanzungs- unfähig macht. Man wird auch erwarten, daß, je schwieriger es ist, Hybride großzuziehen, um so häufiger — relativ häufiger — unter denjenigen, die das Wachstum vollendeten, Gynandromorphismus auf- tritt. Das scheint ja im großen und ganzen der Fall zu sein. Aber es bleibt immer die große Schwierigkeit der Erklärung des allgemeinen Mosaik- gynandromorphismus bestehen. Wir müssen doch annehmen, daß die Verteilung der Geschlechtschromosomen bei den Zellteilungen bis zu ganz späten Entwicklungsstadien normal verläuft und daß dann erst an zerstreut angeordneten Stellen des vorgerückten Embryos einzelne somatische Keimzellen oder Zellkomplexe mutieren, indem etwa Ge- schlechtschromosomen ganz oder teilweise eliminiert oder resorbiert werden, während in den übrigen somatischen Zellen solche Störungen unterbleiben. Vorkommnisse, die eine gewisse entfernte Ähnlichkeit mit den hier hypothetisch postulierten haben, sind bei der Entwicklung von Eiern nach erfolgter Befruchtung mit artfremdem Sperma namentlich von BALTZER und KUPELWIESER beobachtet und beschrieben worden. Das väterliche Chromatin bleibt in den Zellen der verschiedenen auf- einanderfolgenden Zellgenerationen der sich entwickelnden Larve je nach den verschiedenen Kreuzungskombinationen sehr verschieden lang erhalten. Bald wird es schon auf den allerersten Furchungsstadien ganz oder teilweise resorbiert, bald ist es ganz oder teilweise noch in den Zellen vorgerückter Larven nachweisbar. Und meist erfolgt seine partielle oder totale Degeneration oder Elimination nicht gleichzeitig bei allen Zellen eines Entwicklungsstadiums. Oft auch bleibt es, Vererbungswissenschaftliche Miszellen. 249 wenigstens wahrend einer kiirzeren oder langeren Entwicklungsepoche aktiv und vermag seine spezifischen Vererbungsqualitäten zu entfalten, während es in anderen Fällen fast wie fremder Ballast mitgeschleppt wird, nur in wenige Zellen hineingerät, in denen es sich anfänglich noch am Aufbau des Kernes beteiligen kann, bis es schließlich ganz zugrunde geht. II. Parthenogenesis oder Selbstbefruchtung bei Tachea. In meiner letzten Abhandlung (Fortgesetzte Vererbungsstudien IQII S. 127 u. ff.) habe ich über das Auftreten einseitiger Bastarde von reinem mütterlichen Typus bei Kreuzungszuchten von verschiedenen Arten des Subgenus Tachea berichtet. Die Deutung dieser Erscheinung, ob es sich um Selbstbefruchtung, oder normale, oder durch artfremdes Sperma induzierte Parthenogenese handelt, mußte unentschieden bleiben. Am wahrscheinlichsten schien es mir, daß induzierte Partheno- genese vorliegt. Inzwischen hatte Herr Dr. FRIEDR. BALTZER die Güte, solche ein- seitige Tachea-Bastarde zytologisch zu untersuchen, namentlich den einseitigen hortensis-Bastard aus der Kreuzung von hortensis x austriaca des Versuches E, S. 133 meiner früheren Publikation. Er gelangte zu folgenden Resultaten: „Der einseitige Bastard Tachea hortensis xT. austriaca zeigt annähernd genau die gleichen Chromosomenzahlen, wie sie KLEINERT (Jen. Zeitschr. Bd. 45, 1909) für 7: hortensis festgestellt hat. Es wurden in den Spermatogonien bis 46 (Tachea hortensis 48) in den Spermatocyten I. und II. Ordnung durchschnittlich 23 (Tachea hortensis 24) Elemente gezählt. Die Reifungsteilungen verlaufen in der bei Tachea hortensis beobachteten Weise. Unter der berechtigten An- nahme, daß auch Tachea austriaca dieselbe Chromosomenzahl besitzt, wie ihre nächsten Verwandten hortensis und nemoralis, geht aus dem Befund hervor, daß in den Kernen des Bastards neben den mütterlichen auch alle väterlichen Chromosomen vorhanden sind. Der Bastard enthält also, obgleich er nur mütterliche Charaktere zeigt, das gesamte väterliche Chromatin.‘‘ BALTZER äußert sich ferner dahin, daß mit der von mir diskutierten und nicht ganz auszuschließenden Möglichkeit, wonach es sich um Selbstbefruchtung handeln könnte, die hier mit- geteilten Chromosomenzellen sehr gut vereinbar wären. Nun ist Jw. BURESCH (IgII) in einer sehr interessanten Unter- suchung über die Differenzierung der Keimzellen bei Helix arbustorum auf Grund höchst bemerkenswerter morphologisch-zytologischer Befunde Induktive Abstammungs- und Vererbungslehre, VIIT, 17 250 Lang. zu der Überzeugung gekommen, daß bei den Stylommatophoren, bei denen, wie bei Helix und Arion, eine Selbstbegattung nicht statt- finden kann, auch eine Selbstbefruchtung unmöglich ist. Im Gegensatz aber zu BURESCH’s Ansicht hat KARL KÜNKEL tat- sächlich in einwandfreier Weise durch Isolierzucht bewiesen und darüber in einem bemerkenswerten Vortrag in der 83. Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte ıgıı berichtet, daß bei Arion empiricorum und Limax cinereoniger Selbstbefruchtung vorkommt, und daß sich sogar diese Nacktschnecken ebenso leicht durch Selbst- befruchtung wie durch Fremdbefruchtung vermehren. Er hat den Übertritt von eigenem Sperma in das eigene Rezeptakulum fest- gestellt und nachgewiesen, daß es dort dieselben Veränderungen wie das bei der Kopulation übertragene fremde Sperma erfährt, die dieses be- fruchtungstauglich machen. Er hat auch am lebenden Ei beobachtet, daß sofort nach der Ablage desselben das erste und dann das zweite Richtungskörperchen ausgestoBen wird, daß also jedenfalls eine Re- duktionsteilung stattfindet. Ich selbst habe, wie ich schon in meiner letzten Abhandlung mitteilte, um die empirische Basis noch mehr zu erweitern, neuerdings eine größere Anzahl jungfräulicher Tacheen in Einzelklausur versetzt. In einem Falle nun, freilich nur in diesem einen, erhielt ich Nachkommenschaft. Ich will über die Anordnung und den Verlauf dieses Versuches berichten: Im Frühjahr 1907, bis zum Io. Juni, lebten in einem Zuchtbehälter drei Hortensisindividuen beisammen. Sie gehörten jenem bänderlosen Typus an, bei dem das Gehäuse an- fänglich gelb ist, auf dem letzten Umgang hingegen fahl violett bis violettbraun wird. Sie waren die Nachkommen einer I904 in Bures gesammelten hortensis des nämlichen Typus und alle drei 1904 geboren. Am 15. April war noch keines der drei Exemplare erwachsen. Am Io. Juni hingegen konstatierte ich, daß zwei Exemplare erwachsen, das dritte jedoch noch nicht erwachsen war. Ich isolierte dieses letztere noch nicht ganz erwachsene Exemplar in einem besonderen Behälter. Seitdem ist es immer in Einzelhaft geblieben. Am 7. Juli 1907 war es erwachsen. Am 25. März IgII brachte ich es in eine geräumigere Zuchtschachtel mit Erde. Am 21. Juli 19rI wurde zum ersten Male das Ausschliipfen ziemlich zahlreicher gesunder Jungen beobachtet, die sich nun vollkommen normal und fast auffallend rasch entwickelten. Die Zucht gedeiht sehr gut und ist z. T. weit vorgeriickt, so daB einzelne Exemplare vielleicht noch im Verlaufe der heurigen Saison erwachsen werden. Die kleineren Exemplare sind noch uniform gelblich weiß. Bei den im Wachstum weiter vorgeschrittenen tritt Vererbungswissenschaftliche Miszellen. 251 jedoch am letzten Umgang schon die violette Farbung auf. Alle sind bänderlos, also eine uniforme Nachkommenschaft. Die beiden Geschwister, welche am Io. Juni 1907 erwachsen waren und zusammen blieben, hatten, wie das die Regel ist, erst im nächst- folgenden Jahre, also 1908, die erste Nachkommenschaft. Es ist also sicher nachgewiesen, daß sich eine isoliert gehaltene jungfräuliche Helix hortensis fortgepflanzt hat, und zwar ohne daß hier durch artfremdes Sperma induzierte Parthenogenesis in Frage kommt. Während nun aber bei Avion und Limax die Fortpflanzung durch Selbstbefruchtung neben der Fortpflanzung durch Fremdbe- fruchtung ganz normal einherzugehen scheint, kann es sich bei den Tacheen nach allen meinen Erfahrungen nur um eine sehr seltene Aus- nahmeerscheinung handeln. Und zwar ist es doch wohl jetzt wahr- scheinlicher, daß Selbstbefruchtung und nicht normale Parthenogenese stattfindet. Dafür spricht auch das in meiner letzten Abhandlung signalisierte gelegentliche Vorkommnis, daß bei den einseitigen Hy- briden Spaltung eintritt. Wenn, wie man ziemlich allgemein annimmt, bei der normalen Parthenogenesis die Reduktionsteilung unterbleibt, so dürften ja keine Spaltungserscheinungen vorkommen. Würde es sich aber um induzierte Parthenogenesis handeln, so hätte die zytolo- gische Untersuchung doch mit Wahrscheinlichkeit eine Veränderung, eine Störung der Chromosomengarnitur ergeben müssen. Die Tatsache bleibt freilich bestehen, daß bei Zachea einseitige Hybride zwar an und für sich schon sehr selten, wenn aber überhaupt, dann fast nur in Kreuzungszuchten verschiedener Arten auftreten. Es ist nun denkbar, daß die Vereinigung zweier artfremder Tacheen- individuen einen Reiz abgibt, welcher bewirkt, daß eigenes Sperma in irgendeiner Weise in das eigene Receptaculum gelangt, wie das bei den Nacktschnecken der Fall ist. III. Chromosomen- und Faktorentheorie. Die von GOLDSCHMIDT, GULICK, MORGAN, WILSON u. a. begründete aussichtsreiche Gonochromosomentheorie der geschlechts- begrenzten Vererbung läßt die Chromosomen wiederum in ähn- licher Weise als Vererbungsträger zu den Erscheinungen der Mendel- schen Vererbung in direkte Beziehung treten, wie bald nach der Wieder- entdeckung der Mendelschen Regeln eine Zeitlang von vielen Seiten angenommen wurde. Die Bildung reiner Gameten wurde damals durch die Reduktionsteilung bei der Reifung der Fortpflanzungszellen erklärt, 178 252 Lang. und man nahm an und schien annehmen zu müssen, daß die verschiedenen Chromosomen einer einfachen Garnitur die verschiedenen selbständig mendelnden Erbfaktoren oder Gene enthalten. Man kam dann wieder von dieser Ansicht zurück, hauptsächlich deshalb, weil gezeigt wurde, daß bei gewissen Organismen mehr selbständig mendelnde Erbein- heiten vorkommen, als Chromosomen in einer einfachen (haploiden) Garnitur. Vielleicht aber ergibt eine erneute Prüfung doch, daß ge- wisse Faktoren, die als selbständig mendelnd angegeben wurden, mit andern in der Vererbung verknüpft sind, wie die geschlechtsgebundenen Faktoren an bestimmte Geschlechtschromosomen. Wenn nicht, so besteht die Schwierigkeit in vollem Umfange weiter. Man kann die neueste Wendung in der Vererbungslehre mit dem einen Satze charakterisieren: es sind die Chromosomen, welche mendeln, aber ein Chromosoma braucht nicht nur einen Erbfaktor zu enthalten, sondern kann deren mehrere einschließen. Den Schlüssel zur Beweisführung liefert die Methode der positiven und negativen Faktoren, die „presence and abscence theory“. Manche unverständ- liche „Korrelationen“ werden dadurch einem vorläufigen Verständnis näher gerückt, daß man annehmen kann, die korrclierten Erscheinungen beruhen auf Genen, die an das nämliche Chromosoma gebunden oder in ihm enthalten sind. Von vornherein erscheint es recht merkwürdig, daß zwei oder mehrere verschiedenartige in die Erscheinung tretende Merk- male eines Organismus eine einzige Erbeinheit bilden, auf einem einzigen mendelnden Faktor beruhen, wie etwa nach NILSSON-EHLE das Vor- kommen von Grannen, eine bestimmte Form von Grannen, Stärke der Behaarung und Brüchigkeit der Ähren bei Hafersippen, oder die Tat- sache, daß es beı Antirrhinum, nach einer brieflichen Mitteilung von BAUR, einen Faktor gibt, der sehr wesentlich die Blütenfarbe, sehr wesentlich die Wuchsform, sehr wesentlich den Bau der Blattepidermis und außerdem noch die Frostwiderstandsfähigkeit beeinflußt. Es liegt nun nahe, daran zu denken, daß solchen verschiedenen ,,AuBen- erscheinungen“ (BAUR), die zusammen wie eine Erbeinheit mendeln, auch verschiedene Gene zugrunde liegen, die aber an ein und dasselbe Chromosoma einer haploiden, oder an jedes der beiden Chromosomen eines homologen Paares einer diploiden Chromosomengarnitur gebunden sind. Umgekehrt dürfen wir uns vielleicht vorläufig die hypothetische Polymerie, die zuerst von NILSSON-EHLE und dann von EAST!) 1) Die Abhandlung von East ist mir erst Ende 1911 bekannt geworden (in der Zool. Bibliographie wurde sie erst 1912 angeführt), was entschuldigen mag, daß ich sie in meiner zweiten Abhandlung über Polymerie (1911) nicht angeführt habe. Vererbungswissenschaftliche Miszellen. 253 auf der empirischen Basis bestimmter ziichterischer Ergebnisse be- gründete Annahme des Vorkommens von zwei und mehr unabhängig mendelnden Genen (Genomeren nach meiner Terminologie) für eine äußere Eigenschaft in der Weise zurechtlegen, daß zwei oder mehrere Chromosomen, bzw. Paare homologer Chromosomen das betreffende Gen (Genomer) führen. IV. Scheinbare Ausnahmen von der Dominanzregel bei Färbungs- und Zeichnungsvarietäten der Hain- und Gartenschnecken. In der Festschrift vom Jahre 1908 ,,Uber die Bastarde von Helix hortensis Müller und Helix nemoralis L.“‘ habe ich S. 54 zwei Ausnahmen von der strengen Gültigkeit der Dominanzregel und der Regel der streng alternativen Variabilität der Färbungs- und Zeichnungsmerkmale bei diesen beiden Tacheaarten signalisiert. Die erste Ausnahme bezog sich auf die sonst immer vollkommene Dominanz der Bänderlosigkeit über die Bänderung. Ich schrieb damals: ‚Die Dominanz erscheint in einigen Fällen modifiziert, abgeschwächt. Während z. B. die Kreuzung zwischen einer gelben ungebänderten hortensis und einer gelben fünf- bändrigen hortensis auch dann in der ersten hybriden Generation lauter ungebänderte, gelbe Individuen liefert, wenn die Bänder des zum Ver- suche verwendeten gebänderten Elters weitgehende Verschmelzungen zeigen oder sogar alle verschmolzen sind, erhielt ich in einem Falle, bei der Kreuzung einer reinen, ungebänderten, gelben Form mit einer in zwei Generationen gezüchteten verschmolzen-fünfbändrigen (12345) gelben Form in der Nachkommenschaft neben ungebänderten Exem- plaren solche mit 5 blassen Tüpfelbinden, also Zwischenformen. Die Beobachtung ist durchaus richtig, ihre Deutung aber, wie sich herausgestellt hat, durchaus falsch. Da der Fall und seine Deutung vielfach in der Literatur zitiert worden sind, namentlich zur Stütze der Theorie von der Variabilität oder gar der „wechselnden Potenz‘ der Dominanz, so halte ich mich für verpflichtet, die falsche Deutung so rasch wie möglich zu revozieren. Die Gesetzmäßigkeit erleidet durch diesen Fall wirklich keine Ausnahme. Tatsache ist also, daß ich, es war im Jahre 1904, aus der Kreuzung einer scheinbar reinrassigen hortensis 00000 mit einer hortensis 12345 (varietas coalita) sowohl bänderlose als 5-bändrige F}-Nachkommen erhielt. Bei den letzteren waren die Bänder blaßpigmentiert mit etwelcher Neigung zur Tüpfelbändrigkeit. 254 Lang. Ich setzte nun den Versuch fort, da mir inzwischen Zweifel an der Richtigkeit der Deutung aufgestiegen waren. Vor allem erschien mir die Tatsache verdächtig, daß eben nur ein Teil der Mitglieder der F,- Familie blaßgestreift war, der andere bänderlos. Seit jener Zeit hatten sich meine Erfahrungen über die Erblichkeits- und Dominanzverhältnisse für zahlreiche Merkmale wesentlich vermehrt, erweitert und gefestigt. Es bestätigte sich, bzw. stellte sich zum Teil mit Sicherheit, zum Teil mit an Gewißheit grenzender Wahrscheinlichkeit heraus, ı. daß Bänder- losigkeit über jegliche Form der Bänderung, die blasse und albinisti- sche nicht ausgeschlossen, reinlich dominiert; 2. daß die Blaß- und leichte Tüpfelbändrigkeit über die Voll- und Scharfbändrigkeit dominiert; 3. daß die Breitbändrigkeit über die Schmalbändrigkeit dominiert. Zuchtversuche mit blaß- und tüpfelbändrigen Exemplaren aus Kolonien, in denen dieser Typus vorherrscht, ergaben mit größter Deutlichkeit den erblichen Charakter der Eigenschaft. In der Riesenliteratur über die Farben- und Bändervarietäten der Hain- und Gartenschnecken finden sich zahlreiche unkontrollierte und unkontrollierbare Angaben und Mutmaßungen über den Einfluß ver- schiedener Umweltbedingungen (Art der Nahrung, Bodenbeschaffen- heit, Belichtung, Temperatur, Feuchtigkeitsgrad) auf die Färbung und Zeichnung. TAYLOR hat in seiner Monographie viele davon zusammen- gestellt und scheint an die Richtigkeit mancher von ihnen zu glauben. Demgegenüber kann ich nur bemerken, daß, soweit meine züchterischen Erfahrungen reichen, ı. alle irgendwie scharf ausgeprägten Formen der Färbung und Bänderung, wenigstens alle jene, die in gewissen Kolonien in größerer Zahl vorkommen, streng erbliche Variationen sind und daß 2. alle diese Varietäten aus der freien Natur und aus ihren besonderen, mannigfaltig verschiedenen Umweltverhältnissen in die einförmigen Bedingungen meiner Kulturen versetzt, ihren angestammten Merk- malen zwei, drei, vier und mehr Generationen hindurch ohne merkliche Veränderung treugeblieben sind. Zur weiteren Analyse der vermeintlichen intermediären (blaß- und schwachtüpfelbändrigen) Hybriden zwischen einer ungebänderten hor- tensis und einer dunkel- und verschmolzen-fünfbändrigen (sagen wir schwarzen) hortensis stellte ich folgende Versuche an. Ich paarte zwei ungebänderte Geschwister dieser _,,inter- mediären F,-Hybriden, bisher ohne Erfolg. Ich paarte je zwei von den blaßbändrigen Geschwistern miteinander. In der Nachkommenschaft ließen sich frühzeitig, scharf gesondert, zwei Typen unterscheiden, nämlich 1. blaßbändrige Vererbungswissenschaftliche Miszellen. 255 und scheinbar ungebänderte und 2. schwarzbandrige, von denen die meisten frühzeitig die deutliche Tendenz zur Verschmelzung ihrer dunklen, sich scharf abhebenden Bänder zeigten. Ich muß sofort erwähnen, daß bei den ganz jungen Exemplaren des blaßbändrigen Typus die Bänder noch nicht bemerkbar sind, daß diese Jungen sich noch nicht von den ungebänderten unterscheiden lassen. Erst bei vorgerückterer Größe lassen sich die blassen Bänder sicher erkennen. Alle nicht schwarzbändrigen zu beträchtlicher Größe heran- gewachsenen F,-Individuen unserer Zucht erwiesen sich als schwach gebändert, keines als bänderlos. Dieses Nichtwiederauftreten des ungebänderten Typus in der F3- Generation, wo er doch mit blaßgebänderten Heterozygoten und resur- genten schwarzbändrigen Homozygoten im Zahlenverhältnis von I : 2: 1 (Zea- oder Mirabilistypus) hätte auftreten sollen, ließ mir die Frage sofort als fast schon gelöst erscheinen. Die Blaßbändrigkeit in der F,- und F,-Generation ist gar keine Erscheinung intermediärer Heterozygotie, sondern eine erbliche, eine erbeinheitliche Eigenschaft, welche in dem un- gebänderten Stammelter rezessiv (genauer gesagt hypo- statisch) enthalten war. Diese Auffassung wird durch die Resultate weiterer Kreuzungs- versuche, die ich nachstehend mitteile, durchaus bestätigt, so daß sie als vollständig sicher gelten kann. Bei diesen Kreuzungsversuchen kämen, wenn sie einigermaßen vollkommen dargestellt werden sollten, folgende Faktoren in Betracht: 1. das Hemmungsgen für alle 5 Bänder, 2. das Hemmungsgen bloß für die Bänder 1, 2, 4 und 5, 3. ein Gen für Blaß- bändrigkeit, 4. ein Bänderverbreiterungsgen, 5. ein Gen für rötlich- braune Grund- und Bänderfarbe, 6. ein Gen, welches die Bänder quer- und intermittierend verwischt. Ich kann und will auf die Berücksichtigung der drei letzten Gene ver- zichten, da sie für unsern Zweck unnötig ist und die Darstellung ganz außerordentlich komplizieren würde. Die genauen Zahlen kann ich noch nicht angeben, da einige der Zuchten noch zu jung sind und bei andern mehrere Exemplare im Wachstum noch zu stark zurückgeblieben sind. Es dauert immer mehrere Jahre, oft vier und fünf Jahre, bis das Wachs- tum bei allen Individuen einer Zucht abgeschlossen ist, und während dieser langen Zeit und bei der wiederholten Überwinterung geht die große Mehrzahl der Nachkommenschaft auf allen Wachstumsstadien zu- grunde. Ich habe oben schon bemerkt, daß sich bei jungen Tieren die Blaßbänderung noch nicht erkennen läßt. Zuerst wird fast immer \ 256 Lang. das Band 3 kenntlich. Oft bleiben die Bander 1, 2 und 5 sehr undeut- lich, so daß die Fünfbändrigkeit auch an erwachsenen Gehäusen oft sehr schwer oder überhaupt nicht ganz sicher festzustellen ist. Mehr- bändrigkeit bei den blaßbändrigen Nachkommen von deutlich fünf- bändrigen Tieren ist aber, wofür der Beweis experimentell erbracht ist, immer das sichere Zeichen wirklicher genotypischer Fünfbändrigkeit. Ich habe für die beim Ausgangsversuch verwendeten Tiere (das eine Exemplar war ungebändert, das andere schwarz- und verschmolzen-fünf- bändrig) die Erbformeln konstruiert, die sich unter Berücksichtigung meiner übrigen züchterischen Erfahrungen bei den Hain- und Garten- schnecken von selbst ganz ungezwungen ergeben. Die Resultate der unsere spezielle Frage berührenden Zuchtversuche stimmen, was die Qualität der auftretenden Typen anbetrifft, vollkommen mit der theoretischen Erwartung überein, die sich aus den Formeln ableiten läßt, mit einziger Ausnahme des Versuches G, wo auch blaßbändrige Nachkommen hätten erscheinen sollen, die in Wirklichkeit nicht beob- achtet worden sind. Die provisorisch ermittelten empirischen Zahlen- verhältnisse hingegen stimmen, wie übrigens auch wegen der geringen Größe der Populationen nicht anders zu erwarten ist, nur approxi- mativ mit den theoretischen überein. Legende für die Symbole. Verhältnisse der Epi- und Hypostase. A. Hemmungsgen für alle 5 Bänder a) Fehlen desselben, Fünfbändrigkeit. B. Hemmungsgen für die Bänder ı, 2, 4 b) Fehlen desselben, ea nn und 5. Es bildet sich bloß das dritte Band, Bänderformel 00300. C. Gen für Blaßbändrigkeit. Es wird die c) Fehlen desselben. Schwarzbändrigkeit. volle Entwicklung des Pigmentes in Die Bänder ununterbrochen schwarz den Bändern gehemmt. Etwas Tüpfel- oder dunkelbraun. bänderung. Versuch A. Nr. 235 (295). Ausgangsversuch. Die beiden Zuchteltern .. 17203 Zk 00000 schwarz und verschmolzen x ungebändert fünfbändrig Hypothetische Erbformel . aabbcec AabbCC AbC Gamietiein S 6 OG 1G Dp Oo BC abe x abC Filial-Generation FR .... AabbCe aabbCc Theoretische Erwartung... 50%, ungebändert + 50% blaß fünfbändrig. Tatsächliches Ergebnis: Die Nachkommenschaft z. T. bänderlos, z. T. blaß mehrbändrig. Vererbungswissenschaftliche Miszellen. Versuche B und C. Nr. 798 (781) und Zuchteltern (F,) je ein Paar . Erbformeln. Gameten .. F.-Generation .. Theoretische Erwartung Tatsachliches Ergebnis: Zuchteltern.. .. « « « Erbformeln . Gameten Nachkommenschaft, Theoretische Erwartung 12345 Blaßgebänderte F,-Schnecke aus Versuch A aabbCe abC abe . 25% aabbCC + 50% aabbCe + : 75% blaß mehrbändrig Die Majorität in beiden 257 802 (785). 12345 Blaßgebänderte F, -Schnecke aus Versuch A aabbCc abC abc 25% aabbec 25% schwarz fünfbändrig. Zuchten blaß mehrbändrig, die Minorität schwarzbändrig (vorwiegend mit starker Neigung zur Verschmelzung der Bänder). Es findet sich indes ein Defizit an blaß- und ein Überschuß an schwarzgebänderten. Versuch D. Nr. 801 (784). + » 00000, ungebänderter F,- Hybride aus Versuch A. me AabbCec AbC | Abc : | abC abc 1. AAbbCc = bänderlos : AAbbce = banderlos }3. AabbCc = banderlos 4. Aabbce = bänderlos 00000, banderloser Hy- bride von einem bänder- losen und einem schwarz- fünfbändrigen Elter einer anderen Zucht. Aabbce Abc abc 5. AabbCc = banderlos 6. Aabbcc = bänderlos 7. aabbCc = blaß-mehr- bandrig 8. aabbcc = schwarz-mehr- bandrig Zusammenfassung: 75% Banderlose und 12,5% blaßbändrige (zusammen 87,5% nicht Schwarzbändrige + 12,5%, schwarzbändrige. Die große Majorität ungebändert und blaßbänderig (nicht schwarzbändrig), die Minorität schwarzbändrig (darunter auch Tatsächliches Ergebnis: Zuchteltern (Fj) ... Erbformeln . SS a ara (0 Gameten verschmolzenbändrige). relativ zu zahlreich. Versuch E. Nr. 881 (863). . . . Ungebänderter F,-Hybride aus Versuch A cee AabbCc AbC Abc ar abC abc Immerhin sind die schwarzbändrigen Blaß-mehrbändriger F,- Hybride aus Versuch A. Geschwister aabbCe abC abc 258 Lang. F,-Generation ...... . 1. AabbCC = bänderlos Theoretische Erwartung . . 2, AabbCc = bänderlos 3. aabbCC = blaB-mehr- bandrig 4. aabbCc = blaB-mehr- bandrig Zusammenfassung: 5. AabbCc = bänderlos 6. Aabbcc = banderlos 7. aabbCc = blaß-mehr- bändrig 8. aabbcc = schwarz-fünf- bandrig. 50% bänderlos + 37,5% blaß-mehrbändrig (= 87,5 % nicht schwarz- bandrig), + 12,5% schwarz-fünfbändrig. Vorl. empirisches Resultat: Die große Mehrzahl nicht schwarzbändrig (bänderlos und blaBbandrig), die Minderzahl schwarz-fünfbändrig, mit starker Neigung zur Verschmelzung der Bänder. Die schwarzbändrigen, wenn schon in starker Minorität, doch in relativ zu großer Zahl. Versuch F. Nr. 800 (783). Blaß-mehrbändriger F,- Hybride aus Versuch A. Zuchtelterne 2 2er. ErbfLormel nes sc. 6 aabbCc x Gametensr ser N abe x \ abc Nachkommenschaft .... aabbCe + Theoretische Erwartung .. 50% blaß-mehrbändig + Tatsächliches Ergebnis: Die Nachkommenschaft (geb. zeigt sich jetzt schon eine scharfe Spaltung ı 2 3 4 5 verschmolzen- " schwarz-fünfbändriges Exemplar, seine beiden Eltern ebenso. aabbcc abc aabbec 50% schwarz-fiinfbandrig. ıgır) ist noch klein und doch in schwarz- gebänderte (mit teilweiser Neigung zur Banderverschmelzung) und in nicht schwarz gebänderte. Unter letzteren einzelne blaßbändrig, andere (noch?) ungebändert. Versuch G. Nr. 804 (787). 00000, ungebänderter F,-Hybride aus Versuch A, Zuchteltern.. Erbformeln iy. jie ls il a AabbCc AbC Gamletemiar ee cit iene =: abC abc 1. AaBbCc = bänderlos 2. AaBbcc = bänderlos Nachkommenschaft, 3. aaBbCc = 00 300, mit Theoretische Erwartung: blassem Band 3 4. aaBbcc = 00300, mit schwarzem Band 3 00300, Band 3 schwarz, von Mühlehorn. Eltern un- bekannt, wahrscheinlich beide schwarzbandrig, der eine 00300, der andere 12345. aaBbce ? aBc abc 5. AabbCc = bänderlos 6. Aabbce = bänderlos 7. aabbCc = blaß-mehr- bändrig 8. aabbcc = schwarz-mehr- bändrig. Vererbungswissenschaftliche Miszellen. 259 Zusammenfassung: 50% bänderlos, 25% 00300, d. h. nur mit Band 3 (wovon die Hälfte schwarz, die andere blaßbändrig) und 25% fünfbändrig (wo- von wiederum die Hälfte schwarz, die andere blaßbändrig. Tatsächliches Resultat: Recht genau die Hälfte bänderlos, ein Viertel bloß mit Band 3 (00300) und ein Viertel fünfbändrig. Doch sind alle gebän- derten Exemplare schwarzgebändert, wie wenn dem ungebän- derten hybriden Elter anstatt der Formel AabbCc die Formel Aabbee zukäme. Versuch H. Nr. 882 (864). Zuchteltern...... .. . Blaß- und mehrbändriger 00300 blaßbändrig. von Hybride F, aus Versuch A. 0 0 300 schwarzbändrig. X zl. blaB bräunl. rot — ver- wischt — finfbandrig (letzterer Elter Waldform) Bubformeln .. ec...» aabbCc aaBbCc aBC aBc NETNEUcEm 9B pao oe os ” eee abc Nachkommenschaft, ı. aaBbCC = mit blassem 5. aaBbCc = mit blassem Band 3 Band 3 Theoretische Erwartung .. 2. aaBbCc = mit blassem 6. aaBbcc = mit schwarzem Band 3 Band 3 3. aabbCC = blaß fünf- 7. aabbCc = blaß fünf- bändrig bändrig 4. aabbCc = blaß fünf- 8. aabbcc = schwarz fünf- bandrig bandrig. Zusammenfassung: 37,5% 00 300 blaBbandrig + 12,5% 00 3 00 schwarzbandrig (50% mit Band 3) + 37,5% blaß-fünfbändrig + 12,5% schwarz-fünfbändrig (50% fünfbändrig). Tatsächliches Resultat: Die ganze Nachkommenschaft gebändert, und zwar fünfbändrig und 00300 in ziemlich gleicher Zahl. Sowohl unter den fünf- bändrigen als unter den einbändrigen (00300) überwiegen die blaßgebänderten an Zahl ganz bedeutend. Als weiteres Beispiel abweichender Dominanzverhältnisse erwähnte ich 1908 das folgende (S. 54): ,,Wiederholt habe ich als Ausnahme von der sonst geltenden Regel reinlicher Spaltung der antagonistischen Merkmale und vollständiger Dominanz des einen Merkmals in der ersten Hybridgeneration festgestellt, daß bei der Kreuzung einer gelben Varietät mit einer roten oder braunen zuerst die gelbe Farbe dominiert, d. h. die frühen Jugendstadien und dem entsprechend die apikalen Win- dungen des Gehäuses aller Individuen gelb sind. Erst bei weiterem Wachstum tritt allmählich die rote resp. braune Farbe hervor, um auf 260 Lang. dem letzten Umgang zu derselben vollen Ausprägung wie beim rot- resp. braungefärbten Elter zu gelangen — ein hochinteressantes, schönes Beispiel von wandelbarer Dominanz während der individuellen Ent- wicklung eines Organismus, besonders schön deshalb, weil man das Phänomen noch an der erwachsenen Schale zu jeder Zeit leicht demon- strieren kann.‘ — Auch hier handelt es sich nach weiter fortgesetzten, aber noch nicht abgeschlossenen Untersuchungen wohl sicher nicht um einen ontogenetischen Wechsel in der Dominanz, und auch nicht um eine Erscheinung von Modifikabilität (fluktuierender, nicht erb- licher Variabilität), sondern um ein auf Erblichkeit beruhendes Phä- nomen. Es existiert unter den ungebänderten Hain- und Garten- schnecken mit roter, brauner oder violetter Grundfarbe der Schale je eine besondere Varietät, die sich durch das erbliche Merkmal auszeichnet, daß das Gehäuse auf den obersten Umgängen gelb ist und erst auf den späteren Umgängen, meist erst auf dem letzten, rot (bzw. braun oder violett) wird. Ganz junge Kulturen scheinen so in gewissen Fällen aus- schließlich aus Vertretern der rein gelben Varietät zu bestehen, während doch alle Individuen, die heranwachsen, auf dem letzten Schalenumgang (oder schon früher) rot bzw. braun oder violett werden. Wie man sieht, darf man nicht auf die jungen Tiere abstellen. Neben diesen anfangs gelben, später roten (bzw. braunen, violetten) Varietäten kommen nun die vollroten (vollbraunen usw.) vor, bei denen das ganze Gehäuse schon von anfang an rot (oder braun) ist, meist freilich mit blasserer Aus- prägung der Farbe auf der Apikalseite. Ich habe früher auf diese Unter- schiede zu wenig geachtet und es ist nun nachträglich z. T. schwer, z. T. unmöglich, den vollen Tatbestand bei früheren Zuchten an den Konservaten zu eruieren, da die Apikalseite der Schale bei den meisten älteren Exemplaren abgenutzt oder verwittert oder abgenagt ist. Es kommt nämlich vielfach vor — besonders wenn in einem Zuchtbehälter zahlreiche Schnecken zusammenleben —, daß die Tiere ihren Kalkbedarf nicht nur durch Benagen der Kreidestücke decken, die ihnen in meinen Kulturen stets reichlich zur Verfügung stehen, sondern daß sie auch gegenseitig ihre eigenen Schalen benagen, wobei die apikalen Partien als die ältesten, bei erwachsenen Tieren mehrere Jahre alten, am meisten Schaden leiden. Die rote Farbe der Gehäuse dominiert, wie ich schon wiederholt gemeldet habe, über die gelbe, und zwar über jede Nuance der gelben. Die vollrote Färbung scheint über die anfangs gelbe — später rote zu dominieren, so daß die letztgenannte Farbenvarietät als resurgente Form in der Nachkommenschaft heterozygotischer Voll- roten wieder auftreten kann. Vererbungswissenschaftliche Miszellen. 261 V. Kreuzung spezifischer Bänderungen von Helix hortensis und H. nemoralis. Mit einem Exkurs auf das Kaulhuhn. Jeder, welcher die Varietäten der Garten- und Hainschnecken einigermaßen kennt, weiß, daß die meisten derselben in parallelen Aus- prägungen bei beiden Arten vertreten sind. So kommt der ungebänderte Zustand mit allen seinen Farbenvarietäten bei beiden Arten vor, ebenso die Varietät, welche durch das alleinige Vorkommen des dritten Bandes gekennzeichnet ist und vor allem auch die fünfbändrige Form mit den verschiedenen Verschmelzungskombinationen der Bänder. Es gibt aber auch bestimmte Bändervarietäten, sagen wir bestimmte Bänderformeln, die nur der einen oder andern Art zukommen und für dieselbe charakte- ristisch sind. So tritt die Banderformel 10305 mit voller, scharfer Ausprägung der Bänder 1, 3 und 5 und vollständigem Fehlen der Bänder 2 und 4 auf der tadellos normal gewachsenen Schale nur bei H. hortensis auf. Sie stellt eine spezifische hortensis-Bänderung dar. Ich halte sie für noch spezifischer als die weiße Lippe. Man darf — ich übertreibe nicht — ruhig eine Million gegen eins wetten, daß eine Tachea, die man irgendwo findet, wenn sie die Bänderformel 10305 aufweist, eine Tachea hortensis oder ein Hybride ist. Die Entscheidung liegt beim Geschlechts- apparat, speziell beim Liebespfeil. Fräulein E. KLEINER fand einmal in einem hiesigen Garten eine (offenbar importierte) gelbschalige Tachea mit der Bänderung 10305, die sie wegen ihrer Form und Größe auf den ersten Blick als hortensis ansah, bis sie die dunkelgefärbte Lippe und den braunen Collus bemerkte. Ich selbst vermutete in dem Tier einen nemoralis-hortensis-Hybriden. Die Untersuchung des, ‚Geschlechts- apparates ergab, daß es eine typische hortensis ist. Ich habe früher wiederholt Tacheen vom hortensis-Habitus mit mehr oder minder deutlich pigmentierter Lippe, namentlich in einer interessanten Kolonie bei Mühlehorn am Walensee angetroffen und daran gedacht, daß es viel- leicht Hybride sein könnten. Die anatomische Untersuchung demon- strierte in allen Fällen immer die genuinen hortensis-Merkmale. Wohl nicht minder oder doch nicht viel weniger bezeichnend für die Zugehörigkeit zu der Spezies nemoralis sind die Bänderformeln 00345 und 00045 mit ihren verschiedenen Modifikationen 0 0 E 45; 00345, 00345, 00045 usw. Ums Jahr 1905 begann ich verschiedene Kreuzungsversuche von Exemplaren der beiden Arten, welche die erwähnten spezifischen Bän- derungen zeigten. Nur einer dieser Versuche, über den ich nun berichten 262 Lang. will, ergab ein positives Resultat. Ich brachte am 3. April 1905 folgende zwei Tacheen zusammen. Versuch 5 38(39). a) eine T. hortensis ad. virgo von gelber Grundfarbe, mit der schön und typisch entwickelten schwarzbraunen Banderung 10305, mit bräunlicher Lippe und typischer hortensis-Mündung der Schale und etwa 21,5 mm größtem Durchmesser D des letzten Schalenumganges. Das Tier wurde Ende 1907 von Herrn PAUL HESSE in Venedig anatomisch untersucht und erwies sich als eine typische hortensis. Ich hatte das Tier im April 1904 im unerwachsenen Zustand bei Mühlehorn (Kt. Glarus) am Walensee gesammelt und seitdem isoliert gehalten. b) eine T. nemoralis, die ich selbst an einer bekannten Fundstelle bei der alten Brücke über die Yvette in Bures bei Paris im Mai 1904 im erwachsenen Zustande gesammelt und seither isoliert gehalten hatte. Die Kolonie von Bures ist äußerst interessant und sehr bunt aus ver- schiedenen Varietäten von nemoralis und hortensis zusammengesetzt. Die sonst so charakteristischen Größenunterschiede zwischen beiden Arten lassen uns dort vollständig im Stich. Es finden sich nicht selten hortensis-Exemplare mit mehr oder minder deutlich pigmentierter Lippe, und darunter anfangs gelbe, die auf dem letzten Umgang violett oder braunviolett oder braun werden und vielfach, aber irrtümlich für hortensis-nemoralis-Hybride gehalten wurden. Das erwachsene nemoralis-Exemplar b), das ich zur Zucht ver- wendete, hat eine rötlichbraune Grundfarbe und die Bänderformel 003+4-+5. Bänder dunkelbraun. Die Lippe außen schwärzlichbraun, innen kastanienbraun. Die Mündung in der Form eine typische nemo- valis-Miindung. Der Durchmesser D beträgt nur etwa 20,5 mm. Die Größenverhältnisse sind also geradezu auf den Kopf gestellt. Die spätere anatomische Untersuchung ergab, daß es sich um eine echte nemoralis handelt. Die Versuchsanordnung war nur für die jungfräuliche hortensis 10305 einwandfrei. In der Tat erwies sich die nemoralis von Bures als verbesamt. Sie hatte aus ihrer Heimat in ihrem Receptaculum Sperma, vielleicht sogar von mehr als einer Copula herrührend, mitgebracht. Im Juni 1905 legte sie Eier, aus denen Tiere ausschlüpften, die schließlich eine bunt poly- chromatische Population bildeten. Die Grundfarbe war entweder ein schönes lebhaftes Gelb oder (streng alternativ) ein bräunliches Rot. In scharf alternativer Ausbildung waren folgende Bänderformeln ver- treten: 00000, 00300, 00345 und 12345 entweder mit der einen oder mit der anderen Grundfarbe kombiniert. Die Zusammensetzung dieser Vererbungswissenschaftliche Miszellen. 2 63 Nachkommenschaft läßt mit beträchtlicher Sicherheit darauf schließen, daß der Vater ungebändert gelb (mit kryptomerer Bänderformel 00300 und 12345) war und daß die Mutter kryptomer fünfbändrig und gelb ist. Die anatomische Untersuchung mehrerer Exemplare dieser Nach- kommenpopulation durch Fräulein Dr. M. DAIBER zeitigte das Resultat, daß sie typische genuine nemoralis sind. Am 27. Mai 1906 ertappte ich die hortensis 10305, welche jung- fräulich in den Versuch eingeführt worden war, in die Erde des Zucht- behälters vergraben, im Begriff Eier zu legen. Ich entfernte nun sofort den nemoralis-Elter und überzeugte mich, daß außer den hybriden hortensis-Eiern keine weiteren Eier in der Erde vorhanden waren. Es gelang mir zu meiner Freude von den ausschlüpfenden Jungen 7 Exem- plare bis zum erwachsenen Zustand großzuziehen, was einen Zeitraum von 3—6 Jahren in Anspruch nahm. Fräulein ELISABETH KLEINER, welche früher schon einen Teil der von mir gezogenen hortensis-nemo- ralis-Hybriden anatomisch untersucht hatte, unterzog den Genital- apparat dieser 7 Exemplare einem sorgfältigen Studium, welches ergab, daß es sich in der Tat um echte Hybride handelt. Fräulein KLEINER wird das Resultat dieser Untersuchung sowie dasjenige der Untersuchung weiterer 15 Hybriden, die ich seit meiner Publikation vom Jahre 1908 großgezogen habe, in ihrer Dissertation, welche druckfertig vorliegt, veröffentlichen. Die Untersuchung der Schalen dieser 7 Hybriden ergibt folgen- des Resultat: a) Bandformel 1 2- 4 5 Bänder schwarzbraun. Grundfarbe gelb. pe auben ee. innen schmutzig purpurbraun. Durchmesser =19,7mm. Form der Lippe und Mündung fast ganz wie bei hortensis. b) Bandformel 12-3-45. Bänder schwarzbraun. Grundfarbe gelb. v.aMcm. Lippe außen schwärzlich braun, innen dunkel purpurbraun. Durch- messer D = 21 mm. Form der Lippe und Mündung fast ganz nach hortensis-Art. c) Bandformel 12-3-4-5. Bänder schwarzbraun. Grundfarbe U mdM. gelb. Lippe außen rußig braun, innen schmutzig purpurbraun. Durch- messer D = 21 mm. Form der Lippe und Mündung eher, doch nicht ganz wie bei hortensis. d) Bandformel 00; LE) (Fig. D2). Bänder schwarzbraun. Grund- v.d.M. farbe gelb. Lippe außen schwarzbraun, innen dunkel purpurkastanien- 204 braun. ziemlich intermediar. Durchmesser D = 20,7 mm. Lang. Form der Lippe und Mündung e) Bandformel 00 & -4*5. Bänder dunkel rötlichbraun. Grund- v.d.M. farbe rötlichbräunlich (ziegelrot). schmutzig purpurbräunlich. Lippe außen rauchbraun, innen Durchmesser 22 mm. Form der Lippe und Mündung fast typisch wie bei hortensıs. f) Bandformel 10305 (Fig. Dı). Bänder schwarzbraun. Grund- farbe gelb. Lippe außen dunkel rauchbraun, innen schmutzig purpur- braun. Durchmesser D — 19,5; mm. Form der Lippe und Mündung wie bei hortensis. g) Bandformel 10305. Bänder schwarzbraun. Grundfarbe gelb. Lippe außen rauchbraun. Fig. D. Zwei hortensis-nemoralis- Hybride. I, mit der spezifischen hortensts- Bänderung 10305; 2, mit der Innen schmutzig purpurbräunlich. Durch- messer D— 20,1 mm. Lippe und Mün- dung nicht ganz normal. Form der Mün- dung eher nach nemoralis-Art. Ich will zunächst betonen, daß die Farbe der Lippen bei allen 7 Hybriden wiederum, wie bei den früher beschrie- benen!) die typische dunkle nemoralis- Farbe ist. Bei einzelnen Exemplaren ist sie sogar dunkler als bei dem nemoralis- Elter und als bei mehreren von dessen reinen nemoralis-Nachkommen. Auch die übrigen neuen 15 Hybriden, deren hor- tensis-Elter .weiBlippig ist, zeigen samt und sonders die typische nemoralis-Farbe der Lippe, so daß über die uniforme Dominanz dieses Merkmals gar kein Zweifel bestehen kann (gegen GROSS). Von der größten Bedeutung aber ist das Schicksal der beiden konkurrierenden spezifischen Bänderungen 10305 (hortensis-Bänderung) und 00 2 45 (nemoralis-Bänderung) der beiden artverschiedenen Eltern. Bei drei von den Hybriden tritt die, offenbar bei den Eltern kryptomer enthaltene, Fünfbändrigkeit in die Erscheinung. Bei zwei von ihnen zeigt sich die spezifische nemoralis-Bänderung 00345 in reinster, tadel- losester Ausprägung, absolut so rein und tadellos wie beim nemoralis Elter. Und zwei von den sieben Bastarden haben die spezifische hor- tensis-Bänderung 10305, und zwar wiederum in reinster tadellosester spezifischen nemoralıs-Bänder- 1) Es hat sich herausgestellt, daß der in meiner früheren Publikation (1908, S. 28) beschriebene Bastard Nr. 16 in Wirklichkeit kein Bastard, sondern ein so- genannter einseitiger Hybride, mit ausschließlichem hortensis-Charakter, ist. Vererbungswissenschaftliche Miszellen. 265 Form entfaltet. Also hier keine Spur von Dominanz der einen von den beiden konkurrierenden Bänderformeln, aber auch keine Spur einer intermediären Ausprägung, wie sie nach der in GROSS’ Geist festgenisteten vorgefaBten Meinung zu erwarten gewesen ware. Vielmehr der denkbar schönste Fall alternativer Vererbung, bei der die konkurrierenden, sich ausschließenden Faktoren im labilen Gleichgewicht sind. GROSS wird sich freilich bei der Annahme beruhigen, daß der besonderen Bänderung nicht spezifische Würde, sondern die nur untergeordnete eines Varietäts- merkmales zukommt. Auch wir andern können uns durchaus damit zufrieden geben, daß sich schließlich immer mehr Artmerkmale als Varietätsmerkmale entpuppen, welche, innerhalb der Grenzen der auch bei den spezifisch verschiedenen Eltern vorhandenen fluktuierenden Modifikabilität, die aber für GROSS, wie so vieles andere, eine terra inco- gnita ist, den Regeln der alternativen Vererbung folgen. Es sollte doch heutigentags nicht mehr nötig sein, immer wieder von neuem darauf hinzuweisen, daß die streng alternative Vererbung einwandfrei für zahlreiche solche Merkmale nachgewiesen ist, welche in systematisch-deskriptiven Werken zur Unterscheidung nicht nur von Arten, sondern sogar von Gattungen, Familien, ja selbst Ordnungen in erster Linie mitbenutzt werden. Sobald es aber ruchbar wird, daß die betreffenden Merkmale mendeln, stürzen sie in den Augen der Gelehrten, welche die Tradition hoch und heilig halten, von ihrer aristo- kratischen Höhe in den vergänglichen, plebeischen Staub hinunter. Ich möchte hier nur, aus bald ersichtlichen Gründen, auf eines der auffälligsten Merkmale aufmerksam machen, welches streng den Regeln der alternativen Variation und Vererbung folgt (wenn auch im übrigen die Gesetzmäßigkeit in der Vererbung noch keineswegs erkannt ist); ich meine die Schwanzlosigkeit der sogenannten Kaulhühner. Den Kaulhühnern fehlt die ganze freie Schwanzwirbelsäule, fehlt die Bürzeldrüse, fehlen die Sichel- und Steuerfedern. (Welchen systema- tischen Wert hat dieser Unterschied?) Dabei ist diese Schwanzlosigkeit von dem normalen Zustand immer so scharf und deutlich getrennt, wie überhaupt zwei alternative Merkmale verschieden sein können, z. B. männliche und weibliche Geschlechtsmerkmale. Nach einer leider gänzlich unzulänglichen Arbeit von GEORG LIBON ist Atrophie des Uro- pygiums und der Caudalwirbel Ursache der Anuropygie, und zwar soll es sich nicht um eine Hemmungsbildung handeln, sondern es sollen freie Caudalwirbel in der embryonalen Anlage vorhanden sein und sodann zwischen dem neunten und elften Tage der Bebrütung ver- schwinden. Diese Angaben sind sicher gänzlich unrichtig. Nach sehr Induktive Abstammungs- und Vererbungslehre. VII, 18 266 Lang. sorgfaltigen, umfassenden, anatomischen und embryologischen Unter- suchungen, welche Herr PETRUS JOH. DU TOIT am hiesigen zool. Institut angestellt hat (die ausführliche reich illustrierte Abhandlung ist im Druck), liegen die Verhältnisse, kurz zusammengefaßt, folgendermaßen. Das erwachsene Kaulhuhn weicht von seinem normalen Stammesge- nossen einzig und allein in der verkürzten Wirbelsäule und den damit in notwendigem Zusammenhange stehenden Veränderungen in der Muskulatur, Bürzeldrüse, Gefieder usw. ab. Die Wirbelsäule besteht beim normalen Huhn im Durchschnitt aus 47 Wirbeln, beim Kaul- huhn im Durchschnitt aus 34 bis 35. Fast alle Schwanz- und Anus- muskeln sowie Nerven und Gefäße des normalen Huhnes lassen sich beim Kaul nachweisen, und zwar in übereinstimmender Anordnung und Ausbildung. Während der Ontogenese können die Kaulembryonen scharf von den normalen unterschieden werden. Übergangsformen hat du Toir niemals feststellen können. Beim normalen Hühnerembryo gelangen (im Laufe des 4. Bruttages) etwa 49 Urwirbel zur Anlage, von denen im Durchschnitt 47 zur definitiven Ausbildung kommen. Beim Kaulhuhn dagegen werden nur etwa 35 Wirbel angelegt (!). Diese werden sämtlich ausgebildet, ohne daß eine weitere Reduktion statt- findet. LIBON behauptet, daß die gleiche Zahl von Wirbeln bei dem Kaulembryo wie beim normalen angelegt wird, und daß dann zwischen dem 9. und 11. Brüttage eine Reduktion stattfindet. Dieser Fehler beruht auf dem Umstand, daß er bis zum 9. Brüttage lauter normale Embryonen untersuchte und zufällig erst am 9. Tage der Bebrütung einen Kaul- embryo zu Gesichte bekam. Ich will hier noch einen andern Punkt berühren. Wie wohl alle Züchter von Kaulhühnern (sie sind gegenwärtig sehr spärlich vertreten), haben auch wir anfangs die unliebsame Erfahrung gemacht, daß diese Rasse in hohem Grade unfruchtbar ist, daß sich oft ganze Eiserien als unbefruchtet erweisen. Wäre die Ursache nicht bekannt, so könnte man in Versuchung kommen, an Unfruchtbarkeit infolge beginnender spezi- fischer Entfremdung zu denken. Allein es handelt sich um ein sehr ein- faches mechanisches Hindernis, zu dessen leichter Beiseitigung wir durch eine Angabe in einem Buche über Geflügelzucht geführt wurden. Da beim Kaulhuhn die Sichel- und Steuerfedern ganz fehlen, so hängt der Sattelbehang, dem Hinterteil des Körpers anliegend, über die Kloake herunter, sie mehr oder minder vollkommen zudeckend. Bei der Be- gattung ist deshalb die normale Vereinigung der beiden Kloaken behindert. Man findet in der Tat nach vollzogener Copula die Hinter- seite (Außenseite) des Sattelbehanges der Kaulhennen mit Sperma Vererbungswissenschaftliche Miszellen. 267 befleckt. Entfernt man den Sattelbehang (durch Ausrupfen oder Ab- schneiden der Sattelfedern), so kann die Begattung in normaler Weise vor sich gehen. In der Tat erweisen sich dann auch die Eier im ge- wohnlichen durchschnittlichen Prozentsatz als befruchtet. VI. Querbänderung als Kreuzungsnovum bei T. nemoralis. Im Oktober 1905 sagte ich in einem Vortrage in der Zürcherischen naturforschenden Gesellschaft, daß ich mich anheischig mache, durch Kreuzung von tüpfelbändrigen Tacheen mit verschmolzenbändrigen Varietäten eine quergestreifte Form zu züchten. Ich glaubte damals, daß eine solche Form wohl noch nie in der freien Natur beob- achtet worden sei. Einige Zuhörer schüttelten den Kopf zu der zuversichtlichen Voraus- sage, die indessen auf sehr einfachen Überlegungen und zuverlässigen Erfahrungen beruhte. Sowohl bei Tachea hortensis wie bei T. nemoralis!) kommt die Form mit Tüpfelbändern (var. punctata, interrupta, fasciis interruptis) im größten Teil des Verbreitungsgebietes in vereinzelten Kolonien oder in größeren Bezirken in vielen Bändervarietäten gar nicht selten vor. Am Genfersee beispielsweise ist sie geradezu häufig. Ein Exemplar von Lausanne ist in Fig. Eı abgebildet. Die Tüpfelbänder kommen dadurch zustande, daß während der Bildung und des Wachstums der Schale die Pigmentdrüsen des Mantels intermittierend tätig sind. Daraus ergibt sich ohne weiteres die immer sofort leicht festzustellende Tat- sache, daß die alternierenden pigmentierten und unpigmen- tierten Strecken der Bänder in Querreihen angeordnet sind, welche genau dem Verlaufe der Zuwachsstreifen der Schale folgen. Auch bei der Form punctata kommt es häufig zu Verschmelzungen benachbarter Bänder. Besonders häufig verschmelzen die Bänder 4 und 5. Indem dann die pigmentierten Stellen der verschmolzenen Bänder, die gleichzeitig während einer Wachstumsperiode der Schale gebildet wurden, und in einem und demselben Zuwachsstreifen liegen, zusammenfließen, entsteht eine partielle Querstreifung. Die 1) HonIGMANN (1911) hat die Entdeckung gemacht, daß nach den unerbittlichen Regeln der Priorität der allgemein adoptierte Artname nemoralis durch mutabilis (Hartmann) und der ebenso gang und gäbe hortensis durch nemoralis L. zu ersetzen sei. Ich werde aber, um unheilvolles Chaos zu vermeiden, den bisherigen Traditionen treu bleiben und eigenmächtig die Namen nemoralis und hortensis im bisher üblichen Sinne unter die ,,nomina conservanda‘ einreihen. 18° 268 Lang. vollkommen quergestreifte Form (var. undulata) läßt sich zunächst rein deskriptiv als eine Form mit Tüpfelbändern darstellen, bei der die ein- ander entsprechenden pigmentierten Stellen aller 5 Bänder zu Quer- streifen verschmolzen sind. Die Tüpfelbändrigkeit ist ein erbliches Varietätsmerkmal. Wir können der Tüpfelbändrigkeit die Voll- oder Scharf- bändrigkeit, welche das häufigste Verhalten ist, gegenüberstellen. Wir verstehen darunter die volle und gleichmäßige Ausbildung des dunklen, schwarzen oder schwarzbraunen Pigments in den scharf kontu- rierten Bändern. Dabei können die Bänder schmäler oder breiter sein. Die Breite der Bänder ist innerhalb gewisser Grenzen der fluktuierenden Variabilität (Modifikabilität) eine erbliche Eigenschaft. Es gibt breit- bändrige und schmalbändrige Varietäten. Die breitbändrige Form (var. latefasciata Rolle) scheint im allgemeinen bei hortensis häufiger vorzukommen, als bei nemoralis; namentlich in schattigen Wäldern ist sie häufig. Eine auffallend und in sehr charakteristischer Weise breitbändrige nemoralis-Varietät kommt bei Langensalza vor, von wo ich durch Herrn H. Rolle (Institut „Kosmos‘“) in Berlin reichliches lebendes Material erhielt. Wir haben es im folgenden nur mit nemoralis zu tun. Überschreitet die Breite der Bänder eine gewisse Grenze, so ver- schwindet der sie trennende Zwischenraum und die Bänder verschmelzen. Es entsteht beim 5 bändrigen Typus die verschmolzenbändrige Form var. coalita Moq., welche fast ganz schwarz ist (var. nigra Picard) mit Ausnahme der Nabelgegend und eines Spiralstreifens der Naht ent- lang, wo die hellere Grundfarbe der Schale zutage tritt (Fig.E 3 u. 4). Wir wollen die schwierige Frage unentschieden lassen, ob neben der fluk- tuierenden Modifikabilität noch eine erbliche Variabilität in der Breite der Bänder der var. latefasciata vorkommt. Soviel ist sicher, daß in einigen meiner Zuchten die komplette Verschmolzenbändrigkeit vor- herrscht, in andern dagegen die gänzliche Verschmelzung gewisser Bänder, namentlich des dritten und vierten, häufiger unterbleibt. Alle verschmolzenbändrigen Tiere sind in der frühesten Jugend getrennt fünfbändrig. Die Verschmelzung der Bänder während des Wachs- tums tritt zu sehr verschiedenen Zeiten ein, bald außerordentlich früh, bald erst auf dem letzten Umgang, bald sogar erst im letzten Augen- blick, sozusagen vor Türschluß, unmittelbar vor der Mündung. Dies zu konstatieren, ist für uns wichtig. Die verschiedenen Bänder ver- schmelzen verschieden rasch. Meist pflegen zuerst einerseits die Bänder Vererbungswissenschaftliche Miszellen. 269 4 und 5, anderseits, die Bänder 1, 2 und 3 (diese in variabler Reihen- folge) zu verschmelzen und dann erst das verschmolzene Band 3 mit dem verschmolzenen Band 4. Meine Kreuzungsversuche hatten mit großer Wahrscheinlichkeit hinsichtlich der Verhältnisse der Epistase, bzw. Dominanz folgendes ergeben. (Wir gebrauchen im folgenden die Bezeichnung Dominanz im alten Mendelschen Sinne.) Tüpfelbändrigkeit ist dominant über Scharf- und Vollbändrigkeit, Breitbändrigkeit ist dominant über Schmalbändrigkeit. Viele tüpfelbändrige und viele breitbändrige Exemplare in der freien Natur und viele in meinen Zuchten sind Heterozygoten. In ihrer Nachkommenschaft treten bei den ersteren (den tüpfelbändrigen) recessivmerkmalige vollbändrige, bei den letzteren schmalbändrige Exemplare auf. Auch ohne Kenntnis der Dominanzverhältnisse war I 2 3 4 Fig. E. T. nemoralis. 1. var. punctata. Ex. von Lausanne. 2. quergebändertes Ile2e 3° 4e 5 Kreuzungsnovum (non ad.) von punctata und coalita = undulata. 3 und 4. var. coalita mit verschmolzenen 5 Bandern: 1 2 3 4 5. die Anordnung von Kreuzungsversuchen, welche zur Bildung von quer- gestreiften Schnecken als Kreuzungsnova führen sollten, ohne weiteres gegeben. Es handelte sich darum, die erbliche Neigung zur intermittierenden Pigmentbildung der var. punctata mit der erblichen Neigung zur Ver- schmelzung der Bänder bei der breitbändrigen Form coalita zu kom- binieren. Zu diesem Zwecke richtete ich einige Kreuzungsversuche zwischen typischen Individuen dieser Varietäten ein und benutzte dazu von der var. punctata mir zur Verfügung stehende Individuen mit mög- lichst breiten und zum Teil schon etwas verschmolzenen Bändern. Voriges Jahr und in diesem Jahre erhielt ich, gleich aus der ersten Kreuzungszucht, das gesuchte Resultat. Es sind in der Nachkommen- schaft einzelne typisch quergebänderte Exemplare (var. undulata Gentil.) aufgetreten. Wie von vornherein zu erwarten stand, ist die durchgehende Querstreifung bei diesen Exemplaren in sehr ver- 270 Lang. schiedener Weise ausgebildet, je nachdem die Verbreiterung der Tüpfel- bänder der Nachkommen früher oder später zur vollständigen Ver- schmelzung der Bänder und damit zur Herstellung, kompletter, durch- gehender Querbänder führte. In einem extremen Fall erfolgte die völlige Verschmelzung erst vor der Mündung, es kam somit nur ein durch- gehendes Querband, vor der selbst wieder pigmentierten Mündung zustande. In andern Fällen flossen die fünf Tüpfelbänder schon früh- zeitig auf dem letzten Umgang zusammen, so daß mehrere durch- gehende Querbander gebildet wurden; die typische forma coahta. (Fig. E2.) Bei der Mehrzahl der tüpfel- und breitbändrigen Nachkommen (es traten auch voll- und schmalbändrige Recessive auf) kam es indes nur zu einer partiellen Verschmelzung der Tüpfelbänder und mit- hin zur Ausbildung einer nur partiellen Querbänderung. Folgendes ist eine schematische Darstellung des Kreuzungsversuches, welcher zur Entstehung des Kreuzungsnovums der Querbändrigkeit geführt hat. Tüpfelbändriger Elter Voll- und zugleich verschmolzen- == bändriger Elter 1 210,55 a lala 1203215 — Querbändrige Nachkommen ==’ —)— In W. TAYLOR’s ausgezeichnetem Werk: ,,Monograph of the Land & Freshwater Mollusca of the British Jsles‘ Part. 18 1gıı S. 312 lese ich, daß GENTILUOMO 1867 in Lucca eine typische quergebänderte nemoralis gefunden und als var. undulata bezeichnet hat. TAYLOR verzeichnet für diese Varietät eine ganze Reihe englischer und irischer Fundorte, unter anderm auch solche (Bassenthwaite und Keswick in England), wo sie häufig vorkommen soll. Mein Kollege Prof. O. STOLL hat ein wunder- schönes Exemplar am Genfersee gesammelt. Es würde gewiß leicht sein, eine konstante quergestreifte Rasse zu züchten, konstant in dem Sinne, daß aus einem Gelege stets eine größere Anzahl total quergestreifter Individuen hervorgehen würde, während die übrigen partiell quergestreift wären. Ob es gelingen würde, eine Rasse zu züchten, bei der die totale Querstreifung bei allen Individuen auftreten würde, hängt wohl davon ab, ob ein breitbändriger Geno- typus aufzufinden ist, bei dem die Bänder auch der extremen Minus- modifikanten noch breit genug sind, um ihre vollkommene Verschmel- zung zu bedingen. Vererbungswissenschaftliche Miszellen. 271 Die experimentelle Erzeugung von vollkommener Querbänderung aus der Längsbänderung als Kreuzungsnovum durch züchterische Kom- bination mendelnder Faktoren leitet unsere Gedanken sofort auf die Theorie von EIMER und seiner Schüler und Anhänger (Gräfin VON LINDEN u.a.) hinüber, zufolge welcher, ‚nach den Gesetzen organischen Wachsens‘“, durch Abänderung in wenigen ganz bestimmten Richtungen (Orthogenesis), wie versucht wurde für die Säugetiere, Vögel, Reptilien, Schmetterlinge, Meeresschnecken usw. zu zeigen, aus der ursprünglichen Längsstreifung durch Vermittlung der Fleckzeichnung die moderne Querstreifung hervorging. Unser Kreuzungsversuch zeigt, daß eine solche Umwandlung der Zeichnung auch ohne Ortho- genesis vor sich gehen konnte. Hätte die Querbanderung der Tachea- arten unter bestimmten Umweltverhältnissen beträchtlichen Selektions- wert, so wäre die Möglichkeit gegeben, daß die forma coalita in den betreffenden Bezirken zu einer prädominierenden Varietät würde. — Darüber sind wohl alle Malakologen einig, daß bei unseren Land- schnecken des Subgenus Pentataenia die Längsbänderung mit Fünf- zahl der Bänder eberso sicher den ursprünglichen, phylogenetisch älteren Zustand darstellt, wie das wildgraue Haarkleid bei den Nagern. Und die Tüpfelbänderung ist wohl ebenso gewiß jüngeren Datums, wie der schwarze, braune oder gescheckte oder albinistische Pelz der Ratten und Mäuse. Die Ouerbänderung aber ist eine ,,haute nouveauté“. VI. Präparator ALFRED NAGELI’s Zuchten kurzschwänziger und schwanzloser Hausmäuse. Am 7. April 1911 trat in einem Wurf von 5 Jungen normal lang- schwänziger Mäuseeltern, die Herr ALFRED NÄGELI, Präparator an den meiner Leitung unterstellten zoologischen Sammlungen der Uni- versität, unterhielt, mutationsartig neben 4 normal-langschwänzigen Geschwistern ein Männchen mit auf den zweiten bis dritten Teil der normalen Länge verkürztem Schwanz auf. Der Schwanz dieses Männchens, welches den Stammvater der NÄGELI’schen Zucht dar- stellt, mißt beim erwachsenen Tier ca. 39 mm. Die normale Schwanz- länge schwankt bei den erwachsenen Männchen zwischen 78 und 95 mm, bei den Weibchen etwa zwischen 76 und go mm. Der Vater des kurzschwänzigen „Mutanten“ war ein normal- schwänziger Albino aus einem Stamm weißer Mäuse, den Herr NÄGELI gezüchtet hatte, ohne daß in dieser Zucht je Kurzschwänzigkeit beob- achtet worden wäre. Die Mutter war eine braungelbe normalschwänzige 272 Lang. Maus, welche Herr NAGELI durch Vermittlung eines Herrn LEIBBRAND von einer Pariser Tierhandlung erhalten hatte. Die beiden Eltern waren am 15. Marz miteinander zur Zucht vereinigt worden. Die Mutter starb am 25. April ıgıL. Herr NAGELI hat nun, von dem kurzschwänzigen Stammvater ausgehend, umfassende Zuchtversuche angestellt, die immer noch im Gange sind, die aber jetzt schon einige so interessante Resultate ergeben haben, daß es sich rechtfertigt, sie in einer kurzen Zusammenfassung mitzuteilen. Ich habe Herrn NÄGELI von Anfang an mit den Anforderungen bekannt gemacht, welche die exaktere moderne experimentelle Ver-' erbungslehre an einwandfreie Zuchtversuche stellt, und er hat denn auch die Versuche durchaus von diesen Gesichtspunkten aus eingerichtet und durchgeführt: individuelle Stammbaumzucht, sorgfältige und recht- zeitige Isolierung der Zuchtpaare, genaue Registrierung, Konservierung aller abgestorbenen oder sonst disponibel werdenden Zuchtexemplare. Bei der Disposition der Zuchtversuche hat er stets meine Vor- und Ratschläge bereitwillig berücksichtigt. Der kurzschwänzige Stammvater Nr. 3 (er lebt heute, 6. Juli 1972, noch) wurde mit der einzig überlebenden normalschwänzigen Schwester Nr. 5 gepaart und zeugte mitihrin ırsukzessiven Paarungen stetssowohlnormal- schwänzige Junge alsverkürztschwänzige, diese in allen Abstufungen der Kurzschwänzigkeit bis zum völligen Fehlen eines äußerlich sichtbaren Schwanzes. Im ganzen waren unter 98 Jungen 50 normalschwänzig und 48 in verschiedenen Graden kurzschwänzig. Auch bei Kreuzung mit stammfremden normal- schwänzigen Weibchen ergab sich ein ganz ähnliches Resultat. Diese Befunde legten alsbald die Vermutung nahe, daß die Kurzschwänzigkeit, ähnlich wie bei den Manx-Katzen die Schwanzlosigkeit, über die normale Langschwänzigkeit dominiert und daß der kurzschwänzige Zuchtvater Nr. 3 persönlich ein dominantmerkmaliger Heterozygote ist. In der Tatsache der großen sich zwischen den beiden Extremen bewegenden Variabilität der verkürztschwänzigen Nachkommenschaft präsentierte sich ein hochaktuelles Problem, dessen züchterische Lösung zu versuchen sehr verlockend erscheinen mußte. Für den weiteren Verlauf der Zuchtversuche waren zunächst drei Hauptaufgaben gegeben. Es waren ı. die normalschwänzigen Nachkommen aus der Kreuzung von Kurz- und Normalschwanz unter- Vererbungswissenschaftliche Miszellen. 273 einander zu paaren, es waren 2. solche normalschwänzige Hybriden mit kurzschwänzigen zu kreuzen und 3. die kurzschwänzigen Hybriden untereinander paarweise weiter zu züchten. NÄGELI hat alle diese drei Zuchtkombinationen vorgenommen, und es haben sich bei jeder von ihnen interessante Ergebnisse heraus- gestellt. Bei der ersten Versuchsreihe: Paarung von normal- schwänzigen Hybriden (von einem normal- und einem kurz- schwänzigen Elter) untereinander, erhielt NÄGELI konstant aus- schließlich normalschwänzige Junge: nämlich in 26 Würfen 173 Junge, alle 173 normal-langschwänzig. Dieses Resultat bestätigte somit in eklatantester Weise die Mut- maßung von dem rezessiven Charakter der normalen Langschwänzig- keit. Nurein Fall schien nicht zu stimmen. NÄGELI hielt in einem Zucht- behälter ausnahmsweise drei Männchen (wovon zwei kurzschwänzige und ein normalschwänziges) mit einem normalschwänzigen Weibchen zu- sammen. Die beiden männlichen Kurzschwänze waren gegenüber dem normalschwänzigen Männchen in der Entwicklung zurückgeblieben. Am 8. Februar 1912 nun gebar das Weibchen g Junge, nämlich 6 Normal- schwänze und 3 Kurzschwänze. Herr NÄGELI meinte nun, die Vermutung liege nahe, daß das kräftigere vorgerücktere Männchen der Vater sei. Doch wird man diese Meinung nicht teilen. Die drei Männchen waren nämlich gleichaltrige Wurfbrüder. Die Entscheidung wäre leicht ge- wesen, wenn man durch Reinversuche das langschwänzige Männchen nochmals und wiederholt in Einzelzucht mit dem normalen Weibchen gepaart hätte. Leider hat NÄGELI dieses Männchen noch vor der Niederkunft des Weibchens getötet und konserviert. NÄGELI hat in der nachfolgenden Tabelle die einwandfreien Resul- tate seiner bisherigen Paarungen von normalschwänzigen Hybriden!) zusammengestellt (S. 364). Zweite Versuchsreihe. Kreuzung von kurzschwänzigen mit normalschwänzigen Hybriden. Es wurden Kurzschwänze — wir wollen auch die Bezeichnung Brachyuren gebrauchen — von sehr verschiedener Schwanzlänge zur Kreuzungszucht verwendet. Dabei ergab sich bald das interessante Resultat, daß bei keinem einzigen Wurfe sämtliche Nachkommen kurzschwänzig waren. Alle Würfe waren ge- mischte Populationen, bestehend aus normalschwänzigen Tieren und Brachyuren mit sehr verschieden langen Schwänzen. Es traten auch 1) Nur Nr. 4, 5, 6 und 7 sind keine Hybriden, sondern normalschwänzige Wurf- geschwister des kurzschwänzigen Stammvaters Nr. 3. 274 Lang. Paarung en ERS | Ansanı dcr | Zant der |Davon tang-| P>*on nick a = Würfe Kinder schwänzig a Vater | Mutter schwänzig Nr. | Nr. | 6 | 7 1 7 7 = 6 5 I 6 6 —_ 26 30 2 8 8 — 23 od. 29 30 2 10 10 — (Brüder) 33 od. 34 35 I 6 6 —_ (Brüder) 33 35 1 3 3 = 40 45 I 6 6 — 40, 41, 420d. 43 45 I 13 13 — (Bruder) 130 131 I 3 3 — 54 Sy 4 38 38 = 40 46 I 6 6 — 112 109 2 16 16 — 112 110 I 8 8 — Tr 109 3 17 17 — 40 120 I 5 5 — 40 121 I 8 8 — 4 121 I 9 9 —_ 4 120 I 4 4 — Totale ne | 26 | 173 173 | — vereinzelte (im ganzen neun) völlig schwanzlose Exemplare (Anuren) auf. Das Zahlenverhältnis der normalschwänzigen Nachkommen zu den Brachyuren (inkl. Anuren) war, alles in allem genommen, ungefähr 1 : I (nämlich 199 : 182 bei 6 zweifelhaften Exemplaren, also ein kleines Defizit zu ungunsten der Kurzschwänze). Dieser Ausfall der Nach- kommengeneration und namentlich das Zahlenverhältnis, das für die Riickkreuzung von Heterozygoten mit den rezessiven Homozygoten charakteristisch ist, ließ die Frage aufkommen, ob nicht alle Bra- chyuren samt und sonders heterozygotisch sind, ob es sich nicht vielleicht um einen Fall ähnlich demjenigen der gelben Mäuse und der nur in Bastardform lebensfähigen BAUR’schen Sippe von Antir- rhinum majus handelt. Da vorläufig keine schwanzlosen Hybriden zur Kreuzung mit normalschwänzigen benutzt wurden, so ist die Mög- lichkeit nicht ausgeschlossen, daß die Anuren schwanzlose Homo- zygoten sind. Auch lag der Gedanke nahe, der im Verlaufe der weiteren Vererbungswissenschaftliche Miszellen. 275 Zuchtversuche sorgfältig geprüft werden wird, ob bei der frappanten Variabilität der hybriden Kurzschwänze nicht vielleicht Polymerie mit im Spiele ist. Fig. F. 4 sieben Tage alte Wurfgeschwister, oben die 2 normalschwanzigen, unten die 2 extrem kurschwänzigen Jungen. Herr NÄGELI glaubte bald zu bemerken, daß unter den Nachkommen die extremen Kurzschwänze und namentlich die Schwanzlosen schwäch- licher, weniger lebenskräftig waren als die übrigen. Mehrere gingen sofort nach der Geburt zugrunde oder starben frühzeitig. Manche zeichneten sich gegenüber ihren Wurfgenossen von Anfang an durch 276 Lang. geringere Größe aus und blieben auch später im Wachstum zurück. Auch das erinnert an die eben erwähnte BAUR’sche Antirrhinum-Sippe. Einen solchen Fall haben wir oben schon kurz erwähnt. Einen neuesten Fall stelle ich dem Leser in einer instruktiven Abildung (Fig. F S.365) nach einer von Herrn cand. phil. N. LEBEDINSKY aufgenommenen Photographie vor. Der fünfte Wurf eines Mäusepaares, bei dem das normalschwänzige (?) Männchen einen 84 mm langen, das kurz- schwänzige Weibchen einen 35 mm langen Schwanz besitzt, bestand aus 2 normalschwänzigen (Nr. 707 und 708) und 3 sehr kurzschwänzigen Jungen (Nr. 704, 705 und 706). Geburtsdatum des Wurfes der 2. Juli I9I2. Nr. 706 war am 6. Juli verschwunden, offenbar von den Eltern aufgefressen worden. Anfänglich war der Größenunterschied zwischen den kurzschwänzigen und den normalschwänzigen Jungen nicht be- deutend. Er akzentuierte sich aber von Tag zu Tag. Da das eine der im Wachstum immer mehr zurückbleibenden kurzschwänzigen Jungen matt zu werden begann und die Gefahr bestand, daß es von den Eltern aufgefressen würde, entschlossen wir uns, am 9. Juli alle 4 Jungen zu töten, um ihre Formen und Größen durch Photographie festzuhalten. Die Skala auf der Abbildung entspricht ganzen und halben Zentimetern. Aber es ist in der Frage der reduzierten Lebenskraft der extremen Kurzschwänze zurzeit, da die Erfahrung noch zu gering ist, die größte Vorsicht in den Deutungen geboten). Die Resultate seiner bisherigen Kreuzungsversuche mit kurz- schwänzigen und normalschwänzigen Mäusen hat NÄGELI wiederum tabellarisch zusammengestellt. Dabei teilt er die Brachyuren nach der (relativen) Schwanzlänge in zwei Klassen ein: a) solche mit sehr kurzem, b) solche mit mittellangem Schwanz. Die Klassifikation bietet gewisse Schwierigkeiten und wird später auf Grund genauerer Messungen und statistischer Erhebungen über die Beziehungen der normalen Schwanz- länge zur Körpergröße (eventuell auch zum Körpergewicht) auf ver- schiedenen Altersstufen und bei den beiden Geschlechtern revidiert werden. Die Schwanzlänge wurde bald nach der Geburt der Jungen so genau wie möglich gemessen und später wieder, wenn die Tiere zur Nachzucht verwendet wurden. Es scheint, daß das Wachstum des Schwanzes erst im späteren Alter zum Stillstand kommt. Jedenfalls dauert es noch über mehrere der ersten Trächtigkeitsperioden der Weib- chen hinaus fort. Da das ganze Material an gestorbenen und getöteten 1) Ein weiteres inzwischen geborenes schwanzloses Mäuschen unterscheidet sich bis jetzt nicht von seinen normalschwänzigen Geschwistern. 277 Vererbungswissenschaftliche Miszellen. 9 | 0961 | 101 L9 6 6LE 15 EI ehkohie, | | = WE ı = 9 = +1 + sey ett | gat gez == I | € = — 9 I +S ¥ vir 161 or = | Us | 3 = = L I cS H £11 16 1 ov _ + | I I = 9 I ZS ¥ O11 16 | or I 3 _ I —_ Sg I 48 4 gil 06 | v = L —_ — I OI I zs ¥ Lıı 06 [| + , SurPIEIM —_ € 4 = —_ L I 4S ¥ gıI 621 ay, —_ 6 | 9 = _ $ı = ai Ya 621 AumPpIEM gil _ 6 S = — 91 r gf gol 06 | Zit —_ r I 6 _ vr z 82a gol 06 | Ill = of zı 8 3 es Z S61 LS 9f gs I 6z $1 +1 £ re) if 881 Ss ss x zs I of zz + I gs 4 123 tr 16 u or I S I I —_— 8 I og u 96z 6£ x £ aa os gz 61 I 86 Il z6 u 5 6£ ¥ £ 9Do Zuejjs37nu | zn as umur wu ae SALE EE ce | womuy ur “IN ut “IN -jayramz | IEmION wmipag aduejzuemupg| aduezuemyag usdunf oyıny usssejyzuemyoS Iop uszuanbaıy Joep Iyez 19} Nyy 19}e A -yuresag, | 1?P IUeZ jyeysuommoyyoRN a9} ‘UAZURMYISSULT JIU uozuemydszıny uoA usdunznaly 278 Lang. Versuchstieren sorgfaltig etikettiert und registriert konserviert ist, so wird eine genauere statistische Verarbeitung möglich sein. Immerhin wird eine Lücke offen bleiben, davon herrührend, daß eine Anzahl Junger von den Eltern aufgefressen wurde, andere (wahrscheinlich aus demselben Grunde) spurlos verschwanden. Nehmen wir als durch- schnittliche normale Schwanzlänge der vollerwachsenen Tiere eine solche von 90 mm,„an, so bezeichnet NÄGELI als sehr kurz- schwänzigen Brachyuren einen solchen, dessen Schwanzlänge 15 mm nicht übersteigt, also nicht mehr als ein Sechstel der normalen ist. Mittellang sind Schwänze von 15 mm bis ungefähr 75 mm, also von ein Sechstel bis fünf Sechstel der normalen Schwanzlänge. Übersteigt die Schwanzlänge 75 mm, so sind schon Zweifel berechtigt, ob der Träger zu den langschwänzigen Brachyuren oder zu den normalschwän- zigen Tieren zu zählen ist, und nur die Kreuzungsreaktion kann hier sicher entscheiden. Bei einer Schwanzlänge von über 80 mm ist die Wahrscheinlichkeit der Zugehörigkeit zur Normalschwanzklasse schon sehr groß. In der Tabelle (S. 367) werden die normalen Tiere mit n, die Brachyuren mit k und die Anuren mit a bezeichnet. Die Jungen wurden von NÄGELI nach der schätzungsweise ermittelten relativen Länge ihres Schwanzes der einen oder der anderen Klasse zugeteilt. Es muß wiederholt werden, daß diese Bestimmungen strengeren An- forderungen biometrischer Genauigkeit nicht genügen. Wir lenken die Aufmerksamkeit besonders auf die erste Familie, wo der kurzschwänzige Stammvater Nr. 3 mit der eigenen normal- langschwänzigen Schwester Nr. 5 in 11 Würfen 98 Junge zeugte, worunter 50 Normalschwänze, 47 Brachyuren und ı schwanzloses Mäusekind, also fast ganz genau das Zahlenverhältnis 1: 1. Dritte Versuchsreihe. Paarungen von schwanzlosen be- ziehungsweise kurzschwänzigen Mäusen untereinander. Auf die Resultate dieser Untersuchungen war «und bin ich begreiflicher- weise besonders gespannt. Es hat sich bis jetzt, in vorläufiger Be- stätigung meiner Vermutung, herausgestellt, daß es sehr schwer hält, kurzschwänzige, namentlich extrem kurzschwänzige oder schwanzlose Mäuse untereinander gepaart zur Fortpflanzung zu bringen, während bei Kreuzung von Kurzschwänzen mit Normalschwänzen und von hybriden Normalschwänzen untereinander Fruchtbarkeit durchaus die Regel ist. Die bisherigen Versuche NAGELI’s sind in der Tabelle S. 370—371 zusammengestellt. Ein erstes auffälliges, vorläufiges Resultat dieser Paarungsversuche von kurzschwänzigen bzw. schwanzlosen Mäusen ist das, daß, soweit Vererbungswissenschaftliche Miszellen. 279 die Versuche überhaupt Erfolg hatten, in der Nachkommenschaft die Brachyuren (inkl. Anuren) und Normalschwänze wiederum im Zahlen- verhältnisse 1 : 1 auftreten: 2 Anuren, 30 Brachyuren und 33 Normal- schwänze. Hier reicht die Annahme des heterozygotischen Zustandes der Kurzschwänze nicht aus. Man kann ‚nach berühmten Mustern“ vorläufig daran denken, worauf ich aber noch kein Gewicht legen will, daß nicht nur die Homozygoten (die Anuren?), sondern auch die sehr kurzschwänzigen Heterozygoten während der Embryonalentwickelung in großen Prozentsätzen absterben. Ein zweites auffälliges provisorisches Resultat ist die geringe Fruchtbarkeit der mit brachyuren (oder anuren) Männchen gepaarten brachyuren (oder anuren) Weibchen. Wenn man bedenkt, daß die Weibchen der Hausmaus schon im Alter von anderthalb Monaten konzeptionsfähig sind und daß die Trachtigkeitsperiode nur drei Wochen dauert, so könnten alle die in der Tabelle angeführten Paare I bis XVIII heute (6. VII. 1912) schon Junge bekommen haben. Allein nur die 4 (bzw. 5) ersten Paare haben tatsächlich Nachkommen- schaft zur Welt gebracht. Wie aus der Tabelle hervorgeht, hat Herr NÄGELI schon angefangen, entsprechend meinen Vorschlägen, Selektionszucht zu treiben, zunächst ohne strenge Inzucht. In erster Linie sind bis jetzt die extremen Kurz- schwänze und die Anuren die Selektionsobjekte. Aber bei dieser Kom- bination sind überhaupt noch keine Nachkommen zur Welt gekommen. Daß aber Selektionszucht nicht von vornherein hoffnungslos ist, scheint aus den Resultaten der vier erfolgreichen Paarungen hervorzugehen. Bei den kurzschwänzigen vier Paaren I, II, III und IV nimmt die Schwanzlänge progressiv zu 21 6 66 (1 = g =, = g er m= $23 und IV= Se) Parallel mit dieser Zunahme der Schwanzlänge der Eltern geht nun auch eine Zunahme der durchschnittlichen Schwanzlänge ihrer Nachkommen. Herr NÄGELI wird nun, meinen Vorschlägen entsprechend, die Selektionszucht nach folgenden Hauptrichtungen fortsetzen, indem er womöglich allmählich zur strengen Inzucht übergehen wird. I. Fortgesetzte Selektion anurer und extrem brachyurer Mäuse, Dieses Programm läßt sich vielleicht (? ?) wegen Unfruchtbarkeit dieser extremen Minus-Varianten nicht durchführen. 2. Fortgesetzte Selektion von Varianten von 30—40 mm Schwanz- länge. 280 Lang. Paarungen von Brachyuren bzy Eltern Vater | Mutter | Vereinigt Paare i zZ | Zahl de Nr. geboren [Schwanz Nr. | geboren Schwanz:| seit bis Tage | lange | | länge | if 149 Ito. XI.ıı le Phi 147 119. ML 110 sky 7 lie d. Geburt pr X. 11/28. XI. ıı 33 Il 3 Fo LIM /e 3a k 39 36 28.VIIlıı| sk 14 '20.XIl.ıı Bin Wee 15 | Its. 1.122602 12 J III 103 18. XI. 11 k 65 105 LESER 1G k 60 [10.XII. 11 IV 106 18. XI. ıı)l k 66 107 18. XI. 11 k 66 Wa 2 Vv 230) ) ns-22 317202168 232 15.1. 12) ie 30 23. EE weiner 114 VI 381 | T. LEE. 12° k250 | 308 9. II. 12] k28 27. IV. 1224 Willer 59 | p7- X. 11/28, XI. rz 32 VII 3 | Vein atu) | Ite eyo) 37 28.VIlLıı) sk ı3 1\12.XIl.1120.XIl.ıı 9 | ls. T. 12 175-202. 8 VIII 277 22.1 = k 40 37 28.VIIl.ıı|l sk 13 6. III. 1219. VI. 12 106 IX 102 Its XI. 11] sk 1o 104 TEXT a7 TOT ln 60 x 474 17118 121 .8'K210 358 | le 3 | 9. View 2 XI 388 2.111.121 k19 283 2x5 Mh WA Gale Sp |Pa75 Io XII 475 17.11I. 12) k 45 318 9. Hr 12] isk 4 8. V. 12 XIII 440 21.11.12} k4o 319 g. II. 12} sk 10 18. Vey 12 XIV 415 Lope 2172| ato 378 Pin AMIS 12 Gyles 6 6: Wis 2 XV 377 21211. Al EY "C) 416 12, Lit. 12) a 0 6. Ve 12 XVI 454 26. Ill. 12} k 23 433 20. III. ı2 sk 4 5 Wile a2 XVII 455 26-111. 12) ik 23 453 26. III. 12} sk 7 Go Wily 1h XVITI 449 ZrO kes 404 1. IV. 12) sk 13 So WAG ae XIX 382 i) Palit} )) ke 36 128.VIIlıı) sk ı4 |26. VI. 12 Os 170 |30.XII.11| sk 4 | 589 ep We al 1 ae 1. VII. 12 XXI 56228 72: 3V-2 12172720 525 22V 12 | Sr ts WAGE 1 XXII 588 bie Nie 163) SC) 590 TEEN 173) eS He WANS 317 XXI 582 6. V. 12] k 28 50 20“ zul k 29 1. VII. 12 3. Fortgesetzte Selektion von Varianten von 60—70 mm Schwanz- lange. Daneben werden gelegentlich wieder normalschwanzige Resurgenten miteinander und mit Kurzschwänzen gepaart werden müssen. es gelingen, bestimmte Schwanzlängen (innerhalb der festzustellenden Grenzen fluktuierender Modifikabilität) durch Selektion zu fixieren und gar homozygote Anuren zu züchten, so werden dann erneute Kreu- zungen den Prüfstein dafür abgeben, ob die Selektion aus einer gemischten Sollte Eee a 2 Vererbungswissenschaftliche Miszellen. 281 Anuren untereinander. Nachkommenschaft Frequenzen der Schwanzklassen | Brachyuren Zahl der Zahl der fe = = h = Normal- Zweifelhaft Würfe Jungen De Sans =: ae schwänze ob k oder n sehr kurz mittellang 7 ' 2 10 2 2 2 4 = : 3 19 _ 2 8 9 a 2 II —_ _ 5 4 2 7 30 —_ _ II 16 3 = = = = = = —ı) Population polymerer Heterozygoten reine Genotypen isoliert hat oder ob ein solcher Erklärungsversuch auszuschließen ist. Wir werden unsere Aufmerksamkeit auch einem allfälligen Abortieren kurzschwänziger oder schwanzloser Embryonen und einer allfälligen defekten Gametogenesis der Brachyuren und Anuren zuwenden. 1) Das Weibchen Nr. 308 des Paares VI starb am 24. Juni 1912. Die Sektion ergab das Vorhandensein eines in vorgeschrittener Verwesung begriffenen Fetus im Uterus. Induktive Abstammungs- und Vererbungslehre. VIII, 19 282 Lang. Nachschrift. Bei der Korrektur der Fahnenabziige bietet sich mir die Gelegen- heit zu berichten, daB die seit dem 6. Juli gemachten Erfahrungen die früheren durchaus bestätigen. Das Elternpaar I hat keine Nach- kommen mehr geliefert. Die Zuchten V bis XVI, XIX und XXI sind resultatlos geblieben. Vor allem ist zu notieren, daß Paarungen extremer Kurzschwänze oder Anuren untereinander in keinem einzigen Falle fruchtbar gewesen sind. Die Aussichten auf einen Erfolg von Selektionsversuchen scheinen sich zu mehren. 22. August 1912. Literaturverzeichnis. BALTZER, F. Über die Beziehung zwischen dem Chromatin und der Entwicklung und Vererbungsrichtung bei Echinodermenbastarden. Arch. Zellforschung. Bd. V. 1910. S.498—621. 5 Taf. 19 Textfigg. Baur, Erwin. Untersuchungen über die Erblichkeitsverhältnisse einer nur in Bastard- form lebensfahigen Sippe von Antirrhinum majus. Ber. Deutsch. Bot. Ges. Jahrg. 1907. Band XXV. Heft 8. S. 442—454. — Einführung in die experimentelle Vererbungslehre. Berlin 1911. 293 S. 80 Textfigg. 9 Taf. Bovert, Tu. Uber mehrpolige Mitosen als Mittel zur Analyse des Zellkerns. Verhandl. phys.-med. Gesellsch. Würzburg. N.F. Bd. XXXV. 1902. S. 67—90. — Zellen-Studien. Heft 6. Die Entwicklung dispermer Seeigel-Eier. Ein Beitrag zur Befruchtungslehre und zur Theorie des Kerns. Jen. Zeitschr. Naturw. Bd. 43. 1907. Auch Seperat. Jena. 292 S. ıo Taf. 73 Textfigg. — Die Vorgänge der Befruchtung und Zellteilung in ihrer Beziehung zur Ver- erbungsfrage in: Beitrage zur Anthropol. u. Urgeschichte Bayerns. 1888. S. ro Anm. BURRESCH, Iw. Untersuchungen über die Zwitterdriise der Pulmonaten. I. Die Differenzierung der Keimzellen bei Helix arbustorum. Arch. Zellforschung. Bd. 7. to11/12. S. 314—343. 5 Textfigg. Taf. XXIX—XXxX. DuRHAM, FLORENCE M. Further Experiments on the Inheritance of Coat Colour in Mice. Journ. Genetics Vol. 1. 1911. No2. March. p. 159—178. East, Epwarp M. A Mendelian Interpretation of Variation That is Apparently Continuous. Amer. Natural. Vol. 44. 1910. p. 65—82. GOLDSCHMIDT, RICHARD. Einführung in die Vererbungswissenschaft. Leipzig 1911. 502 S. 161 Abb. — Enrblichkeitsstudien an Schmetterlingen. I. Untersuchungen über die Vererbung der sekundären Geschlechtscharaktere und des Geschlechts. Zeitschr. indukt. Abstammungs- und Vererbungslehre. Bd. VII. 1912. S. ı—62. 23 Textfigg. 2 Taf. : Gross, J. a) Über einige Beziehungen zwischen Vererbung und Variation. Biol. Centralbl. Bd. XXVI. Nr. 13 bis 18. 1906. — b) Über Vererbung und Art- bildung. Ibid. Bd. XXXI. 1911. Nr. 6 und 7. GuLick, ADpıson. Über die Geschlechtschromosomen bei einigen Nematoden, nebst Bemerkungen über die Bedeutung dieser Chromosomen. Arch. Zellforschung. Bd. VI. 1911. S. 339—382. Taf. XVIII—XX. 5 Textfigg. Vererbungswissenschaftliche Miszellen. 283 HonicMANN, Hans Leo. Beiträge zur Molluskenfauna von Magdeburg. II. Abh. u. Ber. a. d. Museum f. Natur- u. Heimatkunde usw. Magdeburg 1911. Bd. II. Freft El. 'S:o.u. ff KUnKEL, Karr. Ein bisher unbekannter, grundlegender Faktor für die Auffindung eines Vererbungsgesetzes bei den Nacktschnecken. Verh. Deutsch. Naturf. Ärzte. Karlsruhe 1911. Abt. Zool. Entomol. S. 437—448. 6 Textfigg. KUPELWIESER, Hans. Weitere Untersuchungen über Entwicklungserregung durch stammfremde Spermien, insbesondere über die Befruchtung der Seeigeleier durch . Wurmsperma. Arch. Zellforschung. 8. Bd. 1912. S. 352—395. 3 Taf. 4 Textfigg. LAnG, ARNOLD. Über die Bastarde von Helix hortensis Müller und Helix nemoralis L. Eine Untersuchung zur experimentellen Vererbungslehre. Mit Beiträgen von H. BossHArpD, PauL Hesse und ErLisaBETH KLEINER. Festschrift. Jena 1908. 120 S. 4 Textfigg. 4 lithogr. Taf. — Die Erblichkeitsverhältnisse der Ohrenlänge der Kaninchen nach CAstrE und das Problem der intermediären Vererbung und Bildung konstanter Bastard- rassen. Zeitschr. f. indukt. Abstammungs- u. Vererbungslehre. Bd. IV. 1910. Heft ı. S. 1—23. — Fortgesetzte Vererbungsstudien. Zeitschr. f. indukt. Abstammungs- u. Ver- erbungslehre. Bd.V. ıgı1. S. 97—138. LıBon, GEoRG. Ansichten über das Vorkommen, die Abstammung und Entstehung des schwanzlosen Haushuhnes. Berner Dissertation. Hannover 1911. 54 S. 4 Taf. DE MEIJERE, J.C. H. Über getrennte Vererbung der Geschlechter. Arch. Rassen- u. Gesellsch.-Biol. 8. Jahrg. 1911. S. 553—603, 697—752. Morean, T. H. An alternative Interpretation of the Origin of Gynandromorphous Insects. Science. N. S. Vol. XXI. 1905. No 538. p. 632—634. 1 Textfig. — The Cause of Gynandromorphism in Insects. Amer. Naturalist. Vol. XLI. 1907. No 491. p. 715—718. — Hybridology and Gynandromorphism. Americ. Naturalist. vol. XLIII. 1909. No 508. p. 251—253. : — An Attempt to analyze the Constitution of the Chromosomes on the Basis of sex-limited Inheritance in Drosophila. Journ. Exp. Zoöl. Vol. 11. 1911. No 4. p- 365—412. 4 Textfigg. 1 Taf. v. SIEBOLD, C. TH. Über Zwitterbienen. Zeitschr. wiss. Zool. Bd. 14. 1864. S. 73 —8o. Beschreibung der berühmten Bienengynandromorphen aus einem Stock italienischer Bienen des Imkers Eugster in Constanz. Sranpruss, M. Experimentelle zoologische Studien mit Lepidopteren. Denkschr, Schweiz. Naturf. Ges. Bd. XXXVI 1. 1898. 5 Taf. 81 S. Über Gynandro- morphismus S. 53—67. — Hybridations-Experimente, im weitesten Sinne des Wortes, vom Jahre 1873 bis zur Gegenwart in ihren Ausblicken auf die Scheidung der Arten und den Weg, welchen diese Scheidung durchlauft. Advance Print from the Proc. of the seventh. Intern. Zodlog. Congress. Boston Meeting 1907. Aug. 19—24. 1909. P. 57—73- 2 TAyror, Joun W. Monograph of the Land & Freshwater Mollusca of the British Isles. Part 17. 1910. Part 18. 1911. Reich illustriert. Toyama, K. Studies on the Hybridology of Insects. I. On some Silk-Worm Crosses, with special Reference to Mendel’s Law of Heredity. Bull. College Agric. Tokyo Imp. University. Vol. VII. 1906. p. 259—393. Plate VI—XI. Witson, Epmunp B. The Sex Chromosomes. Arch. mikr. Anat. Bd. 77. ıgıı. S. 249—271. 5 Textfigg. 19* Die „sekundären“ Geschlechtscharaktere der Insekten und das Problem der Vererbung des Geschlechts. Von Dr. Otto Steche (Leipzig). Auf der letzten Tagung der Deutschen Zoologischen Gesellschaft in Halle 1912 habe ich über Untersuchungen berichtet, welche gemein- sam mit Herrn stud. KURT GEYER angestellt wurden und sexuelle Unterschiede in der Hämolymphe der Insekten betrafen. Wir konnten feststellen, daß durchgehend bei Lepidopteren und vereinzelt auch bei anderen Insektengruppen eine verschiedene Färbung der Lymphe auftritt in dem Sinne, daß sie bei den weiblichen Larven mehr oder weniger intensiv grün, seltener leuchtend gelb, bei den männlichen dagegen schwach gelblich oder farblos ist. Dieser Unterschied tritt nur bei phytophagen Larven auf (daher auch das verstreute Vor- kommen außerhalb der Lepidopterengruppe) und ließ sich durch spektroskopische Untersuchungen auf einen Gehalt des Weibchenblutes an Chlorophyliderivaten zurückführen, während das © höchstens Xanthophyll oder gar keine derartigen Körper enthält. Das offenbar sehr wenig veränderte Chlorophyll ist im Blute in gelöstem Zustande vorhanden, da die Lymphe auch nach der Filtration durch Berkefeld- kerzen, welche alle geformten Bestandteile zurückhalten, eine deutlich blaugrüne Farbe und das gleiche Spektrum wie die unveränderte Lymphe zeigt. Der sehr charakteristische, in Hunderten von Ver- suchen festgestellte Unterschied der beiden Geschlechter kann nun darauf beruhen, daß entweder das Männchenblut einen Stoff enthält, welcher das Chlorophyll zerstört oder daß es schon in den Darmzellen bei den 3 d abgebaut wird. Nach inzwischen angestellten Versuchen an Raupen von Lymantria monacha, die besonders geeignet ist, weil bei ihr keine Schwärzung der Hämolymphe durch Tyrosinase auftritt, dürfte die zweite Annahme zutreffen. Denn wenn man farblose Männchenlymphe in vitro zu der grünen Weibchenlymphe zusetzt, so Die „sekundären‘ Geschlechtscharaktere der Insekten usw. 285 tritt auch bei längerem Stehen keine Entfarbung ein. Eine Abhängig- keit dieser Erscheinung von den Geschlechtsdrüsen besteht nicht, denn Kastration und Transplantation, welche bei Lymantria dispar und monacha in zahlreichen Versuchsserien, zum Teil kombiniert mit Bluttransfusion ausgeführt wurden, ändern am normalen Verhalten absolut nichts. Es erscheint danach die Annahme unabweislich, daß die bisher für sexuell völlig indifferent gehaltenen Darmzellen in ihren Stoff- wechselreaktionen bei ¢ und 9 scharf geschieden sind. Die Farbe der Chlorophyllösung dient dafür bei den phytophagen Larven als ein sehr bequemer Jndikator. In der Annahme, daß wohl auch in den Eiweiß- körpern der Lymphe ein sexueller Unterschied bestehen könnte, ver- suchten wir die Präzipitierung mit Serum, das durch Injektion von Kaninchen mit Hämolymphe gewonnen worden war. Es ergab sich dabei aber kein Unterschied beim Zusammenbringen der Männchen- und Weibchenlymphe mit dem Serum. In beiden Fällen trat bei nicht zu großer Verdünnung ein deutlicher Ausfall ein. Das Resultat ist nicht verwunderlich, da die zweifellos zahlreich vorhandenen gleichen Eiweißkörper durch ihre Fällung die spezifische Reaktion der un- gleichen verdecken werden. Der ganze Umweg erwies sich aber als unnötig, denn wir konnten feststellen, daß beim einfachen Zusammen- bringen der Lymphe von J und 9 der gleichen Art eine typische Reaktion, Schlierenbildung und Zusammenballung der Leukozyten ein- tritt, die sich nur quantitativ von der Reaktion bei der Mischung art- fremder Lymphen (Z. dispar und L. monacha) unterscheidet. Bringt man die Lymphen mehrerer Individuen des gleichen Geschlechts (z. B. 20 9 von L. monacha) zusammen, so erfolgt keine Reaktion, sondern die Lymphe bleibt dauernd klar. Es verhalten sich also die beiden Geschlechter der gleichen Lepidopterenspezies chemisch zuein- ander wie fremde Arten (oder besser Rassen). Dadurch dürfte sich übrigens die von KOPEC!) bei seinen Transfusionsversuchen ebenso wie von uns beobachtete Erscheinung erklären, daß die Raupen nach der Transfusion des geschlechtsfremden Blutes lange Zeit starr und bewegungslos verharren und anscheinend schwer geschädigt sind. Es tritt dann eben auch im Körper diese Reaktion zwischen den zwei Blutarten ein, die natürlich zu schweren mechanischen und chemischen Störungen Anlaß geben muß. Injektion eines Extraktes (resp. einer Suspension) von Chlorophyll in physiologischer Kochsalzlösung wurde 1) Kastration und Transplantation bei Schmetterlingen. Arch. f. Entw.-Mech. 33. 286 Steche. von unseren Versuchstieren entschieden besser vertragen als Blut- transfusion, da hier die Störung durch die fremden Eiweißkörper des Blutes wegfiel. In dieser Fällungsreaktion bei Mischung der Blutarten dürfte nun auch ein Mittel gegeben sein, die geschlechtliche Differenzierung des Stoffwechsels in den Fällen bei Insekten nachzuweisen, wo der Jndi- kator der Chlorophyllfarbe fehlt. In einigen Fällen haben wir bereits derartige Reaktionen erhalten (Coleopteren, Orthopteren). Der aus- führliche Bericht über die gesamten Untersuchungen wird von Herrn GEYER an anderer Stelle erstattet werden, hier soll nur der u. E. theoretisch interessanteste Punkt der Ergebnisse etwas eingehender in seiner Bedeutung klargelegt werden. Es haben diese Untersuchungen in exakter Form den Beweis erbracht, daß ganze Zellterritorien des Insektenorganismus, in unserem Falle zum mindesten die Darmzellen, welche man bisher für sexuell indifferent hielt, tatsächlich geschlechtlich differenziert sind. Solche Unterschiede aber, speziell die spezifische Reaktion der Bluteiweißkörper, machen den Schluß fast unabweislich, daß bei den Insekten der gesamte Organismus geschlecht- lich differenziert ist. Es dürfte damit der Beweis geliefert sein für die zuletzt von KAMMERER in seiner schönen Übersicht über den Ursprung der Geschlechtsunterschiede besonders energisch ver- tretene Auffassung, daß Geschlechtsunterschiede den Artunterschieden prinzipiell gleichzusetzen seien. Dadurch wird ein Verständnis der experimentellen Ergebnisse der Kastration und Transplantation bei Insekten (cf. MEISENHEIMER!) und KOPEC) sehr erleichtert. Denn wenn es keine Abänderungsmöglichkeit durch innere Sekretion oder Nerveneinfluß zwischen Geschlechtsdrüse und somatischen Merkmalen gibt, sondern alles „primäre“ Sexualcharaktere sind, so ist die Erfolg- losigkeit eines Eingriffs an den Geschlechtsorganen selbstverständlich. Ob KAMMERER im Recht ist, wenn er einen spezifischen Einfluß der inneren Sekretion der Keimdrüsen prinzipiell ausschaltet und dieser nur eine trophische Reizwirkung auf schon präformierte Anlagen zu- schreibt, möchte ich bezweifeln. Es scheint mir, besonders im Hin- blick auf die Kastrations- und Transplantationsergebnisse an Wirbel- tieren2), richtiger, einen spezifischen Einfluß dieser inneren Sekretion anzunehmen, der sich nur je nach der Selbständigkeit der somatischen 1) Experimentelle Studien über Soma- und Geschlechtsdifferenzierung I u. II. Jena 1909 u. 1911. 2) Steinach, E.: Willkürliche Umwandlung von Säugetiermännchen in Tiere mit ausgeprägt weiblichen Charakteren etc. Pflügers Arch. 144. Die ,,sekundaren‘' Geschlechtscharaktere der Insekten usw. 287 Merkmale verschieden stark geltend machen kann. Dafür spricht besonders die Korrelation der „primären“ und „sekundären“ Sexual- charaktere, die, wie alle derartige Korrelationen, wohl am leichtesten durch chemische oder nervöse Beziehungen der beteiligten Organe entstanden zu denken sind. Phylogenetisch lassen sich also primäre und sekundäre Sexualmerkmale denken, ontogenetisch haben wir aber bei den Insekten jedenfalls nur „primäre“ Sexualcharaktere vor uns, welche aller Wahrscheinlichkeit nach die spezifische Ausbildung aller somatischen Zellen bedingen. Der Begriff der primären und sekundären Sexualcharaktere ist also für die Insekten gegenstandslos. Im Hinblick auf diese theoretische Konsequenz unserer Ergebnisse scheint mir nun eine Diskussion der äußerst interessanten Ergebnisse und Schlußfolgerungen am Platze zu sein, die GOLDSCHMIDT vor kurzem veröffentlicht hat (Erblichkeitsstudien an Schmetterlingen I. Untersuchungen über die Vererbung der sekundären Geschlechts- charaktere und des Geschlechts (Zeitschr. f. induktive Abstamm.- u. Vererbungslehre, Bd. VII, H.ı. 1912). GOLDSCHMIDT’s Arbeit basiert auf eigenem Material und auf 8 Jahre hindurch fortgesetzten Zuchten eines Lepidopterologen, des Herrn BRAKE. Es handelt sich um Kreuzungen zwischen unserem Schwammspinner, Zymantria dispar und seiner japanischen Unterart, Z. japonica. Bei diesen Zuchten traten nun unter bestimmten Bedingungen gynandromorphe Formen auf, zunächst nur 9 9, endlich auch dd. Die Analyse der hierbei vor- liegenden Vererbungsprobleme hat G. in sehr scharfsinniger Weise durchgeführt. Vom Standpunkt unserer Ergebnisse kann ich mich jedoch mit einem Teil seiner Schlußfolgerungen, nämlich vor allem der Rückführung der experimentellen Ergebnisse auf zytologische Ver- hältnisse nicht einverstanden erklären. Die grundlegende Beobachtung GOLDSCHMIDT’s ist die, daß bei bestimmten Kreuzungen, bei dispar Q x japonica G in Fy, bei der rezi- proken dispar SG x japonica Q erst in Fy, gynandromorphe 9 © auf- treten, die im Bau der Geschlechtsdriisen anatomisch typische © © sind, in den übrigen Organen aber mehr oder weniger starke Anklange an den Mänchenhabitus aufweisen. Um dies zu erklären, macht G. folgende Annahme: Er führt 2 Paare von Erbfaktoren ein: F(O) und M(G) für „den weiblichen resp. männlichen Geschlechtsbestimmer“; G(Q) und A(d) für die sekundären Geschlechtsanlagen. Da in den somatischen Charakteren Mischformen vorkommen, so muß jedes Geschlecht beide Faktoren, G und A, enthalten (das Ergebnis jeder Mischung wird dann durch Änderung der relativen Potenz dieser 288 Steche. beiden Faktoren erklart (s. u.). S. 28 macht nun G. fiir die sekun- dären Charaktere folgende Bemerkung: ‚Es dürften sich somit die Gesamtheit dieser Charaktere, die so ziemlich die meisten Organ- systeme betreffen, auf Grundlage eines Erbfaktors vererben, resp. einer Anzahl streng korrelierter, was für die theoretische Betrachtung identisch ist.‘ Dieser Punkt gibt Anlaß zu verschiedenen Einwänden. Wie G. selbst zugibt, ist die Zahl der diesem Faktor unterstehenden Merkmale tatsächlich sehr groß. G. selbst bespricht folgende Punkte: Flügel: Färbung, Zeichnung, Form, Größe. Fühler: Breite, Länge der Fiedern, Dornen der Fiedern, Haare und Schuppen am Schaft, Terminalborste. Abdomen: Form, Größe, Behaarung, Afterwolle. Genitalien: d: Chitinring, Saccus, Uncus, Valvae, Penis. 9: Ostium bursae, laminae abdominales, 2 Paar Apophysen. Schuppen: Form. Instinkte: Flatterinstinkt, Kopulationstrieb. Jeder einzelne dieser Punkte setzt sich nun wieder aus einer großen Anzahl von Einzelfaktoren zusammen, die selbständig abändern können (s. u.). Dazu ließe sich noch eine große Anzahl anderer morphologischer Merkmale fügen, die schon bekannt war, nur von G. wegen ihrer geringeren Deutlichkeit nicht berücksichtigt ist. Es kommen nun aber auf Grund unsere Befunde wohl auch alle übrigen Organe hinzu, so daß dieser Erbfaktor G (resp. A) schließlich das gesamte Soma umfassen muß. Daß diese Anlagen nun streng korrelativ vererbt werden, trifft entschieden nicht zu, wie aus G.’s eigenen Ausführungen vielfach her- vorgeht. Es sind nämlich die Potenzschwankungen für die einzelnen Anlagen sehr verschieden. So sagt G. S. 31, daß ,,Fliigelfarbung und äußere Genitalien zuerst nach dem anderen Geschlecht hin abändern‘. S. 30 steht: „Die Fühler wurden in diese Tabelle nicht aufgenommen, weil sie stärker als alle anderen Charaktere zur Männlichkeit tendieren.“ Der beste Beweis dafür ist aber das Auftreten eines sehr feinen Mosaiks auf Flügeln, Fühlern und Abdomen. Dies läßt sich nur auf 2 Arten erklären: entweder so, daß die Faktoren für alle einzelnen Stellen (ev. die einzelnen Schuppen) unabhängig voneinander in ihrer Potenz bei der Vererbung variieren, oder, daß die zunächst einheitlich bestimmte Potenz sich sekundär im Laufe der Ontogenese der einzelnen Teile ändert. Diese Schwankungen in der Potenz lassen Die „sekundären‘‘ Geschlechtscharaktere der Insekten usw. 289 sich jedenfalls mit dem Begriff der Korrelation, wie er bisher aufgefaßt wurde, nur schlecht vereinigen. Wenn wir an der von G. postulierten Einteilung in Erbfaktoren für primäre und sekundäre Geschlechtsanlagen festhalten, so ergibt sich folgendes Verhältnis. Einesteils haben wir die Faktoren G (A) für die ‚sekundären Sexualcharaktere“. Diesen untersteht das gesamte Soma. Der Einfluß der „Geschlechtsbestimmer‘ F(M) hat also nur Gültigkeit für den Aufbau der Geschlechtsdrüse, die also hiermit dem übrigen Körper als etwas völlig Gesondertes gegenüber- gestellt wird. Wenn wir G. zunächst einmal in dieser Einteilung folgen, für die wir von unserem Standpunkte keine Berechtigung finden, so ergeben sich bei dem Versuche G.’s, seine Resultate auf zytologische Verhältnisse zurückzuführen, folgende Konsequenzen. Verlegen wir den Geschlechtsbestimmer, wie üblich, in die Hetero- chromosomen und sehen das © als heterozygot an (da in G.’s Zuchten zuerst nur gynandromorphe Q Q auftraten), so ließe sich die Verteilung der „Geschlechtsbestimmer‘ im einfachsten Falle durch ein 9 X-Chro- mosom mit dem Faktor F erklären (Q Ff C ff). Dadurch, daß das Q aber Anlagen für Gd und 9 sekundäre Sexualcharaktere enthält, wird die Sache nur mit Hilfe von 2 ungleichen Chromosomen mög- lich. Sekundäre und primäre Sexualcharaktere sind korreliert, also in einem Chromosom vereinigt und wir würden demnach erhalten FGa (Weibchenbestimmer, y) und fgA (Männchenbestimmer, x). Das homozygote co enthielte dann 2 X-Chromosomen fgA. Nun kennen wir gerade unter den Insekten viele Formen, welche nicht x- und y-Chromosomen, sondern nur eine Art von Heterochromosomen ent- halten. In diesem Falle muß die Geschlechtsbestimmung neben dem Heterochromosom stets noch in einem andern morphologisch nicht differenzierten Chromosom vorhanden sein, resp. da diese stets paarig sind, in einem Paar von solchen. Da nun die sekundären und primären Sexualbestimmer korreliert sind, so müssen sie im gleichen Chromosom vereinigt, also der Faktor F auch homozygot im Q vor- handen sein. G. kommt dabei endlich zu folgendem Schluß: Es gibt bei solchen Formen, wie die hier besprochenen, 4 Faktoren für die Geschlechtsbestimmung, FG(Q) und MA(d). Diese sind so verteilt, daß das d 2 X-Chromosomen mit MA enthält, das 0 davon nur I. Beide Geschlechter enthalten außerdem je 1 Paar GF Chromosomen. Mit Hilfe dieses Chromosomen und der Annahme, daß M und A über G und F epistatisch sind und daß die Potenz aller dieser Faktoren 290 Steche. schwankt, wobei das epistatische Minimum gelegentlich unterschritten wird, kann G. tatsächlich alle seine Befunde darstellen. Er hat aber dabei die alte Auffassung der Erbfaktoren und ihre Verteilung in den Chromosomen völlig verschoben. Das Heterochromosom ist seiner Sonderstellung völlig entkleidet worden. Einmal reicht, wie wir eben sahen, die Annahme eines Heterochromosomes nicht aus, und in allen den Fällen, wo bei Insekten nur r Heterochromosom beobachtet ist, muß auf Grund dieser Kreuzungsergebnisse noch ein latentes Hetero- chromosomenpaar gefordert werden. Denn da aller Wahrscheinlichkeit nach bei allen Insektengruppen die somatischen Sexualcharaktere von denen der Keimdrüse unabhängig sind und der ganze somatische Erb- komplex sex-limited ist, so werden sich die Resultate der G.’schen Kreuzungen wohl für die Insekten verallgemeinern lassen. Worin unterscheiden sich nun aber diese Heterochromosomen von den übrigen Chromosomen? Da sie Faktoren für „primäre und sekundäre Sexualcharaktere‘“ per definitionem enthalten, so liegt in jedem Heterochromosom tatsächlich der Anlagekomplex für den ganzen Organismus. Es unterscheiden sich dann also die Heterochromosomen in nichts von den übrigen Chromosomen. Denn es genügt, wenn man sich auf den Boden der G.’schen Anschauung stellt, nicht etwa, in den geschlechtsbestimmenden Chromosomen einen generellen Faktor der Weibchen- oder Männchendetermination anzunehmen, sondern es muß jeder einzelne sexuell dimorphe Charakter im Heterochromosom vertreten sein, da die Mosaikvererbung ja auf einer verschiedenen Potenz der einzelnen Erbfaktoren beruht. Es fällt also mit dieser Ableitung der Unterschied zwischen den normalen und den geschlechtsbestimmenden Chromosomen. Will man ihn aufrecht erhalten, so kommt man zu folgender Vorstellung. In den gewöhnlichen Chromosomen ist die Anlage der einzelnen Charaktere in „neutraler“ Form gegeben. Die geschlechtsbestimmenden Chromo- somen enthalten dann für jede dieser neutralen Anlagen einen Faktor, der sie in G oder Q determiniert. Diese Vorstellung scheint mir kaum durchführbar, wie sollten sich dann z. B. die Vererbungsverhältnisse gestalten, wenn ein Organ nur in einem Geschlecht sich verändert ? Entweder muß dann der ,,neutrale‘‘ Faktor mit verändert werden, oder der geschlechtsbestimmende Faktor muß, wenn er sich allein ändern soll, so beschaffen sein, daß neben ihm der neutrale völlig überflüssig erscheint. Sind nach diesen Ausführungen qualitative Unterschiede, resp. das Vorhandensein spezieller geschlechtsbestimmender Chromosomen Die ,,sekundaren‘‘ Geschlechtscharaktere der Insekten usw. 291 unwahrscheinlich geworden, so bliebe natürlich die Möglichkeit einer quantitativen Bestimmung zuzugeben. Wenn wir annehmen, daß bei gerader Zahl von Chromosomen (resp. Chromosomenpaaren) @ und 9 determinierte in gleicher Zahl vorhanden sind, so könnten natürlich Heterochromosomen quantitativ ausschlaggebend werden. Ob aber eine derartig grobe Vorsteilung zulässig ist, erscheint mir sehr zweifelhaft. M.E. deckt also gerade der bis ins äußerste durchgeführte Versuch GOLDSCHMIDT’s, seine experimentellen Befunde mit den zytologischen Vorstellungen zu vereinigen, die inneren Widersprüche, welche in der Theorie der geschlechtsbestimmenden Chromosomen liegen, sehr klar auf. Um so angenehmer ist es nun für den, der die Tatsachen mehr vom physiologisch-chemischen Standpunkte betrachtet, daß in den Ausführungen GOLDSCHMIDT’s sich ein Punkt findet, der für physio- logische Auffassung Ansatzpunkte bietet. Das ist der von ihm sehr stark ausgenutzte Potenzbegrif. Wenn er ihn auch noch in ver- erbungstheoretische Formeln kleidet und den Wechsel der „Potenz“ als fluktuierende Variation der einzelnen Erbfaktoren auffaßt, so bleibt doch die Tatsache unbestreitbar, daß mit ihrer Hilfe die Vererbungs- träger sich aus starren Einheiten, die nur durch Anwesenheit oder Fehlen wirken können, in labilere, physiologisch zugänglichere Bil- dungen umwandeln. Ich vermute, daß der Ausbau des Potenz- begriffes ein Gebiet schaffen wird, auf dem sich die jetzt so scharf gegenüberstehenden Vererbungsmechaniker und Physiologen zu gemein- samer Arbeit zusammenfinden können. Referate. Haecker, V. Allgemeine Vererbungslehre. 405 S., ı Titelbild, 4 Taf., 133 Fig. Braunschweig. Vieweg u. Sohn. IgI2. 2. Auflage. Kaum vor Jahresfrist erschien die erste Auflage dieses Werkes und schon ist eine zweite nötig geworden; ein Beweis, nicht nur dafür, wie viel die vom Verf. angeregten Probleme in der Gegenwart diskutiert werden, sondern auch, wie klar und verständlich Verf. den gegenwärtigen Stand der „Vererbungslehren“ einem größeren Publikum vorzutragen vermochte. Wenn Ref. auch diese Neuauflage einer kurzen Besprechung unter- ziehen darf, so ist von vornherein zu betonen, daß es sich dieses Mal nicht um das Hervorheben der großen Richtlinien handeln kann, denn die sind gegen die erste Auflage natürlich nicht verändert worden. Es sind nur Einzelheiten neu dazu gekommen — der Umfang des Buchs ist um knapp einen Druckbogen gewachsen —, aber diese verteilen sich doch auf nahezu alle Kapitel und legen davon Zeugnis ab, daß Verf. überall eine wirkliche Durcharbeitung vorgenommen hat. Wir wollen im folgenden die wichtigsten Veränderungen kurz berühren. So fallen uns im ersten Teil (der „historischen Einleitung‘) vor allem die Ausführungen über den Stammbaum der Habsburger auf, die mit mannigfachen Bildern versehen, uns von den eigenen genealogischen Studien des Verf. berichten, so finden wir in dem Kapitel über die „statistischen Methoden“ eine etwas breitere Darstellung und dazu auch ein — das vorige Mal fehlendes — „Variationspolygon‘ abgebildet. Der zweite Teil (,‚die morphobiologischen Grundlagen der Vererbungslehre‘‘) trägt auf S. 25ff. den neueren chemischen Untersuchungen über die Nukleoproteide etwas eingehender Rechnung; auch die experimentelle Serumforschung ist mit ein paar Worten jetzt genannt. Auf S. 62ff. bei der Behandlung der Fort- pflanzungsverhältnisse werden die „Fortpflanzung durch Einzelzellen‘“ als „Cytogonie‘ und die „Vegetative Vermehrung durch Zellkomplexe‘‘ einander gegeniibergestellt. Und im gleichen Kapitel fallen uns noch eine Reihe von Veränderungen auf, so z. B. betreffs der cytologischen Daten für Differenzierungen der Urgeschlechtszellen, die für die Frage der „Keimbahn“ ja von besonderem Interesse sind. Ferner sind die Angaben über ,,Auto- nomie‘‘ der väterlichen und mütterlichen Kernbestandteile durch die neuen Figuren entschieden für den Studierenden deutlicher geworden. Der dritte Teil (,,Weismanns Vererbungslehre“) bringt uns zunächst (auf S. 122) eine modernere Definition der „Anlage“ als „unbekannte, in der Beschaffenheit der Fortpflanzungszellen gelegene Ursachen für die einzelnen Erscheinungen ..., welche im Verlauf des Entwicklungsprozesses in bestimmten Organisationen des Entwicklungsproduktes mit Gesetzmäßig- keit zutage treten“. Des weitern erwähnt Ref. (S. 148) die Bezugnahme auf O. Hertwigs neueste Versuche, die Sexualzellen mit Radium und Referate. 293 Mesothorium zu bestrahlen, sowie endlich die Skepsis, die nun auch Verf. den Guthrie’schen Transplantationsversuchen angedeihen läßt (S. 189). In dem vierten Teil („Experimentelle Bastardforschung‘‘) hat Verf. sich an einer ganzen Reihe von Stellen etwas eingehender geäußert als das vorige Mal. Ref. hebt hervor die Ausnahmen von der Mendelschen Spaltungsregel (S. 226), die Bemerkungen über ontogenetischen und phylo- genetischen Dominanzwechsel (S. 244), die schärfere Präzisierung, daß das Hervortreten der äußeren Charaktere und die Vererbung der Anlagen, die z. B. auch eine besondere „Reaktionsfähigkeit‘“ bedeuten können, zweierlei Dinge sind. Hier ist offenbar Verf. von dem Baurschen Buche über die Vererbungslehre in sehr glücklicher Weise beeinflußt worden. — Die Zwillingsbastarde von Oenothera (S. 246), die neuesten Erfahrungen von Nilsson-Ehle, wonach ein und dasselbe Merkmal bei derselben Pflanze durch verschiedene Faktoren bedingt sein kann (S. 269) und die viel ausführ- lichere Darstellung der Geschlechtsvererbung (S. 2731f.) seien hier genannt. Im letzteren Falle ist Correns’ Aryonia-Beispiel eingehend analysiert und sind die Erfahrungen von Doncaster an Abraxas und die von Spillman, Pearl und Surface an Hühnern neu aufgenommen. — Auch Baurs erweiterten Forschungen über die Erbeinheiten bei Antirrhinum, sowie de Vries’ ,,doppelt- reziproken Bastarden“ ist kurz Rechnung getragen. Sonst möchte Ref. noch kurz die Polemik gegen Johannsen (S. 295) erwähnen, der nach Meinung des Verf. die Weismannschen Gedanken ungenau gewürdigt hat, und die etwas breitere Behandlung der Mutationen. Wir lesen (S. 300), daß von ihnen nahezu alle bekannten Verlustmutationen sind und werden von Towers Leptinotarsa-Experimenten unterrichtet, die in der ersten “Auflage nur mit ein paar Worten berührt waren. Schließlich sei noch auf die etwas ausführlichere Behandlung der Korrelation der Merkmale ver- wiesen (S. 316). Der fünfte Teil („Neue morphobiologische Vererbungshypothesen‘) ‚bringt im wesentlichen das gleiche wie das erste Mal. Hier sind sogar einige Kürzungen vorgenommen. Ref. bedauert, daß dabei auch das in- struktive Schema von der ,,Neukombination der Chromosomen“ nach Ziegler (auf S. 346) fortgefallen ist. — Für das Kapitel: Chromosomen und Ge- schlechtsbestimmung konnte Verf. schon Schleips große Zusammenstellung in den „Ergebnissen der Zoologie‘ benutzen. Wenn Ref. seine Besprechung noch nicht schließt, sondern auch einige kleinere ‚kritische‘ Bemerkungen zu machen hat, so soll das natürlich nicht ein Ausgraben von Kleinigkeiten bedeuten, in denen nur er persön- lich anderer Meinung ist wie der Verf., sondern es soll sich um Dinge handeln, welche der Botaniker überhaupt vielleicht etwas anders wie der Zoologe formulieren würde. Zu allererst seien da ein paar direkte Fehler genannt. Auf S. 86 sind die Literaturzitate unrichtig wiedergegeben (für „Ascomyceten“ Christman, für „Basidiomyceten“ Claussen, anstatt des umgekehrten); auf S. go (und darauf Bezug genommen ist auch auf S. 337 bis 338) findet sich die inzwischen von Moore (Bot. Gaz. 36 1903). als irrig erkannte Angabe, daß ein Kern simultan in vier Enkelkerne zerfallen kann. Des weiteren dürfte (S. 148) infolge der cytologischen Forschungen von Geerts die Deutung sich nicht aufrecht erhalten lassen, daß durch die Verdoppelung der Chromosomenzahl bei Oenothera gigas der Unterschied gegenüber den Charakteren von O. Zamarckiana erklärt sei. Auch ist der Satz auf S. 166 bezüglich der komplementären Adaptation von Cyano- hyceen von Sauvageau (C. R. soc. biol. Paris 1908) und Klingstedt Poller: finska Vet. Soc. Förh. 51 1909) lebhaft bekämpft worden und 294 Referate. Dangeards neueste Funde (C. R. Ac. Sc. Paris 153 1911) haben wohl auch die Sache noch nicht endgültig im Sinne von Engelmann und Gaidukov entschieden. Endlich (S. 213) wiirde kaum ein neuerer Botaniker mehr Aegilops speltaeformis ohne weiteres als Beispiel für eine konstante Bastardrasse gelten lassen. Sehr begrüßen würde es Ref., wenn Verf. in einer späteren Auflage seines Werkes in Kap. 9 (‚die Reifungsteilungen und ihre stammesgeschicht- liche Bedeutung“) auf die interessante Tatsache eingehen würde, daß es Organismen gibt (Konjugaten, Chlorophyceen, Characeen, wohl auch die Phycomyceten), bei denen die diploide Generation auf die Zygote selbst beschränkt ist, und daß demgegenüber bei anderen Thallophyten (Myxo- myceten, Diatomeen, z. T. Phaeophyceen und Floriden, Asco- und Basidio- myceten) eine Alternanz von haploider und diploider Generation vorhanden ist, wobei offenbar die Tendenz besteht, die letztere immer mächtiger sich entwickeln zu lassen. Speziell die Konjugaten mit der Gattung Spirogyra sind offenbar hier von besonderem Interesse. Nach der Lektüre von Tröndles Arbeit (Zeitschr. f. Bot. ıgrı) hätte Verf. auch wohl kaum eine Parasyndese mehr für so unwahrscheinlich gehalten, wie er es auf S. 34I—343 tut, denn bei dieser Gattung kann man sich ja von der all- mählichen Entstehung dieses Chromosomen-Kopulationsmodus klar Rechen- schaft ablegen. Im Kapitel über „Chromosomenzahl“ (S. 112ff.) wäre ein Hinweis auf die außerordentliche Gleichförmigkeit bei den Gymnospermen (fast ohne Ausnahme beträgt die haploide Zahl 12 Chromosomen) vielleicht ganz in- struktiv gewesen. Auch fehlt dem Ref. die Aufführung plurivalenter Pflanzenrassen (Marchals „experimentell erzeugte‘‘ Laubmoose, Musa sapi- entum (Ref.), Dahlia coronata (Jshikawa). Endlich wäre nach Meinung des Ref. eine Nennung der Funde von Schübeler (S. 167) und Cieslar (S. 168) kaum nötig. Verf hat ja selbst auf die kritischen Bedenken ihnen gegenüber hingewiesen, und es dürfte in der Gegenwart wohl kaum noch jemand für die Richtigkeit der alten Daten eintreten. Ref. hat weit ausholen müssen, um die paar Ausstände herauszu- suchen, die nach seiner Meinung zu machen sind. Im übrigen möchte er versichern, daß auch der botanische Teil außerordentlich präzis und glücklich dargestellt ist, so daß dieses von einem Zoologen geschriebene Buch für jeden Biologen — sogar in Einzelfragen — eine Quelle reicher Belehrung bilden wird. G. Tischler. Laughlin, H. The inheritance of color in Shorthorn eattle. A study in somatic blends accompanying gametic segregation and intra-zygotic inhibition and reaction. Amer. Natur. Vol. 45 (1911), p. 705—742 und Vol. 46 (IgI2), p. I—28. Laughlin stellt eine neue Hypothese auf zur Erklärung der ver- schiedenen Färbungen des Shorthornrindes. Das Wesentliche derselben ist in folgenden Punkten zu suchen: 1. Das somatische Farbkleid setzt sich aus zwei Gruppen bestimmt lokalisierter Gebiete zusammen, die von zwei genetisch voneinander unabhängigen Faktorengruppen bestimmt werden. Das Gebiet der ersten Gruppe umfaßt folgende Areale: vorderer und hinterer Flankengurt, Unterlinie und ein feines den übrigen Körper bedeckendes Netzwerk. Das Gebiet der zweiten Gruppe umfaßt: Seiten, Rücken, Hinterpartie, Beine Referate. 295 und ein feines Netzwerk über Nacken und Kopf (mit Ausschluß des von der ersten Gruppe in Anspruch genommenen Gebietes). 2. In beiden Gruppen handelt es sich um folgende Merkmalspaare: P = Pigmentbestimmer (es handelt sich ausschließlich um rotes Pigment), — Fehlen desselben, W = Vorhandensein eines Antikörpers, w = Fehlen desselben. 3. Den Pigmentfaktor hat man sich als ein Enzym vorzustellen. Auf dieses Enzym wirkt der Antikörper in verschiedener Weise ein, je nachdem, ob er in geringerer oder größerer Menge vorhanden ist. a) Im ersteren Fall, wenn der Antikörper nur in geringer Menge vor- handen ist, wird (das Enzym) der Pigmentfaktor P zwar gehemmt, so daß er sich somatisch nicht betätigen kann, er bleibt jedoch vorhanden und wird bei der Gametenbildung in die Gameten weitergegeben. b) Im letzteren Fall dagegen, wenn der Antikörper in „größerer“ Quantität in der Zygote sich vorfindet, tritt er mit dem Enzym (P) in Reaktion und zerstört dasselbe. Es wurde also — noch ehe die Onto- genesis beginnt — die Zygote bezüglich der ihr zukommenden genotypischen Grundlage sekundär verändert. Der ursprünglich in derselben vor- handene Pigmentfaktor (PP) wurde infolge des in genügend großer Menge vorhandenen Antikörpers (WW) völlig zerstört. Wenn der aus dieser sekundär pp enthaltenden Zygote hervorgehende Organismus seinerseits zur Gametenbildung schreitet, müssen die Gameten in Übereinstimmung mit dieser sekundären Beschaffenheit der elterlichen Zygote nur mehr p enthalten. Referent hofft, mit dieser Darlegung den vom Autor eingeführten Be- griff der „intrazygotischen Hemmung und Reaktion“ (intracygotic Inhibition and Reaction) im Sinne des Autors aufgefaßt und wiedergegeben zu haben. Leider trägt Laughlin selbst dieser offenbar von ihm angenommenen sekundären Veränderung der Zygote infolge chemischer Reaktion in den zahlreichen, im übrigen nach der Presence-Absence-Theorie orientierten Erbformeln keine Rechnung, worauf im Interesse des Lesers hingewiesen werden muß. Das Verständnis der Arbeit ist dadurch erschwert, wie folgende Tabelle zeigt, deren Formeln die graduelle Zunahme des Anti- körpers W dem Pigmentfaktor P gegenüber illustrieren sollen. Dabei ist die Annahme gemacht, daß jede Wirkung des Antikörpers zuerst an den Pigmentbestimmern der ersten Gebietsgruppe zum Ausdruck kommt. Erst wenn danach noch weiterer Überschuß des Antikörpers vorhanden ist, werden auch die Pigmentfaktoren von Gruppe 2 angegriffen. Als verschiedene Stufen der Einwirkung des Antikörpers W auf den Pigmentfaktor P werden folgende aufgezählt: Gruppe 7 Gruppe 2 1. Kein Antikörper vorhanden oder zul wwPP | (wwPP) Angusrasse. wenig, um Hemmung zu bewirken. = einfarbig Uberhaupt einfarbig schwarze Zuchten. 2 Geniigende Menge des Antikörpers vor-| WWPP (wwPP) | Holsteinrind. Fleck- handen, um den Pigmentbestimmer der = gescheckt | vieh überhaupt. __1. Gebietsgruppe zu hemmen. gi BER, 3. Genügend mehr Antikörper, um auch| WWPP | (WWPP) Britisches weißes den Pigmentbestimmer der 2. Areal- = weiß „Park‘rind. gruppe zu hemmen. Referate, Gruppe 1 | Gruppe 2 > . Weitere Zunahme der Menge des Anti- Der Pigmentbestimmer der | körpers. 1. Gruppe wird zerstört. wwpp ern = wel | Nicht repräsentiert. 5. Weitere Zunahme. Auch in Gruppe 2| wwpp | (wwpp) | Gelegentlicher Albi- Zerstörung des Pigmentbestimmers = weiß nismus. 6. Nach Zerstörung des Pigmentbestimmers | WWpp | (wwpp) Weiße Shorthorn in beiden Gruppen ist noch ein Uber- = weiB vom Typus Nr 9 NS schuß des Antikörpers vorhanden, der in Gruppe ı deponiert wird. (s. unten). . Noch weitere Zunahme des Antikörpers. Nach Zerstörung des Pigmentbestimmers in Gruppe ı und 2 noch ein Überschuß WWpp | (WWpp) = weiß Vielleicht gewisse Sippen desbritischen weißen Parkrindes. in beiden Gruppen. Hierzu sei folgende Bemerkung gestattet: Bei Stufe 4 ist (laut Text) eine größere Menge des Antikörpers (W) vorhanden als bei Stufe 3, die Formel jedoch lautet ww (in Gruppe I). w= Fehlen des Antikörpers. Dasselbe gilt für Stufe 5 gegenüber den vorhergehenden. Offenbar soll hiermit wiederum der sekundäre Zustand der Zygote veranschaulicht werden nach stattgehabter Reaktion zwischen dem ursprünglich in bestimmter Dosis vorhandenen Antikörper WW und dem ursprünglich ebenfalls vorhandenen Pigmentfaktor PP. Nach erfolgter Reaktion und durch dieselbe sind beide verschwunden, das Pigment zerstört, der Antikörper aufgebraucht. Wäre (bei Nr. 4) nach Zerstörung des Pigmentbestimmers von Gruppe I noch ein Rest des Antikörpers vorhanden, so würde der Pigmentbestimmer der zweiten Gruppe angegriffen (Nr. 5), wäre nach dessen Zerstörung noch ein Überschuß von Antikörper vorhanden, würde derselbe in Gruppe ı deponiert (Nr. 6) usw. Eine genotypische Formel soll aber darüber Aufschluß geben, wie die elterlichen Gameten beschaffen waren, die in der betreffenden Zygote sich vereinigten, womit zugleich gegeben ist, welcher Art die Gameten des aus dieser Zygote hervorgehenden Organismus sein müssen. Letztere Forderung ist (bei der Formel wwpp) erfüllt, erstere jedoch nicht, denn primär muß in dieser Zygote (wwpp) der Pigmentbestimmer P vor- handen gewesen sein (sonst hätte er nicht „zerstört‘‘ werden können. Ebenso muß W existiert haben, wie der erklärende Text zu den Formeln 4 und 5 ausdrücklich hervorhebt?). Daß bei einer Zygotenkonstitution wwpp das Soma weiß (albinistisch weiß) erscheinen muß, leuchtet von selbst ein, ebenso die ,,Rezessivitat‘ dieser Farbe: Sobald bei einer Kreuzung der Pigmentfaktor P in die Gameten wp eingeführt wird, kann er sich ungestört manifestieren, da ja kein Antikörper mehr in der betreffenden Gamete vorhanden ist: Ebenso ist klar, daß eine Zygote von der Zusammensetzung WWpp wiederum weiße Farbe hervorrufen muß, und daß dieses „Weiß‘‘ bei Kreuzung mit einem gefärbten Partner sich als ‚‚dominant“ erweisen muß, denn wird P in die 1) Oder ob damit ausgedrückt sein soll, daß dieser Vorgang (Zerstörung des Pigmentfaktors) einmal — bei Entstehung der Rasse — stattfand und nun seither die genotypische Gruppeneinheit wwpp in den einzelnen Individuen vorhanden sein kann? Dem scheint jedoch u. a. folgender Satz zu widersprechen: The Shorthorns are a race of white cattle caught in the making and preserved in the nascent state by a rigid selection. It is thus conceivable that mutations may arise constantly, and that they may be progressive in character. Referate. 297 Gamete Wp eingeführt, so kann es sich somatisch nicht betätigen, da der Hemmungsfaktor W vorhanden ist. Laughlin formuliert seine Hypothese folgendermaBen: There are two groups of genetically independent sets of hairs intermingled to make up the short-horn color coat. One set is alternatively “positive white’ (W) and red (R), in which the white is dominant and the red recessive; the other set is alternatively red (R) or “albinic white’ (wr), in which the red is dominant and the white recessive. Dominant white is caused by a specific antibody existing in the cygote in small quantities, retarding or inhibiting the ontogenesis of the determiner for pigmentation. The same body existing in larger quantities reacts with and destroys the determiner for pigmen- tation, causing recessive or albinic white. Ist dies verständlich ? Im r. Fall: „positives Weiß“ WR oder „dominantes Weiß“; der Hemmungsfaktor W (Antikörper) in genügender Menge vorhanden. Im 2. Fall: ,,albinistisches Weiß‘‘ oder ,,rezessives Weiß“ wr; derselbe Antikörper W in größerer Menge vorhanden. Die „größere Menge‘‘ des Antikörpers ist doch zunächst etwas Vor- handenes, warum dann ,,w‘ geschrieben? Zum mindesten müßte aus- drücklich gesagt werden, daß dieses w sekundär und dadurch entstand, daß das ursprünglich vorhandene W bei Zerstörung des ursprünglich vor- handenen P aufgebraucht, verschwunden ist. Sieht man von diesen chemischen Vorstellungen und Erklärungs- versuchen und ihrer Vermischung mit der sonst geubten mendelistischen Denkweise ab und tritt unbefangen den vom Autor gegebenen Analysen der verschiedenen Färbungsmöglichkeiten des Shorthornrindes gegenüber, so erscheint die Sache folgendermaßen. Laughlin macht folgende Annahmen: I. Es kommen bei der Färbung des Rindes zwei Gruppen von Faktoren in Betracht, die genetisch voneinander unabhängig sind und zwei bestimmt umgrenzte Gruppen von Körperarealen bestimmen (s. oben). 2. Es kommen folgende Merkmalspaare in Betracht: W = Hemmungsfaktor für Pigmentbildung, w = Fehlen desselben, R = Bestimmer fiir rotes Pigment, t = Fehlen desselben. 3. Bei den einzelnen Individuen der Shorthornrasse kommen bezüglich der zwei Gruppen von somatischen Arealen folgende genotypische Konstel- lationen obiger Faktoren vor: in Gruppe I: WWrr (= weiß, da kein Pigmentfaktor vorhanden). WWRR (= weiß, da der Hemmungsfaktor vorhanden). wwRR (= Rot). in Gruppe 2: (wwRR) (= rot). (wwRr) (= rot). (wwrr) (= weiß). Daraus ergeben sich neun genotypische Kombinationen und dreierlei somatische Typen, nämlich: Gruppe I Gruppe 2 I. wwRR(wwRR) = Ex (homozygot). 2. wwRR(wwRr) = ro 3. wwRR(wwır) = seh (, roan) (homozygot). 4. WwRR(wwRR) = rotgrau. Induktive Abstammungs- und Vererbungslehre, VIII. 20 298 Referate. 5. WwRR(wwRr) = rotgrau. 6. WwRR(wwrr) = weiß. 7. WWrr(wwRR) = rotgrau (homozygot). 8. WWrr(wwRr) = rotgrau. 9. WWrr(wwir) = weil (homozygot). Laughlin bezeichnet mit ‚roan“ = rotgrau oder rötlichgrau, alle Tiere, die nicht einfarbig rot oder einfarbig weiß sind, ohne Unterscheidung zwischen rot-weiß gefleckten Tieren und solchen, bei denen einzelne rote und weiße Haare gemischt sind (rotgrau im engeren Sinn). Er betrachtet beide als „mixedcolored“, und die Fleckzeichnung nur als gröberes Mosaik der Mischung von einzelnen weißen und roten Haaren gegenüber. Es kommen also nur drei Farbkategorien in Betracht. Jede derselben ist sowohl homozygotisch als auch heterozygotisch vorhanden. Rot tritt in die Erscheinung, wenn in beiden Gruppen W fehlt und R vorhanden ist; rotgrau kann auf verschiedene Weise entstehen, wie Nr. 3, 4, 5, 7 und 8 zeigen. Weiß entsteht infolge Fehlens des Pigmentfaktors in beiden Gruppen (Nr. 9) oder (wie in Nr. 6) infolge Anwesenheit des Hemmungsfaktors neben vorhandenem Pigmentfaktor. Mit diesen neun theoretisch denkbaren Genotypen sind 45 verschiedene Kreuzungen möglich, auf die hier im einzelnen natürlich nicht eingegangen werden kann. Laughlin zeigt an einer Reihe von Beispielen, wie sonst auffallende und schwer verständliche Zuchtresultate an Hand dieser Formeln ihre Erklärung finden können, so z. B. das wiederholt beobachtete Auftreten eines Uberschusses von rotgrauen Tieren aus der Kreuzung rotgrau >< rot- grau. Es wurden in einem konkreten Fall erhalten: 56 rot, 193 rotgrau, 60 weiß, also 62,46% rotgrau. Nach der früheren, mit nur einer Faktoren- gruppe operierenden Auffassung müßten aus der Kreuzung rotgrau >< rot- grau 50% rotgrau hervorgehen. Denn rotgrau ist nach dieser Auffassung stets heterozygot, entstanden aus homozygot rot >< homozygot weiß, muß also spalten in rot, rotgrau und weiß im Verhältnis 1:2:ı. Mit der Möglichkeit des Vorhandenseins rotgrauer Homozygoten (s. oben Typus 3 und 7) im Zuchtmaterial, wird der Überschuß rotgrauer Nachkommen ständlich. Das in andern Fällen tatsächlich beobachtete Verhältnis 1: 2: 1 ist mit der neuen Hypothese ebenfalls erklärbar. Angenommen, die Elterntiere hatten die genotypische Zusammensetzung: WwRR(wwRr) rotgrau >< wwRR(wwrr) rotgrau, so ergibt sich Gameten: WR(wR) wR(wr) WR(wr) wR(wk) wR(wr) Zygoten: WwRR(ww Rr). = rotgrau WwRR(wwrr) = weiß wwRR(wwkr) = rot wwRR(wwrr) = rotgrau. Es ergibt sich ferner: Weiße Eltern brauchen nicht ausschließlich weiße Nachkommen zu haben. Sind zufällig beide Heterozygoten, so müssen 25% der Nach- kommenschaft gefärbt erscheinen. WwRR(wwrr) weiß =< WwRR(wwrr) weiß Gameten: WR(wr) WR(wr) wR(wr) wR(wr). Referate. 299 Zygoten: WWRR(wwrr) = weiß WwRR(wwrr) = weiß wWRR(wwrr) = weiß wwRR(wwrr) = rotgrau. Sodann: Daß es dem Züchter nicht gelingt, durch Ausschaltung aller nicht roten Tiere von der Weiterzucht, eine reine rote Rasse zu erzielen, ist leicht verständlich, da es rote Heterozygoten gibt (Typus 2). Gehören zu- fällig beide Eltern diesem Typus an, so müssen in der Nachkommenschaft 25 % rotgraue Tiere erwartet werden: wwRR(wwRr) < wwRR({wwRr) Gameten: wR(wR) wR(wR) wR(wr) wR(wr). Zygoten: wwRR(wwRR) = rot wwRR(wwRr) = rot wwRR(wwRr) = rot wwRR(wwrr) = rotgrau. Oder: In einem bestimmten Fall erzeugte ein weiBer, von rotgrauen Eltern abstammender Shorthornbulle mit verschiedenen roten Kiihen 45 rot- graue und g rote Kälber, mit einer rotgrauen Kuh ein weißes Kalb. Die weiße Farbe des Stieres kann eine verschiedene genotypische Grundlage haben, je nachdem, welchem der verschiedenen rotgrauen Typen die Eltern zugehörten. Er kann homozygot WWrr(wwrr) oder heterozygot WwRR (wwrr) gewesen sein. Bei gewissen Kreuzungen zwischen rotgrau >< rotgrau sind (neben farbigen) sowohl homo- als heterozygote weiße Nachkommen zu erwarten (z. B. Typus Nr. 8 x 5), bei anderen (z. B.8 >< 8) nur homo- zygote, wieder bei anderen (8 ><3) nur heterozygote weiße Nachkommen (neben rotgrauen). War der weiße Stier homozygot (Typus 9), so sind zu erwarten: mit einer homozygoten roten Kuh (Typus I) = 100 % rotgraue Nachkommen, mit einer heterozygoten roten Kuh (2) = 50% weiß und 50 % rotgrau. War der weiße Stier heterozygot (6), so ergibt dies mit rot homozygot = 50% rot und 50% rotgrau, mit rot heterozygot = 50 % rot- grau, 25% rot und 25 % weiß. (Der Stier scheint demnach heterozygot ge- wesen zu sein, da homozygot weiß >< rot [homo- oder heterozygot] das Auftreten roter Nachkommen nicht erklärt. Was die Natur der roten Kühe anbetrifft, so könnte man annehmen, daß alle homozygot waren [Typus r]. Dann stimmt das ausschließliche Auftreten rotgrauer und roter Nach- kommen, aber die Zahlenverhältnisse stimmen schlecht [theoretisch 1:1; erhalten 45:9]. Ein Teil der roten Kühe — ihre Gesamtzahl ist nicht mit- geteilt — muß also wohl heterozygot angenommen werden; dann fehlen allerdings die in diesem Fall zu erwartenden weißen Nachkommen, was vielleicht durch die zu geringe Gesamtzahl der Versuchstiere erklärt werden kann. d. Ref.) — Das weiße Kalb aus der Kreuzung mit der rotgrauen Kuh ist leicht verständlich. Die Kuh karn dem Typus 3, 5 oder 8 an- gehört haben. Im ersteren Fall z. B. ergibt sich: weiß ¢ WwRR(wwrr) X rotgrau 2 wwRR(wwrr) Gameten: WR(wr) wR(wr) wR(wr) Zygoten: WwRR(wwrr) = rotgrau wwRR(wwrr) = weiß. 20 300 Referate. Weitere Beispiele der Anwendung der neuen Hypothese zur Erklärung der beobachteten Färbungen des Shorthornrindes, verschiedener anderer Rinderrassen und auch weiterer Tiergruppen mögen im Originale nach- gesehen werden. M. Daiber (Zürich). Walther, Ad. R. ‚Beiträge zur Kenntnis der Vererbung der Pferdefarben.“ (73 Seiten Text mit 6 Tafeln.) Hannover, bei Schaper, 1912. Seit Wiederentdeckung der Mendelschen Vererbungsgesetze ist in verhältnismäßig kurzer Zeit eine gewaltige Umwälzung auf dem Gebiete der Vererbungswissenschaft vor sich gegangen. Vor allem haben die neuen Lehren in der Botanik Eingang gefunden. Ihre Gültigkeit ist hier in weiten Gebieten nachgewiesen und klargestellt. Da die Pflanzen für Vererbungs- studien viel größere Vorteile als die Tiere bieten, so erklärt es sich, daß die Zoologie gegenüber der Botanik in mancher Beziehung, was die Ver- erbungsforschung im Sinne Mendels anbetrifft, im Rückstand ist. Die Schwierigkeiten nehmen nun natürlich mit der Kompliziertheit der Orga- nismen zu. Daher erklärt es sich weiter, daß in der Zoologie die moderne Vererbungsforschung sich mehr mit weniger hochentwickelten und kleinen Tieren beschäftigt hat als mit großen. Schließlich sind nur verhältnismäßig eine geringe Anzahl von Untersuchungen bekannt, bei denen größere Tiere, z. B. größere Haustiere, die Versuchsobjekte darstellen. Diese wenigen Untersuchungen, die hier vorliegen, sind außerdem z. T. noch nicht ein- wandfrei zu Ende geführt und in ihrer Gültigkeit durchgeprüft, so daß noch ein großer Mangel in der Vererbungsforschung in diesen Gebieten festzustellen ist. Nachdem die Tragweite der Mendelschen Lehren auch für die moderne Tierzucht erkannt ist, sind nun in neuester Zeit eine ganze Reihe von Ver- suchen mit größeren Haustieren angestellt worden, so daß zu hoffen ist, daß bald Licht in ein großes Dunkel hineingebracht wird. Von den ersten Arbeiten über die Verbreitung des Mendelismus bei größeren Haustieren sind vor allem die Arbeiten über die Vererbung der Pferdefarben zu erwähnen. Ältere Hippologen teilen schon interessante Beobachtungen darüber mit. Erst der Mendelismus scheint aber hier völlige Klarheit zu bringen. Von den deutschen Forschern, die sich mit der Vererbung der Pferde- farben beschäftigten, hat sich Walther das größte Verdienst erworben, ja er ist hierbei in Deutschland bahnbrechend geworden. Nachdem seine Arbeiten z. T. in Zeitschriften veröffentlicht worden sind, liegt nun anscheinend in dem genannten Buche ein zusammenfassendes Werk über seine Forschungs- ergebnisse und deren vorläufigen Abschluß vor. Nach den Untersuchungen Walthers gelten die Mendelschen Regeln beim Pferde für folgende Faktoren: I. Grundpigment . . . . dominant: gelbes Pigment (A), rezessiv: rotes 5 (a). 2. Schwarzes Pigment (epistatisch zu I): dominant: schwarzes Pigment vorhanden (B), rezessiv: - fehlt (b). 3. Braun-Rapp-Zeichnung: dominant(?): das unter 2 genannte schwarze Pigment tritt in der Form der Braunzeichnung,also denKörper nur teilweise bedeckend, auf (C), Referate. 301 rezessiv(?): das unter 2 genannte schwarze Pigment tritt in der Form der Rappzeichnung, also den Körper völlig bedeckend, auf (c). 4. Schimmelzeichnung (epistatisch zu I und 2): dominant: Schimmelzeichnung (auf pigmen- tierter Haut stehen zwischen den pigmentierten Haaren unter- mischt weiße Haare) (1), rezessiv: Nicht-Schimmel (diese weißen Haare fehlen) (d). 5. Scheckzeichnung (epistatisch zu I, 2 und 3): dominant: Scheckzeichnung (es treten am Körper Stellen auf, die auf un- pigmentierter Haut unpigmen- tierte Haare tragen. Abzeichen rechnen nicht hierher!) (E), rezessiv: Nicht-Scheckung (solche voll- ständig unpigmentierte Haut- stellen fehlen) (e). 6. Schabrackenscheckung-Tigerzeichnung (epistatisch zu 1, 2 und 3): dominant: Tigerung-Schabrackenscheckung vorhanden (F), rezessiv: Nicht Tigerung (diese Zeichnung fehlt) (f). An der Hand von sehr umfangreichem und wissenschaftlich brauch- barem Material aus den verschiedensten Zuchtbüchern weist Walther die Gültigkeit der von ihm aufgestellten Farbfaktoren nach. Dabei ist ver- sucht, für jedes der 6 Merkmalspaare (hier X und x) die Kreuzungsmöglich- KEItenEVonEr. IOX > x 2, RE >< RR, 92 eX os) Xx und 4. xx > ax zu berücksichtigen und bei Pferdekreuzungen nachzuweisen. Meistens ist Fall Nr. 2 der Beweisführung zugrunde gelegt, wobei sich in der Nachkommen- schaft das Verhältnis 1:1 ergibt. Nicht die Abstammung, sondern die Vererbung ist zur Beurteilung eines Tieres bei den Waltherschen Be- trachtungen mit Recht in den Vordergrund gerückt. Für die Beurteilung des praktischen Zuchtwertes eines Tieres bieten aber natürlich auch die Kenntnis und das Studium der Abstammung wertvolle Aufschlüsse. Es besteht weiter nun die Frage, ob die Vererbungsregeln Walthers für die betreffenden Farben aller Pferderassen, also allgemeine Gültigkeit haben. Es scheint mir, daß bei einigen Pferdeschlägen andere Verhältnisse vorliegen, und. man eventuell einige andere Erbeinheiten einführen muß, um eine Erklärung zu ermöglichen. So sind mir unter anderem z. B. aus den Gestütbüchern des Verbandes Schleswiger Pferdezuchtvereine und ebenso von praktischen Züchtern eine große Anzahl Ausnahmefälle bekannt ge- worden, in denen von zwei Fuchs-Eltern anderfarbige Fohlen fielen. Ich gebe mich hier aber selbst der Hoffnung hin, daß diese Ausnahmefälle im Einklang mit den Mendelschen Regeln sich erklären lassen. Es scheinen mir nur gewissermaßen noch eine Menge Klippen vorhanden, die dem Sieges- zug der Mendelschen Regeln hier den Weg verlegen. Die Arbeiten Walthers haben viele solcher Unebenheiten weggeräumt, so daß zu hoffen ist, daß der Zug per aspera ad astra endigt. Leider fehlen bis jetzt fast ganz Untersuchungen im Sinne Mendels über die Vererbung „physiologischer‘‘ Eigenschaften an unseren größeren 302 Referate. Haustieren. Freilich liegen hier die Verhältnisse bedeutend schwieriger als bei „morphologischen“, äußerlich z. T. sehr leicht unterscheidbaren Eigen- schaften. Aber gerade die physiologischen Eigenschaften, z. B. Frühreife, Mastfähigkeit, Milchergiebigkeit, Empfindlichkeit, Körperkraft, Widerstands- fähigkeit usw., sind dem praktischen Tierzüchter am wertvollsten, da sie Nutzen bringen. Morphologische Eigenschaften, zu denen z. B. die Farbe zu rechnen ist, treten in der praktischen Zucht weniger in den Vordergrund. Neuerdings sind Untersuchungen über die Vererbung physiologischer Eigen- schaften bei Haustieren an verschiedenen Arten im Gange. Die mir be- kannten haben bis jetzt keine Ergebnisse gezeitigt. Deshalb neben tech- nischen Schwierigkeiten vor allem, weil durch Einflüsse der Aufzucht, Haltung, Ernährung usw. das Ererbte verwischt wurde, so daß eine ein- wandfreie klare Beurteilung zunächst unmöglich war. Es wäre aber weit gefehlt, hier wegen der augenblicklich vorherrschenden Schwierigkeiten die Vererbungsforschung im Sinne Mendels aufzugeben. Die Waltherschen Untersuchungen eignen sich besonders dafür, den an und für sich gesunden Skeptizismus, der bei praktischen Tierzüchtern in Deutschland gegen den Mendelismus herrscht, zu bekämpfen und eine Ermunterung und Anregung zu freudiger Arbeit auf einem Gebiete zu geben, das bis jetzt noch recht wild und unbeackert daliegt, aus dem aber reiche Früchte zu erhoffen sind. Die Walthersche Arbeit enthält zum Schluß noch ein Kapitel über „Plattenscheckung, Schabrackenscheckung und weiße Abzeichen bei Maul- tieren‘ und ist außerdem durch 6 Tafeln, die Reproduktionen von alten Gestütsbüchern und charakteristischen, hübschen Abbildungen von Schecken enthalten, ausgestattet. H. Henseler. L. Plate. Vererbungslehre und Deszendenztheorie. Festschrift zum 60. Ge- burtstage Rich. Hertwigs. I. S.537—610. 1 Taf. In dieser seiner Jenenser Antrittsvorlesung legt Verf. die Konsequenzen dar, die sich aus der Mendelforschung für die Lehre Darwins ergeben, in weiterem Ausbau des ersten Versuchs darüber in seinem „Selektions- prinzip“. Nur auf das Wichtigste des Neuen soll hier die Aufmerksamkeit gelenkt werden. Zunächst begegnet uns bei Erörterung der Mendelregeln selbst der Vorschlag, Batesons “presence-and-absence”-Hypothese durch eine ,,Grund- faktor-Supplementtheorie‘ zu ersetzen. Abwesenheit des betreffenden Faktors beim Rezessiven verträgt sich nicht mit der doch gar nicht seltenen Aus- lösung einer Eigenschaft-durch das Zusammentreffen mehrerer rezessiver Erbeinheiten (z. B. hellbraun bei Mäusen durch Cgbd). Es ist daher für den rezessiven Zustand Anwesenheit eines „Grundfaktors“ anzunehmen, der im Dominanten durch Hinzutritt eines Supplements, ev. von Ferment- charakter, aktiviert (resp. in andern Fällen gehemmt) wird. Bekanntlich sind es „Komplexe“ von solchen Paaren, die z. B. die Färbung bestimmen. Für Mäuse fügt nun Autor den vier Paaren der Miss Durham noch ein fünftes hinzu (Y, y), eine Art zweiten colour-factor, der z. B. im Auge als y trotz Anwesenheit von C Pigmentbildung unterdrückt, wie denn überhaupt y-Rassen viel pigmentärmer sind als die mit Y. Bei Berücksichtigung dieser fünf Paare kann man jetzt schon für Mäuse Kreuzungs- ergebnisse vorausberechnen! Es lassen sich dabei z. B. alle die 16 theoretisch zu erwartenden einfarbigen Rassen mit C auch wirklich unterscheiden. Alle Referate, 303 züchten rein; Unreinheit der Gameten wurde (in 1600 Fällen) nie beobachtet (gegen Cuénot, Castle, Morgan). Die Erbformeln von Hagedoorn sind zurückzuweisen, wie auch die von Cuénot zum größten Teil. Das eigentliche Thema erörtert Verf. in sechs Teilen. Der erste be- spricht die direkte erhaltende Wirkung der alternativen Vererbungsart auf jede epistatische Variation und deren allmählichen Sieg, wenn sie im Kampf ums Dasein überlegen ist. Mit Zufügung dieser letzten Bedingung korrigiert er seine Darstellung im ‚„Selektionsprinzip‘; darin aber hält er sie aufrecht, daß er einen weiteren Vorteil für Aufwärtseutwicklung in der häufigen Prävalenz komplizierterer, also höherer Eigenschaften erblickt, sowie in dem Vorwalten mendelnder Vererbung bei Rassenkreuzung, während der ver- wischende Einfluß des intermediären Typus erst zwischen fertigen Arten eintritt. Zweitens hat uns die Mendelforschung die innere Ursache des Ent- stehens neuer Formen demonstriert, indem sie nach Verf. die Determinanten- lehre bewies. Auf diesem Grund entwickelt er sodann die Vorstellung, daß sieben Arten von Blastovariationen möglich sein müssen: außer den drei von de Vries benannten und charakterisierten noch die ‚einfache‘“‘ durch chemische Änderung der (als Art Enzym gedachten) Erbeinheiten entstanden, die „analytische“, durch Zerfall eines polygenen Merkmals, die „synthetische‘‘, durch Bildung eines solchen, unter Zusammenlegen mehrerer (nach chemischer Veränderung) und endlich die „Konfluenz-Blastovariation“ als Produkt völliger Verschmelzung mehrerer Determinanten. Beispiele werden beigefügt; für die letzte die Bildung reinzüchtender rotfleckig-schwarzer Meerschweinchen durch mehrfache Kreuzung heterozygoter schwarzer Tiere, die von rein Roten und rein Schwarzen stammen. Nach der Natur der zu solchen Änderungen führenden Reize werden auch diese neu eingeteilt: in ektogene, amphimiktische, somatische und entogene. Die dritte Gruppe enthalten die Fälle von „Vererbung erworbener Eigenschaften‘ — nichts hindert nach Verf. die Annahme einer Weiter- leitung der Veränderung von somatischen zu den Keimzelldeterminanten. Die entogene Kategorie ist hypothetisch; hierhin scheint zu rechnen die , schwanzknick-Blastovariation (hier zuerst veröffentlicht) bei Mäusen, in Plates Zuchten mehrfach getrennt aufgetreten, doch nur bei Tieren. in deren Aszendenz ein paar bestimmte weiße Individuen enthalten waren, welche aber selbst die Anomalie nicht zeigten: nur die Annahme spontan ent- standener und latent gebliebener Blastovariation führt hier zum Verständnis. Hagedoorns Fall gehört dagegen nicht hierher. In den zwei folgenden Abschnitten wird kurz erläutert, wie die Mendel- lehre einerseits die Brücke zwischen kontinuierlicher und diskontinuierlicher Variabilität schlägt, indem z. B. die Erblichkeitsverhältnisse des Kamms bei Hühnern Diskontinuität in den Veränderungen der Erbeinheiten nahe legen, Kontinuität aber an deren sichtbarem Effekt zeigen; und wie sie andrerseits den Wert beobachteter Variationen und ihr Verhältnis zur Stammform genauer zu präzisieren erlaubt (Beispiel des Tiefseefisches Malttopsis). Der fünfte Teil enthält eine Einteilung der Atavismen, unter denen jetzt vor allem „Hybrid-Atavismen“ von „spontanen“ begrifflich gesondert werden können und müssen. Und ebenso zeigt der sechste letzte die neu- gewonnene Möglichkeit klarerer Scheidung in einem System der Korrelations- erscheinungen; „phyletische Korrelation“ wird als unbeweisbar verworfen, die allein verbleibende „individuelle“ nach Reinigung des Begriffs und Erörterung der Beobachtungsmethoden in physiologische und idioplasmatische 304 Referate. zerlegt, deren letzte dann Verf. einer Analyse unterwirft. Drei Modi halt er fiir realisiert: idioplasmatische Korrelation als Folge pleiotroper Erregungs- oder Konditionalfaktoren, oder drittens von unechter Allelomorphie(Bateson). Pleiotrop heißt dabei eine Einheit, von der mehrere Merkmale abhängen; Konditionalfaktor etwa C, das nur Bedingung der Färbung ist — Beispiele zeigen aber, daß dieselbe Einheit Kondionalfaktor für eine, Erregungsfaktor für eine andere Eigenschaft sein kann; und überall, wo mehrere für ein Merkmal zusammenwirken müssen, kann schließlich jeder als Konditional- faktor angesehen werden (Ref.), so daß bei fortschreitender Erkenntnis diese Einteilung vielleicht nicht Stich hält. Die unechte Allelomorphie als wechsel- seitige Abstoßung zwischen dominierenden Faktoren (wie sonst zwischen beiden Einheiten eines Paares) wird zum Schluß auf ihren Geltungsbereich hin genauer geprüft. L. Brüel. Vries, Hugo de. Oenothera nanella healthy and diseased. Science, N.S. 35 (1912), S. 753—754- Zeijlstra zeigte, daß verschiedene Charaktere der Mutante O. nanella keine genotypische Eigenschaften waren, sondern so zu erklären seien, daß die Pflanze von einem Bakterium, wahrscheinlich zur Gruppe Micrococcus gehörend, befallen war. Indessen fand Zeijlstra auch, daß zuweilen normale Zweige aus den kranken Pflanzen hervorgingen, die jedoch keine Lamarckiana-Zweige waren, sondern den Zwergwuchs hatten. Von der schon von Liebig gefundenen Tatsache ausgehend, daß Nitrate die Empfindlichkeit der Pflanze für Krankheiten fördern, während Kalziumphosphat diese Empfindlichkeit herabsetzt, hat nun de Vries ver- sucht, eine normale O. nanella experimentell hervorzubringen. Bei geeigneten Mengen der erwähnten Stoffe erhielt er tatsächlich fast ganz normale Pflanzen, die jedoch Zwerge waren. Die krankhaften Pflanzen wurden auf ein Minimum reduziert. Zwischen diesen und den normalen gab es allerlei Abstufungen. Auch aus einer Kreuzung [O. nanella >< biennis] > nanella gingen nach dem Gesetz der sesquireziproken Bastarde lauter »azella-Individuen hervor, von denen ein großer Prozentsatz gesund war. Diese Zwerge trugen schon bei einer Höhe von 20 cm die ersten Blüten, während ©. Zamarckiana eine Höhe von etwa I5o cm vor der Blüte erreicht. Mit seinen Versuchen hat also de Vries bewiesen, daß der Zwerg- wuchs der OQ. nunella eine genotypisch bedingte Eigenschaft ist. Als eine schwache Form wird sie aber sehr leicht von Bakterien befallen und be- kommt dadurch sekundär ein abnormes Aussehen. — Ich habe dieselbe Auffassung vertreten!), auf die Tatsachen gestützt, daß O. nanella mit der Stammart Mutationskreuzungen von derselben Natur wie die anderer Mutanten gibt und bei Kreuzung mit O. rubrinervis in Zahlenverhältnissen, welche sich den Mendelschen nähern, spaltet, was ja unverständlich wäre, falls nur Infektion von Bakterien vorläge. Heribert-Nilsson (Landskrona). 1) Diese Zeitschrift Bd. 8, Heft 1, S. 89ff. ae as. HI Zu BE an ‘Verlag von Gebrüder Borntraeger in Berlin W 35 Das Pharmazeutische Institut der Universität Berlin. Herausgegeben mit Genehmigung und Unterstützung des Ministeriums der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal- angelegenheiten von Professor Dr. H. Thoms. Mit 48 Ab- bildungen. Gebunden 12 M. Die Schrift erschien als Festgabe der Zentenarfeier der Universität. — Das Pharmazeutische Institut ist ein der Neuzeit entsprechendes großes chemisches und pharmazeutisch-chemisches Laboratorium mit vielfach eigenartigen Ein- richtungen. Wiederholt schon haben die Pläne des Institutes wie seine inneren und apparativen Einrichtungen als Vorbild für andere ähnliche Laboratorien gedient. Die wirtswechselnden Rostpilze. Versuch einer Gesamtdarstellung ihrer biologischen Verhältnisse von Professor Dr. H. Klebahn. Mit 8 Tafeln. In Halbfranz gebunden 23 N. Das Werk gibt in zusammenhängender Darstellung ein Gesamt- bild vom gegenwärtigen Stande der Biologie der Rostpilze. Die neuen Vererbungsgesetze von Prof. Dr. C. Correns. Mit 12 z. T. farbigen Abbildungen. Zugleich zweite, ganz umgearbeitete Auflage der „Vererbungs- gesetze“. Geheftet 2 M. Die Bestimmung und Vererbung des Geschlechts nach neuen Versuchen mit höheren Pflanzen von Prof. Dr. C. Correns. Mit 9 Textabb. Geheftet 1 M. 50 Pf. Arten und Varietäten und ihre Entstehung durch Mutation. An der Universität von Kalifornien gehaltene Vorlesungen von Hugo de Vries. Ins Deutsche übertragen von Professor Dr. H. Klebahn. Mit 53 Textabbildungen. Geheftet 16 M., gebunden 18 M. In Vorbereitung befindet sich: Gruppenweise Artenbildung von Prot Dr. Hugo de Vries. » Mit vielen Textabbildungen und 22 farbigen Tafeln. Ausführliche Verlagsverzeichnisse kostenfrei Zeitschrift für induktive Abstammungs- und a ee Inhaltsverzeichnis von Heft 3 Bd. VIII. Abhandlungen - N ait : Seite Lang, A.: Vererbungswissenschaftliche Miszellen en er a as cs 2 ZB Steche, O.: Die ‚sekundären‘ Geschlechtscharaktere der Insekten | und das Problem der Vererbung des Geschlechts . . . . . . 284—291 Referate + Haecker, V.: Allgemeine Vererbungslehre. (G. Tischler) . . . . . 292—204 Laughlin, H. The inheritance of color in Shorthorn cattle. (MM Dather) Pe yes sno lne SE py = i Reise ee Sens ROH eae Walther, Ad. R. Beiträge zur Asantots ake Vererbung der Pferde- fatben. (kl. Nienseler) tae fo.) are canes Sep re + 2. 300—302 Plate, L.: Vererbungslehre und De (L. Brüel) + » 302—304 Vries, H. de: Oenothera nanella healthy and diseased. (Heribert- INZISSOM) PCPS Poles Gia cea entire dee tatet aeMaet ire MeO enaie ate ' + Die »Zeitschrift fiir induktive Abstammungs- und Vererbungslehre« erscheint in aD 4 losen Heften, von denen vier bis fünf einen Band von 25 Druckbogen bilden. Der Preis des Bandes beträgt 20 Mark. Manuskripte, zur Besprechung bestimmte Bücher und Separata, sowie alle auf die Redaktion bezüglichen Anfragen und Mitteilungen sind an Prof. Dr, E. Baur, Friedrichs- hagen bei Berlin, zu senden; alle geschäftlichen Mitteilungen an die Verlagsbuchhandlung Gebrüder Borniraeger in Berlin W 35, Schöneberger Ufer 12a. Die Mitarbeiter erhalten für Originalabhandlungen und Kleinere Mitteilungen ein Bogenhonorar von 32 M., für Referate 48 M., für Literaturlisten 64 M. Bei Original- abhandlungen von mehr als vier Druckbogen Umfang wird nur für die ersten vier Bogen — Honorar gezahlt. ; . Außergewöhnlich hohe Kormektürkosten, die durch unleserliche Manuskripte oder größere nachträgliche Änderungen am Texte verursacht sind, werden vom Honorar in Abzug gebracht. ' ‘ Die Abhandlungen und Kleineren Mitteilungen können in deutscher, englischer, ak französischer oder italienischer Sprache verfaßt sein. Referiert wird im wesentlichen in deutscher Sprache. “3 Von den Abhandlungen werden den. Autoren 50 Separata ohne besonderen Titel auf ü dem Umschlag gratis geliefert, von den ,,Kleineren Mitteilungen“ gelangen nur auf besondere, rechtzeitige Bestellung 50 Gratis-Separata zur Anfertigung. — Werden weitere Sonderabzüge ' gewünscht, so ist die Anzahl rechtzeitig, spätestens bei Rücksendung der ersten Korrektur, zu bestellen. Die über 50 Exemplare hinaus gewünschte Anzahl der Separata wird mit — ‘ 15 Pf. fiir jeden Druckbogen berechnet. Ein besonderer Titel auf dem Umschlag kostet 4 M. 50 Pf. Etwa gewünschte Änderungen der Paginierung werden besonders in Ansatz gebracht. Bei mebr als 50 Separata gelangt stets ohne besonderen aufge ein Umschlag mit besonderem Titel zur Verwendung. - Einseitig bedruckte Sonderabzüge der »Neuen Literalure können von ae Ab fanenten der Zeitschrift zum Preise von 2 M. pro Band im Bucbhandel bezogen werden. Lin BAND Vill HEFT 4 (Schlußheft von Bd. VIII) DEZEMBER 1912 ZEITSCHRIFT FÜR INDUKTIVE ABSTAMMUNGS- VERERBUNGSLEHRE HERAUSGEGEBEN VON C, CORRENS (monster), V. HAECKER (atte), G, STEINMANN (eonn), R. v. WETTSTEIN wien) REDIGIERT VON E. BAUR (ertin) BERLIN VERLAG VON GEBRUDER BORNTRAEGER W 35 SCHÖNEBERGER UFER 12a 1912 Verlag von Gebrüder Borntraeger in Berlin W 35 Schöneberger Ufer 12a Die Mutationen in der Erblichkeitslehre. Vortrag gehalten bei der Eröffnung der von Wm. M. Rice gegründeten Universität zu Houston in Texas von Dr. Hugo de Vries, Professor der Botanik an der Universität in Amster- dam. Geheftet 1 M. 60 Pf. In Vorbereitung befindet sich: Gruppenweise Artenbildung von Prof. Dr. Hugo de Vries. Mit vielen Textabbildungen und 22 farbigen Tafeln. Arten und Varietäten und ihre Entstehung durch Mutation. An der Universität von Kalifornien gehaltene Vorlesungen von Hugo de Vries. Ins Deutsche übertragen von Professor Dr. H. Klebahn. Mit 53 Textabbildungen. Gebunden 18 M. Einführung in die experimentelle Vererbungs- lehre von Professor Dr. phil. et med. Erwin Baur. Mit 80 Textfiguren u. 9 farbigen Tafeln. Geb. in Ganzleinen 10 M. Die neuen Vererbungsgesetze von Prof. Dr. C. Correns. Mit 12 z. T. farbigen Abbildungen, Zugleich zweite, ganz umgearbeitete Auflage der „Vererbungs- gesetze“. Geheftet 2 M. Die Bestimmung und Vererbung des Geschlechts nach neuen Versuchen mit höheren Pflanzen von Prof. Dr. G. Correns. Mit 9 Textabb. Geheftet 1 M. 50 Pf. Das Problem der Befruchtungsvorgänge und andere zytologische Fragen von Professor Dr. B. Némec,. Vorstand des pflanzenphysiologischen Institutes der k. k. böhmi- schen Universität Prag. Mit 119 Abbildungen im Text und 5 lithogr. Doppeltafeln. Geb. 23 M. 50 Pf. Ausführliche Verlagsverzeichnisse kostenfrei Ir, be Druckfehlerberichtigung. In der Abhandlung von Arnold Lang in der ‚Zeitschrift für Abstammungslehre‘‘ Bd. VIII Heft 3, S. 233—283 muß es heißen: auf Seite 242, Zeile 1 von unten, anstatt „Knospenutationen‘: ,,Knospenmutationen“. 244, 249, 262, 266, 269, 273» 276, 278, 278, ” 14 4 9 17 ” oben, unten, A » oben, unten, oben, ” unten, ” ” „seite 328°": „Seite 238“. „Chromosomenzellen‘‘: ,,Chromosomenzahlen‘. „verbesamt‘‘: „vorbesamt‘“. „erst am 9. Tage‘: „erst am ııten Tage“. „anderseits, die‘: ‚anderseits die‘. p(s) 3064), (52 274)°. »(52305)4:0,(S.275) ARS HAS IS rzzr Et „(S. 370— 371)‘: ,,(S. 280—281)** Verlag von Gebrüder Borntraeger in Berlin W 35 Schöneberger Ufer 12a Die Mutationen in der Erblichkeitslehre. Vortrag gehalten bei der Eröffnung der von Wm. M. Rice gegründeten Universität zu Houston in Texas von Dr. Hugo de Vries, Professor der Botanik an der Universität in Amster- Ana SS ei Ey zugleich zwelte, ganz umgearbeltete Autlage der „Vererpungs- gesetze“. Geheftet 2 M. Die Bestimmung und Vererbung des Geschlechts nach neuen Versuchen mit höheren Pflanzen von Prof. Dr. C. Correns. Mit 9 Textabb. Geheftet 1 M. 50 Pf. Das Problem der Befruchtungsvorgange und andere zytologische Fragen von Professor Dr. B. Némec, . Vorstand des pflanzenphysiologischen Institutes der k. k. böhmi- schen Universität Prag. Mit 119 Abbildungen im Text und 5 lithogr. Doppeltafeln. Geb. 23 M. 50 Pf. Ausführliche Verlagsverzeichnisse kostenfrei } | 3 3 Bakterienmutationen. Von Prof. Dr. Reiner Müller in Kiel. (Eingegangen am 7. September 1912.) Wenn man ein einzelnes Bakterium auf die Oberfläche eines ge- eigneten festen Nährbodens legt, so vermehrt es sich ungeschlechtlich, durch einfache Teilung, so daß meist schon am nächsten Tage eine einige Millimeter breite Kolonie mehrerer Millionen Bakterien zu sehen ist. In dieser oder ähnlicher Weise erhält man bekanntlich eine Reinkultur. Erst als ROBERT KOCH 1881 die festen, durch- sichtigen Nährböden, wie Gelatine, einführte, wurde die Herstellung von Reinkulturen eine einfache Sache. Jetzt war es leicht, zu zeigen, daß man von Bakterienarten mit demselben Rechte sprechen kann, wie von Tier- oder Pflanzenarten. NÄGELI hatte noch 1877 behauptet, daB alle Bakterienarten ineinander übergehen könnten. Solche Einzelkolonien und die davon abgeimpften Kulturen be- stehen also aus sehr vielen Lebewesen, die von einem einzigen ab- stammen. Die nächstliegende Annahme ist, daß sie alle unter sich und mit dem Ausgangsbakterium ganz gleich seien. Man sieht nun recht oft, z. B. in „Klatschpräparaten“, daß Bakterien am Rande einer älteren Kolonie in ihrer Länge von denen der Mitte abweichen; etwa wie ein Baum am Waldesrande anders wächst als im Dickicht. Auch ist lange bekannt, daß alte, auf den künstlichen Nährböden fort- gezüchtete Reinkulturen oft nicht mehr mit dem Ausgangsbakterium übereinstimmen; dies wurde meist als Degeneration angesehen. Aber derartige Befunde waren nicht geeignet, Aufschlüsse über Varietäten- bildung der Bakterien zu geben. Im Laufe der Geschichte der Bakteriologie, die ja eigentlich wenig mehr als drei Jahrzehnte um- faßt, hat es nicht an Forschern gefehlt, die aus Reinkulturen ver- schiedene Bakterientypen herausgezüchtet haben wollten. Darunter finden sich Bakteriologen, denen man große Erfahrung nicht ab- sprechen kann. In der vortrefflichen Schrift von HANS PRINGSHEIM über „Die Variabilität niederer Organismen“ findet man die Zusammen- Induktive Abstammungs- und Vererbungslehre, VII. 21 LIBRARY NEW YOR! BOTANICAI GARDEN. 306 Müller. stellung dieser Arbeiten. Zum Teil haben sich derartige Deutungen als Irrtümer erwiesen; zum Teil sind sie nicht beachtet worden oder ihre Nachprüfung war sehr schwierig. Ich erinnere hier nur an die Mitteilungen W. DUNBAR’s „Zur Frage der Stellung der Bakterien, Hefen und Schimmelpilze im System“ über die Züchtung verschiedener Arten Bakterien, Spirochäten und Pilzen aus Reinkulturen von Algen und Pilzen. Meines Wissens sind die Versuche DUNBAR’s zwar viel kritisiert, aber nicht nachgeprüft worden. Wenn auch jemand sein Mißtrauen gegen diese Befunde, die so ganz unseren bisherigen Anschauungen zu widersprechen scheinen, überwindet, so ist es doch kein leichter Entschluß, einer Nachprüfung jahrelange Arbeit mit ungewissem Ergebnis zu widmen; selbst wenn, wie in Hamburg, alle Hilfsmittel zu uneingeschränkter Verfügung stehen. Durch Vermittlung von Herrn Geheimrat B. FISCHER war ich selbst in der Lage, einen kleinen Teil der DUNBAR’schen For- schungen nachzuprüfen. Ich erhielt einen Macor-Pilzstamm, in dessen Hyphen sich Bakterien bilden sollten. Es fanden sich bisweilen tat- sächlich in den Fäden, z. B. in den im „hängenden Tropfen‘‘ sprossen- den Schläuchen, Gebilde, die eine gewisse Ähnlichkeit mit Stäbchen- bakterien hatten. Es ist mir aber nicht gelungen, den Beweis zu erbringen, daß jene Gebilde Bakterien waren; und selbst, wenn dies bewiesen wäre, bliebe noch der Ursprung der Bakterien zu beweisen; man müßte auch an Symbiose denken, heutzutage, wo man sogar die Chlorophyllkérner für symbiotische Algen der Pflanzenzellen zu er- klären wagt. Natürlich behaupte ich nicht, daß die DUNBAR’schen Mitteilungen falsch seien. Über den Bau der sogenannten ,,Zelle‘ der Bakterien wissen wir heute kaum mehr, als LEEUWENHOEK vor 230 Jahren, und über ihre verwandtschaftlichen Beziehungen zu anderen Lebewesen gar nichts Bestimmtes; Grund genug, allen auf Versuchen gestützten Bemühungen, hier etwas Klarheit zu bringen, ohne Vor- urteil entgegenzutreten. Die Arbeit R. MASSINI’s über Bacterium coli mutabile hat einen Umschwung in den Anschauungen über die Veränderlichkeit der Bakterien herbeigeführt. Bezeichnend für den damaligen Stand dieser Fragen ist der erste Satz der MASSINI’schen Arbeit: „Mit Beobach- tungen über Variabilität von Bakterien in die Öffentlichkeit zu treten, scheint heutzutage für einen Bakteriologen verwunderlich.“ Die Arbeit ist in dieser Zeitschrift (Bd. 2 S. 215) schon eingehend besprochen worden. Bacterium coli mutabile vermag Milchzucker zunächst nicht zu vergären. Seine Kolonien auf blauem Milchzucker-Lackmus-Agar Bakterienmutationen. 2 307 wachsen also blau, denn Milchsäurebildung tritt nicht ein. Aber vom zweiten Tage an bilden sich in diesen blauen Kolonien knopfartige Tochterkolonien, die den Milchzucker zerlegen, während die anderen Teile der Mutterkolonie dies nach wie vor nicht tun. Diese Knöpfe treten fürs Auge besonders schön hervor als tiefrote Punkte in der farblosen Mutterkolonie auf dem von dem Japaner ENDO angegebenen Milchzucker-Fuchsin-Natriumsulfit-Agar. Impft man mit der Platin- nadel von einem solchen Knopfe ab auf die Oberfläche eines neuen ENnDO-Nährbodens, so sind nach 24 Stunden bei 36° zwei Sorten von Bakterienkolonien gewachsen, farblose und dunkelrote, die jeder Bakteriologe für verschiedene Arten erklären müßte, wenn er Fig. ı. Natürliche Größe. nicht wüßte, daß sie von einem einzigen Bakterium abstammten. Die dunkelroten stammen von der Tochterkolonie, die farblosen von der Mutterkolonie; denn von der Tochterkolonie läßt sich kaum abimpfen, ohne die Mutterkolonie zu berühren. Die vorher sicher nicht vorhandene Eigenschaft, auf Lackmus-Milchzuckeragar oder auf ENDO-Agar in dunkelroten Kolonien zu wachsen, wird nun auf unabsehbare Generationen von Bakterien weiter vererbt, bleibt auch auf anderen Nährböden erhalten. Nur selten läßt sich, wie schon MASSINI mitteilte, eine Art Rückschlag erreichen, der aber bis jetzt niemals alle Bakterien betraf. Andere Beobachtungen über Bildung von Tochterkolonien. Die MASSINIsche Beobachtung ist nicht die erste dieser Art gewesen. Schon HARTMANN hatte 1903 bei Zorula colliculosa auf Maltose-Nährböden Tochterkolonien beschrieben; allerdings rechnen 2, 308 Müller. wir ja Zorula nicht zu den Bakterien. Aber erst dadurch, daß MAX NEISSER am 9. Juni 1906 auf der ersten Tagung der freien Vereinigung für Mikrobiologie die Ergebnisse seines Schülers MASSINI einem großen Kreise von Bakteriologen zeigte, wurde die allgemeine Aufmerksamkeit auf diese Vorgänge gerichtet. Im Februar 1907 sah ich ganz entsprechende Kolonien auf Kulturplatten A. BURK’s, der damals unter meiner Leitung viele Abarten von Kolonbakterien untersuchte. Ich erkannte, daß hier eine Kolonienform vorlag, wie ich sie bei NEISSER’s Vorführung gesehen hatte; ich wies BURK auf die NEISSER’sche Mitteilung hin und veranlaßte ihn zum Vergleich und zur Nachprüfung. Diese sehr sorgfältigen Untersuchungen be- stätigten alle MASSINI’schen Beobachtungen, der neue Stamm machte die gleichen Veränderungen auf Milchzuckernährböden, und auch nur auf diesen, durch; aber es ergab sich auch, daß der MASSINI’sche und der BURK’sche Stamm in ihren sonstigen Eigenschaften nicht ganz gleich waren. Schon die Form der Kolonien war sehr ver- schieden. Also kann man nicht, wie es später E. SAUERBECK getan hat, derartige Bakterien allein deshalb als ganz gleich betrachten, weil sie auf Milchzuckernährböden jene von MASSINI und NEISSER als Mutation bezeichneten Vorgänge aufweisen. Ich konnte 1908 das Auffinden zweier neuer Stämme mitteilen; bis Mitte ıgız habe ich ungefähr 30 Stämme gezüchtet. Fast alle waren unter sich ver- schieden, keiner zeigte z. B. so üppig wachsende, schleimige Kolonien wie der BURK’sche Stamm. Auch die Zeit des Auftretens der Tochter- kolonien war verschieden, bei einigen trat sie regelmäßig erst nach 8 bis 14 Tagen hervor, wurde aber dann sehr schön. Heute kann man nicht mehr von einem scharf umgrenzten Bacterzum coli sprechen, wie besonders aus den Arbeiten von BURK, GÄRTNER und SCHMIDT hervorgeht, sondern nur von einer Kolonbakteriengruppe. BURK hat gezeigt, daß fast jeder Stamm dieser Gruppe von allen anderen sich in dieser oder jener Eigenschaft unterscheidet, wenn man sich nur die Mühe gibt, alle möglichen Vergleichsmittel heranzuziehen. Inwie- weit aber diese vielen, etwas voneinander abweichenden Formen im eigentlichen Sinne des Wortes ‚verwandt‘ sind, also eine gemeinsame Abstammung haben, können wir im einzelnen Falle kaum noch fest- stellen; die Beobachtungen der letzten fünf Jahre machen es aber doch wahrscheinlich, daß eine Verwandtschaft besteht. Auch KONRICH, der vier Stämme mutierender Kolonbakterien im Wasser fand, be- zeichnet dies als höchst wahrscheinlich. Meine mitgeteilten Beobach- tungen zeigten aber auch, daß innerhalb dieser unübersehbaren Menge Bakterienmutationen. 309 von sogenannten Varietäten der Kolonbakteriengruppe sich keine scharf umgrenzte Art Bacterium coli mutabile findet, sondern höchstens eine Untergruppe unter sich ungleicher Stämme. Ende 1907 begann ich eine große Anzahl von Bakterien syste- matisch daraufhin zu prüfen, ob sie auf Nährböden, denen verschiedene Kohlenhydrate oder verwandte Stoffe zugesetzt waren, solche Tochter- kolonien bildeten. Denn es war ja ein besonders wichtiges Kenn- zeichen der Stämme MASSINI’s und BURkK’s, daß nur auf Laktose Fig. 2. Kolonie mit Tochterkolonien, fünffach vergrößert. Die Fasern sind Kristalle. Tochterkolonien entstanden. Meist benutzte ich einen schwach alka- lischen Lackmusagar, der ein Hundertstel eines der folgenden Stoffe enthielt: Glyzerin, Erythrit, Arabinose, Mannit, Adonit, Dulzit, Rham- nose, Dextrose, Galaktose, Lävulose, Mannose, Maltose, Laktose, Sac- charose, Raffinose, Dextrin, Inulin, Amylum solubile. Ich prüfte rund goo Reinkulturen auf jedem der genannten 18 Nährböden und ver- anlaßte außerdem noch TH. SCHMIDT 80 Reinkulturen hämolysieren- der Kolonbakterien ebenso zu untersuchen. Ich selbst habe fast alle erhältlichen Bakterienarten, Bazillen, Vibrionen und Kokken heran- 310 Müller. gezogen, darunter allerdings besonders viele Bakterienstamme, die aus Menschen- oder Tierkot gezüchtet waren, wie Typhus-, Paratyphus-, Enteritis-, Ruhr-, Kälberruhr- und Kolonbakterien. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen habe ich bis jetzt nur teilweise veröffentlicht. Es wäre ein Mißbrauch der ehrenden Aufforderung des Herausgebers zur vorliegenden Übersicht, wenn ich in dieser Zeitschrift zu viele bakteriologische Einzelheiten brachte. Nur die Hauptpunkte seien erwähnt. Für fast jeden der geprüften Nährböden fand ich einige Bakterien, die darauf Tochterkolonien bildeten. Aber nur zum Teil hatten diese Tochterkolonien die Eigenschaft erworben, den Zucker, z. B. Saccharose oder Maltose, unter Säurebildung zu zerlegen. Andere Bakterien bildeten auch auf bestimmten Zuckernährböden, wie Ara- binose oder Rhamnose, Tochterkolonien, die aber nicht den Zucker unter Säurebildung zerlegten. War nun bei diesen auch kein Farben- unterschied zu sehen, so waren doch zwei deutlich verschiedene Kolonienarten durch Abimpfen zu erlangen, indem die von den Tochterkolonien stammenden viel größer wurden als die ursprüng- lichen und auch, ganz wie bei MASSINI und BURK, nach der Mutation keine Tochterkolonien mehr bildeten. Wenn ich bei einem Bakterium Tochterkolonien fand, so war dies meist nur auf einem einzigen der 18 Stoffe der Fall, selten auf mehreren. Endlich fand ich auch, daß einige wenige Bakterien auf dem gebräuchlichen Nähragar oder der Nährgelatine Tochterkolonien bilden, wenn man diese Nährböden wochen- oder monatelang vor Austrocknung schützt. Auch von anderen Forschern sind später ähnliche Befunde über Bildung von Tochterkolonien gemacht worden; z. B. von BURRI bei Bacterium imperfectum auf Saccharose, von BERNHARDT bei Ruhrerregern auf Maltose, von M. CHRISTIANSEN bei Paracolibakterien auf Arabinose, von MANDELBAUM bei einigen Stämmen seiner Metatyphusbakterien auf Glyzerin. Mutation ohne Bildung von Tochterkolonien. Im Jahre 1909 habe ich über Beobachtungen bei Paratyphus- bakterien (Typus B) berichtet. Wenn man diese Bakterien aus dem Menschen züchtet, so wachsen sie auf der gebräuchlichen Nährgelatine in Form sehr charakteristischer rahmartiger, schleimiger Kolonien. Ich fand nun, daß sich aus fast jeder älteren Gelatinereinkultur dieser Paratyphusbakterien zwei sehr deutlich verschiedene Kolonienformen herauszüchten lassen, nämlich außer der ursprünglichen, schleimig wachsenden, noch ganz anders aussehende, nicht mehr schleimige. 3akterienmutationen. 311 Ich habe dies damals als eine besondere Form von Mutation bezeichnet, die-also ohne Bildung von Tochterkolonien eintritt. Aber ich bin doch zu der Überzeugung gekommen, daß hier kein wesentlicher Fig. 3. Paratyphusbakterien. Natürliche Größe. 8- 3 y} Unterschied vorliegt; denn in vielen Kolonien, die Tochterkolonien bilden, sind alle Größen von Tochterkolonien vorhanden, auch solche, die an der Grenze der Sichtbarkeit liegen. Es ist nicht einzusehen, warum nicht auch Tochterkolonien, also Mutationsherde, von solcher Kleinheit entstehen sollen, daß sie sich nicht von der Mutterkolonie abheben. Auch M. W. BEIJERINCK vertritt in seiner kürzlich erschienenen Arbeit über „Mutation bei Mikroben‘“ diesen Standpunkt. Daß bei den Tochterkolonien auf Zuckernährböden die Ursache der Mutation anscheinend bekannt ist, darf kaum als grundlegender Unterschied an- gesehen werden, da auch Tochterkolonien ohne Fig. 4. Paratyphusbakterien. Zweimal vergrößert. 312 Miller. genauer bekannte Ursache beobachtet sind. Seit Ig1z hat besonders BARTHLEIN Mitteilungen über das Vorkommen von Mutationen ohne Tochterkolonien gemacht; er zeigte deren Häufigkeit bei den meisten Bakterien und fand gewisse Gesetzmäßigkeiten in dem Auftreten von Rückschlägen. Auch die „Sektorenmutation‘‘ gehört hierhin. Der Name stammt von BEIJERINCK. Es ist schon lange bekannt, daß ein oder mehrere Kreisausschnitte einer Kolonie verschieden aussehen können (Fig. 4). Wenn die Spitze des Sektors bis zur Mitte der Kolonie reicht, dann ist anzunehmen, daß schon in der ganz jungen, noch nicht sichtbaren Kolonie ein Keim mutierte, dessen Nachkommen einen Teil des weiter- wachsenden Kolonienrandes beanspruchten. Jedoch ist es mir sehr wahrscheinlich geworden, daß ganz gleiche Bilder bisweilen eine andere Ursache haben können, nämlich die, daß in der zur Abimpfung be- nutzten Reinkultur bereits mutierte Bakterien vorhanden waren, die dann bei der Aussaat nebeneinander zu liegen kamen. Bei solchen Zweifeln müßte wohl die BURRI’sche Einzellkultur benutzt werden, die leider bei manchen Keimen versagt, weil sie sie schädigt. Weniger berechtigt ist dieser Einwand, wenn die Spitze des Sektors nicht in der Mitte, also nicht auf dem Platze des ersten Bakteriums der Kolonie liegt; denn dann begann ihre Bildung erst, als die Kolonie eine gewisse Größe erreicht hatte. Eigenschaften, die mutieren. Bei den Prüfungen auf Zuckernährböden wurde besonders nach Änderungen des Gärungsvermögens gefahndet. Der zu vergärende Stoff bildete sozusagen den Anreiz zu einer bis dahin nicht erkenn- baren Absonderung des zugehörigen Enzymes. Eine wichtige Beobach- tung hat G. SEIFFERT gemacht, nämlich, daß auch ohne Anwesenheit eines Zuckers eine neue Gärungseigenschaft sich zeigt: Ein Bakterien- stamm aus der Paratyphusgruppe erlangte unter dem Einflusse des giftigen Malachitgrüns die Eigenschaft der Rohrzuckervergärung. Wir sahen aber auch, daß bei manchen der auf Zuckernährböden wachsenden Tochterkolonien keine Änderung des Gärungsvermögens erkennbar ist und nur ein üppigeres Wachstum erzielt wird. Wie ich gefunden habe, wächst z. B. jeder Typhusstamm auf Rhamnoseagar auffallend zart, als wenn Rhamnose das Wachstum hemmte; nach der Mutation wachsen die Typhusbakterien viel üppiger. Umgekehrt finden wir bei den früher genannten Vorgängen bei Paratyphusbakterien einen Übergang von einer üppigen, schleimigen Bakterienmutationen. 313 Kolonienform zu einer zarten, nicht schleimigen, die aber den Bakterien eine bessere Ausbreitung über den Nährboden gestattet. Kolonbakterien wachsen auf Malachitgrün-Nährböden schlecht oder gar nicht. .SEIFFERT hat gezeigt, daß durch systematische Ge- wöhnung eine Art Giftfestigkeit hervorgerufen werden kann. Eine derartige allmähliche Gewöhnung wird man kaum als Mutation be- zeichnen. Dagegen sah ich bei Typhusbakterien, die auf Malachit- grünagar ebenfalls nur kümmerlich wachsen, daß bei Aussaaten älterer Gelatine-Reinkulturen auf Malachitgrünagar einzelne Kolonien sofort viel üppiger wuchsen als die andern, ohne daß die Stämme vorher jemals mit Malachitgrün in Berührung gekommen waren. — PENFOLD sah ıgıı, daß gewisse Darmbakterien auf Agarnährböden mit mono- chloressigsaurem Natrium Tochterkolonien bilden, deren Bakterien gegen diesen Giftstoff viel unempfindlicher waren. Veränderungen der Farbstoffbildung sind vielfach untersucht worden, am meisten bei den bekannten Prodigiosusbakterien; z. B. von FRANZ WOLF, besonders eingehend von BEIJERINCK und auch von BÄRTHLEIN. Auf Gestaltsunterschiede, also verschiedene Länge der mutierten und unmutierten Stäbchen von Bacterium coli mutabile, Bacterium prodigiosum und anderen macht BÄRTHLEIN neuerdings aufmerksam. Ich habe ähnliche Beobachtungen bei Paratyphus- bakterien gemacht. Eine von den medizinischen Bakteriologen wegen der praktischen Verwendbarkeit meist besonders hoch eingeschätzte Eigenschaft, die Agglutinierarbeit durch spezifisches Tierserum, kann ebenfalls mutationsartige, wesentliche Veränderungen zeigen; hier sind die Untersuchungen von SOBERNHEIM und SELIGMANN über Enteritis- bakterien zu nennen, sowie die von NEUFELD und LINDEMANN über Typhusbakterien. EISENBERG beschreibt den Verlust ‘der Sporenbildung bei Milzbrandbazillen als Mutation. Auf weitere Einzelheiten einzugehen würde zu weit führen. Mutationen nach mehreren Richtungen. Ein und dasselbe Bakterium kann verschiedene Formen von Mutation zeigen. Ich sagte schon, daß ich bei einigen wenigen Bakterien Tochter- kolonien auf mehreren Zuckernährböden fand. 314 Miller. Das BURK’sche Bacterium coli mutabile wachst in Form dicker Schleimtropfen. Unter diesen Schleimtropfen wächst auf allen Agar- nährböden regelmäßig nach einigen Tagen am Rande eine dünne Bakterienhaut heraus. Impft man davon ab, so erhält man keine schleimigen Kolonien mehr. Und ich habe beobachtet, daß aus solchen zarten Bakterienkolonien, die sich weiter über den Nährboden ausbreiten, bei längerer Beobachtung noch zartere, besondere dünne herauswachsen. Also drei verschieden aussehende Kolonienformen, die sich als solche weiterzüchten lassen. Alle drei aber zeigen auf Milchzuckernährböden jene Tochterkolonien, die bei allen dreien das Gärungsvermögen, aber nicht die besondere Wachstumsform ändern. Das wären also schon sechs unterscheidbare Formen eines Stammes. BEIJERINCK beschreibt bei Bacterium prodigiosum 12 Mutations- formen. Bemerkenswert sind auch die Befunde bei Typhusbakterien. Zunächst sind da zwei Bakterienformen bei typhuskranken Menschen gefunden worden, die sich von regelrechten Typhusbakterien zwar deutlich unterschieden, dann aber auf künstlichen Nährböden Tochter- kolonien mit normalen Typhusbakterien erzeugten. Es sind das die als Bacterium typhi mutabile von E. JAKOBSEN und später von FROMME beschriebenen, und das Metatyphusbakterium MANDELBAUM’s, Ferner habe ich gefunden, daß jedes regelrechte Typhusbakterium auf Rham- nose-Agar Tochterkolonien bildet; ferner, daß Aussaaten älterer Typhus- reinkulturen auf Gelatinenährböden meist zwei verschiedene Kolonien- formen wachsen lassen. Endlich habe ich eine Beobachtung gemacht, die ich nur so deuten kann, daß aus Typhusbakterien unter Bildung von Tochterkolonien die schon lange bekannten Paratyphusbakterien entstehen können. Diese Beispiele mögen genügen als Beweise für die Mannigfaltig- keit der mutationsartigen Veränderungen bei ein und demselben Bakterium. Verlust der Mutationsfähigkeit. Darüber sind meines Wissens noch keine Beobachtungen ver- öffentlicht. Zuerst ıgro sah ich, daß der von mir auf Nährgelatine fortgeziichtete MASSINI’sche Stamm von Bacterium coli mutabile auf Milchzuckeragar keine Tochterkolonien mehr bildete. Ende 1911 ge- schah das gleiche mit dem BURK’schen Stamme und einigen mir selbst gezüchteten. Also eine gewisse Gesetzmäßigkeit! Bakterienmutationen. 315 Man könnte denken, die Bakterien wären durchs Alter und durch seltenes Übertragen auf frischen Nährboden „degeneriert‘“. Aber sie wachsen ebenso üppig wie früher, und der BURK’sche Stamm sendet noch immer aus seinen dicken schleimigen Kolonien die oben ge- nannten seitlichen, zarten Ausläufer heraus, hat also die zweite Art der Mutation nicht verloren. Also von Degeneration ist sonst nichts zu sehen. Bei jenen Bakterienstämmen ist also der früher sozusagen ‚‚labile‘“ Zustand, in welchem Milchzucker nicht vergärt wird, zu einem stabilen geworden. Ich glaube, daß diese meine Beobachtungen eine gewisse Bedeutung für die Beurteilung der Bakterienmutationen beanspruchen können. Ich könnte mir vorstellen, daß Bakterien um so gefestigtere Eigenschaften aufwiesen, je länger sie auf dem gleichen Nährboden gelebt hätten. Ich denke besonders an die Krankheitserreger, denen ja der lebende Körper einen sich nicht wesentlich ändernden Nähr- boden bietet, im Gegensatz zur Außenwelt. Liegen wirklich Reinkulturen vor? Diese Frage war natürlich von größter Wichtigkeit, da ja sonst nicht von Mutationen die Rede sein könnte. Jeder Bakteriologe mußte meines Erachtens aus den Arbeiten von MASSINI und von BURK ersehen, daß Reinkulturen vorlagen. Es wirkt komisch, wenn ein Referent der BURK’schen Arbeit meint, es sei nicht angegeben, ob die Nährböden an sich keimfrei gewesen seien. Außerdem konnte jeder die Untersuchungen in wenigen Tagen selbst nachprüfen; und von den Forschern, die dies getan haben, sind meines Wissens keine Zweifel laut geworden. Die später veröffentlichte Tuschepunktkultur nach BURRI, die es gestattet, sich mit dem Mikroskope zu überzeugen, daß die Kultur wirklich von einem einzigen Bakterium abstammt, ist ein sehr brauch- bares Hilfsmittel, wenn sie auch bisweilen versagt. Sie wurde zuerst zur Entscheidung solcher Fragen von W. BENECKE angewandt, nicht etwa von KOWALENKO. Ich selbst hatte aber schon vorher gezeigt, daß jeder beliebige Typhusstamm Tochterkolonien bildet, und diese Tatsache, daß jeder beliebige Stamm dies tut und daß die mutierten Bakterien in den übrigen Eigenschaften mit den unmutierten noch übereinstimmen, war schon ein völlig sicherer Beweis, daß keine Ver- unreinigung der Kulturen mit anderen Keimen vorlag. 316 Miller. Liegen nicht Degenerationen vor? Das Auftreten von bis dahin nicht zu beobachtenden Eigen- schaften, wie neues Gärungsvermögen oder üppigeres Wachstum, als Degeneration zu bezeichnen, wäre eine Wortverdrehung. Anderseits gibts, wie gesagt, mutationsartige Änderungen, die dem Verluste einer Eigenschaft gleichkommen, z. B. wenn ein Farbstoffbakterium farblos wird. Wenn man zugesteht, daß Bakterien neue Eigenschaften er- werben können, so ist auch das Vorkommen von Eigenschaftsverlusten fast selbstverständlich. Aber Eigenschaftsverluste als „Degeneration“ des Lebewesens zu bezeichnen, ist ja durchaus nicht allgemein zu- lässig. Bezeichnet denn DARWIN die Menschen im Vergleich zu Affen als degeneriert, weil die Menschen nicht so behende sind? Das Zurück- treten einer Eigenschaft kann eben von der Entwicklung anderer be- gleitet oder dadurch bedingt sein. Liegt wirklich eine neue Eigenschaft vor? Die Kolonien von Bacterium coli mutabile wachsen nach der Mutation auf dem ENDO’schen Nährboden dunkelrot, vor der Mutation sind sie farblos. Es ist also einfach eine Tatsache, daß die Bakterien die Eigenschaft, auf dem ENDO’schen Nährboden rot zu wachsen, er- worben haben, und daß diese Eigenschaft vorher nicht vorhanden war. Nun meint BERNHARDT, es träte in solchen Fällen nur eine schon latent vorhandene Eigenschaft hervor. Ich halte es aber nicht für angängig, daß man behaupte, die Eigenschaft mutierter Kolonien, rot zu wachsen, sei in den nicht rot wachsenden latent vorhanden; auch nicht in dem Sinne, wie bei den Farbenmischungen in den Blüten der Pflanzen; denn bei den Bakterien liegen doch keine ge- schlechtlichen Mischungen von Erbeinheiten vor. Wenn man aber im vorliegenden Falle sagt, die Eigenschaft, rote Kolonien zu bilden, sei insofern latent vorhanden, als vielleicht das zur Rötung erforder- liche Laktase-Enzym als Proenzym vorhanden sei, dann müßte zu- nächst der Beweis für diese Behauptung erbracht werden; und selbst dann wäre dies nicht von wesentlicher Bedeutung. Die bei der Mu- tation erworbene neue Eigenschaft wäre dann eben die, daß das Proenzym durch Umwandlung in Enzym wirksam würde. Ich erinnere hier auch an das erwähnte Stabilwerden des sonst labilen Mutations- zustandes. Aber alle diese Erörterungen sind schließlich kaum mehr als ein Streit um Worte. Über das Wesen dessen, was wir als „Eigenschaft“ bezeichnen, können wir uns ja doch keine klaren Vor- Bakterienmutationen. 317 stellungen machen. Da helfen auch die theoretischen Pangene, Biogene, Biophoren, Plasomen, Idioblasten, Plastidulen usw. nicht viel. Und selbst, wenn wir uns die Billionen Molekiile eines Bakteriums einzeln ansehen könnten, würden wir ihre Wechselwirkung schwerlich be- greifen. Aber worauf es hier ankommt, daß Bakterien sich so ver- ändern können, daß sie Unterschiede aufweisen können, die zur Art- bestimmung der Bakterien von jeher benutzt worden sind, das ist eine Tatsache. MORGENROTH sagt zu diesen Fragen: „Bei dem Auf- treten von Enzymen im Anschluß an die Darbietung entsprechender Substrate dürfte wohl eine absolute Neubildung und das Auftreten von Leistungen in Frage kommen, die bisher den Organismen völlig fremd waren. Die Scheu vor derartigen ,,erfinderischen Leistungen“ des Organismus beruht wohl auf einer Denkschwierigkeit, die schon öfter hervorgetreten ist,.... Die völlige Neuschöpfung von Enzymen muß man ja in der Phylogenese unfer allen Umständen an irgend einer Stelle annehmen, und es heißt das Problem nur zurückschieben, wenn man unter den Bedingungen des Experiments eine „evolution cr&atrice‘‘ ausschließt.‘ Natürlich muß nicht immer eine Neubildung angenommen werden; eine schon vorhandene Eigenschaft kann auch stärker oder schwächer werden. Und daß Eigenschaften, wie Farbstoffbildung, verloren gehen können, wurde schon gesagt. Ursache der Veränderungen der Bakterien. Bei der Umwandlung von Bacterium coli mutabile scheint ja zu- nächst die Ursache ganz offenkundig zu sein; denn nur bei Anwesen- heit von Milchzucker im Nährboden tritt sie ein und betrifft auch das Verhalten des Bakteriums zum Milchzucker. Die Menge des Zuckers im Nährboden kommt nicht wesentlich in Betracht, sehr kleine Mengen genügen. In meinen Versuchen rief ein Zehntausendstel Rhamnose im Nährboden noch Tochterkolonien bei Typhusbakterien hervor. Mehr schon macht die Länge der Einwirkung des Stoffes aus. Bei dem MASSINI’schen und dem BURK’schen Bakterium treten die Tochterkolonien nach 24 bis 48 Stunden auf, bei Typhusbakterien auf Rhamnoseagar ziemlich regelmäßig am 4. Tage, bei anderen nach 8 bis 14 Tagen. Da nun aber in den Oberflachenkolonien nicht alle Bakterien, sondern zunächst nur einige in der Mitte der Kolonie sich zu Tochterkolonien vermehren, werden wohl noch unterstützende Ursachen, vielleicht Erschöpfung des Nährbodens oder Stoffwechselprodukte, dazu- 318 Miller. kommen müssen. BURRI gibt an, daß bei Kolonien in der Tiefe des Nährbodens bisweilen alle Bakterien mutierten. Eine Bestätigung dieser Befunde wäre erwünscht. Es ist ja denkbar, daß in einer rings von Nährboden umschlossenen Kolonie alle Keime gleichmäßiger jenen Einwirkungen ausgesetzt wären. Bei den meisten andern Bakterienmutationen, auch bei solchen mit Tochterkolonien, sind die Ursachen unbekannt. Daß aber Nach- forschungen hierüber nicht ganz aussichtslos sind, zeigt die merk- würdige Beobachtung von SEIFFERT, daß ein Bakterium auf Malachit- grün-Nährböden die Fähigkeit annahm, Saccharose-Enzym abzusondern. Tritt die Änderung der Eigenschaften plötzlich oder allmählich auf? In den bakteriologischen Lehrbüchern wurde vor etwa einem Jahrzehnt die Frage, ob eine Bakterienart von einer andern ab- stammen könnte, selten erörtert: wenn es aber geschah, dann hieß es meist, daß so etwas vielleicht in vergangenen Erdperioden vor- gekommen sei; jetzt aber sei das nicht mehr der Fall. Als dann Bakterien gefunden wurden, die über Nacht neue Eigenschaften an- nahmen, da waren wohl NEISSER, MASSINI, BURK und die andern zweifellos im Recht, wenn sie das mit der relativen Bezeichnung „plötzlich“ belegten; um so mehr, als man bei Aussaaten von mutierenden Kolonien die unmutierten und die mutierten Formen ohne Übergänge nebeneinander erhält. Nun aber wäre es wissenswert, ob nicht doch zwischen dem Aus- gangszustand und dem mutierten Zwischenstufen nachweisbar wären. BURRI hat zuerst behauptet, solche Zwischenstadien gefunden zu haben. Leider muß ich das bestreiten. BURRI hat ganze Kolonien, bestehend aus Millionen Bakterien, in seine Gärröhrchen hinein- gebracht und dann verschiedene Grade sichtbaren Gärungseffektes gesehen. Das ist aber durchaus verständlich, wenn man bedenkt, daß die in der Mutation begriffenen Kolonien je nach ihrem Alter bald mehr unmutierte, bald mehr mutierte Individuen aufweisen, die sich gegenseitig beeinflussen. BURRI verwechselt den durch Verimpfen ganzer Kolonien sichtbar werdenden Gärungseffekt mit der Gärungs- fähigkeit der einzelnen Bakterien. Ein Beispiel: Typhusbakterien vergären Traubenzucker nicht unter Gasbildung, während Paratyphus- bakterien dies tun. Beschickte ich Traubenzuckeragar mit einer be- stimmten, kleinen Menge Paratyphusbakterien, so tritt ein bestimmter Bakterienmutationen. 319 Gärungseffekt auf, an der Menge der Gasblasen abschätzbar. Wenn ich aber in Röhrchen mit dem gleichen Nährboden außer der gleichen Menge Paratyphusbakterien noch abgestufte Mengen von Typhus- bakterien zusetzte, dann beeinflußten geringe Mengen von Typhus- bakterien den Gärungseffekt nicht sichtlich, mittlere setzten ihn herab, große unterdrückten ihn ganz. Niemand aber kann behaupten, daß in diesen Gärröhrchen die Gärungsfähigkeit der überall in gleichen Mengen vorhandenen Paratyphusbakterien in verschiedenen Stufen vor- handen gewesen sei. BERNHARDT hat kürzlich mitgeteilt, daß er eine Zwischenstufe nachgewiesen habe. Soviel ich aus seiner Darstellung ersehen kann, wäre aber auch die Deutung möglich, daß zwei auf- einander folgende Mutationen stattfanden. Ich bin der Ansicht, daß derartige Zwischenstufen sehr wohl vorkommen können, daß aber ein ganz einwandfreier Nachweis noch aussteht. Wenn aber dieser Nach- weis erbracht wäre, so würde dadurch nichts geändert an der Tat- sache, daß Bakterien in kurzer Zeit neue Eigenschaften annehmen können, die für die Artbestimmung benutzt werden. Vererbung. Bei den mutierten Kulturen des Bacterium coli mutabile bleibt die neue Eigenschaft bis jetzt schon jahrelang erhalten; solche Kulturen entsprechen aber Hunderten und Tausenden Bakteriengenerationen. Die Vererbung ist also einfach eine Tatsache. Daß eine durch viele Generationen vererbte Eigenschaft gelegentlich verschwindet, ändert nichts an der Tatsache, daß sie sich vorher vererbt hat. BERNHARDT behauptet nämlich, daß man wegen der beobachteten Rückschläge nicht von Vererbung sprechen dürfe. Daß sich aber solche Vererbungen bei Bakterien nicht vorbehaltlos mit denen der sich geschlechtlich vermehrenden Tiere oder Pflanzen gleichstellen lassen, ist wohl selbstverständlich. - Beständigkeit der neuen Eigenschaften. Viele der bei den Mutationen auftretenden Eigenschaften haben sich als über alle Erwartung beständig erwiesen. MASSINI sah nur einmal, und zwar nach Behandlung mit Karbol, eine Art Rückschlag. LENTZ und SAISAWA ist es erst nach monatelangen Versuchen, und nur bisweilen und nicht bei allen Typhusbakterien, gelungen, die Rhamnosemutation rückgängig zu machen. Die Eigenschaften sind sicherlich so beständig, daß wohl jeder Bakteriologe sie zur Art- 320 Miller. bestimmung verwenden würde, wenn er von den Mutationsvorgängen nichts wüßte. Es scheint mir ein besonderes Verdienst von LENTZ und SAISAWA und BERNHARDT zu sein, nachgewiesen zu haben, daß gerade der Tierkörper und dessen Bestandteile fähig sind, die neu erworbenen Eigenschaften bisweilen rückgängig zu machen. Vielleicht bringen weitere Versuche Aufschluß über den mutierenden Einfluß der Körper- säfte auf Bakterien der Außenwelt. BÄRTHLEIN sieht allerdings in jenen Rückschlägen den gleichen Atavismus, den er mit einer gewissen Regelmäßigkeit auf den gewöhnlichen Nährböden fand. Die Er- forschung der Rückschläge ist deshalb besonders wichtig, weil sie uns zeigen, daß wir einem Lebewesen nicht nur eine Eigenschaft anfügen, sondern diese auch bisweilen wieder fortnehmen können. Hier sei nochmals daran erinnert, daß nicht nur der mutierte Zustand eine große Beständigkeit erlangt, sondern auch der mutierende Zustand trotz Anwesenheit des sonst die Mutation auslösenden Stoffes. Die Bezeichnung „Mutation“. Es gibt wenige Lebewesen, die in allen ihren Eigenschaften und Lebensbedingungen verschiedener sind, als die Bakterien und die DE VRIES’sche Oenothera, die zur Bildung des Wortes „Mutation“ Veranlassung gab. Es ist daher gar nicht zu erwarten, daß jene Veränderungen und die der Bakterien in allen Einzelheiten sich genau entsprechen. Als Erläuterung des Begriffes Mutation finden wir bei DE VRIES angegeben, daß die neue Eigenschaft bei der einen Gene- ration noch fehlt, bei der nächsten schon ausgesprochen vorhanden ist. Wir sahen, daß bei den Bakterien die veränderten deutlich ohne Übergänge neben den unveränderten auf den Kulturplatten zu sehen sind; und daß das Vorkommen von Zwischenstufen noch nicht be- wiesen ist. Vielleicht werden sie einmal gefunden. Aber niemand wird behaupten wollen, daß eine Pflanzenmutante nicht selbst ebenso- gut mutieren könnte, wie es die altbekannten Pflanzenarten tun. Und dann könnte man mit einem gewissen Rechte die erste Mutante als Zwischenstufe ansprechen. Aber hier haben wir schon die Schwierig- keiten eines Vergleichs zwischen einem Zellenstaat und den Bakterien. Dann muß die bei der Mutation auftretende Eigenschaft vererb- bar sein; wir haben gesehen, daß dies der Fall ist, und daß die Eigen- schaften auffällig beständig sind. Wenn aber bei den Bakterien Rück- schläge gesehen worden sind, so ist eben zu bedenken, daß ein Bakteriologe in wenigen Tagen mehr Generationen übersehen kann, als der Botaniker in seinem Leben. Bakterienmutationen. 321 Ganz wie bei den Pflanzenmutationen mutieren in den Bakterien- kolonien nur einige, nicht alle Individuen zu Tochterkolonien. Es liegt bis jetzt nur eine Mitteilung von BURRI vor, daß er einmal gesehen habe, daß alle Bakterien der Kolonie sich veränderten. Da- durch werden aber die tatsächlichen Beobachtungen, die die Regel bilden, nicht entwertet. Endlich die Ursache! Die Ursachen der Pflanzenmutationen sind unbekannt; man vermutet, daß sie auf ,,mnern Gründen‘, also sagen wir Molekularverlagerungen, beruhe. Da wir sie nicht kennen, können wir auch die Mutationen nicht willkürlich auslösen, und auch ihr Ziel, ihre Richtung, nicht im voraus kennen. Trotzdem hofft DE VRIEs; „Die Kenntnis der Gesetze des Mutierens wird voraussichtlich später einmal dazu führen, künstlich und willkürlich Mutationen hervor- zurufen und so ganz neue Eigenschaften an Pflanzen und Tieren ent- stehen zu lassen.“ Auch bei den Bakterien kennen wir in vielen Fällen die Ursachen leider nicht; in andern aber wenigstens insoweit, daß wir künstlich die Veränderungen auslösen und auch ihre Richtung bestimmen können. Allerdings sind ja diejenigen Ursachen, die wir kennen, auBerliche. Und solche sind bei Pflanzen noch nicht nach- gewiesen. Wenn man überhaupt eine Bezeichnung für solche Vorgänge aus der Biologie der sich geschlechtlich fortpflanzenden Lebewesen über- nehmen will, dann paßt ‚Mutation‘ am besten. Man muß sich bei dem Ausdruck „Bakterienmutation“, den ich als Überschrift gewählt habe, bewußt bleiben, daß eben nicht alles mit den Pflanzenmutationen genau übereinstimmen kann. Den Ausdruck „Modifikation“ halte ich deshalb für nicht angebracht, weil die mutierten Bakterien die Eigenschaften auf sehr verschiedenen Nährböden und anscheinend unbegrenzt beibehalten können. Im übrigen ist es ja glücklicherweise nur ein Streit um ein Wort, der die beobachteten Tatsachen nicht abändern kann. Wenn ich beobachte, daß aus Typhusbakterien Para- typhusbakterien entstehen können, so ist es für mich von nebensäch- licher Bedeutung, mit welchem terminus technicus man einen solchen Vorgang bezeichnet. Aber dennoch möchte ich mit PRINGSHEIM diesen Streit ums Wort nicht für ganz überflüssig halten. Denn da- durch werden die Forscher veranlaßt, das strittige Gebiet nach ver- schiedenen Richtungen aufzuklären, und dadurch wird ein Fortschritt der Wissenschaft erzielt, der ja zum großen Teil auch darin besteht, daß wir größere Irrtümer durch kleinere ersetzen. Induktive Abstammungs- und Vererbungslehre. VIII, 22 322 Miller. Bedeutung der Bakterienmutation fur die allgemeine Biologie. Ob es sich bei der Bakterienmutation wirklich um Neubildung von Arten handelt? Wir kénnen nur das mit Bestimmtheit sagen, daß Eigenschaften, die von jeher zur Kennzeichnung der Bakterien- arten benutzt worden sind, mutationsartig auftreten und verschwinden können. Aber es gibt ja keine allgemeingültige Auslegung der Begriffe Art, Unterart, Kleinart, Varietät. Drum läßt sich hier mit Worten trefflich streiten, mit Worten ein System bereiten. Eine Beobachtung scheint mir recht wichtig für die allgemeine Biologie, daß nämlich Lebewesen auf den Reiz eines vergärbaren Stoffes hin anfangen, das zugehörige Enzym zu erzeugen, und diese Fähigkeit ohne den Reiz beibehalten. Im übrigen kann man nur warnen, bei Bakterien gefundene Einzelheiten sofort für alle Lebewesen zu verallgemeinern. Ich halte die Bakterien überhaupt nicht für ,,Zellen‘‘ und betrachte sie als grundverschieden von den Zellen der Tiere und Pflanzen, da der Chromosomenkern und die geschlechtliche Vermehrung fehlt. Das „Bakterienreich“ ist für mich durch eine noch ganz unüberbrückte Kluft getrennt von den beiden Zellenreichen, dem Tier- und dem Pflanzenreich. Bedeutung der Mutation für die angewandte Bakteriologie. ROBERT KOCH schrieb im Jahre 1881: ,,Ausdriicklich verwahren wir uns jedoch gegen den.... uns gemachten Vorwurf, als seien wir prinzipielle Gegner der Umzüchtungstheorie.... Aber wir verlangen von dem, welcher einen Pilz umgezüchtet zu haben glaubt, Beweise, untrügliche Beweise.“ Diese Worte unseres Meisters sind heute ebenso richtig, wie damals, als man sozusagen vom grünen Tisch aus die werdende Bakteriologie bespöttelte, und glattweg behauptete, alle Bakterien ließen sich ineinander umzüchten. Wenn nun auch die mitgeteilten Befunde Beweise dafür darstellen, daß sich Bakterien- Eigenschaften, die zur Artbestimmung benutzt werden, mutationsartig verändern, so wird dadurch keineswegs der stolze, in seinen Grund- festen durch Tatsachen wohlbegründete Aufbau der Bakteriologie ROBERT KOCH’s erschüttert; im Gegenteil durch Ausfüllung noch vorhandener Lücken gefestigt. Ebenso sicher wie bisher wird man Cholera-, Pest- und Typhuserreger diagnostizieren können. Eher eine Vervollkommnung hat uns die Mutationsforschung hierin gebracht: Bakterienmutationen. 323 Wenn uns unter Hunderten regelrechter Typhusstämme einer begegnet, der nicht durch das spezifische Tierserum agglutiniert wird, oder der auf Glyzerin-Lackmus-Agar in blauen statt in roten Kolonien wächst, oder dessen Kolonien ein ganz abweichendes Aussehen aufweisen, so werden wir heute nicht mehr so leicht wie früher sagen, das sei kein Typhuserreger. Ferner habe ich gezeigt, daß jeder Typhusstamm auf Rhamnoseagar Tochterkolonien bildet, und daß dies ein ebenso genaues diagnostisches Merkmal für Typhusbakterien ist, wie die Agglutination, und daß es dort, wo diese versagt, aushelfen kann. Über diese spezifischen Bakterienmutationen ist soeben eine bestätigende Ab- handlung von PENFOLD erschienen. Auch gibt uns die Mutationsforschung Anhaltspunkte dafür, wie es kommen kann, daß z. B. bei den Kolonbakterien und bei den Paratyphus-Enteritisbakterien sich so viele nahe verwandte Formen finden. Nur die Hauptpunkte der Forschungen über Bakterienmutation habe ich hier erläutern wollen. Alle Einzelheiten würden ein Buch füllen. Kiel, im August Ig12. Schriftennachweis. BÄHRTLEIN: Berliner klin. Wochenschrift 1911. S. 373 u. 1410. — Berliner klin. Wochenschrift 1912. Nr.4 u. Nr. 16. — Deutsche medizin. Wochenschrift 1912. S. 1443. — Arbeiten aus dem kaiserl. Gesundheitsamte 1912. Bd. 40. BENECKE, W.: Zeitschr. f. indukt. Abstammungs- usw. Lehre 1909. Bd.2. S. 215. BERNHARDT, G.: Berliner klin. Wochenschrift 1912. S. 716. — Zeitschrift für Hygiene 1912. Bd.71. S. 229. BEIJERINCK, M. W.: Kon. Acad. v. Wetenschapen te Amsterdam. 27. IO. 1900. — Folia Microbiologica 1912. Bd.1. S. 3. Burk, A.: Zentralblatt f. Bakt. 1909. Abt. I. Orig. Bd. 49. S. 145. — Archiv für Hygiene 1908. Bd. 65. S. 235. Burr, R.: Zentralblatt f. Bakt. 1910. II. Abt. Bd. 28. S. 321. 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Beiheft. 1911. Wo tr, Franz: Zeitschr. f. indukt. Abstammungsl. 1909. Bd.2. S. 90. Kleinere Mitteilungen. Versuche tiber Artbastarde und Betrachtungen über die Möglichkeit einer Evolution trotz Artbeständigkeit. Vorläufige Mitteilung von J. P. Lotsy. (Eingegangen: 2. Oktober 1912.) Durch die Liberalität von Herrn Prof. Dr. Erwin Baur in Berlin, dem es gelungen war, mehrere fruchtbare Artbastarde aus den Gattungen Antirrhinum und Dianthus herzustellen, erhielt ich im Herbste gro die Samen zweier F,- und F,-Verbindungen, und zwar von 4. glutinosum Boiss. (syn. A. molle in Baurs Einführung in die Erblichkeitslehre) x A. majus L. und von A. sempervirens x A. majus L. Es ist mir eine Freude, ihm dafür hier öffentlich herzlichsten Dank zu sagen. Diese, also von Baur angefangenen Versuche wurden von mir in den Jahren ıgır und 1912 mit Unterstützung der Holländischen Gesellschaft der Wissenschaften in meinem Versuchsgarten in Bennebroek bei Haarlem fortgesetzt. Die Kulturen nahmen beträchtlichen Umfang an (etwa 16500 Pflanzen in 1912), und die Resultate werden reichlich und farbig illustriert von der Holländischen Gesellschaft der Wissenschaften herausgegeben werden. Da die Herstellung der Tafeln längere Zeit beanspruchen wird, mögen die Hauptresultate hier kurz wiedergegeben werden: I. Die F,-Generation der Kreuzung 4. glutinosum X A. majus ist viel- förmig und vielfarbig, jedoch nicht in sehr hohem Grade und nimmt etwa eine Mittelstellung zwischen den beiden Eltern ein; nur wenn der Majus- Elter pelorisch war, dominiert der Glutinosum-Elter, indem die ganze F, immer zygomorph ist. Die F,-Generation der Kreuzung 4. sempervirens x A. majus ist einheit- lich, d. h. monomorph und monochrom und überdies intermediär, wenigstens für soweit es sich um Form und Farbe der Blüten handelt. 2. In F, findet eine ungeheure, ja, wenn man diese nicht selber gesehen hat, unglaubliche Spaltung statt, die zu einem fast unübersehbarem Formen- reichtum führt. Die F, ist so stark polymorph und polychrom, daß man, 326 Kleinere Mitteilungen. bei Beachtung sämtlicher Merkmale, kaum zwei gleiche Pflanzen in einer über I200 Exemplare zählenden F, antrifft. Gewisse Formen gehen dabei in der Form der Blüte über die Grenzen der Gattung Antirrhinum heraus; es treten Ahinanthus-artige Blüten auf, wie dies schon Baur in seinem Ver- erbungsbuche angegeben hat. War der Majus-Elter pelorisch, so tritt jetzt auch Spaltung in zygomorphe und pelorische Exemplare auf. Mit Ausnahme des Auftretens der Ahinanthus-artige Blüten gilt das hier Gesagte nicht nur für die Kreuzung mit 4. glutinosum, sondern auch mit 4. sempervirens. Der größere Teil der F.-Pflanzen ist noch sehr stark heterozygot, so daß in F, und sogar in Fy noch mancherlei Spaltungen vorkommen. 3. Alle daraufhin geprüfte pelorische F,-Pflanzen geben jedoch nur pelorische Nachkommenschaft, sind also in bezug auf der Bliitenform homozygot. 4. Unter den zygomorphen F,-Pflanzen geben einige Exemplare eine rein zygomorphe Nachkommenschaft, nl. die in bezug auf der Zygomorphie homozygote Formen, andere Spalten in zygomorphe und pelorische, und zwar oft fast genau im Verhältnis 1:1, so z. B. 871 zygomorphe gegen 867 pelorische in Versuchen Nr. ı und 2 IgI2. 5. Es gelingt bisweilen schon in F,, öfters jedoch in Fy, eine ganz homozygote, also konstante Nachkommenschaft zu erzielen, welche von einer reinen Spezies nicht zu unterscheiden ist. 6. Auch kann es vorkommen, daß eine F, oder F, fast einheitlich ist und nur in sehr geringer Prozentzahl anders aussehende Formen enthält, etwa wie bei den Zamarckiana-Kulturen von de Vries. 7. Gewisse Merkmale spalten genau den Mendelschen Varietäten- kreuzungen entsprechend, z. B. das Fehlen von Haaren im Schlunde der Blüte von 4. sempervirens gegenüber das Vorhandensein dieser Haare bei A. majus, wo das unbehaarte einfach rezessiv ist, die Spaltung also 3:1 beträgt, so z. B. in Versuch Nr. 45 1912, wo die F, ergab 210 Pflanzen mit Bliiten mit Haaren gegen 67 mit Bliiten ohne Haare. 8. In andern Fallen findet deutlich nachweisbare Koppelung, ebenfalls wie bei der Varietätenkreuzung statt. So z. B., wenn mit 4. majus 271 Baur gekreuzt wurde, die Koppelung zwischen die Faktoren für rot und gestreilt. So waren im Versuch No. 73 1912 von allen Pflanzen, die überhaupt Rot in den Blüten hatten, 529 rot gestreift und 37 einheitlich rot, beide Rubriken auf Elfenbein; überdies gab es in dieser Kultur nur eine Pflanze mit anders gefärbten Blüten, und zwar ein weiß blühendes Exemplar. 9. Diese Koppelung zwischen rot und gestreift wurde schon von Miß Wheldale und von Baur in Varietätskreuzungen bei 4. majus nachgewiesen. 10. In andern Fällen treten abweichende, bisweilen ganz stark ab- weichende Spaltungszahlen auf, die wohl ebenfalls als Koppelungen zu betrachten sind, deren Analogien aber bei den Varietätenkreuzungen inner- halb der Großart A. majus bis jetzt noch nicht nachgewiesen, wohl aber zu erwarten sind. Versuche darüber sind bereits von Baur in Gang gesetzt. Kleinere Mitteilungen. 327 Ir. Es gelingt ganz sempervirens-artige, ganz molle-artige und ganz majus- artige Individuen unter den Spaltungen aufzufinden. Da die drei Spezies aber offenbar in vielen Merkmalen verschieden sind, sind solche Individuen selten. Im Versuche Nr. 8 1912 (eine F;) traten jedoch sehr viele mo//e- artige Individuen auf, überhaupt zeigte diese Kultur eine auffallende mo//e- Ähnlichkeit, und fehlten reine wajus-Blüten ganz. Summa summarum verhält sich also eine Artkreuzung bei Antirrhinum auffallend wie eine Varietätenkreuzung zwischen zwei in mehreren Merk- malen verschiedenen Varietäten, und gilt die Mendelsche Erklärung hier wenigstens auch für Artbastarde. Ob dies allgemein der Fall bei Spezies- bastarden sein wird, muß noch dahingestellt bleiben. Ich würde aber glauben, daß dies in der Tat der Fall ist, wenigstens ist die F, von Oenothera biennis x O. Lamarckiana, welche ich in Hunderten von Exemplaren bis zur Blüte groß zog, viel polymorpher, wie de Vries beschreibt, und scheint mir seine Auffassung, daß diese in O. /aefa und O. velutina im Verhältnis 1:1 spaltet, dadurch verursacht, daß de Vries mehrere Formen als ©. /aela, andere ebenfalls mehrere als O. welutina zu- sammenfaßt. Möglich ist es allerdings auch, daß O. Zamarckiana aus mehreren Sippen besteht und meine Sippe mehr heterozygot war wie die von de Vries. Dieselbe Möglichkeit besteht in bezug auf die von ihm und mir zur Kreuzung verwendeten O. biennis. Aus den Ergebnissen von Baur’s und meinen Versuchen mit Antirrhinum kann ich z. Z. keinen andern Schluß ziehen, als daß es keinen prin- zipiellen Unterschied im Verhalten von Varietäten und Arten bei der Kreuzung gibt. Infolgedessen kann man aus einer Artkreuzung, wie tatsächlich nachgewiesen, ebensogut wie aus einer Varietätenkreuzung, reine homozygote konstante Nachkommen erzielen, d. h. neue Arten können durch Kreuzung entstehen. Das scheint mir von prinzipieller Wichtigkeit, denn dadurch fällt überhaupt jeder prinzipielle Unterschied zwischen einer Varietät, einer Art, und ein konstantes Spaltungsprodukt einer Kreuzung fort. Wir können künftighin nur zwei ‚Arten‘ von diploiden Organismen unterscheiden, nl. homozygote und heterozygote. Heterozygoten sind offenbar nicht, was man bis jetzt als Spezies betrachtete, während hingegen sowohl Varietäten wie Spezies Homo- zygoten sind. Aus dieser Definition folgt aber unabweisbar, daß eine Spezies beim Ausschluß von Fremdbestäubung konstant ist, wie dies übrigens klar aus den berühmten Bohnenversuchen Johannsens hervorgeht. Falls dies der Fall, falls die Spezies wirklich konstant ist, ist aber offenbar eine Evolution in Darwinschem Sinne durch Auswahl und Häufung kleiner erblicher Variationen unmöglich. Nun scheint mir in der Tat, daß 328 Kleinere Mitteilungen. wir solche erbliche Variationen, abgesehen vielleicht von Verlust- mutationen, die ja offenbar für progressive Evolutionszwecken unbrauch- bar sind, gar nicht kennen. Als solche könnten nur in Betracht kommen Modifikationen und die Mutanten der de Vriesschen Zamarckiana-Kulturen. Erstere sind nachgewiesenermaßen nicht erblich und können also außer Betracht bleiben, letztere halte ich für Produkte, welche Kreuzung (Fremdbestäubung) zu- zuschreiben sind. Diese schon vor Jahren in meinen Vorlesungen über Deszendenztheorien ausgesprochene Vermutung soll nun in einer sich schon im Druck befindlichen Arbeit Nillsons!) bewiesen worden sein. Alles deutet also daraufhin, daß die Art, abgesehen von Verlustmutationen, konstant ist, und es muß also die Frage erörtert werden, ob eine Evolution bei Konstanz der Art überhaupt denkbar ist. Daß dies in der Tat der Fall, hoffe ich im folgenden zu zeigen, und zwar liegt der Schlüssel in der offenbar der Kreuzung zuzuschreibenden Artbildungsmöglichkeit. Daß die Kreuzung der Hauptagens bei der Spezies- bildung ist, hat zumal Kerner betont, und ich glaube, unsere jetzige Erfahrungen geben ihm recht. Wenn in der Tat die Spezies konstant ist, so will das sagen, daß jede einmal gebildete homozygote Verbindung sich als solche ad infinitum fortpflanzt, bis sich deren Fortpflanzungszellen an irgendeinem Momente mit der einer anderen homozygoten (resp. hetero- zygoten) Verbindung vereinigen, wonach durch Wechselwirkung der Genen eine neue, schließlich homozygote Verbindung, alias eine neue Art entsteht. Das alles ist ja ganz einfach, wenn man annimmt, daß statt eine mehrere Arten von Urplasmata entstanden sind, und wenn man beachtet, daß die Verhältnisse an verschiedenen Punkten der Erde sehr verschieden sind, so ist es weit mehr einleuchtend, daß sich mehrere Urplasmata ge- bildet haben, wie daß sich nur ein einziges Urplasma gebildet haben würde. Solange es noch keine geschlechtliche Fortpflanzung gab, hat sich wohl ein jedes von diesen Urplasmata zu jener Art ausgebildet, welche von der Zusammensetzung des betreffenden Urplasmas bedingt war. So bildete z. B. das Urplasma A die Art a, das Urplasma B die Art ß usw., wie folgendes Schema zeigen mag. Art, zu welcher sich das Urplasma infolge seiner Zu- sammensetzung ausbilden wR ee a B ii d € l K x w A A A A A A A A A | | | | | Urplasma. . 22... Au BI “c- "DIE ICE NZ 1) Inzwischen erschienen: diese Zeitschrift Bd. 8, Heft 2 und m. E. beweisend. ‘ Kleinere Mitteilungen. 329 Weit konnte es ein jedes Urplasma, wie die Erfahrung zeigt, ohne geschlechtliche Fortpflanzung nicht bringen, offenbar wohl, weil die Zahl der Genen, über welche ein jedes Urplasma verfügte, nur gering war. Absolut notwendig war es aber nicht, daß ein jedes Urplasma die von seiner Zusammensetzung bedingte Endform erreichte. Um diese zu erreichen, waren doch zahlreiche gleichsinnige Teilungen notwendig, ohne das Verlust irgendeiner Gene stattfand, und weit wahrscheinlicher ist es, daß im Anfang die Teilungen nicht so regelmäßig waren, daß Genenverlust nicht stattfand. Jede unregelmäßige Teilung mußte aber durch Genenverlust zu Ver- lustmutationen, d. h. regressive Arten führen, und so ist es also durchaus verständlich, daß auch ohne geschlechtliche Fortpflanzung zahl- reiche Arten entstanden, zumal da auch diese primäre Verlustmutanten wieder durch ungleiche Teilung Genen verlieren konnten und dadurch neuen Verlustmutanten das Dasein gaben, diese tertiären usw. Für ein Urplasma, für das Urplasma A z. B. mag dies diagrammatisch dargestellt werden: Alle diese Arten sind haploide Arten und wir können sie als primäre haploide (a), sekondäre haploide (a!, a2, a’, at), ter- tiäre haploide (a, a, a’) und quaternäre haploide («*’) usw. Arten andeuten. So können auf ungeschlechtlichem Wege zahlreiche haploide Arten ent- standen sein. Alle diese sekondäre, tertiäre, qua- ternäre usw. haploide Arten besitzen aber weniger Genen wie die primäre haploide Arten und können also ohne weiteres keinen Fortschritt geliefert haben, wenn unsere Voraussetzung richtig ist, daß sich die Urplasmata, ihrer geringen Genenzahl wegen nicht zu höheren 3 Organismen entwickeln konnten. Höhere X Entwicklung wurde erst möglich durch das Auftreten geschlechtlicher Fortpflan- zung. Dadurch kamen nämlich die Genen 0% zweier oder mehrerer der Zusammen- setzung nach verschiedener Urplas- mata zusammen und entstanden Zygoten mit einer größeren Zahl von Genen, wie die, über welche irgendein Urplasma verfügen konnte. Wie die Bastarde zwischen Antirrhinum- Varietäten und zumal Arten aber zeigen, entsteht bei der Vereinigung 330 Kleinere Mitteilungen. zweier artfremder Fortpflanzungszellen sozusagen explosionsartig eine größere Zahl neuer Formen, etwa so: A A inne 5% /0 72 Usyplesma A, Urplasma D. Viele dieser Formen bleiben zunächst heterozygot und fallen demnach mehrere Male wieder in neuen Formen auseinander, andere werden bald homozygot und bilden demnach neue diploide Arten, welche sofort konstant sind. In jeder folgenden Generation entstehen (auch bei Selbstbestäubung) wieder neue homo- und heterozygote Verbindungen, was sich ungefähr durch folgendes Schema zur Darstellung bringen läßt. Constante Ad 4 lcastante Ad /0 Constente Ada O Cinstanke Ad 7° Kleinere Mitteilungen. 331 Das geht so lange weiter. Überdies können sich allerlei verwickelte Seitenexkursionen bilden, indem sich z. B. konstante Art 10 mit konstante Art 82 kreuzt usw., und so entstehen netzartige Stammbäume, deren Häufigkeit zumal von Klebs betont wurde. Das alles führt zu einer unentwirrbaren Mannigfaltigkeit, in welcher das Auffinden der Deszendenz irgendeiner herausgegriffenen Art um so mehr hoffnungslos wird, als die Außenbedingungen durch ausmerzende Selektion der unter den obwaltenden Verhältnissen weniger existenzfähigen einschreiten. Das macht das Rekonstruieren der Vergangenheit wohl nur in den wenigsten und einfachsten Fällen möglich. Als wichtigstes Ergebnis dieser Erörterungen betrachte ich aber den Umstand, daß auch, wenn die Arten konstant sind, eine Evolution recht gut wenigstens denkbar ist; wenn man nur annimmt, daß der eigentliche. Artbildner die Kreuzung war, und tatsächlich ist z. Z. außer durch Verlustmutationen und durch Kreuzung keine Bildung neuer Arten experimentell nachgewiesen. Die hier entwickelte Hypothese der Artbildung durch Kreuzung und durch’ Genenverlust fußt also auf experimentelle Tatsachen. Deswegen braucht sie noch nicht richtig zu sein, denn unsere Kenntnisse sind noch recht unvollständig, so zu sagen noch ganz elementar. Von keiner Hypothese kann man aber verlangen, daß sie mehr bringt als die derzeitig bekannten Tatsachen erlauben, und wenn ich glaube, daß die hier skizzierte Hypothese, deren für und wider ich in der demnächst erscheinenden zweiten Auflage meiner Vorlesungen über Deszendenztheorien eingehender zu besprechen hoffe, Vorteile über Theorien im Darwinschen Sinne bietet, so möchte ich besonders betonen, daß dies der Berechtigung der Darwinschen Theorie zur Zeit ihrer Aufstellung durchaus keinen Ab- bruch tut. Eine besser den derzeitigen Kenntnissen entsprechende Theorie wie die Darwinsche hat es wohl nie gegeben und wird es wohl nie geben, und sollte sie je durch irgendeine andere ersetzt werden müssen, so wird das nur geschehen, weil unsere Kenntnisse sich seit Darwin vermehrt haben, worüber sich wohl keiner mehr gefreut haben würde wie Darwin selbst. Zum Schluß möchte ich noch betonen, daß die hier entwickelte Hypothese ihr vollständiges Analogon in der leblosen Welt findet. Wie ich später ausführlicher auseinandersetzen werde, entsprechen die Genen, ganz roh aufgefaßt, den Elementen, die konstanten Arten den konstanten Verbindungen, und so wie die konstanten Verbindungen nur dadurch mit- einander neue Verbindungen bilden können, daß sie in ihren Elementen auseinanderfallen und diese Elemente in geeigneten Medien in Wechsel- wirkung treten und neue Verbindungen bilden, so können die konsfanten Arten nur dadurch neue Arten bilden, daß bei der Fortpflanzung ihre Genenkomplexe auseinanderfallen und mit andern auseinanderfallenden 332 Kleinere Mitteilungen. Genenkomplexen neue Genenverbindungen bilden, die, fiir soweit sie homo- zygot sind resp. werden, neue konstante Arten bilden. Die auf Mendels Untersuchungen basierte Genentheorie entspricht mutatis mutantis durchaus der Lehre der chemischen Elemente, und so- wenig an eine Vertiefung chemischer Kenntnisse gedacht werden konnte, so lange die chemische Verbindung als Einheit galt, sowenig konnte an Vertiefung biologischer Kenntnisse gedacht werden, solange die Fort- pflanzungszellen als untrennbare Einheiten betrachtet wurden. Aufgabe der Zukunft ist es denn auch, die Genen auf experimentellem Wege wenigstens so gut kennen zu lernen, wie die Chemiker die Elemente kennen, denn welche Evolutionshypothese sich schließlich als richtig er- kennen lassen mag, so wird sie, das läßt sich heute wohl aussagen, auf besserer Kenntnis der Genen sich aufbauen müssen. Obenstehendes ist in einem Gusse, ohne Benutzung der Literatur, ge- schrieben worden, Richtigstellung von Ungenauigkeiten und Betonung der Verdienste verschiedener Forscher, welche diese Anschauungen möglich machten, werde ich später in Ruhe vornehmen. Sie wird nur veröffentlicht, um Meinungsaustausch und dadurch Verbesserung zu ermöglichen. P- t. Rudolstadt in Thüringen, 30. September 1912. Nachschrift. Sehen wir von der oben besprochenen Möglichkeit der Bildung von Arten durch Genenverlust ab, so dürften die Hauptvorzüge und Haupt- verschiedenheiten der Auffassungen von Darwin, de Vries und mir folgenderweise ganz kurz charakterisiert werden können. 1. Darwins Theorie brachte den großen Fortschritt, daß die Ent- stehung der Arten statt einer übernatürlichen Schöpfung ganz natürlichen Vorgängen zugeschrieben wurde. Die Konstanz der Art wird angegriffen, das Vorhandensein von Varianten betont, und zwar ist nach Darwin die Art so stark variabel, daß fortwährend mehr oder weniger erbliche Varianten der Selektion zur Verfügung stehen. . de Vries’ Theorie brachte den großen Fortschritt einer scharfen Unterscheidung zwischen stets vorhandenen nicht erblichen Modi- fikationen (Fluktuationen) und nur zeitweilig vorhandenen erblichen Varianten (Mutanten). Arten sind nach de Vries während langer Zeiten konstant; dann tritt eine Periode von Vorbereitung zur Bildung neuer Arten auf: die Pramutationsperiode. Während dieser werden neue An- lagen gebildet, deren Wirkung sich während der Mutationsperiode in das plötzliche Zutagetreten neuer Arten äußert. Von diesen neuen Arten sind viele konstant, andere inkonstant (©. scintillans usw.). 3. Nach meiner Auffassung sind einmal gebildete Arten konstant und kennen wir z. Zt. keine Art, welche neue Anlagen zu bilden vermag. Neue Arten entstehen durch Kreuzung, indem dabei neue D Kleinere Mitteilungen. 333 Kombinationen von bereits bei den Eltern vorhandenen Anlagen gebildet werden, welche Kombinationen, fiir soweit sie homozygot sind, neue Arten darstellen, fiir soweit sie heterozygot sind, dennoch durch Abspaltung neue konstante Arten zu bilden vermögen. Als Hauptvorteil dieser Auffassung betrachte ich den Umstand, daß sie einen völligen Parallelismus zwischen der lebenden und der leblosen Welt schafft. Haarlem, ıı. Nov. 1912. Die Entstehung des Mauchampsschafes. Von §. von Nathusius, Halle a. S. (Eingegangen: 5. Oktober 1912.) Zu den wohl am häufigsten angeführten Beispielen für das Auftreten einer plötzlichen Mutation in der Haustierzucht gehört die Geschichte der Entstehung des Mauchampsschafes. Im Jahre 1827 wurde auf dem Gute Mauchamps bei Berry-au-Bac (Aisne) in Frankreich in einer reinblütigen Merinoherde ein Bocklamm geboren mit einer ganz eigenartigen Wolle. Die Wolle war nämlich länger, war viel glänzender und hatte einen seidigen Charakter. Daß es einem geschickten Züchter gelang, aus diesem Bocklamm eine ganze Herde in der neuen Wollrichtung mit auch etwas abweichender Körperform herauszuzüchten, ist weder besonders bemerkenswert im all- gemeinen, noch interessiert es uns hier weiter. Wie war und wie ist nun aber die Entstehung dieses ‚„Stammbocks‘“ mit dem bis dahin unbekannten Wollcharakter zu erklären. Im Jahre 1910, Bd. III, Heft 3 dieser Zeitschrift, hat Dr. Hilzheimer die Frage in einem Aufsatze über Atavismus gestreift. Auf einen bei dieser Gelegenheit unterlaufenen Irrtum möchte ich nur kurz nebenher hinweisen. Hilzheimer sagt: „Es fielen nämlich plötzlich in verschiedenen reingezüchteten Merinoherden Frankreichs, unter anderem auch in der kaiserlichen Stammschäferei von Rambouillet, Schafe, deren Vließ, ab- weichend von der gekräuselten Merinowolle, sehr langhaarig, fast schlicht war...“ Diese Auffassung weicht wesentlich von der sonst wohl allgemeinen und m. A. n. richtigen Auffassung ab, nach der es sich, wie oben schon ausgeführt, um ein Bocklamm in einer Schäferei handelte, die übrigens nicht Rambouillet war. Ich komme unten noch darauf! Diese Feststellung halte ich, auch abgesehen von der Vermeidung von Märchenentstehung, deshalb für nicht unwichtig, weil allerdings das Vorkommen mehrerer Fälle den Gedanken an Rückschläge als Erklärung nahegelegt haben würde. 334 Kleinere Mitteilungen. Tatsächlich hat auch H. Kraemer-Hohenheim, den Rückschlag als Erklärung angenommen. Ich glaube er steht aber damit völlig allein, und mit Recht weist Hilzheimer darauf hin, daß ein Beweis in keiner Weise geliefert ist. Dagegen ist die bisher wohl sonst ganz allgemein geteilte Auffassung die, es handle sich bei diesem neuen Wollcharakter um eine Mutation. : Der soeben als Professor für Tierzuchtlehre nach Jena berufene Dr. Draeger macht nun aber in einer Arbeit „Die Fleischschafzucht auf Merinogrundlage pp.“, Hannover 1912, bei M. & H. Schaper, auf S. 25 hochinteressante Mitteilungen, die die ganze Frage in völlig neuem und überraschenden Lichte erscheinen lassen. Ich zitiere wörtlich: „Moreau-Berrillon hat aus den Familienchroniken eines Herrn Gilbert, Landwirtes zu Sapigneul bei Berry-au-Bac, die wahre Entstehung dieser „Rasse“ aufdecken können. Das Gut Mauchamps grenzt mit der Gemeinde Guignicourt; die Herde aus Mauchamps traf häufig mit jener Gemeindeherde zusammen. Eine zufällige Vermischung fand statt, wobei ein Schaf von einem Dishleybock befruchtet wurde; ein Bocklamm mit langbogiger, glänzender, seidenartiger Wolle wurde geboren. Durch inzüchterische Behandlung gelang es Herrn Graux eine ganze Herde von 142 Tieren zu bilden. Diese und vor allen Dingen das erste Lamm hatten allerdings den Schein der Kreuzung gegen sich, denn Yvart (étude sur la race merinos a4 laine soyeuse de Mauchamps 1840) berichtet, daß sie mangelhaft gebaut waren, mit schwerem Kopf, langem Hals und schmaler Brust. Doch das ist nach meiner Meinung so zu erklären, daß man es nicht verstand, durch richtige Haltung die in der Anlage ererbten Eigenschaften zu entwickeln; vielleicht war auch das Muttertier durch eine damals noch recht mangelhafte Winternahrung nicht imstande, das junge Tier während des foetalen Lebens genügend zu ernähren. Daß übrigens pathologische Bildungen, Krankheitszustände des Mutter- tieres während der Trächtigkeitsdauer diesen eigenartigen Wollcharakter hervorrufen, wird von Magne aus Willeneuve und aus der Haute-Normandie berichtet, doch traten die Wollcharaktere in Verbindung mit Konstitutions- fehlern, Bleichsucht und geringer Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten auf. Magne erwähnt sogar solchen Fall aus Rambouillet und Bohm stützt sich darauf. Das ist aber ein Mißverständnis, denn Bourgeois, Direktor von Rambouillet, berichtet allerdings von solchem Falle, meinte aber, seine Privatherde von zweifelhafter Abkunft, s. Bernardin, La bergerie de Ram- bouillet et le mérinos 1890. Paris.“ Soweit Draeger! Damit dürfte das ‚wissenschaftliche‘“ Interesse, dessen sich das Mauchampsschaf bisher zu erfreuen hatte, ein für allemal erledigt sein. Die rein tierzüchterische Seite der Frage interessiert hier nicht. Kleinere Mitteilungen. 33 mn Ein Fall von geschlechtsbegrenzter Vererbung bei Melandrium album. Von Erwin Baur. (Eingegangen: 24. Oktober 1912.) Während wir bei Tieren heute bereits eine große Zahl von Beispielen von geschlechtsbegrenzter Vererbung kennen, ist aus dem Pflanzenreiche bisher nichts Entsprechendes bekannt geworden. Diese aufs erste über- raschende Tatsache findet freilich eine sehr einfache Erklärung darin, daß _Vererbungsuntersuchungen an getrenntgeschlechtlichen Pflanzen nur in sehr beschränkter Zahl angestellt worden sind — Geschlechtstrennung erschwert die Arbeit ja sehr, der Hauptvorteil, den die Pflanzen vor allem für Bastardierungsuntersuchungen darbieten, ist der, daß es so viele zwittrige Pflanzen gibt, die leicht durch Selbstbefruchtung fortgepflanzt werden können. Die Tatsache, daß bisher noch kein pflanzliches Beispiel für die heute soviel diskutierte geschlechtsbegrenzte Vererbung bekannt geworden ist, mag es rechtfertigen, daß ich im nachstehenden ganz kurz über meine allerdings recht lückenhaften Beobachtungen berichte. In meiner „Einführung“ habe ich schon erwähnt, daß in meinem Versuchsgarten aus einer bis dahin völlig in der Blattform konstanten Sippe von Melandrium album ein Individuum als Sämlingsmutante unter über 100 völlig normalen Geschwistern auftrat, das grasartig schmale Blätter hatte (l. c. Fig. 48). Diese schmalblätterige Pflanze war ein Männchen. Ebenso wie die Laubblätter waren auch die Kelch- und Blumenblätter sehr schmal, so daß die Pflanze im erwachsenen Zustande sehr auffällig von normalem MW. album verschieden war. Mit Blütenstaub dieser Pflanze wurde eine normalblätterige weibliche Pflanze bestäubt und daraus im Jahre ıgıı die F,-Generation gezogen. Diese Pflanzen waren alle normalblätterig, die Generation bestand aus $ und 2 mit einem aus- gesprochenen + an G1). Von diesen Pflanzen wurden ein 2 und ein 9 zur Weiterzucht verwendet. Die so erhaltene F.-Generation wurde im Sommer IgI2 gezogen. Ich erhielt im ganzen gegen 300 teils schmal-, teils breitblätterige Keimlinge. Genau ausgezählt wurde ein Topf mit 151 Keimlingen. Davon waren 39 schmalblätterig wie die ursprüngliche Mutante, 112 hatten breite Blätter. Das ist fast genau das Verhältnis 1: 3. Da es mir nur darauf ankam, die schmalblätterige, durch Mutation entstandene Rasse zu isolieren, pflanzte ich 52 schmalblätterige und nur zum Vergleichen der Blattform drei breitblätterige Pflanzen aus, alle 1) Eine Zählung habe ich leider nicht unternommen. In allen meinen Sippen von M. album überwiegen übrigens die G an Zahl, 336 Kleinere Mitteilungen. andern warf ich weg. Als die Pflanzen zur Blüte kamen, fand ich zu meinem Erstaunen, daß alle 52 schmalblätterigen Pflanzen 3, alle drei breitblätterigen ? waren! Ich machte daraufhin sofort eine Nachaussaat mit noch vorhandenen Reservesamen der gleichen Elternpflanzen und erhielt 21 schmalblätterige und 55 breitblätterige Pflanzen. Von dieser Nachsaat kamen bis zum Herbst 1912 nur 20 breitblätterige Pflanzen zur Blüte und es erwiesen sich 12 als 2 und 8 als d. Offenbar sind also alle aus dieser Kreuzung herausmendeln- den schmalblätterigen Pflanzen männlich, die breitblätterigen sind teils weiblich, teils männlich. Da ich selbst neben meinen Versuchen mit Anzirrhinum, Brassica, Raphanus u. a. nicht auch mit Melandrium in größerem Umfange weiter arbeiten kann, und da vor allem Herr Dr. G. H. Shull über die Vererbung des Geschlechtes bei dieser Gattung sehr umfangreiche Versuche in Gang hat, habe ich Samen meiner F,-Pflanzen an Herrn Dr. Shull abgegeben, der die Erblichkeitsverhältnisse weiter untersuchen will. Berlin. Botanisches Institut der Landwirtschaftlichen Hochschule. 24. Oktober 1912. Referate. Semon, R. Das Problem der Vererbung ,,erworbener Eigenschaften‘. Leipzig (Engelmann) 1912. 8° 203 S. 6 Fig. i. T. Das Buch ist im wesentlichen eine erweiterte Wiedergabe zweier friiherer Aufsätze!): „Stand der Frage nach der Vererbung erworbener Eigenschaften‘‘ und „Die somatogene Vererbung im Lichte der Bastard- und Variations- forschung“. Die Zusammenstellung des Tatsachenmateriales, das im Sinne der Semonschen Theorie gedeutet werden könnte, ist sehr vollständig; Ver- suchsresultate, die nicht mit der Theorie harmonieren, werden sehr kurz oder gar nicht besprochen. Darüber, ob die zitierten Beobachtungen das beweisen, was durch sie bewiesen werden sollte, oder was Semon daraus entnimmt, werden aller- dings wohl sehr viele Biologen anderer Meinung sein, als der Verfasser. Ref. kann jedenfalls keinen einzigen von allen den meist ja schon sehr oft diskutierten ‚Beweisen‘ anerkennen. Auf die vielen älteren Angaben hier noch einmal einzugehen, hat wohl wenig Zweck; Semon legt offenbar selbst nicht allzuviel Gewicht darauf. Damit, daß man diese alten ungenügenden Beobachtungen immer wieder neu bespricht, macht man sie nicht brauchbarer. Ganz besonderen Nachdruck legt Semon dagegen auf die viel zitierten und wohl auch allgemein bekannten Versuche Kammerers. Dazu seien Ref. einige Bemerkungen gestattet. Kammerer findet z. B., daß Feuer- salamander, die auf gelbem Lehmboden kultiviert werden, mehr und mehr die schwarzen Flecken verlieren, und daß die Kinder von solchen schon ziemlich weitgehend gelbgewordenen Tieren schon von vornherein weniger gelbe Flecken haben als Kinder anderer Tiere. Er findet ferner, daß es möglich ist, die Kinder von schon selbst stark gelben Eltern durch weitere Kultur auf gelbem Lehmboden zu rein gelben Tieren zu machen, was mit Kindern „normaler Tiere“ nicht gelingt. In allem dem sieht Semon einen sicheren Beweis für die Vererbung einer erworbenen Eigenschaft. Die gefundenen Tatsachen sind aber — Richtigkeit der Versuche vor- ausgesetzt — auch folgendermaßen zu deuten: Die Farbe der Salamander ist weitgehend durch Außeneinflüsse modifizierbar. Solche Außeneinflüsse wirken auch schon vor der Geburt auf die jungen Embryonen — mehr oder weniger direkt — durch die Mutter hindurch. Es ıst danach gar nicht auffällig, daß Kinder, die schon in dieser ersten Periode ihrer Ent- wicklung nach gelb hin modifiziert worden sind, gelber geboren werden, als Kinder, die während dieser frühesten Entwicklung anderen Einflüssen aus- gesetzt waren. Völlig gelbe Tiere sind danach durch die von Kammerer 1) Ref. diese Zeitschrift Band 6 S. 244. Induktive Abstammungs- und Vererbungslehre. VIII. 23 3 38 Referate: gewahlte Versuchsanordnung nur erzielbar, wenn die Tiere von ihren ersten Entwicklungsstadien an diesen Einfliissen ausgesetzt werden. Wenn die Kinder von schon stark nach gelb modifizierten Eltern selber schon etwas nach gelb hin modifiziert geboren werden, so ist das demnach keine ,,Vererbung der gelben Farbe der Eltern‘, sondern eine „Modifizierung der Kinder in ihren ersten Entwicklungsstadien“. Solche Versuche kann man auch mit Pflanzen, z. B. mit Radieschen machen. Hier ist die Größe der als ‚Radieschen“ bezeichneten Hypocotyl- verdickung sehr stark modifizierbar durch Ernährungseinflüsse, die auf die junge Pflanze einwirken. Man kann durch starken Nahrungsmangel in einem bestimmten Entwicklungsstadium es meist mit einiger Mühe dahin- bringen, daß die jungen Pflanzen sogar überhaupt keine Verdickung bilden, vielmehr gleich ‚aufschießen“. Viel sicherer kann man dies er- reichen dadurch, daß man schon die Ausbildung der Samen in der Elternpflanze stört, indem man diese schon sehr stark hungern läßt. Kinder von solchen Hungereltern sind viel leichter zum „schießen“ zu bringen, als Kinder aus gutentwickelten Samen gut genährter Eltern. Das ist ein Fall ganz analog dem Salamanderbeispiel Kammerers. Viel- leicht wird Semon auch hierin ein schönes Beispiel für Vererbung er- worbener Eigenschaften sehen. Ref. freilich kann nichts anderes darin sehen, als eine Modifizierung der jungen Embryonen. Daß analoge Nach- wirkungen von Einflüssen, denen die Eltern ausgesetzt waren, an den Kindern gelegentlich einmal zu sehen sind, ist bei Tieren mit ihrer In- einanderschachtelung mehrerer Generationen nicht wunderbar. Gerade die Entwicklungsphasen, in welchen die wichtigsten Gestaltungen sich voll- ziehen, verlaufen hier ja häufig, während die eine Generation noch in der andern steckt. Eine volle Modifizierung nach einer bestimmten Richtung hin — wie bei den Salamandern nach gelb — ist darum nicht erzielbar, wenn man die modifizierenden Einflüsse nur auf eine Generation, d.h. in diesem Falle erst von der Geburt an, einwirken läßt. Man muß viel- mehr damit anfangen, solange das Individuum noch in der vorherigen Generation drin steckt. Um eine volle, durch eine bestimmte Konstellation von Außeneinflüssen überhaupt erzielbare Modifikation zu erzielen, muß man in diesen Fällen nicht bloß eine, sondern zwei Generationen be- einflussen, weil eben die eine Generation in ihren ersten Stadien nur durch die vorhergehende hierdurch — mehr oder weniger indirekt natürlich — anfaßbar ist. Man wird nun freilich sagen, daß es ein eigentümliches, nicht häufig zu erwartendes Zusammentreffen sein müsse, wenn Einflüsse, die einen alten Organismus in einer bestimmten Weise modifizieren, auch die jungen Embryonen, auf welche die Wirkung zudem nur eine indirekte ist, in genau der gleichen Weise modifizieren. Junge Organismen reagieren ja sonst meist anders als alte. Das ist auch ohne weiteres zuzugeben, und damit steht voll- kommen im Einklang, daß in der übergroßen Mehrzahl aller be- kannten Fälle von einer analogen Modifikation der jungen Tiere nichts zuschen ist. wenn die Elternin einer bestimmten Richtung modifiziert worden sind. Die paar Fälle, die wie das oben genannte Salamanderbeispiel etwas Derartiges zeigen, sind seltene Ausnahmen — ganz wie von vornherein zu erwarten ist. Das wird von Semon und seinen Anhängern immer übersehen. Tatsachenmaterial, das sich Semons Theorie nicht fügt, wird, wie gesagt, entweder nur kurz oder gar nicht erwähnt, oder aber es wird mit Referate, 339 großer dialektischer Gewandtheit unter Zuhilfenahme von allerhand ,,Hilfs- hypothesen‘‘ umgedeutet. So zitiert Semon noch immer Towers Versuche mit Zepfnotarsa als Beispiele von Vererbung erworbener Eigenschaften, obschon doch Tower selbst, ferner A. Lang, E. H. Ziegler und Ref. betont haben, daß gerade in diesem Falle kein Parallelismus zwischen der Modifikation der Eltern und der Änderung der Reaktionsweise der Nachkommen!) bestehe Tower brachte ausgewachsene Käferpärchen eine Zeitlang in Behälter mit hohen Temperaturen und später wieder in Behälter mit normaler Temperatur, und beobachtete dann unter den Nachkommen aus Sexualzellen, die bei der hohen Temperatur gebildet worden waren, zahlreiche Mutanten — d.h. erblich von der Ausgangsrasse verschiedene und weiterhin ihrer Eigenart konstant vererbende Tiere. Die Nachkommen der gleichen Ausgangs- tiere aus Sexualzellen, die während des späteren Aufenthaltes in normaler Temperatur gebildet waren, waren alle völlig normale Tiere. Die Elterntiere waren dabei in den Towerschen Versuchen durch die hohe Temperatur selbst nicht verändert worden, hatten also gar keine „Eigenschaft erworben‘, die sie hätten vererben können. Tower hat ferner in andern Versuchen gefunden, daß die individuelle Beschaffenheit, vor allem die Färbung von Käfern, die noch zur Zeit ihrer ersten Entwicklung in hohe Temperaturen kamen, modifiziert wurde. Aber Nachkommen von derartig modifizierten Tieren waren selber wieder ganz normal gefärbt; solche Modifikationen sind in keinem Falle ‚‚vererbt‘‘ worden. Diesen Tatsachen gegenüber hilit sich Semon damit, daß er die An- nahme macht, daß zunächst einmal die letzterwähnte ‚erworbene Eigen- schaft“, die Färbungsmodifikation, eine ,,Reizwirkung“, ein „Engramm“ auf die Sexualzellen nicht ausüben könne, weil die Cuticula der Käfer, ,,welche keine Porenkanäle besitzt und also in ihrer Tiefe. wo sich die Pigment- ablagerungen befinden, außerhalb jeder reizleitenden Verbindung mit der reizbaren Substanz des Organismus mitsamt seinen Keimzellen steht‘. Und um das Auftreten von Mutanten aus Käfern, die selber nicht verändert waren, mit seiner Theorie in Einklang zu bringen, macht er die ebensowenig beweisbare wie unwiderlegbare Annahme, daß auch das Soma dieser Käfer, in der Zeit, wo die Tiere der hohen Temperatur ausgesetzt waren, insofern quasi unsichtbar verändert war, „daß unter der starren unveränderlichen Hülle der Imagocuticula die reizbare Substanz des Soma nach wie vor von Reizen beeinflußt werden kann und trotz der Maskierung durch jene starre unveränderliche Hülle, trotz des dadurch bedingten Ausfalles einer äußeren Manifestation sogar notwendigerweise beeinflußt werden muß“. Es ist wohl ohne weiteres klar, daß mit derartigen „Hilfshypothesen“ fast jedem Einwand gegen Semons Theorie entgegnet werden kann und daß damit fast alle Fälle ‚erklärt‘ werden können, die nicht mit der ursprünglichen Theorie harmonieren. Durch eine solche „Erklärung‘‘ werden allerdings wohl nicht viele Biologen befriedigt sein. Baur. Vries, Hugo de. Die Mutationen in der Erblichkeitslehre. Berlin 1912. Gebrüder Borntraeger. 42 S. Der vorliegende Vortrag darf wohl als ein Programm der augenblick- lichen Ansichten von de Vries über die Mutation angesehen werden. 1) Denn um das, nicht um eine bloße Modifikation der Nachkommen, wie in den Kammererschen Versuchen, handelt es sich in den Towerschen Versuchen, 23* 340 Referate, Die erste Hälfte der Abhandlung ist ein Überblick des heutigen Standes der Mutationstheorie unter den Biologen und enthält eine Auseinander- setzung der Prinzipien und der Tragweite der Theorie, wie wir sie von seinen Hauptarbeiten kennen. In diesen Punkten haben seine Ansichten keine Änderungen erlitten. Fortwährend behauptet er, daß die Fluk- tuationen nicht erbliche, quantitative Variationen sind, die Mutationen aber sofort erbliche, qualitative Veränderungen darstellen, was ja seit den Untersuchungen von Johannsen und Nilsson-Ehle nicht mehr auf- recht zu halten ist, und daß die Formen von z. B. Draba verna eben so viele durch Mutation entstandene Elementararten bezeichnen, was ja durch die Untersuchungen von Rosen widerlegt ist. Die Darwinsche Selektionstheorie mit der Mutationstheorie kombiniert, um die Entstehung der Variationen zu erklären, scheint ihm die richtige Deutung der Artbildung zu geben. Sowohl die Lehre von der Orthogenesis als der Neo-Lamarckismus werden abgelehnt. Betreffs der Orthogenesis wird darauf hingewiesen, daß nicht die Variation geradlinig fortgeschritten ist, sondern daß die Selektion während bestimmter geologischer Perioden in derselben Richtung gearbeitet haben kann. Gegen den Neo-Lamarckismus wird hervorgehoben, daß das Vorhandensein nützlicher Eigenschaften gar nicht beweist, daß sie unter dem Einflusse dieses Nutzens entstanden sind. Die letzte Hälfte der Abhandlung behandelt die experimentelle Seite der Mutationsfrage. Hier finden wir mehrere neue Versuche — von ihm selbst und Stomps ausgeführt — auch einige Modifizierungen der früheren Ansichten von de Vries. So nimmt er an, daß die Mutabilität der Oeno- thera Lamarckiana älter ist als die Art selbst und mit der phyletischen Entwicklung innerhalb der Gattung oder besser der Gruppe Onagra sich allmählich ausgebildet hat. Ein Beweis dieser Auffassung sieht er darin, daß O. diennis ähnliche Formen wie die Mutanten der O. Zamarckiana hervor- bringen kann. Aus der O. diennis erhielt er sowohl eine zanella als eine schmalblättrige Form, und Stomps hat sogar eine gigas-Form aus der, fraglichen Art erhalten. — Betreffs der Mutanten faßt de Vries einige der vorher als progressiv angesehenen (rwbdrinervwis, albida, oblonga) nunmehr als degressiv oder retrogressiv auf, und nur eine einzige, O. gigas, wird als pro- gressiv betrachtet, eine Ansicht, die früher schon Gates ausgesprochen hat. Die Entstehungsweise der O. gigas wird ziemlich ausführlich diskutiert und das Auftreten von gigas-Formen mit triploider Chromosomenzahl — wie sie Miss Lutz und Stomps gefunden haben — verwertet. O. gzgas hat 28 Chromosomen, ©. Zamarckiana 14, die triploiden Formen 21. Sie bezeichnen auch habituell eine Abstufung zwischen O. Zamarckiana und gigas und sind offenbar durch Zusammentreffen einer in O. gögas mutierter Sexualzelle mit einer Zamarckiana-Sexualzelle entstanden. De Vries meint indessen, daß nicht alle Eigenschaften der O. gigas auf die doppelte Chromosomenzahl zurückzuführen sind. Wie man diese andere Eigen-' schaften zu erklären hat, diskutiert er nicht, behauptet aber, daß O. gigas nur durch eine einzige Merkmalseinheit von der Stammart verschieden ist. In bezug auf das Entstehen der anderen Mutanten hat de Vries nichts Neues mitzuteilen. Auch die Ursache der Prämutation, ,,d. h. die ursprüng- liche Veränderung, welche den mutablen Zustand ins Leben gerufen hat‘, hat er nicht klarzulegen versucht, polemisiert aber gegen Bateson und Boulenger, nach welchen die Mutabilität auf hybriden Ursprung der Stammart zurückzuführen wäre. Zusammenfassend sagt er: „Die Versuchs- ergebnisse zeigen eine große und für eine klare Übersicht noch wenig ge- Referate. 341 eignete Mannigfaltigkeit. Vielleicht haben die Glieder der Gruppe nur den einen Charakterzug gemein, daß Mendelspaltungen bei ihnen nicht vor- kommen.“ Heribert-Nilsson. Correns, C. Selbststerilität und Individualstoffe. Festschrift der medizin.- naturw. Ges. zur 84. Vers. deutscher Naturforscher und Ärzte rgr2. Münster i. Westf. 32 S. Vor einigen Jahren hat Jost an der Hand eingehender Versuche über selbststerile Blüten das Problem der Individualstoffe erörtert. Wir kennen sowohl im Pflanzenreich als im Tierreich hermaphroditische Organismen, welche niemals reife Keime hervorzubringen imstande sind, sofern die männlichen Geschlechtszellen zur Befruchtung der auf demselben Indi- viduum hervorgebrachten weiblichen Geschlechtszellen benützt werden und nennen solche Organismen selbststeril. Jost führt nun in Anlehnung an Abderhalden und Hamburger diese Selbststerilität darauf zurück, daß jedem einzelnen Individuum einer solchen Organismenart andere eigene Stoffe, eben Individualstoffe zukommen; die eigenen Individualstoffe seien indifferent, die fremden Individualstoffe indessen wirkten als Stimulantia. Unter dem Eindrucke gewisser Schwierigkeiten, welche sich dieser Theorie Josts entgegenstellen lassen, und unter Berücksichtigung der modernen Johannsenschen Linientheorie knüpft nun Verf. an diese Unter- suchungen an. Er geht vor allem von dem Gedanken aus, es herrsche derzeit die Ansicht, daß der Pollen jedes fremden (aus einem anderen Sexualakt hervorgegangenen) Individuums die Befruchtung ausführen könne, Wenn sich die Sache wirklich so verhielte, so bliebe allerdings kaum etwas anderes übrig, als anzunehmen, daß immer neue solche Stoffe bei der fort- währenden neuen Entstehung von Individuen entstünden. Die Sachlage ist aber noch niemals experimentell geprüft worden und braucht sich infolgedessen nicht so zu verhalten, sondern kann auch anders sein. Eine systematische, experimentelle Inangriffnahme der Sache wurde nun von Correns versucht. Schon früher hatte Morgan auf tierischem Gebiete in weniger umfangreicher Weise und ohne weittragende theoretische Ergebnisse einen ähnlichen Versuch gemacht. Correns experimentiert mit Cardamine pratensis und geht dabei in folgender Weise vor. Er geht von zwei, sicher von geschlechtlich ver- schiedener Herkunft stammenden Individuen aus, die aus dem botanischen Garten in Münster stammten. Sie wurden mit G und B bezeichnet. Bei künstlicher Selbstbestäubung setzte nun weder die eine noch die andere Pflanze Samen an, beide brachten bei Kreuzung indessen sehr schöne samenhaltige Schoten hervor. Es wurden nun diese Samen ausgesäet und die Kinder teils mit den Eltern teils unter sich systematisch, wenn auch nicht durchgängig, so doch in großer Zahl bestäubt. Ohne auf die einzelnen Versuche näher einzugehen, ließen sich ungefähr die folgenden Resultate erkennen: ı. Die Kinder lassen sich nach ihrem Verhalten einem bestimmten Elter gegenüber in zwei Klassen bringen: die Individuen der einen Klasse sind mit diesem Elter bei wechselseitiger Bestäubung fertil, die der anderen Klasse bleiben steril (oder setzen nur sehr schlecht an). 2. Beide Klassen sind ungefähr gleich groß. 3. Das Verhalten eines Kindes gegenüber dem einen Elter ist völlig unabhängig von seinem Verhalten dem anderen Elter gegenüber; ist es 342 Referate. z. B. mit dem Pollen von B fertil, so kann es mit dem von G sowohl fertil als steril sein. 4. Es lassen sich folglich die Kinder nach dem Verhalten ihren beiden Eltern gegenüber in 4 Klassen bringen: A. fertil mit beiden Eltern (B und G); B. ., ,, dem einen, steril mit dem anderen Elter, a) fertil mit B, steril mit G, b) fertil mit G, steril mit B; C. steril mit beiden Eltern (mit B und G). 5. Die 4 Klassen sind ungefähr gleich groß. Aus diesen Versuchen schließt nun Verf., daß das Ansetzen nicht erfolgt, weil in dem betreffenden Falle derselbe Hemmungsstoff ausgebildet ist, wie im zur Kreuzung herangezogenen anderen Individuum. Verf. supponiert für die Hemmungsstoffe richtige Anlagen, die auf die Hälfte der Nachkommen vererbt werden. Es handelt sich also bei diesen Hemmungs- stoffen nicht eigentlich um Individualstoffe, sondern um Linienstoffe. Nur können, da dieselben Hemmungsstoffe sich ausschließen, hier nie reine Linien zustande kommen, sondern die Linien müssen immer aufspalten. Dem Individuum eigen aber sind nicht einzelne Stoffe; vielmehr ist für dasselbe eine Kombination von Stoffen charakteristisch. Die Kombination aber tritt jedesmal bei der Entstehung des Individuums in die Erscheinung und geht wieder mit ihm zugrunde: sie ist das Individuelle. Näher auf diese höchst interressanten, übrigens noch in verschiedener Weise komplizierten Versuche einzugehen, ist hier nicht möglich. Verf. ist dabei, die durch ein Mißgeschick abgebrochenen Versuche weiter fort- zusetzen und dabei noch manche Unsicherheit zu beseitigen. Jedenfalls führen die vorgebrachten Untersuchungen schon jetzt mit größter Wahr- scheinlichkeit zu der Annahme, daß auch bei der Selbststerilität Mendelsche Vererbung mit im Spiele ist. E. Lehmann. Beijerinck, M. W. Mutation bei Mikroben. Fo/ia microbiologica. Holländische Beiträge zur gesamten Mikrobiologie. I, 1912. 97 S. 4 Tafeln. In der anregenden Studie gibt der Verf. eine zusammenfassende Dar- stellung von Variabilitätserscheinungen bei Mikroben, wobei er allerdings fast ausschließlich seine eigenen Erfahrungen berücksichtigt. In einem ein- leitenden Kapitel erörtert er zunächst gewisse theoretische Grundbegriffe. Er unterscheidet bei Mikroorganismen Modifikationen, Fluktuationen und Mutationen. Erstere stellen im Einklang mit den herrschenden An- schauungen solche Veränderungen dar, die das potentiell vielseitige Plasma unter dem Druck bestimmter Bedingungen zeigt, und die nur so lange dauern, als diese wirken. Demgegenüber sind die anderen beiden Arten erbliche Veränderungen, und zwar sollen die Fluktuationen solche sein, welche allmählich alle Individuen einer Kultur ergreifen, oft einen akku- mulativen Charakter tragen und vorwiegend äußeren Ursachen ihre Ent- stehung verdanken, während die Mutationen auf plötzlich eintretende innere Verschiebungen in einzelnen wenigen Individuen zurückgehen, die dann neben den normalen fortbestehen. Gegenüber dem klaren und beobachtungs- gemäß gut fundierbaren Mutationsbegriff leidet der der Fluktuationen an einer großen Unbestimmtheit. Er deckt sich einerseits nicht mit dem, was man sonst hierunter versteht und ist andererseits auch gegen die Mutationen nicht gerade scharf abzugrenzen. Außerdem lassen sich ihm keine genügend Referate. 343 klar analysierten Erscheinungen unterordnen. Der Verf. erwähnt nur kurz die jedem Bakteriologen bekannten Degenerationserscheinungen, die in künst- lichen Kulturen auftreten. Doch könnten diese meiner Meinung nach, solange sie wenigstens nicht besser analysiert sind als es gegenwärtig der Fall ist, ebensogut auch als Schwächlingsmutanten aufgefaßt werden, welche im Laufe der Überimpfungen und unter den speziellen meist ab- normen Kulturbedingungen zur Dominanz gelangen und die ursprüngliche Population ganz (oder nur fast ganz?) verdrängen. Hierfür könnte man als Beispiel die vom Verf. selbst früher bemerkte Tatsache anführen, daß man bei gewissen Harnbakterien der drohenden im Verlust des Sporenbildungs- vermögens sich äußernden ‚Degeneration‘ dadurch zuvorkommen kann, daß man nur pasteurisiertes Material, m. a. W. sicher sporenbildende Individuen überimpft. Außerdem erörtert der Verf. in dem ı. Kapitel die Genentheorie, die er als Ausdrucksmittel akzeptiert und benutzt. Farbenbildung, Leucht- vermögen usw. werden als abhängig von bestimmten Genen gedacht, die als Progene latent sind und gelegentlich aktiv werden können. Im speziellen Teil stellt dann der Verf. seine eigenen Beobachtungen dar. Bei vielen Mikroorganismen entstehen in oder auf den Kolonien nach einer gewissen Zeit sogenannte Sekundärkolonien, die sich durch Struktur, Farbe, Leuchtvermögen usw. von der Stammkolonie unterscheiden. Nach Isolierung erweisen sie sich konstant, können aber ihrerseits wieder Sekundärkolonien liefern oder auch Rückschläge zur Stammform. Sie sind wahrscheinlich häufiger als sie sich nachweisen lassen, da ihre Erkennung von leicht sichtbaren neuen Eigenschaften abhängt, sind aber doch im ganzen als selten zu bezeichnen. Sie treten stets erst in älteren Kulturen auf, woraus sich das Mittel ergibt, Kulturen dauernd konstant zu erhalten. Sie müssen nämlich oft, also stets nur in jungem Zustande übergeimpft werden. Der Verf. neigt dazu, allgemein gewisse Veränderungen in alternden Kulturen als auslösende Ursachen für das Umschlagen einzelner Individuen anzusprechen. Bei Bac. prodigiosus glaubt der Verf., daß alkalische Stoff- wechselprodukte die Mutation begünstigen, da merkwürdigerweise in Bouillon die Mutanten so lange ausbleiben, als sie durch Milchsäure sauer erhalten wird. Die naheliegende Frage, ob. nicht dieser Säuregrad den Mutanten schädlich ist, bzw. sie verhindert, erfolgreich mit der Ausgangssippe zu konkurrieren, ist nicht geprüft. Angenommen, sie vertrügen oder erforderten mehr Alkali, so wäre auch ihr Hervortreten in älteren, bekanntlich alkalisch werdenden Kulturen verständlich. Allerdings bereitet die weitere Fest- stellung, daß auch Alkali die Mutation verhindern kann, dieser Auffassung einige Schwierigkeit. In Flüssigkeiten findet leichter und reichlicher Mutantenbildung statt als auf Agar, aus allgemeinen Ernährungsgründen, wie Verf. meint. Doch wäre zu bedenken, daß infolge der durch die Beweg- lichkeit begünstigten besseren Durchmischungen in Flüssigkeiten auch die Nachweismöglichkeit hier größer ist als auf den Impfstrichen. Die verschiedenen Mutanten des Bac. prodigiosus, die sich durch Schleim- bildung, verschiedene Farbintensität und durch Farblosigkeit untercheiden, werden in einem Stammbaum übersichtlich zusammengestellt. Eigenschaften können auch wieder verschwinden, d. h. es tritt Atavismus ein. Da, wo er beobachtet wird, wird immer wieder die nächste Stammform erzeugt, oder wie sich Verf. ausdrückt, nur der letzte Schritt rückgängig gemacht. Mutation und Atavismus seien reziproke Begriffe. So sollen sich z. B. die sechs a/bus-Mutanten nur durch ihre Atavismen unterscheiden (was aber in dieser Allgemeinheit wenigstens aus dem Stammbaum nicht hervorgeht). Andere Mutationen traten nicht auf, es ist also immer nur ein merkwürdiges 344 Referate. Spiel des Auftauchens und Verschwipdens weniger Merkmale; Progene werden zu Genen und Gene sinken in Progene zurück. Eigentlich Neues entsteht nach dem Verf. überhaupt nicht. Auch die stärkere Färbung und besonders die Schleimbildung, die noch am ersten etwas ganz Neues zu sein scheint, wird als Rückkehr zu dem „vollständigen Typus“ aufgefaßt, so daß, von diesem aus betrachtet, alle Mutanten nur Verlustmutanten sein würden. In ähnlicher Weise werden dann Mutationen und Atavismen bei einer an der Oberfläche von Pflanzen vorkommenden koliartigen Bakterie Dar. herbicola behandelt. Die in Farbe, Kolonieform und Verflüssigungsvermögen verschiedenen Mutanten lassen sich auch hier nur aus älteren Kulturen ge- winnen, auch sie atavieren mehr oder weniger leicht. Eine dieser Mutanten verhielt sich jedoch eigentümlich, indem sie nämlich nur auf Würze Rück- schläge hervorbringt, auf Zuckersalpeternährboden dagegen nicht, hier also sich dauernd unverändert erhält. Im übrigen entstanden die Zerbicola- Mutanten ‚unter beinahe allen Kulturbedingungen‘“. Ob man, wie es Vert. tut, in dem obigen Falle eine bekannte Nahrungsbedingung mit dem Auf- treten der Mutanten (oder hier Atavisten) ursächlich verknüpfen muß, scheint mir ebenso unentschieden wie in dem analogen Falle beim Prodigiosus. Es wäre auch hier nachzusehen, ob die Stammform den Salpeterstickstoff ebensogut ausnutzen kann als die Mutante. Auch Leuchtbakterien mutieren in älteren Kulturen. So erhielt Verf. eine obskure Mutante, die nur ein Minimum Leuchtkraft besaß, aus der aber wiederum einige Deszendenten zur normalen Lichterzeugung zurückkehrten. Bei Dar. phosphoreus fand eine eigenartige Veränderung statt, die als erbliche Degeneration bezeichnet wird. Während nämlich bei niederer Temperatur die Kolonien kompakt sind und nicht verflüssigen und so bleiben, bekommen sie bei höherer Temperatur nach einigen Umimpfungen allmählich verflüssigenden Charakter und behalten diesen zähe auch bei der niederen Temperatur bei, ein typisches Beispiel für Fluktuation im Sinne des Verf., von dem man aber infolge der auch sonst etwas summarischen Berichterstattung kein recht klares Bild bekommt. Am bekanntesten sind des Autors Beobachtungen an den bunten Chlorellen geworden. Frisch auf Biergelatine geimpftes Material aus Saft- flüssen ergibt Kolonien, die, anfangs nur schwach gelblich gefärbt, erst nach einigen Tagen rein grün werden, dann aber nicht mehr zu der schwach gefärbten Form zurückgeführt werden können. Diese Erscheinung faßt der Autor wieder als Fluktuation auf. Abgesehen davon gibt es echte Mutanten, indem auf Impfstrichen gelbe Sektoren, auf Platten gelbe Kolonien auf- tauchen, die aus Individuen mit nur teilweise ergrüntem Chromatophor bestehen. Daneben kommt aber auch eine seltenere Form mit abgeblaßtem Chromatophor vor und eine noch seltenere ganz farblose, die mit der Pilz- art Prototheca Krügeri identisch ist. Da die gelben Formen nur aus Kulturen in organischer Nährlösung erhalten werden konnten, schreibt Verf. dieser eine auslösende Rolle bei der Entstehung der Mutanten zu. Aus dem von trockenen Orientfrüchten isolierbaren Schisosacharomyces octosporus geht eine Reihe von Mutanten hervor, die sich durch ihr Sporulationsvermögen unter- scheiden. Die extremste ist eine sporenlose Sippe, die ihrerseits noch eine neue (direkt aus der Stammform niemals entstehende) Mutante hervorbringt; außerdem gibt es Mutanten, welche zwar Asken (aber in geringerer Zahl und mit weniger Sporen) ausbilden, aber apogam, die also den für Schizo- sacharomyces charakteristischen Vorgang der Karyogamie eingebüßt haben, und die fast gar keine sekundären Mutanten abgeben, und schließlich eine sporenlose „Fadenmutante“ von myzelartigem Wachstum, die sekundär aus - Referate, 345 der asporogenen Form hervorging und sogar noch eine neue fädige, aber wieder sporenbildende Form erzeugte. Alle diese Mutanten sind sehr auffällig von der Stammform verschieden, Verf. nimmt aber an, daß auch ähnlichere, aber deshalb schwerer nachweisbare daneben vorkommen. Rückschläge zur Hauptform scheinen hier nicht aufzutreten, der Gesamtformenkreis geht also nur aus der Stammform hervor. Dies führt Verf. auf die nur hier erhaltene Karyogamie zurück. Wenn er weiter sagt, gerade wie gute Er- nährung beuge auch die (mit Plasmmavermehrung verbundene) Karyogamie der Mutabilität vor, so bleibt mir die so formulierte Beziehung unver- standlich. Die Normalform mutiert doch gerade kräftig. Zum Schluß werden noch einige Mutationen bei Hefen angeführt. Im Schlußkapitel vergleicht der Verf. seine vielförmigen Mikrobenarten mit anderen Erscheinungen der Vielförmigkeit: mit Siphonophoren, hetero- stylen Pflanzen, Diözisten resp. Polygamen, Knospenmutanten und sogar mit den verschiedenen Organen an einem Individuum. Wegen dieser auch auf das deszendenztheoretische Gebiet hinüberspielenden, aphoristischen Bemerkungen, die mancherlei Ausblicke und anregende Einfälle enthalten, muß ich auf das Original verweisen. Hier sei nur z. B. erwähnt, daß sich der Verf. den Organismus einer höheren Pflanze unter dem Bilde einer Riesenkolonie vorstellt. Wie diese hier und da Mutanten erzeugt, so sollen auch die Hauptorgane, wie z. B. die Wurzeln, durch „organogene‘‘ Mutation entstehen. Diese sei von ähnlicher Natur wie die Mutation überhaupt, ,ontogenetische und „phylogenetische Mutation‘ beruhen auf gleichem Grunde. Wie aber auch bei der Ontogenese nichts hervorkomme, was nicht schon im Individuum stecke, so könne es auch bei der Phylogenese der Orga- nismen sein. Verf. fügt allerdings gleich hinzu, dies sei nicht wahrscheinlich, die Lebewelt habe im Lauf der Stammesgeschichte wirklich neue Charaktere bekommen, ob das aber durch solche Vorgänge, die man jetzt als Mutationen bezeichne, geschehen wäre, sei ihm zweifelhaft. ‚Was heute auf diesem Gebiete bekannt ist, ist nichts im Vergleich zu dem zu lösenden Probleme.‘ Darin wird ihm mancher zustimmen. Ob jener Vergleich zwischen Mikroben- kolonien und höheren Organismen mit allen seinen Konsequenzen fruchtbar sein kann oder überhaupt möglich ist, erscheint mir fraglich. Miehe. Fruwirth, C. Spontane vegetative Bastardspaltung. Archiv f. Rass.- u. Ges.-Biologie 9 1912. S. I—7. Mit 2 Abb. im Text. Unter den Nachkommen einer Kreuzung zwischen einer begrannten und einer unbegrannten Weizensorte beobachtete Verf. einzelne Individuen, deren Halme untereinander verschieden waren. Zwei solche Pflanzen, die beide von Individuen mit Grannenspitzchen stammten, wurden genau ver- folgt, indem die Körner eines jeden Halmes für sich gesät wurden. Die eine Pflanze hatte zwei stark begrannte Halme, c, und cs, und einen solchen mit nur Grannenspitzchen, d; bei der andern waren zwei Halme stark begrannt, g, und gs, drei dagegen grannenlos, g;, gy und g. Die Halme c, und c, gaben lauter begrannte Nachkommen, ebenso g, und gs; d spaltete in normaler Weise nach dem Verhältnis 3 unbegrannt oder mit Grannenspitzchen: 1 stark begrannt; g;, g, und g, brachten nur unbegrannte Pflanzen (oder solche mit Grannenspitzchen, aber keine, die in bezug auf den eigentlichen Grannenfaktor heterozygotisch waren), In den betreffen- den Ausgangspflanzen hat augenscheinlich eine vegetative Spaltung statt- gefunden, und Merkmale, die sich sonst erst in der nächsten Generation — nach Spaltung der Geschlechtszellen — getrennt zeigen, treten innerhalb 3 46 Referate. der Pflanze selbst an verschiedenen Halmen auf. Da Grannenlosigkeit durch Hemmung des Faktors fiir Grannenbildung zustande kommt, ist in den beobachteten beiden Fällen bei je zwei Halmen, c, und cy, gı und gp, die Anlage fiir Hemmung der Grannenbildung weggefallen oder inaktiv geworden, während in den Halmen g;, g, und g; an Stelle des Fehlens der Anlage für Hemmung eine zweite solche Anlage aufgetreten ist. Kajanus. Heinricher, E. Experimentelle Beiträge zur Frage nach den Rassen und der Rassenbildung der Mistel. Centralbl. f. Bacteriologie 2. Abt. 81 IgIT. S. 254— 286. In Bd. II, 1909, dieser Zeitschrift wurde über die früheren Unter- suchungen desselben Verf. zur Aufklärung der Rassenbildung bei der Mistel berichtet. Unterdessen hat Verf mehrere weitere Versuchsreihen angestellt, über welche er im Zusammenhange mit einer Diskussion der ganzen Frage der Rassenbildung der Mistel in der vorliegenden Arbeit berichtet. Die Versuche werden mit für jede Versuchsreihe bestimmten Samenzahlen ausgeführt. Es werden Versuche angestellt mit Samen der Kiefermistel, Tannenmistel, Lindenmistel, Apfel-, und Birnenmistel. In Bestätigung früherer Untersuchungen stellt Verf. einmal wieder die Un- möglichkeit des Übergehens von Tannenmistel auf Laubbäume fest. Weıter zeigt sich, daß weder die Tannenmistel auf die Kiefer oder Fichte über- gehen kann, noch auch die Kiefernmistel auf Tanne und Fichte. Dagegen vollzieht sich der Übergang der Mistel von Pinus silvestris auf Pinus austriaca, leicht, ebenso wie die Mistel von Adves pectinata leicht auf Abies Nordmanniana übergeht. Eine scharfe Rassenbildung unter den Laubholzmisteln hat sich noch nicht einwandfrei feststellen lassen, wenn sie auch nach den an- geführten Versuchen sehr wahrscheinlich ist. Sicher wurde die Bevor- zugung mancher Laubholzwirte durch bestimmte Mistelsorten festgestellt. Jedenfalls aber scheint der Kreis von Wirten, welcher von einer bestimmten Mistelsorte erfolgreich infiziert werden, nicht immer mit der systematischen Verwandtschaft der Wirte zusammenzufallen. Der Kreis, der für eine Rasse zugänglichen Wirte ist immer erst experimentell festzustellen. — Als interessante Einzelfälle seien noch herausgehoben, daß Birn- und Apfel- mistel stets den Apfelbaum vor dem Birnbaum als Wirt bevorzugten, und daß es gelungen ist, zeitweise die Apfelmistel auf eine Zwergweide, Salzx rosmarinifolia überzuführen, womit eine Verkleinerung aller Teile verbunden war. E. Lehmann. Hayes, H. K. Correlation and inheritance in Nicotiana tabacum. The Connecticut agricultural experiment station. Bulletin 171, May 1912. Die vorliegenden Untersuchungen behandeln quantitativ variierende Merkmale wie Blattanzahl pro Pflanze, gesamte Blattoberfläche, Verhältnis zwischen Länge und Breite der Blätter, Höhe der Pflanze usw. Diese Eigenschaften sind in verschiedenem Maße variabel; am meisten fest wird Blattanzahl pro Pflanze gefunden. Die Korrelation zwischen den einzelnen Eigenschaften ist nicht groß; eine Ausnahme machen Länge und Breite des Blattes, die eine ziemlich hohe Korrelation aufweisen. Auf Grund zahl- reicher Kreuzungen wird das Verhalten der Eigenschaften in Fı und F, näher diskutiert. Es ergibt sich, daß F, beinahe intermediär ist und ge- wöhnlich nicht mehr variabel als die Eltern. ‚F, dagegen ist viel mehr variabel und hat eine Variationsweite, die sich über das ganze von den ~ Referate. 347 Eltern und F, eingenommene Gebiet ausdehnt. Zur Erklärung der erhöhten | Variation in F, wird angenommen, daß jeder dieser Eigenschaften mehrere selbständige Faktoren zugrunde liegen. Es sind dann die nach diesen Voraussetzungen zu erwartenden Resultate mit den im Versuch gefundenen verglichen, wobei in einzelnen Versuchen eine recht deutliche Überein- stimmung zutage kommt. Etwas Bestimmtes läßt sich aber hier nicht sagen, bis auch die F,-Generation vorliegt.. Erst dabei läßt sich ja kon- trollieren, ob z. B. die extremen Varianten der F, mehr oder weniger extreme Nachkommenschaft geben. Hagem (Bergen-Norwegen). Hedrick, U. P., u. Wellington, R. An experiment in breeding apples. New York agricultural experiment station. Bull. No 350. Juni 1912. Als Material für die Untersuchungen lagen einige in den Jahren 1898 und 1899 ausgeführte Kreuzungen zwischen verschiedenen Äpfelsorten vor. Das Resultat der Kreuzungen waren 148 Keimpflanzen (F,), von denen jetzt 126 als Bäume am Leben sind. Im Jahre 1901 wurde von sämtlichen diesen Pflanzen auf alte ertragsfähige Bäume gepfropft; gleichzeitig wurden aber die jungen F,-Pflanzen weiter selbständig kultiviert. Die gepfropften Pflanzen fruktifizierten 1904, die anderen, die inzwischen mit Rücksicht auf Pflege etwas vernachlässigt waren, erst in 1908. Die wichtigsten Resultate sind nun, daß die aus Samen erwachsenen F,-Bäume ebensogut oder noch besser sind als die Elternbäume, und daß keine von ihnen, wie von Praktikern gewöhnlich behauptet, zum wilden Apfeltypus zurückschlugen. Wo die Samen aus Kreuzungen verschiedener Sorten stammen, geben sie also mit einmal wertvolle Bäume; dagegen schien Samen aus Selbstbefruchtung stammend, schlechte und langsam- wachsende Individuen zu geben. Das Studium der F,-Generation zeigte, daß diese die guten Eigen- schaften ihrer Eltern geerbt hatten und manchmal sehr wertvolle Sorten darstellten. Von den 126 aus Samen erwachsenen Bäumen haben bis jetzt 102 Früchte getragen; von diesen wurden 14 als neue wertvolle Sorten für weitere Prüfung und Anbau ausgewählt. Eine kurze Beschreibung dieser mit neuen Namen belegten Sorten wird gegeben. Mit Rücksicht auf die Vererbungsverhältnisse kann natürlich ohne eine Prüfung der F,-Generation nicht viel geschlossen werden, und eine solche ist leider besonders wegen der schlechten Erfolge von Selbstbestäubung schwierig herzustellen. Einige vorläufige Resultate seien hier doch erwähnt. Was zuerst die Farbe der Samenschale betrifft, so wird hier angenommen, daß Sorten, wo Gelb gegen Rot vorherrschend ist, heterozygotisch in dieser Eigenschaft sind; Sorten, wo Gelb allein ist, sind dagegen homozygotisch. Der Geschmack scheint in mehreren Fällen deutlich zu mendeln; so ergaben gewisse Kreuzungen sauer: süß = 3:1. Hagem (Bergen-Norwegen). Lock, R. H. Notes on colour inheritance in maize. Annals of the Royal Botanic Gardens, Peradeniya. Vol. 5, part IV. 1912. Die Abhandlung gibt einige Daten, die zur Ergänzung der Arbeit von East and Hayes (Inheritance in maize)!) dienen sollen; gleichzeitig wird ein Vergleich der vom Verfasser früher publizierten Mitteilung mit den 1) Referiert diese Zeitschr. Bd. VI, H. 3 S. 193. 348 Referate. Resultaten der oben erwähnten Autoren vorgenommen. Als Resultat neuer Versuche werden in einer Tabelle die Spaltungsverhältnisse bei 21 selbst- bestäubten Maispflanzen aufgeführt. Von den Eltern mit tief purpurgefärbten Körnern geben einige Nachkommen im Verhältnis 3 purpur : I nichtpurpur, andere dagegen im Verhältnis 9:7. Eine einzige Pflanze gibt ı purpur: 3 nichtpurpur, was durch das Vorkommen eines Hemmungsfaktors zu erklären ist. Der Verf. zeigt ferner, daß mehrere abweichende Verhältnisse, die in seiner früheren Arbeit besprochen sind, durch die verschiedenen Hilfshypothesen von East und Hayes befriedigend erklärt werden können. Hagem (Bergen-Norwegen). Pearl, R. Notes on the history of barred breeds of Poultry. Biol. Bull. Vol. 22. S. 297—308. IgI2. Für die Richtigkeit der von Züchtern vertretenen Ansicht, wonach die unter dem Namen ,,Sperberung‘‘ bekannte Art der Zeichnung des Ge- fieders gewisser Hühnerrassen ihre Entstehung einer Kreuzung von ein- farbig weiß =< einfarbig schwarz verdanken soll, haben die bis dahin vor- liegenden Experimente keinerlei Anhaltspunkte ergeben. (Bezüglich der gesperberten Plymouth-Rocks weiß man, daß hier die Sperberung nicht de novo entstand, sondern durch die Rasse der ,,Dominikaner‘‘ herein- gebracht wurde.) Nun berichtet Pearl über einen interessanten Fall von Entstehung der Sperberung, der wiederum für die schwarz- >< weiß-Hypo- these zu sprechen scheint. Es handelt sich um die Entstehung der ge- sperberten Varietät der Bantamhühner, die unter dem Namen „Cuckoo- Pekins“ 1888 zum erstenmal ausgestellt wurden. Nach den zuverlässigen Angaben von F. Entwisle ging das erste dieser gesperberten Pekinghühner aus einer zu andern Zwecken unternommenen Kreuzung zwischen schwarzen und weißen Eltern (black Pekin 3 >< white Booted 2) hervor. Die Sper- berung war bei ihrem ersten Auftreten zwar blaß, aber durchaus scharf gezeichnet (steinfarbene Streifen auf milchweißem Grund). Dieser nach Pear]s Ansicht sicher verbürgte Fall führt den Autor zu folgenden Über- legungen: ı. Es ist nicht ausgeschlossen, daß ein Elter oder beide Eltern den Sperberungsfaktor latent (cryptomer) mitführten, wie dies nach- gewiesenermaßen bei andern Farbvarietäten der Bantamhühner vorkommt. Dafür spricht die Schärfe und Regelmäßigkeit, mit welcher die Zeichnung auftrat; eine solche wäre bei erstmaliger Synthese aus schwarz und weiß kaum verständlich. 2. Es ist ferner wahrscheinlich, daß der weiße Elter latent den Sperberungsfaktor besaß, denn in allen bisher bekannten (zahl- reichen) Fällen tritt die Sperberung, wenn sie mit dem Faktor für schwarzes Pigment in der Zygote vereinigt ist, somatisch in Erscheinung. Ein schwarzes Tier kann soweit die Erfahrung geht — den Sperberungsfaktor nicht „latent‘‘ besitzen. 3. Das Weiß des weißen Elters wird ‚„dominantes‘‘ Weiß gewesen sein, ein dominant weißes Tier kann den Faktor für Sperberung unbegrenzt lange weiterführen, ohne daß er somatisch sichtbar zu werden braucht. — Wenn die Annahme richtig ist, daß der Sperberungsfaktor (B) von der Mutter stammte und wenn angenommen werden darf, daß auch hier wie in den experimentell untersuchten Fällen dieser Faktor geschlechts- begrenztes Verhalten zeigt, so folgt daraus, daß der Sperberungsfaktor (B) mit dem das weibliche Geschlecht bestimmenden Faktor (F) in ein und derselben Gamete vereinigt sein mußte. Dies ist auffallend, da bei den modernen Kreuzungsexperimenten mit gesperberten Plymouth-Rocks gerade eine Abstoßung dieser beiden Faktoren B und F oder Koppelung zwischen Referate. 349 B und f) konstatiert worden ist. — Auch in der 2. Generation erzeugte das gesperberte Peking ? mit dem des Sperberungsfaktors entbehrenden elter- lichen schwarzen 3 gesperberte Töchter. Diese mußten also wiederum Sperberungsfaktor sowohl als weiblichen Geschlechtsfaktor in derselben (mütterlichen) Gamete erhalten haben. Dieser Gegensatz im Verhalten bei der Vererbung bleibt unaufgeklärt, auch wenn man annehmen wollte, daß der Faktor B nicht latent bei der Mutter sich vorfand, sondern „neu“ entstand. — Möglicherweise könnte natürlich die Sperberung der Peking- hühner bezüglich ihrer genetischen Grundlage überhaupt ein andersartige sein als diejenige der Plymouth-Rocks, doch ist dies deshalb unwahrschein- lich, weil sämtliche sonstige Sperberungsarten, die in der Vererbung sich von den Plymouth-Rocks verschieden verhalten (z. B. gesp. Hamburger), auch somatisch von diesen letzteren deutlich verschieden sind, was eben bei den gesp. Pekinghühnern nicht der Fall ist. — Die Frage, ob Sperberung aus schwarz >< weiß entstehen kann, ist ungelöst. Entscheidende Experi- mente sind vom Autor eingeleitet. Ein zweiter Teil der Pearlschen Abhandlung bringt historische Daten und Abbildungen, die sich besonders auf das erste Auftreten der gesper- berten Plymouth-Rocks beziehen. M. Daiber (Zürich). Pearl, R. The mode of inheritance of fecundity in the domestic Fowl. Journ. exper. Zool. Vol. 13. p. 153—268. 1912. Umfassende frühere Untersuchungen über die ‚Fruchtbarkeit‘ (d. h. die Fähigkeit, reife Geschlechtszellen zu bilden und abzuscheiden) des Huhnes hatten dargetan, daß die größere oder geringere Eierproduktion einer Henne an sich nichts aussagt über das diesbezügliche Verhalten ihrer Nachkommen. Im allgemeinen besteht keine Korrelation zwischen der Fruchtbarkeit (Eierproduktion) des Individuums und dessen Aszendenz oder Deszendenz. Trotzdem muß die Fruchtbarkeit der domestizierten Hühner in irgend einer Weise erblich sein, wie daraus hervorgeht, daß aus einer gemischten Herde einzelne Linien von ganz bestimmtem Fruchtbarkeitsgrad isoliert werden können, sowohl Linien hohen als auch solche niedrigen Grades. — Was aber sind die Erbformeln der Hühner bezüglich der Frucht- barkeit? Was ist deren Charakter überhaupt? und wie ist ihre Erblichkeit zu verstehen? — Dem Eierlegen liegen 3 Faktoren zugrunde: tf. ein ana- tomischer Faktor, bestehend im Vorhandensein von Oozyten im Ovarium, sodann 2. u. 3. zwei physiologische Faktoren, nämlich a) der normale „Ovulationsfaktor“, d. h. der Komplex derjenigen physiologischen Be- dingungen, die in ihrer Gesamtheit das Legen einer Anzahl von Eiern be- stimmen, wie sie der normalen Produktionsfähigkeit von Gallus bankiva entspricht. Ein zweiter physiol. Faktor b) bedingt das Legen einer größeren Anzahl Eier infolge der Domestikation (geänderter Stoffwechsel, Störung des normalen Legezyklus durch Wegnahme der Eier usw.). — Als Maß der relativen Fruchtbarkeit wird aus praktischen Gründen die Produktion von Wintereiern verwendet. (Prinzipiell gibt natürlich die Verwertung der Jahresproduktion als Index dieselben Resultate). Als Wintersaison gilt der Zeitabschnitt vom Beginn des Legejahres der Frühbruten bis ı. März (November, Dezember, Januar, Februar.) Bei diesem Einheitsmaß zeigen sich die größten Differenzen zwischen „guten‘‘ und ‚schlechten‘ Legern. Die Legekapazität kann in den einzelnen Sippen eine sehr verschiedene sein. Die in den Versuchen verwendeten „Indischen Kämpfer‘ (Cornish Indian Games) waren auffallend schlechte Leger und erreichten unter völlig 350 Referate. identischen äußeren Bedingungen nur 3/; der mittleren Winterproduktion der Plymouth-Rocks. (Andere Linien von Kämpfern mögen sich hierin anders verhalten.) — Bezüglich der anatomischen Basis der Eierproduktion ergaben in umfangreichem Maße durchgeführte Zählungen aller mit unbewaffnetem Auge noch wahrnehmbaren Oozyten, daß die potentielle anatomische Fruchtbarkeit bedeutend (bis 18mal) höher ist als die jemals während des individuellen Lebens realisierte und daß sie ungefähr gleich- groß ist bei den verschiedenen Individuen einerlei welcher Rasse. Die Analyse ausgedehnter statistischer Untersuchungen hat sodann gezeigt, daß die „guten“ Leger zwei bestimmte Legeperioden mehr besitzen als die schlechten, nämlich als Plus den letzteren gegenüber noch einen bestimmten Sommerzyklus und einen Winterzyklus. Letzterer ist wichtiger und wird als Maß der relativen Fruchtbarkeit verwendet. Bezüglich der Produktion von Wintereiern lassen sich 3 Klassen unterscheiden: 1. Hennen mit o Eiern (während der Wintersaison), 2. Hennen mit weniger als 30, 3. mit mehr als 30 Eiern. (Die Grenze zwischen Klasse 2 und 3 erscheint biologisch begründet.) Die Experimente erstrecken sich auf ı. Kreuzungen von Plymouth- Rocks (Pl.R >< PI.R), 2. Kreuzungen von Indischen Kämpfern (I.G. > I.G), beide in zahlreichen Generationen durchgeführt, und 3. reziproke Kreuzungen zwischen diesen beiden Rassen (bis jetzt F, und F, berücksichtigt). In sämtlichen Versuchsreihen verläuft die Vererbung der Fruchtbarkeit nach völlig den gleichen Gesetzen, die symbolisch folgendermaßen sich formulieren lassen: F = Faktor für normales Ovarium, fällt zus. mit OlGeschlechit agmatine iil tn i -anr {= 6. L, = erster Fruchtbarkeitsfaktor, bewirkt zus. mit F die Produktion von Wintereiern in der Zahl ae Foy Goo hf Ooo ea Ho Oo a ae S—% 1, = fehlen dieses Faktors. L, = zweiter Fruchtbarkeitsfaktor, bewirkt zus. mit Fu. L, die Produktion eines Überschusses von Wintereiern, mehr als'zo0"= ss) Se) es 1, = fehlen dieses Faktors. L, und L, vererben sich unabhangig voneinander und sind qualitativ voneinander verschieden, nicht etwa nur zwei Portionen ein und des- selben Faktors, was daraus hervorgeht, daB L, in doppelter Dosis vorhanden keine erhöhte Fruchtbarkeit hervorzurufen vermag. Dies vermag nur L, bei vorhandenem L,. L, liefert gleichsam das unerläßliche Fundament, ohne das L, seine spezifische Wirkung nicht entfalten kann. Kommen nämlich in der Zygote zwei Faktoren L, zusammen, während L, fehlt, so wird keine erhöhte Fruchtbarkeit wahrnehmbar. Fehlt F in der Zygote (3), so bleiben L, und L, natürlich latent. Die Vererbung von L, ist ferner geschlechts- begrenzt. Gameten FL, werden niemals gebildet. Jeder weiblichen Gamete, die F besitzt, fehlt L. Die Männchen dagegen können jede beliebige Kom- bination der L,- und L,-Faktoren besitzen. Weibchen, die L, überhaupt besitzen, müssen bezüglich dieses Faktors heterozygot sein. (Bekanntlich ist beim Huhn das 2 heterozygot mit Bezug auf den Geschlechtsfaktor.) In der betreffenden Sippe von Indischen Kämpfern scheint L, über- haupt zu fehlen. Bei der Vererbung verhalten sich die bezüglich des Grades der Frucht- barkeit unterschiedenen drei Klassen als scharf umgrenzte mendelnde Ein- heiten. Auf die Zuchtresultate im einzelnen kann hier nicht eingegangen werden. Sie sind, ganz abgesehen von irgendwelcher Interpretation, deshalb von größter Bedeutung, weil sie Gesetzmäßigkeiten enthüllen, mit Bezug © Referate. 351 auf die Fruchtbarkeit und deren Vererbung, die gleicherweise fiir Rein- zuchten zweier verschiedener Rassen wie für Kreuzungen zwischen diesen beiden strenge Gültigkeit haben. In allen Fällen hat sich gezeigt, daß hohe Fruchtbarkeit (mehr als 30 Wintereier) der Töchter vom Vater vererbt wird, ganz unabhängig von der Mutter: ein und derselbe Hahn erzeugt, mit den verschiedensten Hennen gepaart, mit solchen von hoher und mit solchen von geringer Fruchtbarkeit — Töchter von hoher Fruchtbarkeit stets im selben proportionalen Verhältnis (zur gesamten Nachkommenschaft). Fortgesetzte Selektion mit hoher Fruchtbarkeit begabter Mütter ändert in keiner Weise die Durchschnittseierproduktion der Töchter: die mütter- lichen Gameten F enthalten niemals den erhöhte Fruchtbarkeit bedingenden Faktor L, Im Gegensatz hierzu kann die (durch L, bedingte) geringe Fruchtbarkeit (weniger als 30 Wintereier) vom Vater oder von der Mutter vererbt sein: sowohl die weiblichen (F) als die männlichen (f) Gameten können den Faktor L, besitzen. In einem konkreten Fall kann z. B. ein Hahn mit der gametogenen Konstitution fl}La-fl,L, überhaupt keine Töchter der 3. Klasse (o Eier) erzeugen, da er homozygot ist, bezüglich des 2. Produktionsfaktors Ly, den seine sämtlichen Gameten enthalten müssen. Das Verhältnis, in dem gute (über 30 Eier) und schlechte (unter 30) Leger auftreten, hängt von der Mutter ab. Da das 3 homozygot ist mit Bezug auf das Fehlen des 1. Produktionsfaktors (ll), so kann das von ihm der Zygote zugeführte Le in seiner Eigenschaft als 2. Produktionsfaktor nur in Erscheinung treten, falls von der 9-Gamete L, als „Fundament‘ geliefert wird. Ist dies nicht der Fall, so ist seine Wirkung nur — derjenigen von L, (unter 30 Eier). Aus der Kreuzung eines solchen Hahnes (fl,L»-fl,L5) wurden erhalten: Über 30 Eier |Unter 30 Eier) o Wintereier A. Mit 6 Hennen von der Formel fL;Ls-FL,ly 15 o o Theoretische Erwartung... .... 15 o o Zahl der produz. Wintereier im Mittel 51,33 = -- B. Mit 3 99 der Formel fL,L,-Fll, .. . 6 9 [6) Theoretische Erwartung... ..... 7:5 7:5 fo) Zahl der Wintereier im Mittel... . . 55.50 13,56 = C. Mit 2 QQ der Formel fL,-FLil, . . . 4 o o Theoretische Erwartung .. - ..... 4 ° | fo) Zahl der Wintereier im Mittel..... 39,75 — = Gesamte weibliche Nachkommenschaft . 2 9 o Theoretische Erwartung . 5. u. 2... 26,5 755 0 Zahl der Wintereier im Mittel... . . 50,48 13,56 | — M. Daiber (Zürich). Phillips, J. Size inheritance in Ducks. Journ. exper. Zool. Vol. 12. S. 369 —380. IQI2. Zu den (noch fortzusetzenden) Versuchen über Vererbung des Körper- gewichts bei Enten wurden zwei durch möglichst auffallende Größenunter- schiede ausgezeichnete Rassen gewählt, die große französische Rouenente und die viel kleinere Wildente (anas boschas), und zwar die halb domestizierte Form derselben (wie sie in England zur Herstellung von Wildkonserven 352 Referate. gezüchtet wird), die vielleicht etwas größer ist als die reine Wildform. Das Durchschnittsgewicht der großen Form (Rouen) beträgt im Alter von 5 Monaten (eingetretene Geschlechtsreife) beim 3 2321 g, beim 9 2237 g. Zur Ermittlung desselben stand allerdings nur eine relativ kleine Individuen- zahl (insgesamt 22) zur Verfügung. Für die kleine Rasse (,,Mallard‘‘, Wild- ente) ergab sich ein mittleres Gewicht von 1068 g im männlichen, 928 g im weiblichen Geschlecht. Die Kreuzung Mallard 3 >< Rouen 2 verlief resultatlos (infolge Klein- heit des 3?). Aus der reziproken Kreuzung dagegen Rouen 3 >< Wildente 2 wurden 13 Individuen der F,-Generation erzielt, die im Alter von 5 Monaten folgendes Durchschnittsgewicht zeigten: 3 1665, 9 1587 g. Fı zeigt also bezüglich des untersuchten Merkmals ein intermediäres Verhalten. Die Variationsbreite der F,-Individuen ist gering, geringer als diejenige beider Elternrassen. Sämtliche Varianten gruppieren sich eng um die Mittelklasse. Die Differenz zwischen größtem und kleinstem F,-d beträgt nur 200 g. (Der Variationskoéffizient (v) beträgt bei den Elternrassen: Rouen ¢ 8.15, 2 8.63; Mallard 3 13.14, 2 8.18; bei der F,-Generation 3 5.82, 2 3.43.) Des weiteren konnten 33 Individuen der F,-Generation untersucht werden. Sie zeigen ebenfalls intermediäres Verhalten — Durchschnitts- gewicht 3 1781, 2 1634 g —, aber im Gegensatz zu F, vermehrte Varia- bilität (v = 12.57 beim 9, 11.07 beim 2). Die Differenz zwischen größtem und kleinstem Individum erreicht beim 3 887 g. Die Variabilität der F.- Generation ist (wie die oben zitierten Variationskoéffizienten zeigen) nicht nur bedeutend größer als diejenige der F,-Generation, sie ist auch größer als bei beiden Elternrassen. Doch erreicht kein Variant der F,-Generation (weder der größte noch der kleinste) den Mittelwert der respektiven (großen oder kleinen) Elternrasse. Der Autor möchte noch nicht entscheiden, ob das bezüglich des Körper- gewichts konstatierte intermediäre Verhalten der zwei ersten Bastard- generationen — mit vermehrter Varıabilität in der F,-Generation — mit Aufspaltung eines mulpiplen Gens (Polymerie) zu erklären ist oder das Resultat irgendwelcher sonstiger Modifikation der Gameten infolge ihrer Vereinigung in der F,-Zygote darstellt. M. Daiber (Zürich). Doneaster, L. Notes on inheritance of colour and other characters in Pigeons. Journ. Genetics. Vol. 2. p. 89—98. Ig12. I. Komplette Beinbefiederung (Lauf sowohl als Zehen befiedert) scheint bei Tauben durch einen mendelnden Faktor bedingt zu sein, bei dessen Fehlen das gewöhnliche, nicht befiederte Bein auftritt. Die Kreuzung zwischen einer beinbefiederten und einer unbefiederten Form ergab in Fy lauter „halb‘“befiederte Nachkommen (die innere Zehe entbehrt der Be- fiederung) und in F, die drei Sorten: komplettbefiedert, halbbefiedert, unbefiedert. Letztere unter sich weitergekreuzt, erwiesen sich als homo- zygote Rezessive. Eine Kreuzung unbefiedert (F;) > komplettbefiedert (F,) lieferte ein Junges mit unbefiederten Beinen. Dies letztere Resultat ist überraschend und erscheint unaufgeklärt. Der Autor schließt daraus auf „unvollkommene Dominanz“ des Befiederungsfaktors. 2. Aus der Kreuzung zwischen Pfauentaube (vermehrte Zahl — 23 — der Schwanzfedern) mit normalschwänziger Taube gingen in der ersten und zweiten Generation ausschließlich Nachkonımen mit normalen Schwänze (12—ı6 Federn) hervor. ; Referate. 353 3. Auf Vererbung der Färbung gerichtete Versuche mit schwarzen und weißen Pfauentauben zeigten, daß weiße Tiere einen Faktor für blau mitführen können, der gegenüber schwarz hypostatisch sich verhält. Aus der Paarung weiß >< schwarz gingen in F, lauter schwarz-weiß gescheckte Nachkommen hervor, meist mit Vorherrschen der weißen Federn. F, ergab schwarz-weiße, weiß-schwarze, weiße und blau-weiße Tiere. Rein schwarze Tiere (wie der eine Elter) traten nicht wieder auf. Der Verfasser möchte diese eigentümlichen Verhältnisse durch die Annahme von drei Faktoren verständlich machen, von denen P = Scheckigkeit, S = Einfarbigkeit und C = Auftreten von Farbe überhaupt bedingen soll. M. Daiber (Zürich). Recent American and English Papers on Sex-limited Inheritance in Vertebrates. 1. C. B. Davenport. Sex-limited Inheritance in Poultry. (Journ. Exp. Zool. 13. I. 1912. p. 1—18.) (8 Coloured plates.) 2. A. H. Sturtevant. An Experiment dealing with Sex-linkage in Fowls. (Journ. Exp. Zool. 12. 4. 1912. p. 499—518.) 3. T. R. Arkell and C. B. Davenport. Horns in Sheep as a typical Sex-limited Character. (Science 35. Mar. 8. 1912. p. 375.) 4. W. E. Castle. Are Horns in Sheep a Sex-limited Character? (Science 35. Apr t2. 1912. p- 574.) 5. F.H.A. Marshall. On the Effects of Castration and Ovariotomy upon Sheep. (Proc. Royal Society. B. 85. 1912. p. 27—32.) 6. C.C. Little. Preliminary Note on the Occurrence of a Sex-limited Character in Cats. (Science 35. May 17. 1912. p. 784.) 7. L. Doncaster. Sex-limeted Inheritance in Cats. (Science 36. Aug. 2. 1912. . 144.) 8. E N. Wentworth. Another Sex-limited Character. (Science 35. June 28. 1912. p. 986.) 9. R. Staples-Browne. Second Report on the Inheritance of Colour in Pigeons, together with an account of some experiments on the crossing of certain races of Doves, with special reference to Sex-limited Inheritance. (Journal of Genetics. 2. 2. 1912. p. 131—162.) (1 Coloured plate.) 10. L. J. Cole. A case of Sex-linked Inheritance in the domestic Pigeon. (Science 36. Aug. 9. I9I2. pP. 190.) In the first of these papers Davenport reviews the cases of sex-limited transmission by the female (the Abraxas and Fowl type) and describes a new case in Fowls. Both the Brown Leghorn and the Dark Brahma have striking sexual dimorphism, and he shows that two of the sexually dimorphic characters, the colour of the hackles and of the wing-bar, show sex-limited transmission — the dominant character in each case being transmitted from the male to his offspring of both sexes, but by the female only to her sons. The greater part of the paper is devoted to a review of previously known cases, and to a theoretical discussion of the nature of sex-limited inheritance. The writer assumes as if it were proved that sex-limited characters are borne by sex-chromosomes, of which the female in this case must have one and the male two. The confident assumption of the truth of this hypothesis is to be regretted when it leads the writer to omit from his resumé of previous work the fact that in the experiments of Durham and Marryat exceptions were recorded which are not easily reconcilable with his view in its simple form. Sturtevant (2) describes a somewhat similar case in Poultry, and proceeds also to discuss the relations of sex-limited inheritance to chromo- somes. He rightly notices that the exceptions recorded in Canaries and Induktive Abstammungs- und Vererbungslehre. VIIL 24 354 Referate. other more recent cases (C. 9. in Nos. g and Io below) must be reckoned with in formulating hypotheses, and proposes that instead of adopting the formula male = ff, female = Ff, as has frequently been done, the male should be MM, the female Mm, on the ground that the exceptional trans- mission of a sex-limited character from the female to her female offspring instead of to her sons is thus more easily explicable. His assumptions with regard to chromosomes are perhaps more far-reaching than the known facts at present warrant. He suggests also that the somewhat anomalous distribution of the characters among the sexes in the crosses by Standfuss of Aglia tau and its var. dugens, and of the dwarf guinea-pigs recorded by Miss Sollas, may be explained by incomplete sex-linkage of these characters. Arkell and Davenport (3) have repeated and amplified Wood’s experiments in crossing horned and hornless varieties of Sheep; they have made all the possible matings and have obtained enough offspring from each to give a good idea of the inheritance. They put forward the hypo- thesis that the apparent dominance of the horned character in only male heterozygotes is due to the presence of a sex-limited inhibitor (I). They assume that the sex-limitation is of the Dvosophi/a type (as in Man and the Cat), so that the male is heterozygous for I (li), transmitting it only to his daughters, white the female is homozygous (II). They further assume that I is only effective when the horn-factor H is heterozygous and I is homozygous, so that HHII and Hhli are horned, HhII hornless. Castle (4) points out that this is inconsistent with the known fact that the development of the horns *s conditioned by the presence of a functional testis, a fact of which confirmation is given by Marshall (5), who finds that castration prevents the further growth of the horns at any stage. Castle maintains that this is inconsistent with the explanation by means of an inhibitor in the female, and that the inhibitor-hypothesis has no basis of fact. Arkell and Davenport reply in ‘Science’ of June 14, Igt2, without giving any fresh facts. Little (6) records the results of matings between orange and black eats, which indicate that the orange male transmits the orange factor only to his female offspring; and therefore suggests that the factors for orange and black in Cats are sex-limited in the male. Doncaster (7) gives confirmatory evidence that the orange factor is sex-limited in the male cat, but his data indicate that the sex-limitation is not absolute, but that an orange male mated with a black female may have occasional black female kittens, and more rarely tortoiseshell male kittens. Wentworth (8) in a short note gives evidence that the inheritance of rudimentary mammae in the pig follows the same ru’es as that of horns in sheep, that is, their presence appears to behave as a dominant in the male and recessive in the female. It is of course not certain that the inheritance is sex-limited in the strict sense of the word. Staples-Browne (g), in addition to a quantity of data not directly bearing on sex-limited inheritance, shows that certain characters in domestic pigeons and in turtle-doves have sex-limited transmission in the female, and further that in this case as in that of the Canary exceptions occur which can only be accounted for by the assumption that the coupling of the characters concerned with the sex-factor is not absolute. Confirmatory results are recorded by Cole (ro). In general, the most important results Referate. 355 of these papers taken together are (1) that in Birds sex-limitation is found in the female, while in Mammals it is in the male; and (2) that several new cases are described in which the coupling with sex is partial rather than absolute. L. Doncaster. Morgan, T. H. Heredity of Body Colour in Drosophila. Journ. Experim. Zool. 13.1.1912. p.27—46. (1 colour plate.) Morgan, T. H., and Cattell, E. Data for the Study of sex-linked inheritance in Drosophila. Journ. Experim. Zool. 13.1. 1912. p. 79-102. The first paper shows that the colour of the wild fly (‘“gray’’) is due to there factors, Black (B), Yellow (Y) and Brown (Br). Absence of B produces a yellow fly, absence of Y a black fly, absence of both B and Y, a brown. The factor B is sex-linked, but Y is not; whether Br is sex- linked has not yet been determined. It is pointed out that these factors for body-colour appear to correspond to the three factors for eye-colour already described, namely vermilion, pink, and orange, of which the pink and orange factors are sex-linked but the vermilion is not. These is however no organic correlation between the body-and eye-colours, for any eye- colour may be associated with any body-colour. Some disturbances of the sex-ratio occur in the crosses with these colours, such as have been de- scribed in connexion with certain other mutations of Drosophila, and the ratios of the various colours in F, show abnormalities which may perhaps be accounted for by gametic coupling. The second paper gives a very valuable account of the phenomena of gametic coupling in transmission by the female of characters which are sex-limited when transmitted by the male. Since the male transmits such characters to his daughters only, they must always be associated when transmitted by the male; but when transmitted by the female it is found that characters which were associated in the grandparents reappear asso- ciated in the grandchildren. For example, if a red-eyed, black-bodied male is mated with a white-eyed, yellow-bodied female, the female offspring produce eggs which bear almost exclusively either the factors for red eye and black body, or for white eye and yellow body, the converse com- binations red-yellow and white-black hardly occurring. It makes no diffe- rence wheter a ‘present’ factor is coupled with a second ‘present’ factor, or with an ‘absence’. It is remarkable that the closeness of the coupling varies greatly in different characters; the coupling in the case of colour-factors is very close (about 200:1), while the coupling between the factors for colour and for size of wing is very low (about 2:1). This is the first case in which gametic coupling — alrealy well-known in plants — has been worked out on a large scale in an animal. L. Doncaster. Baltzer, P. Uber die Beziehung zwischen dem Chromatin und der Entwicklung und Vererbungsrichtung bei Echinodermenbastarden. Arch. f. Zellforschung. 5. S. 497—621. 5 Tafeln. Um die Rolle des Chromatins bei dem Vererbungsgeschehen festzustellen, und zwar in Verfolg der von Boveri (in seinen Dispermieversuchen) an- gebahnten Gedankenwege, wurde parallel mit dem (oft behandelten) Schicksal der Bastardzuchten von Verf. sehr sorgfältig die Geschichte der elterlichen Chromosomengarnituren untersucht — auch durch Zählungen, oder an deren 24° 3 56 Referate. Stelle Messungen der Kerngrößen, wo an älteren Larven jene versagen; denn wenn Vergleich von Kernoberfläche und beobachteter Chromosomen- zahl möglich war, fand sich stets die Regel bewahrheitet, der zufolge beide porportional sich ändern (eine bedeutsame Bestätigung!). — Gezüchtet wurden (unter Benutzung von NaOH) sämtliche Kombinationen zwischen Echinus microtub., Strongylocentrotus liv., Sphaerechinus gran. und Arbacia pust. sowie von Zchinus (resp. Strongylocentrotus) 22 mit Antedon ros. 3. Bekanntlich ist der Erfolg wechselnd. Es ergaben einerseits die Kombinationen zwischen Echinus und Strongylocentrotus sowie von 33 dieser Gattungen mit 92 von Sphaerechinus zwar sehr verschiedene Prozentsätze von Befruchtung, doch sonst gleiche Resultate: Entwicklung im Tempo der mütterlichen Spezies; viele Plutei mit intermediärem Skelett; Kernteilungen und Chromosomen- zahlen stets normal; das Hakenchromosom von Strongylocentrotus, der Haken und das Hufeisen von Zchinus, die zwei überlangen Elemente von Sphaerechinus fehlten nie, wo die betreffende Spezies beteiligt war. Sphaerechinus 33 dagegen, bastardiert mit Zrchinus, Arbacia oder Strongy- locentrotus 29, zeigten stets Erkrankung aller Keime vor 24 Stunden (etwa bei Blastulabildung). Die Höhle füllt sich dabei mit stark chromatinhaltigen Plasmamassen, wohl meist abgeschnürten Zellteilen nur. Das Chromatin rührt aber von Chromosomen her, die bei der ersten Furchungsteilung sich nicht völlig spalten und außerhalb der Neukerne liegen bleiben, oder aber, wenn äußerlich einem davon angegliedert, bei der zweiten Teilung definitiv eliminiert werden. Es sind ihrer 16, und durch einen sinnreich analysierten Bastardtetraster sowie zwei Spermamonaster in kernlosem Ei mit nur 4—5 Chromosomen wird die Erwartung bestätigt, daß es Sphaerechinus-Elemente seien, von denen also stets nur vier (von insgesamt 20) im Bastardkern bleiben: wahrscheinlich immer dieselben Individuen (qualitative Verschieden- heit also der Chromosomen!), denn nie finden sich z. B. die zwei großen darunter usw. Die Eliminierten teilen und vermehren sich im Plasma weiter und ihnen wird die Verlangsamung des Tempos und die Erkrankung zur Last gelegt. Ihr Fehlen aber erklärt die Tatsache der fast rein mütterlichen Skelettbildung der Plutei, die in geringer Zahl aus Uber- lebenden sich entwickeln. Ähnlich liegen die Verhältnisse, wenn Arbacia 22 mit Zchinus- oder Strongylocentrotus-Samen befruchtet werden; nur tritt die Elimination zu verschiedenen, auch späteren, Zeiten auf, und führt meist nur zur Reduktion auf 28 Elemente (im ganzen). Anders aber wieder die Bastarde, an denen Arbacia 8 3 beteiligt sind. Denn hier findet Autor zunächst glatte Entwicklung, im Tempo der Mutter- spezies, bis zur älteren Blastula. Erst diese erkrankt: Schnitte zeigen hier fast sämtliche Kerne hyperchromatisch, resp. anscheinend in Ausstoßung von Chromatin begriffen. Die Mitosen dagegen sind zu allen Zeiten normal; bis zur Erkrankung mit allen 38 Chromosomen, danach mit ca. 20 — viel- leicht ohne alles $ Chromatin (Sphaerechinus 2 Arbacia 3 konnte nicht genau untersucht werden). Wenige überstehen die Krankheit und zeigen dann meist kleine Kerne und mütterliches Skelett (manchmal nicht rein). Ein paar Ausnahmen mit großen, ja besonders großen Kernen, und doch rein mütterlichem Skelett, werden durch ‚Inaktivität‘‘“ des nicht eliminierten väterlichen Chromatins, oder Monasterbildung am weiblichen Vorkern, zu erklären versucht. Bei Bastarden schließlich mit Crinoiden ist keine Art von Elimination zu verzeichnen: obgleich die Vorkerne verschmelzen und die Crinoiden- Referate. 357 chromosomen alle Teilungen norma] mitmachen, werden die Blastulae krank, und die (seltenen) Rekonvaleszenten erweisen sich als reine Plutei; Kerngröße auch bei diesen noch normal (alles in Übereinstimmung mit Godlewski). Trotz dieser letztgenannten Resultate resumiert Verf.: „die Ausbildung der väterlichen Skelettcharaktere geht mit der Anwesenheit des väterlichen Chromatins parallel.“ Und weil nichts für Elimination auch des Sperma- plasmas spricht, folgert er auf Nichtmitwirkung der plasmatischen Sub- stanzen bei Bestimmung der Vererbungsrichtung. Ref. will es allerdings scheinen, als ob besonders die Crinoidenbastarde und die bei Arbaca 55 vor- kommenden Ausnahmen (s. 0.) auch im andern Sinn gedeutet werden könnten — die ‚Inaktivität‘ der doch vorhandenen 3 Chromosomen ist ebenso ungreifbar wie die eben angedeutete gegnerische Hypothese der Mitausstoßung des 3 Plasmas (resp. dessen Inaktivierung) im anderen (ge- wöhnlicheren) Falle. Zwingender scheint dagegen die Feststellung, wonach als Ursache der Elimination die Verschiedenheit der Furchungstempi nicht in Frage kommt, obgleich in der Tat Sphaerechinus und Arbacia sich langsamer teilen wie die andern, also darunter gerade die, deren Chromosomen infolge zu langsamer Spaltung ausgeschaltet werden. Doch Ardacia 3 eliminiert ja anders; Arbacia und Sphaerechinus haben unter sich gleiche Zeiten; und da diese Zeiten andrerseits stets schwanken, und zwar unregelmäßig, kann regelmäßiges Einbeziehen von genau vier, Elimination von sechzehn so nicht ver- standen werden. Vielmehr sieht Verf. die Ursache der Ausstoßung in Eigenschaften der Chromosomen, die normale Beziehungen zum Plasma hindern. Und die Unterschiede zwischen Arbacia und Sphaerechinus deuten ihm auf Boveris zwei Entwicklungsperioden des Keims hin, in deren erster nur die generellen, in der andern die spezifischen Eigenschaften der Chromosomen wirksam werden: Sprößlinge aus Arbacia 3 3 erkrankten erst in der zweiten Periode (als Blastulae, entsprechend den dispermen Keimen) — wie Arbacia verwandt- schaftlich von allen übrigen benutzten Echiniden am weitesten absteht, so lassen sich die von ihren Chromosomen induzierten spezifischen Eigen- schaften nicht in Harmonie bringen mit denen der anderen Spezies. Warum aber die Kernschleifen von Sphaerechinus (und etwas später die dg von Strongylocentrotus und LEchinus im Arbacia-Ei. Ref.) sich von Anfang an zu langsam spalten, bleibt unerklärlich. Ir Bruch Henseler, Heinz. Untersuchungen über die Stammesgeschichte der Lauf- und Sehrittpferde und deren Knochenfestigkeit. Arbeiten der Deutschen Ge- sellschaft für Ziichtungskunde. Heft 14. XVI u. 149 S. Hannover, M. u. H. Schaper, 1912. Die Arbeit besteht aus zwei Teilen, von denen der zum Hauptteil nur in einem losen Zusammenhang stehende erste Teil die Stammesgeschichte des Pferdes referierend behandelt, ohne Neues zu bringen. Die eigentliche Arbeit des Verfassers behandelt die Frage des Unter- schiedes der anatomischen, chemischen, physikalischen, histologischen Eigen- schaften der Knochen von Schritt- und Laufpferden. Sie enthält als haupt- sächlichstes Ergebnis der Veröffentlichung eine Reihe wichtiger Anregungen zur Methode der Untersuchungen, bezüglich deren Einzelheiten auf das Original verwiesen werden muß. Was dagegen die aus den Untersuchungs- ergebnissen gezogenen Schlüsse über angebliche Unterschiede in der Knochen- 358 Referate. beschaffenheit zwischen beiden Gruppen von Pferden betrifft, so kann Referent keinen derselben als bewiesen ansehen. An dem der Arbeit zu- grunde gelegten Materiale ist zunächst auszusetzen, daß es sich, soweit es in der Zusammenstellung der Ergebnisse verwertet wird, nur auf magere, abgetriebene, unterernährte oder mit Fehlern behaftete, zum Teil sehr alte Tiere bezieht. Da der Knochen. wenn auch mit seinen verschiedenen Be- standteilen in verschiedenem Maße, doch sicherlich mit allen Bestandteilen zum allgemeinen Stoffwechsel enge Beziehungen unterhält, so darf das solchen Tieren entnommene Material nicht ohne weiteres als ‚normal‘ angesehen werden. Dabei ist die Zahl der untersuchten Tiere so klein (9 Lauf-, 6 Schrittpferde), und die Schwankungen innerhalb der Gruppen sind bei allen Eigenschaften, bei denen Verfasser Unterschiede zwischen beiden Gruppen gefunden haben will, so groß, daß den durchwegs sehr kleinen Unterschieden kaum eine Bedeutung beigemessen werden kann. Die Berechnung des wahrscheinlichen Fehlers, dessen Zweckmäßigkeit für derartige Untersuchungen Verfasser an anderer Stelle (Jahrbuch f. wiss. u. prakt. Tierzucht, VII. Jahrg., 1912) kürzlich bestritten hat, hatte vor derartiger Überschätzung der Ergebnisse bewahrt. Walther. Jaekel, ©. Die Wirbeltiere. Eine Übersicht über die fossilen und lebenden Formen. 252 S. 280 Textf. Gebr. Borntraeger IQII. Dieser Versuch zu einer neuen Anordnung der Wirbeltiere unter Berücksichtigung sowohl des lebenden als des fossilen Materials bewegt sich im wesentlichen in den Richtungen, die schon in früheren Mitteilungen des Verfassers vorgezeichnet waren. Um im System dem Abstammungs- prinzip gebührend Rechnung zu tragen, stellt Jaekel verschiedene Stufen der Entwicklung auf und betrachtet als solche die Protetrapoden, die Eotetrapoden und die Tetrapoden. Innerhalb jeder Stufe werden eine Hauptrichtung der Entwicklung und Nebenrichtungen unterschieden. Die Hauptrichtungen der Protetrapoden und Eotetrapoden sind unbekannt, als ihre Nebenrichtungen werden die Tunicaten und die Fische betrachtet, die beide nicht in die direkte Entwicklungsrichtung zu den eigentlichen Vierfüßlern fallen, sondern als Abzweigungen davon betrachtet werden. Die Fische im besonderen werden von hypothetischen terrestrischen Urvierfüßlern hergeleitet, die sich nachträglich ans Wasserleben angepaßt haben, aber der Verfasser bezweifelt ihre phyletische Einheit und behandelt sie nur aus praktischen Rücksichten als solche. Es werden drei Klassen unter ihnen unterschieden: I. Malacostomata oder Weichmäuler; sie umfassen die Formen mit zahnlosem oder saugartigem Munde, im besonderen die sehr verschieden- artigen, altpaläozoischen Typen der Placodermen, sowie die Cyclostomen nebst Amphioxus. II. Zypostomata mit dem Mund auf der Unterseite des Kopfes. Hierher werden gestellt die paläozoischen Arthrodira, sowie die Störe, Chimaeren und Selachier. III. 7eleostomata, alle übrigen (echten) Fische begreifend. Dabei werden die Acanthodini als Nebenordnung der Vorstufe Proostea mit einbezogen. Als Vertreter der zweiten Stufe (//olostea) werden in der ersten Phase die Crossopterygier und die Osteolepidi, in der weiteren die Heterocerci, Lepidoti und Ami hingestellt, während die übrigen Ganoiden in Neben- ordnungen fallen. Die Oberstufe sind die Teleostier, die als Unterklasse Referate, 359 von den Ganoiden getrennt werden, obgleich vier Familien namhaft gemacht werden, aus denen die Knochenfische hervorgegangen sein sollen. (In der Übersichtstabelle der 7Ze/eostomata S. 69 finden sich z. T. andere Namen und eine andere Anordnung der Gruppen als in der Beschreibung!) Die schon früher vom Verfasser vorgeschlagenen Änderungen in der Einteilung der Vierfüßler bestehen einerseits in der wohlbegründeten Auf- lösung der Stegocephalen, andererseits in der Schaffung dreier neuer Klassen. Von diesen umfassen die Zemispondyla die Stegocephalen mit geteilten Wirbeln (Branchiosauri, Sclerocephali); sie gelten als Nebenklasse der unbekannten ersten Vorstufe. Die Miosauria, Hauptklasse der zweiten Stufe, enthalten die holospondylen Stegocephalen, d.h. die Wierosaurra und Cotylosauria. Unter den letzteren sollen die /areiasauri zu den Säugern, die Datheosauri zu den Reptilien hinüberleiten. Die Nebenklassen der zweiten Stufe bilden die Amphibia, Reptilia und Aves, die ersten und die letzten ın der gewöhnlichen Begrenzung. Als Reptilien bezeichnet aber Verfasser nur die Formen mit zwei Schläfenlücken (= Diapsida), während diejenigen mit einer Lücke (Syzapsida) in die neue Klasse der Paratheria gestellt werden. Dabei ist jedoch im Auge zu be- halten, daß manche Vertreter der ersten Stufe noch nicht zwei Schläfen- lücken besitzen, sie vielmehr erst zuentwickeln beginnen, daß aber verschiedene der hierher gestellten Gruppen von Osborn überhaupt zu den Synapsiden gestellt werden, im besonderen die Sauropterygier und Placodonten. Die drei Stufen der Reptilien sind nach Jaekel: I. Archaeosauria (Vor- stufe), II. Holosauria, Ill. Hyperosauria. Die Hauptordnungen derselben sind die Gephyrostegi, Proterosauri und Dinosauri, während die übrigen Gruppen in die Nebenordnungen verwiesen werden. Die beiden sonst als Saurzschia und Orwitischia bezeichneten Unterordnungen der Dinosaurier nennt der Verfasser passenderweise /raepubici und Postpubict. Die Paratheria bilden eine besondere Klasse; sie umfassen die Formen, die nach Jaekels Deutung nur eine Schläfenlücke besitzen, sich dem Typus der eigentlichen Reptilien nicht einfügen, vielmehr z. T. säugerähnliche Merkmale aufweisen. Das bunte Gemisch setzt sich in den Hauptordnungen zusammen aus den 7herapsidi und Theriodonti, also aus den permo-triadischen Reptilien vom Habitus der Säuger, spez. der Carnivoren. Als Neben- ordnungen erscheinen die permischen Dinocephala und Anomondontia, die Schildkröten und die heutigen Monotremen. In den theriodonten Para- therien erblickt Jaekel den Ausgangspunkt der Säuger. Als Stammreihe der Säuger werden die polyprotodonten Marsupialier angenommen. Von ihnen leiten sich die Insectivoren und von diesen alle höheren Säuger ab. In der Hauptreihe erscheinen: I. Haplodonti (1. Stufe Miotheria); sie umfassen den größten Teil der Protodonta und Triconodonta Osborns. 2. Insectivori (Il. Stufe Mesotheria). 3. Carnivori (III. Stufe Holotheria). Die Nebenordnungen zu I sind die Multituberculati und Diprotedonti, die zu II die Nager, Zahnliicker und Primaten, die zu III die Cetaceen, Artiodactylen, Ungulati (= /erissodactylen) und die Sirenen. Diese Wiedergabe mag dem Leser genügend das Grundsätzliche in der Klassifikation Jaekels vor Augen führen. In dem Versuche, das System in phylogenetischer Form zum Ausdruck zu bringen, liegt ja gewiß ein richtiger und notwendiger Gedanke. Denn in dem Maße wie die phylo- genetische Erkenntnis fortschreitet, bleibt die althergebrachte, einreihige Anordnung im System hinter dem Wissen zurück. Und wenn dieser Versuch 360 Referate. in seinen Grundzügen auf sicher erkannter Abstammung beruhte, könnte er ja gewiß nur freudig begrüßt werden. Der Verfasser ıst sich auch wohl bewußt, daß hier noch nichts Endgültiges vorliegt, aber er hofft, daß er Anregungen zu Verbesserungen hervorrufen und unser Wissen rasch erweitern wird. Allein es lassen sich auch grundsätzliche Bedenken gerade gegen diese Art des Versuches erheben. Diese ergeben sich aus den durchaus hypothetischen und sonst nicht anerkannten Voraussetzungen, die der Verfasser von dem Gang der Ent- wicklung im allgemeinen hegt. Das gilt vor allem von den angeblichen „Umschlägen der Organisation‘ im Jugendstadium, die Jackel als ,,Meta- kinese‘‘ bezeichnet hat; diese sollen „scharfe Grenzen“ schaffen. Das gilt auch von der „Dekadenz‘‘ und der „Rückbildung‘‘, mit denen der Ver- fasser andauernd operiert. In diesen labilen Begriffen bleibt der individuellen Auffassung ein so weiter Spielraum, daß sich darauf schwerlich etwas allgemein Anerkanntes aufbauen läßt. Den Grundsätzen einer rationellen Phylogenie entspricht es ferner keineswegs, wenn ein einziges oder einige wenige Merkmale allein zur Trennung der Klassen benützt und auf diese Weise die Schildkröten mit den raubtierartigen Paratherien (Therapsiden) zusammengekoppelt und von den Placodontiern als echten Reptilien ganz abgerückt werden. Wie weit heute die Ansichten über die phylogenetische Rolle mancher Gruppen auseinander gehen, läßt sich z. B. an den Hemispondyla Jaekels zeigen. Zu ihnen gehören die nach Jaekel „am stärksten gehemmten Typen‘ der Branchiosauren. Sie werden von ihm als „gänzlich ausgestorben“ betrachtet: „als Vorfahren anderer Tetrapoden können die /emispondyla schon wegen ihrer Wirbelbildung nicht in Betracht kommen.‘ Zu gleicher Zeit preist dagegen Williston, einer der kenntnisreichsten Reptilpaläontologen, es als eine der wesentlichen Errungenschaften des letzten Jahrzehnts, daß „die Abstammung der Amphibien von Branchiosauren auf eine feste Grund- lage gestellt, wenn nicht gar erwiesen ist!“ Die zahlreichen Abbildungen sind von verschiedener Brauchbarkeit. Manche davon, meist Rekonstruktionen, sind neu. ‘ Steinmann. Fortschritte in der Paläontologie der Wirbeltiere während des letzten Jahr- zehnts. Die paläontologische Gesellschaft in den Vereinigten Staaten hat eine Sammlung von kurzen Referaten über die Fortschritte der Wirbeltier- paläontologie in dem letzten Jahrzehnt veranstaltet, die im Bull. Geol. Soc. America 23, I9I2, 155-266 erschienen ist. Fast alle hervorragenden Paläontologen des Landes haben sich daran beteiligt und Beiträge aus ihren Spezialgebieten geliefert. Es ist fast überflüssig, zu betonen, daß diese Übersichten, wie knapp sie auch gehalten sein mögen, jedem, der sich für Wirbeltiere und ihre Phylogenie interessiert, eine bequeme Möglichkeit gewähren, sich über die vielfach recht erheblichen Fortschritte auf diesem Gebiete rasch zu orientieren. Einzelheiten aus dieser Zusammenstellung anzuführen, erscheint untunlich; den phylogenetisch Interessierten können besonders die Abschnitte von Case, Zalaeosoic Reptilia and Amphibia, und von Williston, Zvolutionary evidences, empfohlen werden. Steinmann. Verlag von Gebrüder Borntraeger in Berlin w 35 "acme dead Jee 328 Biologie und Kapillaranalyse der ae von Professor Dr. J. Grüß. Mit 2 farbigen Doppeltafeln und 58 Textabbildungen. Geheftet 16 M. Die Lehre von den Enzymen greift in wiele Gebiete der Natur- wissenschaft tief ein. Daher wurden in dem vorliegenden Werk neben theoretischen Fragen hauptsächlich die biologischen Verhältnisse be- handelt, die für viele Kreise ein näherliegendes Interesse haben. Grundzüge der allgemeinen Phytopathologie von Prof. Dr. H. Klebahn. Mit zahlreichen Textabbildungen. Gebunden 4 M. 80 Pf. Die wirtswechselnden Rostpilze. Versuch einer Gesamtdarstellung ihrer biologischen Verhältnisse von Professor Dr. H. Klebahn. Mit 8 Tafeln. Geb. 23 M. Krankheiten des Flieders von Professor Dr. H. Klebahn. Geheftet 4 M. 20 Pf. Pflanzenwachstum und Kalkmangel im Boden. Untersuchungen über den Einfluß der Entkalkung des Bodens dureh Hiittenrauch und über die giftige Wirkung von Metall- - verbindungen auf das Pflanzenwachstum von Dr. A. Wieler, Professor an der Technischen Hochschule zu Aachen. Mit = Textabb. Gebunden 15 M. 20 Pf. für setens von Prof. Dr. M. Mobius. Zweite veriinderte ‚Auflage, Mit 43 Abbildungen. Gebunden 3 M. 20 er _ Mikroskopisches Praktikum für systematische Botanik (I: Angiospermen) von Professor Dr. M. Möbius. Mit 150 Textabbildungen. Gebunden 6 M. 80 Pf. k Pabionuirtuniechs Zeitschrift redigiert von Professor — Behe Dit, H. Potonié, Kgl. Landesgeologen in Berlin. Erster Band — 000 erstes Heft mit zahlreichen Textabbildungen und 3 Tafeln. Dt de She arp ca. 3 M., Einzelpreis ca. 4 M. ; Ausführliche Verlagsverzeichnisse _ kostenfrei Zeitschrift für induktive Abstammungs- und Vererbungslehre Inhaltsverzeichnis von Heft 4 Bd. VIII. Abhandlungen Seite Müller, R. Bakterienmutationen . 2. 2 2 2 2 2 2 u 2 2 2.2.2. 305—324 Kleinere Mitteilungen Baur, E. Ein Fall von geschlechtsbegrenzter Vererbung bei Melan- drium album. . 210. .334—335 Lotsy, J. P. Versuche über Artbastarde und "Betrachtungen über die Möglichkeit einer Evolution trotz Artbeständigkeit . . . 325—332 Nathusius, S. v. Die Entstehung des Mauchampsschafes . . . . 332—334 Referate Arkell, T. R.. and Davenport, C. B. Horns in Sheep as a typical Sex-limited Character. (Doncaster) . . . 353 Baltzer, P. Über die Beziehungen zwischen dem “Chromatin und der Entwicklung und Vererbungsrichtung bei Echinodermenbastarden. (Briel); 2.2. aoa Soc ot eel ee Se Beijerinck, M. W. "Mutationen bei Microben. (Miehe) Fe 5 342 Castle, E. W. Are Horns in Sheep a Sex-limited Character? (Doncaster) 353 Cole, L. J. A case of Sex-linked Inheritance in the domestic Pigeon. (Doticasten) Ara. A q ER rs 80 Correns, C. Selbststerilitat und Individualstoffe, (Lehmann)... 341 Davenport, C. B. Sex-limited Inheritance in Poultry. (Doncaster) « + 353 Doncaster, L. Notes on inheritance of colour and other characters in Pigeons. (Daiber).... . a Toco in OS aH oy ENT — Sex-limited Inheritance in Cats. (Doncaster) en 5 Batson ts 43 Fruwirth, C. Spontane vegetative Bastardspaltung. (Kajanus) .. . . 345 Hayes, H. K. Correlation and inheritance in Nicotiana tabacum. (Hagem) 346 Heinricher, E. Experimentelle Beitrage zur Frage nach den Rassen und der Rassenbildung der Mistel. (Lehmann) .. . . 346 Henseler, Heinz. Untersuchungen über die Stammesgeschichte der Lauf- und Schrittpferde und deren Knochenfestigkeit. (Walther) . IR, Jaekel, ©. Die Wirbeltiere. Eine Übersicht über die fossilen und leben- : den Formen. (Steinmann)... Mead BEI) Little, C. C. Preliminary Note on the Occurrence. of a "Sex-limited Character in Cats. (Doncaster). . . a a c 4353 Marshall, F. H. A. On the Effects of Castration and Ovariotomy upon Sheep. (Doncaster) . . RE Morgan, T. H. Heredity of Body "Colour in n Drosophila.. (Doncaster) 355 —, and Cattel, E. Data for the Study of sex-linked inheritance in - Drosophila. (Doncaster) . . . RN Pearl, E. Notes on the history of barred breeds of Poultry. (Daiber) . 348 — The mode of inheritance of fecundity in the domestic Fowl. (Daiber) 349 Phillips, J. Size inheritance of Ducks. (Daiber) .. . Peat inte outa tees ioe 4 Semon, R. Das Problem der alle „erworbener Eigenschaften“. (Baur) Ser 2a erate ee TED HESSEN PP 337 Staples-Browne, R. Second Report on the Inheritance of Colour in Pigeons, together with an account of some experiments on the crossing of certain races of Doves, with a reference to Sex- limited Inheritance. (Doncaster) ... . le Re Sturtevant, A. H, An rt dealing with Sex-linkage in Fowls. (Doncaster) . ..... Aas) Shari 353 Vries, H. de. Die Mutationen in der ‘Erblichkeitslehre. " (Heribert-Nilsson) 339 Inhaltsverzeichnis mit Titel von Bd. VIII A D RS BAR h alle Ka a 2 Les e Ana ihe aH ER: eal | 3S New Botanical Garden 51 85 00289 2071 SE De : = ee Peer ee